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Theologiſche

Quartalſchrift.

In Verbindung mit mehreren Gelehrten herausgegeben um D. v. Drey, Ὁ. v. Auhn, D. Hefele, Ὁ. Welte,

D. Bukrigl und Ὁ. Aberle, Brofefloren der fat$. Theologie an der X. Univerfität Tübingen.

Fünfunddreißigfter Jahrgang.

Erſtes Quartalheft.

QTübingen, 1853.

Berlag der H. Laupp’fien Buchhandlung. (Saupp & Sichel.)

Deut von ὅ. Sap. ^

1. Abhandlungen.

Beiträge zur Geſchichte der deutſchen Liturgie.

1. Ordo baptisterii der Kirche von fixiren aus dem 12. oder 13. Zahrhundert, verglichen mil dem alten €aufritus der römifhen uns deutſchen Kirche.

Der ordo baptisterii, welder nun als ein ehrwuͤr⸗ diges Denfmal der Vorzeit veröffentlicht wird, ift entnoms men aus einem alten handſchriftlichen Miffale, welches in ber Bibliothef des f. 5. Priefterfeminars zu Briren aufbewahrt wird. Daffelbe diente zum Gebraude zweier febr alten Silialficchen der Pfarre St. Andre auf dem naͤchſt Briren gelegenen Mittelgebirge, námlid) den Kichen zum hl. Johannes in €ornol unb zum heil. Leonhard im Orte gl. N. Es enthält nad) der Alter fen Ginrijtung in drei abgefonberten Theilen

- das Antiphonarium mit ben Neumen, das Sacra— mentarium und das Lectionarium. Die Präfe- tion von ber fefigfen Jungfrau, melde Papft Urban Il. (1088—1099) eingeführt hat, ift mit fpäterer Hand hinzugeſchrieben. Im Canon findet man nod) dt. .

Tu

4 Ordo baptisterii

(illius illorum) ftatt des fpäteren N— Tauter Kennzeichen, daß das Alter biefe& Miffals nicht über das 11. Sabre hundert heraufgerüdt werden darf. Damit flimmt aud) - überein bie ſchoͤne Schrift zum Theil mit Iongobarr bifden Sudftaben, unb daß im vorausgehenden Galen» darium mit fpäterer Hand bie Namen der gleidjseiti» gen Bifhöfe von Brixen Hardwig (1020—1039), Bopo (1039—1048), Altwin (1049—1091) und des Biſchofs von Trient Gebhard (1106—1118), welder im Jahr 1113 das St. Johannis-Kirchlein zu Eornol eingeweiht hat, eingetragen find h). Diefer [egte Umftand beweist much, daß das Miffale wirflid ber Diöcefe Briren angehörte. Das nämliche Refultat ergiebt ſich aud, wenn das oben genannte alte Galenbarium mit den fpätern für die Kirche von Brixen beftimmten und nod) vorhan⸗ denen Kirchenfalendern bis zur Zeit des Fuͤrſt⸗Biſchofs Chriſtoph Andre von Spaur, welder das τόπι [ὦ ε Miffale und Brevier im Jahr 1604 eingeführt hat,

1) Das Antiphonarium ſchließt bekanntlich jene Theile ber BL Meſſe in Rd), welche gefungen wurden, nämlich bem Introitus, , das Grabuale, Offertorium, bie Communio unb die Se quenzen. Neumen find die alten Tonzeichen in bem ihuglfdjen Büchern, welche aus Puncten, Haͤckchen und Schnörkeln beſtehen, umb über den Zeilen bes Textes in verfdjiebener Höhe gefegt wurden. Das Sacramentarium enthielt ben. Ganon, bie Präfationen unb bit Gebete während ber BL Mefle. Bei der Opferung und zur Communion des Prieſters waren efebem Feine beftimmten Gebetöformeln vorgefehrieben, daher fie im bem alten liturgifdjen Büchern mangeln. Das sl. deutet auf den Gebrauch der Dyptychen und findet fid) zegelmäßig mur in Handfepriften vor bem 10. Jahrhundert. Bis ' afin wurden nämlich im Abenblande bie Dyptychen vorgelefen, wenn gleich dieſer Gebrauch bei einigen Kirchen Deutſchlands fich länger erhalten Hat. Im £ectionarium waren bie Epifleln und Evangelien, wie fie bei der Liturgie gelefen werben follten, aufgezeichnet.

der Kirche von Brixen. 5

verglihen werden. Am Ende des oben befchriebenen Miffale if ein Ordo Baptisterii beigefügt, für welchen aber ein fo hohes Alter nicht angefproden werben kann. Offenbar ftammt er von einer andern unb fpätern Hand, welde auch am Ende eine Mefie de s. Leonhardo geſchrieben hat. Da. nun bie Kirche zum hl. Leonhard, welcher, wie ſchon gemeldet wurde, dies Miffale anges hörte, erft am Ende des 12. Jahrhunderts geweiht und die Mefle de s. Leonhardo wahrfgeinli zur Verehrung dieſes Heiligen als des Kirchenpatrons um biefelbe Zeit angeſchloſſen worden ig; fo wird aud) das Ende bes 12. ober der Anfang des 13. Jahrhunderts als bie Zeit bezeichnet werben müflen, in welcher unfer ordo baptisterii geſchrieben worben if. Damit ftimmen die Eigenthümlich- feiten und Fehler in ber Orthographie fowie aud) bie SBudjftaben überein.

Eine genaue Unterfuhung unb Vergleihung des oben beſchriebenen Mifiale, des vorangehenden Galenbarium und des am Ende beigefügten ordo baptisterii dürfte nicht un» bebeutende Beiträge zur Gefhiähte ber deutſchen Liturgif liefetn. Für Nieberdeutfchland haben Radulph be Rivo, Dedant zu Sungern, und Cornelius Schulting, Eanonicus zu Köln, jener am Ende des vierzehnten, dieſer

am Ende des fechsgehnten Jahrhunderts [djágbare Samm- .

lungen und Arbeiten geliefert ἢ. In ber neuen Zeit

1) Rabulph verfaßte ein Calendarium ecclesiasticum" (auch de canonum observantia genannt) , worin er Vieles über bie liturgie fügen Gebrauche feines Zeitalter einfließen ließ. Ed. Bibl. patrum T. IV. Paris. 1575; T. XIV. Colon. 1618; T. XXVI. Lugdun. 1677. €dulting made Auszüge aus vorgefundenen alten Handſchriften befonders der Archive und Bibliotheken zu Köln, mafm bie in feiner Zeit gebraͤuchlichen Ritual» und Meßbücher zu Hülfe und bearbeitete

6 Ordo baptisterü

Bat der berühmte Abt von St. Blafien Martin Ger» Bert die kirchlichen Gebräuche und Eeremonien, wie biefe in Alemannien oder in der Kirchenprovinz Mainz fid) vor» gefunden haben, von ben erften Zeiten an unterfucht unb erſchoͤpfend bargeftellt 9. Aber für Bajoarien ober bie alte Kirchenprovinz Salzburg ift meines Wiffens nur febr Weniges geleiftet worden. Daher mögen bie Beiträge, welche id) in mehresen Abfägen zu liefern gebenfe, ben Freunden kirchlicher Wiffenfhaft nicht unwillfommen fein. Für dies Mal begnüge id) mid) das Stefu(tat, welches fidj aus ber Unterfudjung und SBergleldung unfers Coder et» geben hat, fury anzuführen und fobanm bie genauere Bes ſchreibung bed oben genannten ordo baptisterii aus bem 12. oder 13. Jahrhundert folgen zu lagen.

Die biſchoͤfliche Kirche von Säben (am Ende des 10. Jahrhunderts nad Briren übertragen) bildete in den erfien Jahrhunderten ihres Beftandes einen Theil ber weitgebehnten Kirchenprovinz Aquileja, und ward nad dem Wunfhe Carl b. ©. von Papſt Leo IM. mit ben andern bifhöflihen Kirchen Baipariens der neu gegründe- ten Metropole Salzburg untergeordnet (798). Unfer liturgiſcher Gober giebt demnach ein Zeugniß für bie Ber ſchaffenheit ber Liturgie in ber Kirchenprovinz Salzburg oder in ben Kirchen Bajoariens. Die nähere Unterſuchung zeigt uns darin ben gregorianifhen Ritus, welder

das für ben Liturgen und Dogmatifer wichtige Werk: Bibliotheca ec- elesiastica sive commenlariorum sacrorum de exposilione missulis et Breviarii. T. 4. Coloniae Agripp. typis Stephani Hemmerden. 1599— 1602.

1) Martin Gerbert gab heraus: Vetus. Liturgia Alemannica St. Blafien 17765 dann Monumenta veleris Liturgiae Alemann. ex aliquis MS. codicibus. 2 Be. Gt. Blaſien 1777-1779.

der Kirche von Brizen. : 1

von Sarl b. G. und Papft Hadrian L in Deutſchland allgemein eingeführt worben ift, aber aud) bie Eigenthüns lichleiten ber deutſchen Liturgie, wie fie fid) insbeſondere in ben Befren und Sequenzen ausgebildet haben. Die Bergleihung mit andern liturgiſchen Eodices führt uns aud) in bie Heimath, welcher unfer Codex entfproffen ift, nämlich in das ſüdliche Alemannien. Hier blühten bie berühms ten Benebietiner» Abteien Reihenau, Rheinau, Bes tershaufen, St. Blafien; vor allen aber €t. Ballen, wo fid) Romanus niebergelaffen hatte, welder auf Gr» fuden Karl t. ©. vom Papſt Hadrian mit einem autens tifhen Antiphonar nad) Deutſchland gefehiet worden war (190), wo 9t otfer ber Stammler bie berühmten Hym⸗ nen und Lieber verfafte; wo ber römifhe fitdjengefang und ohne Zweifel aud) die roͤmiſche Liturgie am reinften fib erhielt; wohin aud Meginbert, der Biſchof von Säben, im 3. 908 zum Feſte des hl. Gallus wallfahrtete, vieleicht um mit dem damals nod) lebenden Notfer über liturgijde Gegenflände fij zu befpreden oder um Ab⸗ ſchriften für feine Kirche zu erhalten ). Im Borbeigehen

1) Welche Berbienfte fid) die Klöfter in ber Zeit des Mittelalters für Erhaltung und Förderung der Wiſſenſchaft und des Firdlichen Lchens erworben Haben, darf id) fier nicht weiter erörtern. Nur in Bezichung auf St. Gallen mögen einige Stellen aus der Vita Notkeri Balbuli von Effehard dem Jüngern angeführt werben. Fuit in maximo desiderio Praelatis coenobii S. Galli et B. Notkero aliisque magistris ibi degentibus, ut cantum secundum autenticum antiphonarium re- gerent et melodias romano more tenerent, Qualiter autem ista pro- secuti sint, intimare curabimus posteris. Mittens denuo imperator Carolus Romam ad Adrianum Papam rogat, ut iterum ei mittat duos Romanos cantuum gnaros in Franciam, Tunc papa regis precibus annuens juxta petitionem suam secundo duos mitlit cum aulenticie antiphonariis... Vocabatur autom unus eorum Peirus et alter

8 Ordo baptisterii

mache ich auf eine Eigenthümlichfeit unſers Calendars auf- merffam, welde für fid allein ſchon ben ſtaͤrkſten Beweis für meine Behauptung bildet. Es finden fid) darin weder der HI. Ingenuin, der Biſchof von Güben und Schutz⸗ patron des Bisthums Briren, mod der bi. Rupert, Biſchof und Schugpatren ber Kirche von Salzburg; wohl aber bie eigenthämlidhen Heiligen, wie fie in ben alten Ealendarien von St. Gallen, Petershaufen, Solo» thurn und Straßburg aufgezeichnet find, 2. 99. bie heil. Wiborata Klausnerin bei St. Gallen, ber BI. &intan

Romamus... Melensem ecclesiam adibant, qui cum im Septimo (Septimer»&ebirge) lacuque Cumano aere Romanis centrario qua- terentur; Romanus febre correptus vix ad nos usque (nad €t. al^ fen) pervenire pótuit; antiphonarium vero secum... cum duos ha- berent, unum S. Gallo obtulit. In brevi autem tempore Domino se juvante conveluit Romanus de febre... Imperator comperto de Romano mittit celerem nuntium, qui eum si convalesceret nobiscum stare nosque instruere juberet... Dein uterque (Petrus et Romanus) Tama volante, studium alter alterius cum audisset; aemulabantur pro laude et gloria naturali gentis suae more, uter alterum transscenderet. Memoria dignum est, quantum bac aemulatione uterque locus (St. Gallen und 3Re&) profecerit et mon solum in cantu sed et in caeteris docirinis excreverit.... Erat Romae instrumentum quoddam et theca ad antiphon: tentici publicam omnibus ad- ventantibus inspectionem repositorium, quod a cantu dicebatur cantarium. Tale nempe ipse apud nos ad instar illius circa aram Apostolorum cum autentico locari fecit, quem ipse attulit, exem- plato antiphonario, in quo nsque hodie in cantu, si quid dissentitur, in speculo error ejusmodi universis pervidetur atque corrigitur. . Abinde sumsit exordium tola fere Europa ei mazime [ere 'ermania sive Teulomia secundum modum et formam, sicut im monasterio S. Galli viri peritissimi: ediderunt, B. Notkerus. Bal- bulus et Romanus caeterique magistri correxerunt, juxta exemplum autentici Antiphonarii Gregorii. elegit. cantare et hunc. rilum mo- dulandi servare, quem etiam omnes Usum appellaverunt. Aus bem Chronicum Gottwicense T. 1. f. 56 sq.

qua:

der Kirche von Brixen. 9

Einfiebler zu RhHeinau, bie 5.5. Synefius und Theo- pompus, deren Reliquien vom SBeronefer Bifchof Rat- hold im 9. Jahrhundert nad) Reichenau gefchenkt wurden; der bl. Arbogaft und die hl. Dtbilia, beide berühmt und hochverehrt in der Straßburger Diöcefe. Wenn das erftere darin feine Erklaͤrung findet, daß jur Zeit als das Ealendarium abgefaßt wurde, bie Verehrung des δ. In« genuin und Rupert nod) nicht von Rom aus angeorbnet ober beftätigt fondern nur auf bie Eathebralficdhen bes ſchraͤnkt war, fo beweifet das Leßtere genugfam, daß unfer Eoder den alemannifhen nadgebilbet worden ift. Wir dürfen bemnad) annehmen, daß die Diöcefe Briren, wenige ſtens nachdem fie zur Metropole Salzburg gezogen worden ift, ihre Liturgie nad) bem Mufter der alemannifchen Kits den, welche früher [don georbnet waren als bie in Ba- joarien, gebildet habe. Dürfte man das 9tàmlide nicht von den übrigen Suffragankirchen ber Salyburger Provinz fagen? Vielleicht liege e8 fid) aud) ermeijen, wenn nod alte Galenbarien ober Meßbuͤcher vorhanden wären.

Zum Behufe eines genauen Verſtaͤndniſſes und all feitiger Beurtheilung felle id) zuerft den alten Taufritus in feinen Theilen mit befonberer Berüdfihtigung ber tómijden unb deutſchen Kirche in moͤglichſter Kürze bar, und vergleiche fobann unfern ordo baptisterii mit andern tömifhen und alemannijden Handſchriften, welde Mu- tatori und Gerbert herausgegeben haben 3).

In ber Taufe, wie bie alte Kirche feierlich fie

1) Liturgia Romana velus, iria sacramentaria complectens, Leouianum scilicet, Gelasianum et Gregorianum ed. Ludov. Ant. Muratorio. Tomi duo. Venet. 1748. Die oben genannten Monumenta veleris Liturgiae alemann. von Mart. Gerbert.

10 Ordo bsplisterii

gefpenbet hat, find brei Theile zu unterſcheiden: 1. das Gatedumenat; 2. die Scrutinien; 3. bie Sauf» handlung.

1. Das Eatehumenat.

Diejenigen melde von bem Heiden- ober Judenthum in die Kirche Ehrifti eintreten wollten, mußten beim SBifdjof oder von dem dazu beftimmten Priefter die Aufnahme fid) erbitten, und biefe gefhah, um jeder unbebadjtfamen Eile vorzubeugen und bie Wichtigkeit des Schrittes recht ans ſchaulich vorzuftellen, mit feierlichen Geremonien. Deßr wegen wurde a. ber Aufzunehmende befragt, ob er bem Satan entfagen und ernften Sinnes die chriſtliche Lehre annehmen wolle, und nachdem er bieó verfprodjen fatte, hauchte ihm b. ber Priefter oder Biſchof bem belebenden Odem Ehrifti ein, bezeichnete ihn mit bem Zeichen des hl. Kreuzes und legte ihm unter inbrünftigem Gebet bie Hände auf. Der ganze Ritus wurde außerhalb der Kirche, und zwar bei den Lateinern als Eine, bei den Grieden aber in drei abgefonderten Handlungen gefeiert. In mehreren Kirchen wurde den Aufzunehmenden Salz in den Mund geftreut und ihre Ohren unb Nafe mit Spei- chel berührt ). Die Aufgenommenen wurden Katehus

1) Das Sarramentarium bes Papſtes Gelaſius, welder 492 —496 auf dem Stuhle Petri regiert hat, —— den Ritus zur Auf⸗ nahme ganz kurz mit folgenden Worten: „Gentilem bominem cum susceperis; imprimis catechisas eum divinis sermonibus, et dus ei monita, quemadmodum post cognitam veritatem vivere debeat. Post haec facis eum calechumenum: exufflas in faciem ejus et faeie ei crucem in fronte: imponis manus super caput ejus his verbis: Accipe signum crucis tam in fronte quam in corde etc. Inde vero postquam gustaverit medicinam salis et ipse se signaverit; bene- dicis eum his verbis: Domine sancte, Pater omnipotens, aeterne

J der Kirche von Briten, 11

menen b. ἢ. Lehrlinge (von κατηχέω) genannt, weil fie nun in der Lehre des Heiles vollfommen unterrichtet und zu einem bußfertigen und hriftlichen eben angeleitet wet» ben mußten, che fie bie heil. Taufe empfangen fonnten. Eine nähere Befchreibung des Unterrichtes, welden fie genofen, der fcommen Uebungen und Obliegenheiten, denen fie fid zu unterziehen hatten, ber verſchiedenen Glaffen, in welche fie je nad) bem Grabe ihres Fortſchreitens ges theift wurden, gehört nicht in das Bereich der gegenwärs tigen Abhandlung. Für bie Dauer des Katechumenats gab εὖ feine allgemeine Vorſchrift, zumal biefelbe von bem Berhalten der fatedjumenen unb oft aud) andern Umftänden abhängig war. Der Bifchof allein hatte bat« über zu entſcheiden. In ber Alteften Zeit drang man ges woͤhnlich auf eine lange, mehrere Jahre Binburd) an— dauernde Vorbereitung; aber biefe großartige Beier des Satedjumenaté fam in Abnahme, je mehr bie Zahl ber erwachfenen Täuflinge fid verringert und bie der Kinder- taufen fid) vermehrt hatte. Gegen das Ende des 7. Jahr⸗ hunderts war das alte Katechumenat in der lateinifchen Kirche beinahe ganz verfhwunden. Für ben erwachfenen Täufling blieb nod) ber nothwendige Unterricht; bie Gebete ^ und Geremonien aber, weldje bei ber Aufnahme ber Kates dumenen verrichtet wurden, find jur Erinnerung an bie

Deus etc.“ (Liturgia Rom. vet. ed. Murator. T. 1. 593). Das L allgemeine Concil von Konftantinopel gibt im 7. Kanon über bie Aufs nahme der Katechumenen folgende Vorſchrift: Τὴν πρώτην ἡμέραν ποιοῦμεν αὐτοὺς χριστιανοὺς, τὴν δὲ δευτέραν κατηχουμένους, εἶτα τὴν τρίτην ἐξορκίζομεν αὐτοὺς μετὰ τοῦ ἐμφυσᾶν τρίτον εἷς τὸ πρόσ-- «πον καὶ εἷς τὰ ὦτα αὐτῶν" καὶ οὕτως κατηχοῦμεν αὐτοὺς, καὶ ποι- οὖμεν αὐτοὺς χρονίζειν eis τὴν ἐκκλησίαν καὶ ἀκροᾶσϑαι τῶν γραφῶν" καὶ τότε αὐτοὺς βαπτίζομεν. Ed. Herm. Theod. Bruns. Berol. 1839.

12 Ordo beplisterii .

alte Zeit in ben Taufformeln erhalten worden. So finden wir es in unferm ordo baptisterii; fo finden wir e auch in den älteften nod) vorhandenen Taufordines ber deuts ſchen Kirche, welche erft im Verlauf des 8. Jahrhunderts nachdem das feierliche ftatedjumenat (don aufgehört hat, georbnet worden ift und ben roͤmiſchen Ritus allgemein angenommen bat. Das Nämliche berichtet aud) Amas larius, Erzbifhof von Trier (810—814 oder 822), an Earl b. G., welcher von allen Metropoliten feines Reiches Berichte über ben üblichen Taufritus abgefordest hatte 5.

2) Die Scerutinien.

Die Katehumenen der höhern Ordnung oder ber dritten Glaffe, b. ἢ. diejenigen, welde bald zum Sacrament der Taufe zugelaffen werben follten und daher competentes ober electi genannt wurden, mußten fid) nod) firengen Prüfungen unterwerfen unb erhielten baburd) bie legte Vorbereitung zur hl. Taufe. Diefe Prüfungen nannte man Serutinien, melde, nadbem ber Taufritus fid) mehr auégebilbet hatte, in ber römifhen Kirche an vier

1) „Qui desiderat renovari secundum novum hominem, necesse est, ut instruatur a doctoribus ecclesiae, qualis ante baptismum sit, qualis post baptismum futurus sit per gratiam Dei, ut de tenebris peccatorum in lucem veritatis convertatur. Relicto nomine falsorum Deorum colat unum Deum vivum et verum, et postquam haec per- cipit a doctore catholico, catecuminus dicitur i. e. instructus (in- struendus?) sive auditor*.... Die Gebete, fagt Amaralius weiter, werden aud) über bie Kinder geſprochen, „ut caecitas cordis ab eis expellatur, disrumpantur laquei satanae , quibus fuerant conligati et idonei efficiantur per incrementum et ministrationem membrorum ea cognoscere, quae dimitenda sunt et quae tenenda", Monum. vet. Liturg. alemann. von Gerbert, weldjer bafelbft das ganze Antworte fchreiben des Amalarius aus einer Handſchrift des 9. oder 10. Iahıh- mitgetfeilt fot. T. IL p. 264 sqq.

der Kirche von Brixen. 13

in ziemlich gleichen Abſchnitten aufeinander folgenden Tagen gefeiert wurden, fo daß das erfte am Montag ber dritten Faſte nwoche und das letzte am Tage der Taufhandlung ſelbſt gehalten wurde. An dieſen Tagen ſtanden die Katechumenen in der Kirche auf dem ihnen

angewieſenen Platz, Geſchlecht bei Geſchlecht; das maͤnn⸗ liche zur rechten, das weibliche zur linken Seite, nur mit dem Unterkleide angethan, bedeckten Hauptes und vere ſchleierten Angeſichts, damit ihr Inneres nicht zerſtreut werde. Mit den bloßen Füßen betraten fie das ausge⸗ breitete Bußfleid. Die vorzuͤglichſten Gcremonien des Scru⸗ tiniumó waren a. dad sacramentum salis, b. die Grote eismen unb c. bie traditio und redditio symboli ei orationis dominicae. Ich laffe eine furje Beſchreibung derfelben nad) bem Sacramentarium des Papfles Ge⸗ laſius folgen.

Am dritten Sonntage in ber Faſten wurde das erfte Serutinium angefündet, welches folgenden Tages um bie fedéte Stunde (nad) unferer Zeitrechnung 12 Uhr) bes ginnen follte. Ein Alolythus ſchrieb bie Namen ber aue» erwählten fatedjumenen auf. Nachdem fid biefe je nad dem Geſchlechte abgefonbert, zur redjten und linfen Seite aufgeftellt hatten, fprad) über fic ber Prieſter bie vors gefchriebenen Gebcte'). G8 unterliegt wohl feinem Zweifel,

1) „Denuntiatio pro scrutinio, quod tertia hebdomada in Qua- dragesima secunda [eria initiatur“, „Scrutinii diem, dilectissimi fratres, quo Electi nostri divinitus instruantur, imminere cognoscite. ideoque solicita devotione, succedente sequente iMa feria circa horam diei sextam convenire dignemini etc.“

οὔτ autem. venerint ad ecclesiam, scribuntur. nomina in- fantum ab Acolytho, ei vocantur in ecclesia per nomina sicut scripti sunt. Et. statuuntur masculi in dexteram parlem, foeminae in sinistram, et dat orationem. Presbyler super eos“:

14 Ordo baptisterii

baf auf diefe Weife jedes ber folgenden Serutinien mit Ausnahme des legten angefangen worben fei. Darauf folgte bie Weihe des Salzes, welches ben Katechumenen in ben Mund geftreut wurde. Diefe Geremonie nannte man wegen ihrer myftifchen Bedeutung sacramentum salis das OG ebeimnif des Salzes).

Die Eroreismen beftanden in verfhiedenen Ger beten und Beſchwoͤrungen, weldje von brei Akolythen unter Auflegung der Hänbe über bie Katechumenen ge» fprodyen wurden. Jeder der Afolyihen ſprach einen Erors tismus über bie Täuflinge des männlichen und bann einen andern über bie Täuflinge des weiblichen Geſchlechtes. Das Schlußgebet über beide verrichtete. der Priefter ?). Aud bie Exoreismen wurden bei allen Scrutinien mit Ausnahme beó legten vorgenommen.

Mit bem dritten Serutinium begann bie traditio und redditio symboli et orationis dominicae. Diefer Nitus, welder aud) apertio aurium. genannt wurbe, ent ‘hielt einen kurzen Unterricht über bie wefentliden

Oratio:

„Omnipotens sempiterne Deus, pater Domini nostri J. Christi, respicere dignare etc.“

Preces nostras, quaesumus Domine, clementer exaudi etc.

„Deus, qui humani -generis ita es conditor sic etiam refor- mator eic.^ Liturgia Hom. vet. ed. Muratori. T. 1. 533 sq.

1) Im Gelafianum findet fid) folgende Stubrifz

„Benedictio salis dandi catechumenis."

„Exorcizo te creatura salis in nomine Dei patris etc.“

„Et post hanc. orat. pones δαὶ in ore infantis et dices: Accipe ill. sal sapientiae propitiatus in vitam aeternam.

s Benedictio post datum salem.

„Deus patrum nostrorum, Deus universae conditor veritatis eto.“ 1. c. 584 sq.

2) Aus bem. Gelaflanım 1. c. 535—537.

ber Kirche von Brixen. 15

Lehren des Ehriftenthums, aus welchem bie Statedjumenen dann geprüft wurden. Die Extheilung des Unterrichtes (traditio) gefhah im dritten und bie Prüfung (red- ditio) im vierten, oder legten Serutinium. Den Gegen» fand des Unterrihtes bildete eine kurze Belehrung über die vier Evangelien, bie Erflärung des Glaubenóbefennte niſſes, endlich bie Auslegung des „DBater unfer." Ein Priefter, vier Diakonen imb einige Afolythen beforgten denfelben, Ὁοῷ fo, Daß bie Erflärungen alle vom Briefter gegeben wurden !). Beinahe die nämlichen Geremonien find für bie Serutinien aud) im Sacramen- tarium des Papſtes Gregor vorgefchrieben 9.

Die Serutinien haben fid) Tänger erhalten als das Katehumenat. Wir finden bigfelben nod) im 13. Jahr⸗ hundert bei einigen Kirchen Deutſchlands und Frankreichs. Daher erſcheinen fie in den aͤlteſten Taufordines der deut⸗ ſchen Kirche und ihrer erwähnen aud bie deutfchen litur- gif$en Schriftfteller jener Zeit. In Beziehung auf Ale mannien hat®erbert viele Belege gefammelt 3). Nachdem

1) Aus dem Gelaſianum 1. c. 537 —545.

2) Liturgia Rom. vet. ed. Murator. T. II. 152 sq. sq.

3) Berg. u. a. das Sacramentarium von Mheinau aus dem 8. Jahrhundert, das Capitulare ecelesiastici ordinis von St. Bla⸗ fien ans dem 9. Jahrhundert, bie Abhandlung de totius anni offene ac ministeriis in der falf. Bibliothek zu Wien aus bem 12. Jahrhum-⸗ dert, das Antwortfchreiben des Amalarins, Erzbiſchofs von Trier, an Karl b. ©. „Monumenta veteris Liturgiae Alemann. T. I. 248— 252; T. IL 171 sq. 195. 265. Mehrere liturgifdje Schriftſteller dieſer Beit Tébem von fieben Grutinien. So [ὠτείδε Amalarins a, a. D.: „In scrutinio quippe facimus signum crucis super pueros, sicut in- venimus scriptum in Ordine Romano; οἱ genuflexionem et adjuratio- nem et docemus orationem dominicam patrinos et matrinas, ut et ipsi similiter faciant, quos suscepturi sunt a sacro baptismate... . Simili- ter docemus symbolum ... Scrutinium fit ante pasca septies. Sep-

16 Ordo baptisterii

die Serutinien verſchwunden waren, haben fid) in ben Sauf» orbines unb Ritualen nod) die Gebete, Erorcismen unb

tenario enim numero saepe universitas designanur ... Seplies per- scrutantur, i. e. perfecte perscrutemtur.* Man ficht aus biefer Stelle audj, wie bie weife Borficht unferer Bäter die Serutinien zur Belehrung und Aneiferung ber Taufpathen benügte, ba biefelben fonft bei ber immer fich mindernden Zahl der erwachfenen Täuflinge fonft völlig zwedlos ger toefen wären. Muh das eapitulare ordina ecclesiastici bejeidnet fieben Serutinien. „Quarta vero hebdomada ante pascha (b. i. bie dritte Woche in der Baflen) incipiunt scrutinium facere ad infantes, qui in Sabbato sancto babtizandi erunt. Secunda vero fería in ipsa heb- domada veniunt hora fertig ad ecclesiam matres cum infantibus eo- rum, et facit eos presbyter primum catechumenos, id est imposit« manu super capita singulorum dicit orationem his verbis: Ompe sempiterne Deus, Pator Dni nri. Dicia ipsa oratione accipit salem exorcisatum et ponit in os infantum dicendo: Accipe tali& salem sapientiae propitiatus in vitam- aeternam." Tunc scribuntur nomina eorum ab accolitho tam infanium quam et eorum, qui eos suscep- turi sunt, idem masculi seorsum, et feminae seorsum, et ita exeunt foras ecclesiam, exspectantes quando revocentur; tunc primum in- cipiunt antiphonam ad introitum: dum sanctificatus fuero in vobis. Inde presbyter vadit retro altare in sede sus, ut vocaniur per no- sina, ei per ordinem, sicut scripi suni; idem primum masculi, et ordinantur ad dexiris, deinde feminae a sinistris, ei intrat primum acolitu faciens signum crucis in frontibus singulorum δὲ imponit eis manus. et exorcisat eos his verbis: „Deus Abraham, Deus Isaac, Deus Jacob et relique. Completa ipsa oratione super masculos, vertit se ad feminae , et facit similiter; et iterum sequi- tur alius acolitus, et facit similiter; inde tertius, et facit similiter. Postea vero intrat presbyler, et imponit eis manum, et benedicit eos his verbis; aeternam ac justissimam pietatem tuam. Ista com- pleta iterum incipiunt psallere antiphonam ad introitum, inde dicta a presbytero oratione de ipsa ordine pertinente, lectio legitur, et inde sequitur responsorium, et admonentur a diacono, ut exeant foras ita: catecumeni recedant : si quis calecumenus est, recedat: omnee. Catecumeni exeant foras: et sic egredientur infantes exspectantes pro foribus usque dum completa fuerint missarum solemnia.“ „Lecto utem evangelium offerunt matres eorum pro ipsis oblationes, et finitas missas communicant ipsae matres, vel clerus; et admunciet

der Kirche von SSriren. 17

bie übrigen Eeremonien mehr ober weniger erhalten. Rur bat die neuere Zeit in vielen Kirchen biefelben aus bem

presbyter. qualem diem voluerit, ut revertantur, et facit similiter (zweites Srrutinium). Sequente vero hebdomada iterum wma die, qualem bresbyter adnunciaverit, similiter facit (drities Gccntinium). Tercía vero hebdomada similiter die, quam elegerit presbyter, facit aures apertionem (vielmehr: apertionem aurium); id est, veniunt ad ecclesiam , sicut prius, et vocant infantes in ecclesiam, sicut scripli sunt, ef statuuntur, sicut diximus, masculi ed dezieram, feminae a sinistris, et imponunt acoliti tres sicut dictum est, manus super eos, et inde similiter presbyter hoc facto accedit ante altare; et canent antiphonam ad Introitum, et inde leguntur lectiones duae, quas in capitulare commememorat, et secuntur responsoria. lude leguntur initia quatuor evangeliorum cum expositionibus suis et inde tradit presbyler orationem. dominicam et symbolum. ...; Hoc finito admonentur a diacono, iterum hoc modo: Catecumeni rece- dant: si quis catecumenus est, recedat. Omnes catecumeni exeant, et recedant; etexeunt foras de ecclesia exspectantes pro foribus donec consumentur missarum solemnia, et tunc offerunt matres eorum oblatio- nes pro ipsis, ot finitas missas communicant ipsae matres, vel qui ipsos infantes suscepturi sunt^ (viertes Grrutinium). Iterum adnunciat eis presbyter, qualem diem ipse judicaverit, ut revertantur in scrutinium. Tta tamen pensandum est, uf a primo ecrutinio usque in sabbato sencto septem vicibus hoc fiat: id est in prima hebdomada duabus vici- bus, in secunda. unà, inde in tertia dusbus, in quinta vero, quae est ullima, sterum, duabus. In ipsa. autem novissima, quod est in Sabbelo sco, quando ad fontes debent accedere, -catacísat eos presbyter his verbis: Nec te latet satanas. Inde tangit ipse presby- ter de oleo benedicto pectus infantum, facions bis.crucem in eorum pectus dicendo: Abrenuncias tu falis salans, et omnibus operibus | tjus? Respondent circumstantes: Abrenunciat: et inde tertiam cru- cem inter scapulas similiter dicendo: et omnibus pompis ejust etiterum respondent: Abrenunciat. Inde tangit de saliba ori, sin- gulorum nares et aures; et dicit secrele in aures ipsorum: Effela, 4uod. est aperire et iterum ambulat decantandö super capita ipsorum: Credo in unum Deum. Sicque intrant ad benedicendum fontes, et baptizantur per ordinem, idem .masculi prius, et feminae posterius, Inde postea tenent missas ipsi infantes, et offerunt ipsi infantea-oh« lationes, et commaunicant omnes, vel parentes, atque patri Bäp» Sco. Ouartalſchrift. 1853. I. Heft- 2

18 Ordo baptisterii

Zufammengehang geriffen unb willkuͤhrlich oft aud) völlig ohne Sinn an einander gereift. Was unfern alten ordo baptisterii betrifft, fo enthält er noch alle Gebete, Exor⸗ cismen und Geremonien, welche oben nad) bem Gelafianum befchrieben worden find, mit Ausnafme des einzigen Unter- richte.

3. Die SaufBanblung.

Am Tage, welcher zur Taufe beſtimmt war, mußten die Täuflinge das letzte Scrutinium beftehen. Nur zwei Male im Jahre pflegte die Tateinifhe Kirche nad) uraltem Gebraud) bie heil. Taufe zu ertheilen, wenn nicht brüngenbe Roth eine Ausnahme erforderte. Diefe feier lien Taufzelten waren bie Borabende des DOfter- und Pfingfifeftes". Um die neunte Stunde Vormit⸗ tags mußten bie Täuflinge in ber Kirche erſcheinen unb ber Reihe nad), wie ihre Namen beim erſten Serutinium gefärieben waren, fih aufftellen bie des männlichen

tizati autem infantes, si ad praesens possunt episcopum habere, con- firmari cum crisma debent. Quod si ipsa die minime episcopum. invenire potuerint, in quantum celerius possunt invenire, hoc sine dilatione efficiant, et in ipsis diebus octo paschae, quamdiu in albis eynt, cottidie debent offerre oblationes fpsi infantes, et missas tenere, et communicare." 1. c. pag. 171 “4.

1) Unter ben liturgifjen Denfmälern, welche Gerbert gefammelt Bat, meldet das oben genannte Capitulare ordinis ecclesiastici unb zwar mur biefes allein, daß aud) am Vorabend bet Epiphania Domini die h. Taufe feierlich ertheilt worben ſel. Damit ſtimmt aud) eiu Brief Karls b. ©. an Garibalb Jf. von Lüttich (am ber Maas) überein, woraus @erbert bie betreffende Stelle mitgetheilt Bat (Vet. Li- turgia' Alemann. Disquis. V. cap. 1. Nr. XVIIL). Die Exthellung ber 5. Taufe am fBotabenbe ver Epiphanie war bemnad) audy in Deut ſch⸗ land mehr ober weniger üblich, bie im 8. und 9. Jahrhundert mit ber allgemeinen Verbreitung der roͤmiſchen Liturgie fid) bie feierliche Taufzeit auf die Vigillen des Ὅβετ und Pfingfifeftes ſich beſcheaͤnkte.

der Kirche von Brirxen. 49

Geſchlechtes zur rechten, bie des weiblichen zur linken Seite. Dann trat ein Priefter hinzu, bezeichnete jeden einzeln mit dem Zeichen des ἢ. Kreuzes und fprad) mit aufgelegten Hänven über alle bie Oration: Nec te latet salanss eic. Hierauf folgte die apertio aurium, dann bie Gal« bung mit bem Dele, enbli bie Abfhwärung bes Satans unb bie Abbetung des Blaubensbefennt«- niffes oder die redditio symboli. Die Katechumenen wurden nun aus ber Kirche entlaffen.

Um die dritte Stunde Nachmittags begann wieder bie Siturgie. Auf bie feierlihe Weihe der Oſterkerze folgten bie Lefungen aus ber B. Schrift mit ben baju gehörigen Gebeten, nad) deren Vollendung fid ber Biſchof von zwei Diafonen geftügt zum Taufbrunnen begab, wo die ftatedjumenen bereits verfammelt waren unb nad) ge» füchener Wafferweihe getauft wurden. Der Taufe ging ein kurzes Befenntniß des deifiliden Glau— bens voran. Nach derſelben geſchah in ber lateiniſchen Kirche bie Salbung des Scheitels burd ben Pries fer. Das Haupt des Gefalbten wurde mit einem Fleinen S$üppden bebedt; ein weißes Kleid hüllte den Neuges bornen ein, weldher dann in biefem Feiergewande bie B. Communion und vom anwefenben Bifhof bie f. Sire mung empfing ). Im Verlaufe des 11. Jahrhunderts ift bie Gepflogenheit der feierlichen Taufzeiten und, mit derſelben aud) bie feierliche Taufe der alten Kite verſchwunden, bie Geremonien und Gebete jebod) find in ben Taufordines gamz ober zum Theil erhalten worden.

1) Nach dem Gelafianum, Gregorianum und ordo roma- wus I. in bet Liturgia rom. vet. ed. Murator. T. I. 563 57, T. HW. 61 —65, 155 158, 996 oq.

2*

20 Ordo baptisterii

Der nadfolgenbe ordo baptisterii flammt, wie id Thon im Eingang bemerkt habe, aus bem 12. oder 13. Jahre hundert und war im ber Diöcefe Briren gebraͤuchlich bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, um welche Zeit er einem Fürgern, aber eben nicht gluͤcklich zufammengefeßten, flag machte. Der Inhalt und bie Zufammenftellung unfers ordo baptisterü, in welchem, mit wenigen Ausnahmen, alle Gebete unb Geremonien, und zwar in der námliden Ordnung, wie fie im Gelafianum und Gregorianum erſcheinen, einfad) an einander gereiht find, führen in jene Zeit zurüd, da nicht lange vorher bie feierliche Taufe verſchwunden war. Die nähere Unterfus dung zeigt bie Uebereinſtimmung mit ber cómi» fden und afemanni[den Liturgie. Die Gobiceó, mit welchen id) unfern ordo baptisterii verglichen habe, find:

1. Das Gacramentarium bes Papſtes Gela» fius nad) ber Ausgabe des Muratori: Liturgia Rom. vet. T. 1. 533. sq. 563 sq.

2. Das Sarramentarium des Papftes Gre» gorius unb mar fowohl nach ber Recenfion des codez Vaticanus als aud) nad) der des codes Othobonianus. Beide ftammen aus ber erften Zeit des 9. Jahrhunderts und find von Muratori herausgegeben worben : Litur- gia Rom. vet. T. II. 60 sq. 152 sq.

3. Das alte Sacramentarium von Rheinau aus bem 8. Jahrhundert, welhes Gerbert veröffentlicht hat: Monum. vet. Liturgiae Alemann. Tom. I. 249—255.

4. Ein Taufordo vom 10. Jahrhundert in der faif. Bibliothek zu Wien, herausgegeben von Gerbert: Monum. vet. Liturgiae Alemann. T. II. 5 sq.

Der Kürze wegen bezeichne ih das Gelafianum

der Kirche von Briren. 2

mit L; das Gregorianum mit IL und zwar nad) ber Recenfion des cod. Vatic. mit Ilv. und nad ber Recens fion des cod. Othobon. mit Πο.; ba$ Sarramentarium von Rheinau mit IM. und ben Sauforbo aus bem 10. Jahr hundert mit IV. Diefe Ziffern brüden aut) bie Weberein- ſtimmung unfers ordo baptisterii mit den betreffenden co- dices aus. Unbedeutende Varianten wurben nicht beachtet.

Incipit ordo baptisterii In nomine domini ἢ).

Abrenuncias sathane. Abrenuncio. IV.

Et omnibus operibus ejus. Abrenuncio. IV.

Et omnibus pompis ejus. Abrenuncio. IV.

Credis in deum patrem omnipotentem creatorem coeli et terre. Credo.

Credis et in jesum christum, filium ejus unicum dominum nostrum natum et passum. Credo. . Credis et in spiritum sanctum sanctam ecclesiam catholi- cam sanctorum comunionem remissionem peccatorum carnis resurrectionem et vitam aeternam post mortem.

Credo.

Tunc sufflet in eum dicens. IV.?).

Exi sathanas da honorem deo vivo et vero. redde hono- rem jesu christo filio ejus et spiritui sancto paraclito 3).

1) IV. Hat die Rubrif: Primum vero ante jenuas ecclesiae pres- byler incipiat sacramentum beplismatis ia dicendo: Abrenuntias satane etc.

2) Mit bem Beifap: tribus vicibus in faciem ejus.

3) IV. gebraucht Hier eine ben Worten nach abweichende Formel: Recede diabole ab hac imagine dei increpalus ab eo et da locum epiritui Sancto.

2 Ordo baplisterii

Tunc cum pollice faciat crucem in frontem ejus. IV.

Signum sancle crucis domini nostri jesu in frontem tuam pono. IV. ᾿

In pectore faciat crucem. IV.

Signum salvatoris domini nostri jesu christi in pectus tuum : pono. IV. ] Oratio ").

Accipe signum crucis domini nostri jesu christi tam in corde quam in fronte sume fidem celestium preceptorum talis esto moribus ut templum dei jam esse possi ingressus- (a-) que ecclesiam dei. evasisse te laqueos morlis letus (a) agnosce. horresce ydola respue symu- lachra. cole deum patrem omnipotentem. et in jesum christum filium ejus qui in trinitate perfecta vivit et regnat deus. p. o. s. I. III. IV. ?).

Oratio 3). Omnipotens sempiterne deus pater domini nostri jesu christi.

1) I, II. n. IV. ſchreiben fiet bie Auflegung ber Hände vor.

2) lu. HL haben mod bie Oration: Te deprecor Domine, sancte pater, omnipotens aeterne Deus, ut huic famulo tuo etc. dann bie Darreihung bes Salzes mit ber Oration: Domine sancte pater omnipotens aeterne Deus, qui es et eras etc. IV. hat ebenfalls eine zweite Oration: Te deprecor Domine sancte Pater, etc. und nod) eine britte: Preces nostras quaesumus Domine clementer exaudi etc. Daß übrigens mit unferm ordo baptisterii das Gelaftanum unb folge lich aud) das aus biefem entlehnte alte Gacramentar von Rheinan im BWefentlichen übereinftimme, zeigen bie oben (S. 10, tote 1) angeführten Auszüge. Her endet der erſte Haupttheil des alten Taufritus, nämlich vie Aufnahme in das Katehumenat.

3) L. u. II. fügen bei: super electos. Mit diefer Dration begine

der Kirche von Brixen. 23

respicere dignare super hunc famulum tuum (hanc famulam iuam) quem (quam) ad rudimenta fidei vocare dignatus es. et omnem cecilatem cordis ab eo (ea), repelle. dirumpe omnes laqueos sathane -quibus fuerat alligatus (alligata) aperi ei domine januam tue pieta- tis. ut signo sapientie tue imbutus (imbuta) omnium cupiditatum fetoribus careat. e ad suavem odorem preceptorum tuorum letus (leta). tibi in ecclesia tua deserviat. et proficiat de die in diem. ut ydoneus (ydonea) efficiatur accedere ad graciam baptismi tui percepta medicina. P. 1. Ilv. Ilo. IL IV. !).

Oratio.

Preces nostras quesumus domine clementer exaudi. et hunc electum tuum (hanc electam tuam) crucis domi- mice cujus impressione eum (eam) signamus. virtule custodi. ut magnitudinis glorie tue rudimenta ser- vans per custodiam mandatorum tuorum ad regenera- cionis gloriam pervenire mereatur. Per. 1. IIo. IV. ?).

Incipit exorcismus salis dandi catecuminis ?). Exorcizo te ereatura salis in nomine patris omnipotentis.

nen ble Scrutinien, ober ber zweite Haupttheil des alten Taufe ritus. Die feierliche Anfündigung derfelben, wie fie im Gelaflanum vore

^ fommt, Babe ich ſchon oben (S. 13, Note 1) angeführt. Ganz die nám« lide Stubrif wirb audj in II. vorgeſchrieben.

1) lv. fat am Ende bie Bariamte: de die in diem signatus pro- missis gratiae tuae. Per D. N. J. Chr. filium tuum, qui venturus est judicare etc.

2) IV. Hat biefe Oration im erften Tfeile (f. €. 22, 91.2) und in I. 1. Ilo. findet ſich nod) eine dritte Dration: Deus qui humani generis ita es conditor etc. Abet adj Ilo. ifi die 2. unb 3. Dratiom ad libitum,

3) Hier beginnt dad sacramentum salis.

24 Ordo bsplisterii

et im caritate domini nostri jesu christi et in virtute spiritus sancti. Exorcizo te per deum vivum. per deum sanctum. per deum verum. qui te ad tutelam humani generis procreavit et populo venienti ad credulitatem per servos consecrari precepit. (ut in nomine sancte trinitatis efficiaris salutare sacramentum ad effugandum inimicum '). proinde rogamus te dómine deus noster ?). ut hec creatura salis in nomine sancte trinitatis efficia- tur salutare sacramentum ad effugandum inimicum. quem tu domine sanctificando sanctifices (1) et benedicendo benedicas (i). ut fiat omnibus sumentibus perfecta medicina permanens in visceribus eorum in nómine domini nostri jesu christi. Qui venturus est judicare vivos et mortuos. I. IIo. 11. IV. 5).

Benedic (4) domine deus creaturam hanc salis tua bene- diccione celesti in nomine domini nostri jesu christi. et in virtute spiritus sancti ad effugandum inimicum.

Quem tu domine sanctificando sanctificas (1). et benedi- cendo benedicas (+). ut fiat omnibus sumentibus per- fecla medicina permanens in visceribus eorum. per eum qui venturus. lv.

Post ea de ipso sale det infanti. Accipe salem sapientie ut habeas vitam eternam. Pax tecum. I. Hv. Ilo. III. IV. *).

1) Die eingeflammerte Stelle fehlt in I. u. TI.

2) Der Gobrr Ilo. liest: deus noster, ut hanc creaturam salis sanctificando sanctifices, benedicendo benedicas, ut fiat omnibus ac- cipientibus perfecta medicina etc.

3) Ilv. hat anftatt des exorcismus salis nur ble folgende Dration, welche fid) aber in bem andern verglichenen Codices I, Ilo, II. u. IV. mist findet.

4) Alle fünf verglichenen Gobite& Haben bie Variante: Accipe illo

der Kirche von Brixen. 25

Oratio!)

Deus patrum nostrorum deus universe condilor veritatis te supplices exoramus. ut hunc famulum tuum (ut hanc famulam tuam) respicere digneris propicius. et 'hoc primum pabulum salis gustantem. non diucius esu- rire permittas quominus repleatur cibo celesli. qua- lenus sit spiritu domini fervens spe gaudens. tuo no- mini semper serviens. perduc eum (eam) domine ad move regeneracionis lavacrum. ut cum fidelibus tuis promissionum tuarum elerna premia consequi merea- tur. Per. L Iv. Ho. IIL IV. - ^

Oratio Ὁ. Deus abraham. deus ysaac. deus jacob. deus qui Moysi famulo tuo in monte syna apparuisti et filios israel de

sal sapientiae propitiatus in vitam aeternam; in IIv. fehlt bae Wort propitiatus ; IV. hat aud: Pax tecum. _

1) L I. Ho. u. IV. fegen beit poat salem datum.

2) Mit diefem Gebete beginnen bie Grorciómen. In I. feft bie Rubrif: Item eworcismi super electos, quos Acolythi imposita manu super eos dicere debent. Das Nähere ift ſchon oben über blefen Ris tus, insbeſonders aus bem capitulare eccles. ordinis v. Gt. Blaſien (6. 15 Not. 3) gemeldet worden. Da von jedem der brei Aolpthen ein Grote dému& über die Täuflinge des männlichen Geſchlechtes und ein anderer über bie des weiblichen Geſchlechtes geſprochen wurde, fo folgten in beu alten Taufordines fedjó Grorciómen πα einander, am welche fid) das Schlußgebet super ambos, b. h. über alle Täuflinge beiberlei Gt» tes rete. Ich mache auf einen wichtigen Unterſchied des codez vatic. und bes codex othobon. aufmerffam. Der erfte hat, wie bie Verglei⸗ jung zeigen wirb, eigentlich nur einen Grorciómue, ber legte aber mit LM IV. und unferm ordo baptisterii alle ſechs Erorcismen. Der Codex vatic. gehörte wahrſcheinlich zu einer Kirche in Bom, ber otho- bon. aber diente einer Kirche in Paris nod) zu Seiten Karl b. ©. ober Ludwig b. Frommen und kann infoferne al verwanbt mit ber beutfdjen Kirche augeſehen werben. Vielleicht wird gerabe durch biefen Umftand

26 Ordo baplisterii

lerra egypti eduxisti. depulans eis angelum pietalis tue qui custodiret eos die ac nocte te quesumus do- mine. ul mittere digneris angelum sanctum tuum ut Similiter custodiat et hunc famulum tuum (hanc famu- lam tuam). et perducas eum (eam) ad gratiam bap- tismi tui. Per. I. Ilv. Ilo. IIL IV.

Oratio !).

Ergo maledicte diabole recognosce sentenciam tuam et da honorem deo vivo et vero da honorem jesu christo filio ejus et spiritui sancto paraclyto et recede ab hoc famulo tuo (hac famula tua) *) quia istum (istam) sibi deus et dominus noster jesus christus ad suam sanc- tam graciam et benediccionem fontemque baptismatis vocare dignatus est. et hoc signum sancte crucis, quod nos damus in fronti ejus tu maledicte nunquam audeas violare. Per. I. Ilv. IIo. ΠΙ. IV.

ber zwifchen bem zwei Codicis obwaltende Unterfchieb einerfeits und bie Uchereinftimmung mit ben beutfchen Tauforbines anberfeits erklärt. Hier ifi aud) noch ju bemerfen, baf I. u. II. in ben folgenden Erorcismen durchaus in ber dielfachen Zahl: hos famulos tuos has famulas tuas etc. ; Ilv, Ilo. unb IV. aber in ber einfachen Zahl reden, unb bie Grorciemen in Hv, Ho. umb IV., wie in unferm ordo baptisterii vom taufenben Briefter aefproden werben. Der folgende Grovcióému& wurde über bie Täuflinge männlichen Geſchlechtes gefprodhen. Hier trägt unfer ordo baptisterii, wie an andern Stellen, feine gramatifalifchen Unrichtigfeiten zur Schau, indem er, neben hunc famulum tuum nodj hanc famulam tuam fet. Auch mit ber Zahl wechfelt er nach Belieben.

1) Konnte nur von einem umwiffenben Abſchreiber hieher gefebt werben, ba das Folgende ber Schluß des erften Grotciómué ift.

2) Sollte fiehen: ab hoc famulo Dei. Πν. hat die Variante: fa- mulo Dei, quem Deus et dominus noster ad suam gratiam et bene- dictionem vocare $e

der Kirche von Briren. 22

Super feminas. Oratio.

Deus celi et terre deus angelorum deus archangelorum. deus prophetarum. deus apostolorum, deus martyrum. deus confessorum. deus virginum !). deus omnium bene vivencium. deus cui omnis lingua confiteatur. celes- tium. terrestium et infernorum. te invoco domine super hanc famulam tuam ?) perducere digneris ad graciam baptismi tui. Per. Ergo maledicte. I. Ilo. III. IV.

Super masculos.

Deus inmortale presidium omnium postulancium. liberacio supplicum pax rogancium. vita credencium resurreccio mortuorum. te invoco super hunc famulum tuum (hos famulos tuos) qui baptismi tui donum petens. eterna consequi graciam spiritali regeneracione desiderat. ac- cipe eum domine quia dignatus es dicere petite et ac- cipietis querite et invenietis pulsate et aperietur vobis. petenti ilaque premium porrige et januam pulsanti pande. ut eternam benediccionem lavacri celestis (consecutus promissa tui muneris regna) percipiant. Per. Ergo maledicte Ilv. IIo. 3).

1) Deus apostolorum, Deus confessorum fehlt in I, Io. u. IL; chenfails Deus virginum in I.

2) ut eam vom Abſchreiber weggelaffen.

3) Die Gobices TIv. und Ilo. Haben beu eingeflammerten Tert nicht. Diefe ganze Oration fammt bem roreism.: Ergo maledicte fehlt in Lu. HL, welche dafür ben Erorcismus; Audi maledicte sathanas etc. haben. Diefer námlide Groreismus findet fich aud) in Io. nad} ber Oration: Deus immortale praesidium folgend anfatt des gewöhnlichen: Ergo maledicte. 3m Gober Ilv. folgt gar fein Grozciém, mehr. IV. hat die Oration: Deus immortale praesidium nicht, wohl aber dafür ble zwei Erorrismen: Audi maledicte und Ergo maledicte.

28 Ordo baplisterii Super feminas.

Deus abraham. deus ysaac. deus jaéob. deus qui tribus israel (de egypcia servitute liberasti per moysen famu- lum tuum de custodia mandatorum tuorum in deserto) ') monuisti. et susannam de falso crimine liberasti. te supplex deprecor domine. ut liberes has famulas tuas. et perducere digneris ad graciam baptismi tui. Per. Ergo maledicte. I. Ilo. III. IV. τ

Super masculos.

Exorciso te inmunde spiritus. in nomine patris et filii et Spiritus sancli. ut recedas ab hiis famulis dei. ipse enim tibi imperat maledicte dampnate qui pedibus super le?) ambulavit et petro mergente dexteram porrexit. Ergo maledicte. I. IIo. II. IV.

Super feminas.

Exorcizo te inmunde spiritus. per patrem. et filium. et Spiritum sanctum. ut exeas et recedas ab hiis famu— labus dei. ipse enim tibi imperat maledicte dampnate. qui ceco nato oculos aperuit. et quatriduanum lazarum de monumento suscitavit. Per. Ergo maledicte. I. Ilo. I. I.

Super ambos ?).

Eternam ac justissimam pietatem tuam deprecor domine sancte pater ommipotens eterne deus luminis et veri- latis super hunc famulum el famulam tuam ut digneris eos illuminare lumine intelligencie tie munda et sanc-

1) Der eingeflammerte Tert fehlt in 1. u. III. 2) Sollte fein: super mare. 3) I. fat: Sequitur oratio, quam sacerdos dicere debet.

der Kirche von Brixen. 29

tifica. da eis scienciam veram. ut digni efficiantur ac- cedere ad graciam baptismi tui. teneantque firmam spem. consilium rectum. doctrinam sanctam. ut apti sint ad percipiendam graciam tuam. Per christum. I. Ilv. Ilo. Ill. IV. 1).

Hic introducantur pueriin ecclesiam et ponat presbyter manus super capita infantum et dicat symbolum et dominicam orationem. Sequi- tur Oratio 3).

Nec te lateat sathanas iminere tibi penas iminere tibi tor- menta. diem judicii diem supplicii. diem qui venturus est velut clybanus ardens in quo tibi alque universis angelis tuis preparatus sempiternus eri interitus. et ideo pro tua nequicia dampnate atque dampnande. da

1) Ilv. und Ho. Iefen: ad percipiendam gratiam baptismi tui, Nach den Grotciómen, welche hier enbeu, folgte bie traditio symboli et orationis dominicae. In L liest man folgende Rubriken: Incipit ex- pesitione evangeliorum in aurium apertionem ad electos. Incipit praefatio symboli ad electos. Item praefatio orationis dominicae. . Bon diefem Ritus findet fid) in unferm ordo baptisterii noch eim Ueber⸗ bleibfel, ba bie mun folgende Rubrik die Aobetung des Symbolum „und Bater unfer“ anorbnet.

2) Mit dieſer Dration begann’ das legte Gcrutinium (red- ditio symboli) am Vorabende des Ofterfefles. Das Gelafianum unb mit biefem übereinftimmend ber Codex othobon. unb ba6 alte Sacra⸗ mentat vonStfeinau melben: Sabbatorum die mane reddunt in- fantes symbolum. .Prius catechizas eos, imposita super capita eorum. manu, his verbis: Nec te latet etc. Der Tauforbo IV. enthält nadj den Grorciómen eine Perifope ans bem Evangelium des h. Matthäus. In illo tempore oblati sunt Jesu parvuli etc., bann bie Mbbetung bes Glaubensbefenntniffes unb bes Bater unfer unter Sufíee gung ber Hände, endlich: Neo te latet; aber bic Ginführung ἐπ bie icd e wird ετῇ nach bet apertio aurium unmittelbar vor der Waffermweihe angeorbnet.

30 Ordo haptisterüi

honorem deo vivo ei vero. da honorem jesu christo filio ejus et spiritui sancto paraclyto. in cujus nomine aique virtute precipio tibi quicunque es inmunde spi- ritus. ut exeas et recedas ab hoc famulo (ab hac famula) dei quem (quam) hodie dominus noster jesus christus ad suam sanctam graciam el benediccionem fontemque baptismatis vocare dignatus est, ut fiat ejus templum per aquam regeneracionis in remissionem pec- atorum omnium in nomine domini nostri jesu christi. Qui venturus est judicare. I. IIv. IIo. III. IV.

Deinde tangat aurem dextram de sputo IV. Effeta quod est adaperire. I. Ilv. IIo. III. IV.

Ad nares IV. In odorem suavitatis. I. Iv. Io. III. IV.

Ad aurem sinistram. IV. Tu autem effugere dyabole appropinquat enim judicium dei 1. Ilv. IIo. II. IV. Deinde dicat abrenunciant,

Abrenuncias sathane? Abrenuncio. Et omnibus operibus ejus? Abrenuncio.) L Ilv. Ilo. III. Et omnibus pompis ejus? Abrenuncio.

Deinde tangat ei pectus de oleo sancto et fa- ciat crucem cum pollice dicens. I. Ilv. IIo. IV.

Fuge inmunde spirilus da honorem deo vivo et vero.

Inter scapulas. Exi inmunde spiritus. da locum spiritui sancto.

der Kirche von Brixen. 3 In pectore. Et ego te lineo oleo salutis. IM. IV.

Inter scapulas. In christo jesu domino nostro. HL. IV.!).

Benediccio fontis. Dominus vobiscum. Et cum spiritu tuo. -

Oratio.

Ümnipotens sempiterne deus. adestó magne pielatis tue misteriis. adesto sacramentis οἱ ad creandos novos po- pulos quos tibi fons baptismatis parturit. spiritum ad- opcionis emitte. ut quod nostre humilitatis gerendum est. ministerio tuo virtutis impleatur effectu. Per. I. Ilv. Ilo. III. IV.

Dominus vobiscum. Et cum.

Sursum corda. Habemus ad.

Gratias agamus. Dignum et.justum est'equum et salutare

Nos tibi semper .et ubique graciss agere domine sancte pater omnipotens. eterne deüs. Qui invisibili potencia sacramentorum tuorum operaris effectum et licet nos

1) Die Eobices I, Tlv. u. Ho. Haben bie Rubrik: Inde vero tan- get ei nares et aures. de sputo ei dicat ed aurem: Epheta quod est adaperire in odorem suavitatis. Tu autem effugare etc. Eben fo werben in allen Dreien bie Abſchwörungen und bie Gal» bung ber ruf unb bes Nadens vorgeſchrieben, aber fein Ges bet mit biefer verbunden. Eine fpätere Hand Hat in Mo. das Gebet jut Salbung beigefügt und darauf die Abbetung des Glau— bensbekenntniffes angemerkt, welche Iegtere aud) in I. u. ΠῚ. an diefe Stelle verfept ift. IV. Hat erft nach ber Waſſerweihe unmittele bar vor bet Taufe die Galbung mit bem betreffenden Gebet.

32 Ordo baptisterii

iantis misteriis exequendis simus indigni. tu tamen gracie tue dona non deserens. eciam ad nostras preces aures tue pietatis inclinas. Deus cujus spiritus super aquas inter ipsa mundi primordia ferebatur ut virtu- iem sanctificacionis aquarum natura conciperet. Deus qui nocentis mundi (crimina) per aquas abluens. regeneracionis species (m) in ipsa diluvii effusione signasti. ut unius ejusdemque elementi misterio. et finis esset viciis. et origo virtutibus. Respice domine in faciem ecclesie tue. et multiplica in ea regenera- = ciones tuas. Qui gracie tue affluentis. impetu lelificas civitatem tuam. fontemque baptismatis aperis toto orbe terrarum gentibus innovandis. ul tue majestatis imperig summat unigeniti tui graciam de spiritu sancto. Hic aquam manu tangat. Qui hanc aquam regenerandis hominibus preparatam. archana sui luminis admixcione fecundet. ut sanctificacione concepta ab inmaculato di- luvii 1) fontis utero in novam creaturam regenerata progenies celestis emergat. Et quos aut sexus in cor- pore. aut etas discernit in tempore. omnes in unam pariat graciam mater infanciam. I. Hv. Ilo. III. IV. Procul ergo hinc jubente (te) domine. omnis spiritus in- mundus abscedat. procul tota nequicia diabolice frau- dis absistat, nichil hic loci habeat contrarie virtutis ad- mixcio. non insidiando circumvolet. non latendo subripiat. non inficiendo corrumpat. Sit hec (i) sancta (iterum aquam manu tangat) el innocens crealura. libera ab omni inpugnatoris incursu. εἰ tocius nequicie purgata discessu. Sit fons (+) vivus. aqua (1) regenerans.

1) Sollte wohl heißen: divini fonts,

der Kirche von Briren. 83

uuda (T) purificans ut omnes hoc lavaoro salulifero diluendi operandi (te) in eis spiritu sancto. perfecte purgacionis indulgenciam consequanter. Unde et be- nedico te creatura aque per deum vivum. per deum verum. per deum sanctum. per deum qui te in prin- cipio verbo separavit ab arida. (oujus spiritus super te ferebatur. qui te de paradyso manare (Hic dividat aquam 1) ') et in quatuor flumiriibus totam terram rigare precepit. qui te in deserto amaram suavitate indita fecit esse potabilem. et siclenti populo mel de petra produxit. Benedico (1) te per jesum christum filium ejus unicum dominum nostrum. qui te in chana galilee signo ad- mirabili sua potencia convertit in vinum. qui pedibus suis super te ambulavit. et a johanne in jordane bap- tizatus est, qui te una cum sanguine suo de lalere pro- duxit, et discipulis suis jussit, ut credentes baptizarentur in te dicens. Ite docete omnes gentes. baptizantes eos in nomine patris et filii et spiritus sancti (Hic muta vocem quasi leccionem legens). Haec nobis precepta servanlibus tu deus omnipotens clemens adesto. tu benignus aspira. tu has simplices aquas: tuo ore benedi- cito. ut preter naturalem emundacionem quam lavandis possint adhibere corporibus sint eciam purificandis men- libus efficaces. Per. (Hic mittantur cerei in fontem). Descendat in hanc plenitudinem fontis virtus spiritus sancti. (Et sufflet in fontem tribus vicibus 1). Totam- que hujus aque substantiam regenerandi fecundet effectu.

1) Der eingeklammerte Text fehlt in L. m. EIL unb der Gober IV. lest: separavit ab arida, qui fa de paradiso. manare et in quatuor luminibus etc.

Tbeol. Duartalfrift. 1959. I. Heft. 3

84 Ordo baptisterii

Hic omnium pecoatoram macule deleantur. Hic natura ad ymaginem tuam condita et ad honorem suí refor- mata princip cunctis vetustatis squaloribus emunde- tur. ut omnís bome hoo sacramentum regeneracionis in gressus in vere innocencie infencíam renasostur. Per dominum. I. liv. Ho. II. IV. !).

Tunc baptizat infantem, primum voóato nomine.

Quis vocaris? Hv. Ilo.

Abrenuncias sathanae. Abrenuncio.

Et omnibus operibus ejus? Abrenuncio.

Ei omnibus pompis ejus? (Abrenunéio).

Credis in deum patrem omnipotentem creétorem celi et terre? Credo. I. Ilv. Ilo, IV. Credis et in jesum christum filium ejus unicum dommum nostrum natum et passum ? Credo I. Ilv. llo. IV. Credis et in spiritum sanotum. sanctam ecclesiam eatholi- cam. (sanctorum oomunionem.) remissionem peocato- „ram, camis resurreccionem (et vitam eternam) Amen. Credo. I. Ilv. Ho. IV. ἢ.

Quis vocaris? ut supra. ᾿

Iterum interroget infantem, Vis baptizari? Volo. IV.

1) Das alte Sacramentar vont Beina u hat nichts weiter mehr als bie Rubrik; In ordine suo inde benedicto fonte baptisas unumquemque, worin jedoch alles in ben andern codices noch Bolgende enthalten iſt. In IV. ift am Schluß ber Wafferweige die Mifgung mit bem Ehrisma (infusio chrismatis) vorgefchrieben. Diefe findet fid auch im ordo Roman. L bei Muratoril. c. IL 999, obwohl weber das Gelafianum nod bad Öregorianum etwas bayon melden.

2) Die eingeflammerten Stellen fehlen in L IIv. u. Io.

der Kirche von Briren. 35 Tribus vicibus dicat. Tunc baptizat infantem. Ego baptizo te in nomine patris et filii et spiritus sancti.

Ilv. Ho. IV. - Hic linit infantem in frontem cum chrismate. L Ilv. Ilo. IV. 1).

Oratio.

Deus omnipotens. pater domini nostri jesu christi qui te regeneravit ex aqua et spirilu sancto. quique dedit libi remissionem omnium peccatorum, ipse te liniet chrismate salutis in vitam eternam. 1. Ilv. IIo. III IV. 5).

Hic imponat et ei mitram dicens IV. Accipe vestem candidam sanctam. quam inmaculatam per- feras ante tribunal christi. ut habeas v vitam eternam, Amen. Pax tecum. IV. ?

©. Sintfaufet, Regens der“ * " Domſchule wm D. Caſſian in Brixen.

1) Die Taufformel ift als befaunt in einigen ber. ergligenen Gor Bis nit angegeben, die Calbung mit ten Gira sic In allen won

ſchrieben.

2) 1, Hi. u. IV. Haben: hrimate εοϊαιί in Christo Jam D... in vitam aeternam,

3) Mit der Variante: sanctam et immaculatam , quam praeferas ante tribunal Christi in nomine s. Trinitatis. Amen. Darauf folgt in Vy, Hio. x. TV. Sie ehemals gebräuchliche Darreichung ber * tonii en bie Getauften.

2. gur Apologie und Geſchichte des Gebetes.

Das Innere des Einzelnen, wie ganzer Voͤlker hat

von jeher das Gebet gegen die Anfechtungen Zweifelnder vertheidigt. Der Menſch ift abhängig nicht blos von zweiten lire ſachen, ſondern aud) von, Gott, ber erſten und legten Urſache. Dies ward, wenn nicht Har unb richtig erfannt, bod) gefühlt. Was ig natürlicher, als daß diefe Ab» hängigfeit, das Tiefgefühlte in Worte ausbriht? Und was ift bie Aeußerung biefer Abhängigfeit als Gebet?

SBebürfnif und Mangelhaftigkeit Iaften auf allen Bes firebungen. Alles ift Mahnung an unfere Unvollfommen- heit. Und doch if ber menſchlichen Bruft bie Sehnſucht mitgegeben nad) leiblicher wie geiftiger Volllommenheit. Diefer Drang ift die Quelle aller Mühen, aller Hoffnuns gen, aller Schmerzen und damit ber Lehrer des Gebetes. Denn wer foll ben Mangel beden, das SBebürfnif bes friedigen, das Unvollfommene vollfommen maden? Das Gebet ift, um mit Ehryfoftomus zu fprechen, das Werkzeug der Werkzeuge des geiftigen Lebens, bie Hand des Geiftes.

Aber eben biefer Drang nad Bollfommenheit mahnte daran, daß im Menfchen etwas über das unvollfommene Irdiſche Hinausreichendes [ebt, erinnerte an die Verwandt⸗

Zur Apologte und Geſchichte des Gebete. 37

ſchaft mit bem Höchften, bie Gottaͤhnlichleit. Und wie das Beduͤrfniß, fo wird aud) biefe Berwanbifhaft, al$ Zug der Liebe, von: {εἶδ zum Gebete.

So if ber Menſch zu feinem Schöpfer, feinem Gr» gänzer, feinem Bater in Bezug gefebt. Sein Gefühl, fein Inneres wird zum Worte, zum Gebet won {εἶδ und bie Golgen, welche er davon fieht, bie zum Theil nod) unten befprochen werben, fónnen ihn nur beflärfen. Der im Gebete geftillte Drang erfuͤllt mit Beruhigung, Frieden und Erhebung, mit Froͤhlichleit und Srof. Gleichfalls fubjectiper Gewinn ift eó, baf. das unabweishare Ber- haͤltniß zur Gottheit mit jebem neuen. Gebete flarer unb inniger für den Beter felbft wird. Aber das Beifpiel ber Anketung, beó Vertrauens, der Demuth, der Liebe 1c., weldes ber Betende Andern giebt, ift aud) von objectibem Erfolge, fördert aud) die Klarheit und Smnigfeit Anderer und erhält-die Weberlieferung der Gotteserfenntniß, Got⸗ tesfurcht ıc. Das Gebet it tägliches Zeugniß der Religion.

Eine lange Reihe von Völkern unb Denfern hat feit Anfang alles bie&. gefühlt. Stäublin (Geſchichte ber Vor⸗ ſtellungen unb Lehren von bem Gebete, Göttingen 1824. 8) bat viele Anſichten aus bem Beibnijfen unb chriſtlichen Alterthume, wie aus ber fpäteren Zeit zufammengeftellt. Sofrates betete, nad) Zenophon, blos um das Gute. Die Gottheit, meinte der Weife, müßte fon, was gut fei; wer um Gold, Silber, Macht bete, bete um Unſicheres, Ungewiffes. Platon bemerft von den Spartanern, fie hätten bie Götter blos angefleht, bie guten Handlungen iu fegnen und zu belohnen. Er erzählt, ein alter Dichter babe das Gebet gelehrt: „Zeus, (dente uns das Befte, τοῖς mögen barum bitten ober nicht! Das Meble aber

38 . . Bur. Apologie

laß ferne fein, wenn wir aud) barum bitten!® Nur Weife, glaubte diefer, koͤnnten beftimmt beten, weil fte ‚allein eins fähen, was wahrhaft nüglid) fei. Derfelbe Philofoph laßt feinen Lehrer Sofrates beten um Schönheit im Innern und um Befreundung alles Aeußern mit.biefem Innern. Herodot erzählt von ben Perfern, baf Feiner für fld) allein betete, fondern jeder zugleich für Alle. Zenophon laͤßt in ber Eyropädie den Perferkönig Eambyfes fagen: „Wir müflen erſt felbft Hand anlegen und bann Gott um gute Gaben anflehen.” Dies find Ausfprühe aus ber Blüthezeit der griechiſchen Philofophie (407 bi8 340 vor Chriftus). 3n fpäterer Zeit finden wir bie Stoiker und Reuplatonifer. Arrian, der Gefhhichtfähreiber, führt als Gebet der Stoifer folgende Worte an: „Verfahre mit mir, o Gett, nath deinem Wohlgefalen! Ich flimme bir bei, ἰῷ bin bein!“ Kaifer Antoninus bemerkte, man folle nicht um Abwendung des Verluſtes beten, fondern darum, daß man feinen Berluft fürchte. Seneca lehrte, man folle nicht um Dinge beten, um bie zu beten man fid) vor Menſchen fijeue. Apollonius von Tyana, Jever folle um dasjenige beten, was {hm gebübte.

Ein breiter Strom von Lehren und Anfichten biefer Art zieht fi) fo durch das heidniſche Alterthum bis zu bem Punkte, wo der Zorn über den Verfall des Beſſern fid) in bie Satyre rettet (Juvenalis, Sat. 10. 346. Persius, Satyr. 2. 5). Allen liegt bie Ueberzeugung ber Naturs gemäßheit und Siotfwenbigfeit des Gebetes zu Grunde. Und auf der andern Geite belehren uns außerordentlich viele Bibelftellen von ber Gebetsdurchdrungenheit bes iſrae⸗ litiſchen Volles. .

Aber jener Meberzeugung gegenüber zeigen fid aud)

und Geſchichte des Gebete, 39

Thon bei Marimus Tyrius, weder unter ben beiden Antoninen und Commodus, um 200 nad) Chriſtus, lebte, die Einwürfe gegen das Gebet, welche fid) feifbem bei Chubb, Kant und Andern öfter wiederholt haben. Soll Gott. feine Beihlüfle, feinen Willen ändern, wenn ihn der Sterbliche barum bittet? Wie kann er fi ändern, da jede Veränderung einen llebergang vom Guten zum Böfen, ober umgekehrt einſchließt, während Gott ſteta beim Guten: fiehen bleibt, ob der Menfch betet, oder nicht betet? Und was foll das Gebet bei Gott, dem Gerechten, bem Wohlthaͤtigen erreichen? Was der Menſch verdient, muß ihm Gott, vermöge feiner Gerechtigkeit ungebeten geben; was jener night verdient, Tann ber Gerechte nicht geben. Sol Gott das Wohl des Ganzen auf Koſten des Einzela nen fehmälern? Zu was braucht Gott unfte Anerkennung in Bortgebeten? Zu was follen wir. bem Allwiſſenden vorbeten, ber umfre Bepuͤrfuiſſe fennt? Zu. was follen wir ibn gfeichfam mahnen, als ob ihm Aufmerffamteit und Willen fehlten? Soll Gott jeden. Yugenblid ben Zufommenhang ber Dinge auf unfer. Gebet burd) ein Wunder unterbreihen? Warum erhört er das Gebet fo oft nicht 1c. ?

Diefe und ähnliche Fragen und Zweifel oben ſeit⸗ bem die Denkenden beſchaͤftigt und beunruhigt. Die Per riode des Gefuͤhles iſt geſchloſſen und die Religionslehrer wie Philoſophen haben die Aufgabe, das Gefuͤhlte wiſſen⸗ ſchaftlich zu rechtfertigen und begreiflich zu machen. Es iR hiebei ein doppelter Standpunkt möglich: ber bes poſi⸗ tiven Glaubens und ber ber Vernunft. Der erftere ift mit Fleiß und Geſchick von mehreren Theologen, juͤdiſchen wie chriſtlichen, eingenommen worden. Dom lepteren

40 Zur Apologie

Standpunkte aus i aber biß jet bie Apologie des Gies betes mit weniger Grfolg verfud)t worden.

Wer dies legtere verfuchen will, muß offenbar auf bie ganze S3efdjaffenfeit des Lebens Gottes im Menfchen zurüdgehen unb bie legten Urſachen der Andacht auffudjen. Denn Gefühld » oder Gedanken» ober Wortandacht 'ift jedes Gebet. Dies heißt aber nad) dem Zuſammenwirken göttlicher und menſchlicher Urſachen, nad) ihrer Stärfe und Priorität, oder Nachfolge, und mad) ihrer Mobiftcation burd) bie Individuation forfhen, wie das Folgende ans deuten mag, wobei id) im Voraus auf Bonaventura (2. dist. 37. art. 1. quaest, 1), Bellarmin, das reichhaltige Buch von Raynaubus (Examen novae theologiae etc.), Alvarez (Disp. 22. lib. 3. de auxiliis) und auf bie befannte, vom thomiftifhen Standpunfte ausgehende Stelle des Cate- chismus romanus vermeife: Non solum autem Deus uni- versa quae sunt providentia sua tuetur, atque administrat, verum eliam quae moventur et agunt aliquid intima vir- tute ad motum alque aclionem ita impellit, ut, quamvis causgrum secundarum efficientiam nón impediat, prae- veniat tamen, cum ejus occullissima vis ad singula per- lingat etc.

Wenn wir bie Andacht näher erforfhen, fo fpringt ung vor Allem in bie Migen, baf hier blefe geheime, von den Angeführten fo fehr betonte, vorausgehende göttliche Kraft weit mehr ift, als bie menſchliche Seele felbft. Die Andacht fommt bem Menfchen, er wird andädhtig, fie ift feine willfürlide Selbftbeftimmung. Denn wozu fonft das Gebet um Andacht, ober um eine andere Art von Gebet, um bie Subrunft, um bie Befreiung von der Trodenheit, vom Gefühle des Verlaffenfeins? Die Taufhung, ale

und Geſchichte bed Gebetes. 4

ob ber Stenjd bei bem wahren Gebete der Gingebung baar und ledig, als ob er activ wäre, rührt aus zwei Urſachen her. Entweder hat man ben erften Anſtoß und göttlichen Einfluß vergefien, bie erfle verurfachende Wirs fung ift in ben Hintergrund getreten. Ober man nimmt die Begrenzung, welche aus ber Individuation des Mens ſchen entfebt, bie Modification, welche der göttliche all⸗ gemeine Einfluß burd) das Einzelmefen erleidet, welches gleihfam wie ein Gefäß nur Begrenztes aus bem göttlis den Ocean faffen kann, für Aetivität. Hiegegen fpricht die Berpflihtung zum Gebete nicht, denn dieſe geht auf Unterhaltung der Flämme, bezwedt Grfenntnif (In oratione cognosce, unde accipies. August.) Philipp. 2, 13; Roͤm. 8, 26; 2. Br. a. b. Kor. 3, 5; Joh. 15, 5.

Auf biefe Art if Gott Factor des Gebete& wir innen ihn mit altphilofophifhem Ausdrude ble orm ber betenden Seele nennen der Menſch dagegen ift bie materiale lirfadje. Borm nannte man nämlich dasjenige, wodurch etwas eben das if, was εὖ ift; Materie bad» jenige, ‘woraus etwas wird. Des Menfhen Thätigkeit verhäft fid) zur Thätigfeit Gottes beim Gebete, wie, um ariftotelifche Ausprüde zu brauchen, die Möglichkeit zur Wirklichkeit. Damit ift das Gebet als eigentliche Wirs tung Gottes hingefellt. Denn wenn es etwas Zufam- mengefeptes ift, wenn ihm zwei Urſachen zu Grunde liegen, fo liegt folgender metaphyfifcher Beweis vor. Wirfung der form ift, was von ber Form verurfaht wird; das Sufammengefegte wird aber von ber Form verurfacht in feiner Art, weil bie Form e& if, moburd) das Zufammens geſehte ift, was. εὖ ift; alfo ift das Zufammengefegte Wir⸗ fung ber orm.

42 Zur Apologie

Nimmt man hiezu nod; am, daß das Verhaͤltniß wiſchen Gott und dem Menfchen fein zufälliges if, ſon⸗ dern eine wefentlihe Harmonie, daß ber Menſch nad feiner ganzen Totalität ‚zum Tempel und Gefäß gebaut und gemeffen ift von Anbeginn, fo kann man nun das Gebet ein Innewerden ‚göttlicher Berborgenheit, ein Bes wußtwerben bes Goͤttlichunbewußten, ein finnliches Heraus⸗ treten göttlicher Unfinnlichkeit, ein Ausblühen des Keimes des BVerhältnifjes zwifchen Gott unb bem Menſchen, eine Sinbipibualifation des Goͤttlichununterſchiedenen, eine Wort⸗ werbung des Göttlichlautlofen nennen.: Das Gebet, auf ber niebrigfien und hoͤchſten Stufe Gefühlsverlehr, auf der mittleren. Zweigeſpraͤch, Hört auf, eine willlürliche Erklaͤ⸗ zung, eine abgerifiene Erfheinung zu fein. Es i ein neihwendiges Ausbluͤhen am goͤttlichmenſchlichen Organis- mus; fefigefugt in bie Ordnung, vorausgefehen unb vor» ausangelegt in der Seele, wie der Halm im Korn, wie bie Bluͤthe im. SBaume. Daher waͤchst das Gebet mit dem Alter.

In bem Gegen ig bereite auf Grobe, ober Stufen Hingewiefen. Die Urſache berfefbem liegt in ber Indivi⸗ duation und ber aller Vereinzelung anklebenden Unvoll⸗ Tommenfeit. Auf ber hoͤchſten Stufe, von welcher bie Rebe war, gelingt ein Meberwinden des Inbivipuellen; auf ber niebrigfien hat das Individuum nicht Kraft genug, das Böttlihe gleichſam einzurahmen. Gleichwie nämlich, um vom erſten Salle zuerſt zu ſprechen, alles leibliche Wachsthum aud) während des wachen Zuftandes nur felten ins Bewußtfein fommt umb bod) feinen geregelten und feften Gang geht, alfo über dem Bewußtſein ftebt, nicht blos ald bem Bewußtſein Vorausgehendes und vom Ges

und Geſchichte des Gebete. 43

danfen Unabhängiges, fonbern auch als burd) feine Weis- heit allen Gebanfen Ueberfteigendes fo geht auch alles innere Wahsthum, wobei Unvolllommenes gefät wird, Bollfommenes auferftebt,. feinen feRen Gang. Tief auf bem Grunde webt bie Gottheit an der Seele, alà Bors ausgehendes und durch Liebe und Herrlichkeit Alles Ueber⸗ fleigendes. Nur felten fommt bie volle Grfenntnif in Augenbliden göttlicher Begeifterung. Und dann- zeigt ft ein umgefehrtes Verhältnig. Wenn das Selbftbewußtfein beim Außerlihen Wachsthume in Reflerion, Gedanken bes fet, fo beflebt dort bie SBemuftwerbung nicht blos im Reflertiven und Denken an Gott, fondern in Seelenerfüts lung, ‚deren ſchwache Vorläufer Gedanken find. Die menfe Tie Seele vollendet ihren Kreislauf vom aͤußerlich, ot» ganiſch Unbewußten burd) das Reich der bewußten Intele ligeng zur göttlichen Bewußtloſigkeit der Ekſtaſe. So weit aber bie nicht ins Bewußtſein fommenbe SHeilfcaft- ber Statur über jeder bemuften Arzneianwendung fteht, fo weit fieht diefes Hervorbrechen des göttlichen Grundes im hoͤchſten Gebete über aller dewußten, fomit' individuellen Religiofität. Kein Auge hat e$ gefehen, fein Ohr hat es gehört unb in feines Menfchen Herz ift es gefommen.

An biefe Stufe grenzt aud) ein wortloſes Gebet, das höherer Art ift, als das der niedrigen und mittleren Stufe, wie aus den Worten Pauli erhellt: ber Geift felbft bes gehrt für uns mit unausfprehlihen Seufzern. Und diefe überaus tiefe unb ſchwierige Stelle kann zugleich als Prüfftein des. Gefagten. bienen. (6. erhebt fld) hier bie frage: wie, ober warum feufst der Geift (Gottes) im Menſchen zu Gott und welche Rolle bat. der Menſch das Pe? Nach bem Bisherigen’ it im Gebete, wie in ber

Ss

4 Zur Apologie

Religion (im Allgemeinen genommen) etwas Mögliches zu Wirklihem, etwas Unvollfommenes zu Bollflommenem zu erheben. Dabei ift nun eine boppelte göttliche Erſchei⸗ nung ſchlechterdings nothwendig. Denn indem Gott ben Menſchen ſchuf, fat er ihm nicht ohne feinen (Gottes) Gedanken (Gbenbilb, Mitgift) fdjaffen Fönnen. Diefer Gedanke aber bei den Alerandrinern al. Aoyog σπερ-

ματιχος gefaßt if im Verhaͤltniß zum Menfchen das ,

Bormgebenbe, im Berhältnig zum Ziele der Schöpfung (aller Individuen) Gebanfe, bet von der Möglichkeit zur Wirflicgkeit erhoben werben foll, ein Verlangendes unb Seufsendes, weldes den Menſchen (al Paffives, als Materie) ans Ziel gebracht wuͤnſcht, für ihn begehrt. Bei genauerer Unterſcheidung zeigt ſich alfo bei einem folden Gebete Gott der Schöpfer als erfte Urſache ober als be- wirfende (causa efficiens) und berfelbe als Endurſache (causa finalis), der Aoyoc- als causa formalis, der Menſch als eausa materialis.

Auf ber niebrigfen Stufe find das Gefühl und das SBerftánbni zu gering, um ber ſchwach durchſchimmernden göttlichen Anregung Worte zu leihen. Das Gefühl ift zu fau, ober zu ſchwankend, b. h. von weltlichen Dingen frem⸗ ber Art zu fehr beftimmt, um andaͤchtig zu verlangen; ber Geiſt, oder fBerftanb, zu ſchwach zur Erflärung. uf ber mittleren dagegen find Geiſt und Gefühl, ober wenigftens Eines ber Beiden, gehörig disponirt zum individuellen SBitt» ober Danfgebet, zum Gelöbnig ober Gegen, zur Anbetung oder Seldfterforfhung ac.

Nach biefer Auseinanderfegung läßt fj nun feit das Gebet gegen bie oben berührten Zweifel vertheidigen. Senn. die Stage aufgeworfen wird, zu was man bem All⸗

unb Geſchichte des Gebetes. 45

wiſſenden etwas fage, wenn fomit bie Worte angefediten werben, das Wortgebet, fo ift zu entgegnen, daß Gott ſelbſt Beweger und Former des wahren Gebetes ift, daß auf ber mittleren, b. b. faft allen Menſchen auf Erden gemeinfamen Stufe, das Ausbluͤhen des Gefühlten unb Göttlichsautlofen in Worte feine Sache der Willfür, ſon⸗ dern Stadium eines goͤttlich⸗menſchlichen Proceſſes ift, ber biefelbe organische Nothwendigleit hat, wie das leibliche Bahsthum.

Bird ferner das Wortgebet im Gegenfape zum Lebens⸗ gebete bintangejebt, oder gar verworfen was ſchon bei den älteften griechifchen Philofophen, in ber chriſtlichen Zeit aber. bei ben Pelagianern, Wicleff, bann bei Kant und Anderen der Fall geweſen (Bellarmin, de bonis operibus I. 3), weil gute Thaten das [hönfte und ebelfte Gebet, das Gebet ohne Unterlaß feien fo iſt daran zu erinnern, ba bie Gefinnung, welche in das Wortgebet ausblüht, aud) ber nothwendige Vorläufer aller guten. Werke ift.

Verſucht man drittens die Nuplofigkeit und Zwed⸗ widrigkeit be& Gebetes aus den Eigenfchaften Gottes und feinem Rathſchluſſe herzuleiten, aus dem Zufammenhange der Dinge, der Defonomie und Ueberweltlichkeit Gottes fo verräth fdon das Widerfpreihende blefer Einwürfe bie Schwäche berfelben. Hier nimmt mar an, Gott unters bredje den Zufammenhang ber Dinge wegen des Gebetes nicht, wirfe feine Wunder ıc. befchränkt feine Macht, indem man ihn und feine Werke nad) den Begriffen menfchlicher Ordnung, Geredtigfeit, Beftimmung mift, verweltlicht ihr fomit dort will man alles Weltliche, bie befonbere, ftets flüffige Borfehung 1c. befeitigen, unb ihn als rein Uebers weltlihes, Unbewegliches hinſtellen. Sodann fehlt εὖ

46 Zur Apologie

gegen biefe Einwürfe weber an poſitiv⸗theologiſchen Bes weifen (Epbef. 1, 11 2c), nod) an philoſophiſchen, bag ber Rathſchluß ein allgemeiner fein mug, fo daß Gott Alles was geſchieht mit allen Umſtaͤnden, alo aud) das Gebet mit der Erhörung, vorherbeftimmt hat infofern nämlich biefe gerecht find und gut. Justa voluntas hominis est ea tantum, quae vult id, quod deus vult eam velle; in- justa vero e contrerjo est ea, quae vult id, quod deus non vult eam velle (Anselmus, de libero arbitrio, cap. 8). Analog wird bie Unveraͤnderlichkeit Gottes darin beftefen, daß er fid) unveränderlid ändern wird, nad) ber Unermeßs lichkeit feiner möglichen Pläne, fowie gerechter Grund da ift in feiner Lebe. Der zum Gebete Treibende, baffelbe Einformende,. in ihm Seuſzende will das Individuell⸗Un⸗ vollfommene zum Teuchtenden Ziele fuͤhren, den göttlichen Gedanken zur Wirklichkeit, das Mögliche zum Wirklichen bringen... Da aber, wo er. felbft ift, und gmar mit unmittel⸗ bate Mitwirfung (Alvarez, lib. 3. de anxillis, disp. 22.), lann Ihm feine verneinende Stellung gegeben werben.

: Der von ben Fällen ber Nichterhdrung abgeleitete Beweis hat endlich nur Kraft, wenn der auf benfelben fi Berufende in den fpegiellen Faͤllen nachweist, daß das Gebet wirklich von Gott gegeben und eingeformt, nicht von Individuell⸗Vergaͤnglichem und: Werthlofem, oder. gar zu Mebertoinbenbem und zu Befeitigendem verurſacht und abgenöthigt. war. Jeder fan. fid) babel an bie forgfältige Aufzählung der Bedingungen ber Gebetserhoͤrung Halten, welche von verſchiedenen Theologen, gegeben worben, 4. B. Bellarmin (De bonis operibus lib. 1. cap. 9), ober an die Aufjählung ber Urſachen ber Nichterhörung, welche, wie wis fefen werden, unter Andern Saadja verſuchte:

und Geſchichte des Gebetes. a

Der erfiere zählt, bem bí. Thomas von Aquin folgend (2. 2. quaest. 83. art. 15; 4. semtent. diet. 15. quaest. 4. art. ul); deren adt auf: Glauben, Hoffnung und Bers trauen, Liebe ober Geredjtigleit, Demuth, Andacht, Bes harrlichkeit, endlich ba& Beten für bie eigene Perfon und um Rothwenbiges, ober zum Heile Dienliches. Die Er- börung bifbet bei ihm Eime der δτώφις des Gebetes, deren ec zehn .aufsählt (1. c. cap. 3): bie Rechtfertigung, das SBerbienft, in zweiter. Reihe die Erleuchtung, bie Rährung der Hoffnung und des Vertrauens, die Entflammung mit Liebe und. Befähigung zur Aufnahme größerer Gaben, bie Mehrung ber Demuth unb Gottesfurcht, bie Erzeugung der Weltverachtung, ben Anfang der Verkoſtung ber Süßig- keit des Herrn, die Verleihung der Würde, melde aus benllmgange mit Gott entfpringt. Dieſe, ſowie bie Mehr⸗ zahl ber oben angeführten, find ;fubiectiver Met; objectiver Art dagegen ift der Erfolg des Gebetes als. Finformung im obigen Sinne. Und wenn bei den fubjectiven Früchten, à. B. dem Trofte, der Beruhigung, ein Unterfchied gemacht werden fann zwiſchen Hörung umb Grbóvung, ſo ift das Gebet als Ginformung ohne Exhörung undenkbar. Der Segen der Hoͤrung im Trofte, in der Erleichterung ac. gleicht dem jeder Mittheilung von Leid unb Freud an Dritte. Die fogenannte. pſychologiſche Wirkung des Ge⸗ betes, der Genuß ber Selbſterhebung 1c., ἐβ aur Ateidens der Erhörung unb fann auch ohne Erhoͤrung bleiben... '

Sid) habe oben bemerkt, daß bie Darfellung und Apos Ingie beó Gebetes mit größerem Erfolge bisher von poſitiv theologifher Seite, als von philoſophiſcher Seite unters nommen worden ig. Die Gefihichte liefert den Beweis. Ich will Hier zum Schluſſe ſolche Belege wählen, melde

48 Zur Apologie

von Stäudlin entweder unbeachtet blieben, ober unbeachtet bleiben mußten und welche in irgend einer Berichung das Weſen und bie Natur des Gebetes von einer beachtens⸗ werthen Seite faffen, oder durch Entſchiedenheit hervor⸗ ragen.

In der perſiſchen Literatur begegnet uns unter Andern Dſchelaleddin Rumi, der in Balch geboren wurde und zu Konia 1252 ſtarb (Tholuck, Blüthenſammlung aus ber morgenlaͤndiſchen Myſtik, Berl. 1825). Wie er ſich das Verhältnig zwiſchen Gott unb Menſch gedacht, zeigen folgende Verſe feines Mesnevi (Tholuck (5. 64. 66):

Sandeswell' iſt Sinn, Verſtand und der Gedank', Waſſerwell iſt Rauſch in Gott und Untergang. Lauten find wir, Schläger bu, der durch fie tönt; Biſt e8 bu nicht, ber aus unferm Gtöhnen ftöhnt? Lebensfull' Haft du in's tobte Nichts geftellt,

Haft das Nichts bir zur Geliebten auserwaͤhlt.

Bon diefem Standpunkte aus kommt er nun wieder⸗ holt auf das Gebet (a. a. D. ©. 160. 161. 189). Gott fagt:

Bil Mofe! ſchuldig find bie Lippen nicht,

Drauf ohn' Unterraß Gebet um Gnade Liegt.

Deine Gluth und Seufzer Gottes Boten ſind.

Deine Lieb’ ein Gürtel meiner Liebe-ift.

In dem „Herr fomml^ ſtets ein „.Hie Sohn!“ ſchlummernd it.

Er fagt (€. 189), daß das wahre Thränengebet von Gott felbft geſprochen werde.

In der jübifdjen fpäteren Literatur findet fid) bie über- lieferte ungemeine Hochhaltung des Gebeteó, wie eine Stelle aus bem babylonifhen Talmud zeigen wird. Zugleich hält bie theologifche Schule, bie altteſtamentliche Zucht von bem, was dem Pantheismus gleichficht, bie Bedeutendſten

und Geſchichte des Gebetes. 49"

wenigſtens, ab, regelt umb orbnet dasjenige, was über das Gebet gefagt wird. Die mittelalterliche jüdiſche Sites tatur ftebt, wenn wir von ber fabbala abfehen, bem modernen Rationalismus, kauſtiſcher Verſtandesſchaͤrfe weit näher, al8 dem Pantheismus und großer Gemüths- und Gefühlstiefe. Als Repräfentanten laſſen fid) Saadja und Maimonides vorführen.

Der erftere, geboren in Fajoum in Aegypten 892, 927 Lehrer ber Afademie zu Gora, wo er wahrſcheinlich 942 geftorben, hat übrigens mit bem Ießtern, ber befannt» lid ben 30. März 1135 zu Cordova geboren wurde und am 13. Dezember 1204 ftarb, das gemein, daß beide, τοῦ bem Feſthalten am der Bibel und tto ber Gods e$tmg und fBertfeibigung jüdifher Ueberlieferung, ber Verfolgung und Anklage der Heteroborie nicht haben ent» gehen können. .

Sn Saadjas Emunot We⸗Deot (Abſchn. 5. Nr. 21) wird ald Mittel, ben Gebanfen an Wiederholung ber Sünde au befeitigen, bie Erwägung der Zerbrechlichkeit, ber. Nier drigfeit, be8 Todes, der Rechenſchaft, Strafe 1t. im Gebete empfohlen. „Wir finden deßhalb, fagt ber. Religions- philoſoph, daß unfere uralten, weifen Ahnen, gewiß nur iu biefem Zwede die Sitte eingeführt, am Sühnetage Süufgébete, wie bie ,,bu verfichft bie Gedanken meines Hergens" ^, ober „„Fuͤhre uns nidt in Strafgerichte““, oder „„Herr alles Gefdjaffenen^" u. dgl. zu beten".

Im weiteren Berlaufe fommt er bann (Str. 23) auf die Dinge, welche bie Gebeterhörung verhindern.

Dergleihen Hemmniffe, fagt et, giebt e8 ſieben. Erſtens wenn ber Menſch erf dann zum Gebete fif wendet, wenn das Gottesurtheil bereits über Ihn entſchie⸗

Weol. Duartalfeprift. 4853. I. Heft. 4

4s But. Apologte

son Stäublin entweder unbeachtet blieben, ober unbeachtet bleiben mußten und welche in irgend einer Beriehung das Weſen und bie Natur des Gebetes von einer beachtens⸗ werthen Seite faffen, ober durch Entſchiedenheit hervor⸗ Tagen. :

In ber perfifdjen Literatur begegnet-uns unter 9fribern. Dſchelaleddin Rumi, der in Balch geboren wurde und zu Konia 1252 farb (Tholuck, Blüthenfammlung aus ber morgenländifhen Myftif, Berl. 1825). Wie er fid) das Verhaͤltniß zwiſchen Gott und Menſch gedacht, zeigen folgende Berfe feines Mesnevi (Solud G. 64. 66): ΄

Sandeswell' iſt Sinn, Verſtand und der Gedank', Waſſerwell iſt Rauſch in Gott und Untergang. Lauten find wir, Schläger bu, ber durch fle tönt; Biſt e8 bu nicht, der aus unferm Stöhnen ftöhnt? Lebensfull' Haft du in's tobte Nichts geftelít,

Haft das Nicht bir zur Geliebten auserwählt.

Bon diefem Standpunkte aus kommt er nun wieder: holt auf das Gebet (a. a. Ὁ. €. 160. 161. 189). Gott fagt:

Wiſſ' 0 SXofe! ſchuldig find bie Lippen nicht,

Drauf ohn' Untersaß Gebet um Gnabe liegt.

Deine Gluth und Geufjr Gottes Boten find.

Deine Lieb’ ein Gürtel meiner Liebe-ift.

In dem „Herr kommi“ ſtets ein , ie Sohn!“ ſchlummernd if.

Er fagt (€. 189), daß das wahre Thränengebet von Gott felbft geſprochen werde.

In der jübifchen fpäteren Literatur findet fid) bie über- lieferte ungemeine Hochhaltung des Gebeteó, wie eine Stelle aus bem babylonifhen Talmud zeigen wird. Zugleih hält bie theologiſche Schule, bie altteſtamentliche Zucht. von bem, was bem Pantheismus gleichficht, bie Bedeutendſten

und Geſchichte des Gebetes. 49

wenigſtens, ab, regelt unb orbnet dasjenige, was über das Gebet gefagt wird. Die mittelalterliche jübifdje gites tatur flet, wenn wir von ber Kabbala abfehen, bem modernen Rationalismus, kauſtiſcher Verftandesfchärfe weit näher, afó dem Pantheismus und großer Gemüths- und Gefühlötiefe. Als Repräfentanten laſſen fid) Saadja und Raimonides vorführen.

Der erftere, geboren in Fajoum in Aegypten 892, 927 Lehrer der Afademie zu Gora, wo er wahrſcheinlich 942 geftorben, hat übrigens mit bem Ieptern, ber befannts lij den 30. März 1135 zu Cordova geboren wurde und am 13. Dezember 1204 ftarb, das gemein, ba beide, top dem Feſthalten an der Bibel unb trog. der od: tung unb Bertheivigung jüdifcher Weberlieferung,. ber Verfolgung und Anklage der Heterodoxie nicht haben ent» tm können. .

In Saadjas Emunot WerDeot (Abſchn. 5. Ar. 21) wird als Mittel, ben Gebanfen an Wiederholung ber Sünde du befeitigen, bie Erwägung der Zerbrechlichkeit, der. Nie— drigfeit, be& Todes, der Rechenſchaft, Strafe ar. im Gebete empfohlen. „Wir finden deßhalb, fagt der. Religions- Philofoph, daß unfere uralten, weiſen Ahnen, gewiß nur im diefem Zwede die Sitte eingeführt, am Sühnetage Bußgebete, wie bie ,,bu verfiehft bie Gedanken meines Hergeng“ ^, oder „„Fuͤhre uns nidt in Gtrafgerichte" ", oder „Herr alles Gefdjaffenen^" u, dgl. zu. beten“.

Im weiteren Verlaufe kommt er bann (tr. 23) auf die Dinge, welche die Gebetserhörung verhindern.

Dergleihen Hemmniffe, fagt et, giebt es fieben. Erfens wenn der Menſch erf dann zum Gebete fij wendet, wenn das Gottesurtheil bereits über ihn entſchie⸗

Seil, Duartaligeift. 4853. I. He. 4

48 Zur Mpologte

von Stäublin entweder unbeachtet blieben, ober unbeachtet bieiben mußten und welde in irgenb einer Beziehung das Weſen und die Natur des Gebetes von einer beachtens⸗ werthen Seite faffen, ober durch Entſchiedenheit hervor⸗ Tagen.

In ber. perfifchen Literatur begegnet-und unter Arivern Dſchelaleddin Rumi, ber in Balch geboren wurde und zu Sonia 1252 farb (Tholud, Blüthenfammlung aus bet morgenländifhen Myſtik, Berl. 1825). Wie er fi das Verhaͤltniß zwifchen Gott und Menſch gedacht, zeigen folgende Verſe feines Mesnevi (Tholuck ©. 64. 66):

Sandeswel iſt Sinn, Verſtand und der Gedank', Waſſerwell if Rauſch in Gott und Untergang. Lauten find wir, Schläger bu, ber durch fle tönt; Biſt εὖ bu nicht, der aus unferm Stöhnen ftöhnt? Lebensfull' Haft du in's tobte Nichts geftelít,

Haft das Nichts bir zur Geliebten auserwählt.

Bon biefem Stanbpunfte aus fonimt er nun wieder- holt auf das Gebet (a. a. Ὁ. ©. 160. 161. 189). Gott fagt:

- Sj o SXofe! ſchuldig find bie Lippen nicht,

Drauf ohn' Unterraß Gebet um Gnabe Περί,

Deine Gluth unb Seufzer Gotted Boten find.

Deine Lieb’ ein Gürtel meiner Liebe-ift,

Sn dem „Herr kommt“ ſtets ein „Hie Sohn!“ ſchlummernd ift.

Er fagt (Θ. 189), daß das wahre Thränengebet von Gott felbft geſprochen werbe.

Im ber jünifchen fpäteren Literatur findet fid) bie über- lieferte ungemeine Hochhaltung des Gebete, wie eine Stelle aus bem babylonifhen Salmub zeigen wird. Zugleich hält bie theologifhe Schule, die altteftamentliche Zucht. von dem, was dem Pantheismus gleichfieht, bie Bedeutendſten

und Geſchichte des Gebetes. 9

wenigſtens, ab, vegelt und orbnet dasjenige, was über das Gebet gefagt wird. Die mittelalterliche fübifdye Liter tatur flet, wenn wir von ber Kabbala abfehen, bem modernen Rationalismus, kauſtiſcher SBerftanbeefdárfe welt näher, ald dem Bantheismus und großer Gemuͤths⸗ unb Gefühlstiefe. Als Repräfentanten laffen ſich Gaabja unb Raimonives vorführen.

Der erfiere,' geboren in Fajoum in Aegypten 892, 927 Lehrer ber Afademie zu Gora, wo er wahrſcheinlich 942 geftorben, hat übrigens mit bem lehtern, der befannts lif den 30. März 1135 zu Cordova geboren wurde unb am 13. Dezember 1204 ftarb, das gemein, daß beide, top dem Feſthalten an ber Bibel unb tro. ber Hochs tung und SBertfeibigung jüdiſcher Weberlieferung,. ber Berfolgung und Anklage ber Heterodoxie nicht haben ent» gehen können. B

In Saadjas Gmunot WerDeot (Abſchn. 5. Ar. 21) wird als Mittel, ben Gevanfen an Wiederholung der Sünde iM befeitigen, die Erwägung ber Zerbrechlichkeit, ber. Nier brigfeit, be& Todes, der Rechenſchaft, Strafe ar. im Gebete empfohlen. „Wir finden beffalb; fagt ber. Religions- Yhilofoph, bag unfere uralten, weifen Ahnen, gewiß nur zu diefem Zwede die Sitte eingeführt, am. Sühnetage Yußgebete, wie bie ,,bu verfiehft die Gebanfen meines Hergens" ^, ober „„Fuͤhre uns nicht in Strafgerichte““, oder „herr alles Gefdjaffenen^" u. dgl. zu beten“.

Im weiteren Verlaufe fommt er dann (tr. 23) auf die Dinge, welche die Gebetserhörung verhindern.

Dergleihen Hemmniffe, fagt et, giebt es ſieben. Erſtens wenn der Menſch erf dann zum Gebete fij wendet, wenn das Gottesurtheil bereits über ihn entfchier

Sie, Ouartalſchriſt. 4953. 1. Het. 4

50 Bur Apologle

ben, wie an Mofes erhellt (Deut. 3, 23. 26). Zweitens wenn ber Menſch ohne Gedanken des Herzen betet (Bf. 78, 35—37). Drittens wenn Jemand betet, ohne auf das Geſetz zu achten (Spr. 28, 9). Vierten wenn Jemand auf ben Hilferuf der Armen nit hört (Spr. 21, 13). Fünftens wenn Jemand fid) verbotenes Vermögen erfaubt Micha 3, 3—4). Sechstens wenn Jemand ohne Geiſtes⸗ zeinigung betet Cyef. 1, 15—16). Siebentens werben bie Gebete nicht erhört, wenn bie Vergehen des Büßenden zahlreich find und er nicht buffertig betet (Sad. 7, 13).

Hiemit kann man vergleihen, wie Maimonides, bet Zweitgroͤßte unter den juͤdiſchen Religionsphilofophen, in feinem More Nevochim bie Rothwenbigfeit ber Anrufung Gottes Ichrt (Pars II. cap. 36), das Gebet über bie Opfer ftellt (Pars II. cap. 32) und das beftändige unb file Gebet, die Gottesverehrung derjenigen ſchildert, welche bie Wahrheit erfaffen, alle ihre Gedanken auf Gott. richten und ihm allein, foweit es möglich ift, anhängen 1c. (Pars II. cap. 51).

Im Tractat SBeradjot des babylonifhen Talmud Cherausgeg. v. Pinner Berl. 1842. fol. (5, 32 b) lejen wir: „Es fagte R. Elafar: Groß ift das Gebet, mehr als gute Thaten. Denn Niemand war größer in guten Thaten ele Moſcheh, unfer Lehrer, und gleichwohl if er nicht anders erhört worden, als nur burd) das Gebet (5. Mof. 3, 5—27). Berner fagte R. Elafar: Groß ift das Gebet, mehr ale Opfer (ef. 1, 11. 15). Es ſagte 9t. Chanin im Namen 9t. Chaninas: Jeder, ber fi lange aufhält mit feinem Gebete, beffen Gebet fommt nicht Teer zurüd (5. Mof. 9, 265 10, 10). G6 fagte 9t. Ehama, Gon 9t Cfaninas: Wenn ein SRenff) fibt, ba er

und Geſchichte be& Gebete. , 51

gebetet hat und nicht erhört wurde, fo fol er zurüdfehren und beten (Pf. 27, 14). Bier Dinge erfordern Stärke und biefe find: die Schrift und gute Thaten, das Gebet und die Sitte des Landes. Einem Frommen, welcher auf bem Wege betete, begegnete ein SBornebmer unb ber grüfte ibn, ohne daß ihm ber Fromme dankte Da wartete der Vornehme, His biefer fein Gebet geenbigt und ſprach: „„Leichtfinniger, ftebt gefhrieben (5. Mof. 4, 9): hüte bid) und deine Seele! Warum haft: bu den ‚Gruß nit erwiedert? Wenn id) bit den Kopf abgefehlagen, | wer würbe fordern bein Blut von meiner Hand?““ Da fprach ber Fromme: „„warte, bis id) bif) verfófmt mit Sorten. Wenn bu geftmden vor einem Könige aus dleiſch und Blut und e8 wäre bein Freund gefommen unb hätte bid) gegrüßt, wuͤrdeſt bu ihm ermiebert haben ?“⸗ Der Bornehme ſprach: Nein. „„Und wenn du erwiebert hätteft, was wuͤrden fie dir gethan haben?““ „„Sie wür- ben meinen Kopf abgefdlagen Baben"", Da ſprach ber Fromme: „„Laͤßt fij nicht vom Kleinen auf das Große fliegen? Wenn bu vor einem Könige aus eid) und Blut, ber heute hier und morgen im Grabe ift, fo große Scheu Haft, wie follte ih nicht Scheu tragen vor dem König der Könige, dem Heiligen? - Gepriefen-fei er, wel⸗ her lebt und emig in alle Ewigkeit Bleibt} . Da war der Vornehme verföhnt und bet Fromme gieng Im Frieden nad Haufe."

- Der Betende darf nicht erwiedern, aud) wenn ein König ihn grüßt, barf nicht innehalten, auch wenn eine Schlange feine Ferfe ummwunden. So Iehrt der Talmud.

Sehen wir hier überall das unerfchütterliche Feſt⸗ halten an altteftamentlicher Gebetsfhägung und Gebetss 4

52 Bur. Apologle

gluth, fo laſſen fid ju biefen Lichtbildern des Orients, gleihfam als Schatten, Ausſprüche arabifdjer Religions- philofophen fügen. Ein Sfusfprud) des Kabol 9idbar, welcher 32 Heg. (652 nach Chriſtus) geftorben, lautete, daß ber wiffende Gläubige mehr Kraft wider den Satan habe, als Dunbetttaufenb Gläubige, die blos beteten (Hammer, Arabiſche Literaturgefh. IL. Bb. S. 161), Und Orwet Ion Sobeir, welcher eg. 99 (717 nad) Ehriftus) farb, Außerte: „Die Andacht bec Herzen beftebt nuc im Danke gegen Gott und weber in Furcht, nod) Bitte, Der Zorn bringt den Zornigen am nächften bem Zorne Gottes. Einige dienen Gott aus Furt; die find Knechte. Einige aus Vortheil mit Bitten; die find Kaufleute. Einige mit Dank; bie find bie Freien’ (Hammer a a. Ὁ. II. Bo. ©. 172).

Jahrhunderte find nad) Ion Sobeir verfloffen bis auf Kant und Hegel. Aber wenn ber Ießtere fagt, Denken {εἰ Beten, ober wenn Kant bie Bitte ablehnt, fo fehen wir, daß ber menſchliche Geiſt von feiner Zeit abhängig ift, weil ſtets biefelben, ober ähnliche Gedanken wiebere Tefren, ohne daß aud) nur entfernt ein äußerer Zufammen« hang nachgewiefen werben fann. Hier ift es bie Betos mung des Wiſſens, des Denkens, welche Kabol mit Hegel verbindet, dort der Hintergrund ber Unbeweglichfeit Gottes und ber völligen Grgebung, welde Kant mit Ihn Sobeir verfettet. ᾿

‚Wir wollen Biemit auf bie neuefte Zeit übergehend fehen, wie die deutfhen Philofophen, bem Abenden Worte des Königsberger Philofophen gegenüber, das Gebet in Schutz genommen und aufgefaßt. Es gefhah dies auf katholiſcher wie proteftantifcher Seite. Auf der einen Seite

und Geſchichte des Θεδείεϑ. 33

wollen wir Baader hören, auf der andern Drobiſch. Der erftere, beffen Werke nun eine Gefammtausgabe erleben, iR bereits 1841 geſtorben; ber Ießtere, ein Schüler Her⸗ barts, lebrt nod) gegenwärtig in Leipzig.

Franz v. Baader, der frühe viele unb verſchiedenartige Bücher las, unb, bei feinem Wiffensdurfte und feiner Leb⸗ haftigkeit be& Geiſtes, von polariſch Entgegengefegtem um fo mehr angefproden wurde, hat an mehreren Stellen fif fragmentariſch über das Gebet auegelaffen.

Elaudius hatte mit der Gewalt feines Gemüthes aud) das Gebetsproblem befeitigt. Indem er (Werke 1829, ML Thl. S. 104) auf bie Frage ftàft, wie denn das Gebet f zum Sufammenfange der Dinge, der fubjective Wunſch, die Bitte des Einzelnen zur Ordnung des Ganzen ftelle, äußert er Furzweg, baf er diefen nexus rerum ober Zur fammenhang ber Dinge nicht fenne, wohl aber wifle, daß Simfon ben nexus der Thorflügel unbefchädigt gelaffen und das ganze Thor auf ben Berg getragen.

Diefe Stelle fowie bie Angriffe Kants befchäftigen Baader in feinen Sagebüdjern. Ein oratoriſch gefhmüdter Grguf dafelbft (Werfe XL ©. 134 f.) läuft darauf Bin» aus, daß der Zufammenhang ber Dinge fein blos Außer- lider fei, daß Gedanken und Triebe des Geiftes zu ben Berfnüpfungen der Dinge gehörten, daß ein Wechſel⸗ verfehr zwiſchen Iebendigem Geifte (Gott) und [ebenbigem Geifte (bem Menfchen) ftattfinden müffe, eine Offenbarung Gottes im Geifte, im menſchlichen Leben, daß feine Macht⸗ beſchraͤnkung Gottes ftatthaft [εἰ und das Wohl des Ganzen nur in dem des Einzelnen fid) zeige.

Wir fehen hier bie oben gegebenen von ber Einwoh- mung, Delonomie und Weberweltlichkeit bergenommenen

54 Zur Apologle

Bewweife durchſcheinen, bie aber zu feiner Prärifion ge» langen.

An einer andern Stelle (Werke XL ©. 328) geht ex von einer Eraltation, oder Graberhöhung bes SBernunfte vermögens aus mittelft eines activer. Nehmens, nicht bes paffiven Empfangens mittel einer Emanation (Gottes). ‚Das Gebet ift der [ete Act der Selbſtthaͤtigleit der Ber» munft, wenn fie an ber Grenze ihres Bermögens ange langt if. Das Gebet ift Wunſch, in bem Wunſche (on embryonifh enthalten, wenn er reiner Vernunftwunſch ift. Es kann fonad) nie etwas Sinnliches jum Objecie haben, fondern mur intellectuelle Subjertserhöhung. Es vermag etwas, weil alle Willensäußerungen verurſachende Kraft haben, wie bie Vorſtellung bei willfüclihen Musfelbe- wegungen Urſachlichkeit hat hier bie Borflelung ber erfannten Rothwenbigfeit unb des Beduͤrfniſſes mehrerer intellectueller Kraft. Bedingung ber Eraltation, des Aufs ſchwunges ift hier bie Gotteserfenntnig, weil bie Bernunft beim Kraftnehmen fehen, b. b. das SBermunftibeal ihr denkbar, oder möglih fein muß. Die Wahrnehmung diefer Urſachlichkeit if ſittliche Thatſache. Das Gebets- vermögen ift ebenfo einfache Thatſache als das Fingers bewegen, ober das Athemholen.

Das Ganze dieſer Anſchauung beruht auf bem bereits am Eingange angebeuteten Bevürftigfeits «, Mangelhaftig- teitögefühle, welches zur Ergänzung aud) in intellectueller Beziehung, b. 5. zum Gebete, treibt. Cine treffende Ana» logie mit bem Athemholen, welche uns an die naturaliſtiſche Richtung Baaders erinnert, muß übrigens für Bermißtes entfdübigen. Ich nehme hier, wie überall, den Ausdruck naturaliftifch in bem Sinne, bag Baader nicht blos bie

und Geſchichte bed Gebetes. 55

Mittel feiner Speculation (Gleichniſſe, Analoglen 1c.) der Ratur entlehnte, fondern aud) den (ete Ausgang feiner Speculation im Begriffe einer Natur, bec Ratur in Gott, fand, was Fr. Hoffmann (Werke I. 356. I. 18) bei mehr Ueberlegung und ethiſcher Haltung leicht finden fonnte. An was εὖ in Baader Stelle fehlt, zeigte er fpäter ſelbſt. Bir lefen in feinen Werfen L' &. 20 Anm.: „Beten iR leineswegs bloße Wünfchen, wenn es gleich ben Wunfch ber Erhörung enthält. Denn derjenige, welcher wirklich bittet, wendet fid) an einen pofitiven Geber unb er könnte nicht bitten, ohne biefen inne zu werben und zu berühren. Im Gebete zu Gott ift der Geber ſelbſt fehon der Geber ber Bitte, ober des Gebets, welches und aufgegeben wurde.“

Andere Stellen in Baaber ſprechen fit über Begriff unb Art, über Quelle, Auferlegtheit und Wirkung, über Berechti⸗ gung und SBegreiflidjfeit des Gebetes in folgender Art aus.

Das Gebet if ein Eingehen mit dem Odem ber Seele in die liebende Eentraffeele, ober: eine Offenhaltung des Einganges in biefe, welche beftändig biefer Deffnung harrt (Offenb. 3, 20), welche im Innerften jedes Menfchen befüünbig gegenwärtig ift (als das Licht, jedem Menſchen leuchtend, der in biefe Welt fommt) unb welde in allen iR, weil alle in ihr find, fowie fie aud) beſtaͤndig aufer den Menfhen und um fie ift, wie die Figur unb ber Schatten der Subflanz immer um bieje find (Werke II. ©. 512); das Gebet ift eine vitale Function des Ge» müthes (Werke IL &. 500); es ift eine Emporrichtung zu Gott, eine Gonfrontation jeder partiellen, beſchraͤnkten Willensrichtung, ober Action mit ber centralen unb unis verfellen, eine priefterliche Vermittlung zwiſchen Gott unb der Welt (Werke II. ©. 35).

56 Zur Applogie

Die Quelle und Verbindlichkeit des Gebetes ift. von Gott gegeben, „Baco fagt, daß jeder phyſilaliſche Verfuch eine Frage am jenes Naturwefen ift, von bem wir Aufs ſchluß verlangen. Aber Fragen ift in das gefragt wet» benbe Wefen eingehen und falls letzteres über mir ftebt, ἰῷ folglich ein Stieberfeigen zu mit und in mid) erwar- ten muß, ift die Frage (interrogatio) eine Bitte (rogatio). Alles Suhen unb Verſuchen, Forſchen und Speculicen, welches von der Gigenbeit als folder ausgeht, findet darum nichts als biefe Eigenheit unb was in ihrem Bereiche Liegt, wogegen nur das von einem Höhern ausgehende Suchen, bem id) mein Suchen eingebe, ald meinem Zührer, biefeó Höhere in mir findet. Hegel hat zur Erfenntniß biefer Sundamental- Wahrheit für bie Religionswiſſenſchaft ben Weg mit. der Behauptung gebahnt, bap Gott nicht das Object meines Erkennens waͤre, falla Er nicht zugleich das Subjeet meines erfennenden Subjects wäre: Das wahre Gebet ift mir darum von Gott gegeben und aufgegeben, wie mir ber Odem gegeben unb fein Auswirken und Wie⸗ berauóatfmen, b. i. SiBiebereinatfmen in den Odemgeben- den, mir aufgegeben ift (Genefls 2, 7.), unb ber in mir fBittenbe und Rufende ift aud) ber im mir Hörende und Erhörende. Wie nämlich (gemäß ber Genefis) von allem, was hienieden Odem hat (spiritus a respiratione) ber Menſch allein diefen unmittelbar von Gott felber empfing, fo hat aud) er allein das Vermögen unb bie Verbindlich« keit, biefen Dbem eben fo unmittelbar (nur ausgewirkt) wieber Gott zuruͤck zu geben, b. D. wie er allein aus Gott athmet, fo foll er allein in Gott atfmen unb fi in un— gehemmter Συμπνοία (conspiratio oder Eingeiftung) mit Gott, der der Geift ift, erhalten (Werke IL. S. 514 An—⸗

und Geſchichte des Gebetes. 57

merk)" Bgl. L 20, wo er fagt, der Keim des Gebetes fei von der moralifchen Natur abgenöthigt.

In Anfehung der Art oder Beſchaffenheit des Gebe» tes fordert er wiederholt den activen und effetiven Ga» after, den Willen und das Wort, das legtere jebod) in der höchften Bedeutung. „Als intelligent, fagt er (Werke 1. ©. 294), ift der Menſch allerdings 'ein aud im Annehmen ober Empfangen, fo wie im Auswirken ber Gabe freis thätiges Wefen und er fann darum nur thuend (fpre- ch en d) empfangen. Keine Infpiration, fagt Marheineke, geht ohne eine von Seite des Infpirirten mitwirfende Ad⸗ fpiration vor fid), fo wie biefe nicht ohne eine Grfpiration. Folglich Tann ein Object, welches feine Functionen gegen den Menſchen verrichtet, ohne daß diefer auf fole Weife felhfthätig gegenwärtig ift, oder zu demſelben fpricht, Fein Object feines Eultus fein, weil der Menfch hiebei in feinen acliven Rapport mit ihm tritt. Wenn es barum heißt: „Bittet, fo wird eud) gegeben“, fo heißt diefes mur: e8 kann euch, vermöge eurer intelligenten Ratur, nicht geges ben werben, falls ihr nicht bittet, b. D. falls ifr nicht, wollend unb anerfennend bert Geber, ſelbſtbewußt unb mit» wirfend ihm gegenwärtig feid.“ Und am einer andern Stelle (Werke I. ©. 514) fagt er: „Begreift man das Wort ober bie Rede in ihrer höchften Bedeutung, nämlich als Gebet, fo muß man aud) einfehen, daß das Gebet vom Willen untrennbar ift, indem ber Wille irgend einer Baſis feines Wirkens fid) zufehrend, um in biefelbe ein« zugehen, biefe Bafis eigentlich bittend und gläubig anfpricht, woraus benn folgt, daß jeder Menſch, er mag fid befjen mun Har bewußt werben, ober nicht, in jeder feiner Wils lensbeſtimmungen entweber zum Chriſt als Welterloͤſer,

58 Zur Apologie

ober zum großen Weltthier, ober enblif zum Verderber ſein Gebet richtet und daß, da der Menſch vermoͤge ſeiner Natur, nämlich als wollend, ein religiöfes, betendes Weſen ift, b. f. ein Wefen, weldjeó mittelft des Odems feiner Seele, fid) einem jener drei univerfellen Wefen gelobt und verlobt, bie Frage nur bie fein Tann, zu welcher biefer drei Regionen ex fid) befennt unb wohin er fein Gebet wendet.“

In Betreff der Erhörung bemerkt er (Werke I. 294), daß in den Augen Gottes die Deffnung oder Herſtellung der freien Gemeinfdjaft der Creatur mit Ihm der eigent- lide 3tved jedes Gebetes fei, in weldem Sinne folglich jedes Gebet feine Erhörung ſchon mit fi) bringe, eines⸗ ijeiló, indem bie Gabe hier von dem Geber nift trenns ‚bar fei, anderntheils, indem alle uns im Zeitleben befals lenben Röthen, weil fie uns zu Gott (aus biefer Zeit hinaus) treiben, uns bod) nur die Eine gemeinjame und Radicalnoth biefer unſrer Entfremdung von Gott fühlbar und .erfennbar machen follten, fo daß alfo die äußere (einzelne) Roth nur als leitend und helfend zur Erweckung diefer innern Noth fid) auf gleiche Weife verhält, ober verhalten foll, wie das äußere Muͤſſen (ber äußere Zwang) zum innern Sollen.” Hiemit ift bie Stelle im 2. 8. ber. Werke I. 346 zu vergleichen.

In Anfehung der Begreiflichkeit verwahrt ex fi gegen die Gleichſtellung des primitiven Verkehrs unb Rapportes des Gefchöpfes und des Schöpfers mit jenem des Gefchöpfes und Geſchoͤpfes, und ein Begreiflichmachenmollen des extern aus bem lehtern (Werke 1. 293, vgl. 1. 20).

Die Stedjtfertigung des Gebetes und feine Bertheis digung liegt fehon in bem Angeführten. „Der Menſch, fagt ες (Werke I. 20), wird des Gebetes (als einer Vers

und Geſchichte des Gebetes. LJ

ſtandesſchwachheit) fih fo wenig gu ſchaͤmen brauchen, als et fij jedes andern wahren Gemüthsafects zu ſchaͤmen braucht, unb nod) weniger wird er es für nöthig finden, bei bem Philofophen, (ber denn doch aud) nur ein armer Sünder unb Schelm if, wie er) über bie Befriebigung ober Richtbefriedigung biefe in ihm lebenbig gewordenen Beduͤrfniſſes erft anzufragen. Und follte gegterem etwa die Einfachheit des Mittels bedenklich feinen, oder bie Unbegreiflichfeit feiner SBirfungmeife (melde freilich bei aller Willenscaufalität biefelbe ift, deren Magie eben Mas gie bleibt) ibn vom Gebrauche abhalten, fo möchte er nad) demfelben Raifonnement nur aud) das Athınen einftellen, an welche eben fo einfache und in ihrer Wirkung myflifche und unbegreiflihe Function. bie Natur die Erhaltung des animaliſchen Lebens Debungen hat.“ Unter Bezugnahme auf eine Stelle St. Martins (Tableau naturel des Rap- poris, qui existent entre dieu, l'homme et l'univers L 179) von ber Nothiwendigfeit, daß alle Wefen bem Princip des Lebens Huldigung barbringen müßten, um Hilfe unb Wohl⸗ that zu erlangen, fagt er, daß von Seite des Menſchen zur Herftellung der Gemein(daft mit Gott ein Thun des Menfhen, ein.die particufare Intelligenz mit der abfolus ten reliirender Act (religio a religando), fomit Gebet nothwendig fei. Es ift Gefeh der Mittheilung, aber Gr» teilung ber Grfenntni von einer höheren ober fráftigeren Intelligenz am eine niebrigere ober fdymüdjere, fagt er Werke 1. 293), εὖ ift das allgemeine Gefeg der Erleuch⸗ tung jeber Intelligenz, für ben Fall-nämlich, in welchem diefe Erleuchtung (ober SBerfinfterung) nicht ohne Mitwir⸗ fen ihver als zu erleuchtender flattfindet, daß biefe Intels ligeng ihrerſeits nur burd) ein Bitten jenen ihre Erleuch⸗

. 60 Zur Apologie

tung bebingenden Rapport zu öffnen unb für fij) effectio ju machen vermag." IR εὖ fo, dann fann wohl über die Nothwendigkeit des Gebete& fein. Zweifel mehr walten.

Schließlich lont es fij bec Mühe, auf eine von Baader (Werke II. 513) berührte, mit ber Aufflärung des Gebetes im Zufammenhange ftehende Schattenfeite aufmert- fam zu machen. „Wer, fagt er, die jeden Augenblid erfahr⸗ bare Wirkfamfeit und alfo Wirklichkeit eines feindlichen und giftigen Wefens (welches in der Schrift der Menfchen- mörber heißt) nod) bezweifeln wollte, bem geben wir mur zu bemerken, daß er mit jeder inneren Berührung biefeó vergiftenden Willens bie Anftedung der Stummheit deſ⸗ felben in fid) erfahren wird, nämlich die Schwaͤchung feines eigenen Vermoͤgens der Rebe oder des Gebetes. Ich fage Stummheit, weil der Verderber als felbfithätiges Weſen zwar immer fprieht, fein Wort aber, anftatt ihm ben Ein- gang des Liebewillens und Liebeodems Gottes zu Öffnen, gegen biefen ihn nur verfehließt, fo daß man Recht hatte, zu behaupten, daß biefet Verberber nichts thut, als fein qum coagulivenden Gifte gewordenes Wort beftändig in fi auszugießen und wieder zu verfchlingen, b. B. daß feine Blasphemie immer nur in ihn zurüdftürzt, wie Mil- ton von ber Sündenbrut fagt, deren ihre Mutter nie [o6 werben fann."

In der That beweist das Nichtbetenkönnen des Böfen, oder vielmehr bei bem ungefühnten Böfen, deutlich, baf Gott das Ginformenbe des Gebetes ift, der Sinn des Ger betes und feine Gluth. Dies haben aud bie Dichter heraus: gefühlt. Shakspeare laͤßt den König im Hamlet fagen:

Die Worte fliegen auf, der Sinn Hat feine Schwingen Bort ohne Sinn kann nit zum Himmel bringen.

und Geſchlchte des Gebetes. 61

Vergebens bemüht er fid) nad) dem Bruderblute, bie ſtar⸗ ren Kniee zu beugen, das geſtaͤhlte Herz weich zu machen, wie Sehnen neugeborner Kinder.

Wie Baader, ſo nimmt auch Moriz Wilhelm Drobiſch, in den Grundlehren der Religionsphiloſophie (Leipz. 1840), in feinem Abſchnitte von der SBerfófnung zwiſchen der Phi⸗ loſophie und ber Religion, ben. Kampf gegen Kant wieder auf. Der Geift Gottes, fagt er ©. 265 f., ift nicht ber bloße Begriff, fonbern ber, als wirklich geglaubte Gegen» Rand diefes Begriffs. Wie nun aber wird denn Gott wahrhaft geglaubt? Auf doppelte Weife: verborgener, oft unbewußt, im zuverſichtlichen fittlihen Thun, das nicht blos an feinen Werth, fondern aud) an feinen endlichen Erfolg glaubt und offenfunbiger, Mar bewußt, im Gebet. das Beten, als ein innerer förmlicher Gotteóbienft fagt Stant und barum als Gnademittel gedacht, ift ein abergläubifher Wahn (ein Fetiſchmachen). Denn es if ein blos erflärtes Wünfhen gegen ein Wefen, das feiner Erflärung der innern Gefinnung des Wuͤnſchenden bebarf, wodurch alo nichts gethan und alfo Feine von ben Pflichten, bie uns als Gebote Gottes obliegen, aus⸗ geübt, mithin Gott wirklich nidt gedient wird. Ein Berg lider Wunſch, Gott in allem unferen Thun unb Laflen wohlgefällig zu fein, b. i. die alle unfre Handlungen · be⸗ gleitende Gefinnungen, fle, als ob fie im Dienfte Gottes geſchehen, zu betreiben, ift der Geiſt des Gebets, ber ohne Unterlaß in uns flattfinden kann und folL"^ Grläuternd fügt er in einer Anmerkung mod Hinzu: „„In jenem Wunſch, ald bem Θείβε des Gebets, fucht ber Senf) mur auf fid ſelbſt (au Belebung feiner Gefinnungen vet» mittel der Idee von Gott), in biefem aber, ba er fid)

v Zur Apologie

bad) Worte, mithin äußerlich erlärt, auf Gott zu miren. Im erſtern Sinne kann ein Gebet mit voller Aufeichtigfeit flattfinden, wenn gleich ber Menſch fij) nicht anmaßt, fefbft das Dafein Gottes als völlig gewiß betheuern zu fónnen; in ber zweiten Form, als Anrede, nimmt er biefen höchften Gegenftand als perſoͤnlich gegenwärtig an, ober ſtellt ſich wenigſtens (felbft innerlich) fo, als ob er von feiner Gegenwart überführt fei, in ber Meinung, daß, wenn e& aud) nicht fo wäre, εὖ wenigftens nicht ſchaden, vielmehr ihm Gumft verfhaffen fónne 2." Die Härte Diefer SBeurtfeifung mildert fi zwar ‚etwas, wenn man bemerkt, baf fie eigentlich nicht gegen das Gebet. überhaupt gerichtet ift denn das Danfgebet, als Erfüllung ber Pflicht der Dankbarkeit, müßte bod) jedenfalls Gott wohl- gefallen fondern nur auf bie eigentliche Bitte geht, febann wiederum am meiften ben förmlichen mörtlichen Wusdrud betrifft, enblid) hauptſaͤchlich gegen das Gebet als Berpflihtung für Jedermann protefliren foll, um es viel» mehr bem SBebürfnif des Einzelnen anfeim zu geben. Auf Worte und Formeln fommt’s freilich nicht an; ber Wunſch, die Sehnfucht Tann fid) aud) in bloße Bilder und Gefühle kleiden. Aber ble Bitte läßt fld religionsphilofophifcy recht⸗ fertigen und fein Menſch ift fo ſtark und fo vollfommen, daß et fid ihrer gänylich zu überheben berechtigt wäre. ' Bor- allen Dingen brüdt fij im Gebet, welder Art εὖ immer fei, noch beftimmter, als im zuverfichtlichen moralis fen Handeln, bet Glaube an Gott aus. An Gott ben» Ten, von ihm reden, über fein Wefen "unb feine Eigen haften reflectiven heißt nod) nicht an ihn glauben. Der wahre Glaube felt Gott eben nur gerade fo vor, wie ber inbrünftig Betende. Im Gebete. werben. aber aud) bie

unb Geſchichte bes’ Gebetes. 63

zeligiöfen Verpflichtungen des Vertrauens, der Demuth und ber Grgebenfeit am vollfommenften ausgeübt unb zwar tritt bei ber eigentlichen Bitte, bie. Kant eben verſchmaͤht, bie Demuth als hauptfähhliches Erforderniß hervor. Es ift wahr: Vertrauen, Ergebung forie Dank läßt fi) Gott wohl aud) in der bloßen Gefütnung barbringen, bie, wenn fie an ihn denkt, gleichfam in dritter Perfon von ihm rebet. Um aber an Gott in ber zweiten grammatifhen Perfon benfen zu fünnen, wo bie Rebe in Anrede übergeht, bes darf es allerdings ber Demuth. Wer dies nicht Tann, der gleicht bem verftodten Kinde, bem die Bitte zu ſchwer wird, um fie zu wagen; ober er belügtfid) fe[bft Hinfichts

Tid feines Glaubens, er glaubt gar nicht feft und innig^

« Gott, denn er fritt, fd) feines Glaubens ſchaͤmend, pud, wenn er. bamit Grnft maden und fif an Gott, glei als einen wirklich Gr[dyeinenben, wenden fol. Der Bittende erklärt allerdings feine Abhängigkeit, feine Ohn⸗ madt. Darum firäubt fid) ber Hochmuth der fogenannten ſtarken Geiſter gegen das Bittgebet. Und bod) ifté mur Bettelftolg: ihre Ohnmacht und Befchränktheit geftehen fie theoretifch ein, fie wollen fie nur nicht praftifch zugeben. Der Betende ftellt fid) nit, als ob er von ber Gegen« wart Gottes überführt wäre bann wäre ja all fein Thun nur Heuchelei, fondern er glaubt wirklich, daß Gott nicht mur (ft, fondern aud) feine Wünfche unb feine Ges löbniffe vernimmt, Das Gebet fordert nicht unbebingt Worte. Denn wie oft mißlingt es uns ganz, in Worten auszufprechen, was wir fühlen und wünfchen. Noch wenie ger bebarf es ber lauten Rede unb ber äußern Geberbe (bie jedoch im öffentlichen Gottesbienft, i ber zur allge⸗ meinen Sitte gewordenen Form auch nit vernachläßigt

Zur Φροίοριε

werden Nu Θὰ iR aber nur das Zeichen eines Zeit- Que, Mw die Religien abhanden gefommen if, wenn der rin Van Arterrajihte Ure haben fell, zu erde WP MON viebeatht datauf Sxipcud) hat, Gegen- BAR quo cbe Achtang ya rre Se größer der St, dex rot, Wa je rüber um erhbebember der WE We guarde deicheankt amd Xeweer dex MMC, huj cc Aut ἄχαρος enbsuéts fe eft er Dem Somer Gories Qudipcudy dat cow Gürmürbuped, umb Der axe τας hA Ac Hip awftubug set Pec Demnibigr, erídemt lead πὰς um 0 größer Tag Out mehr uners Ge is Wut, welehe in ive Begehung aem, vex (Gb, daß dr uc unite "npud Fre meiigerailer md eub i cux üitOuupM cuj awe XEurmge gerickter «ἂρ RR DAI CudM zu Qnmufenn Vemm se Ceire et Nie sua Nrut ium auem juidymuütn; ober jar em ἥδνι τὼ nurdNuiec? Zap am dett ended D τας Dr Jar Sag zu Nindatjen ceuefebugr, ome aum Cilide gie G3Eeng, cuu Ne CUtgeousg cree cartina dgeduwud cop eure, NB mi? Ἀϊειξαπὸ cenceem mis OQ Dis Sor iup Seu umor Camm, c eme Füge, De wur QNetnessir istp vmenipbtemem blieben Mu, TW 49 Dig Iesteiine ter ibemmi o sernisü Sup, cda αἷς cac Joumuüug meg; ἅ, Ce mrd Ses Wii, Ge Beauty inp TR ung owe ub Oda IENIQEME, sagten ἐξ Gan S90 0 IMMaeguué up ud dies oen cepüHaa Decdei ut, Corm irent, Yan. D Stillen ile Dub, Auf cwaüerstyer Here Ceeanogtee dA Mh LE Ines cue τες Herpyidp cag an FREE ee SE, 5 o μα

und Geſchichte des Gebetes. 65

durchaus nothwendig, an die Wirkfamfeit beffelben, an die im Zufammenhang damit ftefenbe göttliche Hülfe zu glaus ben, dieſe nicht für eine blos fcheinbare, als eine nur ſubjective, pſychologiſch zu erflärende Grfdeinung zu bes taten. Denn eine nur ſcheinbare Hülfe annehrhen, hieße ja eben nicht wahrhaft glauben, daß, fondern fid) nur fo fellen, al8 ob Gott uns zum Guten beiftehe. Ein Beten, das nur auf bie pſychiſche Wirkung fpeculirte, im Hinter grund des Gemuͤths aber an ber Realität des ganzen Borganges zweifelte, würde, wenn, es anders möglich wäre, das unwürbigfte Gaufelfpiel, der nichtswürbigfte Selbftbe- ing fein. Wer fo betet, der fünbigt betend, denn er ente weiht das. Heilige. Wie bie Hülfe, welde das Gebet bringen fol, geſchehen mag, erforfchen zu wollen, ift eine ganz wᷣerthloſe und unfruchtbare Grübelei: denn alles Theo⸗ tíftm if hier meber am Plage nod) von Erfolg. Auch bier ruht der Glaube nicht auf ber theoretifhen Einſicht der Möglichkeit, fonbetn auf der moralpractiſchen Nothwen⸗ digleit. Am beften alfo, εὖ bleibt ganz balingeftellt, ob bie Hülfe Gottes burd) eine fupranaturaliftifche, ober ratios naliſtiſche Hypotheſe erflärt werben fol. Der Rationaligs mus führt leiht zu einem rohen an Fatalismus ſtreifen⸗ den Determinismus. „„Es geht und gehe, wie es gehen lam, nachdem Gott Alles vorherbeftimmt hat!““ Diefe . Ieuferung drüdt zwar religiófe Grgebung aus, aber in _ einer einfeitigen Höhe, bie an heidniſche SBerftodtbeit grenzt. Der Supernaturalismus andrerfeits hat fid) vor Schwär« merei zu hüten, bie in der Gnadenwahl aud) ein Ziel er- tft, das mit fittlichen Ueberzeugungen unvereinbar ift. Im Nebrigen aber muß in Beziehung auf fupernaturali« file Vorftellungsweife bedacht werben, daß zwifchen bem Theol. Duartalfrift. 1853. I. Hefte 5

66 Zur Apologie

Wollen und Vollbringen des Guten ein großer Unterſchied if; daß wer nur das Wollen hat, zwar gut in ber Ges finnung, aber ſchwach in ber Kraft ifl, unb fi, im Gefühl folder Schwäche, wohl Beiftand von Oben erfleen fann. Wird ihm nun biefer zu Theil, fo ift fein fittliher Wan⸗ del allerdings nicht blos fein Werk, allein aud) nicht bloß Gottes Werk (wodurch εὖ aufhören würde, fittlihen Werth zu haben), fonbern beides zugleich. Unſer Begriff von Freiheit ſchließt niemals Motive des bewußten Handelns aus; Motive aber find nicht Zwangsveranftaltungen, fon» dern werben immer nur erft durch den Willen wirkſam. Motive für ben menfhlihen Willen koͤnnen alfo aud) von Gott ausgehen, ohne daß baburd) ber Menfch geswungen, ohne daß er unfrei, eim blindes Werkzeug ber höheren Macht wird. Das flärkfte, natürlihfte und klarſte Motiv zum fittlihen Vollbringen ift. aber ber Glaube an die Ger genwart Gottes, an fein allfeenbeó Auge, ber fid) eben am lebenbigften im Gebet ausſpricht. Darum ift das glaͤu⸗ bige Gebet um Kraft zum Guten nie vergeblih. Dies ift aber das Myfterium ber Andacht, daß fij zwar einerfeits ihre Wirkung burd) die Herrſchaft des Gottesgedankens und des Glaubens an feine Gegenfünblidfeit als eine pſychologiſch begreifliche barftellt, anbrerfeitó aber biefer lebenbige Glaube ſelbſt unaufhörli darauf bringt, über biefe blos ſubjective ExrHärung hinauszugehen und ein feiner nähern Befchaffenheit nad) verborgen bleibenbes, objectives Geſchehen, einen wirklichen Verkehr mit Bott für wahr zu Halten; und ohne biefen Glauben giebt εὖ wieberum feine religiöfe Beruhigung, feine moraliſche Er⸗ febung für den Schwachen.

Wenn aud) fier der Deismus, ober Theismus, ohne

und Gefchichte des Gebetes. 67

fonderliche Tiefe gum Vorſchein kommt, wenn der Einwurf bed Determinirtfeins burd) die Unterfcheivung zwiſchen Mo⸗ tiv und Zwang keineswegs befriedigende Löfung findet, wenn das Berlaffenfein von Theoretifhem, das Verwer⸗ fen theoretiſcher Einfiht, das Zurüdweifen angeblicher Grübelei unb bie Betonung des Moralpraftifhen nicht entfpricht, wenn bie ganze Darftellung fhwerlic eine Vers pflißtung aum Gebete beweist unb zu den harten Nuss drüden von Bettelſtolz, Verftodtheit, Selbftbelügen, Hoch⸗ muth auf der andern Seite nicht berechtigt, weil nur der alfeitig und ſtreng Beweifende ritten mag fo erfreut bof das religiöfe, lebhafte Gefühl, bie Friſche ber Ueber⸗ xugung des adjtungémirbigen Philofophen, welcher hier, über Herbarts Anſchauuůng der Religion hinausgehend, bie Zahl derjenigen verfürft, welche für das Gebet gefpror dem und, für diejenigen, welche den gleidjen Standpunkt einnehmen, ober auf derfelben Stufe teen, nicht ohne erweckende und flärfende Bedeutung find. Ich ſchließe mit den Worten des Avicenna, welder in feiner Schrift de philosophia prima, sive scientia divina X. 1. (Avicennae Logica, Sufficientia etc. castigata et emendata per canoni- cos regulares S. Augustini in monasterio divi Joannis de viridario Commorantes; s. 1. et a. fol. p. 1089) gleichfalls vom Nugen unb bet Urſache des Rutzens des Gebetes handelnd fagt: Ut timeas reddere malum pro malo et studeas reddere bonum pro bono, cujus rei certitudo faciet le fugere malum.

Dr. Gumpo[d.

5*

8.

Die hriftliche Lehre von der göttlichen Gnade nad ihrem innern Zufammenhang.

In nachſtehender Abhandlung wird beabſichtigt, bie chriſtliche Gnabenlete von ihrem einfachften Anfang bie zu ihrer hoͤchſten Concentration in dem Lehrftüd von bet SBorferbeftimmung und Gnadenwahl burd) alle Mittelglier ber hindurch zu verfolgen unb fie fo aus ihrem innern Zufammenhange zu begreifen.

Die Function, der wir uns unterziehen, ift daher hauptſaͤchlich eine bialectifde. Die bogmatifde Bes grünbung liegt aufer unferm Zwede; man findet fie in allen, namentlich ben ältern bogmatijjen Werfen, in ausreichender Seife vollzogen, wogegen jene Function amar in ben einzelnen Lehrpuncten angeftrebt, für das Ganze ber Lehre aber wenigftens in der fpätern Scholaftif fo gut wie ganz. vernacjläßigt ift; daher überall mehr SBertvidelung als Entwidelung unb Auflöfung. In Folge der Streitigkeiten nämlich, weldhe durch bie neuen Auf- ftellungen einerfeit des Leffius unb Molina, andrers feit& des Bajus und Janſenius herbeigeführt wurden, ſchwoll das Detail der Lehre auferorbentid) an, unb ba bei dem gänzlihen Mangel einer innerlihen Methode !)

1) Man vergleiche meine Ginteitung in bie Dogmatif ©. 284 ff.

Die chriſtliche Lehre von ber göftlichen Gnade. 69

bie Ueberſicht und Klarheit in demſelben Maaße abnahm; fo entftand ein Chaos, das zulegt Niemand mehr entwir« ten Fonnte. Die Streitigkeiten blieben unentſchieden, fte wurden aus Grmübung abgebrodjen und wir haben bie Rechnungen ohne das Facit überfommen. "Die Refultate müffen erft gezogen, ber Gewinn für bie Wiffenfchaft, wenn fte einen foldhen liefern, ετῇ noch erhoben werben. Die Theologen der fpätern Zeit, feit der Mitte des 18. Sabre hunderts haben bie Sache nur äußerlich vereinfacht, indem fe ſich von ben bifficilern Materien auf die anerfannten Allgemeinheiten zurüdzogen; unb wiffenfchaftlich nicht ge» fördert, ba fie zugleich- Begriffe herbeizogen, bie ihre wahre Bedeutung mur innerhalb biefer Materien finden. Auch die Vorliebe für bie leichtern, bem gemeinen Sinn näher liegenden Auffaffungen 3. 38. in ber Praͤdeſtinationslehre bient nicht zu ihrer Empfehlung meber aus dem Gefichts- punfte der Wiffenfchaft, noch aus bem ber Gade, des tiefen Ernſtes der chriſtlichen Grundanfhauung von ber göttlichen Gnade. Da bie ftreitenben Partheien von ben» felben kirchlichen Lehrfägen ausgingen, wie fle aud) alle bie entſcheidende Autorität des HE Auguftin, nur πίε gerade in ber einfeitigen, erclufiven Weife des Janſen anerfannten, fomit nur in den Folgerungen, bie fie aus jenen zogen, unb in ber Auslegung der Auguftinifchen Lehre von einander abwichen; fo- folgt von felbft, daß nur eine der Sache felber fid) anfdjfieBenbe, bem Fortgang ihrer innern Entwidlung folgende Methode den Ariadne⸗ {hen Faden aus jenem Labyrinthe an die Hand zu geben im Stande fein wird. Und dies ift denn aud) ber nádjfte Sed, ben wir mit unfrer Entwidlung der Gnadenlehre aus ihrem innern Zufammenhange vor Augen haben.

10 Die chrifiliche Lehre . Si quid novisti rectius istis Candidus imperti; si non, his utere mecum. Horat. ep. 1. 7, 67.

1. Der Begriff ber Onabe.

Bor allem muß man ben Gtanbpunct zu gewinnen fuden, auf bem bie Hriftlihe Gnabenlefre Fuß faft.

Zu diefem Gtanbpuncte erheben wir uns auf zwei Stufen, bie wir zunächft zu befchreiben haben.

Die rationalififihe Betrachtung des Berhältnifs ſes Gottes zum Menfchen und ber Menfchen zu einander ift das Erfte.

Hier erbliden wir Gott zwar als ben Schöpfer aller Greatur, alfo aud) ber vernünftigen, als denjenigen, der biefe mit allem ausgerüftet, was zu ihrem Wefen gehört, insbefondere mit Vernunft und Freiheit, und in biefer Ausrüftung oder in ben Naturgaben ifr bie einzigen Mittel zur Erreihung ihrer Beſtimmungen dargeboten hat. Das Gute überhaupt und das Endziel deffelben die Seligkeit ift lebiglid) in den Willen des Menſchen ges ftellt, bem nichts zur Geite ftebt, als einerfeits bie Ders nunft, bie ihn daſſelbe fennen lehrt, anbrerfeitó das Ges wiffen, das ihn beftändig dazu ermahnt. Gott ift hier dem Menſchen nur allein in der Natur und ihrem Laufe präfent, unb die göttliche Providenz erftredt fid) nicht über bie Anwendung und Herbeifhaffung der äußern Mittel zur Grreidjung feiner Aufgabe, in allem übrigen fteht ihm Gott gleihfem als bloßer Zufhauer gegenüber unb erft qulegt tritt ev wieder ein als Richter, als der geredjte Bergelter beffen, was ber Menſch aus und burd) fid allein gethan hat, als der Herr, welcher Rechenſchaft fordert über bie Anwendung beó von ihm einem jeden extheilten Talentes.

von ber göttlichen Gnabr. 71

Hinfitlich des Verhältnifies der Menfchen zu einan⸗ ber geht bie rationaliftiffe Betrachtung nicht über das Einzelleben al foldhes hinaus. Sie weiß nichts von einer fittliden Einheit und Gemeinfamfeit aller Menfchen, von einem reellen fittlihen Einfluß eines Einzelnen auf alle übrigen; vielmehr fteht nad ihr jeber für fih und unabhängig von allen andern ba, jeber ift in fittliher Bes tiehung eben nur das, wozu er fid) felbft durch feine eigene Thätigkeit gemacht hat.

Sft nun diefe rationaliſtiſche Betrachtungsweife falſch, ober objecti ausgebrüdt, ift die tein natürliche Ord⸗ nung nicht wirklich?

Der driftilide Glaube felit einen ganz andern, den fuprarationaliftifchen Gefihtspunet auf und bie drift» li$e Heilsordnung ift eine übernatürliche in beis berlei Beziehung, (in Berug auf das Verhältnig Gottes jum Menfchen und des einzelnen Menſchen zu allen); aber wiewohl wir jenen als ben Dódften unb wahrften und biefe als die realſte und vollenbetfie betrachten, fo werben - wir bod) jene Frage nicht bejahen koͤnnen.

Sjene rein natürliche Ordnung ift nicht nur wirklich, fondern aud) bleibend; Vernunft, Freiheit und Gemiffen find nie und nirgends aufgehoben, fie bleiben ihrem Weſen nad und befarten in ben Beziehungen zu einander unb in den Functionen, wie wir fie oben ausgehoben haben. Auch ber Einzelne, als folder, geht nie im Ganzen auf und fein perfönliher Werth muß immer gemeffen wet» ben nad) dem, was er aus und burd) fid) felber ift.

Nur in ihrer Ausſchließlichkeit iſt bie rationaliſtiſche Betrachtung [αἰ ὦ, nur wenn fie für bie Höchfte abſchließende genommen wird, unwahr. Die natürliche Heilsordnung

12 Die chriſtliche Lehre

ift in ber uͤbernatuͤrlichen aufgehoben in bem bekannten Doppelfinne diefes Wortes alfo zunaͤchſt bewahrt, unb infofern jene Betrachtung berechtigt felbft auf dem Stand» puncte der höhern, pofitio chriſtlichen Anfiht; jene Ord⸗ nung ift fodann in biefer überfchritten, alfo negirt, und infofern muß fd) bie rationaliftifche Betrachtung gefallen lafien, nicht blos als untergeorbnet, fondern felbft als bloße Vorausfegung zu gelten gegenüber ber pofitio drift» lichen.

Zweitens. Wir betreten die nächft höhere Stufe der Betrachtung, wenn wir erfennen, wie Gott bie beftünbige Urſache ift nicht blos davon, daß ber menfdjide Wille ift was er ift, fondern aud) daven, daß er ein guter ift unb bief lettere unbefdjabet des erfteren, b. 5. unbeſchadet ber Natur des Willens als eines freien. G6 ift eine durch⸗ aus: mangelhafte, weſentlich unfromme 3Borftellung, ben Menſchen in feinem freien Willen allein, bem Bermö- gen des Guten und Böfen, von Gott abfangen zu laffen, folglich anzunehmen, daß darin bie Urfächlichkeit Gottes auf ben Menſchen erfhöpft ober abgefchloffen fei. Gott, den abfolut Bollfommenen und Guten, fónnen wir und gar nicht benfen, wenn wir babei ftehen bleiben. Diefer Gott muß, fo zu fagen denn bie Stotfienbigteit, von ber wir reben, trifft nict ihn, fondern unfer Denken das Vermögen des Guten und Böfen infofern negiren,

. als er ben Willen unbeſchadet feiner Freiheit über biefe Potentialität erhebt und zum ſittlich en madt burd) Einflößung des Guten. Diefes göttliche Thun heißt, ba ihm fein SBerbienft von Seite des Menſchen zu Grund liegt, Onade, unb.ift wohl zu unterfheiden von der SBerurfadjung der Natur überhaupt und des Willens ind»

. von ber göttlichen Gnade. 73

beſondere. In Gott felbft ift freilich fein gnädiger Wille identiſch mit feinem allmächtigen, aber fo gewiß wir bie natürliche Welt als weſentlich verſchieden von ber fittlihen erkennen, fo nothwendig müffen wir das Princip ber erftern ber bie Mad von bem Princip ber leßtern ober ber Gnade ſcharf unterfdeiben.

Der gnábige Wille Gottes &ufert fid alfo burd) Gin» pflanzung des Guten in bem an fid) ober von Natur uns entſchiedenen Willen des Menfchen, und zwar nicht diefes ober jenes Menſchen, nod) des einen nur und des andern nicht, fonbern aller Menſchen, des Senden überhaupt, b. ἢ. des erfien Menfchen als des Stammvaters aller, folglich vermittelt des natürlichen Nerus aller Einzelnen wit die ſem erſten Menſchen ?).

Man ſieht, wie ſich hier, wo wir zuerſt den Boden der rein rationalen Betrachtung verlaſſen, auch ſchon die beiden oben hervorgehobenen Momente der Betrachtung zugleich einſtellen, mit bem bet übernatürlihen Abhaͤngig⸗ keit des Menſchen von Gott, das ber Abhängigkeit des Einzelnen vom Ganzen oder Aller von Einem.

So gewiß man bie SBerurfadjung des menfchlichen Willens als eines guten infofern eine übernatürlihe Gna» dengabe Gottes nennen muß, al8 damit etwas über bie Natur biefeó Willens hinausliegendes, fie überholendes und ber eigenen Kraftanftrengung zur Grreidjung feiner Beſtimmund vorauseilendes bewirkt ift, fo fanm man fie bod in einer andern Beziehung aud) natürlid) nennen. Einmal nämlich, infofern als fie fid) über alle ohne Aus- nahme erftedt, und zweitens, infofern als ihre Vermitt⸗

1) Die nähere Gntwidlung diefes Sages gehört in bie bd von ver utfptüngliden Gereditigtelt.

a" Die chriſtliche Lehre

fung bei jedem Einzelnen, ihr Uebergang von dem Einen auf Alle etwas rein Natuͤrliches ift; in&befonbere wird man fle fo nennen müffen im Vergleich mit der Gnade in Gbrifto.

Auf bie angegebene Weife alfo ift ber Menſch mit feinem freien Willen in bie göttliche Gnabenordnung am Anfange erhoben worden. Es war an ihm, bur bie eigene freie That unter bem Beiftande der Gnade fid) in ihr zu erhalten und zu befeftigen, von Tugend zu Tugend fortzuſchreiten und fo nad) und πα eine foldje Fertigkeit und Stetigfeit im Guten zu erringen, daß die Gefahr des Falles immer ferner rüdte und bie beata necessitas boni, nad Auguftins Ausdrud, für ihn eintreten fonnte. Statt beffen widerfegte fid) ber Menſch ber göttlichen Gna⸗ benorbmung, er fünbigte. Mit ber Sünde fiel bie Gnade, fiel ber gute Wille Hinweg, und zwar ebenfo für Alle burd den Einen, wie fie in bem Einen Allen gegeben war. Der menfchlihe Wille, ber durch ben Fall zunaͤchſt blos in ben Zuftand der natürlichen Unentſchiedenheit zuruͤd⸗ fiel, aber aud) [dom burd) bie eine Sünde angefangen hatte, ein böfer Wille gu . fein, geriet, fld) felbft überlafr fen und der göttlichen Gnade beraubt, immer tiefer in das Böfe hinein.

Der Abfall von Gott macht den Menſchen verdamms lich vor Gott; ber freventlich gerftörten Ginabenorbrumg folgt bie gerechte Straforbnung auf bem Fuße: Erbfünde, Erbſchuld. Dieß ift das Eine. Sodann ift ber menfch- liche Wille in bem Zuftande ber Abfehrung von Gott ber Welt, bem Böfen zugewendet: er ift böfe, unb will und thut nur das Böfe. Dieß ift das Andere. '

Zur Wieverherftelung des Menfcyen, wenn fie εἶν gen foll, ift alfo erforderlich:

on ber göttlichen Gnade. 75

1) bie Nachlaffung ber Sünde, befonders ber Erb⸗ fünde, b. h. die Aufhebung ber in ihrem Gefolge eintre⸗ tenden ewigen Verdammung.

2) Die $erftellung des guten Willens und zwar bet guten Willensrichtung und Befchaffenheit (habitus) unb des guten Willens unb Thuns (actus, virtus, bona opera). Aus diefen Elementen fet fij ber Begriff ber Gnade Chriſti als gratia medicinalis im Unterſchiede von bet urfprünglichen Gnade, gratia sanitatis, gr. conditoris jus fammen. Mit ber Stadíaffung der Erbfünde unb ber damit beginnenden Wiederanknuͤpfung Gottes tritt bie auf den Willen wirkende und ihn zum guten Willen umſchaf⸗ fende göttliche Gnade wieder ein. Jenes gefchieht per inputationem justitiae Christi, dieſes per infusionem habi- tw justitiae propriae; beide ftefen in Wechſelwirkung zu einander, und ebenfo find fie theils Bebingt, theils gefolgt durch actuelle Grioedungen ber Gnade und Bethätigungen be Willens im Guten. Diefe Verhältniffe, wie fie fi im Proceffe der Wiedergeburt geltend machen, gehören aber nicht weiter hieher, fonbern in bie Lehre von ber ϑὲ ε ἐ- fertigung.

2) Die Nothwendig leit der Gnade.

Die Nothwendigkeit der Gnade zur Wiederherſtellung des Menfchen leuchtet im Allgemeinen aus dem kurz zuvor Angegebenen von felbft. ein.

Aber wie ift biefe Nothwendigfeit namentlich nad der weiten pofitiven Seite alfo abgefefen von ber Rad)» leffung der Sünde näherhin zu befimmen? Ihre Borausfegung und ijr Gorrelat ift bie Unzulänglichkeit

«u^ Die chriſtliche Leht e lung bei jedem Einzelnen, ihr Uebergang von dem Einen auf Alle etwas rein Ratürliches ift; insbeſondere wird man fie fo nennen müffen im Vergleich mit ber Gnade in Chriſto.

Auf bie angegebene Weife alfo ift ber Menſch mit feinem freien Willen in bie góttlide Gnabenordnung am Anfange erhoben worden. G8 war an ihm, buch bie eigene freie That unter dem Beiftande der Gnade fij) in ihr zu erhalten und zu befefigen, von Tugend zu Tugend fortzuſchreiten und fo nad) und nad) eine ſolche Wertigkeit und Stetigfeit im Guten zu erringen, daß die Gefahr des Falles immer ferner rüdte und bie beata necessitas boni, nad) Auguſtins 9fuébrud, für ihn eintreten Eonnte, Statt beffen widerfegte fld) ber Menſch ber göttlichen Gna⸗ benorbmung, er fünbigte. Mit ber Sünde fiel bie Gnade, fiel ber gute Wille hinweg, und zwar ebenfo für Alle durch ben Einen, wie fie in bem Einen Allen gegeben war. Der menfhlihe Wille, ber duch ben Fall zunächft blos in ben Zuftand ber natürlichen Unentfdhiedenheit zurüd- fiel, aber auch ſchon burd) bie eine Sünde angefangen hatte, ein böfer Wille zu . fein, gerieth, fid) felbft überlafe fen und der göttlichen Gnade beraubt, immer tiefer in das Böfe hinein.

Der Abfall von Gott madjt den Menfhen verdamms lid vor Gott; ber freventlich zerftörten Gnadenordnung folgt bie gerechte Straforbnung auf bem Fuße: Grbfünbe, Erbſchuld. Die ift das Eine. Sodann ift ber menſch⸗ lide Wille in bem Zuftande ber Abfehrung von Gott ber Welt, bem Böfen zugewendet: er ift böfe, und will und ijut nur das Boͤſe. Die ift das Anbere.

Zur Wieverherftellung des Menfchen, wenn fie edol⸗ gen ſoll, iſt alſo erforderlich:

von ber göttlichen Gnade. 75

1) bie Nachlaffung der Sünde, befonders ber Erb⸗ fünde, b. h. die Aufhebung ber in ihrem Gefolge eintre- tenden ewigen SBerbammumg.

2) Die Herftellung des guten Willens und zwar ber guten Willensrichtung und Befchaffenheit (habitus) unb des guten Willens unb Thuns (actus, virtus, bona opera). Aus diefen Elementen fegt fld der Begriff der Gnade Chriſti als gratia medicinalis im Unterſchiede von ber urfprünglidjen Gnade, gratia sanitatis, gr. conditoris zus faommen. Mit ber Nachlaſſung der Grbfünbe unb ber damit beginnenden Wiederanknuͤpfung Gottes tritt bie auf den Willen wirkende und ihn zum guten Willen umfchafe fende göttliche Gnade wieder ein. Jenes gefchieht per imputationem justitiae Christi, biejeó per infusionem habi- tus justitiae propriae; beide ftejen in Wechſelwirkung zu einander, unb ebenfo find fie theils bedingt, theild gefolgt burd) actuelle Erwedungen der Gnade und Bethätigungen des Willens im Guten. Diefe Berhältnifie, wie fie fid) im SBroceffe der Wiedergeburt geltend machen, gehören aber nicht weiter hieher, fondern in die Lehre von ber Rechts

fertigung.

2) Die Nothwendigkeit der Gnade.

Die Nothwendigkeit der Gnade zur Wiederherftellung des Menſchen leuchtet im Allgemeinen aus bem Furz zuvor Angegebenen von felbft ein.

Aber wie ift biefe Nothwendigkeit namentlich nad) ber zwejten pofitiven Seite alfo abgefefen von ber 9tadj» lafjung der Sünde näherhin zu beflimmen? Ihre Borausfegung und ifr Eorrelat iR bie Unzulänglihfeit

76 Die Griflliche Lehre

oder Unfähigkeit des menſchlichen Willens zum Guten !). Infoweit daher bem menfdliden Wille die fe8 Unvermögen einwohnt, infoweit ift ibm der Beiftand ber góttliden Gnade notfmenbig. Diefes Unvermögen fommt aber nad zwei Seiten in Betracht. 9tad) der materiellen Seite ift εὖ das Gute, das der Wille vermirfliden fol, das des ewigen Les bens woürbige (übernatürliche) Gute, in Anfehung beffen die Frage enifteht: o6 er ſich defielden zu bemädhtigen vermöge. Hierüber ſprechen fi bie in ber Anmerkung angeführten kirchlichen Beftimmungen unbeſchraͤnkt ver- neinend aus. Die Tragweite diefer Befimmungen wird aus dem Gegenfage Har, ben fie zurückweiſen. Die Synode von Orange fpriht fid gegen den Pelagia— nismus und Semipelagianismus, zwifdhen welchen der Belag. Iulian einen Mittelweg fudjte, in der an- geführten Weife aus. Diefe Gegenfäge find aber folgende:

1. der pelagianifche: der Menſch aud) in feinem gegen» würtigen Zuftand vermag das Gute aus eigener Kraft und bebarf der innern Gnadenwirkung nicht unbebingt, fonbern mur um mit größerer Leichtigfeit baffefbe zu vollbringen.

2. der julianifche: ber Menſch bedarf ber Gnade zur Bollbringung des guten Werkes, er bedarf ihrer aber

1) Conc. Arausic. (IL) can. 25: Hoc praedicare debemus et credere, quod per peccatum primi hominis inclinatum et attenuatum fuerit liberum arbitrium, ut nullus postea aut diligere Deum, sicut oportuit, aut credere in Deum, aut operari propter Deum quod bonum est possit, nisi eum gratia misericordiae divinae praevenerit. Conc. Trid. sess. 6. can. 3: Si quis dixerit sine praeveniente Spiri- tus S. inspiratione atque ejus adjutorio hominem credere, sperare, diligere aut poenitere posse sicut oportet, ut ei justificationis gratia conferatur, anath. sit. Cf. can. 4. 2 u. cap. 1.

von ber göttlichen Gnade. 77

nicht zum Suchen, Bitten, Glauben (August. ad Bonif. lib. IL cap. 8).

3. der ſemipelagianiſche: ber Menfch bedarf ber götts lichen Gnade zu jedem guten Werke fhlechthin, zum Bes ginne wie zur Vollendung defielben, alfo aud) zum Glau⸗ ben; nur bie Hinneigung zum Glauben, bie Glaubenss geneigtheit (fides inchoata, initium fidei) vermag er aus eigener Kraft in fij zu erzeugen h.

Bermag der Wille das Gute aus eigener Kraft ſchlechthin weber zu wollen nod) zu vollbringen, fo [εἰπε ihm damit bie fittlihe Freiheit abgefproden; und ift εὖ die göttliche Gnade, bie baffelbe burd) ben Willen bes wirft, fo ſcheint fie in biefer Action der Gnade auf ben Villen aufgehoben zu fein: wenigftens waren dies für den Belagianismus in allen feinen Schattirungen bie ent« fheidenden Momente, um beren willen er das Vermögen des Guten. theils ſchlechthin theils bis auf einen gewiffen Punct bem Willen vindieirt unb in derſelben Weife und demfelben Maße bie Nothwendigkeit des göttlichen Gnaden- beiſtandes beftreitet.

Die Firhliche Lehre gibt biefe Folgerungen nicht zu: fie behauptet das Vorhandenfein des liberum arbitrium auch nad) bem Günbenfalle, und räumt nur eine Schwaͤ— dung beffelben als Folge diefes Falles ein 5); ebenfo läßt

1) Der oben cititte Canon des Trident. it wur bie Wiederholung der araufic. Beftimmung und fat defhalb auch nur diefe Gegenfäge im Auge. Die nach ber entgegengefeßten Seite ausfchreitenben Lehren ber Reformatoren find in den folgenden Ganonen berüdfichtigt.

2) Concil. Trident. sess. 6. cap. 1 usque adeo servi erant peccati et sub potestate diaboli ac mortis, ut non modo gentes per viam naturae, sed ne Judaei quidem per ipsam etiam litteram legis Moysi inde liberari aut surgere possent, (awmetei in eis liberum ar-

28 Die chriſtliche Lehre

ſie daſſelbe unter der Einwirkung der Gnade in ſeiner Weſenheit fortbeſtehen und den von ber Gnade getrage⸗ nen Willen als wahrhaft frei ſich erweiſen ). Aus bem Gefihtspunct des liberum arbitrium alfo ober nad ber formellen Seite wird ein Unvermögen des Willens in Bezug auf das Gute nicht ſchlechthin ftatuirt; e8 wird das Vermögen des Guten infotelt als e8 zugleich mit dem Vermögen des Böfen (als Wahlvermögen, nad) bem Ausdruck der Schule das aequilibrium potentiae seu facultatis, ober bie indifferentia activa) das Wefen feiner freien Bewegung conftituirt, ihm vielmehr zus, und nur die lebendige in entfpredenbem Thun fij) bemährende

bitrium minime extincium essel, viribus licet aitenuaium el in— clinatum. Augustin. de spiritu et litera c. 28: Verumtamen quia non usque adeo in anima humana imago Dei terrenorum affec- tuum labe detrita est, ut nulla in ea velut lineamenta extrema re- manserint; unde merito dici possit etiam in ipsa impietate vitae suae facere aliqua legis vel sapere... Und furz vorher m. 48: si autem hi qui naturaliter quae legis sunt faciunt, nondum sunt habendi in numero eorum quos Christi justificat gratia; sed in eorum potius, quorum etiam impiorum, nec Deum verum veraciter justeque colentium, quaedam tamen facta vel legimus, vel novimus, vel audimus, quae secundum justitiae regulam non solum vituperare mon possumus, verum etiam merito recteque laudamus: quamquam si discutiantur quo fine flant, vix inveniuntur quae justitiae debitam. laudem defensionemve mereantur. Vergl. Eetius.in 2 lib. sent. dist. 41. 6. 2.

1) Concil. Trident. sess. 6. can. 5: Si quis liberum hominis arbitrium post Adae peccatum amissum et extinctum esse dixerit, aut rem esse de solo titulo, imo titulum sine re, figmentum deni- que a Satana invectum in Ecclesiam, anath. sit. Can. 4: Si quis dixerit liberum hominis arbitrium a Deo motum et excitatum nihil eooperari assentiendo Deo excitanti atquo vocanti, quo ad obtinen- dam justiücationis gratiam se disponat ac praeparet; neque posse dissentire si velit, sed velati inanime quoddam nihil omnino agere, mereque passive se habere, aneth. sit.

von der gottlichen Gnade. 79

actuelle Kraft des Guten abgeſprochen. Es if fein sequilibrium inclinationis seu propensionis vorhanden, fo daß ber Wille mit derfelben Leichtigkeit für das Gute fid) beftimmte, mit ber er auf baó Böfe verfällt; er inclinizt wm Böfen, und in bem Maße als biefe Inclination müdtig geworben, if das ihm (als einem freien) gleich weſentliche Vermögen des Guten geſchwaͤcht (attenuatum lib arbit.). Das geftörte Gleichgewicht, bie SRadt auf jener und bie Unmacht auf biefer Seite ift aber bem Obis gen zufolge in folhem Maße vorhanden, bof der Wille, um irgend etwas wahrhaft Gutes zu wollen unb zu voll büngen, ſchlechthin ber göttlichen Gnade bedarf. Gleich wohl it bie fittliche Kraft in ihm nicht auegetilgt; fie ift nad) einem in ber alten Kirche vielfach gebrauchten Audrud erftorben, aber nicht vernichtet, bem im Vinterſchlaf rufenben Auge des Baumes zu vergleichen, das mit bem Eintritt der Frühlingsfonne erwacht, Blätter, Blüthen und Früchte bringt. Die ΠΗ ὥς Freiheit ift Fein bloßer Name, Fein leerer Titel, feine fatanifhe Sáufdung wie das Triventinum in Uebereinftimmung mit ber ganzen alten Kirche gegen bie ausſchweifenden Affertionen der Reformatoren aufs Unzweideutigſte ausgeſprochen hat (f. Anmerk.).

‚Hier liegt eine fehr reelle Differenz vor. Nach einer Seite zwar fommt e$ auf baffelbe Hinaus, ob id) (age: der Menſch fanm das Gute nicht wollen unb vollbringen, es fehlt ihm die fittliche Freiheit in jedem Betracht; ober: der Menfch will und thut das Gute nicht, weil bie fittliche Freiheit als actuelle lebendige Kraft des Guten in ihm gelähmt, erſtorben ift in beiden Fällen kommt es eben nicht zum Guten. In den Bolgerungen für bie

80 Die SGeiftliche Lehre

Art des nothwendigen Gnabenbeiftanbes zeigt fif erft bie Differenz, bie in principiell verſchiedenen Grundanſchauun⸗ gen ihre Gehurtsflätte hat. Wäre die fittlihe Freiheit burd bie Sünde ſchlechthin vernichtet, fo müßte fie burdj bie göttlihe Gnade erft neu geídjaffen und bem Willen wieder eingepflanzt werben bie Gnade wäre alfo in erſter Linie eine ſchoͤpferiſche Kraft gleich der göttlichen Macht, eine völlig unjuláfige Vermifhung ganz verfchie- dener Begriffe —; ift fie aber nur gelähmt, erfiorben, fo braucht fie nur aus ihren Banden befreit, zu frifchem Leben erwedt zu werben. Da erſcheint bie Gnade vor Allem als die Einwirkung auf ben in feinem Wefen fort» dauernden freien Willen, burd) welche biefer a potentia ad actum bonum überzugehen angetrieben wird. Weiter⸗ hin geht aus ber DVergleihung beider. Anfhauungen un^ aweifelhaft hervor, daß bie Nothivendigfeit der Gnade war eine andere aber feine geringere ift bei der letztern Auffaflung als bei ber erftern, und bof mithin, wenn

"fonft feine Gründe vorliegen, bie zweite zu der Schärfe

ber erften zu fleigern, die mildere Auffaffung als bie wahre, auch dem [ebenbigften SBemuftfein des tiefen Gün» denelends und ber fhlechthinigen Nothwendigfeit der Gnade vollfommen genügenbe anerfannt werden muß. Solche Gründe find aber nirgends zu finden, dagegen Gründe genug, welche vor jener-fhroffen, finftern Anfhauung zus ruͤckſchrecken. Die fttliche Freiheit, bie biefe Auffaffung gänzlih unb in jedem SBetradjt verloren gibt, damit bie Nothwendigkeit der Gnabe befto dringender empfohlen und ihre Wirffamfeit defto lauter gepriefen fei, fie muß aud) unter der Herrfchaft der Sünde nod) anerkannt wer» ben, um bie Schuld berjelben, bie nur bem Menfchen

von der göttlichen Gnade. 81

gebührt, nicht auf Gott zu wälzen, wie nicht minder unter bem Einfluß der Gnade, damit das Werk der Gnade bem Menſchen zu gut fomme, ifm perfónlid) eigen fei. Halt der chriſtliche Glaube an beidem feft, an dem Dafein der fttlihen Breiheit mit bem[elben Nachdrucke wie an der Siotfyoenbigfeit der Gnade, fo darf man ber einen Border mung nicht Yo genügen, daß die andere darüber befeitigt wird, fondern beide Anfprücde find mit einander ju vere fühnen. Die pelagianifche Lehre, in ber bie Gnade feine Stelle findet neben der Freiheit, hat zu ihrem Gegen . theile die prädeftinatianifche Lehre, melde die Freis heit fáugnef, um bie Gnade ‚allein zu verherrlicen, wähs

. Wüb das kirchliche Dogma fid) in ber Mitte biefer fib entgegenftehenden Lehren bewegt. Wir berufen ung ftatt Aer auf ben heil. Auguftin, ben von ber Mii ge feiertfien Vertheidiger ber Gnade 1).

1) ©. oben ©. 78. Nur einige Hauptflellen. De peccat. merit. εἰ remiss. II, c. 18 n. 28: ne sic defendamus gratiam, ut liberum arbitrium auferre videamur; rursus, ne liberum sic asseramus arbitrium, ut superba impietate ingrati Dei gratiae judicemur. In feiner Schrift de gratin et libero arbitrio fagt er im Eingang: „gegen diejenigen Babe er fdjon Vieles gefchrieben, melde bie Breiheit mit Bes einträchtigung der Gnade vertfeibigen (die Pelagianer); aber mum gebe t$ aud) foldye, welche die Gnade aufKoflen der Freiheit vertheidigen und behaupten, man fónne die Gnade nur vertfelbigen, indem man bie Freiheit laͤugne“ (er meint bie Mönche von Sforumet, welche femipelas gianifch gefinnt, die ſtrenge Gnabenlehre für präbeftinatianifch hielten). Man vergleiche übrigens die ganze Schrift. In dem Brief an ten Abt diefer Mönche, Valentin (epist. 215) gibt er als Inhalt der fides quae (fides catholica) neque liberum arbitrium negat, m malam, sive in bonam, neque| tantum ei tribuit, ut. sine gratia Dei valeat aliquid, sive ut ex malo convertatur in bonum, sive ut in bono perseveranter proficiat, sive ut ad bonum sempi- lernum perveniat, ubi jam non timeat, ne deficiat. Cfr. epist. 214.

beol. Duartaljdrift. 4959. 1. Heft.

a

82 Die chriſlliche Lehre

Hier geht und nur die praͤdeſtinatianiſche Lehre näher an; um ihren Gegenfag zur kirchlichen in bet vorliegen» ben frage uns fíar zu maden, gehen wir von bem res formatorifhen Eyfteme aus, in bem fie wieder aufgewärmt ift. „Nach dem Syſtem aud) der lutheriſchen Kirche, fagt Schleiermacher !), hebt die moralifhe Freiheit bes Menſchen erft an in dem Zuftande der Begnadigung und der Wiedergeburt, bie eben eine Geburt in biefe Freiheit ift; dem natürlichen Menſchen aber geftattet biefe& Syftem nur in weltliden Dingen bie freiheit, daß er bie Begierde überwinden koͤnne durch bie Einfiht, und ben felbftfüchtigen Trieb durch ben gefelligen, aber weber jene Einfiht nod) biefer Trieb vermögen an fid) das göttliche Geſetz zu erfüllen." „Gehen wir von ber (beiden pro teftant. Bekenntniſſen) gemeinſchaftlichen Lehre aus, fagt Schleiermacher ferner (a. a. Ὁ. ©. 80), daß in bem Zuftande ber Günbfaftigfeit nad) bem alle der Menſch nicht vermöge, aus eigner Kraft Gott zu erkennen, zu lieben und ihm zu vertrauen, oder wie εὖ auch ausge brüdt wird, daß, unbefdabet er übrigens einen freien Willen habe, hiezu ihm ber freie Wille fehle (Aug. Conk IL XVIIL): fo liegt ja darin offenbar biefe&, daß, da e8 bet freie Wille ift, burd) ben jemand eine Perfon ift, der fünbige Menſch zwar in jeder andern Hinſicht eine Perfon fei, in religiófer aber nit.“ Deßhalb bezeichnet aud) Schleiermacher bie Wiedergeburt als einen auf unbegreifr liche Weife entfiehenden neuen Lebensanfang (©. 84).

In bem allgemeinen Gage: ba ber fünbfaftt

1) Sammlung jerſtreuter tóeolog. Suffáge. Reutl. 1830. L che die ere von ber Crwaͤhlung. ©. 42.

von der göttlichen Gnabe. 83

Menſch vor und aufer der göttlichen SBegnabigung unfähig fei, aus eigener Kraft das göttliche Gefeg zu erfüllen, fimmt das Fatholifhe Dogma mit jener Lehre zufammen. Aber die nähere Beftimmung, der Sinn des Sapes ift auf unfeter Seite ein anderer. Die moralifhe Freiheit acu, das wirkliche Wollen und Thun des Guten fehlt bem aufer der Gnade ftehenden Menfchen; er ift feine moralifh gute Perfon; aber al8 moralifche Perfon er- weist fid) ber Menſch aud vor und aufer der Gnade. Die moralifhe Freiheit potentia, das Bermögen des Guten, biefe natürliche, burd? bie Geburt ihm eigene und unver lierbare, daher aud) burd) die Sünde nicht verlorene Wil- lensbeſchaffenheit fehlt ihm nicht, und braucht ihm alfo «uf nicht erft durch die Gnade wieder eingepflanzt zu werden. Die Gnade fnüpft an dies natürliche Vermögen an, das, burd) bie Sünde geſchwaͤcht, durch ihre Einwir- tung actualifitt, gum wirflihen Wollen und Thun des Guten. angetrieben und in baffelbe eingeführt wird. Man fónnte einwenden, ein Vermögen bed Guten, das nichts vermag, ein Wille, der das Gute wollen fann, aber in Wirklichkeit nicht will und thut, {εἰ eine bloße Abftraction, ein leerer Rame, etwas fhlechthin Todtes; allein man darf nicht vergeffen, daß dies Vermögen fid) [don darin als ein wirkliches, reelled erweist, daß ohne fein Vor— handenfein das Böfe, welches ber Menſch will, Fein frei gewolltes wäre, was e in ber That bod) ift. Vielmehr if jene prädeftinatianifche Trennung der Potenz des Guten von bem Actus des Böfen, das gänzlihe Sallenfaffen jener Seite des Willens eine unwahre Abftraction. Es erweist fid aber aud) bie Potenz des Guten als eine überall vorhandene und lebendige in den großen fittlihen Untere 6*

84 Die chriftliche Lehre

ſchieden, welche unter den Menſchen, ungeachtet fie allzu⸗ mal Sünder find und des Nuhmes vor Gott ermangeln, ftattfinden, aud) wenn man fie nur negativ als ein Mehr oder Weniger der Verdorbenheit auffaßt ").

Hier ift nun vor allem nod) eines Mittelglieves Gt» mwähnung zu thun. Die bem freien Willen natürliche Indifferenz zwiſchen Gut und Boͤs ift nicht bie ausſchließ⸗ liche Grundlage feiner Gelbftent(djeibungen, feines wirkli⸗ den Wollens und Thuns; er?) fommt aus ifr für fid) allein nidt unmittelbar zur guten ober böfen That; viel- mehr ift bie Richtung und Neigung nad) einer Seite (eine delectatio nad) Auguftins Ausdrud) bie unmittelbare

1) €. oben ©. 78 Anm. Im Sufammenfang des dort Angeführten bemerkt Auguflin: sicut enim non impediunt a vita aeterna justum. quaedam peccata venialia, sine quibus haec vita non ducitur: sic ad salutem aeternam nihil prosunt impio aliqua bona opera, sine quibus difficillime vita cujuslibet pessimi hominis invenitur. Verum- tamen sicut in regno Dei velut stella ab stella in gloria differunt sancii (I. Gor. 15, 41); sic et in damnatione poenae sempiteruae tollerabilius erit Sodomae quam alteri civitati (Luc. 10, 12), et erunt quidam duplo amplius quibusdam gehennae flii (Matt. 23, 15): ita mec illud in judieio Dei vacabit quod in ipsa impietate dammabili magis allus alio. minusve peccaverit. In feiner Präbeftinationsichte jedoch hat er diefe concrete Auffaffung nidjt in Rechnung genommen.

2) Der Wille, nicht der Menſch. Wir wollen nämlich nidt fagen, daß der Süenfd nur entweder durch bie Grwedung ber göttlichen Gnade oder bie Verführung der Schlange, nicht aber auch durch fid) auf dem motürlichen Wege aus der Impifferenz feines Willens zur Willensents ſcheidung, guten ober böfen Willensthat fomme; fondern mut dieſes, bof der Wille für fij allein aus feiner Imbifferenz nicht unmittelbar here austrete. Der Wille des Menfchen, ob er gleich frei i, muß, um Fein willlürlicher und grunblofer zu fein, einen Beweg» unb Entfeldunges grunb haben, fomme biefer nun als natürlicher aus feinem überlegen den Verſtand unb bewegendem Gewiſſen, oder als übernatürliher bon außen (oben ober unten) ijm gu.

von ber göttlichen Gnade. 8

Grundlage feiner freien Selbſtentſcheidung, fonft wäre diefe eine grundlofe, willfürlide. Das Aufgehobenfein der natürlichen Unentfchievenheit des Willens burd) bie ihm einwohnende Hinneigung, ift die Thüre ober Schwelle, über welche der Wille von dem natürlichen Gebiet in das fittliche eintritt, in das Gebiet der fittlihen Entfheidungen ger Thaten. Zur moralifhen Perſon alfo gehört zu- nàdf dieß, daß ber Wille fittlih beſtimmt fei, gut ober bis Y. Die Wiedergeburt, mit welcher die gute Willens» richtung anhebt, ift daher nicht eine Geburt in bie mora» liſche Freiheit überhaupt, oder in die geiftige Perſoͤnlich- feit überhaupt, fonbern in bie wahrhafte Freiheit und

1) Die Pelagianer waren es und bie Rationaliften find e$ noch heute, welche jenen ſchlechten Begriff der Willensfreiheit im Sinne eines dotem Indeterminiomus auffellen und vertheibigen. Pelagius flit ben Sah auf: Habemus possibilitatem utriusque partis a Deo insitam velut quamdam ut ita dicam radicem fructiferam atque fe- cundam, quae ex voluntate hominis diversa gignat et pariat, et quae possit ad proprii cultoris arbitrium vel nitere flore virtutum vel sentibus horrere vitiorum. Augustin. de gratia Christi c. 18. Diefe Behauptung, entgeguet der Hl. Auguftin, reite mit ber evanges lidem Wahrheit und ber apoſtoüſchen Lehre. Denn ber Herr lehre (Elauf. 7, 18), ein guter Baum fönne feine ſchlimmen und eim böfer feine guten Früchte bringen; unb wenn ber Apoftel (1. Tim. 6, 10) bie Begierlichfeit (cupiditas) als die Wurzel aller Uebel bezeichne, fo wolle er bie Liebe (charitas) als bie Wurzel alles Guten verftanden wiſſen. Nachdem er dies weiter entwickelt, fließt et (I. c. cap. 20): llla ergo possibilitas, non-ut iste opinatur, una eademque radiz est bonorum et malorum. Aliud est enim charitas radix bonorum, aliud cupiditas radix malorum; tantum inter se differunt, quantum virtus et vitium. Sed plane illa possibilitas utriusque radicis est espaz; quis non solum potest homo habere charitatem, qua sit arbor bona, sed potest etiam cupiditatem, qua sit arbor mala. Sed cupiditas hominis quae vitium est, hominem habet auctorem vel hominis deceptorem, non hominis creatorem (1. Joann. 2, 16). Bergl. cap. 19 und de Spiritu et litera cap. 33 n. 58.

86 Die chriftliche Lehre

Geifigfeit, i e. in bie gottähnliche Sperfóntifeit. Auch der Sünder ift Perfon, denn er ift frei, umb eine moralifhe und geiftige Perſon, aber freilid) eine ſchlechte, eine irreligiöfe, und aud) biefeó nicht in der abftracten Seife der präbeftinatianifchen Auffaffung, in welder bie perſoͤnlichen Unterſchiede aufgehoben find (wie fie denn "die fittliche SBerfónfidfeit überhaupt nicht auffommen läßt), fonbern fo, daß ber eine mehr der andere weniger der wahrhaften Perſoͤnlichkeit ermangelt.

3. Die Berurfahung des Guten burd bie göttlihe Gnade und ben men(dliden Willen. Unterſchied biefer Urſächlichkeiten.

Die Sphäre des menſchlichen Willens, die ſittliche Welt ift eine in fid) felbft geichloffene, in ähnlicher Weife wie «8 bie Äußere Welt, die Natur ift. Sie hat ihr eigenes Prinzip, ben freien, b. b. ben fid) {εἶδ aus unb duch fid) beftimmenben Willen; bie einzelnen Dinge in ihr find theils eben die einzelnen Gelbftbeftimmungen biefe& Willens, theild bie baburd) gefeßten Willensbefchaffenheiten, welche hinwiederum auf den Willen unb feine Selbſtbe— flimmungen einwirken, alfo, wie biefe, Urſache und Wirkung zugleich find. Ueber diefen in fid) jurüdfaufenben Kreis von Gelbfibeftimmungen unb Beftimmtheiten des Willens fommen wir bei empirifdjer Betrachtung nirgends hinaus, gerade fo wie wir, von meldjem Punkte in der Natur aud) ausgegangen werben mag, nie über ben Zufammenhang von Urſache unb Wirkung hinausfommen zu etwas, was nur Urſache unb nicht zugleich aud? Wirkung, und al& biefe reine Urſache der legte Grund alles andern wäre. Aber wie wir deſſen⸗ ungeachtet zu dem in fi freifenben Naturzufammenhang,

von der göttlichen Gnd, 587

zu ber unendlichen Reihe von Dingen, bie fid) gegenfeitig bedingen, halten und tragen, eine abfolute Urſache fordern als Grund des Ganzen und als das alles Urſaͤchliche in ihm Verurſachende, die göttliche Macht, ebenfo poftuliten wir aud) zu ber fittlichen Welt eine abfolute Urfadje, auf welcher fie a[8 eine gute ruht und melde das bewegende Prinzip alles guten Willens ifl, nämlich bie göttliche Gnade. Alſo nicht blo8 darin ift ber Menſch abhängig von Gott, daß er will unb frei will, infofern ihm ja Gott biefen freien Willen gegeben, anerfhaffen hat, fonbern aud) darin, daß er das Gute will, infofern ihm Gott tiefen Willen fortwährend einflößt. Der göttlihe Wille will ben menſchlichen Willen und fo ift biefer; ber göttliche Wille wirft aber aud) in dem enblidjen Willen nad) der ihm eingepflangten Richtung auf das Gute fort, das Ber» mögen des Böfen bem Menfchen allein überlaffend. Eben deßhalb fanm von einer Beeinträchtigung der Freiheit nicht die Rede fein; diefe wäre vielmehr nur dann vorhanden, wenn bie Einwirfung Gottes auf das bem Willen anerfchaffene Bermögen des Guten mit gleichzeitiger Unterbrüdung des Bermögens des Böfen verbunden wäre. Dann würde Gott dur feine Gnabe dasjenige wieder zerftören, was er durch feine Macht gepflanzt hat. Wir ‚find aber durch niji berechtigt die göttliche Gnade in Gegenfag aur goͤtt⸗ lichen Macht zu fielen, fondern ſchlechthin zum Gegentheil aufgeforbert. Was heißt es alfo: Gott wirft im menſch⸗ lichen Willen das Gute, das für benfelben als einen freien nur ift neben der Möglichkeit des Böfen, oder was daffelbe fagen will nur baburd) i, daß ber Wille felbft fib frei für das Gute beftimmt? Dffenbar nichts anderes, als daß bie göttliche Gnabenmirfung eine Bewirfung

88 . 9c hhriſtliche Lehre

des Willens zur freien Selbſtbeſtimmung für das Gute fei.

Der Grundirrthum aller von ber kirchlichen Lehre ab⸗ weichenden Anſichten uͤber unſern Gegenſtand liegt in der falſchen Vorausfegung, als ob der Wille, um als ein freier zu gelten, ſchlechthin unabhängig nidt bíoó von allen enbliden Urſachen außer ihm, fonberm aud) felbft von ber abfoluten !) gedacht werden müfle, als ein folder, ber fij [ebigfid) aus und burd) fid felbft zu allem beftimme, wozu er fid) beflimmt. Damit hat man nidt blos bie moralifche Abhängigkeit des Willens von ber göttlichen Gnabe, fondern aud) jede ſolche Abhängigfeit des Einzelnen von dem Ganzen oder bem Gtamm»ater, b. f. bie durch den Mißbrauch des Willens entflandene natürlihe Verfhlimmerung befielben gänzlic) geláugnet. Go bie Pelagianer. Es ift diefelbe irrige Vorausfegung mur in umgefefrter Anwendung, wenn man bie Freiheit des Willens aufopfert, weil man mit ihr die diftfide Gnabenlehre, an der man üm jeden Preis fefthalten will, nicht vereinbarlih hält. So bie Präveftinatianer. In der That flimmen biefe mit ben Pelagianern in biefem dem einzigen Puncte vollfommen überein; ber Affect

1) Auf dem Concil von Trient berief fid) 8. Aloiſius von Gatane, um die Meinung zu widerlegen, als ob die göttliche Giu» wirkung auf ben Willen diefen feiner freien Selbſtbeſtimmung beraube und ihm Zwang anlege, auf ben Ausſpruch des δ΄. Thomas: ea moveri violenter, quae. moventur a causa contraria, a sua autem causa nihil per violentiam moveri eine treffende Bemerkung, nur darf man fid) micht zu bem Schluſſe fortreißen offen, bem jener daraus zieht: cum autem Deus voluntatis sit causa, perinde'esse aliquem a Deo, atque a se moveri was burdjaué unrichtig ijt. Die Erzaͤh—⸗ lung ijt aus Sarpi hist. Conc. Trident, II. p. 163. ed. 5. Gorinch. 1658.

von ber göttlichen Gnade. . 89

für die Gnade aber, wie er ihnen aus bem lebendigſten Bewußtfein der menſchlichen Sündhaftigfeit entfpringt, treibt fie auf ba6 andere Extrem, wogegen die Pelagianer, denen biefes Bewußtfein fehlt, einfach bei ihrem Freiheits⸗ begriffe fteben bleiben unb ber göttlichen Gnade ben Eins tritt in Das Innere des Willens verfchließen.

Als die alfgemeinfte Vorausjegung der kirchlichen Ongdenlehre ftet der Satz feft: daß göttliche und menſch⸗ lihe Tpätigfeit in der Bewirfung des Guten mit einander concurriren und beide fid als Urfahen deſſelben vet« halten. Auf diefelbe Weife nun fónnen fie nidt Urſache des Guten fein, fdjon deßhalb, weil bann immer eine überflüffig wäre neben ber andern. Es ift daher tit Art ber göttlichen fowohl als der menfdliden Urfädh- liffit näher zu beſtimmen. Schon von vorne herein ift far, bag bie göttliche ihrem allgemeinen Charakter gemäß als die abfolute, vorhergehende, und bie menſchliche ebenfo als die bedingte, nachfolgende Urſache gefaßt werben muß. Es liegt bie aber aud) (don im bem oben gefundenen Ausdrude: daß bie Gnabentoirfung eine Bewirfung be8 Willens zur freien Selbftbeftimmung fei. n. diefer Sormel liegt jedoch nod) mehr unb εὖ it jet unfere Aufgabe, fte féárfer in’8.Auge zu faflen, um zu neuen, concretern Beſtimmungen zu gelangen. .

Es gibt feine Bewirfung des Guten burd) bie Gnade außerhalb „des Willens unb ohne feine Selbfithätigfeit; denn die Gnade wirft ja eben burd) den Willen unb bes wirft die Selbftthätigfeit des Willens im Guten; e& gibt aber aud) feine Bewirkung des Guten burd) ben menſch⸗ lien Willen allein ohne bie Gnabe aus bemfelben Grunde. Eollen diefe beiden Säge fid) näher gebracht und bie

90 Die chriſtliche Lehre

darin enthaltene Wahrheit ſchaͤrfer beflimmt werben, fo muͤſſen wir bie Urſaͤchlichkeit des menſchlichen Willens, obgleich ſie an ſich eine und ungetheilt iſt, in zwei Momente gleichſam zerſpalten. Wir betrachten zu dieſem Behufe die menſchliche Willensthaͤtigkeit zunaͤchſt als eine blos fpontane, fein Wollen als bloßes Wollen, und fo fónnen wir fagen, baf diefes Wollen durch bie göttliche Gnade bewirkt, und daß mithin biefe bie Urſache fei, fraft wel- her ber menſchliche Wille das Gute will. Sofort haben wir aber bie Thätigfeit des menfdjlidjen Willens aud ald eine freie, fein Wollen als ein freies, auf Ueberlegumg und Wahl beruhendes, furj als ein fid) felbft aus und burd) fid) zum Guten befiimmendes zu faffen. Wäre der Wille nur diefes, wäre er abfolut frei, wie der Wille des abfoluten Geiftes, wäre er nit auf Natur gepfroyft, und infofern nad) einer Seite paſſiv, fo fónntem wir in Bezug auf ihn gar feine Urſache außer ihm annehmen. Aber aud) fefbft wenn wir ihn als bebingt erfennen, fo vermögen wir bod) infofern als wir ihn an dem Momente feines Erhabenfeins über bie Natürlichkeit und Paffivität in feiner fi ſelbſt beſtimmenden Thätigfeit erfaffen, nicht zu benfen, daß er burd) ein ambercó, wie bie göttlihe Gnade, bewirkt werde, fondern hoͤchſtens, daß er nidt ohne diefes anbere wirfe; und aud) das läßt fij nur infoweit flatuiren, als wir biefe& Moment feines Wefens zurüdbeziehen auf das erftere unb an daſſelbe gebunden denken; denn ohne bieje Gebunbenfeit würden wir von aller Urfächlichkeit außer ihm ſchweigen, weil wir nichts Bedingtes vor uns hätten. Damit haben wir nun ein wichtiges Refultat ger wonnen in Bezug auf bie Urfächlichfeit der göttlichen

von ber göttlichen Gnabe. ?t

Gnade. Auch bie Gnade können wir in ihrer Einwirkung auf den menfhlihen Willen nicht unter dem einfachen Geſichtspunct der abfoluten fittfihen Urſache deſſelben faffen, was fie an fid allerdings ift, fondern ihr Begriff ift ein zufammengefeßter, fie erſcheint einerfeits als causa qua, andererſeits als conditio sine qua non ober nad Auguftins Ausdruck als auxilium quo unb auxilium sine quo non sc. fit bonum.

Diefes Verhaͤltniß der göttlichen Gnade zu der menfch« lihen Freiheit ift das allgemeine, fowohl für den Willen in feiner urfprüngliden Unverdorbenheit als in feinem fpütern Verderbniß geltende. Es ift nicht wie Auguftin !) einmal diefe Momente des Gnadenbegriffs in zwei Onadenarten auflöst unb dadurd Anlaß zu der Jans fenififchen Lehre gegeben hat, daß bie urfprünglide Gnade fid) lediglich als auxilium sine quo non, bie Önade des Erlöfers dagegen aí8 auxilium quo verhalte ?); der Begriff der Gnade fhließt vielmehr flet biefe beiden Momente in fid. Denn wenn man fie ausſchließlich nur unter jenem Gefihtspuncte faßt, fo vermag man fie gar nicht eigentfid) feftzuhalten und finft auf den einfeitigen tationaliftifdjen Standpunft der Pelagianer zurüd; faft man fie dagegen ausſchließlich unter biefem Geſichtspunkt, fo läßt fid) bie Freiheit des menſchlichen Willens nicht

1) De corrept. et grat. c. 11 u. 12, fiehe unten das Nähere.

2) Diefen Unterſchied kann man als das Fundament des ganzen Sanfenififdjen Syſtems betrachten. Bergl. Aguire Theologia Anselmi Tom. III. tract. 6. disp. 116. sect. 4. n. 28 und bie Abhandlung de Janseniano systemate am Schluß des Eftius’fhen Comment. zum 2. ud der Sentenzen in Ed. 3. Neapoli 1722, Die Abhandlung ift von den Herausgebern des Gommentaw.

92 Die chriflliche Lehre

damit vereinigen und man verfällt bem präbeftinatianifchen Jirthume.

Die chriſtliche Gnade in ihrem Unterſchied von der urſpruͤnglichen beſteht vielmehr zunaͤchſt darin, baf fie nidt an bie Natur geknüpft und durch die natürliche Fort⸗ pflanzung vermittelt, ebenbarum aud) nicht fehlehthin all» gemein if, wie biefe; zweitens darin, daß die chriſtliche Gnade auf der Stellvertretung Chrifti beruht unb daher mad) einer Seite als Imputation erfdjeint, was bei ber urfprüngliden nicht ber (all ift; enblid) darin, daß Gott, während er in ber urfprünglichen Gnabe auf bie Seite des Guten im menfhlihen Willen tritt und baburd) ihm ben Sieg verfhafft über das in feiner Unmacht zurüds gelaffene Böfe, in ber erlöfenden Gnade zunaͤchſt bem Böfen am menfhlihen Willen entgegentritt und dadurch ben Weg zur SBieberermedung des Guten babnt. Hier nimmt die Rechtfertigung ihren Weg durch die Belehrung und wird vermittelt burd) ben äußern Anſchluß an bie chriſtliche Gemeinfhaft und den Gebrauch ihrer Gnaden⸗ mittel, dort geht fie birefte vor fid) in der allgemeinen Gemeinfhaft aller Menſchen unb ift vermittelt burd) die allgemeinen Mittel der göttlichen Weltordnung.

4. Eintheilungen der Gnade, ober bie ver fdiebenen Gnabenmirfungen. Sureidenbe unb wirffame Gnabe, oder bie abfolute Wirk famfeit der Gnade unbefdabet ber freien Selbftbeffimmung des Willens.

Gewöhnlich theilen die Theologen die Gnade zuerſt ein in bie gratia increata et aeterna und bie creata el temporalis. Dies ift.aber nicht eigentlid) eine divisio

son bet göttlichen Gnade. 9

gratiae wie bie übrigen, fondern bie allgemeine Bezeich⸗ nung des doppelten’ Geſichtspunctes, aus welchem, wie das Abfolute überhaupt, fo in&befonbere Djer bie göttliche Gnade in Betracht fommt. Man fann fie nämlich auffaffen, theils wie fle an fid) felber ift, wo fie mit bem göttlichen Weſen ivdentifh ober ald Gigenfdjaft beffelben, eine biefem Wefen gemäße, daher ewige, unerídjaffene, ungetheilte, ſchlechthin einfadje, überhaupt abfolute Wirffamfeit Gottes nad) außen ift, theild wie fie in ihren Wirfungen auf bie Welt unb den Menſchen insbefondere et» ſcheint. Dort fann von einer Theilung nicht die Rede fein; bie Differentiirung -beginnt erft bier, woo bie gótt» liche Gnade bie Endlichfeit trifft. Daß bie Gnadenlehre in ihrer SBolltünbigfeit beide Wege, ben ber abfoluten unb den ber endlichen Betrachtung, betreten müffe, fann feinem Zweifel unterliegen; mur das fann in Frage geftellt fein, οὗ beides an einem Orte zu gefchehen habe, ober ob für bie Onadenlehre im engern Sinne nur bie enblide Betrachtung fid) eigne, unb bie Prädeftinationglehre, worin fih die abfolute; Betrachtung concentrirt, etwa in ben erften Theil der Dogmatik, in die Lehre nämlich von bem Weſen und den Eigenfhaften Gottes gehöre, wohin fie auch von vielen Theologen geftellt wird. Diefen Punct wollten wir übrigens nur im Vorbeigehen berühren, weil aud) über ihn bie volle Klarheit bei den Theologen vers mit wird.

Geht bie göttliche Gnade in ihren Wirkungen auf den Menſchen in ein Mannigfaltiges und Verſchiedenes auseinander, fo ift biefe Mannigfaltigfeit bod) eine ges ordnete und läßt fid) daher aud) ſyſtematiſch beſchreiben. "ien Eintheilungen voraus‘ geht bie Unterfeidung ber

9 Die chriflliche Lehre

äußern unb innern Gnate, indem burd) fie bec Begriff ber letztern, auf welche fid) fámmtlide Eintheilungen bes defen, objectib begrenzt wird. Im berfelben Richtung liegt die Bedeutung der Unterſcheidung zwiſchen gratia gratis data und gratia gratum faciens; fie begrenzt ben Begriff ber innern Gnade fubjectin, denn bie innere Gnabe, auf welde fid) bie Eintheilungen beziehen unb von der bie Gnadenlehre allein handelt, wirb hier als bie Gabe befiimmt, welche auf das eigene Heil des Empfängers abzwedt, im Unterſchiede von der gratia gratis dala melde der Menfh zu 9tu& und Frommen Anderer em- pfängt 1 Gor. 12, 8 ff. Die Eintheilungen der innern Gnade find nun folgende. Bezogen auf bie Menfchheit im Ganzen, unterſcheiden wir bie gratia conditoris ober sanitatis und bie gratia Salvatoris (Christi) ober medicinalis, von denen furj zuvor bie Rede war. Der gefhicht- liden Entwidlung der göttlichen Heilsmittheilung in ber SRenfdbeit entfpriht der fucceffive Verlauf des Heils im einzelnen SRenfden, weßhalb bie hierauf fid) beziehenden Gnabenwirfungen junádjft burd) das Merk- mal ber zeitlich en Verſchiedenheit fid) gegen einander abgrenzen gralia praeveniens gr. concomitans gr. subsequens !).

Der fucceffive Verlauf des Heils ift erft bie Außer- fide Seite feiner Entwidlung und Verwirflihung im

1) Conc. Trid, sess. 6. cap. 16: Cum enim ille ipse Christus Jesus tanquam caput in membra, et tanquam vitis in palmites, in ipsos justificatos jugiter virtutem influat; quae virtus bona eorum Opera semper antecedit et comitatur, et subsequitur, et sine qua mullo pacto Deo grata et meritoria esse possent, nihil ipsis justifi- catis amplius deesse credendum est etc. Vgl. Thomas summa 1. 2. "qu. 111. art. 3. Auguetin. de nat. οἱ grat, c. 31.

von ber göftlicden Gnade. 59

Sienffen. Die weitern intheifungen fnüpfen fij an bie innern, wefentlihen Momente dieſes Proceſſes. Und war zunaͤchſt daran, daß das Sittlihe überhaupt und alfo auch das fittlih Gute fid) theild als Willensrichtung und Befchaffenheit, theils als Willensthat, als bleibenden Suftanb und vorübergehende Handlung darftellt. Hierauf beruht bie Unterfcheidung einer gratia habitualis und einer gralia aclualis 1). Hinſichtlich diefer Einwirfung der Gnade auf die menfhlihe Handlung (gr. actualis) wird nod) genauer unterfchieven bie von Gott ausgehende Anregung des Willens, gratia operans, und bie mit der Bewegung, des Willens, nachdem fie burd) jenen Anftoß eingetreten iR, fortgehende und in ihr thätige göttliche Kraft, gratia woperans ?). Im Wefentlichen daffelbe befagt bie Gin»

1) Thomas summa 1. 2. qu. iii. art. 2. Bellarmin. de grat. alib. arbit. L 2. Der Hl. Augufin faßt beide zufammen in ber Stelle de grat. Christi c. 19. n. 20: facit autem homo arborem bonam (Watth. 7, 18), quando Dei accipit gratiam. Non enim se ex malo bonum per se ipsum facit; sed ex illo et per illum et in illo qui semper est bonus: nec tantum ut arbor sit bona, sed etiam Wt faciat fractus bonos, eadem gratia necessarium est ut adjuvetur, sine qua boni aliquid facere non potest. Cf, de natur. et. grat. c 26. n. 29 unb de grat. Christi c. 12. n. 13, wo von ber gr. actualis ein die Rede ift. ᾿

2) Conc. Arausic. (II) c. 9: Quoties bona agimus, Deus in Tobis et nobiscum ut operemur operatur; c. Multa Deus facit in hominibus bona, quae non facit homo; nulla vero facit homo bom, quae non praestet Deus ut faciat homo. Οἵ, Augustin. contr. dum Epp. Pelag. lib. II. c. 8. de grat. et lib. arbit. c. 17: Quis istam etsi parvam dare coeperat charitatem, nisi ille, qui praeparat voluntatem, et cooperando perficit, quod operando it? Quoniam ipse ut velimus operatur incipiens, qui volentibus cooperatur per- fiens, Cf. Thomas summa 1. 2. qu. 111. art. 2.

96 Die chriſtliche Lehre

theilung der actuellen Gnade in gr. excitans und adjuvans, praeveniens unb subsequens ').

Diefen Eintheilungen der actuellen Gnade liegt ber Gedanke zu Grund, daß bie göttliche Thätigfeit den menich- lichen Willen nicht blos zur Selbftthätigfeit im Guten anrege, um ihn im Weitern fid) felbft zu übsrlaffen, jon dern daß fie im Willensacte felbft nod) wirffam fei. Sie beftimmen alfo ben allgemeinen Gebanfen von ber Urfäd: lidfeit der Gnabe im Guten zu bem beftimmtern fort, daß bie Gnade bie Durhgängige Urſache des guten Willens fei: Diefer Gebanfe ift in ihnen in feine Momente zerlegt und zugleich finnlich gefaßt. Weil aber der Wille nicht blos in feinem Thun, fondern aud in feiner Richtung und bleibenden Befchaffenheit als einen guten fid) erweist, fo ift nicht nur aud) nad) diefer Seite bie göttliche Gnade al8 bie abfolute Urſache deffelben zu begreifen, fondern es find aud) alle die Momente, in welchen fid ber gute Wille in biefer Richtung realiſirt, auf fte zurüdzuführen; weßhalb denn aud) einige Theo Togen nicht vergeffen anzuführen, daß die Eintheilungen der actuellen Gnade in einem gemiffen Sinne zugleich auf bie gratia habitualis anwendbar feien.

Endlich theilt man bie gr. actualis in gratia sufficiens, quae dat posse operari, und efficax, quae cerlissime dat bonum operari (Tournely) ober: quae cum operatione quam infallibiliter infert, semper conjungitur (Gonet),

1) Die obige Eintheilung: gr. praeveniens, concomitans, sub- sequens ijt aus bem Geſichtspunct des Mechtfertigungsproceffes ente worfen, unb infofern von ber obigen, bie fid fpeciefl nur auf ben guten Willensact bezieht, wohl zu unterſcheiden.

2) 8. 8. Gonet manuale Thomist. Colon. 1707. U. p. 146.

von ber göttlichen Gnade. 9t:

eine Unterſcheidung, für mele man fif) auf Cyril von Merandrien und Augirftin beruft, bie aber nicht einmal von Thomas direct ausgeſprochen if. Sie if ετῇ in der fpätern Scholaftif aufgefommen und als ein Mittel aufgeftellt worben, bie ſchwierigſte Frage ber Gnadenlehre im engern Sinne zu löfen; ſie hat aber biefe Abſicht fo wenig geredjtfertigt, ba gerade burd) fie erft der Streit faf umheilbar geworben if. Cyrill fagt an ber Stelle, auf bie man fidj beruft 5, nidjté weiter, als daß bie innerid) auf ben Willen wirkende Gabe viel fráftiger fti als bie dufere burd) Ermahnung, SBerfünbigung des Evangeliums u. dgl. Der BI. Thomas bemerkt (summa 1.2. qu. 112 art. 2 ad 2): contingit quandoque, quod Deus wovet hominem ad aliquod bonum, non tamen perfectum, et lis praeparatio praecedit gratiam; sed quandoque statim perfecte movet ipsum ad bonum et subito gratiam homo accipit. Aus diefen Worten fann man jene Unterſchei⸗ bung nicht unmittelbar herleiten; der Gebanfe, ben fte ausſprechen, ift vielmehr zunächft ein anderer, daß nämlich die Gnade theils graduell fortſchreitend, theils aber aud) wie mit einem Schlag ihr Ziel erreiche, wie bei bec Bes fehrung Pauli. Auch der BT. Suguftin gibt jene Unter ſcheidung nicht direct an die Hand. Während fie bei ben frätern Scholaſtilern fih auf bie Gnade Chriſti unb war fpeciell auf bie aetuelle Gnade bezieht, beabſich⸗ tigt bie Unterſcheidung, bie Auguftin aufftellt, unb bie aller⸗ dings bie Begriffe der zureichenden unb wirffamen Gnade m Grunde legt, das Verhältniß berurfprüngliden guber jrifliden Gnade mittelft derfelben aufzuflären.

- 1) Genet L c. p. 146. ies, Duartaligrift. 4859. 1. Get. 7

98: Die chriſtliche Lehre

Es find dieß die ſchon oben ausgehobenen Begriffe des adju- torium sine quo non unb des adjutorium quo fit bonum. Aus guftin unter[djeibet ") zwiſchen ber Gnabe, bie bie Ausdauer

1) De corrept. et grat. c. 11. n. 29: Quid ergo? Adam non habuit Dei gratiam? Imo vero habuit magnam, sed disparem. Ille im bonis erat, quae de bonitate sui Conditoris acceperat... in qui- bus prorsus nullum patiebatur malum, Sancti vero in hac vita, ad quos pertinet liberationis haec gratia, in malis sunt, ex quibus cla- mant ad Deum, Libera nos a malo (Mattb. 6, 13). llle in illis bonis Christi morte non eguit: istos a reatu et haereditario et proprio il- lius Agui sanguis absolvit. Ille non opus habebat eo adjutorio, quod implorant isti, cum dicunt: video aliam legem io membris meis etc. (Rom. 7, 23 25). Quoniam in eis caro concupiscit adversus spi- ritum, et spiritus adversus carnem (Galat, 5, 17), atque in tali cer- temine laborantes ac periclitantes dari sibi pugnandi vincendique virtutem per Christi graliam poseumt. Ile vero nolle tali rixa de so ipso adversus se ipsum tentatus etque turbatus, in illo beatitudinis loco sua secum pace fruebatur... Nr. 31; Istam gri non ha- buit homo primus, qua nunquam vellet esse malus: sed sane habuit, in qua si permanere vellet, nunquam melus esset, et sine qua etiam cum libero arbitrio bonus esse non posset, sed eam tamen per li- berum arbitrium deserere posset. Nec ipsum ergo Deus esse voluit sine sua gratia, quam reliquit in ejus libero arbitrio... Haec prima est gratia, quae data est primo Adam: sed hac potentior est in se- cundo Adam, Prima est enim qua fit ut hahoat homo justitiam si velit: secunda ergo ples potest, qua etiam ft, αἱ velit, et tantum velit, tantoque ardore diligat, ut carnis voluntatem contraria concu- piscentem voluntate spiritus vincat. jutezin Alstinguende sunt. Aliud est fit, et aliud eat adjutorium, quo- aliquid ft, Nam sine alimentis non possumus vivere, nec tamen cum adfuerint alimenta, fit ut. vivat qui mori voluerit, Ergo adjutorium alimenlorum est, sine quo nom fif, iom que fit ut vivamus. At vero-bestitudo quam non habet homo, cum data fuerit continpo: fit beatus, Adjwtoríum est enim non solum sine quo non fit, verum etiam quo fit propter quod datur. Quaprop- ter hoc adjutorium et quo fit est, et sine quo non fit: quia et si data fuerit homini beatitudo, continuo fit beatus; et si data nunquam fuerit, nunquam erit... Primo itaque hortini . . .. datum «st-adjuto-

D u

von · der gotilichen Gnade. Φ

im Guten ivt Lid, und derjenigen, bie nur baó Ausdauern⸗ können verleiht. Die Ietere, baó adj. sine quo non, fei Adam verlieben worben, nicht aber bie erftere, das adj. quo; denn wenn ihm jenes nicht verliehen worden, fo wäre er ohne feine Schuld gefallen, ba ihm bie Unterftügung ges fehlt Hätte, ohne welche er, bloß geftüt auf feine Natur, nit hätte ausharren fónnen. Die erflere dagegen erbe den Heiligen (Glaͤubigen und Gerechtfertigten) verliehen, bie zum Reiche Gottes durch bie Gnade prädeftinirt feien. In biefen Worten liegt der Schlüffel für bie tihtige Auslegung der dem Mißverſtaͤndniß flarf ausge⸗ ſehten Auguftinifpen Stelle. Auguftin faßt die Kriftliche Gnade unter bem Gefihtspunet der Vorherbeſtimmung, alfo unter bem abfoluten Geſichtspuncte. So erfheint ber game fittliche Proceß, in welchem fid das Gute zeitlich tealifirt, lebiglid) in bem legten Effect der Befeligung; bie Mittelgliever des Glaubens, ber Rechtfertigung und Ber obachtung ber Gebote, fo wie bie fid) felbft beſtimmende SRifivirfung des freien Willens find nicht mit in Rechnung genommen, fondern lediglich vorausgefegt. Nicht darin liegt ber Mangel biefet Darftellung, daß Auguftin bie

rium perseverantiae, non quo fleret ut perseveraret, sed sine quo per liberum arbitrium perseverare non posset. Nunc vero Sanctis in regnum Dei per gratiam praedestinatis non tale adjutorium perge- verantiae datur, sed tale, ut eis perseverantia ipsa donetur... Nr. 37. Vt ergo non acciperet hoc donum Dei, i. e. in bono perseverantiam primus homo, sed perseverare vel non perseverare in ejus relinque- retur arbitrio, tales vires habebat ejus voluntas, quae sine ullo fue- rat institota peccato, et nihil illi ex se ipso concupiscentialiter re- sütebat... Nuno vero posíea quam est illa magna peccati merito amissa libertas, eti&m mejoribus donis adjuvanda remansit infirmi- Ws... Subventum est igitur infirmitati volantatis humanae, ut di- vina gratia indeclinabiliter et instperabiliter ageretar. ' 1 *

100 Die qriftliche Lehre

chriſtliche Gnabe lediglich als wirkſam, unb bie urfpränge lide lediglich als zureichend begreift, fonbern darin, baf er jene aus bem abfoluten, biefe aus bem endlichen Ge fihtspuncte faßt und fo fie einander gegenüber ftellt: eine ungleiche Vergleihung, die nothwendig zu ſchiefen Refuls Taten führt, fo bald man fie urgirt, ohne biefen Umftand in Anſchlag zu bringen. Das hat Janfen !) getfan und fo aus jener Stelle den Gat abgeleitet: gerade barür unterſcheide fld bie Hriftliche Gnabe von ber urfprüng- lichen, bag unter bem Ginffuffe ber erſtern bie freie Selbſtentſcheidung des Willens, auf bie bei der letztern gerechnet fei, wegfalle: eine irrige, von ber Kirche mit Stedjt vermorfene, unb bem HI. Auguftin mit Unrecht (von jenem und Andern) imputirte Lehre. Janſen beftreis tet die Gnabe als eine zureichende; bie Ermoͤglichung bes Guten ift nad ihm weder eine Defonbere Art, nod ein Merkmal des Begriffs der chriſtlichen Gnade, fondern biefe befteht lediglich in ber Verwirklichung beffelben 5; womit er nur bie im jener und fo vielen andern Stellen deutlich vorgetragene Lehre Auguſtins 5) zu wiederholen behauptet. Mit Unrecht. Man fee alle dergleichen Stel

1) Augustinus Tom. 3. lib. IL c. 3 u. 4; Jib. ΠῚ, c. 1.

2) Augustinus Tom. 3. lib. II. c. 25: Nulla omnino medicinalis Christi gratia effectu suo caret, sed ommis efficit, ut voluntas velit et aliquid operetur. Lib. II. cap. 3.: Sufficientem illam grati quam Scholastici multi in Theologiam velut adjutorium Salvatoı tulerunt, ab Augustino destructam funditusque eversam esse libens lateor etc. Vocamus antem illam sufficientem gratiam seu suffici adjutorium, praeter quod nihil aliud ex parte Dei per modum prin- eipii necessarium est, ut homo velit aut operetur.

3) 8. 9. de corrept. et grat. c. 14; ad Bonifac. II, 9; de grat. Christi c. 13. 14; de grat. et lib, arbit. c. 15.

von ber göttlichen Onabe. 101

len nadj, unb man wird finden, daß darin Gebanfen über bie Wirkſamkeit der Gnade auégefprodjen find, bie bie freie Seldftbeftimmung des Willens nicht ausfchließen, weder birecte nod) folgeweiſe. Es fehlägt nicht gegen bie Freis heit aus, wenn der Bf. Auguftin lehrt: bie göttliche Gnade vermöge aud) das harte Herz zu erweichen; fte wirfe das Gute, wo fie gegeben werde, wo fie aber fehle, fomme beffelbe nicht ju Stande. Diefe und ähnliche Säge lau⸗ fen alle auf den einfachen, von den Pelagianern gänzlich) befittenen, von ben. Semipelagianern eingefhränften Bes gif der aus und burd fid felber wirffamen, ud) bie Einftimmung des Willens verutfadjenben Gnade hinaus, ober fie beruhen auf der Auffaſſung der Gnade sub specie aetermitetis.

Was nun jenen Unterfchied felbft betrifft, fo ift zu⸗ naͤchſt in Bezug auf den Ausdruck gratia sufficiens von entgegengefeßten Seiten, von ben Sefuiten und ben Janſe⸗ aiften bemerft worden, daß berfelbe unpaffend ſei. Denn da παῷ der Lehre der Thomiften felbft bie gratia efficax erfordert werde, damit der Wille wirklich das Gute wolle, fo könne man bie davon verſchiedene gratia sufficiens, bie blos das Wollenfönnen verleiht, nicht zureichend nennen, weil fie es zum wirklichen Wollen nicht fei. Indeſſen lónnen wir biefe Einwendung, fofern fie blos ſprachlicher Art ift, ganz auf fid) beruhen faffen; denn es Handelt fid mur um bie Gade, niht um ben Ausdrud, ben man ſchonend beurtheilen muß, wenn jene ftihhaltig if. In Bezug auf biefe nun haben bie Thomiften darauf hinger tiefen, daß zunädhft fehon bie gratia habitualis als gratia sufficiens betrachtet werben könne, infofern außer ihr fein anderer habitus infusus, alfo fein weiteres auxilium gratiae

102 Die qriftuche Lehro

derſelben Art, wohl aber ein auxilium gratiae secandum alium modum, ut scilicet voluntas a Deo moveatur ad recle agendum, b. f. bie fogenannte gratia actualig noths wendig fei. Aber ſchon hier müffen wir nachdrüdlich darauf binweifen, fürs erſte, daß biefe gratia habitualis und aetua- lis nur fehr uneigentlid) verfdjiebene göttliche Gnaben ge« nannt werben; es find bie vielmehr mur verſchledene im menſchlichen Willen durch biefelbe göttliche Gnade und bie gleiche (nämlich blos moralifche) Wirkſamleit derſelben her⸗ vorgebrachte Wirkun gen; fürs zweite, daß dieſe Wir⸗ kungen zwar wohl unterſchieden, aber nift von ein⸗ ander getrennt werden duͤrfen, als ob naͤmlich jede nur fuͤr ſich hervorgebracht werde, nicht aber beide in Wechſel⸗ wirkung auf einander; denn indem Gott den guten habi- tus fegt, wirkt er zugleih auf ben actus ein, und indem ex diefen bewirkt, wirft er zugleich auf jenen zurüd. Drit⸗ tens ift ja zugeſtandenermaaßen nicht eigentlich bie gratia habitualis gemeint, wenn von ber gratia sufficiens im Unterſchied von ber efficax die Rebe ift, fondern ausdruͤd⸗ fid) wird diefer Unterfhied in Bezug auf bie gratia actua- lis gemadjt: bie gratia sufficiens foll nämlich nichts andere fein, als was fonft gratia excitans genannt wird, während bie von biefer als gratia adjuvans unterſchiedene Gnaden⸗ wirfung nun näher als gratia efflcax beftimmt wird !). Es ift nicht ſchwer zu zeigen, ba ein folder tren⸗ nender Unterſchied, wie ihn bie Scholaftifer aufftellen, wenn

1) So aushrüdlih J. Gonsales de Leon controversiae de ausi- ls div. gratise. Leodii 1708. 4. p. 41. cf, p. 324 seqq. Gonst l c. p. 148 seqq. Statt sufficiens u. efficax fegen Suarez, Vaſ⸗ quez u, A. incongrua u. congrua, eine Differenz, worhber fid Gouet a. a D. fur und gut aueſpricht.

voti der gorillchen Snade. 'eo3

fie unter ber zureichenven und wirkſamen Gnobe verſchie⸗ bene Arten oder Wirfungen ber Guabe verſtehen, unzuläßig, und nift einmal auf die gratia interna über» haupt, geſchweige auf bie gr. interna hetualis anwenbbar ig. Um mit bem letziern zu beginnen, fo ift eine nur das Können verleihende, das Wollen aber in den Willen des Menichen ftellende Gnade für fid), als eigene Art ober Wirfung ber Gnade, gar feine innere, fonbeen bie Außere Gnade. Die’ innere: Gnade ſtellt ja das Wollen des Guten infofern nit in ben Willen des Menfchen, ober ted) nicht allein und aud) nicht principaliter i feinen Willen, als fie «uf bie Bewirkung biefes Wollens nicht bío8 abzielt, fondern daffelbe aud) mitbewirkt, unb zwar principaliter, ald Grundurſache, es bewirft. Diefes Ber wirfen des guten Wollens hat allerdings fo zu fagen feine Stufen oder Grade, indem es auf bie eigenthüämliche Art des endlichen menſchlichen Willens eingeht. Es erſcheint, fo angefehen, nicht als ein einfadhes, fonbern als ein mannigfaltiges und fortfpreitendes Wirken; und man fann in dieſer infit nad) rein empirifcher Auffaffung wohl fagen, bie Gnade [εἰ evi dann vollfommen wirkſam, wenn fte alle bie Stufen, in welchen der menſchliche Wille bis zum vollendeten Act vordringt, durchſchreitend, mit der Bewirkung des wirflihen Wollens ihren Sieg feiert, fie {εἰ dies aber nidjt, wein fle etwa bei der Bewirkung ber guten Willensrichtung ober Del ber Ereitation des Actus fiehen bleibe. Aber daraus folgt bennod) nicht, daß fle im letztern Galle mur zureichend und nicht wirfam, und im erfteen mur wirkſam umb nidyt zureichend fei; venn es it ja in jenem Falle die Gnade auf bie Bewirkung des Artus berechnet und auf ihn infuirend, und in biefem

- 4104 Die βόε Lehre

Balle iſt der Actus nicht geradezu bewirkt, ſondern vermit- telſt bec freien Selbfibeftimmung des Willens im Fort⸗ gange. ber Momente, burd) welche er fid) bewegt. Mit einem Worte alſo: bie Gnade die bloß zureichend ift, ift Feine innere; bie Gnabe aber, die blos wirkfam ift, ſchließt die freie Selbftbefimmung des Willens aus.

Haben alfo bie Moliniften Recht, wenn fie behaupten, biefelbe!) Gnabe werde zureichend oder wirlſam genannt, -je nadbem ber menfhlihe Wille fij zu ihr verhalte; wenn er nicht einftimme, fo erweife fie ih als unwirkſam aber zureichend, in wiefern der menfchliche Wille Hätte eins fimmen förmen, wenn er aber einflimme, erweife fie fif) als wirffam (und zureichend, in wiefern bie Einftimmung niet von ber Gnade bewirkt if)? Keineswegs. Diefe Anfiht ift das gerade Gegentheil der thomiſtiſchen; if biefe materiell richtig, aber formell verfehlt, fo ift fie ums getebrt mit der Gnabenlebre, inhaltlich ober materiell ges nommen, im Widerſpruch, formell dagegen, b. D. in ber Stuffaffung der gureidenben und wirffamen Gnabe als bloße Momente oder Merkmale des Gnabenbegriffó, im Reit. Nach ihr ift bie Cinftimmung gerade fo wie bie Nichtein- fimmung die unabhängige alleinige That des menſchlichen

1) Diefe Auffaſſung, der erſte Schritt zur Löfung der Verwirrung in den Gontroverfen de gratiae auxiliis, findet fid aud) bei Petavius S. feinem berühmten Werke de theolog. dogmat. Tom. 1. lib. X. c. 16. m. 2 fagt er: Ea (gratime divisio in aufficientem et efficacem) non generis est in species, sed ejusdem speciei secundum accidens di- stnctio. Non enim alia est sufficientis natura sive essentia, quam efficacia, cum una eademque sit’sufficiens ex sese, et efficax. Quippe omnis efficax eadem et sufficiens est; οἱ quae efücax non est, ac tantum suflciens est, ex accidenti non habei effectum, quem per se cuique sua (scil. parte) potest et parata est exprimere, nisi libera "consensio voluntatis obstaret,

von bet gbitlichen Gnade. 105

Willens, und man ἔδηπίε alfo was doch bogmatifd) unzweifelhaft feftftebt in Wahrheit nicht fagen, daß bie göttlihe Gnade auch das Wollen des Guten bewirkte; dies Wollen wäre ſtets nur in den Willen des Menſchen geſtellt, und bie göttliche Gnade würde baffebe nur präs pariren, aͤußerlich und innerlich begünftigen, unterftüpen.

Indem man nun aufhört, von gratia sufficiens und efücax im Sinne ber Thomiften als von verſchiedenen Arten oder Wirkungen ber actuellen Gnade zu reden, und flatt beffen vielmehr anerkennt, daß bie eine unb felbe innere Gnade immer beides zugleich (ei, und bag durch die Zulänglichfeit unb Wirkfamfeit nur ble unzertrennlich verbundenen Merkmale ihrer Eaufalität überhaupt in ber Art ausgebrüdt werben, baf damit fo wohl der Strenge der Ontbeníebre, beziehungsweife ihrer Nothwendigkeit zum Bollen des Guten, als auch ber unveräußerlihen For⸗ derung ber freien Mitwirkung des menfhlichen Willens, befonders feiner freien Zu» und Einflimmung Genuͤge ger ſchieht; fo ift damit bod) ετῇ eine abſtracte Wahrheit aud» gefprochen, unb bie Seite des Problems nod nicht berührt, von melder bie Einführung jener Unterfheidunggunähftausgegangenund haupt- fachlich gefordert zu fein [deint. Es war näms lich nicht blos bie zur verftändigen Erkenntniß zu erhe⸗ ben, daß bie göttliche Gnabe nidjt nur das Können fondern ganz eigentlich aud) das Wollen des Guten bewirfe, fons bern, indem man als Subject der Gnade nicht mehr abftract ben Menfchen überhaupt, vielmehr bie Menfhen unb den Einen im Unterfhied vom Andern ins Auge fafte, aud die erfahrungsmäßige Wahrheit zu begreifen, daß die Gnade nur einige Menfchen bis zum wirklichen

406 Die qriſtliche ibo

Wollan des Guten. führe, waͤhrend andere, abmohl fe ſich auch an ihnen thaͤtig erweiſe, nicht dahin kaͤmen. Dieſer Sah ift fen von Auguſtin in folgender Weiſe ſpecialiſirt werden. Unter Mehrern, die alle zum Olau⸗ ben innerlich erregt werben, werden nur Einige zum Acte des Glaubens und ben ihm entfprechenden Werken gebradt, unb fo gerechtfertigt. Bon biefen Gerecht⸗ fertigten find Alle bur bie Gnabe in den Stand ae febt, die. Gebote zu beobachten und auszuharren ,bi and Ende in der Gerechtigkeit, (omit das ewige Leben zu er lenge; aber nur Einigen wird. bie woirffame Gnabe zu beidem, namentlid) ba& donum perseveramtiae zu Theil, und nur biefe werben wirklich felig. Die zunächft liegende Frage, woher εὖ fomme, bag Gott dem Einen bie durch⸗ greifenb wirffame Gnade verleiht und bem Andern nicht, gehört nicht hieher, foubrrn in bem folgenden F., ber von der Vorherbeſtimmung und Onadenwahl handelt. Gor. bern bie Frage ift hier zu erörtern, ob wicht unter Bor- ausfegung ſolchen Sadjverhalts (ber bogmati[d) feftgebD die thomiſtiſche Unterſcheidung einer zureihenben unb wirl⸗ famen Gnabe zum Berftänbniß beffefben unumgänglich ers fordert werde. Die Antwort hierauf fann, wenn bad Borausgegangene wohl in Erwägung genommen wird, nicht ameifetpaft fein: jene Unterſcheidung erfcheint auch Bier überflüffig und anftatthaft. δάπδε bie Thatſache, daß Eini⸗ gen ble. Gnade Gottes bis zum endlichen Siege, zur Aus batter. in ber empfangenen Gerechtigkeit bis and Ende vet hilft, während Andere nidjt ausbamern, ihre Begründung lediglich in der Guabenmittfeilung; fo waͤre die tho⸗ miſtiſche Unterſcheidung zuläßig, ja nothwendig; liegt aber ‚ber Grund hievon zugleich in bes menſchlichen Fteithaͤ⸗

ton der gottlichen Gnade. “467

tigfeit, wenn aud) nicht principaliter, fe (ft derſelbe uns nöthig unb ungeeignet. IR bie Gnade, welche ben Einen pur Seligfeit führt, ausſchließlich ober fo wirffam, baf fie das Merkmal der Sufficienz von fi abweist, bann verhäft fid) der Menſch zu biefer Gnadenmittheilung nicht frei, und das Argument, bad ber abfoluten Prävefination entgegengefept zu werben pflegt: entweber bin id) praͤde⸗ finiet, dann wird mir nichts ſchaden, ij mag thun was id will, ober id) bin nicht präbefliniet, dann wirb mir nichts nügen, und ἰῷ fann folglich Hinfichtlich meines eigenen Verhaltens ganz forglos fein hat feine volle Be- rechtigung, und verbleibt (bm biefe fo lange ganz unges (ömälert, als das Merkmal ber Zulänglickeit nicht in den Begriff des donum perseverantiae ober ber präbeftinis tenden Gnade aufgenommen ift. Und umgefehrt, ift die wreihende Gnade, welche dem Andern zu Theil wird, nicht zugleich wirffam, fo ift fle entweber gar feine innere Gnade, oder fie ift diefes nicht wahrhaft, e8 fehlt ihr das wefentlihe Merkmal ihres Begriffs. Dies war, daß diefe gureidjenbe Gnabe bie Einflimmung des Willens niet bewirkt, ift allerdings als etwas Bactifches feſtzuhalten fonft würde der angenommene thatfächliche Unterfchieb, und fomit bie Vorausfegung, von der wir hier ausgehen, weg⸗ fallen; aber wie die Einwilligung im erſtern Falle prin» cipaliter von der Gnade herrührt, unb nift deſtoweniger eine freiwillige ift, fo rührt bie Nichteinwilligung im andern falle principaliter von bem Verhalten des Willens her, ohne baf die Gnade aufhörte, eine auf ble Einwilligung einwirfende zu fein 9.

1) Die Molinifien, denen zufolge bie Einwilligung gerade fo wie die Nichteinwilligung lediglich (m ber Willenbentſcheldung begründet if,

108 Die chriliche Lehre

Aus allem geht gleichwohl hervor, daß das zuerſt behandelte einfachere wie das eben beſprochene complicir⸗ tere Problem durch die thomiſtiſche Unterſcheidung einer zureichenden und wirkſamen Gnade auf eine ganz falſche Bahn geleitet ift, auf ber feine Löfung nicht herbeigeführt werben fanm. Auf bem Wege dagegen, den wir gezeigt haben, ftoft man allerdings auf eine Graͤnze, über welde die verftändige Grfenntni$ nicht hinausfommt, auf ein Geheimniß, das fie nicht bewältigt. Die Frage, wie ber Wille, beffen Einwilligung bie wirffame Gnade bes wirft, bennod) frei einwillige, unb wie bie Gnade, in bie der Wille nicht einmilligt, bennod) eine wirffame fei: biefe frage ift und bleibt unauflöslih. Aber fo foll es fein; das Geheimniß der Offenbarungslehre, auf welche der Geift benfenb eingeht, foll nicht aufgelöst wie von den Mor liniften geftiebt und ebenfo wenig verfefligt werden burd) hineingelegte, ſelbſtgeſchaffene Unbegreiflichfeiten wie ſolches bie präbeftinatianifche Gnadenlehre fid) zu Schul den kommen läßt fondern wenn das Nachdenken in Durchforſchung des Geheimniffes an jener Gränze ange Tommen ift, wendet fid) der menſchliche Geift zum Glauben qurüd, mit bem er baffelbe von vorneherein umfaßt hat.

Bas fhließlih noch die Frage betrifft, woher bie

fommem auch über die vorliegende Frage ohne Schwierigkeit hinweg. Die auf den göttlichen Willen zurüdgeführte Gnadenaustheilung ſtellen fie nämlich auf das göttliche Borherwiffen bes durch ben freien Willen eintretenden Verhaltens, ber Ginfiimmung ober Nichteinfimmung: es verleiht @ott das donum perseverantine nur benen, von melden er vorher weiß, daß fie einftimmen werben, benen dagegen, von benen et das Gegentheil vorher weiß, verleiht er baffelbe nicht; wogegen bie to» miften mit Recht diefe Bräfeienz als Vorausfepung des göttlichen Derrets zurüchweifen und bie Prädeftination als eine unberingte behaupten,

ton ber göttlichen Gnade. 109

Wirkſamkeit ber Gnade zu leiten fei denn was wir vorausſetzen, daß fie aus fid) (ex se, ab intrinseco) titt» fum fei, kann als bogmatifd) fefiftebenb angenommen wer» den, wiewohl mande Theologen dies als ein Theologu- menon behandeln möchten 1); fo ift es gewiß eine verfehlte Vorftellungsweife , wenn bie Thomiften von einer physica determinatio ober praedeterminatio nad) Bannes’ «Bor» gange reden unb fomit auf bie göttliche Allmacht bin» weifen; denn biefe ift gerade als das Princip ber goͤttli⸗ hen Nat u rwirkungen von bem Sprincip ber moralifden BVirfungen Gottes wohl zu unterfdjeiben (vgl. oben S. 1 X. 3). Daß der Wille als das natürliche Vermoͤgen des Guten unb Böfen ift, das ἐξ auf bie göttlihe Macht wrüdzuführen; daß er aber gut ift fowohl habituell als actuell, das ift etwas übernatürliches ſchon infofern als ber Menſch, wenn er felbft feinen Willen dazu beſtimmt, fió damit über die Natur feines Willens erhebt, nod) mehr aber infofern, ald Gott biefen guten Willen verur« fat, und muß dies aus’ ber von ber göttlichen Macht verſchiedenen göttlichen Gnade abgeleitet werden. Zwar iR aud) bie Gnade abfolut wirfjam zu benfen wie bie Macht; aber während das, was ber ollmádjige Wille Gottes will, naturnothwendig geſchieht, erfolgt das, was der gnädige Wille Gottes will nicht naturnothwendig, fone den zwar unfehlbar aber in moralifch freier Weile. Wenn die Thomiften ferner auf Gottes dominium supremum über den menſchlichen Willen hinweiſen, fo ift baffelbe freilich nicht zu laͤugnen, aber anderſeits aud) nicht zu verfennen,

1) 3.8. Tournely praelect. theolog. Tom. III. P. II. pag. 647 seqq.

Venet. 1736. 4. und nach ihm Liebermann instit. theolog. Tom. IV. p. 85 seqq. ed. 5. Mogunt, 1840 u. 9. .

uo DR qhriſiliche Seite

daß Gott die Herrſchaft über das von ihm Geſchaffene in Grmäßheit ber Ratur beffelben ausübt, fonft feßten wir den weltregierenden Willen Gottes in Widerſpruch mit feinem weltfepöpferifchen, b. b. Gott mit fid) ſelber. Die Greatur, bie er frei geſchaffen hat, regiert er nicht will türlif, fondern in Gemäßheit ihrer Natur, alfo unbe ſchadet ihres freien Willen.

Obwohl wir aber bie thomiftifche Vorſtellungsweiſe in den angegebenen beiden Punkten unangemeffen. finden, weil fle der Freiheit des menfhlihen Willens nicht bie gehörige Rechnung trägt und ftrenge genommen, biefelbe ausſchließt, (mas fie felbft aufs Entſchiedenſte beſtrit⸗ ten); fo dürfen wir uns bod nicht auf die Geite ber Gougruiften unb nod) viel weniger auf bie ber Moliniften fhlagen. Denn wenn bie leßteren den guten Willen nur infofern burd) bie göttliche Gnade bebingt fein Iaffen, als dieſe εὖ in feine Macht ftellt, gut zu fein, fo ſchließen fie bie Eoncurrenz der Gnade im Moment des Willensactes ſelbſt gänzlich aus und laͤugnen, daß fie aud) bie Einſtim⸗ mung beó Willens, das Wollen betoirfe, eine dogmatiſche Irzung, wogegen bie der Thomiften eine boctrinelle ift. Ihren zufolge ift e nicht bie eigentfümlide Natur unb Kraft der Gnade, ihre abfolute Wirkfamfeit, wodurch bet menſchliche Wille zum Wollen des Guten beftimmt wird, ſondern der Wille beftimmt fü) lebiglid felbft dazu. Es fent, populär geſprochen, biefelbe Gnade zweien geges ben werben, aber fie erreicht ihre Wirfang nur in Einem, weil nur dieſer ihr folgen will; oder bei einem unb dem⸗ felben Subjecte erreicht fie jegt ihre Wirkung, weil er jegt will, im einem andern Momente erreicht fie biefelbe nicht, weil er nicht will. Diefe Lehre, nad) welcher bit,

"von ber gHillden Gfobe . ff

Selbſtentſcheidigung des menſchlichen Willens im Momente derſelben (in actu secundo) unabhängig von ber Ginabe er» folgt, haben bie Gongruiften zu mildern gefuht ἢ". Zu diefem Behufe dachten fie ft den menſchlichen Willen ganz toneret, wie er in irgend einem Momente unter biefen bes fünmten Verhaͤltniſſen oder Umftänden eben aufgelegt ift. Diefes Aufgelegtfein entjd)eibet; wenn der rechte Moment gefommen ift, erteidt bie Gnabe ihren 3med, in einem andern Momente erreicht biefelbe Gnade ihn nicht. Diefe Vorftellung hat darin Recht, daß fle die Wirffamfeit der Gnade ald eine bem Willen gemäße darftellt und fo ben Gedanken einer phyſiſchen Determination, einer gegen bie moralifche Natur oder SBefdjaffenfeit des Willens laufen- den Einwirkung Gottes befeitigt; ihr fommt ferner zu Ratten, daß fie bie abfolute Wirffamfeit der Gnade infos fen nod juláft, als man fij unter ben unenblid) mannigfaltigen Stimmungen des Willens immer eine ben» fen kann, bie ber göttlichen Abſicht mit diefem Willen fo iu fagen entgegenfommt. Aber indem fie bod) im Momente der Selbftentfheidung die göttlihe Gnade birefte nicht wirfen läßt, fondern biefe allein dem Willen felbft zus fhiebt, fo erfhöpft fie ben in ber chriftlihen Lehre ente haltenen und allein confequenten Gedanken nicht, ben nämlich, daß bie göttlihe Gnade burdgángige Urſache des guten Willens fei.

Aus dem Angegebenen leuchtet klar hervor, in wels Ger Richtung die Wahrheit zu fuchen ift, unb vor melden

1) Witasse tractat. theolog. Venet. 1738. Tom. 1. p. 714 seqd. wo über die Syfteme ber Gongruiflen, ber Molinifen und Thomiften das Rothige beigebracht if.

2 Tre cider Ber ur τα φιιδιῆμε Gnd. fies mer δά a τινε ian Ξ πῖει more ay cxx, 3178 iex malt rcr sermmápibélis ($ 3) Xancuadumgem zm Einen tem ancor webs bes Per ma 3n τες

(Lex Eac 16x Bir amr. χοὸς fcre ven ter Bar lcickmemm, 2: m ah De.

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u.

Wecenfionen.

1.

Spicilegium Solesmense complectens Sanctorum Patrum scrip- lorumque ecclesiasticorum anecdota hactenus opera selecta e graecis orientalibusque et latinis codicibus publici juris facta curante Domno J. B. Pitra O. S. B. monacho e congregatione gallica, nonnullis ex abbatia Solesmensi opem conferentibus. Tomus primus in quo praecipue auctores saeculo V antiquio- res proferuntur et illustrantur. Parisiis, prostat apud Firmin Didot fratres institui Franciae typographos 1852.

Das Jahr 1852, fowie das ihm junádft voranges gangene Jahr 1851 find außerordentlih reid) am neuen Cntbedungen unb Mittheilungen auf bem Gebiete ber. alten chriſtlichen Literatur gewefen. Werke, bie man längft unb für alle Zeit verloren wähnte ober von deren einfligem Vorhandenfeyn man kaum eine dunkle Ahnung hatte, haben in ben verfloffenen zwei Jahren zum erftenmale das Licht der Welt mit Hilfe der Prefie erblidt, ober ſtehen eben in dem Begriffe, an das Tageslicht zu treten. Nach fo viden. Stürmen und Revolutionen, παῷ fo vielen Jahr⸗ hunderten, in denen „die ungezählte Reihe der Jahre und die Flucht ber Zeiten“ die unjerftórbaren Denkmale aus Metall und Quaderfteinen zerbrödelt und in Staub zer⸗

3 εοῖ. Duartalfgrift. 1853. I. Heft- 8

114 Pitra

rieben hat, finden fih in bem Staube ber Bibliotheten, in verborgenen Winkeln, in bie nie ober lange nicht ein Strahl des Tageslichts gefallen, alte vergilbte, von Motten und anberm Ungeziefer turdfteffene Manufcripte, deren Ent afferung und Enträthfelung das Privilegium einiger be vorzugten Geifter if. Dagegen gehalten ift es ein Caf, kaliforniſches oder auftralifhes Gold zu graben und au& zuwafchen, welchen mitzumachen Taufende und Zehntaus fenbe, ja bie Bevölferung ganzer Landftrihe Kraft und Eifer genug in fid) finden. Zu denjenigen nun, welde in dem abgelaufenen Jahre 1852 die Hriftlihe Litteratur mit neuen foftbaren Schägen bereichert Haben, bie man längft und für alle Zeit in dem Meere der Vergänglichfeit unters gegangen glaubte, gehört vor allen ber franzöfifche Bene diftiner von Solesmes, Dom Pitra, der den erften Band eines neuen Spicilegium erſcheinen läßt, welchem nod eine Anzahl weiterer Bände folgen werden, worin ber gelehrt SBenebiftiner „um zu ſchweigen von vielen Mittheilungen geringern Umfangs und Werthes, bie Werfe von mehr als hundertfünfgig Schriftftellern mittheilen wird, welde, fo viel man weiß, bis jept nod) nie herausgegeben wor den find.“ Auch der gelehrte und fromme Abt der neuen Benebiktinerftiftung von Solesmes, bie fo würbig in bie Bußftapfen der alten Mauriner eingetreten, denen unfer feliger Lehrer, Dr. Herbſt, in biefer Zeitſchrift (1833 —1834) ein ſchoͤnes Denkmal geftiftet hat, ift bem theologiſchen Publikum burd) mehrere verdienftvolle Werke befannt ge- worben. Der SBenebiftiner Pitra aber, ber eben ben erften * Band eined neuen Spieilegium hat erfcheinen laffen, gilt mit Recht als einer der verdienftvollften Gelehrten ber Ge⸗ genmart. Es find bis jet 6 „Spieilegia”, b. b. Samm⸗

Spicilegium Solesmense. 115

lungen neuer bis dahin nicht erſchienener Werke von Kirs chenſchriftſtellern erfdjienen; das des Dom Pitra ift bae fiebente. Merkwürbig genug find alle diefe „Spicilegia“ von Benebiktinern herausgegeben worben, welche dadurch der mehr als taufenbjáfrigen Aufgabe ihres Ordens, bie Erde unb die diriftfice Wiſſenſchaft zu eultibiren, im emi»

nenten Sinne treu gewefen find. Zuerft erfhien das,

„Spieilegium Dacherianum", von bem Benebiftiner d'Achery (1655 bis 1677) in 13 Quartbänden, nad Dupins Urs theil bie wichtigfte Sammlung bis auf jene Zeit. Das weite Spieilegium waren des berühmten Mauriners Mas bilon „Analecta vetera“, er(djienen in ben I. 1675—1689 in 4BändenFol. Daran ſchloſſen fid) die , Analecta Graeca sive varia opuscula graeca hactenus inedita, herausgege⸗ ben in Verbindung mit SBuget und Lopin von bem ebenfo berühmten Mauriner Montfaucon, Paris 1688. Die vierte derartige Sammlung ift der „Thesaurus novus Anecdoto- rum, Paris 1717, 5 Bde. Fol, von ben beiden Benebiftir nern Durand und SXartene. Bon benfelben Gelehrten erſchien einige Jahre nachher das fünfte Spieilegium unter dem Titel: „Veterum scriptorum et monumentorum histo- ficorum, dogmaticorum et moralium amplissima Collectio.“ Paris 1724 1733, 9 Bde in Fol. Das fehste Spiciles gium erſchien von unferm Landsmann, bem Beneiktiner Bernhard Bey von Melk unter bem Titel: Thesaurus anec- dolorum novissimus®, 1721 1729, 6 Bde in Fol. Der hohe Werth der Iegtern Sammlung, befonders für mittel- alterliche Theologie unb Philofophie wird in ber neuern Sit immer mehr anerfannt, und die berühmten „Monu- menta Germaniae*, von Perg, fowie bie großartige Patros logie des Abbe Migne, beffen unfterblihen Berbienften 8*

116 Pitra

befonberó Dom Pitra bie wärmfte Anerkennung zu Theil werden Iäßt, haben für ihre jeweiligen Zwede in bem „Thesaurus novissimus“ des Bernhard Pez reihe Aus— beute gefunden. Endlich als bie flebente Sammlung von »Anecdota^ erſcheint das „Spicilegium Solesmense^ des Dom Pitra, auf beffen unermüblide Thätigfeit bie Worte Montalembertd in feiner neueften Schrift befonders fid zu beziehen feinen: „auch bie SBenebiftiner find wieder erſchienen, demüthig fid neigenb über ben unaustilgbaren Surden, welche ihr Orden in allen Wiſſenſchaften, und in jeder Art des Ruhmes gezogen hat.“ Der vorliegende Band des Spicilegium, in groß Quart, beftebt aus 78 Sei⸗ ten Prolegomena, und zerfällt in 2 Theile, wovon ber erfte „opera autorum singularia“; ber zweite „Collectanea quaedam anecdota^ enthält. Es wäre intereffant zu hören, auf welchen feltfamen, oft wunderbaren Wegen Dom Pitra in den Θε[ feiner Anecdota gefommen; aber der Raum geftattet ung nicht, auf biefen Gegenftanb Hier einzugehen. Wir müffen und mit der Bemerfung begnügen, baf er befonder8 auf feinen wiſſenſchaftlichen Reifen burd) bie vers fhiedenen Theile von Frankreich, nad) Belgien, den Nie betfanben und England, fobann aus Italien feine foft baren Schäße gefammelt habe. In der Mittheilung berfefben hält er fadgemág bie chronologiſche Ordnung ein. Zuerft kommt Papins, Bifchof von Hierapolis, ber SBerfaffer des in neuerer Zeit fo viel befprodjenen Werkes: Explanatio ober interpretatio sermonum domini, λογίων κυρειακῶν Hr γησις, auf beffen von Eufebius bezeugten Einfältigfeit (σφόδρα γάρ τοι σμιχρὸς ὧν τὸν νοῦν, Euseb. H. e. IIl, 39) unfere modernen Kritifer al8 auf einem gar lieben Steden- pferde nad) Herzensluft herumtummeln. Das vielgenannte

Spicilegium Solesmense. t 17 unb vielvermißte Bud) des Papias war nod) im 12. abre funbert vorhanden, benn εὖ fagt ber gelehrte Menardus in feiner Gefchihte von Nismes, er habe ein Inventar der gut Kirche von Nismes gehörenden Güter gelefen, worin bie Worte ftanden: „gleichfalls habe ich in bem Klofter vorgefunden das Buch des Papias, das Buch ber Reden des Herrn, librum Papiae, librum de verbis Do- mini.“ Ja aus der Aeußerung des Trithemius über das Bart des Papias fónnte man vermutfen, daß baffefbe nof zu jener Zeit, am Ende des fehszehnten Jahrhun⸗ derts, vorhanden gewefen fei. Seit bem herben Urtheile des Eufebius über Papias gilt berfelbe allgemein als der Urheber des Chiliasmus, ober ber Lehre von bem fite baren taufenbjüfrigen Reiche, unb er foll aud) feinen Schüͤ— ler, ben b. Irenaͤus von Lyon in bie Gemeinfdaft feines Srtgumé verwickelt haben. Ueber ben Chilinsmus des Bapias vergleiche man befonders ben Auffap des Dr. Reiſchl „der Chiliasmus in ben erften drei Jahrhunderten“ in ber Hildesheimer Theologifchen Monatfhrift" von 1850, Seps temberheft. Anderer Anſicht darüber ift Dom Pitra. Er meint, ber ganze Chiliasmus des Bapias rebujire fid) auf Miverftändniffe des Eufebiug, ber dem Papias ohnebem "ijt gewogen gewefen, aud) benfelben mehr als gering» fhägig behandelt habe. Das Ganze beruhe auf dem my⸗ ſtiſchen Gebrauch gewiffer Ausdrücke ber heiligen Schrift bei Papias. Dann müßte man aber aud) faft alle gleich— zeitigen Schriftfteller der Kirche, befonders den berühmten "lito von Sardes, des Chiliasmus beihuldigen, von dem bod) Polyfrates von Ephefus bezeugt, daß er alles in dem heiligen Geifte getan habe. In ber befannten, big jet verlorenen, Schrift des Melito, „der Schlüffel“

118 Pitre

genannt, finden fif genau biefelben myſtiſchen Ausbrüde mit derfelben Grflárung. Zum erftenmale fat uns Dom Pitra in den „Prolegomena“ zu feinem erften Bande [αν teinifche Bruchſtuͤcke aus der erwähnten Schrift des Melito mitgetheilt, wornach biefelbe eine Art Erklaͤrung bildlicher Ausbrüde der heiligen Schrift war. Dom Pitra will biefe nod) nit erfchienene Schrift in einem fpätern Bande {εἰσ ned Spicilegium mittheilen. Man vergleiche -inbeg über die Aechtheit biefer Schrift den Schluß bes Artikels „Mes lito" in dem Freiburger Kirdjenlerifon von Dr. Hefele. Mas if es nun aber, was uns Pitra aus den 5 Büchern des Papias Neues mittheilt? Es if eine neue armeniſche und eine neue lateiniſche Meberfegung ber längern Stelle aus Papias, welche von Srenáué adv. haer. lib. V. cp. 33 mitgetheilt wird, und worin mit ben bilblihen Ausbriiden der Worte: vinea, palmes, botrus, vinum, triticum, spica, granum ber zufünftige Zuftand der Kirche Chriſti gefchil- dert wird. Nach diefem Fragmente des Papias hat und fBitra 3 neue Fragmente aus Irenuaͤs mitgetheilt. Durch das freundliche Cntgegenfommen der Beamten des britis fen Mufeums, befonders des gelehrten Eureton erhielt Pitra aus einem febr alten fyrifchen Gober aus bem 6. Jahr⸗ hundert zwei biß jet unbefannte Bruchftüde des Irenäus. Kerner erhielt ev burd) bie Güte des gelehrten Mechitari⸗ fen P. Gabriel Aizarousfi aus einem armenifhen Gober ein drittes bis jetzt ungebrudtes Fragment: bes Irenäus. Ein ganz merfmürbiger Zufall hatte εὖ gefügt, daß das “eine der beiden fyrifhen Fragmente feinem Inhalte nad zuſammenfiel mit dem armenifchen Fragmente des Irenaͤus. Das armenifhe Fragment hat die Meberfchrift „de Resur- reclione Domini“; es handelt von bem Ehriftus, als bem

Spicilegium Solesmense. 119

Träger und bem Herrn des Alten unb des Neuen Teſta⸗ menteó, ber von ben Propheten umb ben Evangeliften gleichmaͤßig bezeugt werde. Nur ift ba& armenifhe Frag⸗ ment größer, als das ſyriſche, obgleich das erflere wahr⸗ ſcheinlich aus dem legtern überfegt ifl. Das zweite fyrifche Fragment Handelt von der Hohheit, fowie von der goͤttli⸗ de und menfhlihen Natur in Chriſtus. Der Schluß dieſes fragmenta lautet: „berfelbe, welcher hinabgeftiegen iR in die Unterwelt, ift aud) emporgeftiegen über die Hims mel, denfelben umfchloß bie Krippe, welcher alles mit feiner Gottheit erfüllt; ber tobt war, und fiche, er lebt in Ewig⸗ feit, Amen." Berner theilt uns Dom Pitra eine wahrfdein« li$ von bem Magifter Florus verfaßte SBorrebe zu ben 5 Büchern bes Irenaͤus gegen bie Irrlehren mit. Bei biefer Gelegenheit verſpricht Pitra aud), er werde fpäter den Commentar des Magifter Florus zu den paulinifchen Briefen, foweit berfelbe bis jegt nod) micht erfchienen ift, herausgeben. In ber zweiten Abtheilung des Spicilegium finden wir nod) eine Homilie über bie Söhne des Zeber bius mit folgender Meberfchrift: „S. Jrenaeo ascripta ho- milia sive commentarius valde dubiae auctoritatis ex ho- miliario 'secundo.* Diefe Homilie ift einem armenifden ober ber Wiener Medhitariften entnommen, unb von bem erwähnten Gabriel Aizarousfi ins Lateinifche überfeßt wor⸗ den. Der Berfaffer biefer Homilie befämpft bie Arianer. Der dritte Schriftfleller, von welchem uns itta Neues mittheift, ift ein Anomymus mit feiner Schrift: „de so- lemnitatibus, sabbatis et neomeniis.* Pitra meint, biefet Anonymus habe gegen den römifchen Presbyter unb nad» maligen Häretifer Blaftus gefhrieben, an ben aud) Irenäus einen Brief „über bie Kirchenſpaltung“ ridtete. In biefer

120 Pitra

Schrift des Anonymus über bie Ofterfeier findet fid) [οἷν gende für ben Primat geugenbe Stelle: „quod nunc maxime ecclesia, auctoritatem sedis apostolicae sequens, observat. Auch eine Stelle von bem wahren Saframente des Leibes und Blutes des Germ findet fid) in biefer Schrift, welde nur in ber fateinijdjen Weberfegung eines urfprünglich grie⸗ chiſchen Textes vorhanden zu fen. (djeint. Sie beftebt aus 14 kurzen Kapiteln. Der vierte Schriftfteller des Epiciler gium if Murinus von Alerandrien, SBijdjof, von feinem der Alten, mit Ausnahme Alcuins, erwähnt, ber ihn aber Maurinus nennt. Pitra hat vergebens in den Katalogen der orientalifchen Biſchoͤfe nachgeſucht, welchen Bifchofefg Murinus eingenommen habe. SBielleict, meint Pitra, fei er, nad) der Gewohnheit ber Patriarchen von Alerandrien mehrere Bifhöfe als Gehilfen um fid zu haben, einer biefer Nebenbifchöfe eines Patriarchen gewefen. Das von Murinus Mitgetheilte ift ein SBrudjftüd einer omifie über das Ofterfefl. Als der fünfte Schriftfteller in dem Spici- legium folgt ber große und heilige Dionyfius, Patriarch von Alerandrien, in deſſen Lobe Eufebius von Cäfarea unerſchoͤpflich ift. Nach Eufebius und ben Spätern vers faßte biefer Dionyfius eine Schrift: „de poenitentia ad Cononem.* Der Bifhof von Hermopolis, Ariftenius, ein griechiſcher Ganonift, welcher fury vor Balfamon im zehen⸗ ten Jahrhundert blühte, hat einen furjen Auszug gemadt aus dem Fragmente, welches Pitra von ber erwähnten bis jet verlorenen Schrift des Dionyfius mittheilt. Das erwähnte Fragment des Dionyfius aber ift aus einem Ox⸗ forber Eoder. „In demfelben wird Jedermann, fagt Pitra, bie faft goldene SBerebtfamfeit des beften Zeitalters, bie φυτῷ bie Zierlicpfeit der Sprache nod) koſtbarere unb reir

Spicilegium Solesmense. 12

nere Lehre des fanftmüthigen Martyrers, übereinftimmend mit all dem, was fonft nod) von ihm vorhanden ift, bes wundern.“ Das Fragment handelt von ber Behandlung ber in Todesgefahr ſchwebenden Büßer, und if im grier chiſchen Urterte mitgetheilt. Ein zweites kürzeres lateini⸗ ſches Fragment fhließt fi) daran an, das (don griechiſch von bem Kardinal N. Mai mitgetheilt (Class. auct. T. X, pP. 484); und zugleich einem Briefe des Dionyfius Areos pagita von febr bezweifelter Aechtheit entnommen ift. Dio» nyfius von Alerandrien hat aud) eine Erklärung in Eccle- siastem verfaßt, bie aber ſchon zu Zeiten des Eufebius ijt mehr befannt war (Eus. VIL 26). Ein gewiffer Anonymus nun, bei welhem Pitra an Theodor von Mops⸗ tee denkt, von beffen Gommentar über den Prediger uns Pitra ein Bruhftüd mittheilt, hatte nod) ben Commentar des alerandeinifhen Dionyfius jur Hand, und führt, zum Behufe ber Widerlegung, eine Stelle aus bem Commen- tar des Dionyfius an. Inbeß findet fid) aud) dieſes Bruch⸗ (don in ber römifhen Ausgabe des Dionyflus von Merandrien vom Jahre 1796. Wir gehen nun zu dem fehsten Schriftfteller bei Pitra, zu bem chriſtlichen Dich⸗ ter Commodianus über. Ueber das, was Pitra von Com⸗ mobian unb von Juvencus Neues gegeben u. f. m. haben wir fon gefproden in bem Sreiburger SKirchenlerifon unter ben 9f. ,Gebuliu&" und „Severus“, der Kürze wegen wollen mir aud) bie Lefer auf das dort über das Zeitalter, das Vaterland "ς., des Gommobian Gefagte ver⸗ weiſen. Gommodian war wahrſcheinlich ein -afrifanifcher Biſchof, und wird zuerft von Gennadius erwähnt, der fid) über feine ſchriftſtelleriſche Thätigfeit fehr geringfhägig ausſpricht. Pitra macht εὖ wahrſcheinlich, daß Gommobian

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zu Zeiten des Kaiſers Decius geblüht habe, obgfeid) man, ba in feinem Gedichte von Cäfarn ober Unterfaifern bie Rede ift, auch an die Zeiten bes Diocletian denken fanm. Bis jegt δείαβ man von Gommobian ein Werf mit dem Titel: Instructiones adversus gentium deos, beftehend aus 80 fleinen Abfehnitten, und im Ganzen aus 1258 Verfen (bei Signe Patr. Band V.). Pitra fand in Enge land neue Gedichte, denen zwar ber Name des Commor dian nicht beigefegt ift, bie aber nad? Sprache und Inhalt kaum einen andern Verfaffer haben fónnen, als ben Eom- mobian. Diefes neue Gedicht des Gommobian befteht aus 1021 Verfen, und Pitra hat bemfelben bie Ueberſchrift gegeben: Commod. ep. africani, Carmen apologeticum ad- versus Judaeos et gentes. (ὅτ meint, während die früher befannten Verſe befonders gegen die Heiden gerichtet ger weſen, beziehen fid) bie neu entbedten befonders auf die Juden, beren es in Afrifa eine fehr große Zahl gegeben habe. Wir erlauben uns hier eine andere Vermuthung auszufprechen: wir glauben, bie neu entbedten Verſe feien nur eine andere, vielleicht frühere, vieleicht fpätere Bear beitung eines unb befjelben Inhaltes.

An biefe Verſe des Gommobian [djiefen fij) reich: lide neue Mittheilungen aus bem verloren gegangenen Schriften des Bifhofs unb feit 1851 „Kirchenlehrers“ Hilarius von Poitiers. Unfere géfer werden ohne Zwei⸗ fel mit uns in dem Gedanfen zufammentreffen, bag Faum etwas mehr zur Erhebung unb zum Ruhme des neuen „Kirchenlehrers“ Hilarius beitragen fonnte, als bie Ent bedung neuer foftbarer Schriften beffelben. | Darüber fpricht fid) Pitra eben fo fhön als wahr aus (p. XXVL bet Prolegomena). „Ein glüdlihes oo hat εὖ gefügt, daß

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m berfelben Zeit, in welcher 'auf bie Bitte des Concils von SBorbeaur, dad Defret SBabft Pius IX. dem chriſtlichen Erdkreis verkuͤndete, daß der heilige Hilarius von Poitiers, in Folge Beſchluſſes des apoſtoliſchen Stuhles, in der ganzen Kirche die Ehre eines Kirchenlehrers genießen ſollte, zu dieſer Zeit alſo, durch die Gnade Gottes, ein herrliches Bar eines fo großen Lehrers fid) in meinen Händen bes fand, yäamlicy defien Gommentar über bie vierzehn Briefe des Apoſtels Paulus, ber jept, foweit derfelbe noch nicht befannt ift, an bie Deffentlichfeit treten fol." Den Gom» mentar des Hilarius fennt nod) das zweite Concil von Sevilla, das unter dem berühmten Sflbor von Sevilla ger halten wurde; ja nod) Johannes Veccus ober Beccus, SBatriard) von Eonftantinopel, und flandhafter SBertfjeibis ger der Union mit ben Lateinern blühte um 1275 hat eine Stelle aus dem Kommentar bes Hilarius citirt. In der öffentlichen SBibliotbe von Amiens fand fid) ein aus ber Bibliothef von Alt» Corvei dahin gefommener Eoder mit ber Meberfehrift: Incipit tractatus sancti Ámbrosii in epistolis beati Pauli ap., beftehend aus 2 Bänden. Der erſte Band enthält ben Gommentar des fogenannten Ambro⸗ fafter über die drei erften pauliniſchen Briefe. Der Inhalt diefer Gommentare fhien bem Dom Pitra im Ganzen übereinguftimmen mit den unter dem Namen des Ambros fiafter gebrudten Gommentaren über bie erwähnten 3 Briefe. In bem zweiten Bande des Gober von Amiens fanden bie Gommentare zu ben übrigen pauliniſchen Briefen, mit . Ausnahme des an bie Hebräer. Der Inhalt biefer Gom» mentare nun ift total verjdjieben von bem befannten bes Awmbroſtaſter über biefelden übrigen pauliniſchen Briefe. Der gelehrte Motel glaubte in dem Afrikaner Tichonius

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ben Berfaffer ber in Rebe fichenden Gommentare gefuns ben zu haben, und ein Mauriner in der Literaturgefehichte von Frankreich (Bd. ΧΙ. Avert. VI) glaubte fo feft daran, daß er fagte: „Endlich ift der Achte SBerfaffet des Com⸗ mentaré entbedt worben, welder unter bem unterfhobenen Namen des Ambrofius herumgetragen wird." Die über geugenden Gründe nun, aus denen Pitra zu beweiſen fudt, daß Hilarius ber gefuchte Verfaffer jener 10 pau- linifchen Briefe des Gober von Amiens fei, muß man in feinen Prolegomena felbft nadjfefen; denn eines gebräng- ten Auszuges find fie faum fähig (1, c. €. XXVL bie XXXV). In dem gegenwärtigen 1. Bande hat uns Pitra aus dem Gober von Amiens den Gommentar zu bem Galater » und Epheferbriefe vollftändig mitgetheilt, fowie den Gommentar zu bem paulinifchen Briefe an Philemon. In legterm Commentar hat Hilarius befonders eine vors treffliche Auseinanderfegung des Berhältniffes zwiſchen Herrn und Sklaven gegeben. Seine Worte pafjen, nad Pitra, aud) heute nad) 15 Jahrhunderten fo, als ob fie aus unb über die Gegenwart gefehrieben wären. Von ben Gom» mentarien zu ben übrigen 7 paulinifdjen Briefen hat Pitra „lectiones quaedam et loca edilis addenda* herausgege- ben. Wie fij der ſchon im 9. Jahrhundert in boppelter Verfion vorhandene fogenannte Ambrofiafter zu ben Bries fen des Hilarius verhalte, hat Pitra in ben Proleg. einis germaßen ausgeführt. Doc ift ect von der Zufunft eine vollfommene Ausfheidung ber Beftandtheile der verſchiede⸗ nen Gommentare zu erwarten, welche unter bem Namen des Ambrofiafter vorhanden find. Ueber bie Mittheilung ber oben angeführten Gommentare von Hilarius in bem vorliegenden Spieilegium ſpricht fid) SBitra alfo aus: „An

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bie erfte Stelle haben wir bie vollftändigen Abhandlungen zu den Briefen an die Galater und Ephefier gefebt, welche, foviel wir wiffen, bis jet Niemand herausgegeben hat; mit Ausnahme weniger Fragmente bei anfranc (in beffen paulinifhen Briefen), welche wir jevesmals in den Noten angezeigt haben. Dann haben wir in Betreff der 7 uͤbri⸗ gen Briefe dasjenige ausgezogen und mitgetheilt, was Slabanué Maurus ausgelaffen hatte. Was wir aber in ben Werken des Rabanus (biefe Werke find gleichfalls im Jahre 1852 in 6 Boden als Fortfegung ber Patrologie des Abbe Migne erfhienen) als Auszüge ‚des Ambrofius gefunden haben, ift alles fo entftellt und verborben, daß wir (ὁ für unfere Pflicht gehalten haben, biefen Tert nad) Kräften zu verbeffern, indem wir bie vorzüglichen Lesarten des Eoder von Eorvei ausgewählt haben: fo fam εὖ, daß beinahe bie Hälfte ber Abhandlung über Titus ans Licht getreten ift. Zuletzt haben wir bie Erflärung des Briefes an Philemon ganz mitgetheilt, welde eine Vergleichung mit der Erklärung beffelben Briefes durch Hieronymus nicht zu [deuen hat. Den Verluſt der Erklärung des Brieſes an bie Hebräer, weldje Hilarius gleihfalls Hinter laffen hat, werden wir einigermaßen verſchmerzen fönnen durch ben SBefi des Auszuges, den Primafius davon ges macht hat." An biefe Werke des Hilarius fließen fid) 2 weitere exegetiſche Mittheilungen an, von denen bie erfte überfehrieben ift: „Ejusdem Hilarii fragmentum commentarii cuiusdam in prima geneseos capita; εὖ ift eine Erflärung von. Geneſis III, 6. Sod hat. Pitra über bie 9fedtbeit diefes Fragmentes fein fiheres Urtheil. Es folgt ein zwei · tes Fragment aus einem dem Hilarius mit Unrecht zuge⸗ ſchriebenen Gommentare über bie Palmen; denn bet Ver⸗

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faſſer erwähnt bie Schriften des Areopagiten. Sodann folgt eine Anzahl von (114) Verfen „über das Evangelium“, welche „vemfelben oder einem andern Hilarius“ zugefährier ben find. Der adte Schriftfteller unfers Spicilegium ift Biſchof Rheticius vom Autun, ber aber mur mit einem gang Keinen Bragmente vertreten if. Rheticius war in dem Donatiftenftreite einer ber Vertrauensmänner der Katho⸗ lifen, und wird von Auguftin und Hieronymus mehrfach erwähnt. Er fehrieb einen Commentar zu bem hohen Liebe, auf welden Hieronymus fehr übel zu fpredyen if. Ein Bruchftüd von einigen Zeilen, das und hier Pitra mittheilt, und ein Bruchſtück, das und Auguſtin erhalten hat, ift alles, was bis jebt von Rheticius das Tageslicht erblict hat. „Möchte bod, fagt Pitra, diefes hinreichend feyn, daß unter ben zahlreichen handfehriftlichen Gommentaren zu bem hohen iebe, die ohne Namen unbeachtet daliegen, „aliquis emunctae naris homo Rheticii nostri^ grande volumen „tandem inveniat ^ Der 9. Schriftfleller des Spicilegium, und zugleich ber legte ber erften Abtheilung dieſes Ban des ift der chriſtliche Dichter Gaju& Vectius Aquilinus Ju⸗ vencus. Bon biefem fpanifhen Priefter und Dichter beſaß man bis jegt „4 Bücher evangelifdje Geſchichte“ z und bit befte Ausgabe ift von p. Arevalo, Rom 1792, dem Freunde und Gehilfen des großen Kardinals oremjani, Sodann befaß man von bemfefben eine bichterifhe Umſchreibung des I. Buches Mofis von beftrittener Aechtheit, beſtehend aus 1441 Herametern, wozu Pitra nod) 54 weitere Berfe gefunden hat. Sodann fand Pitra des Metrum in Exodum b. B. eine dichteriſche Umſchreibung des II. Buches Moſis, welche jebod) bedeutende Lüden hat, unb, fo wie fie gr brudt it, 1392 Verfe enthält. Weiter theilt Pitra 586 Verſe

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der Umfchreibung des Buches Joſua mit. Sodann: in Leviticum, Numeros, et Deuteronomium selecta fragmenta, im. Ganzen 1204 Berfe umjaffenb. Pitra vermuthet, Ju⸗ vencus habe feine „Metra in Heptateuchum* zur Zeit des Kaifers Julian verfaßt, als ben Ehriften ber Gebraud) der heidnifchen Schriftfteller verboten war. Er fagt ferner: (prol. p. 41). „Juvencus ift wohl ber einzige von allen chriſtlichen Dichtern, welcher fomobl das alte, ald das neue Teftament (denn ich glaube, daß er die ganze heilige Schrift behandelt hat) mit gleicher Sorgfalt bearbeitet Dat." 9lad den ,selecta fragmenta“ des. Juvencus folgen nod) 3 Seiten p. 259— 261 altdeutfche Gloffen zu ber evan- geliſchen Gefhichte des Juvencus. Und damit fehließt bie erſte Abtheilung diefes Bandes.

Der zweite Theil geht in fortlaufenden Seitenzahlen von ©. 205 bis 595. Er enthält Golleftaneen, oder Aus- füge und Sammlungen, welche fpätere Schriftfleller aus frühern Schriften zu gewiflen Zweden gemacht haben. Diefe Eolleftaneen entftanden zuerft zu dem Zwede, um Ipätere Härctifer burd) bie Zeugniffe früherer Väter zu widerlegen. Das erfte Beifpiel einer folhen Sammlung von Eitaten tritt uns im ber erften Sigung ber Synode von Ephefus 431 entgegen (Mansi conc. T. IV. 690). Daffelbe that Leo I. in feinem erften Schreiben an Flavian, und in feinem zweiten an ben Kaifer eo. Damit ftebt in Zufammenhang das fogenannte Decretum Gelasianum, welches bie fird)lid) zu billigenden, und nicht zu billigen» den Bücher aufführt. Die Sitte wurde bald eine allges meine, maffenhafte Eitate ber Väter über einen beſtimmten Gegenftand neben einander zu ftellen. Don ben erwähn« ten Golleftionen oder Sammelwerfen hat uns Pitra in

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feinem 2. Theile 3 Sammlungen miigetheilt: bie Scholien des Victor von Gapua; eine Sammlung des Johannes Diafonus und eine dritte Sammlung von bem B. Nice phorus. Viktor, Bifhof von Gapua, war ein Zeitgenofie des Caſſtodor. Er. verfaßte nad) Trithemius 5 Werke: bie Evangelienharmonie des Ammonius von Alexandrien überfegte er in das Lateinifche, und gab einen Oſtercyklus heraus, ben er bem von Bictorinus von Marfeille ange fertigten Cyklus entgegenflellte. Berner ſchrieb er, nad Pitra, „Scholia in Genesim*, nad ber Weife der Scho⸗ lien des Origenes, bie er aus frühern Vätern jufammene ftellte. Seine Quellen, aus denen er auszog, waren qu ετῇ Polykarp, aus beffen Buche: Liber responsorum, über deffen Aechtheit natürlich ftatfe Zweifel obmalten, SBiftor 2 Fragmente mittheilt, die bei Pitra in erfter Linie fteben. Es folgen fobann aus Drigenes 6 Heine Fragmente, wie überhaupt die folgenden des Viktor unb Johannes in las teinifeher Ueberſetzung; bie Bragmente beziehen ftd) auf Stel: len im I. und IL Buche Moſis und find aus verlorenen Schriften des Origenes entnommen; aus einem Buche deffel» ben περὶ φύσεων, einem Buche: de Pascha; einem Briefe „ad Gobarum“, unb zwar brei von biefen 6 Fragmenten, end» lid) einem Briefe an Girmilian von Gáfarea. Ein kurzes fragment ift aus einer verlorenen Schrift des Baſilius von Cäfarea entnommen, ein anderes aus ben befannten Homilien des Severian von Gabala zu bem Gedétage werk, das aber, wie wir wenigftend vermuthen, in bem griechiſchen Urtert noch vorhanden ift, unb Hier nur in freier Weberfegung vorliegt; folgt fobann ein Feines Bruch⸗ füd aus bem Buche: Sermones seniorum. Dagegen werden uns 322 Sragmente aus den Scholien des Diodor

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von Tarfus in Exodum mitgetheift. An bie Sammlung des Viktor von Gapua fehließt fid) die des römifhen Dia« lon Johannes, nad) einigen bes fpätern Papſtes Johan⸗ nes II. Sie trägt ben Titel: Expositum Johannis in Heptateuchum ift alfo gleichfalls eregetifchen Inhalts. Ber aber ift biefer Sofanneó unter 9 Männern dieſes Namens? Nach Pitra Johannes IM, römifher Papſt von 560 573. Die Auswahl der von ihm angeführten Aus⸗ zuͤge früherer Väter ift reichhaltiger, als bie des Viktor von Gapua; er bringt größere ober geringere Auszüge aus Clemens von Rom, aus dem vorhandenen erften Briefe an die Corinther, und aus einer Anzahl anderer Kirchen« väter; zum Theil ganz neue Stellen, zum Theil (djon vor« handene Stellen in einer alten Ueberfegung. Aus bem Oftercyklus des Viktor von Gapua giebt Johannes einen größern Auszug. Bolgt fobann der f. Nicephorus, Patriarch von Gonftantinopel 806 unb Hauptgegner ber Bilderſtuͤr⸗ mer, von befjen Werfen bis jet feine vollftändige Aus- gabe vorhanden war. Diefe Ausgabe aber erſcheint in biefen und in ben folgenden Bänden des Spicilegium. Durch ein eigenes Schidfal wurden die Schriften unfers Nicephorus von ben fpätern Griechen bem Theodor Grape tus zugeſchrieben. Pitra hat einen vortrefflihen Eoder des Nicephorus in der Parifer, jebt Faiferlichen Bibliothek gefunden, welcher die ‚Grundlage feiner neuen Ausgabe geworben. Die Schriften des Nicephorus aber find: 1) „de immaculata christianorum fide", 2) „antirrhetici libri tres“, gegen ben Kaifer Eonftantinus Copronymus, ober „Widers legung und Vernichtung der leeren Einbildungen, welde der gottlofe Mamonas (fo nennt er ben Kaifer) gegen die Heilbringende Menſchwerdung des Wortes Gottes ein» eol. Duartalfrift. 1858. I. Heft. 9

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fältig und gottlo8 ausgefprodhen hat.“ An blefe 3 Bücher fließen ſich „achtzig Seugniffe der Väter", welche in dies fem erfen Bande des Spicilegium ſtehen. Theilweife find diefe Zeugniffe in ben Lect. ant. von Basnage lateiniſch erſchienen. Die dritte Schrift des Nicephorus ift ber „Antirrheticus duplex contra Eusebium et Epiphanium‘, beffen erfter Theil, ber Antirrhetifus gegen Eufebius, gleiche falls in biefem erften Bande des Pitra fteht. Es ift eine fehr weitläufige Widerlegung eines Briefes des Eufebius von Caͤ— farea an die Gonftantia, bie Schwefter des Kaifers Conſtan⸗ tin. Die vierte Schrift des Sticepforue ift: Antirrheticus liber de Magnetis testimoniis, welche fid) gleichfalls in unferm erften Bande befindet. Die fünfte Schrift. trägt ben Titel: „Ein Bud) gegen bie Gott[ofen, welche e8 gewagt haben, das Bild Gottes ein Goͤtzenbild zu nennen" u. ſ. w. Man ftebt, daß diefes Werk gegen bie Bilderftürmer gerichtet ift. Das ſechste Werk des Nicephorus ift gleichfalls gegen bie Bilderſtuͤr⸗ mer, unb zwar gegen bie von Kaifer Leo bem Armenier berufene Aſterſynode gerichtet; Beftandtheile daraus hat Eombefis mitgetheilt. 7) Gedichte von Nicephorus, mit der Meberfchrift „de jejunio monachorum^ find nur durch das Zeugniß eines einzigen oder beglaubigt. 8) Auch bie von Nicephorus erfchienene Sammlung von Ganoneé bedarf mod) einer neuen beridtigten Ausgabe. 9) Zwei Briefe von Nicephorus; leider find fehr viele Briefe deſ⸗ fefben verloren gegangen. 10) Die Hiftorifhen Werke des Nicephorus wurden zwar öfter gebrudt; bod) ermangeln fie bis jeßt einer genauen und vollftändigen Ausgabe. Die: Chronologia brevis nebft ber Stichometria, ift fiebenmal griechiſch ober lateiniſch gebrudt morben, wovon breimal im Gefolge ber Byzantiner, unb neulich durch Dindorf,

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deſſen Ausgabe indeß Grebner in Gießen febr mangelhaft nannte. Dieſes Geſchichtswerk des Nicephorus reicht von Erfhaffung der Welt bis zum Jahr 828. Ein ans deres Geſchichtswerk it: 11) Breviarium historicum, geht vom Jahr 602, oder von bem Kaifer Phofas bis zum Jahr 770, und wird den meiften andern Byzantinern vor⸗ geyogen, nur eine allzu gebrängte Kürze an demfelben ausgefegt. Es ift herausgegeben worden burd) Petavius 1616; mit den byzantinischen Geſchichtsſchreibern Paris 1648 und Venedig 1729; endlich in ber neuen Bonner Ausgabe der Byzantiner burd) SBeffer 1837. In Ber ziehung auf das Leben des Nicephorus befigen wir von einem feiner Schüler, Ignatius, das Werk: Acta sancti ' Patriarchae, in welchem widiige Aktenftüde enthalten find, + 9. eine Collatio de sanctis imaginibus, melde der Pas triarch oͤffentlich mit dem Kaifer hielt, welche Collatio fid) «ud bei den Bollandiften in dem Leben dieſes Heiligen findet 13. März. Diefe verfdiedenen Werke des Ricephorus follen mun zum erfen Male in einer Ge- fammtausgabe von Pitra erfheinen, natürlich mit Beifügung tinet befonders ſchwierigen lateiniſchen Ueberfegung. Damit hat er bereits in biefem Bande ben Anfang ger macht durch. bie Herausgabe der oben genannten 3 Werke, Bor diefer Thätigfeit des Dom Pitra wird man um fo mehr Refpelt befommen, wenn man von ihm vernimmt (Prol. p. 76) daß er bei ber Herausgabe ber Patrologie Abbe Migne vorzugsweife betheiligt, daß er bie Ausr wahl der Ausgaben und die Reihenfolge der einzelnen Berke (fowie, wo εὖ nöthig war, bie neuen Ausgaben) beſorgt Habe. Als et biefe Zeilen fd)rieb, waren von der Patrologie. 115 Bände erſchienen, heute befipen wir deren 9*

192 Pim. 7^

fon 124, welche bis zum Ende des 9. Jahrhunderts reichen. Weiter fügt Pitra hinzu: „Neque etiam is ego sim, his laboribus exantlatis, qui audacter asseverem me, aut dum nova profero, non decipi, quod eruditissimis antecessoribus meis plus semel accidit, aut in edendis hisce anecdotis optimum semper codicem ac omnium semper integerrimum adinvenisse.^ Den erwähnten neuen Mittheilungen des Pitra in biefem feinem erften Bande, welche mit bem reichften gelehrten Apparate verfehen find, fliegen fij am Ende des Bandes nod 6 appendices und 6 indices an. Der erfte Appendir enthält eine (don erwähnte bem Irenaͤus zugefehriebene Homilie. Der zweite fehr werthuolle Appendir enthält bie „Fragmenta versionis coplicae libri synodici de I. concilio oecumenico nicaeno, welche Fragmente zum erften Male von Georgius Zoega aus dem borgianifhen Mufeum herausgegeben wurden, jet zum zweiten Male erfcheinen cum emendationibus et notis et versione latina plane nova herausgegeben von Carl Lenormant, Mitglied des Inſtituts. Diefe neue Mittheilung und Weberfegung der koptiſchen Fragmente des alten Nicäner Goncilà ift um fo wertpooller, als bie Ausgabe des Zoega beinahe verſchwunden, und faum mehr ein Exemplar derfelben aufzutreiben if. Der Akademiker Senormant hat in ben Verhandlungen ber Afademie das Toptijde Bragment des Nicäner Eoncils [don ausführlich bearbeitet, und theilt uns Bier mur einen Auszug aus feiner größern Arbeit mit. Das Foptifhe Fragment ber ftebt aus 4 Seien. Für unfere Lefer wird befonders ein Verzeichniß der in Nicka anmwefenden- Bifhöfe inters effant feyn, das fid) in diefem koptiſchen Fragmente findet. Aus Aegypten waren 15 Bifchöfe anwefend, welde mit

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ihren Sigen angeführt werben, darunter ber nachher ver^ bannte Secundus aus Ptolemais. Aus beiden Lybien waren 6 Bifhöfe anmefenb. Wir finden aber weder unter biefen nod) unter ben voranftehenden Biſchoͤfen ben Namen des Arianers Theonas von Marmarica. Aus Spaláftina waren 19 Bifhöfe antvefenb, darunter Asclepias von Gaza und Eufebius von Cäfarea; aus Phönizien 12 Bifhöfe. Aus bem untern Syrien fanden fij 14, aus dem obern.9 Bifchöfe ein; aus Arabien 6 Bifchöfe, nämlih von SBofita, Philadelphia, Jabruda, Goboma, Batanen und Dionyfias. Aus Mefopotamien waren 5 von Gbeffa, Nifibis, Rhefana, wohl bem Rheſee der Bibel, Süacebonopolió und (Perfis) Bifhöfe; aus Eilicien eilf; aus Gapabocien adjt anwefend. Aus Großarmenien werden sir, aus Kleinarmenien zwei; aus Pontus drei; aus bem Bontus Polemoniacus drei; aus Paphlagonien drei; aus Galatien fünf; aus ber Provinz Afien ſechs; aus Lydien acht; aus Phrygien fieben; aus Pifidien zwölf; aus Lycien wei Bifchöfe angeführt. Noch ftebt Pamphylien mit 7 Biihöfen; hier aber ift das Verzeichniß leider abgebrochen, fei e$, wie ber Herausgeber fagt: „injuria temporis, vel potius christianae pacis inimicorum.* Die Angeführten maden zufammen 166; und es fehlen zu ben 318 nod 152, deren Sige wir befonderd in Europa, unb zwar in den europäifhen Provinzen des morgenländifchen Reiches zu fuden haben. Daß Hoftus von Gorbuba bem Goncil präfidirte, ift befannt. Das Alter diefer Foptifchen Ueber⸗ fegung feßt Lenormant theilmeife nod) in bie Zeit Gonftantin des Großen, theilweife in bie feines Sohnes Eonftantius. Der dritte 9lppenbir in unferm Spicilegium ift ein Excursus in Commodiani carmen apologeticum novis curis emendatum ;

434 Pitra Spicilegium Bolesmense.

der vierte Appendir enthält eine Ueberſicht und Auszüge der SDiffertationen des Magnus Erufius über den myfleriöfen Hriftlihen Schriftfteller Magnes, mit Zufägen bed Dom Pitra. Der fünfte Appendir enthält eine Sammlung von Erflärungen der berühmten griechiſchen Inſchrift von 9futun, woran fid) aud) zwei deutfhe Gelehrte, Windiſchmann in Münden, und Franz in Berlin, verfuht haben. Der ſechste Appendir des Pitra enthält Zufäge unb Verbeſſe⸗ rungen zum erften unb zum zweiten Theile. Diefen Appens dices folgen bie vortrefflihen ſechs Indices, in deren Ans fertigung, wie befannt, die alten Mauriner eine fo große Ausdauer und Sertigfeit Defafen. Man benfe nur an die vortrefflihen Indices zu den Schriften des 51. Auguſtin. Der erfte Inder des Dom Pitra ift eine Angabe der in feinem Spicilegium vorfommenden Stellen ber 5f. &drift. Es folgt fobann ber Index auctorum, quorum opera vel loca insignia in hoc tomo novam ad lucem, proferuntur aut illustrantur. Daran [djieft fid) 3) ber Index rerum et sententiarum. Es folgen 4) ein Index glossarum; 5) ein Conspectus rerum praecipuarum, quae in pro- legomenis, notis et appendicibus exiguntur; enblid) 6) ein Elenchus rerum, quae in tomo 1. Spicilegii Solesmensis continentur. Dom Pitra fehließt feine Prolegomena zu diefem Bande mit ben Worten: „Möge diefes ber einzige Kohn meiner "Arbeit feyn, daß biefelbe, fo gering fie aud) ſeyn möge, ber Kirche, ber Säule und Grundfefte ber Wahrheit, gefalle; freudig unterwerfe id) ihrem Urteile alles, was je von mir herausgegeben worben ift, bereit alles dasjenige zu verbeffern unb zu widerrufen, was fie mid) verbeffern unb widerrufen heißt." Wir aber fließen dieſe Anzeige mit dem lebhaften Gefühle der Bewunderung

Ficker, Reinald v. Daffel, Meichöfanzler von Köln. 135

und bed Dankes gegen biefen Mann und biefem Orben, ber burd) alle Jahrhunderte folhe Männer in feinem Schooße genährt unb gepflegt hat.

38. Game.

2. Heinald von Daſſel, Reichskanzler und Erzbiſchof von Köln 1156—1167. Nach ben Quellen dargeftellt von Iulius Siker. Köln 1850, VIL 152 €, 8, Pr. 45 fr.

Der Kirhenfürft, befen quellenmäßige Darftellung fi 9. Ficker zum Gegenftanbe feiner Unterfuhung ger mat hat, ift fo innig mit der erften Regierungsepodhe Friedrichs 1. verflochten, daß biefelbe ohne bie genauere Kenntniß des Charakters unb ber Thätigfeit jenes nicht tihtig gewürdigt werden fann. Von bem an bem rechten Ufer der Wefer reich begüterten Gefchlechte der Grafen don Daffel abftammend unb auf der Stiftöfchule zu Hils desheim gebildet, befleidete Reinald feit bem Jahre 1149 die Stelle eines Dompropſts an ber genannten Kirche, mit welcher er bald noch mehrere andere Würden vers einigte. Nachdem er (don vorher von Friedrich L zu Stantsgefchäften verwendet worden zu fein ſcheint, wurde er von bemfelben wahrfheinlih im Jahr 1156 zu bem wichtigen Amte eines Reichskanzlers befördert. Von welcher ÜBebeutung biefe Wahl für Reich unb Kirche jener Zeit war, dürfte ſchon von vorneherein aus ber Hinweifung auf den Charakter diefer Perfönlihfeit erhellen, welchen der H. Verf. ©. 12 f. alfo fdilbert: „Durchdringender Verftand, großer Scharffinn, Gewandtheit, Schlauheit und Vorfiht, verbunden einerfeits mit glängender Berebfamfeit

136 Wider, Reinald v. Daffel,

und wiſſenſchaftlicher Bildung, andererſeits mit einer aus dauernden und unermüdlichen Thätigfeit, machten ihn zur Leitung der Stantögefhäfte geſchickt, und wie bie Beber wußte er aud) das Schwert zu handhaben; an ritterlichem Sinne, an Unerfchrodenheit und perfönlicher Tapferkeit, an Abhärtung gegen bie Mühen und Befchwerden bes Kriegslebens gab er feinem feiner Genoffen etwas nad. Laſſen fid) Härte gegen Beſiegte, verlegender Stolz gegen Gleichgeſtellte nicht làugnen, fo wußte er andererfeits durch Milde und Leutfeligfeit und burd) eine unbegrenzte Frei⸗ gebigfeit bie Untergebenen zu gewinnen. Seine Enthalt- famfeit wird gerühmt in einer Zeit, wo ein ausſchweifen⸗ ber Lebenswandel bei weltlichen wie geiftlihen Großen feine Seltenheit war; felbft feine Beinde, bie ben Schis— matifer aufs Heftigfte angreifen, wagen es nicht, fein Privatleben anzutaften. Die Hauptleidenfchaft aber, bic ihn beftürmte, fdeint vor Allem ein ungemeffener Ehrgeiz gemefen zu fein, beffen höchfte Befriedigung er im Siege feiner Parteianſichten fuchte; bie weitere Darftellung wird zeigen, wie er fein Mittel fdjeute, das zu biefem Ziele führen fonnte, wie fein ftofjer und unbeugfamer Geift ihn vor Feiner Confequenz bes einmal gethanen Schrittes zur ruͤchſchrecken ließ. Wenige feiner Zeitgenofien waren mit größeren Mitteln ausgeftattet; er war eine Perfönlichkeit, die ihres Einfluffes auf ben Gang der Begebenheiten fiber fein mußte, zumal in einer Zeit, wo bie Vermittlung ihr Ende erreicht zu haben, und Alles auf Löfung durch offenen Kampf hinzudeuten [dien." So war fer Mann beſchaffen, welcher ‚nit blos mit aller Energie in ben Plan Friedrichs L, den antifen Abfolutismus mit ber Idee des chriſtlich⸗ germaniſchen Kaiſerthums zu vermiſchen, eine

Reichskanzler von Köln, 4137

gieng, fondern benfelben aud) bis in das Auferfte Extrem gu verfolgen fid) beftrebte. Eine Gelegenheit, feine ſtaats⸗ maͤnniſchen Kräfte zu erproben, bot Reinald bereit ber Streit Hadrian IV. mit dem Kaifer bar D. Auf bem Reihstage zu SBefangon (1157) war er εὖ, welder ben beut[den Fürften das Echreiben des Papſtes und zwar in fo gehäffiger Weife verdeutfchte, daß bie Bifhöfe εὖ nit wagten, für Hadrian das Wort zu ergreifen. Daß der genannte Papft in dem Kanzler feinen gefährlichften Gegner erkannte, davon liegen zahlreiche Anzeihen vor (5. 17 f). Sa, ε find fogar mehrere Aftenftüde vot» handen, melde ben von Seiten der Faiferlichen Partei ge» faßten Plan bloß fegen, damals (1158) bie deutſche Kirche von Rom loszureißen und in dem Erzbifhofe Hillin von Trier einen deutfhen Papſt aufjuftelen. Schon lange habe man, fehreibt der Kaifer an den genannten Erzbifchof, gelacht über die Einfalt ber Deutfchen, bie fid) ben Aus- Íprüdyen eines fremden Papftes unterwürfen, während ber Ürbfrei ber Gewalt ihrer Rechten nicht widerftehen Fönne. Er aber, ber Erzbiſchof fei Primas bieffeité der Alpen und das Herz des Reichs; feine Metropole, das berühmte Trier, {εἰ ausgezeichnet vor allen Städten duch ben Beſitz des ungenähten Kleidves des Herrn, während ber Papft

1) 3n bem Borwort ©. VIII bemerkt der H. 8e: „Ob ein anderes neues Werk: „„Pope Adrian IV. an historical Sketch by Richard Raby. London 18494* für Reinalds Geſchichte bisher Uns belanntes enthält, weiß ich nicht zu fagen, da es mir mod) nicht zu Gefichte gefommen iſt“ Stef. geſteht, mit großer Begierde nach biefem Jude gegriffen zu haben, mad) beffen Durchlefung er jebodj leider das Urteil ablegen muß, daß εὖ bie Gefchichte des genannten Papftes, des txjgem Englanders welcher den römifcen Stuhl befieg, in feinem einigen Punkte weiter geförbert Hat,

138 der, Reinald v. Daffel,

das Kleid des Herrn, die Kirche, zerrifien habe. Es werde bem Papſte genommen werben; er folle an beffen Stelle treten; er ber Erſte fein unter allen nad) bem hl. Petrus, der ihm nicht ohme Bedeutung feinen Stab. hinterlaffen babe, während ber Papft nod) immer ohne Stab einher freite; daher verfüge er fraft Kaiferlicher Machtvollkom⸗ menfeit, daß Jeder aus bem Reiche bieffeitó ber Alpen fid nicht mehr nad SBiterbo zum neuen, fondern nad Trier zum zweiten Rom wenden folle. Er, ber wahre Nachfolger des HI. Petrus, möge fid) daher erheben gegen ben, ber fid faͤlſchlich „Statthalter Petri“ nenne, und feine Sufftagane zur Beiftimmung bewegen (8.19). Wenn aud) diefer Plan aus verfdjiebenen Gründen nicht aus geführt werden fonnte, fo wurde er bod) fpäter in anderer Form wieder aufgenommen, infofern ber ihm zu Grunde liegende Gedanke einer Territorialfiche nad) Hadrian’s IV. Tode durch bie Wahl ber Gegenpäpfte zur Verwirklichung fam. Hadrian aber flete fid) feinerfeits auf das ente gegengefegte Ertrem, fpra Friedrich gegenüber davon, daß bie beut(djen Könige durch päpftliche Verleihung Kaifer feien, unb daß ganz Italien bis an bie Alpen dem Papfte als Gigentfum gehöre, in welchem der Kaifer Feine andere Gewalt habe, al& bie Rechte des Papftes zu fügen, und drohte mit ber llebertragung des Saifertbumé an bie Griechen: Als Reinald im Anfange des 3. 1159 auf SBerlangen Sriebridjó I. zum Erzbiſchof von Köln erwählt wurde (©. 49 f.), wurde die Wahl, wie vorauszufehen war, von $abrian IV. verworfen.

Nah bem fury darauf erfolgten Tode des genannten Bapftes hatte Reinald, welcher von nun an in der Doppels ftelung eines tirdpenfürften und hohen Staatsbeamten

Weichelanzlet von Köln, 189

aufteitt, während fein Zeitgenofie, Thomas SBedet, fogleich παῷ feiner Wahl zum Erzbiſchof von Canterbury das Siegel an Heinrich IL in die Normandie ſchickte ben hauptſaͤchlichſten Antheil. Auch fiel ihm die ſchwierige Aufgabe zu, bem kaiſerlichen Papſte, Victor IV., bie An⸗ erlennung der Könige von Frankreich und England zu vers ſchaffen, forie bie firengen Edicte der Verfammlung von Pavia in bem beutídjen Reiche in Vollziehung zu bringen. Außerdem ftand er in Italien bem Kaifer in feinen Maps tegeln gegen bie Lombarden jur Seite. Er war e, wels der feinen Haß gegen Mailand fo weit trieb, daß er ben Kaifer zur Zerftörung der herrlichen Stadt beftimmte, und dann ‚Die Streitfräfte der italienifchen Seeftäbte zum Kriege gegen die 9tormannen in Neapel und Gicilien, an denen Aerander MI. feine hauptfächlichfte Stüge hatte, an fid) m ziehen fuchte.

Bon großer Wichtigkeit für die Kenntniffe der kirchlich⸗ politifchen Plane der Faiferlichen Partei, welche in Reinald ihren Fühnften und meitgreifenbften Träger hatte, ift beffen Auftreten zu Sean de Losne und zu Dole. An dem erftern Orte erklärte er gegenüber bem Könige von Brankreich, nie werde der Kaifer eine Einmifhung Fremder in bie Angelegenheiten der römifchen Kirche, bie zu feinem Reiche gehöre, und deren Schugpropft er fei, dulden. Das Urtheil über bie Papſtwahl gebühre nur den Bifchöfen des Reihe; von Rechtswegen müffe der König mit feiner Geiftlichkeit ber Entſcheidung jener beipflichten. Mit Recht erwiderte Ludwig, ob denn ber Kaifer nicht wiffe, daß ber Sohn Gottes bem DI. Petrus und damit ben Nachfolgern des⸗ feben alle feine Schafe zu weiden übergeben habe? Ob er dabei etwa die Könige von Frankreich und bie

440 Fider, ϑιάποῖο v. Sof,

franzoͤſiſchen Bifchöfe ausgenommen habe (€. 46 ()? Zu Dole aber äußerte er fd) vor ben geiſtlichen und weltlis hen Reihsfürften, welche zur abermaligen Anerkennung fBictoró IV. zufammenberufen worden waren, die Einmis fung biejer Provinzialfönige in bie Angelegenheiten ber Kirche {εἰ eine Bermefienheit und eine Beleidigung des Kaifers. Denn wenn in einer ihrer Städte eine flreitige Biihofswahl flattgejunben hätte, und der Kaifer wollte darüber entſcheiden, fo würben fie das ohne Zweifel für eine arge Beleidigung anjeben, während fie baffelóe zu Rom, einer ihnen fremden Stadt zu thun wagten. Treff⸗ lid) würdigt ber Verfaſſer (S. 48 f.) diefe ber ganzen chriſtlich⸗ germaniſchen Anfhauung von bem Berhältnifle des Saifertbumó zu bem Papſtthume Hohn ſprechende Theorie, indem er feinem Greurfe (E. 50) folgende Ber merfungen beifügt: „Und fo tritt uns hier wieder, wie fhon im Jahr 1158, ber Gedanke der Territorialfiche entgegen. Damals, wo man faum hoffen fonnte, Gabrian'é Einfluß in Italien zu brechen, verſuchte man die Herſtel⸗ fung einer deutfchen Kirche burd) Losreifung von Rom; Reinald's jetzige Pläne würden umgefehrt burd) Aus ſchließung der fremden Staaten von Rom zur Reichskirche geführt haben, wenn anders folhe Pläne im 12. Saft. hundert überhaupt ausführbar geweſen wären, bann aber wäre mit dem Papfithume audj das Kaiferthum in feiner bisherigen Bedeutung, in ber es ebenfowohl wie jeneó in ber Einheit der Ehriftenheit wurzelte, zu Grabe ge tragen; ber beiden Schwerter Glanz wäre erblichen, und ſchwerlich Hätten die Lehren ber Gefegbücher Juftinians hinreichenden Erſatz gewährt.”

Victors IV. Tod bot dem Kaiſer die geeignetſte Ge⸗

Relchekanzler von Köln. 441

legenheit bat, dem Schisma, burd) Ausföhnung mit Ale⸗ rander HL, welcher die Anerkennung des größten Theile der Eatholifhen Welt erhalten hatte, ein Ziel zu ſetzen. Aber während Friedrich unfdjlü[fig Din» und herſchwankte, und vieleicht mehr zu Gunften Aleranders IN. fij bins quneigen fehien, orbnete Reinald zu Rom eigenmädtig, wie ber Hr. Verfaſſer (S. 55 f. u. ©. 122 ἢ.) gegen Reuter („Geſch. Aleranders IM. und feiner Zeit 1. 80. Berlin 1845." ©. 392 ff.) überzeugend nachweist, bie ſchon hinſichtlich der orm allem Herkommen zuwiderlaufende Wahl Paſchalis III. an, durch welche die Lage des Kaiſers nicht wenig erſchwert wurde. Reinald mußte nun von Reuem dahin arbeiten, die Könige von Frankreich und England von Alerander IN. abzuziehen. Wenn Dinfidytlid) des Grfteren in biefer Beziehung wenig Erfolg ju erwarten war, fo (dien bei Heinrich IL. deffen Streit mit Thomas Bedet der Faiferlihen Sache eine günftige Wendung geben m wollen. Wirflic ließ fid) aud) der König von England bewegen, ben befannten Reichstag von Würzburg burdj feine Gefanbten zu beſchicken, welche fid) in feinem Namen bereit erflärten, Alexander II. abzuſchwoͤren. Die Seele der dortigen Verhandlungen war wieder Reinald, welder dem Kaifer einen Plan vorlegte, ber offenbar ein permanen- i$ Schisma bezwedte (S. 79 ff). Uebrigens trat hier, wie auch bei andern Gelegenheiten, bie zweideutige Natur des Kanzlers offen an ben Tag. Als ber Erzbiſchof Wich- mann von Magdeburg auf des Kaifers Verlangen, einen auf die Anerkennung Paſchalis II. fid) beriehenden Gib idu ſchwoͤren, erflärte, er werde biefes erft bann thun, wenn fid) ber Erzbiſchof von Köln zuvor zum Priefter und Biſchofe habe weihen laſſen, ba erft dann er und bic

142 Eier, Reinald v. Daſſel,

übrigen Biſchoͤfe überzeugt ſeien, daß Reinald ehrlich zu Werke gehe, weigerte ſich derſelbe, dieſer Forderung zu entſprechen, offenbar aus dem Grunde, weil er nicht ſein Schickſal mit dem Paſchalis IIL, deſſen nahen Sturz er befürchtete, unauflöglih verknüpfen wollte. Bon bem Kaifer wegen feiner SBerfibie Dart getadelt, mußte er zuerſt ben Schwur Teiften und das Verſprechen ablegen, in aller Bälde die Weihen zu empfangen. Daß er jebod) vor figtig genug war, feine Zufunft fiher zu fielen, geht daraus hervor, baf unter ben von Friedrich 1. beſchwor⸗ nen Punkten aud) der fiherlih auf jenen ſich beziehende fid) befand: er werde nie zulaffen, daß bie Ermählten, die unter fpafdjali ober den von ber Partei beffelben gewählten Nachfolgern bie Weihe empfangen würden ober fhon empfangen hätten, wegen ihres Gehorfams gegen denfelben ihrer Aemter oder geiftlichen Würden entfeht würden (6. 84). Zwar entzogen (ij) mehrere bedeutende geiftliche und weltliche Sürften, welche Alerander II. an^ hiengen, bem Reichstage und leifteten paffiven Wiberftand; bie übrigen fügten fid) jebod) in die Nothwendigkeit und leiſteten den ſchmaͤhlichen Eidſchwur. „Wie tief mußte ſchon“ bemerkt der H. Verfaffer bei diefer Gelegenheit (5. 87), „die unumſchraͤnkte Herrfhergewalt Wurzel ger faßt haben, wie tief das Selbftbewußtfein der Reiche fürften gefunfen fein, wenn faiferfide Machtſpruͤche mur mod) auf leidenden SBiberflanb fließen, wenn ein großer Theil der Fürften, fel e$ aus Furt oder Zwang, fei εὖ aus Eigennug ober knechtiſchem Gehorſam, fid) ihnen fügte, wenn ber Kaifer und ber, beffen Ginfluffe er fid) blind bingegeben hatte, e8 wagen konnten, fo bie Nation in bet Berfon ihrer Sürften mit Fuͤßen zu treten. Kaum bietet

Rriäktangler von Köln, 449

bie deutſche Geſchichte ein klaͤglicheres Bild; zeigte Heinrich vor Ganofja, was von einem völligen Siege der geiftlichen Gewalt zu erwarten, fo giebt der Würzburger Reichstag die Kehrfeite. Biel das Gegengewicht der Kirche, fo triumphirte der Grunbía& ber Imperatoren „„quod principi placuit, legis habet vigorem““ über bie Satzungen und Gewohnheiten des Reiches.”

Reinald wiederholte nun abermals feine Bemühungen gegenüber ben Königen von Branfreih und England, unb da er nicht zu feinem Ziele gelangte, fo fuchte er wenigftens beide Könige mit einander zu entzweien (5. 91 f). Nach⸗ dem er fid) dann im Det. 1165 hatte zum Bifhofe weihen laffen, vollzog er im Einverftändnig mit Paſchalis HL. zu Aachen bie Heiligfprehung Karls b. Gr., welder ohne Zweifel eine politifche Abſicht zu Grunde fag, infofern auf der einen Seite babutd) das Kaiferthum, beffen Idee nad) ber Anſchauung Friedrichs 1. in Karl b. Gr. am voll fommenften verwirklicht worden war, mit neuem Glange umgeben; auf der andern Seite aber Pafchalis III. duch ben auf ihn zurüdgeführten Act ber Verehrung ber deut⸗ [hen Völfer näher gebracht werden follte. Einige Jahre feüher (1162) hatte Reinald aus bem gerftórten Mailand bie Reliquien ber hl. Dreifönige unter großen Gefahren mad) Köln gebracht und burd) bie an biefelben fid) an» fließenden großartigen Wallfahrten nicht wenig zu ber lurz darauf ſchnell emporblühenden Größe feines erzbis fáoflifen Sihes beigetragen (S. 61 f. 127 ff) Webers haupt war derfelbe ungeachtet feiner mit der wahren Kirchlichleit durchaus im Widerſpruch flehenden Haltung tiftig für die Reinerhaltung des Glaubens, ber Sitten⸗ Wujt und der Bewahrung des Kirchenvermögens feinee,

144 Bilder, Reinald v. Daffel,

erzbifpöfligen Sprengels bedacht (C. 93 f). Während einer lebensgefaͤhrlichen Krankheit feheint Reinald gegen bie Einwirkungen der Anhänger Alexanders IIL, welche ihn als Haupt.der Schismatifer auf ihre Seite zu ziehen ſuchten, fid nicht gleichgültig verhalten zu haben. Kaum hatte er jebod) mit der Gefundheit das volle Lebensgefühl wieder erhalten, als er mit Kraft wieder auf ber alten Bahn fortwandelte. Er zog dem Kaifer auf fein Ver langen mit einer Gdjaar Ritter nad) Italien voraus. Soeben hatte er mit einer unbebeutenben Anzahl Deutſcher, von ben auf ihn eiferfüchtigen und ihm übelmollenden Fürften (S. 59 f.) im Stiche gelaffen, über eine unver + hältnigmäßige Uebermacht der auf ihn einftürmenben Römer einen glänzenden Sieg erfochten (S. 109 f), als er im Jahr 1167 in Folge des in Rom auébredjenben Fiebers mitten aus feiner Laufbahn gleich vielen andern geiftlihen und weltlichen Fürſten burd) ben Sob geriffen wurde. „Mit Reinalds Tode", jo [diet der H. Verfaſſer feine Darftelung, „war ein Haupthindernig ber Verföhr nung mit bem Papfte geſchwunden; [don in ber πάζβε folgenden Zeit that der Kaifer, wenn aud) fürerft erfolg⸗ los, vermittelnde Schritte. Keiner ber Nachfolger Reinalde hat bie Durchführung feiner Entwürfe in ihrer ganzen Schroffheit wieder aufgenommen; in ihm war ber Oppor fition gegen die Unabhängigfeit der Kirche die Spige ab^ gebrochen. Wohl haben mod) lange Reich und Kirche an den Folgen feines Wirfens gelitten, hat es nod) mandet Prüfung beburft, ehe ber Kaifer von den ſchwindelnden Pfaden, auf denen ihn Reinald fortgegogen, dauernd ein Tenfte auf bie Bahn der Vermittlung; aber auf langjährigen Kampf folgte bod) enblid bie Verföhnung, fand mit ihr

Neichslanzler von Köln. 145

die Faiferliche Gewalt ihren natürlichen Boden wieder und zeigte fid) in der That wirffamer auf biefem, als fie εὖ je in ber Zeit gemefen war, wo man fte burd) Gewalt und Gewiſſenszwang zu einer Fünftlihen Höhe Dinaufjus fürauben fudjte. Wer möchte beftimmen, in meldet Art Reinald bei längerem Leben auf bie Verhältniffe einger wirft haben würde! Das aber [djeint unzweifelhaft, daß er mit feinem unbeugfamen Charakter, feinen außerorbents lihen Geiftesgaben, feinem Alles überwiegenden Einfluffe bei dem Kaifer fort und fort einer Ausgleihung unüber- ſteigliche Hinderniffe hätte in den Weg legen fónnen, daß bei einem weiteren Fortfchreiten auf der früheren Bahn ter verhängnißvolle Name „„ruina mundi4* !) vielleicht {πε traurige Wahrheit gewonnen hätte. Denn das Ver- Plgen einer jeden Richtung, welche fo auf bie Cpipe ges trisben wird, daß fie feine Wurzeln mehr findet im Boden der Zeit, fann nur zerfegend und jerftórenb. wirfen.”

Im Bisherigen haben wir unfern eferm bie haupt— fählichften Refultate diefer intereffanten und Iehrreichen von einem fowohl firdjfid) als politifch gefunden Stand» punlte aus verfaßten Schrift mitgetheilt, durch welche fid) der 9. Berfaffer kein geringes Verdienſt um die Aufhels lung der Geſchichte Friedrichs L, woelde burd) bie Ber arbeitungen SS8ünau'é, Kortüms unb 9taumer' bei weitem nicht erfhöpft worden ift, erworben Dat. Wir fügen unferer Anzeige ben Wunſch bei, daß das Beifpiel des

1) Als Reinald mod) am ber Stiftsfchule zu Hildesheim lebte, ſoll τ einſt plóglid) im Schlafe ausgerufen haben: „Ich bin" und bem Seer, der in fragte, wer er denn fei, geantwortet Haben: „Ich bin das Berberben der Welt.“ Seitdem foll er von feinen Altersgenoſſen „ruina mundi“ genannt worben fein.

Ael. Duartalfgrift. 4859. 1. Heft. 10

146 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe

Verfaſſers mehrere Rahahmer finden möge. Das Zeit alter δτίευτί 61. von andern Jahrhunderten ganz abs gefehen ift febr reich an ausgezeichneten Perfönlichkeiten, welche in die deutſche Geſchichte eingreifen. Wir erinnern nur am bie beiden Aebte Wibald von Stablo unb orbes und Gerfod von Reichersperg, an Reinalds Nachfolger Philipp, an Chriftian von Buch, die beiden Conrad von Wittelsbah und Babenberg u. 9L, welche theils Feine, theils feine erfhöpfende Darftellung bis jet gefunden haben, und durd deren Bearbeitung befonderd jüngere Kräfte den Aufbau der allgemeinen Kirchen» unb Profans geſchichte nicht wenig erleichtern würden.

Dr. Briſchar.

3

Die (neuentbedten) Sehbriefe des Heiligen Athanafius Bi- ſchoſs von Alerandrien. Aus bem Sprifchen überfegt und durch Anmerkungen erläutert von 4. farfom, Dr. der Philoſophie, Licentiat ber Theologie, Profeffor am Grauen Klofter zu Berlin, orbentl. Mitglied der deutſch. morgen!. Geſellſchaft. Nebft drei Karten, Aegypten mit "feinen Bisthumern und Alexandria mit feinen Kirchen darftellend. Leipzig u. Göttingen 1852. VIIL u, 156 ©. groß 8. Preis 1 fl. 34 fr.

Das vorliegende Buch enthält eine Reihe new aufgefunbener Briefe des HI. Athanafius. Wir mußten, daß Athanafus faft jahrjährlih während feines langen Pontififates einenOfterfeftbrief an feine eigene

ded HI. Athanaftas. 147

Dioͤceſe und an die andern Gemeinden Aegyptens erließ; aber von biefen vielen Feftbriefen waren nur wenige unb faf durchaus ganz Fleine Fragmente auf und gefommen. Das einzige größere gehört bem 39fen Ofterbriefe an, und findet fid) abgebrudt in Tom. L P. IL p. 767 sqq. der verbefferten Mauriner Ausgabe ber Werfe des heil. Athanafius (edit. Patavina a. 1771.) Die 12 andern Heineren Fragmente aber hat uns Cosmas Invicopleuftes, ein ägyptifcher Moͤnch unb Schriftfteller des 6. Jahrhunderts, im gehnten Buche feiner topographia christiana aufbewahrt, und es find biefelben in ber ebenerwähnten Pataviner Ausgabe Tom. Il. p. 78 sqq. zufammengeftellt.

Wie fehr man fid) nad) 9Bieberauffinbung ber Athanas fianiſchen Dfterbriefe gefehnt habe, mag ber berühmte Bernhard von Montfaucon beweifen, welder in ber Vor⸗ tbe zum erften Bande ber Mauriner Ausgabe fehreibt: »Sed nulla, opinamur, jactura major, quam epistolarum ἑορταστικῶν aut festivalium ... hoi, hei, quam pungit dolor amissi thesauri! quantum ad historiam, ad Consue- tudines ecclesiarum, ad morum praecepta hinc lucis ac- cederet (edit. Patav. p. XXIV. n. 3). Gleichſam pros phetiſch fügt er aber bei: Et.fortassis adhuc alicubi latent in Oriente! Gr hatte richtig vermuthet, denn eine bes traͤchtliche Anzahl diefer Seflbriefe wurde Fürzlih in einer alten ſyriſchen Ueberfegung in einem Klofter Aegyptens aufgefunden, und ift jet Gemeingut ber gelehrten Welt geworden. Es ging damit alfo:

In ber Nähe des Nil-Delta’s, etwas weſtlich von deſſen Spige, liegt die fogenannte Nitrifche oder Ske— tiſche Wüfte, welde ihren erften Namen von ben dortigen Ritrons ober Natron-Seen, ben andern aber wegen

10%

148 Die nenaufgefundenen Oferbriefe

der Afceten erhalten hat, bie fi [don in den erften Sahrhunderten des Chriſtenthums daſelbſt anſtedelten. Als ſofort mit dem Beginne des vierten Seculums das Ana⸗ choretenthum in das ftoinobitentfum ober eigentliche Moͤnch⸗ thum überging, führte ber heil. Ammon unb nad ihm St. Mafarius b. à. letzteres aud) in der Nitrifchen Wüfte ein, welche einige Zeit lang von wenigſtens 70,000 Möns hen in verſchiedenen Klöftern bewohnt war. Gegenwärtig eriftiren davon blos nod vier Kloͤſter: das Klofter des BI. Biſchoi, das des HI. Mafarius, das von Syrern bewohnte Marienflofter (Deiparae) und das Klofter Baramus (ber Griedem; jedes von ihnen zählt jebod) nur mehr ſehr wenige unwifiende Mönche unb vermag faum fein Dafein au friften. Ehemals aber war εὖ ganz anders, und mehr tere Aebte legten. große Bibliotheken in biefen Klöfern an, namentlich im Marienflofter Abt Mofes aus 9tifibie im zehnten Jahrhundert. Um in ben S3efü biefer fofibaren durch bie Indolenz der fpäteren Mönche eigentlich ver- ſchuͤtteten &djüge zu gelangen, fhidte Rom im Anfange des 18. Jahrhunderts zwei gelehrte Drientaliften nad Aegypten, zuerft 1706 den Gabriel eva (Eva), Abt zu St. Maura auf dem Libanon, unb im S. 1715 ben berühmten Maroniten Joſeph Simon Affemani, Beiden gelang εὖ, ben Nitrifchen Mönden einige alte Handſchriften abzufaufen, bie nun al Codices Nitriensis ber Vatikaniſchen Bibliothek einverleibt wurden. Einen neuen SBerfud) biefer Art machte-i. 3. 1839 der anglis kaniſche Geiftlihe Dr. Henry Tattam, jet Archidiakonus zu Bedford. Er reiste nad) Aegypten und erfaufte von den Mönchen des Marienkloſters 49 fyrifhe Handfchriften, welche jet das Britiſche Nationalmufeum befigt.. Mit

des HI. Athanaſius. 149

vielen Staatögeldern ausgerüftet reiste fodann Dr. Tattam im Jahre 1842 zum zweitenmale in bie Nitrifhe Wuͤſte und ſchloß mit ben Moͤnchen des Marienklofters einen Vertrag, voornad) fte im alle ihre Handſchriften zu über- liefern verſprachen. In der Meinung, ben ganzen Schat gehoben zu haben, fehrte er im Sabre 1843 nad) England zurück. Aber die Mönde hatten ihm getüuffjt und bie Hälfte ihres Gobice& zurüdbehalten. Dieß erfuhr Herr Auguft Pacho während feines Aufenthaltes in Aegypten in den Jahren 1845—1847, und εὖ gelang ihm, audj bie Tod zurüdbehaltenen 200 Bände von den Mönchen bes Marienkloſters zu erfaufen, die nun ebenfalls nad) Eng⸗ land gebracht unb bem Britifhen Mufeum einverleibt wur⸗ den. Im biefen Nitriſchen Eodicibus nun, theils in denen, die Tattam brachte, theils in denen, welche Pacho erwarb, fand Gureton eine Anzahl Ofterfeftbriefe des HI. Athas nafius in forifcher Ueberfegung. Daß diefelben von Athar naſius Derrübren, if aufer allem Zweifel, denn wenn «u$ nicht ihre Ueberſchrift fie diefem Kirchenvaler zus ſpraͤche, fo würden (don bie, wie gefagt, nod) voran» denen griechifhen Fragmente, bie fid) aud) in den betreffen» den neugefunbenen Briefen wieder finden, über ben Autor entſcheiden. Dazu fommen aber nod) zahlreide Hinweis fungen auf Athanafius in unfern Briefen felbft, Hin« weiſungen auf fein Schidfal, auf Alerandrien, und dor Allem ganz genaue Zeitangaben, bie nur auf ihn Wffen. Sofort gab Eureton biefelben im Jahr 1848 zu London unter dem Titel heraus: The Festal Leiters of Alhanasius, discovered in an ancient Syriac version, and edited by William Cureton, M. A. F. R. S. Chaplain in ordinary io the Queen, assistant Keeper of manuscripts

150 Die neuaufgefundenen Oferbriefe

in the British Museum. ine deutſche Meberfegung biefer ſyriſchen Feſtbriefe endlich beforgte 8. Larfow, Prof. am Grauen Klofter zu Berlin, und ließ diefelbe mit Ans merfungen und andern Beigaben im I. 1852 im Drude erſcheinen.

Die erſte dieſer Beigaben iſt eine Abhandlung uͤber die Kloͤſter der RNitriſchen Wuͤſte; die zweite eine kurze allgemeine Erörterung über bie Ofterfeftbriefe der Alerans driniſchen Bifhöfe überhaupt. Darauf folgt der aus bem Syriſchen überfegte hoͤchſt intereffante, chronologiſch⸗hiſto⸗ riſche Vorbericht zu den Feſtbriefen des hl. Athanaſius, der urſpruͤnglich einer andern, jetzt verlornen Sammlung der letztern angehoͤrte, von einem ſpaͤteren Abſchreiber aber der vorliegenden Sammlung beigegeben und vorangeſtellt wurde. Er beginnt mit Angabe des Jahres und Tages der Erhebung des Athanaſtus auf den Stuhl von Ale xanbrien, und gibt fobann in 45 furgem Nummern fleine Notizen über alle einzelnen Feſtbriefe des 51. Athanafius und bie ihn betreffenden wichtigften Greigniffe jedes Jahres. Eine ähnliche chronologiſch-hiſtoriſche Arbeit, ba& Frag ment einer Art Gfronif ber alerandrinifhen Kirche im 4. Jahrhundert, hat (don im vorigen Jahrhundert Seipio Maffei zu Verona in fateini[fer Weberfegung gefunden und im Jahre 1738 im britten Bande ber Osservazioni leiterarie veröffentlicht 1).

Sehr zweckmaͤßig hat nun Larſow viele Stellen diefer historia acephala (denn biefen Titel gab man jener ans fangslofen Chronik) den einzelnen correfpondirenden Nummern jenes Vorberichtes beigefügt: Weil aber

1) Auch abgebrudt in der Bataviner Ausgabe ber Opp. S. Atha- πουλί, T. IIL p. 89 seqq.

des HL. Arhanaflus. 15

in dem Vorberichte alle djronofogifden Data, namentlich über das Ofterfeft jedes Jahres, auf Agyptifhe Weife, mit Agypptifcher Monatsnennung und zudem an einzelnen Stellen ungenau angegeben find, fo hat ein Freund Lars ſo w's, Prof. Galle in Breslau, Direftor der dortigen Sternwarte, das vorliegende Buch durch eine befondere Abhandlung: „Verwandlung der chronologiſchen Angaben des ägyptifchen Kalenders in bie gewöhnlichen des julias nifhen Kalenders“ Dereidert, und eine DOftertabelle bet Jahre von 328 bis 373, b. δ. ber bifhöflichen Amts⸗ idit des hl. Athanaflus beigefügt. Damit fehließt fid) bie einfeitende Partie des Bus, und es folgt mun bie deutfhe Ueberfepung ber Feſtbriefe ſelbſt. Dieſelben find

1) ein langer Ofterbrief für das Jahr 329, ber erfte von Athanaſius, (5. 55—63;

2) ein gleicher für das Jahr 330, 6. 64-70; ebenfo

3) für das Jahr 331, €. 70-76;

4) für d. 3. 332, €. 77—80;

5) für b. 3. 333, €. 81—86;

6) für b. 3. 334, ©. 86—94;

7) für d. 3. 335, €. 95—104.

Stad) biefen 7 erſten Ofterbriefen des hi. Athas

nafius folgt ſogleich

8) der fogenannte zehnte v. I. 338 (6. 104—113), indem fid) Athanaflus in den Jahren 336—338 zu Trier im Exil befand und deßhalb feinem derartigen Hirtenbrief erlaſſen konnte ( Vorbericht S. 28 u. 29 daß er aber bed aud) von Trier aus an feine Landsleute ſchrieb, wenn gleid feinem. Oſterbrief, erhellt aus S. 105).

9) Sofort erſchien für das Jahr 339 ber eiffte unb

152 Die nenaufgefundenen Ofterbriefe

ausführlichſte Ofterbrief, von €. 114—126; dagegen fehlt uns der zwölfte, ber vielleicht, weil Athanafius damals aus Alerandrien fliehen mußte, gar nicht erlaffen worden ift; dagegen haben wir als Nummer

10) u. 11) zwei von Rom aus batitte Schreiben, nämlid einen Brief an Biſchof Serapion von Thmuis, ohne Datum, ©. 126—128, unb ben dreigehnten Ofterbrief für das Jahr 341, €. 129—134.

12) Die zwölfte Stelle nimmt der vierzehnte Beftbrief für das Jahr 342 ein; ber 15te und 16te aber fehlen ganz, und flatt des i7ten und 18ten erließ Athanafius (m feinem zweiten Gri) nur zwei ganz furje Schreiben an ben Clerus der Stadt Alerandrien, für Oftern 345 und 346, welche in unferer Sammlung al6 Nr.

13) und 14) erſcheinen. Im Jahre 347. dagegen befand fid) Athanafius wieder in Alerandrien und erließ für diefes Jahr

15) den ausführlichen neungehnten Feſtbrief, S. 141 —150, bem er aud) noch eine Nachfehrift in Betreff mehr rerer neubeftellten Bifchöfe beigab.

16) Nicht mehr ganz vollüünbig ift der 20fe Feſt⸗ brief für das Jahr 348, ©. 152—154 erhalten; von ben fpäteren aber fanden fid) im fyrifchen Gober nur nod 4 Fragmente, welde Larſow ©. 154— 156 mittheilt.

Eine zwedmäßige Zugabe bilden endlich nod) 3 Kärt⸗ den. Das erfte flellt das Nilvelta, mit den beiden ans grengenden Gegenden Augufamnifa (öſtlich) und Nitrifche Wuͤſte (weftlih) dar. Namentlich find die Bisthümer und Klöfter diefer Diftrifte hier angegeben. Das zweite Kärt- hen zeigt bie Bisthümer der Thebais im 4. Jahrhundert; dag dritte endlich ift ein Stadtplan Alexandriens unb

des 9L. Athanaſtus. 158

feiner Kirchen im vierten umb fünften Jahrhundert nad Chriſtus.

Faſſen wir den Inhalt der neuaufgefundenen Atha⸗ naſianiſchen Feſtbriefe naͤher ins Auge, ſo iſt nicht zu ver⸗ fennen, daß dieſelben wichtige Punkte darbieten, nament⸗ lich a) für die Biographie des bI. Athanaftus ſelbſt; 4) für die Geſchichte des Arianismus; y) für bie nähere Kenntniß der altfirchlichen Ofterfeier und Ofterpraris, unb 2) für die chriſtliche Dogmengeſchichte. Bei alle dem find jedoch diefe Feſtbriefe, wie fhon ihr Zweck verlangt, vorherrſchend yaränetifher Natur, Ermahnungen zum Baften, zur Enthaltfamfeit aller Art, zum leiblichen unb geiftigen Faſten, Bergleihung der Außerlichen jüdifhen und ber ἱππεῖ li$en chriſtlichen Ofterfeier u. dgl. Der Styl iſt vielfach bibliſch, und namentlich ift von zahlreichen Stellen des 91.3. met in febr glüdlicher, öfter in wahrhaft überrafchender Beife Gebraud) gemacht. Weniger günftigen Ginbrud macht εὖ dagegen, daß mandje Gedanken, Wendungen und Bilder mehreren diefer Feſtbriefe gemeinfam find und fi$ in ihnen zu häufig wiederholen, aud) haben wir weit wenigere Anfpielungen auf bie kirchlichen Streitigs leiten jener Zeit gefunden, als wir vermutheten. Doc) iR wenigftens ba und dort ber Arianer und Meletianer und ihres Treibens gebadjt unb an Erfteren ihre Vers unglimpfung bes Logos getabelt, von Lepteren das gegen gefagt, daß fie ben untrennbaren Rod Ehrifti gerriffen hätten. ©. 83. 90. 111. Wiederholt werden bie Arianer Chriftusbefrittler (Brief X, ©. 118. Brief XL ©. 122. Brief XIII, ©. 129), Chriftusbes Rreiter (Brief X, ©. 110. 111. 112), unb Arius— tolle (Brief X, S. 110, Brief XI, S. 122) genannt,

158 Die nenaufgefundenen Dfecbriefe ab vom ihmen behauptet: tof fie „ven Logos ἐδ ει Brief VI, €. 90), „ven untrennbaren Sohn vom Slater trennen? (Brief X, ©. 112), daß „fie ben Sohn Gettes jhmähen und fagen, er [εἰ Geſchöpf unb ans Rihts hervorgebraht* (Brief XI, ©. 122, tef fic behaupten, „er [εἰ nidt ber Schöpfer, fon Perm das Geſchöpf“ (Brief XI, ©. 125), unb tof fic Rd „mit gig die Riht-Gottheit anzueignen fte ben* (Brief XIX, €. 146).

Mit Bezug auf bie Arianer ruft Athanaſius weiter Hin in Brief ΧΙ, ©. 124 aus: „Richt wollen wir gottlos handeln wie die Arinstollen, bie da fagen: du feieft aus Riäts, Logos; was aber ewig beim Bater if, das ig aud von ihm.” Und ebenvafelbft etwas fpäter: „wir begehen das Oſterfeſt, indem wir nicht auf den Trug der Juden, geſchweige auf bie Lehre der Arianer Stüdfibt nehmen, welde von der Gottheit ben Sohn trennt und ihn zu ben Geſchöpfen zählt.“ Die fhönfte Stelle in biejer Beziehung ift aber bie in Brief X, ©. 110 u. 111, wo Athanaſius zuerft befchreißt, wie fij Chriſtus um unferes Heiles willen verbemüthiget habe, unb bann gegenüberftellt, wie bie Arianer juerft wegen biefer SBerbemuütbigung ihn Berabgefebt unb ges ſchmaͤht Hätten. Sie lautet: „Er Litt, bamit er bem Menſchen, ber in ifm litt, bielnempfinblidteit gegen baé Leiden bereite; er flieg herab, um uns heraufauführen; er unterzog fid) bem Ber fud des Geborenwerdens, damit wir ihn ben Sidtgebornen lieben; er flieg zur Verwes— lidfeit herab, bamit das Verwesliche anziehen foltte die Unſterblichkeitz er ward fdmad um

bet hl. Athanaſtus. 455

unfertwillen, damit wir uns in Kraft erhes ben; et lieg qum Tode herab, um ung die line ſterblichkeit zu ſchenken und die Todten lebens, dig zu maden; futi, er warb Menfd, damit wir, bie wir als Menfhen todt waren, wieder leben unb der Tod nit mehr über uns ferte {hen follte; denn der Tod hat feine Macht über ung, verfündigt ber apoftolifche Ausſpruch. Weil nun bief hier die Ariustollen, bie Chriftusbeftreiter und Keter nicht vers Randen, fo greifen fie mit ihrer Zunge den Retter an, [ὦ τὸ ἐπ᾿ ben, der da befreite, unb erfinnen ganz und gar das Gegenteil gegen den Erloͤſer. Wegen feines Herabfteigens námlid, was ber Mens, ſhen wegen gefhah, leugnen fie feine Gott beit; ba fie ihn aus ber Jungfrau hervors gehen fehen, zweifeln fie, ba er wahrhaft der Sohn Gottes fei; ba fie ihn in ber Zeit Menſch geworden feben, leugnen fie feine Gmigleit; da fie ibn betradten, daß er unfertwegen Litt, fo glauben fie nidt, daß ber unverwesliche Sohn vom unverweslihen Bater fei; unb über: haupt, weil er unfertwegen bulbete, leugnen fie das, was feiner mirfliden Ewigkeit ange hört. Da fie nun aud) ben Lohn ihrer Undankbarkeit tragen, fit bie ben Retter verachten, unb flatt der Gnade dankbar iu fein, ihm vielmehr Schmach barbringen, fo muß man ud) gerechter Weife von ihnen fagen: o Undankbarer! Ehriftusbeftreiter! über Alles Gottlofer! der feinen Herrn töbtet, am Auge ber Seele Blinder unb Jude in deiner Gefinnung! wenn bu bie Schrift verftanben unb auf bie Heiligen gehört haͤtteſt ... fo hätte bu exfannt, daß

455 Ze sexsffunsemr Dice

er ξετι 1-81 jerclmcier, urlecr παΐετν

werex Serafkieg. mrl rx üı πεῖς Pici fu £rf τοῖς "eme Meriierliche fewrarerx míCrromcru da fPetrffii iinrt, mi Der Be ter τῇ, x11 πεῦ τες Értr iW, prrz Pürteí bu feieiwegB :$r Ühmäherr ce’zı:, ἐδᾷ ber Erin ατῷ tez Rerárreriiftfe: Terrergegan gex {::: wer wenn tu taj Sert ie:uaer Men iberi:che, LES zu urierem Bein geichah, φιτάειτεπ bätteü, baum Pürre& ru mitt tem Baier ben £efu entiremrer, grt Fáttei ben, fer uxó mit kinem Baier veriefzıe, εἰῶϊ für einen Sremten gebalten“

Ueber ten Bene wer €zcx wer rex Reletianern aber st er (Brei X, E. 111 i): „ie beraten ſich wie Oritur, kx Batex 2 mir einander verbunden, und weil &c gelernt haben, teu untrennbaren Rod Gottes zu trennen, io halten ἅς εὖ aub nicht für unpafiend, ben mutbeilfarem €obn rom Bater in theilen“

Ehen in ber vorletzten langen Etelle deutete Atha-⸗ nafius tarani bin, ta tie eger, zunäd bie Arianer, bie Heilige Schriit nicht na& te Tradition auslegen, „wicht anf Die Heiligen hören.“ Ausführlicher, und für die fatholiihe Lehre (efr ſchlagend, äußert er fd) darüber «πῶ im 2. Beftbrief, ©. 67 f. aljo: „Eie [εἴτα zwar in den Heiligen Schriften, adhten aber nicht darauf, wie fie die Heiligen überliefert haben, fondern weil fe dieſelben als menſchliche Ueberlieferungen annehmen, irren fie, zumal fie biefelben in ber That nid! lennen, geſchweige denn ihre Kraft. Daher lobt auf

be) ΒΓ. Athanaſius. 157

Paulus, wie billig, bie Corinther als ſolche, bie feine Ueberlieferung beachten.“

Eine febr (dne Stelle über bem Logos und feine SBirffamfeit finden wir in Brief XIV, ©. 137: „Da er das Leben war, farb er, damit er uns lebendig made, und da er bad Wort (A0yog) ift, ward er Fleiſch, damit er das Fleiſch (bie Menſchen) durch das Wort belehrte; ba er bie Quelle des Lebens ift, fo will er unfern Durft füllen unb deßhalb aud) uns zum Feſte aufe fordern, indem er fpricht: wen ba bürflet, ber fomme zu mir und trinfe.^

Gewiß würde nod mande andere Stelle bejonberé ausgehoben zu werben verdienen, aber id) will mir nur πῷ zwei anzuführen erlauben, eine zu ber Onabens Ihre, und eine bie zur Lehre von der Kirche gehört, Im fünften Feſtbrief S. 83 fagt Athanaflus: „wir wer⸗ den den Heiligen ähnlih, wenn wir... bem Herrn bie Wohlthaten vergelten. Wenn wir nun vergelten, fo geben wir Nichts von bem Unfrigen, fonbern das, was wir vorher von ibm empfangen has ben; wie ja aud) das namentlich ein Beweis feiner Gnade ift, daß er feine Gabe gleihfam von uns forbert. Und dieß bezeugt er, indem er fpricht: „„meine Opfer find meine Gaben", b. f. was ihr mir gebet, das ge« bört euch nur infofern, als ihr's von mir empfangen habt." In Brief XI, ©. 123 aber lefen wir: „Wenn fo auf gleiche Weife, von Allen, bie überall find, obs gefang unb Gebet zu ihm, dem barmherzigen und gütigen Vater emporfteigt, wenn bie ganze fatfoli(de Site, bie ba überall ifl, unter Breube und Jubel, WMgleid unb in ein unb berfelben Weife bie

188 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe

Anbetung Gottes vollbringt ..., welche Ofüdfeligfeit wirb dann nit fein, meine Brüder!"

Am Ende der einzelnen Feftbriefe wird jedesmal bie Zeit für das nàádfte Ofterfeft angegeben, unb zwar fo, tef bald [don ber erfüe Tag der Duadragefima, ‚bald mit deren Hinweglaſſung blos ber erfle Tag ber Charwoche notirt wird. Außerdem wird dann jebes- mal auch der Charfamftag und Oferfonntag nebft bem folgenden Pfingften bezeichnet. Als Beifpiel mag die Ans kündigung des Ofterfeftes für das Jahr 338 im zehnten Beftbrief €. 113 dienen. Es heißt hier: „Wir beginnen nun das vierzigtägige Baften am 19. des Monats Medir (13. Februar), das heilige Ofterfaften aber am 24. des Monats Phamenoth (20. März, Mondtag in ber Char⸗ 10066); wir hören auf gu. faften am 29. beffelben Monats Phamenoth (25. März) am tiefen Abend bed Sonnabende, feiern fo den Sonntag, der am 30. deffelben Phamenoth (26. März) aufgeht, und begeben von ba an bie ganzen 7 Wochen des Pfingfifeftes feierlich nad) ber Reihe.“

Wir (efen hier, daß a) zwiſchen ben Quabragefimals Baften und den Sfterfaften unterſchieden wurbe.

b) Die legten begannen am Mondtage in ber Ehar- woche unb waren im Unterfiede von ben vorausgegans genen Baften jejunia plena.

€) Sie wurden (don am Charfamftage Abends ges ſchloſſen, wahrfcheinlih mit einer feigrlihen Agape. In Betreff diefes Faſtenſchluſſes heißt es nod) deutlicher im eifften Ofterbriefe &. 126: „wir dehnen das δαβεπ aus bi6 zum Sonnabend und erquiden und (bann) am fpäten Abend.” Faſt bie ganz gleihen Worte, namentlich ben Ausdrud „erquiden“ finden wir aud im erften

da HL. ehanafins. 150

Feſtbrief &. 62, im zweiten (5. 69, im britten ©. 76; im vierten ©. 79; im fünften ©. 85; im fechsten ©. 94; im neunjefnten ©. 150, furz, beinahe in allen.

d) Mitunter wird im unfern Feſtbriefen die ganze Charwoche Ofterfeft genannt, fo im eilften Feſtbriefe, €. 126, wo εὖ heißt: „wir beginnen das 5l. Dfierfeft am 14. Pharmuthi, und dehnen bann die Saften aus bis jum Sonnabend.“ Richtiger aber wird die Gfarmode in andern Feſtbriefen „die Bl. Woche des großen Oſterfeſtes“ (Brief III, ©. 76), aud „die heiligen Tage des Ofter- fees“ (Brief VI, ©. 94), auch „bie große Leidenswoche“ genannt (Brief XIX, ©. 150).

e) Eine febr wichtige Notiz über die Faſten finden wit im festen Briefe ©. 94, wo εὖ heißt: „wir bes ginnen das vierzigtägige Faften zu Anfang des Monats Phamenoth (25. Februar), unb indem wir e8 bis zum fünften Pharmuthi (1. April) ausdehnen, mögen wir an ihm (diefem Tage, b. i. Palmfonntag) Erholung finden von ben vorhergehenden Sonntagen und Sonnabenden. Dann aber beginnen wir bie heiligen Tage des Ofterfeftes am 6. Pharmuthi und erquiden uns am eilften beffelben Monats am tiefen Abend.” Wir fehen hieraus a) bie Quadragefima begann am 25. Februar; von ba an bie um 4. April, wo Balmfonntag einfiel, waren e& 35 Tage, die Sonntage miteingerednet. Zur Duadragefima ges hörten aber aud) nod) bie Tage der Charwoche bis zum Samftage, fo daß baburd) bie Zahl 40 voll wurde. 8) Nicht ein Faſttag, fondern ein Erquidungstag war der Palm- fonntag , an ben übrigen Sonntagen ber Ouabragefima aber wurde gefaftet, ebenfo am den Samftagen, (obgleid) [πῇ im Jahre am Sonntage und bei den Griechen aud) am

460 Die nenaufgefunvenen Ofterbriefe

Samftage nicht gefaftet werden durfte) 1); beffalb heißt τὸ: „wir mögen an ihm (bem Palmfonntage) Erholung finden von den vorhergehenden Sonntagen. Es if bief bie einzige Stelle meines Wifjens, welche über diefen Punkt der alten Faftendifeiplin Aufſchluß gibt, und die | bisherigen Zweifel hebt, ob aud an ben Sonntagen der Quadrageſima gefaftet worden fei.

f) Daß bie ganze Zeit miden dem Ofter« unb Pfingffefte Bentelofte=Pfingften genannt worden fe, ift fonft ſchon befannt, und erhellt aud) faf aus jedem unferer Beftbriefe.

Wie ſchon angedeutet, bieten uns diefelben weiterhin mande für bie kirchliche Geſchichte und Ehronolo gie wichtige Anhaltspunkte, und aud) darauf haben wir nod) ins Nähere einzugehen. Vor Allem ift hier der Tert der Feftbriefe wohl zu unterfheiden von bem Vorbericht, welcher, wie gefagt, urfprünglid) zu einer andern Samm- lung der Athanaſianiſchen Feſtbriefe gehörte. Diefer Vor⸗ bericht enthält fehr viele Hiforifhe und chronologiſche No tigen, aber auch manche zweifelhafte, ja fogar entfchieden untidtige; bie Feſtbriefe felbft dagegen geben zwar viel wenigere derartige Notizen, aber ganz fidere.

Aus dem Ofterbriefe für das Jahr 331, bem britten ber Reihe nad), S. 70, welcher wohl bald nad) Reujaht

1) 9i erordnei der 65. apoſtoliſche Cauon, ſowie Canon 35 ber Trullaner Synode bei Harduin Collectio Concil. T. I. p. 26. u. T. II. p. 1682. Bergl. bie darauf bezügliche Aeußerung des Papftes Nicolaus I, ibid. T. V. p. 310. Beveridge vermuthet, ble Griechen Hätten am Samftag deßhalb zu faſten verboten, weilMarcion an den Samflagen qu Unehren des Jubengottes, alfo aus antinomiftifdjen Gründen, zu faßen vorſchreiben wollte (Bevereg. lib. Il. Codic. Canon. vindicat. c. 7. n.6. Binterim, Denkwürbigkeiten, Bo. V. Thl. IL ©. 125 f.).

des hl. Athanaſtus. 161

331 geſchrieben wurde, erhellt, daß Athanaſius damals von feinen Unterbrüdern gefangen gehalten worben fei.

Wie die Jahrzahl anbeutet, ereignete fid bie, ale Eonfantin b. Gr. auf eingegangene Klagen der Mer Ietianer hin den b. Athanaſius an fein Hoflager berufen hatte, wovon biefer felbft in feiner Apologia contra Aria- nos n. 60 berichtet. Bisher glaubte man jebodj, Conftan- fin habe bie Unhaltbarfeit ber Klage gegen Athanaflus . ſogleich eingefehen und biefen durchaus freundlich bes handelt; unfer britter Feſtbrief dagegen belehrt ung fegt, daß Athanaſtus damals einige Zeit lang in Haft. figen aufte. Aus bem vierten Geftbriefe aber, für das Jahr 332, fm wir, daß bie Feinde des Athanaflus bereits befchämt turen, er fefbft aber fid) nod immer, und zwar Frank, an faiferlichen Hoflager aufhielt, €. 77 u. 80. Der zehnte Brief fofort für das Jahr 338, zeigt, daß Athanaflus, als er ihn ſchrieb, mod) nicht von feinem erſten Gri[ zu {πεν nad) Alerandrien zurüdgefehtt war, denn er ſchrieb ihn nob in ber Ferne, ©. 104. 105; hatte jebod) (don Hoffnung zur Rüdfehr, ©. 106. 108 u. 112.

tod) wichtiger ift der 12te Brief, welcher beweist, daß Athanaſius [don im SBeginne des Jahres 341 aus Aerandrien entflohen war unb fij zu Rom aufhielt (δ. 129). Sonach muß denn aud) der Arianer Gregor von Gappabocien ſchon minbeftené an Oftern 340 fid) des alexandriniſchen Stuhls bemächtigt haben, und nicht erft an Dferm 341 9. Daraus folgt aber wiederum weiter, daß derſelbe nicht erft burd) bie Antiochener - Synode in encaeniis im Jahre 341 zum Bifchofe für Alerandrien

1) Der Vorbericht zu unfern Feſtbriefen, Nr. XL S. 30 verfeht de Anfunft Gregors in Alerxandrien fogar in das Jahr 339.

Siesl. Duartalfgrift. 1859. I. Heft. 11

162 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe

beftellt worben fei, wie man bisher auf Grund ber An gaben bed Sokrates (hist. eccl. II, 9. 10.) und Sozome⸗ nus (I, 6), und burd) Mißverſtaͤndniß einer Stelle des Papſtes Julius (bei Athanas. Apolog. cont. Arian. m. 29 u. 30) faft ganz allgemein angenommen hat. Diefes neue Stefultat ift aber aud) für eine Reihe weiterer Punkte in der Biographie des b. Athanafius, fowie in ber Chrono logie des Arianiſchen Streites beftimmenb und maßgebend.

Nicht minder wichtig find der 18te u. 19te Feftbrief. Erſterer, für das Jahr 346 beftimmt, ift nod) in ber Ferne gefchrieben, ber andere aber, für 347, bereitd ἐπ Alerandrien abgefaßt (S. 140. 141.). Wir fefen daraus, baf Athar naſius ſchon um Neujahr 347 aus feinem zweiten Gril mad) Alerandrien zurüdgelommen fein muß; ba nun aber biefe Stüdfefr erft ungefähr zwei Jahre nad) der Synode von Gatbifa erfolgte, fo fann ſonach aud) biefe nicht erf i. 3. 347 ſtattgehabt haben, obgleich bief bie zwei alten griechiſchen Kichenhiftorifer Sokrates (II, c. 20) und €» zomenus (II 12) auóbrüdíid) verfihern ). Der Bor bericht zu unferen Feftbriefen, Nr. XV. ©. 31, verlegt bit Synode von Garbifa fogar in das Jahr 343; aber es erheben fid gegen biefe Angabe, wie wir ein andermal zeigen wollen, allerlei SBebenfen, unb es find biefe um fo flärker, ba jener Vorbericht nebft mandem Trefflichen auch mehrere zweifellofe Unrichtigkeiten enthält. Betrach⸗ ten wir ihn näher.

1) Gleich in feiner Einleitung ©. 26 gibt er bit

1) Lehteren folgend habe aud) id) in ber Abhandlung: . , Gontrobete fen über die Synode von Sardifa” ἐπὶ vorigen Jahrgange ber fuot" talſchrift, Heft 3, bie Synode von Gatbifa in das Jahr 347 verlegt was hienach zu berichtigen wäre.

des 9. Athanaflus. 163

wihtige Notiz, bag Bifhof Alerander, der Vorfahrer des h. Athanafius, am 22. Pharmuthi (17. April) 328 ges ſtorben, Athanaftus feldft aber am 17. Payni (8. Juni) jenes Jahres zum Bifhof geweiht worden {εἰ Hienach wird bie gewöhnliche, auf Theodoret (hist. eccl. I, 26) fi früßende Annahme, bie auf das Jahr 326 geht, bes tihtigt !); unb es fat biefe Berichtigung alle Wahrfchein« lichkeit deßhalb für fid), weil Athanaftus i. 3. 329 feinen erſten Ofterbrief erließ. Daß diefer aber in ber That fein erfter.gewefen, erhellt daraus, daß aud) jenes grie⸗ difde Fragment, weldes Cosmas Indicopleuftes aus dem zweiten Befbriefe genommen haben will, gerade aud) unferem zweiten (pri[den Briefe v. 3. 330 ange« Wrt, unb ebenfo bie griehifhen Bragmente bes ὅκα und bten Feſtbriefes, wieder aud) im ſyriſchen öten und bten Seftbriefe ihr Analogon finden.

2) Den Sob des hi. Athanafius verlegt der Borber tiht auf den 7. Pachon, b. i. 2. Mai des Jahres 373, und es wird baburd) die Vermuthung Pagis, Silfemont'é unb Montfaucon’s beflätigt, während Sofrates (IV, 20) denfelben unrichtig in das Jahr 371 verfept.

3) Defter find in diefem Vorberichte bie Confuln un» genau angegeben, fo zu den Jahren 335, 340, 352.

4) Gbenfo ift das Datum des Oftertäges hit immer richtig bezeichnet, à. B. i. I. 335, 340 u. a.

5) In Nr. VIIL des Vorberichtes wird bie Synode von Tyrus in das Jahr 336 verlegt. Dieß ift unrichtig, denn diefelbe hatte vor ben Tricennalien Gonftantiná, in

1) Larfow zeigt ©. 26 ganz richtig, daß Theodoret Hier wahre ſcheinlich eine Aeußerung des h. Mthanafius (Apolog. c. Arianos. 59) mifserflanben Habe.

11*

464 Die neuaufgefundenen Ofterbriefe

deſſen dreißigſtem Regierungsjahre ſtatt, wie Euſebius (vita Const. lib. IV.-c. 40 u. 41) und Sokrates (1; 28) bezeugen. Noch ſicherer aber erhellt dieß aus bem währ rend biefer Synode gefertigten Proteftationsfchreiben des mareotifhen Clerus bei Athanaflus Apolog. c. Arian. C. 75, welches vom 10ten des Monats Thoth (7. Septbr.)

' unter den Gonfuln Conftantius unb Albinus, b. i. 335, datirt it). Daß bem fo fel, und bie Synode von Tyrus nit in das Jahr 336 verlegt werden dürfe, (a aud Herr Galle in feiner erwähnten, dem vorliegenden Buche beigegebenen Abhandlung auf €. 49 Rr. VII; um aber bod) den Vorbericht zu reiten, bemerkt er: „der Ausprud in biefem Jahre geht daher auf den Zeitraum von Dftern 335 bis Oftern 336."

Bon biefem freilich fer wilführlihen Ausfunftsmittel machen er und 9. Larfow nod) àftern Gebrauch, um augen» fällige Unrichtigkeiten des Vorberichtes verfdyminben zu faffen.

6) Dieß gefhieht 3. B. in Betreff der Nr. X. des Vorberichts, wo biefer ad annum 338 fagt: „Als Eon flantin in biefem Jahre am 27. Pachon (22. Mai) das eben verlaffen hatte." Gonftantin wäre bienad) am 22. Mai 338 geftorben; abet fein Tod fällt gerade ein Jahr früher.

7) In derfelden Nummer be Vorberichts ift aud) bie Anwefenheit des Möndspatriachen Antonius b. Gr., in Alerandrien auf das Jahr 338 angefegt; H. Larſow vere legt aber aud) diefe Begebenheit burd) Anwendung ber obengenannten Hypotheſe in das Jahr 337.

8) Das Gleiche geſchieht dann natürlich aud) mit ber in der nämlihen Nummer des Vorberichts erwähnten 9tüd» lehr bei des » Athanaſius, welche am 27. Athyr = 23. Novbr.

N) Bg. Tüllemont, Mémoires T. VIIL p. 15 ed Brux. 1732.

des h. Aehanaftıe. 165

erfolgt ſei. Hoͤchſt wahrſcheinlich gehört fle bem Jahre 338 an ἢ) wie bicámal der Vorbericht richtig fagt. Larſow aber und fein Freund Galle verlegen aud) fie ins Jahr 337.

9) In Rr, XVII. erzählt der Vorbericht, ad ann. 346, bef in biefem Jahre am 2. Epiphi 26. Juni der aria» nifhe Bifhof Gregor von Alerandrien, ber ben Athana- fus vertrieben hatte, geftorben, unb nun Athanaflus am 24. Phaophi 21. Oktober jurüdgefebrt fei. Larfow und Galle (&. 32 u. 50) verfegen aud) biefe beiden Ereigniffe dur) Anwendung jenes Ausfunftsmittels (Nr. 5.) in das Jahr 345. Hierin liegt nun aber eine doppelte Unrich- figfeit. Fürs Erſte Fönnen der Tod Gregors unb bie Rüd- fjr des 5. Athanaftus unmöglich fo nahe zuſammenge⸗ Tüft werden, indem zwifchen beiden Greigniffen mehr als dn Jahr Zwifchenfeift ftatthatte, wie wir aus Athanas. hist. Arian. ad monachos c. 21. erfehen. Fuͤrs zweite aber war Athanafius im Dftober 345 nod) nicht in Ale⸗ sandrien, wie aus feinem 18. Feſtbriefe (S. 140 f.) er» heilt. Ex fünbigt darin ben Glerifern in Alerandrien bie Dfterzeit für das Jahr 346 an, und beauftragt fie, davon die Bifhöfe Aegyptens in Kenntnig zu fepen. Er fefóft iR, als εὐ biefen Brief im Spätjahre 345 ſchrieb (S. 140), mod) ferne von Alerandrien; ja er läßt aud) nicht einmal die Hoffnung auf baldige Stüdfefr durchbliden. Dazu Tommt nod) Folgendes. H. Larfor behauptet in der Note 3 zu Seite 32, aud) bie von Maffei aufgefundene historia acephala (f. oben ©. 150) beftimme ben 21. Oftober 345 ale Sag der Ruͤckkehr des δ. Athanaſius. Dem ift jebod) nicht

1) Bol. darüber Tillemont, Mémoires εἰς. T. VIIL p. 30 unb deſen histoire des Empereurs, T. IV. p. 667; aud) Pagi, Critica in tunales Baronii ad ann. 338. n. 3.

166 Die ueuaufgefunbenen Ofterbriefe fo. Sie fagt vielmehr ausbrüdlih: ingressus est Ale- xandriam Phaophi XXIV. Consulibus Constantio IV. et Con- stante III; damit ift aber ba abr 346 nicht 345 bezeich⸗ net. Ale Schwierigfeiten aber heben fih, wenn wir bie SRüdfefr des b. Arhanafius, wie der Borbericht will, in das Jahr 346 verlegen, dabei aber annehmen, Gregor fei fhon Jahre zuvor geftorben, unb ber Berfafier bes Vorberichts habe mur ungehöriger Weife dieſes Greignig bei bem Jahre 346 erwähnt, [εἰ εὖ, weil ihm daſſelbe ετῇ beifiel, αἵδ᾽ er bie damit zufammenhängende tüdfebr des Athanafius notiren wollte, ober [εἰ es, daß er fid wirklich in einem chronologifchen Irrthume hierüber befand.

10) Haben wir ſchon im Bisherigen auf mehrere Unricptigfeiten des SBorberidteó hingewiefen, fo wollen wir nod) eine weitere ganz ef(atante bemerklich machen, welche fif in 3t. II. ©. 27 findet. Die dort angebrachte Bes merfung, Athanafius habe biefen Feftbrief für das Jahr 331 auf feiner t ü d febr vom faiferlichen Hoflager gefchrieben, ift hier völlig am unrechten Plage und gehört zu Nr. IV. und zum Jahre 332, wie aus bem Feftbriefe des Jahres 332, ©. 77 unb befonders S. 80 deutlich erhellt.

11) Gbenfo unridjtig fagt ber Vorbericht in Nr. XIII. u. XIV, Athanafius habe in biefen Jahren (341 u. 342) feinen Beftbrief geſchtieben, weil (fein Gegenbiſchof) Gre gor in Alerandrien franf war. Vor Allem ift hier gar nicht abzufehen, wie bie Krankheit Gregors für Athanafius ein Grund hätte fein follen, feinen Dfterbrief zu ſchrei⸗ ben; aber aud) abgefehen davon, hat Athanaflus in der That in biefen 2 Jahren Ofterbriefe gefchrieben, feinen 13ten und 14ten, und wir befigen diefelben gerade ja in der vorliegenden Sammlung €. 129 ἢ. und 135 ff.

des h. Athanaſtus. 167

12) Endlich will ἰῷ ποῷ auf einen Fehler ber zu €. 47 mitgeteilten, von H. Galle berebneten Oftertabelle aufmerffam machen. Das Ofterfeft für das Jahr 346 ift bier auf den 27. Pharmuthi angefept. Es wäre bief der 22. April. Herr Galle wollte aber ohne Zweifel ben 27. Phamenoth färeiben, b. i. der 23. März, wie er denn auf ©. 50. Rr. XVII. angibt, i. I. 346 hätte Dfern am 23. März gefeiert werden follen. Allein in bet That wurde e8 um eine Woche fpäter, am 30. März oder Atm Pharmuthi begangen, wie Ahanafius in feinem 18. Feſtbrief (S. 141) verorbiret, und aud) der Vorbericht €. 32 bemerkt.

Hefele.

4.

Schandlung der Ehefahen im Sisthum Nottenburg in pfarramtlicher und feelforgerlicher Hinficht, dargeftellt von Ichann faptift Hafen, Pfarrer in Gattnau. Rottenburg, Berlag der Gack'ſchen Buchhandlung 1853. 8, 90 ©. Preis 36 ἔτ.

Das vorliegende Schriften enthält eine fpftemati[d) georbnete Zufammenftellung fämmtlicher im Bisthum Not tenburg geltenden Verordnungen in Betreff der Ehe, wie fie von ber firhlihen und weltlichen Gefeggebung erlaffen wurden; ber Hr. SBerfaffer will damit denjenigen jungen Geiſtlichen, welchen die Führung eines Pfarramtes über» tragen wurbe, eine Anleitung an bie Hand geben, wie fie die vielen und oft fo verwidelten Eheangelegenheiten nad den bei uns beftehenden Einrichtungen zu behandeln haben. Die Gefeggebung in Eheſachen ift (don an fid) eine ber ſchwierigſten Materien der practifhen Seelforge unb biefe

168 Safe,

Schwierigkeit wird in unferer Diöcefe nod) baburd) erhöht, daß bie einzelnen Gefege in den verfhiedenen Sammlungen wngeorbnet umherliegen und e8 für ben Anfänger große Mühe foftet, diefelben in ihrer Gefammtheit ausfindig zu maden; zudem find bie Quellen diefer Gefeggebung bei uns fo reichlich gefloffen, daß einer Menge von frühern Verordnungen burd) neuere Beftimmungen derogirt wurde, ein Umftand, ber im einzelnen Falle die Löfung ber Trage, was jett rechtliche Gültigkeit Habe, oft febr erſchwert und eine gewiffe Unficyerheit in Behandlung biefer Angelegen- ten zur nothwendigen Folge hat. Es wird befbalb nicht in Abrede gezogen werben fönnen, baf der Gedanke, eine georbnete Zufammenftellung (ámmtlider jett gelten- der Ehegefege zu geben, ein fehr practifher fei und einem wirklichen SBebürfniffe entgegenfomme. Stellen wir uns fodann auf den Standpunkt des Hrn. Verfaffers, wornad) ex feine gelehrte Arbeit geben, fondern lebiglid) prac- tifden Zweden dienen will, fo müffen wir aud) bie Yus- führung dieſes Gedankens eine gelungene nennen: bie Gefege find mit wenigen Ausnahmen febr vollftánbig aufgeführt, fo daß wohl felten ein (all vorfommen wird, für welden das Schriftchen nicht bie nöthigen Auffchlüffe barbóte; ber ausgedehnte Stoff ift nad) einer febr ed» mäßigen GCintbeilung georbnet, bie, abgefehen von bem beigegebenen alphabetifhen Sadhregifter, das ϑὲα lagen febr erleichtert. Der erfte Abſchnitt behandelt bie Stage, was hat zu geſchehen vor der Schließung ber Ehe und befpricht die verſchiedenen bürgerlichen unb kirch⸗ lichen Ehehinderniffe; der zweite gibt bie Verordnungen, bie bei ber Schliefung der Ehe zu beobachten find, fan» delt alfp von den Sponfalien, bem Brauteramen und den

Behandlung der Ehefachen. 169

damit zu verbindenden SBelefrungen, von ben Prorlamas tionen, der Trauung, bem Eintragen berfelben in's Bamis lien» und Eheregifter, fomie von ber weltlichen Hochzeit⸗ feier. Der dritte Abſchnitt beſchaͤftigt ſich mit der pfarrlichen Thätigkeit nach bem Abſchluß der Ehe, alfo mit der Behandlung ber Ehediſſidien, mit ben Klagen auf Trennung ber Ehe, mit den Difpenfationen u. f. tv. Der Anhang gibt einige Mufter von auszuftellenden Scheis nen, Bittgefuhen und Stammbäumen, bie eine dankens⸗ werthe und namentlich für Anfänger febr zweckmaͤßige Zus Babe find. Jedem wichtigern Punkte der Ehegefeggebung geht zur Orientirung bes Lefers eine furge Darlegung bes gemeinen canonifchen Rechts voran und bann erft folgen die particularrechtlichen Beftimmungen unferer Diöcefe; tenfo zwedmaͤßig hat ber Verfaffer bei jedem einzelnen Salle bie Behörden genannt, bie bei der Behandlung deffelben thätig find, unb an melde ber Pfarrer fi) zu wenden hat. Defgleichen müffen wir e8 als einen Bors dug ber Arbeit bezeichnen, daß bei allen Difpenfationsfäl- lm zugleich bemerkt ift, ob unb welde Sporteln an bie difpenfizende Behörde zu entrichten feien, worin befannts lid bie neueften Beftimmungen von ben Altern merklich abweichen, endlich find überall, wo es als nöthig erfcheint, mit großer Genauigfeit bie Abweichungen bemerflid ges madt, bie in ben ehemaligen Defterreihifhen Orten, in welchen nod) heute bie Sofepbinijde Ehegefeßgebung Gil» tigkeit hat, beachtet werben müffen, ein SBunft, der gleich“ ſalls geeignet ift, dem nod) Ungeübten Schwierigkeiten zu bereiten und Mißgriffe zu veranlaffen. Wenn wir nad ΑἹ bem Gefagten feinen Anftand nehmen, das in Rebe Rehende Schriftchen ala ein fer zwedmaͤßiges allfeitig au

170 Hafen,

empfehlen und bemfelben bie verdiente Anerkennung zu wünfchen, fo müffen wir und bod) aud) erlauben, auf einige Berftöße und Unvolftänbigfeiten, bie fid) in bemfelben ἔπε den, aufmerfíam zu machen. In Betreff der Ehehinders ! niffe fagt der SBerfaffer ©. 16: „das allgemeine Kirchen redjt weiß nichts von einer Trauerzeit bei Verwittweten, nichts von ber Altersungleichheit, nichts von ber Minders jährigfeit in unferm Sinn und nichts von bem Qinbernig des Mangels an elterlihem Conſens.“ Die erſtere biefer Behauptungen (daß das gemeine Recht von einer Trauer zeit der Wittwe nichts wiffe) ift in der Beftimmtheit, mit welcher fie hier aufgeftellt wird, nicht ganz richtig. Die Eanoniften find in ber Beantwortung ber Frage, ob die Tirdjide Gefeßgebung der Wittwe- ein Trauerjahr vor. ſchreibe, allerdings uneinig, aber bie bejahende Antwort verdient ohne allen Zweifel ben Vorzug. Das römifhe Recht nämlich hatte beftimmt, daß bie Wittwe erft nad Ablauf eines Jahres feit bem Tode ihres Gatten zur | zweiten Ehe fihreiten dürfe (fr, 9. 10. 11. Dig. de his, qui notantur infamia 3. 2.) und zwar will das Gefeg mit diefer Vorſchrift bie turbatio sanguinis sive seminis vet« hindern: würde ber Wittwe fogleich nad) bem Tode ihres Gatten voieber zu heirathen geftattet fein, fo koͤnnten fij in Betreff des erften Kindes dieſer zweiten Ehe febr leicht | Zweifel erheben, wer beffen Vater {εἰ ob der erfte ober weite Gatte; biefe Unficherheit zu vermeiden war ber Zwed der Trauerjahrs. Auf der andern Seite follte daffelbe bem Verdachte vorbeugen, als habe fij die Gattin [don wäh rend bes Lebens ihres Ehemannes nad; einer andern Ver⸗ bindung gefehnt ober gar bie efefidje Treue gebrochen, und wolle nun bie Bolgen biefed Verbrechens vor den Augen

Behandlung der Ehefachen. m

ber Welt durch alsbaldige Verheirathung verbergen (No- vell. XXXIX. c. 2). Der Wichtigkeit diefer Gründe ganz entfpred)enb, waren aud) bie Strafen ber Verlegung des Trauerjahres fehr bedeutend: bie Wittwe ſowohl als ihr weiter Gatte verfielen der Infamie (fr. 11. Φ. 4, fr. 12. Dig. de his, qui not. infamia 3. 2), die Wittwe verlor alles dasjenige, was fle der Liberalität ihres erften Dans nes verbanfte (c. 1. 2 Cod, de secundis nuptiis 5. 9), fie fonnte von Niemand teftamentarifh bedacht werben und ! ab intestato von jenen Perfonen nicht erben, bie mit ifr entfernter, .a[8 im dritten Grab verwandt waren (No- vel. XXIL c. 22). Dieß find bie Berimmungen des τὸν nifhen Rechts und es fragt fid) jet, ob fle vom cas voni f d) en Rechte aufgehoben, abgeändert ober vollfommen beibehalten worden fepen? Die einzigen hieher gehörigen Stellen find c. 4. 5. X. de secundis nuptiis 4. 21. Die erſtere berfelben, bem Sinne nad) ganz übereinftimmenb mit c. 5, lautet: „super illa quaestione, qua quaesitum est, an mulier possit sine infamia nubere intra tempus luctus secundum leges definitum, respondemus, quod, cum apostolus dicat: mulier, viro suo mortuo, soluta est a lege viri sui et in Domino nubat, cui voluerit: per licentiam" εἰ auctoritatem apostoli ejus infamia aboletur.* Daß zur Seit Urbans II, von weldem biefe SBerorbnung erlafien wurde, bie roͤmiſche Gefeggebung über das Trauerjahr noch allgemeine Rechtskraft hatte, geht aus ben Worten hervor: an mulier possit sine infamia nubere intra tempus letus secundum leges definitum; an biejen Gefegen will der Babft im Hinblid auf das cititte Wort des Apoftels nur das ändern, baf die Wittwe, wenn fie vor "Anlauf des Trauerjahres zur zweiten Ehe fügreite, nicht mehr

172 Hafen,

wie bisher ber Snfamie verfallen fein folle: nur über biefen Punkt war, wie ber flare Wortlaut zeigt, die Entſcheidung des Papftes nachgefuht unb feine Ents ſcheidung fann fij bemnad mur auf ihn beziehen, ob durch biefelbe neben ber Infamie aud; bie andern Strafen des roͤmiſchen Rechts aufgehoben worden feien, ift. zweifel⸗ haft, für bie Behauptung aber, baf Urban mit dieſer Decres tale bie Trauerzeit überhaupt habe aufheben wollen, findet fid nift ber geringfte Anhaltspunft. Die letztere Abſicht, die bem Papfle von einigen Ganoniften unterlegt wird, würde bem Geifte der Kirche und ihrer Gefeßgebung durchaus wiber[prodjen Haben: überall, wo von ber zwei⸗ ten Ehe die Rede ift, wird bie Eingehung berfelben, mag fie früher ober fpäter erfolgen, immer als ein Beweis von Unenthaltfamfeit angefehen, fle war, wenn aud ge duldet, bod) ftets mifbilligt: würde nun das Oberhaupt der Kirche durch gänzliche Aufhebung ber Trauerzeit nicht den Witten Gelegenheit gegeben haben, gleichſam über dem Grabe ihres verforbenen Gatten einem zweiten bie Hand zu reichen und baburd), begünftigt burd) das Gefeh, eine Unenthaltfamfeit an ven Tag zu legen, bie felbft bem heibnifchen Gefühle zuwider war? Endlich wäre nicht zu begreifen, wie ba8 kirchliche Recht, das. in allen andern Punkten die Ehe mit fo tiefem Grnfte und faft aͤngſtlicher . Oewiffenhaftigfeit behandelte, die Gefahr der turbatio san- guinis und bie großen daraus entftefenben Nachtheile durch Aufhebung des Trauerjahrs fo ganz follte aufer Augen gelaffen haben. Durch diefe Erwägungen halten wir uns zu der Anficht berechtigt, das canonifche Recht habe mur bie Strafe der Infamie für bie Verlegung bed Trauerjahres, nicht aber dieſes [elbft aufheben wollen,

Behandlung der Ehefachen. 173 eine Anſicht, bie auch nod unter ben neueſten Ganoniften angefehene SBertfeibiger hat; fo fagt 3. 8. Richter (Kir chenrecht, $. 270): „die Beftimmung des römifchen Rechts, daß bie Wittwe innerhalb des Trauerjahres fid) nicht wie der verheirathen dürfe, ift im canonifchen Rechte, jebod) unter auébrüdlider Aufhebung der Strafe ber Infamie, als auffchiebendes Hinderniß anerfannt." Ebenſo Ban» gerom, Leitfaden für Bandecten-Borlefungen, L &. 348. Wenn wir mit den bisherigen Bemerkungen nicht gerade auf eine Unrichtigkeit, fondern nur auf eine Unger nauigfeit des vorliegenden Schriftchens aufmerkſam ma« hen wollten, fo verhält ſich ganz in berfelben Weife mit folgendem Punkte. ©. 35 fagt der SBerfaffer: „Ber wr dft bic Ehe nichtig, menn bei ber Eingehung ein Jribum über wichtige, das Wefen der Ehe nahe anger bende Berhältniffe beſtand. Welches biefe feien, ift aber niht genau beftimmt und daher bem richterlichen Grmeffen überlaffen. Man rechnet dahin: bie Shwangerfhaft der Braut von einem Dritten, ein vor der Ehe begangenes peinlihes Verbrechen, bleibende, fóon vorher dagewefene, Gemüthskrankheit.“ Auch diefes hätte nicht mit ber categorifhen SBeftimmte heit ausgeſprochen werben follen, wie hier geſchehen ift. Zwar enthält bie Gefeßgebung über biefe Punkte Feine nähern Beftimmungen und bie moderne Doctrin unb Praris hat fie bisweilen wirklih unter bie trennen⸗ den Ehehinderniffe geredjnet, aber ob bie im Geifte des firchlichen Rechtes begründet fei, láft fid febr bezwei⸗ fen. Adgefehen von ben Altern Ganoniften, die biefe in» derniffe nicht Eennen, hat, was wenigftens bie Schwangers {Haft bez Braut betrifft, nod in ben neuern Zeiten Stapf

174 Safen,

Waſtoralunterricht über die Che, S. 105 ff.) die Gründe für und wider fo einleudhtend dargelegt, daß man ihm mur beiftimmen fann, wenn er fid) für die Anſicht entſchei⸗ det, daß fie fein trennendes Ehehinderniß begründe. Außer bem aber liegt über diefen wichtigen Gegenftanb aud) eine ausbrüdliche Entſcheidung ber Congregatio Concilii vor, die jeden weitern Zweifel unmöglich madjt. Diefelbe fuv bet fid) nad ihrem ganzen Wortlaute bei Knopp, Sar ſtellung der firchlichen Lehre von den Ehehinderniffen, I. €. 59 f. In Betreff ber revalidatio matrimonii heißt es ©. 64: „Wenn das inbernig nur einem Theil bes fannt und von biefem geoffenbart worben ift, unb wenn man befürchten muß, der andere Ehetheil würde Die Ehe nicht fortfegen, wenn er davon wüßte: bann ift große Klug heit nöthig. Man beruft bem andern Ehetheil, ftellt ihm bie Gadje vor und. ſucht ihn dahin zu bringen, taf er zur Einholung ber nadhträglihen Difpens einwilligt.“ Es ift hier von bem ſchwierigen Falle bie Rede, wo bie unter einem trennenben. Hinderniffe, alfo ungültig einger gangene Ehe vevalidirt werden muß, der des Hinderniſſes unfunbige Gatte aber befürdten läßt, er werde, falls er von dem Stand ber Cade Kenntniß befomme, nicht die Dispens unb bie Wieverherftellung feiner Ehe, fonbern die Trennung berfelben verlangen. Er muß zum Zwed ber Revalidation von ber Ungültigfeit feiner Ehe in Kenntniß gefept werben unb eben das ifl bie Frage, wie bief zu bewerfftelligen {εἰ Wenn ber Herr SBerfaffet fagt: „man ' beruft den andern Ehetheil, ftellt ihm die Gadje vor und fudt ihn dahin zu bringen, baf er jur Einholung der nachträglichen Dispens einwilligt”, fo müffen wir biefe Anweiſung als ungenügend bezeichnen. In einzelnen guͤn⸗

Behandlung ber Cheſachen 475

fügen Fällen mag fie zum Ziele führen, aber in.vielen ift fie geradezu unanwendbar z. B. wenn ber Pfarrer bloß in der Beicht Kenntniß von ber Ungültigkeit der Ehe et» hielt und in andern wird dieſes raſche Vorfchreiten gerade die Gefahr nahelegen, burd) unummundene Aufs flárung des unfundigen Gatten bie Revalivation zu ver» hindern unb ihm Gelegenheit zu geben, auf völlige Auflöfung der putativen Ehe anzutragen. Wir hätten bafer gewünfcht, daß in biejer wichtigen Materie genauere Aufſchlüſſe ge» geben ober bod) auf Autoren vermiefen worden wäre, bei welchen der Geiftlihe in einem fofdjen Falle ausführliche Belehrung finden fanm. Dergleihen Schriftfteller find 4. 98. Van-Espen, J. E. P. IL tit. XIV. c. 5. 7; Reiffen- siuel, J. C. Lib. IV. Appendix, de dispensatione $. XIII; Held, Jurisprud. univers. L. IV. D. V. c. 3. $. 2. und bie vortreffliche Inftruftion von 38 en eb i c t XIV. Institut. ec- desiast. instit. 87. (5, 26. werden bie causae dispensandi aufgeführt, aber fle find nicht in ihrer Vollftändigfeit an» gegeben: es fehlt das periculum haeresis, bie excellentia merilorum unb bie impraegnatio sponsae. Wir bemerfen dieß deßhalb, weil bie fenntni aller Dispenfationd« gründe für den. Geiftlihen von großem Intereſſe ift, um in jedem einzelnen Falle ſogleich beftimmt zu woiffen, ob für ihm ein vom Rechte anerfannter Unterflügungsgrund dorliege oder nicht, b. b. ob Dispens überhaupt erwartet werben bürfe ober nicht. Ebenfo hätten bie Fälle, in welchen nach bem gemeinen Rechte der Papft biópenfizt, von ben biſchoͤflich en genauer auseinanbergehalten werben follen, denn das Dispensgeſuch ift je nad) ber Behörde, der εὖ vorgelegt wird, vom Pfarrer verſchieden iu behandeln; wenn ©. 73 gefagt wird: „in ben Hinder⸗

176 Syg. Loyola, Vergmahr, Hirſcher u. A.

niſſen bec Weihe, des feierlichen und einfachen Geluͤbdes der Keuſchheit u. ſ. f. entſcheidet die paͤpſtliche Curie“, ſo ift dieſe Aufzählung der paͤpſtlichen Dispensfälle offenbar ſehr mangelhaft. S. 33 f. handelt der Verfaſſer von der Geſetzgebung in Sachen der gemiſchten Ehen mit der erforderlichen Ausführlichkeit, nur hätte auch die Verord⸗ nung vom 16. Nov. 1831, welche bie geſetzlichen Beftim- mungen über bie Erziehung der Kinder aus gemifchten Ehen enthält, berührt werben follen; ebenfo it in bem Abſchnitte, ber von ben Eheftreitigfeiten handelt (&.58 fi.) bie Verordnung vom 18. Mai 1818, welche die Behand» Tung ber Streitigfeiten in gemiſchten Ehen enthält, uner- wähnt geblieben. . Auch wurde ©. 20 bei der gefehloffenen Zeit al& auffdicbenbem Hinderniffe die Verordnung vom 2. Aug. 1825 weder eitirt nod) ihr Inhalt vollftändig ange geben. Mebrigens mag εὖ an biefem wenigen Bemers kungen genügen: wie Jedermann fieht, betreffen fie nur minder erhebliche Mängel, welche die praftifhe Brauch⸗ barfeit des Schriftchens nicht wefentlih beeinträchtigen, weßhalb wir unfer obiges Urtheil über daſſelbe wiederholen und es ald Rathgeber jedem jungen Geiftlichen angelegents lid empfehlen.

$ober.

5.

1. Exercitia spiritualia juxta methodum S. Ignati Loyolae a Sacerdole Societatis Jesu jam pridem exarata et edits. Nova editio sub auspiciis excellenlissimi et reverendissimi Archiepiscopi Carthaginiensis nuntii apostolici Viennae. Viennse typis congreg. mechelarist. 1851. p. 394.

Praktifche Schriften. 177

3, Manrefa oder die geifllichen Webungen des heiligen Ignatius in’ neuer Teichtfaßlicer Darſtellung zum Ge⸗ brauche aller Gläubigen. Aus bem Branzöflichen, Zum Beſten der armen Schulfchweftern in Nordamerika herausgegeben von ber Verwaltung be8 Lubwig-Mifflond- Vereins. Siegenóburg. ὅτ. Puftet. 1848. -

3. Des chrwürdigen Paters 30b. Pergmayr, Priefters ber Geſellſchaft Sefu, Betrachtungen in ber geiftlichen Einfamfeit beſonders für Orbensleute. Neu herausgegeben von fi. Singel. Zweite Auflage der neuen Ueberarbeitung. Augsburg 1851. Kollmann'ſche Buchh. S. 280. Preis 1 fl. 12 fr.

i Anleitung zur chriſtlichen Vollkommenheit nach ben

heiligſten Muftern Iefus und Maria. Aus dem Branzö-

ſiſchen überfept. Wien 1851. Drud und Verlag ber

Mechitariſten Congregationsbuchhandlung. Erfter Theil.

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Die Religion in Betrachtungen zum Gebrauche Alter,

die mit aufrichtigem Herzen Gott fuchen, beſonders für

diejenigen, welche fid) mit ber Kindererziehung befchäftigen, nah Abbe Nohrbacher, von Abbe Müller im Mutter»

Haufe der chriſtlichen Schulbrüber. Wien 1852. Θεοὶ,

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vom Advent bis Himmelfahrt des Herrn. ©. 268, Zmwei«

ter Band, von Góriftt Himmelfahrt His Advent. ©. 304.

6. Liber precum ad usum sacerdotum, continens preces quo-

lidianas, praeparalionis ad missam et gratiarum actionis, ad consolandos infirmos, necnon ritus in administratione sacramentorum variisque «caeremoniis adhibendos. Cum permissu superiorum. Moguntii, Kirchheim et Schott. 1852. 6.224, Pr. ἢ, 54 f. Derl. Daartal(érift. 1889. I. Geh. 12

178 Ig. Loyola, Pergmahr, Hirfeher u. A.

7. Die Nachfolge der allerheiligfen 3ungfrau tn vir Büchern, Aus dem Franjzoſiſchen. Neue Ueberſetzung Dritte Auflage. Wien, Mechitariften-Gongregationd- buchhandlung. 1852, 12. ©. 392, Pr. 30 fr.

Katechismus der katholifchen Glaubens- und Sitten- lehre. Zunächft ald Handbuch für Lehrer und Katecheten von Heinrich Güngel, Verfaffer des Leitfadens für den Belt - und Communtonunterricht ic. Mit Erlaubniß geiflicher Obrigkeit. Gtriegau 1851. Verlag von X. Hof mann. 8. ©. 259. Pr. 1 ([ 20 fr.

9. Ratholiſcher Aatechismus für ble mittlere und ober

RKlaſſe. Eine gefrönte Preisſchtift von Jak. Sit und Ich. R. Schmitz, Pfarrern. Mit mehreren biſchoſ⸗ lichen Approbationen. Zweite Auflage. Köln unb Neuf. Schwann'ſche Verlagehandlung. 1851. 12. ©. 296.

10. Hiftorifcher fatedjismus ober geſchichtliche unb grünblide Erklärung des katholiſchen Glaubens unb Lebens In fragen und Antworten, von fanbpfarrer Wilhelmus. Mit bi- ſchoͤflicher Approbation. Erefeld 1851. Verlag v. Gh rich und Comp. 12. ©. 156. Pr. 21 fr.

11. fritfaben für den Beicht- und Eommunionunterridt. Bon einem Geiftlichen ber Diöcefe Breslau. Zweite, der befferte Auflage. Mit Genehmigung eines Hochw. Fürf- bifchöfl. Generalvikariats Breslau. Striegau, Verlag v. A. Hofmann. 1848. ©. 68. Br. 15 fr.

12. Buße und BSeichte oder Anleitung zum würbigen Em, pfange des HI. Sacraments ber Buße, insbeſondere zur Verrichtung einer Generalbeichte. Nebſt einem Anhang enthaltend Sorgen und Abend, Beichte, Communlons | und Mefgebete. Bon Gafpar Ant. θεῖε, Paſtor zu

8.

Praktiſche Schriften. - 419

Rahrbach. Mit Gutheißung des Hochw. Biſchöfl. Orbina-

tlat8 Paderborn: Zum Beſten einer armen Kirche. Zweite vermehrte unb verbejferte Auflage. Soeſt u. Olpe Verlag

der Naffefchen Buchhandlung. 1851. 12. ©. 125.

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Aurze und vertrauliche Antworten auf bie am meiften

verbreiteten Einwurfe gegen ble Religlon von Abbe v.

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Der Ertrag ift zum Beſten ber deutſchen Miſſton in

Paris.) Mainz, Verlag v. Kirchheim und Schott. 1852.

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14. patriſtiſche Rundſ chau, ober paffmbe Stellen für bie dvorzüglicäften Glaubens- unb Sittenlehren ber katholiſchen Erblehre aus ben Schriften ber HI. Kirchenväter. Bon Anton Gundinger, Weltpriefter. Wien 1851. Drud und Verlag von A.-Pichlers Wittwe. ©. 353.

. Goldgrube für Prediger und flatedjeten, v. Dr. Kich- ter, Pfarrer. Grfter Band. Wim 1852. Drud und Verlag der Medjitariften-Eongregationsbuchhanblung. ©. 420. Br. 2 fl. 24 fr.

16. Beiträge zur Homiletik und Aatechetik. Bon Dr. 3.

8. Hirfher, Tübingen 1852. Verlag ber Q. Laupp'- fen Buchhandlung. ©. 118. Pr. 30 fr.

Es unterliegt feinem Zweifel, daß zur Hebung eines innern geiftigen und religiöfen Lebens die Betrachtung unb das innerliche Gebet unerlaͤßlich ift. Eine beſſere Anwei—⸗ fung hiezu dürfte aber nicht leicht gefunden werben, als fe in den geiftliden Uebungen „(exercilia spiritua- la)* des heit. Ignatius gegeben ift. Diefelben haben fid) frt drei Jahrhunderten bewährt; und wenn man fie aud)

12*

1

*

180 834. Loyola, Pergmahr, Hirſcher u. A.

auf einige Zeit verlaffen unb bei Seite legen follte, fo wird man bod immer wieder darnach greifen. An ihrer Hand fann man am leichteften und einbringlichften jene Uebungen des Geiftes machen, ,fraft welcher ein Indivi⸗ buum in ftiller Abgeſchiedenheit vor Gott bie ewigen Wahr⸗ heiten fi zu Gemüthe führt und im Lichte berfelben feinen Seelenzuftand prüft in ter Abfiht, am fid) zu verbeffern, was fehlerhaft ift, unb fobann feinem Leben eine ſolche Stiftung zu geben, welde Gott bie wohlgefälligfte und feiner Seele die évfprieflidfte iſt h.“

Die ganze Einrichtung biefer Uebungen, bie fid) durch ben dreifachen Weg, den Weg ber Reinigung (sc. v. ben Sünden), der Erleuchtung (bud) Betrachtung des Beifpiels Jeſu ChHrifti und burd) Entſchließung zu feiner Nachfolge), und ber Vereinigung mit Gott in reiner Liebe hindurch bewegen, ift eine fo zwedmäßige, ihres Erfolges fo fidere, dag man fid zur Annahme berechtigt glaubte, Ignatius habe biefe geiftigen Uebungen unter Eingebung des heil. Geiftes abgefaßt, was deßhalb um fo glaubhafter wird, weil Ignatius biefe& bewunderungswürdige Büchlein zu einer Zeit ſchrieb, wo er nod) aller wiſſenſchaftlichen, ins⸗ befonbere theologifhen Bildung entbehrte, und in gaͤnzli⸗ her Abgefchieenheit in ber Höhle von Manrefa lebte. Wegen diefer großen Bedeutſamkeit fand das genannte Büchlein des heil. Ignatius verſchiedene Bearbeitungen von Mitgliedern der Geſellſchaft Sefu und von andern Geis ftesmännern, daher bie exercitia spiritualia juxta metho- dum St. Ignatii fer vielfältig verbreitet find. Diefe Erer- eitien des BL. Ignatius befommen aber in ber gegenwaͤr⸗

1) Genelll, Leben des Heil. Ignatius v. Loyola, &. 111.

Praktiſche Schriften. 181

tigen Zeit durch bie Wiederaufnahme der Volfsmiffionen unb ber Priefterexereitien wieder eine befondere Bedeu⸗ tung; denn fowohl bie Miffionen als bie Erereitien wer» den nad ber Methode ber geiftlichen llebungen des heil. Ignatius abgehalten. Es ift wohl nicht zu viel gefagt, wenn ber obenangeführte Genelli weiter bemerkt: „Hins fibtlid) beffen, wie fid) biefe Wirfung nah aufenbin fund gab, ift bemerf(id) zu machen, daß bie Gefellfhaft Sefu ſelbſt ihr Gntfeben, ihre Grfaltung und Fortpflanzung, fo wie ihre organifche Eintihtung ben Grercitien verdankt“ (&. 123). Da biefe Erercitien das völlige Eigenthum jedes Mitgliedes des Ordens bei feinem Eintritte werben wüffm und fij fobanm in ber täglichen Mebitationsftunde fmtfegen, fo begreift man, warum bie Mitglieder dieſes Ordens zur Abhaltung von Miffionen und Grercitien ganz befonber geeignet find 4.

1) Es liegen drei Bearbeitungen der Geiftesübungen des hl. Ignatius vor und; bie erfte (Mr. 1.) ift vorzugs⸗ weife auf Klerifer berechnet, bie zweite (Nr. 2.) auf Layen, die dritte (Nr. 3.) auf Orbensleute. Die erfte ift. ein wörtficher SBieberabbrud einer Bearbeitung, bie im Jahre 1765 auctore J. M. K. ss. theol doctore et professore emerito ín Freiburg im Breisgau bei Wagner erfchien. Daß es eine Ältere Bearbeitung fep, ift auf dem Titel bemerkt, aber nirgends näher gefagt, daß gerade jene Aus» gabe abgebrudt worden fep! Es wäre zweckmaͤßig gewe⸗ fen, aus ber alten Ausgabe den Beifag ad usum cleri- torum accomodata bem Titel beizufügen, da εὖ natürlich

1) Auch die Liguorianer werben (n ihrem Noviziate mad) ber gleis Gen Methode geſchult.

182 "3g. Lohola, Pergmahr, Hirſcher u. A.

ein Unterſchied ift, ob bie Geiftesübungen für Ordensleute ober für Klerifer überhaupt bearbeitet find. Diefe neu» abgevrudte Ausgabe ift für Weltklerifer beftimmt, und fann als eine fehr gute und zwedmäßige bezeichnet wer⸗ ben. Hat ein Priefter Erereitien unter ber Leitung eines Meifters mitgemacht, fo hat er an biefem Buche ein be» quemes Mittel, in feiner Abgefehiedenheit bie. gehabten Ginbrüde wieder aufzufrifchen; hat er feine Gelegenheit gehabt. öffentliche Erereitien mitzumachen, fo hat er hier einen zuverläßigen Führer, an beffen Hand er in einer etwaigen achttägigen Zurüdgezogenheit die wichtigften emis gen Wahrheiten betrachten fann, um biejen in feinem Innern zur fegensreihen Ausübung feines Berufes wieder rechtes Leben unb Kraft zu verídjaffen. Diefe neuaufges legte Bearbeitung ber Geiftesübungen des 5. Ignatius fann daher allen Klerifern empfohlen werben.

2) Mit befonderm Vergnügen bringt Referent Nr. 2 jur Anzeige, ein Bud), das in recht vieler Hände zu wün- fen if. Die Betracptungsgrundfäge des 5. Ignatius find einfach zur Anwendung gebracht; die Betrachtungen feldft in leijtfaglider Borm durchgeführt, und mit fo vielen Meditationspuncten und Andeutungen untermifcht, daß es nicht viel Uebung in der Meditation braucht, um biefes Buch mit 9tugen anzuwenden. Wenn ein Laye, der nur wenig befähigt ift für geiftige SBetradjtungen, die hohen und ewigen Wahrheiten unferer heil. Religion zur Bele⸗ bung unb Auffriſchung feines innern religiöfen Lebens eins bringlid betrachten will, findet er in biefem Buche eine ausreichende 9Infeitung und zugleich Verarbeitung des Stofr fes. Auch Priefter können diefes Buch mit Beifügung deffen, was für ihren Stand befonders in bie Erwägung

Vrabtiſche Schriften. 183

und Beherzigung aufgenommen werben muß, unzweifelhaft mit großem Vortheile benügen, felbft aud) in bem falle, wenn fie darin nicht blos Anleitung und Stoff zu Medi⸗ tationen, fondern aud) zu Predigten fuchten.

3) Nr. 3, vorzugsweife für Ordensleute, ift, wie es fh von bem SBerfaffer Pergmayer nidjt anders erwarten läßt, eine ihrem Zwecke ganz entſprechende Bearbeitung der Exercitien. Die Betrachtungen find fehr zweckmaͤßig angelegt unb grünblid und faft volfftánbig ausgeführt, fo daß deren SBenügung febr leicht unb bequem gemadit ift. Es ift für adttágige Erercitien eingerichtet, und muß, wenn es innerhalb ber genannten Zeit nicht blos durchgele⸗ fen, fondern burchmebitirt wird, einen tiefen Ginbrud nrüdlaffen. Auch Weltleute können das Buch zu Betrach⸗ tungen und Geiftesübungen benügen.

4) Die Nr. 4 verzeichnete Anleitung zur chriſtlichen Vollkommenheit ift bie Bearbeitung eines franzöfifchen Wer⸗ les mit dem Titel: l'interieur de Jesus et de Marie. G6 fehlt ung nicht an verſchiedenen asretifhen Schriften, welche es fid zur Aufgabe geftellt haben, bie gläubigen Seelen wur chriſtlichen Vollkommenheit zu leiten und darin zu [ὅτε dern. Diefes Werk verfolgt aber einen eigenen Gang, infofern es ganz in das Leben Jeſu Chriſti und der felig- fen Jungfrau Maria einzubringen fudit, um dort bie fihern Wege zur Bollfommenheit aufzuzeigen. Und zwar geht der Verfaffer von ber gewiß richtigen 9Infit aus, daß man nicht blos bie aͤußerlich in bie Augen „fallenden Puncte des Lebens Jeſu und Mariä betrachten, fonbern in ihre innere Gefinnung ſich verfenfen muͤſſe. Es if unläugbar, daß εὖ gegenwärtig viel blos Außerlihes Ehriftenthum gibt, die Verinnerlichung beffelben aber weſentlich duch bie ges

184 Sig. Lohola, Pergmayr, Hirſcher u. A,

nannte Weife ber Betrachtung des Lebens Jeſu bis in bit einzelnften Züge hinein geförbert werben fann. Die Ans Tage biefer Betrachtungen ift wumfaffenb, und wohl fein eud) irgendwie bemerfbarer Punct in bem Leben 3efu übergangen. €8 ift bie chronologiſche Ordnung eingehal- ten, durch ein befonderes Regifter aber ber ganze Gompler der Betrachtungen fo abgetheilt, bag auf jede Woche mit befonberer Berüdfihtigung ber Bedeutung des Kirchenjah⸗ res ein Betrachtungsftüd angewiefen ift. Daß bie Be tradjtungen über das Leben Jefu wohl drei Viertheile ber zwei Bände einnehmen, wirb nicht befremben.

Die Betrachtungen felbft unterſcheiden fid in der Borm ziemlich ſtark von vielen derartigen Werfen, melde vor zugsweiſe auf Erregung des Gemüths unb Beftimmung des Willens ausgehen. Sie halten fid) nit an Aeußer⸗ lichkeiten, ſondern find gründlich theologiſch durchgeführt, und bieten durchaus gefunbe Raifonnements. Ref. fuͤrch⸗ tet aber, fie möchten zu wenig lebendig unb anregend feyn, da fid der Verf. zu fehr aller Bilder, Gleichniſſe, Bei fpiele u. drgl. enthalten hat, ein Mangel, der bei Werfen der Art immer [der empfunden wird. Der Betrad: tungsftoff in biefem Buche ift jebod) reichhaltig.

5) „Die Religion in Betrachtungen von Abbe Mül Ter (Sir. 5.) hat in ber äußern Einrichtung infofern Achı- licjfeit mit den vorausgenannten Betrachtungen, als das Religionsgange in Betrachtungen auf jeden Tag des Jah res vorgelegt ift und zwar unter Berüdfichtigung ber fid» liden Zeiten. Es find SBetradjtungen über bie Religion in ihrem Zufammenhange; vom erſten Abventfonntage bis Weihnachten über die Hauptereigniffe unb vorpüglidften Perfonen des alten Teftaments, von Weihnachten bis Eprifi

Brote Säfte. 185

Himmelfahrt über die Hauptwahrheiten und Lehren ber Kirche, über Leben, Leiden und Sterben Jeſuz von ba bis Pfingften über bie Verheißung, bie Chriftus feiner fide gegeben hat, nad) Pfingften über bie Trinität, Altarſacrament, und fofort nad) ber Octav des δτοπίεί namsfeftes bis zum lehten Sonntage nad Pfingſten über bie merfwürbigften Heiligen eines jeben Jahrhunderts. Der Gedanke, bie ganze Religion von ihren erften Anfängen im Paradiefe bis herab auf das Leben und Wirken δεῖν felben in der Kirche und den Heiligen burd) bie Jahrhun⸗ bete. Binburd in täglichen Betrachtungen fid) zu vers gegenwärtigen und in feinem Herzen aufzuwärmen, ift gewiß groß unb glüdlid) zu nennen.

Die einzelnen Betrachtungen find an fid) Hein, unb nehmen in der Regel nur eine Seite und etwas dazu ein, aber fie find einfach, herzlich und dabei bod) früftig. Sie eignen fi fer gut zu einer Heinen Abendvorlefung in einer Familie, ober aud) in Anftalten für Kinder. Ob fie für Schulamtszöglinge, für die fie verfaßt worden zu ſeyn feinen, nidt etwas zu einfach unb fury feyen als Abendbetrachtungen, möchte Ref. faft bezweifeln. Uebrigens werben fie doch demjenigen, ber an folden Anftalten bie Betrachtungen und Lejungen zu leiten hat, gute Dienfte leiſten.

6) Es fehlt nicht an kleinen Gebetsſammlungen, wie fie ber Prieſter am Morgen und Abend, vor und nad der hl. Meffe u. f. w. bedarf. Deſſen ungeachtet fann man bod) das liber precum (Nr. 6.) willkommen heißen. Es enthält außer ben täglich notwendigen Gebeten For⸗ mularien für bie Verwaltung ber HI. Saframente, Gebete beim franfenbefude, bie ziemlich weit ausreichen und fehr

186 Ig. Loyola, Pergmahr, Hirſcher u. A.

paffenb gewählt find, Ritus zur SBeerbigung, einige Bene bictionéformularien, die Professio fidei nad) Vorſchrift des Triventinums; enblid) in einem Anhange einige Ehorals gefänge, darunter eine missa pro defunctis, bie Marianis fen Antiphonen und Anderes. Wenn ein Seelforgpriefter biefeó Büchlein immer bei fij trägt, fo ift er für alle Bälle gerüftet. Die Gebetsftüde und rituellen Formularien find durchgängig als recht gut zu bezeichnen.

7) Die Nachfolge Mariens (Nr. 7.) ift ein Betrach⸗ tungébüdjein , das von einem ungenannten Verfaffer ber befannten Nachfolge Sefu von Thomas von Kempis nad ^ gebildet ift. Diefe Nachbildung erftredt fid) aud) auf Gin» theilung und orm. Es wurde fdon öfters aus bem Franzoͤſiſchen, feiner Urfprache, ins Deutfche überfept 3. 98. von Grfen (Aachen 1838). Wenn das Büchlein feinem Vorbilde auch nicht gleidjfómmt, fo enthält e& bod) eine Menge heilfamer und weifer Ermahnungen, bie Maria αἵδ᾽ unfrer zärtlich beforgten Mutter in ben Mund gelegt find; εὖ nährt bie Andacht, unb ehrt auf eine einfache und anfpredjenbe Weife alle Verhältniffe des Lebens nad) dem göttlichen Wohlgefallen orbnen, unb ift barum empfehr lenswerth.

8) Unter den oben verzeichneten practifhen Schriften find Nr. 8. 9 u. 10 SKatechismen. Ref. hat es immer ungerne gefehen, wenn in einer Diöcefe an verfchiebenen Seiten Katechismen gefertigt wurben mit ber beftimmten Abficht des SBerfafferó unb Berlegers, benfelben einen fo ausgedehnten Eingang in die Schulen zu verfhaffen, als es immer möglich fein folle. Diefe Katehismusfabrir Tation war in mandjen Diöcefen ein wahres Unglüd. Da durch, daß in ber neuen und neuften Zeit in ben meiſten

Praktiſche Schriften, 181

Diseefen Deutfhlands burd) bie Biſchoͤfe Dioͤceſankatechis⸗ men eingeführt wurden, ift bie Sachlage eine andere ge« worden. So wenig man wünfchen fann, baf nah Eins führung eines beftimmten Katechismus in einer Diöcefe bier Zweig ber practifch theologifhen Literatur als für alle 3ufunft abgeſchloſſen angefehen werde, ebenfo wenig lann zugegeben werben, baf ein Geiſtlicher ohne allen höhern Auftrag ober Ermächtigung einen von bem Diös ceſankatechismus abgehenden Katechismus fertige, unb ben» felben in feiner und in andern Pfarreien einzuführen fude. Ein Diöcefanfatehismus fann ohne Verlegung des fanoni(djen Gehorfams nicht umgangen werden. Wenn daher neben bem beftehenden Diöcefanfatehismus neue and Tageslicht gefördert werben, fo fónnen die Verf. nur die Abficht Haben, durch ihre Arbeit einerfeit& bie Kater Hismusliteratur zu fördern und für bie Zufunft tüchtigere Diöcefanfatechismen vorbereiten zu helfen, anbrerfeitó ben Satedeten zu veranlaffen, burd) Studium von andern Katechismen als beffen, ben er täglich in Händen hat, fid in der Bertigfeit und Tüchtigfeit des Katechiſirens fortzur biben, und fid) in fteter Regfamfeit auf biefem Gebiete zu erhalten, indem er burdj tüdjtige Katechismen gewiß immer neue Winfe erhält, bie er in feiner katechetiſchen Wirkſam⸗ keit mit Vortheil benügen fann.

Bon letzterer Anficht ſcheint Güngel (Nr. 8) aus- gegangen zu fein, wie er es auf bem Titel feines Kates chismus anbeutet und in ber Vorrede beftimmt ausfpricht. Es if deßhalb ein etwas erweiterter Katechismus, ohne dag Volumen eines Handbuches zu haben. Der Verf. hat mit Recht bie alte caniſiſche Eintheifung, zu der man ſo ziemlich allgemein zurüdzugreifen (eint, zu Grunde

188 Sg. Loyola, Pergmapr, Hirſcher w A

gelegt. Die Form fanm im Ganzen als eine durchaus gelungene betrachtet werben; bie Sprache ift einfach, praͤcis und befiimmt. Den Stoff hat der Verf. recht vollftánbig in furgen Antworten zufammenzufafien gewußt, unb an vielen Orten, wie es bem Ref. ſcheint, ben catechismus Romanus mit Gfüd benügt. (δ᾽ liegen fid) freilich im Einzelnen einige Ausftellungen madjen, bie aber zu weit führen würden. Ih made nur auf ben Einen Punft aufmerffam, bag ἰῷ bie [pecielle Zuwendung der Erloͤſungs⸗ gnade burd) den hi. Geift an ben Einzelnen beftimmter und betailliter hervorgehoben gewünfcht hätte. Im Uebrigen werben Katecheten diefe Schrift mit Nupen lefen und ges brauchen fónnen.

9. Im Unterſchiede von Güngel ſuchten bie beiben €d mit einen Katechismus für ben Gebraud) der Kinder in der Schule zu verfaffen. Die Bezeichnung: eine ger Erönte Breisfhrift, muß zum Voraus für feine Cm: pfehlung ſprechen. Auch fie haben bie Eintheilung des Ganifius vollftánbig beibehalten, unb alle Hriftlihen Lehren in ben befannten Rahmen einzufaflen gefucht. Die Sprache in biefem Katechismus ift fehr einfach, und ſichtlich ber Baffungsfraft der Kinder nahe zu bringen geſucht worden. für ben ftatedjeten find den Antworten kurze Andeutungen in kleinerer Schrift beigefügt. Angehängt if mod) ein Heiner Katehismus. für die niebrigfte Klaffe, und eine Sammlung der nothwendigſten Gebete.

10. Weniger aló bie beiden Angeführten hat bem Ref. der Katechismus von Wilhelmus gefallen. Er charakteriſirt fid) felbft als “einen hiſtoriſchen Kate⸗ chismus. Da die Offenbarung Gottes als eine ge ſchichtliche Thatſache in die Welt eingetreten ift, fo hat εὖ

Vraktiſche Sqhriften. 189

allerdings etwas für ſich, biefelbe in der Katechefe fo zu behandeln, wie fie fid) dargeftellt hat. Allein Ref. ift der Anfiht, daß diefes in ausreichender Weife in der biblifhen Geſchichte geſchehen Fönne und geſchehen folle, daß Dagegen im eigentlichen Fatedhetifchen Unterrichte, der ben Inhalt ber Dffenbarung zum Gegenftanbe hat, ein anderer Weg einzufhlagen fei. Der vorliegende Katechismus hat ben Ref. wieder aufs Neue in diefer feiner Anficht bes färkt. Im den erften zwei Hauptftüden, bie von den Offen« barungen Gottes des Vaters und des Sohnes handeln, geht e8 an, aber in bem britten Hauptflüde: von bem hi. Geife und beffen Wirken in der Kirche, wo ein uns verhältnigmäßig großer Theil des Unterrihtsfloffes unters - gebracht werden fol, ift ein großer Durcheinander zu treffen; und fomeit der Verf. aud) mit allerdings aner⸗ fennenswerther Mühe Ordnung hineinzubringen fudjte, erſcheint fie jufebr als eine erzwungene. 9tud) waren bei diefer Anordnung Wiederholungen faft unvermeidlich; 3. B. iR von ben Geboten Gottes: ©. 10. &. 36 unb bann weitläufig €. 93 ff. bie 9tebe. Es wird überhaupt jebe theologifch » fpflemati[de Eintheilung eines Katechismus unendliche Schwierigkeiten darbieten und am Ende immer ſcheitern und fid) als unpractijf) und unjmedmáfig εἴν weiſen. Theologifhe Syſteme find immer entweder zu künftlich,, ober zu fubjectio unb wechfelnd, als daß fie zu dem einfachen fatedjeti[djen Unterrichte bienlid) fein koͤnn⸗ im. Die Eintheilung des Ganifiuó, bie von äußern Ans haltspuneten ausgeht, wird fid) für bie ftatedjiómen wie als bie leichteſte, fo aud) als bie vortheilhaftefte erweiſen. Auch im Einzelnen böte biefer Katechismus manchen Anlaß zu Ausftellungen. 3. 99. Frage 103: „Wäre εὖ

190 Sg. Lohola, Pergmahr, Sirſcher u. A.

darum nicht beffer getoefen, taf die Menfchen nie geboren wären?" erſcheint an ihrem Plage als ganz unnöthig; bie rage 566: „Da der Leib zum Dienfte ber Seele und zur ewigen Verherrlihung beftimmt ift, dürfen wir ihn wohl au umreinen Gelüften mißbrauchen?“ faft als ungefchidt. Auf die ὅταρε 167: wie haben wir barum das Leiden und Sterben Sefu zu betrachten?“ ift bie Antwort: „als das freiwilligfte Opfer des vollfommenften Gehorſams aur Genugthuung für unfere Sünden und zu unferer Verſoͤh⸗ nung mit Gott" wegen ber vielen abftracten Worte gewiß nicht Tatehismusmäßig. Aehnlich bie Antwort auf Frage 169. Im’Uebrigen anerkennt Ref. gerne, daß ben Verf. ein aufrichtiges Streben geleitet, bie Fatechetifche Aufgabe von einer eigenen Seite, ber eine Berechtigung nicht ab» geſprochen werben fann, zu löfen, und daß er mande Partieen mit Geſchick behandelt hat.

11. Der Unterricht über den Empfang des hl. Safras mentes ber Buße und des Altares bei ben Kindern ift von der größten Wichtigkeit; denn biefe beiden Gaframente madjen bei einem großen Theile der Gläubigen ben größs ten wenn nicht ausfchließlichen Theil ihrer practifchen Res ligion aus. Jeder Beitrag zur Förderung dieſes Unter- richtes muß daher mit Dank aufgenommen werben. Als ein folder fhägenswerther Beitrag fann der oben Nr. 11 “angezeigte Leitfaden betrachtet werden; er hat benfelben Verf., wie ber Katehismus Nr. 8. Die Behandlung ift nad) der gewöhnlichen Weife ber Katehismen in Fragen und Antworten, aber fefr einläßlih und gut geordnet; dabei die Sprache einfach und die Faffung aud) für Kinder leicht verfländlih. Der Katechet findet an biefem Büchlein

Braktiſche Schriften. 191

einen tüdjtigen Wegweifer bei Ertheilung des Unterrichtes qur erfimaligen Beiht und Gommunion.

12. Nr. 12 hat einen ähnlichen Stoff, aber nur das Bußſacrament, zu feinem Gegenftande; behandelt aber denfelben nicht fatedjetifd), fondern mehr didaktiſch⸗adhor⸗ tatorifch. Das Büchlein ift zur Lectüre beftimmt, um die Refer zu bußfertiger Gefinnung zu bringen, unb fie bei Uebung der Buße zu leiten. Zu biefem Zwede fann εὖ als brauchbar bezeichnet werden, und vermag das zu leiften, was e8 zu leiſten verſpricht. Es if aud eine vaffenbe Abhandlung über bie Generalbeiht nad) Porto Nauritio und ein Beichtſpiegel angehängt, deßgleichen bie nöthigen Gebete beim Gmpfange bes hi. Saframentes der Buße. ᾿

13. Ein redt practiſches zeitgemäßes Büchlein ift unter Nr. 13 verzeichnet. Dreiundfünfzig der gewoͤhnli⸗ Gen teivialen Einwürfe gegen bie Religion wie z. B. „Es gibt feinen Gott." „Mit bem Tode ift Alles aus” u. dgl. werden auf eine gründliche und babei anziehende und leichtfaßliche Weife widerlegt. Wo man an allen Eden derartige leichtfertige Bemerfungen gegen Religion umb teligiöfes Leben hören fann, unb fhon bie zarteften Blüthen der Religion in den Herzen ber Jugend welf gemacht wer⸗ den, ift es febr zu wün[den, daß. diefes Büchlein bie größtmögliche Verbreitung finde und ber Jugend in bie Hände gegeben werbe. Der Erlös ift für bie deutſche Miſſion in Paris beftimmt, die und auch gewiß am Herzen liegen muß, unb bie wir eben damit fördern helfen fönnen, daß wir unfer eigenes Heil bebenfen. ᾿ ᾿

14. Unter dem Titel „patriftifhe 9unb[dau^ Gi. 14) hat Gunbinger zum Gebraude für Prediger

192 Ss. tola, SBergmayr, Girfher u U

wnb Kateibeten eine Menge ven Büterellen geiantmelt, tie er zum bequemern Gebraucbe unter vie in alphabe- wer Ordnung aufeinteric'genten begmariihen unb mo. ταῖς δια SBabrbeiten rubricrt bat. Sui einen verhältniß- nüft gar großen Raum bat ter Beri. einen recht Jiénem umb reihhaltigen Ete# prummenzmitellen gewußt. Auf eine antere als relante Relüintigfeit famm jebod) en derattiges Serk bei ter uneriteriiihen Reihhaltigkeit ver Bärer nıtı Aniprud madex Ta εὖ jchr zu wünſchen

. Wt, Tab die Pretiger ten ın ten Kirchenväiern nieberge- legien Schat nift ganz uabenuͤdt bei Exue lafen, Biele terielben aber mubr in ver aac Wap, unmittelbar {εἰδῇ «mb ven Duclen zu ihöpien, ic deuten terartige Werke, wie We ütrıgend früher When τὰ arisenem und fleinerem Umiange aunsgearbeuet wurdea, fr gute Dienſte, unb fann icmui dicie Sammlung Frer:gern empichlen werben. 45. Sue gende WS ubi Bane Xudrer, πατ in fpe Gelerer Stiprung ici Zuiammemüclung ες Goltgrube für Preriger mar Katedetren (Rr. 151. Bon ber Tubngex απ δε audgchent, daß Nr Gebranib ven Gleich⸗ nen Wr τοὶ zur Belebung eme Predigtvorttages bei⸗ trage, nt Taf gerade ri ὅπ ἄσπετα md Kirchenſchrift⸗ πος xn Sh knbuna un Anmwentung ron Gleuhnifien debt φημ geweſea down, hat cr gmicrnemwmen, über bie wihngüen Glaubens · un? &uncnlehzem Die wem bem ger namen Bären mr Sunrjrüclern gebraudten Gleichniſſe winmemenzufielen, inbem cr ri und Sleubniſſe aufzu⸗ bellenden Borıe alphahernib aniemanveriolgen Lt Der vor ims liegenhe ετῆς Band ach zum Abendeaahl bi Iungtrauibait: ein gener dol das Ganze abſchließen. Das Bud enthäh ziel Schones amr Bramihhaves; indefien

Vraltiſche Schriften, : 193

will e& bem Stef. bod) bebünfen, ber Sammler hätte bei Ausfuhung ber Gleichniſſe mehr mwählerifh fein, und ebenbamit aud) bie Arbeit auf einen Fürzern Raum zus fammenfaffen fónnen.

16. Die neuefte Heine Schrift von Dr. 3. 8. Hirſcher, Beiträge zur Homiletif unb Katechetik (Rr. 16) gibt febr beachtenswerthe Winke. Der SBerf. hat ganz Recht, wenn er fagt, daß man, wenn man jet aud) bie große Wichtigkeit des Vortrags ber Glaubenswahrheiten seinfehe, bod) beim wirklichen 9Bortrage nicht immer ganz glüdlid fei. Es if unläugbar, daß ein grünblider und zugleich mugbringenber dogmatifcher Previgtvortrag große Schwierigkeiten darbietet. Entweber fällt man in trodenes und unfruchtbares Theologificen, ober in hohles ungründs liches Raifonnement gefpidt mit Erelamationen u. dgl. Sirfder Dat wohl bie zwei Puncte richtig angegeben, auf welche bei dogmatiſchen Predigten vor Allem gefehen were den muß. Er fagt: „Man beabfichtigt bei folder Predigt entweder, bie fittlich erwedende und heiligende Kraft, welche in ber betreffenden Wahrheit ober Thatſache liegt, hervorzuheben und für das Lehen fruchtbar zu machen. Dbe man beabfijtigt zunaͤchſt mur, ſolche Lehren ober Thatſachen deutlich zu erflären, wohl zu begründen, und gegen Zweifel und Ginreben zu fügen."

Die Ausführung diefer Puncte ift fehr gründlich unb tinfeudjtenb; unb εὖ wird fein Prediger biefe Heine Schrift len, ohne, wenn er es nod) nicht ift, von der Nothwendig⸗ feit überzeugt zu werben, daß dogmatifche Predigten ges halten werden müffen, unb ohne febr nugbare Winke für Abhaltung von Prebigten genannter Art zu empfangen.

Der zweite Heinere Theil unferes Schriftcheng weist

Sol. Ouartalfärift. 1959. 1, Heft. 13

194 Sg. Lohola, Pergmahr, Hirſcher u. A.

auf bie Nothwendigkeit hin, daß ber Katechet feinen Reli- giongunterricht ganz an ben Katechismus anſchließe. Ref. theilt- hierin ganz bie 9Infidjt des Heren SBerf., daß von den Katecheten viel gefehlt wird, indem fle von bem Katechismus zu fehr Abfehen nehmen, und daß der fate chetiſche Unterricht nur dann tüchtig ertheilt werde, wenn er fi) ganz an ben Katechismus anſchließt, bie Worte beffelben gleichfam zum Terte und zur firieten Grundlage feiner weitern Ausführungen madt. In ben Schulfates cheſen foll diefes unnachſichtlich geſchehen; in ben Kirchen⸗ fatedjefen bem größern Theile nad. Wenn aber H. Hirſcher meint, εὖ Fönnten alle Säge des Katechismus in ber Weile und Ausführlichkeit erflärt werben, wie er an Einem Gate die Probe gegeben hat, fo fann Ref. nicht einverflanden fein. Eine [olde Grünblidfeit läßt fid) weder anftreben nod) erreihen. Man fann bie Katechismus Säge und Worte erklären unb fo zu feinem Ziele fommen, ohne daß man fo weitläufig und einläßlih wird. Leßteres if in fo fern nicht möglih, als man fonft ben ganzen Kater chismus in ber entfpredjenben Zeit nicht ganz durchgehen Könnte. Uebrigens glaubt Ref. gerne, Hirſcher habe mehr ein Mufter einer Katechefe (was feine Statedjefe in ber That iff) geben als damit verlangen wollen, baf alle Säge des Katechismus mit der gleichen Gründlichfeit und Ausführlichkeit behandelt werben follen.

Wegen ber wightigen practifchen Winfe, bie im biefem Schriftchen H.'s enthalten find, empfehlen wir fie Predi⸗ gern und Katecheten.

Bendel.

Theologiſche

Quartalſchrift.

In Verbindung mit mehreren Gelehrten

herausgegeben

D. v. Auhn, D. Hefele, D. Welte, D. Bukrigl

und D. Aberle,

| | von | | Brofefforen ber fath. Tpeologie an ber X. Univerfitär Tübingen.

Fünfunddreißigſter Jahrgang,

Zweites Quartalheft.

Tübingen, 1853.

Verlag der H. Laupp' [ὅκα Buchhandlung. (Rauyp Siebec.)

Dead von δ. Laupp je.

- . Abhandlungen.

1

Die Hriftliche Lehre von der göttlichen Gnade nad ihrem Innern Zufammenhang. TI. Artikel. ' Die Vorherbeſtimmung.

Die Vorherbeftimmung, wie fle hier genommen wird, bezieht fid) auf das Endziel des Menſchen, die Geligfeit, und läßt fij) als Lehrfah gefaßt fo auóbrüden: Gott befimmt ben Menſchen zur Geligfeit vorher

und führt biefen Rathf [uf burd Verleihung feiner Gnade aus !).

1) Augustin. de praedest. SS. c. 10, n. 19.: Inter gratiam et praedestinationem hoc tentum interest, quod praedestinatio est gratiae praeparatio, gratia vero jam ipsa donatio; unb gleich darauf: praedestinatio Dei gratiae est praeparatio, gratia vero est ipsius praedestinationis effectus. Das abfolute Moment ber Prädeflination, das fier nicht ausbrüdlich berüßet if, macht Auguſtin an einer andern Stelle durch Herbeiziehung der göttlichen Praͤſcienz bemerklih, de dono persev. c. 14. n. 35: Praedestinatio mibil est alind, quam prae- scientia et praeparatio beneficiorum Dei, quibus certissime liberan- fur, quicunque liberantur. I

14*

198 Die crriftliche Gnadenlehre.

Dis Menſchen Seligkeit ift bedingt durch ten Glauben und das ihm gemäße Leben, dadurch, daß fein Wille in den Willen Gottes eingeht und in der Glaubené» oder Gottesgerechtigkeit bis an'& Ende befattt: qui perseverat usque ad finém, salvabitur Matth. 24, 13; andererfeits ift fie eine Gnabengabe Gottes: gratia Dei vita aeterna Röm. 6, 23.

Die Frage nun, wie fid) der ewige göttliche Rath ſchluß zu unferer eigenen zeitlichen Entſchließung verhalte, weist zunächft auf bie einfachere zurüd: wie fid) bie gött- fide Gnade ju unferm eigenen Thun verhalte? deren Erörterung in dem vorausgegangenen Artifel gegeben if. Die hieher gehörigen Ergebniffe des legtern find: 1) Unfer Wille ift außer und ohne die Gnade nicht gut, fondern wird es erft burd) fie; 2) bie Gnade ift abfolut wirkſam, b. f. fie madjt den böfen Willen zu einem guten, wenn Gott will, jebod) unbefchadet feiner freien Selbftbeffimmung. Aus diefer legten Beftimmung folgt unmittelbar, daß bet» jenige, ben Gott felig wiffen will, unfehlbar felig wird (nit: felig werden muß, denn dies wäre, ba bie abfolute Wirkſamkeit bec Onade unbeſchadet der Freiheit des Willens gedacht werben foll, eine contradictio in terminis). Aber aud) in jener Baffung verbirgt diefer Schluß einen fehroffen, vielleicht unüberwindlihen Gegenfag, der fid) zum Wider⸗ ſpruch verfeſtigt, wenn es nicht gelingt, in einem Mittelr begriff feine höhere Einheit nachzuweiſen; denn ber andere Ausweg, burd) Aufgeben eines der beiden Glieder in ihrer weſentlichen Beftimmtheit, alfo entweder ber. abfoluten Wirkſamkeit der Gnabe, ober der freien Selbftbefimmung des Willens, wäre eine Beeinträchtigung ber Wahrheit des Glaubensfages. Auf der einen Seite alfo der göttliche Rath⸗

Vor herbeſtimmung. 199 .

ſchluß vor aller Zeit gefaßt unb im fo fern abfolut vor» greifend, feinem Wefen nad) unabünberlid) und unwider⸗ tuflich, in feiner Ausführung jedes Hinderniß beflegend; auf der andern ber menfchlihe Wille feiner Natur nad) frei und nur in fo fern fittfich "gut, al& er in freier Selbſt⸗ beſtimmung für das Gute fid entfcheidet, frei daſſelbe durch⸗ führt und behauptet bis an'á Ende! Dazu fommt, daß das fittliche Leben des Menfchen fein ftetiges, von Tugend Mm Tugend fortfehreitendes ift, daß εὖ vielmehr in einer tien. Mannigfaltigfeit fittliher Zuftände fid) entfaltet, bis e& gulegt feinem Totalwerthe nad) in ber Wagſchaale des ewigen Richters abgemogen wird. Einen ſchaͤrfern Contraſt kann es nicht geben als denjenigen, in welchem die Unveraͤnderlichkeit und Beharrlichkeit des goͤttlichen Rathſchluſſes mit ber Veraͤnderlichleit und Wandelbarkeit des menſchlichen Freiheitsgebrauches ſteht.

Der Verſuch, in das Geheimniß ber goͤttlichen Bore herbeſtimmung einzudringen, iſt unbedenklich, wenn er den vollen und lautern Glaubensinhalt zur Richtſchnur nimmt und das Geheimniß des Glaubens bewahrt, wogegen auch die formellſte Loͤſung werthlos und verwerflich wäre, wenn fie durch Verlümmerung dieſes Inhaltes gewonnen würde. Wenn die Gnade Gottes bie wirkſame Urſache des guten Willens if, fo ift bie Vorherbeftimmung ſchlechthin unbe dingt, abfolut; und umgekehrt. Diefen ^ ungertrennlichen Zufammenhang 1) muß man im Auge behalten und nicht

1) Dies ift es auch, was Schleiermach er in feiner Abhandlung über die Gnadenwahl Hauptfächlich zu erweifen gefudt fat. Das latheriſche Bekenntniß begeht mad ibm eine unfatthafte Bolgewidrige fit, wenn es von bem abfoluten Unvermögen des Menfchen zu allem Guten und ber ſchlechthinigen Notäwendigfeit ber Gnade ausgeht und

200 Die hrifliche Guadenlchre.

vergeſſen, daß die Annahme eines bedingten, auf das Vorherwiſſen des menſchlichen Verhaltens begründeten Rathſchluſſes die Wurzel der Gnadenlehre zerſtoͤrt, gerade Das, was der hl. Auguſtin 20 Jahre hindurch unter bem Beifall unb ber förmlihen Zuſtimmung der Kirche feiner und der fpätern Zeit gegen Pelagius als bie diri liche Lehre verfochten hat.

Der ewige göttliche Rathſchluß und bie Freiheit des menfhlihen Willens fliehen, wenn fie getrennt unb aufer einander gehalten werden, widerſprechend fid) entgegen. Auf biefem Standpunkte (ber bloßen Vorſtellung) Tann man fagen: wenn εὖ eine über mein Heil entfcheidende unabänderlihe Borherbefiimmung gibt, fo werde id) das Heil erlangen (ober verfehlen), id) mag thun unb faffen, was id) will; umgefehrt, wenn mein eigenes Thun in

mit der Aufftellung einer bedingten Präbefination unter Berwerfung der | teformirten Lehre endigt. Auf feinem Boden ift ferner unzweifel- | Haft gewiß, was er (S. 7) fagt: „Go erſcheint εὖ demnach als eine | Gud bet Wahl, ob einer bie Unentbehrlichteit der göttlichen Gnade jut Heiligung anerfennen, aber fid dann aud bie frenge Calviniſche Ermälungeformel will gefallen laſſen, ober ob er biefer mit ihren Bolgen durch die Lutherifche Formel aus bem Wege gehe, aber babel auch fid von der Unentbefrlichfeit ber göttlichen Gnade Iosfagen umb auf feinen eigenen Süßen (velagianifch) ftehen wil.“ Wir unferes Orts befennen und weder zu der Galvinifdjen Präbeftinationslehre noch zu der au bem lutheriſchen fBefenütniffe eigenen Gnadenlehre. Die nente Behrlichfeit ber göttlichen Gnade zum wahrhaft Guten iſt wie bie abfolute Brävefination in einem doppelten Sinne benffar: Im bem Sinne Gab | vine mit Ausfchluß der fittlichen Freiheit, im dem Sinne Auguftins mit Ginfáfug derſeiben. Es it zwar befannt, wie die proteRantifcen Theologen mad) bem Vorgange der Reformatoren den BL. Auguflin clé ihren Gewährsmann in biefer Lehre anrufen und ihn der Kirche ent⸗ fremden, bie feine Lehre fanctionirt Hat. Dieſe geſchichtliche Unwahrkeit beruht auf einer Gonfufion, deren Duelle wir in ver kaum angegebenen Difinction zu ſuchen haben.

παν

Vorherbeſtimmung. 201

Abſicht auf meine ewige Beſtimmung nicht gleichguͤltig, bie Erreichung derſelben vielmehr weſentlich davon abhängig it, bag ἰῷ das Gute erſtrebe und das Böſe meibe, fo gibt e& für mich feinem unabänderlihen, über mein Heil abfolut entſcheidenden göttlichen Rathſchluß. Dber in formeller Faſſung: wenn Gott mein Heil vorausbeftimmt, fo muß ἰῷ diefer Beftimmung gemäß handeln und bin nicht frei; wenn ἰῷ aber frei bin in meinem ſittlichen Handeln, fo beftimmt Gott mein Heil nicht voraus. In allgemeinerer Geftalt zeigt fid) derfelbe zum 9Biberfprud) fid) fleigernde Gegenfat, wenn das göttliche Vorherwiffen und bie Eontingeng ber Welt, bie freien Bewegungen des menſchlichen Willens eingefchloffen, Tebiglih neben eins ander geftellt werden. Denn wenn Gott. alles vorhermweiß in untrüglicher Weife wie er ed jedenfalls weiß, wenn er ein Vorherwiſſen ber zeitlichen Dinge hat fo muß alles fo gefchehen, wie er es vorfermeif, und e8 gibt fein tontingentermeife in der Welt Gefchehendes, fein freies Sun; umgelehrt, wenn es ein ſolches Geſchehen und Thun gibt, fo fann fein untrügliches Vorherwiffen des⸗ felben bei Gott ftattfinden.

Was fol man hiezu fagen? ift feines von beidem, oder eines ohne das andere anzunehmen? Das [εἰ ferne! Der Hl. Auguftin, dem der. ausgehobene Widerfpruch don den abrumetini(djen Mönchen in der Form entgegen» gebracht wurde, daß bei der Annahme einer unbebingten Süvübeftination bie fittlihe Ermahnung und SBefirafung (correptio) Recht und Bedeutung verliere '), gibt zwar

1) Augustin. de corrept. οἱ grat. n. 4 seqq. n. 11. de dono persev. n. 34, 38.

202 Die chriſtliche Gnadenlehre.

keine vollſtaͤndige Loͤſung der Schwierigkeit, aber doch die⸗ jenigen Winke, deren Verfolgung auf das Richtige leitet unb zum befriedigenden Ziele führt. So ſcheinbar bie Unverträgligfeit der Vorherbeftimmung Gottes mit ber freien Gelbftbeftimmung des Menfhen aud) fein möge, an beidem müffe man bennod) unverbrüd)lid) feſthalten. „Sollte beffalb geläugnet werben, was offenbar if (nad) difti her Lehre), weil es nit begriffen werden Tann? Sollten wir beffalb fagen, es ift nicht fo, wovon wir einfehen, daß εὖ fo ift, weil wir nicht begreifen, warum 7 (oder wie) e8 fo RD? So müßte man aud? aufhören bie Praͤſcienz Gottes zu glauben, denn man fónnte fagen:, ob id) nun recht lebe oder nicht, gilt gleichviel, denn id werde eben fo fein, wie mid) Gott vorherweiß. Aber das, daß ich nicht begreife, wie meine Freiheit mit der göftlir hen Präfrieng zufammenftimmt, gibt mir feinen. Grund, diefe zu läugnen" 9. Alſo nicht an bem ift es, daß ber

1) De dono persev. n. 37.: Numquid ideo negandum est quod apertum est, quia comprehendi non potest quod occultum est? Num- quid, inquam, propterea dicturi sumus quod ita esse perspicimus, mon ita esse, quoniam cur ita sit non possumus invenire?

2) Ibid. n. 38, 3m feiner Schrift de civitate Dei verfolgt Au⸗ gufin dieſen Gegenftand weiter. Alles Gein und Geſchehen in der Welt beruht auf einer gemiffen Orbnung und Aufeinanderfolge ber Dinge mad) bem Gefege ver Gaufalitát. Wenn daher Gott alles vorherweiß, fo fönnen wir Nies nur fo benfen, daß er bie Ordnung unb Aufeinanderfolge der Dinge, und folglich auch die Orbnung der Urfachen vorherweiß. IR ‚aber bie Aufeinanderfolge der Dinge unb bie Ordnung ber Urfachen vermoͤge des unfehlbaren’ göttlichen Wiſſens gewiß und feitgeftellt, fo erfolgt alles moijwenbig. Allein in ber Reihe ber Dinge und Urfachen, bemerit Auguftin (de civit. Dei lib. V. c. 9. n. 3), find auch unfere Willen beftimmungen als Urfachen, welche ihre Wirkungen frei fervorbringen. Weiß Gott aud) fle vorher, fo weiß er fie ale bie freien Urfaden unferer Handlungen. und Werfe vorher. Quapropter et voluntates

BVorberbefttimmung. 203

Olaube.an bem Begriff eine Schranke finden follte, fondern umgefehrt bilvet bie Wahrheit eine Graͤnze, bie bem Fort⸗ gange ber Grfenntnif gefegt if. Ueberall, aud) in ber + Ratur, fehen wir uns von Gefeimniffen umgeben. Wollten wir nur das zugeben was wir begreifen, ober nur in foweit annehmen, als wir e8 mit bem Verſtande erfaffen finnen, bann würben alle die Ueberzeugungen, bie uns im Leben und Handeln beftimmen, wanfend unb biefeó felber der Häglichften Unſicherheit preiógegeben. Unums wunden und mit religiöfer Demüthigung vor bem Ge» heimniß ber göttlichen Weisheit geftebt der bI. Auguftin, fo.oft er an einem folden Puncte angefommen zu fein glaubt , fein Nichtwiflen. Non enim-arroganter, sed

nostrae tantum valent, quantum Deus eas valere voluit atque prae- sivit: et ideo quidquid valent, certissime valent, et quod facturae sut, ipsae omnino facturae sunt, quia valituras atque facturas ille praescivit, cujus praescientia falli non potest (l. c. n. 4). Wie immer t ober mit ber Cinheit des göttlichen Vorherwiſſens umb ber menfchlis chen Freigeit fi verhalten mag, wir befennen einen fàdjften unb wahren Gott (dem daher aud) das Vorherwiſſen nicht abzufprechen), unb fürch- tem nicht, daß wir deßhalb ohne unfern Willen thun was wir mit unferm Billen tfm, weil ber, deſſen Wiffen untrüglid ift, vorherweiß, was wir aus freiem Willen tun (Le. n. 1). Das ftomme Gemüth nimmt beides an, befennt beides und beflätigt beides im frommen Glauben (Lc n. 2. ef. n. 3). Might darum find wir nicht frei, weil Gott vor» herwußte, was wir ftei thun würden; denn nicht hat Der, welcher dies vorherweiß, nichts vorhergewußt; fat er aber nicht nichts, fondern etwas vorhergewußt, fo iR offenbar unfer Wille frei, den er als ſolchen vorher» weiß. Daher zwingt uns nichts, unter Morausfegung des göttlichen Vorherwiſſens bie Freiheit des Willens preíójugeben, oder unter Vor⸗ ausfegung des freien Willens das göttliche Borherwiflen zu läugnen, u$ unftomm wäre; fondern beides befennen wir gläubig und wahrhaft, jenes auf baf wir recht glauben, diefes iuf daß wir gut leben (I. c. cap. 10. n. 2).

1) Die Grünje der Erfenntniß des Glaubens ift zwar eine abfolute,

204 Die chriſtliche Gnadenlehre.

agnoscens modulum meum, audio dicentem Apostolum: O homo, tu quis es qui respondeas Deo (Rom. IX, 20)? et, O altitudo divitiarum sapientiae et scientiae Dei! quam inscrutabilia sunt judicia ejus, et investigabiles viae ejus (θά. XI, 33)! ) Gerade an der Stelle aber, wo er das SBefenntni des Nichtwiſſens ablegt, gibt er einen Fingerzeig, bem man nur zu folgen braucht, um das Pro blem einer tieferen Löfung entgegen zu führen. Die Frei⸗ heit des Menfchen, fagt er (l. o.), ift nidt gegen die παῦε zu febren, fonbern secundum gratiam zu vertheis digen. Der menídlide Wille erlangt die Gnade nicht durch feine Freiheit, fondern umgekehrt wird er burd) die Gnabe frei. Quando rogavit ergo (Christus pro Petro Luc. XXII, 32) ne fides ejus deficeret, quid aliud rogavit, nisi ut haberet in fide liberrimam, fortissimam, invictissimam, perseverantissimam voluntatem? Wie bie Abhängigkeit de Willens von Gott im Acte der Schöpfung unb Erhaltung daß ift der Grunbgebante feine Selbſtſtaͤndigkeit, feine Breiheit (im. formellen Sinne = Vermögen des Guten und Böfen) nicht gefährdet, vielmehr als bie Quelle {εἰπε Seins und Beftchens in diefer feiner Eigenfchaft zu er Tennen ift, fo hebt bie Abhängigkeit des Willens von bet Gnade bie wahrhafte Freiheit (das Freifein von ber Knechtſchaft der irdiſchen Begierde, das freie, ungehemmte, fertige Wollen des Guten), ben guten Willen nicht auf,

infofern bie völlige Auflöfung feines Inhalts ín die Form bes Willens nicht mágli fe ift aber infoferm aud) eine blos fubjertive, als man nicht fagen fanm, daß ba wo Giner biefelbe für fid) gefunden, ein weitere Vorbringen ſchlechterdings unmöglich fei. Wie weit Hat Wuguflin hierin feine Vorgänger nicht Hinter fi gelaffen?

, 1) De corrept. et grat. c, 8. n. 7.

Borherbeftimmung. 205

bit fie vielmehr bewirkt (praeparatur voluntas a Domino, Proverb. ὙΠ]. sec. LXX) ').

So weit führt uns der hl. Augufin, beffen Auffaflung wie nur deßhalb hier Furz erwähnen wollten, weil fie und zugleich die Schärfe der dogmatifhen Befimmung vergegenwaͤrtigt.

Sinfnüpfenb an bie vorausgeſchickte Darlegung des Gegenſatzes, ſuchen wir nun in methodiſcher Entwicklung den ihm anklebenden Widerſpruch aufzuloͤſen und ihn ſelbſt zur Einheit fortzubeſtimmen.

Im unmittelbaren Glaubensbewußtſein findet er fid) nift; biefeó if eben darum ein unmittelbares, weil in ihm ber göttliche Rathſchluß und bie menſchliche Freiheit in unaufgefhloffener, unvermittelter Einheit erfaßt und fehgehalten find. Grft wenn auf beffen Inhalt reflectiet wird, auf dem Gtanbpunct der SBorftellung, tritt er ins Bewußtfein. Diefeg reflectirte, vorfiellende Bewußtſein zuht nad) der einen Seite auf dem unmittelbaren Bewußt⸗ fein und trennt fomit ben Gegeníag, ben es auſſchließt, nit von feiner Einheit [08, παῷ der andern Seite drängt τὸ über fid) felbft und damit über ben Gegenfag hinaus; ber entwidelte Gegenſatz fordert bie vermittelte Einheit. Zu diefer erhebt fid) ber benfenbe Geift auf ber dritten Stufe, auf der des begreifenden Erkennens. Das ift es, was man bie Dialectit des Bewußtfeins, ober vielmehr des zur wiffenden Einfiht fortfchreitenden Erkennens zu nennen pflegt. Der dialectifhe Verſtand unterfcheidet,

1) Possumus ei volumus, sed non volumus (bonum), misi praeparetur voluntas a Deo. August. retract. lib. I. c. 10. n. 2. das df das Geheimniß ber Auguſtiniſchen Gnadenlehre. Bergl. de spirit, e& litera c. 91. n. 53 u. 54. Op. imperf. c. Julian. lib. VI. c. 10.

206 Die chriſtliche Ginabenlefre.

fonbert; er zerlegt das Ganze in feine Theile, Töst die Einheit in die Mannigfaltigfeit und Gegenfágtidfeit auf, nicht um fle zu zerſtoͤren, fonbern ihrer in einer andern Form habhaft zu werden. Urfprünglih if die Einheit und das Ganze; dad Mannigfaltige, Verſchiedene, Ent: "gegengefeßte gebt aus ihnen hervor, nicht um in biefem fi zu verlieren oder gu gerrinnen wie die Quelle im Sande, fondern auf ibm und aus ihm fid) wieberherzu- ſtellen als concrete Einheit und Ganzheit. Dies ift die dialectiſche Technif, welche in allen fperulativen Erkennt niffen zur Anwendung fommt ἢ) unb aud) ber folgenden Entwidlung, bie wir num in freierer Weife fortführen, zu Grunbe liegt.

Die Begriffe der göttlichen Praͤſcienz und Praͤdeſti⸗ nation find in unferm religidfen Bewußtfein eben fo feft begründet, als der Begriff der Gigenmadot in unferm Selbſt⸗ bewußtfein und ber ber fittliden Freiheit in unferm ſitt⸗ lichen Bewußtfein (Gemifen). Hat fi) nun ergeben, baf göttliche SBrábefination und menſchliche Freiheit nicht bes ſtehen fónnen lediglih außer» und neben einander, fo folgt daß wir fie ans und ineinanber benfen müffen, jebod) unbefchadet des wefentlihen Gehaltes ihres gegen fágliden Verhaltens. Wollten wir dieſes ſchlechthin nes giten, fo würben wir freilich des aufgebedten Widerſpruchs der menfihlichen Breiheit mit der göttlichen Vorherbeſtim⸗ mung gründlich los, aber aud) auf eine Weltanficht Hin ausgetrieben, ber ber menſchliche Geift von Haus aus widerſtrebt, weil fie feinen religiöfen und fittlihen Grunds Überzeugungen unb Intereſſen den Krieg erklärt. Denn

1) Vergl. meine Ginfeltung in die Dogmatik €. 45 ἢ.

Vorher beſtimmung. 207

ob man, was als nothwendige folge einträte, bie menſch⸗ lie Selbfiftändigfeit und Freiheit in bem abfoluten gótt« liden Wefen vernichte (Syſtem des afosmifhen Pantheis⸗ mud)!y, ober umgefehrt bad Abfolute in die Endlichkeit hereingiehe und darin auflöfe (Syſtem des, atheiftifhen Bantheismus) 2): beides ftebt in gleich unheilbarem Wider⸗ fprude mit jenen Ueberzeugungen und Intereffen.

An folhem Vorſchreiten hindert uns bie wefentlide Wahrheit; daſſelbe kann daher aud) fein Bebürfniß unferer Erfenntniß fein. Zwar hat man fid allerdings über ben Oegenfag der göttlichen Vorherbeſtimmung mit ber menſchlichen Gelbfibeftimmung zu erheben, aber babei fann Tit bie Abſicht fein, benfefben aufzulöfen, als unwahr du vermerfen; er if im unmittelbaren Bewußtfein, im Glauben begründet und muß in feiner wefentlichen Wahr⸗ beit erhalten werben.

Die Einheit daher, auf welde bie Grfenntnig bins fibt, kann nicht bie Identität fein, in ber bet Gegen» ín völlig untergegangen ift; c6 muß bie Einheit im Unterfäiede fein, b. B. bie Unterordnung ber menſchlichen Eigenmacht unter bie göttliche Allmacht, ber freien Selbſtbeſtimmung unter bie Vorherbeftimmung. Der menſchliche Wille ift gar Princip feiner Handlungen, ba tt ohnedies nicht frei wäre, aber er ift nicht unbedingtes Prineip wie ber göttliche Wille; er ift war ſelbſtmaͤchtig, aber nicht allmaͤchtig; vielmehr beruht feine Selbfiftändig« fit auf Abhängigkeit, wie in phyſiſcher fo in fittlicher Beiichung.

1) De Bräbeflinationiomus Hat, wie wohl unbewußt, im biefem Spfteme feine Wurzel.

2) Bergl. Hegel, Enchflopäble der fit. DB. 3te Ausg. 5.573 M. €. 592, begreiſſich mur hinſichtlich des obigen Sprachgebrauch.

"doe Die chriftliche Gnadenlehre.

Dieſes allgemeine Ergebniß iſt nun theils näher zu entwideln, theils weiter zu begründen.

Säelling, in feinen ,pbilofopbifden Unterfuchungen über das Wefen der menſchlichen Freiheit“ 1) und mit im Alle, woelde eine reine Grfenntnig, ein das Gebeimnif befeitigendes, ben Glauben überflüffig madendes Wiſſen anftreben, halten bie Art ber Löfung fpeculativer Kragen, wie fle in bem Bisherigen in Betreff der göttlichen Vor⸗ herbeftimmung und menſchlichen Selbfibeffimmung verfudt ' worden, für unvollftändig und ungenügend. Schelling be merkt (a. a. DO. ©. 403): „Die meiften, wenn fte auf richtig wären, würden geflehen, daß wie ihre Borftellungen beſchaffen find, die individuelle Freiheit ihnen faft mit allen Gigenfdjaften eines hoͤchſten Wefens im 9Biberfprud) fdjeine, % Ὁ. ber Allmacht. Durch bie Freiheit wird eine bem Princip nad) unbebingte (?) Macht aufer und neben ber goͤttlichen behauptet, welche jenen Begriffen zufolge un denkbar if. Wie die Sonne am Firmament alle Himmels⸗ liter auslöfht, fo unb nod) viel mehr bie unendliche Macht jede endliche (I). Abſolute Gaufalitàt in Einem Weſen läßt allen andern nur unbebingte Paffvität übrig ?). Hiezu kommt die Dependenz aller Weltwefen von Gott, und daß felbft ihre Kortdauer nur eine flets erneute Schoͤ⸗ pfung ift, in welder das enblidje Wefen bod) nicht als ein unbeftimmtes Allgemeines, fondern al biefes beftimmte,

1) Philoſophiſche Schriften 1. 80. Landshut 1809. ©. 399 ἢ. Gine höchn Lefrreiche Abhandlung: non verum docendo quod nesciunt philosophi, sed ad verum quaerendum theologos excitando wenn es erlaubt if, das Wort Auguſtins Ge vera relig. c. 8) in biefer ffüeife umzubeuten.

2) Diefer Gedanke iR ble außgefprodene Grundlage der Galvinis fen Praͤdeſtinationslehre.

Vorherbeſtimmung. 200

einzelne, mit ſolchen und feinen andern Gedanken, Bette bungen und Handlungen produeirt wird. Sagen, Gott halte feine Allmacht zurüd, damit ber Menſch handeln fönne, ober er.laffe die Freiheit zu, erklärt nichts: zoͤge Gott feine Macht einen Augenblid zurüd, fo hörte ber Menf auf zu fein. Gibt es gegen biefe Argumentation einen andern Ausweg, als den Menſchen mit feiner Breis heit, ba fie im Gegenfag der Allmacht undenkbar if, in das göttliche Wefen felbft zu retten, zu fagen, baf ber Menſch nidt außer Gott, fondern in Gott fei unb daß feine Thätigfeit felbft mit jum Leben Gotteó gehöre?“

If dies ber einzige Ausweg, bann ift aud) der Ban» theismu8 vie einzige, bie allein wahre Philofophie. Und wenn Dies, was folgt weiter? Da beginnt ein neuer, gewiſſermaßen exoterifcher Streit über Wirfung und Werth dieſes philofophifchen Syſtems. Während feine Anhänger daſſelbe im Einklang wiffen mit ben unmittelbaren Ueber zeugungen, mit den religiöfen und fittlihen Intereffen des menſchlichen Geiftes, ja felbft behaupten, daß, diefe für ben denfenden Geift nur in ihm eine ſichere Stätte finden, glauben anberé, εὖ fei gerade biefe Denfweife das Grab jener Ueberzeugungen, fte [εἰ fataliftifh und atheiſtiſch '), womit wir übereinftimmen. Hier ift, wie fonft nirgends, ein gemeinfamer Boden, auf bem fid) bie fonft toto coelo verſchiedenen Cyfteme begegnen, ein Punct, wo wir ben Hebel anfepen koͤnnen. Auch Schelling anerfennt, was fein Philoſoph läugnen follte: „ein Syftem, das ben heilige fen Gefühlen, dad dem Gemüth und fittlihen Bewußtſein

1) Jacobi über die Lehre des Cpinogs. 9868. IV. 1. ©. 216.

210 Die chriſtliche Gnadenlehre.

widerſpricht, Fönne, in dieſer Eigenſchaſt wenigſtens, nie ein Syſtem der Vernunft, ſondern nur der Unvernunft heißen" (S. 507). Läugnen, daß die Philoſophie von den wefentlihen Grunbübergeugungen des Geiftes, davon eine das Bewußtfein der fittlihen Freiheit des Willens ift, auszugehen habe, hieße in ber That fid) den Boden unter den Füßen felbft wegziehen; und fo weit hat fif unſers 9Biffen fein Syftem verirrt, aud) fein pantheiftifches, obgleich biefe durchaus in centvifugaler Richtung verlaufen und nie wieder zu biefem ihrem Anfangspunct zurüdfehren. Dennoch ift jene 9feuferung nicht fo ernſtlich gemeint als fie lautet. Denn wenn bie moniftifhe Philofophie von jenen Ueberzeugungen der Vernunft ihren Ausgangspunct nimmt, fo ift fie bod) nit gemeint, fie als binbenbe, bleibende Bafis, als das Gentrum um das fie zu roticen, als bie Sonne von der fie ihr Licht zu empfangen habe, anzuerkennen. Unter der Hand verändert fid) ihr die Aufr gabe, wandeln fid) die Grundbegriffe der Vernunft in ihr Gegentheil um, weil nur fo fie zu ihrem Ziele, jenem reinen Wiſſen gelangt, aus bem ber Gegenfag und übers haupt alles Incommenfurable verbannt ift.

Diefe abfolute Grfenntnifart, in ber man fid) über die Orundwahrheiten ber Vernunft hinwegfest, fo zu fagen auf feine eignen Schultern fleigt um eine weitere Ausfiht ju gewinnen, ift. fein Bebürfniß für ben menfchlichen Gift und fann niemals allgemeine Anerkennung fid) verfdaffen. Sie erbaut nidjt das Syſtem der Vernunft, fondern ber Unvernunft in dem Sinne, daß fle bie Grängen der Wahr heit überfd)veitet. Das ift der Wall in ber vorliegenden frage, wenn .bie Freiheit des menſchlichen Willens, ‚indem fie ald Moment in das göttliche Wefen hineinger

Vorherbeſtimm ung. 211

nommen, mit ber Nothwendigfeit des göttlichen Seins identificirt wird.

Wäre die Freiheit eine dem grind nad) unbebingte Stadt, fo fónnte fie freilich aufer Gott für fid) feiend nit gedacht werden; bie abfolute Macht Gottes ſchließt alles in fid was in biefer Eigenfchaft eriftirt, daher man noths wendig ber menfchlichen Freiheit entweder biefe Eigenfchaft abfprechen oder aufhören muß, fie als etwas für fid, als eine felbftftändige Eriftenz aufer Gott zu betrachten. Das fegtere ift unvollgiehbar; jeder derartige SBerfud) fheitert an dem menſchlichen Selbſtbewußtſein. Wir find aber nicht in biefe Alternative eingezwängt: bie menfchs fife Freiheit ift feine bem Princip mad) unbebingte Naht; fte ift eine Macht von fi) aus zu handeln, einen Zuſtand anzufangen; fie ift ein reelles Princip, aber bes dingt und abhängig, und abhängige Selbftftändigfeit ift, tie wir bald fehen werben, fein widerſprechender Begriff. Sud; von ber andern Seite betrachtet, tritt ung Fein Wider Íprud) entgegen. Die abfolute Gaufalitát Gottes hebt fo wenig bie Selbftftändigfeit des Endlichen auf, baf fie vicl» mehr Grund und Quelle berfelben ift. Eben weil. bie Dinge von Gott dependiren, von ihm gefdaffen unb ers halten find, fo find fie ihres Dafeins und ihrer Selbſt⸗ fünbigfeit fiher. Eine Gaufalitát, die lauter Baffivitäten ſeht, ift feine abfolute, eine Macht, bie nur Unmächtiges ſchafft, Feine Allmacht, von ber göttlichen Liebe gar nicht u reden, ber ein ſolches Verhaͤltniß der Creatur, zu reiner Paſſivitaͤt beſtimmt zu fein, widerſpricht. Wie die irdiſche Sonne die Himmelslichter nicht auslöſcht, ſondern nur uͤberſtrahlt, wie fte vielmehr ben Weltkoͤrpern ihres Syſtems Grund und Duelle des Lichtes ijt, alfo loͤſcht aud) bie

Ses. Quartalſqhriſt. 1859. 11, Hefte 15

212 Die qhriſtliche Gnadenl⸗hre.

goͤttliche Sonne die irdiſchen Lichter nicht aus, die gerade in ihrem Lichte leuchten, ohne daß ſie ſelber dadurch an Glanz verloͤre.

Das iſt wahr, wenn man das Endliche begreifen will, fo darf man es nicht im Gegenſatze gegen das Unendliche betrachten. Denn begriffen !) wird etwas nur, wenn es auf feinen Grund zurüdgeführt und aus ihm erkannt wird. Das ift das Verhaͤltniß der@inheit über dem Gegenfag, zu der man fid) erheben muß, der Unter orbnung bes einen Gliebeó befjelben unter das andere, der Abhängigkeit des einen vom andern. Ihm ſteht entgegen das Verhaͤltniß ber Ipentität, das bie pam theiftifche Speculation als das wahre aufftellt. Um bie menſchliche Freiheit, bie im Gegenſat gegen bie göttliche Allmacht nicht beſtehen fann, ungefährdet zu erhalten, müffe man fte, meint Schelling, in das goͤttliche Wefen tetten. Und allerdings, was in dem göttlichen Weſen feine Stelle findet, ift unvergängli und fann nicht nicht⸗ fein; es ift nothwendig, wie biefe& felber. Allein folie Rettung fommt bem Verberben, der Vernichtung gleich. Endliches verträgt die göttliche Herrlichkeit nift. Was im göttlichen Wefen ift und weflen Thätigfeit mit zum Leben Gottes gehört, Tann ſchlechthin nicht außer unb vers ſchieden von Gott, in fid felbft und für fid) feienb bes griffen werden. Diefes Bürfichfein ift e aber, was das Selbftbewußtfein des Menſchen für feine eigene Grifteny und das fittlihe Bewußtfein für bie Freiheit des Willens in Sinfprud) nimmt, und was feine Speculation angu

1) Das Begriffenfein ift der Inhalt des Begriffs, von bem et feinen Namen fot. Das nämlich if begriffen, deſſen Begriffenfein in einem andern erfannt wird.

Borherbeflimmung. 213 taſten berechtigt if. Wie ber Menſch überhaupt nicht aus dem göttlichen Wefen emanirt, fondern burd) einen freien Act des góttliden Willens ift, fo aud fein Wille, feine Freiheit. IA e& alfo für den fpeculativen Begriff, für bie Erflärung des Endlichen ſchlechthin ge» fordert, fein außer Gott Sein (extra et praeter Deum) auf ein Sein in Gott, feine Selbfiftändigfeit auf bie Abs hängigfeit von Gott zurüdzuführen; fo muß ber göttliche Billensact und nicht das göttliche Wefen als deren Quelle und Grund erfannt werden. Unter Zugrundles gung ber Ipentität, des Subftantialitätsverhält- niffe& zwiſchen Gott und Welt wird ed, von allem andern abgefehen, niemals gelingen, das felbfiftünbige Dafein Individualität) der weltlichen Dinge, unb am allerwenigs fen die Freiheit des menſchlichen Willens zu begreifen 1). 3n das göttlihe Wefen und Leben verflodten, verhalten fe fid) nur als Momente beffefben; das göttliche Weſen ſelbſt aber hört auf eim perfónlidjed, unabhängig von ber Belt für fd feiendes und in fid) abgeſchloſſenes zu fein, (ὁ if in bem Begriffe der abfoluten Subftanz, des all gemeinen @eiftes feiner Selbſtheit entkleidet. Das find die Klippen am denen ber Pantheismus ſcheitert, bie Sylla der Selbftlofigfeit des Endlichen unb bie Charybdis

.1) Belaunt i bas Wort des größten beutffjen Philoſophen, keibnig: „Wenn fene Monaben wären, fo hätte Cpinoja redit" (Leibmiteii opp. ed. Dutens, Tom. IL p. 327). Das Princiy ber Invividmation, das durch die ganze endliche Welt herrſcht, flieht den Bantheiemus aus. Sft man dieſes Princip fallen, wie es ber Pausheisnus ia allen feinen Bormen tun muß, wm ben Gingang ju f ſelber μὲ finden, fo iMt fid) alles außer Bott in bloße Aeccidenzen und Modiſicatlonen ber allgemeinen, einen gottlichen Gubflang auf. Bol Leitaite. Opp. Tom. IL P. IL 452 sed.

15*

214 Die qhriſtliche Gnadenlehre.

der Unperſoͤnlichleit des Abſoluten. Auch ſind die beſon⸗ ders von Schelling gemachten mannigfaltigen Verſuche ven dem Princip der Identitaͤt aus das Problem der Specu⸗ lation zu loͤſen vollſtaͤndig mißlungen !), bis er zuleht ſelbſt fi ju der Einſicht bekannte; daß das MWentitaͤts⸗ ſyſtem einſeitig und negativ, durch ein zweites, die Tran⸗ ſcendenz Gottes unb das Cauſalitaͤtsverhaͤltniß zwiſchen ihm unb ber Welt zur Vorausſehung nehmendes poſitives Cyftem zu ergänzen fei, was freilich wieberum nicht zum Ziele führte 9.

„Abhängigkeit hebt Selbfiftändigfeit, hebt fogar Frei⸗ heit nicht auf" 5): das ift bie Wahrheit, mit deren An erfennung das Gebiet der Sperulation betreten und namentlich unfere in fpeciell beftimmter Weife vorliegende Trage ihrer Löfung entgegengeführt wird. Die Abhängig trit vom abfoluten Willen nämlich, in feiner Dreifachheit als fhöpferifcher, erhaltender und regierender (vor » und verfehender) Wille, im Unterfhieve von bem abfoluten Wefen und feiner Dreiperfönligkeit, folglich, da ber göttliche Wile am fij ibentiff ift mit bem göttlichen Weſen, bie Abhängigkeit Bon ber göttlichen Willens be fimmung, bem göttlichen Willensa c t— fie ift bie Lebens⸗ quelle alles Endlichen unb fo aud des freien menfchlichen Willens. Weit entfernt alfo, bag die Individualität unb eigene freie Bewegung ber enblidjen “Dinge, insbefondere

1) Bergl, meine Schrift: Jacobi unb die Philoſophie {ἐν ner Zeit. Mainz 1834. ©. 534 ff.

2) Vergl. meine Abhandlungen über Schellings nego tive, pofitive und Dffenbarungsphilofopgie, in der Quarts Sqhrif Sag. 1844. €. 57 ἢ. 179 ῇ. Jahıg 1845. ©. 1 ἢ.

3) Selling a. α, Ὁ. €. 418.

Vorherbeſtimmung. 215

eine freie Bewegung des menſchlichen Willens in Wider⸗ ſpruch treten ſollten mit der abſoluten Willensbeftimmung }), etlennen wir in dieſer vielmehr ihren Erflärungsgrund, die höhere Einheit, zu welcher der Gegenfag ber blos vors fellenden Grfenntni in ber begreifenden fid) fortbeftimmt, und in biefem Fortgang des Widerfpruches [o8 wird, wos mit er dort behaftet ift.

Indem wir aber folhermaßen den enblihen Willen in fhlechthiniger Abhängigkeit von bem abfoluten benfen, fo entftehen uns neue und ganz eigenthümliche Schwierig⸗ keiten, bie in der bisherigen allgemeinen Betrachtung nod) nit einmal ausdruͤcklich angezeigt, viel weniger wirklich gelöst find. In ber $Borferbeftimmung unb bet ihr gemäßen abfoluten Wirffamfeit der göttliben Gnade ift lediglich eine Abhängigfeit des guten Willens von Gott gefeßt; und erft baburd), bag wir von ber Vorherbeftimr

. mung gu bem allgemeinern Problem des göttlichen Vorher⸗ wiſſens übergingen, haben wir ben menfchlihen Willen überhaupt, alfo den guten wie ben böfen, wenn aud) nit direct abhängig don Gott, b. 5. von ihm verurfacht,

1) Bon Duns Scotus wird erzählt (Döllinger in bem Preis burger Kicchenlerifon s. v.): Auf einer feiner Reifen in England Babe an einen mit Gen. be[djáftigten Bauer Worte religiöfer Mahnung gerichtet. „Wozu mahnft du mich“? fagte ber Bauer; „wenn Gott voransgefehen Hat, bof ich felig werde, fo werbe ich es unfehlbar, ich mag Gutes oder Böfes thun, hat er aber meine Verdammniß voraute gefehen, fo kann mich nichts von berfelben erretten.“ Scotus erwiderte: u Benn das Wiffen Bottes, wie du meinft, Alles unabänderlich nothe wendig macht, wozu fáeft du? Hat Gott vorausgefehen, daß hier Ges trade wachfen wird, fo wird εὖ wachfen bu magft fäen ober nicht fäenz und fo umgefehrt, alfo ift deine Arbeit vergeblich". So alfo führte Scotus den Bauer ad absurdum und damit zur Anerkennung obiger Wahrheit.

216 Die chriſtliche Gnadenlehre.

fo bod) in folder Weiſe in feiner freien Bewegung ber gránjt gedacht, daß berfelbe Gegenfag, ber in Anfehung des guten Willens auf jener Seite fid) aufthat, in Ans fehung des freien Willens überhaupt auf biefer Seite zum Vorſchein fam. Während nun in ber Frage ber gótt lichen Präfeienz die Schwierigfeit birect auftritt, wie ber freie Wille als Vermögen des Guten und des Böfen von Gott abhängig gedacht werben Fönne, fo flellt fid) biefelbt Schwierigkeit in der fpeciellen Stage von ber göttlichen SBrübeftination indirect ein, baburd) nämlich, daß wir, um bie Abhängigkeit des guten Willens von Gott unbefchabet feiner Freiheit begreifen zu können, den menſchlichen Willen überhaupt ober den freien Willen auf den göttlichen als feine Quelle und feinen Grund zurüdzuführen hatten. Das alfo ift, wenn wir in der Löfung des Problems ber Praͤdeſtination nicht bei jenem allgemeinen Ergebniffe flehen bleiben dürfen, bie num auftretende neue Schwierigkeit: wie ber freie Wille des Menſchen, ba er als folder δα Vermögen des Guten und des Böfen, von Gott, defien Wille ald der abfolut lautete und heilige allem Böfen fremd ifi, abhängig gedacht werben koͤnne.

Das Vermögen des Guten und Böfen, welches der freie Wille ift, wird nicht in feiner wefentlihen Wahrheit erfannt, wenn εὖ als reine Indifferenz, als unlebendiges Bahlvermögen gefaßt wird, fo bag das Wefen des freien Willens eben darin beftände, fij ſchlechthin gleichgültig gum Guten und Böfen zu verhaften, und erft anderswoher Antrieb und Kraft empfangen müßte, um eine lebendige Wurzel des fittlihen Gegenfages zu werben. Der freie Wille ift diefe Ichendige Wurzel 1), feine blos paffive,

1) Der 8L Auguftin ſcheint (de grat. Christi c. 16 seq.) biet

Vorherbeſtimmung. 217

ſondern bie active Caparität für das Gute unb Boͤſe; und wenn gleich der Wille auf fij allein geſtellt nicht über den Zuftand ber Potentialität hinausfommt (borig. beſt S. 84), fo ift das, was ihn darüber hinaus» und in das Gute ober Böfe hineinbringt, fomme es nun von dem Menſchen felber oder von außenher, bod) mur eine fole Bewirkung des Guten ober Böfen in ihm, der er widerſtehen fann und bie er durch freie Selbſtentſcheidung (activ) fid gu eigen madt. Indem man aber fo im Intereffe der Freiheit des menfchlihen Willens jeber Auf⸗ feffung entgegentritt, wodurch das ihm einwohnende fitt» li$e Vermögen auf eine unlebendige, inbifferente oder yaffive Kraft Derabgebrüdt würde; fo erheben fid) dagegen af der andern Geite Bedenken von fo hohem Belange, deß kaum abzufehen ift, wie jener Forderung eine Genüge

Begriffe der Freiheit entgegenjutreten; (m ber That ifl e& aber mur bie belagtanifche Anwendung beflelben, ber er, und mit vollem echt, wöerfpricht. Pelagius behauptete nämlich (I. c.), bit possibilitas boni δἰ mali fomme von Gott, bem wir bie Staturgabe ber Freiheit verbaufen, das Gute und Böfe aber als ein Wirkliches vom Menfchen, unb {εἰ Vjüglid bes Guten wie des Böfen Lediglich das Θτρεθπίβ W$ Gebrauche, den er von feiner Freiheit made. Die vom Menfchen xehandhabte Freiheit alfo ift nach Belagius ble eine und gemeinfame Burzel des Guten und Böfen. Diefen Begriff der Freiheit verwirft Auguſtin ale der evangelifchen und apoftolifchen Lehre widerfprechend. Bon dem Guten und Böfen fat mad) ihm jebes feine eigene Wurzel, Tub beide Fommen nicht in gleicher Weife vom Menſchen. Die von Gott gepflanzte charitas if die Wurzel des Guten, bie ans ber Gelönfucht des Denfhen kommende cupiditas die Wurzel des Büfen. Mber der Wille ift fähig, beide Wurzeln in fi aufzunehmen, mb im Ginne viefer capacitas utriusque radicis gibt Muguflin bem Begriff der Freiheit als possibilitas boni et mali zu. Diefe Gapacitát a8 eine bloße Paffivität zu verſtehen, wiberfpräde dem ganzen anguftinifchen Syſteme. Vergl. voriges Heft ©. 85.

218. Die riftliche Gnadenlehre.

geſchehen koͤnne. Sft es nämlich auf bem Boden des Hriftlihen Glaubens ſchlechthin unzuläffig, für die Freiheit des menfhlihen Willens einen aufergóttIiden Ur fprung anzunehmen, fo ift, indem diefelbe auf Gott zurüds geführt wird, eben damit das in ifr enthaltene Vermögen des Böfen als eine göttliche Gabe betrachtet, unb. dies ſcheint mit ber Heiligfeit Gottes völlig unverträglic zu fein. Denn eine Theilung in der Art, daß, gleidjmie bie gute That der göttlichen Gnade, bie böfe dagegen bem menſchlichen Gigenmillen zuzuſchreiben ift, alfo aud das Vermögen des Böfen [ebiglid) vom Menfchen und nur das des Guten von Gott herzuleiten wäre, fann offenbar nicht verfuht werden, ba das Vermoͤgen des Böfen von dem des Guten unjertrennfid, und der: menfe lichen Freiheit weſentlich ift, in Einem beides zu beſihen, dies zweiſchneidige Schwerbt zu fein. Sind nun bie

gnoftifden Ausflücte, wie faum bemerft, von vorne herein abgefdnitten, auf die ohnehin Heutzutage nicht leicht Jemand zurüdfommen möchte, wiewohl es Dualiften gibt, bie bei ungehemmter Confequenz darauf hinausge führt werben fo fann man verfucht fein, bie Realität des Böfen abzuſchwächen und es als etwas blos Negatives zu faffen, um auf ſolche Weife der Verlegenheit zu begegnen, welde aus ber Zurüdführung ber Freiheit auf Gott ent. -fpringt. Allein aud) biefer Verſuch ift mit Schwierigkeiten verbunden, bie faum leichter wiegen αἵδ᾽ diejenigen, zu deren Befeitigung fie gemacht find. Denn je mehr man die Realität des Böfen abſchwaͤcht und baffebe auf einen blos negativen Werth herabſetzt, befto ſchwerer wird e$, ben Begriff der fittlihen Freiheit und einer fittlichen Welt ordnung aufrecht zu erhalten, Auch fommt man, abge

SBorferbefimmung. 219

hen von biefer unb ben damit zufammenhängenden Schwies tiftiten auf bem eingefdjlagenen Wege nicht zu bem vot» gritdten Ziele. Denn wie weit man aud) das Richtfein ae das blos negative Sein des Böfen fleigern mag, immer muß etwas zurüdbleiben, beffen Pofition und Reas Int auf Gott zurüdgeführt das lautere Wefen Gottes, wenn auch in minderem Grade als bei bem vollen Bes gif des Böfen, zu trüben droht. Nur wenn man bes tchtigt wäre, den reellen Gegenfag zwifhen Gut und Bös gu aufzuheben unb einen von bem gewöhnlichen gänz« Ih verſchiedenen Begriff des Iegtern, eben damit aber t$ des erſtern aufzuftellen 4), könnte auf bem einges ſtlagenen Wege hie Löfung des Problems ermöglicht vnden.

Wenn demnach weder ein außergöttliher Urfprung fir den endlichen Willen angenommen, nod) bie in ihm figende Potenz des Böfen unter ihrem wahren Werthe angeſchlagen werben darf, fo ift e& zwar nur bie Mögr ligfeit des Böfen, bie auf Gott zurüdfällt, während bie Verwirklichung beffelben des Menſchen freie That ift; "en man fann nicht Iäugnen, was Auguftin fagt, daß io das Böfe, wenn aud) aus großer Entfernung, von Üott herfommt (non parvo intervallo peccata referuntur in Deum) 9. Offenbar fann ferner, wenn [ebiglid) bie

1) Wie dies im Spinozismus gefchieht und im Pantheiemus übers [πυρὶ unvermeidlich if. Das Böfe ift ihm zufolge von bem Guten. nicht T fondern mut grobuell verfdjieben; es ijt eine Poſition, eine Boll lenmenfeit wie dieſes umb alfo am fid) gut, aber alß eine geringere Berfection erfcheint es im Vergleich mit der größern, bie man bos Gate zu nennen pflegt, mangelhaft und infofern nicht gut, alfo böfe. Seg. Shelling c. o. Ὁ. ©. 424,

2) De liber. arbit. L n. 4: Credimus ex uno Deo omnia esse Tue suni; et tamen non esse peccatorum auctorem Deum. Movet

212 Die qriſtliche Gnabenlchre.

göttliche Sonne bie irdiſchen Lichter nicht aus, bie gerade in ihrem Lichte Teuchten, ohne bag fie felber dadurch an Glanz verlöre,

Das if wahr, wenn man das Gnblije begreifen will, fo darf man εὖ nicht im Gegenfage gegen das Unendliche betrachten. Denn begriffen !) wird etwas nur, wenn εὖ auf feinen Grund zurüdgeführt und aus ibm erfannt wird. Das ift das Verhältniß der@inheit über bem Gegenfag, au der man fid) erheben muß, der Unt er⸗ ordnung beó einen Gliedes befjelben unter das andere, der Abhängigkeit des einen vom andern. Ihm ftebt entgegen das Verhaͤltniß der Identität, das bie pan» theiftifhe Speculation al$ das wahre aufftelit. Um bie menſchliche Breiheit, bie im Gegenfag gegen bie göttliche Allmacht nicht beſtehen fann, ungefährbet zu erhalten, müffe man fte, meint Schelling, in das göttliheWefen retten. Und allerdings, was in bem göttlichen Weſen feine Stelle findet, ift unvergänglih und fann nicht nichts fein; e8 ift nothwendig, wie diefes felber. Allein folche Rettung fommt bem SBerberben, ber Vernichtung gleich. Endliches verträgt die göttliche Herrlichkeit nift. Was im göttlichen Wefen ift unb weſſen Thätigfeit mit zum Leben Gottes gehört, fann ſchlechthin nicht außer unb vers ſchieden von Gott, in fid) felbft unb für fld feiend bes griffen werben. Diefes Bürfichfein ift εὖ aber, was bas Selbſtbewußtſein des Menfchen für feine eigene Exiſtenz, und das fittlihe Bewußtfein für bie Freiheit des Willens in Anſpruch nimmt, und was feine Speculation anzus

1) Das Begriffenfein if der Inhalt des Begriffe, von bem er feinen Namen hat. Das nämlich ift begriffen, beffen Begriffenfein in einem andern erfannt wird.

Borherbeſtimmung. 213

taſten berechtigt iſt. Wie ber Menſch überhaupt nicht aus dem goͤttlichen Weſen emanirt, ſondern durch einen freien Wet des göttlichen Willens ift, fo auch fein Wille, feine Freiheit... If es alfo für ben fpeculativen Begriff, für bie Erklaͤrung des Endlichen ſchlechthin ger fordert, fein außer Gott Sein (extra et praeter Deum) auf ein Sein in Gott, feine Celbfiftünbigfeit auf bie Abs hängigfeit von Gott zurüdzuführen; fo muß ber göttliche Billensact und nicht das göttlihe Wefen als deren Quelle und Grund erfannt werden. Unter Zugrundfes gung der Sbentitüt, des Subftantialitätsverhält- niffe& zwifchen Gott und Welt wird es, von allem andern abgefehen, niemals gelingen, das felbftftändige Dafein (Snbipibualitát) ber weltlichen Dinge, und am allerwenigs fen die Freiheit des menfchlichen Willens zu begreifen ἢ). In das göttlihe Wefen und Leben verflodten, verhalten fe fif nur al& Momente beffeben; das göttliche Wefen ſelbſt aber Hört auf ein perfönliches, unabhängig von ber Belt für ſich feiendes und im fld) abgefchloffenes zu fein, es ift in bem Begriffe der abfoluten Subſtanz, des all» gemeinen @eiftes feiner Selbfiheit entfleibet, Das find die Klippen an benen ber Pantheismus feheitert, bie Seplla der Selbflofigkeit des Gnbliden und bie Charybdis

.1) Belaunt i& das Wort des größten deutfchen Philoſophen, Leibnitz: „Wenn feine Monaden wären, fo hätte Cpinoja recht“ (Leibnitsii opp. ed. Dutens, Tom. II. p. 327). Das Princip ber Individuation, das bur bie gamze enbliche Welt herrſcht, ſchließt den Bantheismus aus. Laßt man biefes Princip fallen, wie es ber Pantgeismns in allen feinen Formen thun muß, um ben Gingang zu fi fdber μι finden, fo löst βάν alles aufer Gott in bloße Meribenzen ud SRobifitattonex ber allgemeinen, einen göttlidgen Subſtanz auf. MgL Leieite. Opp. Tom. II. P. IL zu 52 sed

15*

214 Die Grifilige Gnadenlehre.

ber Unperfönlicpfeit des Abfoluten. Auch find bie befon« ders von Selling gemachten mannigfaltigen Verſuche von bem Princip ber Ipentität aus das Problem der Specu⸗ lation zu löfen vollſtaͤndig miffungen 1), bis er zuleht ſelbſt βῷ μι der Einſicht befannte, baf das Mentitaͤts⸗ foftem einfeitig und negativ, burd) ein zweites, die Trans feendenz Gottes und das Gaufalitätsverhältnig zwifchen ihm unb ber Welt zur Vorausfegung nehmendes pofitives Cyftem zu ergänzen fei, was freilich wiederum nicht zum Ziele führte 9.

nAbhängigkeit hebt Selbfiftánbigfeit, hebt fogar Frei⸗ heit nicht auf“ 5): das ift bie Wahrheit, mit deren An- erfennung das Gebiet der Sperulation betreten unb namentlich unfere in fpeciell beftimmter Weife vorliegende Stage ihrer Löfung entgegengefüfrt wird. Die Abhängig feit vom abfoluten Willen nämlich, in feiner Dreifachheit als fhöpferifäper, erhaltender und tegierenber (vor » unb verfehender) Wille, im Unterſchiede von dem abfoluten Weſen und feiner Dreiperfönligkeit, folglif, ba ber göttliche Wille an fij ibentifh ift mit bem göttlichen Wefen, bie Abhängigfeit Bon ber göttlichen Willens be fimmung, dem göttlichen Wilensa c t— fte ift bie Lebens⸗ quelle alles Endlichen und fo aud) des freien menſchlichen Willens. Weit entfernt alfo, daß die Individualität und eigene freie Bewegung der enbliden “Dinge, insbeſondere

1) Vergl. meine Schrift: Jacobi unb ble Philoſophie fri» met Zeit. Mainz 1834. ©. 534 ff.

2) Berg. meine Abhandlungen über Schellings nego tive, pofitive unb Offenbarungsphilofopie, tn der Quart⸗ Schrift Jahrg. 1844. €. 57 ἢ. 179 f. Jahrg. 1845. €. 1 ff.

3) Selling a. a. Ὁ. €. 418. J

Vorherbeſtimmung. 215

eine freie Bewegung des menfchlihen Willens in Widers fprud) treten follten mit der abfoluten Willensbeftimmung 5, efennen wir in diefer vielmehr ihren Erflärungsgrund, die höhere Einheit, zu welcher ber Gegeníag ber blos vor⸗ fellenden Grfenntnif in ber begreifenden fid) fortbeimmt, und in biefem Fortgang des Widerfprudes [o8 wird, mo» mit er dort behaftet ift.

Indem wir aber folhermaßen den endlichen Willen in ſchlechthiniger Abhängigkeit von bem abfoluten benfen, fo entfliehen und neue und ganz eigenthümlihe €dwierigs keiten, bie in ber bisherigen allgemeinen Betrachtung noch nit einmal ausdruͤcklich angezeigt, viel weniger wirklich gelöst find. Im der SBorferbeftümmung und ber ihr gemäßen abfoluten Wirffamfeit der göttlihen Gnade ift lebigfid) eine Abhängigkeit des guten Willens von Gott gefet; unb erft baburd), daß wir von ber Vorherbeftim-

. mung zu bem allgemeinern Problem bes göttlichen Vorher wiſſens übergingen, haben wir den menfchlihen Willen überhaupt, alfo ben guten wie ben böfen, wenn aud nit direct abhängig von Gott, b. h. von ihm verurfacht,

1) Bon Duns Gcotue wird erzählt (Döllinger in bem Freie burger Kirchenlerikon s v.): Auf einer feiner Reifen in England habe won einen mit Gäen befchäftigten Bauer Worte religiöfer Mahnung geriet. „Wozu mahnf du mic“? fagte der Bauer; „wenn Gott voransgefehen hat, daß ich felig werde, fo werde id) es unfehlbar, idj mag Gutes oder Böfes thun, hat er aber meine Verdammniß voraute geiehen, fo Tann mic; nichts von berfelben erretten.“ Scotus erwiderte: nBenn das Wiſſen Gottes, wie bu meinft, Alles unabánberlid) nothe wendig macht, wozu fäe du? Hat Gott vorausgefehen, daß hier Gee trade wachfen wird, fo wird es wachfen bu magft füen ober nicht fäenz und fo umgefehrt, olfo ift deine Arbeit vergeblich". So alfo führte Erotus den Bauer ad absurdum und damit jur Anerkennung obiger Bafrheit.

216 Die chriſtliche Gnadenlehre.

fo bod in folder Weiſe in feiner freien Bewegung be grängt gedacht, daß berfelbe Gegenfag, ber in Anfehung des guten Willens auf jener Seite fid aufthat, in An fehung des freien Willens überhaupt auf biefer Seite zum Vorſchein fam. Während nun in der Frage der gàtt licen Praͤſcienz die Schwierigkeit dirert auftritt, wie ber freie Wille als Vermögen des Guten und des Böfen von Gott abhängig gedacht werden Fönne, fo ſtellt fid) biefelbe Schwierigkeit in ber fperiellen rage von ber göttlichen Präveftination indirert ein, baburd) nämlich, bag wir, um die Abhängigkeit des guten Willens von Gott unbefdjabet feiner Freiheit begreifen zu fönnen, den menfchlihen Willen überhaupt ober ben freien Willen auf ben göttlichen als feine Duelle und feinen Grund zurüdzuführen hatten. Das alfo ift, wenn wir in ber Löfung des Problems ber Praͤdeſtination nicht bei jenem allgemeinen Ergebniffe fteben bleiben dürfen, bie nun auftretende neue Schwierigkeit: wie ber freie Wille des Menſchen, ba er als folder das Vermögen des Guten und des Böfen, von Gott, beffen Wille ald ber abfolut fautere und Heilige allem Böfen fremd ift, abhängig gedacht werben koͤnne.

Das Vermögen des Guten und Böfen, welches ber freie Wille ift, wird nicht in feiner wefentlichen Wahrheit erfannt, wenn es als reine Indifferenz, al unlebendiges Bahlvermögen gefaßt wird, fo daß das SBefen des freien Willens eben darin beftände, fij ſchlechthin gleichgültig gum Guten und Böfen zu verhalten, und erſt anderswoher Antrieb und Kraft empfangen müßte, um eine Iebenbige Wurzel des fittlihen Gegenfages zu werben. Der freie Wille ift diefe Ichendige Wurzel 1), feine blos paffive,

1) Der HL Auguſtin feheint (de grat. Christi c. 16 seq.) birfem

Vorherbeſtimmung. 217

ſondern die active Capatitát für das Gute und Böfe; und wenn gleih ber Wille auf fid) allein geftellt nicht über den Zuftand ber Potentialität hinausfommt (vorig. Heft €. 84), fo ift das, was ihn darüber hinaus» unb ' im das Gute oder Böfe hineinbringt, fomme es nun von bem Menfchen felber ober von außenher, bod) nur eine fele Bewirtung des Guten oder Böfen in ihm, ber er widerſtehen kann und bie er durch freie Selbſtentſcheidung Cactiv) fih gu eigen macht. Indem man aber fo im Intereffe der Freiheit des menfchlihen Willens jeder Auf⸗ faffung entgegentritt, wmoburd) das ihm einwohnende fitt life Vermögen auf eine unlebenbige, inbifferente ober paſſive Kraft berabgebrüdt würde; fo erheben fid bagegen auf der andern Seite Bebenfen von fo hohem Belange, daß kaum abzufehen ift, wie jener Forderung eine Genüge

Begriffe der Freihelt entgegenzutreten; in ber That if e& aber nur die belagtanifche Anwendung befielben, ber er, unb mit vollem Recht, wiberfpricht. Pelagius behauptete nämlich (l. c.), bie possibilitas boni ei mali fomme von Gott, bem wir bie Naturgabe ber Freiheit verbanfen, das Gute und Böfe aber als ein Wirkliches vom Menfchen, unb {εἰ bezüglich des Guten wie bee Böfen Lediglich das Ergebniß des Gebrauchs, ben er von feiner Breiheit mache. Die vom Menfchen gefanbgabte Breißeit alfo IR nach Pelagius bie eine unb gemeinfame Wurzel des Guten und Böfen. Diefen Begriff der Freiheit verwirft Auguſtin ale ber evangellſchen und apoſtoliſchen Lehre widerfprechend, Bon bem Guten und Böfen hat nach ihm jedes feine eigene Wurzel, und beide Fommen nicht im gleicher Weife vom Menſchen. Die von Gott gepflanzte charitas ift die Wurzel des Guten, bie ans der Selöhfucht des Menſchen kommende cupiditas die Wurzel des Boſen. δες ber Wille it fähig, beide Wurzeln in fi aufzunehmen, und im Ginne virfer capacitas utriusque radicis gibt Muguftin ben Begriff der Freiheit als possibilitas boni et mali zu. Diefe Gapasität |. als eine bloße Paffivität zu verfüeben, widerfpräce dem ganzen auguftiniſchen Syſteme. Bergl, voriges Heft ©. 85.

218 Die chriſtliche Gnadenlehre.

geſchehen koͤnne. Iſt es naͤmlich auf dem Boden des chriſtlichen Glaubens ſchlechthin unzulaͤſſig, fuͤr die Freiheit des menſchlichen Willens einen aufergóttliden Ur— ſprung anzunehmen, ſo iſt, indem dieſelbe auf Gott gurüd» geführt wird, eben damit das in ihr enthaltene SBermógen des Böfen als eine göttliche Gabe betrachtet, unb. dies ſcheint mit ber Heiligkeit Gottes völlig unvertráglid) zu fein. Denn eine Theilung in der Art, daß, gleichwie bie gute That der göttlichen Gnabe, die böfe dagegen dem menſchlichen Eigenwillen zuzuſchreiben ift, alfo aud das Vermögen des Böfen lebiglid) vom Menfchen und nur das bes Guten vom Gott herzuleiten wäre, fann offenbar nicht verfucht werden, ba das Vermögen bes Böfen von dem des Guten unzertrennlich, und ber- menfdr lichen Freiheit wefentlid) ift, in Einem beides zu befigen, dies zweifchneidige Schwerdt zu fein. Sind mum die gnoftifden Ausflüchte, wie faum bemerft, von vorne herein abgefgnitten, auf die ohnehin heutzutage nicht leicht Jemand zurüdfommen möchte, wiewohl es Dualiften gibt, bie bei ungehemmter Confequenz darauf hinausge führt werden fo fann man verfucht fein, bie Realität des Böfen abzuſchwaͤchen und es als etwas blos Negatives zu faſſen, um auf ſolche Weife der Verlegenheit zu begegnen, welde aus ber Zurüdführung ber Freiheit auf Gott ent -feringt. Allein aud) biefer Verſuch ift mit Schwierigfeiten verbunden, bie faum leichter wiegen als biejenigen, zu deren Befeitigung fte gemadht find. Denn je mehr man die Realität des Boͤſen abſchwaͤcht und baffelbe auf einen 6108 negativen Werth herabſetzt, befto ſchwerer wird e$, den Begriff ber fittlihen Freiheit und einer fittlihen Welt⸗ ordnung aufrecht zu erhalten, Auch fommt man, abge

Vorherbeftimmung. 219

fehen von dieſer und ben damit zufammenhängenden Schwie⸗ tigfeiten auf dem eingefchlagenen Wege nicht zu bem vor» geftedten ‚Ziele. Denn wie weit man aud) das Richtfein oder das blos negative Sein des Böfen fteigern mag, immer muß etwas zurüdbleiben, beffen Pofition und Rea⸗ lität auf Gott zurüdgeführt das lautere Wefen Gottes, wenn aud) in minderem Grade als bei bem vollen Bes griff des Böfen, zu trüben droht. Nur wenn man bes tehtigt wäre, ben reellen Gegenfaß zwiſchen Gut unb Bös ganz aufzuheben und einen von bem gewöhnlichen gänz«

. lid verfchiedenen Begriff des Iegterm, eben damit aber «ud des erſtern aufzuftellen 4), fünnte auf bem einges ſchlagenen Wege die jung des Problems ermöglicht erden.

Wenn bemnad weder ein außergöttliher Urfprung für den endlichen Willen angenommen, nod) bie in ihm liegende Potenz des Böfen unter ihrem wahren Werthe angefhlagen werden darf, fo ift es zwar nur bie Mög- lichkeit des Böfen, bie auf Gott zurüdfällt, während bie Verwirklichung beffelben des Menfchen freie That ift; allein man fann nid läugnen, was Auguftin fagt, baf fo das Böfe, wenn aud) aus großer Entfernung, von Gott herfommt (non parvo intervallo peccata referuntur in Deum) ἢ. Offenbar fann ferner, wenn [ebiglid) bie

1) Wie dies im Spinozismus gefhieht unb (m Pantheismus über⸗ haupt unvermeidlich if. Das Böfe ift ihm zufolge von bem Guten nicht tell fondern mur graduell verfchieden; εὖ ift eine Pofition, eine Volle Temmenfeit wie dieſes und alfo am fich gut, aber als eine geringere Berfestion erſcheint e$ im Vergleich mit der größern, bie man das Snte zu nennen pflegt, mangelhaft und infofern nicht gut, alfo bäfe. Beg. Selling a. a. Ὁ. ©. 424.

2) De liber. arbit, I. n. 4: Credimus ex uno Deo omnia esse Que sunt; δὲ tamen non esse peccatorum auctorem Deum. Movet

220 Die Griffe Gnadenlere

ſchöpferiſche Begabung des Menfchen mit dem freien Willen ins Auge gefaßt wird, nicht gefagt werden, Gott babe ben Menfchen gut geſchaffen; denn das Boͤſe i ihm ebenfo nahe gelegt ald das Gute; ja das Verlangen nad den ihm umgebenden irdiſchen Gütern und Genüſſen, worin, wenn es mit der Abwendung der Seele von Gott, bem unveränderlichen Gute, verbunden ift, bie Sünde ber ftebt, tritt um fo unmittelbarer und flärfer hervor, je mehr wir und ben Menſchen von Gott verlafien, oder was hier baffelbe if, ihn nur in feinen fhöpferifhen Gaben bem Menſchen präfent denken. So fpringt εὖ in bie Mugen, in welder Richtung die Befeitigung be& Anftoßes, ber aus der Zurüdführung des freien Willens auf bie ſchoͤpferiſche Eaufalität Gottes hervorgeht, zu fuden if. Er entficht eben nur daraus, baf wir Gott nad) der Schöpfung des Menfhen von biefem fi zurüdjiehen, daß wir ben Menſchen mit bem zweiſchneidigen Schwerdte der Freiheit in der Hand ſeine Wanderſchaft durch die Welt allein an⸗ treten laſſen: eine einſeitige, abſtracte Betrachtung, von ber εὖ klar ift, daß fie ein befriedigendes Reſultat nicht gewaͤhren kann. Wir haben von der ſchoͤpferiſchen Cau⸗ ſalitaͤt Gottes (und der erhaltenden, welches nur die fort⸗

antem animum, si peccata ex iis animabus sunt, quas Dens creavit, illae autem animse ex Deo, quomodo non parvo intervallo peccata referantur in Deum. N. 35: Et illud simul mihi videre jam videor absolutum atque compertum , quod post illam quaestionem, quid sii male facere, deinceps quaerere institaeramus, unde mals faciemus" Nisi enim fallor, ut ratio tractata monstravit, id facimus ea libero voluntatis arbitrio. Sed quaero utrum ipsum liberum arbitrium, quo peccandi facultatem habere convincimur, oportuerit nobis dari ab eo qui nos fecit. Videmur enim non fuisse peccaturi, si isto careremus; δὲ meluendum est na hoc modo Deus etiam malefacto- vum nostrorum auctor ecisiimetur.

Borherbeftimmung. 221 gefehte ſchoͤpferiſche if) qu ber regierenden (vote umb vers fehenden) fortzuſchreiten, bie in ihm eins find, unb in ihrer Einheit und unzertrennlihen Verbindung erft das Ver⸗ haͤltniß Gottes zum Menfchen in feiner Totalität unb Wahrheit befimmen. Und biefes nur erft nad feiner natürlichen Seite. In Erweiterung und tieferer Verinner⸗ lichung ber ordentlichen Vorfehung begründet fid jene übernatürlihe Offenbarung unb Heilsordnung Gottes, bie als baé legte unb hoͤchſte Moment bet göttlichen Eaus faität zugleich ba& entſcheidende Gewicht in bie Wagſchaale unferer Deliberation legt und das fchwierige Problem ber Theodicee allein einer beftiedigenden Loͤſung gufüfrt. Wenn turf die ſchoͤpferiſche Thätigkeit Gottes wie bie Natur gaben überhaupt fo aud) die Freiheit des Menfchen als das Bermögen des Guten und Böfen verurfacht find, fo iR es die Vorſehung, im welcher Gott lediglich auf bie Seite des Guten treten baffelbe burd) alle Mittel feiner natürlichen Weltregierung zu fördern und zur Herrichaft m bringen bedacht ift. An diefe Thärtgkeit Gottes auf den menſchlichen Willen, um benfelben für das Gute zu fimmen und zu gewinnen (mas man fonft bie äußere Gnade nennt), ſchließt fid) bie uͤbernatuͤrliche Einwirkung auf die innern Willendbewegungen felbft, wodurch ber Ville für das Gute beffimmt und aus einem inbifferenten ein zum Guten. geneigter, ein guter Wille witb. So erf if bie wahre Freiheit verwirklicht, ba& Erhobenfein des Willens über bie Begierde. Bliden wir von bier hoͤchſten Manifeftation, im ber fid) bie Abficht und die Wirffamfeit Gottes auf ben Menfchen abſchließt 5,

1) Und zwar nid fucceffive, fonbern wie mit einem Male fdjon beim even Denfcen Was wit im Dbigen vorgeisagen haben, fab

222 Die Hrifliche Gnadenlehre.

‚auf das efte Moment, die fehöpferiihe Gaufalitàt zurüd, fo ift man berechtigt zu fagen: der Schoͤpfer des Menſchen

mur bie tiefern Gebanfen der fere von bem. urfprüngliden Zw ftanbe. ᾿

Der Breipeitöbegriff ber SBelaglamer (oben €. 85 u. 217), das ratlonaliſtiſche Princip ihrer Anthropologie, brachte es mit fih, bie un fprüngliche Bolltommenfeit, wie alles Uebernatürliche in der Entwicklung der Menfchheit zu beſtreiten. Deßhalb waren fie nicht im Stande, über den Urfprung bes Böfen auf befriedigende Weile fif zu erflären. Julian, ber ſcharffinnigſte umter ihnen, kommt (bei Augustin. Opp. imperf. V, 55) auf bie rage: unde illa prima vo- 'luntas mala in homine fuerit exorta; umb antwortet: a motu animi cogente nullo, b. f. von bem freien Willen bes Menfchen. Alſo aus bem Werte Gottes? Sa: quia in opere Dei a possibili existit pec- catum istud, non a necessario. Der freie Wille ale That, als motus animi cogente nullo, fährt Julian (c. 58) fort, gehört bn Denfchen, als Natur Gott dem Schöpfer an, unb ift als folche gut. Die Möglicptelt des Guten (c. 57) zwingt den Willen nicht, fonen laßt ihn aus fid entfiehen; ebenfo im Böfen. Keiner if} daher deßhalb gut, weil er einen freien Willen hat, denn ben haben audj die ſchlechteſten, und feiner deßhalb 688, teil er im ihm bie Möglichfeit des Böfen ber fipt, denn ten Haben aud) die beften. Bon bem guten wie von dem böfen Willen fann feine ürſache oder Xtotámenbigfeit amgegehn werben; bie Freiheit als Gapacitüt des Guten unb Böfen Hat bed fo in fid, daß fie zu feinem zwingt, und biefe nothwendige Ginfeit ente gegengefeßter Dinge fann fo wenig getheilt werben, als eine geometriſche finie. So lange fie als diefe unjertrennlidje Einheit beſteht, behält fie die Bedeutung (vim) ihrer Natur (iR nothwendig), fo wie fie aber in den Gegenſatz auseinandergeht, fo hört die Nothwendigkeit, bie zu Ihrer Natur gehört, auf, b. h. ber gute Gott hat ben Menſchen gut geſchafen. Bir Haben (c. 58) nothwendig die Möglichteit des Guten umb Böfen, aber wir gebrauchen fie nicht notwendig, weder gut noch 6386, fonbern frel. So groß, heißt es weiter (c. 59), ber Unterfepieb in zwifchen bem BVollen und Leeren, fo groß ift er aud) zwifhen bem Möglichen und Nothwendigen. Die Möglichkeit als Bählgfeit eines Dinge ift das Ding mod) nicht und hat εὖ noch nicht, ift deſſelben Baar. Man kann alfo jene Möglichkeit des Guten unb Böfen weber gut noch 586 nennen, weil fie bie susceptio repugnantium ift; mur infoweit ift fie noth⸗ wendig gut zu nennen, ober ein natürliches Gut, als bie Ehre

Vorherbeſtimmung. 255 und feiner Freiheit ift in feinem Sinne Urheber des Böfen. Denn erſtens erfpeint das Vermögen des Böfen von ihm aus nad) feiner Abſicht und feiner Thätigfeit nicht an und für fi, fonbern um des Guten willen gewollt unb gefegt, damit nämlich ber Menſch als moralifhes Wefen

des Schöpfers εὖ erfordert; benn fie ift Mufchulb, mit feinem lUehel verbunden unb empkinglic für das Böfe und Ente als eigenes Berl. So Julian.

Auguftin erwiebert Hierauf (c. 57 ff.) im Weſentlichen:

1) Hat Gott ben Menfchen weder gut noch 586 Yefchaffen, fon» dern nur zu beibem fähig, ihm ſelbſt überlaffend bem einen ober andern f zuzuwenden; fo Tönne Julian nicht fagen: bonus Deus bonum fecit hominem; fo fönnte die fl. Schrift (Eccl. 7, 30) nicht fagen: fecit Deus hominem rectum. War er rectus, wenn er feinen guten "Bier Hatte, fondern mur die Möglichkeit beffelben ? Mit bemfelben Rechte Könnte man fagen: er war pravus, non habens malam volun- tatem, sed ejus possibilitatem.

2) Benn bie Freiheit nichts anderes ift als die formelle Freiheit, jene zweiſeitige (im Gleichgewicht der entgegenfeßten fittlichen Potenzen f haltende) Möglichkeit, fo begreifen wir bem Sufamb ber feligen Geißer und Engel nicht, den Zuſtand ber Fähigleit b[o8 für das Gute, be Noth wen digkeit des Guten, jener desideranda necessitas, jener certa. securitas , sine qua non potest esse illa, cui non est aligquid addendum felicitas (c. 61), b. 5. bet Suflanb des un oame belbar auf das Gute gerichteten Willens, bem die Möglichkeit bes Böfen mut als eine abſtracte jur Geile ſteht, wo bie formelle Freiheit war nicht aus bem Willen verbannt aber durch feine fittliche Kraft and Stetigfeit im Guten in den Suflanb des Verſchwindens gebracht ift.

3) Gott hat den Menſchen von Anfang nid einfadjjin des Guten und Böfen fähig, fondern er hat ihn gut geſchaffen, aber frei ; er zwang (ju nicht im Guten zu bleiben, wie er e& ja aud nicht ger then Katz fuu er gab im bie Wirklichkeit des Guten und die Möglichkeit bee Bafen (vergl. c. 62). Aber aud in jener iR die Möglichkeit mitgegeben. Auedrücklich fagt Augaftin (c. 58): ideo fuisse naturam (rationalem) et doni δὲ mali capacem primitus factam, ut, horum alterum diligendo, meritum compararet, quo boni solius vel mali solius capax postmodum flerei. .

224 Die chrimche Enadenlohre.

(frei) in ben Beſih des Guten. fi zu ſetzen und in per foͤnlicher Weife es fij anjueignen vermöge. In dieſer Beziehung ift ba& Vermögen des, Böfen etwas Gutes, das Moment nämlih, ohne welches das Gute im moralifchen Sinne nicht zu verwirklichen wäre. Zweitens. Während das Vermögen des Böfen in biefer feiner παν türlichen Gigenfdjaft weil in feiner bloßen Potentialität von Gott belaffen ift, wird dagegen das Vermögen des Guten über feine Natur erhoben Außerlih und innerlich gefördert und jum wirflihen Wollen des Guten excitizt. Drittens. Das vom Menſchen eigenmächtig, burd) eine bem göttlichen Willen widerfirebende That, hervorgerufene Böfe wird von Gott negirt burd) Anordnung ber Erlöfung, und in deren Zuwendung (Heiligung) bem Menſchen bit Kraft verlieben, baffelbe zu überwinden unb un[djábfid zu maden.

Nunmehr ſtellt fi) uns ber Begriff der Abhängigkeit des menídjlidjen Willens von bem göttlichen in feiner Boll ftánbigfeit dar. Diefe Abhängigfeit ift eine zweifache. Al SBermógen des Guten und Böfen ift ber menſchliche Wide in ver ſchoͤpferiſchen Gaufalitàt Gottes begründet; und biefes Vermögen, das aequilibrium potentise, if das natürliche Element des Willens, das eben fo wenig von ber burd) Gottes Gnade gepflanzten wahrhaften reis heit verfhlungen, als durch bie aus dem Gigentillen ent fprungene Süuͤndenknechtſchaft vernichtet ift 5.

1) Bon bien. ſpricht der Here bei Joh. B, 34. 36: „er bie Gne tut, iſt der Sünde Knecht z wenn eud) ber Sohn frei macht" (ben die Sundenlnechtſchaft int Unfreiheit) „fo {εἰν ihr wahrhaft frei" Jenes nennt der δ΄. Auguflin arbitrium liberum .jusitiae

(charitatis), poccati autem (cupiditatis, cencupiscentiae) servum (Ad Bonif. 1, 2. 3. de.corsept, ot grat, c. 15. de aet. di στε). οἱ 55

Sereni, . 385 als guter Wille if er burd die Gnabe Gottes; ie Werk ift die wahrhafte Freiheit, das Exhabenfein

kb. I. op. imperf. contr. Julian. wieberhoft); ihr Gegentheil if das arbitrium peccati liberum, bie wahrhafte Freiheit, nicht bie fore uelle Breifeit. Die Sündenknechtſchaft wie die wahrhafte Freiheit find vielmehr fittliche Zuflände, bie die formelle Freiheit zut Vorausſetzung ταῦ Grundlage haben. Es it in ihmen das aequilibrium inclinationis aufgehoben, fofern der Wille auf eine Seite geneigt, für das Gute der Böfe entfchieden if, während das aequilibrium potentiae fort leet als Bermögen des Guten und füfem. Wie die Waage dadurch, ΜΡ auf eine Seite ein Gewicht gelegt ift, ihre wefentliche Eigenſchaft alt verliert, die Bähigfeit madj ber anbern Geite ju ziehen und den Ausfäleg zu geben, fo auch bie Freiheit. Wenn ber HI. Auguſtin von einem Verluſte ber Freiheit in Bolge der Sünde fpricht, fo iR nicht die formelle, fonbern bie wahrhafte Freiheit gemeint; bie servitus peccati, necessitas peccandi, servum arbitriam und alle hieher ge» herigen Anabrüdte, deren er fid bebient, find durchweg im @egenfag nicht des formellen, fonberu ber wahrhaften Freiheit gebraucht. Das untere ſcheidet feine Lehre von der Luther's und Galvin’s, bie die Freiheit in jedem Betracht verloren geben, wie denn Luther das servum arbitrrum zugleich im Gegenfag ber formellen Freiheit behauptet. Nicht im Musbrug fiegt des Unterfhied (wie man fermi) gemeint hat, daß bei ugufiu bet legere gar nicht, vorfomme), fondern im Gedanken, ber bei ifm ein ganz auberer iſt als bei jenen. Wir wollen Hiefür einige Stge aus Augußin liefern. Ep. 107 ad Vitalem fagt er: Liberum wberium ed diligendum Deum pzimi peccati granditate perdidimue ; Enckirid. c. 30: Libere arbürio mae utens bomo, et se perdidit S ipsum; Bo perfect. justitise c. 4: Vict vitio in quod cecidit volastate:, carwi$ libertate natura. Man [eje dieſe Stellen im Zu⸗ fnmengang, und man witb überall ben Gedaulen bahin beftimmt finden, wie wir fuum ancegeben Haben, Den. guten Willen haben wir burd) We Saude verloren nicht: den freien Willen; wir fónnen has Gute wollen, abes wis wollen o8 nidjt wirklich, fonbern bae Gegentheil (0.6. S. 205. %). Tune effeirsur eere liberi, cum Deus nos fingit, i.e format et creat, non ub homineo, guod. jam feci sod ut boni. komines sinms, quod nuno gratia sua facit (Enchirid. c. 31). Wuguflin erflärt aber auch gan beſtimmt über bem Berluf ber Freiheit ad Benifac, (contr. duas Epist, Pelagian,) lib. I, c. 2: Quia autem nostrum dicat, quod prismi- feminis paccato. pariarit: barum. arbitrium. de

226: Die qriſtliche Onadenlehre. über bie irbifhe Begierde (cupiditas) in ber thätigen Liebe (charitas) Gotte& des himmliſchen unveränderlichen Gutes. Die Abhängigkeit des Willens von biefer göttlichen Eaufalität beruht auf der erftern und ift deren Vollendung; fie verhält fid) fomit gegen biefe nicht negativ und je flörend. Was daſſelbe ift: bie formelle Freiheit, bie Naturs gabe des Schöpfers ift e, bie ber Menſch gebraucht, bethätigt, indem er von Gottes Gnade bie wahrhafte Breiheit, das Wollen des Guten empfängt: fo wenig kann von einem aufhebenden, hemmenden ober ftórenben Einfluße ber Gnabenmirfung auf die formelle Freiheit, auf bie Gelbfibeftimmung des Willens für das Gute bie Rebe fein. Nicht als ob bie göttliche Gnabenmirtung, moburd) der Wille ein guter wird, vermittelt wäre burd) bie freie Gelbfibeftimmung des Willens; bie Abhängigfeit von ber göttlichen Gnade ſchließt fi ganz unmittelbar an bie von ber göttlihen SRad an und nichts tritt zwiſchen beide als Bindeglied. Die Gnade iſt ebenſo unbedingter Grund des guten Willens, wie bie ſchoöͤpferiſche Macht abſoluter humeno genere? Libertas quidem periit per peccatum, sed illa quat in paradiso uit, habendi plenem cum immoriolitete justitiem; propter quod natura humana divina indiget gratia, dicente Domino: Si vos Filius liberaverit, tunc vere liberi eritis, utique liberi ad bene justeque vivendum et cet. Lib. IL c. 5: Peccato Adse arbi- trium liberum de hominum natura periisse non dicimwe: sed ad peccandum valere in hominibus subditis diabolo; ad bene autem pieque vivendum non valere, nisi ipsa voluntas hominis Dei graa fuerit liberata et ad omue bonum actionis, sermonis, cogitationis adjuta. So verhält εὖ fih auch · mit dem servum arbitrium, wovon Auguftin lib. IL. contr. Julian. c. 8 fpridht: «6 IR das Gingegebenfein des Willens an die fBegletbe auf bem Grunde feiner natürlichen (formellen) Freiheit und mit bem übrigen bie Freiheit ſcheinbar ver legenben Ausbrüden. Vgl. de corrept. et grat. c. 12. 13. ep. 89, de lib. arbit. III, 18. de nat. et grat. c. 43, Betract. L c. 9. de civil. Dei XIV, 11.

Vorherbeſtimmung. 227

Grund des freien Willens ift. Aber taf bie Gnade, wodurch unfer Wille gut wird, fij auf bie ſchoͤpferiſche Macht, wodurch er frei ift, fügt, daß die SBemirfung des guten Willens nicht als fhöpferifcher Act Gottes in uns gefaßt wird: barin und darin allein liegt die Buͤrgſchaft für die Erhaltung und Schonung unferer Freiheit unter dem Einfluß der Gnade unb die Möglihfeit, biefe Gin» wirkung als eine ber Freiheit gemäße zu denken, menn wir aud) nicht zu begreifen vermögen, wie Gnade und Breifeit, Abhängigfeit und Selbſtſtaͤndigkeit in ber Ber wirfung be8 guten Willensactes eins find.

Soweit mußten wir jurüdgreifen, um, in ben Grund» linen wenigftens, ben Beweis zu führen, daß bie Ahr hängigfeit des menſchlichen Willens von Gott, wie fle in dem Lehrfage von ber Gnabe und Vorherbeftimmung diefe noch ganz allgemein gefaßt auögefprochen ift, bie Freiheit beffelben nicht gefährbe, daß vielmehr biefe Ab⸗ hängigfeit ber Begriff fei, durch deffen Anwendung ber Widerſpruch fid) fließt, der zwiſchen goͤttlicher Vorher⸗ beſtimmung und menſchlicher Selbſtbeſtimmung für das teflectirende (vorſtellende) Denken fid aufthut.

Um nun den Faden unferer directen Entwicklung wieder aufzunehmen, haben wir als Grgebnif aus bem Bisherigen feflguhalten: daß bie in ber Prädeftination liegende Ber fimmung (Abhängigkeit) des menſchlichen Willens beffen freie Selbſtbeſtimmung nicht aus fondern einfhließe. Da die Gnade nichts anderes ift al8 bie Ausführung des in der Präbeftination vorgefehenen Heils (od. ©. 197 9Inm.), fo läßt fii das gewonnene Stefultat aud) fo ousfpreden: ber tige Rathſchluß Gottes vollzieht fij burd die Gnade in der zeitlichen Gelbfibeftimmung des Menfhen für das

ϑ μοί, Ouartalſqhrift. 4859. 11. Heft. 16

228 Die qhriſtliche Gnadenlhre.

ihm vorherbeſtimmte Heil; ſo daß ſich das Geheimniß der Praͤdeſtination in ihrer Allgemeinheit betrachtet auf das früher (S. 108) hervorgehobene ber wirkſamen göttlichen Gnade zurüdführt.

In das Sperielle unferes Gegenſtandes treten wir mit ber frage ein: ob bie Praͤdeſtination eine unbedingte (abfofute), „oder eine bedingte fei. Diefer Frage geht aber, toenigftená nah ber Behandlung fpäterer Scholaſtiker die andere vorher: ob bie Prädeftination zum ewigen Leben (ad gloriam) eine unmittelbare, ober ob fie durch bie praedestinatio ad gratiam vermittelt fei. Dieſe Unter» ſcheidung, an und für fih unhaltbar, verdankt ihren Urs fprung dem Beſtreben, den Härten der unbebingten Prä- beflination zu begegnen. Verſteht man mámlid) unter praedestinatio ad gratiam bie Vor» unb Verfehung (prae- paratio) mit bem Mittel, durch weldes das Endziel erreicht wird, unb unter ber praedestinatio ad gloriam die Vorherbeftimmung zu dieſem Endziele felbft, fo fann man blefe als eine bedingte auf bie praevisa merita ez gratia comparata begründete begreifen, während jene eine unbebingte ift, fofern aus ber Gnade alles gute und vers dienftliche Wollen und Wirken hervorgeht und durch fie prineipaliter bedingt ift. Der Gewinn, ben man bamit beswedt, ift aber nur ein (deinbarer; denn ble praedes- tinatio ad gratiam, deren abfoluter Eharafter zugeftanden wird, bringt, ba bie Gnade das burdlaufenbe Princip des mwahrhaften Lebens ift, durch bie ganze Reihe ihrer Wirkungen bis zu der fegten und abfehließenden, bem eiwigen eben vor, unb fomít bie Debingte praedestinatio ad gloriam in fi auf, fo daß nur eine praedestinatio und dieſe als eine unbebingte ftehen bleibt. Die Unterſcheidung

Vorherbeſtimmung. 229

in dem angeführten, hinſichtlich jenes Zwedes aber, wie bemerft, illuforifden Sinne, fommt denn aud) teber bei bem 81. Auguftin nod) bei den ältern unb bebeutenbften Scäholaftifern vor. Zwar faffen fie nicht felten unter bet Prädeftination als deren Wirkung und Ziel auébrüdlid) beides zufammen, bie Gnabe und. das ewige geben, aber fle betrachten aud) beide aus bemfelben Geſichtspunkte ber Abfolutheit ober Unbebingtheit; jene Unterfcheivung fennen fie nicht, bei ber, wenn fie nicht den befagten illuforifchen Sinn haben fol, unter ber gratia etwas ganz anderes als unter ber gloria, nämlid) bie göttliche Willensthätigfeit felber, und nid, was bie gloria ift, eine Wirkung bet präbeftinivenden Gnade verftanben werben muß. Verſteht man fie aber fo, dann erſcheint fie ganz unzuläffig wegen ber völligen Ungleichartigkeit ihrer Glieder; bann befagt fie, daß bie göttliche Gnabentbátigfeit eine abfolute, uns bedingte, ihre Wirfung dagegen, bie gloria, durch fie bebingt fei, was eine Binfenwahrheit iR. Es ift ganz im Auguftinifhen Sinne, was Fulgentius ) fagt: Sanctos suos praedestinavit et ad gratiam vitae bonae et ad graliam vitae aeternae *); bie beneficia Dei, beren ewige Zubereitung bie SBrübeftination ift (ob. 6. 197 9Inm.), wmfaffen nad) Auguftin alles, was wahrhaft Gutes durch die Gnade im Menfchen bewirkt wird, fowohl bie vita bona temporalis, ben Glauben, die Rechtfertigung unb die Ausdauer in ber Geredjtigfeit, al8 bie vita aeterna (vgl. de praedest. SS. c. 10. δεῖ. de corrept. et grat. c. 7).

1) De verit. praedest. lib. III. c. 5.

2) Sm Wefentlihen ebenfo Thomas (P. 1. qu. 23. art. 2 in corp.) : Praedestinatio est ratio ordinis aliquorum in salutem aeternam, and Scotus (in 1. dist. 40. qu. unic.): Praedestinatio est praeparatio gratise in praesenti et gloriae in futuro. 16%

230 Die chriſtliche Onabenlchre,

SBebenft man, baf vom abfoluten Standpunkte aus, auf bem bie ganze Stage der Präpeftination fid bewegt, der Φείίδτα 6 {ὦ [uf ben man im engern Sinne als eine Action des göttlihen Verſtandes zu faffen. pflegt 5, nicht zu trennen ift von ber ihm gemáfen Willens beftimmung und Wirffamfeit der Gnabe, fo fann von ber Präbeftination zum ewigen Leben als einer blos mittels baren Handlung Gottes fidjerlid) nicht bie Rebe fein. Aus bem abfoluten Geſichtspunkte erfcheint das ewige Leben als alleiniges Objekt der Betrachtung; das Leben in ber Zeit faßt fi in.ihm als feinem Iegten Ziele und feiner Krone zufammen, fofern es nämlih wahrhaftes Leben, ein Leben aus unb in ber Gnabe if. Eben batum laͤßt ſich aud bie weitere Unterſcheidung der praedestinatio . adaequata ober completa (totalis) und inadaequata ober incompleta, wovon jene ble praedest ad gloriam und ad gratiam, bieje aber nur eine von beiden in ſich ſchließt, nicht rechtfertigen. Die praedestinatio ad gloriam umfaßt das Ganze, fie erfhöpft ben Begriff der Präbeftination unb ift zugleich ihr abäquater 9tu&brud.

Um jebem Mißperftänpnig zu begegnen und zugleich die legte Unflarheit, bie der bisherigen Ableitung mod) anhaften fónnte, zu befeitigen, ift es nothwendig mod) einmal ausbrüdlic darauf Hinzumeifen, bag der Begriff ber Praͤdeſtination aus ber Betrachtung ber Gnade sub specie aeternitatis hervorgeht und tein innerhalb biefer erhalten und vol(jogen werden muß. Den von uns bes fämpften Unterfeidungen liegt aber eine Vermiſchung diefer abfoluten S8etrad)tung mit ber endlichen au Grund. Das [elige Leben, der burd) bie göttliche Gnade zu reali»

1) Tournely praelect. theolog. I. p. 577.

Vorherbeſtimmung. 231

fitenbe Endawed des Menfchen, macht fid) für ben Menfchen nicht mit einemmal, fondern fuccefive; aud) realifttt es fib nicht in fletiger Progreffton, in ununterbrochener fitte lider Perfektion während des Exdenlebens, fondern es findet ein Steigen und Fallen ber fittlichen Suftánbe ver» möge der Veränderlichfeit des Freiheitsgebrauches unb bet bald geringern bald flärfern fittlihen Energie des Willens Ratt. So erfdjeint das ewige Leben als der nad) einem wechſelvollen Kampfe des menfdliden Willens gegen bie irbifdje Begierde, unter bem SBeiftanb ber göttlichen Gnade, ſchließlich errungene Sieg über biefelbe. Das ift bie enblidje Betrachtung des ewigen Lebens aus bem Θεβ δε punte des unter bem Gnabenbeiftanbe Gottes felbftthätigen Willens, bei welcher wir bie Wirffamfeit der Gnade nur unter dem Begriffe bed auxilium sine quo non in Rechnung nehmen fónnen (ob. €. 90 f.). Ein anderes ift bie ab« folute SBetradjtung. Rah ihr erfcheint das ewige Leben als bie abfofute Wirkung ber goͤttlichen Gnade, in weldher die freie Selbftbeftimmung des menſchlichen Willens auf» genommen ift als causa sine qua non, während bie Gnade die unmittelbare, direkte Urfache, bie causa quá des ewigen Lebens iſt. Die Berufung qum Glauben, bie Rechtfertigung, die Ausdauer in ber Gerechtigkeit Tiegen hier nicht zeitlich auseinander, noch außerhalb ber ewigen Befeligung, fon» dern find in biefer als Momente einbegriffen. Diefe beiden Betrachtungen aber ftehen fid) nicht ausſchließend entgegen, fie find beide Deredjtigt unb mur formell verſchieden; erft in der ausſchließlichen Saffung verfallen fle bem Irrthum, jme dem’ pelagianiſchen, biefe bem präbeftinatianifchen. Indem man fie aber beide fefthält und mit einander ver» bindet, fo gibt eine blos Außerliche Gombination berfelben

232 Die chriſtliche Gnadenlehre.

immer ein unreines und inadaͤquates Reſultat, wie uns ein ſolches in ber obigen Unterfcheidung ber praedestinatio ad gratiam als abfoluter unb ber praedestinatio ad gloriam als mittelbarer und bedingter SBorberbeftimmung vor Augen liegt. Ein reines und zugleih wahres, ber chriſtlichen Lehre von ber abfolut wirkfamen Gnade entfpredjenbeó Ergebniß wird mur erzielt burd) Ein» unb Unterorbnung der endlichen Betrachtung unter bie abfolute. Wenn fij das felige Lehen für ben Menfchen, fofern e nämlich durch feinen Freiheitsgebrauch beftimmt ift, nicht mit einemmale verwirklicht, wenn baffelbe vielmehr nad) Maafgabe diefes Gebrauchs bald im Kommen bald im Verſchwinden, bald im Wachen bald im Abnehmen begriffen ift, fo ift zwar dem göttlichen Auge, der Präfrienz Gottes diefes Außer einander, biefe Succeffion und Fluctuation der fittlichen Momente vollfommen präfent, aus bem Gefihtspunft des „göttlichen Rathſchluſſes aber, unb ber auf bie Bewirkung bes feligen Lebens gerichteten Onabenthätigfeit Gottes

findet ein unvermittelter, ununterbrodener, fletiger Sorte -

ſchritt burd) bie pofitiben Momente, in melden fid) dieſes eben begründet, aufbaut und vollendet, alfo aud) nur eine Präveftination ftat, die unmittelbar auf das Ziel gerichtet, eben barum eine unbebingte if. Wie das wahrs hafie Leben des Menſchen in feinem Anfang zugeftandener« maßen ohne ein vorhergehendes SBerbienft durch bie freie unverbiente Gnade Gottes hervorgerufen ift, fo ift aud) die Fortführung und Vollendung deſſelben in bem ewigen eben. (gloria), ungeadjtet ber freien SBetpátigung des Menſchen, an welche bie Realiftrung des Anfanges unb dortganges gefnüpft ift, eine unbebingte Gnabengabe Gottes. Denn wie wohl das butd) ble Gnade ertoedte,

Vorherbeſtimmung. 233 vom Menfhen frei ergriffene wahrhafte Leben von ſolchem Werthe in den Augen Gottes fein mag, daß er es nicht will unvollendet liegen [affen, wie es fih bann aud) als bie unerläßlihe Bedingung, (conditio sine qua non, nicht causa qua) als bie fubjertive Difpoftion für bie nàdjft höhere Stufe verhält; fo ift bod) die Förderung und Bolls enbung deſſelben nicht bie verdiente Belohnung des menfchs lichen Verbienftes, indem ein ſolches, abfolut genommen, gat nicht vorhanden, unb bie Gnade überall nicht secundum merita fondern gratis ertheilt wird fondern ein Fort bauen ber Onabe auf ihrem eigenen Werke. Das Verdienſt des Menfchen, durch freies Eingehen auf die Gnade ers worben, ift fecunbürer Art, ein bebingtes, nicht ein bes dingenbes. Concret zu reden: wenn ber Menfch duch Gottes Gnade glaubt, fo ift er bifponizt gum Empfange der rechtfertigenden Gnade; aber wenn nun Gott wirklich den Gläubigen rechtfertigt, fo frónt er bod nur fein eigenes Werk, und nicht das SBerbienft des Menfchen. Und menn der Geredjtfertigte bie Gabe der Ausdauer von ihm empfängt, unb ber in ber Gerechtigkeit bis an's Ende Ausdauernde ídiieglid) das ewige Leben erlangt: fo verhält e& fid) aud) hier auf bie gleiche Weife'). Wäre εὖ anders, würde ber Glaube bie Rechtfertigung verdienen, fo wäre biefe fein Act der Gnade (onbern ber Gerechtigkeit Gottes, fo würde immer derjenige Gläubige aud) zur Rechtfertigung wirklich gelangen, ber dahin gelangen will und weil er es will, b. D. es würde die wirffame Gnade als durchgängige Urfache des menfchlichen Heiles geläugnet (ob. S. 104). Wenn nun, um dies vorgreifenb zu bes

1) Bg. die ſchone Ausführung bei Augustin Epist, 194 ad Sixtum m. 15 seqq. und damit de grat. οἱ lib. erbit. n. 12. 13.

234 Die chriſtliche Gnadenlehre.

ruͤhren, nicht alle wirkſam (zum Glauben) berufen, unter den wirkſam Beruſenen nicht alle gerechtfertigt und unter den Gereditfertigten nicht alle mit ber Gabe ber Ausdauer beſchenkt werden, wie dies ber Begriff ber wirkſamen, näher prübeflinitenben Gnabe im eigentlidjen unb engern Sinne mit fih bringt (ob. €. 105 f.); fo fann man aud fier zwar eine relative Würbigfeit, ein beziehungsweifes Verdienſt auf Seite des Menfchen fowohl auf der erften Stufe ber Berufung al8 aud) auf den folgenden, dort in der geringern fittlichen Unmürbigfeit, hier in ber größern fütliden Energie, womit Einer vor bem Andern auf bie empfangene Gnade eingeht, anerfennen, aber bie Ver—⸗ leihung ber Gnade verhält fid nicht αἵδ᾽ bie dem Geſetze der Gerechtigkeit gemäße Folge diefer Difpofition, nicht als bie Belohnung der biefer zufommenden Verdienftlichkeit, mod ift das. Maaß und bie Kraft der Gnadenwirfung durch fle bedingt, fondern die Gnade ftebt als unbebingte unb freie Urſache wie ber Erwedung zum Glauben, fo der Rechtfertigung und Ausdauer in ber Gerechtigkeit ba. Da nun alles, was außer bem Begriff der Präveftination Hegt, in bem Begriffe der Gnade, deren Zubereitung jene ift (o5. S. 197 Anm.), b. fj. in der Gnadenwirkung fid) aufammenfaft, unb unter ben Gnadenwirkungen in Bezug auf ihre Abfolutheit fein wefentliher Unterſchied | ftatt findet, infofern allen eine gewiße Difpofition im Menfchen vorausgehen mag, aber nirgends eine ber Gnabenertheilung adäquate ihre Verleihung und Wirkſamkeit bebingenbe Beſchaffenheit ober Thätigfeit des Willens angenommen werben darf ohne ben Begriff der Gnade zu deftruiren; fo folgt daraus unwiderſprechlich zweierlei: erftens, daß «6 nur eine Prädeftination gibt, nämlich bie Präbeftis

füorferbeflimmung. 235

nation zur Gnabe i. e. zu fämmtlihen Gnadenwirfungen (Glaube, Reihtfertigung und Ausdauer), fomit zum ewigen

- Reben; zweitens, baf biefe Praͤdeſtination eine abfolute if. Das ift bie einzig vollftünbige und adäquate Betrachtung

ber Praͤdeſtination. Es ift in ihr das enblihe Moment der freien Gelbfibeftimmung des Willens. nicht aud« fondern in bem abfoluten Decret, in ber göttlichen Gnabenbes flimmung und Zubereitung, wie aud) in ber Wirfung ber Gnabe felbft eingeſchloſſen (ob. €. 87 f), aber fowohl jenem Secret als diefer feiner Ausführung untergeordnet. Nicht nur vermag ber Menfch diefer Ginabenwirfung zu widerſtehen (c8 gibt feine unwiderſtehliche, feine gratia irresistibilis, ſondern nur eine gratia cui non resistitur) ; fondern er ſtimmt ihr aud), wiewohl es burd) bie Gnade gefchieht, frei gu, menn wir gleich nicht begreifen, wie biefe Zuftimmung ihres freien Charakters unbefchadet von ber Gnade felbf bewirkt ift. Verhaͤlt fi aber ber Menſch zur Gnabenmirfung frei, fo ift aud) bie Präbeftination,

* bie fid) in jener vollzieht, feine den freien Willen beein« trächtigende göttliche Action ). Stellt man fij dagegen auf den endlichen Standpunct, fo ift bie von ihm aus reſultirende Betrachtung ber Praͤdeſtination nothwendig eine unangemeffene und unzureichende. Auf diefem Ctanbpuncte fallen zeitlihes unb ewiges Leben nidjt blo8 zeitlich aud» einander fondern aud) caufal. Jenes εὐ εἰπε als bie Ausfaat, biefe& als bie Grnbte. Notwendig wird daher,

1) Wir fimmen darin und infoweit Leſſius ganz zu, wenn er (de gratia efüicaci sect. 6) fagt: Non decebat, ut vires naturae a crealore acceptae essent otiosae et quasi passive se ad gratiae vires haberent, earum impulsum tantummodo exspectantes et sinentes se ab illis moveri, et sic totum a gratiae motione penderet.

236 Die chriſtliche Onadenlehre.

indem von dieſer Unterſcheidung aus zur goͤttlichen Prädes ftination aufgeftiegen wird, biefe felber in eine doppelte serfallen, in bie praedestinatio ad bongm vitam seu ad justitiam unb in die praedestinatio ad gloriam, und jene als eine unbebingte, biefe aber als durch das Vorherwiſſen der auf Grund der Gnade erworbenen Verbienfte bedingt qu faffen fein. Da aber jede höhere Stufe des ſittlichen Lebens zu ber vorausgehenden (die Rechtfertigung zum Glauben, die Ausdauer in der Gerechtigkeit zur Recht: fertigung) in ähnlicher Weife fl verhält, wie das ewige aum zeitlichen Leben, fo erſcheint feng genommen nur bie praedestinatio ad (primam, sc. excitantem) gratiam als eine unbebingte, unb bie folgenden, bie fif) in der Prä- deftination zum ervigen Leben concentriten, durch das vor» ausgefehene Verdienſt ber Suftimmung zur Gnadenerweckung bedingt. Diefe Unterfheidung ließe fid) fefthalten, wenn das fittlihe Verhalten des Menſchen vor unb aufer ber Gnade, wie es allerdings ein wefentlih von bem durch die Gnabe erwedten Leben verſchiedenes ift, aud) bezüglich auf den Gnabenempfang fij biefem als ein weſentlich anderes gegenüberftellte. Das ift aber gerade nicht ber Fall. Denn da die Suftimmung zur Gnabe, das Eingehen auf fle, wie wohl es ein freies ift, doch zugleich von diefer ſelbſt bewirkt wird, fo (ft nad) Abzug diefer Gnaden⸗ wirkung das Verhaͤltniß der menſchlichen Zuftändlichfeit auf beiden Seiten daſſelbe. Und nidjt anders fónnen wir urtheilen, wenn wir innerhalb des burd) bie Gnade ber gründeten fittlihen Lebens irgend eine vorhergehende mit ber nachfolgenden höhern Stufe vergleiden. Iſt dieſes aber fo, dann [ὁδὲ fid) jene Unterſcheidung einer doppelten Präpeftination, wie ſchon gezeigt, in fld) felber auf, unb

Vorherbeftimmung. 237

es bleibt nur bie Prädeftination zum ewigen Leben übrig, in beffen gnädiger Verleihung fid) alle bie febiglid) auf fid felber fortbauenben, durch fein eigenes ober ſelbſt⸗ fünbigeó Verdienft erworbenen, fonbern rein unverbienten Gnabenerweifungen Gottes fummiren und concentriren. Sene wiffenfhaftlih (wie wir glauben gezeigt su haben) unhaltbare Unterfjeidung, die, wenn man etwas Rechtes aus ihr machen wollte, ben reinen Gnadenbegriff trüben, fa gerflören müßte, unb die deshalb aud) bei bem hl. 9tuguftin, dem eiferfüchtigen DVertheidiger ber Gnade, in dem Sinne der fpätern Aufftellung nidt vorkommt, verdankt ihre Cntftebung dem Intereſſe des practifchen Chriſtenthums. Don den Belagianern und Semipelas gianern ift es befannt, wie fie hauptfächlih von biefem Grund aus die Gnade gänzlich beftritten ober ihre Wirk⸗ famfeit bod) wefentlich befd)ránften; auf denſelben Grund hin behauptete man fpäter und behauptet nod) heute 1) bie Vorherbeſtimmung zum ewigen Leben als eine bedingte.

1) Liebermann instit. theol. Tom. IV. p. 125: Quamvis pro- posita controversia (de praedestinatione ad gloriam, absolutane sit an post praevisa merita ex gratia comparata fiat) ex scripturae et traditionis auctoritate dijudicanda sit (was auf eregetifchem Wege jedoch faum möglich if, denn es fommen beide Lehrformeln vor, Matth. 25, 34 f. 2. Timoth. 2, 20. 2. Petr. 1, 10. die bebingte, Qyj. 1, 4. Bm. 8, 28 ἢ. 9, 11 ff. u. a. bie umbebingte; unb. nicht anders verhält es fid) auch mit bem Trabitionsbeweis), semotis rationis humanae inventis: non deest tamen et hoc argumentorum genus, quod ex rationibus theologicis petitur. Dicunt v. g., quando gloria lanquam praemium proponitur ab aliquo obtinendum, rectam rationem exigere, ut gloria non decernatur, nisi praevideatur meritum : elec- tionem post merita magis convenire divinae sapientiae, justitiae et bonitati, tum et hominis liberae voluntati: ita enimos ad opera bona vehementius accendi, et plenius. removeri desperationis peri- culum etc.

238 Die qhrriſtliche Gnadenlehre.

Das Intereſſe des practiſchen Chriſtenthums ſteht aber der unbedingten Vorherbeſtimmung nicht im Wege; die von hier aus gegen ſie erhobene Inſtanz beruht auf einem Mißverſtaͤndniß, vielmehr auf dem Mangel des Verſtaͤnd⸗ niſſes dieſer Lehre. Daß die wirkſame Gnade die Freiheit des menſchlichen Willens nicht duffebe, darauf haben wir wiederholt aufmetfíam gemadt. Iſt dies nun bet fall, fo fann bie Lehre von ber aus und nicht erſt durch die Einftimmung. des Willens wirffamen Gnade aud) den Forderungen bes practifhen Ehriftenthums, fowie den Ermahnungen zu ihrer Erfüllung nicht wider⸗ fprehen. Denn daraus, daß wir nicht begreifen, wie bie SBemirfung des guten Willen durch bie Gnade und die freie Selbfibeffimmung zugleich jebod) in Abhängigfeit ber legtern von ber erflern erfolgt, fann oder darf bod) nicht gefolgert werben, daß e8 nicht fo fei, wenn es ung im Glauben gewiß ift, daß εὖ fo ift (0b. ©. 202). Sträubt man fid, das Recht, bie Forderung ber Freiheit auf dies Geheimniß zu baftren, will man e ins Klare, Begreiflihe herausfegen, fo ift ber erfte Schritt dazu bie moliniftifdje Behauptung, daß bie Gnade wirffam fei weil ber Wille wolle, ein Schritt, mit welchem der Auflöfungsproceß der ganzen Gnabenlefre beginnt und unaufhaltfam bis jum erubeften Pelagianismus fortfähreitet. IR e& aber fo, wie wir es im Glauben unter Bewahrung des Geheimniffes toiffen, daß die Abhängigkeit von der Gnade die (formelle) Breiheit des Willens nicht aufhebt, diefelbe vielmehr voraus» febt, fo ijt aud) bie Forderung an ben Menſchen, zu thun was in feinen Kräften liegt, nicht ausgefchloffen; und ift es zugleich gewiß, daß bie göttlihe Gnade bie wahrhafte Breiheit wolle und bewirfe, fo fann darin nur ein Antrieb

BVorherbeflimmung. 239

liegen, jener Forderung um fo mehr zu genügen. Infofern nun aber das felbfteigene Thun des Menfhen bie Gr» Tangung ber Gnabe nicht bewirkt, weil biefe nicht secundum merita ertheilt wird, vielmehr bie Gnade bie zuvorfommende, bebingenbe Urſache alles wahrhaft Guten ift; fo läßt fid) das über biefem Verhältnig von Gnade und Sreiheit ſchwebende Gefeimnif practifch fo überfegen. Da ber Menſch bie Gnabe Gottes nicht in feiner Gewalt hat, fo thue er was in feinen Kräften liegt für feine höhere Beftimmung; aber al’ fein moralifches Thun trage,’ ba er bie Gnabe Gottes nicht entbehren fann, ben religiöfen Eharakter ber Bitte um Gottes Beiftand 1). Das Augu- ſtiniſche Wort: da Domine quod jubes, et jube quod vis woran Pelagius fo großen Anftoß genommen, ift ber rechte Ausdruck, bie wahre Formel des unferm fittlichen Thun wefentlihen und principalen refigiófen Charakters, das feinem Inhalte nad) ein befländiges Beten und Streben nad) ber diriftliden Vollfommenheit fein foll: „Ora et la- bora!* „Wachet und bete! Zu ber Bitte gefellt ſich ber Dank gegen Gott, fo oft wir uns in unferm Streben mad) ber fittlihen Vollkommenheit gefördert fühlen. Da aber das rechte Bitten und Blehen, wie überhaupt alles wahrhaft gute Thun burd) bie Wirffamfeit der göttlichen Gnade bedingt ift ?), fo fommen wir über ben Eirkel,

1) Die pofitive Baflung in bem befannten ſcholaſtiſchen Gag: Fa- cienti quod in se est, Deus non denegat (largitur) gratiam, {ft unzuläffig, weil batin liegt, daß ber Menſch aus eigener Kraft auf bie Gnade fid) vorbereiten, biefelbe verdienen Fönne; aber die Tendenz des Satzes ſcheint unverwerflich unb feine anbere zu fein, als bie Berechtigung des fittlichen Imperativs neben bem Dogma von bet Nothwendigkeit unb abfofuten SBirffamfeit ver Gnade zu behaupten. Vgl. Estius in 2 sentt. dist. 26. Φ. 35.

2) Augustin Epist. 194. n. 18.

΄ 240 Die dirifilie Gnadenlehre.

über die Wechſelwirkung zwifchen Freiheit und Gnabe auf biefer Seite nicht anders hinaus auf einen von der goͤtt⸗ lichen Gnade unabhängigen Standort für die Freiheit des Willens, als durch Surüdgang auf bie formelle Freiheit, das Vermögen des Guten und Böfen, weldhes nicht burd) die Onade bedingt, fonbern von ifr vorausgefegt if. In - ihm haben wir für den fittlihen Standpunct eine reine vorausfegungslofe Grundlage; denn obwohl das Vermögen des Guten in dem Suftanbe der Suͤndenknechtſchaft, ber Unfceiheit im emphatifhen Sinne, eine vis impedita, ein ſchwaches, fraftlofes Vermögen ift, fo ift εὖ bod) ein Vermögen, unb der Sag, ber Menfh fann das Gute wollen, eine unantafibare Wahrheit; zwar infofern eine blos abftracte, als wir erfennen, daß er aus fid das Gute. nift wirklich will, infofern aber zugleich eine concrete Wahrheit, ald er das Böfe, das er will, frei will, indem er es auch nit wollen fünnte. Kurz, biefer Rüdgang auf bie formelle Freiheit, bie bem Menfchen aud im Zuftand ber Sünde verbleibt, wenn er aud) nicht hinreicht, das geheimnißvolle Dunkel des einheitlihen Zus fammentoitfen8 von Gnade und Breiheit gänzlich zu zer⸗ fireuen, if bod) vollfommen geeignet, bie Bedenken zu befeitigen, welche vom fittlichspractifchen Standpunkte aus gegen bie Lehre von ber aus fid wirffamen Gnabe erhoben werben. Dazu fommt nod) ein anderes Moment, das wir wenigftens fur nod) berühren wollen. Der unter der Saft der Sünde und fünbbaften Begierde ſeufzende Menſch, beffen Heil nur aus bem Grbarmen Gottes burd) bie Gnade des Erlöfers entfpringen fann Röm. 7, 24. 25., ftebt nad der göttlichen Heilsordnung nit in einem rein inner lien, unmittelbar geifligen 9tapport mit ber göttlichen

Borherbefitmmung. 24

Gnade, fonbern biefer ift vermittelt durch bie dufere Ger meinſchaft mit bem Erlöfer in ber Erlöfungsanftalt ober Kirche Chriſti, und wird eingeleitet und vollzogen durch die Anhörung des Wortes Gottes unb ben Gebraud) ber Sacramente. Der Zutritt zu beidem ift in unferer Gewalt, fofern uns das Evangelium verfündigt wird (vgl. unt.), wir verhalten und dazu frei. Hier alfo ift gegen» über der innern Gnade Gotteó ein reiner von ihr unab⸗ hängiger Standpunct für den menſchlichen Willen gegeben, und fomit bie von bem Sntereffe des practifchen Ehriftens thums aus erhobene Inftanz gegen die abfolute Noth⸗ wendigkeit und Wirffamfeit der Gnade vollftändig befeitigt. Haben wir nun wiederholt nadjgetoiefen, was bei einigem Stadjbenfen Jeder felbft finden wird, daß bie wefentlidjen Schwierigkeiten der Präbeftination (in ihrer allgemeinen Faſſung) feine andere find als bie ber abfolut wirffamen Gnade, fo enthält bie eben vollzogene gófung der [egtern ^ zugleich bie Antwort auf bie Bedenken gegen bie unbebingte Vorherbeftiimmung aus bem fittlich» practifhen Geſichts⸗ puncte. Eine fpecielle Beleuchtung diefer Schwierigkeiten erſcheint deshalb vollfommen überflüffig; nur einen Spunct glauben wir nicht ganz mit Stillſchweigen übergehen zu dürfen, daß nàmlid) bie unbebingte Vorherbeftiimmung zum ewigen eben bie Betrachtung beffelben als bie Krone ber Gereihtigleit, bie der Herr, der gerechte Richter allen verleiht, weldhe feiner Erſcheinung fid) freuen 2 Timoth. 4. 8, als Preis des guten Kampfes, als Lohn ber guten Werke und Verdienſte, weldjen Gott feiner SBerbeifung getreu denen ertheilt, bie bis an'8 Ende in feiner Gnade unb der aus ihr fließenden Gerechtigkeit beharren, nidjt aus⸗ fondern einſchließe (Conc. Trid. sess. 6. cap. 16.).

242 Die chriftliche Gnadenlehre.

An der Graͤnze des uns hier verſtatteten Raumes angekommen, müffen wir uns nunmehr darauf beſchraͤnken, bie übrigen Lehrſätze unb Probleme, wie fie fid) bem von uns eingefdjlagenen fonthetifhen Gange vom Allgemeinen zum Befondern gemäß an einander reihen, aufzuführen und mit ben nöthigften Erläuterungen zu begleiten.

G6 gibt nur eine Prädeftination, bie Präbeftination zum ewigen geben, und fie ift eine unbebingte: bies hat fid) uns aus bem Bisherigen ergeben. Das Gegen theil der Prädeftination zum Leben wäre bie SBrábeftination qum SBerberben, die Reprobation. Gibt es eine folde, und voie ift fle beſchaffen? In Bezug auf das eine und felbe Subject, alfo in Bezug auf ben Menſchen überhaupt fat Gott defien Heil (ewiges Leben) beſchloſſen, ober nicht bes ſchloſſen. Im fegtecn falle denn ber erfte geht ung hier nicht mehr an hat Gott entweder eben nur dieſes, b. f. nichts beſchloſſen Hinftchtlich des ewigen Looſes des Menfchen, ober et hat (poſitiv) das Gegentheil, das Verderben beffen ber ſchloſſen, beffen Leben er nicht beſchloſſen. Das legtere ber haupten biejenigen, welche eine gemina praedestinatio lehren, 3. 9. G ott(djalT in ver Mitte des 9. Jahrhunderts unb Gal vin. Diefe Pebre, wofür man fid) aufYuguftin!) mit Recht nicht berufen ann, wiewohl dahin bezügliche Aeußerungen bei ihm vorkommen, unb welche bie (2.) Synode von Orange‘),

1) Contr. Julian. lib. II. c. 18: Bonus est Deus, justus esi Deus: potest aliquos sine bonis méritis liberare, quia bonus; non potest quemquam sine malis meritis damnare quia justus est das df der Kern feiner Präbeftinationslefre. Ueber dem Unterſchied zwiſchen Präbefination und Reprobation vgl. Epist. 194 ad Sixt. n. 12. βοᾷ. de grat. et lib. arbit. n. 43. 44.

2) Cap. XXV. ober vielmeht im Epilog: Aliquos vero ad malum divina potestate praedestinatos esse, non solum non credimus, sed

Vorherbeſtimmung. 243

obwohl fle ben Fußtapfen Auguftins unverwandten Blides folgt, mit Abfcheu von fid) weist, ja ſogar ihr Dafein besweifelt, ift verwerflih. Da Gott binfiditlid) bc Böfen, worin das SBerberben befteht unb das zum Ververben führt, infofern fid) paffiv verhält, als er der in bem freien Willen begründeten Möglichkeit beffelben nicht nur feinen Vorſchub leitet, fondern aud) ihrem llebergang in die Wirklichkeit entgegentritt burd) bie DVerwirflihung des Guten vere mittelft feiner ur(prüngliden Gnabe; fo gibt e& von diefem (fuprafapfarifden) Gtanbpuntte aus Feine Prädes flination zum SBerberben, fondern nur ein Vorherwiſſen des Sündenfalles Adams und in ihm des ganzen Geſchlechts. Aber aud) feine SBrübeftination zum eben, wenigftens nicht in Bezug auf Adam als den Stammvater und Repräs fentanten des Menſchengeſchlechts; wie denn überhaupt eine allgemeine Präveftination nidt benfbar if, weil mit einer folden bie Freiheit des menfhlihen Willens unver- einbarlih wäre. Es wäre ein falfher Schluß: wenn Gott einen oder einige salva libertate jum ewigen geben präbeftiniren fann, fo kann er ebenfo aud) alle dazu präbeftiniren.

Eine Präbeftination Adams in eigener Perfon aber, bie allerdings denkbar, fält nicht mehr unter ben fupralapfarifhen Geſichtspunct, fonbern unter ben infra» lapfarifden, unter weldem Adam als Einzelner in der Reihe ber übrigen, durch feine umb ihre eigene Schuld dem SBerberben Anheimgefallenen, als ein Glied ber all- gemeinen Maffe erſcheint. Stellen wir und auf biefen Standpunet, unb fegen alfo ben Ball des erften Menjchen etiam ei sunt, qui tantum malum credere velint, cim omni detes- tatione illis anathema dicimus, Cf. Cono. Trid. sess. 6. can, 17.

Stel. Ouartaligrift. 1889. 11. Heft. 17

244 Die chriſtliche Gnadenlehre.

und in ihm der ganzen Menſchheit als einen lediglich durch ſeine freie That vollbrachten voraus, ſo hat Gott denſelben und das mit ihm uͤber die Menſchheit gekommene Verderben vorhergewußt, aber nicht vorherbeſtimmt. Die Praͤdeſti⸗ nation wie die Reprobation ſind Begriffe, Beſtimmungen, die erſt mit dieſem Standpuncte entſtehen und im Sinne Auguſtins und der ſtrengſten Auguſtinianer nicht uͤber den⸗ ſelben hinausgreifen; dadurch unterſcheiden ſie ſich von den eigentlichen Praͤdeſtinatianern, welche, indem ſie ſich über dieſe Beſchraͤnkung hinwegſetzen, zugleich bie gemina praedestinatio behaupten. Die Auguftinianer lehren nun, daß Gott, wie er Einige in ber verborbenen Maffe aus freiem Erbarmen zu erretten und zum ewigen Leben zu führen befchloffen, ebenfo bie Andern dem ewigen Tode geweiht habe vermöge feiner Gerechtigkeit zu ihrer wohlverdienten Strafe. Was in biefer Lehre das Schwies tigfte ift, bie ungleiche Behandlung ber in gleicher Lage fid befindlichen Menſchen, geht uns hier nod) nichts an; wir haben lebiglid) zu unterſuchen, von welder Art biefe Reprobation fei. Da leudjtet num vor allem ein, daß, ba ber abamiti[fe Fall ein völlig freier und von Gott in Feiner Weiſe verurſacht ift, bie Reprobation der Gefallenen nad Maßgabe ihrer fittlihen 8e tbeiligung an bemfelben als ein Act ber ſtrafen⸗ den Gereditigfeit Gottes muß angefehen werben, baf folg« fid) nur infofern von einer Prädeftination gum Tode bie Rede fein Tann, als Gott diefen Fall vorherwiffend bes ſchloſſen hat, nicht alle aus ihm zu erretten (was ja auch, wie [don bemerft, ohne Beeinträchtigung der Freiheit nicht

1) Augustin. de dono persev. n. 25.

Vorherbeſtimmung. 245

denkbar wäre), fonbern einige darin fteden zu laſſen. Die Reprobation ift daher weder eine unbebingte, denn fte beruht auf bem Vorherwiffen des menfhlichen Verhaltens, mod) eine pofitine Einwirkung zur Verfhlimmerung des Menſchen, denn fie ift nur mit Vorenthaltung der Gnade verbunden; ja fie ſchließt nicht alle, nicht einmal (um in ber hergebrachten Weife zu reden) alle wirffame Gnade aus, fondern nur baó donum perseverantiae, b. f. eben bie Präbeftination zum Leben. Die Verurtheilung aber tichter fij, wie bemerkt, gänzlich nad der Art und bem Maaße der Schuld, welche dem Menfhen zur Laft fällt: denn fie ift ein Act der abfoluten Gerechtigkeit. Sofern daher ganz abftract, wie es von Seiten der Auguftinianer geſchieht, febiglid) auf die Erbfünde, die Verwidelung in den Eündenfall Adams bei Feftftellung des Begriffs der Steprobation hingefehen ift, muß man einräumen, daß fie ben Nachkommen des erften Menſchen, ba fie bei beffen Falle nicht perſoͤnlich, durch freie, wiffentfide unb gefliffent- lide Mitübertretung des göttlichen Gebotes, fondern nur unperfönlich betheiligt find, aud) nur nad) biefer Maaß—⸗ gabe treffen fann 5). ]

Haben wir im Bisherigen Sprübeftination unb Repror

1) Worin die nicht durch perfönliche, fondern blos mitgetheilte Schuld bedingte Unfeligfeit befiche, kann hier nicht náfer nachgewiefen werben; wir erinnern mur an ben bekannten Unterfchied zwifchen poena sensus und poena damni, welden bie Theologen bei ber Brage madj dem jenfeitigen Looſe ber ungetauft abflerbenden Kinder ju wentiliren pflegen.- Gerade diefer Fall legt bei ber obigen abſtrocten Betrachtung vor; ber Menfch ohne "perfönliche Gittüidfeit sive in malam sive in bonam partem ift das Kind.

Die Vervolltändigung obiger fBetradjtung durch Herbeiziehung bee perfönlichen Moments gibt das unmittelbar Golgenbe. 17*

246 Dle chriſtliche Gnadenlehre.

bation jede fuͤr ſich und die letztere im Unterſchiede von der erſtern betrachtet, fo müflen wir fie fet auf einander beziehen und von der Vorherbeftimmung eines Menſchen mit Ausfhluß des andern ober von ber Gnadenwahl (Borherbeftimmung in concreto) handeln.

Diefe concrete Betrachtung geht von bem Dualismus aus, ben die Erfahrung lehrt, von bem Gegenfage zwiſchen Guten und Böfen, der, bei allem Wechſel der Subjecte in Bezug auf ihn, als ein bleibender er[djeint, unb aud nad) der Lehre des Glaubens niemals verfhmwindet, in Feiner ἀποκατάστασις πάντων endet.

Worin liegt der Grund dieſes Gegenfages? Rad allem Bisherigen in beidem zugleich, in ber göttlichen Vor⸗ herbeftimmung und in ber menſchlichen Selbfibeftimmung. Aber wie? das ift jegt zu unterfuchen und an ber Hand der hriftlichen Lehre zu entfcheiden.

Der Gegenfat führt fi) zurüd auf die ungleiche Aus- theilung ber Gnabe, welche wiederum „in bem freien Wohl⸗ gefallen“ Gottes begründet if. Wer zum ewigen Leben präbeftinirt ift, wird felig, wer nicht prábeftinirt ift, wird nicht felig. Zwar ift von ber Nichtbefeligung das Ver⸗ derbniß zu unterſcheiden; jene verhält fij als etwas tein Negatives, und erft das Verberben ift das eigentliche Gegen» theil der Geligfeit; aud) ift der Nichtempfang ber wirt» famen Gnabe unb weiter zurüd das Nichtpräbeftinirtfein Urſache lediglich der Nichtfeligfeit unb das pofttive Ver⸗ berben, bie SBerbammnif allein dem böfen Willen zuzu⸗ fhreiben. Allein trog alles deſſen liegt eine ganz ungleiche Behandlung der Menfchen von Seiten’Gottes vor, bie fo wie fie hier vorgeftelIt ift, mit ber Gerechtigkeit, ber ſtrengen Unpartheilicfeit Gottes ſchwer vereinbarlih zu

BVorherbeftimmung. 247

fein fdeint. Sehen wir aud) ein, bag bem Nichtpräs deftinirten fein Unrecht gefchieht, fofern er vermóge feiner ererbten und perfönlihen Unwürbigfeit und Verdammlich⸗ keit auf SBegnabigung feinen Anſpruch hat, fo ift bod) bem Rechte, das hier in Anwendung fommt, fein Lauf nicht gelaffen, fondern daſſelbe zu Gunften eines andern gleichſam fufpendirt, fofern an biefem Gnade vor Recht ergeht. Fra⸗ gen wir, worin der Grund biefer ungleihen Behandlung liege, fo betreten wir ben Weg, bad Geheimniß ber Gnaden⸗ wahl zu begreifen, auf bem τοῖς einige Schritte vorzu- bringen hoffen fónnen. Der Bf. Auguftin ſchloß mit ber Grfenntnif, bag ber Nichtpräveftinirte für fid) feine Ur» fade zur Klage habe, ba er fid) ber eigenen Schuld als Urfache feiner Verdammung bewußt fein müffe, und unters warf fi im übrigen der Tiefe und Unergrünblichfeit des göttlichen Geheimniſſes. Liegt jene ungleiche Behandlung etwa in bem vorauégebenben, beziehungsweiſe vorausge⸗ fehenen ungfeidjen Verhalten der Menfchen? Keineswegs! Denn vor und aufer der Gnade find alle Stadjfommen Adams verwerflih vor Gott. Aber find fie εὖ vielleicht in ungleider Weife? Sieht man lebigli auf die aba» mitiſche Sündhaftigfeit, fo muß aud) biefe frage verneint werben, ba bie Erbſchuld in allen ganz unb gar biefelbe if. Allein gerade diefe abftracte Betrachtung (ber Augu- finianer und Thomiften), bie nur das unperſoͤnliche fitt» lide Verhalten des Menfhen im Auge hat unb ihn auf dem Standpuncte des Kindes firirt, ift. eine untergeorbnete, mangelhafte, über bie wir uns erheben Können unb follen zu ber Betrachtung des perfónlid) fittlihen Verhaltens, welches bem Ermachfenen eignet. Hier erft ift der Begriff des Menfchen in feiner Totalität gegeben; und biefer Bes

248 Die Hriftliche Gnadenlehre.

griff muß ben Anfangspunet bifben. Nehmen wir alfo ben Menfhen als moralifhe Perfon, fo erfcheint zwar aud aus biefem Geſtchtspuncte vor und außer der Gnade feiner gut, „auch nicht einer" ; und wenn babet Gott Einen erwählt unb zum Leben beftimmt, fo ift dies ein Act feines freien Wohlgefallens. Allein wenn jener allgemeinen Suͤnd⸗ haftigfeit unbefhabet bie Menfchen als fittlihe Perfonen fid) doch reell von einander unterfheiden und eine fo große Mannigfaltigkeit fittliher Zuſtaͤndlichkeit barftellen als es Perfonen gibt; fo ftellen fte eine Reihe vor, in welcher von ber tieffrem Tiefe moralifcher Verfunfenheit an immer einer über ben andern fij erhebt, eine Reihe mithin, die ſich bis an die Graͤnze ber Wiedergeburt aus Gott und des baburd) bedingten wahrhaft guten unb gott» wohlgefälligen Seins und Lebens erftreden fann. Dürfen τοῖς nun den Grund der Erwählung in biefer Abftufung gleichwohl nicht fuden; denn aud ber Befte unter ben der Eünde Verfallenen ift ein „Kind des göttlichen Zornes“, und ob Gott diefen ober einen andern begnabige, in allen Faͤllen ift und bleibt feine Erwählung freies unverbientes Erbarmen fo erfheint fle bod) a[& das Moment, von bem aus die Härte ber Verwerfung und ber Anfloß ber ungleihen Behandlung gemilvert, wo nicht befeitiget wer⸗ den fann.

Die Berufung auf die Gott in feinen Gnadenerwei⸗ fungen aufteenbe Freiheit hat ihre Berechtigung; diefe Freiheit ift ungertrennlich von Gott αἵδ᾽ einem perfönlihen Wefen, und von ihr fehen wir aud) Anwendung gemacht in ber befannten evangeliſchen Parabel von ben Arbeitern, bie qu verfhiedenen Stunden an bie Arbeit berufen

Borherbeftimmung. 249

werden. unb fhlieglih denfelben Lohn empfangen 5. Allein man muß fij vor bem Anthropomorphismus hüten, ber in ber vollen unb unvermitteltin Anwendung biefeó Gedankens liegt; erft dann möge er herbeigezogen werben, wenn bie zur Erklärung jener ungleihen Behandlung tauglihen Momente erfhöpft find, und nur infoweit zur Anwendung fommen, als diefe ihm nod) Raum und feine Bermittlung als Bedürfniß erſcheinen laffen. Wenn er dagegen, wie εὖ von ben Auguftinianern unb Thomiften geſchieht, jener abftracten Betrachtung als Schlußftein auf» gefegt wird, fo heißt das ben Denfproceß zu frühe abs brechen und gerade das Moment unbeadjtet zur Geite liegen faffen, mit beffen SBenügung ber angeftrebte Zweck allein auf befriedigende Weife erreicht werben Kann.

In diefer formellen Beziehung haben aud) hier (vgl. oben (5. 104) die Moliniften ihnen den Rang abgelaufen. Die Moliniften berufen fid) auf bie scientia media Gottes, jenes Wiffen, welches gleihfam die Mitte hält zwiſchen der scientia visionis (dem Wiffen des Wirflihen, alles beffen, mas war if unb fein wird) und ber scientia simplicis intelligentiae (9Biffen des abftract Moͤglichen) und als 9Biffen des concret Möglichen erſcheint, b. h. des» jenigen, was fif verwirklihen würde, wenn eine bes ftimmte Vorausfegung einträte. So weiß Gott vorher, taf Tyrus und Sivon Buße gethan hätten, wenn fie die Wunder gefehen, die Chorazim und SBetbfaiba erfahren haben. Diefen Hilfsbegriff wenden fte hier fo an. Gott weiß die Wirkungen feiner Gnade auf die Herzen der Menfchen vorher, nicht blos bevor er fie extheilt, fonbern auch bevor

1) Augustin. de dono persev. n. 17.

250 Die qhriſtliche Gnadenlehre.

er ſie zu ertheilen beſchließt; wenn er daher dem einen die Gnade (der Berufung, Rechtfertigung, Ausdauer, die durchlaufenden Momente der Vorherbeſtimmung) zu er⸗ theilen beſchließt (ibn prübefinitt) , dem andern aber fie nicht zu ertheilen, ſo geſchieht dieß bei jenem auf dem Grunde des Vorherwiſſens, daß er ihr zuſtimmen wird (scientia visionis), bei dieſem auf bem Grunde ber scientia media, des Vorherwiſſens, daß wenn er fle ihm ertheilen würde, er ihr doch nicht folgen, fonbetn toiberfireben würde. Denft man fid aber Gott nod) gleihfam in ber Wahl oder Erwägung begriffen, welchen er feine Gnade extheilen, welchen fie vorenthalten wolle, fo it die scientia media das Mittel, burd) welches er in Anfehung beider Theile zu feinem Entſchluſſe fommt. Und biefe Stellung ift e& (nicht jene), welche bie Moliniften dem gedachten Hilfsbegriffe anweiſen, wenn fle auf Grunblage ihrer Lehre von ber wirffamen Gnade (ob. (5. 104) bem göttlichen Praͤdeſtinationsdecret bie scientia media vorausgehen faffen und ben Thomiften, bie bie Bebingtheit deſſelben butdj was immer für ein SBorfermiffen des menſchlichen Vers haltens beftreiten, entgegentreten. Wie aber ihre Lehre von ber wirffamen Gnade auf einen materiellen Itrthum hinausläuft, fo aud) diefe ihre Prädeftinationslehre. Es ift unzuläßig, bie Gnadenwahl, Präveftination und Repros bation in Einem Acte zufammengefaßt, auf bie scientia media als auf ihren Grund zurüdzuführen; denn jene hat in ihrem Gefolge eine pofitive Einwirfung Gottes auf ben menſchlichen Willen, die, wenn fte durch ein Vorherwiſſen bedingt wäre, jedenfalls nid)t burd) bie scientia media bebingt fein fónnte, wogegen biefe bie Negation einer ſolchen Einwirfung ift, und fomit allein die Anwendung

BVorherbeftimmung. 251

biefcó Begriffes zuläßt. Erfolgt die Einfimmung bes Willens (übrigens unbefdjabet feiner Freiheit) Durch bie in ber Präbeftination zum Leben präparirte Gnadenmit⸗ theilung, fomit nicht unabhängig von ber Gnadeneinwir⸗ Tung, fo fann das Vorherwiſſen biefer Wirkung fein Bes fimmungsgrund für bie Extheilung derfelben fein, jeden⸗ falls aber würde biefed Vorherwiflen, wenn man es bod dem göttlichen Decret unterftellen wollte, nidt unter ben Begriff ber scientia media fallen; benn e$ handelt ſich bier nicht von einer Möglichkeit, weder einer ſchlechthinigen, mod) einer hypothetiſchen, fondern von einem zufünftig Wirklichen. Die Steprobation bagegen in ihrem Unter» fbiebe von ber Prädeftination fann auf bie scientia media begründet werben; unb indem wir es thun unb biefen Hilfsbegriff hier zur Anwendung bringen, fihreiten wir in ber Grfenntnif des Geheimniffes der Vorherbeftimmung um einen erheblichen Schritt vor im Vergleich mit ber abftraeten Behandlung des Problems von Seiten ber Auguftinianer und Thomiften, in welder das perfönlich ſittliche Moment gar nicht in Rechnung genommen ift. Indem Gott, dem nichts verborgen und beffen Blid fo wenig in die Graͤnzen des Wirklihen eingefchloflen, als feine Macht burd) das Wirfliche erſchoͤpft ift, voraueftebt, was ber Menſch unter allen Umftänden will unb tut, alfo aud) vorauéflebt, was er thun würde, wenn er ihm bie Gnade des ewigen Lebens zuwenden wollte, mug ihm bie Vorausfiht ber Nichtannahme, ber Ver⸗ féümung und SSeruntreuung feiner. Gnade ein Beftim- mungégrunb (ein, diefelbe dem böfen menfdjfiden Willen vorzuenthalten. Verhaͤlt es fid) fo, fo wiffen wir alfo, warum Gott bem einen bie Gnade nicht ertheilt; warum

252 Die hriftliche Gnadenlehre.

et fie aber dem andern ertheilt, das wiffen wir nicht, weil wir feinen Grund dafür (auf Seite des SRenfden) wiffen. Beides gufammenfaffenb, fónnen wir nun fagen: „Bott "mill alle Menfchen retten und zur Grfenntnif der Wahrheit führen“ ; 1 Tim. 2, 4., unb biefen feinen- gnädigen Willen führt er nur an denen nicht aus, melde ihm eigen» willig widerfireben. Zwar fdyeint ein ſolches Widerſtreben, das wir nad) bem Bisherigen nur al ein hypothetiſches Tennen, feinen wirklichen fittlihen Unterfhied zum Nach⸗ theil des Nichterwählten zu begründen, und bie scientia media, durch deren Herbeiziehung wir darauf geführt wurden, eine logifche Fiction, ein imaginárer Begriff zu fein, durch den wir nur (djeinbar über bie abftracte Ber trachtung ber Thomiften binausgefommen wären. Auch müffen wir daran erinnern, mit welder Hartnädigfeit bie entſchiedenen Thomiften diefem Begriffe an fif unb in feiner Anwendung auf bie Präbeftination widerſtanden. Und bod, behaupten wir, hat er feine Berechtigung. Wenn das perfónfid) fittlihe Verhalten nichts Gleihgüls tiges ift in Bezug auf das ewige Loos bes Menfchen, wenn vielmehr, wie bie Freiheit des Willens überhaupt in ber göttlihen Gnadenwirkſamkeit, fo aud) biefes Vers halten in ber göttlichen Gnadenwahl eingeſchloſſen if, wenn, um concret auszubrüden, ber Menfch nicht befs halb fhlecht und das emige Verberben fein Loos ift, weil er nicht prübeftinirt, weil er reprobirt ift, fonbern ums gefefrt deßhalb reprobirt, weil er ſchlecht ift, ber Präs deftinixte dagegen zwar deßhalb gut unb des ewigen Lebens gewiß, weil er durch bie göttliche Gnade dazu erwedt ift, aber bod auch nicht allein unb ausſchließlich deßhalb, fonbern zugleich fraft feiner freien Selbfibefimmung für

Vorherbeſtimmung. 253

das Gute: wenn biefe Sprámiffen fefftehen und Nies manb, bie Präveftinatianer Gottfhalt unb Calvin auó« genommen läugnet fie —; fo ijt bie scientia media fein imaginärer Begriff, umb jenes blos hypothetiſche Wider⸗ fireben, das wir als Grund der Nichtermählung mittelft dieſes Begriffs gefunden, beruht auf einer im Vergleich (alfo blos relativ) mit bem Erwählten wirklich vorhan- denen fittlichen Inferiorität des Nichterwählten. Wir fagen alfo nicht: Gott will Alle retten und rettet aud) Alle, welche gerettet fein wollen: darin läge, daß ber Rathſchluß ber Erwählung lediglich aus dem Vorherwiſſen des menfdj- liden Verhaltens hervorgehe, in bem Gott diejenigen zu befeligen befchließe, von denen er vorherweiß, daß fie feiner Gnade zuftimmen, wie er Diejenigen nicht zu erretten bes fhließt, von denen er baó Gegentheil vorfermeif. Dann wäre εὖ nicht die göttliche Gnade, Durch welche wir das ewige Leben erlangen, fonbern unfer Wille, wiewohl nicht ohne bie Gnabe; dann wäre bie Gnade nicht aus fid wirkſam, fondern in Kraft des Willens; wir erlangten, was uns Gottes gnädiger Wille ſchenken will, nicht deß— halb, weil Gr εὖ will, fonbern weil wir wollen, und außer feinem allgemeinen Willen Alle zu retten, gäbe εὖ nicht blos rüdfidtlid) ber Intention fondern aud) des Effects feinen befondern, alfo aud feine Gnadenwahl im eigentlichen Sinne: lauter Lehren, bie im entfchiedenften Widerſpruche mit dem Worte Gottes unb bem Dogma ber Kirche ftehen. Unfere Formel lautet vielmehr: Gott will Ale reiten und rettet nur diejenigen nicht, welche ihm eigenwillig wiberfireben. Die fittlihe Selbftunterfheidung der Menfchen, welde von bem Freiheitsgebrauche unzer⸗ trennlich ig und uns aud) überall da entgegentritt, wo

254 Die chriſtllche Gnadenlehre.

wir ſittliche Perſonen vor uns haben, zur directen Vor⸗ ausſetzung und Unterlage der Erwaͤhlung zu machen, iſt ſchlechthin unzulaͤßig; denn fte beſteht nicht unabhängig von dieſer, etwa wie der freie Wille als Vermoͤgen des Guten und Boͤſen unabhaͤngig von der Gnade da und von dieſer ſchlechthin vorausgeſetzt iſt, ſondern iſt theil weiſe ihr Product: fie wäre ganz das Product der Erwaͤhlung, wenn es eine gemina praedestinatio gäbe, wenn ber Menſch zu beidem, bem Guten und Böfen von Gott befimmt wäre. Und theilweifes Product ber Erwählung ift fie in „ungleicher Weife; ber böfe, zum SBerberben führende Wille ift fein Werf der Prädeftination, fondern das Werf des Menfhen unb die Folge ber Nihterwähr fung, ber gute zum ewigen Leben führende "Wille aber it das Werk ber Prädeftination (Gnade) und die Folge ber freien Selbfibefimmung bes SRenfden. Hierin liegt ein verſchiedenes Verhalten des Menſchen zu dem Zweck und Endziel feines Dafeins, und zwar von Seiten des Böfen aus in feiner Be siehung zum Guten ein ber Gnade vorausgehendes, burd fie nidt bebingtes Verhalten in ähnlicher Weife, tie ber natürliche Wille vor und unabhängig von ber Gnade ein Vermögen des Guten und Böfen ift. In diefem relativen und negativen Sinne erfcheint bie lediglich auf bem freien Willensgebrauch beruhende fittlihe Selbſt⸗ unterfheidung des einen vom andern als bie Vorauss fe&ung ber Erwählung; unb biefe von ber Ermählung unabhängige perfönliche Selbſtunterſcheidung verhält fij als das Außerfte Glied, als bie tieffte Unterlage des {εἴθ fländigen fittlichen Lebens, auf welche die Berechtigung aur fittlihen Ermahnung und Beftrafung gebaut werben

Vorherbeſtimmung. 255

Tann; wogegen ber bf. Auguftin von feinem abſtrac⸗ ten Standpuncte aus für biefe Berechtigung auf nichts fif berufen Fonnte als auf das fubjective Geheimniß ber S)rübeftination, darauf, daß fein Sterbliher weiß unb wiſſen fann, ob er in die Zahl der Erwählten von Gott aufgenommen fei ober nicht. Der πάζβε Schritt über jene fittliche Selbftunterfheidung hinaus führt uns in das Verhältniß des gum Leben Vorherbeftimmten zu diefer Vor⸗ herbeftimmung hinein, ein Berhältniß, von bem wir oben ausführlich gezeigt haben, daß in bemfelben bie Forderung der fittlichen Freiheit, der Standpunct des practifchen Chris ſtenthums vollfommen gewahrt fei.

Stadj.ber bisherigen Betrachtung ftellt die Praͤdem̃⸗ nation ein inneres unmittelbares Verhältnig Gottes jum Menfchen dar. Sie hat aber aud) eine äußere Seite, bie fif al8 bie finnfide Vermittlung zu jenen rein geiftigen Bezügen der göttlichen Heilsbereitſchaft verhält. Wir find nämlich von Ewigkeit her in Chrifto wählt, daß wir burdj feine Gnade das ewige geben erlangen (Ephef. 1, 4. 5. vgl. 9tóm. 6, 23); die Gnade Gottes in Chriſto aber ift gefmüpft an den Eintritt in feine Gemeinfdaft ober Kirhe, an bie Auf» unb Annahme des Wortes Gottes und ben Gebraud) ber Sacra⸗ mente (Gnadenmittel), bie er in ihr hinterlegt hat. „Wer glaubt und getauft ift, wird gerettet, wer aber nicht glaubt, wird verurtheilt werben." Mark. 16, 16. vergl. 305.3, 36." Die Schwierigfeit, bie aus diefer Auffaſſung der Praͤdeſtination erwaͤchst, [dft fi fur fo zuſammen⸗ faffen. Daß einige im Chriftenthum geboren werden und

1) De corrept. et grat. n. 20. 25.

256 Die chriſtliche Gnadenlehre.

durch die Taufe Antheil an Chriſtus gewinnen, andere aber nicht, daß überhaupt einem Theil der Menſchheit das Evangelium verfündigt wird, einem andern nicht, if lebiglid) von Gott fo verordnet, unb biefe Verordnung be wegt unb effectuirt fid) nad) ihrer äußern Geite nicht wie bie bisher betrachtete innerhalb, fondern außerhalb ber Sphäre der menschlichen Freiheit und Gelbftbeftimmung auf bem Gebiete der äußern Umftände und SBerbáltniffe, in bie wir ohne unfer Zuthun gefeßt find, bie wir mit dem beften Willen nicht beherrfchen und zu unfern Gunſten Tenfen Fönnen. „Wer den Namen des Heren anruft, fagt der Apoftel, wird gerettet werden. Wie können fie nun ben anrufen, an ben fie nicht glauben? wie Fönnen fie aber an ben glauben, von bem fie nicht gehört haben? wie fönnen fie aber von ihm hören, ohne einen Verkuͤn⸗ biger" ? Röm. 10, 13. 14. Wie làft fi) über biefe Schwierigfeit Hinwegfommen, ober befcheidener gefproden: in welcher Richtung liegt ihre Löfung? In Anfehung ders jenigen, bie im Chriſtenthum geboren find, fowie beret, denen es im Verlaufe ihres Lebens befannt wird burd) die Boten des Evangeliums, fat die früher entwidelte Betrachtung ihre volle Geltung; auf diejenigen aber findet fie feine Anwendung, bie zwar im Ehriftenthume geboren, aber durch vorzeitigen Tod ober durch Nachlaͤſſigkeit ans derer an ber Wiedergeburt burd) die Taufe verhindert werden; forie auf diejenigen, denen burd) ihr ganzes Leben das Evangelium völlig unbefannt und fremd bleibt. Don jenen reden wir hier nicht weiter, unb zwar deßhalb nicht, weil biefe Betrachtung eine particuläre und abftracte, von dem vollen Begriff des Menfchen, von bem Menſchen als SBerfon abftrahirende ift, bie nie zu einem wiſſenſchaftlich

Vorherbeſtimmung. 257

genügenden Ergebniffe führen kann. Sie verhält fi als Moment zu der Betrachtung des zuletzt erwähnten 8er» haͤlmiſſes und muß von diefer aus, zu ber wir ieht übers gehen, gewürdigt werben. Diejenigen alfo, benen ohne ihre perfönliche Schuld !) bic chriſtliche Heilsanftalt ver⸗ ſchloſſen bleibt, find entweder im Zuſtande ber Vorbe⸗ teitung auf Chriſtus, alfo ſolche, denen durch Gottes Gnade die Ausſicht und Hoffnung auf ben Erloͤſer eröffnet iR, und bie fofglid) mit bem Judenthume das antieipirte Chriſte nthum tepräfentiren. In Anfehung aller diefer gilt ganz die frühere Betrachtung; fie find, wie bie Ehriften, äußerlich in den Stand gefet zu glauben an ben (kuͤnf⸗ tigen) Erloͤſer und in dieſem Glauben und das ihm gemaͤße Leben bie Seligkeit zu erlangen 9. Oder ſolche, bei denen dies nicht ber Fall if das Deibentfum im eigentlichen umb engern Sinne. Diefes Heidenthum, welches als vorriftliches bem Judenthum ober ber chriſt⸗ lichen Borbereitungsanftalt zur Seite geht, und als nachchriſtliches der in Wirklichkeit getretenen chriſtlichen Heilsanftalt parallel lauft, kommt hier allein in Betradt; ,

1) Dürfte man fidj auf den Standpunct der allgemeinen Sünd⸗ fefüigfeit befehränfen, fo würde man hier wie oben mit Auguftin fügen: Keiner kann fih beklagen, bem die Gnade ber Verkündigung ds göttlichen Wortes vorenthalten wird, εὖ geſchieht Ihnen Fein Unrecht.

2) Die bogmengefdjidotlide und’ theifweife aud) bogmoti[dje Aus führung dieſes Sahes gibt ganz gut Natal. Alexander hist, eccles. Tom, III. dissert. V. p. 124 seq. p. 370. 373. ed. Venet. 1771. Bas insbeſondere bie chriflliche Taufe, ben Schlüffel zum Reiche Gottes, betrifft, fo ift fie eim poſitives Geſetz und verpflichtet deßhalb erft von der Zeit feiner Promulgation an Die, denen es promulgirt itj Estiue in 4. dist. 3. $. 13. dist. 4. $. 16. Daher fagt aud das Goncil von Trient sens, 6. cap. 4, bof bie Rechtfertigung nad) gefcheh e⸗ att Berfündigung nicht ohne die Taufe ober deren Botum erfolge.

258 Die Griflige Gnadenlehre -

es erſcheint al8 ber Auferlich reprobirte Theil ber Menschheit im Vergleich mit ben übrigen, bie als áufetlid) präbeftinirt zu benfen find. Diefe Berwerfung if eine viel härtere als bie innerliche, weil fie fid) der Einwirfung des freien Willens gänzlich entzieht; unb man fann, abs . gefehen von ber allgemeinen Schuld, bie Betroffenen in keiner Weife für ben daraus erwachſenden Schaden per- fönlich verantwortlich erflären. Trifft alfo Gott bie Schuld? Keineswegs! Und zwar vor allem ſchon deßhalb nicht, weil die SBeranftaftung ber Erlöfung für den durch eigene Schuld gefallenen Menfchen, ben er von Anfang in den Stand ber Gerechtigkeit und Geborgenheit gefebt hatte, eine reine unverbiente Gnabe ift, und folglich bie Abirrung von bem Ziele lebiglid) auf Rechnung des Menſchen felbft fommt, ber nit nur auf unperfönlide Weiſe in ben Fall Adams verwidelt, fondern aud) durd eigene perfönlihe Schuld bem Böfen verfallen if. Gegen wir aber bie Gnade der Erlöfung voraus und fragen und, warum er nicht allen biefefbe zugänglich gemadt, nicht von Anfang an und fortlaufend fie zur Kenntniß aller gebracht habe: fo ift hierauf in ähnlicher Weife zu antworten, wie auf bie rage, warum Gott nicht alle burd) feine wirffame (innere) Gnade zur Seligfeit führe. Wie die Effectuieung feines allgemeinen Willens alle zu ' retten. ohne Beeinträchtigung der Freiheit des Menden nicht möglich ift, fo if bie gleichzeitige allgemeine Aus dehnung feiner äußern Heilsanftalt über alle nicht möglid ohne Störung des ordentlichen, natürlihen Weltlaufes. Sind wir in jener Beziehung berechtigt zu fagen, daß Gott alle rette welche ihm nidt eigenwillig widerſtreben, alle alfo bie er retten Fann ohne bie Freiheit, womit er

Vorherbeſtimmung. 259

fie am Anfange ausgeruͤſtet und welches die Baſis alles fittlichen Dafeins ift, zu beeinträchtigen; fo dürfen mir in diefer Beziehung behaupten, daß unter feiner Leitung bie Vorbereitungsanftalt fowohl als aud) das Chriſtenthum ſelber fo ſchnell und fo weit fid) audbreiteten, als es der natürliche Lauf ber Dinge, an den bie übernatürlidje Ord⸗ nung fid) anſchließt (mie bie Gnabe an die Freiheit), ver» Rattete. Dazu kommt nod) daß, wenn Gott feine in Chriſto den Menfchen erworbene Gnade beníelben tegels mäßig und orbentlicherweife nur in ber Gemeinfchaft feines Sohnes (ber vorbereitenben ober wirklichen) zuwendet, in biefer Ordnung und Regel Fein ausſchließliches Gefe& und feine abfolute Schranke für ihn in Erfüllung feiner ewigen Nathfhlüffe liegen. fann. Ober wie möchte ber Menſch ohne Vermeffenheit foldhes behaupten? Hier gilt es mit dem Apoftel auszurufen: „DO Tiefe des Gnadenreichthums, der Weisheit und Ginfidt Gottes! Wie unerforídilid) find feine Gerichte, und unergründlich feine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erfannt oder wer ift fein Rathgeber gewefen ?“ Röm. 11, 33—35. Wenn e8 aber fo ijt, daß wir in jener Regel unb Ordnung feine Schranfe für bie göttliche Barmherzigfeit erbliden dürfen, bann haben wir von ber Betrachtung der äußern Gemeinſchaft mit Chriftus, unbeſchadet ihrer Nothivendigfeit zum Seelenheile, ben Rückgang gewonnen auf bie frühere, nad welder Gott dem freien Willen des Menfchen mit feiner Barmherzigfeit und Gnade unmittelbar zur Seite fiet Y. Und biefe

1) Auf pofitivere Weife den Echwierigfeiten gu begegnen, bie "

füh beiden Betrachtungen , befonders aber der zulegt aufgeſteilten in den

Bag legen, if ohne Trübung des Dogmas kaum möglich. Wenn daher

2eibnig, auf beffen theologifche Ginfichten wir übrigens keinen geringern Abedl. Svartalfärift. 4959. 1. Heft. 18

260 Die dieifilitje Guadenlehre.

innere Gnabenorbnung verhält fid) ju der Außern in aͤhn⸗ licher Weife, wie bie Gnabenorbnung an fid) zu der Raturs ordnung und die befondere Vorfehung zu der allgemeinen, nümfid) als bie vollenbenbe und infofern höhere.

Werth legen als auf feine philofophifcken, in feinem systema theologi- cum (p. 20. ed. Lacroix. Paris. 1845) fagt: Porro omnibus hominibus gratiam dat Deus sufficientem , hactenus ut posita modo ipsorum voluntate seria, nibil amplius ad salutem eorum desideretur quod non sit in potestate, Et proinde muli viri pii persuasi sunt omnem hominem venientem in hunc mundum a luce illa mentum, Filio Dei aeterno, ejusque Sancto Spiritu ita illuminari, ut saltem ante morlem, sive per exíermam praedicationem, sive per internem mentis illustrationem , ad nolitiem perveniat, quantum haberi satis ek neceise erat, ut salutem obtinere posset, si modo ipse vellet, eo fine scilicet, ut saltem, si obstinate resistit vocanti Deo, inexcum- bilis constituatur; id enim divina justiiia omnino exigit. Quonam autem ratione id praestet Deus, etiam in illis ad quos nulla suspicio Evangelii Christi per aliquam externi verbi praedicationem pervenit, non iemere definiendum est a nobis, sed sapientiae ejus «c miseri- cordiae relinquendum est fo find wir mit bem legten ganz tin verftanden, aber eben barum nicht mit bem erflen, wenn uns barin poſitive Aufftellungen geboten fein follen.

Kuhn.

Beriätigung. ©. 200 am Schlufſe der Anmerkung muß ger defen werben: deren Duelle wir in bem Mangel oder ber Möläuguung der foum angegebenen Difinction zu fuchen Haben.

2.

SPapft Liberius, fein Verhältnig zum Arianismus und zum nicänifhen Symbolum.

Der frühzeitige Tod des Kaifers Gonftan (350 nad) Chr.) übte febr nachtheiligen Einfluß auf bie Gefdide der nicänifhen Lehre und ihrer SBertfeibiger. Hatten bie Eufebianer fon vorher, gleich nad) ber Rüdberufung des Bi. Athanafius aus feinem zweiten Exil, ihre Sntriguen gegen ihn erneuert, wie Sokrates (historia eccles. II, 26) verfichert, fo febten fie jeßt biefelben befto ungefcheuter fort, namentlich) weil Athanaflus bie nicht nicänifh gefinnten Geiſtlichen abfegte und andere beftellte, auch, wie fle mein« ten, fogar in fremde Diöcefen (deren Obermetropolit er übrigens war) Uebergriffe machte '). Vor ber Hand blies ben ihre Bemühungen zwar ohne Erfolg, denn wir haben noch jet einen Brief des Kaifers Eonftantius an Athanafius, worin ihn biefer nad) dem Tode feines Bruders Eonftans feines fortwährenden Schutzes verfihert ?), vieleicht, wie die Mauriner meinten 3), nur aus Politif, um ftd in ben damals Feitifhen Umftänden und Kriegsgeiten (im Abends

1) Soerates, historia eccles. IL 26. 2) Bei Athanas. Apolog. ad imperat. Constantium c. 23 umb histor. Arianorum ad monachos c. 24. 3) In ihrer Vita S. Athanasii im erfien Bande p. LIL bet Bataviner Ausgabe der Opp. S. Athanas. 18*

262 Bapft Aberius

Tanbe hatte fih Magnentius, in Pannonien Vetra—⸗ nion zum Gegenfaifer ausrufen laffen) die Neigung des einflußreihen Mannes und des ihm fo anhänglichen Aegyptens zu erhalten.

Ein aud) für bie Kirchengeſchichte nicht unwichtiges Ereigniß war der große Sieg des Conftantius bei Murfa über den Ufurpator Magnentius am 28, Sept. 351. Biſchof Valens von Murfa war damals im Gefolge des Kaifers, und ba er das Refultat der fehredlihen Schlacht, welcher Eonfantiug nicht unmittelbar ſelbſt beiwohnte, früher als diefer erfuhr, verkündete er e8 ihm mit bem Vorgeben, durch einen Engel davon benachrichtet worden zu fein, und flanb von nun an in hoher Gunft bei dem Kaifer H.

F Um biefe Zeit traten der genannte Valens und fein Freund Bifhof Urſacius von Singidunum wieder zur anti- nicaͤniſchen oder arianifirenden Richtung zurüd, deren Ver⸗ theidiger fle ſchon fo lange gewefen und weíde fle nur einige Zeit fang aus Furcht vor Kaifer Eonftans zum Scheine verlaffen hatten. Mit ihnen verbanben fid) Leons tius von Antiochien, Georg von Laodicen, Acacius von Caͤſarea Palaͤſtina, Theodor von Heraflea und Nareiffus von Neronias, und beftimmten gemeinfhaftlih ben Kaifer, aufs Neue das Patronat ber antinicänifhen Lehre zu über- nehmen. Conſtantius verftanb fid aud) in ber That hiezu i. 3. 352, unb beauftragte nun die Genannten, bie öffent» lide Stimmung in biefer Richtung zu bearbeiten 9.

Gerade damals brad) aud) eine der fráftigften Stügen des HI. Athanaflus und des nicänifhen Glaubens, denn

1) So erjäflt Sulpitius Severus histor, sacra; lib. II. p. 345 seq. tm VL Bande ber Biblioth. max. Patrum. Lugdun. 1577. 2) Athanas. histor. Arian. ad monachos. c. 30) 31.

und das nicänifche Symbolum. 263

es flarb Papft Julius I. am 12. April 352 und am 22. ° Mai Ὁ. I. folgte ibm Liberius, welder (dion unter ben nächftvorausgegangenen Päpften mehrere Kirchenaͤmter mit Ruhm verwaltet hatte und ein großer Afcet war. Und gerade er wird beüchtigt, bie kirchliche Rechtglaͤubigkeit aus Menſchenfurcht Herrathen zu haben, und aus Beighelt unb Selbſtſucht auf Seite der Keber getreten zu fein. Mehrere wollen fogar behaupten, daß er ſchon gleich beim Antritte feines Pontififats fid) als heftigen Gegner des bf. Athanafius gezeigt habe, und berufen fid) deßhalb auf ein Bragment bei Ct. Hilarius von Spoitieré. Daffelbe enthält einen angeblichen Brief des Liberius, wornad bie morgenländifhen Bifchöfe mod) bei Lebzeiten des Papftes Julius neue Klagen gegen Athanaſius vorgebradjt haben follen, weßhalb Liberius gleich nad) feinem Amtsantritte Geſandte nad) Alerandrien gefehiet habe, um ben 9Itfa» nafius zur Verantwortung über bie ihm vorgemorfenen Vergehen mad) Rom vorzufordern, wibrigenfalls er von der Kirche ausgefchloffen würde. Da nun Athanafius fih du erſcheinen geweigert, fo erfläre ‚Liberius jept in diefem Briefe —, daß er fortan nicht mehr mit ibm, wohl aber mit den Morgenländern (b. i. ben arianifirenben Eufebianern) Kirhengemeinfhaft unterhalten wolle !).

Allein nicht nur Baronius und andere alte Gelehrte haben bie Aechtheit biefe& Briefes beftritten, fondern es haben aud) die Mauriner Herausgeber ber Werke des HI. Hilarius (p. 1327) deffen Unaͤchtheit deutlich gezeigt, unb vat aus folgenden Gründen: ΄

1) Qe iſt dieß der Brief des Liberius „Studens paci^ bei Hilar.

fragm. IV. p. 1327; aud) bei Mansi, Collect. Concil. T. III. p. 208. und Baronius ad ann. 352. n. 12.

264 Slayft Liberlus

a) Schon in ben erfien Zeiten feines Pontififats legte Liberius, wie wir fehen werben, einen großen Eifer für Athanaſius unb die nicaͤniſche Sache an den Tag.

b) Athanafius ſelbſt deutet nirgends im Geringften an, daß Liberius (don vor feinem Eril irgend einmal die Gemeinfhaft mit ihm aufgehoben habe; ja er fagt

c) direkte, daß er erft nad) feinem Gri durch Dros hungen fid habe verleiten laſſen, unb vorher ganz ſtand⸗ haft gemefen fei, aud) bem faiferfiden Eunuchen Eufebius, der an ihn abgefanbt war um ihn zu verleiten, fefe ſchoͤne Antworten gegeben habe !).

d) Kiberius erklärte diefem kaiſerlichen Gefandten insbefondere: er fónne ben Athanafius, den ſchon zwei Cynoben für unfhuldig erflärt und ben bie roͤmiſche Kirche im Srieden entlaffen habe, den er uͤberdieß bei defien Ans weſenheit in Rom geliebt und in die Gemeinfhaft aufge⸗ nommen babe (b. ἢ. als Glerifer unter SBapft Julius an der Aufnahme mitgewirkt habe), unmöglich verwerfen ). Das aber hätte Liberius ficher nicht fagen fónnen, wenn er felbft (don einmal bem Athanafius bie Kirchengemein⸗ ſchaft aufgefündet gehabt hätte.

e) Liberius wurde ferner von ben Gegnern bes Athanaſius befhuldigt, er Babe Klagſchreiben gegen bens felben, bie bei ihm im Anfange feines Pontififate eingelaufen feien (voie aus dem Zufammenhange erhellt), fogar unterbrüdt; fei fonad) eher für Athanaflus pars teiiſch gemefen, als gegen ihn.

f) Auf diefe Beſchuldigung erwiderte Liberius: er

1) Berg. ble ganze Erzählung des hl. Athanafins in feiner historia Arianorum ad monachos c. 35 seqq. 2) Athanas. 1. c. c. 36,

und das nieänifche Symbolum. 265

habe jene Klagſchreiben wohl gelefen und feiner Synode mitgetheilt, aber es hätten fid viel mehr Bifhöfe für als gegen Athanaflus erflärt ). Auch hierin liegt, baf er {εἰδῇ damals, beim Anfange feines Pontififats, ben Athanaſius feineswegs verwarf.

g) Gnbíid) haben bie Arianer in jener Zeit überhaupt mehrere falfche Briefe in Umlauf gefeht, wie fon Atha⸗ naſius felbft zeigte 3); und aud auf ber Synode von Sarbifa war ein folder vorgelefen worden 3).

So iff bemnad) der erfte Vorwurf, der dem Papfle Liherius über fein Verhältnig zur antinicänifhen Partei gemacht wurde, für grunbíoó zu eradjten; im Gegentbeile zeigte fid derfelbe von Anfang an als entſchiedener Freund des Rechts unb ber Orthodorie, wie aud) jeder Schritt feiner ferneren Betheiligung an den arianifhen Kämpfen beweist. .

Im Sommer 353 wurde Conftantius burd) bie volle fBefiegung und ben Tod des Ufurpator Magnentius Allein» herrſcher des großen roͤmiſch⸗griechiſchen Reiches, unb von ba an tritt feine Abficht, ben arianifirenden Glauben, bem er βείδ felbft angehört hatte, zum herrſchenden zu machen und bie homoufiaftifche, vermeintlich fabellianifirende Rich⸗ tung zu unterbrüden, immer beutlicher hervor. Damit war die Rothwendigkeit gegeben, den Athanaflus aufs Neue zu ftürgen, und ein eigenthuͤmlich unehrlicher Plan wurde dazu erfonnen. Wahrſcheinlich mit Wiffen des Kaifers uͤberreichte man biejem ein angebfid) von Atha⸗ naflus herrührendes aber unächtes Schreiben, worin biefer

1) Hiler. fragm. V. n. 2. p. 1330 ed. Bened.

2) Athenas. Apologia ad Constantium imper. c. 6. 11. 19. 8) gl. Hilar. fragm. IL n. 3. p. 1285.

266 Bapft Aberius

um die Erlaubnig bat, an das Hoflager Tommen zu dürfen. Man hoffte natürlich, dort über ihn eher Meifler werben zu fónnen, als in Alerandrien, wo er fo großen Anhang beſaß. Eonftantius genehmigte fofort bie vorgebtide Bitte und fdidte fein bejahendes Antwortfhreiben burd) einen befonberen SBalafibebienten, Montanus, gegen Ende des Jahres 353 nad) Alerandrien. Athanafius erkannte fo» gleih den Betrug und erflärte: „wenn ber Kaifer auss brüdlid) befehle, werde er erfcheinen, aber darum ger beten habe er nicht." Er blieb fonad in Alerandrien und feine Feinde fäumten nicht, dieß für ein Eapitalverbrechen au erflären 1), Zugleich zeigte fij) Gelegenheit zu nod) weiteren Angriffen. Die Kirchen zu Alerandrien waren feit längerer Zeit zu Mein, unb deßhalb hatte (don ber arianifhe Afterbifchof Gregor vor etwa gehn Jahren ben Tempel Hadrians in eine Kirche umpugeftalten begonnen. Der Bau war nod nicht ganz fertig, die Kirche nod) nicht eingeweiht unb bod) hielt Athanaſius am Ofterfefte auf Bitten des Volkes darin Gotteödienft,. weil an ben vorausgegangenen Tagen bie eigentliche Kathedrale fo überfüllt war, daß viele Menfchen gequet(ót wurden. Doch fam glüdlicherweife Niemand dabei ums Reben, Die Arianer aber fpielten jet bie religiöfen Rigoriften und flagten bei dem Kaifer über ben großen Frevel, in einer nichtgeweihten Kirche Gottesdienft gehalten zu haben ?). Mit den beiden eben berührten Klagepunften vers banden fie nod) bie zwei weitern: Athanaſius habe ben Kaifer Gonftanó ftetà gegen feinen Bruder Eonftantius

1) Athenas, Apolog. ad imper. Constant, c. 19 seqq. 2) lbid. c. 14 seqq. .

und das nichnifche Symbolum. 267

aufgezeigt D, unb aud) an Magnentius beim Beginne feiner Ujurpation eine ehrerbietige Zuſchrift gefdjidt, um feine Gunft zu gewinnen ?).

Diefe neuen Angriffe auf Athanafius wurden wie dem Kaifer fo aud) bem 9Bapfte Liberius mitgetheilt; aber aud) bie Freunde des HI. Athanafius traten wieder auf und ſchickten, achtzig Bifhöfe an der Zahl, eine Vertheidigungs- férift für ihn nad Rom 3). Liberius fand barum bie Berufung eines großen Concils für nöthig 9), und bat den Kaifer, ein ſolches nad) 9Iquileja auszufchreiben. Con⸗ flantiu& wählte jedoch Arles in Gallien, wo er fid) eben aufhielt, zum Orte der Synode, unb ließ ben nun hier vers fammelten Bifhöfen ein fhon zum Voraus von Valens und Urfacius gefertigtes Verbannungsdefret über Athanafius vorlefen 5. Die päpftlihen Gefanbten, Biſchof SBincentiu& von Gapua und Marcellus Bifchof in Gampanien, fowie andere orthodore Bifchöfe ftellten das. Anfinnen, man folle bod), ehe man fie zur Unterfprift zwingen wolle, zuvor über ben Glauben bdifeutiren, und dann erft über bie SBerfon aburtheilen. Aber Biſchof SBalené und feine Freunde ließen fid) auf eine neue dogmatiſche Unterfuchung gar nicht ein). Sofort machten bie päpftlihen Legaten, wie fie fagten, des Friedens willen, nod) ben meitern Vorſchlag, fie wollten das Urtheil über Athanafius unter reiben, wenn zugleich aud) ein Anathema über die

1) Ibid, c. 2 seqq.

2) Ibid. c. 6 seqq.

3) Hiler. frogm. V. n, 2. p. 1380,

4) Ibid. fragm. V. n. 1. p. 1930.

5) Sulpit. Sever. hist, sacra, lib. II, p. 346 1. c. 6) Sulpit. Sever. l. c.

266 ffayft Liberlus

um bie Grlaubnif bat, an das Hoflager Ln can verſprach Man hoffte natürlich, dort über ihn ., aber Valens zu koͤnnen, als in Alerandrien, mo —— npe Mehrheit, er

ba. Conſtantius genehmigte f^ —— ‚nmwilligen zu können und (djidte fein bejahendes Ar ag des Athanaſius », en a allgemeine Unterfärift glei, den Betrug umh geringe Gewalt. Selbſt die nang Befehle, - Aerzeichneten ſo das Urtheil gegen beten Hab i jlaulinué von Trier blieb ftanbbaft, feine Binde fi = zit dem Cril beftraft 2. rapit Liberius zu erflären dm Abfall feiner Legaten fo fehr betrübt, weiteren 9f 97d qe förteb: duplici affectus moerore, mihi feit Täne ws aspis pro Deo decrevi, ne viderer novissimus arian’ w^ sententiis contra Evangelium commodare con- Sn ΤΩΝ Und damit ja Niemand glauben fónne, er T PO Scritt feiner Gefanbten, ſchrieb er nicht bios

us, fondern. aud) an andere Bifhöfe des Abend»

ind ahnliche Briefe 9. .

Die Lage namentlich ber italiſchen Bifhöfe war bo mals eine gefährliche, denn ber Kaifer verlangte jegt von ignen Alen, daß fie ber Gemeinfhaft mit Athanaflus entfagen follten. Viele waren muthlos; ba fand Aueifer 9. von Ealaris in Sarbinien auf und zeigte, baf ber Angriff auf Athanafius nichts Anderes {εἰ als eine 8er folgung ber niränifchen Lehre, und erbot fid als paͤpf⸗ lider Gefanbter an das Hoflager zu gehen, um ben

1) Hilar. fragm. V. n. 5. p. 1832.

2) Athanas. Apolog. ad imper. Constant. o. 27. Hilar. conm Constantium p. 1246.

3) Hilar. fragm. Vl. n. 3. p. 1835.

4) Mansi , collectio Concil. T. III. p. 201.

und das nicäntfche Shmbolum. 269

"qlid) auf beffere Wege zu bringen. Liberius "ieten. feeubigft an, gab ifm ben Priefter

» 7 Diafon Hilarius zu SBegleitern und ‚em fehr freimüthigen und würdigen

a , worin er fein bisheriged Bes x auch zeigt, warum er nicht mit ben

‚wengemeinf&haft unterhalten fónne, das eſchehene fein und zugleich ernſt Feitifirt und 4b um Abhaltung einer neuen €ynobe bittet ). ougleich fehrieb Liberius aud) an ben hochangeſehenen Bir ſchof Eufebius von Vercelli, unb bat ihn, aud) feinerfeité der Geſandtſchaft fid) anzuſchließen 9. Zu dem Gleichen forderte er auch ben Bifchof Fortunatian von Aquileja au[ 3). Kaiſer Conftantius berief fofort allerdings wie ber Papſt verlangte, für das Jahr 355 eine Synode nad Nailand, aber Liberius follte bald bitter enttäufcht werden, denn Conftantius brachte es auf diefer Synode, die in feinem eigenen Palafte abgehalten werben mußte, durch Drohungen und Gemwaltthätigfeiten dahin, daß alle Anwefenden bie Verurtheilung des Athanaſius unterfchrieben und mit ben Eufebianern und ber arianifirenden Partei in Kirchengemeinſchaft traten. Nur wenige, wie Eufebius von Vercelli, Dionys von Mailand, Lucifer von Calaris und die wei andern pápfifiden Gefanbten blieben ftandhaft und wurden dafür mit Verbannung beftraft. Unter denen aber, bie fid) ſchwach gezeigt, befand fid) aud) ber ſchon genannte Bifhof Hortunatian von Aquileja, auf welden, wie wir fahen, Liberius fo große Hoffnung gefebt hatte, 1) Hilar. fragm. V. p. 13291333.

2) Massi, 1. c. T. ΠΙ. p. 204 u. 205. 3) Mensi, 1. c. p. 205 x. 206.

268 Bapft Liberius

arianiſche Härefle ausgeſprochen werde. Man verſprach bie. Sept verfammelte fid) die Synode, aber Valens und feine Anhänger, b. f. bie arianifirende Mehrheit, ers Härte nun, in biefen Punkt unmöglich einwilligen zu Fönnen, beftand dagegen auf der Verurtheilung des Athanaflus !), und Conſtantius erpreßte deren allgemeine Unterfchrift durch Drohungen und nicht geringe Gewalt. Selbſt bie püpfiliden Gefandten unterzeichneten fo das Urtheil gegen Athanaftus, und nur Paulinus von Stier blieb ftanbbaft, und wurde dafür mit bem Eril beftraft ἢ. Papft Liberius aber war über ben Abfall feiner Legaten fo febr betrübt, daß er an Oflus ſchrieb: „duplici affectus moerore, mihi moriendum magis pro Deo decrevi, ne viderer novissimus delator, aut senientiis contra Evangelium commodare con- sensum* 3). Und damit ja Niemand glauben fónne, er billige den Schritt feiner Gefanbten, ſchrieb er nicht blos an Oſius, fondern aud) an andere Biſchoͤfe des Abend⸗ landes ähnliche Briefe 9.

Die Lage namentíid) der itali(den Bilhöfe war dar mals eine gefährliche, denn ber Kaiſer verlangte jet von ihnen Allen, daß fle der Gemeinffaft mit Athanaflus entfagen follten. Viele waren muthlos; da flanb ucifer 2. von Calaris in Sardinien auf und zeigte, baf ber Angriff auf Athanaftus nichts Anderes [εἰ als eine Ber- folgung ber nicánifden Lehre, unb erbot fid als pápft lider Gefanbter an das Hoflager zu gehen, um ben

1) Hilar. fragm. V. n. 5. p. 1332.

2) Athenas. Apolog. ad imper. Constant. c. 27. Hiler. conta Constantium p. 1246.

3) Hilar. fragm. VI. n. 8, p. 1335.

4) Mansi , collectio Concil. T. II, p. 201.

und das nieänifche Symbolum. 269

Kaifer wo möglich auf beffere Wege zu bringen. Liberius nahm fein Anerbieten freubigft an, gab ihm ben Priefter Bancratius unb ben Diafon Hilarius zu Begleitern unb ſchickte fie nun mit einem febr freimäthigen und würdigen Schreiben an den Kaifer, worin er fein biöheriges Ber nehmen rechtfertigt, aud) zeigt, warum er nicht mit den Eufebianern Kirchengemeinfhaft unterhalten fönne, das zu Arles Gefhehene fein und zugleich ernft kritifirt unb dringend um Abhaltung einer neuen Synode bittet). Zugleich fhrieb giberiu& aud) an den hochangefehenen Bir ſchof Eufebius von Vercelli, und bat ihn, auch feinerfeits der Geſandtſchaft ſich anzufchliegen 9. Zu dem leihen forderte er aud) ben Biſchof Fortunatian von 9fquifeja auf ®). Kaifer Eonftantius berief fofort allerdings wie ber Papft verlangte, für das Jahr 355 eine Synode nal Mailand, aber Liberius follte bald, bitter enttäufcht erben, denn Conftantius brachte e8 auf diefer Synode, die in feinem eigenen Palafte abgehalten werben mußte, burd) Drohungen und Gewaltthätigfeiten bain, daß alle Sinvoefenben die Berurtheilung des Athanaftus unterfehrieben und mit ben Eufebianern und ber arianifirenden Partei in Kirchengemeinfhaft traten. Nur wenige, wie Eufebius von Vercelli, Dionys von Mailand, Lucifer von Calaris unb bie zwei andern pápfifidjen Gefanbten blieben ſtandhaft und wurden dafür mit Verbannung beftraft. Unter denen aber, bie fid) ſchwach gezeigt, befand fid) aud) ber [don genannte Bifhof Gortunatian von Aquileja, auf welchen, wie wir fahen, Liberius fo große Hoffnung gefeht hatte, 1) Hilar. fragm. V. p. 1329-1333.

2) Mansi, 1. c. T. IIL p. 204 u. 205. 3) Mansi , 1. c. p. 305 u. 206.

268 Spopft Liberius atianifdje Härefie ausgefprohen werbe., H 4 dieß. Jetzt verfammelte fif) bie ey £ bes und feine Anhänger, b. h. die ariav z f s;

? 7 nder |

1 d ent· und Conſtantius erpreßte Vi ; δ. burd) Drohungen und nidt , » fe mit päpftlichen Gefanbten unte / αὶ 5 Bartei Athanafius, und mic T- x 2, jagte er, im

„uchen Ginigteit, „Hpeit in ber Kirche an,

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daß er an Oſiu⸗ d arianiſchen Principien. Leider moriendum m». woͤfe burd) Furcht verleiten, wenige delator, aut zum Scheine, den Athanaſtus zu ve»

sensum* Y „it der Gegenpartei in Gemeinfchaft zu treten;

billige d aders aber war es von Anfang an auf ben Sap an D und ben berühmten Biſchof Oſius abgefehen in | Ian“ ML wenn mam biefe geminne, habe man über | WT Eonftantius ſchickte jegt ben Gunuden Eufer | j, εἴπει feiner vertrauteften Räthe unb eifrigen Arianer, | om ju Papſt Siberiuó, damit er zwei Dinge von | jjm verlange: bie Unterfhrift gegen Athanafius und die | Gemeinfhaft mit bem arianifirenden Biſchoͤfen. Erſteres wünfche, Lehteres befehle der Kaifer. Geſchenke und Dro jungen zugleich angewendet, follten ben Papft nachgiebig machen 9. Liberius entgegnete, daß er ben Athanaſtus unmöglich verwerfen fónne; man folle aber eine freie Synode, nit in einem Faiferlichen Palafte und nicht duch des Kaiſers perfönliche Anweſenheit beherrſcht, abhalten,

1) Hieron. de viris illustr. c. 97. 2) Athenas. histor. Arian. ad monachos c. 35.

bi DAS nieinifge SHmbolum. ?n

"Sun en darin erneuern, bie Arianer davon ST Tagen gegen Athanafius unterfudjen !). >rzürnt, palte die Gefchenfe, bie er

* unb welche Liberius nidt an— *in unb entfernte fi mit Dros er darauf in ber St. Peters»

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zen ihn anzuwenden ?). Eine allgemeine ächtigte fid) der Stadt Rom, bie Anhänger

‚aberius wurben verfolgt unb Biele zu beftehen ges fubt, damit fie gegen ihn auftreten follten. Die Biſchoͤfe, bie eben in Rom anweſend waren, verbargen fij, viele ee Frauen entflohen, viele Geiftlihe wurden vertrieben, und burdj aufgeftellte Wachen Niemanden geftattet, ben

Papſt zu befuchen 5). Er wurde nun an das Hoflager

gebradyt unb vor ben Kaifer geftellt; fprad) aber aud)

diefem gegenüber mit ebler Freimuͤthigkeit *). Er wurbe dafür mit bem Eril beftraft umb nad) SBeróa in Thrazien verwieſen 5), an einen Ort, wo fid) feiner feiner Freunde und Unglüdsgenofien befand; denn burd) folhe Trennung wollte der Kaifer bie Strafe vergrößern 5), vielleicht aud) hoffend, ben Vereingelten Teichter jur Schwäche verleiten

1) Ibid. c. 36.

2) Ibid. c. 37.

3) IbH. c. 38. 4) Ibid. c. 39 und Theodoret, hist, eccles. II, 16.

5) Theodoret, 1. c. 6) Athenas. hist, Arian. ad mon, c. 40.

270 Papſt Libertus

Und er fiel nicht nur felbft, fondern wurbe fpäter aud) für Liberius bie Urfache des Falles, wie Hieronymus bes zeugt ").

Nach den Refultaten der Arelatenfer und Mailänder Synode ging das Streben des Kaifers dahin, bie ents ſchiedenſten Vertheidiger des nicänifhen Homouſios qu flürgen, unb e$ dahin zu bringen, daß alle Bifhöfe mit der antinicaͤniſchen, im Grunde arianiſch gefinnten Partei in firdjengemeinfdjaft treten. Ex thue bief, fagte er, im Sintezeffe des Kirchenſtiedens und der kirchlichen Einigkeit, und allerdings ſtrebte er eine Einheit in ber Kirche an, aber auf ber Grundlage ber arianifchen Prineipien. Leider liefen fid) gar viele Biſchoͤfe durch Furcht verleiten, wenige ſtens Außerlih und zum Scheine, den Athanaflus zu vers werfen und mit ber Gegenpartei in Gemein(djaft zu treten; ganz befonders aber war εὖ von Anfang an auf ben Papft Liberius und den berühmten SBifdjof Oſius abgefeben in der Hoffnung, wenn man biefe gewinne, habe man über Alle gefiegt. Eonftantius ſchickte jegt ben Gunuden Eufes bius, einen feiner vertrauteften Räthe unb eifrigen Arianer, mad Rom zu Papſt Liberius, damit er zwei Dinge von ihm verlange: bie Unterfehrift gegen Athanafius und bie Gemeinſchaft mit den arianifirenden Bifchöfen. Erſteres wünfche, Letzteres befehle ber Kaiſer. Gefchenfe und Dro⸗ hungen zugleich angewendet, follten ben Papft nadjgiebig maden ?) Liberius entgegnete, daß er den Athanaflus unmoͤglich vermerfen fónne; man folle aber eine freie Synode, nicht in einem faiferlichen Palafte und nicht durch des Kaiſers perfönlihe Anwefenheit beherrſcht, abhalten,

1) Hieron. de viris illustr. c. 97. 2) Athanas. histor. Arian. ad monachos c. 35.

und das nicaniſche Symbolum. ?"

den nieänifchen Glauben darin erneuern, bie Arianer bavon ausſchließen unb bie Klagen gegen Athanaflus unterfuden 9). Eufebius, darüber erzürnt, pafte die Ge[denfe, bie er vom Kaifer mitgebracht unb welche Liberius nicht ans genommen hatte, wieder ein und entfernte fif) mit Dro- hungen. Die Gefchenfe legte er darauf in der St. Peters: fire nieder; allein der Papſt gab bem Kirchenhüter einen Verweis, daß er dies zugelaſſen Babe und fanbte bie Gelenke wieder jurüd. Nachdem aber Eufebius bem Kaiſer Bericht abgeftattet, erhielt der Präfeft von Rom den Auftrag, den Papft Liberius ans Hoflager zu ſchaffen oder Gewalt gegen ihn anzuwenden ἢ. Eine allgemeine Furht bemádtigte fid) der Gtabt Rom, die Anhänger des Liberius wurden verfolgt und Viele zu beftechen ges ſucht, damit fie gegen ihn auftreten follten. Die Bifchöfe, die eben in Rom anweſend waren, verbargen ſich, viele edle Frauen entflohen, viele Geiſtliche wurden vertrieben, und durch aufgeftellte Wachen Niemanden geftattet, ben Bapft zu befuchen 9. Er wurde nun an das Hoflager gebracht unb vor den Kaifer geflellt; fprad) aber aud) diefem gegenüber mit ebler Freimuͤthigkeit *). Er wurde dafür mit dem Exil beftraft und nad Berda in Thrazien verwiefen 5), an einen Drt, wo fid) feiner feiner Freunde und Unglüdsgenoffen befand; denn butd) foldje Trennung wollte der Kaifer die Strafe vergrößern 5), vielleicht aud) hoffend, ben Vereinzelten Teichter zur Schwäche verleiten

1) Ibid. c. 36.

2) Did. c. 87.

3) Ibid. c. 38.

4) Ibid. c. 39 unb Theodoret, bist. eccles. IL, 16.

5) Theodoret l.c. 6) Athanas. hist. Arian. ad mon. c. 40.

212 Vapſt Libertus

zu füónnen, Den bifhöflihen Stuhl von Rom aber erhielt jet nad dem Willen des Kaiferd der bisherige Diakon Felix bafelbft, mit bem jebod) Niemand in Gemeinfdaft treten wollte, fo daß feine Kirchen völlig leer ftanben !).

Wie Liberius fo wurde jet aud) Oſius erilirt, in bem gleihen Jahre, obgleid ein Greió von faft hundert Jahren, ber ſchon feit mehr als ſechzig Jahre Biſchof war. Athanafius aber fam in Alerandrien in die größte Rebensgefahr, und mußte fidj in die MWüfte flüchten, um feinen Verfolgern zu entgehen. Aehnliches bulbeten andere ſtreng⸗nicaͤniſch gefinnte Bifhöfe und Priefter faft in allen Theilen des Reiches, fle wurden verdrängt, vertrieben, mißhandelt, und ihre Stühle an Arianer vergeben, ober bod) an ſolche, welche mit biefen Kirchen⸗Gemeinſchaft zu pflegen bereit waren.

Diefer temporäre. Sieg ber antinicänifhen Partei diente Dazu, bie inmern Gegenfáge in berfelben, melde fi bisher im Kampfe gegen den gemeinfamen Feind, bie Drthodorie, gegenfeitig tolerirten, zur Cntmidlung und Entfaltung zu bringen. Um aber biefe innere Spaltung zu heben, und in bie Reihen ber arianiſch Gefinnten wieder

1) Sosom. hist, eccl. IV, 11. Athanae. l. c, c. 75, Roncaglia im f. Animabverfionen zu Natalie Alex. histor. eccles. Sec. IV. Dis- sert XXXII, Artic. 1Π. will behaupten, delir {εἰ τε ἐπι βίρετ Vapſt gewefen, indem Liberius tefignirt habe. Das Gleiche meinte [don Pagi, critica in Annales Bfronii ad ann. 355, n. 3 und 357, n. 16 seqq; wie denn aud) geli im ben Kirchenbüchern nicht mut ald redi mäßiger Papfl, fondern fogar als Heiliger aufgeführt if; lehteres deß⸗ als, weil ihn Gonflantius, ba er denfelben einen eger genannt, habe hinrichten laſſen. Sein Andenfen wird am 29. Juli gefeiert, Gewiß ift, baf Mbanafius fagt: Beli {εἰ durch antichrifliche Bosheit auf ben biſchoflichen Stuhl erhoben worden. Athenas. hist. Arian. ad monach. e. 75. T

und das nicänifche Symbolum. 273

Eintracht zu bringen, urbe, freilich vergebens, im Jahre 357 eine neue Synobe, bie zweite zu Sirmium veranftaltet, unb der Kaifer felbft wollte ihr anwohnen. Als mun aber Eonfantius auf der Reife dahin aud) nad Rom fam, bat die dortige Gemeinde dringend um SBiebereinfegung des rechtmaͤßigen Bifchofs Liberius, unb bie ebelften Frauen übernahmen es, biefe Bitte dem Kaifer vorzutragen, weil bie Männer ben Zorn beffeben fuͤrchteten. Conftantius wies fie Anfangs geradezu ab und auf den Gegenpapft fir hin, welcher völlig genüge. Als er aber hörte, baf deſſen Gottesdienft (aft von Niemand befucht werde, wollte α den Liberius in ber Weife gurüdrufen, daß fortan Einer neben dem Andern fiehen und Jeder bie Leitung ſeiner (pegiellen Anhänger führen follte. Das 3Bolf höhnte, als dies Edikt im Cirkus verlefen wurde, unb rief: „Das fei ja paffenb, aud) im Cirkus gebe es zwei Parteien, und da fónne bann jede einen Biſchof zu ihrem Vor⸗ Rande haben.“ Soſort riefen fie nod) ftürfer und wie einfimmig: „ein Gott, ein Ehriftus, ein Bischof,“ unb die Gährung drohte fid) bis zu groben Exceſſen zu fleigern, fo daß Conftantius bie Stüdberufung des Liberius ger nehmigte ). Es dauerte jebod) ziemli lange, nahezu an Jahresfrift, bi Liberius wirklich nad) Rom kommen burfte, und εὖ wurbe ihm dieß nur unter Bedingungen geftattet, die feinem 9fnbenfen in der Gefchichte eine Mafel angehängt haben. Wie groß biefelbe fei, namentlid) ob Liberius eit arianifhes Glaubensbekenntniß unterzeichnet habe, um damit die Erlaubniß zur S9tüdfefr zu erfaufen, 1) Theodoret, hist. eccl. I, 17. Socrat. II, 37. p. 141 ed.

Nog.; Sonom. IV, 11. 15. Sulpit. Sever. l. c. IL, 39. in ber Biblioth. max. P. P. Lugd. T. VI. p. 346.

274 Bapft Liberius

ift ſtrittig, und es hat biefe Frage felten eine ganz un» partheiiſche Beantwortung erfahren. Im Intereffe der perfönlichen Unfehlbarkeit des Papſtes fuchten nämlich bie Einen, fo nod in neuerer Zeit Profeffor Palma in Rom !), früher aber befonders der Sefuit Stilting im Bollandiftenwerfe ?), unb ber gelehrte Staliener Franz Anton Zaccaria?), den Papſt Liberius reiner dar zuſtellen, als er war; während ihre Gegner gerade aus DOppofttion gegen jene Unfehlbarkeit unb gegen Rom übers haupt ben ehler jenes alten Papftes möglich zu ver⸗ größeren gefudit haben. Es ift barum nöthig, ble Zeugniffe des Hriftlichen Alterthums ohne alle Vorauseingenommen⸗ heit aufs Neue zu vernehmen, um fo zu einem fichern, wenigftens zu einem wahrſcheinlichen und ungetrübten Refultate zu gelangen.

Theoboret, Sofrates und Sulpitius Severus (Il. cc.) berichten bie Stüdfebr des giberiu& ohne irgend einer Ber bingung, bie ihm geftellt worden fei, ober irgend einer Schwaͤche, die er dabei gezeigt habe, zu gebenferr*); bod ber flatfe Aecent, den Stilting, Palma u. 9L. hierauf legen, um den Liberius vóllig zu purificiren, ift ganz unb gar unbefugt 5. Wie fie aber hier einerfeits zu viel ex silentio argumentiren, fo fehen fie fidj anbererfeit zu

1) Palma, praelectiones histor. eccles, T. I. P. II. Romae 1838. p. 94 sqq...

2) Acta Sanctorum, T. VL. Septembris (23 Sept.) p. 577 sqq. beſonders p. 598 seqq.

3) Zaccaria, Dissert. de commentio Liberii lapsu.

4) Solrates (1. c.) irrt übrigens darin, daß er bie Erillrung bes Liberius ετῇ in bie Zeit mach ber Doppelfpnobe von Gelencla » Rimini verlegt. x

l^ Acla SS. 1. c. 604.» unb Palma 1, c. p. 97 seqq.

und das nicaniſche Symbolum. 275

der heftigften critica mordax gezwungen und müffen eine Reihe Zeugniffe des chriſtl. Alterthums entfräften, um zu ihrem Ziele zu gelangen. Daß ihnen hiebei mitunter recht günftige Umftände zu ftatten famen, ift unläugbar, und fhon gegen ben erften Zeugen, ben wir aufführen wollen, gegen Athanafius, fonnte namentlich Stilting gewichtige inreben vorbringen. In der athanafianifchen historia Aria- norum ad monachos c. 41 [efen wir: „Liberius wurde verbannt, hernach nad) zwei Jahren wurde er ſchwach (ὥκλασε) und unterfhrieb aus Furcht vor bem Tode, den man ihm anbrobte. So lange er frei war, zeigte tt Haß gegen bie arianifhe Härefie und flimmte für Athanaſtus; was aber der frühern Ueberzeugung zuwider durch Gewalt- entlodt wird, das find Ausſpruͤche nicht dee in Furcht Geſezten felbft, fondern ihrer Duäler." Gegen dieß Seugnif nun erhebt ber Bollandift Stilting bie Ginrebe, bie historia Arianorum ad monachos [εἰ nad) €. 4 nod) bei Lebzeiten des Bifhofs Leontius Eaftratus von Antiochien, alfo vor bem angeblichen Falle des gie berius und vor bem Tode des Oſius verfaßt und folglich die von beiden Punkten handelnde Stellen eine SInters velation ἢ). Die Mauriner Editoren. ber Werke des hi. Athanaſius mollten zwar behaupten, jener Leontius fei fpäter geftorben, als Sofrates I, 37 angebe 2); allein wir fönnen ihnen hierin nicht beiftimmen, müffen vielmehr dem Bollandiften einräumen, daß Leontius zur Zeit, wo Liberius fid) ſchwach gezeigt haben fol, entſchieden ſchon geftorben, und Eudorius bereits fein Nachfolger war,

1) Aeta SS., 1. c. p. 601 seqq. 2) Bol. die Admonitio ber Mauriner in epist. ad Serapionem etc. n. XI. T. I. P. L p. 269, ed. Patav.

Seil. Ouartaffgrift. 1859. U. Heft. 19

276 Bapft Liberius

wie Sojomenus (IV, 15 verglichen wit c. 13 und 14) ganz auébrüdlid) erzählt. If aber bem fo, fo muß bie historia Arian. ad monachos motfwenbig vor bem Falle des Liberius gefhrieben fein, woelder ja erft einige Zeit nad der fhon von Eudorius zu Antiochten abgebaltenen Synode ftatt hatte (vgl. Sozom. IV, 15).

Daraus geht ‘aber wiederum mit nothwendiger Gon» fequenz hervor, ba bie Stelle in der historia Arien, welche von bem Halle des Liderius handelt, ein fpäterer Zufag fe. So weit hat Stilting unbeftreitbar Recht; aber feine weitere Behauptung, diefer Sufag {εἰ nicht von Athanafius felbft, fondern von einer fremden Hand, if tein aus ber Luft gegriffen, und lediglich feiner Hypothefe zu lieb aufgeflellt Y. Wie fid) bie Sache wirklich verhalte, erfahren wir von Athanaſtus ſelbſt. Er fehrieb zwar die historia Arianorum ad monachos nod) bei Lebzeiten des B. Leontius von Antiochien, alfo vor bem Falle des Liberius; aber er forderte von ben Moͤnchen fein Manu- feript wieder jurüd 9. Einige Zeit fpäter, nadjbem Atha⸗ naflus fein Manufcript bereit wieder zurüderhalten hatte, ferieb ihm Biſchof Serapion (von Tmuis), er möge ihm bod) über bie arianifhe Φάτεβε und über feine eigenen Schickſale, fo wie über ben Tod des Arius Nachricht geben. Um ben beiden erften Punkten zu entfpredjen, ſchickte er bem Freunde feine historia Arian. ad monach. zu, während er gut Erfüllung des britten Wunfches das Büchlein de morte Arii verfaßte). So war denn zwiſchen ber urfprünge

1) Acta 88. p. 604.

2) Er fagt dieß autbrüdlid) in bein Briefe an dieſelben c. 3., welche der historia Arian. ad monach. vorangeftellt i, Opp. T. L P. L p. 272

ed. Patav. 3) Auch dieß fagt er in f. Epist. ad Serep. c. 1. I. c. p. 269.

und das nicaniſche Symbolum 277

lien Abfaffung ber historia Arian. unb ihrer Abfendung an Cerapion eine geraume Zeit vergangen, innerhalb welcher das Ereigniß mit Liberius und wohl aud) ber Sob des Oſius eintrat, was ben hf. Athanaflus zu einem Heinen Zufage veranfafte. Daß bem fo fei, hat aud) ſchon der ältere College Stilting’s, der berühmte Papebroch in feiner Abhandlung über Athanaflus im Bollandiften» werke anerfannt und ausgeſprochen !).

Die zweite Stelle in ben Werfen des hl. Athanafius, worin der Schwaͤche des Papftes Liberius Erwähnung geihieht, ift c. 89 ber Apologia contra Arianos, worin Athanafius in erfter Perfon, was er nicht immer thut, von fid fagt, daß hochangeſehene Bifchöfe ihn vertfeibigt hätten, namentlich Liberius von Rom und Oſtus. Von Erſterem insbefondere fagt er: „wenn er aud) bie Mühfale des Exils nicht bi8 zu Ende ertrug, fo blieb er bod) zwei Jahre in ber Verbannung, ba ihm bie Verſchwoͤrung gegen mid) befannt war.” Auch gegen diefes Zeugnig machte Stilting wieder geltend, bie Apologia contra Arianos fei ſchon ums S. 349, alfo lange vor bem Falle des Liberius abgefaft worden, unb bie beiden legten Kapitel 89 und 90 feien blos ein fpäterer Anhang 9. Auch bieB ift richtig und [don die Mauriner Herausgeber haben anerfannt 3). Allein abermal behauptet Stilting (I. c.) mit ganz uns gerechter Willführ, auch biefer Zufag rühre nicht von Athanaſtus her, während abermals fein College Papebroch

1) Acts Sanct. T. 1. Maji (2. Mai) Prolog. p. 186. 187. und Cap. XXV. n. 296. p. 232. ed. Venet. 2) Acta SS. T. VI. Sept. p. 599 ^. 3) Admonitio in apolog. c. Arian. n. I. p. 94. und Not. 4 zu c. 88, p. 161. T. 1. P. I. ed. Patav. - 19*

278 * Bapft Serius

auf unferer Seite ftebt, mit der Behauptung, diefe Apo- logia, eine Gylloge von Aktenftüden, fei allerdings (don ums Jahr 350 angelegt, aber i. J. 357 nebft ber historia Arian, ad monachos den dgpptijdjen Mönchen zur Einficht unb 2eftüre mitgetheilt, unb einige Zeit fpäter (358) audj bem Serapion, in Berbindung mit ben fdjon oben genannten weitern Schriften, zugeſchidt worden. Bei biefer lehtern Zufendung aber habe Athanaflus zugleid) nod) einen Nach⸗ trag gemacht, unb zwar bie zwei legten Kapitel angehängt ").

Zur Belräftigung diefer Anfiht führt Papebroch mit Recht an, daß Athanaſius anerkannter Maßen aud) in feine Schrift de Synodis v. 3. 359 (nicht 358, wie Bapebrod) angibt) nod fpätere Zufäge über das Goncil von Eon- flantinopel und ben Sob des Kaifers Gonftantiu& (die c. 30 und 31) eingefdjaltet habe. Das Gleiche behaupten aud) bie Mauriner?) und es ift dieß überhaupt eine ganz allgemein zugeftandene Cade. Somit liegt denn ſichtlich fein hinreihender Gtund vor, bie beiden gegen Liberius ſprechenden Zeugniffe bei Athanaflus, wie Stilting gethan, für nichtig zu erflären; im Gegentheil beweifen fie ung, daß Liberius ber Gewalt weihend, die Verbindung mit Athanaflus gebrochen und dieß burd) eine Unterfährift an ven Sag gelegt habe. Was er unterzeichnete, ift in ben beiden angeführten Stellen nicht gefagt; dagegen erfahren wir in c. 35 ber historia Arian., daß Conftantius zwei

1) Acta SS. T. I. Mai. Prolog. n. 11—16 p. 187 sq. u. cap. XIX. n. 220. p. 221*. Dabei ift ju beachten, baf fij im Prolog. n, 15 p. 188 ein Drudfehler eingeſchlichen Hat unb ftat CCCXLIL. zu Tefen tk CCCXLIX, wie fon Stilting bemerkt, T. VL. Sept. p. 599. n. 119, .

2) Admonitio in epist, de Synodis, n, IL T. L P. IL p. 571 ed Patav.

und das niciniffje Symbolum. 219

Punkte von Liberius verlangte: 1, er folle die zu Mais land becretizte Ausfchließung des Athanaflus unterzeichnen (ὑπογράψαι κατὰ ᾿Αϑανασίθ) und 2, mit den Gegnern des ὁμοόσιος in Kirchengemeinſchaft treten. Hienach will denn Athanafius fiher aud) im ben zwei obigen Stellen fagen, daß Liberius jetzt diefen zwei Forderungen be& Kaifers entſprochen habe.

Unfer zweiter Zeuge foll ber BL. Hilarius fein. In feiner Schrift contra Constantium imperatorem c. 11 fagt er: „er wiffe nicht, ob ber Kaifer ben Liberius mit größerem Frevel erilirt ober wieder nah Rom zuruͤck⸗ geſchickt habe“ 1). Hierin fiegt angebeutet, daß εὖ bei ber 9tüdfebr des Liberius nicht völlig tadellos zuging, unb Eonftantius fle nur unter fehr befehtwerenden Bedingungen ^ geftattete. Ich weiß, Zaccaria und Palma ?) wollen bie Worte des Hilarius fo deuten: Conſtantius habe ben . SBapft allerdings bei feiner Rüdfehr auf verſchiedene Weife beläftigt, aber daß er ihm eine ungehörige und nicht zu billigende Unterſchrift abgepreßt habe, [εἰ nicht gefagt. Die ift infofern wahr, als lehteres nicht mit platten Worten bei Hilarius auégebrüdt ift; aber es liegt bod) unverfennbar in feiner emphatifhen Rebe, als Hinweifung auf eine damals allbefannte Thatfache.

Als dritter Zeuge mag Sozomenus auftreten. In feiner Kirchengeſchichte Buch IV. Kap. 11 fagt er: „Con⸗ Rantius habe bem Liberius bie Rüdfehr nad Rom ger ftattet, unter der SBebinguag, daß er mit ben im Gefolge des faifera befinbfiden Bifdófen

1) „0 te miserm, qui nescio utrum majore impietate relegaveris, quam remiseris“ p. 1247 ed Bened. 2) Bei Palma 1. c. p. 102.

280 Papſt Liherius

(Balens, Urfacius, lautes Gegner des ὁμοάσιος und des bl. Athanafius) Kirhengemeinfhaft unterhalte.“ Nehmen wir dieß mit ber obigen Aeußerung des bL. Hilarius zuſammen, fo wird nicht mehr zweifelhaft fein, was bie Worte nescio utrum majore impietate (eum) relegaveris quam remiseris bebeuten follen.

Noch weiter erzählt Cojyomenud (IV, 15): „während fein ‘8 Aufenthaltes in Sirmium habe ber Katfer ben Liberius von Beröa her zu fid berufen, um ibn zu bewegen, daß er von Öuosorog ablaffe. Zu diefem Ende habe Eonftantius bie vom Driente her eingetroffenen Abgeorbneten ber Synobe von Ancyra mit ben am Hoflager ohnehin anmefenben Bifhöfen zu einer neuen Eynobe, ber dritten firmifchen vereinigt, und [εἰ in Betreff des Liberius hauptſaͤchlich von ben drei Semiarianern Bafllius von Ancyra, Euftas thius' von Sebafte und Eleufius von Cyzikus unterftüßt worden. Cie ftellten all das, τοαϑ gegen Paul von Samos fata und gegen Photinus von Sirmium befhloffen worden war, fammt bem Symbolum der Antiochener Synode v. 3. 341 ") in ein Buch jufammen (alfo dónlid) wie c& bie ebenabgehaltene Synode von Ancyra gemacht, welde aud) die Altern Defrete erneuert und b[o8 genauere Gr» Örterungen beigefügt hat), verficherte den Liberius, baf das ὁμοάσιος mur der Dedmantel für häretifhe Ans fihten fei (mie Dies in ber That bei Photinus der Fall war), und brachten ihn fo endlich dahin, daß er fammt vier aftifanifdjen Bifhöfen diefer Schrift beiftimmte. Ans

1) Die fragliche Synode flete vier Symbole auf, welche Athana⸗ πο de Synodis c. 22 seqq. mittheilt, Wahrſcheinlich iR abet hier das Ate antioch. Eymbolum gemeint, welches aud) zu Philippopolis und auf ber Iten firmifcgen Synode i. J. 351 wiederholt worben war.

und das nicaͤniſche Symbolum. 381

dererſeits erflärte aber Liberius aud): „wer nicht zugebe,

daß ber Sohn dem Wefen nad und in Allem bem

Vater ähnlich fei, folle aus der Kirche ausgefählofien fein,"

und glaubte, biefen Beiſatz maden zu müflen, „weil

Eudoxius von Antiodien das Gerücht verbreitete, Liberius

und Oſius hätten das ὁμοιόσεος verworfen und das a»ó-

μοιος angenommen."

In alle dem ift deutlich gefagt: 1. Daß Liberius zur dritten firmifchen Synode berufen wurde; |

Daß auf biefer bie femiarianifhe Richtung wieder

über bie anomöifche fiegte unb bie zweite (ganz ano»

möifche) firmifche Formel wieber verbrängt wurbe; daß übrigens

3. auf ber dritten firm. Synode fein neues Glaubens— befenntniß aufgeftellt, ſondern nur bie Altern euſe⸗ bianifhen Glaubenóbecrete, namentlich) ein antioches niſches v. 9. 341, erneuert und unterfchrieben worden feien, und zwar aud) von Liberius.

4. Daß diefer damit zwar bie Formel ὁμούσιος aufs gab, aber. nicht weil er etwa von ber ortfoboren Lehre abgefallen wäre, fonbern weil ihm glauben gemacht wurde, diefe Formel fei der Dedmantel von Sabellianismus und Photinianismus;

5. Daß er aber andererfeits um fo energifher auf das Befenntniß drang, der Sohn fei in Allem, aud in bem Wefen, dem Bater ähnlich, womit er in Anbetraht des in Nr. 4 Gefagten wohl nur im Worte, aber nicht bem wahren Glaubensinhalte nad) von ber ortfoboren Formel ahmid, was aud

2

283 Spapft Liberlus

durch fein nachheriges Auftreten. für die Orthodoxie

beftätiget wird (Socrat. IV, 12); endlich 6. Daß Liberius fortan mit jenen Bifhöfen, welde,

wie er, bie dritte firmifche Formel unterfhrieben hatten,

Kirchengemeinſchaft unterhielt; alfo aud) mit manchen

Arianern, melde aber (eit diefer Unterſchrift, und

duch fie, fif vom frengen Arianismus entfernten.

Vierter Zeuge ift der eunomianifhe Hiftorifer Philos ſtorgius, welder in feiner Kirchengeſchichte (lib. IV, c. 3) mad) dem Berichte des Photius, erzählte: „während ber Kaifer fif zu Sirmium aufhielt, fei dort eine Synode abgehalten worden, und auf biefer hätten Oflus unb Liberius die Verwerfung des ὁμούσιος und bie Abfegung des Athanafius unterſchrieben ).“ Man fieht, Philoftorgius hat hier bie zweite und britte firmifche Synode nicht unter- ſchieden, was fij um fo leichter erflären läßt, als beibe in berfelben Stadt, unmittelbar nad) einander, und während der Kaifer feinen Aufenthalt bafelbft gar nicht änderte, ftattgehabt haben. Zudem lag e8 natürlih in bem pole« mifhen Zivede des Philoftorgius, ben Liberius cher eine eunomianifhe als femiarianifhe Formel unterfehreiben zu Taffen, und wenn wir barum fein Zeugnig nur mit Modis fifationen annehmen, fo find wir bod) nicht berechtigt, glei Gtilting (1. c. p. 605), baffelbe völlig über den Haufen zu werfen.

Auf den Keher Philoftorgius foll als fünfter Zeuge ein Kirchenvater erften Ranges, der hl. Hieronymus folgen. Derfelbe fagt in feiner Ehronif: Liberius taedio victus exilii, in haereticam pravitatem subscribens Romam quasi viclor intravit, unb in feinem Catalogus scriptorum

1) Philostorg. fragm. eccles, hist. lib. IV, c. 3.

und das nicänifche Symbolum. 283

eceles. c. 97: „Biſchof Fortunatius von Aquileja fei vers werflich, quod Liberium, Romanae urbis episcopum, pro fde ad exilium pergentem, primus sollicitavit ac fregit, εἰ ad subscriptionem haereseos compulit^ $ienad) hätte Fortunatius bem Papfte giberiu8, ſchon als er in'8 Exil reiste, zur Schwaͤche geratben (sollicitavit) unb fpäter, nad) ber Ruͤckkehr aus bem Gril, zu Siemium, ihn wirklich mr Schwäche verleitet (fregit) ). Daß Hieronymus von einer $áretifden Formel fpridt, welde Liberius unterzeichnet habe, darf uns hier nicht befremben; denn wenn aud) bie auf ber dritten firmifchen Synode zufammens geftellten Bormeln nidté poſitiv Häretifches enthielten, fo follten fie bod) bem Semiarianismus dienen, und waren in antinicánijdjer Abfiht aufgeftellt worden. Die Worte des hl. Hieronymus nöthigen ung deßhalb keineswegs, den &berius eines härtern Vergehens, nämlich der Zuftimmung jur zweiten firmifchen Bormel zu bezüdtigen; aber wir lónnen es anbererfeitd aud) nicht billigen, wenn Palma und Stilting biefe Ausfprücde des bL Hieronymus ganz und gar als wahrheitslos barzuftellen ſuchten ). Was würben fie gefagt haben, wenn Jemand, um bie Schuld des giberiuó zu vergrößern, zwei Zeugniffe des hl. Hieronymus umguftoßen fij erfühnt hätte?!

Go leicht fih nun alle bisher angeführten Momente und alten Zeugniffe in ein Ganzes conftruiren ließen, fo ſcheint nun all dieß auf einmal wieder umgeftürgt zu werben unb zwar durch feinen Geringeren, als ben Bapft Liberius

1) Bg. Salomo Gyprian'é Bemerkung zu tiefer Stelle in Fabricii Biblioth, eccles. p. 185.

2) Sting in den Acta Sanct. T. VI. Septembris p. 605 seqq. Peima, 1. c. p. 102 sq.

284 Bapft Liberius -

felbft, b. b. durch drei Briefe von ihm, und duch Hi⸗ larius, ber biefe Drei Briefe in fein fechötes Fragment aufnahm und mit einigen Bemerkungen begleitete !). Der erfte biefer Briefe des Liberius, mit ben Worten pro deifico timore beginnend, ift an bie orientali(djen (ariani⸗ ‚firenden) Bifchöfe gerichtet und befagt: „euer bf. Glaube ift Gott und der Welt befannt. Ich vertheidige ben Atha⸗ naſtus nicht, aber weil mein Vorfahre Julius ihn aufs genommen hatte, handelte aud) id) ebenfo. Als ich aber zur Einfiht fam, daß ihr ihn mit Recht verurtheilt habt, habe ich alsbald biefer eurer Sentenz beigeftimmt, unb ein Schreiben über biefen Punkt durch Bifhof Fortunatius won Aquileja af den Kaifer Eonftantius ge[djidt. Nach⸗ bem nun Athanafius von uns Allen aus der Gemeinfchaft ausgeſchloſſen ift, fo: erfläre id), baf id mit euch Allen und mit allen morgenländifchen Bifhöfen in allen Pros singen Frieden und Einigkeit habe. Biſchof Demophilus von Berda hat mir euren, ben Fatholifchen Glauben, welcher zu Sirmium von mehreren Brüdern und Mitbifchöfen auseinandergefeßt und angenommen worben ift, erklaͤrt, unb ἰῷ habe ihn freiwillig angenommen und ohne Wider fpru ihm beigefiimmt. Ih Bitte euch nun, wirfet ges meinfam dahin, bag ἰῷ aus bem Grif entlaffen werde wnb auf ben mir von Gott anvertrauten Stuhl zurädtehren Tann."

Der zweite Brief ift an Urſacius, Balens und Ger minius gerichtet unb enthält: „aus Liebe zum Frieden, ben er bem Martyrthum vorziehe, fhreibe er, daß er den Athanaſius (don vorher verurtheilt Habe, bevor er nod

1) 8. Hilarii Opp. Frag. VI. p. 1385, n. 4.

und das wichmifdhe Θυιπδοΐυπι. 285

die Briefe der orientalifhen Bifhöfe (wohl bie Antwort auf ba6 vorige Schreiben) an den Kaifer abfandte. Athar nafius [εἰ auch von ber römifchen Kirche vermorfen, wie das ganze Presbyterium daſelbſt beweifen fónne. Er habe den Bortunatius an den Kaifer gejdidt, um bie Erlaub⸗ nif zur Rüdfehr zu erbitten (mas wir bereits wiffen), tt habe mit Urfacius, Valens 1c., Frieden und Einigkeit; fie follen mm aud) der römifchen Kirche den Frieden wieder verſchaffen, überdieß dem Epictet und Aurentius (von Mailand) fagen, daß er auch mit ihnen Kirchengemeinſchaft habe."

Der legte ber drei Briefe enblid) ift an Vincenz von Capua. gerichtet (f. oben ©. 267), und ift ebenfo auffallend, als er fur ift: Ex lautet: „ich belehre nicht, fondern ich ermahne nur deine bl. Seele, weil ſchlechte Unterredungen gute Sitten verderben. Die Hinterlift des Böfen ift bir befannt, beffaló bin id) in bie Elend gefommen. Bete zu Gott, daß er εὖ mir ertragen hilft. Ich habe ben Streit über Athanafius aufgegeben und habe bief ben Drientalen in einem Briefe fundgethan. Gage bief ben Biihöfen Gampanien8; fie follen an den Kaifer ſchreiben und meinen Brief beilegen, damit idj aus der Traurigkeit befreit werde. Daß ἰῷ von Gott abfolvirt werde, möget ijr qufehen; wenn ibr mid) im Exil umfommen laffet, wird Gott der Richter zwifchen euch unb mir fein."

Diefe Briefe leitet das genannte bem hl. Hilarius iuge[djriebene Fragment mit den Worten ein: „Liberius babe all feine frühere Trefflichfeit wieder zu nichte gemacht, indem er an bie fünbigen haͤretiſchen Arianer fehrieb, weldhe gegen den heiligen Athanaſius ein ungerechtes Urtheil gefällt haben,” Weiterhin umterbricht der Autor des Frag⸗

286 Bapft Eiberius

menteà ben erſten fraglichen Brief durch drei Erclamation

worin er bie firmifhe Formel, bie Liherius unterzeich

haben (oll, eine perfidia Ariana, ben Liberius ſelbſt αἱ

apostata unb praevaricator nennt unb ifm breimalig

Anathema zuruft. Das Gleiche gefchieht am Ende 1

zweiten Briefe. Endlich fügt ber Fragmentiſt nod)

Bemerkung bei: ,biefe ſirmiſche Formel fei von 9taxciff

Theodorus, Baftlius, Eudorius, Demophilus, Gecropü

Silvanus, Urfacius, Valens, Evagrius, Hyrenäus, G

perantius, Terentianus, Baffus, Gaudentius, Maceboni

Marthus (oder Marcus), Acticus, Julius, Surin

Gimpliciuá und Junior abgefaßt worden 1." Hienach wäre

1. Liberius nicht erft in Sirmium i. 3. 358, fonbi ſchon zu SBeróa, während er nod im Eril war, v ber Gemeinfhaft mit Athanaftus zurüd- unb in der Semiarianer eingetreten; hätte

2. ſchon zu Beröa eine firmiſche Formel (bie ite ot 216) unterzeichnet, welche

3. der Bifhof Demophilus von Berda, ein in der f&hichte des Arianismus befannter Mann, ihm ai einanbergefegt habe.

4. Diefer Formel habe Liherius freiwillig und oh Widerſpruch zugeflimmt; habe

5. ein Schreiben über feine Losfagung von Athanafi durch Bifhof Fortunatius von Aquileja an ben i| geſchickt, fei aber

6. bennod) im Eril zurüdbehalten worden, unb bi barum

1) Hilar. Opp. Frag. VL n. 7. p. 1897.

und das nicänifche Symbolum. 207

7. um Berwenbung beim Kaifer. Zubem ift endlich

8. im zweiten Briefe nod) gefagt: nid) blos Liberius, fonbern bie gefammte roͤmiſche Kirche habe bie Ges meinſchaft mit Athanaſius aufgegeben.

Daß Bier SBiberfprüdje gegen unfere oben gewonnenen Refultate vorliegen, ift unverfennbar; aber zugleich drängen fi$ uns faft mit Gewalt allerlei Zweifel gegen bie Aechtheit jener drei Briefe und des Hilarfhen Fragmentes auf.

1. Daß auf foften des Papſtes Liberius Lügen in Umlauf gefegt worden find, namentli in ber Richtung, daß er bie anomdifhe Lehre gebilligt habe, fagt ojo" menus (IV, 15). Eben fo unläugbar ift, daß ibm wie dem HI. Athanaſius unächte Briefe unterídoben wurden. Seer gehört vor Allem der ganz unbedingt als unädht anerkannte Briefwechſel zwiſchen Liberius unb Athanaftus !), und was für und nod) wichtiger ift, ein im benfelben Sragmenten des Hilarius enthaltener Brief des Liberius an die orientaliſchen Bifchöfe, mit ben Worten Studens paci beginnend. Daß biefer notkwendig falſch fei, haben wir bereits oben erwähnt, unb [don Baronius erkannte bief *), bie Mauriner Herausgeber des Hilarius aber und der Bol- lenbi P. Stifting haben εὖ ausführlich dargethan 3).

Mit diefem entſchieden falſchen Stüde nun haben bie drei andern angeblich von Liberius herrührenden Briefe, die ung hier angehen, eine ganz unverfennbare, auffallende

1) Bei Mansi, T. IM. p. 219 aqq. (vfeuboifiborijdy) unb p. 225 sqq. [alte Falſchung) val. aud) Bolland. Acta SS. Sept. T. VI. p. 625 sqq. in der Mbhandlung des P. Joannes Gtilting über Liberius.

2) Baron. in append. T. III. ad.ann. 352.

3) Hiler. Opp. ed. Bened. p. 1327 Not. a. Acta SS. 1. c. p. 580

seqq. Nur Tillemont wagt es nicht, biefen Brief ganz zu verwerfen, lc. T. VII. vie de S. Athanas. Art, 64 u. Note 68.

888 Bapft Llberins

Aehnlichkeit; alle vier find fichtlich von einem Autor, wie man fagt, über eine Schablone gearbeitet. Sprache, Styl, Manier unb Anlage find in allen vieren gleich, und zwar gleid) fhleht. Die Sprache ift fo barbariſch Tatein, und zeigt nicht blos Mangel an aller Feinheit und Eleganz, fondern eine fo große Unbeholfenheit und παν mentlih aud) Armuth im Ausdrud, (diefelben mitunter halbbarbariſchen Termini und Phrafen wiederholen fij) immer), daß biefe Briefe unmöglich von einem gebildeten Manne, defien Mutterſprache bie lateinifche war, her rühren fónnen.

Nicht beſſer ald bie Sprache i ber Styl. Die einzelnen Glieder ber Rebe ftehen abgerifien nebeneinander, ohne Verbindung und llebergang, und hängen nur áuferlid) auf dem Papiere zufammen ἢ). Am allergrößten aber ift bie Armuth an Gedanken und man flieht beutlid), der Autor weiß nur zwei ober drei Säge, bie er jegt in aller Nadtheit hinftellt, ganz in ber Manier jener, bie etwa nur alle Jahre einmal notfbürftig einen Brief zu reiben haben. Daher bie Plattheit und Mattheit biefet Briefe, die Feine Spur von Empfindung und geifiger Erregtheit verrathen, vielmehr gang falt, troden unb lahm find, während bod) befanntlih das Unglüd und in foldem war ja Liberius, bem Redner Wärme und Bered⸗ famteit gibt. Wer aus bem Eril Briefe ſchreiben fann, fo fat, matt und mager, wie jene drei, ber fann aud das Unglüd der Verbannung unmöglich gefühlt haben.

1) Mit Recht fogt Gtilting, L c. p. 580 b: „siylus-est ado- loscentis slicnjus linguam latinam discentis, qui prima praeoapta nec- dum satis intelligit, et certe nom satis novit, cogitationes suas nitide et claro utcumque sermone exprimere,

und das nicaniſche Symbolum. 209

Einen ganz anderen Charakter aber tragen andere Briefe, bie aud) bem Papfte Liberius zugeſchrieben werben, und bie Bermuthung der Aechtheit für fid) haben, fo 4. B. fein Brief an Eonftantius 1); ebenfo fein berebter Dialog mit bem Kaifer ?*) und jene Rede bes Liberius, welche und Ambroftus im dritten Buche de virginibus c. 1—3 aufbewahrt hat 3).

2. Die drei fraglichen Briefe des giberiu& bieten ung aber nod) weitere Zweifelögründe gegen ihre Nechtheit bar. a) Ge ift darin gefagt, Liberius habe ben Biſchoſ Bortu- natius von Aquileja mit feinem ben Athanafius v. bes treffenden Schreiben an ben Kaifer abgefanbt. War Con⸗ fantius damals (don in Sirmium, fo war Aquilefa um das Doppelte weiter von SBeróa (mo Liberius wohnte) entfernt, als Sirmium felbft, und der Weg nad) Aquileja hätte über Girmium geführt, nicht umgekehrt. Ebenſo⸗ wenig wäre, falls der Kaifer fij damals nod zu Rom aufgehalten hätte, Aquileja bie Mittelfation zwiſchen Berda und Rom gewefen.

Nach bem Wortlaute unferer drei Briefe müßte man meinen, Fortunatius habe fid) fortwährend in Geſellſchaft des Liberius zu SBeróa befunden, und biefer ihn nun quasi a latere an den Kaifer gefhidt, was gewiß unrichtig ig. Es i aber aud) unſchwer zu erkennen, daß ber Falſarius Ober Pfeudoliberius den Biſchof Fortunatius in unferen Briefen deßhalb aufführte, weil er bei Hieronymus las, berfelbe habe dem giberiu& zur Schwäche und Unterfchrift einer arianifhen Formel geratfen. Aber Hieronymus

1) δεῖ Hilar. Fragm. V. p. 1330. 2) bei Theodoret, II, 16. 3) vergl. Stilting in ben Acta SS, 1. c. p. 582b unb p. 6304.

290 Papft Libertns -

macht den Fortunatius feineswegs zum Kammerheren und Boten des giberiu& , voie unfer Fälfcher.

b. Nach ben drei Briefen hätte Liberius, aud) nad» bem er alles Mögliche gethan, ben Athanafius anather matiſirt, eine arianifche Formel unterfährieben hatte und mit ben Arianern be» und tebmütbigft in Kirchengemein« {haft getreten war, bennod) bie Grlaubnif zur 9tüdfefr nod) lange nidjt erhalten. Die ift unwahrſcheinlich, und nad bem, was zu Rom gefehehen war unb was ber Kaifer dort verfproden fatte, geradezu unglaublich.

€. Die drei Briefe enthalten allerlei Ungereimtheiten; fo ſagt z. B. ber zweite: bie ganze römifche Kirche habe den Athanafius verdammt, wie alle römifchen Priefter ber zeugen Fönnten, und zwar fei biefe Verbammung [don vor fángerer Zeit erfolgt. Das ift gewiß unrictig, benn erft mit ber Rüdkehr des Liberius trat ein anderes Berhältnig Roms ju Athanaſius ein, ba8 aber nicht in Verdammung beffelben, fondern nur in vorübergehen- der Unterbrehung ber Gemeinfdaft mit ihm bes ftand. Sa, nad der Fritifh mehr beglaubigten Lefeart: prius quam ad comitatum sancti imperatoris pervenissem !) wäre Athanafius von ber römifhen Kirche fon anathe⸗ matiftet worden, bevor giberiu& (i. 3. 355) ans faifer« Tide Hoflager berufen wurde. Dieß ift offenbate Unwahr⸗ heit und zwar bie nämliche Lüge, melde wir in bem falſchen Briefe Studens paci bereit fennen gelernt haben, fo

1) Der Monriner Herausgeber des Hilarius Hat blefe Seftart nur in die Noten aufgenommen, p. 1338 Nota h, unb bagegen feinen Tert: prius quam ad comitatem s. imperatoris literas orientelium destina- rem episcoporum nur aus einem von ihm micht ſelbſt eingefehenen Eoder Sirmond’s entnommen. Vgl. Stilting 1. c. p. 584a m. 43 u. 44.

und das nicini[fe Symbolum, 291

daß ſchon Baronius bie Unädhtheit aud) biefe8 Briefes anerfannte '). Weiterhin ift berfelbe zweite Brief in feiner erften Hälfte fo unfíar, bag namentlih bie Stelle von sola haec causa fuit an, wenn fie je einen guten Sinn hatte und in den Zufammenhang paßte, fie bod) jet nicht mehr recht verftanben werben fann.

Am allerungereimteften aber ift ber Inhalt des legten Briefes. Gleich ber erſte Sat non doceo, sed admoneo fat hier feinen Sinn, denn in ber That ift ber Brief aud) feine Etmahnung, fondern eine Bitte; von einer Belehrung aber ift weit und breit Feine Rede. Daran fließt fid) ganz unvermittelt das Gitat aus 1 Gor. 15, 33: „ſchlimme Gefprüde verderben gute Sitten", was ganz und gar nicht in den Zufammenhang paßt und hier feinen Sinn gibt. Cbenfo unvernünftig ift aber aud) der Schluß diefes Briefes: me ad Deum absolvi, vos videritis; si volueritis me in exilio deficere, erit Deus judex inter me et vos. \

d. Endlich aber find biefe drei Briefe fo weiner- Tid, und faffen ben Liberius felbft bei feinen Feinden fo bettelhaft um Bürfprade beim Kaifer fleben, baf fte mit dem ganzen ‚Charakter biefed Mannes, mit feinem bisher gezeigten Betragen, feiner bemiefenen Sreimüthigfeit dem ftaifer gegenüber unb aud) feinem nach mals, nas mentlich nad) der Synode von Seleucia-Rimini an ben Tag gelegten Benehmen und Verhalten unvereinbar find.

Ich zweifle barum, wegen all des Gefagten und wegen der Unvereinbarfeit diefer Briefe mit ber beglaubigten Geſchichte (b. f. ben oben angeführten Refultaten) fowenig

1) Baron. Append. T. IM. p. 25. Theol. Duartalfgrift. 1859. U. Heft 20

292 Spayft Libertus

als Baronius, Stilting, Petrus Balerini, Maffari, Balın u. 9. an ihrer Unächtheit, und vermutfe, daß fie in a möifchem Interefie von einem Gráculuó, ber ber latei fhen Cprade fehr wenig funbig mar, herrühren. folge Faͤlſchung und Unterfhiebung darf. uns aber

fo weniger auffallend erſcheinen, als ja, wie wir tif auch falfche Briefe des Athanafius eben von ber ar nifhen Partei in Umlauf gefeßt wurden und So menus (IV, 15) auébrüdlid) berichtet, bie Anomder Aften hätten falſche Nachrichten über Liberius verbrei als ob er felbft ihren Anfichten beigetreten wäre und firhliche Lehre verworfen hätte. Sollten nun bie 1 Briefe nicht eben das Mittel gewefen fein, jene falfe Nachrichten zu verbreiten!

3) Nicht minder verbád)tig als bie Briefe erfcheit uns aber aud) die Anmerkungen und Zufäge des ὅτ mentiften, in welchem wir ben hl. Hilarius nicht erfen zu dürfen glauben. Befanntlih hat Hilarius von Poiti ein Werk gegen Urſacius und Balens, eine Gefchichte Synode von Rimini enthaltend, verfaßt ?), mweldes n auf ung gefommen ift, wovon aber nad) ber Meinung Mauriner bie 15 Fragmente, bie zuerft Nicolaus Ya herausgab, Bruchſtücke und Ueberrefte fein follen. Da paar diefer Fragmente den Namen des Hilarius an Stine oder ad marginem beigeſchrieben tragen, fo (d

1) Palma, 1. c. p. 170. Ballerin., de vi ac ratione Prima cap. 15, 8. p. 298 od. August. 1770. Ueber Maffaris €xjrift i die Synode von Rimini, worin biefe drei Briefe fanımt bem (τά! studens paci fämmtlich für unächt erflärt werden, geben bie literatiſ Ephemeriven von Rom vom 17. April 1779 und Fuchs in ſ. Bibli b. Kirchenverf. 900. II. ©. 187 Nachricht.

2) Hieron. Catalog. seu de viris illust. c. 100,

und das nieaniſche Symbolum. . 293

daraus Eouftant, ber Mauriner Herausgeber der Werke des hl. Hilarius, daß dieſe fämmtlichen Wragmente von legerem herrühren. Daß folder Schluß Außerft gewagt und wohl untichtig (ei, hat fhon ber Jeſuit Stilting in dem Bollandiftenwerfe (1. c. p. 574 seqq.) ausführlich dargethan. Das fechste Fragment insbefondere aber, wels ches bie fo oft befprochenen.drei Briefe des Pfeudoliberius enthält, hat für feine Abftammung von Hilarius nicht das geringfte andere Merkmal aufjutoeifen, ald daß einmal am Rande des Gober, worin es fid) fand, bie Worte ftanden: sanctus Hilarius anathema illi (Liberio) dicit Dieß ganz ſchwache Seugnif wird jebod) durch andere Gegenbeweis— gründe weitaus übertvogen. a) Bor allem find bie heftis gen unb [eibenfdjafttiden Erclamationen, worin der Frag⸗ mentift ben giberiuó {ὦ πιά δὲ und anathematifirt, eines Hilarius durchaus unwürdig, und verrathen viel eher einen zelotiſchen Ruciferianer; ja fie fónnen b) unmóge lif von Hilarius herrühren, ba biefer jene Schrift, wovon bie Sragmente ftammen follen, erft nad) ber Synode von Seleugia-Rimini, alfo zu einer Zeit verfaßte, wo Liberius feine theilmeife Schwäche bereit wieder gut gemacht und ſich als einen Hort der Orthodorie gezeigt hatte. Dazu fommt c).baf Liberius damals ganz allgemein als ber wahre Papſt anerfannt wurde, Hilarius alfo mit ihm in Kirhengemeinfhaft fand, und gewiß nicht unchriſtlich ungerecht den Stab über ihn gebroden hätte. d) Wie man aber ortfoborer Seits über Liberius dachte unb fpradj, deigen bie bereitö oben (G. 275 u. 277) angeführten Stellen bei Athanafius, wo in ben gelinbeften und entſchuldigendſten Ausprüden von feiner Schwähe geredet wird, obgleich Athanaſius wegen ber aufgefündigten Kirchengemein⸗ 20"

294 Spapft Liberius

ſchaft weit mehr Recht und Veranlaffung zur Heftig gehabt hätte, als Hilarius.

4) Die drei Briefe des Pfeudoliberius fagen ni melde firmifche Formel der Papft unterfehrieben ha der Bragmentift aber fügt bei, εὖ fei jene gewefen, von ben Biſchoͤfen Narciffus, Theodorus, Baftlius, Cui xius ic. (f. oben ©. 286) verfaßt worden fei. iem kann Liberius unmöglich bie zweite firmifhe Formel unt ſchrieben haben, denn

8) zur Zeit der zweiten firmifchen Synode lebte Th dor von Heraflea nicht mehr, ber hier, wie fonft oft, fammen mit Narciſſus von Neroniad oder Irenopolig | nannt wird. Zeuge davon ift Papft Liberius felbft in fei Unterredung mit Kaifer Gonftantiu& bei Theodoret (II, 1

b) Weiterhin beftand bie zweite Synode von © mium, wie aus Sozomenus (IV, 12) erhellt, aus lau Abendländern, bier aber vom Fragmentiſten werben | lauter Morgenländer als Urheber der fraglichen ori genannt.

€) Unter biefen zählt er gleich tertio loco ben Bgfil von Ancyra auf; wir wiſſen aber, daß biefer bere fdjiebenfte Gegner, und feineswegs ein Miturheber | weiten ſirmiſchen Bormel gewefen ift.

d) Außerdem fann man nod) anführen, daß Hiları in feinen ächten Werfen niemals die Schwäche des Liber! mit ber des Oſtus auf eine Linie ftellt, namentlid) Synodis c. 87 dem Oſius allein wegen feines lapsus εἰ ganz finguläre Stellung anweist, und daß anbererfe aud) bie eigentlidjen Arianer, wie Phäbadius zeigt, | nur auf Ofius und feineswegs aud) auf Liberius beriefen

1) vgl. Stilting in Acta SS, 1. o. p. 611 n. 170, Palma, l.c. p.

und das nicänifche Eymbolum. 205

* Aber will der Fragmemiſt mit Aufführung jener Biſchoſs⸗ namen nicht anbeuten, Liberius habe bie erfte firmifche Formel unterzeichnet, vom Jahre 351, wo Theoborus noch lebte, und möglicher Weife alle die aufgeführten Bifchöfe an ber Abfaffung Theil genommen haben fónnten? Wir würden biefe Vermutung gemi ſchleunigſt unb fteubigf ergreifen, aber wer uns daran hindert, ift gerade Hilarius. Er urtheilt nämlich in feinen Achten Werken über bie erſte firmifche Formel (unb bie ihr verwandte antiochenifhe vom Jahr 341) fo milde, und eregefirt fie in fo ortfoborem Sinne !), daß gar nicht baran zu fenfen if, er habe fie an einem andern Orte (angenommen, er fei der Verfaffer des Gten Bragments) eine perfidia Ariana und denjenigen einen Apoftaten genannt umb mit bem Anathema belegt, ber fte unterzeichnete. Hilarius felbft Rand ja lange, während feines Erils, in freundlichen Ber dehungen zu den Semiarianern.

An bie dritte firmifche Formel endlich fanm ber Fragmentiſt nod) viel weniger als an bie zweite gedacht haben, denn nit nur war a) Theodorus von Heraflea jur Zeit ber britten wie ber zweiten firmifdjen Synode bereits verftorben; fondern e8 war aud A) Euborius, diefer Freund ber Aetianer, fowenig Mitglied ber dritten ſitmiſchen Synode, daß biefe vielmehr gegen ihn unb feine antiohenifhe Verfammlung gerichtet war; was aber y) den Ausſchlag allein [don gäbe, ift, daß bie fraglichen pfeubos liberiſchen Briefe bie Sache fo barftellen, als ob Liberius 10d während feines Erils, nod zu Berda, eine firmifche Formel unterzeichnet habe, alfo (fon vor Abr haltung ber dritten firmifhen Synode.

2) Hilar. de Synodis c. 29 seqq. u. c. 38 seqq.

296 ' Spayft Liherius

Wenn wir oben das Refultat geroonnen haben, Liberi habe die dritte firmifche Formel unterzeichnet, fo fónr uns in biefer Anfiht bie Ginreben Ctifting'à und Palm nidt irte machen 1). Beide gehen von ber Meinung αἱ bie dritte firmijche Synode habe gar fein Symbolum fondern nur 12 Anathematismen aufgeftellt, nämlich a ben 18 ancyraniſchen Anathematismen jene 12, wel Hilarius (de Synodis c. 12) aufführt, und wobei de gerade die bebentliden Säge der Synode von Ancy namentlid) ber Ießte, welcher das Öuosorog direfte amati matiflrt, weggelaffen worden. feien. Allein Gojomen (IV, 15) fagt ausdrücklich, Liberius fei babim gebre worden, der von den Gemiarianern verfaßten Sufamm ftelung der Ceufebianifden) Glaubensdefrete gegen Pe von Samofata, Photinus von Girmium unb ber Syn: von Antiochien v. 3. 341 beiguftimmen (f. oben ©. 28 Und eben biefe Zufammenftellung fammt den 12 ancy nifhen auf der dritten firmifhen Synode recipirten 9tr thematismen find wir bie britte firmifche Formel zu nenn berechtigt.

Stoff zu einer weiten Einrede muß der Bf. Hilari darbieten. Wie befannt hat berjelbe über mehrere fen arinifhe Formeln febr milde geurtheilt, hat aud) währe feines Grilà in Phrygien mit ben Semiarianern in freur lidem Verkehre geftanden. Wie fonnte er nun, me fiberiuó nur eine femiarianifde Formel unterfdri in Betreff feiner an Kaifer Eonftantius (dyreiben : nesc

1) Stilting in Acta SS. 1. c. p. 612 seqq. Palma, 1. c. p. 1

2) Was fie die dritte firmifche Formel nennen, vom Sal 359, if allerdings fpäter, als bie 9tádfefr des Liberius; aber | und ift bif die vierke ſirmiſche Formel, , .

und das nieänifche Symbolum. 297

ulrum mejore impietate (eum) relegaveris quam re- miseris? !). Weist nicht der hierin liegende Tadel bar» auf hin, daß Liberius eine wirklich ατί απ [ὦ ε Kormel [4 auferingen ließ? Ich glaube nicht; denn fürs Erſte hat aud) Hilarius eine völlige Gemeinfdaft mit ben Semi» arianern nie gebilligt, namentlid) bie Theilnahme an ihrem Abendmahle nicht geftattet *), und die übrige com- munio mit ihnen mehr nur durch bie Seitumftünbe ente quldigt αἵδ᾽ gebilligt; fürs Zweite ſodann tadelt Hilarius in jenen orten weit mehr den Raifer als ben Liberius, md völlig mit Recht; denn Conſtantius hat in ber That der beffern Ueberzeugung des Liberius Gewalt angethan und barum an ihm einen neuen Frevel geübt. Indem Aber drittens Liberius jenes Symbolum nicht völlig bona ide, als enthalte e8 durchaus nur bie Fatholifhe Lehre, unterſchrieb (wie es etwa Cyrill von Serufalem thun fonnte), fondern indem ihm bie femiarianifche Tendenz tier und ähnlicher Formeln befannt war; unb er fif dennoch ju ihrer Unterfhrift verleiten ließ, fo fonnte Hilarius aud) den Liberius fefbft mit Recht tabefn. Obs gleich nämlich Hilarius überzeugt war, bag mande andere SBifófe fold)e Formeln optima fide ohne ihr Schlimmes a fennen annahmen, fo war er bod) gewiß, daß bief bei Liberius nicht Statt hatte, unb es ift fomit feine Ins sonfequenz, wenn Hilarius bie Einen entfhuldigt, ben &berius aber tadelt, denn duo si faciunt idem, non est idem.

Als Refultat halten wir bemnad) feft, daß Liberius, der Gewalt weihend und durch mehrjährige Haft unb

1) Contra Constantium n. 11. p. 1247. 2) Contra Constantium n. 2. p. 1239.

298 Papft Liberius unb das nicänifhe Symbolum.

Verbannung gebeugt, bie fogenannte dritte ſirmiſche $j mel, b. h. bie auf ber dritten firmifchen Synode i. 3. 3 acceptirte Sammlung älterer femiarianifcher Dec unterzeichnet habe. Er that bie nid)t ohne Bedenk denn der femiarianiffe Gfarafter und Urfprung bie Formulare war ihm befannt; ba fie jebod) feine biret und ausdrüdliche Verwerfung des orthodoren Ole bens enthielten, unb da ihm anbererfeité vorgeftellt τοὶ * ben war, das nicänifhe ὁμοόσιος bilde ben Dedman für Sabellianismus und Photinanismus, fo ließ er | bereden, das nicänifhe Eymbolum faktiſch fallen zu faf und mit dem dritten firmifden zu vertauſchen. Dar fat er aber nur das nicänifhe Wort, nicht ben otf boren Glauben aufgegeben, wie nicht nur fein gan; früheres, fonbern aud) fein fpätercs Auftreten gegen | Irrlehre fomie der (€. 281) angeführte Sufag bewei ben er bei feiner Unterfehrift der ſirmiſchen Formel b fügte. Daß cr weiterhin die Kirchengemeinſchaft ı Arhanafius auífob, war eine Folge ber gegen b letztern erhobenen Klagen, denen Liberius einigermaf Glauben fdenfte; daß aber Liberius enbfid) mit Valen Urfacius und andern Arianern, melde ihr biöherig Befenntnig abfehrwächend bie dritte firmifhe Formel a nahmen, in Kirchengemeinſchaft trat, verftand fid) eo ips fotalb er felbft dieſe Formel unterzeichnet hatte,

Hefele

In.

Wecenfionen.

1.

1. Gefchichte der Bifhöfe zu Speyer, von Franz Zaver Remling, Pfarrer und Diſtriktsſchulinſpektor zu Hambach, gewahltem Domfapitular zu Speyer, Mitglied mehrerer ge ſchichtlicher Vereine. Mainz bei Kirchheim und Schott. 1852. Erſter Band, VIII und 683 Seiten groß Octav. Preis 4 fl,

Sammt: Urkundenbud zur Gefchichte der Biſchofe zu Speyer. Aeltere Urkunden (den erfien Theil des Urkunden« buchs bildend). VI unb 722 ©, gr. Octa. Preis 4 fl.

2. Geſchichte des Stiftes Säckingen und feines Begründers des heil. Fridolin. Bon Clemens Tchaubinger, Dekan unb Gtabtpfarrer bei St. Stephan in Konflanz. Einſiedeln 1852. 99εἰ Gebr. Venziger. VIund 183 S. gr. Octav.

3. Wrkunbio. Beiträge zur vaterländifchen Geſchichtforſchung, vornaͤmlich aus ber norbmeftlichen Schweiz. Herausgegeben von einigen Geſchichtsfteunden. L Band, 1{εὖ Heft. Goo» thurn, Verlag der Scherer'ſchen Buchhandlung. 1851. Vreis 1 fl. 12 fr.

1. Das Bisthum Speyer ift eines der üfteflen, ber Dom gu Speyer einer der größten und intereffanteften

300 Nemling,

Deutſchland.. Das Bisthum Speyer beftand unzweifel haft fhon zu ben Zeiten Conftantins b. Gr., als ber fj Athanafius nad) Trier erilirt wurde (S. 335 n. Chr.) un mit dem damaligen Bifhofe Jeffe von Epeyer in freunt lide Beziehungen trat. Der majeftätifhe Dom vo Speyer aber ift das größte Bauwerk des romanifchen (fe genannten byzantinifhen) Styles in Deutfchland, überhauf die größte aller vollendeten deutſchen Kirchen, größe als die Münfter von Ulm und Straßburg, um fo meh größer ald die Dome von Mainz unb Ct. Stephan i Wien, und wird nur von bem Dome in Cöln an Θτὸβ übertroffen. Außerhalb Deutſchlands aber find “größer Gt. Peter zu Rom, der Dom in Mailand, St. Paul i Rom, die Sophienfiche zu Eonftantinopel, ber Dom vo Florenz und St. Paul in London. Es find bief überhaup bie 8 größten Kirchen der Welt nad) ber Reihenfolge ihre Größe locit, größer nod) ald der Eölner Dom in feine Vollendung. Ja die SBeteréfirdje foll fogar dreimal meh Flaͤcheninhalt haben, al& biefer. Ungefähr gleid) gro mit bem Epeyerer Dom aber ift der zu Antwerpen, etwa Heiner bie Gatfebrafe Notre Dame zu Paris. De Speyerer Dom ift aud) zugleich bie fhönfte Stiftung be deutſchen Kaifer fränfifchen Stammes, deßhalb der Kaifer bom genannt, begonnen von Conrad IL ober ben Salier i. 3. 1030, von feinem Sohne Heinrich IM. fort gefebt und vollendet durch feinen Enfel Heinrich IV. in Jahr 1061. Zwei große Brandunglüdsfälle in den Jah ven 1137 und 1159 machten nod Neu» unb Umbauter nöthig, und veranlaßten ben befannten Kunſthiſtonike Kugler zu der Behauptung, der Speyerer Dom gehört in feiner jehigen Geftalt nicht (don bem 1iten, fondern

die Biſchdfe zu Speyer, 301

erft dem 12ten Jahrhunderte an, intem jene Umbauten eine totale Veränderung hervorgerufen hätten (Kugler, Kunſtgeſchichte, 2te Aufl. 1848, €. 483). Der nicht min- ber berühmte Kunftfenner und Kunſthiſtoriker Schnaafe dagegen fat bargetfan, baf bem nicht fo fei, daß viel mehr aud ber jegige Dom in feinen Haupttheilen aus dem 11ten Jahrhundert Ramme unb das urfpringlide Baus werk geblieben {εἰ (Kunftblatt, Jahrg. 1845. Nr. 63—66).

Ueberdieß ift der Speyerer Dom aud) die Ruheftätte von 8 deutfhen Kaifern und Königen (Conrad IL, ein» tid) IIL, Heinrich IV., Heinrich V., Philipp von Schwaben, Rudolph von Habsburg, Arolf von Naffau und Albrecht von Deftreih) welde fammt mehreren ihrer Frauen unb Kinder im fogenannten Koͤnigschore begraben liegen (ein topographiſches Schema biefer Königsgräber gibt unfer Verfaſſer auf 6. 271).

Schon im Jahre 1828 hat diefer Dom einen würbigen Hiforiographen gefunden an bem jegigen Garbinale unb Erzbifhofe von Eöln, ber al er nod) Domherr zu Speyer war, das ungemein fhäßbare Werf: „der Kaiferdom zu Speyer, eine topographifch -hiftorifche Monographie" in drei Octanbänden zu Mainz bei Simon Müller heraus- gab (jet im Verlage von Kirchheim und Echott in Mainz, Preis 5 fl. 24 kr.). Dagegen fehlte c6 bem Bisthume Speyer nod; immer an einem tüchtigen Geſchichtſchreiber, Tenn gíeid) mehrere ältere und einige mod) jeßt lebende Gelebrte (3. B. Mone, Geiffel 1.0) febr. gute Einzels abhandlungen u. dgl. geliefert haben. Es war barum in hohem Grabe verdienftlih, daß Herr 9temling, ber fid) ſchon durch feine Geſchichte ber Klöfter und 9fóteien in Rheinbayern als tüdjigen unb gründlichen Forſcher ause

302 Renling,

gemiefen hatte, bie Ausarbeitung einer umfaffenben und durchaus quellenmáfigen Gefdhichte des Bisthums Speyer übernahm. Dieß Werk, das den anerkannten Arbeiten von Srubpert Neugart: Episcopatus Constantiensis, von Uſſermann: Episcopus Wirceburgensis u. dgl. ebens bürtig an bie Seite treten darf, wird im Ganzen 4 Bände umfaffn, 2 Bände Tert und 2 Bände Urkunden. Gegenwärtig liegt. der erſte Band des Tertes und ber erfte des Urkundenbuchs vor uns, unb εὖ reicht jeber ber» felben bis nahezu zum Sabre 1400 herab. Die vier unb ein halb fpäteren Jahrhunderte des Speyerer Bisthums, vom Jahr 1400 bis zur Gegenwart, wird in bem zweiten Bande des Tertes nadjfofgen, und dazu der zweite Band des Urkundenbuchs bie ardjivalifdjen Belege barbieten. Es ift dieß ein Werk Acht deutſchen Fleißes, gebaut auf taufende von Urfunden, von denen fehr viele bisher nod) von feinem Hiftorifer benügt worben waren. Diefe Urkunden fanden fih theild im Kreisarhive zu Speyer, theils im reihen Archive ber Stadt Speyer, tbeiló, unb am zahlreihften im General⸗Landes⸗Archive zu Carlsruhe, Einiges αὐῷ im Staatsarchive zu Stuttgart und ander wärts. Einzelne diefer Urkunden find zwar, bie eine ba, die andere dort, bereits früher [don gebrudt geweſen, 6. Remling hat aber bennod, und zwar ganz mit Reit, aud) biefe in fein Urkundenbuch wieder aufgenommen, toenigftenó bie älteften von ihnen, um bemfelben bie nöthige Vollſtaͤndigkeit zu verſchaffen. Dagegen werden es bie Sprachforfher in hohem Grade bedauern, daß er ſowohl bie fateinifden als deutſchen alten Urkunden nicht mit diplomatiſcher Genauigfeit wiedergegeben hat. Auch der vorliegende erfte Band des Urkundenbuchs enthält

ble Biſchbfe zu Epeper. 808.

unter feinen 619 Urkunden bereits mandje beutfdje, deren erfte, Nr. 486 von dem Speyerer Biſchofe Gigibobo IL, dem Anfange des 14ten Jahrhunderts, Jahr 1308, ans gehört (S. 459).

Betrachten wir jet den erften Band des Tertes etwas genauer. Derfelbe beginnt mit einer febr ſchaͤtz⸗ baren unb banfenswerthen Aufzählung unb Beſchreibung der vom Berfaffer gebrauchten ungebrudten und gebrudten Speyerer» Gefhihtöwerke. Bei den Autoren der Ießteren fügt er ftetó eine bald größere bald Meinere Biographie bei, fo daß wir δ. 9. hier ©. 21— 26 eine Lebensges fdidte des jegigen Cardinals von Eöln, ©. 19—21 eine ähnliche des um Wiffenfhaft und Kirche hochverdien⸗ ten Archivdirectors Mone in Garlórufe „S. At f. aber die des berühmten alten Speyerer Hiftoriferd Georg Gbriftopb Lehmann antreffen.

Daran fließt fld) eine ungefähr 150 Seiten füllenbe Abhandlung über bie Gefchichte der Speyerer Gegend in der vorchriſtlichen Zeit und in ben erften chriſtlichen Sabre hunderten, fammt Unterfuhungen über den Anfang des Chriſtenthums im Speyerer Gau, über Seffe, den erften befannten Biſchof von Speyer, über bie angeblihe Synode von Eöln gegen Euphrates i. I. 346, über bie erften Miffionäre diefer Gegenden, über Stiftung und ehemaligen Umfang des Bisthums Speyer. Es iſt hier febr viel Intereffantes, jebod) unter dem unpaffenben Titel „Rüds bfid^ zufammengeftellt. Theilweiſe hätte das hier Ge» fagte eine allgemeine Einleitung zur Gefdidte des Bisthums Speyer, theils aber das erfte Eapitel biefer Geſchichte ſelbſt bilden follen, zumal ja gerade ber erfte befannte Biſchof Jeſſe, und bie Wiebererrihtung des

04 Remling,

Bisthums unter fraͤnliſcher Herrſchaft ums Jahr 600 hie eſprochen wird. ine Unterfuhung über biefe Anfäng «ὁ Bisthums Speyer ift aber bod fein „Rüdblid“ ondern ber wirflihe Beginn der Speyerifhen Kirchen eſchichte.

Wichtiger als dieſe gewiſſermaßen allgemein einlei ende Abtheilung ift die darauf folgende fpecielle Ge dide der Speyerer Bifchöfe, welche unfer SBerfaffer mi Kthanafius, bem zweiten uns befannten Biſchof son Speyer (610—650 n. Ehr.) eröffnet, und im vor iegenden Bande bis zu Nikolaus L, bem 58ten Bifchofi vt a. 1396 flarb, fortfüfjrt. Das Auffallende, baf bie pecielle Gefdidte der Bifhöfe von Speyer mit ber weiten, und nicht mit bem erften Biſchofe beginn var mur bie nothwendige Bolge jener unpaffenden Be jandlung ber allgemein einleitenben Abtheilung. Es fan ibrigens feinem Zweifel unterliegen, daß bie fpecielle Ge chichte unferem H. SBerfaffer nod) beffer gelungen ift, al ener allgemeine Theil, ja daß fie εὖ ift, welche biefen Buche feinen bleibenden Werth fihern wird. Es ift hierin im es fury zu fagen, eine Menge fonft vielfad) unbcfann πὸ, höchſt wichtiges Detail für bie Reichs- unb Kir hen geſchichte Deutſchlands, namentlid aud) für bi deutfhe Synodalgeſchichte mitgetheilt, und unfere vater ländifch = hiſtoriſche Siteratur woefentlid) bereichert. Jede Unbefangene, aud) wenn anderem religiöfen Befenntnifl angehörend, muß dieß anerfennen, umb bie wahrer Männer vom Sade werden εὖ aud gerne zugeflehen während gemiffe DuobegsGremplare von LiteratursReferen ten bie Werke katholiſcher Verfaſſer entweder ganz ignoriten, oder ohne eigenes Urtheil geben zu wollen, fi einfad

die Biſchofe zu Speher. 305

unb bequem, aber aud) malitióó genug, auf befangene Beurtheilungen anderer Proteftanten berufen. Ih [age bief nicht, weil etwa mir felbft derartiges in neuer Zeit widerfahren wäre; bem ift nicht fo; aber andern katho— liſchen Hiftorifern ift erft Fürzlich wieder (olde Unbill an» getan woorben, welche öffentlich gerügt zu werben vers dient. Ich hielt e8 barum für Pflicht, bei biefer Gelegen» heit auf jene [hmähliche Praxis Hinzumeifen, welche jeden Wiſch von befreundeter Seite als epochemachende Schrift lobhudelnd begrüßt, ber katho liſchen Kiteratur dagegen ijr gutes Recht tüdifh entzieht. Gurio8 daß biefe „Bibelchriſten“ fid) nicht an das Wort V Mof. 25, 13 ff. erinnern: „du follft nit zweierlei Gewicht haben, ... denn ber Herr verabſcheut ben, ber foldes thut.“ Doch Fehren wir wieder zu dem vorliegenden Werke jurüd. Die Gerechtigkeit fordert, daß id) nad) dem bisher gefpendeten Fräftigen Lobe andererſeits einzelne Mängel und minder gelungene Partien ebenfalls zur Sprache bringe, unb es finden fid) deren entfchieven mehr im all- gemeinen einleitenden, ald im fpeciellen oder Haupttheile. Diefes ift (don in Betreff des Styles der Fall. Auf Seite VII der Vorrede zum erften Tertesbande erklärt der Verfaffer, von allem Wortſchwalle fid) ferne halten zu wollen, und es ift bie aud) in ber fpeciellen Geſchichte meiftend gefhehen; in bem allgemeinen. Theile dagegen gibt mande Seite, 3. 98. ©. 47. 48. 52 in biefer Ber siehung Stoff zu gerechtem Tadel. Ober wozu foll denn auf €. 47 bie, wortreihe Erpofition über das Chriften« thum dienen? Hier war ganz einfad) der Gebanfe: „die Anfänge des Chriftenthums in unferen Gegenden fennt man nit", ausjubrüden; aber eine rhetoriſche Des

306 Nemling,

finition vom Chriſtenthum war gewiß nicht am Plat Der hiſtoriſche Styl verfhmäht ſolche Schminke.

Das Zweite, was wir nicht billigen fónnen, ift, b der Herr Verfaffer über mehrere hiſtoriſche Punkte in ein Art fpridjt, als ob hier völlige Gewißheit vorhand wäre. Ja mehrmals deutet er nicht einmal (eife an, b eine Streitfrage vorliege, unb ſtellt feine Anfict π Verſchweigung ber entgegenftefenben fo hin, als ob einzig unb allein eriftitte.. So machte er es 3.2. in Betr des hl. Fridolin (G. 90 f.) Er weiß bie Zeit fein Auftretens, Jahr und Tag feines Todes ganz gena und fpricht davon in einer Weife, als ob gar nie eine ande Meinung hierüber aufgetaucht wäre; und bod) bifferir hier bie hronologifhen Annahmen um mehr als hunde Jahre, wie bem H. Verfaffer felbft gewiß fehr gut befan if. In ähnlicher Weife macht er ben hl. Pirminiı (€. 197) gang unbebingt zum Chorbiſchofe von Medel heim in ber Pfalz, wiederum ohne anzubeuten, b andere Gelehrte unb zwar deren Mehrzahl, das Melt wo er ben Quellen zufolge wohnte, bald auf Meaı γεἰ Paris, bald auf Mels im Canton St. Gallen 5 jiehen. Mit der nämlichen Decibirtheit fpricht H. Ren ing €. 91 f. von bem Miffionär St. Goar am Rhei velcher um bie Mitte des fechsten Jahrhunderts unt Bifdof Ruſticus von Trier, in der Gegend von Gobla jeprebigt unb von Ruſticus ungerecht verfolgt worde εἰ. Er ſchweigt aber völlig darüber, daß e& um je Zeit durchaus feinen Bifhof Ruſticus in Trier gab, ur 'af befbalb bie ganze Nachricht über €t. Goar vo nehreren Gelehrten, neuerdings aud) von Stettbergi einer Kirchengeſchichte Deutſchlands (8b. 1. (6. 465. 481

die Biſchdfe zu Speher. 307

in das Reich der Fabeln, freilich mit Unrecht, habe vet tiefen werden wollen.

Unrichtig ift weiterhin, wenn ©. 195 und 196 Eöfn fhon zur Zeit des Apofteld ber Deutfhen, Bonifacius, für eine Metropole erklärt wird, indem biefe Kirche erft wiſchen 794 und 799, als ber Arhicaplan Carls Ὁ. Gr. Hildebald auf diefem Stuhle faf, durch bie Gunft des Kaifers unb Papftes zur Metropolitanmwürde erhoben unb ijt bie Suffraganftühle von Utrecht, Luͤttich, Münfter, Minden, Osnabrüd und Bremen unterftelt wurden. Für ebenfo unrichtig halte id) bie Behauptung auf ©. 120, daß in Trier bie Weihbifhöfe aud) Chorbiſchöfe genannt worden feien. Schon Holzer (jegt Dompropft in Trier) Wnertt in feiner Schrift de Proepiscopis Trevirensibus p. 2, daß bie Chorepiscopi von Trier, nad) der Synode von Sardifa, nur Jurisdictions rechte, Feineswegs aber Sontififalred)te gehabt hätten. Sie waren fomit eher Generafoifare, als Weihbifhöfe Außerdem ift befannt, daß nod im vorigen Jahrhunderte unter ben Domherrn von Trier fij fogenannte Gp orbifdiófe fanden, aber biefe waren durchaus feine Weihbiſchöfe, überhaupt feine Biſchoͤfe, fondern nur Capitelsdigni⸗ larien von mehr untergeorbnetem Stange.

Wiederum nicht beiftimmen fónnen wir bem, was ©. 113 f. über bie praepositi in ben alten Ganonifater und ifr Verhältniß zu ben Eanonifern und bem Dechante geſagt ift, noch weniger aber ber auf €. 110 gegebenen Auslegung von sacerdos plebanus unb ecclesia plebana. Herr Remling flellt ben geutpriefter unb bie plebana ecclesia unter ben Pfarrer unb bie Pfarrkirche, waͤh⸗ tenb das "Berfáltnif gerade umgefehrt ift, unb ber Leute

Sie, Ouartaligrift. 1958. 1. Heft 21

308 Nemling, die Biſchofe zu Speher.

priefter eher mit einem Dekane oder Archipresbyter ve glihen, bie plebana ecclesia aber als Mutterkirche ander Parochien bezeichnet werden muß (Thomassin, de nova veleri ecclesiae disciplina, Pars I. Lib. IL c. 5. m. | €. 6. n. 1. unb Binterim, Denfwürbigfeiten Bd. L SI. ©. 517 unb 555).

Das Sete, was wir nod) heruorheben wollen, b trifft wiederum bie Gefdichte des bL Fridolin. A ©. 90 if nad Angabe des alten Ehroniften Balthen exzaͤhlt, daß ber Bi. Sribolin, nadjbem er Poitiers ur das ihm fo teure Grab des bí. Hilarius verlaffen Bat an bie Mofel gekommen [εἰ und an bezen Ufern ein be heit. Hilarius von Poitierd geweihtes Klofter gegrünb habe. In ber Note hiezu wird angegeben, daß na Galmet (histoire de Loraine T. I. p. 302) damit b Kloſter Hilariacum zu St. Avold gemeint fei, xoeld) jebod) nidt an ber Mofel, fondern in deren Rähe au be Fluͤßchen Rofalle liege, das fid) junddjft in die Saar, ur burd) biefe in bie Mofel ergieft. Weit wahrſcheinlich ift jebod) die Vermuthung Holzer's in feiner oben c mwähnten Schrift de Proepiscopis Trevirensibus p. 38 seq daß an ben Ort Eller an ber Mofel, ungefähr in b Mitte zwiſchen Trier und Goblenj, oberhalb ber Sta Cochem gelegen, zu benfen fei, wo zwar nit mehr εἰ HilariusKlofter, wohl aber eine Kirche zu Ehren br HI. Hilarius mit Reliquien beffelben verfehen, beftebt. D hauptſaͤchlichſte Stiftung des HI. Fridolin aber war ba Kloſter und bie Kiche zu Sädingen am Rheine, um von diefem Stifte handelt bie

2te und eben vorliegende Schrift von Herrn Dela— Schaubing er in Gonfany Den Grund zu biefer hiſtori

Schaubinger, das Stift Sädingen. 309

fen Monographie legte don im vorigen Jahrhunderte der Ganonifuó zu Rheinau, Moriz obenbaum Van der Meer, welcher nad dem Wunſche ber legten ger fürfteten Yebtiffin von Cüdingen, Maria Anna von bornſtein-Goffingen eine Geſchichte dieſes Stiftes zu ſchreiben unternahm und zu biefem Zwecke in bem Archive du Sädingen, fowie in ben Bibliotheken zu St. Gallen, Züri, Einſtedeln und anderwärts forfchte und fammelte. Die franzöftfche Revolution verhinderte jebod) die Heraus- gabe diefes Werkes, ja das Stift Cüdingen felbft wurde aufgehoben und Dan ber Meer's Papiere famen nun mittelbar in bie Hand des H. Schaubinger, welcher als gebotner Sädinger deren völlige Üeberarbeitung und das mit bie Herausgabe des vorliegenden Werkchens befchloß. Daffelbe ruht auf Hundert zwanzig Urfunden unb Dofus menten und zeugt, bei aller Anfpruchslofigfeit und populá» ten Darftellung, von fehr vielem Fleiße und beträdhtlicher hiſtoriſcher Gelchrfamfeit des H. Verfaſſers. Das Ganze terfällt im drei Bücher, deren erſtes die Geſchichte des Bi. Fridolin unb feiner Stiftung von deren Anfange bis pum Einfalle der Hunnen (Ungarn) unb ber Zerftörung bes Stiftes durch fle im Jahre 917 enthält. Das gzweite führt bie Geſchichte diefes Stiftes vom Jahre 900 bis 1400 fort, während das britte ben fegten vier Jahrhunders ten Cüdingené bis zu beffen Aufhebung i. I. 1806 ger widmet $t, aber aud) zugleich bie Geſchichte ber Städte Sädingen und Laufenburg, bie (don im zweiten Buche begonnen tworben war, bis auf bie neuen Zeiten fortfegt. Sechs Beilagen endlich handeln 1) von ben Biographen des hl. Fridolin, 2) von feiner Doppelfiftung im Allges meinen. Srivolin gründete nämlich ein Manns» und ein 21*

310 Urfunbio.

Brauenffofter neben einanber, allein (djon unter ber Caro lingern wurde fegtereó bie Hauptfache, erhielt oft Aebtif finnen aus fóniglidjem Geſchlechte und wurde fo nad) un aach zu einem fürflliden Stifte umgewandelt, in das nu Wbefide aufgenommen werben fonnten, während das che malige Mannsklofter immer mehr einfhrumpfte, und frühe yeitig nur mehr eine Heine Anzahl von Geiftlihen, canonic und Gapläne aufgeftellt wurden, fo viel beren nämlid die Beforgung des Gottesdienſtes erheiſchte. 3) Die britt Beilage fpricht von einer wunderbaren Todienermedun; »urd) Fridolin (in Glarus); 4) von ber Verehrung bei jl. Fridolin, 5) von den Etatuten der Stiftsdamen un! mblid 6) von den Sädinger Urkunden in chronologiſche Ordnung. .

3) Auch die dritte der vorliegenden Schriften ift wefent ich kirchenhiſtoriſchen Inhaltes, und führt uns theilweife fo jar bis in bie erften Zeiten des Chriftenthums in Helvetiei jurüd. Den etwas curiofen Titel erklärt uns einer be Mitherausgeber, H. Pfarrer Fiala in Herbetswil (Eantoı Solothurn), einer meiner tüdjtigften ehemaligen Zuhörer ?abin, daß ber Solothurner Bibliothefar Dr. Bete: Sgnay Scherer (t 1833) wegen feiner ungemeinen Hebe zu ben Urkunden, unb feiner großen SBerbienfte um veren Sammlung gewöhnli nur Dr. Urfundio genannt vorben fei. Als nun im Jahre 1851 einige Freunde ber Befhichte zu Solothurn zufammentraten, um das vor tegende Urkundenwerk ins Leben zu rufen, habe man 'affelbe Urfundio betitelt, theild um jenen Verſtorbenen adurch zu ehren, theild aber auch um damit in kuͤrzeſter Beife den Charakter bed Werkes felbft zu bezeichnen:

Die fed in biefem erften Hefte enthaltenen 96»

urkundio. 311

theilungen find: 1. Doktor Urfundio, eine biograpfifde Sfüge (de genannten Dr. Scherer), von Bf. &iata; 2. ναὸ Chriſtenthum in Helvetien zur Römerzeit. Eine firhenhiftorifch » antiquare Sfige von SBrofeffor 3. B. Brofi, in ber That eine ſehr gelehrte und intereffante Abhandlung, für Männer vom $jad wie für Gebildete überhaupt in hohem Grade anjiefenb, doppelt anziehend aber für beh Unterzeichneten, welcher bie Refultate ähnlicher Studien ſchon, vor 16 Jahren in feiner €drift „die Gin» führung des Chriſtenthums im fünmweftlihen Deutſchland“ niedergelegt hat. G8 war für ihm erfreulich, zu bemerken, bof wie Prof. Brofi in bicfer Abhandlung, fo aud) bie Berfaffer der beiden Gbriften unter Nr. 1 und 2, 6. Remling und H. Schaubinger auf diefe Einführungss geſchichte vielfach freundlich, meift beiflimmend, mitunter auch beridtigenb, Rüdficht genommen haben. Herr Prof. Brofi inébefonbere hat Manches bisher in weiteren Kreiſen unbefannt Gebliebene über wieberaufgefundene Denkfteine chriſtlichen Lebens in Helvetien während ber Römerzeit, in dem vorliegenden Auffage und mitgetheilt. Die dritte Nummer dieſes Heftes bilden fofort 29 von P. Anfelm Dietler in Mariaftein und von Sof. Ign. Amiet mitgetheilte, theils deutſche theils Tateinifhe Ur⸗ funben über Schenkungen an Kirchen, Streitigkeiten zwiſchen Kloͤſtern u. bgL, bie in verſchiedenen ſchweizeriſchen Archiven gefunden wurden unb bem 12ten bis 15ten Jahrhunderte angehören. Wir vermiffen bei jeder berfelben eine furje Angabe ihres Inhalts. Das vierte Stüd ift das Jahr⸗ zeit buch des Collegiatftijt& Schönenwerth im Ganton Solothurn aus ber erften Hälfte des 15ten Jahrhunderts, duch H. Propft Vogelſang mitgetheilt. Es ift dies

312 Verhoe ven · Heufer

ein Verzeichniß der geſtifteten auf jeden Tag und Mona fallenden Safrtáge nebſt manchen hiſtoriſchen und chrono logiſchen kurzen Notizen. Das gegenwärtige Heft enthäl hievon etwa bie Hälfte. Die fünfte Sektion bilde vier bisher ungebrudte Briefe an Johannes vo Müller unb zwei von feinem Bruder, mitgetheilt vo 6. Piarrer Fiala. Daran -fhließt fid) als fehätes Si eine Fleine Urkunde, ben Reformationsfturm in Güns berg, in Eolothurn, betreffend; viel wijtiger aber Nr. 7 eine chronologifhe von Fiala verfaßte Ueberfid und Inhaltsangabe über 160 alte meift kirchenhiſtoriſch Urfunden, vom Sten bis 13ten Jahrhundert, welde i ungefähr 30 Jahrgängen ſchweizetiſcher Zeitfchriften, nämlid des εἰπῇ fo berühmt gewefenen Solothurner Wochenblatt won Glup-Blogheim, Lüthi und Peter Schere z Dr: Urfundio) und beffen ortfegung in den Jahre 1845—47 zerſtreut veröffentlicht und abgebrudt worden fint In der Ankündigung ift gefagt, der vorliegende U: Tunbio werde in zwangloſen Heften erfheinen, von bene Drei oder vier einen Band bilden follen. Bis jeht i| mir aber fein weiteres Heft zugefommen, und εὖ wär ehr zu bedauern, wenn das Unternehmen nicht Fortgang gemánne. Hefele

2.

Die Verpflichtung der Pfarrer für die Gemeinde zu app- lieiren. Eine kirchenrechtliche Abhandlung nad) zwei Differ tationen bed Prof. Dr. Verhoeven mit befonberer Kückſich auf Deutfehland bearbeitet von A. Heufer, Kaplan Ir BR, Düffeldorf 1850, Verlag der Schaub'ſchen Buch— Handlung. (8. H. Scheller.) ©. 106. Preis 36 ἔτ,

Verpflichtung der Pfarrer xc. 913

Vorliegendes Schriftchen beſchaͤftigt fl mit einem Gegenftande von fo großer practifher Wichtigkeit, daß ἐπε wenn aud) verfrätete Beſprechung beffelben gerechte fertigt erfheint. Es gibt bezüglich der Verpflichtung zur Rekapplication für die Gemeinde einige Puncte, bie den Barren, deren Gewiſſen εὖ bod) fo nahe berührt, nicht ganz Mar find. Hierüber fudt mun unfer Schriithen bee fimmte und fidere Auffhlüfle zu geben. Daſſelbe ift anähf nur bie Zufammenftellung und deutſche Bearbeitung gweier Abhandlungen, welche Berhoeven, Prof. be8 canos niſchen Rechts an der Univerfität Löwen, über ben gleichen Otgenftanb im Jahre 1842 und 1849 in lat. Sprache erſcheinen lief. Sie erregten in Belgien und zum Theile in Frankreich großes Aufſehen, weil fie der Verpflichtung ur Meßapplication eine Ausdehnung zu geben fuchten, die in Prari nirgends zur Geltung gefommen war. Bers hoeven wollte nachweiſen, daß alle Pfarrer unb. alle Seels forgsgeiftlihen, welche einer Gemeinde principaliter et immediate vorgefeßt find (Pfarrverweſer, Rectoren von Filiale und Annerichen, Bifhöfe, Prälaten etc.), nicht bloß an ben Conn» unb jet nod) gebotenen fondern aud an allen abgefdjafften unb verlegten Beiertagen zur Applis sation der Meffe pro populo verpflichtet feien und zwar perſoͤnlich, wenn fie nicht geſetzlich verhindert find. Berhoeven hatte bei feiner Debuction vorzüglich bie Vers hältniffe Belgiens und Branfreihs im Auge. In Betreff Deutſchlands glaubt er fónne bie Anfiht aufgeftcllt werden, dag an ben durch Clemens XIV. abbeftellten Beiertagen die Verpflichtung ber Application der Meffe für bie Ge» meinde erfoffjen fei. Diefes ift der. einzige Punct, in welchem ber deutſche Bearbeiter von feinem Original abs

314 Verhoeven⸗ Heuſer

weicht, indem er bie Anſicht aufftellen und feſthalten 3 müffen glaubt, in ben deutſchen Diöcefen feien bie Pfarr: ‚gu den beſprochenen Mefapplicationen aud) an ben bur Clemens XIV. aufgehobenen Feiertagen verpflichtet. Letztere hat auch der rühmlic befannte Kichenrechtsfchriftftell Seiß in einer Kritik der erften Abhandlung von Verhoeve zu beweifen gefudt (Seitz, Zeitſchrift für Kirchenrecht un Paſtoralwiſſenſchaft 98». IL. ©. 105 fg); das Gegentfe bihauptete ein Recenfent der genannten Abhandlung íi Sitündyener Archiv für theologifche Literatur Jahrg. 184 ©. 696. Wir werben auf biefen Punct nod) befonber ‚zurüdfommen, da er entichieden von der größten Bebeutun und das Gewiſſen Mancher zu beläftigen geeignet ift. Außer bem eben angeregten Punkte erſtreckt fid) bi Unterfuhung unferer Abhandlung auf die Perfonen welche zum Appliciren der Meffe für die Gemeinde vet pflichtet find. Das Triventinum fprict eine Verpflichtung das bl. Meßopfer für bie Gläubigen darzubringen, bene zu, quibus animarum cura commissa est. Dieſe Bezeichnun paßt im kirchenrechtlichen Sinne jebod) nicht auf alle die jenigen, welche in irgend einer Weife feelforgliche Bunctione ausüben, fondern mur auf jene, welde bie volltändig Seelſorge cura primaria über einen beflimmten Kreis vo Gläubigen entweder vorübergehend oder auf bauernd Zeiten haben. Es find fomit befonders die Pfarrer uri Pfarrverwalter, welpen biefe Verpflihtung zufällt. Dief Verpflihtung wird in einem weitern Kapitel als ein feng perfönliche nachgewieſen. Diefen Nachweis führ der Verf. aus Entfeidungen der Congregatio Interpre concilii Tridentini; unb nad) den angeführten Beweigftüde ift der zur Application ber Meſſe für die Gemeinde Ber

Verpflichtung der Pfarrer xc. 315

pflichtete verbunden, biefe feine Pfliht in eigener Perſon du erfüllen, wenn ihn nicht ein geſetzliches Hinderniß von der Erfüllung feiner Pflicht freifpricht (nisi in casu neces- sitatis et concurrente causa canonica). Diefe causae cano- nicae fhränft ber Verf. aber dergeftalten ein p. 50 ffg., daß ein SBjarrer nur fchr felten an feiner Statt einen andern appliciren faffen türfte. Auch foll bie Meffe an ben vorgefhriebenen Tagen (Sonn⸗ und Feiertagen) appe lieirt, und die Application nicht auf einen beliebigen Tag verſchoben werten. Der Pfarrer foll aud) die Hauptmeffe bet Sonn⸗ und Feiertage halten, nur Fönne er durch leichtere Bründe von dieſer Verpflichtung fid) frei erachten als von be der perfönlichen Application, bie aud vom Piarrer in einer andern Meſſe gefihehen Tann, al& bem fog. Hoch⸗ «nte (Inhalt v. Kapitel 3—8).

Ref. fann nicht Täugnen, daß ihn bie Strenge bes Verf. ‚in der Auffaffung der genannten Bunfte, worin bie Praxis fo vielfältig abgewichen ift, etwas bebenflid gemacht hat, fo wenig er in Abrede ziehen will, daß berfelbe den Buchſtaben ber lirchlichen Entſcheidungen und Vorſchriften für fi habe. Wenn man aber in Erwägung zieht, baf mande Pfarrer entweder um einem empfangenen Stipendium zu genügen, ober wegen leidjifinniger Abwefenheit von ber Gemeinde ober aus Bequemlichkeit ihre Verpflichtung zur Mebapplication unerfüllt Taffen fónnten, fo fann man begreiflich finden, daß bie kirchlichen Stellen, welde bie Geſetzeswaͤchter und Gefepeóinterpreten find, an bem Buch⸗ flaben des Geſetzes fefthalten, und in unferm Falle immer auf der Entſcheidung beharren, der Pfarrer fei in eigener Berfon zu der fraglichen Application verpflichtet, und habe diefelbe in ber zu beftimmter Stunde ju lefenden Meffe

316 Verhoeven · Heuſer

zu geſchehen. In einem concreten Falle dürfte aber diefe Strenge einer Milderung fähig fein; zu biefer Mi derung ift die Thüre offen gelaffen durch bie der ftrer ausgefprohenen Forderung angehängte Klaufel misi | casu necessitalis et concurrente causa canonica. Liter: wird aud) auégebrüdt, wenn ein justum et legitimu impedimentum vorhanden fei. Man wird daher nicht gege den Einn ber oberften firhlichen Oefchgebungsgewalt ve flogen, wenn man für unfern Sall annimmt, der Pfarr genüge der Meßfalfigen Appficationspflicht, wenn er d pplication burd) einen andern Priefter vornehmen laͤß im Falle dieſes nicht aus fträflicher Gorglofigfeit um fei Heerde, nicht aus Eigennuß, nicht aus Reifeluft u. bg geſchieht. Der Pfarrer wird hie und da ohne SBerlegur ber kirchlichen Vorſchriften bie Application burd) eine andern Priefter vornehmen faffen fónnen, wenn er eine vor Gott und der Kirche zu rechtfertigenden Grund für fi hat. Ref. glaubt nicht, daß ber concurrens causa canonic ein gar fo enger Kreis zugewiefen werden muß, als e vom Verf. Kap. 4 gefchehen. Wir glauben für unfer Auffaffung die Entfheidungen der Congregatio Rituur vom 27. Febr. 1827 und 22. Juli 1848 1) in Anfpruc nehmen zu türfen. Letztere Entſcheidung hält fid) milde als bie gewöhnlichen Entſcheidungen ber congregatio con- cilii tridentini, welche nicht ba6 Gefeg in feiner Anwendun; auf den einzelnen Sall zu bezeichnen, fondern ji erläutern hat, wie es an und für fid zu verfehen [εἰ fie fagt námfid: „nam propius ad casum non obstantibu: alias decretis et in facto declaralis rescribere fala esl

1) Cf. sacrorum rituum Congregationis decreta authentica etc. Leodii, Lardinois 1851. p. 154.

Verpflichtung ber Pfarrer sc. si"

poste quemlibet parockum, accedente jusía et legitima causa, adimplementum missae pro populo applicandae alii sacerdoti commitlere.seu per alium sacerdotem hanc missam telebrare facere. Demnach kann es ald gerechtfertigt ev» feinen, wenn ein Pfarrer bisweilen einen andern Θείβν lien für feine Verpflichtung fubfituirt, wenn er mur einen angemeffenen Grund hat, vermöge deſſen ex fid) der perſoͤnlichen Erfüllung feiner Verpflichtung überhoben benfen fann. Unter biefen hinreichenden Gründen dürfte aud) der fein, daß der Pfarrer am einem Orte, wo mehrere Briefter find, nicht immer ſelbſt das Amt halten fanm féon aus Rüdfichten des Anftandes, und bod) bie App⸗ fication pro popylo vorzugsweife im Amte gefchehen fofite, da aud) die Glüubigen biefem anzuwohnen angehalten find. Zieht man einerfeit6 die Grengen, innerhalb welcher fid) bit legitimae causae zür Uebertragung ber fraglichen Ver⸗ Wüi&tung an einen Andern bewegen müffen, gar zu enge, und fagt man andererfeitö bie perſoͤnliche Verpflich⸗ tung des Pfarrers als eine fo ftrenge und unausweichliche, als e8 von unferm Verf. geſchieht, bann if nicht recht einzuſehen, warum überhaupt nur bie Subflitution eines Andern nothwendig ober zuläßig fei. Bin id) ganz ftreng verbunden, in eigener Perſon unter allen Umftänden qu applieien, außer ich {εἰ ſchlechterdings daran gehindert, fo fitt mit ber Unmoͤglichkeit der perfónliden Erfüllung der Verpflichtung die Berpflihtung überhaupt, und braucht fein Anderer fubftituirt zu werben. Umgefehrt aber, if bie Verpflichtung nit eine ſchlechthin formal perfänliche, fondern eine ſachliche mit der Bedeutung, daß baburd) vom Pfarrer Andern námtid) ben Griftgláubigen etwas Gutes zugewendet werben foll, fo fann er biefeó Gute aud). durch

318 fBerforben » enfer.

‚einen Andern, ber in gleider Weife dazu befähigt i "mittbeilen laflen. Das Tridentinum ift midjt mur nic ‚gegen diefe 9fuffaffung, fondern begünftigt fle nod), wer «8 fagt: „quum praecepto divino mandatum sit omnibu quibus cura animarum commissa est, oves suas agnoscer pro his sacrificium offerre, verbique divini praedication *Sacramentorum administratione ac bonorum omnium operu exemplo pascere“ elc. (sess. 24 cp. 1 de ref.) Φ Pfliht des Seelforgpriefters, für feine Schaafe das Opf darzubringen, wird Bier mit feiner Pfliht, das Mo Gottes zu verfünden, und bie Gacramente zu fpenden, Eine Linie gebradit; nun ift aber allgemeine, und vi der Kirche ohne alle SBiberrebe gebulbete Praxis, daf.d Biarrer an feiner Etelle aud) andere Priefter, Vikari und ftapláne das Wort Gottes verfünden, unb bie framente fpenden läßt. Es fanm daher wohl bie Ve pflihtung des Pfarrers zur Meßapplication an beftimmt Tagen nicht eine fo ftreng perfönliche fein, daß bie just: et legitimae causae, die ihm bie Subftitution eines Andeı geftatten, fo gar eng begrenzt werben müßten.

Ueber ben eben befprochenen Punct follte es jebo nicht fo ſchwer fein fid) zu verftändigen, ba es hauptfägli darauf anfömmt, wie man bie causa canonica ober legitim faßt; dagegen wird aber die Gontroverfe, ob die Pfarr: in den deutſchen Diöcefen nur an ben jegt noch beftehend: Beiertagen, ober aud) an ben im S. 1771 von Gfemenó ΧΙ abbeſtellten für bie Gemeinde zu appficiren verpflichtet (eie nicht fo leicht zu heben fein. Qeufer, ber Bearbeiter b: Verhoeven'ſchen Differtationen hat gegen des Lepter Anficht auszuführen unternommen, daß die deutfchen Piarrı an allen mann immer aufgehobenen wie an den rod) gel

Verpflichtung ver Pfarter x. 818

tenben Beiertägen für die Gemeinde bie Meffe zu appliciren verbunden feien. Wir anerfennen gerne das Gewicht ber Beweiſe, welde von ihm und früher von Geig an oben angeführter Stelle für bie bieffalfige Anſicht vorgebracht worben find, müffen aber dennoch geſtehen, daß wir von der behaupteten Verpflichtung nicht überzeugt worden find, und erlauben uns beffalb unfere Gründe furj entgegen« halten, ohne baf wir jebod) beftimmt zu behaupten wagen, εὖ {εἰ eine foldje Verpflihtung durchaus nicht vorhanden.

Fuͤr's erfte bringt bez Berf. zur Grfártung feiner Behauptung lauter Cntfdjeibungen vor, welde fij auf außerbeutfche Diöcefen beziehen, welche nicht bloß vom der Reduction ber Beiertage im S. 1771 fondern aud von ber im S. 1802 betroffen wurden. Diefe zwei Beier« tagsrebuctionen [deinen uns bei ber Beurtheilung unferes Gegenftandes genau auseinanbergehalten werben zu müflen; Auf vieles Zudringen der Bifhöfe und weltlichen Fürften fete Papſt Elemens XIV. bie in bem Kataloge Urband VIL verzeichneten gebotenen Feiertage in aufeinanders folgenden Breven vom 3. 1771—72 für bie Diöcefen des oͤſtreichiſchen Staates und andere deutſche Didcefen um SBebeutenbeó herab, indem er meift nur fünfzehn Befttage als fernerhin nod) zu feiernde bezeichnete nämlich :. nativitas D. N., circumcisio, epiphania, feria secunda post resur- reclionem et pentecosten, ascensio, corpus Christi, quinque dies dicati B. V. M., festa sanctorum apostolorum Petri et Pauli, S. Stephani protomartyris, et unius tantum princi- palioris patroni, wornach von ben früher durch Urban VIII. autorifitten Feſten ungefähr einundzwanzig auéfielen. Die Aufpebung biefer Feiertage war eine vollfiändige, indem der Rapft ben Oläubigen Grlaubnif ertheilte, an denſelben

gewölmfichen weltlichen Gefchäften nachzugehen, ur 1 bet Pflicht entband, bie heil. Meſſe zu höre eduction in Franfreih unb in ben im 3. 1802 | eich gehörigen Didcefen gefchah unter ganz eige hen Verhältniffen. Es handelte fid) zunächft barur akreich den chriſtlichen Kult wieder einzuführen, wn 46 ben Gingangémorten des püpfliden Inbult Apr. 1802 hervorgeht, wurde bem Papſte infinuü da bie Feiertage ſchon vorher nicht febr erbauli m worben feien, es gut fein bürfte, wenn fie πὶ Meiner Zahl anbefohlen würden. Der Papft gi ein, unb Bob alle Beiertage auf, ausgenomm: nis, corpus Christi, fest. Petri et Pauli, nativita 0, assumptio M. V., fest. sanclorum omnium, st aber nur bie bier [eter an ben Tagen, wo | ) eintreffen, zu feiern, bie etften drei aber wie bi atroni auf den naͤchſtfolgenden Sonntag zu verleg Vie Belgifden Bifhöfe und ber Biſchof von Tri bisher vorzugsweife über bie Berpflichtung b t an ben aufgehobenen Feiertagen zu applicit en nad Rom gelangen ließen, hatten hauptfädjli 3. 1802 theils aufgehobenen theils auf ben Son tlegten Feiertage im Auge; umb bie Antwort, d 196 durchgehende bie Verpflichtung bejaht, holt au iche nicht weiter aus, als bie Anfrage fie gegebe Benn εὖ aud) in ben Antworten Allgemeinhin heiß an ben abgefdafften Beiertagen zu appliciren, | ie Entſcheidung bod nur gunádjft auf bem 3nfa ifrage zu beziehen, und biefe hatte mur bie im £ aufgehobenen Feiertage gu ihrem Ausgangspunkt

Verpfllchtung bee Pfarrer oc. 3t

Bir haben fogar eine Entſcheidung für und. Der Biſchof von Namur nämlich nimmt in feine nad) Rom gerichtete Anfrage als einen abgefonderten Punct auf: an sit nune applicanda etiam diebus festig, qui anno 1771 fuerunt per Clementem XIV. suppressi, id est omnibus festis in catalogo Urbani VIII. recensitig? ier wäre εὖ ber Gon» gregatio Interpr. Concilii tridentini fehr nahe gelegen, ftf) über die fragliche Verpflichtung Har unb beftimmt auszus ſprechen, fie hat aber biefen Fragepunct des Biſchoſes mit Stillſchweigen übergangen, und die andern fo beantwortet, daß das Stillſchweigen faft unwiderfireitbar als ein Zus geſtaͤndniß angefehen werden famn, daß fie für bie von Clemens XIV. unterbrüdten Feiertage eine Verpflichtung ber Meßapplication ber Pfarrer nicht auszufprehen wage, Sie fagt nämlich in bec Antwort v. 27. Jan. 1842: „jussit (sc. Sanctitas sua) eidem notificari juxta resolutiones alias editas a S. congregatione, missam pro populo esse a parochis suae dioecesis applicandam omnibus diebus festis liam a S. Mem. Clemente XIV. retentis et deinceps a S. Mem. Pio VIL. die 9. aprilis 1802 swppressis.^ Halt "uan dieſe Antwort gegen bie fo beftimmt formulirte Frage, fo mug man fij wundern, daß bie Gongregation, wenn Re der Anſicht ift, bof aud an bem pon Clemens XIV. abbeftellten Feiertagen von ben Pfarrern applieiet werden wäfle, nicht vor das Woͤrtchen retentis dad andere sup- pressis febie. Wie bie Antwort vorliegt, thut man bere felden gewiß feinen Zwang an, wenn man aus ifc folgert, bie Congregatio Interpretum concilii trident. [εἰ ber Ans fit ober widerſpreche wenigſtens derſelben nicht, daß an den von Clemens XIV. unterbrüdten Seiertagen von ben Viarrern nicht applicist werden mäfle, dagegen erfirede

322 WVrerhoeven s Heuſer

fi dieſe Verpflichtung auf alle von Clemens XIV. noch in Kraft erhaltenen Feiertage, mögen biefelben fpäter noch abgeſchafft ober verlegt worben fein.

Sft unfere Sfuffaffung von der eben angeführten Cnt» ſcheidung ber Congregation (interpr. conc. trident.) richtig, fo fann man annehmen, taf die Pfarrer in den deutſchen Diöcefen, wo nur bie Reduction der Feiertage unter Clemens XIV. ftattgefunden hat, an dem durch ihn unters drüdten Beiertagen nicht für die Gemeinde zu appliciren verpflichtet feien. Eine das Gegentheil ausſprechende Ent⸗ ſcheidung für die betreffenden Diöcefen Hat: Heufer nicht beizubringen gewußt.” Er fagt zwar in ber Einleitung ©. V. auf Anfragen, die er in Köln, Münfter, Trier, Mainz, Paderborn, Freiburg geftellt, {εἰ ihm auf bie bereitwilligfte Weife Antwort zu Theil geworben. Allein abgefehen davon, daß biefe Diöcefen alle, Freiburg aus⸗ genommen, an ber Befttagsreduction von 1802 aud Theil genommen haben, bringt er aus benfelben nichts bei, was aud) nur entfernt bie Gontroperfe zur Entſcheidung führen Könnte. Nur aus ber Diöcefe Münfter werden Notizen beigebracht S. 35 u. 36, welde für bie Anſicht zu ſprechen feinen, daß die Pfarrer an den im S. 1771 abbeftellten Beiertagen pro populo zu appliciren hätten. Allein wenn man bie Sache genauer arfiebt, laͤßt fid auf bie für bie Diöcefe Münfter im 3. 1844 und am 23. Jan. unb 25. Septbr. 1846 zu Rom gegebenen Entfcheidungen ein Bes weis für jene Anfiht nit gründen. Es wird allerdings in einer Entſcheidung geftattet, daß des Biſchof Armere Pfarrer von ber bewußten Verpflihtung an den aufge hobenen Feiertagen bifpenfiren tónne, und in einer arbern, daß ber Biſchof vier Tage beftimme, an benen die Pfarrer

Verpflichtung ber Pfarrer sc. 323

flat aller abgeſchafften Feiertage applicirten, ober daß er fie nach Umftänden auch ganz difpenfire. Hieraus erhellt, daß man in Rom eine Applicationspflicht anerfennt, ba man entweder eine Difpens oder Gompenfation verlangt; allein- e& ift. wohl au beachten, einmal bag in Münfter die Feiertage nicht von Papft Clemens fonbern fdon am 3. März 1770 vom Bilhofe Graf Marimilian v. Königs- egg-Rottenfels aufgehoben wurden 1), ferner daß berfelbe Biſchof nad) Aufhebung der Feiertage im S. 1771 am 14. October eine beftimmte Vorſchrift gab, daß bie Pfarrer an den von ibm abgefdafften Beiertagen (quum gravissimis permoti rationibus diminuendum in dioecesi nostra dierum festorum numerum censuimus) jur Application für bie Gemeinde verpflichtet feien, enblid) dag Münfter ju den Diöcefen gehört, wo aud bie Res duction vom 9. Apr. 1802 ihre Anwendung fand. Die Didcefe Münfter verhäft fih alfo zu der Aufhebung der Feiertage ganz anders, als diejenigen Diöcefen, welde ehedem zu den oͤſtreichiſchen Landen gehörten, und wo bie Beiertage von Elemens XIV. in aller &orm Rechtens aufs gehoben wurben, umb als jene Diöcefen Deutſchlands, welche gleich ben ebengenannten nadjeinanber eine Reduction der Feiertage burd) Clemens erlitten. Die SBeftimmungen, welche für Münfter gegeben find, können daher nicht ohne Weiteres als normgebend für bie lehtgenannten Dioͤceſen betrachtet werden.

Wir haben fobann zweitens gegen bie Beweis— führung Heuſers nod) weitere Bedenken, bie fld) uns aus der Gadje felbft erhoben. Als das Sribentimum für bie

1) Heufer widerfpricht fid) offenbar über biefen Punct in ben Anm. €. 25 u. 26.

Test. Duartalfigrift. 1958. IL. Heft. 22

324 Verhoeven · Heuſer

Seelſorgsgeiſtlichen die Verpflichtung ausſprach, daß fuͤr ihre Schaafe das Opfer darbringen ſollten, hat keine Tage beſtimmt; dieſes bat erſt bie Kirche getha und fonnte es thun. Dan kann auch ohne Wiberre zugeben, daß εὖ ber ausdrückliche Wille der Kirche wi es follten die Pfarrer an allen Sonn» unb δείετίαρ für ihre Gemeinde appliciren. Run aber ift befannt, x febr fid) die Feiertage häuften '), und εὖ fonnte we nidt im Sinne der Kirche liegen, daß jene Berpflichtu auf alle etwa zufällig auffommenben Feiertage fij) αἵ dehne, fondern nur auf diejenigen, welche de praeceq find. Als folde find aber nur diejenigen anzufehen, wel Urban VIIL als „dies pro festis ex. praecepto colendc erflärte. Wie aber Papft Urban aus ber Menge ! Feiertage eine beftimmte Anzahl herausgrifj, unb fte « für die ganze Kirche giltige Feiertage erflärte, fo fom aud) ein Nachfolger jene von Urban feftgefebte Zahl | Feiertage rechtslraͤftig herabfegen, unb eine Πείπετε 8. als ex praecepto ju feiernde anorbnen, wie εὖ Gleme XIV. wirklich gethan hat. Und wie bie Pfarrer an t von Urban bezeichneten Feiertagen, fo lange fie in | Kirche als fórmlid) autorifirte anzufehen waren, für | Gemeinde zu appliciten verpflichtet waren, fo blieb bi Berpflihtung fpäter aud) nur nod) für diejenigen δείετία fteben , welde mit lirchlicher Auctorität aufrecht erhalt wurden, während fie für diejenigen auffórte, welche ı firdjlidjer Auctorität befeitigt wurden. Wir glauben bie behaupten zu fónnen, wenn gleid) unbefizeitbar. (efft daß an den burd) das päpftliche Indult vom 9. Apr. 18

1) Man leſe die Schrift Gerberts „de festorum dierum nume minnendo*, und Sóenebicté XIV. über denfelben Gegenftanb.

Verpflichtung der Pfarrer x. 825

abbeftelften und verlegten Beiertagen bie Application für die Gemeinde gefordert wird, denn bie letztere Reduction der Feiertage bis auf vier ift nur aus Indulgenz geſchehen, um ber Wiederbelebung des hriftlihen Kultus nicht etwa ein Hinderniß in den Weg zu legen, während bie Reduction ‚von Elemens XIV. als eine felbft von ber Kirche nicht bloß vorübergehende, fondern überhaupt nothwendige er» achtet und als foldje vollgiltig vollzogen wurbe.

Da εὖ aud) als Vorfhrift der Kirche zu betrachten ift, daß bie fraglide Verpflichtung für die Pfarrer nur an ben ex praeceplo zu feiernden Wefttagen vorhanden fei 5, fo hätte ausbrüdlich hervorgehoben werben follen, daß troß ber Befeitigung einiger Beiertage jene Ber» pflihtung in ber gleichen Ausdehnung auch für bie bes feitigten Feiertage fortbeftehe. Das ift aber dortmals nicht geſchehen unb ift wenigftens bezüglich ber von Clemens XIV. aufgehobenen δείετίαρε bis jegt nicht mit Beftimmtheit geſchehen. Die Pfarrer (deinen daher in ihrem Rechte du fein, wenn fe an ben im S. 1771 abbeftellten Feier⸗ tagen bie Application pro populo nicht mehr als eine ihnen pflihtmäßig obliegende anfehen, wie denn aud) fein Biſchof je nachher biefe Verpflichtung infinuirte. Damit foll aber nicht gefagt fein, daß, wenn je bie Verpflichtung fortbeftanden haben follte, biefelbe durch bie faft hundert» jährige Unterlaffung per ‚consuetudinem tedjtéfráftig er» loſchen fei, wie einige behaupten wollen, ba wohl einer folgen Verpflichtung gegenüber eine Verjährung burd) Gewohnheit nicht Platz greifen kann.

Man fann aber fiherlid in unferer Gontroverfe aud)

1) CL. Bulle Benedicto XIV. v. 3..1744. Quum semper. $. 5. 22*

326 ¶Verhoeven » Heufer

darauf aufmerffam machen, baf bie Pflicht des Pfarrers ür feine Gemeinde bie Meſſe zu applieiren in einer Eorres pondenz ftebt mit ber Pfliht der Gläubigen, bie Mefie u befuhen. Hört nun bie leßtere rechtmaͤßig auf, fo if vie Vermuthung dafür, baf aud) bie erfte aufgehört Habe, venn nicht ber audbrüdlid)e Wille ber Kirche anders be: timmt. Daß ein foldhes correlatived Verhaͤltniß απ’ jenommen werden bürfe, geht aus ber Bulle Benebicte XIV. Quum semper v. S. 1744 $. 7. hervor. Diefe Bapft hatte nämlich geftattet, daß bie Gläubigen an einigen Feiertagen, bie fpäter von Clemens XIV. vollfünbig ab. jeſchafft wurden, arbeiten dürften, aber guerft eine Meſſe vefuchen müßten, unb hier begründet er bie Verpflichtung ver Pfarrer, die Mefle für das Volk zu appliciren, aus γεν Verpflichtung der Gläubigen fie zu befuchen: Nos, fag! t, ut obortae jam dubitationes circa onus applicationis nissae parochialis in hujusmodi diebus festis penitus eli- ninentur, statuimus et declaramus, quod etiam iisdem eslis diebus, quibus populus missae interesse debet et 'rvilibus operibus vacare polest, omnes animarum curam ferentes missam pro populo celebrare et applicare tene- mtur. Diefelbe Anſicht theilt aud) iguori, indem er fij wif bie ebenangeführte Stelle SBenebicté beruft und fagt: cum hae obligationes sint correlativae, in quibus enim iebus tenetur populus audire missam, tenetur parochus lam celebrare ').“ Es daͤucht uns daher, εὖ hätte bei fuffebung ber Verpflichtung des Volkes zur Anhörung et hl. Meſſe an getoiffen Tagen auebrüdlid) hervorgehoben verden follen, daß bie entfpredhende Berpflihtung ber

1) Theol. Moral. lib. VL tract. III. nr. 314.

Verpflichtung ber Pfarrer sc. 327

Pfarrer zu appliciren nicht aufhöre. Denn daß die Kirche diefe Beftimmung geben fónne, bezweifeln wir nicht, das aber, daß fie diefelbe wirklich gegeben habe, und baf fle ſchon bei der erfimaligen Aufhebung einer Zahl von Feier⸗ tagen in ihrer Intention gelegen habe.

Wir haben enblid) drittens gegen bie Beweis— führung Heuſers noch Bedenken, bie fih auf Theologen von anerfanntem Anfehen fügen. Unter den ältern ers wähnen wir ben vorhin genannten iguori, ber lib. VI. tract. II. nr. 324 fg. von ber Verpflichtung des Piarrers zur Mefapplication handelt. Unter Bezugnahme auf bie mehrerwähnte Bulle Benedicts XIV. „Quum semper* et» Hört er fid) dahin, daß ber Piarrer an Eonn- und ger botenen #efltagen (festis diebus de praecepto) für bie Gemeinde zu appliciren unter allen Umftänden verbunten fel, ob er wenig ober viel Einfommen beziehe. Hält man diefes zufammen mit bem, was er L c. nr. 314 über die Verpflihtung der Pfarrer zum Celebriren überhaupt fagt: „communiter et verius dicunt alii teneri (sc. parochum) ad celebrandum tantum diebus festis, in quibus tenentur parochiani missam audire*, fo macht man gewiß mit Recht den Schluß, es liege ganz im Sinne Liguori's, daß, wenn die Glaͤubigen durch die rechtmaͤßige kirchliche Auctorität von der Pflicht entbunden ſind, an fruͤher beſtimmten Tagen die Meſſe zu hoͤren, ebendamit auch der Pfarrer entbunden fei, für feine Gemeinde zu appliciren. Dieſen Schluß hat freilich Liguori nicht ſelbſt gemacht, da er noch keinen Bezug auf abbeſtellte Feiertage nimmt, aber er liegt in Folge der Prämiffen, wie fie ſich in feiner Moral finden,.auf ber Hand.

Gouffet, Erzbiſchof und Garbinal von Rheims, ben

328 DVerhoeven » Heufer

gewiß Niemand eines zu großen Laxismus befdufbiget wird, fennt eine Verpflihtung des Pfarrers zur Meß application für bie Gemeinbe nur an den Sonn» umi gebotenen Feiertagen (tous les dimanches et fétes di commandement), obgleich zur Zeit der Herausgabe feine Moral bie von Verhoeven und Heufer benügten Entſchei dungen von Rom [don befannt waren. „Durch gótt idee Recht, fagt er weiter über biefen Grgenfland !) find die Bifhöfe, Pfarrer ac. verpflichtet, von Zeit zu Zei für diejenigen Seelen, welche ihrer Obhut anvertraut find bie hi. Meſſe zu arplieiren Ctrident. sess. XXII. cap. 1 de ref); vermöge firhlihen Rechts aber find fi diefes zu thun verpflichtet an den Conn» und gebotener Beiertagen felbft in dem Balle, wenn ihre Einfünfte zum Unterhalte nicht hinreihen follten. Nur fann im lepterr falle der Biſchof erlauben, baf der Pfarrer die Application wenn er auf den Eonntag ein Etipendium hat, auf einen andern Tag verfdjiebe. Gouffet glaubt fogar, der Bilde! fönne einen armen Pfarrer auf eine gemife Zeit gan; bifpenfiten.

Wenn nun nad) angefehenen Moraliften bie Verpflich— tung ber Pfarrer zur MeBapplication pro populo nur an ben Conn» und denjenigen Beiertagen befteht, bie de praecepto zu feiern find, und Papft Glemené XIV. ex spostolica aucloritate beftimmte, daß nur bie Feiertage de praecepto zu feiern fein follen, welde wir jegt nod) in Deutſchland zu feiern pflegen, fo find gewiß Bedenfen gegen eine weiter auszubehnende Verpflichtung gerecht» fertigt.

1) Theologie morale etc. par Gousset. Tom. IL p. 125.

Verpflichtung der Pfarrer γε. 329

' Bir glaubten feinen Anſtand nehmen zu dürfen, bie Bedenken, wie fie fid) uns bei Durchleſung des beſproche⸗ nen Schriftchens aufbrängten, auéjufpreben, ohne daß wir darauf Anſpruch madıen wollten, die Unrichtigfeit der dort aufgeftellten Anficht bewiefen zu haben. Wir glauben überhaupt, daß fid biefe Gontroverfe auf dem bloßen Ge⸗ biete der Wiffenfhaft bis zur vollen Evidenz ſchwer heben laffen wird. uf der andern Eeite fann nidt entgehen, daß eine Gontroverfe in einem Gegenftanbe, ber von fo großer practifdjer Bedeutung if, und das Gewiſſen des größten Theils des Seelforgelerus unmittelbar berührt, je länger fie dauert um fo bedenflicher werden muß. Der einfachfte und fiherftie Weg zur Hebung derfelben dürfte wohl ber fein, wenn bie deutſchen Biſchoͤfe, ſoweit ihre Diöcefen nur von der Feiertagsreduction Clemens des XIV. betroffen. wurden, entweder insgefammt oder nad) Rändern, begiehungsweife Provinzen abgetheilt, eine Deftimmte Erflärung der Congregatio interpr. concil. trid. oder ber C.ngregatio sacr. rituum über biefen Punct veranlaßten, und in Folge beffen ihrem Seelforgselerus flat [autenbe Vorſchriften gäben.

Bendel, Gonbictóbirector k.

* Nachtrag. Inzwiſchen ift ein Graf. des Bifchöfl. Drbinariats in Rottenburg erſchienen, worin tie gefammte Piarrgeiſtlichkeit zur gewiflenhaften Beantwortung folgens der Fragen aufgefordert wird: 1) Haben bie Piarrgeifte lijen an ben abgewürdigten Beiertagen das heilige Meß⸗ epfer pro populo applicitt?

2) IR, fo lange und fo oft eine bießfällige Unter» lafung fast fatte, biefelbe in bem guten Glauben, ald

330 Verhoefen⸗Heuſer, Verpflichtung der Pfarrer sc.

wäre mit der Verbindlichkeit des Volles zur Anhörung ber heit. Meſſe aud) die Verbindlichkeit der Pfarrer zur Apr plication aufgehoben, geſchehen? Diefe Bragen werben, wie in bemfelben Exlaffe angebeutet ift, mur deßwegen geftellt, um biefe practifch fo wichtige Angelegenheit burd) die hoͤchſte kirchliche Auctorität normiren zu laffen, eine Abſicht, bie gewiß von jedem gewiflenhaften Geiſtlichen gebilligt werben wird. Indeſſen dürfte bie hoͤchſte Cnt» ſcheidung in biefer Angelegenheit zum Voraus ziemlich fiyer fein, denn c8 fommt ung eben ein Decret der Congreg. interpr. concil. trid. in dem Salzburger Kirchenblatt Ar. 4 1853 zu Gefihte, worin die angeregte rage für bie Diöcefe Olmüg entídieben wird. Wir glauben diefes Derret um fo mehr wörtlich beifegen zu follen, als unfere in obiger Anzeige aufgeftellte und vertfeibigte Anſicht darin vollftánbig beftátigt wird, und baffelbe geeignet ift, mande beunruhigten Gemiffen zu beruhigen, weil dasjenige, was für die Diöcefe Olmüg Hinfichtlich der durch Clemens XIV. abbeftellten Feiertage gilt, aud) als für bie andern deut⸗ ſchen Diöcefen giltig angefehen werden fann. Diefes Decret lautet: Perillustris ac reverendissime Domine uti frater. Relatio sanctissimo Domino nostro per infra- scriptum secretarium S. Congregationis Concilii adjunctis precibus datis nomine Amplitudinis tuae, Sanctissimus mandavit praesentem ad Amplitudinem tuam scribendam esse eum in finem, ut Eidem nolificetur non teneri pa- rochos ad applicationem missae pro populo enuntiatis diebus festis, quibus permissum fuit eidem populo vacare operibus servilibus et sublata fuit obligatio missam audiendi, cum non comprehendantur in declarationibus facis a summis pontificibus Pio VI et Pio VII quoad festos

Müller, Jahrbuch ber kathol. Kirche, 331

dies ab iisdem derogatos. Haec sanctitatis Suae mandata dum per praesentes exequimur, eidem Amplitudini tuae fausta omnia precamur a Domino. Amplitudinis tuae, vti frater stud. Romse, 28. September 1852. C. Card. Patricius. A. Quaglia, Secretarius.

3.

Jahrbuch der römifch-katholifchen Kirche, Herausgegeben von Iofeph Heinrich Müller. Zweite Ausgabe. Berlin 1852, Verlag von Th, Grieben. 8. 314 ©. Pr. 36 ἔτ,

Ein Jahrbuch der römifch-Fatholifchen Kirche, in feinen Angaben verläjfig, in den ſtatiſtiſchen Notigen richtig, in den hiſtoriſchen Aufzeihnungen genau und bündig, in ben Ueberfihten Mar, ἐξ gewiß eine willfommene Grídeinung für alle Freunde der Gefdjid)te und eine Bundgrube von Daten, tamen. und Thatfahen für fpätere Zeiten. Allein jum Voraus leuchtet ein, daß ein foldes Unternehmen eine Kenntniß von ben Einzelnheiten des perfönlichen und ſaktiſchen Beftandes in der ganzen Fatholifhen Welt vor» ausfeßt, wie fie von einem Privatmann faum erwartet werden kann. Wenn daher das vorliegende Yuch, welches als erfter Verſuch diefer Art auftritt, viel Unvollftändiges enthält, fo liegt bie in der Natur der Sache und darf man ben guten Willen des Verf. nicht entgelten laſſen, im Gegenteil man wird das Sud) als eine erfreuliche

332 SRüfler,

Grídeinung begrüßen bütfen, wie e& im benn zur Gav pfehlung gereidjt und als ein Seugni für das vorhans - bene Bebürfnig angefehen werden muß, daß bereits bit 2te Ausgabe veranftaltet wurde.

Betrachten τοῖς näher, was und ber Verf. dargebo⸗ ten hat.

Suerft fommt das Fatholifhe Kirhenjahr mit feinen Feſten und Heiligentagen, mit einer Tafel für die beweglichen Befte bi zum Sabr 1883. Die Aufzählung der auf bie einzelnen Monatstage vertheilten Heiligen, bei denen jedesmal ihr Eterbetag, was wir billigen, ans gegeben ift, wie aud, in welden Etädten fle als Patrone verehrt werben, geht bis (5. 30 und fönnte für bie Zur Tunft in biefer Ausdehnung wegbleiben ober in eine flereos type tabellarifche Form gebradjt werben, wogegen natuͤrlich neu erigirte Gefttage von Heiligen befonbere Erwähnung im Jahrbuch zu finden haben.

Das Gleife gilt von den Epifteln und Evan gelien auf die Conn» und efttage, welde bis G. 39 zeihen. Nun folgt: ber heilige Vater und bie Eardinäle Die Namen und Daten der Geburt, bet Titel und Würden und ber Ernennung find angegeben. Es find 6 Cardinalbiſchoͤfe, 47 Garbinalpricftet, 11 Gars dinaldiafonen, zufammen —:- 64 aufgezählt. (Der Ber fand hat fi) feither wieder verändert). Zur Bequemliche keit des Leſers dürfte εὖ gereichen (und biefe ift bei ſolchen Büchern ganz befonders hoch anzufhlagen), bie Zahl ber Garbináfe αἰεἰῷ zum Voraus in Ziffern anzugeben, wie aud) das Alter des Papftes unb ber übrigen hohen Wuͤr⸗ denträger ber Kirche. Die Lefer wollen nicht lange rechnen und zufammenzählen, fondern nachſchlagen und fehen:

Jahrbuch ber kathol. Kirche. 333

dieſer oder jener SBifibof ift fo unt fo aft. ' Nun werben die höheren Beamten des päpfllihen Staates und Hofes aufgezählt, der Minifterraty, Staatsrath, Penitenzieria apostolica (unvollfändig), apoftolifhe Kanzlei, Dateria apostolica, Sacra Rota romana (unvolftändig), apoſtoliſche Kammer, Hausprälaten. Die SBefegung der gegatens unb Delegatenftellen war αἵδ᾽ jur rein politifchen Eintheilung des Kirchenftantes gehörig nicht gerade notbmenbig. Der Kirhenftaat umfaßt 748 DM. mit 2,900,000 Einwohnern (ungeredbmet ungefähr 10,000 Juden). SBapft Pius IX. if 61 Jahre alt, ber gegenwärtige Proftantsfecretär ift der Carbinalbiafon Giacomo Antonelli, 47 Jahr alt.

€. 53—57 if das diplomatifhe Corps zu Rom und bie Confuln verzeichnet. Hieran hätte fi) natur gemäß gereiht oder nod) beffer hätte ihm vorangehen koͤn⸗ nen bie Aufzählung ber päpftliben Nuntiaturen in andern Ländern, welde im Buch bei den einzelnen Ländern nad den geiftlihen Würdenträgern zerſtreut ſtehen. G6 wäre nicht blog bie Ueberſicht erleichtert worden, fondern aud mehr in die Augen gefprungen, bei welden Staaten der päpftlihe Stuhl nicht vertreten ift.

Run folgen die fatfoliíden Stegenten und Präfis benten (gehört hieher nicht aud ber Kaifer δαμβίπ 1. von Hayti Y), und andere Fatholifhe Fuͤrſten, Herzoge unb ebenbürtige Grafen (jebod auf Deutſchland ber féránft). ©. 72 eine „Zufammenftellung derjenigen Mit glieder vormals reihsftändifher Familien, welche feit bem Ende des 16ten Jahrhunderts zur Fatholifhen Kirche qu» tüdgefebrt find.” Es find deren 80 aufgeführt von 1516 bis 1825. Der regierende Herzog Friedrich Ferdinand von Anhalt⸗Koͤthen ift als der legte genannt. Dieſes Vers

334 Müller,

zeichniß befchränkt fij gleichfalls auf deutſche Haufe Wir entnehmen daraus, daß Gonverfionen flattgefunde haben vom Haufe Baden 5, Naffau 3, Sachſen 11, Bran benburg 1, Anhalt 2, Hefien 8, Braunſchweig 2, Holftein Würtemberg 3, Meklenburg 2, Pfalz 7. Diefes Verjzeichni mwünfchten wir fortgefegt und ausgedehnt auf auferbeut[d Fürftenhäufer, aber aud) auf andere durch Stellung un Gelehrſamkeit hervorragende Perfonen, befonberé neuer Zeit.

Einen wichtigen unb danfenswerthen SBeftanbtbeil de Jahrbuchs macht bie Perſonalſtatiſtik ber fatbol fhen Kirche in Preußen, wie aud) ber Etat für be katholiſchen Eultus in Preußen auf das Jahr 1852. Prer fen zählt unter 16,346,625 Einwohnern 6,046,292 Kath Iifen in 2 Erzbisthümern und 6 Bisthümern. Die fta lichen Rechte wahren 4 Perfonen, der Eultminifter (gegenn v. Raumer) und bie Abtheilung für bie kathol. Kirchen angelegenheiten unter Direktion des Geb. Ober-Reg.-Ratt Aulife der vortragende Rath Dr. Brüggemann und al Hilfsarbeiter ber Geb. Juſtizrath von Gllerté. Hierau Taffen fid) praftifche Folgerungen ziehen für andere Länder Wir finden nun nicht blos bie namentliche Anführung de Biſchoͤfe, Prälaten und Domherrn, fondern aud) bie De fanate unb die Namen ber Defane verzeichnet. Lehtere ſcheint uns in einem Jahrbuch ber roͤmiſch-katholiſche Kirche überflüffig und dürfte die Angabe ber Defanat und Archipresbyterate genügen.

Sodann ift zu tadeln, daß bei ben Bifchöfen Preußens wo bod) die Quellen für ben Verf. am ergiebigften flofen nicht bie Daten ihrer Geburt und Ernennung nebft Furzem Sebenéabri angegeben find. Da bie Biſchoͤfe hiſtoriſch

^ Jahrbuch ber fato, Kirche. - $35

Perſonen find, fo follte bie in einem ſolchen Jahrbuch nicht fehlen. Belehrend für unfere Verhaͤltniſſe ift bie Drganifation der preufifdjen Orbinariate. Jedesmal find angegeben bie Mitglieder 1) des Domkapitels mit Doms propft unb Sombefan, 2) des Bifhöfl. Generalvifariats unb Offizialats, 3) des Biſchoͤfl. geiftlihen Gerichts in 3 Inftangen, wobei aud) ein weltliher Syndikus ober Juſtitiar aufgeführt if. Unter ben Diöcefaninftituten findet fid) nebft bem Priefterfeminar aud) ein domus Eme- ritorum unb domus Demeritorum, welche jedoch theilweife „ihre Ginridtung erwarten“, wofür aber im Etat nam» bafte Summen auégefegt find. Aus bem Etat ergiebt fi, daß bie Ausfattung der Bisthümer unb bet bazu gehörigen Inſtitute beträgt für das Bisthum Ermland zu ᾿ Srouenbutg . . . . 42,789 Sfr. 16 Sgr. 6 Pf. » » m Gulm ju Belplin 43,761 27 , 4, » « Crubietum Onefen unb Son. . . . 82576 , 19 , » »ν Bisthum Münfter 56415 , , "Em " Paderborn 47,639 , 6 , „„Erzbisthum &óln 87841 » Bisthum Trier . 54535 Zuffe für Geiſtliche und Kihen ..... 974345 u , u Zur Bortfegung des Doms baus in Köln . . . 5000 ,— un u "u δε Reubaues einer zweiten fath. Kirche in Bein ....100 n ,— , Zur Errichtung einer Emeris

"|[oc-. 203 o5 xo

336 Miller,

tenanftalt im Kloſter Bin» nenberg für das Bisthum Münfer.. . . . . 10,000 Thle. €gr.— 9 Demeritenhaus für das Erz⸗

bisthum Köln im Kloſter

Marienthal . . .. 7000, ,—, Demeritenhaus für Trier 9,00 , u

Jeder Biſchof hat 8000 Thlr. jährliches Einfomme bie 2 Erzbifhöfe von Köln und SBofen und der Füuͤrſtbiſch von Breslau je 12,000 Str. .

Die hohenzollern'ſchen Pürftenthümer find im obig Zufammenftellung nidjt berüdfichtigt und ift ihre τώ! Statiſtik febr mangelhaft aufgeführt, da blos ber Det Emele zu Sraudjenmieó genannt ift.

So ausfuͤhrlich die Mittheilung über ben Beftand d fatholifhen Kirche in Preußen ift, fo dürftig find a übrigen Länder ber Chriftenheit davon gefommen. ( find blog bie Namen ber Biſchöfe angeführt, von Nor amerifa b[o8 6, während bie Zahl ber Bisthümer 40 übe fliegen hat. (€. 260 u. ff. gibt ber: Verf. eine fpezielle Schilderung der fatf. Kirche in Nordamerifa, an wel fib eine Charakteriſtik der verſchiedenen hauptfächlichft Selten bafelbft anfnüpft. . Was Defterreid) betrifft, bringt der Verf. für diesmal nachträͤglich S. 234 ff. t Perfonalftatiftif ber Erzdiöcefe Wien nebft einem Be zeichniß der Klöfter in ihr, unb verfpricht weitere Mi theilungen für. fpäter.)

Die Statiftif ber Fath, δ τῷ ε im Allgeme nen (6. 160—172) gibt zuerft eine Ueberſicht ber fat Miſſionsthaͤtigkeit. Auch hierin ift für nachfolgende Banl reicher Stoff übrig. Es ift z. B. des äfterreichifchen Le:

Jahrbuch der kathol. Kirche. BT:

poldinenvereins nicht erwähnt, aud) bag in Bayern ein befonberer Verein, ber Rudwigsverein, für bie auswärs tigen Mifftonen befteht, bem fid) aud) bie Diöcefe Rotten⸗ burg angefchloffen hat. Auch ber Verein von ber Kinds heit Sefu, wie aud) ber Bonifaciusverein für Deutſch⸗ land follte nothwenbig fpäter eine Erwähnung finden, wie aud) bie verfdjiebenen veligiöfen Gongregationen, bie fid befonder8 bem Miffionswerf unter ben Heiden widmen, und bie Propaganda in Rom als oberſtes leitendes Organ der Kirche. Die weitern Nachrichten über bie Zahl ber latholiſchen Einwohner in ben verfchiedenen Ländern, ven Beftand der Geiftlichkeit, der Klöfter, Pfarreien, aud) der lirchlichen Ginfünfte bieten manches Sntereffante bat, aber fie ermangeln vielfach der erwünfchten Grünblidfeit. Nehmen wir 2, B. Franfreih (S. 16%. Da heißt t6, e$ habe 33,600,000 Katholifen. Beftand ber Geiſt⸗ lichkeit 40,240 Perfonen. „In mehr als 4000 Klöftern lóten 1847 24,000 Kloftergeiftlidhe, wovon inbef etwa drei Viertheile weiblihen Geſchlecht s fif bem Kranfendienft unb ber Erziehung gemibmet haben.“ Da war bie Beber denn bod) zu flüchtig! Bei der Zahl ber Kirchen und Kapellen ift bud) einen Drudfehler eine Null viel: 51,3000 ftatt 51,300. Bei England ift die neue Diöcefaneintheilung mod) wit berüdfichtigt, obgleih Hr. Wifemann vornen ſchon als Erzbiſchof von Weftminfter unter den Kardinälen fommt. Die Zahl der Katholifen in Großbritannien ift nod) bie von 1844, während gewiß neuere Quellen zu Gebot ſtehen. G6enfo bei Defterreih, wo auf das Jahr 1842 zurüds gegriffen ift. Die Zahl der ftloftergeiftiden in Preußen wird auf

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988 ΄ Miller,

2000, die der Nonnen auf 1000 gefhägt. Da der Verf. die ‚Perfonalftatiftit von Preußen fo fpeziell behandelte, marum Dat er nicht aud) bie Ordensgefellfchaften und ihren Beftand fpeziell erwähnt? Wir möchten die Richtigfeit biefer Ziffern bezweifeln.

Das katholiſche Belgien, das fo reichen Stoff für ein Sabrbud) ber Fatholifhen Kirche liefert, ift faft gar nid berüdfichtigt.

Bon €. 173—197 gibt der Verf. eine „hronologifd Ueberfiht der Geſchichte von Religion und Kirche in Frank— reich während des Schredensjahres ber Revolution vom Juli 1793 Juli 1794" ig orm eines Diariums; unt von G. 198— 233 bie „Chronologie der Päpfte, bis au Honorius IIL" (1216). Diefe Einrichtung ift lobenswertt und zwedmäßig. Wir finden naͤmlich bie Jahrzahl ber Gr. Bebung eines jeben Papftes auf ben bL. Stuhl, Namen Heimath, bei ben fpätern bie familie und einige biogr Daten, Todesjahr unb Tag. Unter jedem Papft ftefer die während feines Pontififats ftattgehabten wichtiger kirchlichen Exeigniffe mit Angabe der Jahreszahlen.

Hierauf folgt eine Ueberficht der „Fatholifchstheologi fen Lehranftalten in Deutfchland“, ein dürres Verzeichnif von tamen. Hier wäre wieder ein weites Feld für ber Ehroniften; er koͤnnte Notizen bringen über bie alten Fath Univerfitäten, über bie bermalige Stellung der katholiſcher Bafultäten unb theologifchen Lehranftalten; nähere Daten über bie Profefforen, Geburt, Anflellung unb befonderd aud) die Fächer, welche fie vortragen. Warum find einige Bayern und Deftreicher als Dr. bezeichnet, alle übrigen aber, bie Doktoren find, nicht? Bei Hildesheim if die katholiſch⸗ theologiſche Lehranftalt gar nicht erwähnt,

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Jahrb uch der kathol. Kirche. 889

aud bie in Mainz fommt nicht vor; bei vielen öfters teichiſchen und bayerifchen theologifchen Rehranftalten ifi mrt ber Rektor angeführt. Diefe Partie läßt alfo Vieles m wuͤnſchen übrig.

Die Nachrichten über bie katholiſche Kirche in Nord⸗ amerifa unb über bie verfhiedenen Sekten daſelbſt haben τοῖς (djon erwähnt. Solche Mittheilungen find willfommen.

Zum Schluß verzeichnet der Verf. die kath. Literatur Deutſchlands und Frankreichs im Jahre 1851; die frans zͤſiſche Literatur befchränkt fid) aber auf bie Haupterſchei⸗ nungen ber [eten Monate. J

Rachdem wir den Inhalt des Jahrbuches durchge⸗ gangen, haben wir noch einige allgemeine Bemerkungen wu maden.

Wir vermiffen bei bem Jahrbuche einen befimmten m Grund liegenden Plan; der Verf. hat fid in feinem Borwort darüber ausgefprohen und aus dem Bud) felbft if er nicht zu erfennen. Ein Jahrbuch) der roͤmiſch⸗katho⸗ liſchen Kirche follte fid) aber nothwendig einen feften Plan dorzeichnen, und große Klarheit und Ueberfichtlichkeit an» freben, weil fonft das große Gebiet nicht zu überfchauen ift.

Bor Allem follte unfrer Anfiht nad) die Jahrzahl, für welche das Jahrbuch gefchrieben ift, durchweg als ber terminus a quo feftgehalten fein, der Titel follte das (don ausbrüden; Jahrbuch ber r. f. Kirche für das Jahr 185. uf. w. Sonſt fat man feinen Anhaltspunft; ein Jahr⸗ buch, das Dezennien umfaßt, ift Fein Jahrbuch. Sodann if Vieles in ber kathol. Kirche ftabil, was nicht jebes Jahr παῷ feiner ganzen Ausdehnung wieder gebracht werden kann. Das follte tabellarifitt, und nur bie ein» gelretenen Veränderungen follten im Gontert befonderd

Siesl. Ouartalſariſt. 1858. 11. Seft- 23

340 Müller, Jahrbuch ber kathol. Kirche,

bemerkt werben, ober e8 fann auf den früheren Jahrgang sertoiejen werben, wenn feine Veränderung eintrat.

Es ift nicht móglid, von allen Ländern in jeden Jahrgang alle einfdjágige kirchlich- fatiftifche Notizen zu liefern; dagegen ift e8 nicht zu tadeln, wenn biefelben 1adeinanber fpeziell aufgeführt werden. So fónnt |. 9. zunaͤchſt Defterreich, Bayern, bie oberrheiniſche Kit henprovinz jur Darftellung kommen, worauf in ben fpäter Jahrgängen nur bie Veränderungen nadjgutragen wären Diefe Darftellungen follten aber bann genau und um faffenb fein. .

Bei einem kirchlichen Jahrbuch dürfte bann ftatt b: Raatlihen Eintheilung beffer die Firhliche Eintheilun bet Welt zu Grund gelegt werben und bie ftaatliche neben her laufen, denn die Kirche fennt feine Landesgrenzen.

Auf das Drdenswefen dürfte größere Rüdfid genommen werden, umb bie einzelnen Orden. mit ihre Beneralen, ihren Provinzen, bem Beftand ihrer Klöfte nacheinander jur Darftellung kommen.

Dann wären die kirchlichen wichtigen Ereigniffe be Jahrgangs aufzuzeichnen, unb an bief ετῇ andere hiſtoriſch Üeberfidjten und Zufammenftelungen zu reihen.

Wir verfennen bie Schwierigfeiten, bie zu übertoinbe inb, allerdings nicht, ſprechen all bie aud) nidjt als Sabe jegen den. Verf. aus, fondern möchten mur durch bief Bemerfungen etwas dazu beitragen, das aud) (don ü einer gegenwärtigen Geſtalt viel Brauchbares und Be ehrendes enthaltende Buch für bie Fünftigen Iahrgäng no braudjbarer und bedeutender zu machen.

Eduard Vogt, Stabtpfarrer zu Ludwigsburg

Netrolog.

Profeflor Dr. von Drey wurde zu Killingen, einem dilialorte der Pfarrei Röhlingen bei Ellwangen am 16. Det. 1777 geboren und am folgenden Tage zur hl. Taufe ger bracht, wo er ben Namen Johann Sebaftian erhielt, Seine Eltern waren in hohem Grabe bürftig; fein Vater ein Hirte. Während der Knabe die Elementarſchule in Röhlingen befuchte, bemerkte der dortige Pfarrer, P. Martin Siegfer, ein Grjefuite, von welchem Drey ſtets mit hoher "tung fprad), feine hervorragenden Talente, begann ihn in den Anfangsgründen der lateinifchen Sprache zu unters täten, und beflimmte bie Eitern, benfelben tret ihrer Armuth im Herbſte 1787 dem Gymnafium zu Ellwangen iu übergeben. Der wohlthätige Sinn ber Einwohner Ell⸗ wangens machte, wie vielen andern armen Knaben und Jünglingen, aud) bem jungen Sebaftian das Betreten der wiſſenſchaftlichen Laufbahn möglich, zumal ihn P. Ziegler an feine alten Freunde und Orbensbrüber in Ellwangen, die aud) nad) Fürzlich erfolgter Aufhebung des Jefuitens ordens nod) Profefforen am Gymnaſium geblieben, empfob» lm und durch fie feinem &djüglinge fogenannte Kofttage‘

23 *

342 Nekrolog.

und Wochengelder verſchafft hatte. Fuͤr bie noͤthige Schulbuͤcher aber wurde dadurch geſorgt, daß vermögli dre Gymnafiſten höherer Klaſſen ihre entbehrlich gewor denen Exemplare zum Gebrauche uͤberließen. Drey macht ſolche Fortſchritte, daß er ſchon nach wenigen Jahre anderen Schuͤlern als Privatinſtrultor dienen und fo fein äußere Lage einigermäßen verbeffern fonnte. Unter be Lehrgegenftänden zogen ihn jegt beſonders bie lateiniſche Hiftorifer an, und bem Schulgange vorauseilend la6 « fie privatim mit allem Eifer, lernte die eingefloctene Reden, namentlid) von Livius, auswendig, und beclamir! fe auf δεῖν und lur. Ein Marfftein oder Holafı mußte als Rebnerbühne dienen. Etwas fpäter lernte « aud) Horaz liebgewinnen, unb εὖ blieb biefer neben Liviu fein Lieblingsfehriftfieller, fo daß er in fpäten Jahren no in beiden mit Vergnügen las, ober aud) von Andern, ;.2 dem Schreiber dieſer Zeilen, fi daraus vorlefen lief. - tad) bem Studienplane ber Jefuiten zerfiel ihre Lehranſta in Ellwangen in bie eigentlichen Gymnaſial⸗ und die hoͤht ven Lycealklaſſen. In den erfteren. flanb bie Philologi in ben fegtern Phyſik und Philofophie im SBotbergrunt des Unterrichts. Als mun Drey in biefe höhern Klaſſe überging, wurde er auf bie Empfehlung feiner Lehre Inftruftor in dem Haufe des fürftlich ellwangifchen Kanzler von Baur, und that fi aud) jept wieber in feinen Stu bien mit großer. Auszeichnung hervor. Mit ihm wei eiferten feine theilweife gleih talentvollen Mitfcyüle Diemer, Werfer und Weinſchenk, trog der Rivali tät ihm innig befteunbet und fortwährend von ihm auf richtig geliebt. Der erſtere flarh frühzeitig als JOberamb mann in Reresheim; die beiden andern wurben SPrieftr,

Nekrolog. 343

und wie wir fehen werden, fpäter mehrere Jahre lang Drey's Eollegen in Rottweil. Die bebeutenbften. Lehrer aber, deren Unterricht Drey in Ellwangen genoß, waren die drei Erjefuiten P. Reb, P. Wagner und P. Gmer; bei dem Letztern, dem tüdtigften unter ihnen, hörte er insbefondere Mathematif und Phyſik, und erhielt vurch ihn eine Liebe zu dieſen Diſciplinen, welche nie mehr ver⸗ ſchwand. Rah AOjährigem Aufenthalte in Elwangen begab fid Drey im Herbie 1797 nad) Augsburg, um dort unter Hohenbuͤchler, Feind! unb Stofe bie Theologie, und unter dem damals berühmten Zallinger das Kit chenrecht zu ſtudieren. Um fid) bie hiezu nöthigften äußern Mittel zu verfchaffen, übernahm er zugleich die Stelle eines Imftruftors im Haufe des Zollverwalter8 an der Berta »Brüde, eines Stalieneró, durch beffen Umgang er fi in der italienifchen und franzoͤſiſchen Sprache ſeht übte. Unter feinen Mitſchuͤlern aus dieſer Zeit ſtand ihm beonberé ber jeßige Domdefan von Saumann in Rote tenburg febr nahe, unb beide blieben von ba an 56 Sabre hindurch enge verbunden. Auch Drey’s freundſchaftliches Verhaͤltniß zu dem hochw. Bifchofe Peter Mirer von Gt. Ballen datirt fid) aus biefer Zeit. Nach zweijäh« tigem Aufenthalte in Wugsburg trat Drey mit Jaumann und Andern am 4ten Rov. 1799 in das Priefterfeminar der augéburger Diöcefe zu Pfaffenhauſen (Landgerichts Mindelheim) ein, wo der geiftl. Rath Roͤſle damals Regens, der fpäter berühmt gewordene augsburger Doms befan Egger aber Stepetent war. Schon in Augsburg, nod mehr im Seminar begann jenes Leiden fi zu ent wideln, weldes gerade bie beſten Mannesjahre Drey’s vielfach tnibte bie Oypochondrie; angeſtrengte Studien

344 : Nekrolog.

und gebrüdte finanzielle Verhaͤltniſſe ſteigerten das Uebel ſchon im Entſtehen, und mitunter in Folge bavon zeigte Drey bem jugendlichen Frohſinn feiner 70 Coalumnen gegenüber bereits ein fo gefeptcó Welen, daß fie ibn deßhalb, fowie wegen feiner großen Kenntniffe ſcherzhaft ben „Profeſſor“ nannten. Aber aud) bie ſtaͤrkſten Leiden fonnten fein freundliches, fanfte& und wohlwollendes Weſen midt unterbrüden. Im Mai 1800 drangen die Bram gofen in Schwaben vor und ſchlugen fid bei Mindelheim fo daß man ben Kanonendonner in Pfaffenhaufen hört und die Seminariften entließ, ben 11. Mai 1800. Mi mehreren Freunden flüchtete jegt Drey mitten unter ber retirirenden Deftteihern nad) feiner Heimath, fonnte je bod) (don im Herbfle beffelben Jahres nad) Pfaffenhaufer zurückkehren, erhielt bald nah Neujahr 1801 die Sub biafonató» und Diafonatsweihe burd) den emigrirten fran söfihen Biſchof Iuigny von Paris (im Auftrage be Biſchofs von Augsburg), übte fid) jegt praftifh im Pre digen ſowohl zu Pfaffenhaufen fefbft als in ber Umgegend und wurde am 30. Mai 1801 im Dome zu Augsbur; von bem Ehurfürften von Trier, Clemens Wenceslaus ber zugleich Bifhof von Augsburg und gefürfleter Propf von Ellwangen (fomil Drey’s Landesherr) war, zum Briefter geweiht. Auf feinen eigenen Wunſch und be des ehrwuͤrdigen P. Ziegler wurde er jegt biefem αἱ Vifar zugewiefen, feierte am 14. Juni 1801 in der Pfarr fide au Röhlingen feine etfte DL. Meffe und verblieb vor da beinahe 5 Jahre in dem gleichen Poſten als Seelforg: gehülfe fowohl bei P. Ziegler als bei beffen Nachfolge Iahann Repomuf Berlin, welcher fpüier Drey's Golleg: als. Profeflor ber Theologie in Elwangen werben follte

Nekrolog. 345

Reben ber Geelforge zogen ben jungen Priefter beſonders die neuen Erſcheinungen auf bem Gebiete der deutſchen Bhilofophie an, bie Schriften von Kant, Fichte unb Schelling, und mit ber ihm eigenen geiftigen Energie unb Gewandtheit drang er aud) in biefes Gebiet des Wiflens auf eine fo tüdjtige Weife ein, daß alle feine fpätern Arbeiten, Vorträge und Schriften das Gepräge einer gründs lichen philofophifhen Durchbildung an fid) trugen. Ein größerer Wirfungsfreis eröffnete fid) bem ftrebenben Manne im Sabre 1806, und die Prophezeiung feiner Goafumnen in Pfaffenhaufen begann in Erfüllung zu geben. Mit Werfer und Weinſchenk gemeinfam wurde er im Februar 1806 als Profeffor an die höhere Fatholifhe Lehranftalt zu Rottweil berufen, um hier Religionsphilofophie, Mas thematit und Phyſik zu Ichren, und bie an fij fo vete fhiedenen Faͤcher fanden in dem reichen Geifte des jungen Lehrers ihre fhöne und würbige Vereinigung. Von da begann er unter anberm feine fleißigen meteorologifchen Beobachtungen, bie er bis in bie [egten Tage feines Lebens fortfegte und bie ifm fefbft in ſchmerzvollen Stunden ber Krankheit eine angenehme Beſchaͤftigung gewährten. Die andere Seite feines combinirten Lehramts aber bildete für ihn eine tüchtige Vorbereitung für feinen künftigen höheren Beruf ald Profeſſor ber Dogmatif, und befähigte ihn zu jener fpefulativen Behandlung ber Theologie, woburd er fid in Bälde fo rübmlid) hervorthat. Bei Errichtung der Friedrichsuniverſitaͤt in Ellwangen, welche bie fatfolijde Sandesuniverfität Württembergs fein follte, wurde Drey im Jahre 1812 als ordentlicher SBrofeffor der Dogmatik, Dogmengefchichte, Apologetif und theologifhen Encyklopaͤdie m diefelbe berufen, und damit auf jenen Leuchter geſtellt,

ns Nekrolog.

wo er fo lange und fo rübmlid glänzen ſollte. Seine Col⸗ legen waren Spegele, Beftlin, Wachter und Graf, unb mit ihnen gemeinfam erhielt er im Jahre 1813 bie theologiſche Doctorwürde von der Univerfität Freiburg. Später, im Sabre 1814 trat, nad) Spegele's Abgang auf bie Pfarrei Ziegelbah bei SBafbfee, Herbft ald Profefior ber alte teftamentlihen Gregefe in Ellwangen ein; Drey aber {ὠτίεδ. jegt in den Jahren 1814 unb 1815 feine erften Abhandlungen, zwei lateiniſche Differtationen über bie Lehre Juſtin's vom taufendjährigen Reihe’), wnb über das Bußweſen ber alten Kiche?). Ueber Iegtere wurden von gewißer Eeite her, wie εὖ [dint aus perfönlicher Miß⸗ gunft, übelwollende Berichte nad) Rom erftattet, ohne daß jedoch dem Verfaſſer Unannehmlicpfeiten daraus erwachfen wären. Nach dem Tode des Königs Friedrich und bem Regierungsantritte des jepigen Königs wurbe bie Ellwanger Univerfität im Jahre 1817 wieder aufgehoben und in bet Eigenſchaft einer katholiſch⸗theologiſchen Bacultät der Unis verfität Tübingen einverleibt. Wachter und Beftlin traten in bie Baftoration gurüd, Drey Dagegen überflebelte mit Beibehaltung feiner bisherigen Bäder, in Gemeinſchaft mit Grag und Herbft nad) Tübingen, erhielt einen neuen Eoflegen an Hirfher, und gründete mit biefen breien gemeinfam i. 3. 1819 die Tübinger theologiſche Quartals ſchrift, welche von ba in umunterbrodhener Reihe fortges führt wird und gegenwärtig ihren 35ften Jahrgang zählt.

1) Observata quaedam ad illustrandam Justíni martyris de regno millenario sententiam. Gamundiae 1814.

2) Dissertatio historico - theologica originem et vicissitudinem exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis ilasrans. Elvaci 1815. .

Sufrilog. set

Ganz befonberó thätig für fle war Prof. Drey, unb eine Reihe von Auffägen und Recenfionen in berfefben, durch Alarheit, Prärifion unb Styl ausgezeichnet, find ἀπό feiner gewanbten Feder geflofien. Schon im Jahre 1819 publi vite er Überdieß die „Kurze Einleitung in das Stubium der Theologie, mit. Rüdfiht auf den woiffenfdaftliden Gtandpunft und das fatbolifde Syſtem“, ein Buch, wel» es unftreitig alle ähnlichen Grídjeinungen ber damaligen Siteratur an lichtvoller Auffaffung und geiftvoller Behand⸗ fung des Stoffes weit überragt. Im Jahre 1823 wurde er von Sr. Majeſtaͤt unferem Könige mit bem Ritterkreuze des Kronordens beehrt und einige Zeit fpäter, ohne alles eigene Zuthun, als erfter Biſchof für Rottenburg in Aus⸗ Ächt genommen. Lepteres Projekt zerſchlug fh jedoch wieder, zum Theil weil das oben berührte Schriftchen Drey's zu feinen Ungunften wieder in Erinnerung gebracht wurde, nod) mehr aber, weil es unthunlich fhien, ben Heren v. Keller, der bereits Weihbifhof und apoftolifcher ÜBifar war, wieder zu befeitigen, umd auf Drey wurde nun in ber Weife Rüdfiht genommen, daß bie erſte Doms herenftelle ihm vorbehalten. blieb und aus deren Einkünften theils fein Profefforengehalt erhöht, theils ein befonderer Hütfslehrer für ihm belohnt wurde. In die Domherrn⸗ flee felbft aber wurde er πίε eingefet. Im Jahre 1832 veröffentlichte er feine „Neue Unterfuhungen über die Gonfitutiones unb Canones ber Apoftel”, wodurch eine ftit Jahrhunderten fhwebende Stage auf fo befriedigende Weiſe und mit folfem Scharffinn und folder kirchlich⸗ archaͤologiſcher Gelehrfamfeit gelöst wurde, daß bie gelebte ten Kritifer auófpradjen: „die Akten darüber feien jet gídiofen." Rad einer überanbenen ſeht ſchweren

848 Netrolog

Krankheit, bie ihn im ‚Jahre 1837 an ben Rand des Grabes bradjte, wurde Drey auf feinen Wunſch von bem ausgedehnten Lehrfach ber Dogmatik enthoben, behielt das gegen Apologetif und Encyflopädie, unb gab jet in ben Jahren 1838 bis 1847 fein treffliches Werk über dift, lide Apologetit in 3 Bänden heraus. Vom wiffenfhafte lihen wie vom kirchlich⸗ orthodoren Standpunfte gleich anerkennenswerth ift es ein fhönes Denkmal feines feinen Geiſtes ſowohl wie feiner aufrichtig kirchlichen Geſinnung. Ueberhaupt hat Drey ſelbſt damals, wo das Feſthalten an der Orthodorie in manchen Gegenden Deutſchlands bem Zeitgeifte unterlag, fid) bod) ſtets als einen treuen Ans hänger feiner Kirche und ihres Glaubens bewiefen, und wie bei vielen Andern hat fld) aud) bei im unter guͤnſti⸗ geren äußeren Einflüffen durch fortfchreitende Studien diefe Richtung nod) verftärkt und gehoben. Mit vollem Recht wurde ihm überall. große Verehrung und Hochachtung als Menſch, als Lehrer unb Schriftfieller zu Theil; taufenbe von Schülern aus allen Gegenden Deutſchlands und ber deutſchen Schweiz find zu feinen Büßen gefefien und bes wahren ihm bis Beute ein banfbareó Andenken. Insbe⸗ fondere gehört der weitaus größte Theil der katholiſchen Geiſtlichleit Württembergs zu feinen Schülern, vom hoch⸗ würbigften Biſchofe herab bis zu ben Hülfsgeiftlichen. So wirkte er volle 40 Jahre im Lehramt rüfmlid) und fegensreih, da wurde er im Jahre 1846 in den Stufe fand verfegt und zugleich mit dem Commenthurkreuz des Kron⸗ Ordens beehrt. Aber aud) im Penfionsftande blieb er fortwährend geiftig, ja ſogar ſchriftſtelleriſch thätig und fertigte nod) eine beträchtliche Anzahl von Arbeiten theils für das Freiburger Kirchenlexikon, theils für bie Tübinger

Nekrolog. 349

theologiſche Ouartalfchrift, deren Mitherausgeber er bie an feinen Tod geblieben ift. Am 15. Juni 1851 feierte er fein Priefterjubiläum, nod) rüftig an Geift unb Körper; ja gerade in feinen fpätern Jahren erfreute er fi einer beſſern Gefundheit al früher, unb nur das Gehör hatte merid) abgenommen. Seit etma zwei Monaten durfte er wegen Rheumatismen, bie übrigens feine heitere Stim» mung nur auf 9fugenblide trübten, das Haus nicht mehr verlaffen; dazu fam in den [egten zwei Tagen eine Heine Unpäßlichkeit, anfcheinend eine Indigeftion, die Niemand für gefährlich erachtete, unb nod) wenige Sekunden vor feinem Tode redete er friff) und früftig (im Bette) mit den Umftehenden. Ploͤtzlich fanf er zurüd, unb war ohne Todeskampf verſchieden, am 19. Februar 1853 Vormittags {12 Uhr. Ein Hirnſchlag fatte feinem langen und ſegens⸗ reichen Leben im 76ten Jahre beffelben ein Ende gemadht. Sein Name ift ruhmvoll eingefehrieben in die Gefchichte der latholiſchen Wiſſenſchaften.

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Riterarifcher Anzeiger Nr. 2.

—MM

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unb D. Aberle, Vrofeſſoren ber lath. Tpeologie an ber K. Univerfät Tübingen.

Fünfunddreißigfter Jahrgang.

Drittes Quartalpeft.

Tübingen, 1853.

Verlag der H. Baupp’fcen Buchhandlung. (Saupp & Giched.)

Drad von 6. Saupp jr.

I. Abhandlungen.

4“ Die ruſſiſche Kirche.

Die hohen Anſpruͤche, welche der Kaifer von Rußland gerade in unferen Tagen im Angefihte von ganz Europa erhebt, Ienfen wie billig unfere Aufmerkfamfeit auf die Kirche bin, als deren geharnifchter Sprecher er mit fo vieler Entfhiedenheit auftritt, und für bie er eine glän« sende Zufunft burd) diplomatifche Künfte oder burd) mille taͤriſche Macht herbeizuführen trachtet. Sobald wir aber der griehifhen Kirche gebenfen, müffen wir uns auch ihrer Scheidung in zwei große Hälften erinnern, nämlich: in die griechiſch-griechiſche und in bie ruffifche gtiedifde fitde, und gerade bie legtere, griechiſch der Religion, ruffifch ber Nationalität nad, wollen wir näher ins Auge faflen, theils weil ihre Geſchichte in weis teren Kreifen weniger befannt, 15eil6 weil gerade fie bier jenige ift, die, ohnehin ſchon viel größer al8 bie eigentlich griechiſche, burd) das beanfpruchte Proteftorat des Ezaren aud über letztere Kirche, zur unbeftrittenen Hegemonie im Drient gebracht werben fol.

24"

354 Die ruſſiſche Kirche.

Die Anfänge dieſer Kirche fallen gerade in bie Zeit der erften Trennung Griedjenlanbé von Rom unter Pho- tius. Allerdings behaupten ruſſiſche Quellen, wie bet Mönd Neftor aus dem Höhlenflofter zu Kiew, der Bater der ruffifchen Kirchengeſchichte (im 11ten Jahrhundert), und der Verfaſſer des berühmten ruffifhen Stufenbuds aus bem 16ten Jahrhundert, daß ſchon ber Apoftel An- dreas in Rußland das Evangelium gepredigt und auf einem Berge bei Kiew das heilige Kreuz aufgepflanzt habe 1); aber biefe Tradition ift mehr als unſicher, zumal

1) Bgl. Karamfin (ruff. Staaterath und Reichshiftoriograph + 1826), Geſchichte des ruſſſchen Weide. Nach der 2tem Driginalonte gabe überfegt. 1820. 80. L ©. 26. 27. 236. Q4 ift bief das Haupt: werk über bie ruſſiſche Gefchichte, in 11 Bäuden bis 1612 reichend. Der gelehrte Schafarif, der größte Kenner der flawifchen Geſchichte und Sütertbümer, fagt: „Raramfin, auf bem Felde des Altflawiemus unzu- verläffig, wirb, fobalb er bem rein ruſſiſchen Boden betritt, ein Geſchicht⸗ föreiber, der feines Gleichen im Rupland nicht Hat, noch fogleich wicher Haben wird, wenn man bie gegenwärtigen Arbeiten feiner undanlbaren Sonbéleute ind Auge faßt, bie, auf feine Schultern tretend unb von feinen Schaͤtzen zehrend, ohne alle Sorge um Erweiterung und tiefere Ergrüns dung der Quellen, die unfchägbaren Berbienfte biefe& Mannes zu νεῖν Meinen befirebt find.” Meben Raramfim verdient befondere Beachtung Strahl (+ Prof. b. Geſch. in Bonn, früher längere Zeit in Rußland). Bon ihm Haben wir 1) eine Geſchichte des ruſſiſchen Staats, 2 Bänbe. Sambg. 1832 ff. , einen britten Band beforgte mad) Strahl's Tode Dr. Eruſt Herrmann, bié zum 3. 1682 reichen. 2) Geſchichte ber ruſſiſchen Kirche, ifer Band, Halle 1830, bis Ende des 16ten Jahr⸗ hunderts gehend. 3) Beiträge zur ruſſiſchen Kirchengeſch. Halle 1827. 4) Gelehries Rußland, Leipzig 1828. 5) Mehrere Aöhandlumgen in der Tübinger theol. Quartalſchrift 1823.

Außer diefen Benüpten wir beſonders :

King, anglit. Geifl. in Petersburg, die Gebräuche und Geremonien ber griech. Kirche im Rußland. Aus bem Engl. überfegt, Riga 1773. Quart.

Schmitt, Hermann Joſeph, Harmonie der morgenl. und abeundl. Kirche,

Die ruſſiſche Kirche. 355

febft Reftor fie nur als Sage aufführt; unb bie beglaus bigte Gefchichte fennt vor der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts Feine hriftliche Miffton in ben weiten Lands frichen ber ruſſiſchen Slawen. Beachtenswerth ift es, daß bei diefen die Gtaatenbilbung und das driftlie Kirche tum zu gleicher Zeit fid anfegten. Lange Jahre Bin» dur hatten bie in Rußland gelagerten Slawen fld) ge» genfeitig befämpft und geſchwaͤcht, ba ſchickten um bie Mitte des neunten Jahrhunderts (862) bie um Stomgorob an« fähigen unb einige andere flawifchen und finnifhen Stämme eine Geſandtſchaft an bie Fürften ber Waräger !) in Skan⸗ dinavien, um fid) von ihnen Herrſcher zu erbitten. So famen jet drei Warägifche Brüder aus dem Gtamme Ruß (woher Rußland abgeleitet wird) mit anderen ffandinavifhen Eveln zu den fraglichen Slawen, unb der Baräger Rurif gründete nad) dem Tode feiner beiden Brüder bie große ruffifche Monarchie 864 3).

Doch zwei andere warägifhe Häuptlinge, Aſtol unb

Wien 1824, und fritiffge Geſch. der neugriechiſchen und ruſſiſchen Kirche, Mainz 1840.

(Theiner), bie neueften Buftánbe ber katholiſchen Kirche beider Ritus in Polen und Rußland feit Katharina IL. bis auf unfere Tage. Mit einem Stüdélid auf die ruffifche Kirche und ihre Stellung zum Hl. Stuhle feit ihrem Gnifefen bis auf Katharina IL Bon einem Prieſter aus ber Gongtegation des Oratoriums des h. Philippus Neri.

. 1841.

+ Säloffer, Sob. Friedrich Heine., bie morgenländifche orthobore

Αἰτάε Stufíanbé und das europäifche Abendland. Heidelberg 1845. Weitere von und benüßte Hülfsmittel toerben je am einfchlägigen

Plage genannt werben.

1) Die Waräger find fein Stamm, fonbern bie Rriegevtafte

Slandinaviens.

2) Karamſin, a. a. O. S. 37. 94. Schafarik, ſlawiſche

Aluerthumer, deutſch von@chrenfeld. Leipz. 1844, 90. II. ©. 68 ἢ. 77.

356 Die ruſſiſche Kirche

Dir, wollten ſich unabhängig von Rurik ein eigenes Reid) grünben und eroberten zu dem Ende bie ſlawiſche Stadt Kiew, damals von den Kofaren beherrfcht ), fo daß jetzt unter warägifchen Fürften ein noͤrdlicher (Rowgorod) und ein füblidjer ruſſiſcher Staat (Kiew, Kleinrußland) feine Entftehung erhielt.

Kurze Zeit nachher, um's Jahr 866, wagten Affold und Dir aud) einen Kriegszug gegen Gonftantinopel, und gerade diefer gab die erfte Veranlaffung zur Einführung ber chriſtlichen Kirche in Rußland. Um bimmlifhe Hülfe gegen bie wilden Θάβε zu erhalten, foll ber griechiſche SBatriard) das Gewand der heiligen Jungfrau in feierlicher Progeffion nad) dem Geftabe des Meeres getragen und in die Wellen getaucht haben, worauf ein ſchrecklicher Sturm die Schiffe der Ruffen ergriff und fle feber zum Frieden mit dem Kaifer zwang. Staunend über baó wunderbare Ereigniß hätten fie fid) jebt dem Chriftengotte unterworfen, der feine Verehrer fo mächtig befdyüge. So erzählen Ne ſtor und einige byzantiniſche Hiftorifer; der griechiſche Kaifer Eonftantin Porphyrogenetos aber, ber von diefem Ereig⸗ niffe nicht hundert Jahre abfland, und andere Geſchicht⸗ ſchreiber feiner Ration, fhweigen von bem genannten Wunder und berichten, bie Ruſſen feien burd) reichliche Geſchenle sum Frieden beftimmt worden. Diefem fügt Porphyros genetoó bie Nachricht von einem andern Wunder bei, welches die Ruffen zur Annahme der chriſtlichen Religion geführt haben fol. Laͤngere Zeit gegen die ihnen vorge⸗ tragenen chriſtlichen Lehren ungläubig, ſprachen fie enblidj zu bem griechifchen Bifchof: „wirf diefes Buch (bie Bibel) in'6 Feuer, und wenn es nicht verbrennt,

1) Schafarit, Slawiſche Aterthämer, fb. IL ©. 64. 77.

Die zufflfige itv. 857 [ὁ wollen wir an beffen Heiligkeit glauben.“ Der Biſchof Habe ihrem Verlangen willfahrt, das Evans gelium {εἰ unerfehrt geblieben, unb nun der Sürft und Adel der Ruſſen gläubig geworben h.

Wie man aud immer über diefe Nachrichten urs teilen mag, Dasjenige, was für und Bedeutung hat, flt unbedenklich feft, bag nämlich burd) jenen Krieger ag das Chriſtenthum zu ben 9tufjen von Kiew, ober ben Gübrufjen gekommen fei. &o ficher bief ift, fo freitig ift die genaue Beflimmung der Chronologie. Nah Neſtor nämlich und Andern wäre ber fraglihe Patriarch von Eonftantinopel der berüiptigte Photius gewefen unb ibm wuͤrde der Ruhm gebühren, bie erften Ruſſen im Jahre 866 getauft und bie erfte Miffton in ihr Land geſchickt zu haben, fo daß die Stuffen [don mit bem Augenblide ihrer Belehrung in das Schisma verwidelt worben wären. Eonftantin Porphyrogenetos dagegen berichtet, bie Beleh⸗ tung der 9tuffen habe erft ein Jahr fpäter (867) flattger babt, nachdem ber neue Kaifer Baſilius Macedo ben ſchismatiſchen Photius vertrieben und ben rechtmäßigen Patriarchen Ignatius wieder eingefegt hatte. Dieſemnach wären bie Ruflen nicht ſchon von Anfang an ſchismatiſch gewefen; und biefe Meinung hat früher an Affemanni, in der neueren Zeit insbefondere an Theiner ihren Ver theidiger gefunden, während Strahl unb ber Rufe Kar tamfin 3) die entgegengefegte Richtung vertreten, und

1) Karamfin, a. a. D. €. 95— 97 u. €. 302. 308. Θ΄ a⸗ farit a. a. D. ©. 78. Strahl, Seſch. *. tuf. fife S. 43 ἢ.

2) (Theiner), Die neueften Buftände ber fatf. Kirche beider Ritus ἐκ Bolen und Rußland. 1841. ©, 2.

3) &atamfin, a. a. D. €. 97. Strahl, a. a. Ὁ. ©. 47. Beide fügen fid Insbefondere anf eim eigenes Schreiben bes Photius,

358 Die ruſſiſche ire,

bem Ignatius erft bie zweite Miſſion unter ben Ruſſen zuſchreiben, um durch dieſe Annahme bie Verſchiedenheit der alten Nachrichten auszugleichen.

Karamſin und Schafarik, welche in der Geſchichte der Slawen und Ruſſen die größten Autoritäten der neueſten Zeit ſind, finden es wahrſcheinlich, daß die griechiſchen Miſſionaͤre eben damals ſchon die von dem hl. Cyrill er⸗ fundene ſlawiſche Schrift auch in Rußland eingeführt has ben 5), um dem Chriſtenthum wie der Cultur eine feſtere Grundlage zu verſchaffen; aber deßungeachtet konnte der ausgeſtreute chriſtliche Same politiſcher Stuͤrme halber bei den Ruſſen lange Zeit nicht reichlich unb freudig aufe fproffen. Schon um’s Jahr 882 wurden Affold und Dir von Ruriks Nachfolger Dleg, dem Vormünder Sgor', burd) Lift überwältigt und ermordet, ihre Herrſchaft mit Stotogorob vereinigt und Kiew zur Hauptflabt des ganzen großen Reiches erhoben. Theiner macht Affold unb Dir zu ben erften Mariyrern Rußlands 2); aber das waren fie in feiner Weife, denn ifr Tod floß aus rein politifben Gründen und aus ber Herrſchſucht Oleg's hervor. Oleg aber unb. fein Pflegling Igor, ber bis zum Jahre 945 regierte, waren Heiden. So fam e, daß fie das Ehriften- thum zwar bulbeten, aber nicht fórbertem , unb biefeó nur ſehr fangfame Fortſchritte unter ben Ruſſen zu made vermochte. Die Mehrheit berfelben war nod) immer heids niſch, barum werden in einem SBertrage mit Conftantinopel

worin biefer fid) ſelbſt die Belehrung ber Muffen zuſchreibt. Ge ift οἷν getrudt bei Baronius ad ann. 863. n. 41; aber ber Verdacht liegt, wie Theiner meint, nahe, Photius habe mur prahlerifch gefprocen. 1) faramfin, a. à. D. S. 97. Schafatik, α. a. Ὁ. 6. 18. 2) Theiner, a. a. D. €. 8.

Die ruſſiſche Kirche. 359

(. 3. 911) Ruffen und Ehriften (b. i. Griechen) tviebere holt als Gegenfäge aufgeführt h.

Ein paar Dezennien fpäter muß die Zahl der Ehriften unter den Ruffen einigermaßen gewachſen fein, denn in einem neuen Vertrage mit Griechenland vom Jahre 945 werden unter ben Ruffen felbft getaufte und unges taufte ausdruͤcklich unterſchieden 2.

Ein großer Gewinn für bie ruſſiſche Kirche war- die Belehrung der ruffiihen Helena, ber berühmten Sürftin Dlga, welde nad) dem Tode ihres Gemahls Igor, im Jahre 955 fid) zu Eonftantinopel taufen lief, aber weder ihren Sohn, den Fürften Swaͤtos law, nod) defien Ge« folge zu befehren vermochte 3). Dagegen war εὖ ihrem Enkel Wladimir aufbehalten, nad) einer wüften, duch Ausfhweifung, Ehriftenverfolgung unb Menfchenopfer gc» ſchaͤndeten Jugend, im veiferen Alter der Beglüder feines Volkes, hauptſaͤchlich durch allgemeine Einführung des chriſtlichen Glaubens zu werden. Erfennend, daß eine theiftifhe Religion ihm und feinem Volke noththue, ſchickte er bei ben Lateinern, Griechen unb Mahomebanern unters tihtete Männer zur Erſorſchung ihrer heiligen Lehren unb Gebraͤuche umher, und entfdjieb fid) enblid) im Jahre 988 für ben Anſchluß an bie griediifdje Kirche, weil deren Eultus als der impofantefte erfjien. Der Gropfürft ließ nun die Gógenbilber zerftsren, den Hauptgögen feines Volles, Perun, an den Schweif eines Pferdes binden, mit Keulen ſchlagen und enblid) in den. Dnjeper werfen;

1) Raramfin,a. a. Ὁ. G. 111 ff.

2) Raramfin, a. a. Ὁ. ©. 123. 124, 127. Strahl a. a. D. €. 49.

3) &acamfin, a. a. D. €. 136. 139.

800 Die ruſſiſche Kirche.

fein Volk aber empfieng nun in Mafle in bemfelben Fluſſe ftebenb die Taufe, von Prieitern, bie in Kähnen umher⸗ fuhren, um das Gaframent zu fpenben, während Wladi⸗ mir am Ufer betete. Sofort erbaute er in Kiew eine Kirche zu Ehren des HI. Baſilius, an berfelben Stelle, wo früher Perun ftanb, errichtete hriftliche Schulen 1), und fibidte Miffionäre in feinem großen Lande umher, ohne indeß feine Unterthanen zum neuen Glauben zu zwingen, fo daß noch im zwölften Jahrhunderte B εἰν πὶ [ὦ ε Ruffen fid vorfanden 3).

Nah al’ bem verftand εὖ fld) von felbft, baf bie neugegrünbete ruffifche Kirche zum Patriarhate von Eon» ftantinopel gehörte, und in der That wurde fie im zehnten Jahrhundert bald als die 60te bald als bie 76te Provinz diefes Patriarchalſprengels gezählt 9. Weil aber die Kirche von Conftantinopel nah der DVertreibung des Photius vom SBatriardjenftubl unter Kaifer Leo bem Weiſen (feit 886) das Schisma wieder aufgehoben unb bie Einheit mit dem Mittelpunkte ber Kirche wieder Bere geſtellt hatte, fo partieipirten hieran matürlid) aud bie ruſſiſchen Ehriften, unb barum müffen wir fie zur Zeit Olga's und Wladimir's nothwendig als Unirte betrachten.

Als jebod) um bie Mitte des eilften Jahrhunderts die griechiſche Kirche unter dem Patriarchen Michael Ge« tularius fid) von ber lateiniſchen bleibend trennte, wurde auch Rußland dur feine hierarchiſche Verbindung mit

1) Ihre Einführung fand ungeheure Schwierigkeiten, namentlich fürchteten viele Ruffen das Schreiben, denn bie Schrift fchien ihnen eine Sauberei.

2) &aramfíin, a. a. D. ©. 168—178,

3) Strahl, a. a. D. €. 48 f.

Die ruſſiſche Kirche. 361

jener in das Schisma Hineingezogen. Sie zählte bamala 12 Diözefen oder Gpardjen: 1) Kiew, bie Metropole des ganzen Reiches, 2) Nowgorod (Grofnomgorot), 3)8oftow, 4) Tſchernigow, 5) Jurjiew, 6) Biel- gorod, 7) BWlabimir, 8) Berejaslam, 9) Pos lotst, 10) Ehelm, 11) Turomw, 12) Tmutura— fan, unb alle biefe ftanben unter bem Patriarchen von Gonftantinopel, als ihrem höchften geiftlihen Obern. Ueber» haupt war unb ift die τι πε Kirche nur ein integriren« der Theil ber griehifhen, weder in Dogma, mod in Disciplin, überhaupt in feinem andern Bunfte von ihr verſchieden al darin, daß fie fid) beim Cultus ber alt flamonifden Gprade bediente. Uebrigenó war bei ben Ruffen ihre Scheidung von Rom im Anfange weit weniger ſcharf und bitter, als bei ben Griechen, und fo lam es, daß noch bié heute bie ruffifhen Ritualbücher eine Reihe von Stellen enthalten, in melden Roms unb feines Primats in hoͤchſt naiver Weife erwähnt it). Nur

1) Auf den Gedachtnißtag des 5. Papftes Gilvefler z. B., der zur Bit der erften Nicaͤner Synode lebte, hat das ruffifche Ritual folgendes &bet: „Du bif das Haupt der geheiligten Berfamme lung; bu verherrligteft ben Thron bee Apoftelfür Ren; göttlihes Oberhaupt ber heiligen Bifchöfe“ Und auf den Papft Leo J. heißt e$: „w elchen Namen [011 [ὦ heute Dir geben? Goll id Did nennen den wunderbaren Herold unb die fefe Stüge der Wahrheit, bat eu würdige Haupt bee oberfien Gonciliume, ben Rad» folger auf bem bàdfien Throne bes BL. Petrus, ben Erben des unbefiegbaren Belfen und benWtadfolger in feinem Reiche.“ Den Papft Martin aus bem 7ten Jahrhundert preist bie ruſſiſche Kirche mit ben Worten: „Du zierte den göttlihen Thron des Petrus, und indem Du die Kirche auf diefem unerfhätterlichen Belfen auf seht erhielten, vexberelidteft Du Deinen Namen,

362 Die ruſſiſche Rice.

von außen, durch ihre hierarchiſche Verbindung mit Eons ftantinopel in bie Trennung von Rom hineingezogen, fühlten die Ruffen nod) nicht jenen eigenthümlichen fhismatifchen Haß, ber alle Spuren früherer Freundſchaft ángflid) zu tilgen bemüht ift; und als biefer nad einiger Zeit audj bei ihnen zu feimen begann, hatte fi bie Form ber litur⸗ giſchen Bücher für bie ſchismatiſch⸗rufſiſche Kirche bereits burd) Verjährung befeftigt. Die angebeutete Veränderung aber begann in ber erften. Hälfte des zwölften Jahrhun⸗ bertó, und wat ber aus Eonftantinopel gefommene neue Metropolit Nicephorus von ftiem, ber bit Ruſſen mit Acht griechiſcher Feindſchaſt gegen bie Lateiner und Rom insbefondere zu inficiren und biefen gehäffigen Sinn aud) bem Großfürften Wladimir Monomachos (feit 1113) einzupflangen wußte. Diefer Fürft trat mm in nähere Verbindung mit Eonftantinopel und wurde auf Befehl des byzantinifhen Kaifers Alerius Comnenus von dem Erzbiſchofe Neophit von Ephefus i. S. 1116 zu Kiew gekrönt und mit dem Titel Czar (ſlavoniſch = δεῖν tönig) beehrt, ohne daß jebod) aud) feine nächften Rad

glorreigfter Meier aller rehtgläubigen Lehre, Wahrheit verfündender Mund ber HL. Gebote, um meiden baé gefammte Prieſterthum unb bie ge fammte 8edtgláubigteit fid) vereinigten, um bie Härefie qu verdammen.“ Bon Gregor II. im 8ten Jahrhundert heißt es: „Bott berief Did, daß Du der oberfie Bi[dof feiner Kirche fele und der Nachfolger Betri, des δάτῇεπ ber Spoftel;^ unb von Leo IIL (um's Sar 800): ,O Duſoberſter Hirte ber Kirche, vertritt Du die Stelle Sefu EHrifti.“ Noch viele andere Beifpiele diefer Art Bat ber felige 5.08. Fried. Schloffer gefammelt in feiner oben erwähnten Schrift: mDie morgeulandiſche ortfobore Kirche Rußlands“ sc. xc. Bol. Tübinger icol. Ouartalfäft,, Jahrg. 1846, €. 104 ἢ.

Die ruſſiſche Kirche. 363

folger fid) alfo benannt hätten. Vielmehr wurde biefer Titel erſt feit der Mitte des 16ten Jahrhunderts der ge» wöhnliche. Die eigenthümliche alte politifhe Einrichtung Rußlands, ber des deutfchen Reiches ähnlich, bie theilweife Unabhängigfeit ber Fürften vom Groffürften (u Kiew), und die gegenfeitigen Uneinigfeiten 1), wobei ber Metros polit häufig den Schiedsrichter machte, erhöhten das An- fehen des Erzbiſchofs von Kiew, beffem Stadt reih an Kirchen, bie gebilbetfte und damals aud) bie bürgerliche Hauptftabt von Rußland war. Den nádjften Rang ber fauptete Rowgorod, beffen Bifhof Elias i. S. 1166 von bem Metropoliten zu Kiew ben Titel Erzbiſchof erhielt, tie denn in ber ruffifichen Kirche (ode Ehrenbenennungen nit felten und barum Erzbifhöfe und Metropolis ten wohl von einander zu unter(djeiben find.

Auch nad) dem Tode des Metropoliten Nicephorus von Kiew (t 1121) wurde jener Stuhl nacheinander wies derholt mit Eonftantinopolitanern befeßt, welche die Sen» mung von Rom befefigten. Zugleich entftanben neue Did- sefen, 3. B. im 3. 1137 Smolenst, der griedifche Kirchengefang wurde in Rußland eingeführt und das erfte Interdikt in biefem Reiche von bem Metropoliten 9t i d) a e (II. über bie vebellifche Stadt Nowgorod ausgeſprochen i. 3. 1135 9. Zehn Jahre fpäter entftanb unter bem ruſſiſchen Episcopat heftiger Streit, ob der nicht von Conftantinopel geſchickte und nicht bafelbft ordinirte, fondern auf des Groß⸗ fürften Befehl erhobene und mit bem votgebliden Kopfe bes

1) Die Oberhertlichteit bes Großfürften ſchwand Immer mejr, vide Streitigfeiten um diefe Würde entflanben, und manche Tpeilfürften ufur- pirten ebenfalls den Titel Grogfürf.

2) Bol. Strahl, Geſch. der cuff. Kirche, Bd. I. 130. ©. 140 f.

364 Die ruſſiſche Kirche,

f. Clemens Romanus zu Kiew eingeweihte neue Metro⸗ polit Kliment (= Elemens) rechtmaͤßig [εἰ ober nicht. Seine Gegner, namentlid) B. Niphon von 9tomgorob, ein Heiliger ber ruſſiſchen fire, flegten, unb Kiew erhielt wieber griechiſche Metropoliten. Unter ben folgenben Bürgers friegen litt aud) bie ruſſiſche Kiche manchen materiellen Verkuft, bod) erwachte zugleich unter allen Ständen großer Eifer für Kirchenbauten und Stiftungen, zahlreiche Klöfter Yourben gegründet, wovon bie berühmteften den alten Nas men Lawren (Lauren) führten, 3. B. das berühmte Höhlenflofter zu Kiew, unb Güter und leibeigene Bauern in großer Zahl wurden an biefe Klöfter vergeben !). Namentlich fliftete Fürft Andreas Bogolubsfi das berühmte f. 6. ephefinifhe Muttergottesbild, das von dem DI. Evangeliften Lufas gemalt fein follte, damals aus Griechenland gefommen war, und jebt noch im Dome au Mosfau gezeigt wird. Dagegen wurde bie rufflfche Kirche jept um. bie Mitte des zwölften Jahrhunderts durch einige heftige und lange Streitigfeiten, namentlich des Moͤnches Martin heimgefucht, unb zwar über einige feiten, 4. B. über bie Art unb Weife, das Kreuzzeichen zu machen. Ein ruffifhes Generalconeil mußte zufammens fommen i, 3. 1157, um barüber zu entfcheiden. Bald darauf treffen wir ben Metropoliten Johann IH. (feit 1164) in Briefwechfel mit Papft Alerander II. gegtetet wuͤnſchte eine firdjid)e Union, aber ber Metropolit von Kiew wies ihn an ben Patriarchen von Gonftantinopel, als an feinen Obern, und repetitte bie alten griechiſchen Anſchuldigungen gegen bie lateinifhe Kirche 9. Um dies 1) traf, a. a. Ὁ. €. 148. 2) Strahl, a. a. D. €. 166.

Die ruſſiſche Kirche. 365

felbe Zeit verlor Kiew bie groffürflidge Würde an bie Stadt Wladimir, blieb aber bennod) der Metropolitans fuhl des Reichs. Für Schulen der Geiffifen forgten jet mehrere fromme Fürften, namentlih Roman Ros- tiélamit(d von Smolensf (t 1181) unb fein Zeit genofe Fuͤrft Jar o la w von Galisien ober alic. Ewas fpäter, gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts, ſchidte Papft Clemens IL aud; nad Rußland Gefanbte, um zum britten großen Kreuzzuge aufzurufen. Der Groß⸗ fürft und ber Metropolit hörten jebod) nicht auf feine Stimme, und blos einige nod) nicht orbinirte Moͤnche [bloßen fi dem Zuge an ἢ).

Im Jahre 1204, gleid) nad) Errichtung des lateini ſchen Kaiſerthums zu Conflantinopel, und abermals im Jahre 1209 erfchienen Legaten des Bapftes Snnocen III. bei dem Groffürften Roman und der ruffifhen Geift- lichkeit, um fie für bie Union mit ber lateinifhen Kirche δι gewinnen. Aber umfonft. Die Einnahme Eonftantinopels burd) bie Lateiner hatte wie ben Haß der Griechen fo aud) ben der Ruſſen gegen jene erhöht, unb fle ſchloßen fib jegt nur nod) enger an ben nun in Nizäa refidirenden Patriarchen von Conftantinopel an. Nur das fühlihe ruſſiſche Fuͤrſtenthum Galizien (alic, welches bem ka⸗ tholiſchen ungariſchen Prinzen [Ὁ man zugefallen war, wurde, wohl unter Beibehaltung des ſlavoniſchen Ritus 2), unter Papſt Honorius IH. mit Rom verbunden und ber ſchismatiſch⸗ruſſiſche Biſchof daraus vertrieben. In andern Theilen Rußlands, namentlich zu Kiew und 9tomgorob, erhielten um diefe Zeit die Sateiner, zumal bie lateis

1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 34. 2) Bel. Strahl, a. a. Ὁ. €. 209 f.

366 Die sufflfche Kirche.

nifhen Kaufleute, bie fij dort aufhielten, das Recht öffentliben Gottespienftes, wurden aber bod) nicht für wahre Ehriften erachtet und bei etwaigem llebertritte zur ruſſiſchen Kirche nod) einmal getauft.

Gelegenheit zu neuen Unionsverfuchen boten bie Pſko— wer, ein an das Deutſchordens⸗Gebiet ftoßender Stamm der Ruffen, welche damals, in großer politifcher Noth, ihre Geneigtheit zur Einigung erflärten. Die Paͤpſte Hono— rius IM. und Gregor IX. beauftragten darum in ben Jahren 1227—1231 ihren Legaten am Hofe des Deutſch⸗ orbenó, für diefe Zwede zu wirken, und es ift nicht uns wahrſcheinlich, bod) nicht gang fiher, daß Bürft Jaros- law von Pifow (gleidj den andern ruſſiſchen Theilfürften unter bem Großfürften ftehend) damals katholiſch geworben fei !); auf jeden Fall aber hatte biefe Union bod) feinen Bortgang. Kirche und Staat von Rußland litten übrigens in biefer Zeit unendlich große Zerftörungen durch bie «tons golen, melde wiederholt ba und dort einbradjen, und Städte, Kirchen und Klöfter gerftörten und plünderten. Auch Kiew und das HöhlenFlofter wurden 1240 verwuͤſtet, viele Ruffen um des Glaubens willen getóbtet unb viele der alten ruſſiſchen Heiligthümer zerbrochen ober ver⸗ ſchleudert. Noch jet verehrt bie rufflfhe Kirche viele Heilige unb Martyrer aus diefer Periode, darunter aud ben hi. Mercurius, ber feinen eigenen abgeſchlagenen Kopf in der Hand tragenb, ein zweiter Dionyfius, aus ber Schlacht gegen bie Mongolen nod) Smolenst gurüd» gegangen fei ἢ. Mebrigens fiegten bie Mongolen unter Batu, dem (drediiden Großneffen Dſchingiskhans, und

1) Theiner, a. a. D. ©. 36. mE a. α. Ὁ. €. 221. 2) Strahl, a. a. Ὁ, δ. 238.

Die ruſſſche Kirche. 367

15.3. 1238—1240, wurden fie die Oberherrn von ganz Rußland mit einziger Ausnahme des Fürftenthums Now⸗ φτοῦ. Die ruffiihen Fuͤrſten und Großfürften mußten jegt ihre Herrfchaft von den Mongolen zu Lehen tragen, und zum Zeichen ihrer Unterwürfigfeit häufig brüdenbe Steuern entrichten. Im diefer Noth blidten fie wieder nad Rom, um burd) Hülfe des Abendlandes bie aftatifchen Qorben u befämpfen. Der kräftige Papſt Innocenz IV. fanbte darum hen berühmten Sranzisfaner Johann de Plano Carpino als feinen Legaten nad Rußland, um die Ruffen jur Union und die Mongolen zur Annahme des Chriſten⸗ thums zu beftimmen, i.3. 1244 1. Die erftere Aufgabe ver» folgte drei Jahre nachher aud) der Erzbifhof d b ev t, früher Bisthumsverwefer zu Lübed, welchen Snnocen IV. zu feinem Legaten im Norden und zum Erzbifhof von Preußen, fiflanb und Efihland erhoben hatte 2. In ber That trat auch ber ruſſiſche Fürft Daniel von Kiew und Halicz (das die Ungarn unterbeffen wieder verloren hatten) in die katholiſche Kirche ein; weil aber bie erfehnte mili taͤriſche Hülfe ber unter fid felbft uneinigen Lateiner aus⸗ blieb, fiel er nachmals von der Union wieder ab, und aud) der Verſuch defielben Papftes, den berühmten Groffürften unb ruſſiſchen Heiligen Alexander Newski zu gewin« nen, ſchlug gänzlich fehl i. 3. 1250.

Ein wichtiges und folgenreihes Ereigniß war bie Verlegung des Metropolitanftuhls. Die Mon- golen hatten im Jahre 1240 bie Metropole Kiew fammt

1) Strahl, a. a. D. ©. 241.

2) Näheres über ihn unb feine Stellung findet fi) im Freibunr⸗ ger firdenlerifon, 5. VIIL u. b. 9. Preußen, Einführung des Shrifentfums ©. 674 f.

Neel. Ouartalſqhrift. 1859. II. eft. 25

368 Die ruffiſche δικά.

bet Kathedrale und ben Heiligthümern zerftört ἢ, Dieß beftimmte den Metropoliten Cyrill IL, feinen Wohnſitz fortan im nórblidjen Rußland zu nehmen, ohne jebod) ben Stuhl förmli zu verlegen. Letzteres geſchah erft i. 3. 1299, wo die Stadt Wladimir, und i. 3. 1328, wo 9Rosfau, jebt aud) bürgerlihe Hauptftadt, unter dem Metropoliten Theognoft zum bleibenden Sig ermábit, aber ber alte Titel: „Metropolit von Kiew und ganz Ruß⸗ lanb nod) immer beibehalten wurde. Für Kiew felbft und das fünmweftlihe Rußland beftellten bie Metropoliten fortan nur befonbere Vifare, und gerade das geringere Anfehen diefer, und bie Abweſenheit des allgemeinen Obers hauptes ber ruſſiſchen Kirche erleichterte bie Union der fühweftlihen Provinzen mit der lateinifhen Kirche. Um biefe Union, ja fogar vieljad) einen völligen Webertritt in bie lateiniſche Kirche herbeizuführen, waren bie politis ſchen Begebnifle des 14ten Jahrhunderts befonders ges eignet. Durch den Drud der Mongolen, welche über zweihundert Jahre lang (1238—1462) die Oberherrlichkeit über Rußland übten, geſchwaͤcht, konnten bie Ruffen ihren weftlihen Nachbarn, ben Lithauern und Polen fo wenig widerſtehen, daß diefe im 14ten Jahrhunderte die ſuͤdweſt⸗ lichen ruſſiſchen Provinzen, darunter Kiew, eroberten. Schon im 3. 1319 τίβ der Fühne Herzog Gedimin von Lithauen ijeilé burd Waffengewalt, tfeiló durch Heirath feiner Söhne mit ruffifjen Pringeffinnen, Witebst, Weiße rußland unb Kiew nebft Tſchnernigow an fij. Selbſt nod) ein Heide zeigte er gegen alle chriſtlichen Culte billige Dufdung; aber bie Ruffen verfäumten lethargiſch burd) Mifftonen unter ben heidniſchen Lithauern zu wirken,

1) Strahl, a. a. Ὁ. €. 236 f.

Die ruſſiſche Kirche. 360

während aus bem Abendlande Dominikaner und Franzis⸗ Taner zahlreich herbeifamen, Lithauen in allen Richtungen durchzogen unb mit großem Erfolge bafefbft wirkten. Diefe Mifftonen ber Lateiner wie bie Kriege ber Lithauer gegen Rußland dauerten unter Gedimin’s Söhnen unb 9tad^ folgern (von denen die Einen dyiftfid) , die Andern heids niſch waren), nod) fort, fo daß in Lithauen bie katholiſche Kirche immer mehr Boden gewann. Sm ben unterworfenen ruſſiſchen Provinzen verblieb amar bie ruffiffje Religion, aber fie hatte jegt eine uͤbermaͤchtige 9tadjbarin in ber Far tholifchen Kirche Lithauens erhalten. Während beffen er- 9berte ber polnifhe König Gafimir b. Gr. Rothrußland 9ber Galizien um'é Jahr 1340, überließ aber einen Theil davon, námlid) Volhynien, wieder an Lithauen. Etwas mehr als ein Menfchenalter fpäter vermählte fid) bie Erbin von Polen, Hedwig, mit bem Herzog Jagello von fitjauen i. S. 1386. Er trat vom Heidenthum in bie kathol iſche Kirche über unter dem Namen Wladis laus, und Lithauen wurde nun in Abhängigfeit von bem ftónigreide Polen und als Theil beffelben, von befonderen Herzogen aus dem Haufe Jagello's verwaltet. Die nádffte Bolge hievon war bie völlige Chriftianifirung bed Landes. Auf bem Reichstage zu Wilna, der litjauifden Hauptftadt, im S. 1387 erhob Jagello bie roͤmiſche Religion zur Staats⸗ teligion unb ganz Lithauen mit Ausnahme ber urfprüng« Tid vuffiffen (rutheniſchen) Provinzen befannte fi zur Tateini(den Kirche. In Jagello's Namen und Auftrag herrſchte fofort fein Vetter Witold (ober Witomt) über Lithauen, ein Fräftiger nnd friegeriffjer, aber aud) grau⸗ famer unb unreblidjer Fürft, der fateinifdjen Kirche ange hoͤrig, ber das litfauifde Reich erweiterte, bie Abhaͤngig⸗ 25"

370 Die ruſſtſche Kirche.

keit von Polen beſchraͤnkte, neue Stüde von Rußland abriß und bie Verbindung feiner Ruthener mit dem ausländis ſchen Metropoliten von Moskau febr ungerne faf. Schon im Sabre 1350 hatte der Patriarch von Eonftantinopel aus $abfudt zwei Metropoliten für Rußland geweiht, von denen der Eine, Aleris, zu Moskau, der Andere, Roman, zu Kiew refivirte. Nachmals waren zwar bie Metropolen wieder vereinigt worden; doch gab jene Tren- nung einen Vorgang für bie meue, melde Witold beab- fichtigte. Nach feinem Willen verfammelten fid) im Jahre 1414 die fübruffifden Bifhöfe von Tſchernigow, Spolotef, fuif, Wladimir, Smolensk, Gfelm unb Turow, fagten fid von der Metropole Moskau 106, unb wählten einen eigenen Metropoliten von Kiew, Gregor Zamblak . Diefer bemühte fid) vergebens, ben Fatholifchen Herzog zum Meber- tritte in die griechiſch⸗ruſſiſche Kirche zu bewegen, unb ber gab fij aud auf das große Goncilium zu Conſtanz, wahrſcheinlich um aud) hier die ſchismatiſchen Interefien zu vertreten. Strahl meint (a. a. D. ©. 438), er habe gar ben Papft befehren zu Fönnen geglaubt. Sein Nach⸗ folger Geraffim ftarb i. 3. 1435 ale Hochverräther, und die Kiew’fhe Metropole blieb mehrere Jahre lang erledigt. Da ward in Mosfau ein gewiffer Ifidor auf den Metropolitanftuhl erhoben 9, vom conftantinopolitanis ſchen Patriarchen gefandt und geweiht, ein gelehrter Grieche aus Theſſalonich, geſchmeidig, ſchlau und berebt, jugleid) ein Freund Roms, welcher einfah, daß nur in bem Ans ſchluß an diefes bie griechiſche Kirche wieder Leben, baó

1) Strahl, a.a. Ὁ. €. 434 f. Karamfin, Thl. V. Θ. 185.

Theiner, ©. 44. 2) Raramfin, 29. V. €. 224 ἢ.

Die ruſſiſche Kirche. 3n

griechiſche Reich wieder eine Garantie ber Fortdauer ge» winnen fónne. Als nun ber griehifhe Kaifer Johann Paläologus IL eine Union mit Rom wünfhte, um durch abenbländifche Hülfe fid ber Türken zu erwehren, und mit dem Patriarchen Joaſaph von Gonftantinopel, und vielen Bifhöfen und Großen nad Italien auf die Unionsfynode zu Ferrara⸗Florenz gereist war, ba erklärte der Metropolit Ifidor von Rußland, ber [don früher einmal zu Rom gewefen, es für feine Pflicht, an diefer Synode ebenfalls Theil zu nehmen, unb. führte bief aud aus (1438), obgleich ber ruffifche Groffürft dagegen, und einer Union nicht geneigt war ). Iſidor fam mit dem Biſchofe von Susbal (bei Wladimir in 9tuflanb, im i3ten Jahrhundert errichtet) und anderem großen Gefolge qu Ferrara an, begleitete dann die Synode nad) Florenz, mar einer ber Hauptrebner der Griechen, zugleih Stell- vertreter des Patriarchen von Antiochien, und neben Erz⸗ bifjof Beffarion von Nicka am meiften für die Union thätig, weßhalb ihn Eugen IV. nachmals zum Carbinal der roͤmiſchen Kirche und zum apoftolifden Regaten für den Norden ernannte). Nachdem die Union im Jahre 1439 glüdlid) zu Stande gefommen und Iſidor bie Urfunde unterzeichnet hatte, begab er fid zuerſt mad) Kiew und wurde hier auf den, wie wir fehen, feit einigen Jahren erledigten Metropolitanftuhl ber zu Lithauen und Polen gehörigen rutheniſchen Provinzen gefet, welde nun in die Union eintraten. Sofort Fehrte er nad) Moskau zus τὰ, publieitte aud) hier die Union, wurde aber von dem 1) Raramfin, TH. V. ©. 225. 227 f.

2) Bol. meine Abhandlung über die Union der griechifchen Kirche in ber Quartalſchr. 1847. S. 195. 205. 236 ἢ. u. 1848. ©. 183.

372 “Die uffifge Kirche.

Groffürften Waſſili IL, ber fammt bem ruſſiſchen Epis⸗ copate bie Union nicht anerfannte, in ein Kloſter gefpertt (1441); entfam nad) 2 Jahren wieder durch Flucht, begab fib nad Rom, erhielt Hier hohe Würden, wurde zulept Garbinalbefan und Iateinifcher Patriarch für Gonftantinopel und ftarb i. 3. 1463. .

So war nun bie Mosfauer oder nördliche Metro⸗ pole griechiſch⸗ſchismatiſch, bie füblide oder Kiewer das gegen unirt, unb mit ihr bie Cuffraganbiétbümer Brjansf, Smolensf, Peremyſchl, Surom, Luzf, Wladis mir, Polotsk, Chelm und £alica ἢ. Weil aber aud ber Patriarch von Gonftantinopel bie Union anges nommen hatte, beffjalb trennte fid) jet bie ruſſiſche Mer tropole Mosfau temporär von ihm [o8, und εὖ war jene Union Eonfantinopeld mit Rom bem Groffürften Waf- fili eine erwünfchte Gelegenheit, die ruſſiſche Kirche von Eonftantinopel unabhängiger zu maden, was [don viele feiner Vorgänger gewünfcht, aber herbeizuführen nicht ges wagt hatten. Und wenn aud nad bem Falle von Gon» fantinopel i. 3. 1453 unb der SBieberauflófung ber Flo⸗ rentiner Union die Verbindung Mosfau’8 mit bem Patriarchate Eonftantinopel einigermaßen wiederhergeßellt wurde, fo war bod) unterbeffen der Einfluß des Gjaren auf bie ruſſiſche Kirche beträchtlich gewachfen und er fing bereits an, fid) al& beren Oberhaupt zu betrachten und zu benehmen 2). Dabei ermangelte Rußland Flugerweile nie, bie unter türfifher Herrſchaft verarmten Griechen reichlich zu unterftügen und viele der Flüchtlinge freundlich aufzunehmen. Es gewann dadurch bie Sympathie ber

1) Raramfin, Thl. V. €. 241. 2) Strahl, a. a. Ὁ. ©, 477. 909. 554. 559. 861. 599.

Die ruſſiſche Kirche, 373

eigentlichen Griechen, lief fie fo die Emancipationsgelüfte der ſtolz gewordenen Tochter vergeffen, und beteidjerte zus gleich das eigene Reich burd) eine gute Anzahl wiſſen⸗ ſchaftlich gebilbeter Männer.

Mehrere SBerfude, aud) das eigentliche Rußland für die Union zu gewinnen, blieben erfolglos, namentlich jene, die unter Papft Sirtus IV. im 3. 1472, unter Leo X. im 3. 1513 und unter Clemens VI. im 3. 1525. unternoms men worden find ἢ. Volk, Geiftlichfeit und Regierung waren Dagegen, umb ein ftarfer Haß gegen bie Iateinifche und die unirte griechifche Kirche trat ganz unverfchleiert m Tage. Auch gewann die ſchismatiſch- ruſſiſche Kirche vielfachen Zuwachs. Von dem Mongolenjoche befreit (eit 1462) eroberten die Ruſſen im Norden und Oſten eine Reihe großer Provinzen, Perm, Kaſan, Aſtrachan, Georgien, Lappland, Sibirien unb bergL, fanbten überall Niffionäre bin, und gewannen alle biefe Länder für die ruſſiſche Kirche. Nahezu ganz unabhängig von bem Pa- triarchen zu Conftantinopel leitete biefe der Metropolit. Seine Weihe in Eonftantinopel war faft das einzige Band, das ihn nod) an ben alten Patriarchenſtuhl Enüpfte. Seine Wahl geſchah auf ben Vorſchlag des Großfürften, im Uebrigen war er jebod) von biefem ganz unabhängig und frei in feiner Amtsführung; ja bis ins 15. Jahrhundert hinein wagte felten ein Großfürft, dem Metropoliten zu twiberftehen, und das Anfehen bes gegterem war aud) in den weltlichen Dingen des Staates von fer hohem Ges wichte. Unter ihm fanden in fehr tiefer Gubjeftion bie ÜBorftefer der einzelnen Diöcefen oder Epardien, bie gewöhnlichen Biſchoͤfe und Titularerzbifchöfe. Bei ihrer

1) Strahl, a. a. Ὁ. ©. 483 fj. 548 ff. u. 556.

374 Die ruſſiſche irche.

Wahl hatten Fürſt und Bolt, Metropolit und Clerus Antheil 1), und bei der Eitelleit und Rangfucht der ruſſi⸗ ſchen Geiſftlichen gab εὖ nicht felten zwielpältige Wahlen, bie bann gewöhnlich burd) das oos ent(djieben zu werden pflegen. Zum Unterhalt des Clerus diente der Zehnten, den fhon Wladimir anwies. Im ihren Ländereien hatten bie Bifhöfe aud) bie bürgerliche Gerichtsbarkeit, und ihre geiſtliche Surióbiftion dehnte fij über Bieles aus, in ähnlicher Weile wie bei der der fateini[den Bifchöfe des Mittelalters *). Der ruffiihe Episcopat, aud ben Klöftern, nicht aus der Weltgeiftlichfeit genommen, zeich⸗ mete fid) in der Regel vor diefer burd) Wiſſenſchaftlichkeit und firengere Ascefe aus unb genof zugleich zweier ſchoͤ⸗ nen Vorrechte im bürgerlichen Leben. Gleich ben alten Bifhöfen feit Gonftantin dem Gr. ftanb aud) ben τιν [fen das Recht zu, für SBerurtbeifte bei ben Fürften zu intercebiren, unb es war bie um fo wohlthätiger, je un gerechter einerjeit die rohen Fürften öfters beftraften, und je weniger fie andererfeits bei dem hohen Anfehen des Episcopats folie Interceffionen gering achten durf⸗ ten. Auch unter ber mongolifhen Oberherrſchaft haben die ruffiihen Bifhöfe dieſes Recht fegenóreid) geübt, ben Zorn ber Khane befänftigt und find vielfach bie wahren Retter ihrer Diöcefen geworben 3). Grft im 16. Jahrhun⸗ dert zwang Car Iwan IV. ben Elerus, auf dieſes ſchoͤne Vorrecht gu verzichten *).

1) Schmitt, kritiſche Geſch. der neugtiech. u. rufffgen rdv, ©. 152.

2) Sämitt, a. à. Ὁ. €. 152. 153.

3) Karamfin, a. a. D. Thl V. 6. 305.

4) tra, o. o. D. €. 597.

Die ruſſiſche Kirche, 375

Durch ein anderes Recht haben bie zuffifhen Biſchöfe manden blutigen und ungercdjten Krieg verhindert. Kein tuſſiſcher Sürft konnte nämlich in den Krieg ziehen, ohne daß ihn zuvor ein Biſchof dazu eingefegnet hätte. Ein ungefegneter Feldhert hätte Feine Soldaten gefunden, und in der That ſcheiterte mancher Kriegsplan an ber beharrs lien Segensverweigerung fämmtlicher ruſſiſchen Bifchöfe 1). Lehtere fprachen überbieß aud) Interdifte über rebellis fhe Städte, um fle fo zum Frieden unb zur Unterwerfung ju nöthigen; aber nicht immer wurbe biefe Waffe in wuͤrdiger, mitunter fogar in ſichtlich ſerviler Weife ge» braucht 9. Manchmal, bod) felten, "trat ber ruſſiſche Episcopat zu Synoden zufammen, um ben Suftanb ber Kiche zu verbeffern; aber oͤfters waren εὖ bie Heinften Aeußerlihfeiten, welche biefe Synoden befchäftigten und die Gemütfer auf eine faft unbegreiflie Weife erhigten. Wie à. B. das Kreuzeszeichen zu machen fei, ob bie Pros aefftonen von SBefen nad Dften ober umgefehrt gehen müßten 3), über ſolche Dinge ftritten fij) die Väter ber ruffifchen Kirche oft Jahre [ang mit ber bitterften Heftigfeit. Eine Sache ber Bódften Importanz (dien es aud), ob bie Bifchofsmüge weiß ober ſchwarz fein müffe, unb wem bas Ehrenrecht zuftche, eine weiße Müge mit Cngelébilbern zu tragen. Aehnliche Streitigkeiten über Kleider herrſchten auch unter bem Elerus zweiten Ranges.

Nicht minder fleinfid find bie meiften Borwürfe, welche bie ruffifchen Biſchoͤfe theils einzeln theils in Sys noden verfammelt, der Iateinifhen Kirche machten. Daß

1) Strahl, a. a. Ὁ. ©. 290.

2) Schmitt, a. a. D. ©. 154.

3) Strahl, a. a. Ὁ. €. 490. 578,

376 Die ruſſiſche Rice,

die Lateiner durch Begießung mit Wafler, nicht durch Untertaudung tauften, (dien ben Ruſſen ein gräus lider Abfall vom Chriſtenthum. Die allerfchredlichfte Keperei aber fand die Synode von Moskau im 3. 1551 darin, daß die lateinifdjen Priefter ben Bart (deren laſſen, fo fhrediih, baf dieß Vergehen nicht einmal durch das Martyrium gefühnt werben fónne ). Das Allerbefte jedoh enthält die Kormezaia Kniga, b. b. „das gottgehauchte Steuerbuch.“ Es foll dies, proſaiſcher aud» gebrüdt, eine Anleitung fein, das Schiff der Kirche zu regieten, und fann gewiſſermaßen das ruffiffe corpus juris canonici genannt werben. Darin ift nun in lon- gum et latum ausgeführt, ber Bifchof von Rom {εἰ von Anfang an ber Primas in ber Kirche gemefen, aber burd) ben Frjagifhen Riga Karul (b. h. ben Frankenkoͤnig Earl ben Gr.) fei das Abendland und damit der roͤmiſche Stuhl häretifch geworben, und einer der Päpfte Petrus gombarbu& (Befanntlid) nicht Papft, fondern Biſchof von Paris) habe den lateiniſchen Geiftlihen befohlen, fieben Frauen zu nehmen! Vielleicht hörte der Ruſſe davon, daß Petrus Sombatbué bie fieben Sakramente zuerft vollftánbig aufe zählte, und bie Ehe septimo loco fete. Einen Aus- jug aus biefem „gottgehauchten Gieuerbudje" gab uns der gelehrte Wiener Bibliothefar Kopitar (Wiener Jahrbücher in ben 3. 1823—26) unb παῷ ihm Schlofs fer in feiner oben eitirten Schrift über bie ruffifche Kirche.

Neben ben Biſchoͤfen nahmen und nehmen bie Ar» dimanbriten (Aebte) unb Sgumenen (Prioren) ber

1) Strahl, a. a. ©. S. 579.

Die ruſſiſche Kicche, 377

Klöfter den hoͤchſten Rang in ber ruſſiſchen Kirche ein, duch Stellung und Bildung. Die Klöfter felbft, nad der Regel des hi. Baftlius b. Gr., mehrten fij) ins Uns geheure an Zahl, Reichthum und Anfehen. Einzelne, wie bie von bem berühmten Mönche St. Sergius um bie Mitte des 14. Jahrhunderts geftiftete Troitza Lawra, zeichnes ten fid) burd) Prachtbauten, vergoldete Kuppeln, Gemälde, viele und ungemein große Gloden, die ber Ruffe insbes fonbere liebt, fowie burd) hohe Zahl Teibeigener Bauern aus, deren bie Troiger Lawra über hunderttaufend befaß D). _ Manche traten fon in jungen Jahren, andere erft fpäter in bie Klöfter, um bie Sünden ihres Lebens zu büßen, monde wurden aber auch, felbft Bifhöfe und Fürften, zur Strafe ald Moͤnche gefhoren und in Klöfter gefperrt. Aehnliches fand aud) bei Frauen aus ben höchſten Staͤn⸗ den ftatt; ganz allgemein aber legte man einen hohen Werth darauf, wenigftens im Kloftergewande zu flerben, und nicht blos hohe Geiftliche, aud) Fürften und Fuͤrſtin—⸗ nen unb andere weltlihe Große liefen fid) beffalb am Ende ihres Lebens das fogenannte große Engelskleid anziehen 9. Außer den eigentlihen Moͤnchen treffen wir in Rußland mod) tief im Mittelalter fogenannte Styliten, wie 3. B. der flavonifche Chryſoſtomus, Bir hof Eyril IL von Turow im zwölften Jahrhundert, vor feiner Erhebung auf ben bifhöflihen Stuhl Tängere Zeit in eine Säule unter Faſten und Beten eingefhloffen,

1) Eine feft ſchoͤne und ausführliche Beſchrelbung ber Troitza Laura gibt Qr. v. Harthaufen in feinem trefflichen Werke: „Stubieu über die innern Zuftände Rußlande. Qannov. 1847. Thl. J. S. 80—91,

2) Raramfin, 80. V. €. 305.

378 Die ruſſiſche ird.

hohen Ruhm erfangt hattet). Im Ganzen fand ber zuffifhe Weltelerus, Protopopen, Popen und Diafonen, an Sitten und Kenntniffen tief unter der Kloſtergeiſtlich⸗ feit. Biele waren unmiffenb bis zum Nichtlefenkönnen, unftttlich nad) verfchiedenen Seiten, bem Sxunfe ergeben und fo träge, daß fie oft, namentlich zwiſchen Oftern und Allerheiligen, fehr felten Gotteóbienft hielten. Selbft abers glaͤubiſch nährten fie den Aberglauben unter dem Volke, und dieſer war überhaupt in Rußland fo heimiſch, daß nicht blos allerlei fehr unverbürgte Mirafel geglaubt wurden, daß vielmehr fogar hohe Prälaten, die als Lichter galten, wie der Metropolit Mafar im 16. Jahrhundert, ben Ster- benben hohen Ranges, gegen gutes Geld, Schreiben an den heiligen Petrus mitgaben, damit diefer bem gnábigen Herrn alébalb bie Himmelsthüre öffne ?).

Gegen Ende des Mittelalters nahm bie Achtung ber Weltleute namentlih der Würften vor der Geiſtlichkeit merklich ‘ab. Die Czaren betrachteten fij) immer mehr aud als das firdjlide Oberhaupt des Reihe, erhoben

„Ihre Greaturen auf bie bifhöflihen Stühle, ftießen fi eben fo eigenmächtig wieder von benfelben herab, erlaubten fid oft die vohefte Behandlung und graufamfte Mißr handlung ber immer mehr gefnechteten Prälaten, und je mehr ber τι πε Cäfareopapismus fid) entwidelte, befto häufiger fonnte die ſchmaͤhliche Sitte ftattfinden, aud Geiftlihe im Angefichte ihrer Gemeinde mit der Knute zu peitſchen.

Fuͤr Cultivirung und beſſeren Unterricht des Elerus ſorgten nur wenige Fuͤrſten; das Meiſte thaten

1) Strahl, a. a. O. S. 188. 2) Strahl, a. a. D. ©. 587.

Die zuffifche Kirche. 379

Biefür bie Klöfter, unb wenn aud) bie τε Kirche des Mittelalters einige in ihr hochberühmte Schriftfteller zählte, fo find bod) ihre Werfe und ihre Weisheit meiftens von wenig Belang. Griehifhe Einwanderer brachten einiges Licht; aber wenn fte, wie im Anfange des 16. Jahr⸗ bundert6 der 9Rónd) Marimin auf Fehler in ber flas vonifhen SBibelüberfegung und in ben Kirchenbuͤchern aufmerffam machten, wurden fie mit Gefángnif belohnt !). Die S8udbruderfunft fand bamaló nod gar feinen Eingang in Rußland, unb als hundert Jahre nad) ihrer Gr» findung Gjar Iwan IV. auf den Wunſch des Metror politen Mafar im 3. 1553 fie wirklich einfüfrte, wurde fie für Zauberei erklärt und fonnte lange feinen rechten Fortfchritt gewinnen 9. Um bie Orthoborie zu überwachen, wurde im Anfange des 16. Jahrhunderts bie Predigt cenfur eingeführt, unb nur zuvor revidirte Ausarbeitungen zum Bortrage zugelaffen 5). Doc konnie felbft biefe hoͤchſte Aengftlichfeit für Orthodoxie bie Entftehung von Härefien nidt hindern. Namentlih waren εὖ wei zahlreiche und gefährliche Sekten, woelde feit bem 14. und 15. Jahrhundert die ruffifche Kirche zu beläftigen begannen, bie Strigohniks's und bie Judenfecte Erſtere erhielt ihren Namen nad) einem gewifen Karp Strigolnif, der im 3. 1375 zu Groß⸗Nowgorod mit der Behauptung auftrat, bie Sitte ber ruſſiſchen Biſchoͤfe, von ben zu Drbinirenden eine Tare einzuziehen, fei Gi» monie, unb εὖ müffe fid) Jedermann von Prieftern fern halten, welde ihre Weihen um Geld erhalten hätten. 1) Strahl, a. a. D. ©. 545.

2) Strahl, a. a. Ὁ. ©. 587. 8) Strahl, a. a. D. ©. 561. .

$80 . Die ruffiſche Kirche

Zugleich erflärte er bie Beicht für überflüffig, denn ber Menſch werde aud) ohne fie der göttlihen Verzeihung theilhaftig.

So unrecht er aud) in bem einen wie in bem ande ten Punfte hatte, fo zündeten bod) feine Worte in vielen Gemüthern, mande Kirhen der Popen blieben jet Teer und der Streit erhißte fid) in bem Grade, daß Gitrigolnif, fein Diafon Nifita und einige andere Häupter der Gefte in den Wolchowſtrom geftürzt wurben im S. 1375. Sie galten jet als Martyrer und die Gefte breitete fid) nur um fo mehr aus. Sofort beauftragte ber Patriarch von Eonftantinopel im S. 1382 ten Biſchof Dionys von Susdal mit SBeferung ber Irrenden, und wenn biefer wirklich kluge Biſchof in ber That auch Viele zurüdführte, fo hörte die Gefte bod) nod nicht auf unb verzieigte fib Hundert Jahre nad) ihrer Cntftebung, am Ende des 15. Jahrhunderts, durch Auswanderung aud) nad) Polen, Kurland und Ingermanland, wo ihre 9tadjfommen nod) bis heute unter dem Namen Raskolnif’s leben, wie auch im eigentlichen Rußland nod) jet die Eeften ber Bespopowtschschina unb Njetowschtschina ihre Ueberbleibs fef. find 9.

Noch weit wichtiger war bie Subenfefte, Schi- dowskaja-eress, aud in S9owgorob gegen Ende bes 15. Jahrhunderts entfanben. Der Sube Zacharias in Nowgorod gewann wahrſcheinlich durch die geheimnißvolle Tiefe ber Kabbala die Popen Dionys unb Aleris für feine aͤchtjüdiſche Meinung, das alte Geſetz [εἰ mod) in voller Kraft, denn ber Meffins [εἰ nod nicht

1) Strahl, Beiträge qur ruſſiſchen Kirchengeſch. 1827. & 259 bis 263, u. Brelburger Kirchenler. £8». IX. €. 186.

Die ruſſiſche Kirche, 884

erſchienen. Daraus leitete er zunächft das Verbot bet Bilderverehrung ab, und feine Anhänger follen fogar das Kreuzbild angefpieen haben und berg. Aeußerlich als Chriſten fid) gerirend wirkten nun bie genannten Popen insgeheim für das Judenthum, gewannen mande Andere, fogar den Protopopen Gabriel an der berühmten Sophienkiche zu Nowgorod, ben Arhimandriten Zofima und andere höhere Geiftlihe und Laien, und breiteten ihre Lehre aud) in Moskau aus. Durch erheuchelte afcetifhe Strenge dedten fie bie Härefte fo glüdlich, daß jener Pope Meris ein Liebling des Czaren Iwan IIL oder des Großen wurde und ihn beftimmte, ben Genoffen Zofima auf den Metropolitanftuhl zu erheben im S. 1490. Selbft die Sürfin Helena wurde für die Sekte gewonnen. Dies felde hatte βῷ bereits längere Zeit insgeheim verbreitet, da wurde fie im S. 1488 durch Erzbifhof Gennadius von Nomgorod theilweife entbedt und beim Großfürften Iwan IM. benuncitt, der num im 9. 1490 darüber ein Eoncil nad) Moskau berief. Es prüflbirte dabei der Mes tropolit Zofima, befien Antheil an der Keherei nodj verborgen war. Diefelbe wurde anathematifirt und bie Angeflagten eingeferfert, wobei εὖ Gennabius weder an Graufamfeit nod) an Spektakel fehlen ließ. Die Verur⸗ theilten wurden umgefehrt auf Pferde gefebt, die Kleider verkehrt angezogen, unb jedem eine fpipige Müte von Baumrinde mit Strohkraͤnzen aufgeftülpt, worauf mit großen Buchftaben fand: „Kriegsſchaar Satans." So mußten fie durd alle Straßen reiten, wurden vom Pöbel angefpieen, dann die Kappen auf ihren Köpfen verbrannt, unb fie fefbft eingeferfert. Aber die Sekte wucherte fort, und Sofima mißbrauchte beharrlich feine Stellung, um

382 Die ruſſiſche Kirche.

da und dort den Glauben an Chriſtus zu untergraben, und diejenigen Geiſtlichen, welche der Haͤreſie beſonders kraͤftig entgegentraten, von ihren Stellen zu entfernen. Nach einiger Zeit entbedte zwar unb benuncirte der Mönd) Joſeph, der uns aud) bie Geſchichte ber Sekte beichrieben, bie Irrlehre des Metropoliten; aber der Ezar war nidt geneigt, Strenge anzuwenden und großes Auffehen zu machen, Zofima wurde barum nicht eigentlich geftraft, fon» dern mußte b[o8 vefigniren und fid) in ein Klofter zurüds siehen, wo er unfdjáblid) war. Ob bie heutige Sefte ber Szelesnewschtschina in Polen, Rußland unb der Türkei eine Abart der alten Judenfelte fei, if ungemif aber nicht unwahrſcheinlich 1).

Wie wir oben gefehen haben, war im 15. Jahrhuns bert bie Metropole Kiew und bie zu ihr gehörigen rufs fiffen Provinzen von Polen und Lithauen in Union mit Rom getreten, aber da biefe nur eigentlich vom Metropos liten ausgegangen war und nidjt im Volke unb Gleruó wurzelte, fo fonnte fie gegenüber ben Lockungen ber disunirten Nachbarn in der Moskauer Metropole unmöglih auf langen Beftand rechnen. Der Metropolit Joſe ph von Kiew, aus bem lithauifhen Haufe der Grafen von Sul tan obe Soltan, trat zwar am Ende bes 15. unb im Anfange des 16. Jahrhunderts als ihr energiſcher Vertheidiger auf; aber er mußte fe[bft (fon den Abfall von breien feiner untergebenen Biſchoͤfe erleben, unb kurze Zeit nad feinem Tode löste fid) bie Union vollends gänzlich) auf?).

1) Strahl, Beiträge, L €. 263 f. 938 f. 2) Strahl, Gel: der ruſſiſchen Kite, Bo. L €. 498. 508. Theiner, a. a. Ὁ. €. 64. .

Die ruſſiſche Kirche, 383

König Alexander I. von Polen (1492—1506) war mit der ruſſiſchen Prinzeſſin Helene vermählt, und dieſe glaubte in ber Vernichtung ber Union das politifche Mittel gefunden zu haben, um ben Einfluß ihres ruſſiſchen Bas terlandes auf Polen in hohem Grade zu vermehren. Es ' gelang ifr, in bie hoͤchſten Staatsämter Polens Nicht⸗ unirte einzuſchieben, die Privilegien ber Mnirten zu zerftd« ten, ihre bifchöflihen Stühle mit Unionsfeinden zu befegen und die Unirten auf folde Weife ihrer Hirten zu beraus ben. Als der ſchwache polnifhe König fid) diefem Plane zu widerfegen wagte, rief fie den Vater gegen ben Θὲ mahl zu den Waffen, unb ein ruſſiſches Heer, welches Smolensf und andere Grenzfeftungen nahm, zwang ben König von Polen, die ,ortfobore Religion,” wie Rußland fi ausbrüdte, b. h. die ſchismatiſche Kirche, nicht mehr au beläftigen. So wurde burd) treulofe Politik der Koͤ⸗ nigin bie Union im Anfange des 16. Jahrhunderts [aft ganz zerftört, und viele Ruthener traten aus der griechiſch⸗ unirten förmlih jur Tateinifhen Kirche (im engern Sinn) über, um nidt bem Gdjióma wieder zugetrieben zu werben. Unter der ſchwachen Regierung ber zwei folgen- ben polnifhen Könige Sigismund 1. (1506 1548) und Sigismund Auguft I. (1548-1572) erftarfte das Schisma nod) mehr, dagegen vertraten König Stephan Bathori (1577—86) und fein Nachfolger Sigis- mund II. (1587—1632) wieder mit Grnft und Eifer bie fatholifhe Sache, Unionsfreunde famen wieder auf bie biſchoͤflichen Stühle, bie Sefuiten waren erfolgreich thätig und erzeugten durch ihre Schulen in ber ruthenifhen Jugend eine Fatholifhe Gefinnung. Im gleihen Sinn wirkten viele geiſtliche Bücher in flavonifher Sprache, Sol, Ouartalſqriſt. 4868. LI. Geft.. 26

384 Die ruſſiſche Kirche.

von ben damals pofniffen Städten Lemberg und Oſtrog ausgegangen, unb unter ben Ruthenern verbreitet 1). Während fidj fo bie Wieberherftellung ber Union in ben ruffifden Provinzen des pofnifchen Reiches vorbereis tete, hatten fij in Rußland fefbft febr wichtige kirch⸗ liche Ereigniffe zugetragen. Ich meine vor Allem bie Verbreitung des Chriſtenthums burd) bie 9tuffen nad €applanb, Kafan, Aſtrachan und Sibirien, fowie bie ffüiebererneuerung beffelben in Georgien und Sberien 2). Diefem glüdlihen Ereigniffe gegenüber aber wurde ber ruſſiſchen Kirche im 16. Jahrhundert burd) die Regierung des graufamen und fchredlihen Iwan IV. (1533—84) mande tiefe Wunde gefchlagen. Bei feiner Thronbefteis gung zwar hatte fid) die fehönfte Einigkeit der geiſtlichen und weltlihen Gewalt gezeigt, und erflere bei ber rà» nung des Czars durch ben Metropoliten im 3. 1547 eine bisher nie genoffene Ehre und Auszeichnung erlangt. Die Metropolitanwürbe war ber Czarenwuͤrde gleich ge» flellt, unb Metropolit und Czar nebeneinander auf -gleid) hohe herrliche Throne gefegt worden 3). Auch berief Iwan im 3. 1551 die Bifchöfe feines Reichs zu einem Eoncil nad Moskau wegen DVerbefferung ber ruffifhen Kirche und Ehriftianifirung der neueroberten Provinzen; und es hat aud) biefe Synode unter dem Namen Stoglawnik, b. b. das hundertfägige Goncil, einen bedeutenden Namen in der Geſchichte der ruſſiſchen Kirche fid erworben ^). Aber bald follte Ießtere aud) ben Drud des furchtbaren Herr⸗

1) Strahl, Geſch. b. ruf. 8. b. L ©. 609. 611. 2) Strahl, a. a. D. €. 541. 557, 583 (f. 613. 617. 3) Strahl, a. a. D. €. 572. 4) Strahl, a. α. O. €. 576.

Die rufſiſche Kirche. 385

ſchers empfinden, ber fih, nachdem er münbig geworben, als abfolutes Oberhaupt ber Kirche gerirte, bie Biſchoͤfe und Metropoliten mit ber willführlihften Grauſamkeit behandelte, einfeßte, abfete unb fogar morbete, einen großen Theil des Kirchenguts einzog, im SBiberfprud) gegen das canoniſche Recht der griehifhen Kirche bie Brälaten zwang, feine vierte Verehelichung zu beftätigen, und feinen willführlihen Eheſcheidungen, ja Schließung einer fünften, festen und fiebenten Ehe ruhig zuzufehen, Obgleid) foldhes in bem Augen aller Grieden ein Gräuel war ἢ). Stebfibem begünftigte Iwan den in Rußland eindrin- genden Proteftantismus und Socinianismus, hatte einen fur therifchen Liefländer, Namens Elberfeld, zu feinem Günfts Ting, zeigte felbft Steigung bie Augsburgifche Eonfeffion anzu nehmen, und erlaubte in feiner eigenen Qauptftabt Mosfau den Bau einer proteftantifchen Kiched. Dagegen ließ er, ale tt bie Stadt Polotsk ben Polen abgenommen, alle fathos liſchen Kirchen derfelben von Grund aus zerflören, unb ſchlug eine milbere Richtung erft dann ein, als er von dem Helden Stephan Bathory in große Noth gebracht, Roms Vermittlung anfprehen mußte. Auf bem h. Stuhle fof eben Gregor XIIL, ber fon früher fein Auge auf Rußland gerichtet und wenigftens abnenb erfannt hatte, wie wichtig εἰπῇ für bie Univerfalität der Kirche bie Union des damals freilich mod) micht fo foloffalen ruſſiſchen Reiches fein müßte. Er fandte nun ben berühmten Sez fuiten Anton Poſſevin zur Verföhnung ber Streiten- ben an 8. Bathory von Polen unb an Iwan ben

1) Raramfin, 2b. VIIL. ©. 157. 219. 220, 348. Strahl, a. a. Ὁ. 592. 599. 602 ff. 606 ff. 2) Strahl, a. a. D. €. 580 f. 26*

: 386 Die ruſſiſche Kirche.

Schrecklichen von Rußland im S. 1581 5. Der Car behandelte ihn mit fo hohen Ehren, wie nod) nie einen an» dern Gefanbten; bei Nennung des päpftlihen Namens erhob er fij fammt bem Czarewitſch, und empfing mit Achtung die päpftlihen Gefdjenfe und Schreiben, worin unter ber Bedingung Firchlicher Union bie Vermittlung zu einem günftigen Stieben mit Polen und fráftige Unter ftügung gegen bie Türken zugefihert wurde. Der Czar antwortete politiſch, geftattete aber [don bie erfle Bitte des Legaten nicht, nämlich bie Grfaubnif zum Bau einiger katholiſchen Kirchen für bie Fatholifhen Kaufleute un d Einwohner Rußlands. Auf feinen Wunfh begab fid) Poſſevin bald wieder in das Lager Bathorys, um biefen zum Frieden zu bewegen. Die Unterhandlungen begannen in einer Zeit, wo bie Belagerung von Pſtow ohne zu gelingen, bem polnifchen Helden viele Taufende raubte und fein Heer ihm entfremdete. Einigermaßen baburd) entmuthigt, gab Bathory bem Gzaren mande von bem - Eroberten gurüd, und Poſſevin vermittelte in ber That ben Frieden. Nachdem er dies vollbracht, begab er fid) im Sanuar 1582 wieder nah Moskau, um nun aud bie Union zu bewirken, und erbat fi zu diefem Zwecke eine befondere Unterrevung mit dem Gjaren. Sie wurde ifm am 21. Februar 1582 gewährt. Der Gjar. erklärte glei Anfangs entfhieden feine Ungeneigtheit zur Union, ließ fid aber doch in eine Art Disputation mit bem ge» gaten ein, bie nur zu heftigen Redensarten gegen bie lateiniſche Kirche führte. „Drei Tage fpäter hatte Poſſe⸗ vin abermals Audienz unb wuͤnſchte, daß ber Czar junge

1) Karamfin, a. a. Ὁ. b. VIIL ©. 260 ff.

Die ruſſiſche Kirche. 387

unterrichtete Ruffen nah Rom ſchicken möge, damit fie fib dort mit ben Dogmen ber alten griehifhen Kirche und mit ber lateinijdjen Sprache befannt machen unb fo au fünftigen Vermittlern dienen fónnten. Nicht minder möge et „die giftigen Tutherifhen Magifter" aus bem ^ Lande treiben. Die zweite Bitte wurde abgefehlagen, zur Erfüllung ber erfleren [eere Hoffnung gemacht. Auch von einem Kriege gegen bie Türfen wollte der Gjar nichts mehr wiffen, fuchte dagegen den Poſſevin durch fft dahin ju bringen, daß er einem ſchismatiſchen Gottesbienfte bei wohne und bem ruffifhen Metropoliten die Hand Füffe. Der Legat klagte über Falſchheit, und obgleich mit äußern Ehren umringt, fonnte er bod) für eine Union nicht das Geringfte bezwecken, ja nicht einmal die Gr[aubni zum Bau einer Fatholifhen Kirche erlangen. Nur die Freige⸗ bung von 18 zu Sflaven gemachten Spaniern unb mil» dere Behandlung ber Friegsgefangenen Katholifen aus Deutfchland und Lithauen wurde ihm zugefihert ). Mit Geſchenken entlaffen reifte Poffevin im Mär; 1582 wieder ab, und fliftete auf bem Rüdwege nad) Rom ein Iefuiten- collegium zu Braunsberg und ein anderes zu Olmüg zur Erziehung ſchwediſcher Jünglinge im ber Fatholifchen Religion, denn aud) Schweden hatte er der Kirche wieder einzuverleiben geſucht und theilweife felbft den König Johann II. temporär dafür gewonnen ?).

Nah Swan herrfähte über feinen ſchwachen Sohn und Nachfolger Feodor Iwanowitſch (1584-89) defien Günftling und Schwager, Fürft Boris G obunow,

1) KRaramfim, a. a. Ὁ. 5. VIIL. ©. 288 ῇ. Theiner,

a. a. D. ©. 67 f. 2) Schroͤchh, Kirchengeſch. feit ber Reform. 80. IV. ©. 360.

388 Die ruſſiſche iris.

Staat und Kirche tyrannifirend. Ihm gelang εὖ, das zu erreichen, was bie vorausgegangenen Herrfcher ange⸗ firebt hatten, bie Lostrennung vom Patriarchen in Gon» fantinopel und die Gründung einer ruſſiſchen Nationals fite, bie bei hohem Namen wenig Freiheit haben follte. Bor allem vertrieb er den Mugen Metropoliten Dionys und erhob den Hiob auf den Stuhl, feinen gehorfamen Diener ). Als nun im I. 1588 ber Patriarch Jeremias IL von Eonftantinopel in Moskau erſchien, um Almofen für bie unter den Türken verarmte griechiſche Kirche und zum Bau einer neuen Kathedrale in Conftantinopel zu fams meln, ftellte ihm Boris Godunow das durch große Ges ſchenke und SBerfpredjungen unterftüßte Anfinnen, ben Metropoliten Hiob zum Patriarhen von Rußland zu ers heben. Er that es und weihete am 26. Januar 1589 den Hiob mit vielem Pompe zum Patriarchen von Moss fau, bem zugleich der britte Rang in der gefammten griehifhen Kirche, nad) ben Patriarchen von Gonftanti nopel unb Alerandrien und vor denen von Antiodhien und Jerufalem zugewiefen wurde. Auch wurden vier rufe fife Biihöfe zu Metropofiten, ſechs andere zu (Titular) Grubifdófen erhoben unb nur acht verblieben als gewoͤhn⸗ liche Bifhöfe 2. Die Ehrentitel waren geſtiegen, aber die Selbſtſtaͤndigkeit ber Bifhöfe nahm immer mehr ab.

In derfelben Zeit, wo Rußland fid) von Eonflanti» nopel trennte, unirten fid) bie zuffifchen Provinzen in Polen wieder mit ber Fatholiihen Kirche. Zur leichten Herbei⸗

1) Strahl, o. a. D. & 618.

2) Karamfin, a. a. Ὁ, 990. IX. ©. 186. Nah Schmitt (itifäpe Gef. x. ©. 155) wäre der Rang des neuen Patriarchen ger tinger gewefen unb er felbft bem Patriarchen von Serufalem nachgeſtanden.

Die ruſſiſche Kirche, 389.

führung einer Union hatte Poſſevin zu Wilna eine Sefuiten» ſchule und ein Seminar für junge Ruthener gebildet, welde zur Union übertreten würden unb zu Shrieftern ihrer Nation hier gebilbet werden folltenY. Sowohl Stephan Bathory als Sigismund IIL von Polen , beide ſelber katholiſch, gingen freudig in feine Plane ein, weil teligiöfe Einigung ber Einwohner das Königreih Polen nur flärfer machen fonnte. Der Papft und ΕΣ Sigis⸗ mund ſtellten darum den Ruthenern die Vortheile bet Union vor, und begünftigten die Unirten, ohne jedoch, wie felbft ber eifrige Rufe Karamfin (Bd. IX. ©. 318) ge feht, mit Gewalt ober Verfolgung zu drohen. Wohl aber unterftügten fie bie Unionsfreunde auf alle Weife, während dagegen ber Czar bie Gegner ber Union mit ruſſiſchem Golde verfah ?). Wider feinen Willen half ber Patriarch von Gonftantinopel ben Unionsplan aus» führen. Bon Moskau Deimfefrenb vifititte der genannte Jeremias IL aud) die Metropole Kiew, fegte ben Metro» politen Oniffiphor ab, weihete an feine Stelle den Michael Rahofa (1589), ftrafte mande Biſchöfe unb Arhimandriten, machte willführlihe Einrichtungen und brandſchatzte bie Diöcefen. Dieß machte ihn verhaßt; zum Metropoliten von Kiew aber hatte er einen Mann erhos ben, ber fid) bald als ben entfchiedenften Freund ber Union zeigte. Im December 1594 berief er alle Bifchöfe feiner Metropole zu einem Concil nah Breft (ὅτε, um Über die Frage zu entſcheiden, ob Hiob von Rußland ober der. Bapft als Oberhaupt anerfannt werben folle. Der Spruch fiel beinahe einftimmig zu Gunften Roms aus;

1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 69. 2) Raramfin, 90. IX. ©. 319.

390 Die ruſſiſche Kirche.

nur wei Biſchoͤfe von Lemberg unb Peremyſchl waren

anderer Anficht, aber aud) fie traten nahmals dem Sys nodal⸗Beſchluſſe bei. Sofort wurden bie Bilhöfe Hypar tion Phocias von Wladimir und Eyrill Terledi von Luzk als Gefandte nad) Rom gefhidt im I. 1595, um bem Papfte auf bie Bedingungen der Slorentiner Synode hin bie Union anzubieten. Clemens VIIL nahm die Deputirten mit allen Ehren auf, unb in das Gonfiftorium eingeführt (23. Decbr. 1595), legten fte das für unirte Griechen übliche Glaubensbekenntniß (das nisänifche fammt filioque und ben Erflärungen von Florenz über ben Bf. Gif) für fid und ihre Gommittenten feierlich ab. Zus gleih wurde Alles, was bie Plorentiner Synobe ben Griechen einräumte, namentlich bie Beibehaltung ber alten Kirchengebraͤuche, Kirchenſprache, Diſciplinareinrichtungen und dergl. auch ihnen geſtattet, und Clemens ließ wegen Abſchluſſes diefer Union eine Feſtmuͤnze prägen, mit bem Bilde des Papftes, bem fij ein Stuffe zu Füßen wirft, und mit ber Umfchrift: Ruthenis receptis unb der Jahreszahl 1596 3). Meberbieß publicirte er das 1) Im lorem, Hatten ble Griechen bie bogmatifdje Richtigkeit des Zufoges flioque auebrüdlid anerfannt, bod) fatte map bamale nicht von ihnen verlangt, daß fie audj das Wort filioque in ihr Symbol aufe nehmen müßten. Vrgl. meine Abhandlung über bie Union der Griechen, Artifel IL. ©. 252 f. der Quartalfchr. 1847. 2) Die Gefcyichte fammt dem fraglichen Glaubensbefenntnig unb andern Dofumenten biefer Union unsliefertent 1. Eaefar Baronius in feiner Abhandlung: De Ruthenis ad communionem Sedis apost. receptis, bem 7. Bande feiner Annales angehängt. Am Gxluffe derſelben giebt er aud) eine Gopie ber oben befprochenen Münze.

2. Theiner, a. a. Ὁ, ©. 96. und die dazu gehörigen Dokumente 9t. 2. 8, 4. u. 5.

3. Auch handelt Karamfin, a. a. D. 85. IX. €. 317 f. v. dieſer Sache.

Die ruſſiſche Kirche. 301

Geſchehene der ganzen Welt durch die Bulle: Magnus Dominus et laudabilis. Die ruthenifhen Bifchöfe bes ſtaͤtigten fofort feierlich, was ihre zwei Deputirten getfan, unb die ruthenifche Kicche wurde von nun an wie eine SRifflon betrachtet unb ber Congregatio de propaganda fide unterſtellt. Durch ihre Vermittlung erhielt jeder neue Metropolit bie päftlihe Gonfirmation , während ihm felder das Recht blieb, feine Suffraganen zu confirmiren und zu confeciten. Gewählt aber follte er werden von den SBifdjófen und Archimandriten.

Auf die Nachricht hievon fhleuderte der neue Pas irat $iob von Moskau ben Fluch auf ben unitten Elerus, und bie Bifhöfe von Lemberg unb Peremyſchl, welde, wie wir fahen, fhon auf jener ruthenifchen Syr nobe ber Union nicht geneigt waren, fielen jeßt wieder völlig von ihr ab. Unter bem berühmten Könige Johann . Sobieski febrten jebod auch ihre Digcefen zur Ein- heit gurüd. Große Verdienfte um Ausbreitung der Union erwarb fid) der Metropolit Iofeph 8elamin 9tubeti (1613—1635), welcher von Papft Urban VII. ter Atha- nafius Rußlands unb ber Atlas ber Union genannt wor⸗ ben ift, und buch ben bie unirte Kirche einen neuen Katechismus in Heinruffifcher und polnifher Sprade (im 3. 1632) erhielt. Baft hundert Jahre fpäter (1720) orb» mele die berühmte polnifhe Synode zu Zam oisk unter dem Metropoliten Leo δὲ ἰδέα und unter bem Borfige des päftlichen Legaten Hieronymus Grimalbi wieder eine Reihe SBerbefferungen in ber unirten Kirche an 5;

1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 347 ff.

392 Die ruſſiſche Klirche.

aber aus zu großer Rigoroſitaͤt hob fle manche ber von Clemens VII. concedirten griechiſchen Gebräuche wieder auf, und näherte fid) aud) im Ritus ben Lateinern. Der hf. Stuhl wollte beffalb die Synode Anfangs nicht bes flätigen, denn mit Hoher Weisheit erfannte er, daß bie Lateinifirung bie wahre Union in necessariis leichtlich finbere, und hatte barum aud) ben Uebertritt der Unirten zum Iateinifher Ritus verboten. Grft auf wieberholtes Gefud) des gefammten unirten ruthenifhen Episcopate ertheilte Benedikt XII. endlich jener Synode bie páftlide Beftätigung!), und der frog des Verbots unter bem ruthes niſchen Adel häufig vorgefommene Uebergang von ber unirten zur lateiniſchen Kirche zeigte wirklich in Bälde feine ſchaͤd⸗ lihen Folgen, indem bie unirten Stutfener, als fle unter ruífiffe Herrſchaft famen, jet ihres natürlichen Bes ſchuͤzers, eines fráftigen unirten Adels entbehrten, und deßhalb viel leichter bie Beute ber ruſſiſchen Disunions- Tendenzen geworben find. Am meiften haben bie ruther niſchen Bafllianermönde durch ihre gatinomanie gefchabet, mit welcher fie zugleich das Streben παῷ Gmancipation vom unirten Metropoliten verbanden, und S8enebift XIV. fand barum für nótfig, mehrere Bullen gegen bie Ans mafungen ber Bafllianer zu erlaffen ?). Nah ihm hat nod) einmal Clemens XIV. (1769—1774) der unirten Kirche burd) ein neues Verbot des Üebertrittd zum lateis nifhen Ritus aufzuhelfen gefudjt; allein er felbft mußte nod) den Anfang jener politifchen Greigniffe erleben, in deren Bolge bie (don geſchwaͤchte unirte Kirche faft gänze lid zerftört wurde. Auf welche Weife und durch welde

1) Theiner, a a. D. S. 279. 2) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 2721.

Die ruſſiſche Kirche. 393

Mittel dieß unter Katharina IL und dem jegigen fai» Nikolaus L geſchehen fei, darzuftellen liegt für jegt ijt in unferer Aufgabe; dagegen müffen wir anführen, daß jene Union aud) in ben polnifhruffifhen Provinzen nie vollkommen durchgeführt werben fonnte, daß vielmehr noch immer viele disunirte Gemeinden verblieben und εὖ neben dem unirten Metropoliten von Kiew aud) einen disunirten gab, ber fünf weitere ſchismatiſche Biſchoöͤfe unter fid hatte unb dem Patriarchen von Mosfau unters fand. Seit bem 3. 1635 hatten biefe Disunirten fogar eine eigene Univerfität zu Kiew, Academia orthodoxa Kiovo-Mogiloena, von bem disunirten Metropoliten Beter Mogila geftiftet, aus ber viele Schmaͤhſchriften gegen die Union hervorgegangen find h.

Sod bliden wir wieder nad) bem eigentlichen Rußland. Als bie polnifchsrufflfhen Provinzen in bie Union eintraten, regierte über Rußland fafti[) Boris Godunow flatt feines Schwager Feodor J. Nah des Letztern Tod im 3. 1598 ſchwang fij Boris burd Ermordung des Cjaremitj Demetrius, unter Mitwir- fung eines großen Theils der fervilen hohen Geiſtlichkeit, namentlich feiner Greatur des Patriarchen Hiob, felbft auf den Thron im Sabre 1598. Doch ein Diakon unb Mönd, Gregor Jakob Otrepiew, beigenannt Raftriga, d. h. entlaufener Mönd, trat im S. 1604 in Polen unb Sifauen als SBfeubobemetriue auf, und erhielt großen Anhang. Selbſt ber König Sigismund IM. von Polen, der päpftlihe Nuntius 9tangoni und viele pols nifhe Große wurden von bem Betrüger gewonnen und

1) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 109.

394 Die ruſſiſche Kirche.

unterftüßten ihn. Dafür machte er ihnen, befonberó bem Nuntius die feierlichften Zufiherungen, fobald er auf ben Thron fáme, bie Union aud) in Rußland durdzuführen, und trat felbft ſchon insgeheim im Sefuitenkolegium zu Krakau der Fatholifhen Kirche beit. Auch SBapft Ele mens VIIL, mit bem er in Brieſwechſel trat, intereffirte fid für ihm, und verfiderte ihn feines Schußes. Der Woiwode θὲ πὶ {ὦ εἴ von Sendomir (in Polen) verfobte dem Spfeubobemetriuó feine fhöne Tochter Marina und trat an bie Spiße der pofniffen Unterftügung des cuffie fen Prätendenten. Es half nicht, daß Boris Globunom unb ber Patriach Hiob das Ganze für einen Betrug ere Härten; bie doniſchen Koſaken fpradjen fid) für Demetrius aus, ebenfo bie τι πε Ukraine, und bald fammelte fih ein Heer, an befien Cpige Demetrius, wie ein muthiger Ritter nah Rußland jog. Seine Manifefte wirkten auf das Volk, überall fiel es ihm fammt den Obrig« keiten zu und ohne Schwertfireih gingen bie Grenz⸗ feftungen zu ihm über. Gobunom, ſchlechten Getviffene, verlor feine fonftige Klugheit, und die Liebe der Ruffen hatte er ſchon früher eingebüßt. Sein Heer wurde am 18. Decbr. 1604 von Demetrius gefdjlagen ; dagegen uns terlag diefer in einer andern &djfadjt im Januar 1605, galt aud) bereits felbft a[8 tobt, fammelte jebod) wieder neuen Anhang, und zwar mit folhem Erfolge, daß die Partei Godunow’s immer Heiner und immer lauer wurde, Da ftarb Lepterer plóglid (wahrſcheinlich burd) Gift) im 3. 1605 und Hinterließ feinen 15jährigen Sohn Feodor I. als Gjaten. Sein oberfter Selbberr Basmanow, bie

1) Karamfin, a. a. Ὁ, $5. X. ©. 111,

Die ruſſiſche Kirche. 305

her ber δεβε Kämpfer gegen den Praͤtendenten, ging nun fammt bem Heere zu biefem über, unb in vollem SBompe, überall anerfannt, jog Demetrius gegen Moskau. Bevor er nod ankam, wurde ber junge Feodor I. von bem empörten Bolfe vom Throne geftofen umb gefangen ger fest, bald darauf fammt feiner Mutter Maria erwürgt, ber Patriach Hiob feines Amtes beraubt und eingefperrt. Darauf hielt Demetrius am 20. Juni 1605 feinen feiers Tien Einzug in Mosfau, und regierte mit Kraft und Weisheit, als wäre er zum Throne geboren gewefen. Des ehemaligen Czaren Iwan des Schredlichen fiebente Frau, die angebliche Mutter des Demetrius, wurde aus bem Klofter, in das fie gefperrt war, herbeigeholt, und erklärte mahrfcheinlih aus Haß gegen das Haus Gobunom in bie Sáufdung eingehend, ben Betrüger öffentlich für ihren Sohn, und umarmte ihn vor bem verfammelten SBolfe. Doch das Glüd hatte ben Demetrius übermüthig gemacht, et zeigte den Bojaren Verachtung, zog überall die Polen und andere Ausländer ben 9tuffen vor, verſchwendete viel, lebte in Ausſchweifungen, vernachläßigte mande heilige Gebräuche, fhäßte die ruſſiſchen Geiftlihen und Mönde gering, hatte dagegen zum größten Aergerniß der Ruffen vielſach Sefuiten um fij, gab ihnen eines ber fhönften Häufer der Reſidenz und geftattete ihnen fogar im Kreml lateinifdjen Gottesdienſt. Auch feine Verheirathung. mit der Fatholifchen Polin war ben Ruffen ein Verbrechen gegen Religion und Nationalität. Nebenbei machte jedoch Des metrius aud) nicht bie geringfte Anftalt, fein Verfprechen in Betreff der Union zu erfüllen, und ber Papſt ſchickte ganz umfonft den Grafen Alerander Rangoni, einen

396 Die ruffifche Klrche.

Neffen des Nuntius in Polen, an ihn ab Y. Nicht Tange, fo verbreiteten fid) aud) Geruͤchte über feine wahre Sibftammung, von feinen eignen Verwandten, ja felbft von feiner eigenen wahren Mutter ausgehend. Fürft Wafr ſily Schuisky trat an bie Spige ber Ungufriebenen, und während noch die fofoffalen Feſtlichkeiten der Hochzeit mit Marina dauerten, brad) ber Aufftand aus am 17. Mai 1606. Demetrius, faft von Allen verfaffen, entfprang burd) ein Fenſter, wurde aber umringt, aud) von Iwan's Wittwe, bie jet widerrief, für einen Betrüger erklärt, von zwei Evelleuten erfhoffen, vom Volfe zerriffen. Mas tina unb ihr Vater wurden von ben Bojaren gerettet, einige andere Polen umb mehrere Sefuiten, auf Anſtache⸗ fung einiger Popen, vom Pöbel ermordet. Fürft Waffily Bafilius) Schuisky wurde nun zum Czaren erwählt im 3. 1606, drei neue Pfeudo-Demetrii und ein Pſeudo⸗Peter Cangebliher Sohn Feodor's) traten auf, und fhredliche Anarchie und Thronftreitigkeiten entftanden, bis enblid) hauptfählih burd) ben Clerus das dem rechtmäßigen Gzarengefjledhte verwandte Haus 9tomanow in Wir dae Romanow Fedorowitſch (1613—1646) auf ben Thron erhoben wurde. Gegen ben Elerus dankbar räumte er biefem wieder mehrere Vorrechte ein und ber ſchism atiſche Metropolit Mogila von Kiew verfaßte jebt (1632) das berühmte griehifhe Glaubensbekenntniß (ὀρϑόδοξος πίστις πάντων τῶν Γραϊκῶν), Me wir weiter unten näher gebenfen werben.

Unter Michaels Sohn und Nachfolger Meris (1646 bis 1676) entftanb die Gefte ber Ras kolniks ober

1) Karamfin, a. a. Ὁ, 80. X. €. 197.

ID zuffifche Kirche. 397

Atgläubigen aus SBeranfaffung einer Berbefferung ber Kichenbücher. Schon im Anfange des 16. Iahrhunderts fatte, wie wir oben bemerften, der griechiſche Moͤnch Marimin angefangen, bie ruffifen Kirchenbücher mit ihren griehifhen Originalen zu vergleihen und bie in bie alten ſlavoniſchen SBerflonen eingefchlihenen Fehler zu verbeflern. Allein aus Verdacht, ald made er die Bücher ketzeriſch, wurde er in ein Klofter gefperrt und feine Ars beit blieb ohne Erfolg. Auch mehrere fpätere Verſuche führten zu feinem Refultate, bis unter bem berühmten Batriorhen Nicon 1654 und feinem Nachfolger Jo— ſeph ein großes aud von ben morgenländifhen Pa— triarchen und ihren Gefandten befuchtes Goncil. eine folde Verbeſſerung ſelbſt vornahm. Doch aud) damit waren manche Fanatiker aͤußerſt unzufrieden und traten mit Hef⸗ tigkeit gegen die Niconianer (wie ſie die übrige ruſſiſche Kirche nannten) und für die alten Kirchenbuͤcher auf, weßhalb fie jelbft die Starowierzi (b. i. die Alt gläubigen) und Raskolniki (v. L bie Getrenn- ten) genannt wurden !)., Durch Verfolgung vermehrte fi bie Zahl und die Erbitterung ber Geftiter, bedeutende Emeuten bradjen aus, Ginridjtungen gaben ben Banatifern Martyrer, wer zu ihnen übertrat und nad ben neuen Kirchenbuͤchern getauft worden war, ben tauften fie nod) einmal, trennten fid) aber aud) felbft wieder unter einan- der. Seit Katharina II. | gefhahen wiederholt SBerfudje, fie unter Belaffung mancher Gigentfümlidjfeiten wieder mit der Kirche zu uniren, aber ohne großen, Erfolg. Die Unirten heißen feither Jedinomwerzi, (v. i. die Gleiche 1) Strahl, Beiträge x. €. 290. Theiner, a. a. Ὁ. 6.110. Serthaufen, a. o. D. Br. L €. 3485. 8. IL ©. 69.

398 Die ruſſiſche Me.

släubigen. Bald wurde der tame Raskolnik's ges neralifirt und aud) auf verfchiedene andere Sektirer über- tragen, bie jet in Rußland in nift geringer Zahl bald mit bald ohne Prieſter entftanben. Erftere heißen Po- pom[dt(dina, legtere Bespowfchtihina. Darunter mar bie des Pfeudopriefters Lepichin befonders in Gibi» tien (bie Morelfepifi) fanatifch bis zur fogenannten „Feuers taufe," fo daß Taufende von ihnen freiwillig ins Wafler fprangen, andere fid) lebenbig begraben ließen 3). Biele diefer Selten, deren mande wie bie Duchaborzi Eichtkaͤmpfer) faft gar nichts Chriſtliches mehr fefthalten, haben fid) bis auf ben heutigen Tag erhalten, vorzugs⸗ weife in Grofruflanb, bei den Kofafen unb im Norden, während die Kleinruſſen durchaus nicht zur Seftirerei ge» neigt find. Seit Peter b. Gr. hat die Regierung wieder⸗ holt, aud nod) in ben Jahren 1841, 1842 und 1843 burd) Grilirung in großem Maßſtab nad) Sibirien und in den Gaucafué bie Sekten zu erſticken gefud)t, ohne jebod) gum Ziele gu gelangen 2).

Eine wichtige Epoche madt in der ruſſiſchen Profan« und Kirhengefichte die Regierung Peter’s b. Gr. Während Peter noch mit feinem Altern aber unfähigen Bruder Iwan das Reich theilte (1682—89), in Wahrheit aber feine ältere Schwefter, bie Huge Sophia, regierte, machte der gelehrte und angefehene Grjbiffof Simeon von Polotsf den Vorſchlag, der ruffüjfen Kirche einen SBapft, vier Patriarchen und zwölf Meiropoliten zu geben,

1) Strahl, a. a. D. €. 301 u. 307. Harthaufen, a.a. D. 59». L €. 337 ἢ.

3) Ausland, Jahrg. 1842. Mr. 318. Harthaufen, a. a. Ὁ. 100. L Ὁ. 361. 409 jj.

Die sufflfche Kirche. 399

in der geheimen Abſicht, durch biefe neue ‚Einrichtung bie Union mit ber lateiniſchen Kirche, der er fehr gewogen mar, anzubahnen. Auch überfeßte er zu biefem Zwede verfhiedene lateiniſche Hauptſchriften, y. B. bie Paftorals Regel Gregors b. Gr. ins Ruſſiſche 1). Aber fein Tods find, der Patriarch Soadjim, zerflörte dieſen Plan, wie den des deutſchen Kaiſers Leopold I., welcher im 3. 1686 feinem Gefandten zu Moskau ben berühmten Jfuiten Johann Bota beigab, um für bie Union thätig zu fein. Er fonnte jebod) nit mehr erreichen, ale daß in ber Geſandtſchaftskapelle Fatholifcher Gottesdienſt frei gehalten werben durfte 7).

Bald nad) dem Antritte ber Alleinregierung im 3. 1702 gefattete Peter b. Gr. allen Eonfeffionen freien öffent- lichen Gottesdienſt in feinem ganzen Reiche, genehmigte den Kapuzinern und Jeſuiten ungehindert Miffionen in Rußland, fdágte lehtere als Erzieher und überttug ihnen den Unterrricht des jungen ruffifyen Adels. Als ihm ber Patriarch) Adrian und die Bifhöfe dagegen Vorftellungen machten, erwiberte er jornig: „ihr Büffel verftebt bod) nicht die Jugend zu unterrichten“ 8). Mit bem hl. Stuhle unters bielt er bie freunbfdjaftlid)fte Verbindung, unb mande Aeußerungen ließen vermuthen, daß er eine Vereinigung beider Kirchen ernſtlich gemünfdt habe. Dahin deutete man aud) bie lange Nichtbeſetung des Patriarhenftuhles Gatriarch Adrian ftarb ben 16. Nov. 1700 unb man wartete 20 Jahre auf einen Nachfolger), und mehrere

1) Theiner, a. a. Ὁ. €. 111. Strahl, Beiträge €. 235. Derf. gelehrtes Rufland, €. 252 fi.

2) Theiner, a. a. D. €. 113. Strahl, Beiträge ©. 236.

8) Theiner, a. a. Ὁ. ©. 114.

Siesl. Dxaztalfgrift, 4868. I. Seft- 21

400 Die ruſſiſche Klrche.

ber von ihm bevorzugteſten ruſſiſchen Bifhöfe waren ber Tateinif pen Kirche febr geneigt, namentlih Erzbiſchof Theophylakt Lopatinsfi von Twer und Stephan Jaworski, Metropolit von Räfan und Sibminiftrator des erledigten Patriarhats, mit dem Titel Grard. Wegen feines nad) Bellarmin bearbeiteten Werfes „Petra fidei^ gegen Zutheraner und Ealviniften, nannte man ihn feloft den ruſſiſchen Bellarmin 1).

Die Geneigtheit Peter’s für bie Union vorausfegend machte ihm die Sorbonne bei feiner Anwefenheit zu Paris im 3. 1717 Vorſchlaͤge in diefer Richtung. Gr legte fle feiner Geiftlichfeit vor; biefe aber verftanb durch allerlei Aus fluͤchte Alles zu vereiteln 9. Ueberfaupt. (djeint Peter Ὁ. Gr. in den legten Jahren feiner Regierung weniger freundlich gegen bie katholiſche Kirche gefinnt gewefen zu fein; wenigftens opferte er im 3. 1719 die Syefuiten bem Haffe der ruffifchen Geiftlichfeit und verbannte fie, gebot aud) in demfelben Jahre, daß alle Kinder aus gemifchten Ehen in der ruſſiſchen Religion erzogen werden mußten 9). Unwahr dagegen ift, daß Peter bei einer Hofmasferade im 3. 1702 den Papft und die Fatholifche Kirche laͤcher⸗ lid gemadt habe. Er perfiflirte vielmehr ben ruſſiſchen Patriarchen und Elerus, wie Theiner aus bet Be fhreibung eines Augenzeugen darthut 9.

Uebrigens ift bie Hoffnung einer Union wohl nicht ber Hauptgrund ber vieljährigen Erledigung des Patriar⸗ chalſtuhls gewefen. In vielen Punkten war Peter, von

1) Theiner, a. α. Ὁ. ©. 115. 119.

2) Särödh, Kirchengeſch. feit ber Ref. 85, TX. €. 158 f. 3) Theiner, a. a. D. ©. 129. Strahl, Beiträge €. 240 f. 4) Theiner, a. a. D. €. 125. Särödh, a. c. S 283.

Die ruſſiſche Kirche. 401

abendländifcher Bildung ergriffen, mit ber ruſſiſchen Kirche namentlih dem Aberglauben, Bilverdienft, Ceremoniens weſen, Unduldfamfeit und Unwiſſenheit hoͤchſt unzufrieden. Um folche Mängel zu heben hatte er [don mehrere Goitte, insbefondere über Errichtung von Schulen an ben Biſchofs⸗ fiten (im 3. 1700) erlaffen ). 9tod) mehr durfte er zu erreichen hoffen, wenn er größeren Einfluß auf bie Kirche gewann. Zugleih mochte er caͤſareopapiſtiſche Anfichten fiebgewonnen haben ?. Dem hiezu entworfenen Plane, bie Patriarchalwuͤrde ganz aufzuheben, follte bie 20jährige Sevisvafanz als Einleitung und Vorbereitung dienen. Der Grard) fief zwar Anminiftrator des Patriarchats, allein feine Gewalt war von bet des Patriarchen Bim» melweit verfd)ieben, und mur bie laufenden und minder wichtigen Angelegenheiten ihm unterftellt. Die etwas twichtigeren wurden einer Art Synode vorgelegt, bie fid) unter dem VBorfige des Grardjen auf Befehl des Kaifers von Zeit zu Zeit in Moskau verfammelte; bie allerwidh- ligften aber behielt fid) ber Czar felbft zur Entſcheidung vor, fo daß man ihn nicht mit Unrecht mit Delai-Lama verglich 3). In ber That benahm fid) Peter während ber Sedisvakanz bereits faltiſch als geiftliher Diktator, unb erließ feit Anfang des 18. Jahrhunderts eine Reihe von Defreten und Gefegen, bie in das kirchliche Gebiet eigen» mädjtig eingreifen, und über bie Befugniffe eines weltlichen Regenten weit hinausliegen, wenn fie aud) wohlgemeint und theilweife wirklich geeignet waren, in ben Klöftern und unter dem Weltelerus beffere Ordnung zu ſchaffen

1) Strap, Beiträge x. S. 238. . t

2) Schroͤchh, a. a. D. €. 171. Sämitt, a. a. D. €. 163 f. 3) Schmitt, a. a. Ὁ. €. 164. s 21 *.

402 Die ruſſiſche Kirche.

und namentlich bie wiſſenſchaftliche Bildung zu Deben. Selbſt bie Laienbrüber in ben Klöftern, und bie Zellen der Moͤnche und Nonnen entgingen ber Faiferlihen Res formirluft nicht, unb in ben 26 von Peter felbft verfaßten Zufapartifeln zur geiftlichen Regulation (— das neue Ὅτε ganifationsftatut) gab er den Geiftlihen eine völlige Pa— ftoralinftruftion, und fehrieb 4. 3B. vor, wie fie das Ga» frament der Buße verwalten, unb wo fie dabei fitenge, τοῦ milde fein müßten). Um recht fider zu gehen, drohete et. feinen Bifhöfen mit Anflug an Rom, falls fie feine Kirchenreformen nicht billigen würden. Zugleich wurde er dabei von manden hohen Geiftlihen Fräftigft unterftügt, und zwar war es neben bem genannten Erarchen befons ders Theophanes, von Peter zum Titularerzbifchof von Pleskow, fpäter von Nowgorod ernannt, ein gelehrter und feiner Hofmann, der das Vertrauen des Kaifers in hohem Grade befaß, und in feinem Auftrage das Statut für bie neue Kirchenverfaffung entwarf. Nachdem Peter Alles gehörig vorbereitet glaubte, erflärte er den um ihn verfammelten hohen Prälaten, „daß ein SBatriard) weder gut Regierung der Kirche nöthig, nod) dem Gtaate nüpr lid) fei. Er habe fij barum entſchloſſen, eine andere Borm des Kirchenregiments einzuführen, welche bie Mitte hielte zwifchen der Regierung einer Perfon unb ber duch allgemeine Eoncilien, denn beide [egtere Regierungsweifen feien wegen des großen Umfangs des Reichs unpaflend. Die erftere führe zum Defpotismus (des Patriarchen), bie andere {εἰ zu fofifpielig, langíam und unbequem. Es folle deßhalb eine Meine, ausgefuchte, befländige Synode

1) Sämitt, a. a Ὁ. €. 168.

Die ruſſiſche Kirche. 403

ertichtet werben, welcher bie SBeforgung ber geiftlichen Angelegenheiten obfiege." Einzelne Gegenvorftellungen, die laut werden wollten, unterbrüdte ber Gjat burd) den Machtſpruch: „hier (auf fid) feldft beutenb) ift euer Pas triarch,“ unb verfammelte nun im Januar 1720 das legte ruſſiſche Concil zu Moskau, auf welchem alle Bifchöfe und die Achimandriten und Igumenen ber vornehmften Klöfter etſchienen und im Vereine mit ben ebenfalls berufenen weltlihen Großen, zufammen 95 Perfonen, das neue Kichenftatut, bie geiftlihe Regulation genannt, unterzeichneten ). An die Stelle des Patriarchen trat mm die permanente „heilige gefeggebende Gy» n0be," bie am 25. Februar 1724 feierlich) eröffnet wurbe, und im Ganzen aus zwölf Mitgliedern, nämlid einem Präfidenten (dem bisherigen Exarchen Stephan), zwei Vicepräfidenten (darunter Theophanes), vier Räthen, vier Aſſeſſoren und einem Kanzleidireftor beftehen follte. Schon im folgenden Jahre wurden jedoch zwei weitere Mitglieder beigefügt. Sämmtlihe Mitglieder müffen Geiſtliche fein, Erzbiſchoͤfe, Bifchöfe, ober fonft angefehene Priefter, Ars dümanbriten ober Protopopen; und Peter wählte hiezu in ber That ausgezeichnete Männer. Zugleich aber be» ſchraͤnkte er bie Befugniffe diefer „heiligen Synode” auf eine ben neuen europäifchen Staatstheorien ganz verwandte Weiſe auf das fogenannte „rein geiftliche" Gebiet. In Beziehung auf diefes follte fie bie nämlihe Macht haben,

1) Am ausführlicften wird die lirchliche Reform Peters b. Or. beſchtieben von King (onglif. Geifl. in Petersburg) in f. Werke: „Die Gebrauche und Geremonien ber griech. Kirche in Rußland. Aus bem Englifgen überfegt, mit Rupfern. Riga 1773. S. 407 f. Daraus ſchopfte Schmitt, a. a. D. ©. 169 ff.

404 Die ruſſiſche ird. wie ber Faiferlihe Senat in den weltlichen Angelegenheis ten, bei gemifchten Gegenftünben aber follten Senat und Synode gemeinfdjaftlid) berathen und ihren Beſchluß bem Monarchen zur Genehmigung vorlegen. 3a noch mehr, das große Gebiet des geiſtlichen Gerichtes, das bisher bem Patriarchen juftanb, wurde ber Synode gänzlich ent⸗ zogen und ben weltlichen Gerichten zugewiefen, und εὖ blieb ihr als Hauptgefhäft nurmehr bie Aufficht über ben Gottesdienſt unb ben Religionsunterricht, fowie das Recht, für jedes erlebigte Bisthum dem Kaifer zwei Ganbibaten zu präfenticen, welcher dann daraus einem erwählt. Sie heißt zwar officiell - ,bie gefeßgebende,* aber ihre Gbifte und Gefee bedürfen der Faiferlihen Genehmigung, und damit fie ja, auch im Kleinen, nichts befchließe, was diefem mißfällig wäre, ift ijr ein hoher Staatsbeamter als DOberprofurator beigegeben, dem das Vetorecht gegen jeglichen Beſchluß eingeräumt if. Wie biefer, fo werden aud) bie geiftlihen Mitglieder ber HI. Synode vom Kaifer ernannt und ſchwoͤren, daß fie aud) in geiſt⸗ lichen Dingen fein anderes Oberhaupt als ben Monarchen erfennen. Die Autonomie der ruffifhen Kirche war damit zu Grabe getragen umb ber Eäfareopapismus dafür ins Leben gerufen '). Der Kaifer regiert theils felbft, theils durch feine Synode, aud) in der Kirche, er ift ihr Haupt, wenn et fid glei nur ihren Befchüger nennt, ja er regiert feine Kirche in vieler infit mit nod) größerer Macht⸗ vollfommenheit, als ver Papft die latholiſche. Und bod) iR ein wefentlicher Unterſchied zwifchen beiden, indem bie 1) Sämitt, a. a. D. ©. 173. 174. 214. Dal. auch den Ar

tif: „Dirigiren de Synode“ von Kerker, im Freiburg. Kir⸗ enler. B. X. ©. 614.

Die ruſſiſche Kirche. 405

Kaiſer niemals in dogmatiſchen ragen entſcheiden. Das Urtheil hierüber flet ber birigirenben Synode allein ju, welche fid) in wichtigen Faͤllen mit den übrigen mor» genländifchen Patriarchen in's Einvernehmen fegt h.

Diefer HI. Synode find alle ruſſiſchen Bifchöfe gleiche mäßig unterftellt, und es hat zu biefem Zwecke Peter b. Or. ſchon vor Grriótung ber Synode bie Metropolitanwürbe und bie verſchiedenen Titular- und Rangunterfchiede unter den Bifchöfen mit wenigen Titularausnahmen völlig aufs gehoben, ftatt der vielen Erzbifhöfe nur einfache Biſchoͤfe ernannt und fie alle auf eine und dieſelbe hierachiſche finie geftellt. Nur wer befonberé geehrt werben foll, er» hält von dem SKaifer den Titel eines Erzbiſchofs 9.

Beter fand übrigens für gut, von bem Patriarchen Jeremias zu Eonftantinopel, und durch biefen aud) von’ den übrigen morgenländifchen Patriarchen die 3uftimmung qu diefer neuen Einrichtung zu erbitten, und erhielt fle in der That im Septbr. 1723. Die conftantinopolitanifhen Patriarchen betrachteten unb betrachten dabei bie fragliche Synode immer ald Stellvertreterin des (ehemaligen) rufs fien Patriarchen und haben fie nun ftetó mit bem Namen - der „patriarchaliſchen“ beehrt 3).

Diefe von Peter ausgegangene Einrihtung ber rufs fiffen Kirche dauert nicht nur bis auf den heutigen Tag in Rußland fort, fondern wurde aud) bei der neuen kirch⸗ lichen Organifation des Königreihe Griechenland von der Regentſchaft (während der Minderjährigfeit Otto's L) namentlich von bem bayerifhen Staatsrathe v. Maurer

1) Harthaufen, a. a. Ὁ. 90. III. ©. 91.

2) $mitt, a. a. D. ©. 165. 3) mitt, a. a. D. €. 201.

406 Die ruſſiſche Kirche.

nachgeahmt und der Haupiſache nach eingeführt, um auch in Griechenland bie Kirche in dieſelbe Abhängigkeit von ber Krone zu bringen wie in Rußland.

Werfen wir mum nod) einen Blid in das Innere der ruſſiſchen Kirche, fo finden wir fie im Dogma, wenig: Rens grunbgejeblid) und nad) Borfchrift ihrer ſymboliſchen Bücher, in völliger Harmonie mit ber gefammten disunirten morgenländifchen (griechiſchen) Kirche, fo daß fie ron ber Tatholifchen nur in zwei wefentlichen Punkten, in der Lehre vom bL Geifte (defien Ausgehen αὐ aus bem Sohne fie läugnet), unb burd) Richtanerfennung des römiſchen Primates differirt. In ber Lehre vom δερίεπει Dagegen, welche häufig aud) als Differenzpunft angeführt wird, if fein weſentlicher Unterſchied zwifhen uns und ben Stufen (überhaupt den Griechen) vorhanden, wie fij dieß bei ben SBerbanblungen auf ber florentiner Synode im 3. 1439 beutlid herausſtellte unb von uns bereits anderwaͤrts gezeigt worben iR ἢ. Das Gleiche bezeugt auch ber neueſte Schriftfieller über Rußland, der Freiherr von Harthaufen in feinem trejflien Werke: „Stubien über bie innern Zuflände x. Xuflanbé* (Hannover 1847, S5.L €. 86) mit dem Bemerken, die ganze Dien] {εἰ hier nur ein SBertfreit, indem bie Rufen wohl ein Burgatorium aber fein Fegfeuer anerlennen. Das Genauere barüber wird uns unten €. 410 begegnen. Eine weitere beträchtliche aber nicht eigentlich dogmatiſche Differenz findet in Betreff der Ehejheidung fat, in dem bie Rufjen wie alle Griechen im Falle des Ehebruchs bie Eheſcheidung imb Wiererverheiratfung geſtatten. Dech

1) Duertelfárift 1847. €. 199.

Die ruſſiſche Kirche. 407

ſchon bie genannte florentiner Synode hat biefen Punft niht für einen grundwefentlihen erachtet und das Aufs geben biefer Praxis von Seite ber unirten Grieden zwar gewuͤnſcht, aber es nicht jur conditio sine qua non ber Union gemadjt Y. Ale übrigen Differenzen zwifchen der tuſſiſchen und fatfoli[den Kirche beziehen fi mur auf ben Ritus (4. B. Laienfelh) und bie Disciplin (y. 38. Priefterehe), im Dogma aber verharret bie τι πῶς Kirche, die angeführten Punkte ausgenommen, nod) immer, wenn auch nicht alle Dogmen bei ihr vollftändig ausgebilvet find, in jener Uebereinftimmung mit dem Stamme ber allgemeinen Kirche, wie fie fdjon vor ber Lostrennung unter Photius und Michael Eerularius flatt hatte. Sie verehrt mit ung biefelben alten Glaubensbekenntniſſe (jedoch ohne filioque) , verwirft mit uns alle alten Härefien, bie Krianer, Pneumatomachen, Apolinariften, Steftorianer, Monophyfiten und Monotheleten, und anerfennt wie wir bie acht erften allgemeinen Goncilien, bie ja fámmtlid im Bereiche der griechiſchen Kirche abgehalten wurden, und denen fie nod das von uns weniger hochgeſchätzte Quini- sextum ober Trullanum vom Jahre 692 beizählt. Die fpäteren, im Bereiche der Iateinifchen Kirche abgehaltenen tilf allgemeinen Synoden dagegen, von bet erften lates ranenſiſchen bis tribentiniffen, werden, wie von ben Gries hen überhaupt, fo aud) von den Ruffen nidjt ancrfannt, Die wichtigſte ſymboliſche Schrift der Ruſſen, bie fid) bem Anfehen nad) ben alten Symbolen und ben Aften der adt erften allgemeinen Goncilien unmittelbar anſchließt, ift bie von bem bidunitten Metropoliten Mogila von Kiew (f. o.

1) Duartalfgrift 1847. ©. 257.

408 Die ruſſiſche Kirche.

S. 396) im Vereine mit ſeinen Suffraganen zwiſchen den Jahren 1630—40 entworfene ἔχϑεσις τῆς τῶν Ῥώσων πίστεως (Erklärung des Glaubens der Ruffen).

Um ijr größere Auftorität zu geben, legte Mogila diefelbe dem Patriarchen von Eonftantinopel zur Beftär tigung vor, unb auf beffen Verlangen trat mum in der Moldau eine Commiſſion aus Abgeorbneten von Gonftan- tinopel und von Kiew zufammen, um jene Arbeit aufs Grünblidfte zu prüfen. Nach diefer neuen Durchſicht fand die Commiffion diefelde für würdig, ein fymbolifches Buch der gefammten morgenländifchen Kirhe zu werben, gab ihr barum den Titel ὀρϑόδοξος ὁμολογία τῆς πίστεως τῆς καϑολικῆς καὶ ἀποστολικῆς ἐκκλησίας τῆς ἀνατολικῆς, und überídidte fle ben vier apoftolifchen Stühlen bes Morgenlandes (wie fid) bie Griechen auóbrüden) zur Bes flátigung. Diefe erfolgte am 11. März 1643 burd) feier lide Unterfprift der Patriarhen Parthenius von Eons ftantinopel, Joannicius von Alerandrien, Mafarius von Antiohien unb Paifius von Jerufalem. Sofort wurde biefe ſymboliſche Schrift von der Synode zu enu falem unter Dofitheus im 3. 1672 aufs Neue approbirt !), aud) überall amtlich gebrudt und verbreitet, in Rußland im 3. 1685 mit Exlaubniß des Patriarchen Joachim von Moskau in die flavonifhe Sprache überfet, unb öfter, namentlih im S. 1722 auf Befehl Peter’s Ὁ. Gr. unter Aufficht feiner „heiligen Synode" zu Petersburg gebrudt. Schon früher im 3. 1695 war eine Ausgabe des gries difden Driginaltertes mit lateinifher lleberfegung von bem Prof. Normann in Upfula beforgt, in Leipzig er

1) Bol. Quartalſchrift 1843. ©. 592.

Die ruſſiſche Kirche, 409

ſchienen, ebenbafefbf Tie δ τί [ὦ feine deutſche lieber» fegung aus bem flavonifhen Terte unter bem Titel: „Der größere Catechismus ber Ruffen“ erfdjeinen; nod) andere Ausgaben folgten, bis endlich Licentiat Kimmel, felbft ein Ruthene, im I. 1843 zu Jena bie neuefte griechifdh- lateiniſche Gbition in feinem Sammelwerfe Libri symbolici ecclesiae orientalis p. 56—324 beforgte. Diefe ſymboliſche Schrift wurde in der geiftlichen Regulation Peter's Ὁ. Gir. auébrüdlid) als bie Norm und als das wahre Bekenntniß der ruſſiſchen Kirche deflarirt, unb der auf Befehl Peters herausgefommene kleine Catechismus ift nichts al8 cin Auszug daraus !).

Gleich in feinem Eingange erflärt das fragliche ſym⸗ boliſche Buch ber Ruffen ganz ausprüdlih, daß beides: Glauben und gute Werke nöthig fein, um felig zu werden. Der erfte Theil des Ganzen handelt nun vom Glauben und es wird biefer unter Sugrunblegung der zwölf Artikel des nicänifhen Symbolums in 126 ta» gen und Antworten erörtert, vor Allem aber erklärt, daß ber Glaube aus zwei Quellen: Schrift und Trabi» tion zu fehöpfen {εἰ (quaest. 4). Im Einzelnen wird mun die Trinitätslehre erörtert, ba6 Ausgehen des heil. Geiftes aus dem Vater allein gelehrt, und bie Eriftenz der Engel, ihre Obhut über die Völker, die Städte unb Menſchen, unb bie Nüplichfeit des Gebetes zu ihnen aue» gefprohen. Darauf folgt bie Lehre vom Sündenfalle, und ganz richtig wird Diebei gefagt: obgleich ber freie Wille des Menfchen durch bie erfte Sünde viel gelitten

1) Bergl. die Dissert. de ecclesia ruthenica ». Jerem. Frid.

Reiss (Kanzler in Tübingen) 1762, p. 21 seqq. Schmitt, a. a. D. €.228. Schroͤckh, Kirchengeſch. feit ber Reform. B. V. S. 407.

40 Die ruſſiſche Kirche.

hat, ſo komme es doch noch auf den Vorſatz eines Jeden an, ob er gut ober gottlos fein wolle; zu erſterem bebürfe ex jebod) des göttlihen Onadenbeiftandles (quaest. 27). Weiterhin wird das dreifahe Amt Chriſti auseinan« dergefegt, die Verehrung ber f. Jungfrau fammt bem englifden Grufe unb bem Kreuzeszeichen eme pfohlen. Vom Abenpmahle ift gefagt, daß Chriſtus auf eine faframentale Art darin gegenwärtig {εἰν nämli durch bie wefentlihe Verwandlung des Brodes und Weines (uersolworg, b. i. Veränderung der Subſtanz, dolo); von ben Andachten, Gebeten unb Almofen, befonberó bem Meßopfer wird gelehrt, daß burd) fle aud ben Seelen ber Verftorbenen Hülfe geleitet werde (quaest. 45 et 46). Dagegen wird behauptet: bavon, daß bie SBerftorbenen für begangene Sünden mod) ſatis⸗ faciren fönnten durch Straferduldung, befonders durch Beuer, wiffe bie Kiche nichts, unb es [εἰ beffalb bie febre des Drigenes auf der zweiten allgemeinen Synode verworfen worden. Ein Berftorbener fönne bod) fein Gaframent ber Kirche mehr empfangen, eine Satisfaftion wäre aber ein Theil des Bußfaframents. Die Kirche bete für bie Verftorbenen, damit Gott ihnen verzeihe, aber fatisfaciren fönnten biefelben nicht mehr (quaest. 16). Eine Reinigung duch wirkliches Feuer aber wird als origeniftifh verworfen. Später wird bei bem adten Glaubendartifel der Punkt von bem Ausgange des hf. Geiſtes abermals erörtert;i und im neunten fehr aus⸗ fübrlid) von ber Kirche gehandelt. Neun Kirchengebote werben hier aufgeführt: 1) an allen Sonn» unb Feſt⸗ tagen muß ber Ehrift ben horis matutinis, der Liturgie Meſſe), Veſper und Predigt anwohnen, 2) jährli vier

Die ruſſiſche ird. 411

Faſten halten (a) vom 15. Nov. bis Weihnachten, b) die Quadrageſima, c) vom Ende ber Pfingſtwoche bis Peter und Paul, d) vom 1. Auguft bis Mariä Himmelfahrt. 3) Jeder Chriſt [oll die Geiftlihen achten, 4) im Jahre viermal beiten, 5) feine häretifhe Bücher Iefen, 6) für feine Rebenmenfhen, befonders geiftlihe und weltliche Vorgeſetzte beten, 7) foll alle Faſten unb Bitttage halten, welche der Bifhof anordnet, 8) fol das Kirchengut nicht antaften ἢ) und 9) in der geſchloſſenen Zeit Feine Hochzeit halten (quaest. 87—95). Bei dem zehnten Glaubens» artifel (confiteor unum baptisma) wird von ben fieben Saframenten gehandelt unb das Abendmahl unter beiden Geſtalten verlangt, bei dem eilften und zwölften Artikel endlich bie Lehre von den vier legten Dingen entwidelt. Der zweite Theil des Ganzen handelt von der off» nung, von bem Gebete des Herrn (fammt Schlußs borofogie) und ben neun Geligfeiten (bie Ruffen rechnen auch Matth. 5, 11: „felig feib ihr, wenn man eud um meinetwillen befhimpft" mod) als eine Seligfeit); der dritte endlich von ben göttlichen Geboten und riftlihen Tugenden, wobei befonberó a) von Glaube, Hoffs nung und Liebe, b) von Gebet, Faften unb Almo—⸗ fen, o) von ben Garbinaltugenben Klugheit, Θ τε tigfeit, Tapferfeit und Mäßigkeit, und enblid) von den gehn Geboten gehandelt wird; ein weiterer Auszug aus biefen beiden letzteren Theilen aber ift barum nicht nöthig, weil ihr Inhalt nicht dogmatifcher Natur ift. Man fiebt, die Anlage des Ganzen ift mit der uns ferer Katechismen, befonders des rómiffen, in hohem

1) Dofungeachtet hat Katharina IL das Kirchengut aufgehoben.

42 Die ruſſiſche Kirche.

Grade verwandt; aber ebenfo gut fiet man aud, wie unwahr es ift, wenn einige proteftantifche Gelehrte bie Dogmatik der Rufen bald femilutherifd bald ſemicalviniſch haben finden wollen. Wahr hievon ift nur das, daß feit bem vorigen Jahrhunderte mehrere angefehene ruſſiſche Praͤlaten und Lehrer ſich faftiff) zum Proteftantismus finneigten, und im ent(djiebenften Widerſpruche gegen die herrſchende Kirchenlehre ihre neologiſchen Anfihten durch Schrift und Wort zu verbreiten geſucht haben. Obenan ſteht Bier ber berühmte Erzbifhof Platon von Moskau, früher Profeſſor an der Alademie zu Petersburg und unter Katharina IL Lehrer des Großfürften, des nachma⸗ ligen Kaiſers Paul L Der von ifm verfaßte Katechis⸗ mus weicht in wefentfiden Stüden, namentlid) in Betreff der Gnadenwirfungen unb der Saframente, beſonders deö Abendmahls fihtlih von dem Werke des Mogila und bem orthoboren Lehrbegriffe ab Y. In ähnlicher Richtung [die und wirkte fein Zeitgenoffe, der Archimandrit Theophy lakt, Rektor der Moskau'ſchen Afademie, beffen dogmata Christianae orthodoxae religionis im 3. 1773 zu Moskau erſchienen. Diefe proteftantifirenbe Richtung ift im gegen wärtigen Jahrhunderte noch nicht erlofhen, unb nament: lid gab Erzbifhof Methodius von Twer im 3. 1805 in Iateinifher Sprade ein Werk heraus über bie vier erften Jahrhunderte der chriſtlichen Kirche, wobei Bing ham fein Gauptgemáfrómann unb feine Hinneigung zum Ealvinismus unverkennbar if. Und diefe Schrift erfgien mit Genehmigung der „heiligen Synode“ und in beren

1) Sämitt, a. α. D. €. 229. Schrödh, Kircchengeſch. ſeit der Reform. 8. IX. €. 212 f. Bacmeifter, ruſſiſche Wibliothel, 58. IV. €. 68 u. 88. VOL €. 53 .

Die ruſſiſche Kirche. 413

eigener Druckerei !). Noch mehr vom altruffiſchen Dogma wich der ruſſiſche Staatsrath von Stourdza ab in feinem Werke „über bie Lehre und ben Geiſt der orthos boren Kirche," welches im Jahre 1816 zu Stuttgart in franzöfifher Sprache (Considérations sur la doctrine et lésprit de l'église orthodoxe) erfhien, und bie Dogmen theils rationaliftiff verfladt, theild geradezu mit Still ſchweigen übergeht, namentlid) jene Punkte, welche bie ruſſiſche Kirche mit der Fatholifhen, weil mit der alt» SHriftliden, gemein hat. Dagegen wird bei jeder Geles genheit der Unterſchied zwiſchen der ruffijfen unb Tatholifhen Kirche aufs Schärffte accentuirt.

Der neuefte Hauptträger dieſer proteflantificenden Richtung ift endlih Philareth, der gegenwärtige Metro- polit von Mosfau, der während feiner frühern Stellung als Profeffor an ber Akademie eine ganze theologiſche Säule in diefer Richtung gezogen, und durch eigene Schriften wie durch Herausgabe der proteftantifirenden Predigten Anderer für deren Verbreitung gewirkt hat. Befonders berühmt wurden fein Katechismus ?) und feine vergleichende Meberfiht der Controverslehren der mors genlánbifden und abendländifhen Kirche, und fefbf bie Berliner evangelifhe Kirchenzeitung nahm feinen Ans fand, hierin einen Abfall von der alten Orthodoxie zu exbliden 9. Die Quelle diefer Richtung ift bie feit ber weiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bei Vielen

1) Schmitt, aa. D. ©. 231.

2) Derfelbe wurde im 3. 1840 von bem Brofeffor Foödor Aleran drowitſch Golubinsfy im ber Troitza Lara auch ins Deutfche überfegt,

BVeteröburg bei Prag. Bol. Harthaufen, a. a. Ὁ. Br. I. ©. 83. 3) Bel. Sämitt, a. a. D. ©. 282, 284 ἢ. 239 ff.

44 Die ruffiſche Kirche.

entſtandene Vorliebe für abendlaͤndiſche theologiſche und philofophifche, beſonders deutſche proteſtantiſche Litera⸗ tur. Namentlich haben Schleiermacher und Neander in neuer Zeit einen großen Einfluß auf die ruſſiſchen Theo⸗ logen geübt, während bie Werke katholiſcher 88er faffer, felbft Boffuet’s, Fenelon's, Stolberg's und aller andern Coryphaͤen Angflih vermieden, ja mit blindem Haffe abgemiefen werben. Einen andern Weg fchlägt die fungruffijdje Partei der Geiffidfeit ein, unb man fann ihre Richtung ber proteftantiflrenben gegenüber bie patriftifde nennen. Die alten griehifhen &irdjenváter find für fie Hauptbefhäftigung und Hauptbildungsmittel, unb fie fhöpfen daraus wieder warme Liebe und Anhängs lidjfeit an bie alten Dogmen und Einrichtungen. Ein Kampf beider Richtungen fteht nothwendig bevor, wenn er auch nod) nicht vorhanden ift 5.

Wie den Glauben fo haben bie Ruffen aud ihren Eultus von ben Grieden, namentlich von Gonftantinopel her erhalten. Schon das Aeußere ihrer Kirchengebäude zeigt dieß, namentlich jener eigenthümlich byzantiniſche Styl des Kuppelbaues über dem griechiſchen Kreuze ober Viereck; nur haben bie Ruffen bie Zahl der Kuppeln nod) vermehrt, fo bag fünf an einer Kirche bie Regel, aber auch dreizehn nicht felten find, die bann durch ihre grüne glänzende Dedung einen prachtvollen Anblid gewähren. Diefen Typus tragen die meiften ruffifchen Kirchen, na⸗ mentlid) die älteren, und erft feit dem vorigen Jahrhun⸗ dert Bat aud) der italienifhe und Jeſuitenbauſtyl in Rußland Verbreitung: gefunden. So if j B. bei ber

1) Harthaufen, 8b. IL ©. 98 u. 208.

Die ruſſiſche Kirche. 45

Iaatsfiche und ber Kaſan'ſchen Kirche in Petersburg bie St. Betersficche in Rom, und bei der St. Andreaskirche in fit der Jeſuitenſtyl nachgeahmt, während bie fofoffale noch nicht vollendete Kathedrale zum Erlöfer in Moskau, vom Irhiteften Toon aufgeführt, fid) wieder bem altruſſiſchen Style nähert Y. Viele Ortſchaften haben zwei Kirchen, eine Altere größere für den Sommer, umb eine jüngere, fleinere und heizbare für ben Winter Ὁ).

Im Innern find bie ruſſiſchen Kirchen ganz wie bie morgenländifchen überhaupt burd) bie Sfonoftafíó ober Bilderwand in zwei ungleiche Hälften getheilt, deren oͤſt⸗ li$e das Ganftuarium fammt dem Altare enthält, bie weftliche aber bem Publifum angemwiefen ift, dem nad allgemein orientalifcher Weife nur an beftimmten Stellen des Gottesdienſtes butd) Deffnung ber Bilderwand ber Blick auf den Altar geftattet ift. Der Altar ift von vier Säulen umgeben und mit einem Baldachine bebedt, nad) Art des alten Ciboriums, und aufer ihm findet fid) nod) in dem heiligen Raume (Sanctuarium) bie Brothefis, d. i. eine Art Nebengemady mit dem Rüftaltare = Gres denztifche, und das Bema, b. i. der Thron für ben Bifhof, wenn biefer felbft pontificirt. Nebenan find bie Stühle für ben aſſiſtirenden Elerus; alle Geiftlihen aber, welche nicht felbft zu funftioniven haben, alfo auch ber nicht celebrivende Biſchof, haben ihren Platz nicht im Sanctuarium, fondern im Schiffe der Kirche, wo an ber

1) Harthaufen, Studien über die innern Suftánbe Rußlande, Hamsver 1847. 90. L ©. 51. Sehr Viele Abbildungen ruffifcher Kirchen giót Blafins in feinem trefflidjen Werke: „Beife im euros paiſchen Rußland im ben Jahten 184041.

2) Harthaufen, a. a. Ὁ. 90. L €. 230. 303. 314. 484.

Tel. Duartallarift. 4858. IIL. Gef. 28

416 Die ruſſiſche Kirche.

Süd- und Nordwand befondere Stühle für fie bereitet find. Ebendaſelbſt befinden fid) aud) die Stühle für bit kaiſerliche Familie; andere Bänke unb Betftühle dagegen find nicht vorhanden, und alle Anwefenden ftehen ober fnieen auf bem Boden, ohne allen Rangunterfhieb unter einander gemifdjt 1). Wiederum, wie überall im Morgen: fanbe, duldet aud) bie ruſſiſche Kirche feine Orgel, ba gegen erfreut fle fid) eines fehr erfebenben, weichen unb feierlichen Gefanges. Der alte ruffifhe Kirchengefang war härter unb burdjaué unisono, er findet fi aber mur nod) bei den Starowierzen ober Altgläubigen, während bie neue Gefangsweife erft feit Katharina II. eingeführt wurde. Man fete jet die alten Melodieen mebrftimmig und féidte nah Rom, um bie in der Sirtiniſchen Kapelle üblichen alten Gefánge zu fammeln. Damit wurden nod) einige neue Gompofttionen, namentlich von dem ruífiden Gomponiften Bartniausfi verbunden unb überall Sänger: ſchulen errichtet. Das natürlich muſikaliſche Talent ber Ruſſen machte die (djnelle Durchführung ber neuen Weile möglich, fo daß fie in furzer Zeit felbft in bie entfegenen Dorffichen fam ?).

Das Benehmen ber Ruffen bei ihrem Gottesdienſte ift Außerft devot, wie fie denn überhaupt im Ganzen und Großen ein ungemein religiöfes und glaubensfräftiges, ihrer Kiche febr warm ergebenes Volk find. Me Stände find voll Verehrung gegen das Heilige, bie hei⸗ ligen Orte und Bilder. Bon Iepteren gebrauchen die

1) Hartgaufen, a. a. D. ©. 102 f.

2) o. Harthaufen, a. o. D. fBb I. S. 4 u. 5, α. 9». TIL ©. 107 f. Mn Icpterer telle if aud) die Abhandlung eines rufffgen Gelehrten, Hr. v. Nadeſchdin, über ben ruf. Kirchengefang mitgeteilt.

Die ruſſiſche Kirche. 47

Stufen blos die gemalten, mit ftrengec Ausſchließung ber Skulpturen (als heidniſch), unb halten bei- ihren Sfonen jenen altbyzantiniſchen, ernften, fteifen und hohlen Typus ff, der gar feine Gemüthöbewegung und Fein eigentliches Leben auébrüdt, Die Vorlagen zu diefen Bildern geben ihnen die angeblichen verae efligies Ehrifti und Mariens, namentfid) aud) bie εἰκόνες ἀχειροποιηταὶ, i. B. das Abgar- und das Beronifabild ). Im neueren Zeiten find zwar 'auf) fteiere und ibeafere Darftellungen Ehrifti und ber Heiligen eingedrungen, befonberé in die Kirchen der Haupts Räbte; aber die jungeuffifche eifrige Partei unter dem Clerus hat fid) entſchieden dagegen und für Beibehaltung

des alten Typus erflärt Ὁ. Diefe heiligen Bilder füft der Ruffe febr häufig, wirft fid) vor ihnen auf ben Boden nieder, berührt dieſen mit ber Stirne, fchlägt febr oft das Kreuz u. dgl., und fefbft Sole, welde innerlich wenig Religion haben, unb von franzöfifcher Freigeifterei ange fedt find, entziehen fid) diefen Ceremonien nicht im Ger tingften 5).

Die gottesdienftlihen Gewänder, Mef- und Évangelienbüd er find Außerft prachtvoll, letztere öfters mit goldenen Deden verziert unb mit Perlen und be^ feinen befezt. Gang befonders reich an folhen Koftbar- leiten ift die berühmte Troiga Lawra (b. i. Dreieinigs keitökfofter) bei Moskau, welches faft von allen Kaifern

1) Bgl. meine Abhandlung über Ehriftusbilder im Brelburger fit» Senlerifon Bb. IT. ©. 522 f.

2) 9961. Gartfaufen, a. a. D. 8. ΠΙ. ©. 101 f., wo cud ein intereffanter Auffag über die Bildmalerei in der ruffifchen Kirche aus dem ruſſiſchen Journal für Dolfsaufflärung (Ian, 1845) mitgetheilt if.

3) Harthanfen, a. a. Ὁ. 80. L ©. 101 f. 00. III €. 84 ff.

28"

48 Die ruſſiſche Kirche.

und Kaiferinnen in langer Reihe reichlich beſchenkt wurbe ^). Die Berwandtfhaft der ruſſiſchen Kirchenkleider mit ben unftigen ift unverfennbar, und fie find in allem Wes fentlihen nod) diefelben, wie fie ſchon in ben erften Sabre hunderten der griechiſchen Kirche üblid) waren. Der fun tionirenbe Priefter beffeibet fi juerft mit bem C tia: tion, das unferer Albe entfpricht, aber meift aus Seiden⸗ βοῇ mit Goldſtickerei befteht. Nah diefem fommt das Epitradelion, oder Drarium Stola, das wie bei und vom Diafon nur auf einer Schulter getragen wird. Zufammengehalten werden Stiharion und Gpitradjelion durch den Gürtel, Zona, an der Hüfte aber hängt gleich einem Schwerbte das ben Griechen eigenthümliche Epir gonation, zum Zeichen des geiftlichen Kampfes. Dasfelbe fat bie Form einer an einer Schnur hängenden Tafche, ganz ähnlich ber Säbeltafche ber Hufaren. Als Oberkleid trägt der Presbpter das Phelonion von ber Form ber alten lateiniſchen Caſula, der Biſchof dagegen ben weniger aͤſthe⸗ tifhen Sakkos mit kurzen Aermeln, im Ganzen unferer Dalmatifa verwandt. Außerdem trägt der Bifchof nod das Omophorion oder Gdulterfleib, dem erzbifdhöf lien Ballium ähnlich, und die Mitra, welche weniger hoch als unfere Inful unb oben abgerundet ift 5).

Die Predigt als Beftandtheil des Eultus war [ange Zeit im eigentlichen Rußland gaͤnzlich vernadjáfigt (wer

1) $artbaufen, a. a. Ὁ. 385. L Θ΄. 80 ἢ.

2) Abbilbungen eines ruffifcgen Diafons, Prieflers unb Biſchofs in Amtstracht finden fid) im Anhange zum Lerivion ber morgenl. Kirche von Dr. ἄν. v. Muralt, Leipzig 1838, nnb bei Joh. Glen fing bie Gebrándje und Geremonien ber griech. Kirche in Rußland. Aus bem Eugliſchen überfept. Siga 1773.

Die ruffifche Kirche. 419

niger in ber Metropole Kiew); feit einigen Menſchenaltern dagegen wird bei der fleigenben Bildung ber Geiftlichen wieder häufig geprebigt, bod) meift mur von ben hohen Geiftlihen und Mönden. Bei ben gewöhnlichen Popen dagegen wird der Vortrag felbfigefertigter Predigten nicht gerne geftattet, aus Furcht, fle möchten Irrthuͤmer vors bringen, unb fie predigen barum entweder gar nicht, ober tagen mur gebrudte unb approbirte Predigten unb Hos milien Anderer vor !).

Die ganze Art und Weife des Gotteóbienftes, ale heiligen Geremonien unb ben Inhalt aller Gebete haben bie Ruffen von bet alten griechiſchen Kirche entlefnt, und bie fegtere nur in bie altflanonifche Sprache überfeht, welche zur Zeit ber Abfaffung der ruffifchen Kirchenbücher noch Volksſprache war, jet aber allen Nichgelehrten völlig unverſtaͤndlich ifl. Dabei wurden jebod) bie griedifchen und einige lateiniſchen termini technici für bie Gebete und Culttheile unverändert au& ber alten Kirche beibehalten.

Den Haupttheil des ganzen Cultus bildet bie turgie, b. h. ber Gottesdienſt λειτουργία κατ᾽ ἐξοχὴν, worunter bie Ruffen wie bie Griechen ausſchließlich bie hi. Meffe verftehen. Außerdem haben fie aber aud) nod) die alten canoniſchen Tagzeiten: bie Matina (Matutin), die Prima, Tertia, Serta, 9tona unb bie Veſper, fammt Rahvefper oder Gompletorium. In ben Klöfern fommt dazu mod) das Mefonyftion ober Mitternachtsgebet. In den gewöhnlichen Pfarr lirchen werben biefe Horen nur an Conn» unb Befttagen in ber Kirche verrichtet, ebenfo an bem Vorabende ber Sft, unb biefer Vigilgottesdienſt heißt παννυχὶς, b. b.

1) Harthaufen, a. a. D. Br. UL S 98. 99.

Die efle Siri.

nádtlidet Sch, cin Sintérud, ber fd) fion δεὶ δίκη» fefemaó dc sacerdotio lt D c 17 findet Die Panıy disjeier bricht aus Beiper, Metine umb ετβες ὥστε; unb wie wir unter Bigilia auch einen Theil des Geticänienfes für tie Torien verfichen, jo unierjgeiren aud vie Rufen δε’ καὶ Torien-Panuydim. Ocmélnlid) werben vie Batine und tie Prima jwiammen verrichtet, jewemm vic Tertia und Seria mit der Liturgie sder Reſſe verbunden wm ticier wmmittelher νοταπρεβεῖι, τε Roma und Beyer aber auf ten Stedpminag verkheten. ud die Eompe Ftien tiejer einzelnen Eulttheile aus Pielmen, Untiphonen aber fie fab weit ceremenicnteicher als υἱεῖς. Eine Be Üdreibung unt licherichung terielben gab uns King), we €. 51 ἢ. ron ter epa, €. 68 5. vom Gomylas vum ete ter Ἀάνεημεε, €. 81 E rom SRejonyhisn, €. 35 ἢ. ron tex Metinc, €. 110 £ von der Pıims geipreden ik. Die übrigen erm hat er wegen ihrer Achal:chleit mu ber Prima nice im Demi befchrieben; tagegen emıhält dicies Wert and Üebericpungen des Sinus bei Epextung per reritietenen Caframente, bei Susie mung der Wöchncriunen, Geniecration der SBijdjéje, bei Derrbigungen u jo i Eine fingere Gchilderung liefen tue „Briefe über den GleucstienR ter morgenlánbijden Kirdie*, απὸ tem Ruin'cen überiegt von Erw. ». Mu ταῖν (Lapjig 1833).

Die πα ρεβεάϊεπ Stenzen nötbigen und in Set der einzelnen ruigidjem Kulafıe auj tieje Schrift zu wv

NM Ich Glen Ling, tie διτεωνείει Ir Sod. fée V Was bcm Engl ἀδειίεμ. Siga 1773.

| Die ruffidje Kirde. en | weiien, und wir erlauben und mur mod, eine ganz fune | Ueberſicht tex rujjden SR εἴ je ober Liturgie beiqufügen. | In älteher Zeit hatte jaſt jede Provinz des Morgen | μηνεδ ifr eigenes Formular für tie eucharifihe Beier, ; bi6 im ber zweiten φάϊιε des vierten Jahrhunderts der HL Bafilius b. Or. eine verbefierte Lirurgie einführte, welche nad) umb nad, jctod) nicht ohne Widerſpruch all- gemein von ben Griechen und tem übrigen Morgenländern angenommen wurde. Rad) rer Erzählung des Patriarchen Proffus von Gonjgantinopel, der hundert Jahre fpäter als Baflius lebte, foll Ichterer nad) einiger Zeit jein Formular als etwas zu lange erfannt unb barum nod) ein fürzeres entworfen haben, unb in ber That befigen wir unter tem Samen des δ. Bafilius zwei Liturgieen, eine längere unb tine etwas lũtzere, von denen jebod) feine ihre urfprüngs li$e Gefalt unverjehrt bewahrt, vielmehr jebe im Laufe der Zeit einzelne Beränderungen unb Zufäße erfahren hat. Ein Menfhenalter fpäter als Bafılius verfürzte und veränderte ber bL. Chryſoſtomus befjen Liturgie auf's Reue, um's Jahr 400 n. Ehr., unb aud fein Sormular lom, mande fpätere Beränderungen nod) erfeibenb, nad) und nad) in ber ganzen griechiſchen Kirche in allgemeinen Gebrauch in der SBeije, daß bie Griechen bi$ auf ben heutigen Tag fid) beider Liturgieen, ber des BI. Bafılius und Chryſoſtomus neben einander bedienen. Diefe Praxis fanden die Ruſſen bei ihrer Belehrung vor und nahmen fe in ihre Kirche mit hinuüber. Sie überjeßten ſonach die Liturgie des DL. Bafilius, wie die des Chryſoſtomus in die altjlavonifhe Sprache, unb bedienen fid) ber legs teren für gewöhnlich), der des hi. Baſilius aber nur an gewiſſen Tagen, nämlich am Feſte des Hl. Bafilius felbft,

τ

422 Die ruſſifche Kirche.

am Steujabr, an den Sonntagen in ber Faflenzeit (mit Ausnahme des Palmfonntage), am grünen Donnerfage und am ben Pigilin von Weihnachten, Epiphanie und Dftern ). Uebrigens beficht zwiſchen biefen beiden gitur gieen fein τὸ ε[επττ ετ Unterſchied, indem fie ben glei hen Charakter und Typus an fi tragen umb mm in einzelnen Gebeten und Rebendingen verjdjieben find. Den griechiſchen Sext Diefer beiden Liturgieen finden wir bei Goar, Euchologion sive Rituale Graecorum (Paris 1647) p. 58 sqq. unb p. 158 sqq.; eine beutíde Ueberfegung des ruſſiſchen Tertes ber Liturgie des bL Gfryjoftomue aber gibt uns King, a. a. D. €. 120 ff. Diefelbe ber ginnt mit Gebeten , welche der Diakon unb ber Priefer beim Anziehen ber Kirchenfleider recititen. Rad bem griedjifden und ruſſiſchen Ritus foll naͤmlich bei jedem Gottesdienſte ein Diakon levitiren unb nur ausnahmsweiſe und in fehr armen Kirchen funftionirt der Presbyter ohne Diakon. Beide begeben fid) bann zur Prothefis (Rüf- altar, Credenztiſch) und waſchen bie Hände unter Abbetung des Pf. 25: Lavabo eic. Der Diakon flellt jetzt ben Discus (b. i. bie SBatene, melde aber viel tiefer ift und mehr Schüffelgeftalt hat) zur Linfen, ben Kelch (gam ähnlich dem unfrigen) zur Rechten des SBriefteró, unb νεῖν richtet gemeinfam mit biejem ein Gebet. Hierauf nimmt der Priefter das Brod (gefäuertes in Form eines Laib⸗ chens) in bie infe Hand, in bie Rechte aber bie heilige Lanze (ein lanzenförmiges Mefferchen) macht damit dreis mal das Kreuz über baó dem Brode (προσφορὰ Dir fate) eingebrüdte Kreuzbild, Siegel (σφραγές) genannt, fidt mit ber bf. Lanze in bie verfdiedenen Seiten des

1) King, a. a. D. €. 117. Muralt, Lerivion €. 10.

Die ruſfſſche Kirche. 423

Hoftienbildes, unter den Worten: „zum Andenfen des Heren und Gottes und Heiland I. Gfr., ber wie ein Schaſ zum Schlachtbank geführt wurde” u. f. f. unb fáneibet aus dem runden SBrobe das vieredige obere Stüd aus ἢ. Diefes Stüd heißt Lamm, unb ift burd) ein Kreuz in vier Meinere Theile getheilt, von denen jeder einige auf Chriſtus bezügliche Buchftaben (1H C, X C, NI, K A, b. i. ἰησοῦς χριστὸς νικᾷ) burd) einen Model tingeprágt trägt. Der Priefter Iegt nun dieſes vieredige Ctüd zuerft umgekehrt auf den Diskus (wie ein Schaf umgefehrt gelegt wird), dreht es aber, nachdem er ein Gebet gefprodjen, wieder um und durchſticht c& auf bet tehten Seite mit der b. Lanze, recitienb: „ein Kriegs⸗ inecht öffnete mit ber Lanze feine Seite“ u. f. f. Der Diakon (denft Wein unb Wafler zugleih in ben Kelch tin, nachdem er zuvor ben Priefter um ben Gegen ges beten. Der Priefter nimmt fobanm ein zweites Brod (tà werden immer davon 5 auf ben Rüftaltar gelegt), opfert (ὁ Gott zur Ehre unb zum Gedaͤchtniß ber bl. Jungfrau, hebt es mit ber hi. Lanze in die Höhe, ſchneidet ein dreis ediges Stüd, wie eine Feine Pyramide, davon ab, unb flt e& unter Gebet auf ben Diskus neben das 61. Lamm techts. Hierauf ergreift er das dritte Brod, ſchneidet bate aus 9 Feine Pyramiden, opfert fie Gott, Nr. 1 zu Ehren des Johannes Baptifta, Nr. 2 der Propheten des A. T., Rr.3 der Apoflel, Nr. 4 der Kirhenväter Bafilius, Gregor von Razianz, Chryfoftomus, Athanafius, Eyrill ıc., Nr. 5 des hl. Stephanus und der übrigen Martyrer, Nr. 6 der V. Mönche und Nonnen, Rr. 7 des bf. Cosmas unb $a»

1) Das Uebrige wird zu Eulogien verwendet. Vgl. Goar, Eu- cholog. p. 155 a.

424 Die ruſſtſche Kirche,

mian 2c. 26, Nr. 8 Anna's, Soadimé und des Heiligen, beffen Gedaͤchtnißtag eben gefeiert wird, Nr. 9 des 5. Chry⸗ foftomus oder Bafilius, beffen Liturgie eben gehalten wird, unb ftelt alle diefe 9 Stüde wie Feine Pyramiden auf ben Disfus in einiger Entfernung von bem Lamme in drei Reihen auf. In ähnlicher Weife ſchneidet er aus bem vierten Brode eine Anzahl Stüde aus, unb opfat das erfte unter Fürbitte für alle vechtgläubigen Biſchoöͤfe, bie hl. gefebgebenbe Synode, ben Diöcefanbifchof, bie Prie⸗ fter, Mönche unb ben gefammten Clerus; das zweite unb dritte für ben Kaifer und feine Familie, unb bie folgenden Stüde für alle jene Lebenden, deren er befonders in der Meſſe gedenken will Für jeden Einzelnen ber Genannten wird ein befonbere& Stüddhen auf den Diskus geftellt. Ebenſo geſchieht e& bei bem fünften SBrobe, deſſen einzelne €tüdden unter Fürbitten für bie Verſtorbenen, befonders für den Bifhof, ber ben Priefter orbinirt hat, und fir den Stifter der betreffenden Kirche geopfert und aufgeftelt werden. Darauf folgt Räucherung und Gebet. Der Dies fon ruft: „lafiet und beten“ und ber Priefter ftellt den Afterisfus (ein Meines flernförmiges metallenes Gefell) über das δ. Brod, damit bie drei Tuͤcher (das größte davon heißt Asr Luft), womit Brod unb eld) zuge bedt werden, das erftere nicht unmittelbar berühren. Auch dieß gefchieht unter fortwährenden Räucherungen (der Deden und des Credenztifhes) und Gebeten. Darauf verrihtet der Priefter das Opferungsgebet, ruft den gött liden Segen auf die Opfergaben herab und bie vorbe⸗ reitende Handlung, bie an bem Credengtiſche ftatt hatte, wird unter Gebet und Raäucherungen beſchloſſen. Rad mehreren Gefängen öffnen fid die Thüren des Θέοποβαβόν

Die sufflfche Kirche, 435

und Priefter und Diakon gehen in Progeffton, von Kerzens trügern begleitet, mit bem Goangelienbudje burd) bie nördliche Thüre der Ilonoſtaſis (auf ber Evangelienfeite) aus dem Press byterium heraus in das Schiff, und machen hier mit der Bro» irífton einen Halbfreis, bis fie vor bie Fönigliche oder Mittel» thüre ber ϑίοποβαβδ zu fteben fommen. Das Evangeliens bud) wird jegt von bem vornehmften antvefenben Geiſtlichen ber feinen Gig auf ber Epiftelfeite des Schiffes hat), oder in beffen Abmangelung vom Priefter felbft eingefegnet. Priefter und Diakon fefren durch bie große Thüre in's Merheiligfte zuruͤk, und der Diakon legt ba& Buch auf den Altar. Neue Gebete und Gefänge folgen, bann ver⸗ liest der Lektor bie Leftion, unb der Diafon, vom Priefter zuvor eingefegnet, dad Evangelium. Er ift zu biejcm Iwede von Wachskerzen begleitet aus der Mittelthüre heraus» unb auf ben Ambo getreten. Der Priefter bleibt während ber Verlefung des Evangeliums am Altare ftehen, wendet fid) nad) Weften und ruft: „Weisheit (wird vers leſen), ftebet auf; laffet ung hören das Evangelium. Friede fei mit euch allen.“ Der Chor antwortet: „und mit Deis nem Geifte." Dann ruft der Diakon: „die Lefung aus dem Bí. Evangeliften N. N.“, und der Chor: „Ehre fei dir o Herr!“ Nach beendigter Leſung fpridt ter Priefter: „Friede fei mit dir, ber bu das Evangelium gezeiget haft.“ Die Mitteltyüre wird wieder gefdoloffen, der Priefter (im Presbyterium), der Diakon auf bem Ambo und ber Gfor verrichten Titaneiartige Gebete für ben Monarchen, für die SBerftorbenen und die Katechumenen. Diefelben find uit Gospodi oder Hospodi (εὖ ift ein Mittelton zwi— ſchen g und h) pomilui unterbrochen, wie denn überhaupt diefer Ruf, „Here erbarme Dich unfer", im ruſſiſchen

426 Die ruſſiſche Kirche.

Culte ſich unendlich oft wiederholt. Der Prieſter deckt darauf einen Teppich uͤber den h. Altar, und betet fuͤr die Lebendigen unb für ſich ſelbſt um Reinigung, damit er das heil. Opfer würdig vollziehen fónne. Der Diakon ift unterbefien burd) bie nördliche Thuͤre wieder in'8 Heilige thum getreten, und nachdem bie große Thüre wieder geöffnet, incenfirt er unter Abbetung des Pfalm miserere und ans derer Bußgefänge ben Altar und Priefter und bie Oblaten auf bem Grevenztifhe. Der Priefter legt den Diskus fammt ben bf. Broden auf das Haupt des Diafon, ber ein 9taudjfaf in feiner Hand trägt, den feld) aber nimmt et felbft und beide vollziehen nun, bie hl. Gefäße tragenb, bie f. g. große Prozeſſion unter litaneiartigen Gebeten für ben Kaifer, für die Mitglieder feiner Familie (bie namentlich) aufgeführt werben), für bie hl. Synode unb bie gefammte Chriftenheit, bis fte wieder burd) bie Haupts thüre in'& &anftuarium zurüdgefehrt find. Unter weiteren Gebeten ftellen fie Diefus unb feld auf den Altar, und der Priefter bebedt fie wieder mit ber Aör, alles ine eenfirend. Die Mittelthüre wird wieder verfchloffen. Spriefter und Diakon beten für einander, letzterer füft bie Hand des erfteren, gehet wieder durch bie nörbliche Thüre in das Schiff der Kirche hinaus, ficit fid) an feinen ger woͤhnlichen Pla und betet und fingt abwechſelnd mit bem Ehore. Der Priefter füffet den Diskus, ben feld) und Altar, gibt, wenn andere Geiftlihe ihm afftftiren, dieſen ben Friedenslkuß, hält bie Asr über bie DL. Gaben, recitirt das nicänifhe Symbolum, und fingt darauf bie Präfation, welche der unfrigen ähnlich ift, mit den Verfifeln sursum corda und gratias agamus Domino Deo nostro eingeleitet wird und mit dem Trisagion endigt. linterbeffen ift der Dia⸗

Die ruſſiſche Kirche. 427

Ion in das Heiligthum hineingetreten, er nimmt jegt ben Aerisfus von ben bl. Gaben hinweg, unb ſchwingt über lehtere den hl. Fächer, um liegen ıc. davon abzuhalten. Darauf folgt bie Gonfecration mit ben Worten: „in der Nacht, da er überliefert wurde zc., nahm er das S8rob in feine heiligen, veinen und unbefledten Hände, dankte, brad) t$ und gab εὖ feinen Jüngern unb Mpofteln, fpredend: nehmet, efjet, das ift mein Leib, ber für eud) gebroden wird zur Vergebung der Sünden." Bei bem Kelche ſpricht der Prieſter: „dieß ift mein Blut, des neuen Teftaments, das für euch und für Viele vergoffen wird zur Vergebung der Sünden.“ Auch das unmittelbar auf die Wandlung folgende Gebet hat mit unferem Unde et memores etc. die größte Aehnlichkeit und lautet: „zum Gebächtniffe ba» Wr dieſes Gebotes unſeres Heilandes, feines Kreuzes, feines Begräbniffes, feiner Auferftehung am dritten Tage, feiner Himmelfahrt“ 1c. 2. Eigenthuͤmlich griechiſch ift, daß der Priefter noch nad) ber Gonfefration um Herabs fendung des hl. Geiftes bittet und ausruft: „mache bie Brod zum tfeuren Leib deines Chriſtus, und das, was im Becher ift, zum theuren Blute deines Chriſtus; vers wandle fie (bie bí. Gaben) burd) deinen hl. Geift, damit fie gereiden mögen denen, bie daran Theil nehmen, zur Vergebung der Sünden“ ıc. ıc. Hiernach fónnte e8 [deis nen, als ob nad) ruffifcher, überhaupt griechifcher Anficht die Wandlung erft jet. eintrete; aber [djon Chryfoftomus fagt in feiner Rede de proditione Judae, baf bie Worte hoc est corpus etc. bie Elemente umwandeln. In Uebers einfiimmung hiemit erflärten bie Griechen auf der Unions- ipmode zu Florenz: quoniam sb omnibus sanctis doctori- bus ecclesiae, praesertim ab illo beatissimo Joanne Chry-

428 Die ruſſtſche Kirche,

sostomo, qui nobis notissimus est, audivimus, verba Do- minica esse illa, quae mutant et transsubstantiant panem et vinum in corpus verum Christi et sanguinem; et quod illa verba divina salvatoris omnem virtutem transsubstan- tiationis habent!). Daß fie aber nod) nad) ber Conſe⸗ fration ben hl. Geift zur Umwandlung herabrufen, damit, erklaͤrten fle, {εἰ nichts anderes gemeint, „als daß der Hl. Gift auf uns herabfommen, unb in uns das Brod zum Tofibaren Leibe Chriſti madjen und ummandeln möge, dar mit e& den Gommunicirenben zur Reinigung der Seele gereiche. In ähnlicher Weife hätten ja aud) bie Rateiner nod nah ber Wandlung das Gebet: jube haec perferri per manus sencti angeli tui“ etc. ?).

Nach ber Wandlung folgt bie Verlefung ber Dipty Gen (ber Sobten und Lebenden) und εὖ werben hier Maria, Johannes Baptifta, bie Apoftel 2c. 1€. genannt, nicht ale ob man bei Gott Fürbitte aud) für fle einlege, fonbern „damit Gott burd) ihr Gebet auf uns herabſehe.“ Daran ſchließen fid) Fuͤrbitten für jene Todten, die unferes Gebetes nod) bebürfen, foie für bie nod) Lebenden, namentlich ben Kaifer und alle einzelnen Glieder der Faiferlihen &amilie, für bie hl. Synode, bie betreffende Stadt, für bie Reifen ben unb alle Menſchen. Nach einigen weiteren Gebeten folgt das Pater noster, und bann bie Elevation des Β΄.

1) Mansi, Collect. Concil. T. XXXL p. 1045 aq. gl. meine Stbfblg. fiber ble Union ber griedj. Kirche In der Duartalfcht. 1847. €. 256. Harthaufen berichtet in feinen Studien über Rußland iB. L ©. 364, daß gerade die Starowierzen ober Altgläubigen in Rußland in Serbie dung mit ber theologiſchen Schule von Kiew ganz entfchieden behaupten, die Wandlung trete (don mit Ausfprejung der Eonfekrationsformel ein. Das Gegentheil wolle die Schule von Mosfau behaupten.

2) Bel. Quartalſchr. a. o. Ὁ. ©. 246.

Die ruſſiſche Kirch⸗. 420

Brodes, wobei ber Diakon ruft: „das Heilige den Oeil» gen." Während eines Communionliedes bricht der Priefter unter Gebet das hl. Brod in bie vier mit befondern Buchs ftaben (f. o. ©. 423) bezeichneten Stüde, legt das Stüdchen IHO in ben feld, bricht das zweite mit X C für fid) und ben Diakon, das dritte unb vierte aber für das 9Boff (in viele Theilden). Die anderen Stüdchen, bie zu Ehren ber B. Jungfrau sc. 20. geopfert worden waren, werden nicht zur Gommunion gebraucht. Sodann wird ber feld) für bie Gommunifanten zurechtgerichtet, indem in benfelben heißes SiBaffer (Symbol ber Wärme des Glaubens) aufgeídüttet wird, bis ein für bie Zahl ber Gommunifanten hinreichen⸗ des Quantum vorhanden ift. Sept beginnt bie wirkliche Eommunion. Zuerft reicht der Priefter dem Diakon das hl. Brod, bann erft empfängt er εὖ ſelbſt. Aus bem HI. Kelche dagegen trinkt er ſelbſt zuerſt dreimal und reicht ihn dann bem Diafon. Darauf werden die Thüren zum Sanftuarium wieder geöffnet, und bie Gommunifanten treten, die Hände freuzweis auf bie Bruft legend, an die Hauptthüre heran. Jeder wird mit feinem Namen aufs gerufen unb empfängt nun bie beiden Geflalten auf ein» mal, indem das ff. Brod in ben hl. Wein getaucht unb fo dem Einzelnen mittelft eines Löffelhens gereicht wird. Nach vollzogener Gommunion tragen Priefter und Diafon den Disfus und Kelch wieder auf ben Grebengtifd, flellen fid) dann beim Ambo auf und fprehen Danffagungsgebete, ber Priefter (bei den Giriedyen ber Diakon) entläßt dann das Volk mit bem Rufe: procedamus in pace (ἐν εἰρήνῃ προέλϑωμεν) und mit bem Segen. Spriefter und Diafon fehren in die Prothefls zurüd unb ber Diakon ift hier das, was von ben hl. Sachen noch übrig ijt, der Priefter

430 Die ruſſiſche Kirche,

aber tritt wieder zum Volke heraus und reicht unter Ger bet und Gejüngen denen, welche nicht communieirt haben, die Eulogien (τὸ αντίδωρον). Zum Schluß werben bie geiftlihen Gewänder wieder unter Gebeten abgelegt unb die Hände gewafchen.

In der Saftenjeit hat nur am Samftag und Sonn tag eine ganze Liturgie, am Montag, Dienftag und Don- nerftage gar feine, am Mittwoch und Preitage aber eine Liturgia praesanctificatorum (τῶν προηγιασμένων) flat, ähnlih wie bei und am Eharfreitage. Diefelbe befteht hauptfählih aus ben Horen fammt SBefper, welde an biefen Tagen länger find. Gegen Ende des SBefpergefange nimmt ber Priefter nad) vorauégegangener Räucherung aus bem Eiborium, das auf bem Altare ftebt, das am Sonntage zuvor confefrirte, bereit6 in das hl. Blut ger tauchte Brod heraus, [egt es auf den Diskus, incenfirt es, gießt 9Baffer und Wein in ben fed) (jebod) ohne ale Eonfecration); verſchiedene Gebete und Geremonien folgen, ájnlid) wie bei ber ganzen Liturgie, aud) bie Ele vation hat Statt, und am Schluffe communiciren Priefter, Diafon und Bolf in ber nàmliden Weife, wie bei ber vollfändigen Meſſe 5.

Diefer ausgedehnte, ceremonienteidje Eult forbert eint zahlreiche Geiftlichfeit. Diefelbe ſcheidet fid) in Kloſter. und Weltclerus, ober ſchwarze und weiße Geiftlichfeit. Aus erfterer, welche bie gebilbetere und höher verehrte if, werden alle Bifhöfe und die fonfigen hohen Geiſtlichen gewählt, und ihnen ift bie Ehe verboten, während bie | Weltgeiftlichkeit, bie Priefter unb alle anderen Gleiftt |

ur | 1) Bel. Goar, Eucholog. p. 190 seqq. SRuralt, Briefe x. €. 48 f. fing, a: a. D. ©. 169 f.

Die ruſſiſche Kirche. 431

fid einmal verehelichen fónnen, vor Empfang der Diafo- natsweihe. Da faft ausſchließlich bie Söhne von Popen wieder Bopen werben, und es für unanftünbig gälte, wenn ein SBopenfobn eine andere als eine Popentochter heira- then würbe, fo bildet bie Weltgeiftlichkeit in Rußland einen fa faftenartig gefehloffenen Stand. In die Klöfter das gegen fannS ebermann aus jedem Stande eintreten, nur Tann der eibeigene dabei nicht Pater, fondern nur Laienbruder werden. Faſt alle Klöfter ber ruffiihen Kirche gehören dem Drden des f. Bafilius an, und man zählt im Ganzen 462 Manns» unb 118 Nonnenflöfter, mit ungefähr 9000 Mönchen (Patres und Fratres) und 2250 Nonnen, denen wieder 5000 dienende Schweftern zur Geite ftehen. Ale öfter haben ihre Befigungen feit Catharina II. verloren, und werben jet theild durch Stantsbeiträge, theild burd) milde Gaben erhalten. Mit vielen find zugleih aud) Schulen und Afademien verbunden !).

Der hierarchiſchen Eintheilung nad) zerfällt Rußland in 52 Bisthümer oder Eparchien mit einem Perfonale von ungefähr 120,000 Glerifern ?). An jeder bifhöflichen fite findet fld) aufer bem Biſchofe ein Protopope, zwei Schagmeifter, fünf Popen, ein Protodiaconus, vier Diar Ionen, zwei Leftoren, zwei Oftiarier und 33 Sänger; andere bedeutende Kirchen haben einen Protopopen, zwei Bopen, zwei Diafone, zwei Sänger umb zwei Oftiarier, und Pfarreien, die nur aus zwei bis breihundert Häufern beftehen, follen mehrere Priefter und Diakone xc. 1c. haben ®). Ale diefe Geiftlihe find feit der großen Gecularifation

1) Saxthaufen, a. a. D. b. IL €. 93 f.

2) HSarthaufen, a. a. D. b. IL ©. 92 f.

3) $mitt, a. α. Ὁ. ©. 168 f.

Speol, Duartalſqhrift. 1858. III. Gef. 29

432 Die ruſſſſche Kirche.

unter Katharina IL nur auf ſtaatliche Beſoldungen ange wiefen und biefe für bie meiften fehr Färglich berechnet, Aber trot diefer Dürftigfeit und trog ber nod) viel (diim: mern Unfelbftftändigfeit des Gleru& bem Staate gegenüber ftebt der geiftliche Stand in Rußland nod) immer in ausr gezeichneter Verehrung ἢ. Das Bewußtfein, daß fie „Or falbte Gottes“ und daß bie bL. Ordination feine bloße Eeremonie jei, ift fefbftoerftünblid) bie Urfache biefer für ben Beftand einer Kirche nöthigen Erſcheinung; unb bie ruſſiſche insbefondere müßte es mit ihrem eigenen Sob büßen, wenn fie fij von bem einfchleichenden SBroteftantits mus ben Glauben an das heilige Saframent be Priefterweihe je rauben faffen würde,

1) Bol. Harthaufen, a. a. D. Bb. I. €. 86 fagt hieräbe: „Dan Hört felbft in Rußland Häufig die Vehauptung, der gemeine Rufe Habe nicht die mindefte Liebe und Achtung vor feiner Geiftlichkeit, m Habe fogar den Mberglauben, wenn er am Morgen früh quer einm Bopen begegne, fo bringe ihm das Unglüd, er fpei banm bei folder Gelegenheit aus. Auf der andern Seite fict man fiete, wenn ein Rufe einem Popen begegnet, daß et ijm bemáüifig die Hand Hát. Man wil daraus fchließen, daß er ben Popen mur als Träger und Spender ber Sakramente äußerlich ere, aber innerlich verachte ober gar affe. Das dft eine der halben Wahrheiten, die flets zu falfchen Schlüfen führen. Der Ruffe fat die größte veligiöfe Ehrfurcht vor bem Amt umb ber Weihe des Geiſtlichen. If nun ber Geiftliche zugleich eim würbiger Mann 1c. ıc., fo wird er mit unbegrenzter Liebe und Ehrfurcht behan⸗ beit :.. Aber ausgezeichnete Geiftliche find allerdings auf bem Lande felten. Die Mehrzahl der älteren Popen iſt àuferft τοῦ, ofne alle Bil bung, umeiffend, nur auf ihren Bortheil bedacht .... Daß folge Sepe perfönlich nicht geliebt, gelobt unb geachtet werben, daß man nur ihre Würde und Prieſterweihe in ihnen ehrt, (ft durchaus natürlich. Seit 15 Jahren Hat fid) das abet ſchon mächtig geändert, bie jüngere Geiflicteit fat mehr Bildung, mehr Streben und mehr Gifer in ihrem Ante.“

Hefele

2.

Der vorgebliche Pelagianismus ber vorauguftinifchen Väter,

Ein Beitrag zur Dogmengefgihte

Hatten die älteren Väter, namentlich ber griedhifchen Kiche, die menſchliche Willensfreiheit mit großem Nach» drud vertheibigt, und ihr Verhaͤltniß zur göttlichen Gna⸗ denthätigfeit faft ausfchließlich vom empirifchen unb ethiſch⸗ praktiſchen Standpunfte dahin beftimmt, daß ber Menſch anfange und Gott feinem guten Willen zu Hülfe fomme, laf ber Menſch nad) beften Kräften ringen unb fireben fole, damit ihm Gottes Gnade das Wachsthum und bie Vollendung im Guten verleihe 1: Gor. 3, 6. 7. Röm. 7, 18.; fo glaubte man in ihnen Vorläufer des Pelagius und Gegner des DI. Auguftin zu erfennen, wie man in ähnlicher Weife bie Trinitaͤtslehre der vornicänifchen Väter mit dem Arianismus zufammen- und ber nicänifchen Lehre entgegengeftellt hat.

Daß bie alten Häreflarchen felbft fld) auf bie ältern Lehrer und Väter als ihre Vorgänger beriefen, ift erflär- lij. Abgeſehen von dem natürlichen Verlangen, gegen ihre lirchlichen Gegner bei anerfannten und verehrten Nas men Schup zu finden, war nad) ihrer eigenen innerften

29*

434 Der vorgebliche Pelagtanismus

Meberzeugung jede Lehre verwerflich, bie mit bem Merkmal der Neuheit auftrat und in dem Glauben der früheren Zeit feine Stüge fand. Die Berufung auf bie hl. Schrift allein galt damals noch feinerfeité für ausreichend zur Herftellung des Beweiſes der Chriſtlichkeit einer Lehre; und wenn man aud) nicht der Εἰτ Τἰ ἐπ Meberlieferung vertraute, wie die Gnoftifer 1), fo glaubte man den Aus: fall durch Aufftellung einer eigenen, geheimen Weberliefer rung beden zu müffen. Auch bie Betrachtung ber bog: mengefdichtlichen Gntmidfung, womit fid) ber moberne Rationalismus trägt, das hiftorifche, bewegliche unb ver- änderliche Moment nicht allein in der Lehrweife, fonbern in ber Lehre felber zu fuchen, war der alten Kirche und ſelbſt ben Häretifern ganz fremd. Nur darin unterfdjieben fid) diefe von ben firdjlidjen Lehrern, daß fie ihrer Lehre die Stellung zu bem Glauben und ber Lehre der früheren

- Väter vinbicirten , welche nad) ber llebergeugung jener vielmehr bem gegen bie Irrlehre firittem Dogma allein in Wahrheit gufommt.

Die alten kirchlichen Gegner ber Härefle fuchten zwar gerne deren Spuren in ber hriftlichen Vorzeit auf, mit befonderem Eifer namentlich ber bl. Hieronymus hin fidtlid) des Pelagianismus; aber fle zeihen immer nur einzelne Lehrer und ſolche Männer, deren kirchliche Drthoborie theils verdächtig theils geradezu befritten war, ber Ausfireuung des Samens, ben bie fpätere, offen hervortretende Φάτεβε jur Reife gebracht und finden bie Härefle fomit lebiglid) auf ihrem eigenen Gebiete heimiſch, auf dem kirchlichen aber nur als ſporadiſche

1) Tertullian. de pracsc. c. 25. Iremae. adv. haeres. I, 25. 3.

der vorauguſtiniſchen Väter. 435

und vorübergehende Erſcheinung. Die proteftantifchen Dogmenhiftoriter der frühern Zeit verfahren nod) ganz in bier Weiſe; erft die neuere, buch Semler unter ben proteftantifchen Theologen allgemein 1) verbreitete Auffaſſung des dogmengeſchichtlichen Prozeſſes hob ben Gegenfag amis ſchen ortboborer und heterodorer Lehrentwidlung völlig auf; und indem fie bie häretifchen Sondermeinungen bem firhlichen Glauben und beffen dogmatiſchen Beftimmungen ebenbürtig zur Seite ftellt (mas nidt ohne egoiftifchen Beigeſchmad ift), läßt fie begreiflich aud) feinen Unterſchied gelten hinſichtlich ber Rechtmäßigkeit des 9Infprudjó, ben beide Theile auf Mrfprünglichkeit und traditionelle Beglaus bigung machen. Es ift nach diefer Auffaffung bie Ger ſchichte des Dogmas ganz ebenfo zu beurtheilen, wie 3. 3B. die Geſchichte der Philofophie, die, wie (aut aud) bie τε heber ber einzelnen Syfteme εὕρηκα vufen, bod) nur pate tielle und einfeitige 9teflere ber Wahrheit aufzumeifen hat. Bie bem Nationalismus ſchon bie diftlidje Wahrheit an fij, die Offenbarung, nichts Abfolutes, fonbern wie jedes enbliche Geiftesproduft ber SBerbefferung fähig unb ber dürftig ift, fo amerfennt er aud) in ber Art und 9Beife wie diefer Inhalt bem kirchlichen Geifte fid) präfentirt, in dem kirchlichen Bewußtfein und feiner Entwidlung nicht die Stetigfeit und Unveränderlichfeit, welded bie Merks male feiner unverrüdten Uebereinfiimmung mit ber ur⸗ fprünglidjen Wahrheit find. Bon folhen Anfihten aus füllt es freilich nicht ſchwer, Dogmengeſchichte zu ſchreiben; daher auch bie Reihhaltigkeit der rationaliſtiſchen Literatur

4) Mit cüjmlidjen Musnafmen, wie wir eine foldje 3. B. in der Ronographie des Origenes von Thomafius (Nürnberg 1837) gerne aueilennen.

458 Der sonare Pelegienitunt im bieiem Fweige. Erideinungen jammein, mat fie cimcm vorantgejaften akfrafirn €vieme anpajicn, ih ungleich leiter, ald ven Gruxb ber Wahrheit erjerichen umb δε Giejcie, welche tie Gridcimungen erklären, aufinden. Bi mam, um nun fperich auf unjern Gegenfan su fommen, bic verauguiiniiden Bäter geredjt beurteilen, je tarj man mit bei bem Wertlamte ihrer Darfellungen fichen bleiben, und fc kon Darauf hin des Pelagianisuns xihen. Offenbar madıt c6 einen wefentlichen Unterfähiee, οὐ ἰώ tem Cap: ber SRenid) jel das Gute, weil er εὖ fann, ober ten: ber Sienid) fann tes Gute, weil er e$ fol, auch, olwobl beitcmal chen bie ftıliche Freiheit als Bermögen des Guten behauptet wirt. Es ij enses anderes, vie fttfide Freiheit im Gegeniape des gueftichen Sualtóumé oder te$ heit nijchen Fatalisaus, erwas anbere$, ic im Gcgenjah gegen den Pelagianismus, gegen εἰς Retkiwendigfet ter Gnade zu behaupten. Wan tarf weiter tie Schwierigleit nic überichen, tie im der Cade iclbit liegt, das Zufammcr wirfen von Freihen unt Gmate im Heilswerfe auf au yräciie, nad) allen Eeiten ten möglichen Irrthhum abſchnei⸗ vente Weile zu beitimmen. emer t εὖ eine allgemeine, ebenie natũtliche als leicht erflärlhe Ericgeimung, bof jo lange ein vie Wahrheit gefährtender Srrtfum nicht auſ⸗ getandı iR und zur SBerüót im Austruf des allgemein Slaubensinhalis mótbigt, ticicr in umbeiangener und forg Iojer Weije ausgeiprechen wirt ἢ): ba greift man imma zu terjenigen Borfiellung ter Sache, weldje dem gemein Cum un Berkäntnis am πἀώβεν Περί. Gublij und 7 ἢ) Aeguatin. conis. Jekum. I, 2: Disputes im cathelic ec diesia mea se alher imtelbgi acburabembur; ial quacstisme

der vorauguſtiniſchen Väter, 491

hauptfächlich darf nicht überfehen werden, daß das Bers haͤltniß von Sreiheit und Gnade nad) zwei Seiten ber Bahrheit gemäß dargeftellt werden Fann, nad) ber em» piriſchen ober ethifchspraftifchen unb nad) der fpefulativen oder religiös-theologifhen, und daß εὖ nad) jener Geite dargeftellt werben muß, wo es fid) um bie SBertbeibigung der Wahrheit gegen den freiheitsläugnerifchen Dualismus und Fatalismus, nad) biefer Seite aber, wo es fid) um ijre Vertheidigung gegen den gnabenfeinblidjen Pelagias nismus fanbelt.

Bas wir hier ausfprehhen in Abfiht auf bie richtige Beurtheilung der ältern Kirchenlehre, ift nicht eine erft von und angeftellte Erwägung; wir finden die Hauptger danfen [dom von Auguftin hervorgehoben. Die Pelas gianer beriefen fid) zum Schuß ihrer Lehre gegen ben Borwurf der Härefie auf die frühern Väter 1), befonders die ber griechiſchen Kirche. Auguftin entgegnet, es {εἰ dieß ohne Grund; denn der riftlihe Glaube fei Einer und die Vorfteher der orientalifhen Kirche bekennen feinen andern ?). Wie eifrig aud), will er fagen, bie Griechen . bie Vertheidigung der menſchlichen Willensfreiheit gegen ihre Laͤugner führen, und wie auffallend fte hiebei mit ben Pelagianern übereinftimmen, die Gnade, die Nothwendig⸗ frt der göttlichen Unterftügung für ben Menſchen Täugnen fie nicht, weil beides das chriſtliche Glaubensbekenntniß

1) Sogar auf Ambrofins (Augustin, de grat. Christi c. 47. 1.52) und auf Nuguftin felber (Augustin, de nat. et grat. c. 61. 2.71. c. 63—67. Retract, I, 9).

2) Non est ergo, cur provoces ad Orientis Antistites, quia et i uique Christiani sunt et utriusque partis (terrarum) fides ista

waa est, quia et fides ista christiona est, cont. Julian. lib. I. c. 4. 8, 14. cf. lib. IL c. ult.

438 Der vorgebliche Pelaglaniemus

fordert ), das aud) das ihrige war. Die verfdjfungenen und bunfeln Gänge des BVerhältniffes von Freiheit und Gnade kommen freilich, bemerkt er weiter?), den Pelagianern {εὖτ zu ftatten, wenn fie bie frühern Väter für ſich an- führen; denn biefeó Verhältniß fei fo geartet, baf mit ber Vertheidigung ber Freiheit bie (Stotfroenbigfeit ber) Gnade aufgehoben zu werben fdeine, unb umgefebrt. Bezüglich der Prädeftination insbefondere, welche von ihm als eine unbedingte gelehrt, von ben frühern Vätern aber einftims mig auf das Vorherwiſſen des menſchlichen Verhaltens begründet wird, macht Auguftin darauf aufmerkſam, bof biefe Stage früher mur furz und vorübergehend behandelt worben fei, und fo habe behandelt werben fónnen, weil fle nicht controberé gewefen, daß aber die frühern Väter ohne Zweifel forgfältiger und genauer fle gelöst hätten, wenn fle, wie er jegt, veranlaßt geweſen wären, den Pelagianern zu antworten 5). Cie waren aber gerade in bem ent gegengefebten Halle; fie hatten den chriftlihen Glauben

1) Ep. 215. n. 4.

2) De grat. Christi c. 47: Sed quia ista quaestio, ubi de arbi- trio voluntatis et Dei gratia disputatur, ita est ad discernendum dif- ficilis, ut quando defenditur liberum arbitrium , negari Dei gratia videatur; quando autem asseritur Dei gratia, liberum arbitrium pu- tetur auferri: potest Pelagius ita se latebris obscuritatis hujus invol- vere, ut etiam iis, quae a sancto Ambrosio conscripta posuimus, consentire se dicat etc.

3) De praedest. SS. c. 14. n. 27: Quid opus est, ut eorum scrutemur opuscula, qui priusquam ista haeresis (pelag.) oriretur, non babuerunt necessitatem in bac diffcili ad solvendum quaestione (de praedest.) versari? Quod procol dubio facerent, si respondere talibus cogerentur. "Unde factum est, ut de gratia Dei quid senti- rent, breviter quibusdam scriptorum suorum locis et transeunter

attingerent, immorarentur vero in eis, quae adversus inimicos Ec- clesiae disputabant,

der vorauguftinifchen Väter. 439

gegen folde zu vertheidigen, bie keineswegs die Gnabe Gottes Täugneten, fondern etwas ihr Analoges lehrten, nämlih daß der Menſch vor und unabhängig von feinem eigenen Freiheitsgebrauch burd) feine Natur boͤs fei, oter bof er einem Verhängniß unterliege, unter welchem fein αὐτεξούσιον auffomme. Sie hatten alfo vor allem dieſes qu retten, und fo fonnte es bei bem Gegenfage, in welchem Gnade und Freiheit fliehen, ben Anfchein gewinnen, als vertheidigten fte die Freiheit ausſchließlich, als für fid) all« ein zureichend um das verlorne Heil wieder zu gewinnen, fomit gegen die Gnabe Gottes. Es [εἰ eine ganz andere Frage (welche die frühern Väter und ihn fefbft in feinen Schriften gegen die Manichder, worauf fid) Pelagius ber tief, befdjüftigt habe), woher das Böfe fomme (ob von tatur oder aus bem freien Willen des Menfchen), und eine andere Frage, wie zu bem verlornen Gute (zum Heil) wieder zu gelangen fei. Dort müffe man ben freien Willen geltend machen, der ja in ber That fündige oder das Gute thue obwohl es zu leßterem nicht fomme, bevor ber "Hie aus ben Umftridungen der Sünde befreit {εἰ bier Dagegen bie Gnade, die aber felbft aud) nur durch den freien Willen wirfe 1).

Es ift jedoch nicht fo fafl die Verſchiedenheit des

1) Retract. I, 9. 2 u. 3: Aliud est enim quaerere, unde sit malum, et aliud quaerere, unde redeatur ad pristinum, vel ad majus perveniatur bonum. Quapropter novi haeretici Pelagiani non se extollant, quasi eorum egerim causam, quia multa in his libris (de lib. arbi.) dixi pro libero arbitrio, quae ilius disputationis (contr. Manich.) causa poscebat. Was von Auguflins eigenem Ders fahren gilt, läßt fid) unmittelbar auf das ber griechiſchen Väter amens dem, fofern biefe gegen die Ginoftifer ſtritten. M. vgl. ferner Retract. I, 9. 4, überhaupt das ganze Gap.

440 Der vorgebliche Pelaglanismus

Gegenſtandes in den beiden Fragen, woher das Böfe fomme unb wie ba6 Heil wieder erlangt werde, worauf die verfdiedene Behandlung des Verhältniffes der eigenen Thätigkeit des Menfhen und des aufer ihm liegenden Einflufjes ſei's der Gnade, nad) riftlicher Lchre,fei’s der Ratur oder des Batums, nad) gnoftifcher unb heidni⸗ fer Lehre beruht; beide Fragen laufen julegt auf bie eine hinaus, wie das Gittlidje überhaupt vom Mens ſchen und burd) ihm verwirklicht werde. Bedingt ift fie vielmehr blos relatio, durch bie Gegenfäge, mit denen man es zu thun hatte, und wovon bet eine die Freiheit läugnet unb an ihre Stelle bie Natur oder das Berhäng- nig fegt ftatt jene in ihrem Rechte zu befaffen unb mur ihre Unzulaͤnglichleit hinſichtlich des zu realiſirenden ſitilichen Ideals duch den Beiftand der göttlichen Gnade ju ergänzen, ber andere aber die Freiheit mit Aus ſchluß der Gnade für allein zureihend und ent[djeibenb erflärt. Hatten die Väter der frühern Zeit gegen bie Gnoftifer zu fämpfen, (unb Auguſtin {εἰδῇ anfänglich gegen die SRanidjder), fo flanb offenbar in erfter Linie die Vertheidigung ber Freiheit; diefe fonnten fie aber mit Stadbrud nicht führen, wenn fie mit aͤngſtlicher Sorgfalt flet& an die Schwaͤchung des fütliden Vermögens durch bie Sünde und bie daher rührende Nothwenbigfeit des göttlichen Gnadenbeiſtandes erinnert hätten. Sie brauch⸗ ten aud) nicht darauf einzugehen; bie hriftlihe Wahrheit gefattete ihnen, bie Breiheit ſchlechtweg ju behaupten gegen ben moralifhen Dualismus der Gnoftifer, ba bie felbe ihr zufolge weder unter bem Drude der Sünde mod) unter dem Defebenben und helfenden Einfluß ber Gnade aufgehoben oder unwirffam ift. Die eigentlichen

dee vorauguſtinifchen Väter. 441

Antipoden der Gnoftifer imb. Manichaͤer waren die Pela- gianer. Sie längneten ben. zerfegenden Einfluß der Sünde auf das fittliche Vermögen und bie abfolute Notwendige frt der Exlöfung und Gnade Gottes; fie behaupteten die menschliche Willensfreiheit als ungeſchwaͤcht und als die ausreichende Kraft zur Erreichung des fittlihen Ideals. Gegen fie mußte von demfelden Glauben, von berfelben Bahrheit aus, bie die Väter in jenem Kampfe leiteten, das entgegengefeßte Verfahren eingefchlagen, und das Mor ment der Wahrheit, welches dort jurüdtrat, hier in bem Vordergrund gezogen werden baher ber fcheinbare "üiberfprud) zwiſchen ber frühern und fpätern Lehre ber Väter. Es mußte, unter ausbrüdlider Hinweis fung auf das fittlide Verderbniß, bie unbe dingte otbmenbigfeit ber Erlöfung und des göttlihen Gnabenbeiftanbeó bis zur Lehre von ber abfoluten Prädeftination in bie ans dere Wagfhale geworfen werden, wobei, um der chriſtlichen Wahrheit feinen Eintrag zu tfun, mehr wit nöthig war, alá ber allgemeine Borbehalt ber Freiheit unb Freithätigfeit des Menſchen.

Naͤchſt den Stellen, worin die Väter die Willens: freiheit gegen den gnoftifhen Dualismus und heidnifchen datalismus vertheidigen, fommen diejenigen Aeußerungen in Betracht, worin fie biefelbe ohne Rüdfiht auf entges genftehende Lehren thetifch behaupten. Es geſchieht dies tells im Zufammenhang mit jener Vertheidigung, wenn fie nämlich die Gründe für bie Willensfreiheit {εἰ es aus der Schrift, fei ed aus ben moralijfen unb politis ſchen Gefeggebungen, oder aus ber Vernunft erörtern, theilz abgefonbert bei Behandlung ber ethifhen Lehe

442 Der vorgebliche Pelagianismus

ven bes Chriſtenthums. ine ausprüdliche Beriehung auf das fittliche Verderbnig und den durch Chriſtus er- wirften göttlichen Gnabenbeiftanb finden aud) wir, in diefer Caffe von Stellen entmeber gar nicht, ober δῶ ſel⸗ ten; wird bie Willengfreiheit des Menfchen, das Vermögen des Guten und Böfen nur ganz im Allgemeis nen behauptet und über ben Umfang und die Bedingungen ihres wirklichen Gebrauchs nichts ausgefagt. Daraus zu Schließen, daß bie Väter das ſittliche Vermögen als ungeſchwaͤcht und unbedingt in feinem wirklichen Gebrauch angefehen haben, wäre ein offenbarer Fehlſchluß; das bloße Schweigen über bie Grünje des Vermögens berech⸗ tigt nicht zu ber Annahme, daß bafielbe ihnen als unbe gränzt gegolten habe, um fo weniger, je deutlicher man fieht, bag fie fi nur ganz im Allgemeinen auébrüden wollten. Was fie über die Kraft und Tragweite ber fttlichen Freiheit des Menſchen gedacht haben, biefe com crete Frage läßt fid erſt entfdjeiben, wenn wir ihre Lehre von den Folgen des Sündenfalls, von der Grlófung durch Ehriftus und ber von hier aus uns zufließenden götts lichen Gnabe geprüft haben. Endlich kommen diejenigen Stellen in Betracht, worin bie Väter von ber Freiheit und Gnade handeln und ihr Verhältniß zu einander im Heilswerk, b. D. ben beiderfeitigen Antheil an demfelben beflimmen. Auf diefe dritte Gfaffe von Stellen fommt es hauptfählid an bei Beurtheilung des eigentfümliden Charakters ihrer Lehre und ihres Verhältniffes zum Per lagianismus. Hier muß es fid entſcheiden, wie weit bie Väter in Einrechnung bes fittlihen Verderbens einerfeits die Kraft und Wirkfamfeit des menfhlihen Willens,

der vorauguſtiniſchen Väter. 443

andrerfeits bie Nothwendigfeit und Kraft der göttlichen Gnade ausgebehnt haben.

An biefe Elaffe von Stellen wollen wir uns nun halten. Bekannt ift, daß bie voraugufiinifhen Väter und Auguſtin ſelbſt in feinen Schriften gegen bie Ma- nihäer ganz einfellig vom ethiſch praftifhen Stand» punkte aus bie menfchliche Thätigfeit ba& Heilswerk bes ginnen, bie göttliche Gnade aber das menfhlihe Thun unterftügen, mit Erfolg fegnen und vollenden laffen. Den Menfhen, fein Thun und Sein fo genommen, wie e8 fid) der unmittelbaren Wahrnehmung barbietet, läßt fl) an» ders auch gar nicht verfahren; das gleiche Verfahren ift geboten, wenn man ihn al8 Subject des Gittengefegeó betrachtet. Davon verſchieden ift der fpeculative Geſichts⸗ punft, bie religiös theologifche Betrachtung, welche bie Gnade als ben abfoluten Grund unb als Bedingung jeder wahrhaft guten Willensthätigkeit aufſtellt. Ein Widerſpruch zwifchen beiden Betrachtungen befteht an und für fü$ nicht, vielmehr ordnet fid) bie erftere der legtern unter; nur wenn fle ausſchließlich bie eine gegen bie andere geltend gemadjt werben toollten, wuͤrden beide ihren Anfprud auf Wahrheit verlieren.

Was juerf die Iateinifhen Väter betrifft, fo lann gegen fie aud nicht der Verdacht pelagianificender Lehre auffommen. Sie find fo wenig im Balle, bie ethiſch⸗ practiſche Auffaffung in ausſchließlichem Sinne geltend zu machen, baß fie vielmehr bie andre ihr zur Seite gehen laſſen. Nur die Vermittlung fehlt, und das Geſchick, von ber Betrachtung ber göttlihen Gnade als der abfoluten Urſache alles guten Willens aus bie Wils Ienöfreiheit zu ihrer wahren Geltung zu bringen.

444 Der vorgebliche Prlagtanisums

Führen wir nur einiges zum Belege unferer Behaup⸗ tung an.

Tertullian befämpft die Gnofifer, welde zur 8e gründung ihrer Lehre von zwei Naturen im Menfchen, einer guten und einer böfen, fid auf die Schriftſtellen beriefen: „Ein guter Baum kann feine fdfedten Früchte bringen, nnb ein ſchlechter Feine guten;^ „Riemand ärndet von Dornen Feigen, unb von Difteln Trauben.” Die in biefen Ausfprüchen liegende moralifche Beftimmtheit bed Willens, feine der einzelnen That vorausgehende Geneigt- heit für das Gute ober Böfe lüugnet Tertullian nidt; er anerkennt vielmehr diefe Wahrheit, wie es fpäter Au gufin auf Grund derſelben Schriftftellen gethan δα "). Gr führt den Gnoftifern ſolche Schriftftellen zu Gemüthe, worin zwar gleichfalls bie fittlihe Berfunfenheit bd Menfchen bezeugt, aber zugleich aud) die Möͤg lich keit ihrer Heilung oder biefe {εἶδες al& wirtlide That fad e ausgeſprochen ift, eine Heilung die nicht auf phy fiſchem Wege durch Austreibung der boͤſen Natur, fondern auf bem moralifhen durch Umſtimmung des Willens in Kraft der göttlichen Gnade vor fid) gegangen. Gr ant wortet ben Gnoftifern: „Wenn εὖ fo wäre, wie ihr leheet, ‘fo Könnte Gott ni$t aus Steinen Söhne Abrahams erweden, fo fönnie bie Dtternbrutfeine Früchte der Buße bringen; fo hätte ber Apoftel geiert, wenn er fagt: „„Auch ihr waret εἰπῇ Sinflerni$^^ (unb feib jet Licht); ferner: „„Auch wir waren εἰπῇ von Ratur Kinder des Jor ne65"" „„Auch ihr waret in diefen Laſtern befangen, unb feib jet abgema[den."" So fände Schrift gegen Schrift;

1) 8. B. de grat. Christ. c. 18

der vorauguſtiniſchen Väter. 445

aber bie Schrift widerſpricht ſich nicht. Denn allerdings bringt der fehlechte Baum (aus fidj) niemals gute Früchte, wenn er nicht veredelt wird (burd) bie göttliche Gnade); und der gute Baum bringt ſchlechte Früchte, wenn er nicht gepflegt wird. -Die - Steine werden Kinder Abrahams, wenn fie zum Glauben Abrahams bekehrt werben, und das Diterngezücht bringt Brüchte der Buße, wenn das Gift der Bosheit ausgefpieen. Das ger ſchieht durch die Kraft der göttlichen Gnade, welche maͤch⸗ tiger iR als bie Natur (die natürliche Willensneigung), und ber bie Freiheit in uns, das αὐτεξούσιον unters worfen if. Da nun biefe Freiheit felbft natürlich und veränderlich ift (nad) entgegengefegten Seiten beweglich), fo wird bie Natur mit verändert (umgewenbet, befehtt), wohin fle gewendet wird )." Der Ausdrud ijt etwas unbeholfen und ſchroff, ber Gedanfe aber rein unb Fräf- tig, und fein anderer als berjenige, auf welchen Auguftin feine ganze Gnadenlehre gebaut hat.

Derfelben Auffafjung begegnen wir bei Eyprian, dem Zeitgenoffen des Drigenes. Auf ibn beruft fid) aud) Auguſtin ?) fehr gerne, und befennt erft buch ihn darauf geommen zu fein, bag [don ber Glaube ein Werk ber Gnade Gottes fei. „Wir fügen bei unb fagen bemerkt Eyprian „„Dein Wille gefhehe wie im Himmel fo auf Erden,““ nidt damit Gott thue was er will, fondern

1) De anima c. 21: Haec erit vis divinae potentior Wiquo natura, habens in nobis subjacentem sibi liberi arbitrii polestatem, quod αὐτεξούσιον dicitur, quae cum sit et ipsa naturalis, quoquo vertitur, natura convertitur.

2) Contr. duas epp. Pelag. c. 9. Ep. 47. de praedest, 88, c. 3. de dono persever. c. 2. al.

446 Der vorgebliche Pelagianiömns

damit wir ju thun vermögen, was Gott will. Denn feinem Willen kann Niemand eine Schranke fegen, fondern weil uns der Teufel hindert, Gott in allweg gehorfam zu fein, fo bitten wir, bamit ber Wille Gottes in ung ger ſchehe, wozu der Wille Gottes erforderlich ift, b. D. feine Hüffe und fein Schug, weil Niemand burd) eigene Kraft Fark, fondern nur burd) Gottes Nachſicht und Gnade ficher iſt· i)j. „Gottes ift alles, was wir vermögen; von babet kommt unfer Leben, von daher unfere Kraft, von daher bie innere Erregung, wodurch wir nod) Dienieben die Zeichen des Zufünftigen voraus wahrnehmen; nur [εἰ man ‚Ängftli für bie Reinheit des Herzens beforgt, damit der Herr, ber in unfer Inneres mit feiner Gnade fid herabgelaffen, in der Wohnung ver beglüdten Seele burd) gebührende Wirkfamfeit feftgehalten werde 9. Ambrofius, auf ben Augufin am häufigften zus rüdfommt, ben jebod) aud) Pelagius für fij anführt (ob. ©. 437 %.), wendet die Schriftſtelle: A Deo praepa- ratur voluntas hominum (Proverb. VII, 35. sec. LXX.)

1) De orat. Domin. p. 491. ed. Venet: Addimus quoque et dicimus, fiat voluntas tua sicut in coelo et in terra, non ut Deus faciat, quod vult, sed ut nos facere possimus, quod Deus vult. Nam Deo, quis obsistit, quominus quod velit faciat? Sed quia nobis a diabolo obsistitur, quominus per omnia noster animus atque actus Deo obsequatur, oramus et petimus, ut flat in nobis voluntas Dei, quae (Dei voluntas) ut flat in nobis, opus est voluntate Dei, i. e. ope ejus et protectione, quia nemo suis viribus fortis est, sed Dei indulgentia et misericordia tutus est.

2) Ad Donat. de grat. pag. 9.: Dei est, inquam, Dei omne, quod possumus: inde vivim le pollemus, inde sumpto et con- cepto vigore hic adhuc positi futurorum indicía praenoscimus etc.

Weitere Stellen hat Lumper (Hist. theol. crit. PP. pars IX. p. 494. seq. 9. p. 539 seq.) gefammelt.

der vorauguftinifchen Väter. 447

auf die Gnadenwirkſamkeit Gottes an .). Er will damit fagen, ber Wille, der nad) feiner formellen Seite als Wahl⸗ vermögen in ber Hand des Menfchen liegt, gehe als ein guter aus ber Hand Gottes hervor, Gott pflange in ihm das Gute unbefchadet feiner freien Wahl. Denfelben Ger banfen in ber gleichen Form wiederholt Auguftin unzähs ligemat, er liegt als leitende Idee feiner ganzen Gnaden- lejre zu Grund. G6 fann aud nicht zweifelhaft fein, daß Ambrofius jener Stelle den eben bezeichneten Sinn wirklich beilegt, wenn er anderwärts Ichrt ?), bie göttliche Gnade [εἰ nicht allein zur Bewahrung und Fortführung, fondern fhon zum Anfange des Guten erforderlich 5). Deſſenungeachtet läßt Ambrofius ganz wie feine Bors gänger den menídfiden Willen das Heilswerf begins men unb bie göttliche Gnade darauf gleihfam warten, an ben nach ihr verlangenden Willen anknüpfen zu fónnen ἢ). Will man hierin einen SBiberfprud), in ben Ambrofius mit fid) feldft getreten, annehmen, fo ift dies freilich bie

1) Exposit. in Luc. I, 10. (Augustin. de nat. et grat. c. 63. n. 75.) Cf. de fuga sec. c. 1. al.

2) Exposit. in Luc. II, 84.

3) Shánfder, der die Stelle anführt (Handb. b. Dogmengefih. ΤΥ, 162), bezeichnet Ambrofius als ben erften, weder der Gnade gleich) bei bem Anfange des Glaubens eine Ginwirfung, Hiedoch mit ber Tfätigfeit des freien Willens verbunden“ zugeflche. Ms ob Auguflin die gratia praeveniens anberé verſtanden hättel Diefe Meinung fet auf gleicher inte mit ber [dom von Andern (j. B. Thomafins Dig. ©. 76) gerügten Annahme Mäünfchers, als ob bie Lehre ber Väter von der Grófünbe bie Freiheit ausfchließe. Aber auch bie erſte Behauptung it unhiſtoriſch.

4) Comment. in psalm. 118. n. 30: Vult se praeveniri sol justitiae (Christus) et ut praevenistur, expectat. Audi, quemad- modum exspectet et cupiat praeveniri. Dicit angelo Pergami ec- Clesiae ... age poenitentiam etc.

Stjest, Duartelſritt. 1858. II. Heft. 30

448 Der vorgebliche Velaglanismus

leichteſte, aber aud) bie feichtefte Exflärung ber Schwierigfeit, Da, wie wir fogleid) zeigen werben, beide Vorftellungen an fid) nicht im Widerſpruch ftefen, fo wird e& wohl ταν tioneller fein, aud den Df. Ambroſtus davon freizuſprechen, und ihn folglich zu Denjenigen zu redjnen, bie, wenn bie erftere, wornad bie göttlihe Gnabe bem menfchlichen Willen zuvorfommt, beftritten, unb ber entgegenftebenben ausſchließliche Wahrheit beigelegt wurde, eine folde Auf⸗ faffung als vom kirchlichen Glauben abweichend verwarfen.

Hieronymus befindet fid wirklich in bem Falle, ben wir fo eben blos vorausgefegt haben; er verabſcheut ben Pelagianismus und beftreitet ihn nad) allen Seiten energiſch, unb bod) befchreibt er das Verhaͤltniß von Beeiheit und Gnade unbebenflid) in ber hergebrachten empirifchen Weife nad) feiner ethifch-practifhen Seite. „Unſere Sache ift εὖ," fagt er, „zu beten, Gottes Sache, zu geben, um was er gebeten wirb; wir haben anzufans gen, Er zu vollenden, wir haben darzubringen, was wir vermögen, Er zu erfüllen, was wir nicht vermögen“ 1). „Durch das Gebet rufen wir das Erbarmen des Schöpfers hervor, damit wir, bie wir aus eigener Kraft nicht ges rettet werben Fönnen, burd) feine Barmherzigkeit erhalten werden. Wo aber Barmherzigkeit (Verzeihung, Gnade) ift, ba fällt der freie Wille (SBerbienf, eigenes Werh) theilweife hinweg; er bewährt fif mur darin, daß wir wollen und wuͤnſchen, unb dem was ihm gefällt unfre Zuftimmung geben 3)."

Sm folder Weife alfo äußern fid bie fateinifden

1) Dialog adv. Pelagisn. lib. IIL n. 1. p. 781. 2) Dialog. adv. Pelagian. lib. TI. n. 10, p. 793.

der vorauguftinifchen Vater. 449

Väter. Sie anerkennen das fittliche Verberbniß, ohne ben Untergang ber fittlihen Freiheit zu behaupten; fie lehren bie ſchlechthinige Nothwendigfeit des göttlichen Gnaden- beiftandes zu unfrer Rettung, ohne uníte eigene felbftthär tige unb freie Mitwirfung zu lüugnen. Das Wefen ber Erlöfung fegen fie nicht in bie Lehre und das Beifpiel Ehrifti, fondern in bie von ihm dargebrachte Sühnung der Sünde und in bie Verföhnung Gottes, in deren Kraft und Folge nun das Wohlgefallen, die Gnade Gottes bem Menfchen zufließt, wenn er mit Chrifto burd ben Glauben in Verbindung tritt und ihm im Gehorfame gegen ben göttlichen Willen nadjfofgt. Wir finden bei ihnen ſonach fämmtlihe Momente hervorgehoben, erfannt unb anerfannt, welde ben Inhalt des riftlihen Glau— bens ausmachen, und in feinem PBunfte eine Anſicht aus» geſprochen, wie fie nahmals von Pelagius und feinen Schülern auf allen Punkten diefes Lehrgebietes aufgeftellt wurde. Etwas anderes ift bie Art und Weife, wie fie bie fid) entgegenftebenben Momente ihrer unmittelbas ven Meberzeugung vereinigen, wie fie ben Antheil ber göttlichen und menſchlichen Thätigkeit im Heilswerke ber fimmen, biefe& alfo in bie Vorſtellung unb den Begriff erheben. Diefes doctrinelle Verfahren ſteht mit ihrem Glaubensbekenntniß nicht in einem unabtrennbaren Zus fammenhang; es fann mangelhaft, einfeitig, ja verfehlt fein, während ihr Glaubensbewußtſein rein und vollſtän⸗ big ift.

Aber aud) in jener Beziehung fällt eine nähere Uns terſuchung ganz zu ihren Gunften aus. Ihr boctrinelles Verfahren läßt fij in feinem alle als verfehlt, nicht einmal als einfeitig im engern Sinne bezeichnen. Die

30 *

450 Der vorgebliche VPelagianismus

lateiniſchen Väter faffen Gnade und Freiheit in das Werk der menfchlichen Rettung fi) theilen, und indem fie die beiberfeitigen Antheile und Beiträge zufammennehmen, das ' Heilswerf in feiner Ganzheit zu Stande fommen. In der That fonnte man aud) nicht weiter fommen unb nicht anders verfahren, wenn man das Problem von der em« piriſchen Seite anfafte, wo die menſchliche Thätigfeit als das Naͤchſte und Grfte erſcheint; ober von ber ethiſch practifhen, wo das Gittengefeb , ber göttlihe Wille ben Menfchen zu feiner Vollziehung auffordert; bie menſchliche Thätigkeit it aud) hier das Anfangende.

Diefe Auffaffung ift ganz wahr, aber fte ift bie un» tergeorbnete; das Wahre gibt erft bie höhere, zu ber fif Auguftin im Kampfe gegen bie Pelagianer erhoben hat, indem er bie göttlihe Gnade als das Anfangende, als den abfoluten, ben menfchlihen Willen durchweg präver nirenden (actor im Heilswerke erkannte. Beide fteben in einem blos formellen Gegenfage zu einander. Denn aud) bie fegtere fann, fo lange fle, wie es von Auguſtin immer gefhah, an ber menfchlihen Selbft- unb Freithä- tigkeit als reellem, wefentlihem Mitfactor des Heilswerkes feſthaͤlt, nicht tein, nidt adäquat vollzogen werden; fie muß, wie bie erftere, zur Theilung einer an fid uns theilbaren Sache ihre Zuflucht nehmen. Aber fie läßt und darin beftebt ihr Vorzug unb ihr Fortſchritt im Ver⸗ gleid) mit jener das Heilswerk nicht in zwei Stüde zerfallen, wovon das eine bie Wirfung ber menſchlichen, das andere bie der göttlichen Thätigfeit ober ber Gnade ift, fondern das ganze Heilswerk wird von beiden, nur nicht in derfelben Weife gewirkt, von ber Gnade Gottes nämlich als abfoluter Urſache und von bem menſchlichen

der vorauguſtiniſchen Väter. 451

Willen al& bedingter, von jener in ihrer Wirkfamfeit ab» haͤngigen Urſache. In ber letztern Beftimmung offenbart fih zwar, wenn wir fle mit der vorauguftiniffen Dar- ftellung vergleichen, aud) ein fachlicher Gegenfag, fofern nad) biefet ber das Heilswerf anfangenbe menſchliche Wille infoweit fefbfüfánbig auftritt, wogegen er nad) bet auguftinifhen Auffaffung durchweg, alfo aud) ſchon vornes herein durch bie göttliche Gnabe bedingt, unb nur infoweit ein guter, zum Heildwerfe wirkfam beitragender ift, als et von ber göttlichen Gnade ermedt if. Aber biefer Ges genfag ift nur partiell, und ftreng genommen gar feiner, Gr if nur partiell, fofern bie vorauguftinijjen Väter bem menfhlihen Willen nur für ben Anfang des Heilswerkes (den Glauben) eine felbftftánbige Thätigfeit beimeffen, in der Fortführung und Vollendung beffelben aber ihn von ber Einwirfung der göttlichen Gnade abhängen laffen; er if mur fdeinbar, fofern fie das Anfangende, bie Anfähe des menfhlihen Willens als unvollfommene Verſuche, als Etwas, was in diefer Gigenfdjaft nod) fein vollftäns diges, abgefchloffenes Moment des Heilswerkes ift, bate fellen, mit einem Wort, den Glauben, fowie er vom menfchlihen Willen ausgeht, nicht als vechtfertigend be» traten. Es ift daher Feine „Künftelei” 1), wenn ber hl. Auguftin biefe Auffaffung, bie früher aud) bie feinige war, als wahr, aber nod) nicht bis zum Wahren vorge ſchritten bezeichnet 9, und ganz in der Wahrheit begrüns

1) Go nennt Münfcher bie SBerfudje Auguftind, ben einheitlichen Zuſammenhang feiner Lehre mit ber ber frühern Bäter, ſowie bie dufere lich formellen Differenzen zwifchen beiden zu erklären. Handb. ber Dogs mengeſch. IV. ©. 146 Anm. und öfters.

2) Retract. I, 23. 3: Quod dixi vor Nusbruc des pelagian.

"4 x

450 Der vorgebliche Pelaglantan"* lateiniſchen Väter faffen Gnade unb ^ gam anberé bene : ; ie Außerlich genommen der menſchlichen Rettung fid) tb ei^ opui ; ;, igianer geltend gemachten beiverfeitigen Antheile unb Beit ^ ; foi κα Denn bie ältern Bäter Heilswerk in feiner Ganzh/ πον πα . * erhalten fuͤr die hoͤhere, die ber That fonnte man auc ^. ΒΑ ‚ie ihrige gegen biejelbe abgeſperrt anders verfahren, wer belit geftempelt, " i pA . Pen Seite —7 Praͤdeſtinationslehre betrifft, ſo das i dte uri "pt ganz ebenfo. Die vorauguftinifcen practifhen, τοῦ κα din früher {εἰδῇ lehrlen einfimnig FAM MA f bat Vorherwiſſen des menſchlichen Bri Thatig εἰ E Prädefiination; gegen bie Pelagianer, Die , jc Semipelagianer aber ſtellt Auguftin fie als terger —* von dem Vorherwiſſen des menſchlichen Au ou ‚mas unabhängige hin; jebod mur bie Präbefina- ir B^ engern Sinne, bie zum Guten, jur Gnade und D nigen Leben, denn bie Reprobation ift nad) ifa ^ ber göttlichen Geredjtigfeit, bie ben Menſchen »" feinen Werfen richtet, fein abfoluter Act wie jene, fine praedestinatio ad peccatum et poenam peccati, fon pm lediglich das [egtere, und beruht auf bem Vorher wiffen ber men(dfiden (frei und unabhängig vollbrad ten) Sünde. Sofern nun die Prädeftination nicht ifolitt, lediglich für fid) betrachtet wird, fofern mit ber Erwäh lung Einiger die Nichterwählung der Andern immer

Streits): nostrum est enim credere et velle, illius (Dei) autem

. dare credentibus et volentibus facultatem bene operandi per Spiri- tum $., per quem charitas diffunditur in cordibus nostris verum est quidem, sed eadem regula el utrumque ipsius est quia ipe praeparat voluntatem, δὲ utrumque mostrum, quia non fi wii volentibus nobis.

ber vorauguſtiniſchen Väter. 453

ift, fo trifft Die auguftinifche Lehre über ihr hinaus, indem zwar nicht die Reprobas

» Act aber bod die Nichtpraͤdeſti⸗

„bfolute göttliche Decret hineingezogen

«t, wenn bie Berwerfung Giniger bie

‚ng ber Andern vorauéfet, fo geht aud) bie

. der bedingten, auf das Vorherwiſſen des menſch⸗ . Verhaltens begründeten Vorherbeftimmung, bie ihr „nmittelbares Fundament in bem Begriffe ber Reproba- tion hat, über ihr Ziel hinaus, indem fie nicht nur bie Nichtverwerfung gleichfalls unter das bedingte göttliche Des tet fallen [áft, dem es nicht angehört, fondern fogar ben poſitiven Act der Erwählung in feinen Kreis zieht, uns geachtet er ein abfoluter ifl. Das leptere abgerechnet, bildet biefe Auffaffung das reine Geitenfüd zu ber augus finifhen, und ift fo nothwendig und wahr a(& bicfe felber, wiewohl ihr untergeordnet. Sie ift unvermeiblih, wenn die Selbſt⸗ und Freithätigkeit des Menfchen aud) gegen» über ber Praͤdeſtination ganz allgemein genommen in ihrem Rechte und wefentlihen Werthe beftcht was «ud von Auguftin nicht geläugnet wird; unb gerade don bem Intereffe der Freiheit, überhaupt der Sittlichfeit aus if fie von ben vorauguftinifhen Vätern aufgeftellt. &f dann verliert fie ihre Berechtigung, ihren Anſpruch auf Wahrheit, wenn fie als allein gültig aufs unb gegen die andere feftgefellt werden will. Das thaten bie Semis pelagianer; bie vorauguftiniihen Väter, aud) Auguftin, Va er nod) an ihr fefthielt, waren fid) eines ſolchen exclus fiven Sinnes gar nicht bewußt, unb nod) weniger war er von ihnen beabſichtigt. Daher fonnte Auguftin in Wahrheit, „ohne Künftelei" fagen: wenn er früher ger

452 Der vorgebliche Pelagianismus

bet, wenn er fie günftiger, überhaupt ganz anders beur⸗ theift, als bie femipelagianifdje die äußerlich genommen von feiner eigenen, gegen die Pelagianer geltend gemachten nidt einmal fo weit abflebt. Denn bie ältern Väter hatten ihre Auffaffung offen erhalten für die höhere, die Semipelagianer dagegen die ihrige gegen biefelbe abgefpertt und fie dadurch zur Unwahrheit geftempelt.

Was aber fpeciell bie Praͤdeſtinationslehre betrifft, fo verhält e8 fid hier ganz ebenfo. Die vorauguſtiniſchen fBáter und Auguftin früher felbft lehrten einftimmig eine bedingte, auf das Vorherwiffen des menſchlichen Vers haltens begründete Prädeftination; gegen bie Pelagianer, befonder8 die Cemipelagianer aber ftellt Auguftin fie als eine unbedingte, von dem Vorherwiſſen des menſchlichen Verhaltens unabhängige hin; jedod nur bie Prädefina tion im engern Sinne, bie zum Guten, jur Gnade und jum ewigen Leben, denn bie Reprobation ift nach ihm ein Act ber göttlichen Gerechtigkeit, bie ben Menſchen nad feinen Werfen richtet, Fein abfoluter Act wie jene, feine praedestinatio ad peccatum et poenam peccati, (on dern [ebiglid) das [egtere, unb beruht auf bem Vorher wiffen ber menfdfiden (frei und unabhängig vollbradj ten) Sünde. Sofern nun bie Prädeftination nicht ifolitt, lediglich für fid) betrachtet wird, fofern mit ber Erwähr lung Einiger die Nichterwählung der Andern immer

Streit): nostrum est enim credere et velle, illius (Dei) autem dere credentibus et volentibus facultatem bene operandi per Spiri- tum $., per quem charitas diffunditur in cordibus nostris verum est quidem, sed eadem regula el utrumque ipsius est quia ipie praeparat voluntatem, ef wírumque mostrum, quia non fit nisi volentibus nobis.

ber. vorauguftinifchen Väter. 453

zugleich gefegt ift, fo trifft bie auguſtiniſche Lehre über ihr eigentliches Ziel hinaus, indem zwar nicht Die Reprobas tion ber pofltive Act aber bod) bie Nichtpraͤdeſti⸗ nation mit in bae abfolute göttliche Decret hineingezogen wird. Umgefehrt, wenn die Berwerfung Einiger bie Nichtverwerfung der Andern vorausfegt, fo geht aud) bie Lehre von der bedingten, auf das Vorherwiſſen des πιεπί lien Verhaltens begründeten 98orferbeftimmung, bie ihr unmittelbares Fundament in bem Begriffe der Reprobas tion hat, über ihr Ziel hinaus, indem fie nicht nur bie Nichtverwerfung gleichfalls unter das bedingte göttliche Des eret fallen [áft, dem es nicht angehört, fondern fogar ben pofitiven Act der Erwählung in feinen Kreis zieht, uns geachtet er ein abfoluter ift. Das letztere abgerechnet, bildet Diefe Auffaffung das reine Geitenftüd zu ber augus ſtiniſchen, unb ift fo nothwendig und wahr al biefe felber, wiewohl ihr untergeorbnet. Sie ift unvermeidlih, wenn die Selbft- und Freithätigfeit des Menfchen aud) gegens . über ber Prädeftination ganz allgemein genommen in ihrem Rechte und wefentlihen Werthe beftcht was eud von Auguftin nicht geläugnet wird; und gerade von bem Intereffe der Freiheit, überhaupt der Sittlichkeit aus if fie von ben vorauguftinifhen Vätern aufgeftellt. Grf bann verliert fie ihre Berechtigung, ihren Anſpruch auf Wahrheit, wenn fie als allein gültig auf- und gegen die andere feftgeftellt werden will. Das thaten bie Semi» Pelagianer; bie vorauguftinifchen Väter, aud) 9fuguftin, ba ec nod) an ihr fefthielt, waren fid) eines folden exclus fiven Sinnes gar nicht bewußt, unb nod) weniger war er von ihnen beabfichtigt. Daher fonnte Auguftin in Wahrheit, „ohne Künftelei” fagen: wenn er früher ger

454 Der vorgebliche Pelagianismus

lehrt habe, daß gleihwie bie Erwählten nicht wegen ihrer guten Werfe die ja von Gott fommen fondern wegen des Glaubens erwaͤhlt feien, ebenfo aud) bie Berwors fenen nicht erwählt feien wegen ihres Unglaubens, vielmehr zur Strafe für ihre ſchlechten Werke verworfen fo [εἰ bief ganz wahr, aber daß (nicht blos bie guten Werke, fondern) aud) das SBerbienft des Glaubens felhft ein Ger ſchenk Gottes (die Erwählung folglich ein abfoluter gött licher Act) fei, daran habe er nicht gedacht und das habe er darum aud nicht gelehrt 1).

Die griehifhen Väter, um von biefen mm nod) ber fonberó zu reden, verfahren genau wie bie lateiniſchen: fie theilen das Heilswerk zwiſchen bem Menfchen und Gott, bem fie das Meifte und Borzüglichfte daran zufchreiben. Go namentfid) aud; Chryfoftomus, der neben Origenes αἴ Begünftiger ber pelagianifchen Anfhauung von Reuem vorzugsweife genannt wird. Nicht ‘in biefer Verhältnif beftimmung von Gnabe umb Freiheit, fondern darin, daf die Auffaffung der Gnade als der abfoluten Bebingung und lirfade alles guten Willens nur in ganz unbeftimmter Weife aus der Art, wie fie bie Nothwendigfeit des goͤtt⸗ lichen Beiftandes vertfeibigen, hervorzugehen ſcheint, währ rend fie andrerfeits die Freiheit und Kraft des menſchlichen

1) Retract. I, 23. 3: Quod paulo post (nämlich nad; jenm Aueſpruch, der Glaube fei unfer Wert in ber Schrift Exposito quarundam proposit. ex ep. ad. Rom. n. 61) dixi: sicut enim in is, quos eligit Deus, non opera sed fides inchoat meritum, ut per munus Dei bene operentur, sic in iis, quos damnat infidelitas, et impietas inchoat poenae meritum, ut per ipsam poenam eliam male operentur - verissime dixi; sed fidei meritum etiam ipsum esse donum. Dei, nec putavi quaerendum esse, nec dizi.

der vorauguftintfchen Väter. 455

Willens fet ftarf betonen, liegt das Gigentfümlide ter Lehrweiſe der griedjifden Väter im Vergleich mit ben Sateinetn.

Wie biefe madjen aud) fte bie empirifhe unb ethiſch practifche Betrachtung des Heilswerkes geltend: ob aus⸗ ſchließlich und in bewußter Gegenfäglichfeit gegen bie fpes sulative, religiös theologifche Auffaffung, ober aber nur εἰπία fo, daß ihnen diefe Weife das Verhaͤltniß von Gnade und Freiheit zu firiren gar nicht in den Sinn fam, oder aus rein theoretifchen Gründen, beren -Unhaltbarfeit aber bei fortgefchrittener Ginfdt in bie Augen fallen mußte das ift bie entſcheidende Frage.

Scheint ja felbft, was das Ießtere betrifft, Hier on y⸗ mus nod) ber Meinung gewefen zu fein (f. oben ©. 448), eine burdjgángige Bedingtheit ber menfdliden Willens⸗ thätigfeit im Guten [εἰ unvereinbar mit ber Freiheit, und auch deßhalb biefe Bedingtheit nur theilweife, nämlich für die Fortführung und Vollendung (nad Umfang und Intenfität) zugelaffen, für den Anfang (in gleichem Dop⸗ pelfinn) aber das felbfifländige, von der Gnade unabs haͤngige Eingreifen des Menfchen ftatuirt zu haben. Gir lidjerfid) waren bie früheren, befonders griechiſchen Väter in ihrer Beſorgniß für das menſchliche αὐτεξούσιον in diefem Falle, und dürfen wir uns darüber gar nicht wundern, wenn wir das flarfe Auftreten ber dualiftifchen, freiheitsläugnerifchen Gnofis in Anſchlag bringen. Sind bod) in ben legten Jahrhunderten viele und nod) heutzur tage mande Theologen aus feinem andern Grunde ber firengen auguftinifhen Gnabenlebre weniger zugethan, als weil fie in der burdjgángigen und unbebingten Abhängig« fit des menſchlichen Willens von ber göttlichen] Gnade

456 Der vorgebliche VPelagianismus

eine der Freiheit Gefahr drohende Lehre erblicken. Von den Semipelagianern gar nicht zu reden, deren wiſſen⸗ ſchaftliches Fundament einzig in dieſem Bedenken, ober vielmehr in der Behauptung ber Unverträglichkeit jener Auffaffung mit der Freiheit des Willens beſteht. Sofern jebed) allein aus foldjem Grunde eine Abneigung gegen die augufinifhe Auffaffung beftebt, ober, was bei ben Altern Väter der Fall war, biejer Grund zu ber andern Auffaflung Hintrieb und zu ihrer Feſthaltung ermunterte, fann von einer dogmatiſchen Srrung nicht die Rebe fein, fondern nur von einer wifienfchaftlichen.

Die Beantwortung jener Borfrage fann febr ſchwierig ja unlösbar fcheinen, unb fie wäre εὖ aud) in ben meiften Fällen, wenn lediglich bie Auslegung, der Wortlaut und Zufammenhang der betreffenden Acußerungen die Entſchei⸗ dung liefern ſollte. Es gibt aber ποῷ einen andern Weg, der leichter und fiherer zum Ziele jührt. In unmittd barem Zujammenhang mit ber Lchre vom Heilswerk und feinen Faltoren (Freiheit und Gnade), ftebt bie Lehre von rem Eüntenfalle und ron ter Erlöfung; bieje Lehren beftimmen fid) gegenfeitig, und aus ihrem Zufammenpalt ergibt fi) ver Stantpunft, auf bem man flieht, mit voll Sicherheit. Die Fragen, wie vie griechiſchen Bäter dad Heilswerk angejehen, wie fie insbefondere über tie goͤn⸗ lide Gnade getadjt, unb ob fie hierin bei aller for mellen Differenz materiell auf Seite Auguſtins obe auf ter des Pelagius, oder meldem von beiten fie näher Reben fie alle finden ihre fidere Entſcheidung, wenn wir barauj achten, wie dieſe Bäter den ſittlichen Zuſtand des SReniden außer ter Erlöjung und unabhängig von bet Gnade, ben Zufland aljo des natürliden Men

der vorauguſtiniſchen Väter. 457

ſchen, ber Nachkommen Adams anfehen: ob als uns verfehrt und ungeſchwaͤcht durch beffen und bie eigene Sünde, oder aber als herabgefommen, verborben unb im Vergleich mit bem der Sünde vorhergegangenen, urfprüng» lihen Zuftande wefentlid) verfchlimmert. Je nachdem fie ba eine oder andere annehmen), beftimmte fid) ihr reis heitsbegriff wefentlid) anders, und nad) biefem wiederum der Onadenbegriff, bie Art und das Maaß ber Nothwen- bigfeit des göttlichen Beiftandes zur Wieverherftellung bes Menfhen. Läugnet man bie Erbfünde aud) nur in bem Sinne, daß der urfprünglide Gnabenftanb, der von Adam auf alle Menfchen übertragen werben follte, durch beffen Sünde für alle verloren ging und biefem nun mangelt (mas er nit follte), fo fteht man fdon auf bem rein natürlichen Boden. Indem man aber den ur[prüngliden Zuftand als einen übernatürlichen oder foldjen, in welchem die fittliche Freiheit des Menfchen über ihr natürliches Gleichgewicht des Guten und Böfen burd Gottes Gnadenmittheilung erhoben war, unb bie Erbfünde felbft im Sinne des bloßen Mangels diefer übernatürlichen Ünabe läugnet, fo wird man nur um fo mehr bem fitt» lichen Zuftand des jepigen Menfchen, feine Hinneigung zur Sünde, fein Hingegebenfein an das Böfe und den Böfen als etwas rein natürliches von bem Begriffe des Sünds haften ausfchließen, ja diefen Zuftand geradezu in Abrede ſtellen 1) und behaupten, daß aud) jet nod) der menfchliche Wille von Haus aus in jenem natürlihen Gleichgewicht fi befinde und mur erft bur) langes Sündigen darin

1) Dber behaupten, daß er das natürliche Produft Aller, ber von Anfang an fündigenden Menfchheit (Menfchen) fei; in weichem Sinne Reuere bie Grbfünbe als Geſammtthat des Geſchiechtes faffen,

458 Der vorgebliche Pelagianismus

geftórt werde ). Auf biefem abftraften (unb in abstrado, aber aud nur fo wahren) Standpunkte ift das eigen thümlic Chriſtliche, bie übernatürliche Wahrheit völlig befeitigt; es ift dieß der Standpunkt ber f. g. reinen Bev nunft, ber pure Rationalismus. Das Sitilihe erſcheint hier als etwas tein und blos Perfönliches; jeder innere Einfluß auf den Menfchen, der göttliche wie ber gefammt- menſchliche ober abamitifche ift ſchlechthin ausgeſchloſſen. Was am Menfhen gut oder 558 ift, ift in ganz gleicher SfBeije das Werk des eigenen Thuns jedes Einzelnen. Wie urfprünglidj, fo empfängt nod) jet der Menſch aud der Hand des Schöpfers den freien Willen, und fohald er ihn bat, ift er fein. Er beweist ihn als fein eigen, fofern « alles was er will, febiglid) fraft feiner Selbſtentſcheidung will, unb als frei, fofern er beides (Gutes und Böfed) vermag und gleich gut vermag. ine Neigung ber Wage mad) einer Seite burd) einen andern Einfluß aufer m teinen Selbftbeffimmung wäre eine Verlegung, eine Ber nichtung feiner Freiheit. Diefer pure Nationalismus iR der Belagianismus. (δ6 fpringt in die Augen, buf auf diefem Gtanbpunft, wo von Grbfünbe unb einer um bedingten Nothwendigkeit des göttlichen Beiftandes zum Guten nicht nur feine Rede, wo beide bireft geläugnet find, bie hriftlihe, bem fuprasnaturaliftifhen Boden ent wachſene Erlöfungslehre Feine Stelle finden fanm. Die fünbentilgenbe (fübnenbe) unb verföhnende Kraft des Werkes

1) Sene moderne Auffaffung Täugnet die phyſiſchen umb fütlijen Solgen ber erfln Sünde nicht, aber fie nimmt fie blos ale folde, oder auch ald auf ung laftende Strafe, unb läugnet mur, bof fie dem Charakter der Sünde anhaften, So ſcheinbar Clemens Am Chryſoſtomus.

der vorauguſtiniſchen Väter. 459

Chriſti und ihre reale Bedeutung für bie ganze Menfchheit fült fier ganz weg; wenn wir Chrifto etwas zu verbanfen haben und das fann unter Ehriften bod) nicht geläugnet werben, auch wenn man nur ben Namen tragen will, und iR aud) von ben Pelagianern nicht geläugnet worden, und wird e$ von unfern Rationaliften nit fo Fann bie Wohlthat nur in feiner Lehre und feinem Beifpiele bes Reben, darin alfo, daß Er uns burd) Wort unb That ben Weg des Heiles gezeigt und zur Nachfolge eingeladen und aufgemuntert hat.

In diefem innern Zufammenhange ftehen bie Lehren, um bie εὖ fi hier handelt; fie beftimmen fid) nicht ein» iin, fondern in ihrer Gefammtheit ganz verfehieden, je nachdem bie blos rationale oder bie fupernaturale Auffafs fung ber fütlidjen Ordnung gewählt wird. Der Pelagia- nismus, welcher vom Begriffe ber Freiheit aus jenen Stand» punkt betreten, entlebigt fid) all ber Lehren, welche ber driffide Glaube als das Gigentümlije ber Offenda- tungswahrheit erfaßt und in Erweiterung unb tieferer Rerinnerlihung der bloßen Vernunftwahrheit, bie er als abftraftes, allgemeines Moment zu feiner Vorausſetzung nimmt, feftbált; er [áugnet den urfprüngliden Gnabenftanb, den Suͤndenfall, bie Erloͤſung in ihrer eigentlichen Bedeu⸗ tung und die fehlechthinige Nothwendigkeit der innern Gnadenwirkung Gottes zur Wiederherftellung, zur Rechte fertigung und Heiligung des Menfchen.

Wie verhalten fid) nun hiezu die griechiſchen Väter? Rehmen fte den Standpunkt des Pelagius ein, ober fiehen fie vielmehr auf bem des hriftlichen Supernaturalismus im Ganzen und Einzelnen? Wer fie fennt und fid) nit an den einzelnen Sleuferungen und ben bloßen Worte

460 Der vorgebliche SBelaglanióurue.

laut hält, wer vielmehr das Ganze umb ben Geift ihrer Lehre ins Auge fat, muß jene Stage ebenfo entſchieden verneinen als biefe bejahen. Gerade Das, was bem yes lagianifhen Begriff der Freiheit fein eigenthümliches Ger präge, feine Schärfe und feinen au&fdliefenben, haͤretiſchen Charakter aufbrüdt, findet fid) bei ben griechiſchen Vätern nit, wenn fie aud) biefelbe Formel gebrauchen. Der ethiſch⸗praktiſche Standpunkt, von bem aus fie Freiheit unb Gnade nad) ihrem Bezug auf das Heilswerf beftimmen, ruht auf ganz andern Vorausfegungen, unb'ift von ganz andern Folgen begleitet, ald wir fie bei Pelagius und feinen Anhängern finden. Auch nit einmal femipelagiar niſch fann man fie nennen; denn was als (oldje& im ber Geſchichte erfdeint, hat feine Geftalt und Wefenheit ledig⸗ Tid) im Gegenfage gegen ben Auguftinismus, bem ftd) bie Semipelagianer bewußt und abfihtlih verfdloffen, woo» gegen die Lehre der griechifhen Väter nad) diefer Seite offen ift, unb als bie unmittelbare unb fo nod) untergeorb nete. Entwidlungsftufe des Verhaͤltniſſes von reifeit und Gnade er(deint.

Hieronymus fat ben Drigenes ber Urheber ſchaft des Pelagianismus beſchuldigt ^); doctrina tua (fo redet er an ber erſtern Stelle den Pelagianer an, er nennt feinen Namen —) Origenis ramusculus est. Sn Wahrheit aber fommt ber Pelagianismus nicht von Orb genes, fondern vom Drigenismus. Dem Glauben und ber Denkweife dieſes Lehrers fieht er ferne; aber feine Schüler, welche das großartige Syſtem des Mannes aut einander geriffen und nad verſchiedenen Richtungen ein,

1) Ep. 43 ad Ctesiphont. Tom. IV. p. 477 ed, Martian, Dislog- adv. Pelag. p. 484. 496.

der vorauguftinif gen Väter. 401

feitig verfolgten, kann man von biefem Irrthum fo wenig, als von vielen andern freifprechen, wozu der Meifter nur in einem ganz allgemeinen, nicht näher qualificirbaren Sinne burd) die Freiheit feiner Spekulation und das Aus— ſchweifende feiner Hypothefen Anlaß gegeben. Drigenes anerfennt mit ber Kirchenlehre den tief gehenden Unter ſchied zwiſchen bem urfprüngliden und nadhmaligen Zus fand des Menſchen in geiftiger und phyſtſcher Beziehung; er läugnet ben Günbenfall der ganzen Menſchheit nicht 5). Wenn aber die Kirhenlehre ben Fall von der Sünde des crften Menfchen herleitet, fo genügt ihm diefer zeitliche und einzelne Aft Eines Menſchen zur Grffürung der Gor» Tuption des ganzen Geſchlechtes nicht; er geht darüber hinaus und nimmt einen vorzeitlihen Sall ber menſch⸗ lichen Seele an; dasjenige aber, was bie hl. Schrift 1. Mof. 3 in Anfehung Adams ald eines Einzelnen und des Menſchen fhlehthin erzählt, verſteht er εἶπε feitig nur von biefem, indem ihm Adam nur als Typus der ganzen Menfchheit gilt ). So verwerflih biefe τα Härung des Sündenfalles ift, wie fie denn aud) fpäter befanntlic) verworfen wurde, fo übt fie doch feinen alterie tenden Einfluß auf das 9[nerfenntnif des fittlihen 9Ber» derbniffes ber adamitifhen Menſchheit, das ifr vielmehr jut Borausfegung und Grundlage dient. Es fann daher aud) nicht angenommen werben, daß nad) Drigenes bie fittliche Freiheit unberührt geblieben {εἰ von bem Suͤnden⸗ fall, unb unbeſchädigt, wie fle urfprünglid war, bem zeit⸗

1) Coment. in Joann. XXXII, 11. XIII, 34. homil. in Levit, IX, 11. VIII, 3. 4. XITI, 4. hom. in Luc. XIV. contr. Cels. VII, 50, III, 92. in Matth. XV, 23.

2) Contr. Cels. I, 32.

462 Der vorgebliche Pelagianismus

lichen Menſchen einwohne. Nach Drigenes ift außer Ehris Rus Keiner vom Böfen unberührt geblieben, nicht einmal bie hl. Patriarchen, die Propheten und Apoftel ἢ). Die Neigung zur Sünde ift Allen von Haus aus eigen 5; in der erften Kindheit ruht fie ſchlummernd in ber Seel, mit bem ermadjenben Bewußtfein lebt fie auf unb ent- faltet nun in dem einen mehr, in bem anbern weniger ihre Herrſchaft 9; bod) geht ihre Gewalt nicht in eigents Tide Natur über, fonbern bie freie Gelbftbeftimmung bleibt, und bie Befferungsfähigfeit, wenn aud) tief herabgebrüdt, ift burd fie nicht vernichtet %. Go ift ber Menfch der Erlöfung unb Wieverherftellung benöthigt, wozu er in fib nur das Bebürfniß, nicht aber aud) bie Yähigfeit unb bie Kraft findet. Diefe Grlófung, welde ber Gottmenſch Jeſus Ehriftus für Alle vollzog unb allein vollziehen fonnte, beftebt nad) ihm weſentlich in der Befreiung des Menſchen aus ben Banden ber Sünde (ber Gewalt des Teufel) und in der Verföhnung, woburd fowohl die Schuld ber Sünde getilgt, als aud) das Wohlgefallen Gottes, die Gnabe (ber SBieberferftellung, der Rechtfertigung unb Heis ligung) erworben ift 5).

Auf diefen Sprámiffen ruht bie Lehre von ber Freiheit und Gnade bei Origenes. Wäre diefe Lehre wirklich bie

1) Contr. Cels. III, 66; mehrere Stellen bei Thomafius, Orr genes ©. 197 f. Bol. ferner überhaupt Huet. Origenian. lib. II. qu 7. 2) Comment, in Matth. XV, 23. Die Kindertaufe, welde na Origenes auf apoſtoliſcher Ueberlieferung beruft, Hat darin iren Grund, bof die Menfchen mit Unreinigfeit und Schuld belaftet in biefe Welt treten. In Rom. p. 565. Hom. in Luc. XV. in Levit. VIII, 3. 4. Thoma .fiue Θ. 261. 3) Contr. Cels. III, 62. 66. 4) Contr. Cels. III, 66—69,. Bgl. t$ omafius ©. 198. 5) Die Belege bei Thomafius €. 222.

ber vorauguflinifchen Väter. 463

pelagianiſche, fo fónnte fte dieſes offenbar nur fein duch einen förmfichen Bruch mit jenen SBrámiffen, nur dadurch, daß Drigenes mit einem Mal in bem Lehrftüd von ber Gnade feinen bisherigen fupranaturalen Gtanbpunft ver» laffen, unb ben abftraft philoſophiſchen oder rationaliftifchen betreten hätte,

Dieß ift nicht anzunehmen; um fo weniger, ald Dri» gene bie innere Gnade Gottes und ihre Stotfwenbigteit ausbrüdlich behauptet. Alle Anfhuldigung yelagianifder oder pelagianifirender Lehre kann fid) alfo einzig auf bie nahdrüdfihe Hervorhebung ber Willengfreiheit und auf bie prinjipale Stellung, bie er ihr im Heilswerke anweist, berufen. Hier findet im Ausdruck eine volle Mebereins fimmung nicht nur mit ber femipelagianiffen und ber pelagianiſchen Lehre nad) Suliané Auffaffung, fondern aud) mit ber ftreng pelagiani[djen Lehre ganz unbeftreitbar ftatt. Die letztere ift auégefproden 3. B. im Gommentar zum Römerbrief (III. 6. p. 509): Si requiratur, quid Deus ho- mini contulerit, et quid homo ex his, quae a Deo accepit, operatus sit invenietur quidem Deum dedisse homini omnes affectus omnesque motus, quibus ad virtutem niti possit et progredi, insuper etiam vim retionis inseruisse, qua agnosceret, quid deberet agere, quid cavere. Haec ergo invenitur Deus communiter omnibus hominibus praestitisse. Sed si his acceptis homo neglexerit iter virtutis. incedere, cui a Deo nihil defuit, invenitur ipge defuisse iis, quae a Deo data sunt sibi, Noch fchärfer teitt fle heraus in ber Unterſcheidung, daß von Gott das Können des Guten fomme, das er und gegeben in bem freien Willen, das wirkliche Wollen und Thun aber von uns ausgehen müffe, indem. wir biefen Willen

Stel, Quartalſqhrift. 1859. III. Heft. 31

464 Der vorgebliche Pelaglantsmus

gebrauchen '). Drigenes geht aber gleid) einen Schritt weiter und über bie rein rationalifiifhe Betrachtung hin aus, wenn er Iehrt, ber menſchliche οτία 5 für fid ge nüge nicht; nur burd) göttlichen 3Beiftanb werbe bie Boll enbung des Guten, wie alles Vollfommene erreicht, fo daß wir uns felbft mir ba8 Geringere, Gott aber das Höhere unb Meifte zu banfen haben ?). Die Gnade Gottes, ber wir Diegu bedürfen, werde uns nad) Maßgabe des Glaubens, überhaupt nad) Maßgabe unferer Anftrengung und unferes Wohlverhaltens, alfo nad unfrer größern ober geringern Würbigfeit und Empfänglichfeit zu Theil 3).

Hiernähft kommt nun. alles darauf an, wie Origenes ben Glauben, in weldem wir Gorifto uns anfdjliefen, an ihm Theil gewinnen unb ber von ihm verdienten Gnade Gottes empfänglih und würdig werden, auffaßt, ob als bloßes Wert des Menfhen, ober ald Werf Gottes zugleich. Schon oben wurde darauf Bingemiefen, bag nad empiti- ſcher Betrahtung, wo der Ausgangspunft des Heilswerfes in die menſchliche Willensthätigfeit gefegt wird, ber Glaube oder bod) der Wille dazu (eredulitatis affectus) al8 das ſubjektiv menſchliche Werk erſcheint, an welches bie goͤtt⸗ Tide Gnadenerweifungen anknüpfen, um baffelbe zu voll. enden; wurde bemerft, daß biefe befonders audj von Auguftin vor der Zeit feines Kampfes mit den Gegnern der Gnabe angenommene Betrachtung keineswegs unwahr {εἰν daß fle dieß vielmehr erft werde, wenn fle fid) gegen die höhere, das abfolute Prinzip des Heilswerkes in bet

1) De princip. II, 1, 3 seqq.

2) De princip. II, 1. 18. 22; 2. 2. in Mauh. X, 19 seqq. in Jerem, VIII, 1.

8) In Matth, XII, 40. Tract, 88, 69, in Rom, IX, 8,

der vorauguftintfchen Väter. 465

Gnade Gottes findende Auffaffung abſchließe unb fperre, wie e8 von ben Semipelagianern gefhah und wir et» innern daran, um ben Origenes (und die griechifhen Väter überhaupt) bei dem enticheidenden Punkte, an bem wir angelangt find, gerecht zu beurtheilen.

Die Anklage, mit der Hieronymus gegen ihn auftritt, Tónnten voir nicht begründet finden, aud) wenn Drigenes ben Glauben febiglid) als Werk des Menſchen betrachtete; aud) Auguftin war, wie gefagt, in biefem Falle, und bie Erflärung, bie er desfalls in feinen Retraftationen vors bringt, ift ganz genügend. Sie fommt aud) dem Drigenes zu Statten. Sa Hieronymus felbft weiß nod) in bem Mo— ment, ba er fid) des wahren Glaubens hinfichtlich ber Gnade Eottes gegen die Pelagianer annimmt, das Zur Randefommen des Heilswerks fid) nur auf jene empiriſche, ethifhepraftifche Weife zu benfen; mit bem von Auguftin fräter aufgeftellten Maaße gemeffen, if aud) feine Lehre ungenügend. Beurtheilen wir bie griechiſchen Väter, Dri» genes mit eingefähloffen, nicht frenger! Doch vermódjte biefer in dem Punfte, um den es fid) bier handelt, felbft eine firengere Probe wohl zu beftehen. Drigenes fennt den Unterſchied zwiſchen ber fides, quae est in nobis und ber fides, quae per gratiam datur, und ftellt beide in das Verhältniß zu einander, welches im Heilswerke überhaupt der menſchliche Antheil zum göttlichen einnimmt. Der Glaube, den Gott wirft, [egt zwar den menfehlichen vor« aus, aber erft die Gnade macht dieſen vollfommen, zu einem wahrhaften, dieſes Namens würdigen Glauben. Andrerfeits ift der menfchliche Anfang doch Fein abfofuter, denn er ift überholt von dem mas Gott und was Chriſtus gethan, nicht blos in bem allgemeinen Sinne, daß burd)

815

466 Der vorgebliche Pelagtanismus

fie erft das Objeft des wahren Glaubens gefdjaffen ift, unb bie göttliche Offenbarung und die Erſcheinung Chrifti unferm Glaubensvermögen fid) präfentiren, es erfüllen, wie das Sonnenlicht unfer Auge, fondern in einem nod) höheren und innerliern Sinne. Gott, ber Logos, der Gottmenſch Ehriftus nehmen bie Dede von unferm Geifted- auge, auf daß wir die Wahrheit fehen, fie rühren unfer Herz und reinigen e, auf daß wir ihr vollen, ungetheilten, unbebingten Beifall geben, b. b. glauben Y. Der Prozeß ift ein lebendiger, auf Wechfelwirfung rufenber. Mag man ihn firiren auf einen zeitlichen Anfang, fo geht aller- dings bie Bewegung vom Menfhen aus, unb mas Gott dagegen gibt, wird vom Menſchen erfaßt und regt feine Thätigfeit auf's neue auf, unb hinwiederum befruchtet und veredelt Gott dies Streben u. f. w.; anerfannt aber if dabei immer bie göttliche Gnabe als bie eigentliche Quelle des wahrhaft Guten, wie immer Vollfommenen, als dad Anfih des in feiner Grfdeinung menſchlichen Werkes. Warum follte nicht aud) der Achte, fruchtbare Keim des beginnenden Werfes von Gottes Gnade gepflanzt fein, wenn diefe doch ausgefprocdhenermaßen fein Wachsthum und feine Reife bedingt? Bezeichnet Drigenes den Gau ben fo nadbrüdlid) und feierlich al Ginabengabe, fo wäre εὖ bod) feltfam, wenn er ihn erft in feinem Wachsthum, und nicht ſchon in feinem Grund und Anfang aus der erleuchtens ben und erwärmenden göttlichen Duelle entfpringen ließe.

Auf biefer Seite alfo wird man ſchwerlich etwas Pelagianifhes an ihm entbeden Fönnen. Aber gerabe fie ift es, bie ben Höhepunkt feiner chriftlihen Anſchauung

1) Origen. in Joh. XX, 26. Contr. Cels, III, 38. in Rom. IV, 5.

der vorauguftinifchen Väter, 467

bildet. Die verſchiedenen Momente feiner Lehre von Gnade und Freiheit liegen nicht blos fo neben einander; fle find organiſch verbunden unb bauen fid) vom Allgemeinen zum Befondern, von bem Natürlihen (rationellen) zum Ueber» natürlichen fortfchreitend pyramidenartig bis zu ber Spitze auf, die wir fo eben in feiner Lehre vom Glauben berührt haben). Wie bie 51. Schrift 3. B. in der Darftellung des Berichtes (Matth. 25) das fünftige Loos des Mens fen Tebiglich durch den Gebraud), ben ber Menfd von feinen eignen Kräften zum Guten ober Böfen macht, beftimmt fein läßt, unb bie Erwählung aus Gottes freiem Erbarmen und bie Austheilung ber Gnade, in deren Kraft das Gute begonnen und vollendet wird, gänzlich übergeht, wogegen fie anderwärts mit Webergehung diefes allgemei- nen und natürlichen Gefeges der fittlihen Ordnung ledig⸗ lich das göttliche übernatürfide Walten hervorhebt; fo finden wir es aud) bei den Vätern der erften Jahrhuns derte und befonberó bei den Griechen. Aber es braucht nur eine geringe Aufmerffamfeit auf ben innern Zur fammenhang biefer Darftellungen, um zu gewahren, baf fh die eigenthuͤmlich chriſtliche Wahrheit über jener all gemeinen Grundlage a8 bie concrete Wahrheit abfdlieft, daß fie jener allgemeinen 3Betradjtung bie Wahrheit nicht abfpriht, das Wahre aber erft in ihr felber, in der Abs hängigfeit des guten Willens, des Guten überhaupt und insbefondere der Seligfeit von Gottes Gnabe findet. Sene allgemeinen Ausfprüdhe des Drigenes al[o, bag das Kön- nen von Gott fomme, das Wollen aber und Wirken in

1) Der fonft trefflichen Darftellung von Thomafius fält zur ofi, daß fie bie „Heilsorduung“ des Origenes (G. 233 ff.) nicht in Biefem isrem Stnfengange aufzeigt.

468 Der vorgebliche Pelaglantsmus

unfrer Hand liege, und wie fle fonft nod) Tauten , fie alle vechtfertigen den ihm gemachten Vorwurf pelagianis fer Lehre nicht, denn fie find von ihm nicht al8 bie concrete hriftliche Wahrheit geltend gemacht, vielmehr burdj diefe, bie er nirgends verſchweigt, wefentlich modificirt. Ein Verdacht pelagiani(der Lehre fällt auf ihn erft und am meiften ba, wo er bie Schriftftellen 2. Mof. 4, 21. Ezech. 11, 19. 20. Marc. 4, 12. 9tóm. 9, 16. Phi. 2, 13. worin die abfolute Wirffamfeit Gottes, insbeſon⸗ dere feiner Gnade geſchildert iR, im Vergleich mit ben ihnen entgegenftehenden 5. Mof. 30, 19. Jeſ. 1, 19. SRida 6, 8 zu verkürzen fcheint. Befchränfen wir uns hinſichtlich jener auf bie zuletzt angeführten. Sie befagen, daß εὖ nicht auf unfer Wollen und Ringen, fonbern auf das Erbarmen Gottes anfomme; daß Gott in uns das Wollen unb Vollbringen wirke nad) feinem Wohlgefallen. Nicht vom Wollen und Vollbringen des Guten ober Böfen, meint Drigenes, fondern vom Wollen unb Bollbringen überhaupt fei Phil. 2. die Rede, und dies fomme aller dings von Gott, während jenes unfer Werf fei, indem wir das von Gott verliehene Vermögen recht oder ſchlecht gebrauchen. An der Stelle Röm. 9. aber wolle ber Apoftel nicht fagen, daß Gott alles wirfe am Heilswerke und ber Menſch nichts, fonbern daß des Menfchen Ringen und Streben midt genüge, um bae Ziel gu erreichen, fondern daß Gott bae Meifte dazu beitrage. Es verhalte fi Hier, wie παῷ 1. Kor. 3, 6. 7 beim Landbau. Wie εὖ unfromm wäre, zu behaupten, das Zeitigen und Gebeifen der Fruͤchte fel dns Werk des Landmannes, der da pflanzt

1) De princip. III, 1. 6. in Rom. I, 5. 5. VIIL, 16. contr. Cels. III, 69.

bet vorauguftinifchen Väter. 469

und begießt, und nicht vielmehr Gottes, alfo erfolge aud) unfere Vollendung nicht ohne unfer Zuthun, obwohl fie nicht burd) ung zu Stande fomme, fondern Gott das Meifte dabei wirfe 1).

Die fegtere Vorftelung, bie befonders bei GB ty» ſoſtomus immer wieberfehrt, ift in biefer Form zu äußerlich unb infofern mangelhaft, ihr mefentlider Gehalt aber, unantaftbar (f. oben). Dagegen fann bie Aus- legung der Stelle Phil. 2, 13. nur gezwungen genannt werden, wie fle aud) im Princip und in ihrer Confequenz der Wahrheit zu woiberfpred)en ſcheint. Allein bie Aus- legung gibt fif, wie bie der andern Stelle, nicht als eine birecte, fondern ift zur Abwehr einer andern aufgeftellt, in ber Drigenes eine woefentlide SBeeintrüdjtigung ber Wahrheit, nicht einer fpecififch chriſtlichen, fonbern einer allgemein vernünftigen Wahrheit erblidt. Nicht gegen folge ift jene Auslegung gerichtet, welche, wie y. B. fpäs ter Auguftin, in ber Stelle eine Hauptftüge ber princi» vielen Nothwendigfeit der Gnade erblicken, fondern gegen bie häretifhe Gnoſis, gegen bie Beftreitung der fittlichen Freiheit des Menſchen. Die Abſiicht des Drigenes ift alfo aud) nicht, die Freiheit als hinlänglih zu Erreichung des Cnbjieló gegen bie Gnade in Schuß zu nef» men, fondern fie zu vertheidigen gegen die Behauptung eines äußern Berhängniffes oder einer fittliden guten ober böfen Natur. Hatten fi bie gnoſtiſchen Häretifer, wie Origenes ausdrüͤcklich anführt, auf jene Stellen für fid berufen, was fonnte er, was mußte er tun, um fie ihnen zu entreißen? Was er aud gethan hat.

1) De princip. TIL. 1. 18.

470 Der vorgebliche Pelagtantsmus

Mit weit mehr Schein Tieße fid gegen Elemens von Alerandrien, ben Lehrer des Drigenes, ber Bors wurf pelagianifivender Lehre richten. Die Unbeftimmtheit feiner Aeußerungen und die höhere Achtung, bie bie nad folgende Zeit ihm bewahrte, mochten jebod) Hieronymus bewogen haben, nicht auf ihn zurüdzugreifen. Das Ber hältniß der Nachkommen zu Adam fdjeint nämlich Clemens nur als ein äußeres Strafverhältniß aufgefaft zu haben !). Du pin fagt von ihm: Adae lapsum agnoscit, et ejus peccati poenam, in quam omnes incurrerunt. Verum origi- nale peccatum non videtur probe novisse ἢ). Wäre «6 wahr, daß Clemens zwiſchen unfrer Sündhaftigfeit unb ber Sünde Adams einen innen Zufammenhang geläugnet, bann fiel für ihn nidt nur bie Wirfung des Erlöfungstodes Chriſti in ihrer wahren Bedeutung, fondern auch bie ſchlechthinige Nothwendigkeit der Gnade; bie Suͤndhaf⸗ tigfeit des jegigen Menſchen wäre ein natürliches Pros buct feiner eigenen That, und fónnte deren SBefeitigung hinwiederum von ihm felbft erwartet werden. Die durch⸗ gängige Allgemeinheit der Sünde fónnte ohnehin nidt von ihm gngenommen fein. Auf biefem Standpunfte ftebt aber Elemens nicht. Das Günbigen fagt er 5), ift allen angeboren unb gemein, unb leitet daher bie 9totbmenbige keit unferer Rettung burd) Ehriftus, bie Nothwendigfeit der göttlichen Gnade, wiewohl er, und mit Recht, ben Gnoſtikern gegenüber auf die Anerkennung der Wahrheit bringt, daß Gott uns durch uns felbft, burd) unfte eigne freie Selbftbeftimmung retten wolle 9. Aber fefthaltend 7.1) Stromat. III, 16.

2) ©. Thomafius a. a. D. ©. 76.

3) Paedag. II, 12: Τὸ ἁμαρτάνειν πᾶσιν ἔμφυτον καὶ κοινόν. 4) Stromat, VI, 12. p. 788: Ἡμᾶς R ἡμῶν αὐτῶν βούλεται σώζεσϑαι.

der vorauguftinifchen Vater. 4T

an bem Begriff ber Sünde im engern und eigentlichen Sinn, fiel ihm der Begriff der Erbfünde infofern Dine weg und trat an ihre Stelle ber Begriff einer ererbten Strafe. In gleicher Weife verfährt aud Chryſoſto— mué?!) Es unterliegt aud) feinem Zweifel, daß bie Erbfünde etwas anderes al8 bie Thatfünde, etwas ander res alfo, als die Sünde im eigentlihen unb engern Sinn ift; unb biefe Väter waren fomit ganz im Recht, wenn fie diefen Begriff nicht in Anwendung fommen ließen auf das fittliche Verderbniß, das von Adam her auf uns übergegangen ift. Nur darin bleiben fie hinter ber Wahr- heit zurüd, daß fie das Strafverhältnig nicht ausbrüdlich als ein fittliches bezeichnen. Es ift ihnen dies wohl feinem Inhalte, der Materie nah, aber nicht zugleich formell. An das Leptere erft fnüpt fid) der Begriff der Sünde im wahren, wiewohl nicht im eigentlichen und engern Sinne, unb nur jur Haren Grfenntnif diefes Moments haben fie es nicht gebracht. Bei Chryſoſtomus tritt diefer Mans gel ganz deutlich hervor. An der zuerft angeführten Stelle fagt er zu Röm. 5, 12; „Daß weil Adam fündigte unb farb Cleiblih unb geiftig ), aud) bie welche von ihm abftammen, fünbigen und flerben, fat nichts Ungereimtes. Daß Hingegen dur) feinen Ungehorfam ein Anderer (ohne fein eigenes Thun) zum Sünder geworden wäre, was wäre das für eine Solgerung? Auf foldje Weife fónnte man ihn nicht einmal als ftraffällig anfehen, fofern von

1) Hom. X. in ep. ad Rom. Opp. tom. X. p. 125. In Psalm. L. hom. 2. Opp. tom. III. p. 874 seq.

2) Un das legtere benft freilich Münfcher (Handb. b. Dogmens geſch. IV. ©. 150) nift. Bergl. Thomafius a. a. Ὁ. ©. 76. Anm. 1. der ihm deßhalb zurechtweiſt

472 Der vorgebl. Pelagtanismus b. vorauguſtin. Väter,

feinem eigenen Thun völlig abgefehen würde ἢ. Was verſteht alfo der Apoftel unter Sündern? Strafbare, wie ἰῷ glaube, unb gum Tode Verurtheilte." Alſo Sünder im eigentlichen Sinne find wir durch Adam nicht gewor⸗ ben; das wird jeber nur burd) fid) felbft, burd) feine eigene freie That; aber verdammlid find wir burd) ihn gewor⸗ ben, indem wir fo, wie wir von Haus aus find, (und durch Adam geworden find), nämlich durch Leidenſchaften beunruhigt und jur Sünde geneigt, Gott nicht gefallen fónnen 2).

Weiter ins Einzelne zu gehen, müffen wir ung für jest verfagen; wir hoffen fpäter auf den Gegenftand zus rüdzufommen. ]

1) Diefen Satz fat Münfcher wie überhaupt bie ganze Stell nicht verflanben. 2) Vergl. die zweite ber oben citirten Stellen.

Kuhn.

Wecenfionen.

1.

XPHZMOI ZIBYAALAKOI Oracula Sibyllina. Ad fidem Codd. Mscr. quotquot exstant recensuit, praelextis prolegomenis illustravit, versione Germanica instruxit, anno- tationes criticas et rerum indicem adiecit Josephus Hen- ricus Friedlieb. Lipsiae T. O. Weigel. MDCCCLU. LXXXV. u 231 ©. Sectio al CXXIV. ©. in 8. Preis 4 ἢ. 12 fr.

Diefe wunderlihen Erzeugniffe des Orients gehören theils einer vorchriftlichen Zeit, theils ben drei erften Sabre hunderten n. Chr. am. Sie wurden meiftens von Juden oder von jubaifirenden oder eigentlichen Chriften gegen ihre Gegner, die Heiden, gerichtet. Mehrere find offenbar Aegyptifhen Urfprunge. Im zweiten unb dritten Jahr» hunderte wourben fie von ben Kirchenpätern nicht felten qur Vertheidigung ber chriſtlichen Wahrheit als Beweis- mittel gebraucht, bis fie in der Folge, ald man fid) all- mählig von ber Unächtheit berfefben überzeugt hatte, immer mehr an ihrem Anfehen verloren und zuletzt in Vergefienheit famen.

474 Josephus Henricus Friedlieb

Zuerfi gab fie £ft. Botuleius aus einer Auge: burger Handfchrift zu Bafel 1545. 4. heraus, und zehn Sabre darauf ebendafelbft in Octav Schaft. Gaftalio mit einer metrifchen fateinijden Ueberſetzung. Nach Ian ger Zwiſchenzeit erſchien zu Paris 1599. 8. bie Opfo poeifde und nod) weit fpäter bie Gallefche Ausgabe (Amſterdam 1689. 4.) Es entfpann fid) ein langer Streit für und wider bie Authentieität ber Sibyllen, bi man fib dahin einigte, daß man fie für unterfdjoben erklaͤrte. Seitdem [agen fie ganz unbeadjtet, bis 1815 unb 1816 - ber Däne Thorlacius die 9lufmerfjamfeit wieder auf

diefen Gegenftand Ienfte und im folgenden Jahre der ber rühmte Angelo Mai in ber Ambroſianiſchen Bibliothef zu Mailand ein vierzehntes Buch entbedte, welches mit dem ſechsten und einem Theile des achten zu Mailand her: ausfam. Später gab er in feiner veterum Scriptorum nova Collectio (Tom. Il. Rom. 1828. 4.) aus zwei Bas ticanifchen Handfchriften das XI—XIV. Bud) ganj, wovon baé [eótere mit dem Ambrofianifhen Gober die größte Verwandtſchaft hat.

Eine neue Feitifhe Ausgabe lieferte der framzoͤſiſche Gelehrte Alexander zu Paris bei Firm. Didot. 184. gr. 8. Davon erfäien aber big jegt nur der erfte Band, welcher bloß bie erften acht Bücher enthält.

Während Alerander aufer den gebrudten Hülfsmit« teln bie beiden Pariſer Handſchriften, die Oxforter unb die Wiener, von welcher ihm ber veremigte Kopitar eine Gollation mitgetheilt hatte, benugen fonnte, war ber neuefte Herausgeber fo glüdlid?, das kritiſche Material fo volftändig, als möglich zufammenzubringen, indem Dr. Keil während feines Aufenthalts in Italien im 3. 1845

Oracula Sibyllina. 475

in Rom und Florenz für ihn Bergleihungen anftellte unb Profeffor Gilbemeifter in Marburg ihm feine Eollas tion der Parifer Handſchriften überließ. Dazu fam nod) eine von ihm felbft gemachte Vergleihung des 9Ründner Cod. 312, welcher die námliden Bücher unb Bragmente, die im Mailänder unb in ben Vaticanifchen vorkommen, enthält. .

Mit diefen Hülfsmitteln verfehen, ging er an bie Bearbeitung der Sibyllinifhen Schriften. Ihm lag, wie er in dem SBormorte bemerkt, zunaͤchſt daran, bem Publis fum eine volltändige Sammlung derſelben und einen moͤglichſt fehlerfreien Text gu liefern.

Sehr [hägbar ift die Einleitung über den Inhalt der Sibyllinen, in welder der Herausgeber feine πῇ ὦ: ten über bie verfdiebenen SBer[affer, und über bie Zeit und ben Drt ber Abfaffung mittheilt und über bie Hands ſchriften Bericht erftattet. |

Darauf folgt bie Inhaltsangabe eines jeden Buches; bann ber griedji[de Srt mit gegenüberftehender deutſcher Meberfegung.

Die fateini[d gefehriebene Sectio altera enthält bie abweichenden Lesarten zu dem griechifchen Terte, woran fi) ein Index rerum et personarum locupletissimus (djlieft.

Der Gleichfoͤrmigkeit wegen wäre allerdings zu wün- fen gewefen, daß aud das Vorwort, bie Einlei— tung unb bie Inhaltsangabe Sateinijd) gefehrieben worden waͤre.

Was die Textrecenſion des Hrn. Friedlieb anlangt, fo Tann fie Ref. keineswegs eine befriedigende nennen, in» bem man an ifr nur zu fehr bie Εἰ ε Schärfe und Ge» nauigfeit vermißt; denn man ftóft nicht felten auf metriſche

416 Josephus Henricus Friedlieb

Unrigptigfeiten und grammatifche Fehler, welche eit zu befeitigen gewefen wären. Wir wollen nur einige Θ εἰς fpiele anführen.

Fragm. I. B. 14 hätte ὕπαι τάξεν anftatt ὑπαίταξεν geſchrieben werben follen, wie fdjon Boiffonabe z. Phie Ioftrat. Briefen &. 200 rietf. Ebenfo Buch II. 98. 245: ᾿Αλλὰ πενιχρομένοισι, (ba6 Komma ift hier zu flreichen) ϑέβους ἄπο (flat ἀπό) μοῖραν ἰάλλει.

Buch 1. 8.6 f: Σὺ δὲ, ποικίλε vmi, πίφασκε Νουνεχέως, ἵνα μή ποτ᾽, ἐμῶν ἐφετμῶν, ἀμε- λήσῃς, "Yıyızov βασιλῆα, ὃς ἔκτισε κόσμον ἅπαντα, Eine Γεινάσϑω,, καὶ ἐγείνατο.

Die erfte Ausgabe und bie Wiener unb bie Bodleyſche Handfärift haben εἶπας, weldes Alerander mit Recht in εἴπας umänderte. Diefe Joniſche SBatticipalform des Aoriſis hätte nidt mit εἶπε, wofür vielmehr elrev fteben müßte, vertauſcht werben follen, ba fie ganz gut zu ἔκτισε paft.

$8. 35 f.: Οὔτε γὰρ ἀκχρασίῃ νόον ἔσκεπτον, οὔτε

μὲν αἰδῶ, άμφεχον, ἀλλ᾽ ἦσαν κραδίαις ἀπά- νευϑὲ xdxou.

Für ἀχρασίῃ ſchlaͤgt Boiffonade zu Babrius €. 255 ἀφραδίῃ (silentio) vor. Im folgenden Berfe hätte Hrn. Srieblieb nicht ber Eonjectur des Alerander folgen follen; denn da bie frühern Ausgaben und, wie Mlerander bemerkt, aud) die Gobb. χραϑίης bieten (bei unferm Herausgeber herrſcht hierüber Stillfpweigen), fo lag bie SBerbefferung xgadins auf flacher anb.

8. 18: Kal πολέμους ἐποίουν" εἰς δ' αὐτοὺς ἤλυ-

εν ἄτη.

Hr. Brieblieb folgte bier, wie fein Vorgänger, be

Oracala Sibyllina. 4m

Eonjectur des Auratus. Allein die Augsburger, jegt Münchner Handſchrift Nr. 351, aus welder bie Ed. pr. fof, hat ἔσση (bie florentiner Handſchrift nebft den zwei Barifern dor) δ᾽ αὐτοῖς. Demnach ſchrieb Goftalio Zoy αὐτοῖς Ruder, mit leichterer 9Berfegung Boiffonade i Babr. ©. 207 αὐτεῖς δ᾽ ἴση ἤλυϑεν. Das vorherges Benbe ἐποίουν darf übrigens feinen Anſtoß verurfachen, ba da vor οὐ verkürzt wird. ©. Boiffonade z. Babr. €. 6. Anmerf. 17. t

$8. 228 fe: ἔγεμεν δέ ye μύριον ἀφρὸν

Στείρα.

Was war leichter, αἵδ᾽ φείρᾳ zu verbeffern, wozu aus B. 226 οἶκος ϑεσπέσιος als Nominativ zu ergänzen iR? Denn ςείρα fann nicht als Nominativ genommen werben, ba in diefem Falle ςεῖρα ftehen müßte. Vergl. Boiffonade 3. Philoftrat. Briefen S. 209 unb z. Babr. €. 256.

B. 254 f.: Kol τότε δὴ μετέπειτ᾽ ἄλλον μελα-

γόπτερον ὄρνιν. Tdxog ὑπεξέπεμψεν (nämlich Nos).

Tayog haben zwar bie Handſchriften und bie erfte Ausgabe, fobann ὑπεξέπεμψεν der florentiner und bie ioci parifer Codd., der Bodleyſche ὑπεξέπεμπεν, Opfor poeus ἐξέπεμπεν, bie erfte und Gaftafio'6 Ausgabe ἐξέ- πέμπε. Daß das aus zwei Kürgen beftchende τάχος μι Anfang des Herameterd nicht gebilligt werden fónne, if einfeuchtend. Daher conjicitte Turneb ὡς τάχος ἔξω πέμπεεν, und Gaftalio λάρνακος ἔχπεμπεν. Daß aber ber neuefte Herausgeber biefe Verbefferungsverfuche nicht bes rüdfichtigte und bie offenbar falfche Lesart im Terte ftehen lieg, if befrembenb. Boiffonade flug 3. Philoftrat.

418 Josephus Henricus Friedlieb

Briefen S. 200 αὐτίκ᾽ ober εὐθύς ὑπέκπεπεν wor. Ref. würde ὡς τάχος ἔξω πέμψεν gewählt umb im bem fol. genden Berfe γαίῃ δ᾽ ἐλϑων ἐπέμεινε, wie der Cod. Leon- tarius liest, (ftat ἀπέμεινε) geſchrieben haben; benn ἐπὶ und ἀπὸ find zu oft in ben Handſchriften verwechſelt worden. - Bud XIL V. 150 f.: πάντες ὅσοι πίνουσι πάνιξον ᾿Αρμένιοι κρύςαλλον ἄγαν δείον- τος ᾿Αράξεω. Iléwigov ift offenbar burd) bie iotaciftifche Ausſprache aus πάνηςον, t. i. perdulce periucundum, entftanden. Go verbeflerte ganz richtig Boiffonade zu Herodiani partitiones p. 53 mit Zuftimmung ber Beforger ber Dis dotſchen Ausgabe des Stephaniſchen Thesaurus. Aehnlicher und oft nod) tiefer liegender Verderbniſſe gibt es in ben in febr jungen Handfchriften auf ung ges fommenen und nod) wenig bearbeiteten Sibyllinifhen Bir dern eine Unzahl. Viele hat der gelehtte Boiffonade in ben Anmerkungen zu Philoftratus, Babrius und απ’ dern Schriftſtellern glüdlid) gehoben. Schade, baf bem Hrn. Herausgeber die SBerbefferungen dieſes ausgezeich« meten. Kritifers unbefannt geblieben find! Ueberhaupt wäre fehr zu wuͤnſchen gewefen, daß er fowohl bie in den Altern Ausgaben der Sibyllinen felbft, als aud) bie bie unb da gelegentlich eingeftreuten Gmenbationen der Gelehrten forgfältig gefammelt und genau angegeben hätte. Die der Urſchrift gegenüberftehende deutſche Ueber fegung ift leider fo gearbeitet, daß fie ben Anforderungen, die man heut zu Tage an einen Ueberfeger zu maden berechtigt ift, keineswegs entfpricht.

Pafſaglla, katholiſche Lehrvortraͤge. 479

. Mit biefer Beurtheilung verbindet Stef. die Anzeige nahftehender, ihm gerade zur Hand gekommenen Abs handlung :

De oraculis Sibyllinis dissertatio supplementum edi- lionis a Friedliebio exhibitae. Scripsit Ricardus Volkmann. Lipsiae T. O. Weigel 1853. S. 43. 8.

Da. ber neuefle Herausgeber der Sibyllinen das ſprachliche und metrifhe Element nicht gehörig berüdfich- tigt hatte, fo glaubte Hr. SBolfmann biefen Theil philor logiſcher Forſchung zum Gegenftande einer genauen Unter ſuchung maden zu müffen, unb wir fónnen ihm das rühms fie Zeugniß geben, baf er feine Aufgabe trefflich gelöst babe. Seine tief in das formelle ber Gibyllinifen Sid» tungen eingehende Abhandlung zeugt von grünblider Ges lehrſamkeit, kritiſchem Scharffinn und mufterhafter Akribie. Der Herr SBerfaffer hat dadurch ein großes SBerbienft um diefen Zweig ber antifen Litteratur erworben, welches allenthalben gerechte Anerfennung finden wird.

I. ©. Krabinger.

2.

fatbolifd)e Schruorträge gehalten in der Kirche del Gesü zu Rom während ber heiligen Faſtenzelt be8 Jahres 1851 von 9. Carl Yaffaglia, aus ber Gefellfchaft Sefu, pro» fefor ber Theologie am zömifchen Golleglum ac. ıc. Aus dem Italieniſchen. Verlag von ©. S. Manz in Re gen&burg. 8, VIIL und 249. ©. Preis 1 fl. 30 fr,

Der Herr Verfaſſer der vorliegenden Fatholifchen Lehr⸗ vorträge ift bereits berühmt burd) feine anderweitigen, bes fonder8 dogmatiſchen Arbeiten, al$: Commentarius de

Ses. Duartalſqrift. 1869. II. Heft. 32

480 Vaſſaglia

Praerogativis beati Petri apostolorum principis, auctoritate divinarum litterarum comprobetis. Ratisbonae 1850 (Manz); Commentariorum theologicorum partes tres. Romae 1850. 1851. Dann: Del necessario a concedere alla ragione toltane la regola dall’ analisi dela fede, Roma 1851, fo wie burd) bie Herausgabe des Werkes: Enchiridion de Fide, Spe et Caritate sancti Aurelii Augustini, episcopi hippon., Johanne Bapt. Faure, theologo Soc. Jesu nolis et assertionibus theologicis illustratum. Neapoli 1847.

Eben fo trefflid), müffen wir geflehen, find aber aud) diefe |

Tatfoli(den Lehrvorträge, bie er im Jahre 1851 für Ge bildete zu Rom gehalten hat. Wir erfehen hieraus, baf er die SBebürfniffe unferer Zeit in religiöfer infit wohl erfaßt hat. Das Erſte, was Vielen in unferer Zeit fehlt, ift ohne Zweifel der fefte Glaube an bie Wahrheit und Göttlichfeit des Chriſtenthums, fo wie ble Ueberzeu⸗ gung, daß bie Fatholifche Kirche bie wahre (bie urſpruͤng⸗ fide und vollfommene) fel. Außerbem werden aber nod befonder8 gewifie Olaubenswahrheiten von ben Natura fiften und Rationaliften angefochten. Aud hierauf hat der Verf. mit richtigem Scharfblid aufmerffam gemadit. Daher enthalten die erften fechzehn Vorträge (zu denen wir ned) ben zwanzigſten hinzufügen möchten) bie Apolo⸗ getif des Chriſtenthums und ber Kirche in populärer Form für Gebibete, Die übrigen fünf Vorträge dagegen ber ſprechen eben jene Glaubenswahrheiten, welche in unferer Zeit von 9Randen bezweifelt und beftritten werden, als: ob die Kirche Gewalt habe, Gefege zu geben (17. Bors trag); ob das Gefe ber Kirche über bie Lefung ber heil. Schrift nicht eine ungerechte Befchränktung der Stedte ber Gläubigen {εἰ (18. Vortrag); ob bie Beichte burj

ratholiſche ehrvortrage. 481

ein menſchliches Geſetz auferlegt, ober burd) ben göttlichen Willen geboten werde (19. Vortrag); ob bie Auferſtehung des Menfgen mit Gewißheit zu hoffen (21. Vortrag). Zum Schluffe ſchaͤrſt ec endlich nod) ein: daß das „fihere Mittel, um die menſchliche Geſellſchaft aus einem fo aufe geregten Suftanbe, wie wir ihn gegenwärtig ſchmerzlich empfinden, zu einem georbneten und ruhigen Leben zu führen," nur „in bem richtigen Begriffe der Menfchen von ihrer eigenen Würde” beftehe (22. Vortrag).

Wir wollen nun nicht fo febr bie Durchführung ber einzelnen Themate befprechen, ba bie uns zu weit führen würde, fondern mehr aus ben erfien 16 Vorträgen jene Bemerkungen des Verf. hervorheben, bie für bie Wiſſen⸗ {haft der Apologetif in unferer Seit von Wichtigkeit find. Mit Recht beginnt der Verf. feinen erſten Vortrag mit dem Thema: „Die Denkfreiheit.“ Denn Viele in uns ferer Zeit fegen bie Denkfreiheit in religiöfer Beriehung bloß in eine Zügellofigfeit, bie ba meint: man fönne im Denken über göttliche Dinge und Gebote eine willfüfrlide Herrſchaft üben, unb fie verwerfen, fobalb fie unfern Neir gungen und gelbenfdjaften nicht zufagen. Allein fold) eine Gefinnung muß nothwendig entweber zur Gleichgültigkeit gegen die Religion ober gar zum vollen Unglauben führen. Deshalb loͤst ber Verfaffer zuerft, bevor er mod) an bie Begründung der Wahrheit unb Göttlichleit des Chriſten⸗ thums geht, die Frage (S. 4): „ob unfer SBerftanb, der uns fo fer der Gottheit mabe bringt, für ergaben über jedes Geſetz gelten wüfle, fo baß er ganz als eigener Herr ſich ſelbſt Gefeg ἰῇ; ober ob er nicht vielmehr bes ſtimmten Geſetzen unterworfen fei, welche feine Hands lungen Ienten, und bafür maßgebend fein folen,^ Er zeigt

32*

483 Baffaglia,

nun, daß alle Dinge im Univerfum unter beftimmten Ges feben ſtehen. ©. 4: „Geſetze beftimmen bie Zufammen- fegungen unb Auflöfungen im Mineralreihe: Gefege tal» ten über ber Entwicklung ber Pflanzen; unb feften Gefegen gehorcht bie ganze Thierwelt. Wäre bief nicht ber gall, bann würde alle jOrbmung fhwinden und bie Welt müßte zu einem furdjtbaren Wirrwarr fid) geftalten.“ Der Berf. fließt nun hieraus, daß aud) der Menſch unter Gejegen werde (teen müffen, weil er „ein Theil der Schöpfung“ ift (S. 5), mithin, „daß auch die Vernunft, daß auch das Denken feine eigenen Gefepe habe, bie εὖ beftimmen.“ Dieß beweist die Logi Und ebenfo hat aud (€. 6) „feine Gefege der Wille, und daher die Wiffenfchaft der Glüdfeligfeitslehre; und es hat ebenfo das Freiheits⸗ vermögen feine Gefepe unb.baber bie Sitten» und Rechts lehre.“ Scharffinnig bemerft der Verf. (5. 6): „Man muß entweder behaupten, daß unfer Berfland von ber Wahrheit abhängig fei, oder umgekehrt, daß bie Wahrs heit von unferem Verftande bedingt werde. Wer ficht aber nicht bie volle Ungereimtheit des zweiten Sapes?" ©. 7: „Angenommen nun, daß ber SBerflanb von jedem Zügel frei fel; in weldjem Verhältniffe wird fi dann ber Wille befinden müffen? Auch ber Wille wird fein Gefeg mehr anerkennen, alle Pflichten werden aufhören, und das ganze Leben des Menſchen wird in Zerrättung gebracht fein." Hiermit hat ber Verf. fid) einen herzlichen Uebergang gebahnt zu bem Beweife, daß ber Geift im Bereiche ber Religion keineswegs willkuͤrlich fi von ben Dentgefegen losſagen fónne. Auch wir fagen: IR bie vernünftige Notwendigkeit des Glaubens an bie Wahr, heit unb Göttlicfeit des Chriſtenthums nachgewieſen, fo

tatholiſche Lehrvorttäge. 483

Tann der Geift fif vom Glauben nit losfagen, wenn ex fonft nicht feinem eigenen Wefen (feiner innern Würde) wiberfprechen will.

(6 if daher vor allem Andern nöthig, aufzuzeigen: daß aud der Glaube „unter bie Geſetze des Denkens ges δότε, daß es Pflicht des Berftandes fei, Glauben zu ſchenken, unb fij im Vertrauen auf das Wort Anderer zu beruhigen." Dieß thut der Verf. im 2. Vortrage. Er beweist, daß der Glaube unumgänglich nöthig if, weil fonft die häusliche und bürgerliche Geſellſchaft, und ebenfo die Freundfchaft und die Gewißheit der Wahrnehs mungen ber Sinne zerftört würden, nod) eine Erziehung mehr möglich wäre. Der Verf. gibt hier ein treffendes SBrincip, welches aud) auf bie Religion angewendet wet» den fann. Er fagt ©. 16: daß jene thöricht handeln, „welche entſchieden erflären, daß fie mur ber offenbaren Gewißheit, unb ben inneren und notfmenbigen Bolgeruns gen des Vernunftſchluſſes fid) fügen." Denn „wie bie Augen des Koͤrpers nicht bloß bei dem gerabeftrahlenden, fondern aud) bei dem widerſcheinenden Lichte fehen; fo fiebt und ſchaut aud) das Auge des Geiftes nicht bloß bei bem Lichte der innern Klarheit, fonbern eben ſowohl auch bei bem Lichte des Glaubens und des Vertrauens auf das Wort Anderer. Rein, um das bir Vorgetragene zurüdzuweifen, genügt es nicht, zu antworten, e8 fei nit far unb einleuchtend, fondern bu mußt beifügen Tónnen, baf εὖ aud) nicht einmal glaubbar if. Es reicht nit bin, ju fagen: ich fehe nicht die inneren Gründe; fondern man muß beifegen: id) fefe nicht einmal äußere Anzeichen, und Äußere Zeugniffe, welche es mir annehm⸗ bar madjen. Wenn fowohl das eine, wie das andere

494 εὐ 8efagfa,

fidt fehlt, bann hat man vollfommen Stet, feine Zus fimmung gu verfagen." Diefe Bemerkung ift ungemein wichtig in Betreff der Religion. Denn halten wir viele Naturerfcheinungen, welche richtig wahrgenommen worden find, für wahr, und bürfen wir fie für wahr halten, aud ohne daß wir fie in ihrem innern Weſen begriffen haben, fo muß biefer Grundſatz aud) in ber Religion gelten, baf wir gleichfalls jene Wahrheiten und Thatſachen, welche wir nicht begreifen, für wahr halten .müffen, fos bald fie durch eine genügenbe Auctorität bezeugt werben. Sft daher, burd) Außere hiſtoriſche Zeugniffe erwiefen, baf Chriſtus Wunder gewirkt Bat, fo ift aud) erwiefen, bof er göttlicher Gefanbter ift, um fo mehr, da feine Ausfage über feine göttliche Sendung wegen feiner Heiligkeit [don für wahr gehalten werben muß, mithin müffen wir alle teligiófen Wahrheiten, bie er verkündet fat, für wahr halten, alfo aud) jene, welche wir mit unferem Verſtande nicht vollfommen begreifen. Die Geſchichte unb Erfah⸗ tung lehrt es, daß man von vielen Myferien anfangs nur Äußerft geringe Vernunftgründe anzugeben wußte, daß mande der Vernunft fogar zu widerfpechen (dienen, unb daß diefe fpäterhin bod als vernunftgemäß erfannt und bewiefen worden find. Es ift daher zum Glauben durch⸗ aus nicht, wie mand meinen, die Vernunfteinſicht in die Dogmen abfolut nöthig. Gegen diefes Princip vers ſtieß fid einſt aud) Abaͤlard durd den Satz: „Nec credi posse aliquid, nisi prius intellectum^ 1).

Sym dritten SBortrage ftellt der Berf. (&. 19) bie

1) ©. KirjensLericon. Herausgegeben von Wetzer und Welte. 1847. 1. 8b. ©. 6.

katholiſche Lehrvbrtraͤge. 485

Frage: „ob Gott durch ein Zeugniß, verſchieden von bem, das in ber Natur, in ben Ausfprüchen des Gewiſſens ertönt, und in ben Lichtſtrahlen der Vernunft erglänzt, dem Menſchen e8 zur Obliegenheit machen fönne, gewiſſe Wahrheiten zu befennen und getiffe Pflichten zu erfüllen: und ob er von bem Willen eine gewiſſe Art der Vereh⸗ rung verlangen fónne.^ Die Antwort ift: Ja, weil Gott unfer Bater (Schöpfer),. Herr und König ijt. In dies fem SBortrage ift eine Einwenbung der Rationaliften gegen die Nothwendigkeit der übernatürlichen Offenbarung grünb« lid) widerlegt. Diefe Einwendung lautet alfo (S. 22): nWenn zu den religiöfen Pflihten, welche von der Vers munft vorgefchrieben, unb in ihrer Gefammtfeit bie nas türlid)e Religion bilden, nad) Gottes freiem Willen unb Gutduͤnken andere hinzugefügt werben Fönnten; fo müßte man zugeben, daß entweder Gott der Urheber unnüger Pflichten fein fónne, oder daß bie Natur in bem höchſt wichtigen Bereiche der Religion nicht das Nothivendige und Gebüprenbe leifte.” (Lebteres behauptet aud) Strauß in feiner Olaubensl. I, ©. 267.) „Aber fowohl das eine wie das andere ift im höchften Grade unverträglich mit der Weisheit eines Gottes. Es ift unvertráglid) mit ijr, anzunehmen, bag Gott, der unendlich weile SBifbner der menſchlichen Natur, diefelbe nicht mit allem Lichte reich verfehen habe, das erforderlich ift, um alle nothwendigen and gebührenden Pflichten ber Religion Fennen zu lernen." Der Verf. antwortet auf den erflen Theil bes Einwurfes €. 22: „Kann man es für unnüg halten, wenn bem Menfchen Anlaß zu Thaten der Tugend geboten, wenn ihm Gelegenheit gegeben wird, fie häufiger zu üben; wenn der religidfe Sinn gemedt und bewirkt wird, bag man

486 Raffaglie,

feine Abhängigfeit von Gott beſſer erfenne und fühle" ? Was den zweiten Theil ber Einwendung betrifft, fo bes merkt er (6. 23): Wohl hat bie Natur das Nothwendige empfangen, um ber Religion und Gottesverehrung Genüge zu thunz aber fet er hinzu: „If das Gefhäft des Schd- pfers erfüllt, fo wird baburd) nicht aufgehoben, daß Gott aud) nod) das Geſchaͤft der Fuͤrſorge ἅδε." Allerdings. Denn war biefe Fürforge, b. i. bie Erziehung ber Urs meníden burd) Gott (don nöthig bei der primitiven Offen⸗ barung ber Schöpfung, fo war fie gewiß um fo noth⸗ wendiger, ald bie normale Entwidlung berfelben durch ihre Sreithätigfeit unterbrochen worben if. G6 fann daher fonder Zweifel aufer der natürlihen Offenbarung auch mod) eine übernatürliche geben.

Der Berfaffer zeigt nun im vierten SBortrage „bie Wahrſcheinlichkeit der Thatſache der Offenbarung." Diefe Wahrfcheinlichkeit beweist er daraus: 1) weil Gott in der finnliden Ordnung der Natur fid) nicht blos auf das Nothwendige befhränkt, fondern fih als freigebig auch durch Vertheilung des Nüglichen und Angenehmen bekundet, fo ift εὖ nicht wahrſcheinlich, daß er im überfinnlichen Reihe der Religion fi bloß mit dem Nothwendigen bes gnügt habe. 2) Um fo mehr läßt fid) dieſes Einſchreiten ber Vorfehung vorausfeßen, wenn man erwäget, was bie Erfahrung lehrt (S. 30): „Sie zeigt und, daß ber weite aus größte Theil ber Menſchen fij faum zu dem lieber» finntiden erſchwingt, und faum im Stande ift,. fid) deut⸗ lide Begriffe von der Gottheit und von feinen Pflichten zu verſchaffen. Sie zeigt und, daß bie Allermeiften, von ihren Lebenslagen und Umftänden mit Gewalt abgehalten, fih mit ben vielfaden Forſchungen, welche zur Bildung

katholiſche Lehrvortraͤge. 487

einer geordneten Sammlung von religiöfen Wahrheiten un» etlaͤßlich find, weder befehäftigen fónnen nod) wollen." 6.31: „Wenn εὖ alfo wahr ift, daß bie dreifache Stimme der Ratur, des Gemiffenó unb der Vernunft nothwendig iR qur Religion: wenn es wahr if, daß man biefelbe aud hinreichend nennen fann, fobald man die Vernunft ihrem Hochbegriffe nad) betrachtet; fo ift εὖ bod) durchaus falſch, daß biefelbe genügt, wenn man bie Vernunft bes traditet , wie fie in der Wirklichkeit befehaffen if." Im fünften Vortrage ftellt fid) der Verf. die Aufgabe, birect iu beweifen (€. 35), „daß Gott aud) mit einer von der Stimme der tatur verfchiedenen Offenbarung zu dem Mens ſchen gefproden" habe. Denn ©. 38 bemerft er treffend: „daß das Menſchengeſchlecht feit feinem Urfprunge, zu jeder Zeit und an allen Orten ſtets darin übereinfam, daß es göttliche Offenbarungen annahm, die verfchieden waren von benen, welche in bem großen Bude ber Natur glán» imb verzeichnet fteben —." Diefe Thatſache ber allge meinen Uebereinftimmung hat allerdings einen großen Werth für unfere Meberzeugung von dem Dafein einer wahren göttlichen Offenbarung. Jeder Srrtum ift gegründet auf irgend eine Wahrheit, bie man mifbeutet, Alfo fagt Boffuet. Wenn bemnad) viele faljde Offenbarungen, bie fib für göttlide ausgeben, vorhanden find, fo muß εὖ nothwendig aud) eine wahre "göttliche Dffenbarung geben, weil fonft ohne biefe bie Menfhen nie auf den Einfall gefommen, die falfchen Offenbarungen für wahre auszus geben , nod) wäre jemand fo unbefonnen gewefen, daran zu glauben, wenn nidt bereits ber Geiſt der Menſchen eben durch bie Wahrheit von einer wirklichen göttlichen

488 Vaſſaglia,

Offenbarung dazu vorbereitet geweſen waͤre, ſich von den falſchen Offenbarungen taͤuſchen zu laſſen.

Im ſechsten Vortrage ſucht der Verf. die Wahrheit und Göttlichfeit des Chriſtenthums durch feine Wirkungen darzuthun. Er geht (€. 44) von bem Grunbíage aus: s Die Werke Gottes unterfcheiden ih unermeflid) von ben Werken des Menſchen.“ Hat alfo Gott turd) Chriſtus fi wirklich geoffenbart, „fo Können unb müffen wir als ganz gewiß annehmen, daß bie Zeichen hievon Far und vielfah in ben Wirkungen zu Tage treten werben." Das leitende Prineip hierbei ift (E. 45): „daß bie Urſache der Wirkung entfpredhen müffe;^ mithin ,fónne bie Urſache mut übermenfhlih und göttlich fein, wenn bie Wirkung uͤbermenſchlich umb göttlich if." Er betrachtet deßhalb „die Welt vor dem Ehriftenthume in Bezug auf ihr Den⸗ Ten, ihre Wünfche, Sitten und Gefege, unb dann, nad- bem fie Kriftlih geworben." Gut war e$ vom Berf, daß er (S. 52) bemerkte, daß felbft Julian, obgleich ein Feind und Abtrünmiger des Chriſtenthums, dennoch bit ESittenreinheit der erſten Chriften belobt. Unläugbar war bie burd) das Chriſtenthum bewirkte fittliche Ums

-wandlung ein Geiftesiwunder, eine neue Schöpfung. Der Berf. frágt (&. 53): „Woher εὖ denn fomme, bof nicht Wenige in unferer Zeit das Ehriftenthum für eine gegenwärtig nicht mehr ziemliche Einrichtung halten? Was glauben wir, daß bie Duelle eines fo ungünftigen Urs theiles fei? Vielleicht die größere Entwidlung der Ber nunft, baé gereiftere Alter des Menfchengefchlechts ?“ Gewiß nit. Denn ©. 54 fagt er: „Richt bem Berftande wer ben wir fie zuſchreiben, fondern dem Herzen, nicht bem vernünftigen Urtheile, fondern ber feiben[djaftfien Gin:

katholiſche Leßrborträge. 489 genommenheit.” Der Berf. findet bie Urſache hauptſaͤch⸗ lij darin: weil ba6 Chriſtenthum das Gefeg des Olaus bens, welches „die Gelüfte des Geiſtes zuͤgelt unb ber Unabhängigkeit im Denken Gdjranfen ſetzt,“ gebietet, und außerdem mod) „die Abtödtung ber Sinne,“ welde den Neigungen durchaus nicht gefällt, fordert. Diele Urfahen finden allerdings Statt bei der Mehrzahl ber Menfchen, bod) tritt bei den Gelehrten aud nod eine andere Urfahe Hinzu, b. i. bie Falſchheit des Standpunftes, den fie in ber Philofophie einnehmen. Man glaubt vielfach, den monififchen Standpunkt bem dualiftifchen, welcher bie wefentliche Verſchiedenheit ami» ſchen Geift und Natur, fomie zwiſchen Gott und Welt behauptet, vorziehen zu follem, deßhalb, weil man auf dem moniftifchen Standpunkte die Schöpfung leichter unb beſſer zu erklären und zu begreifen meint. Allein hält man ben moniftifchen Standpunkt, nàmlid) ben ber Jm» manenz in der Philofophie für ben wahren, fo muß man, wie fid) von felbft verfteht, bie Mebernatürlichfeit ber po» fitiven Offenbarung aufgeben, und bie Dogmen theils ganz negiren, theils fie in einem anbern Sinne deuten, als bie wahre Kirche fie auffaßt. Der moniftifhe Stand» punkt der Tranfeendenz aber kann wohl mehr ein drift» lies Golorit annehmen, jebod) nimmer ber Madel der Inconfequenz entgehen. Denn, um nur Eines zu berühr ten, ift der menſchliche Geift hier göttlichen Wefens, wie fann da confequent πο eine Rede von bem Günben[alle und fo von ber Nothwendigfeit der Erlöfung fein? Im flebenten Vortrag beweist ber Verf. die Wahrheit und Göttlichfeit des Chriſtenthums burd) bie Mittel, melde iu feiner Verbreitung in Anwendung gebracht wurden,

490 Baffaglia, Er fügt feinen Beweis auf folgendes Princip (&. 55): „In je größerem Mißverhäftniffe die Mittel zu bem Zwecke ftehen, für befto ftärfer muß die Kraft und Macht der handelnden Urfache gehalten iverbem." ©. 56: „Je wngleider dieſes Verhältniß er[deint, defto mehr muß das ganze Werf al über die Kraft der Natur hinaus⸗ sehend betrachtet werben." Deßhalb muß man fagen (G. 56): „Das Werk des Chriftentyums gehe, in Anbes tradjt ber zu beffen Durchführung angewendeten Mittel, weit über die Natur hinaus, und gehöre einzig dem Reiche der Wunder an." Denn, fährt ber Verf. fort (&. 59), „die angewandten Mittel [affen fid) alle insge⸗ fammt auf ein einfaches, gewöhnliches, ungebilbete& Wort zurüdführen, und zwar mitgetheilt von Menſchen, an welchen Alles zu wünfeben übrig blieb." In biefem Bor trage ift befonber bie bünbige Zufammenftellung der hiſto⸗ riſchen Seugniffe in Betreff ber Verbreitung des Ehriften- thums, unb ber Hinderniffe derfelben beachtenswerth. Im achten Vortrage zeigt ber Berf., daß bie Wuns der und Weiffagungen wirklich den Werth eines Beweiſes haben, und daß man mit Recht diefelben zur Bewährung der Böttlichfeit des Chriſtenthums anführt (S. 70). Denn dieß glaubte bie Menſchheit von jeher, ſowohl vor als nad) Ehriftus (S. 72): „Bei den Heiden, Juden, Chriſten unb SRufamebanern fand fid immer das gleiche Urtheil: die Wunder unb Weiffagungen feien das Werk Gottes, des hoͤchſten Herrn der Natur, und nicht des Menfchen, der felbft ein Theil ber Schöpfung ift; rühren von Gott, ber unendlichen Weisheit her, unb nicht vom Menfchen, ber fogar für bie Gegenwart Furzfihtig if." In biefem fBertrage findet fid) eine ſchoͤne originelle Bemerkung bed

katholiſche Lehrvortraͤge. 401

Berf. über den Unterfchied der Beweisführung für bie Göttlihfeit des Chriftenthums in den verſchiedenen Zeits perioden. Er fagt (€. 67 u. 68): „In den Evangelien unb in ben Briefen der Apoftel fiet man allen und jeden Beweis auf zwei Hauptpunfte zurüdgeführt: auf bie Wunder, welche gewirft wurden, als auf eine göttliche Stimme, bie im ‚vollften! Grade bie Macht befigt, bie Geifter zu überzeugen, daß man Gott für ben hödhften Urheber des Chriſtenthums anfehen müfle: und auf bie Weiſſagungen und Prophezieen, welde- als vollgiltige Zeichen gebraucht wurden, um zu beweifen, daß man nothe wendig eine Lehre als himmliſch annehmen müffe, bie fo viele Jahrhunderte vorher mit fo vielfach verſchiedenen Farben vorgebildet, und burd) fo zahlreiche und überein» fimmende Zeugniffe vorhergefagt war. Auf die Wunder, bie er that, unb auf bie Weiffagungen, bie längft zum Boraus feine Lehre angefünbet hatten, nahm der Stifter des Chriſtenthums, Jeſus Chriftus, beftändig Berug; aus den Wundern und aus den Prophezeiungen fhöpft er bes ſtaͤndig den entſcheidendſten Grund für fein Stet, ſowohl wann er von denen, bie ihn hörten, Glauben forderte, als aud) wann er alle Sene tadelte und für ſchuldig er» flárte, welche fid) weigerten, ihm Glauben zu leiften. In ben Bußftapfen Jeſu hielten fid treu feine Apoſtel und die erften Verfünder des Evangeliums. Aber in ben alten kirchlichen Schriftvenfmälern tritt uns ein viel größer ver Aufwand von Beweifen vor Augen."

„Wohl ift e& wahr: aud) bie firchlihen Schriftfteller wiederholen und bemugen früftig bie ben Wundern und Weiffagungen entnommenen Beweiſe; aber e8 ift aud wahr, ba fie mit ihnen viele andere verbinden, welde

403 Vaſſaglia

man vergebens in den Evangelien und in den Schriften der Apoſtel ſuchen würde" ©. 69 u. 70: „Woraus werben wir nun, der Wahrheit gemäß, biefen Unterſchied der Beweisführung herleiten, deren fid) einerfeits Chriſtus und die Apoftel, und anbernfeité bie Lehrer und Meifter in ber Kirche bebienten? Man muß benfelben zweifels⸗ ohne aus ber Verſchiedenheit bez Zeiten herleiten. In feiner Kindheit fonnte bie Göttlichfeit des Chriſtenthums febiglid) duch bie Wunder und Weiffagungen bewiefen werben; aber in ben folgenden Entwidlungsfufen, in feiner Jugend und in feinem männlichen Alter tragen zum Nachweiſe diefer Göttlichfeit, gleich ben Blüthen und Früchten (eines Baumes) aud) alle jene Zeichen bei, deren fi die Vertheidiger beffelben fo ganz mit vollem Rechte und mit Gewandtheit bebienten^ h.

1) Auch wir Hegen biefe infit , daß faft jedes Jahrhundert feine eigentlichen Beweife für bie Wahrheit umb Göttlicheit ber dif Offenbarung Hat, und ba bie Provivenz gerade jene Beweisarten (euge miffe) im jeder Seitperiobe auftauchen Täßt, weiche eben bas Webirfnif des Denlgeiſtes ber Menſchen zum Glauben erfordert. Dieß Bat auch Ricolas in feinem berühmten unb geiftteichen apologetiſchen Werke : „Bru- des philosopbiques sur le Christianisme.“ Paris, 1852, T. I. p. 348, ausgefproden: „Ind6pendamment du développement, et de la pré- cision ou ont été portées, de nos jours, toutes les sciences qui étaient déjà en marche, des sciences toutes nouvelles ont surgi, comme pour venir déposer en faveur de la parole de Dieu, à l'épo- que précisément la foi se mourait dans tous les coeurs. Dans ce nombre il faut compter, avant tout, la géologie, à la quelle nous allons emprunter des témoignages dignes du plus vif intérét. Chose admirable que cette variété et que cete proportion des preuves dont se revét tour à tour la Religion, selon la diversité des phases de l'esprit humain! Si le moyen-fge et les premiers siàcles de l'Eglise avaient des preuves que nous n'avons pas; si le temps des miracles οἱ des prodiges, de la sainieté des apótres, de la conversion de

Tatfolifje Lehrvortraͤge. 499

Im neunten Vortrage ſucht der Verf. „die Wahrheit ber Wunder unb SBeiffagungen^ baburd) zu befräftigen, daß er diefelben „als nothwendig anzunehmende Voraus⸗ ſetzungen“ Hinftellt und erweift, „und dann neuerdings durch eine einzige Thatſache“ (b. i. die Vereitlung der Wiederherftellung des Tempels zu Ierufalem burd Julian) „ihre Gewißheit außer aller trage" ſetzt. (S. 81). Unter die Greignifje, die man ohne Vorausfegung von Wundern und Weiffagungen nicht erklären Fönne, zählt er folgende: 1. Die Bekehrung einer großen Zahl von Juden, von ben Schriftgelehrten. 2. Die fittlihe Umwandlung des roͤmi⸗ fügen Reiches. 3. Die Belehrung der Länder außerhalb

Yanivers et du courage des martyrs, est passé, voici des preuves toutes nouvelles. e$ non moins frappantes qui étonnent nos regards et qui doivent satisfaire notre esprit, précisement par le cóté qui lui convient le plus de nos jour, le cóté de la science et de l'exa- men.“ Es wollen zwar Manche aud in unfern Tagen nur ben Bunders und Weiffogungsbewels angewendet wiflen, unb alle Bernunft- Bere ausfegeiben, um nicht den Schein zu erweden, als fulbigten fie einer vationalififchen Richtung. Allein Hat bie Wiſſenſchaft es Berause geflelt, daß die Natur der Wahrheit ber pofitiven Offenbarung Seugnif gibt, warum folite mun es alsdann ber Wiſſenſchaft vermehren, zu ber weifen, daß auch ber Geif (bie Vernunft) berfelben Zeugniß gibt? Hält nun unfere Zeit fo viel auf die Vernunfteinfiht, warum follte man bann Feine Bernunftbeweife für die Dogmen führen, ba felbe bod) möglich find? Anfelm fagt (Cur Deus homo 1. 1. c. 2.): „Negligentia mihi vide-

' tur, si postquam confirmati sumus in fide, non studemus, quod cre- dimus, intelligere. Bleiben bemmadj aud) die Wunder umb Weiffagun« gen immerhin ber Hauptbeweis: fo find bod) bie fBernunftbemeife für die Dogmen nimmer überfläffig, ba fie ja eine Beflärkung im Glauben erzeugen. Muguftin [ἀτείδε in f. 110 Briefe au Gonfentiut: „Wer dahin gelangt ift, daß bie wahre Vernunft ijm das Veiſtandniß beffen gibt, was er früher glaubte, ohne es zu verſtehen, befindet fid) bod) ger wiß in einer befferen Sage, als derjenige, der noch das Verlangen trägt, am verfichen, was er glaubt.“

494 . Spaffagita,

des römischen Reiches. 4, Die zahllofen Schaaren von Zungfrauen, welche ben herrlichften Eheverbindungen ent» fagten. 5. Der Sieg des Chriftenthums über das heid⸗ nifde Prieftertfum, und über den Trug der falfhen Phi— Tofophie. 6. Die Ctanbbaftigfeit der Märtyrer. 7. Die Civiliſtrung der barbarifhen Bölfer. Wohl hätte ber Berf. nad) diefem neunten S8ortrage den imanjigften. εἰπε reihen koͤnnen: „die Auferſtehung des Gottmeníden." Denn aud) der Glaube an die Gottheit Jeſu war nicht móglid), wenn nicht das Wunder feiner Auferftehung ald aweifellofe Thatfache vorauégefept wurde. Treffend ift in bem neunten Vortrage ber Nachweis der Glaubwür⸗ digkeit ber Thatfahe von der BVereitlung der Wiederhers ftellung des Tempels zu Serufalem burd) Julian (S. 89), fo mie bie philoſophiſche Kritif diefes Wunders. Im zehnten Vortrage beweift der Verf. aus ber Goͤttlichkeit des Stifters vom Gfriftentjum, taf aud) Diefes deßhalb göttlich fein müffe. Gr geht von bem Principe aus: Man fann aud) von der Kenntniß der Urſache fif Bahn breden zur Erfenntniß ber Wirfungen. Man fann daher nicht bloß aus ben Mitteln und Wirfungen, fonbern aud) aus der Urfahe aus der Betrachtung des Urhe⸗ bers vom Chriſtenthum feinen göttlichen Urfprung nad: weifen (€. 98). Denn if ber Stifter deſſelben göttlich und himmliſch, fo muß das Gfriftentfum nothwendiget Weiſe aud) göttlich und himmliſch fein. Er unterfucht zu diefem Gnbjmed: Wer Chriſtus war? Die Antrort if nad Sob. 1, 14: das fleijfjgemorbene Wort. Er ift daher nicht bloß Menſch, fonbern aud) Gott. Auch ald Menſch ift er erhaben über das ganze Menfchengefchleht. „Es erhöhen ihn über baffelbe fein Urfprung, feine Heir

katholiſche Lehrvorträge. 495

ligfeit und bie hehre Größe feiner Perſon“ (S. 100). „Denn bie Perſon Chrifti ift eine, unb zwar eine göttliche“ (Θ. 102).

Im eilften Vortrage betrachtet ber Verf. die Größe Jeſu, infofern er Menfh war. Er erweift biefelbe aus feiner erhabenen Abſicht, allen Menfchen Heil in bem Ber reiche des Sittlichen und Religiöfen zu bringen (S. 106). Er zeigt deßhalb, daß Chriſtus alle Heroen ber Menfchheit weit übertrifft; denn fold einen nüßlihen und erfabe- nen Rathſchluß findet man weder in ber Geſchichte, nod) in ber Mythologie, nod) in ber Fabellehre. Er ift daher „das edelfte Hochbild der Menſchheit“ (S. 115), unb ein himmliſcher göttlicher Menſch. Schön ift in biefem Vor—⸗ trage befonders bief dargeftellt (S. 143 u. 114): warum Chriſtus den großen Weltweifen Sofrates an ΠιΠ ες Größe weit übertreffe.

Im zwölften Vortrage zeigt ber Verf, bafi bic Größe Ehrifti nicht bloß in feiner erhabenen Abſicht beftehe, das Heil in der religiöfen und fittlichen Beziehung der ganzen Menſchheit zu bringen, fondern aud) in bem Werke ber herrlichen Durchführung diefes edlen Rathſchluſſes (S. 118). Den Anfang hiezu machte er mit ber Erleuchtung des Berftandes, weil „das Wahre die Grundlage und bie Gtüpe des Guten ig" (S. 119. „Deßhalb volführte er zuerft das Amt eines allgemeinen Propheten." Er ift auch der höchfte Prophet. Denn er war ein Freund, Bertrauter Gottes, weil er ber eigene Sohn des Aller- hoͤchſten ift: „er hat im Schooße des Vaters Alles ver» nommen.“ Bir fönnen nidjt umhin, hier eine Bemer⸗ fung beizufügen: Es befürchten heutzutage Einige, daß Ehriftus als hoͤchſter Prophet negirt werde, wenn man

Stool. Quartalſchr. 1858. III. Heft. 33

496 Baffaglla,

‚ein fpeculatives Verſtaͤndniß der Dogmen anftrebt. Allein dieß ift nicht und nimmer zu fürdten. Denn ber Glaube bleibt ja immer die hoͤchſte Norm, wornach bie fpeculativen Reconftructionen der Dogmen geprüft werden müffen, ob fie wahr find ober nicht. Auch erkennt die wahre Philo⸗ | fophie es felbft, daß die Auctorität Chrifti als göttliche fiherer ift alà bie Auctorität des endlichen und nicht in- falibfen Denfgeiftes. Die Vernunftbeweife für bie Do men find nur eine Beftätigung von bem (don gewiſſen | Glauben, alfo gerade ein Seugnif für bie Wahrheit bof Chriſtus eben ob feiner göttlichen Infallibilität ber höchfe Prophet des Menſchengeſchlechtes if. Im breigebnten Bortrage geht der Verf. von dem Grundfage aus, daf bem Menſchen theoretifhe oder fpeeulative Wahrheiten nöthig find, „weil er mit Vernunft begabt ift, und ſonach in bem höchften Theile feiner fefbft von ber Grfenntnif des Wahren lebt,“ und daß er ebenfo aud) ber practifchen Wahrheiten bebürfe, weil er frei ift, unb fid) felbftthätig entwideln muß (S. 129). „If daher Chriſtus ber Prophet ber Propheten, und wollte er mit feiner Lehre bie Men ſchen in ber That neu umgeftalten; fo muß man nothe wendiger Weife bie Ueberzeugung gewinnen, baf er be felben ſowohl bie eine als bie andere Gattung von Wahrheiten geoffenbaret, daß er nicht minder mit ben fpeeulativen Wahrheiten erleuchtet, ald durch bie feſte Richtſchnur ber practifhen zum Guten geleitet habe” (S. 129 u. 130). Scharffinnig hat der Verf. hier be merkt, daß bermalen bie natürliche Sittenlchre zur Gv teihung ber Beflimmung nicht genüge. Denn man fann nicht (agen, „es bebürfe feiner Seldftverläugnung, bief alles werde durch bie Maͤßigkeit vollfommen und

tatholiſche Lehrvorträge. 497

reichlich erfegt." „Bei einer harmonifchen und wohlgeord⸗ neten Natur gelten die Gefebe des Gleichgewichtes, bie Regeln der Mäßigfeit für notbmenbig unb vollfommen hinreichend. Aber genügen biefe etma aud) für eine aus der rechten Ordnung gerifjene unb verfehrte Natur? Sicher reihen fie für eine [olde nicht bin" (S. 132). Aud wir haben diefelbe Anficht in einer Broſchüre ἢ) ju beweifen verfudjt, daß bie natürlihe Moral nicht ausreihe zur Erfüllung ber Beftimmung nad bem falle des Urmen- fen, und daß deßhalb eine pofitive Offenbarungsmoral nothwendig fei. Aber allerdings mußte Chriftus aud) ſpeculative Wahrheiten (neue Glaubenslehren) offenbaren, welde fid eben auf bie neuen Verhaͤltniſſe bezogen, in bie Gott zu dem Menfchen durch bie That der Erlöfung getreten.

Im vierzehnten Bortrage erhärtet ber Verf. baf Chriſtus als allgemeiner Lehrer ber Welt ben Weg der Auctorität und des Glaubens eingefhlagen habe (S. 142 146). Denn bief bezeugen die Evangelien. Hierauf bemeift er weiter, daß der Weg des Glaubens, der Auctorität nicht bloß möglich, fondern aud) geziemend fei; daß er gefors

* bert ward, „durch bie richtigen Folgerungen, welche fid) aus einer aufmerffamen Betrachtung ber fonftigen Hand⸗ Tungétoeife Gottes, aus vergleihenden Beobachtungen unb aus der Erfahrung ergeben" (S. 148). 1. Der Weg des Glaubens ift möglih. Denn, fagt der Verf. richtig, if e ein Θείεθ des Geiftes, nad) der Vernunft fid) zu richten, fo ift e& nicht minder ein demfelben Geifte inne» wohnendes Gejeb, der erfannten Auctorität fid) zu fügen.

1) „Die Nothwendigkeit der dicifil. Offenbarungsmoral und ifr phie ſophiſcher Standpunkt.” Tübingen, 1850, S. 1-60.

83"

. 498 Baffaglia,

Iſt εὖ ein Gefeg des Beiftes, der Wiſſenſchaft fid) gefebrig zu unterwerfen, fo ift es ebenfo ein Gefeh des Denkens, bei bem Glauben fid) zu beruhigen" (G. 146). 2. „Nicht minder Mar und augenfheinlih muß aud das Gezie⸗ mende einer foldhen Erziehung eradhtet werden. Denn wer ift denn Jeſus, ber allgemeine Lehrer des Menſchen⸗ geſchlechtes? Er ift das Wort Gottes, bie ewig erzeugte Weisheit. Nun fagt, welche Art und Weiſe des Unterr- richts geziemte fi für einen fo Doderfabenen Lehrer? Etwa eine Art, wie fie den Menfchen eigen if, ben Philoſophen ? eine Belehrung burd) Vernunftſchluͤſſe. Nichts weniger, als dies.” (6. 147). 3. Der Weg der Auctos tität, des Glaubens war aber aud) burd) die Erfahrung gerathen. „Sagt, was hatte man benn im Laufe von dreißig Jahrhunderten durch bie Vernunft erreicht, und durch bie Wiffenfhaft errungen? Einen Blid auf bie Geſchichte der Philofophiel Was fehen wir ba? Wir fehen ba, daß bie Gebnfudt des Sofrates, das feufzende Verlangen des SBlato nad) einem Gefandten des Himmels, der mit hoͤchſter Auctorität und Macht die Wahrheit ent» huͤllen follte, für ben Flarften 9fuébrud des Gefühle erachtet werden muß, daß die SBernuft nicht genügt, umb bie Wiffenfhaft der hohen unb ſchweren Aufgabe, bie Menfchen bem fhmählichen Joche des Irrthums zu ent reißen, keineswegs gewachſen fid) zeigt” (&. 149).

Das Mittel der Wiſſenſchaft war auch „ungeeignet für die Wahrheiten, welche geoffenbart werben follten. Denn εὖ gab darunter nit wenige, welde über ben Blid der Vernunft erhaben waren. Ungeeignet aber außerdem für bie Menfchen, welden man jene Wahrheiten offenbaren wollte" (S. 149). . Denn fle waren größten«

katholiſche Lehrvorträge. 499

theils nicht (eiit zu begreifen, bie meiften febr ſchwer zu finden, unb bie Beweisführungen dafür nicht gemeinvers ſtaͤndlich. Sie fordern eine höhere Bildung. Allein diefe ift nicht allgemein, und wird aud) niemals allgemein erre ſchend fein (S. 150). „Die allgemeine Unterweifung des Menſcheng eſchlechtes kann daher mittelft ber Vernunft und mittelft der Wiffenfhaft weder begonnen noch durchgeführt werben” (S. 151). Es bleibt begfalb nur ber Weg des Glaubens, der Auctorität als das allgemeine Mittel des Unterrichtes für das Menfchengefhleht übrig. Diefer Vortrag ift vielleicht ber originellfte vor allen andern. Nicht viel minder ausgezeichnet ift aud) der folgende fünf» zehnte Vortrag. Im biefem zeigt ber Berf. ba „der Weg, um zur fihern Erkenntniß des Heiles und des Glaubens zu gelangen, fteté der nämliche war und fein wird," unb daß, „wie vom Anfange an das Hören, die Auctorität und das unfehlbare Lehramt ald nothwendig galt; auch bis zum legten Ende ber Tage das Hören, bie Auctorität und das unfehlbare Lehramt nothwendig und feftbeftehend fein werde" (5. 165). Der Weg der Auctorität ift bem Chriſtenthume wefentlih. Sagt man aber dagegen, „daß das Lefen und bie eigene Auslegung ber heil. Schriften“ (allein) „das von Jefus beftimmte Mittel fei, um zum Beige der Wahrheit des Heiles zu gelangen," fo heißt bief fo viel, als mit bem einhelligen Zeugniß der Kirchen⸗ väter in Widerfpruch fommen, und „die Einheit im Glau—⸗ ben“ (nod) fönnte hinzugefügt werben: unb ebenfo bie Voll⸗ ftánbigfeit im Glauben) „zur Unmöglichkeit machen" (©. 166).

Im fechszehnten Vortrage endlich beweift der Verf. zum Schluffe nod, daß bie Fatholifche Kicche bie wahre (bie vollfommene) fei, deßhalb weil fie bie Art und Weife

500 Baffaglia, katholiſche Schruorträge.

des Unterrichtes befigt, welche allein ber Kirche Chriſti, des menſchgeworden Logos, geziemen fann, naͤhmlich: bie Art des Unterrichtes burd) eine unfehldare Lehramtsauc- torität, ba fle vom 81. Geifte geleitet wird. „Diefe Weife allein," bemerkt der Verf. treffend, „ift geeignet, das ber flánbige Wirken des Alerhöchften in der Kirche anſchaulich zu machen“ (Θ. 178).

Wir hätten fonac die Grundgedanken des Verf. über bie Apologetif fennen gelernt. Wir ftimmen benfelben volfommen bei, und fónnen fie nur al6 tiefbegründete, und für die Wiſſenſchaft als förberliche bezeichnen. Was bie nod) übrigen fünf Vorträge betrifft, welche einige von unferer Zeit angefochtene Glaubenswahrheiten vertheidigen, fo find fie gleichfalls lobenswerth. Beſonders bünft uns unter denfelben der neunjefnte Vortrag (über das Gebot der Beichte), meifterhaft bucchgeführt zu fein. Wir fónnen biefe bogmati(den Eonferenzen bemnad) ben Geelforgern mit Recht empfehlen, befonders folhen Predigern, welde es viel mit gebildeten Ungläubigen zu thun haben, bei welchen die durch Zweifelfucht zerftörten Grundlagen des Glaubens neuerdings gelegt werben müffen. Diefe Vor⸗ träge haben befonders das Eigenthümliche, daß jeder ber» felben fid auf ein Princip ftügt. Gibt man biefeó bem Verf. zu, was man muß, weil feine Wahrheit evibent ift, fo muß man hierauf aud) alle daraus gegogenen Folgerun⸗ gen augeftehen. Dadurch machen fle auf ben Verſtand einen großen Cinbrud, um fo mehr, ba fle zugleich mit hoher Begeifterung abgefaßt find. Wir Finnen deßhalb nicht umhin, zuleht mod) unfern Dant gegen ben Ueberfeger freundlichſt auszufprechen.

Zukrigl.

Bumiller u. Schufter, Leſebuch für kath. Volksſchulen. 501

8.

Sefebuch für katholifche Solhefdyulen. Bearbeltet von 3. Sumiller und Dr. 3. Schufter. Erſte fechfte Abthel⸗ lung. Freiburg im Breisgau. Herder'ſche Verlagsbuch- handlung. 1852. Kl. 8. Erfte Abtheilung: 83 S., zweite: 108 ©,, dritte: 132 G., vierte: 132 G., fünfte: 167 G., fehle 129. Nebft Bemerkungen zu dem Gebrauche des Leſebuchs für Fatholifche Volkeſchulen, bearbeitet von 3. Sumiller und Dr. 3. Sdjufter. Freiburg im Brels⸗ gau. Herder'ſche SMerlagébudjfanbfung. 1852. ©. 108. Preis des Ganzen 1 fl. 30 fr.

Einem Lefebuh fann unbedingt diefelbe SBebeutung für den Bolfsunterriht überhaupt zugefprochen werben, ie bem Katehismus für den Religionsunterriht. Wie t6 aber in ber Sache des Katechismus längere Zeit nicht fehr erfreulich ausfah, ebenfo finden wir e8 auch hinſicht⸗ lid eines Lefebuches für Fatholifche Volksſchulen. Die Katehismus-Angelegenheit hat ſich aber in ber Ieptern Zeit in ben meiften deutſchen Diöcefen entſchieden zum Beflern gewendet; daſſelbe läßt fid) weniger von den efe» büchern in ben Volksſchulen ſagen. Es hat zwar in ber legtern Zeit nicht an Verſuchen gefehlt, an bie Stelle ber bisher gebrauchten theild ungenügenben theild durchaus ungwedmäßigen Lefebücher in ben Fatholifhen Schulen beſſere zu bringen, aber biefe Verſuche wollten bisher nicht gelingen ; wenigftens hat fij Keines unter bem Chaos von Schulbüchern zu einem ſolchen Anfehen emporzuſchwin⸗ gen gewußt, daß es bie Andern zu verbrängen vermocht hätte. Das von Rendtſchmidt, das nicht zu verken⸗

502 Bumiller und Schuſter,

nende Vorzüge hat, nahm eine Zeit lang einen tüchtigen Anlauf, fat es aber bod) nicht weit über Schleſten bin» ausgebracht. Die meiften 9Inbern blieben auf einen mehr Ober weniger engen Kreis befhränft, wenn ihnen nicht etwa eine Oberfhulbehörde aus befonderer Gunft einen weitern Wirkungsfreis anwies.

Es gebricht barum unmiderfprechlih an einem Fathor liſchen Volksſchule⸗-Leſebuch, das billigen Anforderungen entfpriht, unb bem Schulunterrichte in feinen nothwenbigen Klaffenabftufungen ohne Bedenken zu Grunde gelegt were ben Fönnte. Ein jeder aud) irgendwie glüdliche SBerfud) in biefem Felde muß willfommen fein, bis ein Werk fif Bahn bridjt unb bie Zuftimmung eines fo großen Theile der Schulmänner findet, daß εὖ in ganzen Ländern als obligates Schulbuch eingeführt werden fann. Letzteres wirb freitih um fo (derer fein, je weiter bie Anforderungen gerade ber Fachmaͤnner an fragliches Schulbuch auseinan« bergefen. Ob das Sefebud) für katholiſche Volksſchulen, das wit eben einer furgen SBefpredjung zu unterftellen im Begriffe find, jenen durchgreifenden Erfolg haben werde, Táft fid) nad) den bißherigen febr günftigen Beurtheilungen, bie e8 innerhalb kurzer Zeit in nicht geringer Anzahl ger funben, vermuthen. Sollte εὖ aber biefe& Glüdes, das es unfers Erachtens feinem Werthe und Gehalte nad) in der That verdienen würde, durch mas immer für eine Ungunft nicht theilhaftig werden, fo wird ihm bod) das Verdienft nicht ftreitig gemacht werden fónnen, bie Löfung der Aufgabe hinſichtlich des Vollsſchul⸗Leſebuchs nambaft gefördert und ;feinem Ziele um ein Bedeutendes näher gerüdt zu haben.

Die SBerfaffer gingen von einer durchaus richtigen

Leſebuch für katholiſche Volksſchulen. 503

Anfiht aus, wenn fie glaubten, es follte den Kindern während ihrer Schuljahre nidjt ein buntes Durcheinander von Lefebüchern in bie Hände gegeben werben, von denen Keines weder in Beziehung auf Inhalt, nod) in Beziehung auf Form in einem genau berechneten Verhältniffe zum Andern fteht. Sie wollten barum nicht ein gefebud) lies fern, das blos für bie höhern Schulklaſſen ben nöthigen Leſeſtoff enthielte, fondern ein Gdjulbud), das von bem erften Jahre des Schulbefuches bis zu bem legten ale Unterlage des Leſe⸗ und Sprachunterrichtes dienen fónnte. Diefem gemäß fonnten fie eine fletige Fortentwicklung im Ausdrud und in fpradlider Darftellung im Verhältnig zu der Weiterbildung des Kindes genau einhalten, und nad bem Alter, bem Berürfniffe unb den Fähigkeiten den Lefeftoff auswählen. Ein ſolches wie aus Einem Guffe hervorgegangenes, in Hinficht auf fpradjide Darftellung und Stoffauswahl für bie aufeinanderfolgenden Schuljahre genau beredjneteó Schulleſebuch ift in didaftifcher Beziehung einem Gonglomerat von Lehrmitteln, bie den Kindern in bie Hand gegeben werben, und bie bald aus diefen, bald aus jenen Büchleins beftehen, oftmals wie fie gerade ber Zufall zufammenwürfelt, gewiß weit vorzuziehen. Durch bie für die Bildung eines jeden Schuljahres entfpredjenbe ſprachliche Darftellung, von dem einfaden Sage für das exfte Jahr bis zu bem zufammengefegten Sage und Satz⸗ gefüge u. f. w. für bie fpätern Schuljahre fortſchreitend, bildet εὖ einen ganz zwedmäßigen Anhaltspunkt, ben Sprach⸗ unterricht mit ben gefeübungen in ber Schule zu verbin⸗ ben, was aud) in der Abficht ber Verf. liegt und als ber allein vernünftige Sprachunterricht in den Elementarfchulen angefehen werden fann.

504 Bumiller und Schuſter,

Auch darin ſcheinen die Verf. dem Referenten von der richtigen Anſicht geleitet worden zu ſein, daß ſie ſich bei der Stoffauswahl nicht an abftrafte theoretiſche Grund⸗ fäge hielten, ſondern immer bie geiſtige Entwicklung und bie geiftigen SBebürfniffe der Kinder ber jeweiligen Alters flafie auf den Grund von gemachten Erfahrungen berüd, ſichtigten. Sie haben daher nidt für ben niebrigften Jahrescurs etwa blos eine Furze Lehre von Gott (Gott büdjlein), für ben zweiten unb britten nicht etwa blos Geſchichtchen (bie verfehiedenen Geſchichtsbüͤchlein) aufge nommen, und für bie fpäteren Jahre ben Stoff nidt abgetheilt nach fyftematifhen Rubriten wie Gieelenlefre, Naturlehre, Himmelsfunde ıc., fondern fie haben für bie Jahrescurfe nebeneinander dasjenige ausgewählt, was ges tabe für Weiterbildung der Kinder, ihre Bebürfniffe und Faſ⸗ fungsfräfte paffenb ſchien. Damit Fönnen fie den weitern Bed. erreichen, den fie fid) votgeftedt haben, daß nämlich „das Schulbudy dem Schüler ein liebes Bud) wird, das ex in freien Augenbliden mit Luft ergreift, liest und wieder liest, fo daß er baffebe endlich beinahe auswendig Tann,

‚und das Gelernte in Fleiſch und Blut übergeht. Nur fo, fagen bie Verf., erreichen wir unfer Ziel, das ber Wahl fprud) bezeichnet: wir lernen nidjt für bie Schule, fondern für das Leben. Nur fo wird das Buch ein Vademecum für bie Lebenszeit des Schülers, wozu wir ed machen wollten, indem wir das Nügliche mit bem Angenehmen zu verbinden beftrebt waren.”

Das gefebud) liegt nad) feiner gegenwärtigen Geftalt in ſechs Abtheilungen vor und. Die erften vier find auf bie vier erfen Jahrescurſe der Elementarſchule berechnet, bie zwei leßtern, von denen Eine ausſchließlich ber Ges

Leſebuch für katholiſche Volksſchulen. 505

ſchichte gewidmet iſt, auf die letzten Schuljahre. Jede Ab⸗ theilung bildet fuͤr ſich ein Ganzes und kann als ſolches den Kindern, je nachdem fte εὖ brauchen, in die Hände gegeben werben.

Die erſte Abtheilung, welche dem Kinde bei feinem erfjährigen Unterrichte in die Hand gegeben unb zur Grundlage des Schreib» unb Lefeunterrichts gemacht werben fll, geht von ben einfachften Vorübungen zum Schreiben und ber Lautlehre fort bis zu Lefeftüden in ber einfachften Redeform und von folhem Inhalte, wie er für Kinder jenes Alters Tehrreich "unb zugleich angiefenb ift. Da ber Säreiblefeunterricht in unfern Schulen fo einheimifch ge» worden ift, daß ein vom Schreibunterrichte abgefonderter fefeunterrid)t felten mehr üblich ift, und ba jene Unter» richtsmethode entfchiedene Vorzüge vor ber [egtern hat, fo haben bie Verf. mit Recht das Lefebüchlein für bie erfte Kaffe für ben Schreiblefeunterricht eingerichtet. Der Gang des Refebuches für ben genannten Unterricht muß als febr grünblid) unb methodiſch bezeichnet werden. Eben wegen der Grünblidfeit fehreitet er etwas Iangfam vorwärts, wobei er freilich des Zieles um fo fiherer ift. Dem Ref. hat bei der fraglichen Unterrihtsmethode immer ber Ums fand einige Bedenken gemacht, daß man fid) fo [ange bei ben bloßen Buchftabenzeihen aufhalten muß und nad) Wochen ετῇ einige Buchftabenzufammenfegungen vornehmen fann, und erft nad) Verlauf von faft einem halben Jahre durch alle SBudjftaben fihreibend und lefenb fid) hindurch gewunden hat unb in ber Regel erft nad) Verfluß von, diefer Zeit finnbezeichnende Worte oder einfache Säge leſen

, laffen fann. Wenn der Lehrer nicht viel Lebendigkeit und Intereſſe zeigt, fo tritt leicht bie Gefahr ein, baf bie tin«

506 Bumiller und Schufter,

ber ermüben und bie Eltern zu Haufe unbefriedigt find, da fie bie Früchte des Schulbefuhes im Saplefen bälder finden möchten, nichts davon zu fagen, bag bei bem Schreiblefeunterricht in ber Regel zu Haufe wenig ober gar nicht nadjgefolfen werden kann. Nach bem einfeitigen Lefeunterrichte, fel e8 nad) ber Lautir» oder Buchſtabir⸗ methode, kommen bie Kinder viel bälder zum Wort» unb Saplefen. Freilich tritt dann ein Stillſtand ein, wenn nod der Schreibunterriht nachgeholt werben foll, der in diefem Galle gewöhnlih nur ein gang mechaniſcher ift, während bei dem Schreiblefeunterrichte, wenn bie erften Schwierigkeiten überwunden find, bie Fortſchritte im Lefen und Schreiben febr raſch und in bie Augen fallend find. Ref. ift für Beibehaltung des Schreiblefeunterrihts, hätte aber gewünfcht, daß ber Gang etwas raſcher und abge fürzter wäre, denn es bünft ihm bod) etwas zu viel deut ffe Gründlicgfeit, wenn Kinder im erften Halbjahre des Schulbeſuches nur zur fenntnif der fleinen Buchftaben und zum Lefen abgeriffener Worte ohne alle Sapverbins bung fommen. Es follten meines Erachtens wenigftens ſchon früher, fo bald den Kindern ein größerer Theil von Buchftaben befannt ift, Heine Säge für bie Leſeübungen aufgenommen fein, anftatt der aneinanbergereihten unver bundenen Worte, deren Ablefen die Kinder fehr ermübet und am Ende aud) febr langweilt. Hiemit wollen wir dem Leſebüchlein, defien wohldurchdachten, gründlichen unb methodifhen Gang wir gerne anerkennen, nicht zu nahe „treten; τοῖν wollen nur auf bie ſchwache Seite diefer Mer thode an fid) hinmeifen, unb unfere Meinung dahin auss fpreden, daß das in der Methode naturgemäß liegende Tangfame Vorwärtsfchreiten im Lefen nicht burd) eine

Leſebuch für Eatholifche Volkoſchulen. 507

Gründlickeit in ber Handhabung ber Methode erhöht werben möchte, welche zwar anerfennenswerth ift, aber viel- fad) nicht anerfannt werden wird. Die Behandlung ber Methode zeugt übrigens von einem nicht blos Außerlichen, fondern tief eingehenden S8erftünbniffe unb einer ſichern Verfolgung und Handhabung berjelben. Bon großem Werthe find bie Bemerkungen zu ber erften Abtheilung des Lefebuches; diefelben Fönnen für jeben Schulfehrer, der ſich an biefe Unterrichtsmethode hält, von febr großem infteuftivem Nugen fein. Die Lefeftüde, welde (5. 50—83 für bie bezeichnete erfte (affe aufgenommen find, finden wir ſehr gut. Sie find durhaus ber Erfahrung, Ans ſchauung und, dem SBebürfniffe ber Kinder dieſes Alters angepaßt. Sie dienen theils zu beffen Belehrung, theils au beffen Anregung, tfeiló zu beffen Grbeiterung. Die Sapform ift einfad) und durchaus der Bildung und δα fungsfraft der Kinder entſprechend. Die erften Lefeftüde enthalten lauter reine einfache Säge, welche fid) aber all mählig erweitern. Die Stüde in gebunbener 9tebemeife werben den Kindern willfommen fein, und eignen fid) ber fonders zum Memoriren.

Die zweite Abtheilung unfers Leſebuches, für die zweite Schulflaffe.beftimmt, enthält auf 108 Seiten und in 112 2efeftüden größere und kleinere Befchreibungen (aus der Naturgefhichte u. f. vo.) Erzählungen, Lieder, Sprüche, Fabeln und Märchen. Obgleich biefe Lefeftüde nicht nad) ihrem Inhalte rubricirt find, fondern ganz unter» einander gemiſcht erfheinen, fo waren bod) bie Verf. bei ihrer Auswahl von beftimmten Grundfägen geleitet, melde in ben Bemerkungen ©. 37 fig. angegeben find. Eine bedeutende Anzahl der gebrftüde foll die Kinder auf Gott

508 Bumiller und Schuſter,

hinleiten, und ihnen denſelben als Schoͤpfer und Erhalter der Welt, als allgegenwärtig unb allwiſſend, als Freund ber Kinder u. f. f. zeigen. Andere efeftüde zeigen ben fin. bern, was fie ihren Eltern verbanfen, und wie fie fih gegen biefelben zu benehmen haben; wieder Andere halten ihnen die Gebreden des Kindesalters unb bie entgegen: geſetzten guten Eigenſchaften beffelben vor Augen, belehren fie über die Strafwürdigfeit der Thierquälerei, des Dich ſtahls, der Lüge, verweifen fie auf die Stimme des Gr wiſſens u. berg. G8 wird gewiß Jedermann mit bem Stoffgebiete, welches in diefer Abtheilung Berüdfichtigung fand, zufrieden und aus pädagogifchen Gründen ganz mit ben Verf. einverftanden fein, wenn fte tje Lefeftüde in bem Büchlein nit nad dem Stoffgebiete, bem fle ent nommen find, zufammenorbneten.

Die formelle Behandlung des Lefeftoffs finden wir der Bildungsftufe der betreffenden Altersflafje ganz ent fpredjenb. Es Haben ziemlich viele gefeftüde in poetiſcher form Aufnahme gefunden, weil, wie bie Bemerkungen 6. 37 mit Recht fagen, die Natur des Kindes in dieſer Periode vorwiegend eine poetifche ift. Sonft ift bie Sprade ganz εἰπία und finblid), bie Verbindungsmwörter, patti fein u. f. f; find nod) wenig gebraucht.

Die Bemerkungen zu diefer Abtheilung find ben Leh⸗ tern febr zu empfehlen, insbefondere was ©. 53 ffg. über den grammatifalijden Unterricht (Sprachlehre) in ber Ele mentarſchule gefagt if. Die Befolgung der hier gegebenen Winke würde Kindern unb Lehrern mandje Quaͤlereien und unnüge Zeitvergeubungen erfparen.

In der dritten Abtheilung des Leſebuchs ift das eigents lid) veligiöfe Gebiet wenig berückſichtigt worben, weil mar

Leſebuch für katholiſche Volksſchulen. 509

für biefe Alteröflaffe faft überall eine bibliſche Geſchichte als zweites Leſebuch beigieht. Die gefeftüde, meiftens Er- zaͤhlungen und Befchreibungen aus ber Naturgefchichte, feinen dem Referenten durchaus gut unb zwedmäßig ausgewählt. Auch bier Fann id nicht umbin, auf bie Bemerkungen zu biefer Abtheilung ©. 62 fig. aufmerf(am ju maden. 3d bin ganz mit bem Verf. einverftanden, wenn berfelbe bie von ben Lehrern fo fehr vernachläffigte Reproduktion des Gelefenen für bie befte Sprachuͤbung erHlärt, und wiederholt darauf hinweist, daß den Kindern das Verſtaͤndniß des Gelefenen zu erſchließen fei und daß ihnen die Sprachformen, Wortflaflen u. f. w. an ber Hand des Gelefenen nad) und nad) zum Bewußtfein zu bringen feien, und wie dieſes zu geſchehen habe.

Die vierte Abteilung , die bem vierten Schuljahre zufällt, enthält einige veligiöfe Lieder und Erzählungen, einige Fabeln, einige Räthfel, Beſchreibungen aus ber Naturgefhichte. Die Verf. waren von einem richtigen Tafte geleitet, wenn fie in ben erflen Abtheilungen ber Anfhauung der Kinder naheliegende Raturgegenftände, Shiere und Pflanzen beſchrieben, jegt aber den Schüler in ben Mittheilungen aus der Naturfunde etwas mehr in die Ferne führen. Auch mit biefer Stoffauswahl und mit der Sprach- unb Darftellungsweife fónnen wir uns vollftändig zufrieden erflären. Das Räthfel S.20 „Tabak“ erſcheint für Kinder nicht recht geeignet. Die Bemerkungen für ben Sprachunterricht in biefer Abtheilung find aud) {εὖτ beachtenswerth.

An die genannten vier Abtheilungen fließt fid) eine fünfte an, welche als 2efemittel für die weitern Schul« Hoffen dienen foll. Diefe if aber nicht fo ausgedehnt,

510 Bumiller und Schuſter,

wie εὖ bie Leſebuͤcher fuͤr dieſe Klaſſe gewöhnlich zu fein pflegen. Sie enthaͤlt uͤbrigens doch auf einem Raume von 167 Seiten einen ſehr reichhaltigen, mit kluger Be tehnung und erfahrungsmäßiger Umfiht ausgewählten Stof. Mit 9tedt nehmen die Verf. an, daß ein großer Theil unferer Schulen nicht fo beftellt ift, daß jede Ab theilung ihres Lefebuches Jahr für Jahr vollfändig ev lebigt werden fónnte, unb fomit nod 3—4 Jahre be fünften Abtheilung zufielen. Es wird nicht felten ber Fall fein, daß in Schulen, insbefondere wenn man nod) die biblifde Geſchichte und etwa ein Gefangbud) zu ben Lee übungen benüßt, bie erflen vier Abtheilungen für fede Schuljahre ausreichen. Für biefen Fall enthalten die fünf Adtheilungen unferes Lefebuches Material genug; unb hat ein Kind Alles, was darin vorkommt, in fid) aufgenom- men, fo befigt e unftreitig eine für das gewöhnliche Leben weitaus ausreichende Bildung. Ein weiterer Umfang det Refebuches wäre für folche Schulen nur flärend und hin bernb. Dagegen haben die Verf. auf diejenigen Schulen Rüdfiht genommen, welche Zeit und Bebürfniß für einen größern Umfang des Lefematerials haben. Diefes geídjiebt burd) eigene Abtheilungen für bie fogenannten realiſtiſchen Bücher, unter denen eine der Geſchichte, eine ber mathes matifchen Geographie (Naturlehre, Himmelskunde), eine ber Naturgefhichte zufällt; bie erſte biefer Abtheilungen, bie Gefdidte, ift bereitó bem Lefebuch beigefügt, bie an» dern zwei Abtheilungen find nod) ju erwarten. Ref. billigt dieſes Verfahren vollftändig; denn bie ganbídjulen haben weber bie Zeit nod) bie Aufgabe, wie fle gut organifirte Stadtſchulen haben, deßhalb muß auch in bem widtigiten Unterrichtsmittel, in bem Leſebuch, ein. Unterfchied fein.

Leſebuch Für. datholiſche Volkeſchulen. 51

Auf paffenbere Weife [àft fid) diefes wohl nicht bewerk⸗ ftelligen, als es von den Verf. des Leſebuchs gefchehen if. Die weitere Abtheilung Aber Geſchichte fann in manden Schulen nod) beigegogen werden, in denen man aber bie mathematifhe Geographie und Naturgefhichte in specie leicht entbehren fann, um fo mehr, ba das Nothwendigſte aus biefen Wiflenszweigen in ben vorauégefenben Abtheis lungen namentlich in der fünften aufgenommen ift.

Sn der Abtheilung für Geſchichte ift wohl der rechte Weg in der Behandlung biefer Materie für ein Schuls lefebud) eingefchlagen worden. Wollte man eine Gfüge der gangen Weltgeſchichte geben, fo müßte biefe fo troden und widerlich erfcheinen, daß man feinen Zwed in ber Schule ganz verfehlte. Dagegen hat das gefebud) mit Recht binfidtlid ber alten Völker je eine hervorſtechende SBerfónlidjfeit ober Begebenheit hervorgehoben unb daran Furz die Gefdichte des ganzen Volkes gefnüpft in einer belebten und anfdauliden Sprache. Bon ben Zeiten nach Chriſtus if in der Regel je in einem Jahrhundert bie wichtigfte Berfon ober Begebenheit herausgegriffen und das Andere auf der Seite gelafien worden, was bei bem engbegrengten Raume, ipie er einem gefebud) jugemeffen ifi, nicht wohl anders fein fann. Darüber hat fid) Stef.

^ gewundert, daß über bie Kirhentrennung im ſechszehnten Jahrhunderte, bie auf der enigegefegten Seite fo febr zu unferm 8Radjtbeile ausgebeutet wird, nicht mehr, unb von dem Concil von Trient gar nichts gefagt if. Auch von dem adıtzehnten Jahrhundert bis zur Hinrichtung Lub- wigs XVI. ift nichts erwähnt.

Betrachten wir vorliegendes Leſebuch für katholiſche Volloſchulen, fo finden wir es feiner ganzen Anlage nad)

«Sie. Duartaligrift. 4868. III. Gef. 34

$12 Bumiller und Giufter,

feinem Zwede volllommen entſprechend. Auch bie Ausfuͤh⸗ ‚zung ift mad) Inhalt unb form als eine gelungene pu bezeichnen. Es ift wohl bei einem Giegenftanbe, wie ber fragliche ift, nicht leicht anzunehmen, daß bie Forderungen unb Wünfche Aller in gleicher Weife befriedigt fein wer⸗ den, wenn ein gefebud) an fid) aud) nod fo gut if. Auch unfer gefebud) fann wohl nicht bie Anfichten Aller getroffen haben, unb mag im Einzelnen manche Ausftellungen ec» leiden. Begibt man fid) aber feiner eigenen vielleicht nicht gut begründeten perfönlichen Wuͤnſche und Anfihten, unb ftellt man fid auf einen objektiven Standpunkt, welder qut richtigen Beurtheilung eines folhen Buches unum⸗ günglid) nothwendig ik, und liest man mit Bedacht bie Bemerkungen, welche zur Rechtfertigung begiehungsweife Orientirung über das gewählte Material und bie Sprach⸗ form dienen, fo wird man bie Tüchtigkeit und Zweckmaͤßig⸗ feit dieſes Lefebuches nicht in Abrede ftellen Fönnen. Ref. wenigftens nimmt feinen Anftand zu behaupten, baf am bet Hand dieſes Lefebuches gewiß eine erfprießlichere Schul» bildung erzielt werde als burd) Benägung irgend anderer bisher vorhandener Schulleſebuͤcher. Derfelbe macht neben dem Vielen, was bisher [don zu beffem Gunften gefagt wurde, nod) auf ben Umftand aufmerkſam, daß baffelbe in allen feinen Abtheilungen, ohne daß εὖ im entferntefen gefünftelt oder gefucht erfcheint, wie es in derartigen Bi» Gern nicht felten ber Sall ift, auf bie Erziehung einer durchgaͤngigen chriſtlichen Anſchauung des Lebens und aller Erfcheinungen ausgeht. Diefes Streben tritt wie im Ganzen fo aud in den einzelnen Leſeſtücken wohlthuend hervor. Sodann hat jeder Schullehrer in den Bemer⸗ ungen zu biefem Lefebuche einen Gommentaz, ber von ber

Leſebuch für fatfolifije Volksfegulen, 513

gediegenen Bildung und befonnenen Beobachtung eines durhaus gewandten Schulmanns zeugt, und daher jedem Lehrer bei ber Benügung des Leſebuches die trefflichſten Dienfte zu leiſten im Stande ift.

Diefem gemäß ftehen wir nidjt an, unfern Wunſch dahin auszufprechen, es möchten bie Oberbehörden unferer Säulen diefem Buche ihre Aufmerkfamfeit zuwenden, und daſſelbe ftatt der bisherigen in fo ungeregelter Weiſe ge^ brauchten Lefebücher in ben Schulen einführen. Nach ben bisher gemachten Erfahrungen auf fatboli(der und protes Rantifcher Seite ift es zweifelhaft, ob je einmal die Ar» beit eines gewählten officiófen Ausfhufles gelingen werde. Gelingt εὖ aber, fo ift fehr zu befürchten, daß man auf biefem Wege bidleibige Bücher befomme, deren Anfhaffung ſehr Foftfpielig und deren Gebraud in vielen Schulen nicht möglich if. Das Lefebud von Bumiller und Schufter vereinigt fo viele Vorzüge, daß die Schulbildung durch Einführung beffeben nur gewinnen fónnte.

Man hat vielleiht Bedenken wegen des Koftenpunftes. Mein abgefehen davon, daß bie einzelnen Abtheilungen Hein find, unb bei großer Verbreitung fehr wohlfeil wer⸗ den fónnten, find die Lefemittel gegenwärtig aud) nicht gat fo wohlfeil, ba ein Kind während feines Schulfurfes im» merhin 3, 4 bis 5 Stüge von Lefebüchern (Handfibel oder Gottbüdhlein, Spruchbuͤchlein, Geſchichtbuͤchlein, eigentliches Refebuch) anſchaffen muß, unb jedenfalls ein neuzufertigendes Leſebuch, das fi auf alle Schulflaffen erfiredt, gewiß nicht wohlfeilee werden wird.

Dr. Bendel, Convictsdirektor.,

34*

514 Probſt,

4.

1. derwaltung der hochheiligen Euchariſtie von Serdinand Probſt, Prieſter und Doctor ber Theologie. Mit Appro= batton ber hochw. Biſchoͤflichen und Exzbtfhäfigien Ordi⸗ natlate Rottenburg unb Freiburg. Tübingen 1858, Verlag der Laupp'ſchen Buchhandlung. Raupp & Giebel. ©. 718. Pr. 3 fi. 48 fr.

2. Institutiones Liturgicae, quas ad usum seminarii Romeni digessit J. Fornici, Canonicus, ab apostolicis caeremoniis magister, s. congregationis indulgentiarum et Ss. reliquiarum. consultor, nec non in dicto Rom. seminario s. liturgiae. professor. Editio nova, cui plurimae accesserunt notae ex probatis auctoribus desumptse. Moguntiae, sumptibus Kirchhemii et Schotti. 1852. ©. 403. pr. 1 fl. 45 fr.

1. Bon ben angeführten Schriften hat bie Eine den Gejammtumfang der Liturgif, die Andere nur einen ein» zelnen Zweig derſelben zu ihrem Gegenftanbe. Beide fónnen wir aber um fo mehr willfommen heißen, als gerade dieſes Gebiet ber Fatholifhen Theologie, bie itur» gif nämlich in neuerer Zeit nur fpärlih angebaut wurde. Dr. Propft hat ben wichtigften Punct aus berfelben her» auégefoben und ihm eine einláffidje und allfeitige Dar» ſtellung gewidmet. Er hat feiner Ausführung mit vollem Stedjte bie Rubriken des Miſſale zu Grunde gelegt, babet fid) aber weit mehr Freiheit erlaubt, und mehr Geſchmack unb praftifhen Sinn bemiefen, als Bearbeiter ber ges nannten Rubrifen vor ihm, wie Gavantus, Bauldry, Quarti u. 9. Indem er nit bloß eine hiſtoriſche oder

Verwaltung ber hochhl. Gudjariftle. 515

myftiſche ober buchftäbliche ober ethiſche Auslegung der Rubrifen barbieten, fondern bem Seelforger ein bei ber Verwaltung der Euchariſtie unmittelbar nugbares Bud) in die Hand geben wollte, mußte er mit Vermeidung ber in ben Werfen ber Rubriciften nicht felten vorfommenden Spigfindigkeiten und Kleinlichkeiten immer unmittelbar auf feinen practifhen Zwed losgehen. Er mußte aud, um die Verwaltung ber Euchariſtie volftändig und nad) allen Seiten hin zu beſchreiben, Manches aufnehmen, was fi in ben Rubrifen nicht findet. Der Verf. verdient gewiß bie volle Billigung, wenn er dem Seelforger nicht blog für bie Darbringung des Mefopfers fondern aud) für bie Austheilung und bie 9[boration der heiligen Gudja« riſtie bie kirchlichen Vorſchriften auseinanderfept.

Je bedeutungsvoller der euchariſtiſche Cult nad) feiner dreifachen Beziehung in der katholiſchen Kirche iſt, deſto größeres Gewicht ift darauf zu legen, daß derſelbe bis ins Einzelnſte und ſcheinbar Unbedeutendfte mit genauer Beobachtung der Firhlihen Normen und Vorfäriften von Men und jedem Einzelnen gefeiert werde. Man hat daher Unrecht, menn man glaubt, es fomme nicht viel darauf an, ob man e8 bei ber Darbringung des hi. Meß⸗ Opfers in Dingen, bie man nicht für mefentlih in Bezug auf ben Opfereult anfehen zu müfjen glaubt, fo ober an« ders made, und man handelt ohne Widerrede fündhaft, wenn man fid) über bie Rubrifen als etwas nur nad) Belie⸗ ben Bindendes Teichtfertig hinwegfegt ober fie gar veradjtet. Eine große moͤglichſt erreichbare Einheit in ber äußern Verwaltung der Euchariſtie trägt entfhieden viel zur würbevollen und erhabenen Feier derfelben bei, unb ſchuͤtt den celebrirenden Priefter vor einem nachlaͤſſigen Schlen—

316 Brodft,

drian, ohne ifm nothwendig einem Mechaniomus anheim- gugeben.

Ge fehlt zwar nicht an Werfen Altern theilweife auch neuern Datums, welche durch Erklärung der Normen und Vorſchriften für die Beier ber heiligen Meſſe bem naͤch⸗ ften practifchen Bebürfniffe entgegenzufommen fudjen, unter jenen nennen wir vorzugsweiſe Lohner, (instructio prac- lica de Ss. missae sacrificio), unter diefen Wiedemann, Höflinger und Mohren. Probft macht fie aber burd) die Vollſtaͤndigkeit der Darfiellung entbehrlich, und übertrifft fie burd) flare und fidere Behandlung feines Stoffes.

Die Rubriken des Miffale zerfallen, wie bekannt, in allgemeine (rubricae generales) und befonbere; bie erftern find in drei Theile gefondert jedem Miffale vorgedrudt, die lehztern finden fid) zerſtreut in bem Miſſale, und dienen als Normen, die im Ablaufe bes Jahres bei den einzelnen Mefien und Mepformularien zu beobachten find, je nad) bem man fie aus bem proprium de tempore, ober de sanctis oder aus bem commune sanctorum ober aus ben S8otip ^ unb Requiemsmeffen nimmt. Probft geht bei ber Eintheilung feines Werkes aud) von biefen Rub⸗ zifen aus, fucht aber unter Zugrundlegung berfelben eine ſelbſtſtaͤndige Eintheilung zu gewinnen; er muß biefeó um . fo mehr, als er fid) aud) mit ſolchen Gegenftänden befaßt, bie von ben Rubrifen nicht normirt und befmegen in ben frühern eigentlich rubriciftifden Werfen nicht beruͤcſichtigt werben, bie aber zur giltigen, erlaubten unb würbigen Verwaltung der Euchariſtie gehören. Die Begründung der befolgten Eintheilung (&. 31 fg.) finden wir durchaus gerechtfertigt und dieſe felbft einfad) und fadjgemáf. Der Verf. handelt nämlich in der ecften Abtheilung von

Verwaltung ber hochhl. Eucharlſtie. 517

ben zur giltigen und erlaubten Verwaltung der Gudjariftie nothwendigen Grforberniffen. Diefe Grforberniffe werben in fünf Kapiteln, nämlich hinſichtlich ber Materie, ber Form, des Minifters, ber Zeit und des Ortes, und endlich bin» ſichtlich der Geräthfchaften und ber Gewaͤnder unterfudjt.

In diefer Abteilung ftóft man auf die Erörterung vieler tagen, weldje fonft in Moraltheologieen aud) vot» fommen. Wir find aber mit bem Verfaſſer ganz einver⸗ fanden, wenn er die ethifhen BVerhältniffe, welde in unmittelbarem Bezuge zu priefterlihen Bunftionen ftehen, in die Paftorialtheologie verweiſt. Indeſſen gehören bod) Ausführungen wie ©. 144 fiherlich mehr in bie Moral⸗ als Paftoraliheologie, da es fid dort um eine ethifche Materie Handelt, bie nicht ben Priefter, fonbern ben Laien angeht.

Die Materien diefer Abtheilung haben wir faft durch⸗ gängig febr far unb durchſichtig abgehandelt gefunden. Wir yerweifen befonberó auf bie $$., melde von bem Brode für bie Gudjariftie, unb von ben theilweife febr ſchwierigen fragen über bie Deferte bei der Darbringung

des heil. Meßopſers handeln. Der Verf. glaubt ben Gin» wurf Quarti's gegen bie Stubrife P. ΠΠ. tit. III. nr. 6. nicht Löfen zu fónnen, unb [egtere dennoch) als praͤceptiv annehmen zu müffen S. 50. Mir bünft, wenn man bie genannte Stubrif, welde für ben Fall, daß in einer 9Reffe ein unconſecrirbares Brod aber ein conferrirbarer Wein confecit. und genoffen wurden, vorfchreibt, daß ber Prieſter nicht blos Brod fondern aud) Wein nadhconfes criren müffe, als präceptiv fefthalten will, fo muß man fagen: bie nur einfeitig giltige Gonfecration des Weines hatte den mefentlihen Charakter des Opfers gar nicht,

518 s Probſt,

und es handelt fij daher nicht um Vervollſtän⸗ digung von dieſem, fondern.um Erneuerung.

Ginfidtfid) der Meßapplicationen an abbeftellten Feier⸗ tagen ſcheint der Verf. bie in feiner Moraftheologie aus⸗ geſprochene Anſicht ohne Dinreidenben Grund geändert zu haben ober wenigftens darin wankend geworben zu fein (Betgl. 9Inm. €. 86 f.). Die von ihm angeführten Decrete beweifen jebod) nichts für Deutfchland, unb Ref. ift trop derfelben ber beftimmten Anfiht, daß bie Pfarrer an ben duch Clemens XIV. aufgehobenen Feiertagen pro populo zu appliciren nicht verpflichtet feien 5.

Die practiſche Frage, ob und von mem im Falle an bauernber Kränflichfeit und Altersſchwaͤche eines Priefters eine Dispenfation von bem jejunium ante celebrandam missam eintreten fónne, hätte am angemefienen ‚Plage nicht umgangen werben follen.

Die zweite-Abtheilung des Buches befpricht bie Verwaltung der Gudariftie im Allgemeinen, unb zwar in einem erften Kapitel bie Gebräuche und Ceremo⸗ nien, bie fid) über bie ganze SXeffe verbreiten, wie bie Sprache, fBerbeugungen u. f. w., unb in einem zweiten Kapitel bie rituelle Eigenthuͤmlichkeit ber verſchiedenen Ber ftanbtfeife der Meſſe, und enbfid) in einem britten bie Bers waltung ber Gudjariftie außer der Meffe.

Den rituellen und rubricalen Erörterungen über bie einzelnen Meßtheile ift immer ein Paſſus vorausgefchidt, im welchem die Stellung des betreffenden Theiles in bem ganzen Organismus ber Meffe erklärt und feine Bezier hung zum ganzen Opfer gedeutet wird. Hiebei folgt

1) Vergl. unfere Erörterung über dieſen Gegenfland. Quartalſcht. 1853. ©. 812 ῇᾳ.

Verwaltung ber hochhl. Euchariftte, 519

der Verf. theils Köffing theils andern Liturgikern, theils bat er nicht ohne Gluͤck ſelbſtſtaͤndige Erklärungen vers ſucht. Das Eeremonielle, Süituelle und Stubricale ift bei den einzelnen Meßtheilen einfach und babel in fo ausges behntem Maaße abgehandelt, bag man fij über Alles Raths erholen fann, was auf die äußere lirchlich normirte Beier ber HI. Meffe Bezug hat.

Meber den häufigen Empfang ber hl. Gommunion lam man im Wefentlihen mit den Anfichten Liguori's, denen der Verf. in dieſem Punkte gefolgt iſt, einverſtanden fein, aber dabei doch wuͤnſchen, daß in einem Buche, wie das Borliegende, baó für den Gebrauch ber Seelforger beftimmt ift, einige practifche aus ber Erfahrung gefchöpfte Binfe gegeben würden. Vom theoretifhen Standpunfte aus wird man ben häufigen Empfang des Gaframenté der Gudjariftie immer betonen müffen, von bem practifchen erfahrungsmäßigen Standpunkte aus dagegen wird man einigen Einſchraͤnkungen Raum geben müffen. Die Dars fellung diefes SBuncte& in der Paſtoraltheologie von P. Vogl (Bd. U. ©. 143), ber aud) bie Anfihten Liguori’s zu Grunde [egt, hat uns beffer gefallen. Wir möchten aud) ben vielen Erpofitionen der Gudjatiftie unb den vielen theophorifchen Proceffionen mit dem SBerfaffer nicht fo unbedingt baó Wort reben, ohne deßhalb ben hohen Werth biefer gottesbienftlihen Acte zu verfennen. Eben weil fie auf das Bolf einen fo wohlthuenden Eindrud machen, wuͤnſcht Ref., daß diefer Eindrud nicht durch zu häufiges Vorkom⸗ men abgefhwächt oder faft ganz ausgemwifcht werde.

Wenn der Verf. ben Seelforgern bie Verwaltung der Eugariftie in ihrem ganzen Umfange darlegen wollte, fo mußte er außer ber Meßfeier aud) die Spendung ber

520 - Sieobft,

bf. Gommunion unb ben Adorationscultus in ben Bereich feiner Arbeit ziehen. Ref. will mit ihm nicht barüber rechten, ob biefe Punkte nicht beffer in einem ſelbſtſtaͤn⸗ digen Theile des Buches jur Sprache gebracht worden wären, als daß fie in bie Abtheilung eingereiht wurben, bie von der Verwaltung der Euchariſtie (ber Meſſe) im Allgemeinen handelt.

In der dritten Abtheilung erübrigt bem Verf. 90d) zu fprechen von der Verwaltung der Euchariftie (Meß⸗ ritus) im Befondern. Das erfte Kapitel verbreitet fi) über die Feſt- und Tagesmeffen, bas zweite über bie Votiv- und Sequiemóme[fe. Wer nur einmal einen flüchtigen Blick in ein rubriciſtiſches Werk gethan fat, ber weiß, auf wie verwidelte unb dabei wenig an siehende Materien Probft in dieſem Felde floßen mußte. Wenn fid) aud) mitunter eine gemiffe Eile, mit ber bet Verf. gearbeitet hat, befonders in biefem legten Theile nicht verfennen läßt, fo vermißt man doch felten eine wohlthuende Klarheit und einen fihern Gang, womit er fid) aus oft widerwärtigen Widerfprüchen ber Rubriciſten herausarbeitet, unb zu einem feſten annehmbaren Urteile fommt. Diefes Urtheil zeugt immer von verftändigem Takte und einem gefunden kirchlichen Sinne. Zu win ſchen wäre geweſen, daß bem Berf. das liturgijdje Wert von Cavalieri, ber in vielen Punften den Gavantus und Merati, bie Probft meift zu Leitern hat, befämpft, zu Gebote geftanden hätte.

Die Auffaffung des Beftcyelus als eine commemo: tative Meffe G. 496 ſcheint und etwas ju über ſchwenglich, Ref. wenigftens vermag biefem Fluge ber Phantaſie nicht zu folgen. Wenn bemerft wird, bof am

Verwaltung der hochh. Gudjariftle. 521

Fronleichnamstage feine Lieder in ber Vollsſprache ges fungen werben follen, und als Beleg Diefür ein Decret der Congr. S. R. v. 1609 angeführt wird, (S. 583) fo ſcheint uns dieſes zu weit gehend, und- hätte um fo wer niger nadt hingeftellt werden follen, als das Buch vor« zugsweife für Seelforger auf dem Lande gefchrieben ift unb jenes Deeret gewiß nicht für ben ganzen Umfang ber Kirche prüceptio fein will und fanm. Bei ber Erflärung des Ritus für dns Fronleichnamsfeſt und beffen Proceffton iR die. Bemerkung unterblieben, bag an Kathebralficchen der SBiffjof, und im Falle bec SBerpinberung beffelben, ber erfte Dignitär, unb an Stadt- umb Landkirchen bet sacerdos dignior illius loci das Ganctiffimum bei ber Broceffion zu tragen hat). Deßßgleichen ift bie Vorſchrift übergangen, daß bie bei der Proceffion zu tragende Hoftie in ber Mefle, welche ber Proceffion unmittelbar voraus« geht, au conferriven ift, ba bie ganze Beierlichkeit gleichſam Ein Ganzes bilvet ?).

Im Uebrigen ift von bem Verf. eine Vollſtaͤndigkeit angefrebt, die das praftifche Sntereffe der Seelforger über biefen Bunft ihrer Anıtsthätigfeit zu befriedigen im Stande ift, nur den Ritus einer feierlichen 9Reffe mit Affiftenz von Diafonen vermiffen wir. Wenn aud) vorzugsweiſe Lands geiſtliche im Auge behalten wurben, fo hätte doch biefer Ritus in einem fo umfangreichen Buche Play finden follen. Berner glauben wir, der SBerfaffer hätte feinen Gegenftanb, fo weit er nicht bloß ind Gebiet der praktifchen Seelforge, fondern aud) der Liturgif fällt, abhandeln follen. Es hätte qu biefem Zwede nur nod Weniges aufgenommen qu

1) cf. Barnffaldo, ad rit. Rom. comment. tit, LXXX. nr. 34. 2) cf. Baruffaldo 1, c. nr. 35.

522 Breit,

werten gebraudt, das Qauptíád)fibfie wäre tos Ardäe logiſche urb Hifteriide über tie Meßliturgien geweſen. Der Beri. will freifid) neben bem Theile ber Pahtoral- fbrelogie, ter ich mit bem Piturgifden ber prie Rerlihen 9mtotbátigfeit befaßt, nod cine Liturs gif als eigene tbeolegiide Disciplin befchen lafem, und tverielben das Qiforiffe am bem Firchlidhen Gulte zuweilen, wenn wir feine Acußerungen ©. 5. 13. 31 richtig verlanden haben. Rei. begreift eine isle 3er fplitterung ver praftiichtkeologiichen Discipfinen nicht. Ber Beri. will in feinem Werfe weder „ein liturgiſches, me ein rubricifiiches, nod ein moraltheologi- [Φεϑ, femen cim in tie Pafleralibeologie gehörentes S)ud^ lieiern (cf. EinL X). Bir fragen aber, was füßt er ber Siturgif un? Rubricikif über ven ven ihm behan- reiten Segenſtand noch übrig? Senec böcdkens bie und te cine Heime Erweiterung παν tem Radtrag bes Siſto⸗ riffem, tieier aber nichts, außer wenn man will, be Shabriciif müffe eine wungeniefbare umb wmerquidlide earfíentere fein. Uniers Grodiens fällt tie Pibrrod wn Swbriciif wicht über ic SRoieralfbeelegie hinaus, jemterm im fie hinein, un wir betrachten es als ein wer jenuiches SBertienit des Beriaßers, daß er als Pafleral- ibeelege Süurgif ππὶ Rubricikif fe glüdflich verbumten, wmb tem Werth ter lehtern geltene gemacht Bat, ohne γαδεῖ tie ετῆττε με igueriren Wir fchen taber tes SBaf ShrebW'é aud) als cin puteraliicelegiihes am, aber in ver Shafleraltbeelegie δαὶ c& ciem Theil jenes Sebietes Ierautgegrißen, ta$ ten Sfricfier als Liturgem zu siga bat.

Taf tie Βίτατοι μὲς Paſteral⸗ eder praltijchen Ihe

Verwaltung bes hoch. Euchariſtie. 323

logie gehöre, und das Werf Sprobf'ó vermöge feines Inhalts in das Gebiet der Liturgif falle, wird unſchwer einufehen fein, wenn man fid) bie Aufgabe der Paſtoral⸗ theologie überhaupt, und bie ber Liturgik in&befonbere Hat mad. Jene hat alle bie kirchlichen Thätigfeiten, welche bie Priefter an der Stelle Chriſti zur Vermittlung feines Heiles vornehmen, barzuftellen. Zu biejen Thätig« feiten gehört aud) bie liturgiſche, b. D. diejenige, welche fif in ber Verwaltung ber Firhlichen Liturgie, im engern Sinne der Meffe, im weitern ber Gaframente, Sakra⸗ mentalien unb des Gebetes manifeftirt. Die Befchreibung biefer Liturgie, beziehungsweiſe die 9Inmeifung zur Vers waltung ber Liturgie bildet die Aufgabe der Siturgil. Die Liturgie vollzieht fid) nun aber im Ritus und nad demfelben, der Ritus aber wird normirt burd) bie Rus beifen; folglich gehören Liturgie, Ritus und Stubrifen der Sache nad) zufammen, und follen aud) in der Darſtellung nit getrennt werben. Die Rubriken find als bie Aus« laͤufer in ber Darftellung der liturgifhen Materie anzus fehen. Die rein rubriciftifhen Werke wie von Gavantus, Merati, Quarti u. 9. können daher nicht als felbftfläns bige wiffenfchaftlihe Werke neben ber Siturgit, fonbern mut als Gomplimente ber lehtern Wiſſenſchaft betrachtet werben.

Es wäre gewiß von Vortheil gemefen, wenn fij Sürobft feine Aufgabe als eine Liturgifchs paftoraltheos logiſche zum Bewußtſein gebracht hätte. Nach bem Aufriß der Paftoraltheologie, ben er in ber Vorrede gibt, um bem vorliegenden Werke die gebüfrenbe Stelle im ganzen Gebiete anzuweifen, hätte es aud) gefchehen follen. Aber Ref. ig fog verſucht zu vermutfen, bie bort gegebene

524 Fornici,

Schematiſtrung der Paftoraltheologie fei bem Verf. erf im Verlaufe feiner Arbeit fertig geworben. Wenigſtens fand Ref. eft S. 290. 307 und 322 f. ausdruͤckliche Bezugnahme auf jene Eintheilung ber Paftoraltheologie. An diefer Entheilung anerkennt Ref. die felbfftändige und geiftreiche Auffaffung, glaubt aber um fo mehr, fid) feines weitern Urtheils darüber enthalten zu duͤrfen, als ber artige Entwürfe erft dann ins rechte Licht fommen, wenn man ihnen bie Ausführung im Einzelnen entgegenhalten Kann. Es ift faft nicht zu zweifeln, daß bei ber Rührig- keit und bem unermüdlichen Zleiße des Verfaſſers auf ber Grundlage des von ihm gemachten Entwurfes einer Par ftoraltheologie Ausführungen ber einzelnen Theile folgen werde

Wenn biefe fo gründlich und tüdjtig ausfallen, als bie vorliegende liturgiſche Monographie, fo Tann man fij dazu Glüd wünſchen. Denn biefe fann jedem Seelforger, ber bie hochheilige Gudjariftie genau nad) ben Vorſchriften und Normen bet Kirche verwalten will, wie er aud) fell ohne Anftand angelegentlid)ft empfohlen werden. Was man fonft über biefen hoͤchſt wichtigen Gegenftanb mühfelig aus Gavantus-Merati, aus Duarti, Bona, Lohner u. A. zufams menſuchen muß, findet man hier wohlgeordnet und gefichtet zufammengeftellt. Diefe Schrift zeugt wie von einem uns verbrofienen Seife bei allen fid) entgegenftellenben Schwie tigfeiten, fo aud) von einem großen Geſchicke, diefe Schwie⸗ tigfeiten zu überwinden, und bei allen Materien Ueber ſichtlichkeit, Klarheit und Ordnung herzuftellen.

2. Die zweite Schrift ift ein Handbuch ber Liturgif, das im roͤmiſchen Seminarium zur Grundlage des Unterrichts dient, und das aud) anderwärts zu gleichen

Institutiones Liturgicae. 595

Ehren zu fommen verdient. Obgleich fein an Umfang, enthält «6 bod) febr viel. Die nach der gewöhnlichen Eintheilung der Liturgik zufallenden Materien, bie hi. Meffe, die Car framente, Gaframentalien und das Officium divinum, find in ſolcher Ausdehnung und Einläßlichfeit behandelt, daß man in Seminarien mit demfelben al8 Handbuch ohne Widerrede ausreichen Fann. Wir heben an biefem Buche als Vorzüge befonders hervor befjen flare, präcife und ber fümmte Fafſung, bie vielen eingeftreuten archaͤologiſchen und hiſtoriſchen Bemerkungen, bie nicht felten unter bem Sete. gegebenen Tractate berühmter Archäologen unb gis lurgifer über einzelne wichtige Punkte.

Es ift leicht begreiflich, daß die in Rede ſtehende Lir turgit bei biefen ihren Vorzügen aud) außer Rom eine gute Aufnahme findet. Ref. will nicht durch Hervorhebung einzelner Heiner Ausftelungen, bie er, wie er glaubt, mas den Könnte, einen meitern Raum in Anfpruch nehmen, Diefes Buch wird in Seminarien unzweifelhaft gute Dienfte tun, voie aud) das Werf von Probſt für ben fpeciellen Zweig ber Liturgit, die Verwaltung der Euchariſtie, in den SPriefterfeminarien gewiß febr willfommen (ft.

Dr. Bendel, Gonbiftóbireftor.

526 Befer,

5.

Sehen ausgezeichneter Aatholiken ber drei letzten Jahrhunderte. Herauögegeben unter Mitwirkung Anderer von Albert Werfer. Erſtes viertes Bändchen. Schaffhaufen, Verlag ber ὅτ. Hurter’fchen Buchhandlung. 1852. Preis pr. Bändchen 36 fr.

Das Unternehmen, beffen erfte Früchte wir zur 8e ſprechung vor ung haben, verdient unfre volle Anerkennung. Man hat die Fatholifhe Kirche Thon vor breihundert Jahren alles höhern Lebens und aller geifligen Triebfraft für unfähig erklärt, und bennod) hat fie gerabe feit jener | Zeit Glieder in ihrem Schooße gebildet und genäht, | welche an Reinheit der Gefinnung, an weitgreifender und | grofartiger Thatkraft und an Heiligkeit des Lebens Hinter Keinem aus den frühern Jahrhunderten zurüdbleiben. Die großen Männer und Frauen, die gerade in ihrer Eigen ſchaft als katholiſche Ehriften einen weithin Deilfamen und bie lirchlichen und bürgerlichen Verhältniffe durchdringenden Einfluß ausübten, ben fpätern Gefchlechtern wieder vor bie Augen zu führen, ift gewiß ein banfenswerthes Unternehmen. Abgefehen davon, daß man dadurch einen allgemeinen tirchlich apologetifchen Zweck erreit, ba am Ende bit Südtigfeit einer Veranftaltung am fiherfien an ihren Fruͤchten erfannt wird, fo find derartige Biographien ganz befonber geeignet, ein Gegengift zu bilden gegen bie vielfachen verberblichen und Firchenfeindlichen Ideen, welde fo häufig burd) bie Preffe verbreitet werben.

Die Verfaſſer haben mit Recht angenommen, daß das Beduͤrfniß nad) Sectüre aud) bei bem Mittelfhlage be | Bolfes, ber bie entſprechende Schulbildung genofen, groß

Leben ausgezeichneter Katholiken. 527

i und daß vorzugsweife Hiftorifche Lefeftüce unb unter diefen Lebensbeſchreibungen mit befonderer Vorliebe wie nicht minder mit bem größten Nußen gelefen werben, wenn fie im rechten Geifte gefd)rieben find. Mit Rüdficht auf diefen Leſerkreis wollten umb fonnten bie Verfaffer feine wiffenſchaftlich ausgeführte und mit eigenen felbs fünbigen Forſchungen bereicherte Biographien liefern. Ihnen fag nur ob, mit forgfamer Benutzung des [don vorhandenen gefchichtlihen Materials ihren Arbeiten einen folhen Charakter zu geben, daß fle in den Kreifen, auf die fie rechnen, Leſer finden, umb biefe durch bie Lectüre nah ihrem Bedürfniße belehrt, erbaut und unterhalten Werben.

Der Herausgeber fpricht fi in der SBortebe p. VI. über den Charakter und ben Smed ber zu liefernden Bis ographien folgendermaßen aus: „Es find biefe Lebens⸗ beſchreibungen feine Legenden, wollen aber aud) nicht ſtreng wiffenfdaftfiden Anforderungen genügen, fonbern find fo gehalten, daß fie als gefchichtliche Lebensbilder vorzugs⸗ heife den Gebildeten im Volke zur Belehrung, Erbauung und zugleich zur nüglichen Unterhaltung dienen dürften. Das Wefentlihfte, was bie oft febr umfangreichen unb darum fehr Vielen gar nicht zugänglichen biogrophis hen Werke enthalten, ift darin aufgenommen und in ein moͤglichſt populäres Gewand eingeffeibet. Auf Vollſtaͤndig⸗ keit machen fte feinen Anſpruch, tod) ging das Beftreben dahin, eim möglichft abgerundetes, in feinen Hauptzügen twohlgetroffenes Bild von bem Leben und Wirken der hier geſchilderten Katholifen auf rein hiftorifcher Grundlage zu entwerfen. Inshefondere wurden die Lebensgefchichten folder hervorragender Männer und frauen ausgehoben,

Tpeol. Duartalſqhrift. 1859. lII. Heft. 35

528 . fefe, E

bie bem deutſchen Baterlande angehören, ober welche bod) in ber einen oder anbern Beziehung für uns Deutſche von befonderem Intereffe find?

Hiemit find die Gefichtspuncte angegeben, von denen aus bie vor und liegenden Biographien beurtheilt werben wollen. Mit bem Ziele, das fid) der Herausgeber geftedt, fann man vollftändig einverftanden fein, und es unterliegt feinem Zweifel, baf gerade Lebensbefchreibungen derjenigen heiligen und überhaupt großen und hervorragenden Kas tholifen, welche den legten drei Jahrhunderten angehören und beffalb unfern Zeiten und Verhaͤltnißen nabegerüdt find, als ganz beſonders geeignet erfheinen, eine nuͤtliche Rectüre des [efenben Publifums abzugeben. Es ift jedoch nicht bie Abficht des Herausgebers, einen Complex von Biographien zu geben, bie als ein zufammengehöriges Ganze zugleich ein Bild der ganzen Zeit, nämlich der drei legten Jahthunderte, aus denen fie genommen find, bar ftellen follen, fonbern jede Biographie fell das in fij ge ſchloſſene Charakterbild einer SBerfónlidjfeit und feiner Zeit fein. Darum Tann jede Lebensbefchreibung, ober jedes Bändchen, von denen das einzelne zwei Biographien entHält (daß erfte ausgenommen, das nur bie Lebendbes ſchreibung des hl. Carl gibt), für fld) angefhafft und ger braucht werden; aus bem gleichen Grunde ift aud) eine ſtreng chronologiſche Ordnung in ber Abfolge nicht not» wendig, obgleich e8 wünfchenswerth erfdjeinen muß, bie Biographien, wenn immer thunlich, fo aneinander anzureifen, daß bie dironologifdje Abfolge nicht ſtark verlegt wird.

In den bisher erfehienenen vier Bändchen finden fid) fieben Biographien, im erften bie des hl. Karl Borromäus, im zweiten bie des hl. Ignatius unb be&

Reben ausgezelchneter Katholiken. 529

fel. Canifins, im dritten bie des HI. Vincenz von Paul und des hl. ὅτ. von Sales, im vierten bie des Benelon und des DL Fidelis. Mit Recht ift der hl. Karl Borros maͤus an bie Spige diefer biographiſchen Sammlung ger fielit worden, fo wie aud) bie Auswahl der übrigen Pers fönlichleiten ganz paffenb if. Diefelben zeichnen fid) burd) ihr reiches inneres Leben wie durch ihre äußere Wirkſam⸗ feit aus. Wenn ledteres bei dem bL. Fidelis aud) weniger der Sall if, fo ift bod) feine Berufung zum Ordensſtande und fein Mariyrtod fo merkwürdig, daß ihm mit vollem Rechte ein Play in biefer Sammlung angetoiefen morben ift.

Gegen die eingehaltene Aufeinanderfolge ber genannten Lebensbefchreibungen laͤßt fid etwas Erhebliches nicht einwenden. Auf Karl Borromäus folgen nicht unpaffenb in einem eigenen Baͤndchen Ignatius und Canifius. Dagegen würde e8 uns beffer erfcheinen, wenn Vinzenz son Paula mit fenelon, oder legerer mit Franz v. Sales aujammengeftellt worden wäre; inbeffen laͤßt fid) aud bie wirkliche Stellung rechtfertigen.

Auch in der Auswahl des gefhichtlihen Materials ſcheint und das rechte Maß getroffen zu fein. Es ift fo viel Detail in bie einzelnen Lebensbefchreibungen aufge nommen, daß fie feine trodenen Gerippe bilden, ſondern das nöthige Leben und wuͤnſchenswerthe Anfchaplichfeit und Fülle haben. Diefes Detail ift aber nicht fo reich, daß bie Biographien zu weitläufig würden.

Die Darftellung ift für ben beabfihtigten Zweck unb Leferkreis im Ganzen gelungen. Die Anordnung ift Har und durchſichtig, der Styl edel und populär. ie und ba wäre bemfelben etwas mehr Slüffigfeit, Gefchmeidigfeit und Abrundung zu wünfchen; aud) Fremdwörter wie Nepotis⸗

35*

536 ^ Werfe, ' mus L p. 12, Hofpitalität L p. 35 u. 9f. hätten unſchwer vermieden werben fónnen.

In einigen Biographien, beſonders in benen bes Bes nelon und des Fidelis ift ziemlich viel nicht unmittelbar auf bie zu ſchildernde Perfönlichkeit bezügliches hiſtoriſches Material aufgenommen worden. Ref. findet biefe Ein, flebtung von bem einen und andern hiftorifchen Paſſus mehr allgemeiner Natur in derartigen Biographien nicht nur zuläffig, fonbern fogar zwedmäßig unb mitunter [aft nothwendig. So war eine Schilderung des Hoflebens Ludwigs XIV. unb eine Befchreibung ber quietiſtiſchen Streitigkeiten notbmenbig, um das Leben Fenelons richtig zu verftehen und darzuftellen. Deßgleihen wird man «6 gerne hinnehmen, wenn das Städtchen, wo Fidelis geboren wurde (Sigmaringen) und bie Verhältniffe diefes Städt chens zum fürftlichen Haufe, wenn ferner Freiburg, wo er fi) länger aufhält, nad) feiner Lage und Bedeutung ges fhildert wird, deßgleichen, wenn man über bie Proteftan- tefirung Graubündtens Näheres erfährt, da unfer Heiliger dort als Mifftonär war. (66 ift befannt, wie bie Fran zofen durch ihre außerorbentlihe Gabe der Erzählung bie Biographien duch Einmifhung von verfdiebenen allge meinen hiftorifhen Notizen intereffant zu machen woiffen.

Wenn e8 alfo ohne Anftand gebilligt werben Fann, daß der Biograph hie unb ba über die Grenzen, melde ihm burd) bie zu ſchildernde Perfönlichkeit geftedt zu fein ſcheinen, hinausgreift in das weite Gebiet der Geſchichte, fo muß diefes bod) immer in einer Weife gefhehen, daß εὖ der Einheit ber biographifhen Erzählung feinen Eins trag tfut. Die Perſoͤnlichkeit darf nicht Hinter ben er zaͤhlten anderweitigen Greigniffen zurüdtreten, fie muß das

Leben ausgezeichneter Katholiken. 531

Ganze beherrfhen. Wenn man alfo Zeiterefgniffe, bie von der zu fhildernden Perſon etwas abfeitó zu liegen fSeinen, in eine Biographie aufnehmen will, fo follten diefelben immer in eine lebenbige und anfchauliche Vers bindung und Beziehung mit ber Hauptperfon ber Erzähs lung gebracht werden. Hiezu gehört eine große ftunft der hiſtoriſchen Darftellung, und es ift barum ſchwierig, das Richtige ganz zu treffen. Der SBerf. der betreffenden Bios grapbien ſcheint uns gerade bie funftvolle Verflehtung des allgemein Gefhichtlihen mit bem Perſoͤnlichen nicht immer ganz richtig getroffen zu haben.

Auffallende Unrichtigfeiten find bem Ref. beim Durchs leſen nicht aufgefallen. Als unbedeutend Debt er hervor: 8. IV. €. 110 wird zu Collegium Germanicum, zu beffen Gründung ber hl. Ignatius ben Anftoß gab, bie Bemer- lung gemacht: „es werben hier deutſche Jünglinge erzogen und wiffenfhaftlich gebildet." Jene Anftalt hat aber ben beſtimmten Zwed, ausfchlieglih nur G eiftlid)e und zwar für Deutſchland zu bilden. ©. 130 beffelben Baͤndchens wird aus Verſehen gefagt, der Kapuzinerorden hätte fid) fon im fünfzehnten und Anfang des fechszehnten Sabre hunderts in ranfreidj, Spanien u. f. τὸ. - ausgebreitet, während kurz vorher richtig bemerkt wurde, daß ber ges nannte Orden fid) im Jahr 1525 unter Vaschi als ein Zweig des Branziöfaner-Drdene bildete unb im 3. 1536 beflätigt wurde.

Die befprodjenen Lebensbeſchreibungen find fo gehals ten, daß Ref. denfelben viele Lefer, und bem Unternehmen überhaupt einen guten Fortgang wuͤnſcht. Die Ausftattung iR (dàn; bie Beigabe eines Bildes zu jedem Bänden danfenswerth. Noch danfenswerther wäre es übrigens,

532 Berfer, Leben ausgezelchaeter Katholiken.

wenn bie Abbildung eines jeden gefdjilberten Heiligen bei» gegeben worden wäre. Der Preis, das Bändchen von 150—200 ©. zu 36 fr., ift gerabe nicht zu Bod.

Dr. Bendel, Gonviltóbireftor.

Literarifcher Anzeiger Nr. 3.

M —— ——jh

Die Hier angezeigten Schriften findet man in ber H. Laupp'ſchen

Buchhandlung (Saupp & Fiebeh) in Tübingen vorräthig, fo wie alle Erfpeinungen ber neueften Literatur.

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Gaillard, P. Georg. Sechs Reben über die unbefledte Empfängniß der allerfeligften Jungfrau Maria. Aus dem Lateinifchen vom Verfaffer des Wallfahrtsſpiegels. 5%, Bogen. gr. 8. Preis: geb. 12 Egr.

Goldhagen, Hermann, Priefter der Gefelfchaft Sefu. Bolfändiges Gebet: und Grbauungébud) ald Andacht zum Beiligften Herzen Jeſu Chrifti. Mit Gutheißung und Genehmigung der Obern. 14 Bogen. gr. 12. Breis: geb. 9 Ser.

Gröne, Balentin, Doctor der Theologie, Sacramentum oder Begriff und Bedeutung von Sacrament ín ber alten Kirche bis zur Scholaftif. Gin Beitrag zur Dog- mengeſchichte. 181,4 Bogen. gr. 8, Preis: geb. 25 Ser.

Gróne, Valentin, Doctor der Theologie. Tegel und Luther oder Lebensgefchichte und Rechtfertigung des Ablappredigers und Inquifitors Dr. Johann Tegel aus ven Predigerorben. 15 Bogen. gr. 8. Preis: geb. 24 Ser.

Nolte, 3. δ. Lchrer zu Reiſte. Ehoralmelodieen zum fathol. Gebet und Geſangbuche von S. A. Hüfer, Bar for in Kirchveiſchede. In Tonziffern überfegt. Τὺ} Bos gen. 8. Preis: geh. 8 gr.

Süfer, 3. 9L, Paſtor in Kirchveifchede. Vorbereitung u einem feligen Tode. Gebet: und Betrachtungsbud

r fathol. Familien. Mit Bifchöflicher Approbation.

15 Bogen. 8. Preis: 9 Ser.

Soeft, und Olpe, im Mat 1853,

Raffe'fhe Buchhandlung.

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Gefchichte König Ludwigs

des Seiligen. Aus bem Franzoͤſiſchen ins Deutſche übertragen von A. Drieſch. Mit Portrait des Königs. gr. 8. geh. 25 Sgr.

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Sn ver Ferber’fgen "niberfitátébudjfanblun, in Gießen ift erfchienen durch alle Buchhandlungen zu beiiehen:

Der hatbolifibe Glaube nebft den Grundzügen

einer Geſchichte und Speotie bet Offenbarung, wiffenfdaftlid dargeftellt von

Stanz Anton Scharpff, Doktor der Theologie und Silofopfie, orbentl. Profeffor ber Tpeolsgie an ber Univerfität Gießen. Zweite Auflage. 8r. 8. geh. fl. 1.

Ueber gegenwärtiges Religionshandbuch hat fif das βοᾷ: würdigfte διε πὶ e Porbindlat zu Mainz in einem po fpreiben an bie Defanate zu Mainz, Worms, Darmfladt, Bent heim und Gießen vom 25. Mai 1848 alfo audgefproden:

δ ἄποιος & gar Dat uns bat rs b in zusnat etellte δια,

8

τ breiten Üranhfge n o Ἐπεν cr Bern der DaB d lal Täler εἶεν, Taf. bie Aubirenbe, Sagenb bel angemefiner Bebanblung unter Gori Eigen barin ben vollfänbigfien, madfaltifen Gäu gegen bie Mat des Beutigen Ungtaubens finde. Mir müffen daher in biefer Ueberzeugung winfgen , indem Εἰς nem Lange gefühlten Sefberium enbreden, hab Bag tuir. δαπεύνά fir den Keligionsuntsrigt im ben beibem obern Klaffen der Ghmnaſien eingeführt Das Bu hat aud) bei fatholifhen Stubirenden auf Unis verfitäten und in andern gebifbeten Kreifen die freunbtidjfte Auf⸗ nahme gefunden. Bei Parthiebeftellungen treten noch befondere Begünſti⸗ gungen ein. im ber Unterzeichneten if foeben erfjienen unb in allen Buchhandlungen Deutſchlands zu haben:

Ein katholifches

Bolkfsbuch

für die Großen und für bie Kleinen.

Sammlung von Erzählungen und Auffägen von Adolph Kolping, SDomvifar und Präfes des fatfofifdjen Gefellen-Bereins.

Religion und Arbeit if ber golbene Boden des Volkes.

X. Bändchen. 12 Bogen 8. Preis: geh. 10 Ser.

Der Name des Qodiwürbigen Herrn Berfaffers hat einen folgen Klang durg ganz Deutfjlanb, bag εὖ feiner weiteren Empfehlung bedarf, wir bebfalb das Publitum hiermit einfach von beffen Erſcheinen in Kenntniß ſetzen.

Θοεῇ und Olpe. Raflefge Buchhandlung.

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88. THEOLOGIAE DOCTOR, OONSILIARIUS ECOLES. BRIXIN., HISTORIAE EOOLESIASTIOAE ET JURIS EOOLES. PROFEBSOR IN SEMINARIO XPISCOPALI BRIXINENSI.

gr. 8. maj. Il. Vol. fl. 9. 24 kr.

‚Einem Jeden dem sein Beruf oder auch die Liebe zu seiner Kirche und ihrem ersten Trüger das Studium der Patrologiae wichtig macht, wird die Erscheinung eines Werkes willkommen sein, wel- ches die Frucht jabrelangen unermüdeten Forschens ihm das wichtige Verständnis jener kostbaren Schriften aufschliesst, welche von den Uranfängen der Kirche an durch die folgenden Jahrhunderte aus den Händen der weissesten und frömmsten Männer auf unsere Zeit gekommen sind und in denen für alle künftigen Zeiten die Bimeringo des Glaubens gesichert und aufbewahrt ist. In diesem Werke findet der Theologe durch die umsichtigste Kritik das Echte von dem Zweifelhaften und vom Unrechten geschieden, um in der Wahl seiner Lectüre keinen Missgriff zu machen. Wir übergeben ächer dieses ausgezeichnete Werk, dem sein gelehrter Verfasser den ehrenvollen Ruf an die Universität Wien verdankte, mit der vollsten Ueberzeugung damit den Wünschen sehr vieler Wissbegierigen ent- gegen zu kommen.

Im Verlage von Firmin Bidot fröres à Paris it kürslich erschienen und durch alle Buchhandlungen Deutschlands und Oesterreichs zu beziehen:

Theiner, A., Geschichte des Ponti- ficats Clemens XIV. 2 vol. 8. br. Rthlr. 4.

nn a5 » —n 3r Bd A. u. d. T. Clementis XIV pont. max. epistolae et brevia selectiora ac non- nulla alia acta. pontificatum ejus illu- sirantia quae ex secretioribus tabu-

laris Vaticanis depromsit et nunc

primum edidit A. Theiner. 8. br. Rthlr. 1. 15 Sgr.

Früher erschien im gleichen Verlage:

"Theiner, A., Jean Henry de Franken-

berg, Archevéque de Malines Primat

de Belgique, et sa lutte pour la liberté

de l'église et pour les séminaires

épiscopaux sous l'empereur Joseph II.

traduit par Paul de Geslin. 8. br. Rthlr. 1. 7!/; Sgr. Jäger, M., l'abbé, histoire de l'église

de France pendent la révolution.

3vd 8 ..... . Rthir. 5. 10 Sgr. Der hochw. Geiflichkeit und allen HH. Theologie- Studirenden.

€o eben ift bei uns erfhienen unb aud in allen gut aflor- tirten Buchhandlungen be gefammten 3n« unb Auslandes zu haben:

Biblifche Neal-Eoncordanz.

Eine Zufammenftellung ber in den heiligen Schriften zer: ftreut vorfommenden erte, Beifpiele und Gleichniffe über die Glaubens» unb Gitten[ebren, fowie ber Stellen über biblifche SBerfonen, Orte u. bergL, unter alphabetifh ger ordnete Titel mit den nöthigen fachgemäßen Ab» und Unter: abtheilungen. Ein nügliches und bequemes bibliſches 9tepertorium für Fatholifche Theologen, Res Higionslehrer und GSeelforger. Bearbeitet und herausgegeben von Sev. Lueg, weiland Priefter ber Didcefe Paffau. Mit Approbation des Hochwürd. Bifcöfl. Drdinariats Paffau. Zweite, burdjauó umgearbeitete, berichtigte unb ſtark vermehrte Auflage burd) Fr. yof. Seim, Domprediger in Augsburg, Herausgeber des Predigt⸗Magazins. In zwei Bänden.

Diefe Lueg’fche biblifhe Neal: Goncotbang unter: ſcheidet fid von allen bisherigen baburd, bab fie nicht etwa bloßbei@laubens- und Sittenlehren burh Citation berZerte auf die Schrift verweist, fondern daß fie die einzelnen Texte wörtlich auffüprt, fie nad ihren innern Momenten und Beziehungen orbuet

T a mehr ober minder als ein Gange? erfeinen à

Welche Ausdehnung inbef blefe Art von lleberarbeitung ver Queg'íden Goncorban in biefem erften Bande erfuhr, möge daraus hervorgehen, baf gegen früher um 661 Artikel mehr aufgenommen wurden, von benen 246 ber Glaubens» unb Oittenlebre anges hören, 415 Gegenftánbe entfalten, bie ín bie Geſchichte und Geos ggapbie dinfatagen, fobann daß bon ben ältern 630 Artiteln nur

9, größtentpeils nicht dogmatifhe unb moralifhe, unverändert ebfieben, während bie übrigen 271 mehr ober minder eine Bers efferung oder Erweiterung erfahren haben.

Erſchienen ift mun ber 1. Band £n 3 Lieferungen. Preis für alle diejenigen, welche dieſes Werk vor δ τῷ εἰ π ἐπ ber Schluß- litftrung be8 zweiten Bandes im Juli b. 38. abnehmen, nur 3f. 30 fr. ober 2 Thle. 1!/, fgr. Preis beider Bände von ἄττα 65 Bogen für Subferißenten nur 6 fl. rf. ober 3'/, Soir. yrf., alfo pro Drudbogen 6 fr. ober 13/4 Sgr. Anwiderruflicher Sabenpreis nach Erſcheinen des II. Bandeö mindeftens 7 fl. 30 fr. ober 4! 5 Thlr. Es dürfte daher Seber, ber fid) bleed unente behrliche Werk anzufchaffen gebenft, es in feinem Intereffe finden, ſich noch bet Zeiten zur Abnahme zu melden.

Augsburg, 1. Mai 1853. ' $. Kollmann'ſche Buchhandlung.

Wener Verlag von

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Theologiſche

Quartalſchrift.

In Verbindung mit mehreren Gelehrten herausgegeben von D. v. Auhn, D. ». Hefele, D. Welte, D. Bukrigl

und D. Aberle, Brofeſſoren der kath. Theologie an ber f. Univerfität Tübingen.

Fünfunddreißigfter Jahrgang.

Viertes Quartalheft.

Tübingen, 1853.

Verlag der H. Laupp’fhen Buchhandlung. - (Saupp & Giebel.)

Φιυᾶ von δ. 2aupp Ir.

1

Ueber den Urfprung und bie rechtliche Stellung ber ' Generalvicare,

Die erften Anfänge der hierarchiſchen Würde, von welcher wir im Folgenden reden, feßen viele Kirchenhiftorifer und chriſtliche Archäologen ſchon in's dritte unb vierte Sabre hundert, indem fie auf jene großen Männer hinweifen, bie, bevor fie felóft zum Episcopat gelangten, ihre Bifchöfe in Ausübung ihres erhabenen Amtes unterftügten und einen Theil jener ſchweren aft auf fid) nahmen. So mar ber hl. Eyrill von Serufalem von feinem SBifdjofe beauftragt, flatt feiner den katechetiſchen Unterricht -zu ertheilen und das Predigtamt bleibend zu verwalten, weßhalb ihn ber gelehrte Herausgeber feiner Werke, der Mauriner Souttée, ohne weiteres ben „Generalvicar von Jerufalem“ nennt !). Gregor, ber Theologe, unterftügte feinen Vater gleichen Namens, den hochbetagten Biſchof von Nazianz, in Aus- übung der bifhöflihen Bunctionen bis zu beffen Tode,

1) Dissertat. De S. Cyrilli Hierosol. Vita. c. III: „ex commissa catecheseon et baptizandorum cura ad episcopum proprie pertinente, nec facile aliis commendata, unacum frequenti et assiduo in synaxi- bus concionendi munere, optime colligitur, Cyrillum a sancto Prae- sole presbyterorum principem e quasi majorem ac generalem, uti dicimus, Vicarium constitutum."

36*

4 [f * a ἐκ: jeines Epyis⸗ εἶ $ „u bleibender Gehilſe 4 appo ben bf. Yugufinus, 4 ? ., ber Sanbeófprade als Grieche

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ottes zu verfündigen *). Faſſen wir inbeffen die

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1) Denfwürbigfeiten, 1. 2. ©. 416 fi. 2) Vet. et nova Eccles, Disciplin. P. L L. IL c. 7, n. 5, 3) Thomassin. 1. c.

4) Poseidiwa, Vin Augustin, c. 4. 5. Migse, Parolag Tom. XXXIL. ᾿ .

N

ber Generololeate, 537

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“ums abwechfelnd bie nöthige Aushülfe unb Unterftägung Biſchofs übernahmen. Das Inftitut der Beneralvicare im Sinne ber gegenwärtigen Disciplin hat feinen Urfprung erft im breigebnten Jahrhundert, fie waren hers dorgerufen durch bie angemaßte, bis ins Ungebührliche ausgedehnte Macht der Archidiacone, weldje bie bifchöfliche Autorität völlig in den Hintergrund drängte unb gaͤnzlich zu abforbiren drohte, fie follten gegen biefe als Stellvers treter des Biſchofs ein Gegengewicht bilden und ihren Händen die bifhöfliche Jurisdiction allmählig wieder entreißen. Wenn wir diefe Verhältniffe im Folgenden näher darlegen, fo fann εὖ fid) nicht barum handeln, eine volftändige Ges ſchichte der Archidiacone zu geben, fonbern nur jene Mos

536 Urfprung und rechtliche Stellung

Bafilius, der Große, nahm bei Eufebius, Biſchof von Gáfarea, biefelbe Stellung ein und Ehryfoftomus wurde nod) als Diacon von feinem Patriarchen Flavianus von Antiochien beauftragt, während feiner Abwefenheit feine Stelle zu vertreten und namentlih das Predigtamt zu verwalten: alle drei werden von Thomaffin und Binterim!) in bie Reihe ber Generalvicare geftellt. „Nemo inficiss ibit, fagt der Erſtere *), quin Vicariorum Generalium in Oriente tria haec fuerint exempla numeris omnibus abso- lutissima.* Auch in ber abendländifchen Kirche finden bit genannten Autoren um biefelóe Zeit’ bie Vorgänger unferer Generalvicare: in Mailand ben Presbyter Simplician?), den Papft Damafus von Rom aus dorthin gefandt hatte, damit er ben hl. Ambrofius im Beginn feines Eyis copates unterftüge er wurde befien bleibender Gehilie und fpäter fein Nachfolger; in Hippo ben BI. Auguftinus, ben der Biſchof Valerius, ber Landesſprache ald τίει nicht in bem Maaße mächtig, daß er feinem Predigtamte hätte vollfommen genügen fónnen, jum Presbyter weihte unb mit der Vollmacht betraute, in feiner Gegenwart bad Wort Gottes zu verfünbigen *). Faſſen wir indefien bie Stellung diefer Männer zu ihren Biſchoͤfen näher ins Auge, fo wird fid) leicht ergeben, baf fie mur uneigentlih und im weiteften Sinne des Wortes Generalvicare genannt werben fónnen fie waren allerdings, wie biefe nod) heute, Gehülfen und Stellvertreter der Bifchöfe, aber

1) Denfwärbigkeiten, I. 2. ©. 416 fi.

2) Vet. et nova Eccles, Disciplin. P. L L. IL c. 7. n. 5.

3) Thomasein. 1. c.

4) Possidius, Vita Augustini, c. 4. 5. Migwe, Patrolog. Tom. XXXI

der Generalvicare. 537

tad Charafteriftifche, was heutzutage ben Generalvicar ausmacht, findet fid) bei inen nod) nicht: biefer ift ber Stellvertreter des Biſchofs in Ausübung ber Juris diction, jene dagegen vertraten feine Stelle vorherſchend bei den tir lid) en Sunctionen und nur nebenbei und ausnahms⸗ weiſe aud) in ber 9fominiftration der Diöcefe; ber Generals dicar hat einen vom Geſetze genau abgegreniten Geſchaͤfts⸗ freis, fein Verhältnig zum Bifchofe it burd) das öffents liche Recht der Kirche fpeciell vorgezeihnet, während bie Stellung jener Altern Gehülfen lediglich vom Willen des Biſchofs und ben jeweiligen äußern Verhältniffen abbieng, fo daß fie ohme Unterſchied bald biefen bald jenen Theil der biſchoͤflichen Befugniffe ftellvertretend ausübten; endlich fheint in jenen Altern Zeiten bie Beftellung eines ſolchen bifhöflichen Vicars feine ‘regelmäßig wieberfehrende ges weſen, fondern nur bann erfolgt zu fein, wenn ein beſonders hervorragender Mann in der Umgebung des Bilhofs fid) befand, während fonft bie einzelnen Glieder des Presbytes riums abwechſelnd bie nöthige Aushülfe und Unterftügung des Biſchofs übernahmen. Das Inftitut ber Generalvicare im Sinne der gegenwärtigen Diseiplin hat feinen Urfprung erft im dreigehnten Jahrhundert, fie waren fer» vorgerufen burd) die angemafte, bis ins lingebübrlide ausgedehnte Macht ber Archidiacone, welche bie bifhöfliche Autorität völlig in den Hintergrund drängte und gänzlich zu abforbiren drohte, fie follten gegen biefe als Stellver⸗ treter des Biſchofs ein Gegengewicht bilden und ihren Händen die biſchoͤfliche Syuri&biction almählig wieder entreifen. Wenn wir biefe VBerhältniffe im Folgenden näher darlegen, fo fann εὖ fid) nicht barum handeln, eine vollftändige Ges ſchichte ber Archidiacone zu geben, fondern nur jene Mos

538 Urfprung unb rechtliche Stellung

mente hervorzuheben, die ihre urſpruͤngliche Stellung zu Biſchof und Diöcefe in der Weiſe verrüdten, daß dieſer fib genöthigt fab, gegen fle durch Aufſtellung eigener SBicare einguídreiten; zugleich fügen wir die Bemerkung bei, daß die Amtögewalt ber Archidiacone nicht in allen Diöcefen die gleiche war, vielmehr hatte das Gewohnheits⸗ ted)t den freieften und weiteften Spielraum, indem es hier ihre Befugniffe in's Maaßlofe erweiterte, dort fte befchränfte wit find daher darauf angewieſen, nut die allgemeinen Geſichtspunkte hervorzuheben, wie fie fid) überall vorfanden.

Die erfien Spuren der Archidiacone finden fih im Anfange des vierten Jahrhunderts !), fle waren bie Vor⸗ geícbten der Diacone an der Kathebralfiche 2), vom Bifhofe aus ben [egtern frei gewählt, wobei nicht, wie beim Archipresbyter, das Alter, fondern perfönliche Tuͤchtig⸗ keit ben Ausſchlag gab. Sie hatten die Erziehung und den Unterricht der jüngern Glerifer zu leiten, von welden feiner ohne ihr Zeugniß und ihre Zuftimmung zur Dr bination zugelaffen wurbe, fie führten bie Aufſicht über die niedern Kirchendiener, lciteten die Armenpflege und unterftügten den Bijchof in ber, äußern 9lominiftration ber Diöcefe 3), fomeit es biefer für nótfig erachtet. Im fedften Jahrhundert hatte fid) der Kreis ihrer Befugnifle bereit dahin ausgedehnt, daß fie aud) die Verwaltung des Kirchenguts führten, für die Erhaltung und Wieders herftellung der Kirchengebäude forgten, im Auitrag des Biſchoſs ben Zuftand ber Pjarreien unterfuchten, bie Straſ⸗

1) Optatus Milev. De schismate Donatist. L. I.

2) Theodore! , H. E. L. 1. c. 26. ᾿

3) &eo der Grofe (Epist. 112, edit. Ballerin.) meint ben Archi- diacon ecclesiasticis negotiis praepositus",

ber. Generalvleare. 539

gerichtsbarleit über bie Geiflihen und bie Jurisdictio con- lentiosa über Laien und Glerifer in allen den Fällen aus- übten, in welchen fie dem Biſchofe ſelbſt zuftand 1), fo zwar, daß feltft das weltliche Gericht bei Streitigkeiten zwiſchen Laien und Glerifern ohne Dazwiſchenkunft des Archidiacons nit vorfchreiten fonnte unb ebenfowenig in Gaden ber Wittwen und Walfen 9. War hiedurch ihr Anfehen bereitö foweit geftiegen, daß fie, obwohl nur Diacone, bod) über allen Presbytern, felbft über bem Archipresbyter fanden 3), fo erweiterte fih ihre Macht im neunten Jahrhundert *) noch dadurch, daß fle die SBifitation der Diöcefe und die Abhaltung der Sendgerichte, anfangs in Begleitung des Biſchofs, fpüter aber als felbftändige, regel» mäßig wiederkehrende Amtsfunction erhielten, wodurch in natürlicher Weiterentwidlung der Verhältniffe die ganze bipöfliche Jurisdiction, namentlich bie Strafgerichtsbarkeit bie Auferlegung öffentlicher Bußen, bie Verhängung ber Ercommunication und der Suspenfion, die Ein» und Abjegung der Glerifer in ihre Hände fam 5. Dieſe weit» ausgedehnten Befugniffe, bie im gemeinen Rechte voll- fünbig anerfannt waren‘), würden mit ber gehörigen

1) Eine volftändige Sufammenfteflung ihrer damaligen Rechte findet φ bei Ifidor von Sevilla, Epist. ad Luidfred. c. 1. $. 11. Dis, XXV.

2) Thomaasin. 1, c. c. 18.

3) Ifivor von Gevilla 1. c. Archipresbyter se esse sub Archidiacono ejusque praeceptis, sicut Episcopi sui, sciat obedire."

4) Concil. Cabilon. 11. a. 813, c. 15.

5) BDergl. die fchöne Infruction, wele Hincmar von Rheims feinen beiden Archidiaconen für Abhaltung der Sendgerichte ertheilte, in Opp. cur. Sirmondi, T. 1. p. 716 seqq.

6) Die Sfuífidt über bie Kirchengebäude unb das Kirchengut c. 1. 3. X. de offic. archidiac. 1. 23; tic Bifitation ber Diöcefe und das

'540 Urfprung und rechtliche Stellung

Energie ausgeuͤbt fhon für fid) hingereicht haben, bie bis ſchoͤfliche Auctorität völlig in Schatten zu ftellen, aber es traten noch zwei weitere Momente hinzu, welche bie Stadt und das Anfehen ber Archidiacone ungeheuer erhöhten. Bis in's achte Jahrhundert hatte die Diöcefe nur Einen Archidiacon, aber fhon im 9. 773 theilte der Biſchof Heddo von Straßburg feine Diöcefe in fteben Ardyidiaconate ein, für das Bisthum Lüttich beftellte Papſt Leo im I. 799 adt Archidiacone, die meiften Bifhöfe ahmten biefe Ein- richtung nad, fo daß im zwölften unb dreizehnten Jahr⸗ hundert beinahe alle Bisthümer Deutſchlands, Frankreichs und Englants in Arhidiaconalfprengel eingetheift waren’, Jedem derfelben ftand ein eigener Archidiacon vor, bie auf bem Lande hießen archidiaconi rurales im Unterſchiede von bem archidiaconus magnus an ber Kathedralfiche. Es leuchtet ein, daß auf biefe Weife mehr Leben, Ordnung und Einheit in das Archidiaconalweſen fommen und bie Pünktlichkeit in Ausübung ber mit demfelben verbundenen SBefugniffe in hohem Grade zunehmen mußte, zugleich aber wird aud) nicht geläugnet werden fónnen, daß biefe Ein- richtung febr geeignet war, bie Archidiacone, jet auf fleinere Bezirke befchränkt, auf ihre Rechte eiferfüchtiger zu maden, fte anzutreiben, jedes felbftändige Eingreifen des Biſchofs ſoviel ald möglich fern zu halten und falle ‚ex dergleichen verfuchen follte, Widerftand zu leiften, was ihnen nunmehr vereint viel leichter werden mußte, al

Recht auf Brocurationen c. 6. 10. X. h t. 1. 23; c. 6. X. de censi.

3. 39; die Prüfung ber Ordinanden umb die Ginfeung ber Pfründner

c. 7. 9. X. h. t. 1. 23; die jurisdiet. contentiosa c. 7 X. h. τ; bit

Strafgerichtöbarfeit in "ben. Senpgerichten c. 3. X. de poenis. 5. 37. 1) Binterim, Denfwürpigfeiten, L 1. €. 395. 413 ff.

bet. Omeralolcare. 541

früher, wo ber Archidiacon bem Bifhofe mod allein gegenüberftand. Auf, ber andern Seite gelangten fle mit bem Entfichen des gemeinfamen Lebens und bem Aufblühen ber Ganonifate in den Befig der Präpofituren diefer Stifte: der Archidiaconus magnus ward in der Regel Domprobft der Kathedralkirche unb bie Archidiaconi rurales. gewannen die Probfteien an den Eollegiatftiften der Landftädte. Das Anfehen diefer einflußreichen Stellen und die oft ungeheuren Einfünfte, die mit ihnen verbunden waren, mußten die Würde, von der wir reden, mit neuem Gange umgeben umb fie in ben Augen von Gleruó unb Volk immer mehr erhöhen, fo daß bie angefehenften Männer fle fuditen: Stephan von Garlanba, erfter Minifter rant» reichs, verfchmähte es nicht, zugleich Archiviacon von Paris zu werden ἢ), und Philipp, Bruder Ludwigs VIL, glaubte feiner hohen Abfunft nichts zu vergeben, wenn er an bete felden Kirche das Amt des Archiviacons befleidete *), mit welcher Würde in Frankreich allgemein der fürftlidje Titel verbunden ward). Aber biefe Berhältniffe mußten die Archidiacone ihren Bifhöfen aud) immer ferner rüden und ben leßtern, namentlid) feitbem die Kapitel nad) Auf⸗ löfung des gemeinfamen Lebens überhaupt unabhängiger wurden, jeden Einfluß auf die Ausübung ihrer Jurisdiction entziehen, fo daß die Bifchöfe an manchen Stiften nicht einmal

1) Der Hl. Bernhard brüdt feine Entrüſtung hierüber Epiat. 78 mit den Worten aus: sic sublimatum honoribus ecclesiasticis, ut nec episcopis inferior videatur: sic implicatum militaribus officiis, ut prae- feratur et ducibus, womit er zugleich ein Zeugniß ablegt von bem un» geheuren Anfehen, in welchem damals bet Archidiaconat fand.

2) Thomassin. |. c. c. 20. n. 2.

3) Lambert, Histor. Metens. L. IV. c. 95.

542 Urfprung urb rechtliche Stellung

mehr das Befcgungsredht der Archidiaconate übten !) und in Bolge ravon ihre Gerichtsbarkeit oft in Händen feben mußten, welden fie bieíelbe bei freier Verleihung nie würden anvertraut haben ?).

Waren die Archidiacone buch diefes glüdliche Zur fammentreffen äußerer Umftände zu fo großem Anfehen gelangt unb waren fie wenigftens factifch von ben Bifchöfen unabhängig geworben, fo finden wir gleichzeitig das febr natürliche Beftreben, ihre weit ausgedehnte Jurisdiction ud principiell und begriffli von der bifhöflichen Auctorität zu trennen: biefelbe war nad) ihrem Urfprunge eine bloß übertragene, eine im Ramen unb Aufs trage des Biſchoſs auszuübenve, alébalb aber beanſpruch⸗ ten fle ihre Inhaber als eine jurisdictio propria et or- dinaria, die ihnen fraft eigenen Rechts zuſtehe. Die erften Spuren biefer Anſpruͤche finden ſich ſchon in ben fränfifhen Gapitufarien 3), mornad) bie Archidiacone bereits einen förmlihen Gerichtshof Audienlia propria hatten, ber in allen Angelegenheiten bie erfte Inftanz bilbete; durch bie häufige Abwefenheit ber Bifhöfe aus ihren Dio» cefen, wobei bie Archidiacone ben fpeciellen Auftrag nicht einholen fonnten, wurde bie eigene Gerichtöbarfeit ders felben durch Gewohnheitsrecht allmählig zur Regel und im zwoͤlften unb breigehnten Jahrhundert galt fie als eine ausge⸗ machte, burdj Goncilien und Päpfte anerfannte Thatfache. Die Eynode von Gíarenbon im S. 1164 fchreibt c. 8 fórmlid) vor, bag vom (orum des Archidiacons bie Appels Tation an ben Bifchof gebe und Innocenz IL nennt ben

1) c. 31. X. de elect, 1.6, c. 3. X. de supplend. neglig. praclat. 1. 10.

2) Schmidt, Geſchichte der Deutſchen, III. 6. c, 20. 3) L. V. c. 171.

der Generalvicare. 343

Exftern geradezu ordinarius judex !). Die Defretale Ores gors IX. v. 3. 1229, vie fid) c. 16. X. de majorit. et obedient. 1. 33 findet, berichtet Folgendes: ber Erzbiſchof von Colocza ἐπ Ungarn hatte ein Klofter feiner Diöcefe zur Satbebralfitdje erhoben und ifr einen Biſchof gegeben, aber der Archidiacon, in defien Sprengel das Klofter lag, widerfeßte fid) ber Gremption beffelben und beanfpruchte die Suriébiction aud) über ben SBiffjof. Erſt ber Papft vermochte feinem Gebabren ein Ziel ju fepen, indem er ben Erzbifhof anwies, den Archidiacon anderwärts zu ente ſchaͤdigen. Diefer Vorfall beweist offenbar, daß der Archi⸗ biacon eine jurisdictio propria hatte, denn im entgegen» . geíebten Salle würde feine Jurisdietion in bem Augenblide ipso jure aufgehört haben, in weldjem ber Erzbiſchof fefbft auf feine Gerichtsbarkeit über das zur ftatfebrale erhobene Klofter verzichtete. Der Erzbifhof von Mainz hatte im S. 1327 eine neuerrichtete Capelle einem Clerifer feiner Diöcefe übertragen und ihm bie-admissio ad curam ani- marum ertheilt: der Archiviacon an ter St. Mauritiuslirche aber, in beffem Sprengel die Gapelle lag, hielt fid) für berechtigt, bie bereitö gefhehene Verleihung des Erzbiſchofs aud) feinerfeità zu beftätigen und bie Worte, womit er dieß that, beweifen auf'8 Deutlichfte, daß er fi eine vom Erz⸗ bifhof unabhängige Jurisdiction beilegte: „Nos easdem translationem et investituram, quantum in nobis est, tan- quam loci Praepositus ratas habentes, ipsum N. admisi- mus el his literis admittimus ad Capellam memoratam, recepta ab eo obedientia manuali, ita quod omnino ejusdem successores nobis et nostris successoribus obedientiam facere

1) Epist. 45. L. XIV. bei Baluz.

544 Mrfprung und rechtliche Stellung

et investituram a nobis et nostris successoribus recipere perpetuo teneantur !). Hatten fid in biefer Weife bie Archidiacone in den Beſitz einer jurisdictio propria gefeßt, fo war εὖ davon mur eine natürliche folge, menn fie bies felbe wieder fubdelegirten unb für bie verſchiedenen Gegenden ihrer Sprengel eigene fficiale auffellten 5, welche, ihnen allein verantwortlich, mit bem Bifchofe, beffen Rechte fie doch eigentlich ausübten, weber Hiftorifch nod factifd) in irgend welher Verbindung ftanben unb daher nur nod mehr dazu beitragen mußten 3), bie Diöcefan- verwaltung des [eter zu ſchwaͤchen.

Wenn biefe völlige Unabhängigfeit der Archidiacone ſchon an fi ein abnormer, der göttlich gugrunbgelegten SBerfaffung der Kirche durchaus woiberfpredjenber Zuftand war, fo fam nod) das weitere Uebel hinzu, daß fte von ihren Rechten offen und ungefcheut ben willfürlichften und gewiſſenloſeſten Gebrauch machten. Schon im neunten Jahr⸗ hundert erhoben fid) wieberholte Klagen über Erprefiungen, bie fid) bie Archidiacone bei Gelegenheit ihrer 9Bifitationen erlaubten %: fie führten ein überaus zahlreiches Gefolge mit fid, beffen Unterhaltung den Geiftlihen große ftoften verurfachte, weßhalb fid) eine Lütticher Synode im S. 1287

„zu ber Beftimmung veranlaßt fab, bie Archidiacone follen fi) mit 5 ober 7 Pferden begnügen unb feine Jagbhunde

1) Bodmann, Stbringeniffje Alterhümer, &. 850,

2) c. 3. $. 1 de appellat, VI. 2. 15.

3) Wie ungemein groß die Gewalt diefer Officiale geweſen, beweist eine Urkunde bei Würdtwein (Comment. T. I. p. 524), worin ber Archiviacon von Afchaffenburg einem feiner Officiale bie Vollmacht ers theilt. Vgl. Schmidt, Thesaurus, T. III p. 316.

4) Concil. Paris. a. 829. c. 25.

der GeneraToleate. 545

und Lodvögel mit fid führen Y; ble für tie Vifitation beftimmte Zeit verwendeten fie mehr für bie Jagd unb andere Vergnügungen als für die Erfüllung ihrer ernften Pflichten, verlangten aber dennoch aud) von folden Ges meinben bie SBrocurationen, bie fie gar nicht viſitirt hatten ?) und wenn fie fid ben Mühen einer wirfliken Viſitation aud unterzogen, fo gefchah bie bod) nur im Intereffe ihrer Habfucht, indem fie, anftatt die Vergehen mit ben canonis fen Strafen zu belegen, fid) biefe um Geld abfaufen liefen 3); ben Ganonifaten, deren Vorſteher fie waren, in« corporirten fie eine Menge von Pfarreien und bezogen das Ginfommen derfelben, bie übrigen SBeneficien aber verkauften fie an diejenigen, welche am meiften dafür bezahlten 5); die Jurisdictio contentiosa übertrugen fle ihren Dificialen, welche die Geredtigfeitépflege gleichfalls zum Gegenftanbe fabfüdtiger Speculation machten, bie Proceffe in die Länge zogen, um größere Summen zu erzielen 5). Fügen wir zu al biefen Mißbraͤuchen nod) die perfönlichen Rüdfichtslofig« feiten hinzu, welche fid) die Archidiacone gegen ihre Bifchöfe erlaubten 5), fo haben wir ein ziemlich vollftändiges Bild ihreg Treibens gewonnen und werden ben Unwillen begreis fen, ben die Bilhöfe gegen fle hegten, in weldem z. 38. Suibert von Ehartres von feinem Archidiacon fagt:

1) Binterim, a. o. ©. L 1. ©. 429, il . 1212. P.L. c. 15; Concil. Rothomag. a. 1214. . Lateran. IV. a. 1215. c.33; c.23. X. de censib.

3. 39.

3) Turk, De jurisdictionis civilis per medium aevum cum ecclesiastica conjunctae origine et progressu. p. 52.

4) Turk, 1. c.

5) Concil, Salmur. a. 1294. c. 4.

6) Thomassin. 1. c. c. 20. n. 9.

546 Urfprung und rechtliche Stellung

„cum deberet esse oculus episcopi sui, dispensator pau- perum, catechisator insipientium, apostavit ab omnibus et factus est quasi clavus in oculum, praedo pauperibus, dux erroris insipientibus, quin imo superba et contumeliosa dicta in episcopum suum jaculatus est^ etc. !).

Die fide unterließ es nicht, biefen ungebührlihen Anmafungen entgegenzutreten, bie ebenfo uncanonijden alà verberblid)en Befugniffe ber Archiviacone zu befchränfen unb ihre Macht auf bie urfprüngliche Bedeutung zurüdzuführen. Alexander IH. verbot ihnen, ohne fpecielles Mandat des Bifhofs bie Beneficien zu vergeben unb die admissio ad curam animarum gu ertheilen ἢ). Die Diöcefe follen fie nur im Namen des SBiffjofó ad vicem sui episcopi vifttiren dürfen 9. :Derfelbe Papſt machte das Recht, die Ercommunication zu verhängen, von ber jedesmaligen biſchoͤflichen Erlaubniß abhängig unb unterfagte ben Ardi- biaconen, bie Vergehen der Eferifer und Laien mit Gel zu beftrafen und diefes für fid) zu behalten 9. Das Concil von Saumur 5) entzog ihnen bie Befugniß, eigene Officiale zu beftellen nur am Sige des Bifhofs dürfen fie einen Stellvertreter haben; namentlid) aber bie Causae majores, bie Eheſachen, bie Unterfuhung wegen Gimonie, bie Ab febung unb Degradation ber Glerifer waren es, welde die Biſchoͤfe für ifr eigenes Forum zurüdverlangten ober bof)

1) Fulberti Epist. ad Clerum Paris. in Biblioth. maxim, Patrun, T. XVIII. p. 14. .

2) c. 4. X. de οἵδε, archidiac. 1. 23, cfr. Concil. Lateran. IL ann, 1179. Append. P. XXIV. c. 1.

3)c 1. X. h.t, 1. 23.

4) c. 5. X. 5.41. 23; c. 8. X. de poenis. 5. 37.

5) Concil Sslmur. a 1253. c. 8. cfr. Concil. Turonens. a. 1239. « 8.

der Generafolcate, 547

die Entfgeidung biefer Angelegenheiten von ihrer fpeciellen Ermächtigung abhängig madyten !). , Hatten fid enblid) nit felten Minoriften und fogar Laien in bie Archidiaconate eingeſchlichen lebiglid) in ber Abficht, fid im ben Beſitz großer Macht unb vielen Ginfommené zu fegen unb waren εὖ hauptſaͤchlich biefe Ginbringlinge, welche bie Surióbiction des Biſchofs, zu bem fte nicht im entfernteften Verhaͤltniſſe der Unterordnung ftanden, am rüdfihtslofeften zu Boden traten, fo verordnete eine Reihe von Synoden, baf nur Diacone zur Würde des Archidiaconats gelangen fónnen und daß diejenigen, bie biefer Forderung nicht genügen, ihre Stellen verlieren follen 9.

Alein fo wohlberechtigt und gutgemeint alle biefe Beſchraͤnkungen waren, bie 9lrdjibiacone febrten fid) nicht im Mindeften daran unb übten ihre angemafte Suriébiction mit all ihren Mißbraͤuchen zum SBerberben ber Diöcefen und zum Hohne der biſchoͤflichen Auctorität nad) wie vor 3), denn Verhältniffe, bie einmal fo tief im Leben wurzeln, bie bie Gefdjidte von Jahrhunderten für fid haben und einen unvorbenflihen Befisftand anrufen fónnen, laſſen fid) burd) bloße Gefege und einfache Reclamationen aus demfelben nicht verdrängen. Sollte daher bie Gewalt ber Bifhöfe nicht für immer das bleiben, was fie feit Jahr- hunderten geworben war ein leerer, wefenlofer Schatten, follten die Gläubigen wieder von Denjenigen geleitet wer⸗ ben, bie der Herr zu Hirten gefeßt, bie Kirche Gottes zu regieren, fo mußten bie Bılhöfe den Boden ber bloßen Geſetzgebung verlaffen unb factifd) vorídreiten: das

1) Concil. ad Vallem Guidonis a. 1242, c. 4.

2) Thomassin. 1. c. c. 20. n. 4. 3) Binterim, a. a D. © 411 f.

548 Urfprung umb rechtliche Stellung

entfheidende Mittel zu diefem Zwede fanden fie in bet Aufftellung eigener Bicare Offciales, Vicarii generales. Der Zeitpunft, in welchem dieſes geichah, ift bie Mitte des breigebnten Jahrhunderts: in dem Decrete Gratians ſowie in der Decretalenſammlung Gregor's IX., bie im 3. 1234 vollendet wurde, findet fid) von diefen SBicarien nod) Feine Spur, der Titel (I. 28), ber de officio vicarii überfchrieben ift, handelt von ben Gehülfen der Pfarrer; aber fhon das Concil von Rouen) im S. 1231 erwähnt des bifhöflihen Official, Innocenz IV. fand fid) auf der Synode von Lyon 1245 bereit8 veranlaßt, der Jurisdiction der erzbifchöflichen Of⸗ fieiale Grenzen zu feßen 9, der Biſchof von Aurerre ber ſtellte 1248 für bie Dauer feiner Abwefenheit ben Dom- ſcholaſticus zum Generalvicar 3) und von biefer Zeit an werben biefe bifhöflichen Gehülfen immer häufiger, fo daß der im 3. 1298 von Bonifaz VIIL publicitte Liber Sextus einen eigenen Titel de officio vicarii enthält, ber ausfhlieglih von ihnen handelt, woraus hervorgeht, baf zur Zeit biefeó Papſtes das Inſtitut der Generalvicare bereit6 allgemein eingeführt war. Was nun aber ihre rechtliche Stellung zum Biſchofe betrifft, fo war biefe burd) den Zwed, bem fie dienten, von felbft vorgezeichnet: fie follten ein Gegengewicht bilden gegen bie Archidiacone, ihre Jurisdiction befhränfen und diefelbe wieder in bie Hände des Biſchofs jurüdbringen. Hatten daher die Archidiacone ihre Amtögewalt ald eine eigene unb ordentliche

1) Concil. Rothomag. c. 13.

2) Der betreffende Ganon. findet fid) c. 1 de offic. ordinar. VL 1. 16, wird aber dort fälſchlich Innocenz TIL. zugeſchrieben.

8) Thomassin. 1. c. c. 8. n, 5.

der Generalvicare. 549

beanfprucht, fo fonnte bie ber neuen Vicarien nur eine jwisdictio delegata vel vicaria fein; hatten jene ihre Rechte ins Maaflofe ausgedehnt und allmählig alle bifhöflihen Befugniffe ufurpiet, fo mußte bei biefen der Umfang ihrer Rechte vom freien Willen des Biſchofs und feiner jedesmaligen Uebertragung abhängig gemadt werden und wenn bie 9frdjibiacone eine Audientia propria fi) anmaften, fo mußten bie neuen Gehülfen mit dem Biſchofe Ein Forum bilden, von weldem die Aps pellation nicht an den legtern, fonbern an ben Metropofiten gelangt. In Mebereinflimmung mit viefen Forderungen beftand daher, freilich mit manchen localen Mobdificationen, gewöhnlich bie Einrichtung, daß für die einzelnen Dis friete ber Dioͤceſe ſogenannte Officiales foranei beſtellt wurden, bie an Ort und Stelle in Ausübung der ihnen defegixten, minder wichtigen Rechte mit den Archidiaconen concurriren und die Gerichtsbarkeit berfelben an ftd) ziehen ſollten; am Cite des Biſchofs aber bildeten die Offi- cales principales unb bie Vicarii generales 1) für bie vor den Ardidiaconen und Officiales foranei verfanbelten

1) Die genannte Unterſcheldung be Officialis foraneus umb prin- cipalis finden wir querft von Glemene V. beflimmt ausgeſprochen c. 2 de rescript. in Clement. 1. 2, wüfrenb bem Officialis principalis der. Vicarius generalis don von Bonifaz VII. entgegengefteflt wurde c. 3 de temporib. ordinat. VI. 1.9. Uebrigens wurden beide Bezeichnungen vielfach auch identiſch gebraucht (c. 3 de offic. vicar. VI. 1. 13), was nod Beute ber Fall iſt. So bemerft Barbofa (De offic. et potest, Episcopi, P. HI. Alleg. LIV. n. 53), daß bet Generalvicar nach ber conflanten Praris der romiſchen Canzlei in ben Schreiben, bie für Italien, Ungarn, Dalmatien, Eyyrus, Greta, den Orient, Sicilien, Sardinien und Gorfifa. beftimmt find, Vicarius genannt werbe, während ihn bie Schreiben für Arifa, Spanien, Frankreich, England, Deutfpland und Polen als Officialis bezeichnen.

Sie. Dnartalfgeit 4868. IV. Heft. 37

550 Urfprung und rechtliche Stellung

Sachen die zweite Inftanz, während fie Diejenigen Angelegenheiten in ezfter In ſtanz entſchieden, bie wegen ihrer Wichtigkeit jenen entzogen waren wie bie Causae matrimoniales et criminales, bie Beftrafung der Simonie, des Goncubinaté, ber Vergehen der Religiofen, bie Er theilung von Dispenfationen und Privilegien, die Errichtung und Sncorporation der Pfarreien 1c., wobei dann zwiſchen Official unb Generalvicar fo geſchieden wurde, daß jenem die ftreitige Gerichtsbarkeit, biefem bie Jurisdictio voluntaria zugewieſen war !). In biefer Stellung fämpften bit Vicarien mit ben Archidiaconen um bie SBiebererfangung ber bifhöflichen Jurisdiction bis in's ſechszehnte Jahr⸗ hundert hier mit mehr, dort mit weniger Erfolg. Daß fif bie Lepteren ihre hergebrachte Stadt, nicht fo ohne Weiteres entwinden ließen, fle vielmehr eben fo fráftig und ganz in derfelben Weife wie bisher handhabten, bemeifen bie fdweren Klagen, bie au im 14ten und 15ten Jahr⸗ Hundert gegen ihre Willkuͤr, Habfucht unb ſchlechte Vers waltung wiederholt erhoben wurden ?), aber für bie Dauer mar fle nicht mehr aufrecht zu erhalten. Rachdem fon Earl V. in ber vortrefffidjen Formula Reformationis 9), bie er 1548 dem Reichstag zu Augsburg vorfegte, c. II bie Archidiacone in ihre urſpruͤngliche Stellung zum Biſchofe, wornad fie bloße Stellvertreter deffelben find, gurüdgemirien hatte, war εὖ befonberá das Tridentinum, daß ihrem Treiben das längf verdiente Ende brachte. Die Synode entzog ihnen für alle Zufunft bie Causae matrimoniales εἰ

1) Cabassutius, Theoria et praxis Jur. Can. L. L c. 13. n.i; Van-Espen, 1. E. P. L. tit. 12, c. 4. 5.

2) Turk, 1. c. p. 62 seqq.

3) Goldaet, Constitut. Imper. IL p. 325 339.

der Generalvicare. 551.

criminales 1) und bie Ausübung des Vifitationsrechtes wurde von der Zufimmung des Biſchoſs abhängig gemacht, bem fle im Balle einer Uebertragung innerhalb Monats⸗ friſt Bericht zu erflatten und Rechenschaft abzulegen haben 2); die Verhängung der Crcommunication forie bie Beſtrafung ber concubinarijd)en Glerifer follte für bie Folge nur mehr vom Bifchofe ausgehen dürfen 5), deögleihen bie 9Ippro« bation der Geiſtlichen, die Ertheilung ber institutio canonica bei Patronatspfränden mit Ausſchluß des Archidiacons nur dem Ordinarius zufiehen *), bie Gefbfirafen, welche bie Archidiacone bisher verhängten und für fid) bezogen, wurs den jebt zu frommen Zweden beftimmt, woburd) eine reiche Quelle ihres Einfommens hinwegfiel 5), endlich verordnete das Eoncit: „Archidiaconi, qui oculi dicuntur episcopi, sint in omnibu$ ecclesiis, ubi fieri poterit, magistri in iheologia seu doctores aut licentiati in jure canonico* 5).

Was burd) biefe Beflimmungen, bie ben Archidiaconen den größten unb wichtigften Theil ihrer bisherigen Rechte entzogen, beabfichtigt war, trat alsbald ein: in vielen Diöcefen giengen fle gänzlich unter, fo daß nicht einmal Ihr Name fid) erhielt, in andern bfieben fte zwar beftehen, aber ifr Amt war weiter nichts, als ein Titel ohne Juris⸗ biction, unb wenn fle fid) an einzelnen Kirchen aud) einen Heinen Kreis von Rechten nod) retteten, fo übten fte biefe nit mehr jure proprio, fondern lediglich in Folge einer

1) Bess. XXIV. c. 20 de ref.

2) Sens. XXIV. c. 3 do ref.

3) Sess. XXV. c. 3. 14 de ref.

4) Sess. XIV. c. 12. 13; Sess. XXV. c. 9 de ref. 5) Sess. XXV. c. 3 de ref.

6) Sess. XXIV. c. 12 de ref.

815

559 Urfprung und rechtliche Stellung

Conceſſton des Biſchofs als jurisdictio delegata ). Diefe neuen Berhältniffe hatten aber nod) eine weitere febr wichtige Veränderung in ihrem Gefolge; ba bie Officiales foranei den Zweck hatien, an Ort und Stelle mit ben Archidiaconen gu concurriren und ihnen bie bifchöfliche Syurióbiction all- mählig zu entziehen, fo hatten fie mit dem Aufhören der Arhidiacone ihre Beftimmung erfüllt und fielen gleichfalls hinweg, ja fefbft bie Officiales principales hatten feit bem 15ten Jahrhundert nad) unb nad aufgehört 9. So blieb nur mehr der Generalvicar übrig als ber alleinige - Stellvertreter des Bifhofs in Ausübung der gefammten Zurisdietion und es wird jept unfere Aufgabe fein, bit mod) heute geltende Gefeggebung darzulegen, bie fld) über die rechtliche Stellung beffelben auf der Grundlage des Deeretalenrehts, des Sxibentinumó unb Pauptfäctic, der Entſcheidungen der römischen Eongregationen ausgebildet bat.

1) Bol. die Verorduung der Synode von Galjburg v. I. 1569 5d Binterim, a. a. D. €. 425 f.

2) Auch das Tridentinum feunt feinen Official mehr im Gegenfag jum Generalvicar, εὖ gebraucht beide Suébrüde ſynonym Sess. XXIV. c. 16 de ref. unb überweist bie jurisdictio contentiosa , bie früher bem. Dfficial zufland, am bem Generalvicar Sess. ΧΠῚ, c. 1 de ref. Ju einzelnen ‚Diöcefen beſteht übrigens mod) heute bet Official neben bem Generalvicar fort, jenem iR die Gognitlou und Entſcheldung ber Qe ſachen zugewiefen und bildet mit ben ihm beigegebenen Domcapitularen das Dfficialat, während ber Beneralvicar die ganze ordentliche Juris dietion des Bifchofe ausübt und mit den ihm zur eite ſtehenden Räthen das Generalvicariat conftituit: beide Golegien zufammen bilden dann das bifhöflige Orbinariat,

der Generalvicare. 553

A. Beftellung des Generalvicare.

Senn einige Ganoniften. unter Berufung auf c. 14. 15. X. de offic. judic. ordinar. 1. 31 die Behauptung auiftclten , jeder Biſchof habe bie Verpflichtung fid) einen Generalvicar zu beftellen, fo muß biefe Anſicht als durch⸗ aus unbegründet bezeichnet werden, weil einerfeitd bie an» geführten Stellen von einem eigentlichen Generalvicar gar nicht teben und anderſeits weil eine folde Borderung mit den Grundanſchauungen des canoniſchen Rechts im volftändigften Widerſpruche ſtehen würde. Nah ben Haren Beftimmungen defielben haben alle Diejenigen, die ein kirchliches Amt wegen ihrer perfönlidhen Eigenfhaften erhielten, baffelbe aub perſönlich ju verwalten iN daß bie Würde des Episcopates gleichfalls in die Reihe diefer Aemter gehöre, daß zu derfelben immer derjenige erhoben werben follte, ber vermóge feiner pers fónliden Eigenfhaften ber 9Bürbigfte unb Saugli fte ift, fann nicht bem geringften Zweifel unters liegen 3). Mithin wird ber Bifhof nicht nur das Recht, fondern aud bie Verpflichtung haben, feines Amtes perfónlid) zu warten und bie Heerde, bie Gott feiner Obſorge anvertraute unb für welche er einftenó dem ewigen Richter wird Rechenſchaft ablegen müffen, Trid, Sess. VI. c. 1. de ref. felbft zu leiten. Die vom Geſetze ihm gegebene Befugniß, einen Gehülfen in ber Perfon des Generalvicars fid) zu beftellen, muß bemgemáf unter bem Gefihtspunfte einer SBerwilligung, einer befondern

1) c. 3. X. de cleric. non resid. 3. 4.

2) Trident. Sess. XXIV. c. 1. de ref.; Ferraris, Prompt. biblioth, s. v. eleciio, art, III. n. 13 seqq.

554 Urfprung und rechtliche Stellung

Eoneeffion, eines Privilegiums qufgefaßt werden, von bem er je nad feinem Grmefjen Gebraud) maden fann ober nicht: will er bie ſchwere Bürbe feiner Pflichten allein tragen, fo wird diefes um fo vollfommener unb für ihn um fo verbienftliher fein, hält er es aber für die ypünftlibe und ſchnelle Beforgung der Geſchaͤfte für swedmäßig, einen Gehülfen beizuordnen, fo fann er Einen oder nad ben Umftänden aud) mehrere Generals vicare beftellen ἢ". Diele Freiheit des Biſchoſs, bie aud) von ber Rota Romana und ber Congregatio Concilii aus brüdlid anerfannt vourbe?), bildet alfo die Regel, en welder aud) bann. nod) feftgehalten werden muß, wenn der Bifhof zwei Diöcefen unter feiner Jurisdiction ver einigt, aber bie Adminiftration beider allein führen will 3) : eine wirkliche und vom Geſetze beftimmte Ausnahme tritt nur in den Fällen ein, mo ber Bifchof (ei. e wegen zu großer Ausdehnung der Diöcefe oder wegen ber Menge der Ge fhäfte oder aus irgend einem andern Grunde nicht im Stande ἐξ, allein den Verpflichtungen feines Amtes nachzukommen und gegründete Urſache für die Befürchtung vorliegt, e8 möchte bie geordnete Verwaltung der Diörefe Schaden nehmen. Unter foldjen Berhältniffen ift er, wie in ber Natur der Sache liegt, verpflichtet, einen Generals vicar zu beftellen und fann vom heiligen Stuhle zur An nahme eines folhen in der Weife angehalten werben, bof falls er den betreffenden Vorſtellungen nicht nadjfommen

1) S. Congregat. Concil. in Lancian. 24 Mart. 1599; in Gerunden. et Cariat. 2 Octobr. 1706.

2) Rota in Calagurit. Fructuum 18 Mart. 1583; Oomgregel. Concil. 11 Februar. 1696.

3) Ferraris, l. c. s. v. Vicarius generalis Episcopi, art, L n. 13.14.

der Generalvicare. 555

follte, ihm vom DOberhaupte der Kirhe ein Gehülfe und Stellvertreter fpeciell gefegt wird !), ber alddann bie Voll machten eines Vicarius Apostolicus übt und von Geiten des Bifhois wunabícgbar ift ?).

Wie εὖ mit Ausnahme der zuletzt genannten Fälle lebiglió von der Entiheidung des Bilhofs abhängt, ob er einen Generalvicar beftellen wolle oder nicht, fo hat er aud die vollüünbigüe Breiheit in der Wahl ber SBeríon: er ift nur feinem Gewiſſen verantwortlich, ‚Niemand hat Bier mitzufprecben, [εἰδῇ das Kapitel nicht, denn nad) der übereinftimmenden Anfiht der Ganoniften und ber ununterbrodhenen Praris bedarf ex meber beffen Rath nod Zuftimmung 9). Deſſenungeachtet aber wird faum nöthig fein zu bemerken, daß er bei biefer Auswahl bie größte Vorfiht anwenden und nur einen folhen Mann mit bem wichtigen Amte, auf bem eine fo große Ders antwortung ruht, betrauen folle, ber in jeder SBeife würdig unb nad) allen Seiten hin fähig ift, die größten Biſchoͤfe find biefer natürlichen Verpflihtung gewifienhaft nadjgefommen, von Carl Borromäus fchreibt fein Biograph : „Vicarium Generalem in primis gravem, pietate religioneque praestantem, doctrina spectatum, juris consultum, tum praeterea disciplinae sacrae studio incensum , Sacerdotem eligebat“ *). In biefem Sinne hat das canonifche Recht eine Reihe von Eigenfhaften namhaft gemacht, bie zu ber

1) Nicolius, Floscul. s. v. Vicarius General. n. 39.

2) S. Congreg. Episcop. in una Civitatis Castell. 2 April. 1591; in Mediolan. 8 Februar. 1594.

3) Ferraris, |. c. n. 3.

4) Pellegrinue , Praxis Vicariorum, p. 1. Baerbosa, De offic, et potesta, Episcop. P. Ill. allog. 54. n. 3.

556 Urfprung und rechtliche Stellung

Würde des Generalvicars befähigen ober aber von berfelben ausſchließen. Vor Allem wird der Elerifat gefordert, denn bie Laien find zur Ausübung ber kirchlichen Jurisdiction, bie gerade ben Geſchaͤftskreis des Generalvicaré bildet, durch⸗ aus unfähig ); zwar fann ein Laie in untergeorbneter. Eigenſchaft als Beifiger ober Gonfultor einem geiflliden Gerichte beigegeben werben, aber al Richter (elbft oder gar als Präfident des Gerichtes fann er nie auftreten. Wenn bemgemáf nur ein Cleriker Generalvicar werben fann, fo fragt fib weiter, welcher Or do erforderlich fei? Daß an fij (don bie Tonfur hinreihen würde, [eudjtet ein, denn fie ertheilt mit dem Glerifat aud) das Recht, an der Ausübung ber firdliden Suriébiction thätigen Antheil zu nehmen, aber die pofitiven Beflimmungen des Rechts ber gnügten fid) in ber Regel damit nicht: bie fpaniihe Synode von Tortofa im Jahr 1419 verlangte c. 10 die höhern Weihen und erflärte jede Handlung für null und nichtig, bie ein Minorift als Generalvicar vornehmen würde; das fechfte Concil von Mailand forderte jum Wenigften ben Gubbiaconat, das von SBourbeaur 1583. c.,16 ausprüdlig ben Presbyterat und in Spanien ift εὖ feſtſtehendes Geſeh, dag nur ein Presbyter zum Generalvicar erhoben erden füónne?) und dieſes Leptere wird wohl das Gieeignetfit fein, denn faffen wir bie Stellung des Generalvicard näher in's Auge, wornad) er der Vorgeſetzte fämmtlicher Priefter der Diöcefe ift, fo wird nicht geläugnet werden fónnen, daß etwas Unangemefienes darin liegt, wenn er blos Diacon ober Subdiafon ift Die Trage, ob ein Regulare

1) c. 2. X. de judic. 2. 1. 2) Constitu, Urbani VIII: Decet Romanum.

der Generalvicare. 857

das Amt eines Beneralvicars befleiden fünne, ift von ber Congregat. Episcop. !) wiederholt und mit Recht verneint worden, denn einerfeitö ftebt tie Verpflichtung zur Gaufur ent» gegen, andererfeits ift der geräufchvolle Wirkungskreis dieſes Amtes mit der Beſtimmung bes flófterliden Lebens wenig vet» einbar; mur in fehr dringenden Fällen ertheilt der apoſto⸗ liche Stuhl dießfals Diſpens *). Ebenfowenig fann ein Pfarrer zum Generalvicar beftellt werden, denn beide Aemter find unvereinbar 3) und es müßten entweder die Pflichten des einen ober des andern vernad)láfigt werben 5, nicht einmal bie Anſtellung eines Pfarrricars begründet eine Ausnahme von biefem DVerkoted). Aus denfelben Gründen find bie firhlichen Dignitäre und bie Canonici, melde eine cura animarum haben, ausgeſchloſſen ὁ. Das gegen find bie einfachen Domherrn nicht nur nicht aus⸗ geſchloſſen, fondern «6 ift fogar Regel, daß der Generalvicar aus bem Gremium des Capitels gewählt wird, theil wegen bet hohen Stellung, welche bie Mitglieder deſſelben [don an fid) in der Diöcefe einnehmen, tbeiló wegen ihrer aus⸗ gebebnten Bekanntſchaſt mit den allgemeinen Diöcefanans gelegenbeiten. Daher hat bie Ennode von Ealamanca im 3. 1335 c. 1. geradezu vorgeſchrieben: „Episcopi viros providos de gremio ecclesiae cathedralis lilerarum scientia praeditos, si reperire potuerint, ad exercendum eorumi

1) 8. Cong. Episcop. in Asculana 15 Januar 1597, in Motulana 8 Moji 1615.

2) Ead. Congreg. in Caputaquens, 17 Novembr, 1593.

3) S. Congreg. Episcop. in Messana 19 Januar. 1603.

4) Ead. Cong. in Sutrin. 16 Novembr. 1640,

5) Eed. Cong. in Albingan. 8 Junii 1621.

6) S. Congreg. ad Trid. Sess. XXIV. c. 12. de re, edid, Richter n. 81. .

558 Urfprung und rechtliche Stellung

vices, eligere teneantur* unb aud) bie Congreg. Episcop. fprad fid für bie Zwedmäßigfeit ter Wahl eines Dom: tapitularen aus 1): daß aber ber Biſchof biegu verpflichtet fei, davon fann feine Rebe fein, und erft neuerlich hat der heilige Stuhl ausdruͤdlich erflärt, der Generalvicar muͤſſe nit nothwendig Mitglied des Capitels fein *). Nach einer Verordnung des Tridentinums *) bat der Biſchof aus der Mittedes Gapiteló einen Poenitentiariusan der Kather dralfirche anzuftellen : biefer fann nicht Generalvicar werben, damit jeder Schein ferne bleibe, als benüge ber Ocnerafvicar in Ausübung ber Jurisdiction etmad von bem, was er in feiner Etelung als Roenitentiarius in Erfahrung ges bracht; nur dann ift eine Musnahme von diefem allgemeinen Verbote geftattet, wenn bie anerkannte Rechtſchaffenheit des Mannes jeden derartigen Verdacht ausichließt 3). Um ferner jeden Schein des Pepotismus und viele andere Inconvenienzen zu vermeiden, verbieten die Gefepe aus brüdlid), daß ber Bifhof einen Verwandten zum Generalvicar beftelle 5); nur bei befonder6 hervorragenden Eigenfhaften und bem Mangel an andern geeigneten Männern wird bisweilen auf furze Zeit eine Ausnahme geftattet 9. Ob der Biſchof feinen fünftigen Stellvertreter aus der Zahlder Didcefangeiftlihen wählen müfle oder aud einen Au 6 üáctigen dazu beftellen dürfe, Darüber hat

1) 8. Congreg. Episcop. in Trahun. 3 Septembr. 1601 * Messan. 23 Julii 1603.

2) Darfiellung der Gefinnungen Geiner. Heiligkeit x. bei Münch, Goncorbatt, TI. Όν. δ. 402.

3) Sess. XXIV. e. 8 de ref.

4) 8. Cong. Episcop. in Ariminens. 28 Janusr. 1611.

5) S. Congreg. Episcop. in Ariun. 1636.

6) 8. Congreg. in una Nullius Pisciae 1. Octbr. 1635.

der (θεπεταοίεατο, 550

{ὦ bie Praris ju verſchiedenen Zeiten verfdieben ausgeſpro⸗ jen: Carl Borromäus ließ nur Auswärtige ju !) unb aud) bie mehrerwähnte Gongregation hat in biefem Sinne wieber- holt entftbieben 2), weil fte bei Einheimifhen die allerdings naheliegenden SBegünfigunger von Verwandten und Ber fannten befürdjtete, allein fle felbft hat fid) febr häufig veranlaßt gefehen, hierin zu dispenſiren 5) fogar für ita» lien iſche SSifdófe und wenn in andern Ländern diefe Praris nie durchgeführt wurde, fo lag babei ohne Zweifel bie ganz richtige Erwägung zu Grunbe, taf ein Ange böriger ber Didcefe einerfeitö viel genauere Kennts niffe ber fBerbáltniffe und Perfonen habe, was ihm fein Amt ungemein erleichtert, unb andernfeitß bei feinen Unter» gebenen mehr Liebe und Vertrauen finden werde, etwaige ungerechte Begüinftigungen aber burd) die energifche Perfön« Tigfeit des Biſchofs leicht verhindert werden fünnen. Berner verlangt das Recht bei ber. hohen Stellung des Generalvicars unb der Wichtigfeit feines Amtes, daß er zum MWenigften 25 Jahre alt {εἰ *) und daß felbft bie bifhöfliche Dispenfation nicht binreide, einen Jüngern zu berufen 5). Daß diefe firenge Forderung vollftändig berechtigt fet, geht aus anbermürtigen Beſtimmungen des Geſetzes deutlich hervor, denn wenn das Sribentinum 5) für jede Dignität mit Seelforge das 25. Jahr fordert, um wie viel mehr wird bieß bei bem Generalvicar Platz greifen

1) Pellegrin. 1. c. p. 1. n. 2.

2) In Ostunens. 28 Julii 1587, in Spalatrens. 9 Mart. 1593, in Senogall. 10 Februar. 1598.

8) Ferraris, 1. c. n. 35.

4) Nicolius, Floscul. n. 39. Barbose, |. c. n. 3.

5) Perreris, |. c. n. 37. 6) Sem. XXIV. c. 12. de ref,

360 Urfprung unb rechtliche Stellung

müffen, ber gleichſam bie Seelforge der ganzen Diöcefe in fid vereinigt und als Vorgeſchter leitet? Um endlich eine hinreichende Garantie. für die wiſſenſchaftliche Befähi- gung des Generalvicaró zu haben, fann mur ein Doctor oder ficentiat des canoniſchen Rechts gewählt werben !) und dicß ganz be(onberó bann, wenn ber Biſchof felbft dieſer academiſchen Grade ermangelt ?), fo baf er von der Congreg. Episcop. jur Annahme eines Graduirten fogar genótbigt werden fann; bisweilen jebod) ertheilt die -Éongregation Dispens 3), wenn ber. Gewählte nad) allen andern Richtungen hin die canoniihen Eigenfhaften hat und der Biſchof im Rechte der Kırche ſelbſt erfahren ift, eine Radfiht, zu welcher fie um fo mehr berechtigt ift, als das Tridentinum für die ungleich wichtigere Stellung des Capitularvicars bie genannten acabemijden Würden verlangt, bennod) aber beifügt: vel alias, quantum fieri poterit, idoneus *). .

Hat ber SBifbof unter Beobachtung ber aufgeführten Borberungen bie Wahl wirflid) getroffen 5), fo fof ez bem

1) S. Congreg Episcop. in Polignan. 28 August. 1582, in Triventin. 6 Octobr. 1645. Der Doctorat in bet. Theologie reicht an fid nicht hin und Reht bier jedenfalls bem im canoniſchen Recht nach, weil der Wirkungskreis des Generalvicars wefentlid in der 9tueütung der Suriébiction umb. der kirchlichen Rechtspflege beſteht. Das Gefagte wird ausdrücklich befätigt von ber Congreg. Episcop. in Surrentina 15 Novmbr. 1605.

2) Ead. Congreg. in Arben. 23 April. 1591.

3) Ead.-Congreg. in Tragurien. 15 Junii 1590, in Oritana 29 Mart. 1593.

4) Sens. XXIV. c. 16. de ref.

5) Hiezu IR ber Bifchof berechtigt, fobald er confirmirt if, denn da er durch bie Befätigumg in ben vollen Befig der biſchoͤflichen Surieébiction gelangt (c. 42 de elect. VL 1. 6), fo it er auf befugt, dieſelbe durch Delegation einem Dritten zu übertragen.

der Generalvicare. 561.

Betreffenden die Crnennungéurfunbe, bie zugleich feine fünftigen Rechtsbefugniſſe enthält, alsbald aushändigen. Diefe Urkunde muß von Zeugen unterzeichnet fein und überhaupt den Charakter eines öffentlichen Inftrumentes an fij tragen 1), damit fid) der Generalvicar zu jeder Zeit af& folder Iegitimiren könne unb ber Kreis feiner Rechte ein⸗ für allemal fef und beftimmt abgegrenzt fei. Gade des Gewählten ift εὖ fobann, biefe Urkunde im Driginal bem verfammelten Gapitel vorzulegen und ihm babutd) bie SBefignafme feines Amtes officiel zu notifis tien. In ben Acten der bifhöflihen Eurie ift eine aus thentiſche Abfchrift nieberjulegen ?). Die Beftätigung des vom Biſchofe erwählten Generalvicars, welde in neuern Zeiten einzelne Regierungen in Anſpruch genom« men haben 3), ift eine ebenfo überflüffige als unmotivirte Forderung. Der Generalvicar bildet mit dem Bifchofe rechtlich eine unitas personae und Ein und baffelbe Forum: er Fann nur diejenigen Rechte ausüben, bie bem Bifchofe ſelbſt aufteberi, und wenn er je die bifchöflihen SBefugniffe mißbrauchen oder überfchreiten follte, fo ift nicht er, fon» dern ber Biſchof verantwortlih. Das Leptere folgt einerfeitd aus bem allgemeinen Rechtsgrundſatze: qui facit per alium, est perinde ac si faciat per se ipsum *), an« bererfeit& liegt e& in der ganzen Stellung, bie ber Biſchof fortwährend zu feinem ©eneralvicar einnimmt: er fol

1) Rebuffus, Praxis beneficiorum, de vicariis Episcop. n. 8, 13.

2) Pellegrinus, 1. c. p. 3. n. 1.

3) 3. 8. in Defterreich: Hufberret vom 23. Mai 1782 und 22. Zuni 1797, und in Bayern, Sn. Müller, Pericon des Kirchen» rechts, Art. Beneralvicar.

4) c. 72 de regul. jur. VL 5. 12.

562 Urfprung umb rechtliche Stellung

diefen ununterbrodjen beauffitigen, ſich mit ifm über bie verſchiedenen Angelegenheiten befpredhen, ihn ermahnen 1; er kaun ihn, false er vom Wege des Rechts abweid)t, jederzeit zur Rechenſchaft ziehen, ihn beftrafen und wenn'é nöthig fein follte, jeden Augenblick entlaffen ἢ, Macht der Biſchof ven diefen ausgedehnten Befugniffen feinen Gebrauch, fe if er aud für den Schaden haftbar, ben der Generalvicar anrichtet und für die Handlungen vers antwortlich, bie biefer widerrehtlich vornimmt 3. Wenn demgemäß der Generalvicar nur diejenigen Befugnifie ausüben fann, zu welden der Biſchof felbft berechtigt iR und im Falle einer Ueberfchreitung bie Verantwortlichkeit bem Letzteren obliegt, fo involvirt bie Beſtellung des Ge⸗ neralvicars gar feine Veränderung in der 9lbminiftration der Diöcefe, die Regierung fleht nad) wie vor lediglich bem Biſchofe gegenüber und ebenbarum ift nicht einzu feben, wozu bie beanfpruchte Beftätigung dienen unb worauf fie fib gründen follte. Ueber bie Behauptung: „Es fónne Niemand im &taate ein Amt befleiden, der nidjt von der Regierung in demfelben beftätigt fel," vgl. bie Denk fórift des Epyiscopats.ber oberrheinifhen Kirchen⸗ proviny vom 3. 1853, €. 39 f.

Wie endlich der Generalvicar vom Bifhofe allein unb zu befen perfónlider Unterftügung gewählt wird, fo muß er aud? von biefem unterhalten mer- den, felbft wenn bei ber Beftellung hierüber Nichts ſtipu⸗ lirt worden wäre %; flirht ber Bifhof, ohne bem Gene

1) Coneiliam Narbon. s. 1609 bei Thomass. 1. c. c. 9, m. 4. 3) Berbosa, 1. c. n. 184.

3) Rebuffus, |. c. in Forma Vicariatus, n. 188.

4) Borbosa, 1. c. n. 178.

dee Generaloicare. 563

ralvicar fein Einfommen verabreicht zu haben, fo ift biefer berechtigt, e& vom Gapitel aus den Gefällen der vacanten Kathebralfirche zu verlangen !). Die Größe des Gin» fommené ift gemeinrechtlich nicht beftimmt, fie richtet fid) nach Zeiten und S8erbá(tniffen, zum Wenigften aber muß bem Grundfage Genüge geleiftet werben : ,Officialem sti- pendio tam pingui donare, ut ne ulla ei ansa sit nundi- mandi justitiem et impunitatem peccandi promercalem ha- bendi* 2); weßhalb aud) bem Bifchofe auébrüdlid) unterfagt ift, dem Generalvicar die Taxen ber Canzlei 9) oder einen Theil der Strafgelder *) als Einfommen zuzuweifen. In neueren Zeiten ift in vielen beut[den Diöcefen in folge der Vereinbarungen mit Rom für bie Dotation des Ges neralvicars von Seiten der Regierungen geforgt: nad) dem Goncorbat Art. II find in Bayern den Dom- herrn, weíde die Stelle eines Generalvicaró. befleiden, jaͤhrlich 500 fl. ausgeworfen; für Preußen beftimmt bie Bulle: De salute animarum: „singulis Archiepiscopis et Episcopis ad satisfaciendum expensis Vicariorum Gene- relium et Curiae eem redituum tribuat quantitatem, quae a praelaudato Borussiae Rege juxta liberalem et providam suam promissionem hisce titulis factam constituetur“; für bie Diöcefe Rottenburg ftipulitt die Bulle: Provida solersque und übereinftimmend mit ihr das K. Fundations⸗ infrument v. 14. Mai 1828, daß ber Sombefan, falls er zum Oeneralvicar beftelt wird, 1100 fL, unb ein

1) Pellegrinus, 1. c. P. I. Sect. IL Subsect. I. n. 21.

2) Thomassin., 1. c. c. 9. n. 4.

3) Congreg. 'Episcop. in Senogall. 16. Octobr. 1604.

4) Barbosa, Bumma Apostol. Decision. verb. Vicar. General Episcopi n. 8. . :

564 Urfprung ππὸ rechtliche Stellung

einfader Domeapitular 1700 fl. als Zulage erhalten folle ).

B. Bie Amtsgewalt des Generalvicars.

Da ber Generalvicar nad) Urfprung und Geſetz⸗ gebung feine jurisdictio propria hat, fondern [ebiglid) der Gehülje und perfönlihe Stellvertreter des Biſchofs ift, fo hängt ber Umfang feiner Jurisdiction vom freien Gr» meflen des Biſchofs ab, b. b. er fann nur diejenigen Rechte ausüben, bie ber Leptere ihm übertragen hat. Daher entſcheidet fid) bie Brage nad) bem jeweiligen Um» fange feiner Amtsgewalt genau nad) bem Inhalte des Mandats, das der Bifchof ihm. bei feiner SBeftellung zus wies ἢ. Sft in bemfelben der Geſchaͤftskreis zwiſchen Bir fdof unb @eneralvicar genau abgegrenzt und find bie Gegenflánbe, bie vor das Forum bes Lehteren gehören follen, fpeciel aufgeführt, fo hat er fid) auf biefe zu bes ſchraͤnken unb alles Uebrige bem Biſchofe zu überlafjen >). Rautet aber das Mandat ganz allgemein „Te nostrum in Spiritualibus et Temporslibus vicarium gene- relem constituimus, nominamus et deputamus* —, fo ftebt ipm bie Ausübung der ganzen bifhdilihen Jurisdietion zu 9, jebod) mit Ausnahme aller derjenigen Bälle, bie

1) Aus bier Beſtimmung geht zugleich hervor, ba ber SBifdjof, wenn er den Generalvicat nicht aus bem Gremium des Gapitelé nimmt, denfelben felb f unterhalten muß. MWgl. Darfiellung ber Gefinnungen Geiner Heiligkeit, Nünd, a. a. D. €. 402.

2) Ferraris, 1. c. art, IL n. 84,

3) @ine foldje genaue Abgrenzung des gegenfeitigen Wirkungekreiſes findet ſich im der fBerorbnumg v. 19. Sept. 1822 für das Erzbisthum Bamberg, bei Sinbr. Müller, a. a. D. Srt. Generolojrar.

4) Garcias, De benefüc. P. V. c. 8. n. 65 seqq.

der Generalvicare, . 565

gemeinrechtlich ein mandatum speciale erfordern unb bief felbft bann, wenn die Elaufel beigefügt fein follte: dantes et concedentes tibi plenam et liberam potestatem '); find dagegen im Anftellungsinftrument einzelne Bälle, bie fonft das fpeeielle Mandat erfordern, auébrüdid) erwähnt unb biefen bie allgemeine Glaufel beigefügt: „et omnia et sin- gula faciendi οἱ committendi etiam si majora fuerint et quae mandatum exigant speciale, prout ad ipsius Vica- riatus et Officialatus ofücium noscitur quomodolibet per- tinere etc.,“ fo fann bez Generalvicar Alles vornehmen, was gemeinrechtlich ein fpecieles Mandat erfordert mit Ausnahme jener Fälle, die höherer Art find, als bie in ber Urkunde ausdruͤcklich erwähnten ?).

Zur nähern Grflárung des Gefagten wird uns jept obliegen, diejenigen Bälle nahmhaft zu madjen, für deren Behandlung ber Generalvicar das fpecielle Mandat tt6 Biſchofs nothiwendig hat und ohne welded feine Entſchei⸗ dungen rechtlich null und nichtig find. Wir beginnen mit der Aufzählung derjenigen, bie nah ben ausdrüdlis Gen Beftimmungen des gemeinen Rechts hieher ἂμ rechnen find.

1) Dem Generalvicar flet in Folge eines allgemeinen Mandate die Ausübung ber ganzen biſchöflichen Eivilger tidtébatfeit zu, dagegen bedarf er zur Unteriuhung und Entſcheidung der Eriminalfahen, fowie zur Vers bängung ber Strafen der fpeciellen Erlaubniß des Bir ſchoſs 9.

1) Berkosa, I. c. n. 59.

2) c. 4 de procurator. VI. 1. 19. Zngel, Collegium U.J. C. L. 1. tit. XXVIIL n. 10. Qine Formel für derartige Bacultäten findet fif

bei Pellegrin. 1. c, P. L' Sect. H. Subsect, VI. in fin. 3) c. 2 de offic. vicar. VI. 1. 13.

Siesl. Ouarialiariſt. 1858. IV. Heft. 38

566 Urfprung unb rechtliche Stellung

2) Ebenfo verhält ed fid) bei der Vergebung derje⸗ nigen Pfründen, bie liberae collationis episcopi find, denn biefe fallen unter ben Begriff ber Gnaden verleihungen ), bie bem Apminiftrator. in δοίρε feines allgemeinen Mans dats nie gufteben 2: daher der allgemeine Rechtsgrundſah: ea, quae sunt voluntariae. jurisdictionis et sapiunt gra- fiam, regulariter non censentur translata in generalem Vicarium 3). Dagegen fann ber Generaloicar ohne fpe eielle Erlaubniß ben von ben Patronen Praͤſentirten bie SBeflátigung unb institutio canonica ertheilen 5), weil εὖ fid bier nicht um eine Onadenverleifung, fonbern um bie institutio necessaria handelt, bie ertheilt werden muß, wenn der Präfentirte die canoniſchen Eigenſchaften befigt.

3) Ohne fpecielles Mandat kann der Generalvicar feine Dimifforialien ausftellen 5), weßhalb er in ben ſelben jedesmal beizufügen hat: ex speciali mandato elc. Dagegen bedarf er zur Ausfertigung derſelben, wie bie eben erwähnte Decretale beflimmt, dieſer fpeciellen Er laubniß nicht, „episcopo in remotis agente.“ Welches aber ber nähere Sinn der legtgenannten Worte fei, darüber, find die Canoniften uneinig: die Gloffe (ad. cap. cit)

1) c. 9. X. de praebend. 3. 5; c. 7. X. de concessione prao- bend. 3. 8. j

2) c. 3 de offic. vicar. VI. 1. 13.

3) Fagnani, Comment, ad c. 1. X. de instjt. 3. 7. n. 85. SB aber der Viſchof die collatio benefic. nicht [elbft ausüben, fo fans et die Vollmacht dazu Riemanden übertragen, als feinem Geno talvicar. Glosse in c. 3 de offic. vicar. VI. 1. 18, verb. commisze.

4) Barbosa, l.c. n. 70. Benedict. XIV. de synodo dioeces. 1.1. c. 8. . Die entgegengefepte, aber von ben neuern Canonifen allgemein aufgegebene Meinung vertheitigt Rebuffuz, Praxis bene. additiones in Regul. Cancellar. Xlll. verb. -eus vicarios perpetuos

5) c. 3 de temporib, ordipat, VL 1. ὃ,

der Generalolcare. 567

bemerft, die Einen nehmen diefen Fall an, wenn ber Bie hof fid) außerhalb ber Provinz befinde, bie Andern wenn er über zwei Tagreifen von feinem Biſchofsſitze ent» fernt fei, fte ſelbſt entſcheidet fib dahin: hoc esse arbi- trarium, scilicet pro majori vel minori difficultate con- veniendi episcopum. Diefer Meinung [diet fid aud) SBenebict XIV. an, wenn er l c. fagt: extra casum, quo episcopus in remotis versatur, ita ut ab Ordinandis sine magna. difficultate arbitrio prudentis viri metienda conveniri non valeat.

4) Zu allen Dispenfationen von Sirregularitáten unb Genfuren, bie auf einem delictum occultum beruhen, bes darf der Generalvicar des fpeciellen Auftrags, denn das Sribentinum !), das bie SBollmadjt zu biefen Dispenfas tionen ben Bilhöfen einräumte, hat auébrüdlid) vorge⸗ förieben, daß bie Letztern fle ertheilen per se ipsos aut vicarium ad id specialiter deputandum.

5) Endlich fann der Generalvicar bie SBifitation der Diöceſe ohne auóbrüdlided Mandat des Biſchofs nit vornehmen, ba dieſes Recht von der Gefeggebung für fo wichtig erachtet wird, daß εὖ ber Bifhof immer verfönlich auszuüben hat und baffelbe nur bann bem Ger neralviear ober einem Andern übertragen fann, wenn er durch ein gefehliches Hindernig abgehalten ἰβ 3).

^ Wenn wir im Voranftchenden diejenigen Fälle auf» geführt haben, bie nah den ausdrüdlihen Beftim- mungen beó Rechts ein mandatum speciale erfordern, fo bedarf der Generalpicat nad) ber übereinftimmenben Ans

1) Sess. XXIV. c. 6 de ref. 2) c. 6 de offic. ordinar. VL 1. 16 unb bie Gioffe bafelbft verb. permittitur, 88*

568. Urfprung und rechtliche Stellung

fibt ber Canoniften mod) für viele andere Functionen, bie ben vom Gefege bejeidneten an Wichtige feit gleihfommen, nad ber befannten Rechtöregel: »in generali concessione non veniunt ea, quae quis non esset verisimiliter in specie concessurus* 1) der [pt ciellen Erlaubniß feines Bifhofs unb eim einfeitige& Vor⸗ freiten würde hier bie Nichtigkeit der Handlung ebenfo zur folge haben, wie in ben oben genannten Fällen.

1) Sn ber langen Reihe der von ben Ganoniften namhaft gemachten Verrichtungen behauptet bie erfte Stelle bie Ausübung der jura ordinis episcopalis. Diefe ft bem Generalvicar, aud) wenn er die Eonfecration em: pfangen und wirklicher Bifhof ift, in Folge feines allg meinen Mandats nicht ju, benm er ift principaliter nur für bie Ausübung ber jura jurisdictionis, nidjt aber aud für bie jura ordinis beftellt; ebenſowenig fann er bie Bors nahme ber Pontificalien einem frembem Biſchofe übertras gen ?). Ob bie Befugniß des Biſchofs, Abläffe zu ertheilen, unter bie jura ordinis zu rechnen feien, iR eine noch unentfchiedene Frage, aber aud) wenn wir ft als einen Act der bloßen Syuriébiction betrachten, fann fit für den Generalvicar doch nicht in bem allgemeinen Mans dat enthalten fein, denn nidt einmal der Gapitularvicar,

1) c. 81 de regal. jur. VI. 5. 12.

2) Benedict. XIV. 1. c. L. IL c. 8. n. 2. Wie bem Generaluker tie Sfueübung der eigentlichen jura ordinis unterfagt in, fo fab (jm auch gewiffe mit dem bifchöflichen Ordo in Verbindung flehende Gir echte entzogen, 3. B. das Tragen eines Ringes bei Darbringung is HI. Opfers, das Anziehen ber hl. Bewänber vor bem SWitare, der Eih auf einem Thronſeſſel, die Beuediction des Prebigers, bevor er de Kanzel befteigt, unb des Diacons vor bem Gyangelium sc. Pellegris. P. L Sect, jL. Subsect. IL n. 10 - 18, Ferraris. 1. c. n. HS.

der Generalvicare. 569

ber bod) sede vacante die volle bifhöflihe Surióbiction ausübt, fann Abläffe ertfeilen 1), um wie viel mehr toirb daher ber Generalvicar zur Ausübung diefes Rechtes der Ermächtigung des SBifdjofó bebürfen? Ebenſo vers langt die Abfolution von den bifhöflihen Refervatfällen ?) und die Autorifation zur Verwaltung des Bußfacramens tes 5) ein mandatum speciale episcopi.

2) Der Generalvicar fann ohne fpecielle Ermaͤchti— gung alle jene Rechte nicht ausüben, bie bem Bifchofe vermöge einer befondern Conceffion ober einer päpflliden Delegation zuftehen. Hiebei aber find folgende Fälle genau zu unterfcheiden:

a) IR der Bifhof durch einen fpeciellen Auftrag, ein Privilegium oder ein allgemeines Gefeg zur Ausübung eines ihm fonft nicht zuftehenden Rechtes mit der aue» drüdlichen Bedingung ermädtigt, bag er es allein unb perfónlid) ausübe, fo Fann er εὖ bem Generalvicar nicht übertragen, ift vielmehr verpflichtet, ber Erledigung perfönlih fif zu unterziehen, quia industria personae censetur electa *).

b) Grmádjtigt das Gefeg, wie febr Häufig vom Sri»

1) S. Congreg. Concil. 13, Novembr. 1688 bei Benedict. XIV. 1. €, L. Il. c. 9. n. 7.

2) Rebuffue, l c. Forma Vicariatus. n. 179. Barbosa, l.c. n. 116.

3) Barbosa, l. c. n. 91.

4) Sieber gehört 3. ®. Trid. Sess. XIII. c. 5 de ref. unb Sess. XXIV. c. 6 de ref. in Betreff der Abfolution vom Verbrechen der Ha⸗ tefle. Trägt aber eine pápfil. Delegation die Auffcrift: „Venerabili Fratri Episcopo N. sive dilecto Filio, Vicario ejus Generali,“ fo ift eine Subdelegation am ben Generalvicar zuläffig. Zerela, Praxis episcop. L verb. vicarius, 8. 21. M

50 Urfprung und rechtliche Stellung

dentinum gefchieht, den SBiffjof in biefer ober jener Ans gelegenheit als apoftolifcher Delegat zu interbeniren und Rand ihm die Vornahme ber betreffenden Cade vor dem Tridentinum nicht zu, fo handelt ez als einfacher pápft licher Delegat, er fann daher fubdelegiren, aber der Ges neralvicar bedarf dabei jedesmal eines mandatum spe- ciale !).

€) Stand ihm dagegen die Befugniß, zu welcher er belegirt wird, fhon vor bem Sribentinum jure ordinario su, handelt er alfo ald Ordinarius und als Delegat, mas überall ber (yall if, wo das Sribentinum ?) ben Ausdrud gebraudt: „etiam tamquam apostolicae sedis delegalus,* fo wird bie betreffende Angelegenheit als zur ordentlichen bifbàffiden Jurisdiction gehörig angefehen und der Generalvicar fann ohne fpeeielles Mandat darin vorfchreiten 3).

3) In Betreff ber ordentlihen Adminiftration ber Diöcefe ift bem Beneralvicar ohne ſpecielles Dans dat in erfter Linie entzogen die Berufung und Abs haltung der. Diöcefanfynode: Alles, was er nad diefer Ribtung bin ohne die ausdrüdlihe Ermächtigung feines Biihojs vornimmt, ift ipso jure null und nichtig 5; hat ihm aber der Bilhof, wozu biefer im alle gefcts

H Dergleichen Delegationen finden fih Trid. Sess. V. c. 1. 2 de ref. Vl. c. 2. 3; XXV. c. 14 de ref. XXV. c. 5 de regular., foncit fi die betreffenden Befimmungen auf Gremte bejichen. Außerdem ger hören hiehert Seas. XXIV. c. 4; XXII c. 5, XXIV. c. 9; XXV. c. 9 ἀδ τοί,

2) Sess, XXI. c. 3. 4, Sess. XXII. c. 3. 8. 10 do ref.

3) Bol. die ausführliche Darleung dieſer Berhältnifle bei Fagneni, Comment. ad c. 14. X. de offic. judic. delegat. 1. 29.

4) S. Congreg. Concil. 4. Decembr. 1655 bei Benedict. XIV. le. ἵν ll e 8. n. 87 ι

ber. Generalvicare. 5n

licher Verhinderung immer berechtigt ἰβ 1), biefe Ermaͤch⸗ tigung ertheilt, fo übt er auf der Synode alle biſchoͤf— lichen Befugnifie und Prärogative aus. Hält der Biſchof bie Synode in eigener Perſon ab, fo ift der Generalvicar gleihwohl verpflichtet, zur ſchnellern Erledigung ber Ge- ſchaͤfte anmefenb zu fein und nimmt unmittelbar nad) bem Bifhof vor ben Dignitären und Mitgliedern des Capitels feine Stelle ein 3); regelmäßig wird er den vom Bifchofe beftelten Judices Synodales beigegeben 9. Die auf ber Synode erlaffenen Statuten leiten ihre Rechtsverbind⸗ lidfeit [ebiglid) aus ber bifhöflihen Jurisdietion ab, fie können nux vom Biſcho fe wieder aufgehoben werden und ebendarum bebarf der Generalvicar zu jeder Aenderung berfelben der fpeciellen bifhöflihen Erlaubniß 3).

Die €ebtere wird ferner erfordert für bie Unterfuchung und Entfheidung ‚aller causae matrimoniales, für bie Ausübung des Dispenfationsredtes in allen ben Fällen, in welden es dem Bilhofe zufommt, felbft bie fDiépeníen von der breimaligen Prorlamation nibt aus— genommen 5); für die Aufhebung der kirchlichen

1) Fagneni. Comment. ad c. 25. X. de accusat. 5 1. n. 11.

2 Benedict. XIV., 1. c. L. II c. 3. n. 3; c. 10. n. 2. Ueber die Kleidung, im welber ber Generalvicar anzuwohnen bat, vgl. Gavantus , Praxis. Dioeces. Synodi c. 13. n. 11. 12.

3) Benedict. XIV., 1. c. L. IV. c. 2. n. 8.

4) S. Congreg. Rit. 25. Februar. 1606.

5) Pellegrin, I. c. n. 37. 38. Da jetod die Diepenſation vom dreimaligen Aufgebot febr häufig nachaefucht wird und überhaupt zu ben weniger wichtigen Diepensfällen gehört, fo gilt in der Braris ber Grunbfag, daß fie der Generalvicar ohne befondere Erlaubniß ertheilen Tónne, es müßte denn nur felt, daß ihm ber Biſchof diefe Vefugniß ansvrüdlich entzog. Barbosa, l. c. P. Il. Allegat. 32. n. 28. 29.

572 Urfprung und rechtliche Stellung

Strafen, bie der Biſchof verhängt hat 5; für bie Er bebung der Elerifalabgaben, des Cathedraticum, Subsidium charitativum, ber Quarta funeralis unb der Procuratio canonica ?). Endlich fann der Generalvicar ohne fpecielles Mandat die bifhöflihe Grlaubnif zu Ex bauung eines. Klofters nicht ertheilen 3) und eben fo wenig bie vom Tridentinum Sess. XXV. c. 17 de regular. vors geichriebene, vor ber Profeßleiftung anzuftellende Unters fudung vornehmen 9.

4) Wie bem Generalvicar bie Collatio beneficiorum ohne fpecielle Erlaubniß entzogen ift, ebenfo verhält εὖ fib mit vielen andern causae beneficiales, bie wegen ihrer Wichtigkeit mit der Gollation in gleiche Linie geftellt wers ben. Nach einer Befimmung des Tridentinums 5) fol einem Pfarrer, der wegen unzureichender Senntniffe für die Verwaltung feines Amtes unfähig ift, vom Bifhofe ein Hülfsgeiftlicher beftellt und demfelben aus den Cin fünften des Beneficiums ober auf irgend eine andere Weiſe bie portio congrua zugewiefen werden: für bie SBeftellung eines folhen Hülispriefters, bie factifch ber Neubefegung der Pfarrei ziemlich gleichfommt, bedarf der Generalvicar bet ſpeciellen bifhöflihen Ermädtigung 9. Aus bemfelben Umftande, daß der Generalvicar zur Vergebung ber 8e neficien nicht berechtigt ift, folgt ferner, daß er bie Pirunds ner ohne auébrüdlide Erlaubniß aud) nift abzufegen

1) Pellegrin, 1. c. n. 39. 65.

2) Pellegrin, 1. c. n. 48—51.

8) S. Congreg. Concil. 11. Juli 1620 bei Berbosa, Summa Decis. Apostol. verb. vicar. general. n. 10.

4) Ferraris, 1. c. n. 71.

5) Sen. XXI. c. 6 de ref.

6) Barbosa, de offic, et potest, Episcop. P. III. Alleg. 54. n. T3.

der Generalvicare. 513

befugt ig 5, eben fo wenig fann er bie Refignationen derfelben, mögen fie was immer für einer Art fein, an» nehmen und wenn er aud zur Annahme derfelben ermaͤch⸗ tigt worden ift, fo bedarf er zur Wiederbefegung des dadurch erledigten Beneficiums gleihwohl des fpeciellen bifhöflichen Mandat *). Daffelbe ift ber Ball bei ber Errichtung neuer Pfarreien und Beneficien 3), bei ber Betätigung der Bundationsurfunden für Patronatsfirs den *) unb bei ber nad) c. 8. X. de jure patronat 3. 38 tem Biſchofe zuftehenden Genehmigung der donatio juris patronatus 5). Wie endlich ber Generalvicar als folder nit befugt ift, SBeneficien zu errichten, fo fann er folge» richtig bereits beftehende Pfründen aud) nicht unters drüden 9.

5) Dem Generalvicar find ohne fpecielle Ermächtigung alle diejenigen Handlungen entzogen, bie fij auf Ver⸗ äußerung des Kirchenguts unb auf Veränderung oder Schmälerung ber Beneficien beziehen. Was das Exftere betrifft, fo ift fogar der Biſchof wegen ber "Bidtigleit ber Sache an verſchiedene befdjrünfenbe Ber fimmungen gebunden unb e$ verftebt fid) daher von felóft, daß der Generalvicar in allen denjenigen Fällen, in wels den der Biſchof zur Veräußerung berechtigt ift, jedesmal deſſen auébrüdlide Exlaubniß nótfig hat”), was um fo

1) Gloss ad c. unic, de capell. monach. VI. 3. 18, verb. episcopis.

2) Rebuffus, 1. c. n. 104—106.

3) Rota Rom. in Segobien. Capellaniae 28. April, 1625.

4) Pellegrin, |. c. n. 17.

5) Barbosa, 1. c. n. 75.

6) Ferraris, 1. c. n. 80,

7) Pellegrin , 1. c. n. 29. 55.

574 Urfprung und rechtliche Stellung

mehr wird fefgehalten werben müffen, als nicht einmal der Goabjutor, ber bod) bie ganze bifhöflihe Iurisdis etion ausübt, aus eigener Machtvollkommenheit irgend welche Veräußerung des titdjenguté vornehmen fann !). Die Vereinigung unb Theilung ber Beneficien, die Auferlegung einer Benfion, die Translation einer Baufülligen Kirche, zu deren SBieberferftellung die Mittel fehlen, und ihre Bereinigung mit einer benachbarten Kirche 3) erfordern gleichfalls ein befonderes Mandat 3).

6) Da endlih der Generalvicar feine Jurisdiclio propria, fonbern bloß eine delegata hat, fo fann et dies felbe ohne Suftimmung des Biihofs nift fubdelegi- ten *.. Diefe Belhränfung gilt jedoch nur dann, wenn es fid um bie Subdelegation der ganzen Jurisdietion, ber universitas causarum handelt: zur vorübergehenden Mebertragung biefer oder jener einzelnen Rechtsſache ift ber Generalvicar aud) ohne bifhöflihe Grlaubnig immer berechtigt 5).

Indem wir hiemit die Aufzählung derjenigen Fälle, die ein ausdrückliches Mandat erfordern, beſchließen, für gen wir bei, daß ie Ganonijten nod für folgende, in der gegenwärtigen Praris entweber gar nid mehr orer beb nur felten vorfommende Handlungen das mandatum speciale episcopi verlangen: ſuͤr die Beitrarung eincé Clerikers mit dem Eril unb die Zurüdrufung aus dems

1) c. unic. de cleric. aegrot. VI. 8. 5.

2) Trid. Sess. XXI. c. 7 de ref.

3) Pellegrin, 1. c. n. 15. 23. 27.

4) L. 5 Dig. de jurisdictione 2. 1. L. 1 Dig. de officio ejus, cui mandata est jurisdict. 1. 21. a

5) L. 11 Dig. de judiciis 5. 1. Engel, 1, c. L XVIII. n. 6.

der Θεπεταϊοίεατε. 875

felben, für die Vollfiredung ber lehtwilligen Anordnun⸗ gen, bie Unterfuchung ber Bitten um restitutio in inte- grum, für die Behandlung ber causae feudales, bie Bes ftelung eine bifchöffichen Defonomen, für die Beglaubigung der Abſchriften von Driginalurfunden, bie Vermoͤgenscon⸗ fiscation der Elerifer, für bie Umwandlung der Körpers in Geldftrafen unb dergleichen.

C. Die Appellation vom forum des Generalvicars.

Da der Generalvicar nad) feiner urfprünglicen Bes flimmung wie nad) dem Wortlaut des Geſetzes mit bem Biſchofe eine unitas personae unb Ein Forum bildet, mithin feine Handlungen fo angefehen werben, als feien fie vom Biſchofe felbft ausgegangen, fo fann vom Generalvicar an den Bifhof nicht appellirt werden, denn das Wefen ber Appellation befteht gerade barin, daß bie Berufung vom niedern Richter an ben bóbern mit der Bitte gebracht wird, bie von jenem erlaffene Sentenz zu unterfuden und abzuändern !): eine Appellation vom Generalvicar an ben Biihof wäre eine Appellation vom Bifhof an den S9i[dof *), fie würde .ebendarum ihrem eigenen Begriffe widerfprechen und jebe Entfcheidung ,. bie der Biſchof im Falle einer ſolchen Appellation geben würde, müßte null und nichtig fein, weil der Unterridhter die von ihm einmal gefällte Definitivfentenz nicht mehr abs ändern oder aufheben fann. Wil taber vom Generale vicar appellirt werden, fo ift der Metropolit al& der un» mittelbare SBorgefete des Biſchofs tie näcfte höhere 3n» ftanz. Diefe in den Prineipien des Rechts begründete 9) Glosen ad c. 2 de consuetud. VI. 1. 4, verb. officiali

2) c. 2 de consuetud, VI. 1. 4.

876 urſprung und reqhaiche Stellung

Regel leidet aud) dann feine Ausnahme, wem in einer Didcefe die Appellation vom Generalvicar an ben Biſchof bereit6 Gewohnheitsrecht geworben fein follte, benn eine folhe Gewohnheit geht gegen ben Begriff der Appel lation unb ift vom Rechte auébrüdlid) als eine consuetudo irrationabilis bezeichnet 1); felbft wenn bie Parteien mit einander fpeeiell übereingefommen wären, von ber Ent ſcheidung des Generalvicars an ben Biſchof zu appelliren, würde bie unzuläffig fein, eben weil es bem Begriffe ber Appellation widerſpricht ). Auch die fogenannte ap- pellatio extrajudicialis ift vechtlih ummóglid), denn ob. wohl fie fij in einzelnen Punkten von ber eigentlihen Appellation unterídjeibet, fo fällt fie bod) in der Haupt fade unter ben Begriff derfelben und muß nad) den glei hen Grundfägen behandelt werden 3). Wenn hienach die Unmöglichkeit der Appellation vom Generalvicar an den Biſchof ald Regel feftgehalten werden muß, fo gibt εὖ bod) aud) Fälle, in welchen fie geftattet ift.

4) Von einer sententia interlocutoria, bie der Ge neralvicar erlafien hat, fann Derjenige, ber fid) dadurch für beſchwert hält oder beſchwert zu werben fürdjtet, an den SBifdjof provoriven, denn ba ber Unterrichter ein von ibm erlafienes Interlocut jederzeit zurüdzunehmen und abzuändern befugt iR , fo Fann aud) ber Bifchof, der mit dem Generalvicar Eine Berfon ift, ein ſolches Ins terloeut zurüdnehmen und abändern, fobald an ihn ap pellict wird 5).

1) c. citat. de consuet, VI. 1. 4.

2) Pellegrin, 1. c. P. L Sect IT. Subsect. IV. n. 4.

3) Reiffonstuel, J. C. L. IL tit. 28. $. 1. n. 8 seqq.

4) L. 14 Dig. de re judic. 42. 1; c. 60. X. de appellat, 2. 25.

5) Peliegrin, 1. c. n. 6.

der Generalolcare. 577

b) Deßgleihen Tann gegen eine Cntfdeibung des Generalvicars die Bitte um restitutio in integrum beim SBifdjofe angebracht werden und biefer, falls hinreichende Gründe vorliegen, fie annehmen und erfüllen, weil aud der Generalvicar hiezu befugt ift, infoferm bie restitutio in integrum immer vom Unterridhter, gegen beffen Sentenz fie gerichtet ift, au&gefproden werden fann N).

c) Aus demfelben Grunde ?) ift gegen eine Entſchei⸗ bung des Generalvicaré bie querela nullitatis beim Bifchofe zulaͤſſig 3).

d) Ob von der Entfheidung des Generalvicars eine Supplicatio beim Biſchofe eingereicht werden Fönne, ift eine beftrittene Frage, bod) [dint bie bejafenbe Antwort bie richtigere zu fein, denn bie Supplicatio unterſcheidet ſich wefentlid von ber Appellation: Derjenige, welcher fie ein« veicht, bewegt fid) nicht mehr auf dem Boden des Rechts, fondern er ruft in einem alle, wo eine Appellation gar nicht mehr möglich ift, al8 legte Hülfe die &nabe des oberften Richters an. Wenn das roͤmiſche Recht *) jedem Unterthanen geftattete, beim Kaifer gegen bie Sentenz eines Unterrichters, der bod) aud) im Namen des Erfteren Recht fprad), von ber Supplicatio Gebraud) zu machen, fo wird εὖ die Billigfeit verlangen, daß aud) ben Gläubigen ger ſtattet fel, von der Entſcheidung des Generalvicars beim oberften Richter der Diöcefe ein Gnabengefud) um Abs änderung der Sentenz einzureichen 5).

1) Berkose, 1. c. n. 49. 2) Reiffenstuel, 1. c. n. 28 seqq.

3) Pellegrin, 1. c. n. 8.

4)«C. 5 Cod. de precibus Imperatori offerend. 1. 19. 5) Reiffenstwel, L. L tit. IV. $. 3. n. 77. 78.

518 Urfprung und rechtliche Stellung

€) Gnblid) if eine Appellation an ben Biſchof in allen denjenigen Angelegenheiten geftattet, in welchen bet Generalvicar nicht als folder und vermöge feines Amtes handelt, fondern bie ihm abgefondert und in außer srdentliher SBeife übertragen wurden: denn bier ift ex als judex delegatus ad causam particularem thätig und von biejem ift bie Appellation an ben Deleganten jederzeit geftattet !).

D. Erlöfcen der Iurisdiction.

1) Wie bie Beſtellung des Generalvicars von ber freien Entſchließung des Biſchofs abhängt unb alle Juris dietion des Erſtern in ber Delegation des Leptern ihren Grund hat, fo erliſcht bie Amtsgewalt des Generalvicaré, fobald ber Bifhof fein Mandat zurüdnimmt?) (revocatio, remotio). Dieß fann auébrüdlid ge ſchehen oder illfhweigend. Die fillihweigende Re vocation wird bann angenommen, wenn ber Biſchof einen zweiten Generalvicar beflellt und den bisherigen hievon in Kenntniß ſeht 5. Die δίοβε Thatſache der Beſtel⸗ Tung reicht zur Stevocation volftändig hin, der SBiidof braucht daher bei der Intimation berjelben nicht auóbrüd« lid) zu erflären, die Beſtellung des zweiten Generalvicars {εἰ fpeciell in der Abficht gefebehen, bem frühern fein Mandat zu entziehen *). Wenn wir bemnad) als ober fen Grundfag feftbalten müfjen, bie Abſetzung des Gene

1) c. 27. $. 1. X. de offic. judic. delega. 1. 29. Barbosa, |. e. n. 52.

2) Omnis res per quascunque causas nascitur, per easdem di- solvitur.“ c. 1. X. de regul. jur. 5. 41. .

3) c. 14. X. de procurat. 1. 38.

4) Rebuffus, l. c. Forma Vicariatus n. 206.

der Generalvicare. 579

ralvicars hänge vom freien Grmeffen des Biſchofs ab, fo fann damit bod) keineswegs gemeint fein, die Revocation fei ſchlechterdings in die Willfür des Biſchofs gelegt unb der Generalvicar durchaus und allejeit der Laune feines Germ. preisgegeben dieß würde fid mit feiner Ehre und der hohen Stellung, bie er einnimmt, fowie mit ben Grundfägen über Abſehung der Kirchendiener in feiner Weife vereinigen faffen: wie vielmehr bie Anftellung von ber Seobadjtung gemiffer gefeglicher Beftimmungen abhängt, fo aud) bie Abfegung «6 muß für biefelbe ein hinreihender Grund vorliegen, in beffen Ermangelung der willfürlid) temovirte Generalvicar an bie Congregatio Episcop. recurrirem unb von biefer woieber in fein Amt eingefegt werben fann !). Als hinreichende Gründe find anerfannt: fdedte Verwaltung der Diöcefe und häufige Klagen gegen bie Amtsführung be& Generals viears 2), Mängel der nótfigen Umfiht und Klugheit, aud wenn er fonft vollfommen fähig ift 5), Unehrerbietig- feit gegen bie roͤmiſchen Gongregationen unb Widerſetzlich—⸗ feit gegen ihre Beichle *), VBerhängung ber Grcommunis cation über ben Generalvicar 5). Verlangt aus einem ber angegebenen Gründe das Wohl ber Diöcefe bie Cnt» femung des Generalvicare, fo ift der Biſchof dazu bes redtigt , aud) wenn e ibm bei feiner Beftelung das eite

1) S. Congreg. Episcop. in Spalatr. 3. Julii 1601, in Tragur. 7. Septemb. et 8, Octobr. 1649.

2) S. Congreg. in Agrigent. 27. Octobr. 1601 et Spalatr. 5. Februar. 1601.

3) S. Congreg. in Placentin. 11. Septemb. 1601.

4) S. Congreg. in Rietina 3. Septemb. 1601 et Parmens. 17. August, 1645.

5) in Placent. 18. luni 1649.

580 Urfprung und rechtliche Stellung

Tide SBerfpredjen gegeben haben follte, er werbe ihn niemals abiegen, denn ein Veriprehungseid, deſſen Er⸗ fülung die Rechte Dritter verlegen. würde, ift an unb für fi ungültig !); bod) muß der Bifhof durch den Bapft vom Eide vorher entbunden worden fein *). Endlich if als ein bei der Revocation weſentliches Moment nod bei» zufügen, daß bie Jurisriction des Generalvicars erft von bem Augenblide an aufhört, in weldem ihm ber betrefs fende Beſchluß des Biſchoſs in authentifcher SBeife noti» ficirt worden ift: vor bem (Eintreffen diefer 9totification haben alle feine Handlungen rechtliche Guͤltigkeit 5).

2) Die Amtsgewalt des Generalvicaré erlifht, wenn er felbft vefignitt 9, denn Seber, der frei entlaflen werden fann, hat aud) das Recht, frei abgubanfen. Da übrigens, wie wir eben bemerften, die Entlaffung an das Vorhandenſein eines hinreichenden Grundes gebunden ift, fo wird confequenter Weife aud bie Refignation nit nad) SBillfür, fondern nur unter Anführung eines teiftigen Grundes erfolgen Tónnen. Gie ift eine au&brüd» lide ober ſtillſchweigende unb die legtere wird bann am genommen, wenn ber Genetalvicar die Didcefe verläßt in der offenbaren Abſicht, nicht mehr dahin zurückzukehren 5).

3) Die Suriébiction des Generalvicars hört auf mit dem Tode des Bifhofs: denn ba zwiſchen Beiden eine unitas personae beficht, Beide Ein Borum bilden und der Generalvicar nur die bem Bifchofe gebührende

1) c. 27. 28. X. de jurejurand. 2, 24.

2) Rebufwe, 1. c. n. 199.

8) Peliegrin, P. 1, Sect. II. Sobsect. VL n. 8.

4) Reifonstuol, J. C. L. L tit, XXVIIL $. 4. n. 102. 5) Fagneni, Comment, in c. 50, X. de tesib. 2. 30.

der Generalvicare. 581

Syurióbiction ausübt, fo muß, wenn bie leßtere durch ben Tod ihres Inhabers aufhört, nothwendig aud) bie des Generalvicars erlöfhen '). Befindet fid) Diefer in ber uns mittelbaren Nähe des fterbenden Biſchofs, fo erliſcht feine Amtsgewalt mit bem Augenblid des Todes fo war, daß er bie nod) bei Lebzeiten des Biſchofs begons nenen Rechtögefhäfte nad) beffen Tode nicht mehr vols lenden fann ?); ift dagegen der Generalvicar vom Biſchofe weit entfernt, fo haben alle feine Handlungen fo lange volle Rechtskraft, bis er von dem erfolgten Tode zuver⸗ láfige Kunde erhält 5). Während der eingetretenen Sedisvacanz devolvirt bie bifhöflihe Surióbiction an das Eapitel, das zur Ausübung berfelben binnen 8 Tage einen Eapitulervicar zu beftellen hat ); auf biefe Würde hat der Generalvicar des verftorbenen Bifhofs feinen Ans ſpruch, feine Befätigung als Capitularvicar hängt ledig⸗ fid) von ber freien Wahl des Gapitelá ab, nur in bem einzigen Salle muß er gewählt werden —, wenn er bem Gremium des Eapiteld angehört unb in diefem ber eins age Doctor juris can. it 5). > n

4) Der natürlide Tod des Biſchofs ift der ger wüóbnlidfte Fall, der ber Amtsgewalt des Generals vicars ein Ziel fet: neben ibm gibt edvaber nad) ben Grundfägen des tómifden wie bed canonifhen Rechts audj

1) „Accessorium naturam sequi congruit principalis c. 42 de regul. jur. VL 5. 12. t

2) Glossa in c. 4 de procurat. in Clement. 1. 10, verb. con- testata.

3) Barbosa, 1. c. n. 152.

4) Trid. Sess, XXIV. c. 16 de ref. .

5) Ritter, der Capitularvicar, Münfter 1842, ©. 60.

deol. Duartalfgrift. 1868. IV. eft. 39

582 Urfprung und rechtliche Gtellung

einen bürgerlichen Tod, ber rechtlich mit jenem ganz biefelben Wirkungen hat, alfo wie jener der Surióbiction des Generalvicars ein Ende macht. Hicher gehören fol» gende Bälle:

2) Die Berfepung des Bifhofs. Sobald bec Papſt die Genehmigung der nadgefuditen Translation im Gonfiftorium publicirt, ift bad Band, welches bisher den Biſchof an feine Kirche fnüpfte, gelöst") und er gilt in Betreff der Adminiftration der Diöcefe für tobt. Die Wirfungen der Berfegung, alfo namentlich das Erlöſchen der Zurisdietion bed Generalvicars, treten aber erft dann ein, wenn bie fiere Kunde von ber erfolgten Translation an Drt und Stelle angelangt ift; daß die eigentliche Ber fegungsbulle abgewartet werde, ift nicht nöthig, e& genügt jedwede glaubwürdige Nachricht. Bon bem Augenblide an, in weldem diefe Kunde eintrifft, hören bie Functionen des Generalvicars auf und das Gapitel tritt in bie Ver⸗ waltung ber Diöcefe ein, felbft wenn ber Biſchof von feinem neuen Bisthum noch nicht Befig genommen haben follte 9. Ganz in berfelben Weife verhält «6 fi, wenn ber Bifhof vom Oberhaupte ber Kirche feines Amtes entfegt wird ®).

b) Der bürgerliche Tod des Biſchofs und damit das Erlöfhen der Gewalt des Generalvicars tritt ferner ein, wenn ber Grftere auf fein Bisthum refignirt und ber SBapft die Refignation annimmt 5); ebenfo wenn er mit

1) Benedict. XIV., de synod. diooces. L. XII. c. 16. m. 13.

2) Die Beweife für das Gefagte bei Ferraris, 1. c. art. capi. tulum, ΠῚ, n. 31.

3), Glossa in c. 3 de supplend, seglig. VL 4. 8. verb. meriem.

4) c. 9. X. de renmniiat. 1. 9.

der Generalvicare. 583

päpftlicher Genehmigung in einen geiftlihen Orden tritt !).

c) Wie nad) ben Grundfägen des römiſchen Rechts Derjenige, der in feindliche Gefangenfchaft gerathen war, für bürgerlid) todt gehalten wurde *), fo gilt aud) nad canonifchem Rechte ber Biſchof für tobt, wenn er von ben Beinden der Kirche a paganis aut schismaticis aus feiner Diöcefe gefangen hinweggefuͤhrt wird. In biefem falle ift zwiſchen Hirt unb Heerde aller Verkehr abge fdnitten und auf baldige Rüdfehr feine Hoffnung: daher fagt Bonifaz ὙΠ]. 3), e& folle der biſchoͤfliche Stuhl an» gefehen werben „ac si per mortem vacaret,^ das Ga» pitel trete in bie interimiftifhe Verwaltung ber Didcefe unb habe alsbald an ben hl. Stuhl zu berichten und beffen Anordnungen zu erwarten. Bon bem in Rebe ftehenden alle, in welchem bie Jurisdietion des Generalvicars offenbar aufhört, ift aber der andere weſentlich verſchieden, wo ber Biſchof nicht von auswaͤr⸗ tigen Feinden, fondern von ber eigenen Regierung in Gefangenfchaft abgeführt wird: hier fann im Sinne des roͤmiſchen und canonifhen Rechts nicht im Entfern⸗ teften die Rede‘ fein vom bürgerlichen Tode beffelben weder an fid) nod in feinen Folgen, denn einerfeits gilt als allgemeiner Grunbfag: mors civilis vel spiritualis non aequiparatur morti naturali, nisi ubi in jure hoc cauium invenitur *), ber Fall ber Wegführung durch bie

1) Glossa in c. 8°C. XVI. q. 1, verb. mortuus.

2) L. 10. 18 Dig. de captivis. 49. 15.

3) e. 3 de aupplend. neglig. VI. 1. 8. Benedict. XIV., l. c. L. XIII. c. 16. n. 11. 4) Fagnani, Comment. ad c. 5. X. de coricessiohe. priobend, 8. 8. n. 28. 29. - . - 39* *

584 Urfbrung und rechtliche Stellung

eigene Regierung ift aber im Geſetze nicht vorgefehen, andererfeitö ift nicht wie im obigen Falle ber Verkehr zwiſchen Bifhof und Diöcefe abfolut aufgehoben und eben fo wenig bie Hoffnung auf baldige Ruͤckehr gänzlich verſchwunden, denn bie feindliche Regierung ftebt immerhin mod auf bem Boden des Rechts und ift ben Recla— mationen und Borftellungen des Papſtes, des Capitels ıc. zugänglich: εὖ liegt alfo hier bei ber vorausfichtlih nur vorübergehenden Entfernung des ordenklihen Oberhirten fein Grund vor, baf das Eapitel die Verwaltung der Didcefe übernimmt, fonbern der Generalvicar übt wie fonft im Namen des abwefenden Bifhofs feine Jurisdietion ungeftört aus !).

5) Wenn der Bifchof in bie Suspenflon, Ercommunis cation oder das Interdiet verfällt, fo verliert er für die Dauer diefer Strafen feine Jurisdiction in der Diöcefe *), es erlifht mithin aud) das Mandat des Generals vicars: ba aber biefe Strafen als poenae medicinales vorausſichtlich nicht von langer Dauer fein werden, fo tritt aud) hier das Kapitel nicht in bie Verwaltung der Diöcefe ein, fondern ber Papſt trifft, gewöhnlich fdon in ber Ereommunicationsbulle ſelbſt, außerordentliche Fuͤrſorge durch Beſtellung eines Proviſors. Uebrigens haben dieſe Cenſuren die genannten Wirkungen nur dann, wenn ſie auóbrüdlid und feierlich verhängt murben: als bloße censurae latae sententiae vermögen fie bie bi⸗ ſchoͤfliche Jurisdiction, alfo aud) die be& Generalvicaró, nicht aufer SBitfjamfeit zu fegen, quia si episcopus est

1) Walter, Kirchenrecht, $. 143. 2) c. 24. X. de sentent. et re judic. 2. 27.

der Generalvleare. 585

toleratus vel occulle excommunicatus favore publici juris cum communi opinione pro non ezcommunicato habetur ').

Wenn wir hiemit diejenigen Fälle namhaft gemacht haben, in welchen die Surióbiction des Generalvicars et» liſcht, ſo haben wir jegt nod) bie ὅταρε zu berühren, ob et nad) Beendigung feiner Verwaltung über biefefbe 9t ed) en» ſchaft abzulegen verpflichtet fei etwa in der Weife, wie ber Eapitularvicar tem neuen Bifchofe verantwortlich ift 1 Daß bem Grftern eine derartige Pfliht nad) feiner Richtung hin obliegen könne, folgt unmittelbar aus ber Stellung, bie er während feiner ganzen Amtsführung εἰπε nahm: er handelt nicht felbftftändig und unabhängig wie dieß beim Gapitularvicat bem Kapitel gegenüber der Fall ift, fondern er ftebt fortwährend unter ber Aufficht des Biſchofs und hat defien Weifungen jederzeit zu berüdfichtigen, biefet Fann ihn jeden Augenblid und für jede einzelne Handlung zur Rechenſchaft zichen, ihn beftrafen und nöthigenfalls fogar entlaffen ; thut ber Biſchof dieſes nicht, fo liegt in feinem Schweigen bie SBilligung der Handlungen feines Generals vicars unb ebentarum hat am Ente der Verwaltung nicht diefer, fonbern, wenn überhaupt eine Rechenſchaft ges fordert werben follte, der Biſchof fie abzulegen. Bon diefem in der Natur der Sache begründeten Geſichtspunkte, more mad) die Handlungen des Generalvicard am Ente feiner Berwaltung al8 bereits gebilligt und beftätigt anzufehen find, wurde bie Frage aud vom pofitiven Rechte aufgefaßt. Der Elerus und bie Gommunitát ber Stadt Taranto hatten ihrem Erzbiſchofe gegenüber bie

1) Barbosa, 1. c. n. 147. 2) Trid. Sess, XXIV. c. 16 de ref.

586 Urfprung und τος Stellung

Forderung geftellt und durchzuſeßen gefucht, daß fein Generalvicar nad) Beendigung ber Amtsführung Rechen, ſchaft abzulegen babe. Die Sache wurde vor ben bi. Stuhl gebradt und in einer Bulle v. 3. 1578 antwortete Gregor XII: „Statuimus et mandamus, quod Vicarii et officiales sive generales sive particulares, etiam foranei muncupati, per eundem Archiepiscopum sive ejus pro lempore successores in dicta ecclesia Tarenlina sive ejus dioecesi deputati vel deputandi, ad aliquem syndicatum nullo modo teneantur aut eidem sub quovis praetextu sint obnozii“ !).

Unfere bisherige Ausführung hat fij mit ber Dars ſtellung der äußern rechtlichen Stellung des Generalvicars befaßt: es übrige nod, das innere Wefen unb bie innere Bedeutung feiner Amtögewalt zu berühren. Daß bie leßtere feine Jurisdictio propria fei, bie der Generals vicar fraft eigenen Rechtes übt, ift allgemein. an erfannt, aber über bie Frage find die Ganoniften febr getheilter Meinung, ob fie a8 bloße jurisdictio delegata ober al ordinaria anzufehen fei?). Faſſen wir ben obſchwe⸗ benben Streit näher in's Auge, fo wird fid) alsbald ergeben, daß feine Jurisdietion an biefem doppelten Charakter pars ticipitt, alfo beide Behauptungen ihr Wahres haben, beide aber in bem Maaße unmabr werben, als fie das Eine ober Andere ausſchließlich feftbalten unb bie gegen« überftehende Anficht abfolut negiren. Fuͤr bie bloße Juris- dictio delegata ſpricht [don ihre Geſchichte unb urfprüngs lide Beftimmung, wornach fle ihr Dafein lebiglid) bem

1) Bel Barbosa, 1. c. n. 183. 2) Berbosa, |. c. n. 26—45.. J. H. Boehmer, 1. E. 1. 28. $. 1.

“ber Generalvlcare. 587

Mandate des Bifhofs verdankt und der angemaßten Juris- dictio propria ber 9frdjibiacone gegenüber einen Theil der bifhöflihen Gerechtſame ftellvertretend ausüben follte; es ſprechen bafür bie verfhiedenen, glei von Anfang an gebraͤuchlichen Benennungen !) des Generalvicars, die auf eine bloße Stellvertretung hinweiſen: Deputatus, Commis- sarius, Procurator, Cooperator Episcopi, locum tenens, vices gerens, Vicedominus; εὖ (predjen dafür bie pofltiven DBeftimmungen bes Rechts: die Gewalt des Generalvicars Tann wie jebe andere jurisdictio delegata jeden Augenblid vom Bifhofe als dem Mandanten jurüdgejogen werden, fie erlifcht, wie jede Delegation, mit bem phyſiſchen oder bürgerlichen Tode des Bilhofs, ber Umfang der Surió« dietion hängt, voie bei jedem Delegaten, von der Conceſſion des Biſchofs ab und menn biefer aud) ein ganz allgemeines Mandat ertheilte, fo find bem Generalvicar, wie bem Delegaten, bod) nod) viele Angelegenheiten entzogen, bie eine fpecielle Eonceffton erfordern. Bis hieher find Die- jenigen, welche von einer bloßen Jurisdictio delegata reden, vollftändig in ihrem Rechte, wenn fie aber demgemäß den Generalvicar lediglich unter dem Gefihtspunfte eines Judex delegatus ad causam particularem auffaffen unb damit das Wefen feiner Syurióbiction für erfchöpft halten, fo ift bieg durchaus einfeitig: fein Mandat lautet nicht auf biefe ober jene einzelne Rechtsſache, nad) deren Erledi— gung es wieder aufhört, fondern er hat den ihm zuges wiefenen Gefchäftsfreis bleibend zu verwalten, alle in benfelben fallenden Angelegenheiten behandelt er fo oft fie fi) barbieten, er ift, wie der Sprachgebraud) des Rechte

1) Pellegrinus, \. c. P. L Sect. I. subsect. II. Gibert, Corp. jur. can. T. IL p. 111.

588 Urfprung umb rechtliche Stellung

fi ausdrüdt, Judex delegatus ad universitatem causarum und gehört cbenbarum in bie Gategorie ber judices ordi- narii). ener übt der Generalvicar feine Jurisdietion nicht al b lof er Delegat, fonbern in Folge des Amtes ratione officii —, das ihm burd) bie bifchöfliche Beſtellung übertragen wurde und bie mit biefem Amte verbundene Gewalt hat ihren legten Grund in ber G efeggebung?) a lege seu canone —, nicht in der bloßen Conceffion des Biſchofs. Daß aber eine derartige mit einem Amte als folem und in Folge des Gefegeód verbundene Juriss biction eine ordinaria fei, ijt allgemein anerfannt 3). End» lid) gibt e& vom Generafoicar feine Appellation an ben 3Bifdyof, wie fonft überall vom Delegaten an ben eleganten, vielmehr bilden beide Gin Forum und Eine Perfon, in bem Generalvicar handelt der Bifhof beide üben eine und biefelbe Syuridbiction, nur in verfchiedener Weife der Biſchof principaliter, ber Generalvicar, wie bie Ca noniften fid ausdrüden, ex commissione legis, aber tem innern Wefen nad) ift e8 diefelbe Gewalt nämlich die ordentliche bifhöflihe Jurisdiction und in eben biefem Umftande, wornad der Generalvicar an ber bifchöflihen Auctorität partieipirt, beruht bie eigentliche Bedeutung feiner hohen Stellung und Würde. Diefe ift denn aud im Gefege volftändig anerfannt: überall erfcheint ber Generalvicar neben bem Biſchofe, er geht allen Dignitären des apiteló und der Diöcefe voran) unb der Generals

1) Glossa ad c. 62. X. de appellat, 2. 28. verb. Delegatus. Fagnani, Comment. in h. c. n. 4.

2) c. 2 de offic. vicar. VI. 1. 13.

3) Reiffenstuel, 1. C. J. tit. XXVIIL 6. 4. n. 92.

4) Benedict. XIV., de Synodo dioeces. L. IIL 6. 10. n. 2. und IL. c. 3. n. 8.

bet. Generalvicare. 589

vicar des Erzbiſchofs ſteht als perfönlicher Repräfentant des Mitropoliten über den Sufftaganbiſchoͤſen). Wenn in biefer SBrücebeng des Generalvicars feine Identitaͤt mit bem Bifhofe unb ebenbamit feine Jurisdictio ordinaria Har unb deutlich ausgeſprochen ift, fo fónnen wir aller» dings nicht unerwähnt laffen, daß fie factifd nicht übers all flattfinde, daß vielmehr ber Grundſah gelte, ber Generals viear habe diejenige Stelle einzunehmen, die ihm das Gewohnheits recht an der betreffenden Kirche anweist ?). So iſt es vielfach namentlich in Deutſchland der Fall geweſen, daß der Generalvicar, wenn er Canonikus war, im Kapitel bie ihm ald Mitglied deſſelben gebübrenbe Stelle einnahm und falls er dem Kapitel gar nicht ans gehörte, allen Gapitularen πα α π 5), aber bief waren bloße Ausnahmen, im Principe unb nad gemeinem Rechte ift der Generalbicar mit bem Biſchofe Eine Perfon, et partieipirt an feiner Jurisdiction, an feiner hohen Würde wie an feinem Ehrenvorrange. Aus bem námlidjen Grunde if berfelbe ein firhliher Dignitariu 6 und zwar ber erfte nad) bem Bifchofe: denn wenn unter Dignitas ein Kirchenamt vers fanden wird, mit welchem eine Jurisdiction in foro ex- terno unb ein firhliher Vorrang verbunden ift, fo wird dem Generalvicar eine foldje nicht abgefprodyen werden fónnen, vielmehr wird er um fo höher fteben als alle übrigen Dignitäre der Diöcefe, je au&gebebnter feine Juris⸗ diction im Vergleich mit der ihrigen unb je unbeftrittener

1) c. 26. Dist, 98,

2) S. Congreg. Rit. in Alexandrina 15. Mart. 1608 bel Barbosa, Summa Apost. Decis. verb. Vicarius generalis Episcopi.

3) Vhillips, Kirchenrecht, S. 168.

4) Benedict. XIV. 1. c. Ill. c. 3. n. 1.

500 urſprung und reqhiliche Stellung der Generalvicare.

ſein Vorrang vor allen Andern iſt. Zwar haben einzelne Ganeniften ") die Anſicht ju vertheidigen geſucht, ber General» vicar koͤnne nicht in bie Reihe der Dignitäre geſtellt werden, weil hiezu eine bleibende Uebertragung bes Amtes erfordert. werde, fein Mandat aber vom Bifchofe jeden Augenblid widerrufen werben könne unb jebenfalls mit dem Tode beffelben aufhöre, allein biefer Umſtand vermag bem Generalvicar, fo [ange er dieſes ift, bie in Rede fiehende Würde nicht zu entziehen, denn bie zwei Hauptmomente, welche den Begriff der Dignität conflituiren, liegen vollfänbig vor, bie einzige Folge des berührten Ber» hältniffes fann nur darin befichen, daß auch feine Dig nität feine bleibende ift, fondern wieder erliſcht, ſobald et aufhört, Generalvicar zu fein 5. Diefe Anficht ift aud) durch bie Gefeggebung auébrüdlid) anerfannt. C. 11 de tesoript. VI. 1. 3. verotbnet Bonifag VIIL, daß nur Digr nitäreund Domherrn als paͤpſtliche judices delegati bes ftellt werden dürfen, c. 2. de rescript. in Clement. 1. 2 wird aber beftümmt, bag aud) ber Generalvicar des Biſchofs mit einem derartigen Auftrage vom Pabſt betraut werben koͤnne: da nun der Generalvicar nift notwendig Domherr su fein braucht, die Stelle der Glementinen aber gam allgemein jeden Generalvicar, alfo aud) denjenigen, ber nit Domberr ift, zur Mebernahme eines ſolchen päpftlichen Mandats für fähig erflärt, fo folgt, daß fic das Amt deſſelben unter bie Dig nitäten gerechnet habe 3). Prof. Kober.

1) Ven-Espen, 1. E. P. II, tit, 18. c. 2, n. 13, 2) Fagnani, Comment, ad c. 13.X. de pracbend. 3. 5. n. 25 seqq. 8) Glossa in h. c. verb. Delegalus.

————.

2. Altteftamentlihe Studien, - Δ) Ueber bie Bedeutung oou „Aſchera⸗ uw.

Johannes Ὁ. Gumpach hat in feinen ,aftteftamentf. Studien“, Heidelberg bei Mohr 1852, unter andern aud) eine neue Anſicht über bie „Aſchera“ (MW) ber Bibel niedergelegt und diefelbe zu begründen gefudjt. Gr weist vorerft. darauf hin, mie Spencer de legibus hebraeorum ritualibus 1. 2. c. 27. p. 507 sqq., Gesenius im thesaurus 8. v., De Wette bibl. Archäologie $. 233, Greuger Sym⸗ bolit II, 55. fü) nad) Selden de diis Syris syntag. VI. €. 1. p. 231 sqq. für bie phönififche Göttin Aftarte erklären; Movers (bie Phönizier I. ©. 560 ff.) dagegen zu beweiſen ſuchte, bie mw fei die fanaanitifdje der Beruth ober Benus des Libanon, der Baaltis von Byblos und ber babyloniſchen Mylitta gleichſtehende telluriſche Göttin Afchera, bie in Geftalt einer aufgerichteten Säule, eines Phallus, oder eines grünenben Baumes, ober Saumflammeó vers ehrt worden wäre. [Die Anfiht Hugs fdeint der Ver⸗ faffer nicht gefannt zu haben. Diefer Gelehrte enſcheidet fi für das Sternbild des Meinen Bären ober Wagens, das bie Phoͤnizier, infoweit es ihnen ben Eompaß erfegte, als ein Sluͤdsgeſtirn vergóttert und ihm ben Namen Aſchera bie ‚gute Führerin) ‚gegeben Haben, vgl. Zeitfäprift für bie

592 Altteſtamentliche Studlen. Geiſtlichkeit des Erzbisthums Freiburg 7. Heft. Freiburg im Br. 1834. €. 82.] Nach dieſer kurzen Ueberficht gibt v. Gumpad) feine Anſicht dahin ab, TWIN, das im A. T. 18mal im Singular, unb 21mal im Plural vorfomme, babe a) im Singular 1. die Grunbbebeutung „Unter bau“, 2. die übertragene Bedeutung „Hochaltar“, 3. die abftract Follective Bedeutung „Hohaltarthum“, b) im Plural 1. im Mafeulin die Bedeutung „Hohals tate", 2. im Feminin ,Qodaltatgógen". Aber fhon der Mangel an Einfachheit, der biefer Deutung zur aft fält, fpeicht gegen fie. Ich bin bermal nod) nicht in der Lage, mid) darüber ausſprechen zu fónnen, ob und welche beflimmte Göttin unter Aſchera zu verfteben fei, und die Beforgung welder Geſchaͤfte ihr obgelegen habe. Es ift dieß aud junádft hier meine Abfiht nicht, (ong würde id) mid) wohl dahin entídjeiben müffen, daß fid) die oben au$gefprodenen Anfichten der Gelehrten über dieſe Göttin dahin vereinigen, daß diefelbe in verfchiedenen Zeiten und Ländern verídiiebene Namen, Geftaltungen, Bedeutungen und Obliegenheiten angenommen habe. Rur einige Bemerkungen will idj der Anficht des Verfaſſers (Ὁ. Gumpach) entgegenfegen, um baburd) weitere Sor ſchungen der Gelehrten anzubahnen. Vergebliche Mühe wird e& fein, beweifen zu wollen, daß unter „Aſcher a“ eine heidniſche Gottheit dieſes 9ta« mens nicht verftanben werde. Die Stellen, worin biefer Name in der Bibel vorfommt, fpreden zu laut für eine . Göttin. Auch die nicht bibliſche Literatur hat ben Namen nod) aufbewahrt und auébrüdlid) erklärt, daß darunter eine heidniſche Gottheit und angedeutet, welche darunter vesftanden werben folle, Strabo lib. 16, 785 fagt ia

Aluteſtamentliche Studien. 503

geradezu: „Arapyarıp de τὴν AIapav (MR, MANN), depuerw δ᾽ αὐτὴν Κτησιας καλει.. Diefe Stelle, führt Winer in feinem Reallerifon s. v. Astarte und (don lange vor ihm Ealmet in feinen biblifden Unterfuhungen über verſchiedene Stüde der δ΄. Schrift, deutfche Weberfegung von Mosheim 4. Thl. ©. 52 an; und $efpdius bemerkt aus Zanthus: „Arsapyasdr AIapr“ vergl. Selden de diis Syris ©. 267. 268.

Unter den fateinifden Schriftftelern erwähnt derſelben Justin. XXXVI, 2. - Er redet von einem bamascenifchen König „in cujus honorem Syri sepulchrum Athares (h^nW) uxoris pro templo coluere, Deamque exinde sanctissimae Religionis habent*. Wenn nun gleichwohl Suftin bier über ben Urfprung ber Göttin fi$ im Irthum befinden mag, fo erfennen wir doch aus bet Stelle augenſcheinlich ben Namen der „Aſchera“ und erfeben aud, baf die Syrer fie für eine Göttin gehalten haben. Die Etymologie aber wird uns für bie Bebeutung bes Ramens WR

durch „illustris, excelsa*, entſcheiden laſſen, von A I. praecelluit Il. magnificavit IV. elegit, honoravit, prae-

5 tulit 5 nobilitas. Im Zabiſchen heißen bie Genieen

lol codex Nasar. T. 1. ©. 6. 3. 8. 3n foweit wirb nun die Behauptung, welche der Anſicht des Heren v. Gumpach entgegengeftellt wurbe, gerechtfertigt exfcheinen, daß naͤmlich unter MAR eine heidnifche Böttin dieſes Stamenó zu verfteen fei. In den biblifchen Stellen aber, worin ber 9tame vorfommt, ift diefe Erklärung überall zuläffig, mit der Befchränkung jedoch, ba ΓΖ aud für das. Bildniß gebraud)t ift, wodurch bie Göttin vorgeftellt

594 Auuſtamenuliche Giabten. wird, insbefondere, wenn ber Name im Pluralis fet. Ich will mich in den Ausprüden des Kirchenvatets Augufin iu Judic. 2, 13 faflen, ‚wenn er fid) über bie Aſtarte | .(tine identifhe ober verwandte Göttin) dahin erklärt: | „Nec movere debet, quod non dixit Astartae, id est Junoni, sed ianquam multae sint-Junones pluraliter hoc nomen | posuiL Ad simulacroram enim mullitudinem referri vo- luit intellectum, quoniam unumquodque Junonis simulacrum Juno vocabatur. Ac per hoc tot Junones quot sunt simul- acra inlelligi voluit^. Vergl. Selden de diis Syris s. v. Astaroth p. 259. Die, Ueberfegungen ber bibliſchen Stellen, worin diefer Name vorfommt, find bem Verfaſſer (». Gumpach), al8 von irrigen Borausfegungen ausgehend, fámmtlid) mißlungen. Sid) will diefelben aud) hier furg durchgehen:

1. 2 Mof. 34, 13: „fondern gertrümmert ihre Altäre, zerſchlaget ihre Opferfäulen, und fállet ihre 8 (dero bilder“,

2; 5 Mof. 7, 5: „Ihre Altäre folt ihr zertruͤmmern, ihre Säulen zerſchlagen, ihre Afcherabilder um hauen, ihre Gößenbilver aber mit Feuer verbrennen",

3. 5-Mof. 12, 3: „Zertrümmert ihre Altäre, zerbrechet ihre Säulen, ihre Aſcherabilder verbrennet mit euer; ble Bilpniffe ihrer Götter aber hauet um und

- vertilget felbft ihre Namen von dieſer Stätte”.

4. 5 Mof. 16, 21: „Du [οἵ die nicht aufftellen eine Aſcheta aus jeglidjem Holze neben bem Altare Jeho⸗ vas, ben bu dir erbauen magfl. Auch eine Säule, welde Jehova bein. Gott haffet, follft bu dir nicht errichten".

5. Richt. 8,.7: „Sie. vergaßen Jehova's ihres Gottes, und dienten ben Baals und Aſcherabildern“.

6.

1.

11.

Alueſtamentliche Studien. 595 Richt. 6, 25. 26: „Reife nieder ben Altar be& Baal, welchen dein Vater errichtete, und bie Aſchera, welche darauf ftebt baue um. Erbaue einen Altar Jehova deinem Gott .... und made auffleigen ein SBranbopfer mit bem Holge der Afchera, welde du umgehauen haft". 28: ,flebe! es wurde zertruͤm⸗ wert der Altar des Baal und bie Aſchera, welde darauf ftanb, wurde niebergehauen". 30: „weil er den Altar Baald zertrümmert unb bie Aldera, welche darauf ftanb, umgehauen fat", 1 König 14, 15: „weil fle gemacht haben ihre Aſcherabilder, melde ben Zorn Jehovas reigten". 23: „und fie erbauten fid) aud) Höhen und Säulen und W(derabilber auf jedem hohen Hügel und unter jebem grünen Baume“. 1 König. 15, 12—14: „Er fhaffte bie männlichen Huren aus dem Lande, unb entfernte alle Götzen, bie fein .Bater gemacht hatte. Auch feine Mutter Maacha ließ er nicht mehr als Königin regieren, weil fie gemacht Hatte ein Schandbild für bie Aſcher a; εὖ Bieb um Afa ihr Schanpbild und verbrannte εὖ im Thale Kidron. Aber die Höhen entfernte man nicht“. 1 König. 16, 32—33: „Ex errichtete dem Baal einen Altar im Baalstempel, den er in Samarien erbaute. Und εὖ ließ Achab eine Afchera fertigen“. 4 König. 18, 19: „die 450 Propheten Baals und Bropheten bet Afchera 400, melde von bem Tiſche Iſebels effen". 2 König. 13, 6: „Auch bie Afchera fland in Sa- matien^,

596 Altteſtamentliche Gtublen. 12. 2 König. 17, 10: „Sie flellten ſich Säulen und

Aſcherabilder auf allen hohen Hügeln und unter jebem grünen Baume auf”.

2 König. 17, 16: „Sie verfertigten eine Aſchera und verehrten baó ganze Heer des Himmels und dienten dem Baal“.

14. 2 König. 18, 4: „Ex entfernte die Höhen, zerbrach

15.

16.

17.

die Säulen; unb hieb um die Aſchera“.

2 König. 21, 3: „Er baute bie Höhen wieder auf, die fein Vater Hisfta fortgefhafft hatte, unb errich⸗ tete Altäre dem Baal und machte eine Afchera, wie foldje gemacht hatte Achab, der König von Iſtael, und verehrte das ganze Heer des Himmels und diente ihnen“. 7: „Und er errichtete das 3Bilbni der Aſchera, das er gemacht, im Tempel*.

2 König. 23, 4: „Alles Geräth, welches gemacht worden war für den Baal und für bie Aſchera und für das ganze Heer des Himmels". 6. „Er lief die Sidera aus dem Tempel Jehovas hinausfchafen außerhalb Serufalem Hin zum Thale Kivron, und verbrannte fie". .. 7: „Und aerftórte bie Buben der männlichen Huren, melde am Tempel Jehovas waren, weil die Weiber dort Tempel webten für bie Afchera‘. 2 König. 23, 13. 14. 15: „Auch die Höhen ..... welche erbaut hatte Salomo, König in Ifrael, der Aftarte, dem Gräuel ber Gibonier, unb bem Kamod, dem Gräuel Moabs, unb bem Milfom, bem Abſchen der Söhne Ammons, die der König verunreinigte; und zertrümmerte bie Säulen unb hieb um bie Aſchera⸗ bilder..... unb aud) den Altar, welder zu Bethel, bie Höhe, melde Jerobeam gemacht hatte .... aud

18.

19.

25.

26.

Altieſtamentliche Studien. 597

biefen Altar und bie Höhe zerflörte er und verbrannte bie Höhe, madte fle zu Staub und verbrannte bie Aſcher a“.

2 Chron. 14, 2: „Er entfernte bie fremden Altäre und die Höhen und zertrümmerte die Säulen und Bieb die Afcherabilder um".

2 Ehron. 15, 16: Auch Maacha, die Mutter, ents fetnte Afa, der König, ba fle nicht mehr Herrfcherin mar, weil fie gemacht hatte der Afhera ein Schand- bild*. Vergl. 1 König. 15, 13—14.

2 Ehron. 17, 6: „Und wieder entfernte er bie Höhen und bie Afcherabilder aus Juda“.

2 Ehron. 19, 3: „daß bu vernichtet haft Die Aſche ra⸗ bilder.aus bem Lande hinweg“.

2 Ehron. 24, 18: „Sie dienten ben Afhera- und Gögenbildern".

2 Gron. 31, 1: „Sie zerträmmerten die Opferfäulen und hieben um bie Afherabilder unb rien bie Höhen und Altäre nieder aus ganz Suba".

. 2 Ehron. 33, 3: „Er baute wieder auf die Höhen,

welche fein Vater Hisfia niebergeriffen hatte, unb errichtete Altäre den Baalen, unb machte Aſcher αν bilder und betete an alles Heer des Himmels und diente ihnen“.

2 Gron. 33,19: „DiePläge, auf denen er Höhen gebaut und Afcherabilder und Böpenbilder aufgeftellt hat". 2 Ehron. 34, 3. 4.7: „Bon den Höhen unb ΒΓ {ὦ ετ αν bildern und gehauenen unb gegoffenen Bildern fing er an Juda und Serufalem zu reinigen. Und man zertrümmerte vor feinem Angefichte die Altäre der Baale, und die Hamonsbilder, welde oben drauf

Sigesl. Ouastalfr. 1858. IV. Oft. 40

598 Altteflamentliche Studien.

landen, hieb er nieder, unb bie Aſcherabilder unb gehauenen und gegofienen Silber zertrümmerte er. 2... Er jertrümmerte die Altäre unb Afcherabilder und bie Gógenbilber zermalmte er zu Staub und alle Hamonsbilder Bieb er nieder im ganzen Lande Iſrael und fchrte nad) Jerufalem zurüd“.

27. Jeſai. 17, 7—8: „Zu jener Zeit wird ber Menſch zu feinem Schöpfer emporbliden und nicht mehr empor: bliden zu ben Altären, feiner Hände Werf, und was feine Finger gemacht, nicht mehr anfehen, bie 9t (dera und Hamondbilder".

28. Sefai. 27, 9: „Indem er alle Steine des Altars gefoßenen Kalkfteinen gleih madjt, daß nicht mehr Aſchera- und Hamonsbilder bleiben".

29. Serem. 17, 2: „Ihre Altäre unb Afcherabilder,

bei den grünenden Bäumen auf den hohen Hügeln".

Micha 5, 12—13: „Ih will ausrotten deine ges

hauenen Bilder und Eäulen aus deiner Mitte ...

en unb zertrümmern deine Afcherabilder aus deiner Mitte”.

Gelegenheitlih will id) bier nod) eine Bemerkung über bie oben 2 Ehron. 34, 5. 7. Jeſai. 17, 8. 27,9 erwähnten Won maden, weil fie mit den DIR vers bunden find, und damit eine Frage an die Gelehrten ver | binden. Das Wort fommt in unferem dermaligen be bräifhen Sprachſchate nur nod) im Plural vor; wohl aber glaube id) es nod) in ber phönikifhen Sprache im Sin gular zu finden. In ber karthaginenſiſchen Infchrift, wordber | Hug in ber Zeitfärift für das Erzbisthum Freiburg 7. Heft &. 67 ff. eine Abhandlung geliefert, Tefe id) nämlih wobn bya nijt yaın 5y3 wie Kopp nod) jan 59 wie

30.

Altteftamentliche Studien. 599

Hug will Was biefe Gelehrten für * halten, gehört mit iut litera m, vergl. bie Inscriptio Melit. bei Ludwig Wihl, Münden 1831. €. 18 wo das m im phönififhen in bem Worte rw alfo gefchrieben i ΕΞ. Auf dem Steine unfeter Infhrift if bie Zeichnung fdon etwas verwifcht. Der won bya wäre eine heidniſche Gottheit unb bie D'3on wären Bilder biefe& Gottes, wie DAWN Bilder ber Aſchera. Was für eine Gottheit e& fei, find wir aus Mangel an Urkunden zu beftimmen aufer Stande. Was fünde aber im Wege, ihn für dgpptifdjen Urfprungs und zwar für den Jupiter Hamon zu halten?

b) 9tabonaffar Salmanaflar.

Ueber die Perfon Rabonaſſar's, mit bem nad) Syn- cellus p. 390 edit. Dindorf bie καταριϑμησις των Χαλδαίων βασιλεὼων begann, find bie Gelehrten, fo id) nidt irre, bis jegt nod) fer im Ungewiſſen. Hävernid z. 9. in feiner Einleitung ins 9. T. 2. Thl. 2. Abtheilung €. 89 macht fiber ihn die Aeußerung: „Deffen Name (don feine chaldäifhe Herkunft verbürgt“. Der Gelehrte Bat fid übereilt. Die Behauptung ift ‚nicht weniger utw richtig, als es unrichtig wäre, wenn Jemand alles Ernſtes ben vielen Louis in unfern deutfhen Landen auf ble ein» sige Grundlage ihres Namens hin franzoͤſiſche Abfunft vinbiciren wollte. Dießmal ftehen obiger Behauptung die Zeugniffe ber Geſchichte entgegen, welche fo Mare Auskunft fiber bae Gegentheil und fo deutliche Hinweifungen auf die richtige Kenntnißnahme ber Berfon 8abonaffat'é geben, daß εὖ zu wundern ift, wie biefelben bisher haben übers fehen werden fónnen.

40 *

600 Ateftamentfiche Studien.

Die babyloniſchen Könige hatten gleich den Königen Iſraels und Judas wohl öfters verfucht, fid) gegenüber ihren afiyrifchen Oberheren wieder unabhängig zu maden, was mehrmalige Revolutionen gegen biefe zur Folge hatte. Nabonaffar fuchte, beordert von ben afiprifhen Herrſchern, folden Beftrebungen auf längere Zeit zu begegnen, indem er die Babylonier ſchwer jüdjtigte, einen Theil der 8e toobner transportirte (2 König. 17, 24), der Herrſchaft bet angeftammten Königehaufes ein Ende machte und fogar bie Thaten der früheren Könige, respect. bie Auffchreibungen darüber, vertilgte, um bie Liebe und Anhänglichfeit an daſſelbe gänzlich zu erfliden. Ex felbft aber blieb als Vizekoͤnig in Babel, fo daß mit ihm eine neue era der chaldaͤiſchen Könige begann. Vom Jahr 747 bis Ende (f 733 v. Ehr. blieb er in dieſer Eigenfchaft dort.

Da farb fein Vater oder nächfter Verwandter Tiglath Pileſar, König von Affyrien, in beffen Auftrag er biöher gehandelt. Er fete einen Statthalter oder Bizekönig über Babylonien in ber Perfon des Qabiue (Endet 73 | v. Chr.) ein, und eilte nad) Haus, um die Herrſchaft über Afiyrien unter dem Namen Salmanaflar in Empfang zu nehmen. Bom Jahr 734 v. Ehr. treffen wir ihn barum | als König von Afiyrien. Weber bie Sbentitát ber Perfon | des Nabonaffar mit Salmanaffar famn gar fein Zweifel ftatt haben, menn wir nur bie genaue Mebereinfim |

| |

mung ber Chronologie berüdfidtigen. Damit flimmt aber aud) das ausdruͤckliche Zeugniß des Syncellus über ein, wenn er chronogreph. p. 206. B. edit. Goar fagt: de Χαλδαίων (agyr) Asınerar oroıgsmIpasn, vig ono Σαλμανασαρ, ον καὶ Naßovavap καλουσι, λαμβανεται παρα

] τε Χαλδαιοις.

Altteftamentliche Stubien. 601

wünfdte, taf diefe gewiß richtige 9Infit von gelehrten Männern grünblider und ausfuͤhrlicher, als id) e zu thun vermag, entwickelt würde, ba fle mir geeignet fheint, über mehrere dunkle SBartfieen der Alteren Ges ſchichte ein eigenes Licht zu werfen.

Prof. Zell in Heidelberg.

Becenfisnen.

1.

1. Seiträge zur Erklärung des alten Ceflementes. Drei Abbandiungen. 1) Die Schwierigkeiten und Bin forüche mandyer Zahlangaben im den Büchern des alten 3e famenté und deren Entflehung und Löfung. 2) lieber bel Recht der Jsraeliten an Ganaan und über bie Urfache feiner Eroberung und ber Vertilgung feiner Gimvofner burd die Ieraeliten und die verſchiedenen Grflärungdberfuche barüber. 3) Ueber dad Gelübbe Jephta's Richt. 11, 30 40. Bon faur. Heinke, Doctor der Philofophie und Theologie, or- bentfidem Profejjor der Theologie umb ber orientalifden Sprachen an ber Königl. Akademie zu Rünfler in Bd phalen. Münfter, 1851. Verlag der Goppenrath'fchen Bud- und Kunfthandlung. Breis 2 Stir.

2. Beiträge x., enthaltend L Eine allgemeine Ginleitung in die Weiffagungen, insbeſondere in die meſſianiſchen Ber- heißungen und Beiffagungen und über bie vorgeblid) nicht erfüllten Weiſſagungen be8 alten Teſtaments. IL Zwei au getifch-hiftorijche Abhandlungen: 1) Ueber das Protenange lium 1 Mof. 3, 15. 2) lieber die meffanifche Weiffagung vom umbiutigen Opfer des neuen Bundes Salad. 1, 11. UL Bemerkungen als Anhang jum erſten Bande ber Se

Beiträge zur Erflärung des U. Teſt. 603

träge. Bon Dr. faur. Reinke, Domcapitular und ordent- Tider Profeſſor γον Zweiter Band. Münfter, 1853. Preis 2 Oti. 8 9r.

Hr. Domcapitular Dr. 9teinfe fügt bier zu feinen verſchiedenen [don früher erſchienenen eregetifhen Monos graphieen unb Abhandlungen einige weitere hinzu, bie fid) mit fer wichtigen und bis jet immer nod) controverfen SBunften ber altteftamentlihen Schriftauslegung befaffen.

Am umfafiendften und wichtigften ift im erften Bande gleich die erfte berfelben, bie auch etwas über bie Hälfte des ganzen Bandes einnimmt. Bevor aber Hr. R. die Schwierigkeiten und Widerſpruͤche in den fraglichen Zahs lenangaben zu Iöfen unternimmt, fudit er zu ermitteln, auf welche Weife die altteffamentlihen Schriftfteller bie Zahlen ausgebrüdt haben, und fommt auf das Ergebniß, daß εὖ häufig geſchehen ſei

1) burd) bie als Zahlzeihen gebrauchten Buchſtaben des hebräifhen Alphabets. Hr. 9t. zeigt, daß ber Ges braud) der Buchſtaben als Zahlzeichen [dion bei ben alten Sprern und Arabern üblid) gemefen fei, mithin als eine herrſchende Sitte der alten Semiten erfcheine, und darum aud) bei den Hebräcen (djon im Voraus angenommen wers den müffe (©. 22. 34); [obann daß biefer Gebraud) ind« befondere daraus erbelle, daß aud) auf den maccabaͤiſchen Münzen die Buchſtaben als Zahlzeichen erſcheinen (&. 34), daß Hieronymus auébrüdlid) bemerfe, baf z. B. das Jod bei den Hebräern ebenfo wie bei den Griechen bie Zahl 10 bedeute (€. 35), daß bie alten Hebräer überhaupt aud) abbrevirt zu fchreiben pflegten, und bafer biefe Schreibs weife fier aud) bei den Zahlen in Anwendung btadjten

604 Biene,

(&. 37), taf fid endlich mande Zahlendifferenzen in alt teftamentlihen Parallelſtellen, ſowie auch zwifchen bem Urs terte unb ben alten Ueberfegungen nur unter Borausfegung einer folden Schreibweife leicht und natürlich erklären laffen (S. 27 f). Es wird fij gegen diefes, fo wie aud) gegen bie beifpielsweifen Erläuterungen ber dieß⸗ fallfigen Nachweiſungen wenig Erhebliches einwenden laſ⸗ fen. Nur wenn εὖ 3. B. heißt, bie Verſchiedenheit ber Zahlen 1. Kön. 5, 16 und 2. Gron. 2, 2 erkläre fih aus der Verwechſelung von W unb C, und beigefügt wird: nDie Verwechfelung diefer beiden Buchftaben war wegen ber großen Achnlichkeit in der alten Schrift febr leicht" (S. 32); fo ſcheint biefe& mit einer vorausgehenden leuferung Hrn. Reinke's nicht redit zufammenzuftimmen. Denn unter der alten Schrift fann bod) wohl nur bie vor der Quadrat⸗ ſchrift bei den Hebräern übliche phönigifhe ober fogenannte Münzſchrift gemeint fein; "bon biefer aber fagt Hr. R. fefbft, und zwar mit vollem Recht, daß fte Feine Finalbuch⸗ flaben gehabt habe (&. 23), womit fhon gefagt ift, baf ein Mem finale als Zahlzeihen für 600 in ibt gar nicht vorhanden geweſen fei.

2) Durch volles Schreiben der Zahlwörter. Der Hauptbeweis dafür liegt in ben alten Ueberfegungen, ver glihen mit dem Urterte. Wenn z. B. ny2uo Sprüdw. 26, 16 von ben LXX. mit τῷ ἐν πλησμονῇ überfeht wird, fo ift Mar, tag in ihrem Original das Zahlwort felbft, nicht etwa ber Zahlbuchſtabe 1, gefdhrieben war, baf fit aber den unvocalifirten Srt unrichtig lafen, nämlid nyaU ftatt nyaWrn; ebenfo wenn fie nND »Ὲ ny Pred. 8, 12 mit ἐποίησε τὸ πονηρὸν ἀπὸ τότε überfegen, haben fie das Zahlwort rw, nicht etwa bloß ben Zahlbuchſta⸗

Weltsäge zur Etklarung des 9. Sd. 605

ben p, tn ihrem Originale gelefen, nur aber jeneó un richtig ausgeſprochen.

3) Nicht aber duch Ziffern, wie einige Gelehrte glauben. Sie fügen fid darauf, baf auf pbonüifden Münzen und palmyrenifhen Inſchriften Ziffern vorkom⸗ men, und daß fid) unter Borausfegung ihres Gebrauches von Seite der alten Hebräer manche Zahlendifferenzen im altteftamentlihen Texte leicht erflären laffen. Hr. 9t. ber merft dagegen nidjt mit Unrecht, bie berüfrten Münzen und Inſchriften feien zu jung, als daß fte für eine entfpres chende alte Sitte bei den Hebräern viel beweifen fónnten, und die Zahlendifferenzen laſſen fid) großentheils auch durch Verwechſelung der Zahlbuchſtaben erflären; dagegen finde fi feine fihere Spur von dem Gebraude der Ziffern bei ben alten Hebräern, unb fei aud) nicht recht glaublid), daß fie, menn fie (οἵδε gehabt, biefefben fpäter wieder follten aufgegeben haben. t

Nachdem Hr. 9t. fobann bie Buchſtaben namhaft ges macht, bie häufig mit einander verwechfelt wutben, et» lüutert er „bie wichtigeren Schwierigkeiten unb Wider fprüde, welche fid) bei den Zahlangaben des hebräifchen Textes, der famaritanifhen Recenfion des Pentateuchs und des Jofephus und ber alten Meberfegungen, naments lid) der aferanbrinifdjen, finden“. Er beginnt mit bet Genefis, wo fogleih in den Genealogieen Adams unb Noah's die Zahlen im Urterte und den ihn begleitenden Documenten bedeutend bifferiren, hier aber mit Recht nicht aus bloßer Buchftabenverwechfelung, fondern aus beſtimm⸗ ten Abfichten und Zweden erflärt werben, welche die Urs Beber der vom Urtexte abweichenden Zahlen verfolgten. Leſenswerth find bie aus Anlaß "biefer Genealogieen ger

606 Gin,

machten Bemerkungen über bie lange Lebensbauer ber Menfcyen in der Urzeit und die Befeitigung ber in neuerer Zeit darüber aufgeflellten unridtigen Snfiditen (6. 83—87). Auch die Schwierigkeit, bie SRandje in den Angaben über das Lebensalter Therah's gefunden haben, befeitigt Hr. X. {εὖτ einfach und augenfállig richtig dadurch, daß er bie An⸗ gabe Θεπεί. 11, 32 al6 eine Prolepſis bezeichnet; nur if εὖ nicht ganz richtig, wenn er fagt, daß „Ichon ber bI. Augufis nus unb ber hl. Hieronymus jene vermeintliche Schwierig. feit für unauflö6bar gehalten“ haben. Hieronymus bemerft zwar zu der Angabe, daß Abraham bei feiner Auswande⸗ Tung ven Qaran 70 Jahre alt gewefen (ei: indissolubilis nascitur quaestio etc., ſucht aber dann bod) bie Frage zu lófen, unb gibt mehr als eine ihm möglich fdeinenbe Lör fung (Quaest Hebr. in Genes.), freilich nicht bie rechte, weil er von ber Vorausfepung ausgeht, Therah fei [don iobt gewefen, als Abraham von Haran fortzog. Augur flinus dagegen löst die Schwierigkeit durch bie Annahme, Therah fei nad Abrahams Auswanderung von daran, aber vor feiner Riederlaffung in Ganaan geftorben (Quaest. in Genes. XXV). Die Angabe, daß bie Setaeliten 400 Jahre in Aegypten fein werden (Ben. 15, 13), gegen über der anderen, daß fie 430 Jahre dort gewefen feien (τοῦ. 12, 40), fonnte feine Schwierigfeit machen, da 400 nur eine fog. runde Zahl iR. Dagegen bie [dein baren Widerfprühe, bie man bei ben Jahreszahlen in der Geſchichte Joſephs hat finden wollen, find bebeuten: ber, werden jebod) von Hrn. R. auf ganz befriedigende Weiſe gelöst, und dabei namentlich bie Unrichtigkeit ber Annahme dargethan, daß Jacob fogleih nad) Eſau's δὲν rath mit canaanitifhen Weibern fid) nad) Mefopotamien

Beiträge zur Erklärusg des A. Teſt. 607

begeben babe, welche Annahme hauptſächlich ber Behaup⸗ tung von Widerfprüchen in den Zahlenangaben zur Grund» lage dient. Sofort wird nod) über eine Reihe ſchwieriger, fib ſcheinbar wmiberfpredenber Stellen Licht verbreitet und παπιεπε viele Disharmonieen in ‘den Zahlenangaben, unter bec Vorausfegung, daß bie Buchflaben von ben Hebräern aud) als Zahlzeichen gebraucht worden feien, meiftens gut befeitigt.

In ber zweiten Abhandlung: „Ueber dad fedt ber Ieraeliten an Canaan x." ſchließt fij Hr. R. an bie Kirchenväter namentlich Auguſtin an, und gewinnt in aue» führlicher Erörterung das Ergebniß: „Die Israeliten has ben fein menfchlihes Recht irgend .einer Art an Ganaan gehabt, fonbern εὖ durch eine göttliche Schenfung erhalten. Die Urfahe, warum die Ganaaniten nicht länger Beſitzer des Landes bleiben follten, lag in ihrem tiefen fttlichen Berberben, namentlich in bem Gógenbienft der abſcheu⸗ lichften Art, indem fie hierdurch ber Vertilgung würbig geworben waren. Dur die Schenkung deſſelben gefchah daher den Ganaanitern Fein Unrecht. Die Israeliten, durch welche Gott, der Herr des Weltall, Ganaan et» obern unb befjen Bewohner vertifgen ließ, waren Diener der göttlichen Geredtigfeit und erfüllten burd) bie Grobe⸗ rung des Landes und bie Yusrottung ber Ganaanitet ein ihmen gegebenes göttliches Gebot“. Dann zeigt er ned, bafi bie verídiebenen anderartigen Verſuche, bie Eroberung Ganaans burd) bie Sétaeliten zu rechtfertigen, unhaltbar feien, wie 3. B. die Behauptung, ihr Recht auf €anaan gründe fid auf eine von Noah's Söhnen angeftellte Vertheis Tung ber ganzen Grbe, bei welcher Ganaan ben Nachkommen Sems zugefallen fei, oder bie Joraeliten haben ben Aufe

es ka,

trag gehaft, ten Gansaniten ben friben auzmbirkn mh erf im PBeigerungäialle βε ohne Eibenung zu tibia, he

Sinlef; pum Krige gegeben unb feiern icit Der amgeriienbe Ipeil geweien Εεἰώε Halten haben die auf iex Gr genßent bepislichen Edhrirrürkien zu angeuiälig gegen 9d, αἷδ bej Mj xod εἴκει emxbübihüdcn Radiweriung bc türfte, mmb beerben beber veu Den. 3b mit Shed μα seni Far) aberherigt.

Sm ver Yemen Ῥδδαπείαπα: Ueber das Gier ϑιφίμαδ, indt Dc R zu μία, raj; Scplta'8 Sedet bem feb. ὅδ Uk über γαῖα θερευβιουὺ im alter umb neut Jet [ὅσα fe vil νειδαπεεῖς werten, toj δῷ feum mk em»eó über Hn jagen ijt, ead mut irc urgente qe fagt wäre. Sm werte der Betrefene Türerm m bem Ccrme axipraßı, ταῦ Sepe feine Sede werfab ai Sorrrewéer τατρεύταδιε Babe, ie να rer She Cerana mur Seba ecu werten femel Bec scmieala sala veierikun emmiber fe (Jadces εἰ Esá | exphuusi εἰς Morus 1619. p 391). uir von Gafurt: | Cowvemmnt im hanc seuäreiisen veieres Hebraei, Pues BEaxhexae εἰ cradüümumà quique verres receularesque Interpreites (Dimsertsiiones im V. T. Wircch. 1789. L 470). Cue mar tie wat

Ve ΒΩ wait Kingern, τοῦ ὅδ tür Hisfafune ter Bätrt |

Beträge zur Erklärung des A. Left. 600

von felbft nicht bloß nahe fegt, fondern fat unabweisbar auforángt Selb Biele von Denjenigen, welde eine wirkliche Toͤdtung ber Tochter Sepbta'6 nicht anzunehmen vermögen, wiflen fid) bem Ginbrude der Tertesworte nicht au entziehen und benfen entweder bei Mdyhr an etwas anderes als bei nyvo my, nämlih an ein wirkliches Opferthier, das Jephta als Brandopfer geſchlachtet, ober nehmen das * bei ymmbym in ber Bedeutung „ober. Da aber das Eine wie das Andere fihtlih nur ein uns genügenber Nothbehelf ift, fo verfiehen Rande das Opfer nur im bilbliden Sinne entweder fo, daß Jephta's Tochter an einem einfamen Orte eingefchloffen worden fei, um in Befünbiger Jungfraufhaft bur Gebet und Baften Gott zu dienen (cf. Serar. 1. c. p. 321), ober fo, daß fie bem Dienfte des Heiligthums geweiht worben {εἰ Hengfenderg, Beiträge zur Einleitung ins 9. S. II. 128 f). Mein fo gewiß es if, daß „Opfer“ und „Dpfern“ aud) bildlich gebraud)t wird, fo wenig fdeint die bilblide Auffaffung im gegebenen Falle fi rechtfer⸗ tigen zu [affen, und Hengſtenbergs und Reinke's dießfall⸗ figer SBerfud) wird fid) nicht als gelungen bezeichnen laffen. Sie berufen fid) nämlich auf Hof. 14, 3, we „von Stieren der Lippen“ (nicht ganz richtig!) die Rede fei, welche Israel bem Heren opfern werde; auf Pf. 40, 7—9, wo „der Sänger fid felbft, die Hingabe feiner Perfönlickeit, als das wahre von Gott verlangte Opfer“ bezeihne; auf Bi. 50, 23, wonach, wer Danf opfere, den Herrn efte; auf Pi. 51, 19, wonach bie Opfer Gottes ein zerknirſchter Gift feien; auf Pf. 119, 108, wo Jehova an bem wil⸗ ligen Opfer des Mundes Gefallen haben foll; enblid) nod) auf einige beuterofanoniffje unb neuteftamentlide Stellen,

910 Reinte,

wie Gir. 35, 1-3. Weish. 3, 6. Röm. 12, 1. 15, 16. Phil. 4, 18. Hebr. 13, 15. 16, wo ebenfalls von Opfern im bilblidjen Sinne bie Rebe if. Allein alle biefe Stellen find in poetifhem ober bod) rhetoriſchem und exhestater tidem Tone gehalten, wo Bilder und ?Bergleidjungen am Plage find, und deßungeachtet ift doch nod) überall durch irgend einen Beifag oder eine eigenthümliche Redewendung ber bildliche Ausprud als folder fenntli) gemacht. Bei of. 14, 3 4. 9. würde Niemand das C'op nipbg? von Opfern im uneigentlihen Sinne verfteben, wenn nidi np durch x»nplp erklärt würde, fobann Pf. 40, 7-9 bezeichnet der Pfalmift bie Hingabe feiner Perfönlichfeit fo gat nicht burd) bie etwa bildlich gebrauchten Ausbrüde mag ma] unb rpm hip, bef biefe Ausbrüde υἱεῖν mehr gerade den Gegeníag zu jenem uneigentlichen Opfer begeicpnen; ferner Pi. 50, 23 ift eben burd) myim (Lob, Dank) angejeigt, dag ΠῚ bilblid) gemeint: fei, und ein Gleiches gilt von pw) m, was Pf. 51, 19 auf ma Dow folgt, unb won "B in p nt272 Pf. 119, 108. In all biefen Stellen liegt alfo feine Berechtigung, das vv mbty Richt. 14, 31 im bildlichen Sinne von ber Hingabe zum Dienfte des Heiligthums zu verftehen, umb eben fo Yoenig in den angeführten beuterofanonifhen und neutefla- mentlihen Stellen. Es mag fofort nicht viel verfangen, wenn Hengftenberg bemerft: „Da von ben Befennern ber Sebopabreligion nie und nirgends Menſchenopfer dar- gebracht wurden, fo fiel jebe Siveibeutigfeit weg, und jeder Zufag war unnöthig" (d. a. O. €. 139); denn irgend eine Andeutung, daß das Opfer nur im bilbliden Sinne ge meint fei, müßte man in einer ſchlichten Berichterflattung

HJ" Beiträge zur Crklarung des A. Teſt. eu

um fo mehr erwarten, al6 foldhes ſelbſt in poetifhen Darftellungen geſchieht, unb ein Leſer bem Jephta gar leicht etwas Abnormes zutrauen fonnte, wie e8 ja im Alterthum wirklich von jeher gefchehen if. Dazu fommt, daß ny, vom Opfern gebraucht, immer nur vom eigent- lichen Opfer, und zwar von ber ganz beflimmten Opfer art, die wir Brandopfer nennen, vorfommt, und ber Aus⸗ druck nbi nbym immer mur von ber wirflihen Darbrins gung eines SBranbopferé. Das Opfer Abrahams hätte man zu Gunften einer uneigentlihen und bildlichen Opfer rung der Tochter Jephta's nicht herbeiziehen follen, denn aus bem dießiallfigen Berichte der Geneſis, für fid) be tradet, laͤßt fid) nicht einmal mit Sicherheit folgern, daß Jehova feine Menfchenopfer wolle, weil, was hier dem.Abraham zu Lieb gefchehen ift, bie Erlaffung des Opfers, ein anderes Mal aud) hätte unterbleiben fónnen. Jedenfalls wird aber burd) nótyb mbym Genef. 22, 2 die wirkliche Schlahtung und Opferung Hanks, bie fofort zu unterbleiben hat, bezeichnet; und es ift fonberbar, wenn Hengftenberg in Betreff der Worte: „bringe ihn dar als Brandopfer“ bemerft: „Wären biefe Worte äußerlich zu verftehen, fo hätte Gott, ber fdon παῷ - der Lehre des A. S. fein Menſch ift, bag er füge, unb fein Menſchen⸗ fohn, daß ihn geteue, nicht nachher bie Ausführung vers bieten Fönnen; was nad) feinem eigenen Giefege gottlos ift, das kann Gott auch verſuchungsweiſe nicht gebieten 3 8. 12 erflärt, daß bem Befehle des Herrn nun, ba bie geiftige Opferung vollbracht war, [don Genüge geleiftet worden. Daraus erfehen wir, baf bie Verfuhung nur in ber Zweibeutigfeit lag" (a. a. D.) Es ift gewiß ſchwer, aus ben Worten: „Und bringe ihn dort zum

6123 ᾿ Reine,

Brandopfer bar auf einem bet Berge, ben ich bir fagen werde“ eine Zweidentigkeit herauszubringen, wenn man fe nicht vorher hineingelegt hat. Ein Hebräer fonnte nad bem üblichen Sprachgebrauche bie betreffenden Worte gar nicht anders als Außerlih von ber Darbringung eines wirklichen Opfers verfteben, wie denn aud) Abraham fie wirflich nicht anders verfunb. Nun wird man aber nicht annehmen wollen, daß Gott bem Abraham etwas befohlen babe mit Worten, bie er ganz anders verfeben mußte und verftund, als fle gemeint waren, ohne ihn im Ge τίπρβεπ auf das unridtige Verſtaͤndniß aufmerffam zu maden. Warum aber Gott aud) nicht verſuchungsweiſe eine ſonſt unerlaubte That, bie nicht zur Ausführung Tommen fol, gebieten könne, weiß Ref. nicht einzufehen. Sei aber bem wie ihm wolle, bem Abraham ift bie Schlach⸗ tung feines Sohnes wirflid geboten worben, denn weil er bie Worte des Gebotes in biefem Sinne verftunb, eriftirte für ihn aud) bae dießfallſige göttliche Gebot, unb wenn ihm Gott die Schlachtung feines Sohnes nicht hatte ger bieten wollen, fo würde er fij anders, als εὖ gefchehen ift, ausgebrüdt haben. Auf eine Menge von Bedenken, bie man gegen bie wirflihe Opferung der Tochter Jeph⸗ ta's vorgebrad)t hat und nod) vorbringt, ift lángft geant⸗ wortet toorben (cf. Serar. 1. c.), unb wir können bier nicht weiter darauf eingehen. Wenn außerdem gegen eine wirkliche Tödtung aud) nod) auf eregetifche Auctoritaͤt, b. ἢ. auf die vielen ausgezeichneten Gelehrten, bie fid) gegen dies felbe erflärt haben, Gewicht gelegt wird, fo ift zu bemerken, daß diefe Gelehrten ber Mehrzahl nad) Proteflanten find und fämmtli ber neueren Zeit angehören, daß von ben Kirpenvätern ohne Ausnahme unb von ben alten Exegeten

Beiträge zur Erklarung des A. Teſt. 613

überhaupt bie betreffende Stelle immer von einer wirt lichen Opferung und Tödtung der Tochter Jephta's ver» fanden worden ift und biefeó Verfländnig als das tradis tionelle und kirchliche erídeint. Wenn übrigens jenen Ge» lebrten aud) Eftius beigezaͤhlt wird, fo geſchieht dieß nicht mit vollem Recht. Denn zu der Bemerfung: Neque dici posse videtur, eum instinctu divino illud fecisse, sicut de Samsone occumbente cum Philistaeis quidam dicunt. Nam legitur hic Jephte doluisse de tali voto (Annott. ad Jud. 11, 39) fügt Eftius in ben Addit. et annott. bei: post verb. volo adde: seu de necessitste immolandae filiae, quam putabat contractam ex voto v. 35.

Der zweite Band enthält aufer den nachträglichen Bemerkungen zum erften Bande wiederum drei ausjühr- liche Abhandlungen. Die erfte ift mehr allgemeiner Art und ftellt zunächft in kurzer Ueberfid)t den „Hauptinhalt der meffianifchen Verheißungen und Weiffagungen des alten Teftaments“ dar, bann die Wichtigfeit derfelben für Juden und Ehriften, ihren Kortfchritt im Laufe der Zeit unb ihre Beſchaffenheit. Hr. 9t. folgt fo ziemlich ber ent» fpredenben Darftellung Hengſtenbergs im erften Bande feiner Ehriftofogie, ift aber meiftens etwas ausführlicher. Darauf zeigt er, wie man das Bildlihe und Sachliche in ben Weiffagungen unterſcheiden, die Zeitfolge der vot» herverfündigten Begebenheiten erfennen fönne, unb bei dunklen Weiffagungen fih zu verhalten habe, beweist bann, daß bie altteftamentlihe Idee vom Meffias unb feinem Reihe nicht menſchlichen, fondern göttlichen Ur» fprungeó fel, gibt bie Beweismittel an für die Meffanität altteftamentliher Stellen, beipriht die Urfahen, warum ber Heiland .erft 4000 Jahre. nad dem Sündenfalle ber

Stel. Duartaligrift. 1858. IV. Od. 4

614 Reine,

erſten Menſchen erfchienen (εἰ und verbreitet ſich nod über einige vorgeblih nicht erfülte Weiflagungen des alten Teftamentes. Auch hier richtet er fid) mit Ausnahme des Iepten Punftes großentheils nad) bem Vorgange Henge ftenbergs. Im Betreff der vorgeblid) nicht erfüllten Weiſ⸗ fagungen aber fucht er ſpeciell und ausführlich zu zeigen, daß in den zahlreichen einzelnen Fällen, we man folde hat finden wollen, in ber That feine ſolche vorliegen, und bie Behauptung ber Stidjterjüllung nur auf unrichtigen unb wilführlihen Auffaffungen und Deutungen berube. Diefer Berfuh muß aud) wirklich als gelungen bezeichnet werden, unb felbft wo ber Lefer fid) etwa mit ber geger benen Deutung nidjt befreunden fann, wird er bod) im» merbin anerkennen müffen, daß die Behauptung der Richt» erfuͤllung entfráftet fei. Wir machen dießfalls befonders auf bie gründliche Erörterung über Ced. 38 und 39 aufmerfjam (S. 141—161), aus ber fid wohl jeder Lefer überzeugen wird, bag man jur Behauptung ber Richter fühung ber betreffenden Weiffagung feinen Grund habe. Wenn jebod) Qr. R. in Uebereinftimmung mit Galmet die Weiſſagung auf einen feindlichen Einfall der Perfer unter Cambyſes auf feinem Zuge nad) 9legppten und namentlid auf feinem Rüdzuge deutet, fo vermag fid) Ref. mit biefer Deutung nicht zu befreunden. Schon die Ezechiel'ſchen Schilderungen, von Anderem abgefehen, enweden bie Vor⸗ ſtellung von etwas ungleid) Groͤßerem, als was durch den Berferkönig Cambyſes in Palaͤſtina, einer perfiihen Pros vinz, kann geſchehen fein.

Die zweite Abhandlung befaßt fid) mit dem „Prot⸗ evangelium". H. 9t. giebt zuerft „den hebraͤiſchen Text nebR einer deutſchen und den alten Meberfegungen“, bat

Beiträge jut Grffórung des 9f. Teſt. 615

jebod) unter Teßtere die lateiniſche nicht aufgenommen, Yoabrídeintid) nur aus Verfehen, denn obwohl fie alà bes Tannt vorausgefegt werben kann, follte fie bod in einer ausprüdlih angekündigten Zufammenftellung der alten Meberfegungen nicht fehlen. Darauf werden die verſchie⸗ denen Auslegungsweiſen „von 1 Moſ. 3, insbeſondere von 38. 15", nämlich die buchſtaͤbliche, allegoriſche, hiſtoriſtrende und mythologiſche angegeben und beurtheilt, unb ber erſten mit 9tedt der Vorzug zuerfannt. Dann folgt ein Bers zeichniß der Schriften, welche über Genef. 3, 15 handeln, ein Gommentar über bie Stelle, Bemerkungen über bie Bedeutung einzelner Worte, unb bie Beziehung beó Kin. In lepterer Hinficht wird ganz treffend gezeigt, daß fid) Wan nur auf ys] begiehen fönne, und baf baé ipsa der Bulgata jedenfalls unrichtig, wahrſcheinlich aber eine Ent- ſtellung fei, und ber Bierongmianifde Tert urfprünglid) ohne Zweifel ipse flatt des jehigen ipsa gehabt habe. Darauf wird der Beweis geführt, daß der Teufel durch die Schlange bie erften Menſchen verführt habe, unb wer» den bie Gründe widerlegt, bie für’ Gegentheil vorgebracht worden find. Bei diefer Gelegenheit wird namentlich ges zeigt, daß bie Lehre vom Satan bei ben Hebräern nicht ετῇ feit dem babyloniſchen Exil Berrfibenb. geworden, fons dern [don vor Mofes vorhanden gemefen fei. Wenn übrigens als ein Grund, marum Mofes des Teufels mit feinem Worte Erwähnung thue, angegeben wird: „Hätte er des Teufels, als eines liftigen Geiftes, Erwähnung getan, fo hätten bie alten mod) ungebildeten Hebräer feiht in den gefährlichen Itrthum der Perfer, bie zwei ewige Principien, ein Böfes und ein Gutes, annehmen, fallen können“ (©. 273); fo [dint Hr. 9t. fpäter dieſen 41"

616 Sine,

Grund ſelbſt wieder zu entfräften, wenn er in Bezug auf den Aſaſel fagt: „Wer in ber Erwähnung des Teufels eine Gefahr für bie Israeliten findet, der fónnte biefelbe aud in der Erwähnung der Engel finden, von denen oft bie Rede if. Denn wenn bie Erwähnung des Teufels bie Israeliten zu der Anfiht, daß derfelbe Jehova gleih fd, führen fónnte, fo hätte baffelbe aud) in Betreff der Engel geíd)eben können“ (304). Bei der rage, ob bloß der Teufel, oder bloß das Werkzeug der Verführung, die Schlange, oder beide beftraft worden feien, enticheidet fi Hr. R. für's egtere, und hat unfiteitig bie Tertesworte für fib, fofern V. 14 fiteng genommen nicht auf ben Teufel unb 88. 15 ſtreng genommen nicht auf bie Schlange paßt. Als Strafe ber Schlange nimmt er mit Hengſten⸗ berg eine Veränderung ihrer Natur in eine ſchlechtere und häßliche an, ohne bie frühere näher beſtimmen zu wol. len; als Strafe des Teufels aber feine Niederhaltung und Demüthigung, und feinen enblihen völligen Sturz durd ben Meffias. Sofort fuht Hr. R. den Sinn von Gene. 3, 15 nod genauer darzulegen, die meſſianiſche Auffaſ- fung ber Stelle zu rechtfertigen, die gegen fie vorgebradhten Gruͤnde zu widerlegen, unb bie von feiner Auffaflung ab weichenden Exflärungen zu befeitigen.

Die dritte Abhandlung hat das reine Speisopfer Mal. 1, 11 zum Gegenſtande. Hr. R. theilt wieder wie im vorigen (alle zuerſt den Urtert und bie alten Webers fegungen mit, ier aud) die hieronymianiſche in der [o teinifhen Vulgata, und bann bie verſchiedenen Ausle⸗ gungen der Stelle. Darauf erflärt er einige Wörter be6 eilften Verſes und fudt enblid) zu bemeifen, daß Mal. 1, 11, von der chriſtlichen Gottesverehrung und nament,

Behrräge zur Erflärung des A. Teſt. 617

lid vom unblutigen Opfer des neuen Buntes weiflage, und daß bie dagegen vorgehrachten Gründe unhaltbar feien. Der legtere Bunft ift hier offenbar die Hauptſache, und menn man fragt, ob bie oblatio munda yin nm» vom eudariftifhen Opfer des neuen Bundes zu verſtehen fei, fo Fann die Antwort nur bejahend ausfallen, unb ift aud) von den meiften Kirdenvätern und Theologen, und aud) von ber Trienter Synode mit vollem Rechte in dies fem Sinne gegeben worden. Denn daß Maleachi von einem reinen gottgefäligen Opfer redet, welches an bit Stelle des gefeglihen Opfers treten, und zwar nicht etwa bloß zu Ierufalem und in Paläftina, fondern unter allen Völkern auf bem ganzen Erdkreis bargebradt werden fol, ift febr deutlich; e8 ift aber an dirfe Stelle befannter Maaßen fein anderes derartiges Opfer getreten ald das euchariſtiſche, ober das hriftliche Meßopfer. Damit ift aber ſchon angebeutet, daß bie Berechtigung zu jener bejahenden Antwort weniger in den Worten des Propheten, die ziemlich unbeftimmt find, ald in ber uns befannten That» fade ihrer Erfüllung liegt. Daß Maleachi felbft und feine gläubigen Leſer vor Gbriftus unter jenem reinen Opfer gerade das euchariftifhe Opfer des neuen Bundes gedacht haben, fdeint Hr. 9t. nicht behaupten zu wollen, wenige fiens wird e6 dur bie von ihm vorgebradjten Gründe nicht bewieſen; dagegen liegt in bem Umftande, daß felbft im R. S. die Ginfepung dieſes Opfers durch Feinerlei Andeutung als Erfülung ber Maleachi'ſchen Verheißung bezeichnet wird, unb (don die vorläufige Ankündigung ders felben für die Juden eine harte Rede war und ale etwas ihnen völlig Bremdes und Unerhöries Viele im Glauben wanfend madte (Joh. 6, 67), daß man unter dem reinen

618 Dieftel,

Opfer Maleachi's nicht das fid) dachte, was und bie bei lige Euchariſtie ift, obgleich eben biefe gemeint war, zwar nicht vom Propheten, wohl aber von bem durch ihn reden» den heiligen Geifte. Der Prophet fündete alfo wohl ein neues Opfer an, das an bie Stelle des alten treten würde, aber das Wefen defielben war ihm nicht, wenigftens nicht genau befannt, und wurde aud) 9tiemanben genau befannt, bis enbíid) feine Anfündigung in Erfüllung gieng; unb εὖ gilt von berfelben (omit die befannte petrinifhe Regel 2 Petr. 1, 20f. Gr felbft hätte feine Weiſſagung nidt auslegen fónnen (— ἰδίας ἐπιλύσεως 8 γίνεται), wir abet fónnen es, nadbem fie fid) erjüllt hat und fortwährend fif erfüllt.

In ben nachträglichen Bemerkungen wird noch bit erfte Abhandlung im erften Bande gegen einige Einwens dungen unb ſchiefe 9fuifaffungen in Schu genommen, melde im 3. Hefte der Fathol. Zeitſchrift, Münfter 1852, veröffentlicht wurden, und zwar, wie uns fcyeint, mit gutem Erfolge.

Welte

2.

Der Segen 3acob/'o in Genef. XLIX hiſtoriſch erflärt don fubmig Dieſtel, Licentiaten und Privatbocenten der Theologie an ber Univerfltät zu Bonn. Braunfdhweig, G. A. Schwetſchte u. Sohn. 1853. Preis fl. 1. 20. f.

Die Gauptatfiót des Hrn. Verf. geht dahin, das Zeitalter bed Gegend Jacob's zu befiimmen, welder von den neueren Gelehrten häufig nicht bloß jür unächt erflärt, fondern aud) in eine verpáltnigmáfig febr fpäte Zeit ver

Der Segen Jacob's. 619

legt voirb. Er bemerft daher, daß er flreng genommen feiner Schrift den Titel: „Entftehungszeit des Segen Jacob's“ hätte geben follen, und nur aus rein ſprachlichen Gründen den jegigen etwas ungenaueren gewählt habe. Zuerſt beſchaͤftigt fi Hr. D. mit „Vorfragen“ über das Haus Jacobs, über die Zwoͤlfzahl feiner Söhne, über bie Situation, in der er ben Segen gefprodhen haben fol, über bie Behältlichfeit unb den Eingang des Segens. In erfterer Hinfiht widerlegt er bie ſchon ältere und bes fonders wieder burd) Ewald ver(odtene Anfiht, daß Jacob und feine Söhne nie als eingelne Individuen eriftirt haben, fonbern nur als Namen von Stämmen, und zeigt nament« lid), daß gerade bie Hauptfielle, bie dafür zu fprechen ſcheint, indem fie Stämme Iſraels Oy? ww 49, 28) erwähnt, gegen bie Saffung ber Jacobsſoͤhne ald Sn« dividuen nicht bemeifenb fei, daß vielmehr im Segen Jacob's feine Söhne gleichzeitig als Individuen und als Vertreter von Stämmen erídeinen. In Betreff der Zwoͤlfzahl ftellt Hr. D. die nidt unmabrídeinlibe Vermuthung auf, daß Jacob wohl mehr ald 12 Söhne gehabt, aber wegen einer gewiffen Beveutfamfeit der Zwoͤlfzahl nur bie 12 „Erſt⸗ geborenen zu Häuptern und Führern ber Nachkommenſchaft ermwählt“ habe. Die Behauptung, daß e& unerflärlih fei, wie der 147jährige Greis, ber fury vorher völlig ent« fráitet auf feinem Lager ruht und fofort nah dem Segen verſcheidet, diefen hohen Auffhwung fönne genommen haben, wird mit ganz treffenden Bemerkungen widerlegt. Die leichte Behaͤltlichkeit des Segens, zumal von Seite der Söhne Jacob's, Tieß fid) leicht nachweiſen gegenüber der Behauptung, daß es undenkbar fci, daß jener Segen ſich unverändert fortpflanzen konnte. Dagegen fcheint bie vers

620 φιεβεῖ, fudte Nachweiſung, daß ber Anfang des Gegens, nim lid) 49, 1°, nicht von Jacob felbft gefproden, fondern nur vom Berfafier der Genefió ihm in den Mund gelegt fei, ihre nicht geringen Bedenklichkeiten zu haben, fo febr aud) Gründlichfeit und Umficht bei derfelben anzuerfennen fint. Hr. D. ſchließt diefe „Borfragen" mit den Worten: „Aus biefen Erörterungen, in denen wir die allgemeinen Gründe beleuchteten, welde man ber Aechtheit des Segens ent gegenftellt, ergiebt fid) fomit, bof biefelben nid tüdtig genug find, um die Auffaflung der Urfunde (ſcheint etwas iu fehlen) zu widerlegen. Hüten wir uns aber bieß Ex gebniß zu überfhägen. Denn ben lebten Hauptgrund, bie Unmöglichkeit oder bod: Suglofigfeit folder Eröffnungen unb Borherfagungen betreffend, haben wir bier nur nah feiner allgemeinen eite in'& Licht flellen dürfen: feine Haupifraft liegt aber im Einzelnen. Within werben wir gefteben müffen, im Ganjen nur febr wenig gewonnen zu haben; unb bie Frage, ob der Segen in Jacobs Zeit fällt, oder in eine fpätere, bleibt nod) immer offen“ (&. 28). Sofort beginnt die „Ipecielle Unterfuhung* der ein zelnen Ausiprüche Sacob'& über feine Söhne, um zu e mitteln, ob diefelben wirflih aus der Zeit Jacob's unb von Jacob [εἰδῇ herrühren fönnen, ober einer fräteren Zeit angehören müflen. Dabei wird haupt'ächlich auf bie neulid zu großer Geltung gefommene Anſicht, daß ber ftaglide Segen aus dem Ende der Stidbterperiobe ſtamme, Stüdfiót genommen, und fowohl bie von den Vertheidigern diefer Anfiht al& aud) bie vom andern gegen bie Aecht⸗ heit des Eegens vorgebrahten Gründe und Schwierig⸗ keiten in gebührendem Grade gewürdigt, nirgends etwa mur umgangen oder verdedt. Wir müffen'é uns indefien

Der Segen Yacob’s. 621

verſagen, dem Hrn. Verf. in bie Einzelnheiten zu folgen, und nur im Allgemeinen bemerfen, daß er bei jedem ein» zelnen Ausſpruche mit vieler Gründlichkeit zu zeigen fudit, baf berfelbe entweder aus der nachmoſaiſchen, oder aud) mur nachjacobitifhen Zeit gar nicht herrühren fónne, ober daß feine Entftehung zur Zeit Jacobs wenigftens viel wahrſcheinlicher fei, al zu jeder fpäteren. Am fürzeften ift bie Behandlung des Spruches über Benjamin ausger fallen und möge babet hier einen Pla erhalten als Feines Beilpiel von dem Verfahren des Hrn. SBerfafferé. Er fagt: „Der jüngfte der Brüder, der zweite Sohn ber Rahel, ſchließt mit kurzem Eprude das Lied „Benjamin ein Wolf, ber zerreißt; am Morgen verzehrt er Beute unb am Abend theilt er Raub“. Es liegt darin, wie Bohlen nachweist, nichts Rachtheiliges, fondern ift nur Bezeichnung eines unermüblidyen Friegerifchen Charakters. Es ift richtig, daß Benjamin in der fpás teren Geſchichte biefen Eharafter zeigt; Ehud und Saul find aus diefem Stamme; fein Kampf mit den übrigen Stämmen wegen ber. Frevelthat in Gibea (Sub. 20 f.) if befannt. Allein eben bief, baf auf jene fpäteren Thaten feine Rüdfiht genommen ift, flößt febr gerechte SBebenfen ein, während bie große Allgemeinheit der Ausfage nirgend ein Argument für fpätere Abfaffung, für bie Unächtheit darbietet. Daß zu der Zeit des Spruches Jerufalem, das in feinem Gebiete lag, noch nidt geheiligt war, geftebt man ju; ebenfo daß audy der Stamm damals durch Saul feine Berühmtheit erlangt haben fonnte. Allein damit bfeiben wir nod) in ber Richterperiode. . Hier mußte nun nothwendig jene große für den Stamm hoͤchſt wichtige Kataftrophe (Sub. 20 f.) eine Erwähnung finden. JR bec

en Siete,

. Sprud) aus bem Ende der 9tijtergeit, fo mußte ja eben fie nod) in der frifheften Erinnerung fein; ein rügendes Wort fonnte nicht fehlen. So find wir höher hinauf zu sehen genöthigt, oder vielmehr und der Tradition zu beugen, da Gegengrünbe fehlen. Daß ſchon damals der Stamm eine gewiffe fühne Wildheit entwidelte, läßt fld) fehr wohl denfen, und diefe fonnte bie Zeit wohl nicht erbrüden, da der Stamm als der jüngfle Mühe gehabt haben wird, fib in Selbfifländigfeit unb Anfehen zu erhalten. Rur infofern fönnen wir fagen, bie Geſchichte zeige biefe Bes wahrung; von einer „Beftätigung” (Baumgarten) buch diefelbe fann nicht die Nede fein, da feine Prophezeiung vorliegt“ (&. 106 f.).

Auf die fpecielle Unterfucung folgen nod drei „Schlußs fragen", in denen der Charakter des Liedes, fein bid terifher Werth und fein SBerpáltnig zum Gegen Mofis beſprochen werben. In Betreff des Charakters wird wieder⸗ holt hervorgehoben; daß ber Segen nicht Weiffagungen, fonbern Willenserflärungen enthalte, wohei εὖ aber haupts fählih auf die Eharafteriftif der einzelnen Söhne Jacobs abgefeben fei, In Betreff des dichterifchen Werthes wendet fi Hr. D. gegen die Beftreiter der Aechtheit, welde ber haupten, „dad Gedicht verrathe eine fehr vollendete Dich⸗ tungégabt", und daraus eine fräte Cntftebung folgern. Er bemerkt mit Recht: „Bon Kunft form fann bod wohl bier nicht die Rede fein; denn einjaer und unfünftleriider in formeller Beziehung kann wohl fein Lich fein. Der fib in jeder gehobenen Sprache vollends des Drientalen einftellende Parallclismus tritt gerade in unferem Liede febr wenig hervor“. Dann vergleicht er das Deboraskied mit dem Segen Jacobs unb lommt auf das Grgebnif:

Der Segen Jacob’s. 623

„während das Deboralied einen viel complicirteren, feuris eren, gewandteren Geift verräth, während es felbft fünft- leriſche Formen durchſchimmern läßt if der Gegen Jacobs ganz und gar Achte Naturpoefie, aber der ebelften Art". Beim Segen Moſe's fudt Hr. D. die Aechtheit der einzelnen Segensfprüche nachzuweiſen, was ihm meiſtens febr gut gelingt und einen neuen Grund für die Aechtheit des Segens Jacob’8 abgibt, fofern diefer anerfannter Maaßen älter ift al ber Segen Mofe’s. Diefer ift übrir gens nad Hr. D. burd) eine fremde Hand gegangen, wofür allerdings die Einleitung, namentlih 38. 4., und das wiederholte MON fpricht, ift aber außerdem nod) theils burd) Weglaffungen theild durch Einfhiebfel mehrfach ente felt worden. In Betreff der lehteren fheint und jebod) Hr. D. mitunter viel zu weit zu gehen, namentlid) beim Segen über Joſeph; biefer würbe nad) der von ihm ges machten Ausſcheidung fogar mit J nad) TON beginnen, was an fid) unpaffenb unb neben ben andern Segensſpruͤchen analogiemibrig wäre. Uebrigens if feine Schrift jeden» falls, wenn ihm aud) nicht in allen Einzelnheiten 6eiges fimmt werden fann, ein febr beadhtenswerther Beitrag zur Beweisführung für bie Aechtheit des Pentateuchs, obwohl er diefe felbft nicht anzuerfennen ſcheint (S. 27), fojetn die Einwendungen gegen ben Gegen Jacobs meiftend von der Art find, daß fie aud) diefe Aechtheit ausfchließen würden. Welte

634 Strauss, 3.

Nahumi de Nino vaticinium ezplicaeit ex Assyriis mo- numentis illustravit Otto Strauss. A. MDCCCLIII. Prostat. Berolini apud Wilhelmum Hertz libr, Besser. Londini spud Williams et Norgste. Preis 2 fl. 42 fr.

Die Prolegomena handeln in 3 Kapiteln 1) von der Berfon 9tagume, 2) von den jübifchen und aſſyriſchen Zus fänden, auf bie fid feine Weiffagung bezieht und 3) von Diefer Weiffagung ſelbſi.

Ob der Name des Propheten (ΟἿΠ) getröftet [Sxófter]) eine Beziehung auf das propbetifde Amt und insbefondere auf die Untergangsbrohung gegen Rinive ausprüde, fofern tiefe für Iſrael troftreid) war, läßt Hr. Str. mit Recht dahin geftellt, da ja Eigennamen von DM) gebildet öfters ohne dergleichen Nebenbegiehung vorkommen, wie 2 Kön. 15, 17. 25, 23. 1 Ehron. 4, 19. Reh. 7, 7. 3n Betreff ber Heimath der Propheten, bie burd) das "wobwa ber Ueberſchrift “angegeben ift, entfcheidet fif) Hr. Str. mit guten Gründen für bie Anſicht derjenigen, bie ben Dit Elkoſch in Palaͤſtina fuhen, und widerlegt diejenigen, die dabei an das aſſyriſche Gifoíd im der Nähe von Moful . benfen. In der That wird das aſſyriſche Elkoſch [don viel zu fpät erwähnt (erſt gegen bie Mitte des 16. Jahrh.), als daß εὖ bei ber Frage nad) der Heimath Nahums in Betracht kommen fónnte, während bie alten Zeugnifle ohne Ausnahme einen paläftinenfifhen Ort als foldye bezeichnen, und aud im ganzen Buche Nahums der Verfaffer nicht als ein in Afiyrien, fondern al ein in Paläflina lebender Seéraelit erjdeint. Als Adfaffungszeit betrachtet Hr. Str.

Nahumi de Nino vaticinium. 625

bie Zeit der babyloniſchen Gefangenfdjaft Manaffe's, und faßt bie Stelle 3, 8---10., bie von der Serftórung Thebens in Oberägypten rebet, unb bie von Manchen zur Beftims mung der Abfafjungsgeit benügt wird, als Vorherſagung einer zufünftigen, nicht aber al8 Berüdfichtigung einer vergangenen Thatfahe, fo daß fie zu jener Beflimmung unbrauchbar wird. Die Gründe, bie er dafür vorbringt, find allerdings fehr ber Beachtung werth; aber bie Aufr faffung von 3, 8—10 als Vorherfagung fcheint- bod) nicht ohne Bedenken zu fein. Denn wenn wir aud) die Präs terita, was übrigens in biefem Zufammenhang einige Ueberwindung foftet, namentlich bei non einfach als pro⸗ phetiſche faſſen, ſo ſcheint immer noch der Sinn nicht recht paſſen zu wollen. Der Prophet will nach Hrn. Str's. eigener Auslegung das Vertrauen der Aſſyrier auf die Feſtigkeit ihrer Hauptſtadt und ihre große Kriegsmacht durch Hinweifung auf ein factum erfhüttern, das eben fo unglaublih ober nod) unglaublicher erfcheinen fonnte, als Ninive's Untergang. Nun (dint aber eine folde Hinweifung nur zwedvienlih zu fein, wenn es fid) um ein befanntes vergangenes (actum. handelt; denn ein ger weiſſagtes zufünftiges war nicht geeignet, dem Propheten Glauben zu verſchaffen bei ſolchen, bie nicht an feine Worte zu glauben geneigt waren. Wollte er ihre Behauptung, daß Ninive's Zerfiörung unmóglid und unglaublich fei,. durch Thatſachen widerlegen, fo mußten e$ vergangene Thatſachen fein, wenn fie Beweiskraft haben follten, weil die BVorherfagung zufünftiger von ihnen eben fo wenig geglaubt morben wäre, al6 bie Vorherfagung von Riniv ve's Zerſtoͤrung. Im 2. Kap. wird zuvoͤrderſt die Lage der Juden

626 Strauss,

während ber Gefangenfdjaft SRanaff'8 unb fury vor und nad) derfelben geſchildert, hauptſaͤchlich nad) Maaßgabe bet biftorifhen Bücher des A. T., dabei aud) einzelne unrichs tige Anſichten abgemiefen, 3. B. daß die Gefangenfchaft Manaſſe's erbichtet fei, ober daß feine baldige Befreiung in einem Wechſel der herrſchenden Partheien ihren Grund gehabt haben möge x. Darauf wird ziemlih ausführlich von ben affyrifchen Zuftänden in jener Zeit gehandelt, vom Charakter des aſſyriſchen Reiches und feiner Beherrfcher, von feiner wachſenden Größe und Ausdehnung, feinem wngegügelten Streben nad) Weltherrfhaft unb befonberé feinem Berhäftniffe zum jübifhen Volke. “Hr. Str. benügt dabei forgfältig bie neueren Entvedungen, wobei freilid) su wuͤnſchen wäre, daß bie Entzifferung der Infhriften weiter gebiefen und ihr Ergebniß ein fichereres fein möchte, ale es bermalen nod) der Fall if. Sene Entzifferung hat πάπι eigenthuͤmliche und große Schwierigkeiten: nam secundum vv. dd. sententiam cunealorum titulorum expli- catio gravissima difficultate premitur ea, quod non solum lidem soni variis signis exprimuntur, verum etiam eaedem figurae, ubi diversis modis cum aliis conjunciae et com- positae exhibentur, longe diversos notare sonitus putantur, sicuti omnino Assyrii in inscribendis cuneis satis arbi- lrarie versali esse existimantur; accedit ingens signorum multiludo, quam supra diximus; neo grammatices satis firmas ratasque adhuc regulas investigaverunt. Unde re- pelendum est, quod regum eliam nomina vel ejusdem systematis patroni satis diversis modis legerint; veluti palatii Khorsabadici conditorem Rawlins. antea docebat appellari Arkot-sin, postea Sargina, quem eundem eliam , Saimensssarem nominari contendit, de Sawcly autem Sardon

Nahumi de Nino vaticinium. 621 vel Assarbaddonem, Grotefend. Nabopolassarum, ne di- cam Lussato interpretari Kyniladanum; porro rex ille, qui celeberrimam statuam Nimrudensem inscripsit, a Ratolins. ferebatur appellari Temen-bar; cui nuperrime praetulit nomen Divanubara, a Grotef. autem legitur Sbalmaneser; οἱ Israelitarum, ut videlur, principem, qui dona regi Assy- riorum afferens imaginibus ibi expressis inducitur, Rawlins. simul et Hinks. afürmant esse Jahua, filium Khumriya, Grotef. autem. Juah, filium Ubri (2 Reg. XVIII, 18 ss.). Im 8. Kap. wird juerft ber Inhalt fpeciell angegeben, bann de indole vaticinii und de eventu vaticinii gehandelt, unb enblih nod) ein interpretum conspectus beigefügt. Hr. Str. hält ben Inhalt des Buches mit Recht für eine einzige unb vollſtaͤndige prophetiihe Rede, die in 3 Ab⸗ ſchnitte jerfalle, welche durch die Kapitelabtheilung richtig angegeben feien, und befeitigt Ewald's Anfiht, wonach das ganze aus adt Abſchnitten von je fünf SBerfen ber fteben fol. In Betreff des Styles ſtimmt er mit Lowth überein, welcher fagt: ex omnibus minoribus prophelis nemo videlur aequare sublimitatem, ardorem, et audaces spiritus Nahumi. Die Gríüllung der Weiffagung findet er in der Serjtórung Ninive's burd) Eyararcs, worüber aud) nicht wohl ein Zweifel entftehen Tann, und in Betreff ber Zeit derfelben ſchließt er fid) der bereitß ziemlich herrſchend gewordenen Anſicht an, für bie aud) überwiegende Gründe fprechen, daß fie in’8 Jahr 606 v. Ehr. falle. Beim inter- prelum conspectus ijt εὖ nicht auf Vollitändigfeit abge» fehen; Hr. Str. nennt nur bie bebeutenberen Ueberfegungen und Gommentare, bie ibm zu Gebote flunben, und giebt über einige beríelben ein kurzes Urtheil ab. Die Erklärung felbft if meiſtens fehr eingänglid.

628 Strauss,

Gleich das erfte Wort (wii) erhält eine ſechs Seiten füülenbe Erflärung. Hr. Str. bringt darauf, baf nn immer nur Laft bedeute, und bie Bedeutung Ausſpruch gar nicht Haben fönne, weil Niy3 nie in der Bedeutung ausſprechen (pronuntiare) vorfomme. Allein sp wp dt 3 8. Richt. 9, 7 und Jeſ. 24, 14 bod) offenbar nicht ein unarticulirtes Schreien, fonbern ein Erheben der Stimme welches zugleih ein Ausfprehen von Worten ift, unb daher ber Ausprud als etwas unbeftimmte Bezeichnung für Ießteres gebraucht. Aehnliches gilt von bem Ausdruck buo wig) Stum. 23, 7., indem Mig) nur das Ausfprechen der Worte bes oes bezeichnen fann; bie tleberfegung „anheben“ ift feineswegs genau (optime), und vorauds geſeht fogar, fie fei es, fo fann dabei bod) nur wieder an ein Ausfprehen von Worten gedacht fein, weil ohne fols ches feine Rede anhebt. Auch Np'3 ohne un fann 3. Ὁ. Syef. 42, 2. nicht ein unarticulirtes Schreien bezeichnen, fondern nur ein lautes wungeftümeó Reden, etwa mit fhreiender Stimme, alfo wieder ein Ausfpredhen von Worten. Demgemaͤß muß aud das Subſt. ΝΨῸ nothr wendig bie Bedeutung Auoſpruch wenigftens haben fónnen. Daß εὖ aber wirflid) in berfelben gebraucht worden fei, erhellt aus Jef. 21, 11., wo das Folgende nicht als Laft oder Unglüdsdrohung erſcheint, und aus Spruͤchw. 31, 1., too bie Belehrungen und Gittenregefn, welche pie Mutter dem Sohne erteilt, ebenfalls nicht ala eine aft erfcheinen. Endlich wird fid) nicht laͤugnen lafjen, daß Ni überall, wo es von prophetifhen Reden vorkommt, in ber Bedeu⸗ tung Ausfprud (etwa mit ſchlimmem Nebenbegriff) einen paflenden Sinn giebt, unb von auégeíprodjenen oder au&«

Nehumi de Nino vaticinium. 629

zuſprechenden Worten jebenfallé, wenn aud) nur im bild⸗ lien Sinne gebraudjt iſt. Gegen bie Beſtreiter ber Aecht⸗ beit der Ueberſchrift bemerft Hr. Str. mit Recht: Jam vero primam tituli partem spuriam esse Eichhornius, Berthold, Ew. contenderunt, ideo praesertim quod prima verba cum sequentibus nullo modo cohaereant. At vero quaenam polest manifestior esse necessitudo, quam quae inlercedit inter argumentum libri et auctorem? Accedit, quod nisi mentio omnino in titulo facta Nini esset, usque ad II, 9 nec universa oratio, nec suffixum illud opo 1, 8 quo tandem pertineret divinari posset. Grimmius contra defendit primam parliculam e consuetudine vatum, tale quid inscribendi oraculis, alteram destituit; at si quae est propheterum in hoc genere ratio, ea est, ut suum praefigant nomen tenquam divini spiritus instrumentorum, ne omne visum stare quodammodo in lubrico videretur. Große Sorgfalt wird auf bie ſprachliche Seite des Buches verwendet, ohne daß jebod) darüber die fachliche vernach⸗ láfigt würde. Die Vorgänger find fleißig benügt und abweichende Auslegungen fo weit fie der Berüdfihtigung werth waren, gebührend in Betracht gegogen worden. Die fhöne Stelle 1, 3b 4. B. wird fo erflärt: Dominus in turbine et procella via ejus, et nubes pulois pedum ejus. MD\D a. τ. MD rapere, auferre, turbinem omnia secum rapientem significat. LXX Arab. ἐν συντελείᾳ, in excidio, nescio an MiD legerint pro MD, = yp + nt Job IX, 17, "yv Jes. XXVIII, 2, aliis fere locis *yO Am. 1, 14, mayo Jes. XXIX, 6, n2y9 2 Reg. Il, 1, pro- cella est; LXX minus: iterum accurate ἐν συσσείσμῳ (vel σείσμῳ cod. Alex.), sequente Arab. in terrae motu. Utra- que vox sic legitur Ps. LXXXIII, 16; Jes. XXIX, 6. 1397 Kpesl. Ouartalfärift. 1858. IV. Heft. 42

630 Strauss, Nahumi de Nino vaticinium,

Hits. sein Wegmachen, inf. Pi., at nullum hujus verbi in coni. Piel'usitati extat exemplum; viam pro ratione et modo agendi dictam metaphorice, bene notat Vatablw. Saepissime autem hac similitudine vehementia pingitur poenarum et calamitatum, cfr. Job IX, 17; Jes. LXVI, 15; Jer. XXXII, 22; XLIX, 36; Ez. 1, 4; Ps. L, 3; Job X, 17 (lebtere Stelle wohl nur aus Verſehen wiederholt). yon P2y 139), atras nubes excitat incedendo. Nube is- volutus deus in montem Sinai descendit Exod. XIX, 16. 18; legem promulgavit bpm ty vie no, in nube vic- torem praeibet populi exercitum, habilabat super δὼ foederis; nubes omnino comitantur deum ad judicium ve- nientem et filium ejus Jes. XIX, 2; Ps. XCVH, 2; CIV, 3; Dan. VII, 14; involvumt nubes laetum solis aspectum, ei fulgura in se tonitruaque gerunt, quibus pereelluntur mele- fici Ps. XVIII, v. 10. 12 s5.; similitadinem ergo praebent atrocium Domini judiciorum Joel Il, 2 bon py EN, | Zeph. I, 15; Ezech. XXXIV, 2. Quae cum tam aperi sit imaginis ratio, nullo modo cum Kreenenio all meü- phoram a duce bellico repetemus, agmina in aciem edu- cente, quo insuper omnis exemplorum similium megligitur analogia. Einer SBemerfung wäre etwa nod) werth geweſen, warum das Gewölt gerade „Staub feiner Füße“ genannt werde, was babei für eine Vorſtellung oder Vergleichung zu Grunde liege.

Was übrigens biefer Erflärung Nahums zu befon berer Empfehlung gereicht, ift bie forgfüttige Rüdfichmahm: auf bie alte aſſyriſche Geſchichte, ſoweit fie durch bie neuefm Entvedungen aufgehellt worben if.

Welte

Sir, Deutſchland im ber Revolutioneperiode. 634 4

Beutfchland in der Nevolutions- Periode von 1522 bis 1526, aus den diplomatifgen Gorrefpondenzen und Origis nal-Akten baperifcher Archive dargeftellt von Iof. Edmund

- Jörg. Breiburg im Breisgau, Gerberfde Verlagshand⸗ Tung. 1851. XI. 746 €. gr. 80, Preis 4 fl.

Seit bie hiſtoriſchen Studien, nachdem die längere Zeit in bem Bordergrunde befindlichen ſchoͤnwiſſenſchaftlichen und pbifofepbi[den Befteebungen zurüdgetteten, in Deutſch⸗ land woiebe in Aufnahme famen und befonders das 16. Jahrhundert ein Gegenſtand vielfeitiger, zum Theil (et grünbtider umb eindringlicher Forſchungen wurde, ift bie lange beinahe vergeffene Wahrheit wieber zum Bewußtfein getommen, daß bie fog. Reformation ein kirchlich⸗politiſcher Vroeeß war, mithin aus mehreren Gründen, zum Theil mit Gewalt zum Stoden gebracht wurde, ehe es ibm möglich wurde, fein Brimcip vollfommen auszumirken. Ganz hefondere aber waren bie revolutionären Bewegun- gen der letzwerfloſſenen Jahre geeignet, ben Blid in die Vergangenheit unſeres Volkes zu (dürfen und aus ber Wahrnehmung, daß bier wie in den erfien Decennien des 16. Sabrbunbrrté auffallenb ähnliche Erſcheinungen hervor⸗ traten, den Schluß, daß gemeinfame Urſachen werben zu Grunde gelegen haben, zithen zu laflen. IA ed ja bod) eine unbefrittene Thatſache, baf bie Geſchichte, biefe „Lehrcmeifterin des Lebens“, wie aus ber Bergangenheit Die Segenwart, fo aus biefer die Vergangenheit begreifen lebrt, zum Beweife, wie innig in bem Gebiete der Menſch⸗ heit, deren Weſen in der Gedichte ſich aufſchließt, Ge⸗ femáfigfeit mit Freiheit pevbunbeu fei, t

42*

632 Jörg,

Aus diefem Grunde ift aud) anzunehmen, daß eine abermalige Bearbeitung eines der unfrigen Zeit fo nahe verwandten Abſchnittes ber deutfchen Gefchichte neue Rer fultate liefern, reiche Lehren für Gegenwart und Zukunft ju Tage fördern werde. Daher ift aud) die Mittheilung von Quellen und Actenftüden, welche uns tiefer in bit Geſchichte jener Zeit einführen, von großem Werthe. Be fonder& gilt biefe& von dem vorliegenden Werke, welches, das Refultat mühevoller ardivalifher Studien, einen fo reihen Inhalt barbietet, daß es von feinem fünftigen Geſchichtſchreiber des 16. Jahrhunderts bei Seite gelegt werben fann. Gewiß wird e6 ben efern der Quartalſchrift von Snterefje fein, wenn wir biefelben mit dem Inhalte biefer Schrift infoweit vertraut madjen, als nothiwendig ift, um fie in den Stand fegen, zwifchen Sept und Das. mals fruchtbare Betrachtungen und Bergleihungen für fib anzuſtellen.

Die von Hrn. Joͤr g nad) Urkunden bargeftellte Re volutionsperiode von 1522 bis 1526 wird gewöhnlid der große SBauernfrieg genannt, aber, wie der Hr. Bers faffer bemerft, mit Unrecht, ba die Bauern als folde und abgefeben von ihren fonftigen Qualitäten fid) zu dies fem Kriege nicht anders verhielten, denn wie bie Schafe zu bem Fluſſe, in melden der Wolf fie gejagt: weßhalb bie gewaltige revolutionäre Bewegung des 3. 1522 mit fug und Recht beftimmt werden follte: „als ber erfe Losobruch der Umfturzpartei in Deutſchland mit ihrer zu allen Zeiten gleiche Leibwache: als bie erfte große Schild⸗ erhebung des Radicalismus auf deutfchem Boden in feiner boppelten Beziehung auf Kirche und Staat, vermöge beren er vine politifhe Revolution nicht veranlaflen: kann,

Deutſchl and In der Mevolutionsperiobe. 633

ohne zugleich, oder vielmehr vorher, eine religiöfe zu maden" (©. 1). ᾿

Mit Recht beginnt Hr. Joͤrg feine Darftelung mit einer Charakteriſtik des Regiments im Reiche, gegen wel« (có bamalé die radicale Partei mit Waffengewalt ans ftürmte, fowie mit einer Echilderung der damaligen Zus fände, welche eine fo gewaltjame Bewegung hervorriefen und móglid) machten. Wie überall, giengen bie demo⸗ kratiſchen Beftrebungen von ben oberen Regionen aus und theilten fid bann den unteren Schichten der Geſellſchaft "mit. Allgemein war das Streben nad) einer einheitlichen SBerfaffung in Deutſchland unb nad) einem taburd bes bingten georbneten Rechtszuſtande; aber auf welche Weife diefe Einheit herzuftellen fei, über bieje wichtige Frage giengen damals wie heute bie Anfihten unb Wünfche weit auseinander; jeder Stand fuchte dabei feine felbftfüchtigen Abſichten in's Werk zu fegen: einer Anzahl divergivender, wenn aud) an und für fid) nod) fo tüchtiger Kräfte, ift es nod niemaló gelungen, ein gemeinfameó Refultat zu erreihen. So fam εὖ, daß die verídiebenen Reforms pläne, welde feit ben legten Decennien des 15. Jahrh. bis zur Kaiferwahl Karls V. auftauchten, nicht zur Aus⸗ führung famen. Die Gentratregierung bilvete das Reichsregiment zu Nürnberg, welches fij) jedoch nicht in die Lage verſehen fonnte, (id) gegenüber den Reichsſtaͤnden Geltung zu verihaffen. Als es mit bem Vorſchlage eines Reichsgrenzzolls zur Dedung der Koften der Erecutinger walt hervortrat, fprad) man [don von welídem Gehor⸗ fam, ben der Kaifer bei den Deutfhen einführen wolle. Mebrigens war aud) das Benehmen der Mehrzahl biefer Reichsregenten nicht der Art, daß fie fid) bei der Nation

634 Borg,

Achtung verfhaffen konnten, ba fle für bie kirchliche und politifche Neuerung Partei ergriffen und das pet Kurzem zu Worms von den Reihöftänden verdammte Lutherthum von Regimentswegen vertheidigten und fhügten (&. 17 f). Unter foldjen Umftänden war der ſchwaͤbiſche Bund far die einzige Macht im ſuͤdweſtlichen Deutſchland, von wel her die Aufrehthaltung von Recht und Ordnung zu eis warten war.

. Den Primat über biefen im 3. 1488 zuerſt unter ben. 9teibéftábten und der Ritterfhaft Schwabeno ge füfteten Verein vie Bayern an fid. Aber in bem Maße, als ber Bund durch den Beitritt von weltlichen Fuͤrſten fid) verftärkte, loderte fid) ba& innere Band, da die Städte in ihrem alten Argwohne gegen bie Fürften immer mehr beftärft wurben, beſonders nod) burd) das Benehmen de6 Marfgrafen Kaflmir von Brandenburg und des Herzogs Ulrich von Würtemberg, welch' Letzterer die Bundesſtadt Reutlingen mitten im Frieden überfiel und zu einer τοῦτ tembergifhen Landftadt machte. Bekannt ift, daß ger rade damals der fhmwäbiiche Bund ben genannten Herzog unter Anführung von beffen Schwager, bem Herzoge Wilhelm von Bayern aus feinem Lande verjagte und Würtemberg einftweilen für Bezahlung der Kriegskoſten, freilid) unter Bedingungen, mit welchen die bayerifchen Her doge burdjaué nicht zuirieden waren, an Deftreid) uͤberließ. (S. 31 ff.) Eine große Rolle fpielte unter den damaligen Verhaͤltniſſen ble niedere Reihsariftofratie, deren Lage ©. 44—52 grídilbert wird. Der niedere Adel hatte burd) die Einführung der Feuerwaffen und bie fieburd) bemirfte limgeftaltung des Kriegsweſens feine frühere Bedeutung und die Hauptquelle feincé Unterhaltes verloren. Auf bet

Deutſchland in der Revolutionsperiode. 635

anderen Seite ftellte er dem Etreben der Fuͤrſten nad Entwidiung der Territorialhoheit große Hinverniffe ente gegen, auf deren Hinwegräumung biefe fannen. Diefe Umflände, verbunden mit den daraus entſtehenden mannige faltigen Pladereien unb Verlegenheiten erzeugten in. dem größten Theile der Reichsritterſchaft, mit. welder der von ben Fürften immer mehr níebergebrüdte landjäßige Adel zum Theile gleiches Loos theilte, große Unzufriedenheit. Ihr Ziel gieng naturgemäß dahin, bie Uebermadht der fürftlihen Macht zu breden und Eine gleichberechtigte ariflofratiihe Ordnung im Reihe zwiſchen dem Kaifer und ber großen Mafle des Volkes aufzuftellen. Aber welche Mittel follten zu biefem Zwecke gewählt werden ? SBelannt ift bie große Ritterverfhpwörung, an deren Spige Uri von Hutten und Franz von Gidingen fanden. (S. 52—65.) Ale bie gährenden Elemente der Zeit wurden in ihren Plan hereingegogen: der gegen ben Scho⸗ laſticismus fid) erhebende Humanismus, bie von Luther engeregte Firchliche Steuerung, die Unzufriedenheit vieler Batrioten über die aus ihren Fugen weichende politiſche Ordnung des Reiches. Während Hutten mit feinen Beſtre⸗ bungen fid) ebenjo fehr an die Maffen wendete, feßte Sickin⸗ gen feine Hoffnungen vorzüglich auf die hoͤchſten Regionen; aud) war er [eft überzeugt, daß ber junge Kaifer fi an bie Spige ber Adelsverſchwoͤrung ftellen ober biefelbe wer nigftens gutheißen würde. (S. 65 f) In ber That glaubten aud) die drei Churfürften, gegen melde &idingen den Schild erhob, daß ber Kaifer in beffen Plan einges weiht ſei. Weniger ald Karl V. gelang εὖ übrigens bem Nürnberger ^ Reihsregiment, fij von ber Mitſchuld an feinem Unternehmen weiß zu wachen. (€. 60 fi) „Das

636 À rg,

Reichsregiment hatte fib eventuell das Tobesurtheil ge« fprodyen; mit ber Niederlage der revolutionären Parteien, durd deren Unterftügung es factifh nod) fortbeftand, mußte es felbft zu Grunde gehen. Auffallend ift die Stelr lung, in welde dabei Erzherzog Ferdinand als Faiferliher Statthalter gerathen war. Denn daß bie Regiments Majorität, {εἰδῇ größtentheild aus rittermäßigen Rechts⸗ gelehrten beftchend, nicht dabei fteben blieb, bem Gidin gen’ihen Unternehmen den beften Fortgang zu woüníden, fann nit verwundern. Als Mitglieder des Adels trugen fie gleichen Groll gegen bie Willführ fürftliher Uebermacht, wie ihre mit Schwert und Lanze Broderwerb treibenden Standesgenoffen, als ftunbige des römifhen Rechts fühlten fie bereits jene Uniformirfucht, die fid) mehr und mehr zur fpäteren Schreibſtuben ^ Tyrannei auswuchs, als Reihe tegenten war ihnen die Demüthigung ber von ben Mäds tigen behaupteten Selbftherrlichfeit Lebensfrage, als er Härte Befchüger des Lutherthums brauchten fie den Boden der Revolution nicht erft zu betreten, fondern nur uns verzagt auf demfelben voranzufhreiten. Die Erklärung der Acht über Sidingen follte, wie e& fheint, nur feiner Partei zu Nutz und Frommen das Reichsregiment für alle Fälle am Leben erhalten und nadjbem man dadurch unb burd) bie vorauégegegangenen fdjeinbar feindfeligen Acte ben Rüdzug gefidert glaubte, war bald eine Ber enlaffung gefunden, fid) ben drei Kriegsfürkten hindernd in den Weg zu legen, welche ohne Hülfe des Regiments den erften Angriff des Gcächteten vereitelt hatten, unb nun aud) ohne Rüdfiht auf die unthätig in Nürnberg fipenbe Eentralregierung ihren Vortheil verfolgen zu müffen glaub» ten. Wenn bie Majorität ver Reichsregenten auf ſo weiten

Deutſchland In der Revolutionäperiobe. 637

Umwegen zum Ziele firebte, fo fheint der Grund haupts faͤchlich in ber noch fortbauernben Anwefenheit des Pialz⸗ grafen Friedrich, als ftelvertretenden Statthalter gelegen zu haben; ber junge, energifhe und thatenfräftige Fer⸗ binanb war entweber felbft wirklich (weſſen man ben Kaifer verpächtigte) den Planen der Reichsritterſchaft geneigt, oder er wurde von ben Regimentsräthen getäufht und als Werkzeug gebraucht“ ((6. 72 f.). Beſonders ſchaͤdlich wirfte auf Berdinands beutíde Politik nad Hrn. Joͤrgs Darftellung ber verdorbene „Markgraf Kafimir von Brans benburg ein" (€. 76 ff), welcher mit bem tollkoͤpfiſchen Ulrich von Würtemberg das fuͤrſtliche Proletariat jener Zeit bildete und mit Johann von Schwarzenberg, dem eifrig lutheriſch gefinnten Haupte der Reichisregiments-Majorität, in ber innigften Verbindung lebte (6. 80 f.). Da bie Tingufriebenbeit gegen die revolutionärgefinnte Mehrheit des‘ Steibéregimenté zunahm, fo wurde baffelbe im 3. 1524 purificitt und aus dem aufgeregten Nürnberg nad) Glingen verlegt (€. 83 ἢ). Doch fam es, da bie zu feiner Unterhaltung beftimmten Gelber von allen Seiten ſchlecht eingiengen, nod) in bemfelben Jahre feiner Aufs loͤſung nahe. Zu einer politifchen Bedeutung gelangte es ohnehin nidt mehr. Geiährlih war ber im 3. 1524 geiaßte Beſchluß der Reihöftände über den Gegenftanb: wie es hinſichtlich ber religiófen Frage inzwiſchen gehalten werden fole? Dem Faiferlihen Gefandten felbft fam diefer Beſchluß ganz unverfänglid vor; er ermahnte ben Kaifer, darauf zu finnen, wie er von feiner Seite tüchtige Leute und befonders einen den neuen Lehren gewachienen Theologen nad) Speier fende ein ſchlagender Beweis, mit welcher Arg- und Harmlofigfeit bie Eatholifche Partei

829 - Ing,

von folhen in ihrer Tragweite gar nicht begriffenen revo» Intionären fünften der Gegner fid) hinreigen ließ. Aller⸗ dings war aud) ta Verfahren neu! Es follte nun durch parlamentariſche Majoritärs-Befchlüffe eine neue Religion für Deutſchland gemacht werden; der Gturz der Reiches verfafjung mit bem ber geiftlihen Sürften und bie allge meine Plünderung des Gute& ber deutſchen Kirche. Diefe Erfolge wären den Babricanten ber deutſchen Rer ligion dann von felbft in den Schooß gefallen (©. 93). Der Legat Campeggi hatte daher den fatboliffen Fürſten vorgeftellt, daß diefe Sammlung von Volfsftimmen jum Aufruhr führen würde, und mit einigen berfelben en Eonvent zu Regensburg zur Aufrehthaltung der katho⸗ liſchen Religion gehalten. Auch ber ftaifer erließ von Spanien aus ein fharfes Schreiben zur Beſchuͤzung des alten Glaubens.

Aber während in den höheren Kreifen der Weg des Parlamentirens nod) eingehalten wurde, fam in den unteren Schichten der Gefellihaft die Bewegung sum thatfädhlichen Ausbrude. In den Städten, welche das bemofrati(de Element des Reichslebens barftellten, herrſchte Zerflüftung und gegenfeitige Befeindung, wie in bem Bereiche bet hohen und niedern Reihsarikofratie. (6. 95—116 wird die intere Rage der deutſchen Reichsſtädte auf interefjante Weiſe geſchildert) Der Gegeníag zwiſchen „den Ehrbars keiten” oder dem Patriciate und den „Gemeinen“ rief mande Bitterkeit hervor. Dazu fam nod), baf bie Bes nachtheiligung der Städte von Seite der Meichöftände unter den dortigen Bevölferungen Unzufriedenheit erzeugte, fe taf man vielfach den Ruf vernehmen konnte: wenn die Gachen fo fortgehen, muͤſſen fe fij zu den Ginger

Deutſchland In det Revolutlonsperlode. δὲν

offen ſchlagen und Schweizet werden. „Das Jahr 1925 πκάϊε ble Wunde auf, an bet die Städte ſiechten. Uchera# zeigte ſich derſelbe Zmielpalt zwiſchen den Gefdlebbtern and gemeinen Buͤrgern, bie fet unter einem gemeinſamen Banner, das alle Schattirungen rerolutionärer Elemmte in den Städten um fid verfammelt hatte, durch ganz Deutſchland ihren Obrigfeiten drohend, wenn nicht in offenem Aufruhr, gegenüber flanben. Denn unter ihnen hatten Huttens und Luthers Slugfdriften und die Brand» briefe ihrer Gopiften juerft nad) bem Reichsadel, auf den fie zuvörderft bered)net waren, fruchtbaren Boden gefuns ben; ihre Schlagwörter: „„Evangelium"* und „„deutſche Freiheit““ wurden freilich in ben Stäpten nicht in bem Sinne der Ritter verftanden, fie waren aber biegfam, damit jeder den Verftand hineinlege, der ihm behagte, und zugleich mit ihnen thaten fi Prediger in großer Zahl hervor, weld fie nad) bem Belieben der willigen Hörer erklärten. Das „„Evangelium"* ward bald das einzige Alles umfaflende Lofungswort; burd) daffelbe verlangten jegt die Bürger, wie früher bie Ritter, jeder für fih bie Abſchaffung feiner wirklichen oder vermeinten Beſchwerden, die Realificung feiner billigen oder unbilligen Wuͤnſche. Immer aber war die Auffaffung des „„Evangeliums“* von Seiten des Obrigfeiten weit verſchieden von bem Berkändniß, das bie Unterthanen fid) von demfelben ges bifoet hatten; darum ftanben „„Ehrbarfeiten"“, die fid feldſt des „„&vangeliums"* rühmten, ihren Gemeinden, vie aud) nur jür das „„Evangelium“" ſchwaͤrmten, nichts⸗ deſtoweniger feindlic entgegen, unb man hörte jene nicht felten dieſe verfihern: ba& Evangelium das mollten fie ja an um jeden Preis! wozu alfo bem Hader um

64 Borg

daffelbe? Die Lage der fäptifchen Obrigfeiten war denn aud) fhon von bem erften Auftreten der neuen Lehre an eine um fo fchwierigere, als jedes Einſchreiten gegen res volutionäre Umtriebe ald ein Attentat gegen das „„Evans gelium^^ gebránbmarft wurde. Daß aber ihre oft wies derholten Verfiherungen von ber totalen Unmacht, in welder f fid biefem gegenüber befänden, bloße Bors wände geweſen feien, möchte um fo weniger angenommen werden dürfen, als das neue Reichsregiment ſelbſt der Meinung war, daß die „„Ehrbarkeiten““, aud) den beten Willen vorausgefegt, nit im Stande feien, dem einbres enden Uebel zu wehren" (S 98 f). Zur Begründung des fo eben Angeführten wird auf die Zuftände mehrerer Städte, wie Augsburg, Nördlingen, Regensburg, Gal burg u. f. w. näher eingegangen. Bertraten die Ehrbars keiten, um bie Termini ber neuften politifhen Sprade zu gebrauchen, das confervative, und bie Gemeinen bab liberale Element in den Staͤdten, fo bilvete fib neben diefen beiden ein drittes, das Proletariat heraus, welches entſchieden rabicafe und communiftifhe Tendenzen verfolgte (δ. 110 fi). Den Entftehungsgrund diefer gefährlichen Glaffe ber Städtebevölferung fuchte man vorzüglich in bem unchriſtlichen Wucher der großen Handelsgeſellſchaften, welche den Verſchluß der vielen ſchon damals zum Be⸗ duͤrfniß gewordenen Luxusartikel in ihrer Hand hatten (8. 116 ff.). Je nadtem nun in einer Stadt das liberale oder radicale Element übermog, erfolgte aud) mehr oder weniger rafd) ber Anfchluß an bie aufrührerifchen Bauern, wie ©. 119 ff. an vielen Beifpielen gezeigt wird. Im Bauernlager zu Ried bei Laupheim rednete man z. 9. „mit Zuverfiht auf ben δα ber Stadt Biberad; bie

Deutſchland in der Revolutionsperiobe. 64

Mehrheit aus der Gemeinde hatte ver(proden, che drei Tage vergiengen, die Herren in Biberach über bie Mauer zu werfen; und während es in der naͤchſten Umgebung des Sitzes der Bundesverfammlung fo ausfah, drohte bie radicale Partei aud) in Ulm felbft, wo den Bauern ihre Faͤhnlein gemalt unb gefertigt wurden, das Regiment vollends an fid) zu reißen" (S. 120). Wie in ben Jahr ten 1848 und 49 zeigten fij damals bie Weiber am entfchloffenften für ben Fortſchritt. „Wenn aud) bie τὰς dicalen Städter allenthalben, burd) bie Ausficht auf Plün- derung reicher Kirchen, Klöfter unb Schlöffer angelodt, mehr oder minder flarf ben Bauernhaufen zuzogen, fo blieben bod) bie Weiber als Befagung zurüd. Gerade fie aber machten das „„Evangelium“* am enfdfoffenften, vielfach fogar nid)t nur mitjber Zunge, fondern aud) mit Spießen und Helebarden „„gegen bie widerhaarigen Ehr⸗ barfeiten"" geltend, unb an ihnen befaßen bie rebellifchen Bauern ihre verläßigfien Verfechterinnen“ u. f. w. (S. 124). Bon bem großen Revolutionsbrande blieb faft als fein in dem fünweftlihen Deutſchland verſchont bie Stadt Meberlingen, welde mit großer Entſchiedenheit und Tas pferfeit den Angriffen der Bauern widerftand. Zur An« erfennung ihres ausgezeichneten Benchmens vermehrte Karl V. im 3. 1528 das Stadtwappen der Ueberlinger, gab ihnen zu ihrem Adler den Schild mit dem goldenen und golbgefrónten, das bloße Schwert hoch ſchwingenden Löwen unb ben titterfidjen Helm, den zuvor feine Reiches ftabt außer Straßburg getragen“ (S. 130). Unter ſolchen Berhältniffen ift fid) nicht zu vermunbern, menn (wie ©. 131 ἢ. nadgemiefen wird) der Urfprung ber Bauernres volution von ben Städten ausgieng, unb zwar hat bie

e Sin,

Stadt Forchheim (im Gebiete des Bifhofs von Bamberg) bie Ehre, in ber Revolution die Initiative ergriffen zu haben. Wie fonnte εὖ auch anders fein, ba in dieſer Stadt ein fo merfwürbiges Greigniß zu Gunflen ber Fircplich » politiihen Bewegung geſchah? As in Gerd» heim fo wurde von Luther und andern Reformatoren berichtet ein papiftiicher Piaffe es gewagt habe, in feiner Predigt bie evangelifche Lehre anzufechten, (ei er fofort vor den Augen aller Zuhörer vom Teufel fihtbar lid) burd) die Lüfte davon geführt worden" (&..144). Merkwuͤrdig ift bie Neuerung des berühmten Humas niften Mutianus über die Tendenzen der Städte: er habe aus ſchriftlichen und mündlichen Aeußerungen der einſichts⸗ vollften Männer erfahren, daß bie Reicheftädte burd) geheime Umtriebe und Stánfe die Bauern unter dem Scheine des Evangeliums aufhegten und burd) ihre Wühlerfünfe mit Hülfe ber Juden, bis jur Vernichtung der fürklichen und fodjabeligen Häufer zu treiben verfuchten; εὖ fei ihnen nidt etwa nur um die Abſchaffung der geiftlichen Fürßenthümer unb der Bilhöfe, fondern um Befeitigung der fürftlihen Würde überhaupt ju tun; denn ihre Abs fibt fei, der republifanijden Gtaatéjerm und demokrati⸗ ſchen Herrſchaft der Venetianer und der alten Griechen das Uebergewicht zu verſchaffen. Bollkswirthſchaft und fürſtliches Regiment hätten fif ned) nie vertragen und man erkläre den Glauben, die aufftändigen Bauern woll⸗ ten blos den Klerus vernichten, nicht umjong für einen großen Irrthum; die tüdifchen Reichoſtaͤdter hätten «6 nicht weniger auf das SBerberben ber ganzen Reichsver faſſung, weil den Reichsfuͤrſten gemuͤnzt, bie fie in ihm Uebermuthe ſchlechtweg als Syrannen tüulizten" (&, 145):

Deutſchland in ber Revolutionsperiobe. 943

Hr. Jörg aboptirt diefe vielfach angegriffene Angabe des Mutianus als ber Wahrheit vollfommen ent(predjenb und ſchildert mit großer Ausfuͤhrlichkeit (6. 150 f.) das wegen feiner Zweideutigfeit [ἀπά διε Benehmen der Majorität - des Rathes von Nürnberg, ter erften unter den oberdeut⸗ ſchen Städten, melde von den dortigen bauern(reunbliden Gemeinen zur fränfifhen Schweiz umgeftempelt wurde. Wie an den Städten, hatten die Bauern aud) an Herzog Ulrich von Würtemberg und an den geächteten Reichsrit⸗ teen Bundesgenofien, welche freilid) jene bloß für ihre eigenen Zwede benügen wollten (5, 157 f). Befonders war Wendelin Hippler, ehemals hohenlohiſcher Kanzler, thätig geweſen für bie Verbindung des Adels mit ben Bauern. Durch fein Bemühen fam im Lager zu Amors bad) bie fog. Declaration. oder Erläuterung zu ben bes fannten 12 Artifeln gu Stande, in welcher bie brennenden ragen bi6 auf eine fünftige allgemeine Reichöreform vete ſchoben unb einftweilen die Wünfche ber neugläubigen Städte und der raubjüchtigen Reichsariftofratie zuſammenge⸗ tragen waren (€. 160 f.). In der That entwidelte aud) bie legtere in SBerbinpumg mit bem Herzog rid), bem es gleichgültig war, ob er burd) Gtiefel oder Schuh wie ber in fein Sand fomme, große Thätigfeit und verzweigte ihre Revolutionsplane fo weit, daß bie Fäden derſelben ben wmeiften ihrer Zeitgenofien unbefount blieben. Beſon⸗ ders galt e die bayerifhen Herzoge, bie Häupter des gefuͤrchteten fhwäbifhen Bundes, von allen Seiten anzu⸗ greifen. Dazu follte bie Verbindung Ulrichs mit verſchie⸗ denen friegéluftigen böhmifchen Rittern dienen, welche Hr. Jörg qum erftenmale Heyd hatte in feines Lebensbe⸗ ſchreibung Ulrichs bie Hieher bezüglihen Rachrichten nicht

644 She,

in's redte Licht zu fegen vermodit aufgeftellt hat (S. 162 f). Eine Hauptrolle fpielte bei bem vertriebenen, Ulrich Johann von Fuchsſtein, wie er fld) felbft nannte, Ritter und Doctor, früher Afjeffor bei dem Nürnberger Reihsregiment und Kanzler des Pialsgrafen Friedrich (6. 172 f.), welcher von feinem Heren zu Sendungen an den franzoͤſtſchen Hof, an die Böhmen, zu den fränfifchen Rittern und zu den aufrührerifchen Bauern benügt wurde. Als Bauernadvorat war Dr. Fuchsſtein, wie Hr. Joͤrg nachweist, hoͤchſt wahrſcheinlich ber Verfafier ber 12 Ar tifel, welche als Revolutionsprogramm in kuͤrzeſter Zeit burd ganz Deutſchland bis nad) Eſthland und Liefland fi verbreiteten (S. 180 ff). Später begab fi Fuchs⸗ ftein, nachdem er bei Ulrich wegen des unüberlegten Heberfalls des bei Hohentwiel gelegenen öftreihifhen Le⸗ ben Staufen in Ungnabe gefallen unb bann für Ulrichs Sohn Ehriftoph thätig gemefen war, zu dem Könige Jos hann nad Ungarn, bem er als fein Bevollmächtigter (1533) bei bem Gonvente der antiöftreichifhgefinnten Sürften zu Nürnberg Dienfte leiftete. Man ftebt, wie weit vere zweigt bie Verbindungen und Entwürfe der hervorragenden Revolutionsmänner jener Zeit waren. Die würtems bergifche Angelegenheit war damals von großer Wichtig- keit. Während bie Proteftanten rie 8Biebereinfegung Ulrichs wuͤnſchten, ba fie von feiner Erhebung eine Verſtaͤrkung ihrer Partei hofften, fafen bie bayerifhen Herzoge εὖ fàdft ungerne, daß das [dine günbden fih in ben Händen des Haufes Deftreih befand, auf das bie Wit ielébader von jeher eiferfühtig waren. „Die politi» ſchen Zuftände im Innern Deutſchlands hatten fid) burd) bie traurige Religionsfpaltung und Deftreihe Ländergier

Deutfehland in der Revolutionsperlobe. 645

aufs Kläglichfte gefaltet; daß lehterer Einhalt gethan und vor Allem Würtemberg reftituirt werden müffe, wurbe täglich mehr Ueberzeugung unter den Ständen des Reiche. Bayern, dur Oeſtreichs Umfichgreifen am meiften ge- fübrbet, weigerte fij bod) flandhaft, einen Mann, wie Utri wieder in fein Land einfegen zu helfen; biefelbe Abneigung hegte Heſſen gegen Chriftoph, ber in bem Ber dachte fand, Fatholifh zu fein" (&. 189). Unter bem Texte führt Hr. Jörg ein Schreiben des bayerifhen Kanz⸗ leré Ed an Herzog Wilhelm an, worin berfefbe unver- hohlen nicht bloß von franjófifder, fonbern felbft von zu erlangender ungarifcher und türfifdec linterftügung fpridjt. Wenn wir aud) nicht ju denen gehören, melde Allem , was von dem Haufe Habsburg fommt, unbedingt Lob fpreden, fo hätten wir bod) hier gewünfcht, bag Hr. Jörg, welcher fonft in feinem Urtheile nicht befonders zus rüdhaltend ift, aud) einige tadelnde Worte über dieſes Benehmen des bayeriihen Staatsmannes (und Hofes), welcher ſelbſt Türfenhülfe nicht verfhmähte, hätte ver- Tauten faffen. ©. 191 f. ſchildert ber Hr. Verf. bie einzelnen Gfemente der BVolfsbewegung jener Zeit. Er febt auseinander, welchen Antheil viele verfommene nie dere Klerifer an der Revolution nahmen; wie bie Anz führer der Bauern befhaffen waren; wie man zur Aus- fprengung falfcher Gerüchte griff, um bie öffentliche Meis nung zu berüden; in weld? fehwieriger Rage fld) bie Gegner der Bauern befanden, da ihnen bie Unzuverläfs figfeit ihrer Soldaten befannt war, während freilich bie Aufrührer im Kampfe, wie in bem S. 1848 unb 49, ger τίπρε Tapferfeit an ten Tag legten. Weiter unten zu der Stellung der Iutherifhen Yürften gegenüber dem φιμεῖ. Duartalfarift. 1838. IV. Geit. 43

646 Jörg,

„Evangelium“ unb zu bem Bauernkriege übergehend, (©. 259 ff.) hebt er mit Recht den Unteridied hervor, ben man damals zwifhen bem Unterthanens und Fürftenevans gelium machte, und wie die Bauern das als ihr Grunds recht betrachteten, daß fie das Evangelium nad feinem Verſtande auslegen bürjten. Luthers Stellung zu den Aufrührern ift burd) bie neueften Unterfuhungen eines Stiffef, und des geiftvollen, aber kirchlich- und poli tifpradicalen K. Hagen u. f. vo. wieder an baé helle fidt gezogen worden. ©. 276 ff. fpriht aud Hr. Jörg von berfelben. Weniger befannt ift, daß felbft der Ehurs fürft von Sachſen dem drohenden Triumphe der Rebellion anfänglih Aehnliches geihah von gemiffet Seite aud) gegenüber ben revolutionären Bewegungen in einigen deutihen Staaten während der legten Revolutionsjahre mit Bergnügen entgegengefehen zu haben (dint. (©. 280 f) Jedenfalls nahm derfelbe damals eine ziemlich aweideutige Haltung an. Da Hr. Jörg einen fo her vorſtechend altbayerifhen Standpunkt in feiner Darftellung unb Beurtheilung einnimmt, fo wollen wir an biefem Drte über die anfänglihe Stellung ber bayerifhen Her⸗ zoge zu ber kirchlichen Neuerung Einiges beibringen. Die bayerifchen Herzöge waren juerft ebenfalls für Luther ein» genommen (&. 316 ff). Unter ben bewegenden Urſachen war wohl aud) die Hoffnung, durch SXebiatifirung der geiſtlichen Ehurfürftenthümer eine Churwuͤrde für ihr Land zu erhalten, wornad) fie fo eifrig firebten. Allerdings flug ber bayerifhe Hof um in feiner Anſicht, als bie „Neuerer mehr in ihrer Nadtheit hervortraten (S. 318 ff). Nichts beflo weniger verkiert ber Eifer der Herzoge für die Erhaltung des alten Glaubens einiges an feinem

Deutfchland im ber Nevolutionspertobe. 647

Gewichte, wenn man erwägt, welde Privilegien diefelben von bem römifhen Hofe hiefür gewannen. Auch ift nicht zu vergeffen, daß Bayerns politifhe Bedeutung als fae tholifher Rivale Oeſtreichs butd) fein Beharren. bei dem alten Glauben fehr groß geblieben if. S. 330 weist Hr. Jörg nad, wie bie bayerifhe Geiftlichkeit eine ber reichſten in Deutfchland gewefen fei, und wie das Gebiet der veihsunmittelbaren Bilhöfe das Herzogthum ganz durchſchnitten habe, weld) großes Opfer daher bie bas maligen Herzoge in politischer Beziehung gebracht hatten. Deſſenungeachtet gibt Hr. Jörg zu, daß diefelben nicht bloß auf das Bisthum Eichſtaͤdt eine zeitlang ihre Augen geworfen, fondern fogar bem Plane Raum gegeben ha— ben, burd) einen Vertrag mit ben Tyroler- und Sale burger-Rebellen das Erzſtift (Salzburg) ober wenigftens den gelegenften Theil beffelben an fid) zu bringen. Daher erflärte fi) Gd nidt zu verwechſeln mit bem Theo- legen gleihen Namens! mit allem Nachdrucke gegen dieſes gefährliche Project. An diefem Gitaatémanne hatte Bagern in jener fehwierigen Zeit einen ebenfo gewandten als feinen Intereffen treu ergebenen Staatsmann, weßhalb Hr. Jörg an berídiebenen Orten feines Buches fi ange⸗ legen fein läßt, beffen SBerbienfte um fein Vaterland und um bie Fatholifche Kirche hervorzuheben. Da Ed allen , Eentvalifationsbeftrebungen, mochten fie son unten, ober vom Haufe Habsburg fommen, ftetá energiſch entgegen. wirkte, unb an dem Stanppunfte der Territorialhoheit und des Particularismus fowohl als des Katholicismus treu feßhielt, fo ift erflärlih, warum er nicht bloß von ben Gegnern des egteren, fondern aud) von ben Anhän- gern Deftzeihs und von ben politifhen Reformern aller 43*

648 ' dorg,

Schattirungen bitter gehaßt und angefeindet wurde. Wenn übrigens Bayern aud) die Kloͤſter und Kirchenguͤter beftehen und bie Henne bei Leben ließ, welche goldene Eier [egte, fo bürbete εὖ benfelben, fomie der Prieſter⸗ ſchaft wiederholt ſchwere Steuern auf und forderte ſelbſt das Silbergeräthe von ihnen ab. (S. 354 f) Obwohl die Klöfter große Hingebung an das bem alten Glauben treu gebliebene bayerifhe Haus an den Tag legten, hielt εὖ Herzog Wilhelm bod für nothwendig, den Eifer ber mit Schatzung Belegten dadurch zu erhöhen, daß er bie Angabe von ben Fortſchritten ber Revolutionäre bedeutend übertrieb (S. 378). Freilich hatte Bayern aud) eine fehr ſchwierige Stellung, ba der Plan der ſchwäbiſchen und falzburgifhen Rebellen, das Herzogthum von beiden Seiten zu überfallen, am Tage fag unb aud) auf der fränfifchen Seite Gefahr drohte (S. 386 ff.). Zum Glüde bewies das bayerifche Volk im Allgemeinen eine gute Haltung (&. 394) und ſtellte fid) ben Aufrührern mannhaft ent gegen (δ. 395 f.). Daher vermodte Bayern, als εὖ fi) um den Gntídeibungéfampf handelte, an der Spige des fhwäbifhen Bundes ein bedeutendes Gewicht in bie Wagſchale zu werfen. (Siehe ben Abſchnitt: „Bayerns Haltung Deutfhlands Rettung“ S. 394 f) Bir verwidelt und vermorren die damaligen Verhäftniffe war ven, zeigt der Abfchnitt: „Zuftände im Bundesrathe; ber Bund gegen Herzog Ulrich; der Waffenfillftand vom 25. Merz 1525" (€. 402—425). Die bayerifhen Herzoge waren mit biefem zu Ulm mit den Bauern abgefchloffenen „Anftande* nicht zufrieden, ba ihre fhwierige Lage dar burd) nicht erleichtert wurde. Während fle von einem Meberfalle der Bauern bebrobt wurden, wuchs ihr Miß⸗

Deutfhland In ber. Mevolutiondperiobe. 649

trauen gegen ben Erzherzog Ferdinand, welcher bie bifchöfe lid) Augeburgifhe Ctabt Füßen beſetzte (432 f), unb von bem fie glaubten, daß ct mit ben Aufrührern in geheimem Einverftäntniffe fiche. Auch gegen ben Truchfeß von Walrburg, den fog. Bauernjörg, herrichte unter den Mitgliedern des ſchwaͤbiſchen Bundes Verrat, er habe den flüchtigen Ulrih von Würtemberg, welder von bet Schweiz aus einen Einfall in fein Herzogthum gemacht batte, abſichtlich entwi den laffen (&. 410 f.). Größere Ungufricbenheit erregte e8, als ver Truchſeß ben 17. April 1525 ven Bauern bei Weingarten einen Vertrag bewils ligte (&. 457 f), welder freilich bie Unficherheit ret Verhaͤliniſſe nod) vergrößerte und von den Bauern alds bald (εἰδῇ gebrodhen wurde (C. 463. 472 fi). Kurz darauf vereinbarte ſich der Erzherzog Ferdinand burdj feine Gommifiáte in Füßen mit dem Ausſchuſſe der Dber + und Niederalgäuer über die Artikel, welche bie Grundlage eines zwiſchen Deftreih und Bayern einerfeits und mit den Algäuern andrerfeits abzufchließenden Fries bené bilden follten (S. 485 [.). Die bayeriichen Herzoge freitih waren mit biefem Vertrage, burd) welchen fid) bie betreffenden Bürften „auf Gnabe und Ungnade an bie Revolution ergeben hatten" (S. 486), nicht zufrieden; dagegen giengen fie damit um, mit den Algäuern einen Separatfrieden abzuſchließen (S. 489 f.), welder hin« wiederum von den Ständen des ſchwaͤbiſchen Bundes als für das allgemeine Befte febr gefährlich erachtet wurde (S. 493 i). Bei diefee Gelegenheit trat die Zweideutig⸗ keit und der Argwohn der Fürjten gegen einander recht Bell an's Tageslicht, und ift ein befonderes Verdienſt des Hrn. Verfaſſers, dieſe bunfíe Partei der Vorgänge

650 org,

jener Zeit burd) Herbeifchaffung von Metenfihdten aufges flürt zu haben. . Auffallend ift das verhältnißmäßig gute Einvernehmen zwiſchen Ferdinand und den Algäuern, melde den Nit» telpunft der Bauernrevolution bildeten, und einerjeitó mit den Tyroler⸗, Salzburger» und Kärnthnerbauern, andrer⸗ feit8 mit den Hegauern, Schwarzwaldern, Unterſchwaben und Franken zufammenhiengen. Da Ferdinand als Bers ifeibiger der Algäuer auftrat (€. 496 ff.) unb mit gto» fem Eifer fle zufriedenſtellen wollte, fo hatte ibm ber ſchwaͤbiſche Bund im SBerbadjt, daß er im Sinne habe, das ganze Algäu, beffen Grenzen fih nad) einer Aeuße⸗ rung des fhwäbiihen Bundes nicht angeben ließen (6. 501), an das Haus Deftreih zu bringen (S. 504): ein Plan, ben man bei ber bebrängten gage, in der fid) δεῖ, dinand ſelbſt befand, jedenfalls gewagt nennen muß. Auf der andern Seite hatten bisher die bayerifhen Herzoge nidt nur ber Entwidlung der Dinge in dem aufgewühlten Tyrol im Gefühle der ihrem Lande drohenden Gefahr ruhig zugefehen und gegen bie rebellifhen Unterthanen Ferdinands, um fie nicht zu reizen, bie zartefte Schonung eingehalten (&. 516), (onbern ἐδ wurde fogar am Münds ner Hofe der Plan gefaßt, durch eine foͤrmliche Ueberein⸗ Tunít mit der revolutionären Tyroler Landſchaft fid) ſowohl den Rüden zu beden, als aud) wenigſtens den gelegenften Theil des ber Revolution völlig verfallenen Erzſtiftes Salzburg für Bayırn abzureißen (&. 517). Sehr inter teffant und [ebrreid) ift der ung eröffnete Ginblid in bie Beziehungen der bayerifhen Hirzoge zu den Salgburger Revolutionären (5. 548 f). Die Abfiht der Bayern gieng dahin, daß der Cardinalerzbifhof Matth. Lang zur

Deutſchland In ber Mevolutionspertobe. 651

Abdankung zu Gunften des bayerifhen Haufes bewogen werde (©. 574 f). Der Hauptbeftandtheil des Erz⸗ fiftes, fo weit dieſes nicht zu Bayern gefchlagen würde, folte bem Bruder ber bayerifhen Herzoge, dem Biſchofe Ernſt von Paffau als Entfhänigung in bie Hände ge» fpielt werden. Doc war diefer felbft mit diefem Plane nicht einverftanden. „Er verweigerte, wie einft aud) Hr. Ludwig gethan, bem Primogenitur-Geſehe feines Vaters die Anerfennung , und verlangte einen Theil des Bayerns landes als eigenes Gürftentbum für [ὦ oder wenigſtens eine fehr bedeutende Entfhädigung; die Bemühungen Wils helms, ihn zu einem mächtigen geiftlihen Bürften zu ma» den, wollte er als ben Weg billiger Abfindung nicht gelten laffen, weil er überhaupt nicht Luft hatte, ein Geiftliher zu werden, und im gegenwärtigen Streben feiner Brüder, ihm zum vornehmften erzbifhöflihen Stuhle im Deutſchland, ben er übrigens fpäter doch beftieg, zu verhelfen, fah er nur einen neuen Beweis, daß diefe fif ihrer SBerbinblidfeiten gegen ihn auf Koften der beutfden Kirche die gerade jet jeden Augenblid zahlungsuns fähig ju werden brobte! zu entledigen trachteten“ (©. 577). Uebrigens befürchteten bie bayeriſchen Herzoge, daß aud) Deftreih mit demfelben Plane umgebe, Salzburg an fih zu ziehen (©. 601 ff.).

Gin weiterer Zunder zur Eiferfucht gegen Deftreid) war das Beftreben der bayerifchen Herzoge, bie Würde eines roͤmiſchen Königs an das Haus Wittelsbach pfälzie fer oder bayerischer Linie zu bringen (6. 610), während damals Ferdinand mit der Bewerbung ym bie rómifde Koͤnigskrone umgieng (&. 623 f.). Zwiſchen ben Piälgern und Bayern fanden Berathungen wegen diefes Gegen?

652 Vrg,

Randes zu Münden, Heidelberg, wo fid) unter ber Dede eines Armbruftfhießens gegen 26 Füͤrſten wegen politi ſcher Angelegenheiten verfammelten, und Ellwangen Statt. Als die Prälger bie tbeure Königewürde unter Vorſchü⸗ dung ihres Unvermögens ablehnten, erflärte Wilhelm fid ſelbſt um fie bewerben zu wollen, verfprad) dem „Chur⸗ fürften, ber nicht gewohnt war, feine Stimme wohlfeil du geben, 100,000 fl. und zweifelte aud) ber andern Ehurfürften wegen gar nicht, daß er „„von denfelben fein Suchen nidt erhalten follte^", Gelb, das bei ihnen vor Alem nicht geípart werden durfte, wäre burd) ein bedeutendes Anlehen vom Papfte beigefchafft worden, wel⸗ her bereit wieder an der Cpige eines Bündniffes ftand, „„um ganz Stalien von ber fpanifhen Iyrannei zu ber freien““ (&. 620).

Die bisherigen Qinmeijungen auf bie Refultate der Yörg’ihen Forſchungen werden für unfere Lefer hinreichen, um fid ein deutliches Bild von ber innern Auflöiung des beutídyen Reiches, welche nicht einmal die Fortfegung des ſchwaͤbiſchen Bundes möglih madte (S. 624 f), u entwerfen. „Wenn aud) die treue Anhänglicfeit einiger weltliber Reichsſtaͤnde an die alte Kirdje bie von ben Neugläubigen verſuchte Spaltung ber deutſchen Fürſten in zwei einander feinblid) gegenüberftebenbe Lager, das geiftlihe und das weltliche, zwiſchen denen ber Vernich⸗ tungéfrieg unvermeidlich fofort hätte entbrennen müflen, verhinderte; fo jagten tod) alle, einerfeit& durch bie telis giöfe Trennung in eine aufs Höchfte geftiegene Zerklüfe tung unter fid) gerathen, andererſeits in fortfchreitender Arlöfung von bem Centralpunkte des Reichs begriffen, nad Einem Ziele, dem vollen Maße jener „„deutſchen

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Freiheit““, durch welche endlich das Reich in ein wuͤſtes Chaos obnmádtiger Staatenbildungen auseinanderfiel. Es if fein Zweifel, je mehr jene „„Freiheit““ der Herren wuchs, befto mehr fiel bie des Volkes; feine Widerſtands⸗ kraft war aber feit dem großen Aufruhre vom 3. 1525 gebroden" (€. 623). Wie auf cine große Fieberhige ebenfo große Abipannung der Kräfte und Schwäche folgt, fo enden revolutionäre Bewegungen, wenn fle mißlingen, gewöhnlich mit um fo größerem Drude für die” unterler genen Parteien. Daffelde widerfuhr ten gefchlagenen Bauern. 100,000 blieben auf bem Schlachtfelde. tad) der beim fhwäbifhen Bunde zu Augsburg im I. 1526 vorgelegten Zufammenftellung betrug die Summe der im ganzen Bundesreiche Hingerichteten 10,000. Sehr viele Aufrührer hatten fid ins Ausland, befonders in bie Schweiz geflüchtet, um bem ftrafenden Arme der Gerech⸗ tigfeit zu entgehen. Unter der Maſſe erhielt fi eine entfeglihe Stimmung. Die bumpfe Verzweiflung tradhtete bie entfommenen Rävelsführer der alten Aujrührer unter ihnen waren, wie zu gehen pflegt, die meiften-der oberften Häupter für einen neuen revolutionären Vers ſuch zu benügen; wie denn aud) bald darauf im Salz⸗ burgiíden eine neue Bewegung losbrah (S. 637 f). Eine intereffante unb febr werthvolle Beigabe zu dem vore liegenden Werfe bilden die Abſchnitte über bad damalige teligiófe und politifhe Gebaren der Wiedertäufer bie zu bem Abzuge Solimans von Wien (S. 657—703), fowie über bie SBerfolgung derfelben (5, 703—714). Unter bem Ramen Wirdertäufer wurden alle jene verichier denen neugläubigen Sceparatiften zufammengefaßt, welche, wenn aud) in ben übrigen Punkten nod fo febr von

654 Ser,

einander abweichend, bod) in ber SBermerfung der Kin bertaufe, bie fie in der heil. Schrift nicht begründet fane den, gufammenftimmten. Mit Recht leitet Hr. Jörg (Θ. 651 f.) ihren Urfprung aus bem lutheriſchen Princip der freien Forſchung ab, indem er gugleid) eine anſchauliche Darſtellung ihres focialen Lebens, . befonberó hinſichtlich der Güter» unb Weibergemeinfhaft gibt. Ein Theil ber füddeutfchen Wiedertäufer fleuerte auf eine Art bemofras tiſch⸗ſociale Republif hinaus. „Sie folte naͤmlich durch eine nahe, mit einem ungeheuern alle „„Gottloſen““ hinwegſchwemmenden Blutbade verbundene, Kataftrophe Raum gewinnen, unb nur bie allein übrig gebliebenen „„wahren Goriften^" umfaflen; in biefem unter unmits telbarer Beihülfe des „„Heren““ gegründeten Reiche hätte es bann natürlich Feiner „Gewalt nod) Meifterfhaft“* beburft. Daß der „„Geiſt““ der fhmärmerifhen Sepas tatiften mit einer radicalen Umgeftaltung ber fociafen Zur fände fld) viel und mit Vorliebe zu (djaffen machte, darf bei ben ungeheuern Erfhütterungen bes politifhen und ſocialen Lebens, bie in Deutfhland zugleich mit bem Aufr treten der neuen Lehre fid) anmelbeten und vollzogen, und ber in weiten Kreifen burd) bie Verfiherungen Luthers und feiner Gehilfen erwedten Zuverficht, bag das „„Evans gelium®* eine durchgängige Aenderung zum Befleven aud) in politifcher und focialer Beziehung herbeiführen werde, ebenfo wenig verwundern, als daß gerade jet ber alte Glaube an bie Nähe des taufendjährigen Reiches ber Gerechten mit neuer Stärke erwachte“ (&. 678). „Bor Allem beſchaͤftigte aber natuͤrlich bie Frage über das Wie und Wann jener ungeheuern Kataftrophe, weld bie unwahren Chriſten““ dur ein Meer von Blut in das

Deutſchland in der Mevoluttonspertobe, 655

„„neue Reich““ einführen follte, bie Gemüther. Daß ber Tag des Heren vorhanden fei, war unter den Wieder⸗ täufern gemeine Eröffnung, ,,unb"^ etlihe waren fo freventtid), daß fle frei „„Zeit unb Tag beflimmten, warn der Tag des Herrn füme^" (S. 682 f). Daher erwar⸗ teten bie allenthalben zahfreihen Anhänger mit Ungeduld das Signal, um über alle Andersgläubigen herzufallen und fie todtzufchlagen. Wenn nicht bloß ter König von Frankreich, fonbern felbft bie bayeriſchen Herzoge εὖ nicht verfhmähten,, die Verlegenheiten des Haufes Deftreih wegen ber Türfen mittelbar und felbft unmittelbar zu benügen, fo ift nicht zu vermunbern, baf aud) bie Wiedertäufer auf „den Türken“, welcher bamaló mit bem Ungeftümm einer Naturmacht auftrat, bie größte Hoffnung febten (6. 688 f.). Auch die Juden zeigten fib. damals als in bie politifch-religisen Umtriebe eingeweiht und ſuchten daraus Nugen zu ziehen: „fte [deinen, wie ein Theil der SBiebertáufer, [don im Bauernaufruhre jene jum „„neuen Reiche““ führende Kataftrophe vermuthet und wie biefe Schwärmer nod) mehr al& einmal in ihren meſſtaniſchen Hoffnungen getäufcht worden zu fein“ (©. 692). In großer Verlegenheit befanden fid) bie Luther ramer gegenüber ben Beweisführungen ber Wiedertäufer, befonders bann, als es fij um deren Beftrafung durch den weltlihen Arm handelte. Allerdings war ber Abfall von der alten Kirche und bie Widerfeglichkeit gegen Kaifer und Reid aud) Auflehnung und Aufruhr. Deffenunger achtet wurde ben Wiedertäufern gegenüber zu ber will fommenen Ausfluht gegriffen, bag man fie als Aufrührer zu behandeln habe (S. 708 f). Daher wurde in ben proteftantifchen Territorien eine große Menge Wiedertäufer

656 Sbrg,

vom Leben jum Tode gebradjt, während ber Kaifer in einem Mandate vom 4. Januar 1528 eine viel mildere Behandlung berfelben vorídricb (&. 712). Eine auf ben erſten Blick auffallende Grídeinung war, daß in ben fas tholifhen Territorien fid) ftetó viel mehr Wiedertäufer bes fanden, als in ben proteftantiiben. Den Grund bievon gibt Hr. Jörg überzeugend in Solgenbem an: „Dir Ruf von bem wiedergefundenen „„Evangelium““ rief. in allen Theilen Deutihlands große Maſſen von ber alten, in ihrer äußern Grideinung verrotteten Kırde ab, unb wen» bete ihre Herzen der vielveriprechenden neuen Lchre zu. In einem abgeſchloſſenen Eyitem trat biefe nicht auf, vielmehr erzeugte fie ein buntes und verwirrtes Chaos verſchiedenet und fid) wideriprehender Lchrmeinungen. Mit bem Bauernfriege änderte fid) dieſes injofern, als jeht alle neugläubigen Territorialhoheiten die Ordnnug bet Sache in ihre eigene gewaltige Hand nahmen und bem tobenben Strome der Evangeliums »Liebhaberei das Rinnfal anmwiejen, in bem er verlaufen, nicht überlaus fen durfte. Die Zahl derjenigen, welche fid in dieſe Schranken nidt einzwängen ließen, ober ber bem vors ausſichtlichen Gewaltthaten der Polizei « Dogmatiften tro $enben Separatiften mußte um fo Heiner fein, als die Begriffe von bem Weſen ber religiöfen Bewegung im Allgemeinen hödft verwirrt, die Theilnahme an berfelben meiftens "nit Sache innerer religiöfer Uebergeugung ger wefen, bie zur Schau getragene und mit Plünderung des Kirchenguts u. f. vo. tapfer erhärtete Trennung ber Ters titorialhoheiten von der alten Kirche leicht überrebete, das „„Evangelium““ fei jigt errungen, dem Oppoſitionsgeiſte fo bie gejährlihe Spige abbrad), ganz befonders aber

Deutſchland In der Revolutionsperlode. 657

neben andern der eigenwilligen Sinnlichkeit ſchmeichelnden Zugeſtaͤndniſſen ber neuen Lehre, ber Kern des fofort obrige keitlich bemilligten Evangeliums, die Rechtfertigungslehre Luthers nämlich, feinen in der Regel weit unterfchägten vers lodenden Reiz übte.“ (6. 717 f) Am zahlreichften waren bie Wiebertäufer in Tyrol, verhältnigmäßig viel weniger fanden fid) in Bayern, wo freilich aud) eine ziemlich große Anzahl hingerichtet wurde. „Man hört zwar bis auf biefe Stunde von ganzen Schaaren neugläubiger Belenner, bie für Luthers „„Evangelium"" mit ihrem Blute Zeugnig gegeben hätten; welche Bewandtniß e8 aber in Wahrheit mit diefen lutherifhen Martyrern gehabt haben mag, das für bietet Bayern ein ſchlagendes Beifpiel. Iene zu Landsberg, Münden, Burghaufen und an andern Orten Bayerns hingerichteten Wiedertäufer figuriren feit. faft hundert Jahren als „„evangelifhe Blutzeugen.“! Ihre teligiöfe Richtung wäre in den Augen Luthers und vor jeder neugläubigen Obrigkeit nicht weniger ein todes⸗ würbiges Verbrechen gewefen, als vor fatholifhen Sxis Punalen; weil fle aber in bem Fatholifchen Bayern büßten, mußte fie aus „„Teufeld-Martyrern“" eiligft in nnMartyrer Chriſti““ umgeformt werden." (&. 721 f.)

Hiemit find wir mit unfern zum Theil wórtlidjen Mittheilungen am Schluffe ber Joͤrg'ſchen Schrift ange» langt. Diefelbe fließt fid) enge an bie hoͤchſt verdienft- volle Reſormationsgeſchichte Döllingers an, da fie, wie die feptere, uns auf urfunbfidem, authentifhem Wege mit ben wirkenden Perfönlichfeiten und ben treibenden Parteien jener bewegten Zeit genau befannt macht. Werke diefer Art müffen bem Hiftorifer die Baufteine liefern, um auf funftmáfige Weife ein moͤglichſt anfchaulihes unb

658 Sig,

getreues Bild einer Periode entwerfen zu fónnen. Wir fprechen daher gegen Herrn Jörg ben Wunfch aus, derfelbe möge in ven fo reichhaltigen Münchner Bibliothefen und Archiven feine Quellenftudien eifrig fortfegen, um fo aud fernerhin zu dem Aufſchwung ber fatboliíden Geſchicht⸗ ſchreibung beizutragen. So anerfennenówertb aud) bie Bemühungen ber neueften Zeit find, bie Gedichte des 16ten und 17ten Jahrhunderts in ihrem rechten Lichte darzuftellen, fo ift bod, wie jedem Kenner ber einfchlägigen Kiteratur befannt fein wird, von fatholifher Seite nod) viel zu wenig gefhehen, um ber befonberó in Beziehung auf jene Zeitperiode fo viel verbreiteten Geſchichtsverfaͤl⸗ fung, zu welcher eine Zeit lang leider fogar katholiſche Gelehrte mitgewirkt haben, unb welde mit ihren Elabo⸗ raten man benfe z. B. an die Schiller’fhen Werfe beinahe ben ganzen gebildeten und halbgebildeten Theil unferer Nation überfluthet hat, mit größerm Erfolge ent» gegengumirfen. Die Form der von Herrn Jörg ges wählten Darftelung hat ihre Licht» und Schattenfeite. Es fonnten zwei Wege eingefhlagen werben. Entweder fate ber Herr SBerfaffer die Refultate feiner Studien in Häre, überfichtlihe Säge zufammen und fegte bie Belege theils unter den Tert, theild in,ben Anhang. Ge wäre εὖ für den Lefer leichter gemefen, das umfangreiche, fehr gehaltvolle Werk durchuarbeiten unb fidere Refultate zu gewinnen. Oder aber das archivaliſche Material wurde, wie hier gefhah, fo viel als möglich wortgetreu felbft in bem Texte verarbeitet. Wenn aud) auf diefe Weife das Werk für ben Forſcher und aud) für den Staatsmann, für ben es {εὖτ Ichrreih fein kann, vielleit an Werth gewann, fo wird doch ſicherlich durch bie fdrwerfällige

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Darftelung unb bie mühjame Portentwidlung ber Ber hättniffe und Greigniffe mander Leſer abgeídiedt, das Buch ganz burdyulefen, befonberó ba aud) bie Eintheilung des Stoffes mande Wiederholungen unvermeidlich macht. Nichts defto weniger laden wir unfere Lefer mit gutem Gewifjen zum gründliben und gewiß für Jeden lohnenden und genufreiden Studium diefer Schrift ein. Der Herr Verfaſſer, welchem eine männlichsfräftige, bie unb da fogar an baó Derbe ftreifende Sprache zu Gebot ftebt, zeigt fid überall, wie es fid) befonders für ben Geſchichtſchreiber einer fo traurigen Periode unferer vaterländiihen Ger ſchichte, deren Stadymirfungen nod) in der Gegenwart recht fühlbar find, geziemt, von bem Ernſte der Gade tief burdjbrungen. Ueberall if feine Schrift von edt kirch⸗ lidem Geifte durchweht. Daß bie fpecifiihebayerifche Auf⸗ faffung ber Verhältniffe einen Nichtbayer, welcher über ben vielen Glanjpunften der bayerifchen Geſchichte neuerer und neuefter Zeit aud) bie ftarfen Schattenfeiten nicht überfieht, zuweilen nicht ganz angenehm ajficire, wird Herr Joͤrg felbft begreiflic finden. Doch müffen wir ihm ſchließlich das Zeugniß geben, daß er fid) nicht felten aud) über den Standpunft feines engern Vaterlands auf ben echt nationalen, welder ja ben in gewifien Schranfen geltend gemachten particulariſtiſchen nicht ausfchließt, auf einige Yugenblide zu erheben gewußt habe. Dr. Briſchar.

660 Abel, 5.

1. fünig Philipp der Hohenftaufe, von Dr. Helnt. 8. Otto Abel, Privardocenten der Gefchichte an der Unlverſtiat Bonn. Mit ungebrudten Quellen. Berlm 1852. Verlag von Wilh. Her. XVL 408 ©. 8. Preis Afl. Oft.

2. Engelbert der Heilige, Erzbifchof von fióln unb Reiche- verwefer, von Dr. Iulius Sicher, Profeffor ber Geſchichte an ber f, f. Univerfität zu Innöbrud, Köln 1853. Verlag von I. M. Heberle. IX. 365 €. 8. Preis 1 fl. 45 fr.

Die beiden Schriften, in welche wir im 9tadftebenben den Peferfreis der Quartalſchrift einführen, behandeln Gegenflände, welche für bie mittelalterlihe Reihe» und Kirchengeſchichte des deutſchen Volkes von großer Wichtig- keit find. „Monographifhe Behandlungen einzelner Abs fénitte aus unferer vaterländifhen Geſchichte,“ fagt ber Verfaffer des erften Werfes mit Recht, „bevürfen vom ſtrengwiſſenſchaftlichen Standpunkt aus feine Rechtfertigung. G6 find bie nothwendigen Baufteine, aus denen erft fid das fefte und fehöne Gebäude einer deutſchen Geſchichte wird zufammenfügen laſſen, wie wir fie fhon lange wuͤnſchen und erfireben, Als ein folder Bauftein möchte aud) bie vorliegende Schrift angefehen werden; und daß gerade für bie Zeit der Staufen gründliche Einzelforfhungen weniger Noth thaͤten, wird Niemand behaupten wollen. Gebrängte, geiftreihe, micht tabellariſch trodene Darftellungen einer ganzen Volks⸗ ober Zeitentwidiung find für ven Laien kaum minder ſchwierig zu verfteben, als für die Geſchichts⸗ forfcher fie zu fehreiben, und für beide ein gefährlich Ding. Gediegene Belehrung ſowohl wie tiefere wahrhaft menſch⸗ liche Anregung wird immer nur ber für fij erwarten

König Polipp ber Hobenftaufe. 661

dürfen, ber mit ben Menſchen der Vergangenheit und wäre es aud) nur eines kurzen Zeitraumes, inniger vers traut zu werden fid) die Mühe nimmt. Trägt bod) aud) der Geofog reiheren Gewinn davon, wenn er einem eine agen SBunfte der übereinander gelegenen Erdſchichten nad gräbt, al& wenn er leichten Fußes über weite Streden dahinfhürft. Zu einer ſolchen eindringendern Behandlung mag das ftaufiihe Zeitalter gewiß vor manchen andern einladen. Die BPerfönlichkeit König Philipps wird aller» dings burd) die hervorragenden Geftalten der beiden Fries bride vor und nad) ihm in Schatten geftellt; aber fle ift immerhin bebeutend genug, um, wie [don ber Kürze halber auf bem Titel geſchah, al Vertreter ber von mir gefhilverten Zeit gelten zu fónnen, einer Zeit, bie durch das Große, was in ihr gefhah, unb nod) mehr darin vorbereitet wurde, eine gründliche Erforſchung im höhern Maaße erfordert, als glänzendere, barum aber aud) viels leicht ausführlicher bargeftellte und leichter verftändliche Epochen.“ (S. VIII f.)

Wie hat nun ber Herr Verfafier feine Aufgabe gelöst?

In bem erften Abſchnitte (S. 1—12) ſchildert er bie fpätere Regierungszeit Friedrichs L, in welder diefer auf andere Weife zu gewinnen fuchte, was ihm in bem ftampfe mit den gombatben und mit bem großen SBapfte Alerander III. nicht gelungen war. Der unerwartete Tod des genannten Kaifers rief feinen Sohn Heinrich, welcher feit Jahren in die Staatsgeſchaͤfte eingeweiht war, auf den erften Thron ber Ehriftenheit. Im der Charakteriſtik biefed merkwürdigen Mannes gibt fid) der gibellinifhe Standpunft, den. der Herr Berfaffer einnimmt, vecht deutlich zu erfennen. „Leicht dazu geneigt, am Einheimifchen zu verbammen, was et

Sgesl. Ouartalfrift. 1858. IV. Hei. 44

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am Fremden verzeiht oder bewundert, bat ber Deutſche feine vielberufene Unpartheilichfeit aud) an Kaifer Friedrichs Sohne erprobt. Ohne die Zeit, in der er handelte und bie Menſchen, mit denen er zu tun hatte, Hinlänglich zu fennen ober in Anſchlag zu bringen, ift man gewohnt, bie einzelnen Züge feiner Graufamfeit in Sieilien mit greller Einfeitigfeit hervorzuheben. Das ſchwarze Bild zu voll enden, bietet fid Richard Löwenherz und ber Sänger Blondel dar. Ueber der fentimentalen Theilnahme, melde man bem tapfern aber ſchlechten engliihen König zumwen- bet, hat man ben geídidotliden und vaterländifhen Ger fihtspunft für bie Beurtheilung des Verhältniffes zwiſchen Heinrich und Richard verloren, und eine großartige Herrſcher⸗ geftalt ift in der Erinnerung des eigenen Volkes zur ge- woͤhnlichen Tyrannenfigur erniedrigt, die dazu dienen muß, ben falfhen Glanz eines Romanhelden zu erhöhen. An dem Italiener gieng Heinrich während feiner furgen Herr haft vorüber, furdtbar prächtig „„wie biutiger Nord⸗ lichtſchein.“ Dem Deutſchen aber folte ihn das allein ſchon unvergeßlih machen, baf er wie fein anderer das Uebel unferer Zerfplitterung an der Wurzel angriff. Wenn irgend jemand, fo hat er Anſpruch darauf, nicht allein mad) dem, was er vollbracht, beurtheilt zu werden, fon bern nad) dem, was er gewollt bat und nur burd) einen früfieitigen Tod durchzuführen verhindert worben if.“ Go ſchwierig die Verhältniffe waren, unter denen Hein tid VI. den Thron beftieg, fo wußte er fle bod durch feine Seftigfeit und Klugheit feinen Planen bienfibar zu maden. Deutfhland war auf bem Wege glei ὅταπν reich zu feiner fiaatlihen Einheit zu gelangen. Den ent ſcheidenſten Schritt dazu that Qeinri VL, als er mit

König Philipp der Hohenſtaufe. 663

feinem Antrag hervortrat, welder das ganze deutfche Staatsreht umgeftalten mußte. „Es handelte fif) um nichts Geringered, ald das Recht der Kaiferwahl, ben Stolz der Fürften, das Unglüd unferer Geſchichte aufzus heben unb Deutfhland zu einem Erbreich zu machen. Wie unerhört man aud) diefen Gedanken fand, bei der Macht und Staatöflugfeit des Kaifers, bei der Größe beffen, was er dafür zu bieten hatte, erſchien er nicht zu Fühn..... Bon Kaifer Heinrich VI mochte in Wahrheit gelten, was ein frangöfifcher Chroniſt jener Zeit feinem verhältnigmäßig doch fo machtloſen König Philipp nabrühmt, er fei in ber Meinung gemefen, ein Mann genüge, bie ganze Welt iu beherrſchen. Aufgewachſen in den idealen Vorftellungen feines Vaters von der Bedeutung des Kaiferthums, als Jüngling (don im Befig einer Macht, wie fie feit Karl dem Großen fein Fürft mehr inne gehabt‘, büudte ihm fein Ziel unerreihbar. Die Herrlichfeit und Macht der alten Gáfaren, als deren Erbe und Nachfolger er fid) betrachtete, follte erneuert und alle Fürften in das Ver— haͤltniß faiferlider Vaſallen zurüdfehren." (S.20 f.) Schon übergab Richard von England alle feine Staaten dem Kaifer, um fie af& Rehen wieder aus feiner Hand zu et» halten und dadurch gegen den kriegeriſchen König Philipp Auguf von Frankreich zu fhügen. Um Richard als Werks zeug gegen ben Leßteren zu benügen unb in alle Kriege des Feſtlands zu verwideln, belehnte ibn Heinrich VI. mit Südburgund unb dem ganzen ganbftrió an der untern Rhone zwifhen den Alpen und Pyrenden: Länder, in denen bie deutfche Dberherrlichkeit teil gar nicht aner⸗ fannt, tfeiló wenig zur Geltung gebracht wurde, Der Papſt wurde von allen Seiten -beengt: der Präfeet von 44 *

664 Abel,

Rom wurde von dem Kaifer eingefet und {εἰδῇ bie rechte Tiberſeite der Stadt nod zu Toscana gerechnet, mit wels chem des Kaifers Bruder Philipp belehnt wurde. Selbſt bie Länder ber pyrenäifhen Halbinfel wurden in ben Plan der Weltherrfchaft hereingezogen; aus Nordafrika, wo Roger einft eine Herrfchaft ausgeübt, famen maurifche Abs gefanbte mit Gefdjenfen; der Fürft Boemund von Antiochien leiftete bereit6 im Jahr 1190 bem Herzog Friedrich von Schwaben al8 bem Stellvertreter des Kaiferd ben Lehens⸗ eid. Desgleihen bekannten fid die Könige von Armenien und Cypern als 98afallen des römifhen Kaifers. Schon ift ein deutfches Kreuz verfammelt; (don nimmt Heinrich ben weiten Landftrih von Gpibamnué bis Theflalonid als zum Normannenreich gehörig in 9Infprud), unb vers langt Schiffe zur Ueberfahrt feiner Truppen nad) 9Batáftina. Der erfchrodene griedhifche Kaifer aber, bem mur bie Wahl zwiſchen Krieg unb Tributzahlung gefaffen wird, ſchreibt eine deutfhe Steuer aus. Die volle Saat der Entwürfe ift jur Erndte reif, da wird ber Kaifer 32 Jahre alt durch ben Tod von bem Weltfpauplape abgerufen. „In alle Ewigkeiten,“ fo ruft ifm ber Moͤnch Dtto von St. Blaſien aus feiner einfamen Zelle im Schwarzwald nad, „werde diefes Kaifers Sob von bem Volke der Deutſchen beffagt; benn er hat fie groß und gefücdtet gemacht bei allen Bölfern ringsum, und bei längerem Leben hätte er des Reiches alten Glanz wieder heraufgeführt." Auf eins mal änderte fij vom Grund aus bie Lage der Dinge. Alle bie widerftrebenden Kräfte, die des Kaiſers mächtiger Wille zufammengehalten und fid) dienitbar gemacht hatte, fudten jet wieder ihre eigenen Bahnen. Die Gefahr war vorüber, bie ber Selbftändigfeit der abendländifchen

König Philipp der Hohenſtaufe. 665

Staaten, bem Sein des byzantinischen Reiches gebrobt hatte. In bem fangen Kampf zwifchen Kirche und Staat, der fhon beinahe zu Gunften des Kaiferthums entſchieden war, fiel nun, als hätten Friedrich unb Heinrich nur für ihre Gegner gearbeitet, ein leiter Sieg dem Papftthum zu. Dem deutfchen Volk erfparte ber plóglide Tod des Kaifers das glänzende Unglüd einer Weltherrſchaft. Aber dafür warb der Sammer des SBürgerfriegó fein Loos. Ausgefchloffen von ben hohen Zielen, bie ihr Heinrich ger ftedt hatte, verzehrte fi die überftrömende Kraft und Thatenluſt ber Ration fortan in inneren Kämpfen." (&. 36.) Eine der nadjtbeiligften Folgen des unerwarteten Todes Heinrichs VI. war bie politifhe Spaltung Deutſchlands, da ein Theil ber Reichsfuͤrſten ſtatt des bereits früher gewählten unmündigen Friedrichs von Sieilien deſſen Oheim Philipp von Schwaben, die Oegenpartei Otto Heinrichs des Löwen Sohn wübite Die Wahl Otto's war hauptiählih das Werf des Erzbiihois Arolf von Köln, welcher vom engliiben Ginfluffe geleitet wurde. Sotto hatte feine Jugend in der Umgebung feines Oheims Richard zugebraht, von bem er beträchtliche franzöfi he 8 figungen au Lehen erhielt. Er hatte ſich bie jranzoͤſiſchen Sitten und Sprache des anglonermannifden Adels zueigen gemadt. Bon Natur aus hart und ungeſchmeidig, legte derſelbe unbeugfamen Troß und an Tollfühnheit grängenden Muth an den Tag, während Philipps milder und ruhiger Charakter gerne Schonung und Nachgiebigfeit beobachtete unb den Weg flug geführter Unterhandlungen bem Kampfe vorzog.

Es würde zu weit führen, unfern Lefern bie Ges ſchichte des langjährigen vielverfeplungenen Thronftreites zu

666 Abel,

erzählen. Bon großer Bedeutung war e$, für welche ber beiden Partheien fid) der römifche Stuhl erklären würde. In der Auffaffung Innocenz II. weicht der Verfaſſer ente fhieden von Hurter und aud) von Friedrich Böhmer ab, beffen Regeften ihm übrigens eine trefflihe Vorarbeit lieferten. Abel läßt Innocenz III. das politife Syftem Gioberti's, welches diefer in feinem Primate aufgeftellt hat, anticipiren," indem er den großen Papft zu einem Befreier Italiens von der Bremdherrfchaft ganz im mos denen Sinne des Wortes herunterfegen‘ möchte. 916 Dberhaupt der Kirche ben chriſtlichen Voͤlkern und Laͤndern allen gleich nahe geſtellt, verlaͤugnete er doch in Gefinnung und Handeln nie ben gebornen Italiener. Jtalıen, bem nad) göttliher Beftimmung die Herrfhaft über alle andern Länder zufommt, foll aus feiner Zerriffenheit und ber brüdenben Fremdherrſchaft erlöst unb unter des Papſtes unmittelbarer Leitung al Kirchenſtaat vereinigt werben. Das if fein Gebanfe und fein πάώβεθ Ziel. Die Gv bitterung unb der Haß des Volkes gegen bie Deutichen und die Verwirrung, bie mad) bed Kaifers Tode und Philipps .rafdyer Umfehr allentpafben eingetreten war, Tam feinen Abfihten zu Hilfe. In planmäßigem Vorgehen gelang es ihm während ber erften Jahre feines Pontificats von Rom aus in immer weiterem Kreife die Deutſchen zu verdrängen und feine eigene Hirrfchaft herzuftellen, wo er aber größere Anſpruͤche für beu Augenblid nod nicht durchzuſetzen vermochte, wenigftens bie Oberherrlichfeit und den Einfluß der Kirche zu wahren und zu befefligen.... Der harte Drud, ben bie Deutihen ausgeübt hatten, ließ ihn als nationalen Befreier erídyeinen und faft ohne Wider⸗ ftanb zu finden, feßte er fi in ben unmittelbaren Beh

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König Phupp der Hohenfaufe. 661

des gröftten Theiles von Mittelitalien." (S. 74 f.) Ber fannt ift, daß Snnocenj II. die Sache Otto's, welder bem der Kirche von jeher ergebenen Geſchlechte der Welfen angehörte, begünftigte,, wenn er aud) im Ganzen genome men zwifchen beiden Parteien eine feiner hohen Würde angemeffene ſchiedsrichterliche Stellung zu behaupten fudte. Diefer Umftand verſchaffte Otto den Uebertritt einiger einflußreiher Prälaten, welche ben kirchlichen Standpunft höher als den politischen ftellend, ihre Rüdfichten gegen das hohenitaufifche Haus hintanfegten. So der Biſchof Konrad von Würzburg, welcher als Hojfanzler Heinrichs VI. und Philipps in beftändiger Umgebung des Letzteren ger weien war und von ben Rittern von Ravensburg aus Privathaß und Rachſucht meuchlings ermortet wurde, auf defien Leibe man die Spuren von Selbitgeißlung und ein bárincó Hemd gefunten haben wollte, weßhalb er von feinen Freunden als Martyrer der (reibeit der Kirche gepriefen wurde. Die mit großem Eifer betriebenen Unters handlungen Philipps mit dem rómiíden Stuhle führten endlich im Jahr 1207 dahin, daß derfelbe von dem päpfte lichen egaten zu Worms feierlich von dem Banne los- geſprochen wurde. Comit war ein Qauptbinberni der Erweiterung feiner Macht aus dem Wege geräumt. Die Lage Otto's dagegen verihlimmerte fid) damals aud in fofern, als fein Beihüger, König Johann von England feldft durch ben eroberungsluftigen König von Granfreid) hart bebrüngt wurde. Dagegen verband fib jegt Dito mit Waldemar von Dänemarf, ju befjen Gunften bie nördliche Reichsgrenze preisgegeben wurde. Im Jahr 1208 war bie bódfte Spannung ber Dinge eingetreten. Die Entfheivung des Kampfes, welche in nádfter Ausficht

668 Abel, König Philipp der Hohenſtaufe.

fand, fonnte für Philipp faum mehr zweifelhaft fein, ba fiel berfefbe burd) die Hand Otto's von Wittelsbach. Die Umftände, unter benen biefe That vorfiel, und bie Art und Weife ihrer Ausführung, machen biefelbe zu einem hiftorifhen Raͤthſel, ,faft fo unerforſchlich als bie göttliche Sügung, bie fle gefhehen lief." Daher bie verſchiedenen einander widerſprechenden Darftellungen und Beurtheiluns gen, welche biefelbe gefunden hat. Beſonders auffallend ift, wie Luden, bemüht „einen Schanvfleden aus ber Geíbidte des deutſchen Volkes auszutilgen und einen beutíden Fürften edlen Stammes von einem Verbrechen zu reinigen, weldes länger als 600 Sabre an feinen Namen geknüpft worden ijt," bie Mordthat aus einer während eines ſcherzhaſten Spieles vorgefallenen Unvor- fihtigkeit hervorgehen läßt. Nach ver ziemlich überzeugenden Darftellung Adels war die Ermordung Philipps nicht eine That plóplid) auflodernder Rachſucht, fondern einer mit ^ faltem Blute eingeleiteten Verfhwörung. Zweimal nad einander wurbe fo burd) ben Tod der beiden hohenſtaufi⸗ fen Brüder der ruhige Gang ber deutſchen Geſchichte unterbroden durch den Heinrichs VI. nad) einer zwar kurzen, aber mit großer Conſequenz und Energie geführten Regierung, dur ben Tod Philipps nad) einem bem Ende nahen zwölfjährigen Bürgerfriege. Als Schluß hat ber Herr Verf. feiner in formeller Hinfiht febr gelungenen Dar⸗ ſtellung Philipps einige am ben Tod defielben fih an. fließende Betrachtungen beigefügt, welche bie Verringes tung des Reichsguts, die Macht der römischen Kirche, deren Erhebung gegenüber bem Kaiſerthume beklagt wird, das Kaiſerthum und Königthum, das Rittertfum und Dürgertfum, bie Verbreitung und Einheit ber deutſchen

Bieter, Engelbert der Heilige. 669

Schriftſprache und ber deutfchen Dichtung zum Gegen» Rande haben. Eine intereffante Beigabe zu bem legteren Shunfte bildet bie in den Anhang aufgenommene furje Ahandlung Karl Simrofs „über Kaifer Heinrih VI. als Liederdichter.“ Sonit enthält ber Anhang außer einer reihen Anzahl von Anmerkungen einige Nachrichten über ungedrudte Quellm und Auszüge aus benfelben, darunter einige ungebrudte Briefe zum Theil von Innocenz IIL; end» lid) noch ſechzehn Stammtafeln zur Geſchichte König Philipps.

Der Berfaffer des zweiten Werkes, Herr Ficher, hat das Gebiet der deutſchen mittelalterlihen Geſchichte bereits mit Gtüd anzubauen begonnen in feiner Schrift „Reinald von Daffel," mit welder wir zu feiner Zeit die Lefer der Quartalfchrift befannt gemacht haben. Bei ber Wahl feines Stoffes war der Herr Berfaffer von dem Geſichts⸗ punfte der Provinzialgeſchichte ausgegangen, infoierm et einen Beitrag zur Geſchichte Rheiniranfens und Weſt⸗ phalens zu geben beabfihtigte. Doc find auf der andern Seite bie Verdienfte des δ΄. Engelberts um das deutfche Reich fo hervorſtechend, daß berfebe aud) in ber Reichs— geſchichte eine ehrenvolle Stellung einnimmt, während auf der andern Seite das Erzbisthum Köln damals eines bet bebeutenbften Glieder des Reiches war, und ein ſchweres Gewicht in bie politiihe Wagſchaale legte. „An ben Namen Engelbert des Heiligen fnüpfen fid für Köln, für das Rheinland Erinnerungen an vergangene Größe und Herrlichkeit; Engelbert in feinen Doppelbeziehungen , bier als Erzbiſchof und Herzog zu Köln, dort als Schirmer des Reihe und ald Heiliger der Kirche muß vor Andern den NRheinländer mahnen an die großen Tage der Vorzeit feines Stammes und feines Landes.” (6. 1.)

610 gute,

Engelbert entfproßte bem Haufe der Grafen von Berg, welches in bem norbweftlihen Deutfchland als eines der mädjtigften und einflußreichften Dynaftengefchledhter eine große Rolle fpielte. (S. 14 ff.) Einer feiner Verwandten Adolph von Altona war es gemefen, welcher als Cry. bifdof von Köln durch Einhaltung einer reichsfeindlichen Politif und durch Erhebung be Welfen Dito zum Begen- Könige Philipps den langwierigen Thronfreit fammt dem daraus hervorgehenden Unheile verſchuldete. (&. 20 f.) Engelbert felbft erhielt fhon al& Knabe die Stille eines Propftes zum hl. Georg in Köln. Im Jahre 1199 wurde die Stelle eines Dompropitcs, die erfte Würde der Kölner Kirche nad) dem Erzbiſchofe, erledigt. Bon einem Theile der Wahlberechtigten wurde Engelbert und von dem übrigen Dietrich von Heinsberg gewählt. Der Streit wurde vor Innoeenz ΠῚ. gebracht. Nachdem er fib gegen 4 Jahre hingezogen hatte, trug Engelbert, welder inzwiſchen das erforderliche canonifdbe Alter erreicht hatte, den Sieg dar von. Als ber Erzbiſchof Adolph zu Philipp übergieng, verlich aud) fein Vetter Engelbert bie von dem Papſte bevorzugte Partei ber Welfen. An dem nun entflehenden Bürgerfriege in dem Griftüite Köln nahm Engelbert thätigen Antheil, unbefümmert um den Bann, welder auf Befehl des Papſtes über ihn verhängt wurde. Die Wendung ber Dinge zu Gunften Philipps und deſſen gleich darauf erfolgter plögliher Tod griff aud in Engelbertd und Adolphs Geſchicke tief ein. Im Jahr 1209 wurde Engels bett von dem Banne losgeſprochen; zur Sühne übernahm er das Gelübbe eines Kreuzzuges gegen die Albigenfer, welches er bann aud im Jahre 1212 ausführie. Als ber neue Erzbiſchof Dietrich von Köln auf Seite des in,

Engelbert ber. Heilige. 671:

gwifchen von Innocenz II. verfluhten Otto's IV. blieb, wurde er von ben päpftlichen Legaten mit bem Banne δὲς legt; Engelbert ftanb aber jeht auf Seite Friedrichs IL, welcher von der priefterlihen Partei gegen Otto IV. empore gehoben wurde. Im Jahr 1216 wurde er felbft in einem Alter von 30 Jahren einftimmig zum Erzbiſchof von Köln erwählt. An bie Löfung ber fchwierigen Aufgabe, bie durch bie verheerenden SBürgerfriege feinem Ersftifte ges ſchlagenen Wunden wieder zu heilen und auf dem firdje lichen unb politifhen Gebiete Ordnung wiederherzuſtellen, ſchritt Engelbert mit Exrnft und Strenge. Bei den außer⸗ ordentlichen Faͤhigkeiten, bie er'befag, fonnte ihm das Werk aud) gelingen. „Schon fein Aeußeres befunbete den Herrſcher. Hatte er bereits als Knabe Aller Blide auf fih gezogen, fo galt er als Jüngling für ein Bild männlicher Schönheit, wie weit unb breit unter Geiſtlichen und aien fein zweites zu finden war, eine hohe Helden⸗ geftalt, frájtig unb ebenmäßig gebaut. Es [Φίεπ, fagt Eäfarius, al& habe die Mutter Natur in einer Perſon alle Borzüge vereinen wollen, um aus dieſem ihrem Meifter- werfe, wie aus einem Spiegel ihre Pracht zurüdzuftrahlen. Auch feine bedeutenden geiftigen Anlagen hatten fid) früh bemerfbar gemacht; bisher freilich hatte er fie faft lediglich zur Befriedigung feines Ehrgeiges angewendet. Jetzt hatte er das 30je Lebensjahr überfhritten. Der jugendliche Mebermuth war dem Ernfte des Mannes gewihen, und gerade das wilde Treiben feiner Jugend und mande bittern Erfahrungen mögen Urſache gemefen fein, daß er jet die Würde feiner hohen Stellung umfomehr zu wahren und vergeffen zu machen ſuchte, was er einft gefrevelt.“ -(S. 55.)

672 δίδει,

Was feine Regierungsthätigkeit betrifft, fo war er darauf bedacht, die weltlihe Gewalt in den beiden koͤlni⸗ hen Herzogthümern als folide Grundlage für bie 8e feftigung und Erweiterung ber Macht des Erzftiftes, welde während ber SBürgerfriege geſchwaͤcht worden war, wieder⸗ herzuſtellen. (€, 62 f. 78f. cf. €. 223 f., to fif der Verfaſſer mit ber Unterfuhung über bie Herzogsgemalt der Kölner Erzbiſchoͤſe in dem rheinifchen Lothringen fowie in Weſtphalen befhäftigt.) Wenn Engelberts Seitgenoffe Eäfarius von Heifterbadh über bie Großen feiner Zeit Hagt: „Wenig Gürften, wenig Edle erfüllen bie Tage ihres Lebens unverfürgt; nur wenige erreichen bie Jahre des Greiſes; denn fie berauben die Armen und butd) die Thränen bet Armen werden fle erftidt und früh ins Grab gebracht" fo ift begreiflih, welde Mühe es Engelbert foftete, die Großen und Edlen wieder in ihre Schranken zurückzu⸗ weiien und feine Herzogsgewalt über fle zur Geltung zu bringen. Ohne Zweifel war e8 nicht Herrſchſucht, wohl aber das Streben fo viel als möglich Hilfsmittel im feiner Hand zu vereinigen, um feine Pflichten als Erzbiſchof und riog um fo leichter erfüllen zu können, daß er im Jahre 1223 vie Rigierung der Grafihaft Berg an fid 09. Wie er gegen die Großen feines Landes fireng war, und er fib. auch angelegen fein ließ, bem nad) Unabhängigfeit Arebenden Sinne der Kölner Bürger gegenüber feine Herrfchergewalt aufrecht zu erhalten (S. 85 f.), fo nahm et fid der Rechte ber Unterdrückten väterlib an. (&. 81 fig.) Einen Ritter, welcher mehrere Juden beraubt und erfhlagen hatte, ließ er zum Tode verurtheilen. Selbft die Ent fiehung des weftphäliiben Vehmgerichtes fnüpft fid an feinen Namen. Laßt fid aud) der Antheil Engelderis an

Engelbert der Heilige. 673

bet Grriótung biejeó merfwürdigen Inflituts hiſtoriſch mit nachweiſen, fo wagt der SBerfaffer bod) bie Ver⸗ muthung, daß Engelbert fi) ber Breigerichte zur Aufrechte erhaltung des Landfriedens und zur Stärkung feiner er» zoglihen Macht bedient unb bie eigenthümliche Ausbildung des Stillgerichts veranlaft oder befördert habe. (&. 84 f.)

Ein Geiftider zu Paris erklärte zu jener Zeit, ere zahlt Eäfarius, Alles wolle er glauben, nur das eine nit, daß ein deutſcher Bifhof zur Seligfeit gelangen ἔδππε. Zu Engelbert felbft fol εἰπῇ nad) bemfelben Ge⸗ ſchichtſchreiber ein Moͤnch gefagt haben: „Herr, ihr feib ein trefflicher Herzog, aber fein guter SBifdof." Nichts⸗ deftoweniger entwidelte Engelbert auch in kirchlicher Ber ziehung große Thätigfeit. Eines ber größten SBerbienfte um bie Kölner Kirche war bie Berufung ber Bettelmönde. Auch ließ er fid) in biefer Beziehung durch die Vorſtel⸗ Tungen ber SBeltgeiftlidfeit, welche über Eingriffe in ihre Stedte fíagte, durchaus nicht irre maden. Was bie Bettelmoͤnche in Köln gewirkt haben, brauchen wir bier nit auseinander zu fegen. Es möge hinreichen, bie beiden Ramen der großen Scholaftifer Albert der Große und Duns-Scotus, welde hier lebten und Iehrten, ins Gebádtni$ zurüdzurufen. Engelbert war es aud), welder zuerſt den Plan anregte, ben Dom des DL. Petrus neu zu erbauen. Geinem zweiten Nachfolger Konrad von Hochſtaden war εὖ vorbehalten, ,biefen Wunderbau, ein Zeugniß für die fommenben Jahrhunderte, nicht nur bes frommen Kunftfinnes fondern aud) des Reichthums und der Macht des mittelalterlihen Köln," zu beginnen.

Ein neuer Abſchnitt in dem Leben Engelberts beginnt mit feiner Ernennung zum Reichsverweſer, welche im Jahre

674 Side,

1220 bei ber 9tüdteife Friedrichs nad) Unteritalien fatt- fand. (€. 105 f.) „Nur ungern übernahm Engelbert zu den Mühen ber Regierung des Eraftifts noch die ſchwere feft der Reichsgeſchäfte; bann aber führte er biefelben qud) mit ſolchem Eifer, daß felbft feine Neider ifm in diefer infit feinen Vorwurf zu maden wouften." Am 8. Mai 1222 frónte er ben jungen König Qrinrid in Gegenwart vieler weltlichen und geiftlihen Fuͤrſten zu Aachen. Bon ba an blieb er faft beflánbig bei bem Kür nige, in beffen Begleitung er das ganze Rei von ben Alpen bis zu ber Nordſee durchzog. Im diefer Stellung vergaß Engelbert nit, daß er vor Allem ein kirchlicher Würdenträger, der Inhaber des damals reidjften unb mádtigften Erzbifhofftuhles war. Im Gegentheife richtete ex feine Hauptforge auf bie Sicherftellung der Kirche, ihrer Rechte und Befigungen, auf bie Hebung ihres Anfchene und ihres Ginflufeé. (S. 114ff) Was feine Politit nad) außen betrifft, fo blieb er ber Tradition feiner Vor⸗ gänger infofern getreu, als er ben König vor der zu engen SBerbinbung mit Frankreich zurüdzuhalten und im Gegen theil eine Annäherung an England, welches für den nieder theinifhen Handel von großer Bedeutung war, herbeizu⸗ führen fudte. (S. 124 fi.) Engelbert hatte bereit6 im Jahre 1215 mit vielen andern Fürften und Herrn wahr ſcheinlich an bem frónungétage Friedrichs IL zu Aachen das Kreuz genommen. Als ifm bie Stift6- und Reiche angelegenheiten die Erfüllung feines Geluͤbdes nicht moͤglich machten, ließ er fi durch ben Papft von bemfelben ente binden. 86 aber einige Jahre fpäter bie Lage der Chriſten im Morgenlande fid) immer troftlofer geftaltete, und König Johann von Serujalem, welcher Europa hilfeſuchend burd»

Engelbert der Heilige. ets

309, im Jahr 1224 aud) nad Köln fam, faßte Engelbert ben Entfchluß, bie Steidjétegierung niebergulegen unb zur Sühnung feiner Sünden in ben Kampf gegen bie Uns gläubigen zu ziehen. Doch wurde er burd) feinen -frühr jeitigen Tod an der Ausführung diefes und manden ans bern Planes verhindert. Die Geſchichte feiner Ermordung wird ©. 145 ff. erzählt. Die Urfahe feines gewaltfamen Todes war bie Vertheidigung der föniglihen Abtei Eſſen gegen feinen Verwandten, ben Grafen Friedrich von Ifen- burg, welcher bie alten Vogteirechte feines Haufes über jene Abtei geltend machen wollte Die Geſchichte feiner Ermordung (7. Rov. 1227) hat viele Achnlickeit mit der des hi. Thomas Bekket, mit welder. ſchon Gáfariu& unfern Engelbert verglichen hat. Bereitd einige Monate nad) feinem Tode wurde Engelbert burd) ben ausgezeich- neten Gardinallegaten Konrad von Porto (aus dem alten Geſchlechte der Grafen von Urach, welcher nad) Honorius III. Tode die auf ihn gefallene Wahl zum Papfte ausfchlug) für einen Martyrer und Heiligen erklärt. Bald flieg der Ruf feiner Heiligfeit nod) höher bei ber Nachricht von vielen burd) die Gnade des Himmels um feiner Verdienfte willen an feinem Grabe und auf ber Morbftärte gewirkten Wunder, obwohl, wie e aud) bei bem hi. Thomas ger ſchah, mande Feinde Engelberts behaupteten, fie könnten nimmer glauben, daß ein fo ftofjger, herrſchſuͤchtiger und ben Dingen diefer Welt ergebener Fürft Wunder gewirkt und den Heiligen beizuzählen fei. (€. 181.)

Für das deutſche Reih mar Engelberts Ermordung ein in feinen Folgen (diver zu bered)nenber Unglüdsfall, Kaum hatte das Reich nad) Philipps Tode einige Jahre Ruhe und Friede genoffen, und war der Grund μὲ einer

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Engelbert der Hellige. 677

Äh zu einer Eingabe an den Eriminalfenat zu Eleve, um bie Confiscation ber Schrift zu beantragen. Der Senat ertheilte den SBefdeib, daß es einem jeden unbenommen fei, fi in einer alten Legende ben Stoff zu einem Gedichte au wählen. Die Abgewiefenen ließen nun zur Wiverlegung biefes anftófigen Gedichtes eine Gegenfchrift erſcheinen unter bem Titel: „Beleuchtung der Legende, genannt ber Ienberg, worin bem bi. Martyrer Engelbertus, Erzbiſchof von Köln, die ſchwaͤrzeſten Thaten angebichtet werben, wider ben Verfaſſer beffelben dem Wunfche des ganzen fathofifchen Publifums gemäß und gum Beften der Armen herausgegeben von ber fümmtficben Fatholifhen Geiftlichfeit der Stadt Efien und limgegenb." Dorften 1818. Als Rautert unmittelbar nad) Grídeinen dieſer Schrift vor dem Oberlandesgerichte zu Eleve Klage gegen bie Geift- Tidfeit zu Gffen erhob, weil fle in ihrer Schrift beſchimpfende Qualificationen ihm beigelegt habe, verurteilte ba& Ges tit die Beleidiger zu Stägigem Gefängniffe oder zu einer Geldbuße von 10 Thalern per Kopf und in bie Unfoften, alles ohne Appellation. Die Geiftlihen entſchieden fid) während ber 10 Tage, die ihnen zur Wahl zwifchen Ges füngnig ober Geldſtrafe eingeräumt worden war, einftim- mig für Gefängnis. Ehe bie 10 Tage abgelaufen waren, wurde jedoch den Geiftfiden während ber allgemeinen Aufs regung von Eleve aus bie Appellation bewilligt. Der Erfolg des Proceſſes war, daß das Gefängniß erfaffen und bie Geldbuße auf die Hälfte herabgefeßt wurde N. Noch im Jahre 1836 hat fid) ein gewiſſer Manz erbreiftet,

1) Siehe Ficker ©. 229 {., nah Erſch und Gruber, Eucyll. 1,40. €. 148, Böhmer L c. p. XXXIV, Note. Stet. Duartalfgr. 4858. IV. Heft. 45

678 Liebermann

in feiner Schrift: „die Iſenburg ober Friedrich von Jen burg und Engelbert der Heilige“ jene Rautert’fche Legende in feine angeblihe Geſchichte einzumweben. So verfügt unfere Generation mit den größten Männern unferer Vor⸗ zeit zum Mergerniffe des katholiſchen Theiles deutſchet Nation! Herr Sider aber hat burd) bie firdjlid) und patriotiſch gehaltene, klar und gründlich gejd)tiebene und überall an bie Borfhungen Böhmers fid anſchließende Lebensgeſchichte des hl. Engelberts nicht blos bem größern SBublicum eine angenehme und belehrende Lectuͤre, fondern aud) einen beadhtenswerthen Beitrag zur Firchlichen und potitifhen Geſchichte des deutfhen Mittelalters geliefert, beffen Werth burd) die angehängten Regeften Engelberts, und mehrere bisher größtenteils ungebrudten Aktenftüde nod) erhöht wird. Dr. Briſchar.

6.

Institutiones Theologicae. Auctore Fr. Leop. Br. Lieber- mann, ss. Theologiae Doctore, Dioecesis Argentoratensis Vicario Generali Tomus I. Complectens Prolegomena in universam Theologiam, Demonstrationem religionis christianae el Demonstretionem Catholicam. XX et 510. Tomus H. Complectens Theologiam Specialem. XVI et 834. Editio 7** emendalissima. Moguntiae, sumptibus Francisci Kirchhemii. 1853. f. 6. "

SBorliegenbe Ausgabe der Liebermann'ſchen Inftitutios nen unterfcheidet fij von ben vorausgegangenen blos aͤußerlich; die fünf Tomi ber frühen Ausgaben finp in

Institgtiones Theologicae. 679

wei zufammengezogen unb ift bem erften das Bildniß des Berfaffers in Stahl geflohen beigegeben. Das größere format (breites Großoctav) geftattete einen zweifpältigen Drud und bei größerer Gompreffion des legtern unbe⸗ fhabet ber Deutlichkeit und Gefálligfeit bie Zufammens feffumg ber fog. General» und Specialdogmatik je in Einen Band. Hiedurch find zwei Vortheile erreicht, ein billigerer Preis und bie natürlihe Sonderung. der eigent^ lifen Dogmatik von ihrer Grunbfegung, ber Apologetif, ber fog. Demonstratio christiana et catholica; es ift bie Anſchaffung unb ber Gebraud) des Buches erleichtert, was bei einem Werke von fo wohlverdientem Rufe alle Be- adjtung verdient.

Ueber ben innern, wiffenfhaftlihen Werth des Buches haben wir ung bei Gelegenbeit der fünften Ausgabe des⸗ felben im Jahrgang 1841 biefer Zeitſchrift näher ausge fproden. Indem wir uns hierauf einfad) beziehen, {εἰ εὖ uns geftattet zu wiederholen, was wir am Schluffe jener Beurtheilung ausgefprohen haben, taf fid bie Inftitutios nen Liebermanns Jenen beflens empfehlen, bie nad einer einfachen umb getreuen, aud) möglihft voligánbigen Dar» ſtellung der katholiſchen Glaubenslehren Verlangen tragen.

8.

T.

1. Sernhard Schels, Priefter der Didceſe Mündhen-Breifing, Die chrifikatpolifche fere in Srühpredigten auf alle Sonn» unb Feſttage eines dreifachen Kirchenijahrs. Erfter Yand. Schaffhauſen, ὅτ. Hurter’jche Buchhandlung. 1852, ©. 456. Pr. 1f. 48 f

455

680 Predigt · Literatur.

2. Predigten v. Aloys Nöggl, geweſ. inful. Abt des Pra⸗ monftratenfer-Stifts Wilten sc. Geſammelt und heraus gegeben von Alohs Lechthaler, Pfarrer zu Münfter. Erfter Band, mit bem Bildniſſe und einer kurzen Bios graphte be8 DVerfaffers. Pit bifchöfl. Approbation. Snnt. Prud, Verlag von Carl Rauchs fBudjfanblung. 1853. G. 455. Pr. 2f 24 ἔτ.

3. Seichtfaßliche Predigten v. Yincenz Ianfa, Pfarrer in Goͤs, Leobner Diöcefe.e 1. Band, Sonntagsprebigten. Zweite Auflage. ©. 433. II. Band, Fetertag&s und Gelegenheitspredigten. Zweite Auflage ©. 260. Pr. 8 fl.

4. Die Predigt in Bildern. Katholiſche ſymboliſche Kanzel reden für verfchtebene Feſte des Kirchenjahres. Von Anton

Dariſch, Weltpriefter. Bier Bändchen. Megendburg, Verlag v. ©. Sof. Manz, 1850— 1851. ©. 162. 146. 129. 146. Pr. 3fL 12. Neue Folge, erfteb und zweites Bändchen. Wien 1853. Verlag von Mayer und Comp. ©. 162. 168. Pr. je 42 fr.

5. Homilien über die Evangelien auf ble Sage des Germ tm fath. Kicchenjahre, von Pankraz Dinkel, erzbifchöfl. geiftlichem Nathe und Kath. Gtabtpfarrer in Crfangen. Erfter Band. Erlangen, Palm'ſche DVerlagshandlung. 1853. ©. 416. Pr. 2 .

6. flatfolifd)-bogmatifdye Predigten auf ale Sonn« und Feſttage des Kirchenjahrs von Dr. &. M. Burfd. Er ſtet Theil, vom erften Adventſonntag bis fünften Sonntag mad Oftern. Zweiter Thell, von Ehriftt Himmelfahrt bis vierundzwanzigften Sonntag nach Pfingften. Tübingen 1852. Verlag b. H. gaupp'[de Buchhandlung. (Laupp u. Giebel.) ©. 506. 478. Pr. 5fl. 24 Er.

MWuedigt-Literatur. 681

τ. Leidensbilder, vierzehn Vorträge über ble Leidensgeſchichte be8 Herrn, gehalten in ber Collegiat- und Stadtpfarr⸗ kirche zu St. Peter in Wien während ber often 1852, von fran; Seraph Hafel, Doctor ber Theologie x. Schaffhaufen, Verlag ber ὅτ. Hurterfhen Buchhandlung. 1853. ©. 272. Pr. 1fl. 36 fr.

8. Die Werfudung 3εῖι Chriſti. Faſtenpredigten v. P. Earl Stern, Capitularprieſter der Benedictiner⸗Abtel zu u. L ὅται bei den Scholten x. Mit Genehmigung des Hochw. Herrn Stiftsvorſtandes, wie auch des Hochw. Furſterzbiſchofl. Ordinariats. Auf Verlangen (!?). Der Ertrag iſt zum Beſten des Frauenwohlthatigkeitsvereins ‚In der Roffau beſtimmt. Wien 1852. In Commiſſion bei Kaulfug W., Prandel u. Comp. ©. 188.

9. Predigten über die Kirchengebote nebft einem Anhange von Predigten verfihtedenen Inhalte. Von Yicolaus Martini. Trier 1851. Verlag v. 8. A. Cal. ©. 188. Br. if. 45 fe.

10. Iefus kommt! oder Predigten und Anreden vor, bet und nad ber Communton, nebft vielen kurzen für bie facramentalifche und geiftliche Gommunion dienlichen Bes trachtungen. Aus neuern franzoſiſchen Schriften geſam⸗

. melt und Bearbeitet v. "1666 f. 3ung, Beichtvater am Klofter vom 5I. Grabe in Baden-Baden. Zweite, mit einem ftarfen Anhange vermebrte Auflage Mit erzbiſchofl. unb bifchöfl. Approbatton. Augsb. 1852. Verlag der Matth. Rieger ſchen Buchhandlung. ©. 234. Br. 1fl.

11. fran Iofeph Mofer’s weiland Dompredigers und pro» fefford zu Straßburg ſaͤmmtliche Kanzelreden. Heraus gegeben von Dr. Käß, Biſchof von Straßburg und

682 Vredigt Literatur.

Dr. Weis, Biſchof v. Speher. V. u. VI Band, ober Lu. 1 anb ber Glaufenüprebtgten. Zweite Auflage. Conſtanz, Verlag von W. Med. 1853. ©. 242 u. 254. Pr. 8 fl.

Wenn man nad Umfluß eines Jahres eine Heine Umfhau in der Predigtliteratur halten will, fo find der Producte fo viele, ba man in einer Anzeige, wie fle ber Raum diefer Zeitfrift erlaubt, unmoͤglich Alle berüde fihtigen fann. Ref. muß daher aud diefes Jahr Manches, was er gerne in ben Kreis feiner Beſprechung gezogen hätte, abſeits liegen laffen, und wählt deßhalb unter den homiletiſchen Erfheinungen, welde ihm in die Hand ges fommen find, diejenigen aus, bie ihm vor Andern eine SBe(predjung zu verdienen ſcheinen.

1) Schels fudit in einem dreijährigen Predigteyclus das ganze Gebiet der chriſtlichen Heilswahrheilen und des chriſtlichen Lebens in Ftühpredigten abzuhandeln. Er befolgt dabei bie Eintheilung des Katechismus von Deharpe, und weiſt je einem Kirchenjahre ein Haupiftüd zu.

Die Brage, ob εὖ gerathen fei, ohne Beſugnahme auf bie SBericope unb die eintreffende Firchlihe Feier, einen aufammenhängenden fpfematifd) geordneten Predigtftoff für ein ober mehrere Jahre auszuwählen, if hinſichtlich bet Predigten von Schels von untergeorbneter Bedeutung, ba er nicht Predigten für den Haupt» fonbern Neben- (Brüh) gottedbienft bieten will. Für ben Hauptgottesdienſt fönnten wir eine derartige Stoffauswahl und Ordnung nicht billigen. Ich erinnere nur an baé Inconveniente, wenn man, wie in blefen Frühprebigten gefhieht, an den Faſten⸗ fonntagen von ber Zeit unb Weiſe der Schöpfung, von

Vrcdigt · iteratut. 888

ben verſchiedenen Geſchoͤpfen, a8 Firmament, Erde, Paras dies, Sonne, Mond, Sterne u. f. m. oder am Pfingſtfeſte von ber bf. Dreieinigfeit predigen wollte. Anders verhält εὖ fid mit Predigten in einem 9tebengotteóbienfte, fei es in der Frühe ober dem Nachmittage. Da fid zu ſolchem Gottesvienfte vielfah Dienftboten und Leute, bie bem Hauptgottesvienfte anzumohnen gehindert find, einfinden, fo fónnen mit großem 9tugen Feine Predigten gehalten werden, die ben vorherrihenden Eharafter einer zuſammen⸗ hängenden Unterweifung in der chriftfatholifhen Religion haben. Hiedurh wird ber oft mangelhaften religiöfen Erkenntniß nachgeholfen, und werben die Leute durch regel⸗ mäßige Aufeinanderfolge der zu behandelnden Materien mehr angerogen, ba fie feine üde haben wollen.

Der Berf. ift. fid) diefer Aufgabe wohl bewußt ges blieben. Er fagt felber von feiner Predigtweife ©. 7: „Was die Art und Weife betrifft, wie id) zu prebigen pflege, fo habt ihr biefelbe fhon genugfam fennen gelernt, naͤmlich gut deutſch; b. f. redlich und aufrichtig, flar unb ohne Umfchweife, offenherzig unb zutraulih, gerecht unb wie εὖ if, fo gut ich εὖ fann und vor Gott erfenne. Wem meine Rede zu niedrig Flingen will, ber wiffe, daß das Wort Gottes ohnehin [don bod genug ift unb ſchwerer verftanben wird, als man glaubt. Wem ἰῷ zu einfältig und ohne redneriſchen Schmud (prede, der mag nur meine Worte veiflich erwägen und felber fie fo ſchoͤn ausmalen, wie er will, Wem id) zu (darf prebige, ber wiffe, daß ἰῷ nicht wider ihn fondern wider bie Lafter zu Felde ziehe, nicht feine SBerfon fonbern bie Sünde geifle. Habt alfo Geduld mit mir, Gott hat fle mit eud aud."

Der erfte Band, ber vor und liegt, verbreitet fid)

63 Brebigt-Eiteratur.

über das erfle Hauptftüd des Katechismus, vie Wahr⸗ heiten, bie man glauben joll. Sn 65 Predigten die vom Reujahrstage an auf tie Eonn- unb Feftage vertheilt find, geht der Verf. bie weientlihen Wahrheiten des Glaubens fo grünblid) und vollüünbig durch, taf in bigfer Beziehung nicht viel zu wünfchen übrig bleibt. Bald herrſcht der unterweifende Ton vor, und wird in der Weile des fatechetiihen Verfahrens rubricirt und erflärt (cf. ©. 10. 13. 45. 174. 237. 404. u. v. a. O.), bald herriht der homiletiſche Ton vor, ber oft redneriſch febr gehoben ift, in &olge beffen bie Predigten viele Stellen und Aus: führungen enthalten, bie an xhetorifcher Eindringlichkeit feiner Predigt nachftehen.

Ref. anerfennt gerne, daß ihm der Verf. in biefer Behandlungsmweife glüdlid) zu fein ſcheint. Er bewegt fih nie zu lange in trodenen abftracten Ufterweifungen, fondern bringt bie vorgetragenen Wahrheiten immer in Bezug zu den Lebenserſcheinungen, und greift oft recht anſchaulich in die concreten Geftaltungen des Lebens ein. Er dringt dabei mitunter fo lebhait auf den Zuhörer ein, daß bicjer bewegt werden muß 3. B. €. 157. 191. 406. 451; vidt Gmpringlichfeit wird faft eine zu ftarfe Zudringlichkeit €. 314: „O Gott, wie lange werden Viele darin (im Begfeuer) bleiben müffen! Alle Tage fo viele unüge Worte, fo viele Scherzluͤgen, fo viele Ausbrüce des Zorns und der Ungeduld! Probirt es einmal, und haltet einen Finger nur eine balbe Viertelftunde [ang über ein Kerzenlidt! Würdet ibr nicht aljegleib laut aufihreien? Was muß τ exit fein, einen ganzen Sag, ein Jahr, hundert Jahre dieſen Schmerz auebalten zu müflen!“

Ref bezeichnet dieſe Frühpredigten fowohl nad

Berdigt-fiteratur, 685

ihrem Inhalte, der vein kirchlich unb wahrhaft religida ift, als aud) nad) ihrer Form, bie für ben vorgejegten Zweck paſſend gewaͤlt iſt, ohne Anſtand als im Ganzen wohl gelungen.

Er erlaubt ſich aber auch um ſo unverholener auf dasjenige hinzuweiſen, was ihm mangelhaft und verfehlt ſcheint. Die Predigt nr. 3 „es ift ein Gott," hätte et» fpart ober füglid mit nr. 4 in Eine zufammengezogen werben fónnen. Die Predigt über bie Abgötterei &. 31 ift verfehlt; wozu in einer Frühpredigt ober aud) in einer Predigt überhaupt all bie Namen ber heidnifchen Gott» heiten bei den Deutichen, Griechen und Römern! Die fünf Predigten über die δι. Dreifaltigkeit v. €. 192—226 find fo fublim, daß man fid von benfelben unmóglid) eine nußbringende Einwirfung verſprechen fan. Ich will damit nicht fagen, daß die Sprache des Verfafiers zu bod) unb unberftánblid) fei, fondern der Stoff an fid) ift e6. Bes aüglid der Darftellung hat er geleiftet, a8 bei einem ſolchen toffe zu leiften möglich if. Aber darin hat er offenbar einen Mißgriff gemacht, daß er glaubte, in feinen Frühpredigten die innern geheimnißvolen Bezüge und Berhältniße ber drei göttlihen Perfonen zu einander weitläufig homiletifch behandeln zu müffen. Für das religiöfe Leben hat εὖ feine Folgen, die Vernunft aber wird nicht befriedigt, fondern bódften$ Grübeleien der Weg gebahnt. Stellen wie ©. 208 und €. 214 find jebod) nibt blod geeignet Grübe— Ieien, fonbern aud? Anftoß zu erregen. Der Qomilet wie Katechet wird immer gut thun, wenn er bei der hi. Dreis einigfeit bie opera ad intra nad) der kirchlichen Definition furz darlegt, unb fid) vorzugsweiſe an bie opera ad extra pält. .

684 Vredigt · Literatur.

über das erſte Φαιριβ des Katechismus, bie Wahr⸗ heiten, die man glauben ſoll. In 65 Predigten die vom Neujahrstage an auf bie Sonn« unb δεβίαρε vertheilt find, geht der Verf. die wefentlihen Wahrheiten des Glaubens fo gründlich unb vollſtaͤndig dur, daß in bigfer Beziehung nicht viel zu wünfchen übrig bleibt. Bald herrſcht der unterweifende Ton vor, und wird in der Weife des katechetiſchen Verfahrens rubricirt und erklärt (of. ©. 10. 13. 45. 174. 237. 404. u. v. a. O.), bald herrſcht der homiletiihe Ton vor, ber oft redneriſch febr gehoben ift, in Folge beffen bie Predigten viele Stellen und Aus führungen enthalten, bie am xhetorifher Eindringlichkeit feiner Predigt nachſtehen.

Ref. anerkennt gerne, daß ihm der Verf. in biefer Behandlungsmeife glüdlid) zu fein fheint. Er bewegt fid) nie zu lange in trodenen abftracten Uflterweifungen, fondern bringt bie vorgetragenen Wahrheiten immer in Bezug zu den Lebenseribeinungen, und greift oft recht anidjaulid) in bie concreten Geſtaltungen des Lebens ein. Er dringt dabei mitunter fo lebhait auf den Zuhörer ein, daß Diefer bewegt werben muß 4. B. €. 157. 191. 406. 451; diefe Ginbringlid)feit wird faft eine zu ftarfe Zudringlichkeit ©. 314: „O Gott, wie lange werden Viele darin (im Begfeuer) bleiben müffen! Ale Tage fo viele unüge Worte, fo viele Scherzlügen, fo viele Ausbrüce des Zorns und der Ungeduld! Probirt es einmal, und haltet einen ginger nur eine halbe Viertelftunde lang über ein Kerzenlicht! Wuͤrdet ihr nicht alfogleih laut aufihreien? Was muß εὖ erft fein, einen ganzen Tag, ein Jahr, hundert Sabre diefen Schmerz aushalten zu müffen!"

Ref. bezeichnet dieſe Brühpredigten fowohl nad

Brebigt-fiteratur, 685

ihrem Inhalte, der rein kirchlich unb wahrhaft religiös ift, als aud) nad ihrer Borm, bie für ben vorgefegten Zwed paſſend gewält ift, ohne Anftand alá im Ganzen wohl gelungen.

Er erlaubt fij aber aud um fo unverholener auf dasjenige hinzuweiſen, was ihm mangelhaft und verfehlt ſcheint. Die Predigt nr. 3 „es ift ein Gott," hätte ers fpart ober füglih mit nr. 4 in Eine zufammengezogen werden fönnen. Die Predigt über die Abgötterei S. 31 ift verfehlt; wozu in einer Frühpredigt ober aud) in einer Predigt Überhaupt all die Namen der heidniſchen Gott» heiten bei ben Deutfchen, Griechen und Römern! Die fünf Predigten über die Hl. Dreifaltigfeit v. ©. 192—226 find fo fublim, daß man fid) von benfelben unmóglid) eine nugbringenbe Ginmirfung verípreden fann. Ich will damit nicht fagen, bag die Sprache des Verfaſſers zu bod) unb unverftändlich fei, fondern der Stoff an fid) ift ed. Bes zuͤglich der Darftellung hat er geleiftet, was bei einem ſolchen Stoffe zu leiften máglid) if. Aber darin hat er offenbar einen Mißgriff gemadbt, daß er glaubte, in feinen Frühprerigten ᾿ die innern geheimnißvollen Bezüge und Verhältniße der drei göttlihen Perfonen zu einander weitläufig homiletiſch behandeln zu müffen. Für das religiöfe Leben hat εὖ feine Folgen, die Vernunft aber wird nicht befriedigt, fondern hoͤchſtens Grübeleien der Weg gebahnt. Stellen wie ©. 208 und ©. 214 find jebod) nicht blos geeignet Grübe» leien, fonbern aud? Anftoß zu erregen. Der Homilet wie Katechet wird immer gut thun, wenn et bei ber bl. Drei einigfeit bie opera ad intra nad) der firdbliden Definition fur darlegt, unb fid) vorzugsweife an bie opera ad extra hätt,

686 Vredigt · Literatur.

Das Streben des Verfaſſers, feiner Darſtellung durch Einmifhung von Gleichniſſen und Erzählungen Anſchau—⸗ lichkeit und Belebtheit zu geben, ift febr gu [oben unb viels fad) gelungen. Indeflen wollte e8 den Referenten body bebünfen, εὖ hätte weniger oft auf Deibnifde Geſchichten und Perfonen zurüdgegriffen werben follen, als wirklich geſchehen if. Epicur, Epicuräcr, Heliogabel und A. find bod) ben gewöhnlichen Gläubigen ganz unbefannte Namen.

Auch einige- unpaffenre Ausführungen find dem Ref. eufgefofen; ferner find Austrüde wie: „es fanu fein Menſch fid) felbft gebaͤren“ S. 53, „EStelldichein“ €. 315 u. a. für bie Kanzel nicht vorfihtig genug gewaͤhlt. Woher hat der VBerfafler die fonderbare Rechnung, bof Gott die Welt vor 5800 I. im Monat März erihaffen habe? ©. 61. Woher fo genaue Auskunft über die Erzeugung, Tätigkeit und das Verſchwinden des Antichriſts ? S. 338 und 341. Woher weiß er fo gewiß, daß bie 12 Apofel in der von ihm ©. 368 befchriebenen Weife bie Glaubens artifel verfaßt und zufammengeftellt haben? In derartigen Dingen follte man bod) wohl weniger fategorijdje Ber hauptungen aufftellen, um nicht abfurd ju werben.

Solche und ähnliche Darftclungen riechen nad) einem etwas Altern Previgtgefhmade, und es dürfte bie Ber muthung nicht unbegründet fein, Scheld habe nad) einem Altern Werfe gearbeitet, ohne e& jebod) dabei an Selbſtaͤndig⸗ feit mangeln zu laſſen. Seine Arbeit bietet viel Körniges und Solides nicht blos für Stebenprebigten fondern aud) für Hauptpredigten, τοῖς fehen daher ber Fortfegung mit Ber gnügen entgegen.

2) 8t óggl beffeibete beinahe breifig Jahre (v. 1822 —1851) das wichtige Amt eines infulirten Abtes des

Predigt Literatur. es?

fhönen Prämonftratenferftifts Wilten bei Insbrud. Bor der Erhebung zu diefer Würde functionirte er mehrere Jahre als Pfarrer in zum Klofter gehörigen Gemeinden. Aus diefer Zeit indbefonbere, aber aud) aus ber fpätern Zeit, wo er troß der vielen Geſchaͤfte als Abt, Gubernial⸗ taf u. f. τὸ. nicht felten als Gaſtprediger eingeladen wurde, ift ein großer Vorrath von Predigten vorhanden, welche fein Neffe 911056 Lechthaler herauszugeben begonnen fat. Der erfte bisher erfhienene Band enthält 46 Predigten auf Feſte des Herrn und Maria’s. Unter ben lebtern find nicht blos die gewoͤhnlichen Marienfefte, fon dern aud) bie weniger gefeierten wie Mariä Namengfeft, Heimſuchung. Marid-Ehmerzen u. 9. bedacht.

In allen Predigten herrſcht ein reiner hriftfatholifcher Gif, ber ihnen einen mohlthuenden foliden Charakter verleiht. Sie zeichnen fid) gerade nicht burd) befondere Eigenthümlihfeit aus, indefien haben fle bod) ποώ fo viele Gebanfen, glüdlide Auffaffungen einzelner Punkte und tteffenbe Ausführungen einiger Wahrheiten, daß fie die Mühe des Lefens wohl lohnen. Man ftößt nicht felten auf finnige Gebanfen, auf gut gelungene concret anſchauliche und gemüthlihe Stellen.

Ref. fónnte zwar nicht fagen, daß ihm alle Predigten ganz gefallen hätten, er wüßte an der Einen und Andern etwas auszuftellen, bod) zweifelt er nicht, daß ber größere Theil derfelben bei allen billigen Beurtheilern Beifall finden wird. Es if befonberd die ungefuchte und natürliche Conception und die einfache von allem Schwulſte und aller Ziererei freie Diction, welche diefen Predigten fihers Tid) Freunde verihaffen werden.

Wenn man inbeffen die Predigten mit einiger Aufe

688 PrebigtsBiteratur,

merkſamkeit durchlieſt, fo kann nicht entgehen, daß ein merklicher Unterſchied zwiſchen den Predigten ber frühen und ber fpätern Periode obwaltet. Die Predigten, welde Röggl ale Abt hielt, find unſchwer fenntlid) gegenüber denen bie er als Pfarrer gehalten hat. In den erſtern findet man eine reihere Zufammenfügung von Gebanfen, abet es fehlt oft bie Vermittlung und eine fid ftufenmáfig fortbewegende Entwidlung der Gedanken, bie auf ein beftimmtes ſicheres Ziel lo8gienge. Die Darftellung vers läuft fi daher weniger in redneriſchen Perioden, als in einem einfachen oft faft fententiöfen Style. Auch liebt der Verf. hier viel Antithefen, fo daß fid. mitunter eine ganze Ausführung burd) lauter Antithefen hindurch bewegt. made in diefer Beziehung auf die erfte Predigt der Sammlung wie auf €. 189 und 359 aufmerfiam.

Die frühern Predigten dagegen verlaufen in einer ruhigen wohlberechneten unb gelungenen Entwidlung der Gedanken, in einer einfachen fließenven redneriſch gehobenen Gprade; id verweife auf bie Predigten ©. 175, 186 und 347. Bei den Predigten, die er vor einer von ihm paftorirten Pfarrgemeinde hielt, ſcheint er in ben Auss führungen viel fiberer zu fein, und das Ziel, das er fid bei ber einzelnen Predigt ftedte, Flarer und beftimmter gefaßt zu haben, als es fpäter bei Gaſtpredigten ver Ball war. Auch mag er als Abt weniger Zeit zu einer ges "nauen Ausarbeitung gefunden haben.

916 weniger glüdlide Partition heben wir bie ©. 367 hervor: „laflet uns von Maria lernen 1) was wir fürdyten unb 2) was wir nicht fürchten follen", Theoretiſch find derartige einander ausſchließende Theilungsglieder nicht zuläffig, ba fle ein einheitliches Thema bae fle ab»

Bredigt · Literatut. 089

fbeifen follen, nicht ermöglichen; zu practiſchen Ausfühs rungen ermeifen fie fid) aber hie unb ba als jmedmáfig und fónnen beffalb nicht ſchlechthin verworfen werben.

Ungern vermißt man ein Regifter der in bem etften Bande befindlichen Predigten; einem etwa weiter erſchei⸗ nenden Bande follte ein foldjed von bem Herausgeber noth⸗ wendig beigefügt werden.

Es waͤre aud) wuͤnſchenswerth, wenn der Herausgeber die allegirten Stellen ber hl. Schrift mit einer guten Ueberfegung collationiren und den Drt, wo fie zu finden . find, angeben würde.

Drud und Papier find recht (djón, und das beigegebene SBilbnig des Autors fehr gut ausgeführt.

3) In Janfa begegnen wir einem Prediger von eigenthümlihem Schlage. Er hat die ziemlich) allgemein herrſchende Eonftruction der Predigt Cim engern Sinne), bei ber man es auf ein einheitliches Thema und eine daraus abgeleitete regelrechte Einteilung abftebt, verfaffen und den Weg der Methode betreten, die wir von den alten Homileten theilweife befolgt feben. Es ift weder bie Homilie der niebern nod höhern Art nach bem ftrengen Begriffe, ben bie neuere Homiletif bavor aufftellt; es ift eine freie Weife der Verfündigung des göttlichen Wortes, die es nicht auf Vollftändigfeit der Durchführung eines Gegenſtandes und nicht auf Ebenmaß der einzelnen Glieder abfieht, fondern eine religiófe Wahrheit ober Thatſache nur nad der Seite hin unb fo ausführt, wie es ber Augenblid gerade zu fordern ſcheint. Wir finden daher in biefen religiöfen Vorträgen felten ein einheitliches Thema, fondern zwei ober drei ober aud) mehr SBuncte aufgegriffen und befprodjen; und wenn ein einheitliches Thema vor⸗

60 Brebigtrkiteratun.

auégeftellt ift, fo bindet fid ber Verfaffer nicht genau an eine Eintheilung. Die zu befpredenben Puncte, wenn gleih unter fid) oft nicht zufammenhängend, find bod) nicht aufállig zufammengerafft, fondern der Pericope ober ber Beftzeit ober ber zutreffenden Beier enthoben.

Diefe Methode gibt dem Homileten einen großen Spielraum, je nad) Belieben und Geſchick rein practifhe Ausführungen, Erflärungen, Beifpiele und Gleichniſſe aufs zunehmen, bie in ben Rahmen einer genauen Partition

night leicht unterzubringen wären. Der Verſaſſer fat hievon aud) fo reichlichen Gebtaud) gemacht, daß oft unter den einzelnen Theilen nicht leicht ein Zufammenhang zu erfennen ift, unb mande Vorträge fo viele ober fo weit ausgeführte Exempel enthalten, daß fle faft ben Charakter von Crempelprebigten befommen.

Diefe Predigtweife hat um fo mehr eine Berechtigung, als fie im Alterthume nicht obne Vorgänge ift; man vers gleiche bie Homilien des Chyrfoftomus, des Cäfarius von Arles u. 9L, man wird in Manchen eine ähnliche Anlage finden. Die neuere Homiletif hat fid) vielfach allzuſehr abgemüht, den Stempel eines logifh moblgeorbneten, ae «urat abgetheilten und dabei einheitlichen Auffages aufs aubrüden. So fam εὖ, baf viele Prediger die Hauptforge darauf wandten, ein etwas neues und frappantes Thema ju finden, und baffelbe fofort in einer zierlichen Partition auseinanderzulegen. Hatte man das Thema und bie Partition, fo war man um die Ausfüllung wenig mehr befümmert unb verlegen. In manden Materien ift εὖ gut, wenn man fij burd) regelrechte Partitionen bindet, aber immer unb ausſchließlich für die Predigt einen Haupt fag (Thema) mit Partition zu fuchen, führt leicht zu einem

Vrrdigt-Piteratug. 991

einfeitigen Mechanismus und wird ein bequemer Ded⸗ mantel der Sterilität. Nichts davon zu fagen, ba bei genauer Unterfuhung ein fehr großer Theil ber Partitionen ben firengen Anforderungen der Rhetorik, bie in bem genannten Balle in der Predigt aud) maßgebend find, nicht entſpricht.

Ref. hat daher ſchon aus dem Grunde die Predigten Janſa's mit Wohlgefallen geleſen, weil ſich derſelbe in der freien homiletiſchen Methode verſucht hat. Die Lectüre fiel in mander Beziehung zu feiner Befriedigung aus, da Janfa feine Aufgabe wenigſtens theilweiſe gut gelöft hat.

Bon den zwei vorliegenden Bänden enthält ber er ſte Conntagé^, der zweite Feiertags- und Gelegenheits- prebigten. Wenn bie beſprochene Prebigtmanier für bie Sonntage nit nur nicht unbraudbar fondern fogar empfehlend ift, fo möchte dieſes bod) bei größern Feſtlich⸗ leiten weniger ber Ball fein. Es haben aud) bem Ref. bie Feſttagspredigten im Ganzen weniger gefallen ald die Gonntagéprebigten. Die großen Geheimniffe, welde an ben Feſten meiftend den Gegenftanb der Predigt bilden, lieben mehr einen feierlichen Charakter unb einen georbneten. Gang der Rebe.

Der größte Theil der Predigten Janfa’s zeichnet fid) aber aus durch einfache practifche Haltung, burd) Kräitigfeit und Lebendigfeit, durch Anſchaulichkeit und Gemuͤthlichkeit. Der Prediger ſteht mit feinen Zuhörern auf einem ganz vet» trauten Fuße, er kennt fie, ihr Leben und ihre Verhältniffe ganz genau; und in biefeó Leben und in biefe Verhältniffe greift er immer fed hinein, unb langt etwas heraus, um εὖ feinen Zuhörern im Lichte des Evangeliums vor Augen zu falten. Diefer practiſche Sinn macht, daß er immer unmittelbar.

692 Bredigt · Literatur.

ober wenigſtens auf dem naͤchſten Wege auf fein Ziel los⸗ geht, undefümmert barum, ob die Ausführung einen gere⸗ gelten Berlauf nehme ober. nicht, werin er nur feine Abſicht erreicht, b. b. feinen Zuhörern diejenigen Puncte, über die gu reden er für gut fand, in einer Weife ans Herz gelegt hat, "daß er überzeugt fein fann, feine Worte feien eingedrungen.

Er bedient fid) babet in ber Regel nicht langer Aus⸗ führungen, fondern argumentirt auf dem gerabeften. Wege ad hominem (cf. ®b. L p. 5. 19. 372. u. ». a.), ober gibt Gleichniße oder Erzählungen, die bei dem größten Theile feiner Zuhörer viel zuverläßiger wirken, ats bie grünblidften Beweisführungen.

Die Darftellung ift mit wenigen Ausnahmen, wo fid der SBerfaffer in eine weniger paffenbe redneriſche Aus⸗ malung verliert (3. B. Vd. I. p. 3. I. ©. 229. 246. u. a.), einfad) und nüchtern, dabei aber recht concret. unb anſchau⸗ lid. Fuͤr letzteres diene folgendes Beifpiel als Beleg: „Bei dem Tode Jefu, da der Vorhang im Tempel zerriß, fel e& oben gerauſcht und mit vielen Stimmen gerufen haben: laffet uns von bannen ziehen! Das feien die Engel Gottes gemoefen, die fonft im bi. Tempel ihren Wohnfig hatten, nun aber denfelben für immer verließen. Von jet an galt er in den Augen Gottes nicht mehr für einen Tempel; mit dem Riß des Vorhangs war er ent weihtz er war nur nod) ein großes Gebäude von Stein. €o geht es aud, wenn die Schamhaftigkeit zerriſſen wird, und bie Tugend flirbt burd) den Greuel der Verwuͤſtung, durch Unzucht. Es ruft inwendig mit Geifterflimme: laffet ung von bannen ziehen! Es zieht von bannen bie Unſchuld, der Briede des Herzens, die Freudigfeit zum Gebete, das Vertrauen zu Bott und alle holden Engel. Du- warft

-Bredigt-Literatur. 693

ein Tempel fodigemeibt in ber Taufe, hochgeweiht durch das hi. Abendmahl; jegt haft Du diefen heiligen Tempel entweiht und gefhändet, freder und ärger, als je eine Chriſtenkirche verunehrt worden iſt. Dafür ift Dein Leib jet nur nod) ein Gemenge von Fleiſch und Bein, in welchem eine wüßte unreine Seele haufet. Das wird dir vergolten werden.“ Bd. I. S. 120.

Indeſſen wäre ber Kritifer nidt in Verlegenheit, manche Ausftellungen ſowohl hinfichtlich der Anlage einzelner Predigten im Ganzen als auch hinſichtlich der Ausführung. im Einzelnen zu machen. Nicht felten hat fld ber Vers faffer bod) zu febr gehen faffen, und Zufammenhang und Ordnung in der Anlage zu wenig bedacht. So ift 3. 8. in der Predigt auf das Schugengelfeft 8b. IL ©. 136 fo weitläufig von dem Gbuge ber Engel im leiblichen Gefahren die Rede, baf für bie Ausführung ihres Schutzes in geifigen Dingen faft fein Raum mehr bleibt. Des⸗ leihen hat ber SBerfaffer öfters zu viele Beifpiele und Erzählungen in Eine Predigt aufgenommen, z. B. Bd. 1. ©. 74. Bd. I. ©. 1 und fonft oft. Auch hier gift das Eprühwort: omne nimium vertitur in vitium. Bei ben vielen Beifpielen und Erzählungen fonnte es nicht fehlen, daß mande, ohne baf man einen firengen Maßſtab anlegt, ungeeignet (deinen. Ref. wenigftens würde fif fdeuen, viele von den gebrauchten Erempeln, oft ganz unverbürgten Geſchichten von Heiligen und profanen Geſchichtchen auf bie Kanzel zu bringen, 3.2. Bb. I. Ὁ. 19. 20. 121. Bo. T. €. 74 unb 75. 164. Auch fonft fehlt es nicht an ungeeigneten Stellen und Ausbrüden. 3. 9. 8v. 1. 6. 139 ift von Königinnen der Unterhaltung unb ben Höllen- fünften der Kotterie (vor einer Landgemeindel?) bie Rebe,

μοί, Duartalíárift. 4868. IV. Heft. 46

694 Vredigi · Lite ratar.

©, 134 werden reihe Badegaͤſte ein vornehmes Ungeziefer genannt, baé fid) beftialifh wohl fein laffe. Solche Ber zeichnungen gehen im Kalender für Zeit und Ewigkeit wohl an, nicht aber in der Predigt. Ueberhaupt hat I. den genannten Kalender, wie er foíde8 aud) in der Vorrede fagt, vielfältig benügt, nur war er nicht wählerifh genug für die Kanzel. Gerade die zu vielen Grempel und Ger ſchichtchen, bie am Ende bod) die Zuhörer anwidern müffen, bie oft ungefhidte Auswahl derfelben, und enblid) bie nicht felten vorfommenden für bie Kanzel unpaffenben Aus drüde und Paſſagen find εὖ, bie bem Werthe der in Rebe ftehenden Predigten einen namhaften Eintrag tfun.

Wenn die Kunft zu individualifiren unb zu fpecialifiten jur Belebung des Predigtvortrags viel beiträgt, fo ift es bod) ju weit gegangen, wenn man fid) fo ins Detail ein läßt, wie Bd. L S. 360 bei der Thierquäferei und Bd. Il. €. 148 bei Beſchreibung ber Sophienlirche in Conſtanti⸗ nopel geſchehen if. Die vielfad) wiberfebrenbe Beißelung der veligiöfen Leichtfertigfeit der Vornehmen mag aud vor einer Landgemeinde gerechtfertigt fein, wenn man Grund hat zu fürchten, das Beiſpiel wirke anftedenb. Invefien fheint.der Verfaffer doch biefen Punct zu oft berührt zu haben.

Ref. Fann bie Predigten Janſa's in manden eim zelnen Puncten der Ausführung nicht billigen, deſſen⸗ ungeachtet wuͤnſcht er fie doch in bie Hände recht vieler ‚Prediger, damit fie an feinem Beifpiele fehen, wie man fib einer nur zu lange herrſchenden Feſſel, bie man aus der weltlichen Rhetorik in bie Homiletif Binübergetragen bat, entſchlagen, unb in freier Weife al Homilet vor feiner Gemeinde auftreten könne. (6. ift. freilich nicht au νεῖν

Vredigt · Literatur. 695

fennen, baß diefe Predigimethode für Manden Gefahren haben fann, in Einfeitigfeit und Plattheit zu verfallen; aber gerade deßhalb muß man biefe Methode ftubiren, um dieſen Gefabren zu entrinnen.

4) „Bredigten in Bildern", wie fie Jariſch geliefert, find etwas Neues. Um biefelben richtig zu bes urtheilen muß man zweierlei unterfheiden, erftens bie Grunbíáte und Anfihten, von denen er bei der Geftaltung feiner Predigten ausgegangen ift, und zweitens bie Art und Weife, wie ibm die Anwentung biefer Grundfäge bei der Ausführung ber einzelnen Predigten gelungen ift.

Hinfihtli des erften Bunctes kann man vorab ganz damit einverftanden fein, daß wenn gleich ber Inhalt ber chriſtkatholiſchen Predigt immer derfelbe bleibt, bie form derfelben bod) eine mannigfaltige fein fónne. Unter biefen formen kann man der bilbliden oder ſymboliſchen Darftelungsweife gewiß das Recht in ber chriftlichen Predigt nicht ftreitig machen. Volks prediger in ftrengem Sinn haben fid) derfelben immer mit Vorliebe bedient. Es ift aud) natürlich; das Volf und zwar nicht blos das ungebildete und ungefdulte, fondern aud) das wohlgefchulte ift ſehr wenig an ein abftractes Denken gewohnt, und thut barum aud hart, einer Predigt die fih nicht in einer etwas grifflihen und anſchaulichen Darftellungsweife bes wegt, im Gebüdtniffe zu behalten ober berfelben aud) nur mit Sufmerffamfeit und Verftändniß zu folgen. Da- gegen verfteht und behält es einen Vortrag viel befier, τοῦ 3. Ὁ. die Tugenden und Lafter plaftifche Bezeichnungen

: gefunden haben, wo überhaupt alle blos abfiracten Aus- brüde in lebendige und anfhauliche umgefegt find. Die zwei größten Prediger des Mittelalters haben fid) biefer

46*

696 Vredigt · Literatur.

ſymboliſchen ober bildlichen Predigweiſe bedient, naͤmlich: Berthold von Regensburg und Geiler von Kaifersberg. Wenn 3. 9. Berthold von Regensburg von bet Ehe (prit, fo verfährt er fo: zur Ehe find zwei Fittiche nöthig, der Eine, um recht unb reblió zur Ehe zu kommen, ber Andere, um recht in der Ehe zu eben; jeber diefer Fittihe hat fünf Federn. Mit jeder diefer Federn bezeichnet er fofort eine igenfdjaft, bie zur Führung ber Ehe nothwendig ift. Die Sünden, mit denen bie Leute perfudit werben, nennt er Sunfer des Teufels, bie in bie Welt ausreiten. Bekannt ift, wie Geiler von K. oft unter etwas burlesfen Namen die ernfteften Wahrheiten an ben Mann bringt, 3. B. das Rarrenfchiff, der Haa sim Pfeffer, die Spinnerin u. A. „Die fieben Hauptfünden, bie da bebeutet find bei ben fieben geiftlihen Schwertern, mit denen der böfe Feind, der Teufel die Seelen ber Menſchen ſchlaͤgt, verwundet und tübtet, wie man ihm burd) Gottes Wort Widerftand thun und beflegen foll; dabei aud) wie biefe fieben Schwerter ber Lafter bedeckt find und verborgen unter bie fieben Scheiden b. i. unter bie Geftalten der guten Tugenden“ ; fo lautet bie Ueberſchrift zu einer Reihe von Predigten Geiler's über bie fieben Hauptfünden und Haupttugenden, und das Bild ift durchgeführt bis in bie fleinften Theile der einzelnen Predigten. Wir fónnen und jebod mit der Schilderung und Charakteriſirung dieſer altdeutiben Predigtweife nicht länger befaffen, und. müffen zum Lefen biefer Predigten felber einladen; fie werden gewiß Keinen ohne großen Genuß laffen. Die Predigten des Bruders Berthold find purd) bie neu veranftaltete Ausgabe !) leicht zugänglich geworden, was fte bisher nicht waren.

1) Seine Spreblgten find erſchienen bei ὅτ, Hurter in Schaffhauſen, 1850, in 2 Bänden; herausgegeben v. Göbel.

Prrbigt-iteratur. 697

Wir zweifeln nicht, daß gerade biefe eigenthümliche bildliche Sprachweiſe die genannten zwei Prediger zu fo beliebten Bolfspredigern gemacht hat. Das Volk ift. feinem Weſen nad) das gleiche geblieben, unb es wird beffalb auch jebt ein Prediger, beffen Darftellung plaſtiſch concret ig, bei bemfefben einen leichten Eingang finden. Dabei ift aber wohl zu beachten, baf das Vol durch einen gemiffen Grad von Berbildung jene Unbefangenheit verloren hat, bie e& zur Zeit Berthold's und Geiler’s hatte, und deß— halb eine große SBorfidjt im Gebrauche der Bilder anzus wenden ift, wenn man nicht ind SBurfedfe und Lächerliche fallen will, was ber Kanzel unter feinen Umftänden ans ſteht. Ein Prediger der Ichtzeit wird daher biefe zwei großen alten Prediger nie förmlich copiren bürfem. Es ift bie gegenwärtige Anfhauungsweife des Volkes wohl in Ans flag zu bringen, wenn man fid) der fraglichen Predigt weife bedienen will; und gerade das ift es, was unferes Gradtené die bilplihe Predigtweife ungemein erfchwert, und eine duferft vorfihtige Anwendung raͤthlich macht. ^

Indem Stef. der bilblidjen Predigtweife an fid) volle Berechtigung zuerkennt, gibt er zugleich auch gerne zu, daß Jariſch durch feine Arbeiten fid) fd)ügbare SSerbienfte um diefelbe erworben habe. Die bilbliden Partitionen find vielfach gut und treffend, bie Ausführung reichhaltig em Gedanken und Wendungen, ber ganze Eharalter der Predigten ernft und eindringlich.

Dagegen hat den Ref. im Einzelnen Vieles nicht bes friebigt. Einmal find die Bilder unb concreten Bezeich⸗ nungen, melde an die Cpige der einzelnen Theile geftellt wurden, bei der Ausführung nicht ftreng feftgehalten. Denn Bhrafen wie: „die ſtechende Hige der SSerfudungen, Sonnens

698 Prebigt- Literatut.

brand des Kummers, Regenſchauer ber Trübfal* etc. {1 €. 21 cf. €. 47. 114. u. v. a.) fönnen nicht charakteriſtiſche Eigenſchaften von Predigten in Bildern fein, fondern find unter allen Umftänden Adgefhmadtheiten.

Ausmalungen wie: „Habt ihr ſchon gezählt des Winters &dnecfloden, bie er auf die Erde fireut? Kennt ihr bie Zahl ber Blätter, bie ber Qerbft von unjem Bäumen ſchuͤttelt? Könnt ihr meflen der Donnerwolte Tropfen? Seht fo groß if der Leiden Zahl, ber Feinde Schaar, des Glenté Heer. Fuͤrwahr ein Thal der Zähren ift die Erde τοῦ ihrer Paradiefesauen und Brühlingshimmel, iro ihrem Goldglanz unb Freudentaumel 1. Heft ©. 21. 7. €. 51. Hıfı IV. €. 80. 87. find durchaus nicht geeignet, den Beruf des Verfaſſers zu einem Bolfsprediger in Bildern in ein günftige& Licht zu ftellen.

Die Predigten find bei vielem Guten und Leſens⸗ werthen fo angefüllt mit fentimental widerwaͤrtigen Bes ſchreibungen 3. B. Heft. 1. ©. 48. VL. €. 79, und mit Stellen, deren Zufammenfegung voller Ziererei und Un natur ift, daß man fid) fragen muß, was hat der Prediger mit biefen Stellen gewollt ? Er wollte einen Effect erfünfteln, muß man antworten unb weiter nidté. Wozu dann weiter flat einer ruhigen vernünftigen Gedankenentwicklung bie in jeder Predigt wiederkehrenden draſtiſchen Apoftrophen. Stef. hat fid) beim Lefen derfelben fehr übel angefproden gefühlt und fann nidt glauben, daß εὖ bei ben Zuhörern viel beffer ergehe. Wie die Ausführungen ber Predigten in ber Regel viel zu gefünftelt und rhetoriſch manieritt find, fo leiden aud) die Eingänge faft durchgehende an als zu großer Ueberſchwenglichkeit.

Unpaſſend erſchien bem Ref. auch bie Bezeichnung des

Slr&bigtgirtatut, 609

Beichtſtuhles als Lazareth 1. S. 112; aud) madit die Zur fammenftellung der verſchiedenen Stühle in der Kirche in folgender Weife: Predigtſtuhl, Beichtſtuhl, Betſtuhl unb Stuhl Petri als Predigteintheilung II. ©. 1. wegen ber Amphibolie feinen. guten Eindruck.

‚Ref. anerfennt gerne das aufrichtige Streben des ÜBerfafferé, eine allerdings volfsthümliche Predigtweife zur Geltung zu bringen und läßt ihm das SBerbienft unanger taftet, bei ber Neuheit der Sache Anerkennenswerthes geleiftet zu haben. Aber für bie Bortfegung, bie der Bers fafler veriproden und bereits begonnen hat, möchte er ihm empfehlen, fid) einer weit grófern Natürlickeit und Eins fachheit, bie aud) mit zu einem volfsthümlichen Eharafter einer Predigt gehören, zu befleißen. Hiezu möchte das Studium der Predigten des Berthold v. Regensburg unb des Geiler von Kaiferöberg für feinen Zweck febr gute Dienfte tbun.

5) 98. Dinfel hat fid) (don burd) mehrere Producte auf bem Gebiete der Homiletif fehr vortheilhaft befannt gemadjt. Es wird um fo weniger nothivendig fein, fid) in eine weitläufigere Befprehung feiner neu erfchienenen Homilien einzulaffen, als fie fl bem Wefen nad) von den frühern homiletifhen Arbeiten Dinfels nicht unterſcheiden. Nur ber äußern Form nad) unterfcheiden fid) biefe Homilien von den frühern Predigten Dinfels. Der Berfaffer will nämlich aus der Pericope nicht eine einzige Thefis heraus» heben, unb biefe ausſchließlich abhandeln, fondern je in einem Bortrage ben Gefamtinbalt der einfhlägigen Pericope in Haren Zügen feinen Zuhörern vorführen, dadurch wurde er auf die Sorm der Homilie geführt. Seine Homilien find aber nicht an ben Tert der Pericope unmittelbar fid

100 ΓΝ

anſchließende practiíde Erklärungen, fondern fireben baburd) eine einheitlibe Fotm der Duráfübrung an, daß er aus einer Pericope je zwei oder drei Punkte erhebt, bie er untereinander in Verbindung zu bringen judi. 3. 9. am zweiten Sonntage nad) Oſtern redet er 1. von ber Hirtenliebe Ehrifi; 2. von den Schafen, die ihn fennen; 3. von den Schafen, die ibn nicht Fennen ; auf den ecften Baftenfonntag betrachtet er an ber Hand der Pericope 1. ben Orunb der SBerfudung, 2. den Kampf in der Ber fudung unb 3. ben Ausgang tet Verfuhung. Die eine und andere Homilie fommt durch das ziemlich einbeitlife Sema der eigentlichen Predigtform nahe.

Darurd fol fein Tadel auégeíproden, fondern mur die von bem Verfaffer eingehaltene Methode bezeichnet werden. Die Pericopen find nod) nit vieljältig in biefer Weiſe homiletifh behandelt worden, unb es verdient Dinfel ſchon deßhalb Anerkennung. Er hat zugleich bei der Stoffauswahl auf das Kirhenjahr gebührende Rüds fibt genommen, unb den Beweis geliefert, daß die einzelnen Pericopen dem Inhalte nad) in einem wohlberechneten Zufammenhange mit bem Ablaufe des Kirchenjahres fteben und daß fie richtig verftanden und aufgeíaft einen febr mannigfaltigen Stoff zur homiletifhen Bearbeitung bars bieten.

Die Homilien Dinkel's find gerade nicht beſonders tiefgreifend, fondern mehr in bie Breite gehend, ohne baf jebod) der Inhalt verfladjt wäre. (διε find inhaltlih nod) recht gut und reidlid) ausgeftattet. Man findet oft recht anfpredenbe Gebanfen und überrafchende Gedankenverbin⸗ dungen. Die Sprache ift wohl geglättet, fanft hingleitend und ruhig, id) möchte [agen fauber, wenn nicht das Streben,

Vredigi · iteratut. TOf

derfelden Schmud und Glanz zu verleihen, am einen unb andern Orte zu flarf hervorträte und ber reinen Natürs Tidfeit einigen Eintrag brádte. In Befhreibungen fheint uns ber SSerfoffer nicht gar glüdiid zu fein, es fehlt bem Ausprude ber treffende conerete Eharafter und bie Plaſtit.

Soviel auch in ber Predigtliteratur jedjaͤhrlich ans Tageslicht tritt, fo haben wir bod) nod) feinen Meberfluß an guten Homilien, ed müffen uns darum bie von Dinkel, bie wir ohne Sebenfen. als gute begeihnen, willfommen fein und wird deßhalb dem zweiten Bande, der die Homi- lien vom Pfingftfefte bid erften Sonntag bed Advents enthalten foll, mit Vergnügen entgegengefehen.

6) Die Anfiht ift fo ziemlich allgemein zur Anere kenntniß gefommen, daß ein Fatholifher Prediger nur bann den Anforderungen ber Kirche und den SBebürf, niffen feiner Zuhörer entfprehe, wenn er fid mit feinen Predigten auf dem dogmatifhen Boden betvegt. Man hat lange genug Moral ohne Glauben zu lehren und Eittlihfeit ohne Religiofttät zu pflanzen gefucht. Das Bergeblihe und zugleich das SBermerflibe biefe& Ber mühens einfehend haben bie Prediger der neuern Zeit fib far durchgängig der kirchlichen Lehrweiſe mit mehr ober weniger Geihid und Genauigfeit angeichloffen, wors nad) feine Sittenvorschriften ohne Begründung und Zurück⸗ führung auf bie entfpredenben Glaubenswahrheiten, unb feine Glaubenswahrheiten ohne bie fid daraus ergeben» ben fittlihen Folgerungen gelehrt werden.

In diefem Sinne find aud) die katholiſch⸗dogmatiſchen Predigten von Dr. M. Durſch zu verfiehen. Derfelde if ganz der ridtigen Anſicht, daß die homiletifche Bes

"70 | Sirebigif erst, lehrung unb Erbauung von bem altlatholiſchen Glauben ihren Ausgang nehmen müffe, ba ein wahres Arifliches Leben nur auf bem chriſtlichen Glauben ober auf ben Grundlehren der katholiſchen Kirche ruhen und fid) ent wideln fann. Durſch gibt feine Abſicht in ber Vorrede mod) befonders dahin fund: „Es fag ihm (bem Verfaſſer) daran, in biefen Predigten das geheimnißvolle Werk ver Erloͤſung Sefu von der Herrichaft des Teufels, von bem Reihe ber Binfterniß, der Sünde, von Noth und Sob zum Ber ſtaͤndniße des Volkes zu bringen, unb baram bie hriftlihe Belehrung und Erbauung zu fnüpfen. Es liegt ja Alles daran, daß der Ehrift es recht verftele, wohin die Sünde ben Menfchen gebracht und baf er nur durch bie Ver dienfte Jefu gerettet und erlöft werde. Nur im rechten fBerftünbni der Erlöfung erkennt er das Weſen und bit Bolgen ber Sünde und bie unendliche Barmherzigkeit Gottes, unb nur in diefer Erkenntniß wird ihm fein Er⸗ loͤſer lieb und theuer, ſchließt er fid) an ihn an, und hofft er durch ihn das ewig felige Leben zu erlangen“ (Borr. S. VD. So widtig «6 if, Glaubenspredigten zu halten, fo ſchwierig ift es. Bei Ausführung von Thematen aus ber Moral fann man meift ohne viel Mühe feine Darftellung in conereter Beziehung zu bem Leben und den Lebensver⸗ haͤlmißen bringen; um fo ſchwieriger iR es aber bei dogmatiſchen Predigten ber Darftellung durch beftimmte Beriehungen zu bem Glaubensleben in individuo unb durch Herausgreifen von conereten Erfheinungen des chriſilich religiöfen Lebens Anfhauligfeit und anfprehende Fülle su geben. Eine Klippe an welcher ber bogmatifche Prediger nur ju leicht fcheitert, ift beBbalb, bap er ju treden und abfract wird. Aus biefem Grunde ſcheuen aud

Vredigt · kiteratuv 10: Manche mit Reit, bei ihrer homiletiſchen Thatigkeit bab dogmatifhe Gebiet wirklich zu betreten und begnügen Äh an daſſelbe bin -und wieber anzuftreifen. Es gehört ficherlich viel eigenes innered religiöfes Reben umb eine genaue Beobachtung anderer Berfonen dazu, um bie fublitteit unb geheimnißvollen Wahrheiten homiletiſch fo darzuftellen, daß die Zuhörer nicht blos im Schultone darüber belehrt, fonbern für bie gläubige- Aufnahme derfelben geſtimmt und erwärmt werben.

Durſch hat fid) diefe Schwierigkeiten fiti nidt verborgen, und fudit daher bie Glaubenswahrheiten, ble er zum Thema feiner Darftellung gewählt hat, bem wirflihen eben fo nahe als möglih ju bringen. Er verweitt nie zu lange bei Auseinanderfegung von Glaubensfägen und den fie bildenden Momenten, fonbern macht fo bald aí6 móglid) bie Anwendung von jenen aug auf das Leben. Es ift befonberó das Dogma von der Erlöfung Jeſu, beffen Bedeutung und Werth er von ver» ſchiedenen Seiten aus in vielen Predigten wiederholt ber [eudjet, unb es in ber rechten Beziehung jum Indi⸗ vidualleben aufzuzeigen ſucht. Deßgleihen fert auch bie Beleuchtung der Wirffamfeit des hl. Geiſtes in dem er» löften Individuum öfter wieder. Da diefes fo wichtige mb weitgreifende Punkte find, fo fann man das Berfahren des Verfaſſer s vollſtaͤndig billigen.

Außer den Grunddogmen hat der Verfaſſer im Wb» Taufe des Kirchenjahrs an Sonn» unb Fefttagspericopen fid anfchließend fo ziemlich ale wichtigen ®laubenspuncte zur ESprache gebtacht ohne daß eine ſyſtematiſche Ordnung befolgt worden wäre. Vielleicht hätte mehr über Gnabe, Auserwählung, über die Eigenſchaften und Aufgabe ver

os Vecdigt · kiteratur.

Kirche, von dem Weſen und den Folgen der Suͤnde ge⸗ ſagt werden fönnen. Dagegen haͤtte aber die Predigt über bie Gefündheit, ihren Werth, und wie fie zu erhalten {εἰ (auf Dom. XYL p. Pent. 90. IL p. 209), nad bet Anficht des Ref. unbefchabet der ganzen Sammlung wohl ausfallen dürfen. Sie paßt an unb für fid nidt recht unter diefe bogmatifhen Predigten, und hat aud) in ber Ausführung manches Unp aſſende.

Wenn Durſch feine Aufgabe, dogmatifche Predigten au liefern, im Ganzen gut gelöfl, und bie fo nabefiegenbe Gefahr einer abftracten und trodenen Ausführung feiner Themate ziemlich glüdlid) vermieden hat, fo liefen fid) bod) bei einläßlicher Analyfe der einzelnen Predigten vet» ſchie denerlei Ausftellungen machen. Die meiften Predigts themate find zwar im Ganzen logiſch durchgeführt; inbeffen vermift man bod) nicht felten eine firenge Eontinuität ber Gedanken und eine fij far vorwärts bewegende Ent widlung ber Ausführungen. Auch wäre mitunter eine ſchaͤrfere Abgrenzung und Auseinanderhaltung ber Be griffe in dogmatifchen Materien zu wünfchen. Bei allem Streben des Verf. nad) Anfhaulichkeit ig ihm doch eine wahrhaft concrete und in die mannigfaltigen Beziehungen eingehende &affung nicht immer gelungen. Gemuͤthlichkeit, Wärme unb Brifhe hätte aud) hie unb da mehr Spíop greifen bürfen. Daß er εὖ mehr auf SBollftánbigfeit des Ma⸗ terials, als auf oratorifhe Mittel abgeſehen habe, fagt der Berf. in der Borrede felbft. Hiernady werden biefe Predig⸗ ten vorzugsweife auf Belehrung und nur untergeordnet auf Erfhütterung unb Ermärmung des Gemuͤthes und aui Beſtim⸗ mung des Willens abzwecken. Bei all dem will biefen Predige ten um ihrer durchgängig dogmatiſchen und rein. fitd)lidyen

Predigt-Bitsratut. "05

Haltung willen, woburd fle fid) vortheilhaft auszeichnen, ein hoher Werth nicht abgefprochen werben. ,

7) Unter den vielen Saftenprebigten, bie in neueſter Seit erídienen, nimmt ber Cyclus von Hafel jedenfalls eine efr ehrenwerthe Stelle ein. Seine vierzehn Vorträge verbreiten fld) über die Hauptpuncte ber Leidensgefchichte unfers Heren. Der erfte Vortrag ift den Vorereigniffen, bie gewmiffermafen das Leiden Jeſu Ehrifti einleiten, ges widmet, nämlich der Cigung des hohen Rathes, bem Gaſt⸗ mahl in Bethanien, ben Schritten des Berräthers u. f. f. Der weite Vortrag hat zum Gegenftande feiner SBetradjtung Chriſtum am Delberge, der dritte bie Leidensnacht im Haufe des Raiphas, ber vierte bie Verleugnung, der fünfte Chriſtum im Gerihtshaufe des Pilatus, ber fedóte bie Kreuztragung, ber fiebente die freujigung, ber achte bie beiden Mifferhäter, der neunte die Finfternig und Ver laffenBeit, der zehnte den Durft und Eifigtranf, der eilfte Chriſti Abſcheiden, der zwölfte bie Schmerzensmutter, ber dreigehnte Gbrifti Seitenwunde, der vierzehnte die Grabes⸗ ruhe.

Die Anlage aller Vortraͤge iſt ziemlich gleichfoͤrmig. Im erſten Theile wird gewöhnlich der Leidensgegenſtand betrachtet, und in einem zweiten Theile bie Bedeutung und Beziehung beffelben zu dem Einzelleben des Glau⸗ bigen, in einigen Vortraͤgen auch zu dem Geſammtleben ber Kirche aufgezeigt. 3. B. „bie Verleugnung des Herrn im Hofe des Kaiphas, bie Verleugnung des Herrn in unfern Tagen [εἰ heute Gegenftand unferer SBetradjtung^ S. 55. Oder: „den Kreuzweg, ben ber Herr mit feinen Schritten geheiligt, den Kreuzweg, den bie Kirche mit bem Kreuze belaftet wandelt, den Kreuzweg, ben jebet

τοῦ BrbigtBlieretw.

Menſch geben muß, wollen wir heute betrachtend wars dein" ©. 102, ᾿

Durch eine derartige Difpofition, bie fi in Hinſicht auf ben zu behandelnden Stoff als gang practifd erweist, getwinnen bie einzelnen Theile einen verfchiebenartigen Cha⸗ tafter, was aber unfers Erachtens dem Banzen gar feinen Eintrag that. Der erſte Theil ift mit vollem fRedte im Tone einer SBetradjtung gehalten. Der Berf. verficbt es trefflich, die Reidensfcenen und alle Damit zufammen hängenden Borgänge bi ins Einzelnſte hinein ohne qui fenbe Webertreibung mit fo lebhaften Karben zu ſchildern daß der Zuhörer nothwendig davon ergriffen werden muß. wähle nur Gin Beifpiel: „Da ward der Herr durch ben Hof geführt. Aber mitten unter bem. Bauffchlägen und Stößen hat er feines gefallenen Jüngere nicht ver geflen, und er wendet fein müdes Haupt um, unb fein Auge fudt ben Liebling auf es war ber Blid des guten Hirten, ber fein verlornes Schäfhen auffudt; er ficht feinen Jünger ſtehen inmitten ber rohen entarteten Knechte, unb e8 wendet der göttliche Heiland, geflogen und ge ſchlagen, fein wundes, entſtelltes, todtenbleihes Angefiht vol Milde und Grbarmung bem Petrus zu, ale ob «t fagen wollte: Petrus, fich mein eniftelltes Angeſicht, für dich leide ih, unb bu fannft mif verleugnen! Du fennft mid nicht! Du fennft jenen nidt mehr, ber bid zum Selen. feiner Kirche erhoben, bet bir bie Schläffel des Gimmelyeihes übergeben, ber bid) vor Ahlen ausgezeichnet bat, defien Herrlicpfeit bu vor Kurzem auf bem Berge geſchaut, bem bu vor wenigen Stunden nod) bie Ber ficherung gegeben, ihm treu au bleiben bis zum Tode? 1." €. 51.

Wenn das Gemüth des Zuhörers durch bie Bes ſchauung der lebhaft vor Augen geftellten Sibenévorgánge erwärmt ift, bann wird derfelbe angeleitet, fein Leben Amb:ba8 Leben ber Kirche ober ber menídliden Gefells ſchaft im Lichte jener betrachteten Scenen zu beurtheilen. Der Verf. verficht. es, oft vecht ſchoͤne Beziehungen Bere auszufinden, bie fiberlid febr anregend einwirken. Et bemegt fid ganz auf bem Boden des Lebens unb ganz beſonders des Lebens ber gegenwärtigen Zeit; al’ feine

Auswuͤchſe und Gefährlichkeiten werden nad) der Bedeu⸗

tung des Leidens Jeſu Chriſti beurtheilt und abgeurtheilt. Bald find es wichtige allgemeine Zeitfragen, bie einem Borgange im Leiden Jefu Gprigi gegenüber ins rechte Licht geftellt werben, bald find e8 Erſcheinungen des ger woͤhnlichen religidfen ober fittlihen Lebens, welche burd) birecte Beziehung auf das Leiden Jefu mit befonderem Stadjbrude befprochen werben. .

Zur Belebung des Vortrages bedient fid der Verf, vieler gefhichtliher Erzaͤhlungen, Parabeln, Vergleihuns gen, unb zwar meiftens mit Glüd. Ich verweiſe auf bie fhöne vergleichende Beihreibung ©. 3, auf bie treffenbe Verleihung &, 142 f. Weniger paffenb für die Kanzel aber bezeichnend iR das Gleichniß ©. 195 f., wo bie ſchlechten Grundfäge und Schriften ıc. mit einer Eſſig⸗ niutter verglichen werden.

Im Eingange wird gewöhnli eine Geſchichte ober Weiffagung des 9L T. zum Ausgangspunfte genommen, um auf ben zu befprechenden Punkt überzuleiten. Auch im Verlaufe ber Ausführung kommen hie unb ba Bezug- nahmen auf das 9. T., die eine gute Wirkung hervor bringen, 3. 88. ©. 228. Der Berf. ift den Wienern ge»

vos Vrcdigt · Literatur.

gemüber, tor denen er bie in Rebe ſtehenden Vortraͤge gebalten hat, febr freimäthig; er hält ihnen wiederholt mit ausdrüdliher Benennung der Stadt die grafficende Lauheit, Leihtfertigfeit und Aufflärungsfucht vor (vgl. ©. 5. 8. 451 u. a). Ref. fann überhaupt erflären, daß er burd) diefe Vorträge ganz befriedigt wurde, unb biefelben ber Empfehlung würdig hält. .

8) Die Saftenprebígten von Stern, bie gleid) ben eben beíprodenen von Wien ausgehen, fiehen ben lehtern an Eleganz der Sprache und Friſche ber Dar ſtellung nad. Sie enthalten zwar mande fhöne und gute Gedanken; biefelben find aber oft zu wenig motivirt und entwideltl. Die Sprache leidet an einer gewifien Unbeholjenheit und Eteifheit, und enthält mande ſichtlich gríudite Ausprüde, bie zudem nicht immer ganz glüdlid) gewählt find, 3. B. „will ein junger Mann fif ebelid verbinden, weil εὖ feine age fordert ober bod) geflat tet, fo ſucht er fein Weib, feine traute Gefährtin für fein Leben, fondern eine Henne, bie goldene Eier legt" (S. 63), und baf aus einer Ehe nichts Gutes hervorgehen fünne, wenn mut ber Belvfad bem Geldſack die Hand zum Bunde reicht“ (ibid). Es (οἵ jebod) damit das viele Gute diefer Vorträge nicht vers Tannt fein.

Die Berfuhung Sefu bildet den Mittelpunkt von 14 Predigten. Es wird zuerft von dem Wefen, den Urſachen unb Arten ber Verfuhung gefproden; fobanm von ben Hauptrihtungen, in denen fid) bie Verſuchungen in uns ferer Zeit geltend machen, von der Genuffudt, bem Un glauben, ber Hoffart unb ber Habſucht. Die weitern Vorträge handeln von ben Waffen gegen bie Verſuchungen,

Vredigt · Literatur. 709

von bem Glauben, ber Wachlamfeit, Flucht und Wider⸗ Rand, Arbeit und- Gebet, von Faſten, Demuth und Liebe.

Diefen Faftenvorträgen find nod) vier Primigpredigten ale Anhang beigegeben, die früher fhon einzeln gebrudt worden waren, unb hier in zweiter Auflage erfcheinen.

Der veligiöfe Eifer unb der fittliche Ernft, der aus biefen Vorträgen fpridt, macht fie empfeblenémertf.

9. Rod einmal Baftenpredigten. Diefe har ben vorzugsweife die Kirchengebote im Auge, nämlıd das Baftengebot, den Beſuch der Pfarrmeffe, bie Beicht übers haupt unb bie ófterfide insbefondere (in 4 Predigten), das Altarsſakrament (in 6 Predigten). Beigegeben find nod) fünf Predigten über die Auferftehung Jeſu (am Dfters feft , -über das heilige Saframent der Ehe, über ben Gehorfam, über bie Pflihten der chriſtlichen Familien⸗ väter, über den Neid.

Diefe Vorträge von Martini zeichnen fij) aus durch Einfachheit unb Natürlichfeit in Gedanken und Darftcllung, wodurch fle für Jedermann febr anfpredyenb und verftánblid) werden. Eine große Fülle von Gedanken ift in benfelben gerade nicht zu treffen, dagegen eine ruhige wohlgeordnete fletige Entwidlung der Gedanfen.

Die feltene Eleganz, mit ber biefeó Buch von ber Verlagshandlung auégeftattet wurde, verdient beſonders hervorgehoben zu werben. .

10. Es ift für jeden Seelforger ein bedeutungsvoller und freudenreiher Tag, wenn er einige feiner Katechu⸗ menen zum erfienmale zum Tifche des Herrn führen fann. Er wird deßhalb nie unterlaffen, diefen Tag durd eine befonbere Seierlichfeit zu verherrlihen. Wenn die Kinder für den Empfang diefes Gebeimniffe$ aud) Hinlänglih

φιμοί. Ouartalſchrift. 1859. IV. Heft. 47

Tio Sürebigt«giteratus,

untereichtet find, fo ift bod) nod) eine anregende Anſprache mit unmittelbarem Bezuge auf ben heil. Act gut am Plage. Damit wil febod) Referent nicht fagen, daß er mit jenem Uebermaße von Standreden einverftanben fei, mit welchen man an biefem Tage bie guten Kinder nicht felten mehr wu quälen als zu erbauen pflegt. Eine Rede beim Abs holen, eine Rebe beim Beginne des Gottesdienſtes, eine Rede vor und nod einmal nad der Gommunien, das if zu viel geredet. Cine einzige Anrede, im höchften Balls wei, dürften faf immer ausreichend fein.

Die vor uns liegende Sammlung von Jung liefert hiezu einen reichhaltigen unb gut verarbeiteten Stoff. Sie enthält 23 Anreden für bie genannte Beierlichfeit. Ginige davon And ziemlich ausführlid, andere Fury, wie diejenigen beim Abholen ober unmittelbar vor ober nad) ber Com munion. Bei ben [egtgenannten Fällen wird Jedermann bie Kürze [oben und nahahmen, wenn er überhaupt ba Anreden hält.

Gin der zweiten Auflage beigegebener Anhang ent haͤlt zwanzig furje Betrachtungspunkte für die Gommunion und mehrere Prebigtentwürfe zur Erneuerung ber Tauf gelübbe.

Die Reben find zum geößern Theile nicht von Sung, fondern yon drei franzöflfhen Autoren, aus deren Werfen er fie zufammengeordnet und Einiges aus bem eigenen Vrieſterleben hinzugefügt hat. Abgefehen von einigen ben Sranzofen „eigenen Sentimentalitäten und weniger geeig- neten Geſchichtchen aus dem gewöhnlichen Leben find die Anreden recht gut und brauchbar, unb werben demjenigen, der biefe Seierlidpfeit wiederholt an ber gleichen Gemeinde w leiten hat, ficherlich willlommen fein. Sie können

Vredigt · Literatur. πι

auch zu biefem Zwede von bem Ref. ohne Anftand em» pfohlen werben.

11. Zum Schluffe glaubt Ref. nod Furz auf eine homiletiſche Erſcheinung aufmerffam machen zu follen, die, wenn aud) nicht neu, dennoch unfer Intereffe in Anſpruch zu nehmen geeignet if. Es find bie Predigten des Er. Syof. Mofer, ber im 3. 1777 als Priefter von 26 Jahr ren zum Domprediger in Straßburg beftellt wurde, aber fon 1780 in ber fráftigften Jugend ſtarb. Bon feinen Predigten, die früher Dr. Räß unb Dr. Weis nod) ale Profefforen in Speyer herausgaben, erídeint eben eine zweite Auflage, die fieben Bände umfaflen fol, und von denen ber äte und 6te vor ung liegen. Sie enthalten bie Glaubenspredigten Mofers, welche im "ten Bande ihren Schluß finden.

Diefe Glaubenspredigten find größtentheild polemiſcher Natur. Es ift eine ſcharfe aber nicht fränfende unb vers legenbe Polemif, außer wenn man fid von ber Wahr⸗ heit verlegt fühlen follte, bie Mofer hinſichtlich der Geſin⸗ nungen und Befteebungen ber fog. Reformatoren unver holen fagt. Sonſt aber zeugen die Predigten von einem nicht gewöhnlichen rebnerifden Talente, von einem fdjarfen Verftande und zugleich großer Gemüthlichfeit, von einem teinen Seeleneifer unb von edler Freimüthigfeit. Moſer hätte fid) bei längerem Leben ficherlich zu ben Predigern erften. Ranges in Deutfhland emporgefchwungen; er wird ihnen aud) fo nicht viel nadfteben. Ex hat fi nad den Muftern der großen franzoͤſiſchen Kanzelredner gebildet, aber eine dem beutfchen Geſchmacke angemefiene Selbſt⸗ fländigfeit bewahrt.

Dr. Bendel, Gonvictóbirector, 41"

d Inhaltsverzeichniß des

fünfunbbreiftgften Iahrgange der theologiſchen Quartalſchrift.

1. Abhandlungen.

Beiträge zur Geſchichte der deutſchen Liturgie. I. Ordo baptisterii

ber Kirche von Briren. Tinthaufe „2... . Zur Apologie und Geſchichte des Gebete. Gumpofd. . . . Die Hriflihe Lehre von der göttlichen Gnade. Kuhn. . Die apriflliche Lehre von ber göttlichen Gabe. IT. Artifel, Bor

Bebeüimmung Ruhm. . . lee Bapft iberiu unb das nicániffe Eymbolum. Hefele. . . . Die ruſfiſche Kirche. efele. 22e Der vorgebliche Pelagianismus der vorauguftinifchen Vaͤter. Kuhn. Ueber den Urfprung umb bie rechtliche Stellung der Generalvicare.

Rode on Altteſtamentliche Studien. Bell . . 222. . "E

11. Recenfionen.

Anleitung zur Heiftlichen Boltommenbeit. . . . . . . - Adel, König Philipp ber Gofenfaufe. 2. 20. Bumäller und Schufter, Lefebuch für katholiſche Voleſchulen. DieRel, der Gegen Jalobs.. onen Dinkel, Gomil . . lle Drey, Ich. Geb. v., Neil. > 2 2 2 Durfch, fatholifhebogmatifche Predigten. . . . . PM Exercitia spirituslia juxta methodum S. Ignatii Loyolae. Friedlieb, Oracula Sibylla. . . . 22200. Sider, Engelbert der Heilige, Erzbiſchof von Köln unb Beides verweſe

Fornici, institutiones liturgieäc....

G ángel, Katechismus der Fatholifchen Glaubens und Sitteulehre.

Gundinger, Patriſtiſche Rundſchau.. ‚Hafen, Behandlung der Cheſachen im Biethum Rottenburg. .

714 Inhalt.

edu Hafel, Leidenebilbet.. 0 0. ern nS | 6 effe, Buße und Veichte.. s.s. sn 18 Hirfger, Beiträge zur Gomiletif und Ku, 2... 19 Sanfa, leichtfaßliche Predigten. . » . - eor s. S. 880 Jariſch, bie Predigt in Bildern. . 680 351g, Deutfchland In ber Weselationfoeciebe um 588. 1538. 631 Sung, Jeſus fommt! D . 681 Satfom, die Befbriefe des HL. διϑαπαλυδ. . ..... εν M6 Seitfaben für den Beicht- und Gommunion-Unterriht. . . . 178 Liber precum ad usum Sacerdotum. 2 2... + - εν 177 Liebermann, lostitutiones theologicae. . o... 678 Monrefa oder die geifllichen Uebungen des BL Sguatius. νων 17 Martint, Predigten über bie Kirchemgebote. . «ὁ. εν 681 Mofer’d fämmtliche Kanzelreden, Berausgegeben von Dr. Βιάβ. 681 Müller, die Religion in Betrachtungen. . . EAE] Shüller, Jahrbuch der römifchefatholifchen Ride . 831 Bhadfolge der alerbeiligten Suma: . 6.6.0 > so... 176 Baffaglia, katholiſche Lehrvorträie. . . “ον 419 Bergmayr, Berragtungen in der geiſllichen noni 176 Pitra, Spicilegium Solesmense. . . 2. 188 Probſt, Verwaltung der hochheiligen Φαδατίβιο. . 514 Reinte, Beiträge zur Giflárung des A. Teſtaments.. . 60% Remling, die Bilhöfe zu Speyer. err n s. s. 299 Richter, Bologuube für Prediget.. 1176 Röggl, Predigten. . . . eren n nS n n. 680 daubinger, das Gtift Sädingen. ee») κι n n s. 299 mig, katholiſchet Katehismus. . . . . .- 25. . 116 dele, bie diiffottolifde Lehre in Sriüfprebigien. 2... 67 Gegur, furje und vertrauliche Antworten, εν νον PB Stern, bie Verſuchung Sefu Ehrifi. . . . . . . . «. 88ιὲ Strauss, Nahumi de Nino vaticinium. . . . 624 Wrtunbio, Beiträge qur vaterländifchen ——— vere nämlich aus der norbweftlichen Schweiz. . . 299 BerfoeveusQeufer, Berpflichtung ber d für bie φι meinde zu applicirem. ο΄. ren. 32 Berker, Leben ausgezeichneter" autholten. Pa s 5 9$ Wilpelmus, hiſtoriſcher Katechismus. . . + eoo dO

ΠΕ Siterarifcher Anzeiger. Br. 1.2. 3 u. 4. am Ende jedes Heften.

Literarifcher Anzeiger Nr. 4.

A ————————————————

Die hier angezeigten Sdriften findet man in ber 9. Laupp'fgen

Buchhandlung (Laupp & Fieheh) in Tübingen vorräthig, fo wie alle Erfpeinungen ber neueften Literatur.

In unferm Berlage ift fo eben erfipienen und in allen Buchs Yandlungen zu haben:

Dr. ὦ. F. Scheinert, die drifttide Religion. After Band. gr. 8. (30 Bogen.) Broſchirt. Preis Rthlr. 2. 8 Sgr.

Der Berfaffer hat f$ bemübt, in biefem Werke ben Beweis zu führen, baf bie driflibe Keligion den Supranaturalismus, die SDipfiif. ben Rationalismus wohl als Entwidiungsfufen, aber nicht als lepted Refultat, over gar mit ihr iventif anerfennt: daß Den!en unb Glauben, Poilofopsie unb Tpeologie norpwendig aufammen gehören, daß bie Philofophie nur bann zu günftigen

folgen gelangen kann. wenn he eine wahrhaft riftfide ift.

Biere turze Darlegung des Standpunftes, von weldem der Berfaffer bei der Ausarbeitung des Werkes ausgegangen if, wird genügen, um die allgemeine ?lufmertfamteit auf baffelbe au lenten.

Königsberg. Verlagsbuchbandlung ber ᾿ Gebrüder Bornträger.

. Bei Franz Kirchheim in Mainz if foeben erfhienen unb in affen Buchhandlungen Deutfhlands, Deferreidd und der & d mei zu haben:

Schrbud der katholiſchen Dogmatik.

Dr. $. X. Dieringer,

MR d DAI Eo Dritte vermebrte unb. verbefferte Auflage. XXn. 74468. gr. 8. geh. Preis 5 fl. od. 2 Rihlr. 26 Ser.

„Die wohlwollende Theilnahme, fagt ber Herr Berfafler in der Borrede ju ber hier angefünbigten neuefen Auflage welche bisher dieſem Lehrbuche gefhenft worden, bot eine dritte Auflage veffelben erforderlid gemadt. Der geneigte Sefex wird bei einer Bergleihung mit der früperen finden, daß

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i. es nicht an Fleiß habe fehlen Taffen, das Füdenhafte zu er gänzen, das mehr oder werige Undeutlihe flarer und befimmter auszudräden, etlided Süinbermidtige zu verbeflern. die einfahlas jigen neueften teiftungen Anderer dankbar :u berüdfichtigen, einige Kfanine und Paragraphen gänzlid umquatbeiten. Das eeptere gilt namentlih von ben meiften "Bartbien des erfien Zbeile unb ven der Vrärefinationgiehre. Wie früher, fo habe ih es aus ἐπ diefer Auflage vermieden, mid in eine unerquidiige Bolemit einzulaflen, wobei die Wahrdeit feiten gewinnt, die Yiebe báufig verliert. Wo εὖ mir unvermeidlih fdien, unridtige Auffaffungen ^ zu beleudten, ba galt e eben nur den Auffaffungen, nidt ben erfonen 1C"... .. Wir glauben εὖ nidt nótbig zu haben, vies fen Worten des berühmten Berfaflers, mit weichen er gleihfam die dritte Auflage feines Lehrbuches in die Ceffentlicteit einführt, mod eine Empfehiung beiufügen und befhränten ung auf bit Andeutung, daß vie äußere Ausflartung biefer, aud nad der fRogen;abl nicht unbedeutend vergrößerten Auflage ihrem inneren Berihe vollfommen entípridt.

Preisherabſetzung! Durch alle Buchhandlungen ift zu beziehen:

Beyeter, fatty, Erziehungs: u. Unterrichtölehre nad fatpof. Grunbfápen sc. 2te umgearb. u. verm. Ausg. [3 8. (gbpr. 2 Tpir. fi. 3. 12 tr. τῇ.) jest 24 Nor. fi. 1. 20 tr.

Auf 12 Er. ein δτείεχεπιρίατ!

Yarizch, Alerius, fatbol. Gebet: u. Febanungebug für Brauen und Sungfrauen. Reueſte Aufl. Wit 1 Stabif. 12. geh. (tbpr. 15 gr. 48 fr) jett 10 9igr. 32 fr.

yh. Btinsec in €Cidftiti.

85 unferem Berlage erfpienen fo eben unb find in allem foliden Buchhandlungen Deutfplands zu haben:

Gailatb, P. Georg. Sechs Reben über bie unbefledte Empfängnig der allerfeligtien Jungfrau Marie, Aus dem Lateinifhen vom Berfaffer des Wallfaprtsfpiegels. 5%, Bogen. gr 8%. Preis: geb. 12. Sur.

Goldhagen, Hermann, Priefter der Geſellſchaft Sefu. Bouftändiges Gebet⸗ und Erbauungsbuh als Andacht zum heiligen Herzen Jefu Cprifi. Mit Gutpeigung und Genehmigung der Obern. 14 Bogen. gr. 125. Preis: geb. 9 Sgr.

Gröne, Balentin, Doctor der Theologie , Sacramentum oder Begriff und Bedeutung von Sarrament ín ber alten Kirche bie zur Scholafit. Ein Beitrag zur Dogr

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mengefiäte, 13/4 Bogen. gr. 8". Preis: geh. 25 gr.

Nolte, 3. 8. Lehrer zu Reiſte. Choralmelodien zum kathol. Gebet: und Gejangbude von 3. A. Hüfer, Pa- for in Kirchveiſchede. In Thonziffern überfegt. Τῆς Bos gen. 80, Preis: geh. 8 Sgr. .

Süfer, 3. 3L, Paftor in Kirchveiſchede. Vorbereitung zu einem feligen Tode. Gebet: unb Betrachtungsbuch für fato, Familien Mit Biſchöflicher Approbation. 15 Bogen. 8%. Preis: 9 Sgr.

Ehrlich und Schwier. Kopf: und Tafelrechnen, mit einander verbunden, und ohne ſchwierige Bruchaufgaben. Für Glementarídjulen bearbeitet, und mit einigen Φθίην fen für den Lehrer verfehen. 1. Heft. -Sablen einerlei Benennung. 3 Bogen. 8%. Preis: 2 Sgr.

Soeſt, und Olpe, im Auguft 1853. $£affe'íóc Buchhandlung. Im Berlage der ὅτ. Hurter’fgen Buchhandlung erſchien foeben als thwendiges Supplement zu allen fieben Auflagen des noth er bif Seifen Karesiennee fagen

Statecbetifcbe8 Nepertorium, oder Bolftändiges Auffindebuh von Erklärungen, Notizen, Gleich niffen und Veiftpielen zur Erläuterung unb Ber- anfhaulihung eines jeden Katechismus. Ein nothwender Nachtrag zum biftorifhen Kate ἰδπιπ δ᾽ mit vielen neuen Exempeln. Bon Sy. €. Schmid, Katechet.

Erfte ?ieferung, 36 ἔτ. “10 Nor.

Das .Ratedetifóe Repertorium” if beſonders für bie Befiger_ des hiftorifhen Satediómus$, deflen bisherige fieben Auflagen in iprer rafben Aufeinanverfolge ganz unver« ändert geblieben, berebnet, um bie Mängel des [e&tern zu ers jängen, {pn durch bündige Erflärungen ber fatebetifhen Wahre

Peiten auch zu vervollfändigen, fowie durch neue Notizen, Gieich⸗

niffe und Beifpiele den fatpolifhen Augend« und Bolfsunterrict

mögliäft intereffant zu maden, fo daß viefe Arbeit in Ber« bindung mit bem piforifhen Katebismus, beffen Beifpie'e überall mad ber in fämmtliben Auflagen gleich gebliebenen Beiteniah: len eitirt find, als ein „vollhändi εὖ Auffindebug“ für £&atedeten und Prediger dienen fol. *

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Die oberhirilihe Approbation bezeichnet dieſes Wert als »tin für ben katholiſchen Unterricht febr zwedviens lioet bilfbud."

‚Der Seelforger am Kranken: und Sterbelager der Gläubigen. Eine Anleitung zur 9luéfpenbung ber heiligen Gterbfaframente, Abläffe und Segnungen der Kirche, nebft einer Auswahl von Gebeten und Bes trachtungen für Leidende und Gterbenbe. Aus ben beften Kranfenbüdern gefammelt und herausgegegen von 3. A. Eberle, Pfarrer in Mörfhwil. Zweite, veränder- Auflage. In zwei Tpeiten. Mit bifhöfliher Apr probation. fl. 2. Rthlr. 1. 6 ngr.

Geparatabbrud hieraus, enthaltend ben für die Kranken allein berechneten Theil:

Der Tröfter am Kranken: unb. Sterbelager der Gläubigen. Katboliſches Andagte- und Er bauungébud) für leidende Pilger zur Ewigkeit, ihre Sreunbe und feelforglichen Führer. Bon 3. A. Eberle.

fi. 1. 21. fr. 24 ngr.

Bei Henry & Goben in Bonn erfpien foeben, und if durch alle Buchhandlungen zu beziehen:

Der Primat des Difdsfe von Rom

und bie alten Patriarchalkirchen.

Ein Beitrag zur Gefchichte der Hierarchie, insbeſondere " zur Erläuterung beà fedften Canons des erften allgemeinen Concils von Ricaa

von

Friedrich Maaßen, J. V. D.

H Preis 1 fl. Rhein.

Den Gegenftand diefer Schrift bilden die auf bie alten ya: triarhalfirden Rem, Alerandrien und Antiodien fi) beziebenden Beſtimmungen bes erfien allgemeinen Goucild. Es gehört die Sinnerllärung derfelben betanntlid) zu den beftrittenften Materien des Sirbenredté und mutte eine neue monographifhe Behand- lung um fo mehr als ein Bedürfniß erfheinen, ale inzwifgen auf angrenzenden Gebieten Grgeltaiffe gewonnen find, weine das richtige Verſtändniß weſentlich erleichtetn.

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Im Berlage der (yt. Eintz'ſoen Buchhandlung in Trier if foeben erfopienen und dur alle Buchhandlungen zu beziehen:

Sacrosancti et oeconomici Concilii Tridentini Paulo MEE, Julio III et Pio IV. Pontificibus maximos celebrati Canones et Decreta.

Geheftet. 15 Sgr. 54 fr.

Erflärung

der Merkmale der Liebe. Aus bem Franzöſiſchen überfegt. Geheftet. 15 Sgr. 54 fr.

Büſt, Franz, Ecce Homo ober Betradiungen über den Purpurmantel, das Schilfrohr

unb bie

unferes Heben Herrn Jeſa Chriſti. Mit einem Zitelfupfer. Geyeftet. 17a Sgr. fl. 1.

Binz, R., Lehrer, Das verarmte Dorf. Ein Büdlein

für den Sandmann und die bürgerliche Ingend. ὃς Theil. 21 Gg.

In der Unterzeisneten ift fo eben erfhienen und durch alle folive Buchhandlungen zu beziehen, "(in Zübingen durg bie Raupp’fge Bubhandlung):

Demuth ded Herzens der Pater Gaetano Maria ba Bergamo,

aus der Bamilie des $. Franzislus, Kapuzinerordens. Aus dem Italieniſchen ins Deuiſche übertragen von einem kathol. Geifttiden. Zum Beften des kathol. Gefellen-Hofpitiums in Cöln herausgegeben von Adolph Kolping, Domvicar und Präfes des kaiholiſchen Gefellenvereins. Mit Genehmigung der Erzbifhöflihen Behörde. 8 Bogen 12. Preis geh. 10 Sr.

De ΄ Personae vel Elypostasis apud patres theologosque natione ét usu.

Scripsit Fr. Guilelmus Nottebaum,

St. Theologiae lic. olim in convicwrio Bonnensi repetens. (Opus posthumum.) praefatus est Dr. Canradus Martin, in universitate Ahenana prof, et Couvictorii cath. inspector. 6!/, Bogen gr. 8. Preis geh. 9 Sgr.

Soest und Olpe. Nasse’sche Buchhandlung. So eben ist in unserm Verlage erschienen:

Pistis Sophia opus gnosticum Valentino ad- judicatum e codice Coptico Londinensi descriptum latine vertit MI. G. Schwartze adidit J. H. Pe- termann. gr. 8. geb. 2 Rthlr.

Bei der mangelhaften Kenntaiss der gnostischen Systeme, welche wir fast nur nach den Schriften ihrer Gegner, der Kirchenväter za

T

beurtheilen vermögen, ist es von grosser Wichtigkeit, einmal ein vollständiges, und von aller kritischen Beimischung freies Werk ei- nes Gnostikers kennen zu lernen. Ein solches ist die Pistis Sophia, deren Bekanntmachung seit langer Zeit von den gelehrten Theo- logen sehnlichst gewünscht worden, und von der wir hier einen besondern Abdruck der Uebersetzung aus der im Jahre 1851 er- schienenen Ausgabe des Textes nebst Uebersetzung zu einem mäs- sigen Preise zugänglich machen. Berlin im September 1853.

Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung.

Im Berlage der Kaifer’fchen Buchhandlung in Luzern ift erfbienen und in allen Buchhandlungen zu haben:

Clemens XIV.

‚und bie

3efniten. Nah dem Werke:

Geſchichte des Pontificats Clemens XIV.

nach unedirten Gtaaté(driften ans bem geheimen Archive des Vatikans

von Profeffor Dr. 9fuguftin Theiner, Prieſter des Dratoriums, Eonfultor ter heiligen Gongregationen des Inder, der Bifhöfe unb rbenégeifiliben und des Gants Dfficto, Mitglied ber Specialcongregation der unbefledten Ems pfängniß ber deil Jungfrau Maria, des theologiſchen Collegiums an ber Univerfität von Rom, ber päpfllihen Acavemie ber Ars Yäologie, Präfect »Coadjutor bed geheimen Archives des heiligen Stuples u. f. τὸ.

Herausgegeben von Siofef Burkhard Leu, Probſt, Erziehungsrath unb Profeffor der Theologie in Luzern. 9 Bogen. (leg. geh. 54 fr. 16 Nor.

Bet Fl. Supferberg in Mainz find fo eben erfchienen und in allen Sudbanblungen zu haben:

Spacbtfer, ©. M., Die Hymnen der katholifhen Kirche. im Veromaße überfegt. 29 Bogen, Miniatur Ausgabe,

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gebeftet 1 Sübír. 15 Gar. oder 2 fl. 42 fr. gebunden (n Goldſchnitt 2 9ttbv. 6 &gr. oder 3 ff. 48. fr. Format wie „Redwitz Amaranth.” Pachtler, G. M., Preces in usum oatholicorum, qui litterarum studiis vel imbuuntur, vel jam sunt imbuti. 6. 14 Sgr. oder 48 kr. gebunden in Goldschnitt 1 Rthir. oder 1 fl. 45 kr. Das vorliegende lateinische Gebetbuch zeichnet sich vor den meisten seiner Árt durch eine möglichst reine Latinität aus und ist zugleich streng in katholischem Geiste abgefasst Der Hoch- würdigste Bischof von Rottenburg hat es nicht blos approbirt, son - dern zugleich empfohlen. Ebenso ist es vom Hochwürdigsten B!- schof von Mainz approbirt. Insbesondere empfehle ich auch die bundene, höchst elegante Ansgabe, für welche gans eıgene Buch- inderformen angefertigt wur

In ber Krüll'ſchen lniverfitáté: Buchhandlung erfiheint und ift bur alle foliven Buchhandlungen des Ins unb Auslandes gu beziehen:

SSerrone, 3. D. Eompendium der katholiſchen Dogmatik. Zum Gebraud für Theologen und gebildete Laien beutfd) bearbeitet von einem katholiſchen Geiſtlichen.

Diefes Wert wird aus 4 Bänden von fe 4—5 Pieferungen à 12 Rgr. 36 fr. rn. befiejen und binnen Yapresfrift vollen: bet fein. Der L und Il Band unb vom ΠῚ. Band bie erfte und aweite Xieferung find bereiss erfhienen.

Im Berlag der Kaifer’ihen Buchhandlung in Luzern ift erfgienen und in allen Buchhandlungen gu haben: Warnung

vor

Neuerungen und Hebertreibungen

in ber katholiſchen Kırae. Peufclande. . Bon der pU Joſeph Burkard eu, er ΘΙ. δὲ. 3. Prälat. consist. befätigt. infulirter Prob und —X der Theologie Pa ujern. von Inpalt: Neuerungen in der Dogmatit Streit über ben Trauergostesvienft in Barden Rreipeit und Unabhängigkeit der Kirpe von der Sraa’sgewalt. Ueber die Denkiwrift des Epie: eopaies der oberrhein. Kirchenprevinz vom 18. Juni 1853. . 5 Bogen 8. geh. 27 fr. 8 Ngr.

9 Sn der Unterzeichneten (ἢ foeben erfhlenen:

- Kalender für Seit und Ewigkeit. Bon . M. Zugichwerdt. 1854. Zwölfter Jahrgang. Mit 6 Bildern. Preis 9 fr. 3 9tgr. d Die außerordentliche ?Inerfennung, melde ber Kalender für Zeit und Ewigkeit allerwärts erlangt hat. überhebt ung jeder Empfehlung; wir bemerken daher nur. daß fib ber neue Jahr gang in jeder Beziehung würdig an feine Vorgänger anreipt. Bon ben vorbergehenden Sabrgángen des Kalenders für Zeit und Ewigkeit waren einige vergriffen. Diefelben find in neuen Auflagen erſchienen und burd) alle Buch— bandfungen wieder zu beziehen. Der Preis ter. Jahrgänge 1843 bis 1851 beträgt je 6 fr. 2 ngr. Sreiburg, 1853.

Serbder’fche Verlagshandlung.

Im Berlage ber Eoppenrath’fhen Bub» und Runfidand« Tung in Nünfter ifl fo eben erfdienen und dur alle Buchhand⸗ lungen zu beyteben:

Geicidte Bayerns.

Zum Gebrauge bei afademifchen Vorlefungen und zum Selbſtudium. Bon Dr. M. Th. Gonten, Brofeffor ter Φεβδίφιε an ber Univerfität zu Würzburg. Erfte Abtheilung. 1853. gr. 8. 1 fr. 10 Sgr.

Der gelehrte Berfaffer hat in diefem Werte fib die Aufgabe geftellt, vom Standpunfte der neuern Forſchung aut bie fo mid tige Gefbidte eines ter bebeutenbften beutfden Yänder für das Bedürfniß benfenber Gefdidtófreunbe in anziehender und ges brángter Weiſe darzuftellen, die Vebandfung {εἰδῇ aber auf alle SBeflanbtbeile des Königreiches, neuere wie ältere, worin bie vers féiebenartigften Staatsformen zur Entwidelung gefommen find, gleihmäßig aurzudehnen. Nach beiden Richtungen bin brit biefe peue Bearbeitung eine bisher nod) nicht verfucte Bahn. Es erfheint in drei Rteferungen von beiläufig gleihem Umfange, deren febe ein in fid gefdloffened Ganze bildet; in der zweiten Lieferung wird bie Θεφίφιε Bayerns bis zum Ausgange des Mittelalters, in ber dritten bis auf unfere Tage geführt werden,

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Bei Eduard Anton in Halle tft ſoeben erſchienen und in allen :udfanblungen zu haben:

Toluck, Dr. A., das akademiſche frben des 17ten Iahr- hunderte , mit bejonderer Beziehung auf bte proteftans tıjp:tbeologiihen Fakultaͤten Deutſchlands, nad) hand» ſchriftlichen Ducllen {τε Abth. Die afademifhen Zus fände. A. u. b. Titel: Vorgeſchichte des Rationalis mus L 1. Atıh. 1853. gr. 8°. bred). 1 Rihlr. 22’ gr.

Yortrait des Herrn Prof. Dr. 9. Seo. fol. Div. Papier 20 Sgr. Belin Papier 25 25 &gr.

In unferm gommifiond« Bertage ift fo eben erfhienen unb in allen foliben Buchhandlungen zu haben:

Ein Tatbolifches Volksbuch für die Großen und für die Kleinen. Sammlung

von Erzählungen und Auffäten von Adolph Aolping, Domvicar und Präfes des Bathol. Befellen- Vereine. Religion und Arbeit ift ber goldene Boden des Volles. 1 Baͤndchen. 12 Bogen 8. Preis geb. 10 Ggr. Der Name des Pochwürdigen Heren Berfaffer hat einen fofben Klang durh ganz Deurfóbtanb, dak ed feiner weiteren Gmpfeblung bevarf, mir deshalb das Publikum hiermit einfach von beffen Erfgeinen in Kenuiniß fegen.

Spef um Olpe, Naſſe'ſche Buchhandlung.

Am Berlage von ©. P. Aderholz in Breslau ift fo eben erfgienen und in a en Puafanb ungen zu haben:

Neue tbeologifche Briefe an Dr. Anton Günther. Ein Gericht für feine Ankläger. Nebft vorangehender Duplik auf des Dr. Eiemens Replik.

Sei Dr. S. B. Balger, Zweite Eerie. gr. 8. geh. 1434 Bogen. 20 Egr:

Der Proteftantismus ale politifdes Princip von Dr. Wriebrid) Julius Stahl. . In drei Genbídreiben vom Stantpunfte der Waprpeit, des Rechtes und der Gefchichte widerlegt durch Earl Nicolaus Guſtav Rintel. gr. 8. geb. Preis 20 Ser.

Der Proteftantismus als politifches Sprincip

von Dr. Wriebr. Jul. GtabI. Nach ben Principien gewürbigt von Dr. Sy. 8. Reinkens,

Dom Feſtprediger unb Sprofeffor in Breslau. gr. 8. gef. 9 Bogen. Preis 15 Ser. Illuſtrirte Prachtausgabe

der Probs heiliger Ascetik.

DE IMITATIONE CHRISTI LIBRI QUATUOR.

Ad optima exemplaria, collata cum vetustissimo ‚codice quem nuncupant de Advocatis, accurate editi. Accedunt Preces missae adjunclo precationum de- lectu in usum confitentium et cummunicantium. Curavit JOANNES HRABIETA,

Presbyter eccles., examinator synodalis, professor et director progymnasii cathol Dresdensis.

Tertia editio stereotypa ornamentis illustrata priore emendatior ei auctior.

Cum approbatione RRmi Consistorii cathol. in regno Saxouise.

Prachtausgabe auf {εἰπῇ ἐπὶ mitdweifem Belinpapier mit 6 rof en Sliufirationen von *. Gtraehuber in

X in {εἶ a den mfem Holzfguitt. Elegant eene. Preis

Diefeibe in feinem engl. Leinwandband mit Gold» fonitt und reiher Goldverzierung. Breis 1 fi. 15 ἔτ. Billige Ausgabe anf fhönem Belinpapier illufrirt, geheftet. . Preis 10 Stgr. Anftatt (gener Lobeserhebung führe ih hier das competente Urtheil des Herrn Profeflor Dr. Scheiner in Wien in ber Zeit. férift f. b. gef. Tat. Tpeologie 4ter Ἔν. 3te$ Left an; e$ lautet: „Die vorliegende Ausgabe λείώπει fid mirtlid auf cine eminente Seife aus, und ter goldene Kern wird uns hier in ver That in cinem edlen und würbigen Befäse vargereiht. Die Auegabe if boppelgenaltig, nãmiich als Pramteremplar und alé wohlfeilere Nuf- gabe. Grftere láft gar nichts zu wünfchen übrig, fomoM in format als fplendivder äußerer 9udflatung und legtere empfieblt fib jedem Sreunbe fhöner Formen und guten Geftmades Gine wahre Zierde ver ec fieren find Die beigegebenen Aunftblätter bilvlider Dar: fieffungen.

Berlag von Serb. Keffelring in Hffoburghaufen und Yeipzig.

Bei Franz Kirchheim in Mainı ift forben erfbienen unb in allen "udjanelungen Deutfhlands, Defterreios und der $ d eig zu haben:

. Predigten auf verfchiedne Fefttage,

nebft einigen Saflen- und Gelegenheitsreden

von Dr. Caspar Riffel.

(Der gefammten „Predigten auf alle Sonn» und Fefttage des Jahres” dritter Band.)

XVI. u. 494 Θ6. gr. 8. geb. Preis 2 fl. 42 fr. oder 1 Thlr. 18 Ser.

Den zwei Bänden, „Predigten auf alle Sonn» und δεβίαρε des Jahres“ enthaltend, bie nächſte ns in dritter vermebrter Auf⸗ lage bei und erfdjeínen werben, fügt der als Kanzeiredner unb KXirhenhiforiter in ben mweitehen Kreifen gleih How gefeierte Herr SBerfaffer hiermit einen weiteren Band bei, in welhem eine Reihe von Kef- und Raflenprebigten, nebft mehreren Giefegenbeitéreben aufgenommen find, fo zwar. daß viefer dritte Band nit nur bit beiden vorhergehenden vervollfändigt und ergänzt. fonbern aud für fif ein abgefchloflenes Ganzes bildet und beffalb von und

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aud allein und unter befonberem Titel abgegeben wird. Aller weiteren Anpreifung ber her angefünbigten Ranzelvorträge des fodiürbigen Predigers un$ entpaltend, erlauben wir uns mur zu bemerten, daß biefelben nicht etwa blos für Meinere Kreife sehalten wurden, fontern als „Beiträge jur Gefdidte unferer Zeit“ wie ver Herr Berfaffer feine Predigten {ε|δῆ bezeichnet gleich ben früher von ihm erfhienenen Kans jelvorträgen, ve höchfte Aufmerkfamleit aller gebilbetenunb ents piedenen Ratfolifen verdienen.

In der Unterzeihneten iſt erfhienen und burdj alle folibe Bushandlungen zu beziehen (in Tübingen in der Laupp'ſchen Buchhandlung vorräthig):

Tegel nnd Luther,

oder

Sebensgefhichte und Wedtfertigung des

Ablaßpredigers und Inquiſitors Dr. Johann Tegel aus bem Fredigerorben, von Balentin Gröne,

Doctor der Theologie.

15'/, Bogen gr. 8. Preis geb. 24 Ser.

Die Wahrheit

des

fatbolifcben Glaubens, bewiefen durd eine einzige biftorifde Thatfade, oder fritiiche Prüfung des Wunders von Tipafa ober bem heutigen Tefeffed in Algier. Nach dem Sranzöfifgen von Vietor de Bud, Prieier ber. Geſellſchaft Jeſu. 2 Bogen 8, Preis geh. 334 Ser. Spef und Olpe. . 8affe'ióe Buchhandlung, ———— .

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n ber Krüll'ſchen Univerfitäte-Buchhandlung in Lands but IR foeben erſchienen und durch ale foliven Budbantlungen au beziehen:

Vermander, Dr. Mich. Univerfitäts-Profeffor Hand- bud) des katbolifden Airchenrechts mit bejonberer Rüdfiht auf Deutſchland. Zweite, gänzlich umges arbeitete und verbefferte Auflage in einem Bande Bogen gr. 8%. Bel. Pap. Rthir. 4. 3 Sgr. fl. 7. 12 fr.

Der Ruf, ben fid der Verfafler diefes Werkes ſowohl durch bie erfie Auflage, fo wie aud) durch mehrere andere Werke bereits begründet hat, überhebt und jeder Anpreifung diefer neuen Aufs lage; wir glauben nur nod) bemerken au müffen, daß dieſes Wert

janj befonders als Danbbud bei Borlefungen an Univerfitäten

[" eignet unb aud) die erfie Auflage fbon als folhes allenthals

ben empfohlen wurde; ebenfo wird es ben Herren Seelforggeift«

lien, wie ven Herren Suriften eine willtommene Erfpeinung fein.

Im Berlage von Earl Nümpler in Hannover ift erſchienen unb durch alle Buchhandlungen zu beziehen:

SAGE VON DER HEILIGEN URSULA

und den Elftausend Jungfrauen.

Ein Beitrag zur Sagenforschung von

OSKAR SCHADE.

gr. 8. 1854. Eleg. geh. 22!/ Ngr.

GEISTLICHE GEDICHTE BEEN

Herausgegeben von

OSKAR SCHADE.

8. Anselmus. boich. 9. Sibillen boich, Ursula. 10. Van dem begingin van Paris. Marien clage. 11. Dat liden der hilger Machabeen.

τ

ΓΝ

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Michael Vehe's Geſangbüchlin vom Jahre 1537. Nach dem Exemplar der Königlichen Bibliothek zu Hannover herausgegeben von Hoffmann von Falleröleben, (IV. 138 Seiten.) Eleg. geb. "2 Rihlr.

Kirchenfried und Kirchenlied \ Von G. C. H. Stip. (Anhang: Die Sünger im unverfülschten Liedersegen.) gr. 8. Eleg. geh. '/ Rthlr.

BEITRAEGE

HYMNOLOGIE

für Lehrer beider Confessionen in Kirchen und hóhern Schulen. Von €. €f. $. Stip. Erstes Heft. gr. 8. Eleg. broch. 1 Rthlr. A. u. d. T.: Hymnologische Reisebriefe IL Bd. 4. Heft.

$n der Hurter’fhen Buchhandlung in Schaffhauſen erfgien fo eben: Der .

fatbolifcbe Gottesdienft.

(in Schr- unb Gebetbud), worin ber ganze katholiſche Gottesdienſt gemeinfaglid) beſchrieben umb erfárt wird und die firdliden Andachten unb Gebete enthalten find. Bon Nikolaus Nothmiller, Weltpriefer ber Dioͤceſe Briren. Mit Gutpeígung des f. b. Srbinariaté zu Brixen. ff. 2. 48 tr. Rthlr. 1. 20 ngr.

Zebensbilder ans ber ον ἐν" Jefu. Bon Gr. &h. v. Scherer, . 48 fr. Rihl. 1. Die Sakramente der heiligen Ketboifäen Kirche. Zum Gebraude bei afademifchen SBorfejungen, fomie zum Selbſtunterrichte für gebildete Epriften. Bon $8. ©. Terlago. fl. 1. 45 ἔτ. Rihlr. 1. Die chriſtkatholiſche fere in Frühpredigten. Bon 18. Schels. Zweiter Band. A. u. b. T.: Gebote, die Alle halten müffen, oder: Pie febre. von den Geboten, abgehandelt in Frühpredigten. fl. 2. Stübir. 1. 6 ngr. Auswahl alter Marianiſcher Predigten, Homilien und Unterweifnngen für Stadt und Sand. Heraus gegeben von Lanz, Pfarrer. Zweiter Tbeil, enthal- tend: Prebinten auf bie Feſte ber unbefleckten Gmpfángnif und Bermäblung ER arid. hir. 1. 6 ngr. Flores patrum latinorum et Hymni ecclesiastici. Ad optimarum editionum fidem recognovit et brevibus nolis illustravit Dr. W. REITHMEYER. f. 1. 48 fr. Rihl. 1 Vir apostolicus, sive Doctrina methodica de utili et facili praxi fenctionum sacerdotalium. Auctore P. T. Neumayr. S. J. Editio nova cura M. de AUER. fl. 4. 21 fr. 24 ngr. Vademecum piorum sacerdotum, in usum cleri secu- laris denuo editum, emendatum, amplissime auelum a sacerdole seculari. ff. 1. 18 ngr.

Reuer fpeologiider Verlag

der &. Laupp'ſchen Buchhandlung (Laupp Siebe) in Tübingen.

fBeltené, 8r, Der deutſche Ghorafgefang, br ber tatbolifden Rirde, feine gefbichtlige Gntwidtung, igifd Bedeutung und fein Werbáltni$ zum proteftantifhen oe, ren: tettung beffelben wider bie Bebauptung, dab tuther der Gründer des deutſchen ^d fei. 12 Bog. gr. 8. broch. f. 4. 20 tr. 25 9

1?

Bonaventurae Breviloquium. Textum recognovit Dr. C. J. Hefele. Editio altera passim emendata et aucta. 12. broch. A. 1. 20 kr. 25 Ngr.

ChryfoftomussPoftille. Gine Unswapl des Cdónfien aus den Predigten bed pi. Go rpfoftomud. Für Prediger und zur Privaterbauung. Ausgewählt unb aus bem Grundtert überfegt von Prof. Dr. J. C. Hefele. Zweite, mit Regifter verfehene Ausgabe. 33/2 Mog. gr. 8. brod. fi. 2. 24 tr. Rthir. 1. 15 Nor.

Gollet, P. Dr., Theotimus, ober: Ueber bie Pflichten eines 3üng« lings, ber feine Studien zu heiligen münfdt. Aus bem Italienſſchen. 18,2 Bogen Tafpenformat. brog. fl. 48 fr. 3itplr. 15 Nar.

Durſch, Dr. G M., Pädagogik, ober Wiflenfhaft der grifligen Erziehung auf tem ótanbpuntte des Fatholifhen Glaubens dargeftellt. 47/2 Dog. gr. 8. broch. ἢ. 4. 24 fr. Hthir. 2. 22 Ngr.

- -- Ratholifdedogmatifche Predigten auf alle Sonn tage und Seftiage des Kirdenjaprs. 2 Bde. gr. 8. brog. ἢ. 5. 24 ἔτ. Kıpfr. 3. 10 Ngr.

Halder, Sof., Ausgewählter Nachlaß. Mit Halder’s Portrait. 38 Peg. gr 8. brod) ἢ. 3. 48 fr. Rıpfr. 2 8 Nor.

Hefele, Brof. Dr. €. 3., Der Garbinal Kimenes und die firhlihen Zufände Spaniens am Ende ves i5tem. und Anfange des iGten Yahrhunvdertd. Insbefondere ein Beitrag zur Gefhihte und Wür⸗ bigung der Inquifition. Zweite verbeflerte Auflage. 36% Dog. gr. 8. elegant brod. fl. 4 Sir. 2. 18 Nr.

Hirſcher, Dr. 3. 8. v. Betradtungen über fämmtlihe Evangelien ber Faſten mit Ginfdlug der Leidensgeſchichte. Kür Seelforger und jeden driflien Veftr. ite Aufage. All/s Bogen gr. 8, f 1. 86 fr 3ttbtr. 1.

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