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Baia, Google

Theologiſche

Studien uud Kritiken.

Fine Zeitſchrift für

das gefammte Gebiet der Theologie, begründet von D. &. Ullmann > D. F. W. €. Umbreit und in Verbindung mit . D. €. 3. Ritzſch, D. 3. Müller, D. W. Berfälag " Geragegeen

D. C. B. Hundeöhagen um D, E. Riehm.

1868 - ccinundvierzigſter Jahrgang. Erfter Band. .

Gotha, bei Friedrih Andreas Perthes. 1868.

Theologiſche

Studien und Kritiken.

Fine Zeitſchrift für das gefammte Gebiet der Theologie, begrändet von " D. C. Ullmann und D. 5. W. C. Umbreit und in Verbindung mit D. €. 3. Rinfd, D. 3. Müller, D. W. Beyſhiag Herausgegeben

D. 6. 8. Handeſhagen u D, E. Riehm.

Daͤhrgang 1868, erſtes Hefl. -

Gotha, bei Sriedrih Andreas Perthes. 1868.

Abhandlungen.

Bu

1" Calvin's Institutio nad Form und Inhalt, in ihrer gefhiätligen Entwidlung

D. 3. göntin

Erſter Artiketl.

„Ganz unzählbar“, ſagt Calvin's neueſter Biograph Sagen, iſt der Lehrkreis aus allen Ständen und. Nationen, der ſich um Calbin s Buch ‚Der chriftliche Unterricht‘ nach und⸗ nach fammelte; ganz unermeßlich bie Wirkung, bie es! im. Laufe ‘der Jahrhunderte herrorbrachte; die Zahl feiner. Auflagen, bie bis in die neueſte Hit hecabreichen, geht über. jede Grenze: der Berechnung: hinaus; man darf wohl ohne Uebertreibung behaupten, dag nie ein anderes Bud, von dieſer wifſenſchaftlichen Haltung und diefem Umfangs ine übliche Verbreitung, gefunden habe.“ *) Daß .das Buch ſchos vermöge: des geſchichtlichen Ginfluffes, .meichetp:.edll auf dieſt · Weiſe gewonnen: hat, äners;eingehenbew: And immoaͤr vxuen Betrachtung md Unterſugung wercho ift,caminke kinentunferer: Ser. beitoeifeta! Auch das wirb. Keiner beftreiten, daß es bie mächtige theolajıähe Vedenung dee Werkes ſelbſt iſt, das ihm. dieſen Einfluß durch Rhrhanderte hindurch verſchafft hat. Wit dürfen noch weiter bei fügen: es Gut fs“ durch ‚ei Inder. Bebeutung nicht blos in“ der

D} e. Sichelin 8. Calvin I, Pen 7

-8 Koſtlin

Vergangenheit mit Recht einen ſolchen Einfluß erworben, ſondern es darf vermöge feines ungemein reichen Lehrinhaltes, vermöge bes ftrengen und ſcharfen theologischen Denkens, mit welhem «8 ihn durchdrungen und ſyſtematiſch geftaltet bat, und vermöge des hohen Hriftlichereligiöfen Ernftes, ‚aus welchem alle feine wifjenfchaftlichen Ausführungen hervorgehen, auch heute noch gerechten Anſpruch darauf erheben, von Jedem, der Dogmatik lehren oder-Iernen will, griind> ‚lich ftudirt zu. werden. Man mörhte dem gegenüber nur das etwa fragen, wie weit die Zahl Derjenigen, welche wirklich eine gründ- liche Bekanntſchaft mit ihm felber gemacht Haben, an die Zahl Derjenigen hinanreihe, welche feine, gefhichtliche Bedeutung aner- kennen und feinen innern Werth rühmen; wir werben uns nicht täufchen in der Annahme, daß in diefer Hinficht gerade fein Umfang, von welchem Stähelin redet, Heutzutage für fehr Viele weit mehr Hemmniß-ald Anregung mit ſich bringe. Und in gewiffer Be— ziehung Hat die Bekanntſchaft mit dem Werke, die wir zu wünſchen haben, unter ung allgemein nicht ftattgefunden, ift auch gar nicht moglich gewefen. Ich meine die Belanntfchaft mit dem allmählichen Werden deſſelben bis zu. derjenigen Geftalt, ‘in welder es jegt alfenthalben unter und verbreitet ift, mit der fortfchreitenden Arbeit des Geiftes, der es bis dahin wieder und wieder durchgearbeitet, bereichert und umgeſchaffen hat, und namentlich mit der urſprüng⸗ Uichen-Geftalt, im welcher es aus diefem Geifte als fein erſtes großes, lebendiges und frisches, jugendliches und doch bereits inner- lich männfiches Erzeugniß.. hervorgegangen war. Es hielt ſchwer, die, früheren Ausgaben; der ‚Institutio, beſonders "die erfte vom "Hahre: 1536, zu. Geſicht zu bekommen. Sept find uns auf treff» liche Weiſen bie Mittel. dargeboten, das Werk auch in jener Ent- widlung: Kennen „za "srmen. ::Mie, Straßburger Theologen, welche . Coipane Weite im CorpusiRodormatorum "berauägtgeben, haben mid-großer Sorgfalt die verfchiedenen Ausgaben zuſammengeſtellt: in den Bänden XXIX und XXX bes Cörpus. - Das Berfahren, welches fie dabei eingefchlagen haben, iſt ein: fehn: angemeffenes. Wir haben. hier vor Allem (Vol. XXIX, p. 1—251) jene erfte Aus⸗ gabe für ſich in genauem Abdrud (au mit Angabe der urfprüng- lichen Seitenzahl) vor uns. Dann erhalten wir das Werk im

über Calvin's Institutio. 9

zweiten Hanptftabium feiner Entwicklung, zu welchem die Ausgaben von 1539 bis 1550 fammt Abdrüden von 1553 und 1554 ger hören (p. 253—1152). Und zwar ift Hier der Tert vom Jahre 1539 zu Grunde gelegt. Die Zufäge und Umftelfungen, welde ber Xert 1543 und 1550 erfahren Hat und unter welchen die vom Rhre 1543 zum Theil weit ſich erftreden und eingreifen, find fo beigefügt, daß auch ein befonderer Drud fie in die Augen fallen fit. Nur Eines kann man an der Arbeit der Herausgeber hier vermiſſen: es wäre zu wünfchen geweſen, daß fie, wie fie die Vers geihmg der Texte von 1539, 1543, 1550 unter einander durch, Zufammenftellung und durch Anmerkungen unterftügt haben, fo ac von dem Terte des Jahres 1539 aus auf fein Verhältniß zu dem der erften Ausgaben bei dem einzelnen, theils Harmonirenden, this abweichenden Abfchnitten hätten zuridvermeifen mögen. Ges tude biet folgen mehr, als es beim DVerhältniß der anderen Aus» gaben zu einander ftatthat, auf einander ſolche Abfhnitte, in , welchen fih uns eine ganz neue Arbeit Calvin's barbietet, und wie- drum folche, in welden er nur die frühere herübergenommen hat; und auch bei jenen iſt es beadjtenswerth, wie auch die neue Arbeit doch da und dort einzelne Elemente der früheren wörtlich in fi aufgenommen hat. Die Herausgeber Haben barin ganz Recht (Vol. XXIX Prolegom. p. XLVII), daß fie nicht jenen erften Tert jelbjt etwa fo mit dem vom Jahre 1543 zufammenorbnen’ durften, wie den’ letzteren mit dem der folgenden Ausgaben. Aber Kidbeziehungen auf jenes Verhältniß in Noten hätten ſich wohl kit perftelfen laſſen und Hätten das Studium, welches bie Heraus- ger fonft fo norzüglich unterſtützt haben, noch mehr erleichtert. Ginen befonderen Band (Vol. XXX) füllt endlich derjenige Text, in welchem Calvin's Arbeit zum Abſchluß gekommen ift, nämlich, der vom Jahre 1559. Was er gegenüber-.von dem der letztvoran⸗ gumgenen Ausgabe Neues enthält, ift wieder forgfältig durch befon- dem Druck gekennzeichnet. Nur wenige Stellen werden fid finden fen, wo die Unterſcheidung nicht ganz genau durchgeführt, wo ni im Zufammenhang wejentlih neuer Abfchnitte einzelnes Mr, was dazwiſchen mit buchſtäblichem Anſchluß an den früheren Tot uns begegnet, für jene Bezeichnung durch den Druck überjehen

10 sörlin

worden ift: fo einige Sätze auf p. 1030 (Vol. XXX) verglichen mit Vol. XXIX, p. 1005q.; auf p. 1031 vgl. Vol. XXIX, p. 1006; auf p. 1034 vgl. Vol. XXIX, p. 9945q. Dergfeichen Fälle in Calvin's Tegter Ausführung verdienen befondere Aufmerkſambkeit, da für die Methode feiner Arbeit, wie wir unten noch weiter be merfen werden, gerade diefe Art ber Verbindung: zwifchen dem Neuen und zwifchen alten Tertesſtücken carakteriftiih ift. Allen den verfchiedenen, neu abgedrudten Texten haben die Herausgeber voran geſchickt eine fynoptifche Ueberficht über den Gang, in welchem jede einzelne Ausgabe duch die größeren und kleineren Abſchnitte Hin- durch den Stoff entwidelt hat. Der Gang, melden die Ausgaben von 1536, 1539, 1543, 1550, 1559 verfolgen, ift in fünf Co- lumnen fo zufammtengeftellt, daß bei jedem Stüc jeder einzelnen Ausgabe bemerkt wird, wo dafjelbe in den anderen Ausgaben feine Stelle befommen hat. Die Herausgeber erflären, das Anfertigen dieſer Meberfichtstafeln habe ihnen nicht geringen Schweiß gefoftet. - Um Alle, welche der Institutio Caluin’8 nad ihnen Arbeit widmen molfen, haben fie fich dadurch fehr verdient gemacht.

So haben wir denn jegt die Institutio im Proceß ihres Werdens dor uns. Daß fie jedenfalls in Hinfiht auf die formelle ſyſte⸗ matifche Geftaltung ihres Stoffes und auf den Umfang, in weldem fie die Gegenftände und Streitfragen der chriſtlichen Lehrwiſſenſchaft aufnimmt, fehr große Wandlungen durchgemacht hat; zeigt ſchon der erfte Bi in die uns „vorliegenden beiden Bände und ſchon der. Blick auf jene ſynoptiſchen Tabellen. Und ſchon in biefer Hinſicht wird es fehr der Mühe werth fein, der Arbeit eines Calvin genauer nachzugehen. Was jene Wechfel in der Geftaltung eines und bdefjelben Lehrftoffes anbelangt, fo fieht man deutlich: er ſelbſt verfolgte hier in feiner fortfchreitenden Arbeit ein bewußtes Ziel, und dies .ift eben eine echt wiffenfchaftliche fyftematifche Gliederung und Durchdringung bes Stoffes, ‘der unter dem höchften uud zugleich einfachſten, in fich geeinigten dogmatifchen Geſichtspunkten zuſam⸗ mengeftellt werden. follte. Was bie fortgefegte Aufnahme neuer Gegenftände, Ausführungen und Gontroverfen betrifft, fo wird hiefur theils die Ruckſicht auf Streitfragen und zu befümpfenbe Irrthumer in Betracht kommen, welde dem Reformator im Verlauf

über Calvin's Enstitutio. u

ber Jahre vorzugsweiſe in dem Weg traten, theils das Bedurfniß der hriſtlichen Erkenntniß überhaupt, das fich ihm mad) verſchie⸗ denen, urſprünglich weniger beachteten Seiten Hin nod weiter auf drängte. Gerade aber auch während fo der Stoff mehr und mehr mfhwilit und die pofltive Darlegung deſſelben mehr und mehr der Pılmif in ihrem Zufammenhang Raum geben muß, bewährt ſich km gegenüber nur um fo großartiger der fyftematifche Geift, ber at blos die neuen Mafjen ftreng dem bisherigen Zufammenhang finordnet, ſondern zugleich diefen ſelbſt weiterbildet. Und dabei Hat beimige Lebendigleit und Unmittelbarkeit des religiöfen Bewußtſeins, welche neben der Arbeit des dogmatifchen Denkens vornehmlich in dem erften, kurzgefaßten Guſſe des Werkes ſich fundgibt und biefem eimm allem Scholaſticismus . entgegengefeiten Charakter aufprägt, bi den fpäteren, weit ausgedehnten Einzekunterfuchungen und Kämpfen bmigften® fo fortgewirkt, daß die Ausführung in fcholaftifche For⸗ mein und „spinofe Fragen“ (wie Calvin ſelbſt öfters ſich ausdrüdt) fig nie verläuft. Calvin felber erflärt in der Vorrede zu der festen Reduction, mit welder er abſchloß: obgleich ihn auch bie bisher aufgewandte Arbeit nicht‘ gereut habe, habe er doch nie ſich geaug gethan, bis er fein Werk in diejenige geordnete Geſtalt gebradit, in welcher er jet es vorlege; jet aber hoffe er zuver⸗ fihtfih Etwas‘ zu geben, was im Urtheil der Lefer, die ihn ſchon bisher durch ihre warme Theilnahme unterftügt haben, alfgemeinen Beifall finde *). Jedenfalls Hat Calvin in der fortgefeßten Arbeit xnes Ziel fo erreicht, dag er in dieſer Beziehung alle anderen Deologen der Reformation hinter ſich ließ und aud unter den flgenden Dogmatifern der reformirten und Iutherifehen Orthodorie keiner ihm nahe kam. Keiner. der Anderen zeigt dafür auch nur benigftens den Sinn und Trieb, welchen wir in Calvin's Arbeiten ſo unermudlich weiter wirfen fehen.. Zum Vergleich mit Calvin's Histitutio bieten’ ſich uns gerade auch hinfichtlic ihrer allmählichen Entwidtung beſonders Melauchthon's Loci dar, wie fie eben auch ir dem Gorpus Reformatorum nad) ihren verjchiebenen Ausgaben us vorliegen. Wir werden zwar finden, daß ihr erfter Entwurf

Ü VoL XXX, p.2. . B

-12 . ab ſtlin

“in ſyſtematiſcherem Geiſt als die erſte Ausgabe der Institutio ans gelegt ſcheint. Und auch bei ihnen zeigt ihre Umbildung in den folgenden Redactionen ein Streben nach einer noch angemeſſeneren Gliederung des Stoffe. Allein Melanchthon erweift dann hiefür doch weder baffelbe Intereſſe, noch diefelbe Begabung wie Calvin. Der Hauptwerth, welcher feinen weiteren Arbeiten an den Loci zukommt, beruht weit weniger duf einem Fortſchritt, den ſte in ber foeben bezeichneten Beziehung machten, als vielmehr nur in einer fortgefetgten Arbeit an den einzelnen wichtigften Lehrftüden, die mit beforinener Reflexion und in fchlichtem, fittlich religiöfem und evan- gelifchem Geifte immer neu im Einzelnen durchdacht worden find. Das Ganze behält auch bei der letzten Redaction Melanchthon's, fo fehr das Einzelne innerlich in einer hriftlichen Gefammtanfhauung und Logik zufammenhängt, doch in feiner formellen Geftaltung mehr den Charakter einer aneinandergereihten Kette von ;locis‘, während in ber Geftaltung eines Syſtemes Calvin, der Anfangs Hierin hinter ihm zurüdzubleiben fheint, allmählich weit über ihn hinausgefchritten ift. Mit Recht wird man in ber .fortfchreitenden Entwicklung ber Institutio vor Allem eben jenen Fortſchritt in der Geftaltung des Stoffes zum Gegenftande ber Aufmerkfamfeit machen. Damit wird denn bei den Meiften von vornherein. die Amahme fidh: verbinden, daß mit Bezug auf den Glaubensinhaft felbft die Ueberzeugungen bes Verfaſſers fchon feit dem Beginne diefelben geblieben feien. Eben auch in die Klarheit und unwandelbare Feftigfeit, womit Calvin feit dem Anfang feiner Lehrthätigfeit feinen Standpunkt gegenüber von ben evangelifchen Dogmen eingenommen und behauptet Habe, pflegt man ja feine Eigenthümlichkeit zu fegen. Und biefe Annahme wird alferdings auch bei einem Vergleich der verſchiedenen Re— dactionen der Institutio wenigftend mit Bezug auf alles Grund- wefentfiche fich bewähren. Namentlich fällt hier vollends fein großer Unterfchied von Melanchthon und von deffen Verhalten gegenüber der Prädeftinations- und Abendmahl Lehre in die Augen. Nicht umfonft wird e8 indeffen fein, auch hiefür noch genauer auf bie einzelnen Ausgaben einzugehen, ob nicht da immerhin noch ber deutfame Modificationen in der conereten Lehrausführung ſich be merklich machen. Es möchte doch auch hiefür das Wort Auguftin’s

über Calvin's Institutio. 18

beigngiehen fein, welches wir feit der Ausgabe 'vom Jahre 1543 (Vol. XXIX, p. 255) unter Calvin's Vorrede leſen: „Ego ex «rum numero me esse profiteor, qui -scribunt proficiendo et seribendo proficiunt.‘“ .

Indem wir von der fateinifchen Bearbeitung der Institutio aus dem Jahre 1536 als von der erften Geſtalt des Werkes liberhaupt wsgehen, Könnte indeffen vorher. noch Rechenfhaft darüber nöthig erſcheinen, ob wirklich, wie wir im Bisherigen bereits vorausgeſetzt haben, die frauzöſiſche Ausgabe des Jahres 1535, welche wan fonft als die erfte zu bezeichnen pflegte, gar nicht exiftirt hat. In ber neueren Zeit war hierüber befonders unter franzöfifchen reformirten Gelehrten debattirt worden, Unter deutfchen Gelehrten war naments lih auch noch Herzog (Art. „Calvin“ in der Theolog. Encytl.) ad) allen Bedenken, die fich auch ihm erhoben Haben, doc babei fieben geblieben, daß wir eine „doppelte Ausgabe annehmen müffen, die eine, frauzöſiſche, vom Jahr 1535, bie andere, lateiniſche, vom Rhr 1536“ *). Dagegen durfte Stähelin ®) nach, den Beiträgen, bie feither befonders Jules Bonnet für die Entfcheidung der Streit frage gegeben hatte, ſchon zuverfichtlich. ausſprechen, daß biefelbe

+ jegt unbedingt entfchieden fei zu Gunften ber Iateinifchen Ausgabe, als der einzig urfprünglichen. Und dem müſſen wir vollends zu⸗ ftümmen nach der Haren, Alles zufammenfafjenden Darlegung der Gründe, welche uns nun zuerjt in den Prolegomenen zu Vol. XXIX boten, dann auch in der Einleitung zu Vol. XXXI, nämlich zur fangöfifchen Weberfegung der ‚Institutio, noch einmal wiederholt mb theifweife bereichert wird. Hiernach Hat jetzt auch Herzog fein Uttheil geändert %). Entſcheidend tft in der That fehon die eigene Ertlärung Calvin's vor der franzbſiſchen Ueberfegung feines Wertes

a) Gaß (Gefcjichte der prot. Theologie I, 99 [vom Jahre 1854]) redet noch ohne Zweifel zu erwähnen von einer urjprünglid, franzöſiſchen Ansgabe aus dem Jahre 1535 und zwar von einer anonymen (hierüber fiche nnten).

V a. a. O. S. böof.

q Encyti. XIX, 307. Dorner Geſch. der proteſtant. Theologie, S. 375) hat, indem er noch diefelbe Angabe wie Gaß vorbringt, offenbar die neueften Unterſuchungen überjehen.

12 aöd ſtlin

“in ſyſtematiſcherem Geiſt als die erſte Ausgabe der Institutio an- gelegt ſcheint. Und auch bei ihnen zeigt ihre Umbildung in ben folgenden Rebactionen ein Streben nad; einer noch angemefjeneren Gliederung des Stoffe. Allein Melanchthon erweift dann Biefür doch weder daffelbe Intereſſe, noch diefelbe Begabung wie Calvin. Der Hauptwert$, welder feinen weiteren Arbeiten an den Loci zufommt, beruht weit weniger duf einem Fortſchritt, den ſte im ber foeben bezeichneten Beziehung machten, als vielmehr nur im einer fortgeſetzten Arbeit an ben einzelnen wichtigften Lehrſtücken, die mit beforinener Reflerion und in fchlichtem, fittlich refigiöfen und evan⸗ gelifcdem Geifte immer neu im Einzelnen durchdacht worden find. Das Ganze behält auch bei der letzten Redaction Melanchthon’s, ſo fehr das Einzelne innerlich in einer hriftlichen Gefammtanfchauung und Logik zufammenhängt, doch in feiner formellen Geftaftung mehr den Charafter einer aneinandergereihten Kette von 5locis‘, während in der Geftaftung eines Syſtemes Calvin, der Anfangs hierin’ hinter ihm zurüdzubfeiben ſcheint, allmählich weit über ihn hinausgefchritten iſt. Mit Recht wird man in der .fortfchreitenden Entwicklung der Institutio vor Allem eben jenen Fortſchritt in der Geftaltung des Stoffes zum Gegenftande der Aufmerkſamkeit machen. Damit wird denn bei den Meiften von vornherein die Amahme fich: verbinden, daß mit Bezug auf den Glaubensinhalt felbft die Ueberzeugungen des Verfaſſers ſchon feit dem Beginne diefelben geblieben feien. Eben auch) in die Klarheit und unmandelbare Feſtigkeit, womit Calvin jeit dem Anfang feiner Lehrthätigkeit feinen Standpunkt gegenüber von den evangelifchen Dogmen eingenommen und behauptet habe, pflegt man ja feine Eigenthümlichleit zu fegen. Und diefe Annahme wird allerdings auch bei einem Vergleich der verſchiedenen Re dactionen der Institutio wenigftens mit Bezug auf alles Grund» wejentliche fich bewähren. Namentlich; fällt hier vollends fein großer Unterfchied von Melanchthon und von deffen Verhalten gegenüber der Prädeſtinations⸗ und Abendmahls Lehre in die Augen. Nicht umfonft wird e8 indeſſen fein, auch hiefur noch genauer auf bie eingefnen Ausgaben einzugehen, ob nicht da immerhin noch ber deutfame Modificationen in der concreten Lehrausführung fich be merklich machen. Es möchte doch auch hiefür das Wort Auguftin’s

über Calvin's Institutio. 18

Beiquziehen fein, welches wir feit der Ausgabe vom Jahre 1543 (Vol. XXIX, p. 255) unter Calvin's Vorrede lefen: „Ego ex eorum numero me esse profiteor, wi -scribunt proficiendo et scribendo proficiunt.“

Indem wir von der Inteinifchen Bearbeitung der Institutio aus dem Jahre 1536 als von der erften Geftalt- des Werkes überhaupt ausgehen, Könnte indefjen vorher. noch Rechenſchaft darüber nöthig eigenen, ob wirklich, wie wir im Bisherigen bereits vorausgeſetzt haben, bie franzöftfche Ausgabe des Jahres 1535, welche ar fonft als die erfte zu bezeichnen pflegte, gar nicht exiftirt Hat. In der neueren Zeit war hierliber beſonders unter franzöſiſchen reformirten Gelehrten debattirt worden, ‚Unter deutfchen Gelehrten war nament Gh auch noch Herzog (Art. „Calvin“ in der Theolog. Encyff.) ud alfen Bedenken, die fich auch ihm erhoben haben, doch dabei fehen geblieben, daf wir eine „Doppelte Ausgabe annehmen müffen, die eine, franzöfifche, vom Jahr 1535, die andere, lateiniſche, vom Jahr 1536“ ®). Dagegen durfte Stägelin ®) nach ben Beiträgen, die feither beſonders Jules Bonnet für die Entſcheidung der Streit frage gegeben hatte, ſchon zuverſichtlich ausſprechen, daß biefelbe

+ gt unbedingt entſchieden ſei zu Gunften der Lateinifchen Ausgabe, als der einzig urfprünglichen. Und dem müſſen wir vollends zu⸗ ftinmen nach der Haren, Alles zufammenfaffenden Darlegung der Gründe, welche und nun zuerft in den Prolegomenen zu Vol. XXIX boten, dann auch in der Einleitung zu Vol. XXXI, nämlich zur Munöfifchen Ueberfegung der Institutio, noch einmal wiederholt md theilweiſe bereichert wird. Hiernach hat jet auch Herzog fein Urteil geändert )). Entſcheidend ift in der That ſchon die eigene Ctllarung Calvin's vor der franzöfifchen Yeberfegung ſeines Werkes

i) Gaß (Gefchichte der prot. Theologie I, 99 [vom Jahre 1854]) vebet noch ohne Zweifel zu erwähnen vom einer urſprünglich franzöfiichen Ausgabe aus dem Jahre 1585 und zwar von einer anonymen (hierüber fiche unten).

Ya.e.D, ©. 55f.

Y Eacyti. XIX, 307. Dorner Geſch. der proteftant. Theologie, S. 375) hat, indem ex noch biefelbe Angabe wie Gaß vorbringt, offenbar die neueften Unterfuihungen überjehen.

14 sörlin

aus dem Jahr 1541. Sie wird uns jegt VoL XXIX, p. XXIX und Vol. XXXI, p. XVI nod genauer als bei Stäheln ©. 56 mitgetheilt. Schon auf dem Titel heißt e8 dort: „Institution... 'composee en latin par J. Calvin et.translat6e en fran- gais par luymesme.‘‘ Und in der Vorrede fagt Calvin, nachdem

er von der Abficht feines Werkes geredet: „A ceste fin j’ay com-

pos& ce present livre; et premierement l’ay mis en latin, ä ce qu’il peurt servir & toutes gens d’estude,.de quelque nation qu’ıl feussent: puis apres desirant de .com- muniquer ce qui en povait venir de fruict & nostre Nation Frangaise l'ay aussi translate en nostre langue “. &8 ift aller- dings die zweite, nicht die erfte Bearbeitung des Werkes, von beren Uebertragung er Bier redet, Hätte aber feine „franzöſiſche Nation“ ſchon vorher einen eigeus für fie beſtimmten Tett der erften Ber arbeitung beſeſſen, ja wäre dieſe fchon urfpränglich eben für fie franzöſiſch von ihm-abgefaßt gewefen, fo dürften wir ſicher irgend einen Hinweis darauf. an der. bezeichneten Stelfe bei ihm erwarten, einen fiheren Beweis kann id) in einem neuer- dings öfterg citirten Brief Calvin's vom 13. October 1536 fehen, worin er von einer franzöfifchen Ausgabe feines „VBücleins* redet. Und zwar redet er, was Herzog in der Theol. Euchkl. II, 512 überfehen Hat, erft von feiner Abficht, eine folche zu veranftalten; er fagt: „singulis .momentis de Gallica libelli nostri editione eogitabamus “. Das bezieht denn Stähelin (a. a. O., ©. 56) ohne Weiteres auf die Institutio, mit deren Ueberfegung in’s. Franzo⸗ ſiſche demnach Calvin damals erft fich beichäftigt Habe. Und dieſe Beziehung ift auch recht wohl möglich, ja wahrſcheinlich; das Dir minutiv libellus fteht, wenn man auf den Umfang der erften Bes arbeitung ficht, nicht im Wege; Calvin felbft nennt fie im der Vorrede feines Commentars zum Pſalter: „brove duntaxat enchi- ridion“. Möglich wäre indeffen doch auch (vgl. ach Corp. Ref. Vol. XXIX, p. XXIX; Vol. XXXI, p. XXI), daß Calvin damit feine Schrift über den Seelenfchlaf gemeint hätte. Gegen über von jenem Beweis aber läßt nun fein einziges Argument mehr ſich fefthaften, das man für die Priorität einer franzöfifchen Ausgabe anführen möchte. Nirgends hat man eine Spur von

über Calvin's Institutio. 1

Eremplaten einer folchen entbedt, nirgends das Zeugniß eines eitgenoffen, der „eine ſolche gekannt hätte. Man Hat gemeint, Gulvin werde doch wohl gegenüber vom franzöfifchen Könige, welchem er das. Werk mit feiner berühmten Zufchrift dedicirte, ber franzds fügen Spradje ſich bebient haben. Diefes Bedenken erledigen nun unfere Herausgeber beſonders in ber Einleitung zu Vol. XXXI vollſtandig: nicht nur war damals die lateinische Sprache die »unis verfelle, internationale, diplomatifche, die Sprache par excellence«, jondern wir erhalten zu jener Iateinifchen Dedication Calvin’s auch no zwei weitere fpecielle Beifpiele in einer Debication Caſaubon's md einer Dedication. de Thou's an König Heinrich IV., obgleich Heinrich gewiß Fein größerer Latinift als fein VBorgäuger Franz war. Durchſchlagend hatte Manchen das Argument gefchienen, daß in den franzöftfchen Ausgaben die Debication ſchon vom 23. Auguft 6 Jahres 1535 datirt ift (in der Lnteinifchen des Jahres 1536 vom 23. Auguft ohne Jahreszahl, in den folgenden Tateinifchen vom 1. Auguft 1536). *) Dieſer Punkt ift aber von den Heraus. gebern ebenfo klar als ſcharfſinnig aufgehellt. Die Iateinifche Ans- gabe vom Fahre 1536 enthält,. was man früher überfehen Hatte, am Schluß die Bemerkung der Basler Druder Platter und Laſius, daß fie im Monat März des Jahres 1536 vollendet worden fei. Demnach muß auch Hier der 23. Auguft vom Jahr 1535 vers ftanden werden; eben die lateiniſche Dedication war damals ſchon ihrieben worden, nur der Drud hatte ſich noch fo lange verzögert, und zwar ift auch bie Urſache der Verzögerung aufgeklärt: fie lag in finanziellen Verlegenheiten Platter’s. Die fpäteren Druder der Iateinifchen Ausgabe nahmen dann das dort am Schluß des Buches genannte Jahr 1536 falſchlich auch für's Jahr der Dedication. Daneben fegten fie ftatt des 23. Auguſts wohl deswegen ben 1. Auguſt, weil diefen die Borrede der zweiten lateinischen Ausgabe M ihrem Datum Hat. ‚Man meinte endlich, die erfte Ausgabe müffe zufolge einer Aeußerung Ealvin’s in feinem Pfalmencommen-

)& wie Stähelin &. 55 das Datum twiebergibt, nämlich mit dem 1. Auguſt und mit der Jahreszahl 1535, findet es ſich in gar Teiner Aus - gabe. -

16 Körlin

tar anonym erfchienen und fönne mit der erften Lateinischen Aus: gabe, die ſchon Calvin's Namen auf dem Zitel trage, deshalb nicht ibentifch fein. Allein der Beweis würde zu weit führen: denn Calvin hätte ja auch ſchon der angeblichen erften Ausgabe vom Jahr 1535 in der. Dedication feinen Namen mitgegeben. Und Calvin's Worte an, jener Stelle find überhaupt nicht von einer Anonymität in dem hier angenommenen Sinne zu verftehen. Calvin will dort dem Vorwurf begegnen, daß er ſich mit feinem „Lurzen Handbüchlein“ einen großen Ruf habe machen wollen; er fei, fagt er biegegen, ja bald darauf (ex brevi) aus Baſel weggegangen, ohne daß Jemand gewußt habe, er fei der Verfaffer. Hiebei aber "ift man nicht daran zu denken, daß er feinen Namen Calvin nicht auf den Titel wie auch unter die Debdication gefegt. Hätte, fondern daran, daß er, wie ſchon Jules Bonnet nachgewiefen hat, damals und fo aud in Baſel nicht unter diefem, fondern unter anderen, angenommenen Namen fich umgetrieben und z. B. auch Briefe ge⸗ ſchrieben Hat. Ich hielt es nicht für überflüffig, die entfcheir denden Punkte, welche von den Herausgebern weitläufiger entmidelt werden, hier kurz zufammenzufafjen. Die Streitfrage ift mit ihnen ohne Zweifel erledigt. Zu berichtigen ift hiernach die Art, wie Stähelin a. a O., ©. 56 den ſcheinbaren Widerfpruc der Jahres⸗ zahl 1536 mit dem Datum der Dedication zu löſen fucht: daß nämlich, das Buch ſchon zu Ende des Jahres 1535 gedrudt, aber um ein Jahr vorbatirt worden fei. Zugleich wird übrigens auch noch eine Annahme der Herausgeber anzufechten fein. Sie vermuthen Vol. XXIX, p. XXVI: Calvin werde gemäß jenem Ausdrud „ex brevi“ aud ſchon vor Vollendung des Drudes Bafel verlaffen Haben und fo umfomehr von feiner VBerborgenheit als Verfaſſer des Werkes haben reden fünney. Stähelin (S. 93) laßt ihn ſchon gegen den Schluß der ſchönen Jahreszeit 1535 über die Alpen nad) Htalien und zur Herzogin von Ferrara wandern (vgl. aud Herzog a. 0. O., ©. 513). Dem fteht eine nenere Ausführung Rilliet's entgegen, wonach derſelbe bis zur Vollendung des Druces ruhig in Bafel blieb und erft am Ende des März 1536 von dert abging *).

8) Rilliet, Lettre à Mr. Merle d’Aubigns sur deux points obscures de 1a vie de Calvin (Gendre 1864). In deutſchen Blättern erinnere ich

über Ealvin’s Institutio. 17

Wir finden Rilliet's Abhandlung, welche erſt nach dem 29. Bande des Corp. Reform. erſchienen iſt, in Vol. XXXI, p. XXX als „une brochure aussi spirituelle que savante“ citirt, doch ohne daß auch noch mit Bezug auf die foeben angeregte Frage von ihr Gebrauch gemadt würde. In der Entſcheidung der Hauptfrage wird indeffen dadurd Nichts geändert.

Berner bedarf es noch einer kurzen Erörterung darüber, ob nicht -

für die Gefchichte der inneren Entwicklung des Calviniſchen Wertes bie franzöfifchen Ausgaben trog der Priorität der lateiniſchen doch mit in Betracht zu ziehen find. Es müßte dies umfomehr ger fchen, je mehr Calvin in einer von ihm felbft herſtammenden Uebertragung das, was er überjegte, zugleich nod) genauer erläutert und theilweis auch ſchon umgeftaltet und weitergebildet Hätte, Einen Vergleich der franzoſiſchen mit den Inteinifchen Ausgaben machen und die weiter erſchienenen Bände des Corp. Reform., Vol. XXXI und XXXII möglich. Wir erhalten Hier zuerft in der ſchon bisher erwähnten Cinfeitung des 31. Bandes eine Ueberficht über die ver. ſchiedenen Editionen der Ueberfegung, welche zu Calvin's Lebzeiten erichienen find und welche je auf den verfciedenen Hauptausgaben des lateinifchen Textes ruhen. Auch ift Hiebei aus der erften Ueber⸗ fegung vom Jahre 1541, welcher ſchon die zweite lateiniſche Res daction vom Jahre 1539 zu Grunde liegt, die oben von uns erwähnte Vorrede vollftändig abgebrudt (p. XXXIII). Die fran ‚fie Institution felbft Haben dann die Herausgeber durch jene beiden Bände hindurch in ber ſchließlichen Hauptausgabe des Jahres 1560 vorgelegt, während fe daneben in fortlaufenden Anmerkungen über die Abweichungen derfelben von den früheren franzöſiſchen Auss gaben berichten, auch kleinere und größere Stücke aus dieſen wörtlich beifügen; zugleich vergleichen ſie in den Anmerkungen die Ueberfegung mit dem Tateinifchen Grundtexte. Für die Frage, die wir hier noch erörtern wollten, ergibt ſich nun das Folgende. Die Ueber fegung in jener erften Ausgabe ift, wie wir bereit6 aus den oben

mid nicht diefe Schrift ſchon belprochen gefunden zu haben, außer bei Herzog, Encyfi. XIX, 807, und eingehender an einem Orte, wo man nicht nad ihr ſuchen wird, nämlich im Cotta’ ſchen Morgenblatt 1864, Nr. 81,

Theol. Stud. Jahrg. 1868, 2

18 Körlin

eitirten Worten der Vorrede vernommen haben, aus Calvin's zigener Hand Hervorgegangen. Aber fie folgt, wie auch die Herausgeber (p. XXVIO) auf Grund genauer Vergleihung erllären, Sag für Sag dem lateinifchen Original; ja fie ſchließt ſich diefem fo ftreng an, daß fie mitunter für Lefer, welche mit dem Latein weniger vertraut find, dunkel werden muß. Einzelnes freilich wird ſich doch in ihr finden laffen, was Calvin hier eigenthümlich ausgedrückt oder auch erläuternd dem urfprünglicen Texte beigefügt hat. So Iejen wir hier in dem Abſchnitt von der bürgerlichen Obrigteit, ehe Calvin auf die mit den verfchiedenen Verfaffungsformen verbundenen Ge- fahren eingeht, mehrere dem franzöfiichen Text eigenthümliche Säge, in welchen er Monerchie, Ariftofratie, Demokratie kurz befinirt (Vol. XXXI, p. 1133 vgl. Vol, XXIX, p. 233 und 1105. Vol. XXX, p. 1098); fie waren, wia wir aus dem fehlen einer dem entgegengefegten Notiz Bei unferen Herausgebern ſchließen müſſen, von Calvin ſchon feiner eigenen, erften Ueberfegung eingefügt. Solche Aenderungen des Inhaltes indefjen, welche für unſeren Zweck bermöge ihrer inneren Bebentung in Betracht zu ziehen wären, find mir wenigſtens nicht in die Augen gefallen. Nur in Betreff einer Umſtellung, welde Calvin 1541 an der Reihenfolge der Capitel vorgenommen Hat, werben wir auf jene Ausgabe zurückkommen müffen. Im Anſchluß an die lateiniſche Ausgabe von 1543 erſchien dann eine zweite franzöfifche 1545. Von ihr Habe ich aus dem eben vorhin erwähnten Abfchnitt und Zufammenhang eine recht beachtenswertfe Modification des lateiniſchen Textes anzuführen, welde von unferen Herausgebern gar nicht bemerkt worden zu fein ſcheint. Calvin läßt in jenem Zufammenhang 1543 den neu auf | genommenen Sag folgen: „‚equidem, si in se considerentur tres illae regiminis formae, minime negaverim vel aristo- cratiam vel temperatum ex ipsa et politia (== Demofratie, nad griechiſchem Sprachgebrauch von zoArrei«) statum aliis om- nibus longe antecellere“. Statt defjen jagt die Ausgabe, welche für Frankreich in der Landesſprache erſchien, offenbar abſichtlich weit unbejtimmter: „vray est que si on fait comparaison des trois especes, que la préeminence de ceux qui gouverneront tenants le peuple en libert£, sera plus à priser“.

- Aber Ealuin’s Institutio. 10

Alein hei dieſer Ueberſetzung Haben wir nun ſchon feine Gewähr mehr dafür, daß fie, wenn fie aud) das „translat6e par luymesme auf dem Titel behält, Darum ihrem gauzen Inhalte nach, nämlich u in den Stüden, welche nad) 1543 aufzunehmen waren, direct von Calvin verfaßt fei. Vollends Hört eine folhe Gewähr auf bei der ſchließlichen franzöſiſchen Ausgabe vom Jahre 1560; ja «6 ſtellt fi Hier vielmehr ein theilweis entgegengefegter Sachverhalt Heraus, Hier iſt Die Ueberfegung bis zum 7. Capitel des erften Auges eine ganz neue, nerjchieden von der des Jahres 1541, die af Auch die dazwiſchen liegenden Ausgaben mit ben durch bie Aendexungen des Originals - bedingten Zugaben ſich forterhalten hatte; letztere ift daher ‚hier von den Heransgebern anmerfungsweife, beigefügt worden, Im weiteren: Verlauf, beſchränkt ſich das Werk Kr neuen Ueberfegung anf die vielen neuen Beftandtheile des Ori« guoßß vor Jahre 1559, während im Webrigen der ‚alte franzöſiſche Rat beibehalten iſt, und zwar zeigen jene Beſtandtheile hier man⸗ cherlai Abweichungen nom Original, aud) viele Heine Erweiterungen. Alsin in Yetreff dieſes Theiles ber Uebertragung Haben win die Hagugoeber einleuchtend nachgewieſen, daß man fie ‚her Feder Lalvin's ‚nicht beilegen dürfe, da ſich hier nicht blos gine große Zahl na Ungenapigfeiten, Auslaffungen und müßigen Zuſätzen fine, ſondern auf eine Reihe von Stellen, wo der Ueberfeger affenbat ſelbſt hen Inteinifchen Text nicht verftgnden habe. Won der none. Bearbeitung jener erften Eapitel meinen die Herausgeber, fie menigftens ſei vielleicht von Calvin felbft. Und hiefür könnte man auch ainen, bei anderer Gelegenheit-‚von ihnen heigebrachten Brief N. Kalladon’3 (Vol. XXIX, p. XLI) geltend machen, ‚worin ditſer aus sigener Erinnerung erzählt, wie Calpin felber mit ‚einge fanftigen Meberfegung jeiner Institutio ſich beſchäftigt, Vieles hiefür dietirt, daneben Blätter aus einem älteren franzöſiſchen Eremplar eingeſchaltet habe u. ſ. w. Indeſſen fcheint ‚mir auch jener erſte Theil in ſeinem Inhalt ähnliche, obgleich nicht fo viele md auffallende Kennzeichen, wie jenes pätere, darzubieten, welche af eine andere als Calvin's Hand, fahliegen Lafjen. Auch ſchon bier ſehlt der Satzverbindung, während fie mehr Weitſchweifigkeit als im Origingl zeigt, doch die rechte Klarheit und Sphärfe des

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Gedankens, welche wir erft im Rüdblid aufs Original gewinnen. Auch Her ſchon finden ſich Ungenauigkeiten, Auslaffungen und Zus füge, die den Sinn des Verfaffers abſchwächen oder geradezu ftören; man vergleiche befonder8 vom 5. Gapitel ab; überdies haben aud) die Herausgeber felbft unter die Stellen, welde gegen die Ueber- fegung der auf Cap. 7 folgenden, Abſchnitte durch Calvin zeugen ſollten, ein recht ſchlagendes Beiſpiel mit aufgenommen, das ſchon dem 5. Capitel zugehört. Nach dieſen Wahrnehmungen und den eigenen Erklärungen ber Herausgeber über den Urſprung der Meberfegungen Tann ich nebenbei die Bemerkung nicht unterdrüden, daß es principiell richtiger gewefen wäre, in's Corpus Reforma- torum den Text ber erften franzöfifchen Ausgabe, als den biefer Iegten, in extenso aufzunehmen, wenn aud auf die Gefahr Hin, bag dann durch Beifügung der fpäteren Stücke unter jenen Tert der Drud eine minder ſchöne Geftalt bekommen hätte. Es ift nicht blos, wie bie Herausgeber fagen (Vol. XXXI, p. XLV) „wahr, daß die älteren Texte in gewiſſem Sinne mehr authentiſch find“ ; fondern fie felber Haben zuvor dafür ſich erflärt, daß jener es in Wahrheit allein fei. Am meiften kann man ihrem Verfahren von einem praftifchen Gefichtspunft aus Recht geben, nämlich mit Ruckſicht auf die Verbreitung der neuen Ausgabe unter franzöſiſchen Lefern, deren größtem Theil ohne Zweifel daran gelegen fein wird, den Text der fchlieglichen Redaction auch in franzöfifcher Sprache als ein Ganzes vor fih zu haben. Wir aber dürfen jegt nad dem Gefagten überhaupt wieder "von den franzöfifchen Ausgaben zu der Oeftaltung des Werkes in den Tateinifchen uns zurückwenden, Den Gang, melden die Entwiclung des Werkes nahm, über- bliden wir zuerft im Ganzen und Großen. Darauf werden wir im Betreff einzelner Lehrſtücke näher zuzufehen haben, wie ihr | . Stoff im Verlauf der Arbeit weiter auseiriandergelegt und beftimmt worden ſei wieweit etwa auch der Standpunkt Calvin's in der Auffaffung und dem Vortrag bderfelben ſich mobificirt zeige (jo in unferem zweiten Artifel). -

x -

Es ift ſchon oben bemerkt worden, daß Calvin’s Institutio in ihrer erften Ausgabe noch weniger den Eindrud einer ſyſtema⸗

Aber Calvin's Institutio.

then Ausführung der chriftlichen Lehre madje als die Loci Mer lanchthon's in ihrem erften Entwurfe. Beim Weberblid über bie einzelnen Beftandtheile, in welde jene zerfällt, möchte man fogar überhaupt zweifeln, ob in dieſer Gliederung des Stoffes ein wiſſen⸗ ſcaftlicher, ſyſtematiſcher Geift thätig gewefen fei, fo wenig dann bei genauerem Einbli ein ſolcher Geift ſchon hier fich verfennen

Es find bie alten Hauptſtucke des populären Kriftlichen Unter» richts, in welchen auch Calvin Hier. den Stoff feiner: Institutio christianae religionis auselnanberfegt. Sie folgen aufeinander " in derjenigen Ordnung, in welcher Luther fie zu einem Katechismus vereinigt hat. Beim Eintritt in das Buch nad) der Zuſchrift an König Franz empfängt uns fogleich als Auffchrift des erften Eupitel8 der Titel De lege, quod decalogi explicationem eon- finet“ (p. 27 5q. unferer Ausgabe). Das zweite handelt De fide, in- dem e8 den Inhalt des apoftolifchen Symbolums erplicirt (p.56—86); das dritte vom Gebet, in Auslegung des Vaterunfers (p. 81—101). An diefe drei Hauptftüde reiht ſich, wieder ähnlich wie in Luther’ Latechismus, eine Ausführung über Taufe und Abendmahl, die beiden einzigen wahrhaftigen Sacramente des Neuen Bundes, in op. 4 (p. 102—140). Darduf aber folgt nun bei Calvin noch in Gap. 5 eine befondere Widerlegung ber katholiſchen Lehre von angebfühen fünf weiteren Sacramenten (p. [41—195); endlich in Cop. 6 (p. 195—248) eine Belehrung über die „chriſtliche Freiheit“, bo der Verfaffer aus Anlaß der Trage, wie ber dieſer Freiheit theilhaftige Chrift zu menſchlicher Geſetzgebung ſich verhafte, auch die Grundfehren von der Kirchengemalt und nicht minder von der veltfichen Obrigfeit eingehend erörtert.

Neben der Methode, nach welcher Calvin den Lehrftoff zunächft ter jene drei Hauptſtücke zufammengefaßt Hat, erfordert hier eben auch das Verhältniß, in welchem nun hiezu die noch folgenden Ca- Piel ftehen, unfere Aufmerkſamkeit. An ſich boten jene Hauptftüce einen Rahmen dar, im welchen bereits der ganze weſentliche Inhalt ks griſtlichen Unterrichts fich befaffen Tieß, wenn überhaupt einmal dr Stoff nach ihnen gegliedert werben follte. Die Institutio wird af dem Titel unferer erften Ausgabe bezeichnet als „totam fere

2 * Kötlin

pietatis suminam et quidquid est in doctrina salutis cogkitu necessarium, complectens“. Und in der That hat Calvin Alles, was von bet Heilslehre „zu wiſſen nothwendig ift“, wenigftens den Gtundzügen nach ſchon fo vollſtändig in jenen Rahmen auf genommen, daß fich daran ſehr leicht ätich Alles, was welter noch der Darlegung bedürftig ſchien, Hätte anreihen laſſen. Et Hat, wie wir beiläufig bemerken, dort ſchon auch ſolche Lehrſätze erürtitf, denen nicht blos Luthet in feinem Katechisinus gerhäß dert Zwecken einet prattiſch-⸗ katechetiſchen Lehrſchrift keine derattige Etdrierung zu Theil werden laßt, ſondern auf welche dich Melauchthon in feinen Loci Anfangs noch nicht näher Hatte Eingehen wollen, weil es in ihnen um die höchſten objectiven, mehr arzebeteitden als zu erforfchenden Myſterien fich handele, nämlich die Lehre Bor bes Sottesfohried ewigemn Weſen und -Verhäftniß zum Bater. Dort bot ja Hu filr die Gegenftände, welche Calvin vielmehr erft in drei weiteren, befonderen Capiteln behandelt Kat, beſonders das‘ zweite Hauptſtuck beim vierten: Theile des apoſtoliſchen Symbolums (p. 725qq.) Raum und Ankgüpfung: die Lehre bon det Kirche und von ber Sünbenvergebung, deren man eben im ber Kirche ge- nieße, führte vom felbft auf die Lehre dom dei Sacramenten, von Klrchengewalt und Kirchenregiment, von unberedjtigten ober berech⸗ tigten kirchlichen Satzungen. Zur Lehre bon det Kitche und Ger meinſchaft der Heiligen gehörte fofort auch der Gegenſatz gegen die römische Auffaffung von Ordo und Prieftertfum, auf welchen Calbin dann erft im 5. Gapitel bei den fünf fälfchfichen Sacratnenten zu reden kommt. Ueber bas Binden und Löfen nuch dem Sinne Ehriftt hatte Calvin auch wirklich ſchon dort feine Haiptfäge Kurz ausgeführt, während er im 5. Capitel bei der Lehre vom Ordo erft wieder nen bavon unhebt und auch im 6. Kapitel bei der Lehre von der Kirchengewalt theilmeife hoc) einmal darauf zurückkommen mußte. Für die Lehre von den weltlichen Obrigkeiten, Wwelche ſich dann an bie von ber Kirchengewalt bei ihm anfchliegt, hätte ſich derſelbe Anſchluß auch ſchon innerhalb einer allgemeinen Rehraus- führung über die Kirche durchführen laſſen. Beſonders auffallen kann die Behandlung, welde in jener Gliederung des-Stoffes der Lehre von der Buße zu Theil geworden ift. ine Erörterung der

über ‚Ealvin’s Institutio. 23

Hauptmomente, welche zu diefer Lehre gehören, zieht fi, wie wir bald noch näher fehen werden, ſchon durch die beiden erften Haupte füde Hin: eine Erflärung über die Wirkung, melde zum Behnf der Sündenerfenntniß das Geſetz hervorbringen, über ben felig- machenden Glauben, den die Predigt von Chriftus erwecken folle u. ſ. w. Schließlich wird hier bei der Ausfage des apoftolifchen Symbole über die Siündenvergebung Alles dahin: zufammengefaßt, daß die Gläubigen die Vergebung empfangen, wenn fie, vom Bewußtſein der Sünden barniebergebeugt, ihr. Fleiſch und alles das Ihrige abtödten, daß fie diefe Buße während ihres Wandels im Kerfer des Leibes beftändig fortfegen müffen, und daß fie nicht etwa hiedurch die Vergebung felber verdienen, vielmehr unter völliger Geringſchätzung ihrer ſelbſt erft die Barmherzigkeit Gottes in Ehrifto verfihmeden und in gewiſſer Zuverficht zu der Bier dargebotenen Vergebung wieder aufleben follen. Nachher aber, gegenüber vom fathofiihen Bußſacrament, handelt Calvin erft noch neu und noch eingehender von diefer Abtöbtung und Vergebung, um von hier aus überqugehen zur ſcholaſtiſchen Lehre von contritio, confessio, satig- factio, von der wahren Schlüffelgewalt u. j. m. Gegenüber vom Inhalt jener drei Hauptftüce kann das, was die weiteren Capitel nachbringen, jedenfalls nur als -ein Anhang gelten. Ja es find Anhänge nur zu einzelnen Veftandtheilen jener Hauptftüde. Allein dem Umfang nach wird das, was wir als die Hauptmafje des Buches anfehen möchten, von den Anhängen“ beträchtlich über» troffen, umd zwar fo ganz beſonders auch jenes wichtigſte Haupt» ftü De fide; man vergleiche die oben angegebenen Seitenzahlen. Mit Bezug auf die letzten Capitel Täßt ſich nicht mehr fagen ®), daß das Buch in feiner erften Ausgabe in der That ganz dem von Calvin felbft ihm beigelegten Namen eines „Eurzgefaßten Hand» buchs“ entſpreche. Werner hat hier aud) der Gedanfengang mehr wiffenfchaftliche Strenge als in den erften Hauptſtücken. Wir dürfen nicht meinen, Calvin hade Hier fich mehr gehen laſſen und fei dadurch auch mweitläufiger geworden. Er fehreibt vielmehr gerade bier mit befonberer. Umfiht und Schärfe. So fand dann

a) Stägelin a. a. O. I, 74.

a Köftin,,

Calvin, als er fein Werk erweiterte, und umarbeitete, auch weit weniger burchgreifende Aenderungen bei den Beftandtheilen der letzten als bei denen der erften Capitel nöthig. "

Es laßt fh im Voraus erwarten, daß bejtimmte und ſpecielle Sntereffen und Motive der Grund waren, weshalb Calvin den Stoff feiner drei fetten Capitel in diefer Weife ausführte. Und zwar haben wir hiebei noch zu unterfeheiden zwifchen dem vierten und zwifhen dem fünften und fechften, deren Ausführlichfeit am meiften auffallen kann. Dort, bei der Lehre von den beiden Sa- eramenten, wobei beſonders die vom Abendmahl erörtert wird,- hat Calvin vorzugsweife ein Bedürfniß im Ayge, mweldes aus dem Schooße des Proteftantismus.. felbft heraus ſich geltend ‚machte. Es ift ihm um die richtige Stellung feiner evangelischen Lefer zu den immitten der evangelijchen Gemeinschaft ausgebrocdenen Streitig- feiten zu. thun. Vornehmlich in diefem Sinne fonnte er (p. 102) fagen: „nunc de sacramentorum ratione dicendum erit, de qui- bus certam aliquam doctrinam tradi magnopere nostra refert“. Analoge Gründe haben Luther veranlagt, in feinem großen Kate⸗ Hismus dem Abfchnitt über Taufe und Abendmahl eine folche Aus- dehnung zu geben. Gegenüber von den bisher in jenem Streit aufgeſtellten Haupttheorieen, der lutheriſchen und der ſchweizeriſchen, will Calvin jegt den ihm eigenthümlichen Standpunft begründen und Mar maden:*fid fern Haltend von einer Auffafjung, welche, um die wahre Bedeutung der Sacramente zu behaupten, Gott an irdiſche Werkzeuge zu binden und dem Leib Chrifti den Charakter wahrer und menuſchlicher Leiblichteit abzuſprechen Gefahr Läuft, noch weit angelegentlicher aber fich verwahrend gegen eine Herab- fegung jener Bedeutung, wobei man die Sarramente, anftatt vor Allem göttliche Mittel. zur Stärkung des Glaubens und zu geift- licher Nahrung in ihnen zu erfennen, ganz oder wenigftens über- wiegend nur zum Ausbrud menſchlichen Bekennens, ja am Ende gar zu einem leeren Schaufpiel made. Daß der wahre Gehalt der Sacrämente nicht aufgegeben werben follte, war ſchon hiemit aud den Vorwürfen des Katholicismus ‚gegenüber verſichert; eigens und eingehend wendet ſich gegen ihn unfer Capitel nur mit feinen Erklärungen über die Anbetung der Hoftie, über den Laienkelch und

über Calvin's Institutio. B 26

beſonders Über bie Meſſe. Dagegen iſt dann bei den weitläufigen Ausführungen der beiden letzten Capitel das Verhältniß zum Ka⸗ tholiiemus das eigentlich Beſtimmende für Calvin. Eigens gegen dieſen, beſonders gegen feine Buße und Schlüffelgewalt und gegen fein prieſterthum, wendet ſich die wefentlich polemifche Ausführung des fünften Capitels. Im ſechsten Capitel überwiegt über bie por lemiſche Tendenz die apologetiſche: während die Evangelifchen mit guten Gründen die Kirchengewalt nad päpftfichern Sinn und, bie Sagungen, unter welchen diefe die Seelen knechte, zurlichweifen, ſoll man nicht meinen, daß ſie dem Staat, den politiſchen Geſetzen, den Obrigkeiten oder auch nur wenigſtens den böfen, tyranniſchen Mer genten bie vollſte Anerlennung und völligen, bürgerlichen Gehorſam verweigern, noch auch, daß fie Überhaupt von einer Kirchengewalt er von Firchlichen Ordnungen Nichte miffen wollen. Es ſoll blog das geiftliche und das politifche Negiment wohl unterfchieben, bie Kirchengewalt wefentlih in ben von Gott verorbneten Dienft des Wortes gefetzt, feine menschlichstirchliche Verordnung ‚zum Bann für die Gewiffen gemacht werden. In Betreff eben diefer befon- deren pofemifch » apologetifchen Capitel aber ift nun ferner noch zu bemerfen, daß fie, wie unfer Ueberblick über fie zeigt, nicht ſpeciell gerade diejenige Frage erörtern, um melde in Wahrheit der tieffte Gegenſatz ber evangelifcheg, gegen die katholiſche Anſchauung ſich bewegt, nämlich die Frage von der · Rechtfertigung, dieſem Mittel⸗ punfte in der Lehre von ſubjectiver Aneignung des Heiles und in der Lehre vom Heilsweg überhaupt. Das Wefentliche über den Weg des Heiles durch Gnade und Glauben im Gegenfag zur Vertgerechtigfeit Hatte Calvin ſchon in jene erften zwei Hauptſtücke aufgenommen, bort aber noch ohne eine fo eingehende Apologetit und Polemik. Jetzt, wo die fpecielfe apologetifche und polemifche Ausführung eintritt, bilden ihren Hauptgegenftand vielmehr die firhlihen Juſtitute, Sagungen, Uebungen und äußeren Autoritäten det Katholicismus; nur aus Anlaß des Gegenfages zur facramens tafen Bußübung der römifchen Kirche ift Calvin auch noch auf eine mauere Expofition des innerlichen Proceffes in der wahren Buße qrüdgeflommen. Eine Erflärung hiefür können wir nur darin finden, daß eben auch diejenigen fpecieflen Borwürfe und Anſpruche

26 Köflin

von Seiten der Tathofifchen Kirche, welche damals Calvin befon- ders nahe getreten waren, vorzugsweife auf jene Punkte ſich ge- richtet Hatten. So war es im Kampfe der Reformation ja über Haupt gar Häufig der Fall, wo es fatholifchen Gegnern gm ber Neigung, in jene, tiefften Tragen des inneren Heilslebens fi ein- äulaffen, oder überhaupt an Sinn und Verſtändniß fir diefelben fehfte, namentlic aber, wo es gaft, den Arm der weltfichen Gewalt gegen die Neuerer aufzubieten. Und fo Hatte in der That Calvin gerade damals vorzugsweife mit Angriffen diefer Art zu thun. Er felbft fagt fpäter in der mehr erwähnten Vorrede zu feinem Pfalmencommentar: die graufamen Mafregeln gegen die Prote- ftanten in Zrankreih habe man damals durch das Vorgeben zu rechtfertigen gefucht; daß Diejenigen, welche. jo behandelt werden, nur Anabaptiften und unruhige, wirre Menfchen feien, von denen auch alfer politiſchen Ordnung der Umſturz drohe; hiegegen habe er nicht fehmeigen dürfen; deshalb habe er feine Institutio heraus. gegeben. Speciell über Alles, was hiemit zufammenhing, wußte er fid) erflären in einer Schrift, bie auf den König von Frankreich wirken folfte. Den fpeciellen Gegenfag gegen die Anabaptiften in Betreff der Kindertaufe hat er freilich jet nur erft kurz erdrtert; ausgefprochen aber hat er ihn mit den Hauptgründen ſchon beftimmt

genug, um auch in diefer Beziehung den Vorwurf irgend einer '

Gemeinfhaft mit jenen abweifen zu können. Bliden wir endlich von Hier aus wieder auf die“drei erften Eapitel und ihr Verhältniß zu den legten zurüd, fo finden wir feine Ausführung dort noch nicht wie hier von folchen Gefihtspunften durchdrungen. Und mit Bezug darauf gederifen wir nun der Erflärung, welde Calvin in feiner Dedicafion über die Abficht feines Werkes gegeben hat. Er Habe, fagt er, als er zuerft die Hand an das Werk‘ gelegt, an Nichts weniger gedacht, als daran, Etwas zu fihreiben, was dem

- Könige überreicht werben ſollte; feine Abficht fei nur geweſen, einige

„Rudimente“ vorzutragen zur Unterweifung von Lefern, die refigiöfes Intereſſe Haben, in der wahren Frömmigkeit und insbefondere zum Beſten feiner Landsleute, der Franzoſen, von denen er ſehr Viele nad) Chriftus dürften, fehr Wenige mit einer, wenn aud nur mäßigen, Erfenntniß ausgeftattet gefehen Habe; dieſe feine Abſicht

über Eafoin’® Institutio. 9

gebe and fein Buch felbft zu erkennen durch bie ganz einfache &hrform, die er-ihm gegeben habe („liber ad simplicem rudemque docendi formam appositus“; franzöflih: „je l’ay

stcomod& & la plus simple forme' @enseigner qu’il m’a est

possible‘‘ ; als er jedoch das Wüthen gottlofer Leute in Frankreich gegen die Befenner gefunder Lehre gefehen Habe, fei es ihm erfprieß- id) erfjlenen, daſſelbe Wert zugleich zur Unterweifung Derjenigen, für die er es urfprünglich beftimmt umd zu einem Bekeuntniß vor dem Könige dienen zu faffen. Die Abfichten, von weichen Calvin im Pfalmencommentar und in diefer Debication rebet, widerfprechen einander natitrlich nicht, wie fie denn auch von Stähelin unbefangen neben einander aufgeführt worden find. ber eben fie in ihrem

Unterfchiebe von einander dienen uns nun zur Erflärutg jenes "

Verpältniffes zwifchen der erften und zweiten Hälfte des Wertes. Chen Hinter jener Abſicht, welche Calvin in ber Dedication für feine urfprüngliche erffärt, tritt in der erften Häffte noch die apologetifch- polemifche Tendenz zurück, obgleich natitrfich auch ſchon jene Untermeifung ihren Standpunkt fpeciell im Gegen- ſatz gegen bie katholiſche Lehre einnehmen mußte. In den festen Eopiteln wird die Ausführung wefentlih von diefer Tendenz und mar mit Mücficht auf die erwähnten fpecielferen Vorwürfe der Gegner beftimmt, obgleich natürlich auch fie zugleich wieder dem Bedurfniß der evangelifchen Lefer dienen, fie theils in ihrer Freiheit gegenüber den Anfprüchen der römifchen Kirche befeftigen, theils dor einem Mikbraud ber Freiheit, wie man ihn Anderen mit Recht dorwarf, warnen und bewahren follte. Zu einer fo eingehenden bolemiſchen und beſonders apologetifchen Bezugnahme auf jene Gegen- füge mag Calvin auch der Zeit nach erft fpäter fich veranlaft ge⸗ funden. Haben, während eine ſolche Darftellung ber „rudimenta‘“, “Die wir fie in den drei erften (beziehungsweiſe auch noch im vierten) Kapitel, vor uns haben, ſchon vorher von ihm entworfen war. Die Zeit, wo er „zuerft die Hand an das Werf legte“, muß nad) dieſen Ausdrücken Calvin’s dem Zeitpunft, aus welchem die Dedi- tion ftammt, jedenfalls um eine ziemliche Strede vorangegangen

fin. Es ift nicht unwahrſcheinlich, daß er, wie hieraus auch in,

der Einfeitung Vol. XXXI, p. XIII geſchloſſen wird, den Anfang

D

Eu " Köftin ,

und erften Entwurf ſchon in Frankreich gemacht Hat. Diefelben Motive, welche ihn fpäter erft zu der Präfentation des Werkes an den König. veranlaßten, werden auch erft im Verlauf feiner Arbeit jene fpecielfe, ausführliche Behandlung des Inhalts der Tegten und namentlich vollends des fechften Capitels verurfacht Haben. Der Gefammtinhalt aber, mit welchem es ein „Unterricht chriftlicher Religion“ zu thun Hat, ift dann eben nicht jo, wie es nach dem inneren Zufammenhang der Gegenftände möglich und im Intereſſe einer ſyſtematiſchen, wiffenfchaftlichen Ausführung gefordert war, in Eines verarbeitet worden.

In dem Gefagten haben wir denn auch ſchon eine Erflärung für die eigenthümfiche Form, in welcher der ſchon von ben erften Eapiteln zufammengefaßte wefentfihe Inhalt des chriſtlichen Un terrichts, durch dieſe Capitel hindurch auseinander gelegt wird. Spe⸗ ciell von ihnen gilt, was Calvin demerkt über eine von ihm ſelber beabfichtigte „simpliceem rudemque docendi formam ®). Für jene befehrungsbebürftigen Chriften, welche bei allem Hunger nad) Chriſtus höchſtens eine „mäßige“ Erkenntniß befaßen, paßte die geringere wiſſenſchaftliche Strenge, die Vereinigung von Praktiſchem und Theoretifchem, bie fehlichte Kürze auch in fehr wichtigen Ab fehnitten der Lehre. Für fie paßte namentlich, jene Einordnung des ganzen, theils mehr praftifchen, theils mehr theoretifchen Lehrſtoffes unter diejenigen allgemeinen Hauptſtücke, welche ihnen jedenfalls ſchon am meiſten geläufig wären, nämlich unter bie des Katechis- mus. Wir wiffen, daß Melanchthon feine Loci mit ihrem mehr durchweg wiffenfchaftlichen Gange der Ausführung gleich zu Anfang nicht überhaupt für Chriften von einer fo allgemeinen Bildung, daß fie Latein verftanden, -oder für die gens d’&tude im Sinne Calvin’s (f. oben), fordern für Studenten oder Stubirthabende in weit engerem Sinne des Wortes gefchrieben hat. Zugleich zeigte " dann das Vorantreten diefer allgemein chriſtlichen Hauptſtücke auch

a) Stähelin (I, 45) hat den Sinn biefer Worte nur unvollftändig twieder- * gegeben, indem er überfeßt: „ich bemühte mich, fo einfach als möglich; mid) auszudrüden“; fle'gehen auf bie ganze Form.

. -

über Calvin's Institutio.. 20

den latholiſchen Leſern von vornherein an, daß die neue Lehre nichts Anderes wolle, als diefe nad) ihrem wahrhaften, förifigemäßen, göttlichen Inhalte darlegen.

Allein amdererfeits zeigt ſich nun, wie ſchon oben angedeutet wurde, auch ſchon in dieſer Darftellungsform tar ber ſyſtematiſche Geift, die ſyſtematiſche Arbeit des Verfaffers. Der Stoff ift doch keineswegs blos äußerlich nad) diefen Hauptftüden aneinandergereiht. Durch die Hauptbeftandtheife des Unterrichts, die ſich fo vertheilt haben, zieht” ſich doch ſchon von-Anfang an ein Faden, der fie nach ihrem inneren Zufammenhange verbindet: Ja 68 beginnt ſchon bier diejenige innere Entwicklung bes Stoffes, welche dann auch für Calvin's fpätere Bearbeitungen deſſelben grundfegend geblieben iſt. Unter der Ueberſchrift „De lege ete.“ kommt Calvin doc, rictt fogleich auf Geje und Delalog zu reden. Er geht vielmehr dadon aus, daß die Summe-ber heiligen Wiflenfchaft aus diefen zwei Theilen beftehe: aus der Erfentitniß Gottes und aus der Er- lenntniß unſerer ſelbſt. Mit Bezug auf die erftere faßt er in wenigen Sätzen die Eigenfchaften Gottes zufammen. Um in die kegtere einzufithren erflärt er: Adam, nad) dem Bilde diefes Gottes geſchaffen, Habe durch feinen Fall die Gaben der Gnade und die Gemeinfhaft mit Gptt für ſich und für ung Alle verſcherzt; wir fein völlig unfähig, etwas Gottgefälliges zu thun, fein ſämmtlich Kinder des Zornes, feien aber zugleich in Selbſtliebe fo verblendet, daß wir un nicht fo erkennen und demgemäß darniederwerfen wollen. Eben zu dem Behufe, fagt er dann, fei das gefchriebene Gefeg von Gott gegeben, damit diefe Lehre von der Gerechtigkeit uns klar ige, wie weit wir vom rechten Weg entfernt feien; wir follen darin als im einem Spiegel unfere Sünde und unfer Verfluchtjein anſchauen. Weiter führt Calvin ans; wenn wir fo gedemüthigt “fim, gebe Gott den Demüthigen Gnade, und zwar in Chrifto; Vergebung, Friede, Verſöhnung u. f. w. werde in biefem uns geihenkt, fo wir im Glauben ihn aufnehmen. Da aber jene Er- fenntniß unferer Selbft und unferes Elendes und zugleich bieſer Saube, der uns Gottes Barmherzigkeit genießen laſſe, nicht von ms oder in unferem Bermögen fei, jo muſſen wir Gott anflehen,

20 Köplin

daß er in Beides uns einführen möge *). In der That hat hiemit Calvin ſchon den ganzen Gedanfengang entwidelt, in welchem ber Inhalt und die Bedeutung feiner nachfolgenden drei Hauptitüde vom Geſetz, Glauben, Gebet im Borans zufammengefaßt Liegt; und zwar find es, wie wir fehen, ganz diejenigen Grundgedanten, welche auch bei Luther nicht blos feine Heilsichre überhaupt ber herrſchen, fondern auch feinen Katechismus durchziehen. Nachdem darauf Hin Calvin den Defalog im Einzelnen ausgelegt Hat, ſchließt er diejes erfte Eapitel wieder mit Erflärungen über Bedeutung und Zived des Geſetzes überhanpt. Zugleich Handelt er im Auſchluß hieran von dem Werthe der guten Werke im Leben dar Ehriften, proteftirend einestheils gegen eigene Verdienfte, anderntheils gegen die Meinung,. al® ob die guten Werke abgethan fein jollten. Das Eapitel vom Glauben aber knüpft hierauf wieder daran an, daß die Uebertretung des Geſetzes uns verdammt und die Goſetzes⸗ erfüllung über unfere eigenen Kräfte gehe: die einzige Rettung aus diefem Elend werde in Gottes Barmherzigkeit dem Glaubgn dar⸗ geboten. Und zwar wird nun fogleih, ehe noch des Glaubens Inhalt nach dem apoſtoliſchen Symbole durchgenommen wird, feine fubjective Beſchaffenheit dahin beftimmt, daß er ‚nicht ein blofer Biftorifcher Glaube, fondern eine volle Zuverficht auf Chriſtus und den guten, gnädigen Gotteswillen fein müſſe. Daß diefer Glaube rechtfertige, wird eigens wieder beim Artikel von der „Sündenver- gebung und namentlich wieder am Schlufje des ganzen Hauptſtüdes mit Bezug aufs Verhältniß zur Liebe. behauptet. Die An Inüpfung des dritten Hauptftüdes, vom Gebet, erfolgt in der Weife, welche fchon der Eingang des erften Capitels angedeutet hatte. Nur verbindet ſich jegt mit der Beziehung auf das Heil, das wir als Sünder von Gott erflehen müfjen, ſogleich die Beziehung darauf, daß Gott überhaupt der Geber aller guten Gaben fei und als beſtet Bater im Gebet um fie wolle angegangen werden. Den Schluß

a) Um Mißverftändniffe fern zu Halten, muß ich darauf aufmerffam machen, daß bie von Stähelin (©. 75) gegebene Heberficht über unſeren Abſchnitt, welche namentlich jene Stellung des Gefeges nicht erkennen vis ſehr une genan iſt.

über Calvin’ Institutio. 81

wat, nad der Erklärung des Vaterunſers, eine wiederholte Ver⸗ fiherung, daß Gott die im Gebet ausharrenden Gläubigen nie verlaffen werde, obgleich er ihnen freilich oft die ſchwerſten Proben auferlege. Unvermittelt erſcheint ‚num hierauf der Uehergang zur Sacramentenlehre des vierten Capitels, fofern er zunächft nur gemadt wird mit dem Sage: „Nunc de sacramentorum ratione dieendum erit, de quibus certam aliquam doctrinam tradi magnopere ‚nostra refert.‘‘ Indem jedod dann das Sacrament d8 ein zur Stüge unferes Glaubens dienendes Zeichen des guten

Gotteswwillens definirt wird, ift aud ein innerer Anſchluß an’ u Borige gegeben in der Ruckbeziehung auf die Bedürftigfeit des bisher wörterten fubjectiven Glaubens *). Von der im fünften Capitel folgenden ausführlichen Abhandlung über die angeblichen weiteren Suramente erklärt Calvin felbft, daß er fie beifüge wegen der bisher feſtgewurzelten Lehre und Sitte, während an ſich ſchon bie Ausführung feines vierten Capitels- hinteihen müßte, gefehrige, aüdterne Chriften vom fürmigigen Suchen nad) noch mehr Sacra⸗ menten abzuhalten. In Betreff des letzten Capitels endlich. bmerft er, er Habe ſchon im Früheren den Gegenftand deſſelben, die griftliche Freiheit, kurz berührt (vgl. beſonders in feinen Sägen über die Geltung des Geſetzes); er muſſe noch ausführlicher davon handeln wegen des Mißbrauchs, ben Viele von biefer Freiheit machen. Es konnte nicht fehlen, daß der große Inhalt des hriftlichen Unterrichts, welchen die drei erften Capitel umfaſſend darlegen, auch ſchon bei der Theilung unter diefe Hauptftlde empfänglichen fern als ein innerlich ſehr wohl zufammenhängendes Ganzes ſich dergegenwärtigte. Aber den angemefjenen Ausdrud hat er als ein ſolches Ganzes allerdings in diefer Darftellungsform keineswegs ſchon gefunden. Es fehlt fehr vielen einzelnen Beftandtheilen bei Üer Unterordnung unter diefe Stüde die directe Beziehung auf den Faden “ber Teitenden Grundgedanken. Es wird vermöge folder

a) Ealsin Hat hiernach nicht fo, wie es bei Stähelin S. 70f. erſcheint, das Gebet (Cap. 3) und die Sacramente (Cap. 4) als „Gnadenmittel“ uſammengefaßt; Calvin, fagt Stähelin, gehe mit Cap. 3 zu der Lehre von den Gnadenmitteln über und da nehme das Gebet die erfte Stelle ein.

32 aöoſtlin

Unterordnung Weſentliches zurücgeſtellt, für was jener nach feinem inneren Zufammenhang eine frühere Stelle forderte: Har ift dies

3. B. in Betreff der Lehre von Gott, als dem allmächtigen Schöpfer. |

Es wird vorangeftellt, was feinem inneren Zufammenhang nad

erft auf fpäter Behandeltem ruht: fo z. B. die Lehre vom Braud) des Gejeges. mit Bezug auf Diejenigen, welche ſchon im Glauben wiedergeboren find, .und von ben guten Werfen, fofern fie aus Kraft der Gnade und im Genuß der Vergebung. von Chriften voll- bracht werden. Die Hauptlehre von der Zutheilung des Heils aus Gnaden ohne Verdienft an den Glauben oder von der Recht⸗ fertigung durch Glauben hat, während fe durch's Ganze ſich hin- durchzieht, hiebei fir ſich felbft eine angemefjene befondere Stelle nicht erhalten, und zugleich finden jo mit Dem. auf fie fehr viele Wiederholungen ftatt.

Einen hohen Werth behält die Institutio gerade aud) im biefer |

ihrer erften Geftaltung. Ya gewiſſe Vorzüge hat dieſe Ausgabe fogar vor den fpäteren Bearbeitungen voraus. Mit großer Sider- ‚heit und Klarheit Hat der fünfundzwanzigjährige Verfaffer den Inhalt des chriftlichen Unterrichts durchdrungen und gemäß dem Bedürfniß feiner Lefer dargelegt. Die Mängel Hinfihtlih der Syſtematil find wenigftens zum großen Theil durch diefes Vebürfniß motlbirt, und trog derfelben werben einem minder geübten Lefer die leitenden Grundgedanken hier fogar noch leichter und lichter ſich darftellen, als in den fpäteren Ausgaben, wo ihre Entwicklung eine ftreng foftematifche ift, aber durch eine Maſſe anfchwellenden Stoffes fih hinziehen muß, unter dem fie leicht ſich verbirgt (ogl. auch Stähelin hierüber, ©. 86). Vor den nachfolgenden Bearbeitungen . endlich wird dieſe immer auziehend bleiben durch den Charakter urfprüng- licher Srifche, der den erften Guß auszeichnet. Sie ift infofern wieder ber erſten Ausgabe von Melanchthon's Locis zu vergleichen; dabei bricht in diefer, obgleich ihr Gang im Garen fchon ſyſtema⸗ tiſcher iſt, doch die Tebendige innere Bewegung des Verfaſſers an einzelnen Abfchnitten auch unvermittelt und Heftig durch: nicht fo bei Calvin, dem gerade bei feiner erften Ausgabe eine Verbindung warmen Lebens mit durchgäugiger maßvoller Ruhe der Darftellung eigenthümlich ift.

über, Ealoin?s Institutio. „ss

Calvin ſelbſt fagte nachher von feiner erften Ausgabe, er habe hier großentheils nur leichthin gearbeitet), Wir werden diefe Eritfingsarbeit ſchon gewichtig genug finden. Sie hat auch zu ihrer Zeit ſchon weithin und Fräftig gewirkt: Gott, fagt Calvin, habe ihr einen Erfolg gegeben, den er felbft nimmermehr erwartet habe. Aber ein Hauptwerk proteftantifher Theologie für Jahrhunderte mar fie noch nit. Sie ift es geworden durch die unermübliche Beiterarbeit ihres Verfaſſers, der ohne Zweifel mehr als irgend einer der Leſer gleich in der nächſten Zeit das Bedürfniß fühlte, fie nad) allen Seiten Hin fortzubilden.

Die zweite Ausgabe erfdien zu Straßburg 1539, in ihrer Vorrede datirt vom 1. Auguft. In Betreff ihres Titels machen wir auf eine Berichtigung aufmerffam, welche gewiſſen herfömm- Äigen ungenauen und ierthümlichen Angaben über ihn jegt zu Theil geworden ift. Mean lieft nämlich Häufig, fie fei „erfchienen unter dem Namen Alcuin“: fo bei Stähel in a. a. O., ©. 62, bei Dorner a. a. D., ©. 375. Aeltere Hatten ſich genauer aus— gedrückt: es gebe feltene,. merfwürdige Exemplare des Buchs mit diefem Anagramm. Der urfprünglihe Sachverhalt ift nach Vol. XXIX, p. XXXIVsqg. ohne Zweifel der: die Auflage im Großen trug den Titel „autore Joanne Calvino Noviodunensi‘, demnad) nihteweniger als die Perfon des DVerfaffers verhüllend. Nur eine für Frankreich beftimmte Anzahl von Exemplaren erhielt den anderen Titel, um unter feinem Schuge dur bie Hände von Örenoifitatoren und anderen Inquiſitoren laufen zu können. Noch mehr: es blieb auch in der Ueberſchrift der dem Titel und einem lurzen Vorwort folgenden Dedication der Name des Königs Franz weg, und jene lautete: „potentissimo illustrissimoque monarchae magno Francorum, regi, principi ac domino suo, Alcuinus “.

8) Im der Borrede von 1539, Vol. XXIX, p. 255 (vgl. Vorrede von 1559, Vol. XXX, p. 1): „in prima hujus nostri operis editione leriter majori ex parte, ut in minutis operibus fleri solet, defune- tus eram“ (In ber Ueberſebung Vol. XXXI, p. 5: „je m’en estoye ac- » 'quitt6 plus legerement, m’estudiant & brievetö“. Stähelin (S. 61) Hat Hier, wie auch ar andern Stellen, Calvin's Worte nicht nad; dem Driginal, fondern nach diefer Ueberfegung wiebergegeben.)

Weol. Stud. Jahrg. 1868, 8

34 : Köftlin

Es konnte Einer meinen, eine Schrift des alten Aleuin, dem „großen Fronfenfönige“ gewidmet, in neuem Drude vor ſich zu haben. Ein folhes Exemplar Haben 2 B. unfere Herausgeber noch in Baſel gefunden. "

Indem Calvin in feiner Vorrede für den großen Erfolg feiner Schrift vom Jahre 1536 Gott und den Lefern dankt und feinen

Dank eben mit der gegenwärtigen neuen Arbeit möchte abgeftattet

haben, fügt er hiezu bei: „et facturus id quidem.eram aliquanto

‚maturius, nisi totum fere biennium dominus me miris modis

ezercuisset“. Wunderbar war er in der That umgetrieben worden, feit er die erfte Ausgabe veröffentlicht Hatte: umgetrieben durch feine Reife nach Italien, von da zurüd nach Bafel, fofort weiter in feine Vaterftadt Noyon, dann wieder Bafel oder Straßburg zu, wobei er unterwegs unverfehen® in Genf fich feftgehalten fand; umgetrieben durch die Sorgen und Kämpfe, welche die Genfer Zu- ftände bereiteten, bis er den Staub dort von den Füßen fehüttelte und wieder den Wanderſtab ergriff; umgetrieben endlich durch die Pflichten de8 in Straßburg übernommenen Berufes, wo er zugleid paftorale Thätigkeit und ein alademiſches Lehramt zu verfehen hatte. Und erftaunlih müfjen wir nun in der That and die Studien

nennen, bie er, wie die neue Bearbeitung der Institutio bezeugt, |

aud unter ſolchen Umjtänden weiter getrieben, für fein Buch ver- wertet, in feinem Buche niedergelegt hat. Den eigenen Stoff hat er neu durchdrungen, gerade in den wichtigften Stucken fehr ber reichert, auch jegt überatt mit gleihmäßiger Schärfe des Gedantens und Präcifion des Ausdrudes ausgeführt. Mit Belegftellen aus

der Heiligen Schrift ift die neue Ausgabe "weit vollftändiger aus⸗

geftattet als die erſte. Dazu kommt eine ausgedehnte Bezugnahme auf menſchliche, und zwar nicht blos theologiſche, ſondern auch alt⸗

claſſiſche Literatur. Unter den alten kirchlichen Schriftſtellern iſt

natürlich Auguſtin auch von Calvin wie von den anderen Refor⸗ matoren am meiften fort und fort benugt und über ihn mit den Katholiken gekämpft worden. Auch alte griechiſche Theologen aber, darunter Origenes, begegnen ung jet bei Calvin. Auf die Theo rieen der Schofaftifer ferner geht er jest bei verſchiedenen Punkten fehr genau ein; er hält ſich Hiebei befonders an den Lombarden;

über Ealoin’s Institutio. 35

mas die nachfolgenden Scholaftifer anbelangt, fo Hat er offenbar nicht fo, wie Luther und auch Melanchthon, vornehmlih mit No— minafiften und Sfotiften fich befhäftigt. Und zu dem fommt nun eine mannichfache Bezugnahme auf Schriften und Aeußerungen ber berühmten alten Heiden, der Griechen und Römer, bald Hinz weifungen auf Elemente der ewigen, höchſten Wahrheit, bie auch in ihrem Geifte ſich Fundgaben, bald Hinmeifungen darauf, wie doch auch fie noch in Dunkelheit gebannt blieben, bald Auseinander» fegungen” mit ihnen über .affgemeine phifoföphifche, pſychologiſche Fragen und Begriffe. Wir haben von Griechen hauptſächlich Plato und Ariftotel® zu nennen, ganz befonders aber Plato, von welchem _ Einelnheiten aus verfchiedenen Dialogen uns vorgeführt werden, von Lateinern Cicero und Seneca, unter den Philoſophen lm ift ihm Plato religiosissimus et maxime sobrius®). Wir finden fo 3. B. in Calvin's Erörterung der menfchlihen Seelen« vermögen ®) die Anfichten eines Plato, Ariftoteles, Themiftius, Cicero, EHryfoftomus, Drigenes, Auguftin, Bernhard, Petrus vom⸗ bardus, Thomas in Citaten aus einzelnen Büchern diefer Männer ufommengeftellt: eine Zufammenftelfung, wie fie fo reid) und zu— gleich fo concis nicht leicht in Schriften anderer Reformatoren zu finden fein wird. Dabei bieten ſich die Citate überall angemefjen, ohne etwas Gefuchtes oder gelehrten Prunk zu zeigen, im Conterte dar; und man fieht, daß fie der Verfaſſer nicht blos da und dort aufgelefen, fondern einem reichen Material, das ihm frei zu Gebot ftand, entnommen hat. Wir wiffen, daß Calvin die Glajfifer ſchon für feine urfprüngfiche wiffenfchaftliche Ausbildung ftudirt hatte. Bar ja dod auch feine eigene erſte Publication der Kommentar zu einer Schrift Seneca’8, worin er bereits feine Beleſenheit in jenen an den Tag legte. Und fein treues Gedächtniß für Alles, was er einmal in ſich aufgenommen Hatte, wird uns aud von feinen Freunden gerühmt. Aber er war offenbar auch feither, vährend feiner bewegten theologischen Laufbahn, im Verkehr mit

a) Vol. XXIX, p..290. ba. a. O., S. 814ff. 331 (vgl. in dee Ausgabe vom Jahre 1559: Lib. Do, ap. 2, 8 20a, $ 2). . 8

86 Köflin

J jenen Alten geblieben und Hatte ihn wohl in Straßburg jetzt neu aufgenommen. Wie aufmerkjäm er für Erfeeinungen aus ber alten Literatur blieb, zeigt befonders- auch feine ſchon erwähnte Anführung des Themiftius, aus defjen Paragraphen zu Ariftoteles’ Schrift über die Seele er Sätze vorbringt: diefe waren, fo meit ich wenigftens finden fann, erjt im Jahre 1534 zu Venedig gedrudt erfchienen. Die Citate aus ben Claſſikern hat dann Calvin namentlich auf in der legten Ausgabe feines Werkes noch beträchtlich vermehrt. Neben der Beihäftigung mit den dogmatiſchen Ausführungen Auguftin’®, der anderen älteren Theologen und der Scholaſtiker gibt ferner eine fortgefegte, ftrenge hiſtoriſche Forſchung mit Bezug auf die kirchlichen Fragen, auf die urfprüngliche Geftalt und die Umbildung der fathofifgen Kirchenverfaſſung, auf die Gefchidte

- des Papſtthums u. |. m. in der neuen und in den weiter folgenden Redactionen der Institutio fi fund; einen ausgedehnten neuen Beitrag hat von daher namentlid, die Ausgabe des Jahres 1543 in ihrem 8. Capitel erhalten. Während aber die Institutio des Yahres 1539 von folhen vorangegangenen wiſſenſchaftlichen Arbeiten ihres Verfaſſers Zeugniß ablegt, war dieſer im den letzt⸗ verfloſſenen Jahren vor Allem und nach verſchiedenen Seiten hin bewegt geweſen durch Fragen und Kämpfe, welche in der Gegen | wart felbft und zwar auf dem Boden der Reformation an ihn, berandrangen. Und namentlich denjenigen Bedürfniſſen chriftlichen | Unterrichtes, welche mit Bezug auf fie fid) ergaben, ſucht er in feiner neuen Arbeit eingehend zu genügen. Das Beduürfniß einer ! Belehrung gegen anabaptiftifche Herthümer war für ihn ver: | fchärft worden durch den Conflict, welchen er ſelbſt in Genf 1537 mit den Wiedertäufern zu beftehen Hatte. In feine Institutio fügte er nun nicht blos über die Kindertaufe ftatt feiner früheren kurzen Süge einen ausführlichen Abfchnitt ein, ſondern widmete jener Ric: tung aud) in feinen Ausführungen über die Heilige Schrift, über, die Sünden der Wiedergeborenen, über die Heiligfeit der Kirche, über den Chiliasmus u. ſ. w. gebührende- Rückſicht. Bon Männern gleichen Geiſtes ſah er auc eine Leugnung der Auferftehung der Gottlofen und die Behauptung einer Wiederbringung aller Dinge ausgehen, wogegen er jegt gleichfalls eine Polemik aufnahm in feine

über Calvin’6 Institutio. " 37

Erffärung des apoftolifchen Symbolums. „Einige Wüthende aus der Secte der Anabaptiften“, welche im Alten Bunde feine Offen- barung ewigen Lebens und geiftiger Güter anerkennen wollten und „om Bolt Iſrael nicht anders als wie von einer Heerde Schweine dachten“, veranlaßten ihn ferner, in einem befonderen Capitel von „der Aehnlichkeit und dem Unterfdjiede des Alten und Neuen Tefta- mentes“ zu Handeln. Den Ser vet hatte er neben anderen neueren Antitrinitariern ohne Zweifel ſchon 1536 im Auge gehabt bei feinen Ausfagen vom Vater, Sohn und Geift, welche ewig Eines götte fihen Wefens und Ein Gott feien, und meiter befonder& bei feinem Viderfpruch gegen eine Anfiht von Chriftus, wonach dieſer erft als der Deenfchgewordene, megen feines Empfangenfeins aus dem Keifigen Geifte, Sohn Gottes Heiße. Servet zu nennen Hatte er hichei wie abſichtlich unterlaffen: ebenfo aud wieder 1539; wir bemerfen Hiezu, daß er denſelben dagegen fpäter (1559) auch bei feiner Polemik gegen jene Auffaffung des Alten Teftamentes aus= drüdlich als Genoffen jener Anabaptiften nennt. Namentlic mit Rücſicht auf die eben erwähnten Irrlehren führt er nun 1539 die Kehren von der Dreiheit in Gott und von Chriftus als dem Gottes- fohne noch weiter aus. Andererſeits war befanntlth auf Calvin febft in Genf duch Caroli ber Vorwurf gewälzt worden, daß er der allgemein hriftlichen, im Athanaſianum niedergelegten Tri nitätgfehre untren geworden fei. Auch dieſen Vorwurf zu widere | fegen mußte. er bei feiner neuen Bearbeitung des genannten Lehr» ſtüdes bedacht fein. Gegenüber vom Streite der Lutheraner und Zwinglianer über die Abendmahlefehre Hatte Calvin ſchon 1536 fehr entfhieden an jene Richtung oberbeutfcher Theologen ſich angefchloffen, welche mit der Anerkennung davon, daß es im Abend- mahl vor Allem um eine reale göttliche Gabe fih handle, den Kirhen der Tutherifchen Reformation ſich zu einigen fuchten, während fe die Gabe wefentlih nur als Gabe für die Seele betrachtet haben wollten. Seither war Bucer bis zur Annahme der Witten derger Goncordie weiter gegangen. Ihm ftand jet Calvin in finem Straßburger Amt als College und Fremd zur Seite. Mit den Theologen der Augsburger Confeffton follte jet auch er felbft Gemeinſchaft machen bei den damals angeknüpften Verhandlungen

88 Köoſtliu

über eine Verſöhnung der Katholiken und Proteſtanten. Im Februar des Jahres, in welchem er die neue Ausgabe der Institutio erſcheinen ließ, war der Frankfurter Convent, auf welchem er mit Meland- thon perſönlich befannt und befreundet wurde. Er durfte hofien,

in diefem einen Genofjen fr feine eigene Auffaffung des Abend- |

mahls gefunden zu haben; im folgenden Jahr erſchien dann Me- lanchthon's veränderte "Ausgabe der Augsburger Confeffion, und

det Umftand, daß die Bekenner der leßteren gegen die Aenderung |

des zehnten Artikels feinen Proteft einfegten,. mußte die Hoffnung weiterer, ausgedehnte? Erfolge auf dem hier eingefchlagenen Weg der Lehre erweden. Da zeigt denn fchon-die Institutio vom Fahre 1539, wie angelegentfich und tief Calvin felbft unter jenen Ver⸗ haltuiſſen dieſer Lehre weiter nachgedacht hatte. Seine Hauptaufe gabe übrigens fah Calvin fort und fort im Zeugniß für die evan- geliſche Grundlehre von der Gottesgnade, die den Sünder ganz ohne all fein Verdienſt vechrfertige, und für die Autorität des in der Heifigen Schrift uns vorgelegten Gotteswortes. Die Lehre von der Verderbniß des natürlichen Menfchen und die Lehre von der Rechtfertigung Hat dann Calvin 1539, anders als 1536, aud in befonderen Hauptftüden zu einer fharf zufammenfaffenden uud ent- faltenden Darftellung gebracht. Neues aber hatte Calvin vornehm- lich mit Bezug auf die Quelle und Norm der Gotteswahrheit, auf die Heilige Schrift und die göttliche Offenbarung über haupt in feinen Studien durdarbeitet, um 1539 eine ſchon fehr gereifte Frucht davon feinen Leſern darbieten zu können. Der Ab hängigfeit vom Glauben an die Autorität ber Kirche, worein der Katholicismus den Glauben an die Göttlichkeit der heiligen Schrift verfegt Haben wollte, ſtellt er hier bereits in ſcharfen Sägen bas- jenige unmittelbare innere göttliche Zeugniß entgegen, welches uns eine über alle menſchliche Schlüffe und Judicien erhabene Gemiß- heit von der Autorität der Schrift gebe und an weldes dann für uns erft weitere einzelne Kriterien und zwar vor Allem wieder innere, im Inhalt und Charakter der Schrift felbft liegende Kriterien ſich anſchließen follen: was auch bei Luther das Entfcheidende für feinen Glauben an Gottes Wort war, hat dod erft Calvin in jenem Testimonium spiritus saneti auf den beftimmten dogma⸗

über Calvin's Institutio. . 39

tiſchen Ausdruck gebracht. Mit der Beziehung auf den Katholicie- mus verband fich dann in der Entfaltung der Rehre von der Schrift die auf jene anabaptiftifchen Schmärmer. Und weiter hat er jegt aud die gottlofen Zweifler und Weltmenſchen, welche den Chriftenglauben fammt allem Glauben an Gott zu einer Illuſion machen wollten, und das Bedürfniß, alle Grundlagen unferer Gottes- erfenntnig ihnen gegenüber zu beleuchten, mit klarem, umfaſſendem Bid und ſyſtematiſchem Geift in's Aüge gefaßt. Zugleich treibt ihn, aud) abgefehen von jenen Gegenfägen, ein allgemeines, religiöſes und wiffenfchaftliches Intereſſe, diefem Bedürfniſſe zu genügen; und indem er hiebei and) den Offenbarungen Gottes in der ganzen Schöpfung nachgeht, fehen mir ihn befeelt von warmer, freubiger Theilnahme für alle die edeln Künfte und Wiffenfchaften, welche mit der Betrachtung des Himmels und der Erde ſich beſchaftigend us hier in die Geheimniſſe der göttlichen Weisheit weiter hinein⸗ ſtauen lehreu (ogl. 3. B. Cap. I ber Instit. von 1539, p. 2865q.). Bereits erhebt fih fo bei ihm ein im den Grundzügen fertiges Gebäude Hriftliher Apologetit. Er fteht mit demfelben ſchon 1539 einzig da unter den Neformatoren und unter den bisherigen chriſtlichen Theologen überhaupt. Nur wie vereinzelte Bauſteine erfheint im Vergleich damit auch dasjenige, was Melanchthon in der letzten Bearbeitung der Loci 3. B. mit, Bezug auf die Beweife füt's Dafein Gottes dargeboten hat. Calvin Hatte in feinen ſpä— teren Ausgaben nur noch einzelne Momente einzufügen und weiter auszuführen. Eine nah Inhalt und Umfang fehr bedeutende Zugabe bifdet endlich in der Institutio vom Jahre 1539 der Ab- fgnitt über die Prädeftination. Die erfte Ausgabe hatte nur lurz, befonder® im Lehrſtück von der Kirche, auf die Gnadenwahl Bezug genommen. Jetzt dagegen trägt Calvin feine ftrenge Prä— deftinationsfehre fo vollftäudig und ſcharf vor, daß er Wefentliches fpäter nie mehr beizufügen hatte. Weifen und nun die anderen größeren Ausführungen, mit welchen er feine Institutio neu be— teihert hat, neben dem Intereſſe, das ihr Gegenftand fchon an und für ſich Hatte, zugleich auf conerete theofogifche Fragen, Bewegungen md Erſcheinungen der damaligen Zeit und der eben vorangegangenen Jahre zuritet, fo möchte man wohl einen beftimmteren Anlaß auch

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a0 as ſtlin

für dieſen Vortrag einer Lehre finden, von welcher der Verfaſſer fehr wohl mußte, daß auch manche evangelifch Gefinnte an ihr fih | ftoßen werben. Calvin ftellt ſich mit ihr, wie auch Luther gethan hatte, vor Allem in Gegenfag gegen menfchliche Anmaßung, melde | auf Grund eigener Leiftungen und mit ihren eigenen Vorftellungen | von Gerechtigkeit Anfprüche vor Gott erheben möchte, und hiemit gegewdie Fathofifchen Theologen und gegen Männer wie ein Erasmus. Alfein von diefer Seite war in der letzten Zeit nichts Namhaftes, was eine ſolche Entgegnung gefordert hätte, veröffentlicht worden; Pighius und vollends Bolſec traten befanntlich erft fpäter gegen jene Prädeftination auf. Und keineswegs blos Gegner folder Art hatte Calvin jetzt im Auge. Er erflärt ſich vielmehr gleich im Eingang des betreffenden Capitels (p, 862) gegen gewiffe Theo Togen, welche die Erwähnung der Prädeftination beinahe fo gut wie begraben haben wollen, ohne daß er doc; irgend ihnen eine Ber- leugnung der göttlichen Gnade oder ein Pochen auf eigene. Werte zum Vorwurf machte. Er erfennt vielmehr Tobend die Befcheiden- ‘heit an, mit ber fie bie göttlichen Geheimniffe wolfen berührt Haben. | Er Hält ihnen nur entgegen, daß der menfchliche Geift ſich nicht | willkürliche Schranken fegen laſſe und daß Gott ſelbſt in feinem

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Worte mehr geoffenbart Habe, die von Jenen gefürchtete Gefahr aber nicht fo Hoc) angefchlagen werden dürfe, um von Gottes Orafefn den Geiſt wegzumenden. Wir werden hiemit an Melanchthon er- innert, an feine Loci vom Jahre 1535. Er Hatte hier bie „bunfeln“ Fragen (obscuriosa quaedam) in Betreff der Gnaden- wahl als inutilia et perplexa abgemwiefen, hatte der „Einbildung“ von einer blos particnlaren Verheißung die univerfafiftifchen Schrift- ausfprüche entgegengeftelft, damit-man an fie ſich Halte, und Hatte wirklich den von Calvin geforderten beftimmteren Begriff der Prü-. | deftination fo. gut wie begraben. Den Laurentius Valle, deffen | Anfiht von einem Präbeterminirtfein aller von Gott vorhergefehenen Acte durch Gotted eigenen Willen Calvin rühmend citirt (p. 873), hatte -er ausdrücklich beftritten. In den Schriftausſagen, nad) welchen Gott Menfchen zu Böfem zu beftimmen fcheine, hatte er eine bloße Zufaffung don Seiten Gottes ausgefprochen gefunden, was Calvin jetzt nachdrücklich bekämpft. Weiter erinnern uns dann

\ über Calvin's Institutio. a

on bie Aeußerungen ber Institutio über jene Theologen die birecten Arnferungen Calvin's über Melanchthon's Loci in der Vorrede zur franzöftfchen Ueberfegung bderfelben vom Jahre 1546: Me» lanchthon Habe in der Prädeftinationsfehre nur das, was zu erfennen nothwendig fei, berühren wollen, das Uebrige wie begraben (en- sevely) gefaffen ; er ſelbſt, Calvin, befenne hiegegen, daß Alles, was Gott in der Schrift uns zu offenbaren gefallen Habe, nicht unter- drückt werden dürfe, was auch immer die Folgen fein mögen ®). Shärfer äußerte er fi über ihm gegen den Genfer Magiftrat 1552: „Melanchthon ne satisfaiet à nulles gens sgavans, pour ce qu’il fleschit d’une prudence trop humaine, n’osant peint dire ce 'qu’il cognoist estre' vray, pource qu’il craint que tous ne fussent point capables de l’ouyr.“ ®) Yene Aus- ge von Melanchthon's Werk war “freifich ſchon vor der erften

Ausgabe der Institutio erfchienen. Geſchrieben aber war diefe ja fhon im Sommer des Jahres, in welchem jene erfchienen ift. Es müßte ung Wunder nehmen, wenn Cafoin die Wendung, welche er hier einen Melanchthon nehmen fah, nicht mit großem Ernfte zum Gegenftand der Aufmerffamfeit für fi gemacht und, falls fie ihn nicht zu gewinnen vermochte, die von ihm angenommene Wahrheit iht gegenüber nur um ſo entſchiedener feftzuftellen verfucht hätte. Indem er jetzt mach jener Seite Hin die Wahrheit fo feft zu bes haupten und fo fcharf auszuführen für gut findet, find wir berech— tigt, den bejonderen Anlaß hiezu wirklich eben in Melanchthons Locis zu ſuchen.

Die Zwede, welhen nad Calvin's Abficht fein neu ausge— arbeitete® Werk zunächſt dienen follte, Bingen für ihn zufammen mit derjenigen academifchen Thätigfeit, welche er damals in Straß» burg zu üben Hatte. Die Lefer, für welche es nad) der Vorrede beftimmt ift, find Studirende im engeren Sinne des Wortes und ar Stubirende der Theologie. Eine fürzere, einfachere Unters weifung für Tehrbedürftige Chriften insgemein war indeffen aus iiner Institutio in feinem Katechismus hervorgegangen, beffen

®) Corp. Ref. XXII, 681. b) ibid. p. 682.

42 B Köflin

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erfte Entftehung fchon in feinen vorigen Genfer Aufenthalt fällt. Nur um fo mehr aber ift feine Erflärung über das, was er eigent- lich aud) für jene Leſer geleiftet Haben will, zu beachten. Sie zeigt und, wie er im Inhalte der criftlichen Unterweifung und Wiffenfhaft nur den begriff der in der heiligen Schrift entfalteten Wahrheit, ferner in einer wiffenfchaftlichen Darftellung dieſes Inbegriffes nur ein Hilfsmittel für's Studium und Ber- ftändniß der Schrift felbft fehen wollte. Er beftimmt nämlich feinen Zweck näher dahin: er möchte die Theologiebefliffenen zur Rectüre des göttlichen Wortes fo vorbereiten, daß fie Leicht in die felbe eintreten und ohne Anftoß darin fortfchreiten fönnen ; er glaube die Summe der Religion fo volfftändig zufammengefaßt und in folher Ordnung entwidelt zu haben, daß es den Lefern darnad) nicht ſchwer fallen werde, zu erkennen, was fie im der heiligen Schrift hauptſächlich fuhen und worauf fie allen Inhalt der Schrift beziehen folfen. So möchte er dann, wie er beifügt, auch Erffü- rungen zur heiligen Schrift, die er felbft etwa noch heransgeben werde, vorgearbeitet haben, fofern e8 nun in folheu Commentaren Feiner” weitläufigen dogmatifchen Disputattonen mehr bebürfen werde. An folder Schriftauslegung arbeitete er auch wirklich gerade damals; kurz darauf erfchien fein Commentar zum Römerbriefe. Wir ge denken hiebei des Zufammenhanges, in welchem bei Melanchthon die Entftehung feiner Loci mit feinen Vorlefungen über den Römer brief ftand, und der Erffärung über ihren Zwed, welden er in feiner erften Ausgabe · vorangeſchickt hatte: dag namlich aus ihnen die Jugend, was in der heiligen Schrift Hauptfächlich zu ſuchen fei, erfennen und nach ihnen. die Leſer der Schrift ſich in dieſer orientiren ſollen.

Der Beſtimmung, welche Calvin ſo ſeiner neuen Bearbeitung der Institutio gab, eũtſprach neben der großen Bereicherung an

dogmatifchem Stoff, die wir bereit® im Zufammenhang mit den

geſchichtlichen Vorausfegungen der neuen Arbeit betrachtet Haben, J

die größere wiſſenſchaftliche Schärfe, mit welcher er die erweiterten Hauptſtucke ausführte. In Betreff der größeren neuen Zugaben haben wir nur nod auf das Capitel „vom Leben des Chriften- menfgen“ aufmerffam zu machen, mit welchem er jegt feine Unter-

Aber Calvin's Institutio. 48

weiſung in der chriſtlichen Religion auch hinſichtlich der Ethik vers volfftändigt Hat; gegenüber von der Weitjchweifigkeit, in welcher die ethifchen Abhandlungen früherer Theologen über die Tugenden fd) ergingen und auseinanderfloffen und gegen welche er felbft ſich in ausdrüdlichen Gegenjag ftellen wollte, hat er hier wirklich feine Gabe einer ebenfo gedrängten, als warmelebendigen und in die Tiefe dringenden Darftellung vorzüglich bewährt. Gemäß jener Beſtimmung und in folher wiſſeuſchaftlicher Haltung Hat er endlich den Gang und die Gliederung des ganzen Werkes jet umgeftaltet. Die Urſachen, welche ihn früher den Hauptftüden des Katechismus folgen fiegen, waren weggefallen. In der neuen Geftaltung aber ichleßt er fih nun an eben jenen.inneren Faden an, melden wir doch auch ſchon in der erften Ausgabe bei ihm wahrnehmen konnten.

Die Calvin fon urfprünglid, im Hauptftüct vom Gefege, von den mei Hauptbeftandtheilen chriftlichen Wiſſens, von der Gottes» erfenntwiß und unferer Selbfterfenntnig ausgegangen war und wie er jegt wieder mit ben entſprechenden Sägen fein Werk eröffuet, jo behandelt er jetzt fofort eigens in zwei Capiteln erft jene, dann dieſe. Genauer übrigens befchäftigt jich jenes Capitel nicht“ mit der Erfenntniß Gottes überhaupt, fondern mit der Frage, wie wir zu derjelben gefangen. Da hat die oben erwähnte große hriftlich- apologetiiche Ausführung ihre Stelle erhalten: dem menſchlichen Geiſte ſei ſchon urfprünglic Fine gewiffe Erkenntniß Gottes, ein Gefühl von Gott eingepflanzt, fo daß ſchon hiernach die Ableitung der Religion aus, der Schlaufeit einzelner Menſchen ein Unfinn fi; uud dazu fomme das Pit, das Gott in feiner Schöpfung une über fich felbft und zugleich über unjere eigene ewige Beftim- mung gebe und welches fortleuchte, auch während wir in perſön— fiher Verderbtheit von dem ſchon durch jenen inneren Sinn gewies jenen Weg traurig abirren; doch auf die rechte Bahn und zu bringen, fein freilich auch diefe Herrfichen Leuchten des Schöpfungswerfes sicht im Stande, die bei uns nur ſchwache Funken noch anzuregen vermögen; da komme uns denn Gott mit dem wirkſameren Mittel ſenes Wortes in der biblijchen Offenbarung zu Hilfe, mit der hiligen Schrift, deren Göttlichfeit durch das Zeugniß des Heiligen Geiſtes eine über alles meuſchliche Urtheil erhabene Gewißgeit für

44 Röptin uns habe, die auch mit der in ihr dargelegten. Gottesweisheit, mit der Hoheit ihres Inhaltes, mit der inneren Harmonie ihrer Be— ftandtheife unferen Geift mächtig, wie keinerlei menfchliche Literatur, ergreife, für welche endlich auch; das Zeugniß der Kirche, nämlich bie Uebereinftimmung der gefammten Chriftenheit und fo vieler heiliger Männer umd Blutzeugen, gemichtig mit eintrete; und der Gott, welcher Hier vertrauter und klarer mit ung rede, ftelfe ſich als ebendenfelben dar, der auch in jenen allgemeinen Offenbarungen wirke; dies die Grundzüge des in feiner Neuheit und Origi- nafität beſonders werthvollen Abſchnittes. Das 2. Capitel ber

trachtet näher, nad; einer furzen Ausführung über die urfprlng-

liche Begabung des Menfchen, den Zuftand der Werderbniß und Sundenknechtſchaft, worin er jegt mit den Kräften feiner Intelligenz und vornehmlich mit denen feines Willens fich felbft erkennen muß. Welchen Anſpruch auf unbedingten Dienft jener Gott an uns macht und wie fehr wir Sünder mit unferer Armuth und unferem Mangel an eigener Gerechtigkeit vor ihm uns beugen müſſen, das weiter zu zeigen ift die Hauptaufgabe der Lehre vom Gefeg im 3. Car - pitel; innerhalb deffelben hat Calvin weſentliche Aenderungen . nad) 1536 nidjt vorgenommen. Von da geht er wie in ber erjten Ausgabe zum Glauben weiter, in welchem wir Sünder die Barm- herzigfeit Gottes umfaſſen dürfen. Den Inhalt defjelben entwickelt er wieder nad) dem apoftolifchen GHaubensbefenntniß, in Gap. 4. Während er aber fchon hier, und zwar noch eingehender als in ber erften Ausgabe, das Wefen des Glaubens und die Lehre von der in jenem Bekenntniß ausgefprochenen Sündenvergebung erörtert Bat, Täßt er jegt ein befonderes Capitel über bie aus dem Glauben er- wachſende Buße oder innere ſittliche Umwandlung und Wiedergeburt fofgen, worein er. einen früher im Capitel von den falſchen Sacra- menten behandelten Stoff aufnimmt, und weiter noch ein eigenes Capitel über die Rechtfertigung und das Verdienſt der Werke, da er die Rechtfertigung, obgleich fie die erfte, durch den, Glguben zu erlangende Gnade und die Wiedergeburt erft bie, „zweite Gnade“ fet, doch vorher nur fürzer berührt Habe, um vor einer eingehen- deren Beſprechung derſelben auch ſchon das praftifch Lebendige Wefen

des rechtfertigenden Glaubens und das Weſen der, jetzt mit Bezug |

über Ealvin’s Institutio. 45

auf ihre angebliche Verdienſtlichkeit noch weiter zu erörternden guten Berfe der Chriften zu charalteriſiren (Cap. 5 und 6). Daran ſchließt fi) im 7. Capitel die fon erwähnte Abhandlung vom Verhältniß des Alten und des Neuen Teftamentes zu einander mit Bezug auf die Heilegüter, die wir Chriſten durch die Gnade mitteljt des Evangeliums empfangen; endlich im Cap. 8 die Ber trachtung des göttlichen Rathfchluffes, der diefes Heil dem Einen zu Theil, den Anderen nicht zu Theil werden laſſe, oder der Ab: {nit von der Prädeftination, von welcher aus Calvin auch noch auf Gottes Vorfehung im Walten über die gefammte Welt den Blick Ienkt. "Der Gefammtinhalt von Cap. 4—8 ift fo eine große Entfaltung desjenigen Lehrftoffes, welcher in der erften Ausgabe den Gegenſtand des dritten Hauptftüces gebildet Hatte. In dem» ſelben Gebanfengange wie dort reiht ſich dann hieran wieder die Lehre vom Gebet (Cap. 9), von den Sacramenten, von der drifte lihen Freiheit. Die Lehre von den neuteftamentlichen Sacramenten iſt indeffen jet in drei Capitel zertheilt, in die Abſchnitte von ifnen im Allgemeinen (Cap. 10), von der Taufe (Cap. 11), vom Abendmahl (Cap. 12). Der Stoff, welder in dem Einen 6. Ca— pitel der erften Ausgabe ftand, ift ohne eine wefentliche innere Anderung oder Zugabe unter drei Capitel mit bejonderen Ueber: ſchriften: „De libertate Christiana, De potestate ecclesiastica, De politica administratione‘‘, geftelit (Cap. 13—15). Die fünf borgeblichen Sacramente der römifchen Kirche werden erft im 16. Capitel bekämpft, offenbar um biefem weſentlich polemifchen Abſchnitt erſt hinter den weſentlich pofitiven dogmätiſchen Ausführungen eine Stelle zu geben. Den Schluß des Werkes macht in Cap. 17 der’ neue Abſchnitt Über das chriftliche Leben, angehängt wie eine kurze Ethik an ein zunächſt wejentlich, mit der Dogmatik ſich bes ſchaftigendes Werl. Aus diefer Ueberficht .über den inneren Gang der neuen Ausgabe wird von felbft ſchon erhellen, welches Recht die verfchiedenen Ausfagen neuerer Theologen über fie Haben. Säweizer *) bemerkt unbeftimmt: fie fei ſchon wiſſenſchaftlicher ordnet. Nach Stähelin ®) hat das Werk ‚Hier im Weſentlichen

3) Die Eentraldogmen der reformirten Kirche I, 154. ba... 0, S. 183.

46 Köflin

ſchon feine vollendete Form gewonnen, in der es dann aud) den folgenden Geſchlechtern überliefert worden fei. Dagegen fcheint den - Straßburger Herausgebern die urſprünglich „ziemlich durchfichtige umd einfache Dispofition“ jegt „intricatior et naturali rerum rationi minus consentanea‘“; fie fagen von den Ausgaben vor 1559 insgemein: „singula argumentorum capita uno tenore aliud post aliud venisse, varie quidem mutata serie, sed minime ad systematis normam, interiorem singulorum dog- matum nexum respicientis, disposita“®). Gegen das zuletzt genannte Urtheil verdient unfere Ausgabe und ihr mit.Geiftesfchärfe weiter arbeitender Verfaſſer jedenfalls ſehr entſchieden verwahrt zu werden. Unſchwer find freilich auch bedeutende Mängel der neuen

Arbeit in Hinficht anf Syſtematit zu erfennen. So fällt die Un- |

angemefjenheit der Stellung, . welde der Inhalt der Gotteslehre

erft in dem das apoftolifhe Symbolum ausführenden Abfchnitt (Eap. 4) erhält, jegt erft recht in die Augen, nachdem ſchon ein befonderes Capitel über die Erfenntniß Gottes vorangegangen ift. Die Lehre von ber allgemeinen Providenz Gottes möchte man nicht erft Hinter der Prädeftinationsfehre, fondern gleich nad) ‚der Lehre von Gott, dem allmächtigen Schöpfer, ſuchen. Am bedenklichſten ift überhaupt die Einordnung jenes 4. Capitels mit dem, was es gibt und nicht gibt: es entwidelt auch diejenigen Stücke des Glaubensinhaftes, welche nicht erft und micht fpecififch für den rechtfertigenden, Gottes Barmherzigfeit ergreifenden Glauben in Betracht kommen, und läßt wiederum Stüde weg, welche doch mit jenen unmittelbar zufammenhingen, wie die foeben erwähnte Lehre * von der Vorſehung mit der von Gott und feiner Schöpfung. Auch mandjes Einzelne, was wir in der Ueberficht unberücfichtigt ließen, wäre hier zu erwähnen; fo eine Erörterung über die Sünden der Wiedergeburt fchon bei dem Artikel des Symbolums über die Sün- denvergebung, alſo noch vor dem befonderen Abjchnitt über Buße und Wiedergeburt. Die Eingliederung alter diefer Lehrftüce hat auch Calvin felbft jpäter verändert. Daß ohnedieß zwiſchen feiner zweiten und feiner Tegten Ausgabe noch ein fehr bedeutender Unter-

a) Vol. XXIX, p. XXX. XL.

über Calvin's Institutio. 4

ſchied in ber Syſtematik ftatthat und hiernach Stähelin's Worte zu berichtigen find, werden wir bei dieſer ſelbſt ſehen.

Im Ganzen aber iſt die Umgeftaltung, welde Calvin 1539 feinem Werfe gegeben, von alfen, welche es durchgemacht hat, die wigtigfte. Er Hat Bier, fo große Abfchnitte er aud aus der erften Ausgabe herübernahm, doch weit mehr als fpäter ganze Maffen des Stoffes neu durchgearbeitet. In den fpäteren Ausgaben und auch in der großen Umarbeitung des Jahres 1559 befteht die neue Arbeit doch mehr nur in einer mehr oder weniger durchgreifenden Neuordnung der bereits vorliegenden Tertesglieder und in Einfügung Meinerer und größerer Zugaben zwifchen diefelben hinein. An Umfang war der Stoff der zweiten Ausgabe, verglichen mit dem der erften, wohl um Etwas weniger als das Dreifache gewachſen *).

Zwei Fahre“ nach diefer Ausgabe erfchien die erfte, von Calvin feßt verfaßte Ueberfegung der Institutio, ohne Angabe des Drudortes und Druders, als welche nach Vol. XXXI, p. XXIX mol Genf und Michel de Bois anzufehen find. Wenigftens Eine Anderung hat das Werk fon hier wieder erfahren: das Capitel von den fünf vorgeblihen Sacramenten hat feine Stelle wieder unmittelbar hinter denen von Kaufe und Abendmahl befommen und hat fie dann fernerhin dort behalten.

Im nämlihen Jahre fehrte Calvin felbft nad) Genf zurück. Es begann die für ſein praftifches Wirken wichtigfte Periode feines Lebens, voll Kampf und Arbeit, voll Sorge wie für die Genfer Kirhe, ſo für den weiten Kreis der reformirten Kirchen uhd fir die evangelifche Predigt überhaupt. Seine ſchriftſtelleriſche Arbeit an der Institutio ruhte darum nicht. Gerade feine Wirkſamkeit dur) diefes Werk reichte ja auch im die weiteften Kreife. Die nene Ausgabe des Jahres 1543 zeigt namentlich das fort« gefegte Bemühen um eine beffere Dispofition des Ganzen, bringt auf) einzelne neue umfaffendere Ausführungen über die Engel und

ı) Nicht um das Sechsfache, wie Stähelin ©. 62" angibt; man vergleiche die Maße‘ nach dem neuen Abdrud im Corp. Ref., wobei man beadjte, daß hier in den Text von 1539 große Stüde von 1543, aud einzelne von 1550 eingeſchaltet find.

48 Köſtlin .

Teufel, über Kirche und SKirchenregiment, über die von den Latho⸗ lilen empfohlenen Gelübde. Der allgemeine Gedankengang dis Werkes ift zwar derfelbe geblieben. Dem 3. Capitel, vom Geſetz, ift jedoch jegt der Abſchnitt über die Gelübde als viertes Capitel beigegeben: freilich nicht angemeffen der Stelle, welde in jenem beftimmten Gedanfengange die Lehre vom Gejeg einzunehmen hatte, wie denn auch Calvin felbjt fpäter jenen neuen Abſchnitt paffender Hinter die Capitel von der Kirche, den menfchlicen ‚Sagungen u. f. w. verlegt hat., Das bisherige 4. Capitel, vom Glauben nad dem appoſtoliſchen Symbolum, ift zerlegt in vier Gapitel (Cap. 5—8), von welchen das erfte das Wefen des Glaubens, die drei andern den Inhalt des Glaubensbekenntniſſes ausführen. Und zwar bezeichnet hier Calvin als’ erften Theil des "Symbolums die Lehre „von der Trinität, der Allmacht Gottes und der Schöpfung“, als Yuhalt des zweiten Theiles die „von der Fleiſchwerdung, dem Tode, der Auferftehung Chrifti und dme ganzen Geheimniffe der Erlöfung“, als Inhalt des dritten Theiles die „vonr heiligen Geifte“, ald Inhalt des vierten Theiles, die „von der Kirche, ihrer Regierung, Ordnung, Gewalt und Disciplin, desgleichen von den Schlüffeln, der Sündenvergebung und endlichen Auferftehung“ : eine Eintheilung, welche und Hinüberführt auf die ienige, nach welcher er zulegt im Jahre 1559 fein gefammtes "eigenes Werk disponirt "hat; für jegt übrigens handelt er noch jenen dritten Theil vom Heiligen Geift nur ganz kurz nad) dem zweiten und in Einem Capitel mit diefem ab, indem er die Lehr von der Wirkjamkeit des Geiftes in den Subjecten noch wie 1539 erft auf die Ausführung des Symbolums folgen Täßt in den Ca— piteln von der Buße u. |. w. Der neue Abſchnitt von dem guten und böfen Engeln fammt erweiterten Sägen über die Schöpfung überhaupt fteht beim erften Theil des Symbolums; in jenem finden wir namentlich auch die Leugnung der perfönlichen Realität jener Geifter bekämpft, offenbar wieder auf eine beftimmte, damals vor⸗ Tiegende Veranlaffung Hin, nämlich mit Bezug auf die Libertiner, gegen welche Calvin jegt auch eine befondere Schrift abfakte *).

a) Bgl. in der Instructio adversus libertinos, Cap. XI. XII.

\ . über Cafein’s Institutio. my

In der Lehre von der Kirche, alfo beim vierten Theile des Sym-⸗ bofums (in Gap. 8); iſt jet, ſyftematiſch richtig, der größte Teil dejenigen Stoffes, der früher das der Lehre von der hriftlichen dteiheit folgende Eapitel von der Kirchengewalt gebildet Hatte, ferner die Lehre vom wahren -geiftlichen Amte, welche beim vorgeblichen saeramentum ordinis behandelt worden war, und die früher bei der Buße erörterte Lehre von den Schlüffeln verarbeitet; dazu fommen neue Ausführungen gegen die Ansprüche des Katholicismus und Papismus, welche Calvin feither aud im Sendfihreiben an Sadofet bekämpft hatte, mit eingehenden Biftorifchen Deductionen, ferner weitere Beftimmungen in Betreff echt evangelifcher Kirchen⸗ ordnung, bei welchen wir namentlich die Säge über Laienälte ſte m betrachten haben werden und welde für Calvin jegt befonders ven feiner praktifchen organifirenden Thätigfeit in der Genfer Fire wichtig geworben waren. Während dann auf die- Entwicklung des apoftolifchen Symbolums wieder die Capitel von der Buße, Rechtfertigung und dem Verhättnig des Alten und Neuen Tefta- mente folgen (Cap. 9-11), wird jegt- hiernach fogleich (Cap. 12) die pofitive Lehre von- der chriſtlichen ‘Freiheit beigezogen, die ja ten aus der dort bargefteliten Heilsmittheilung-Hervorgeht. Daran . reift ſich noch, wie früher das ganze Eapitel von der Kirchengewalt, ſo jegt ein befonderer Abfchnitt don den „menſchlichen Traditionen“ (Cap.13), der theils Neuss, theils noch Stücke aus jenem früheren Enpitel enthält: auch fir feinen Inhalt war freilich der paffendfte Drt bei der Xehre von ber Kirche,’ wo er nachher (1559) mit dem Abſchnitt von der. Kirchengewalt wieder zufammengeordnet worden ff. Die übrigen Capitel behielten -die Stellung vom Jahre 1539, bejiehungsmeife 1541 ®).

Auf's Nene legte Calvin“ feine bejfernde Hand an das: 1539

a) Bei der Ausgabe von 1543 muß ein’ wunderliches Mißverflänbnig Stä- helin's (a. a. O., ©. 62) berichtigt werden, ber auf dem Titel eines ihm vorliegenden Eyemplaxs den Joh. Sturm als den Herausgeber bezeich« net zu finden glaubte. Sturm ftand auf dem Titel (vgl. Vol. XXIX, p. XXXIV) nur als Autor der auch von Gtähefin mitgetheiften, zur Einführung des Buches dienenden "Zeilen; nach unferer Iuterpunctations- weile war Hinter feinen Namen ein Doppelpunft zu fegen.

Theol. Stud. Jahrg. 1868. 4

» Käflin

wen anögeführte Werk bei ver Ausgabe des Jahres 1550: bier übrigens wicht mit Aenderungen der Dispofitipm, noch mit Aufnalune wewer Abfchuitte, Dach wenigtens mit einzelnen, theilweiie echt iniereffanten Mleineren Einfcheltumgen im dem Text von 1543, feruer mit werfchiedenen Modificationen einzelner Güte und Aut trüde. Wir nennen von foichen Einfcheltungen z. B. die Par: graphen über Bunter und Weifſagungen als Sriterien für die Güttlihfeit der Schrifteffenberung, über die Zweifel, ob Moſe und die Propheten die wach ihnen benannten Schriften wirklich ‚verfaßt haben, ja ab je ein Maſe eriflirt Babe, wobei eine Unter: fucung, mer jene Zweifel damals erhoben, wohl der Mühe wert märz, „über ben Vegriff des Gemiffens mit Bezug auf die Sreißeit des Gewiſfens wen menfclicher Satzungen und quf am des Gemiffens willen zu leiſtenden Gehorfem (im Cap. 13). Durchareifend umd umfajkeup mar endlich wieder die Umat- ‚beitung, im welcher Calvin 1559 fein Werk new der grofen Menge dankhaxer, eifriger Leſer übergab. Nachdem er, wie die Borrede bemerkt, fie gerne ſchen früher angeführt hätte, hatte ır Fe wollenss zu Stande gebracht unter dem Drud-und den Nat; i eines Inngmrierigen Wechſelfiebers, im welchem er fih ühlte; mur deſte weniger hatte er fich geſchout, Lejern diefe Gabe hinderlafſen zu können. Das Nur’ kündigte fen der Titel an: „Instikutio Christiane in libros quatuor nunc primum digesta certisque distineta capitibus ad aptissimam methodam, aucta etiam

Biertel gegenüber von der Ausgabe det Jahres 1550 gewachſen.

Berjchiedene neut dogmatijche Fragen und Kümpfe Tagen von den Iegten Jahren her wieder vor dem Geifte des Berfaffers. Sie woren großentheild wieder Anlaß zu den Erweiterungen feines Buches. Rem ift fo namentlich die feharfe, ausführliche Contro: verfe, in welcher die Institutio jedt bei der Abenduahlslehre den Lutheranern gegenüberftcht. Andererfeit® will er nicht minder, als es die deutfchen und lutheriſchen Theologen thaten, die eigen: thumlichen Theorien des aus dem Lutherthum Bernorgegangenen

Aber Calbins Fnstitutio. 5

Oſiander in Betreff des gättlichen Ebenbildes, bed Wertes Chriſti, der Rechtfertigung , von ſich umd feinen Leſern fernehglten und namentlich die Rechtfertigungslehre defjelben widerlegen. Die liberr tiniftifhen Anfchauungen, die wir ſchon in der Ausgabe don 1543 berüctfishtigt fanden, begegnen uns jegt neu in Calvin's Streit gegen gewiſſe „ungeheuerlicpe Geifter“ der Gegenwart, welche au die Stelle Gottes nur eine in der finnlichen Welt und in ung Menſchen wirtſame Naturkraft ſetzen wollen (Lib. I, C. 1). Servet wird jegt mit feinem Namen aufgeführt und apsführlicher und mit Bezug auf mehr Lehrpunlte, als in den biegerigen Aus gaben, widerlegt. Auch an Lalius Spzinus werden wir jagt innert; befonders bei der Lehre vom Verdienfte Chriſti (vgl. Näheres in unferem zweiten Artikel); Sozin Hatte ferner ſchon mehrere Jahre ya dem Galoin ‚Bedenken ‚gegen die kirchliche Auferſtehungelehre dorgelegt, indem er einfach daran ſich halten wollte, daß wir einſt mit einmm neuen Leib umklgidet fein werden: ſpeciell wit Bezug auf dieſe Anficht hat jetzt Calvin die Lehre von der Auferſtehung weit- laufiger ahgehandelt. Auch abgejehen von ſolchen Beziehungen aber zeigt die neue Ausgabe das Beſtreben, vollends ‚gang umfafjend ale Momente anfgunehmen, welche zu einem Ganzen Ariftlicer behrwiſſenſchaft gehören, ſie gleichmäßig je nad ihrer Bedentung gu entfalten und fie wirllich zu einem durch und durch geordneten Ganzen zu verbinden. . In diefem Streben hat Kalvin iept 528 auch die natürlichen Vermögen des Menſchen, die er zuvor im Zu ſammenhang mit der Erbfünbe beſprochen ‚hatte, eingehender an und für ſich entwidelt, hat bie Lehre vam Werke Chriſti beftimmter als zunor durch die Lehre von den drei Aemtern durchgeführt u. ſ. w. Dan hätte jegt mohl auch bei dem ekhifchen Abſchnitt, welcher vom &ben des Chriſten handelt, noch größere Ausfügrligfeit erwarten mögen. Hier- hat ſich jedoch Calvin begnügt mit dem, was er ichon bisher gegeben. Ex ſelber bemerkt jetzt dazu: „vel aliis pattes quibus non adep sum idoneus relinquam; amo natüra, brevitatem, ‚et si forte gopiogius Jagui vellem, non accederet‘‘ *).

a) Lib. III, €. 6, $ 1; die feangöftfche Ueberſetzung det gerade diefe Sara teißifchen Sfite weggelofen.

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52 " Köflin

* Die Umarbeitung Hat übrigens auf diejenigen einzelnen Elemente des Lehrftoffes, die ſchon in den bisheriger Ausgaben ausgeprägt waren, nur wenig, ja fo wenig als möglich ſich erſtreckt. Sie ift vielmehr in der Weife vor fi gegangen, daß fie diefe, ohne fie in ſich neu zu geftalten, aus ihrer urſprünglichen Verbindung geloöſt, in eine neue Gfiederung gebracht und darin zwiſchen fie die neun Glieder eingerlidt ober aud in neue größere Abfchnitte Keine Stuch des alten’ Textes unverändert ‚aufgenommen hat. Wie wir ein ühnliches Verfahren ſchon beim Verhältnig der zweiten zur erften . Ausgabe wahrnehmen, fo jegt vollends bei diefer leiten Redaction. Mitunter erfcheinen fo im neuen Texte ganz vereinzelte Sätze aus dem alten, in welchem fie anderswo geftanden hatten. In dem oben erwähnten Bericht über die franzöſiſche Ueberfegung von 1560 erzählt Collado, wie ein Exemplar der früheren Ausgabe zerfchnitten, diefes und jenes Stücd zufammengeffebt, Neues dazwifchen geſchrie ben worden fei. Offenbar war Calvin felbft ähnlich‘ bei der neuen Tateinifchen Redaction zu Werke ‘gegangen. Das Verfahren ift cha⸗ ralteriſtiſch für ihm: für die Siherheit'und Genauigfeit, mit welder er ſchon das früher Gefchriebene von ſich durchdacht und auege fproden ‚wußte, um nun Nichts‘ davon unnöthigerweife bei Seite fallen zu laffen, für die verftändige Oekonomie, mit welder er feine geiftigen Producte beifammen hielt, und zugleich für die Mühe, welche er ſich gab, diefelben "noch zu bereichern und ſyſtematiſch zu vollenden.

Hauptfache ift fo bei der letzten Ausgabe tHeils jene Ergänzung durch neue Stücde zum Behuf dogmatiſcher Vollſtändigkeit, theils die neue Anordnung des Ganzen zu einem wohlgegliederten Syſteme. Und zwar hat nun in dieſer Beziehung die neue Arbeit Calvin's noch mehr als in jener geleiftet. Darauf ift bei ihr zumeift das Augenmerk zu richten. " ö .

Calvin Hat jetzt feinen Stoff bekanntlich‘ nicht mehr blos in Capitel zertheilt, fondern in vier Bücher zufammengefaßt, unter welche er die einzelnen Capitel ſtellt; auch hat er größere Capitel der bisherigen Ausgabe, oft ohne an ihrem Inhalte zu ändern, in mehrere kleinere zerlegt. Die Ueberfchriften der. Bücher find: De cognitione Dei creatoris; De cagnitione Dei redemptoris

Aber Calvin's Institutio. 5

inChristo, qnae ‚patribus sub lege primum, deinde ‚et nobig in evangelio ‚patefacta. est; De modo percipiendae Christi gratise, et qui inde fructus nobis proveniant et qui effectus wonsequantur; De externis mediis vel adminiculis, quibus Deus in Christi societatem’ nos invitat et, in ea ‚retinet,

Da beginnt denu das erfte Buch wieder mit jenem Zufammens hang von Gottes: und Selbfterkenntniß und will zuerſt wieder von jmer handeln. Es geht jegt aber nad) jenen Abfchnitten über die Quellen und Normen unferer Gotteserfenntnig, über die göttliche Offenbarung und die Heilige Schrift, fofort aud in den Inhalt dieſer Etkenntniß ein. Es ſiellt den Einen wahren Gott den Gögen der Heiden entgegen, kämpft auch ſchon und zwar in Stüden, welche aus der früheren Auslegung des Dekalogs ftammen gan die Neigung, ihm eine fichtbare Geftalt beizulegen. Es trägt, bie Gafoin früher im Capitel De fide gethan, die Schriftlehre im dem Einen ‚göttlichen Weſen vor, das drei Perſonen in fh enthalte. Dann zieht e8 aus jenem, früheren Capitel, nämlich aus br Erllarung vom erften Artifel des Symbolums, bie. Lehre von dr Schöpfung und den Engeln bei, erörtert was früher im Gapitel von der menſchlichen Selbfterfenntnig zufammen mit der Srhfünde behandelt worden war den Urzuftand, in wegen der Menſch nad dem. göttlichen Ebenbild geſchaffen worden, nebſt finen allgemeinen Vermögen, freitet endlich noch weiter zur alle gemeinen Weltregierung. und Providenz, die wir früher als Anhang ur Prädeftinationslehre abgehandelt fanden, bei der übrigens auch) it noch bereits zugleich das Wirken Gottes in ben Böfen zur Sprache ‚gebracht wird.

Dis zweite Buch beginnt mit demfelben Hinweis auf bie Vichtigkeit der Selbfterfenntnig, mit welchem vordem das frühere von der Selbfterfenntniß überhaupt handelnde Capitel begonnen hatte, um hiemit in dieſelbe Darftellung unferes, aus Adam’s Fall heworgegangenen Sündenftgndes einzuführen, welche auch. ſchon den dauptinhalt jenes Capitels ausgemacht Hatte. Das Refultat iſt, dij der verlorene Menſch nur in Chriſtus feine Erlöfung zu ſuchen hele, wovon jetzt ein neu verfaßtes Capitel zunächſt im Allgemeinen feet. Nachdem hier..gezeigt ift, daß dies ſchon feit Adam's Fall

"gti ° oo

a "mögliche Weg des Geiles gewefen und HAB hievon auh ſchon dem Volke des Alten Bundes durch Gottes Offenbarung g- zeugt worden ſei, wird, ehe das chriſtliche Heit ſelbſt zur Dar ſtellung kommt, erſt im Betreff der altteſtamentlichen Oerlononie näher, ausgeführt, was das Gefeg dort’ gewollt und geſollt habe (Dazu die Erklärung des Dekalogs), wie Chriftus, obgleich fm den Fuden unter dem Gefege bekannt, doch erſt im Evangelium des Neuen Bundes zur vollen Offenbarung komme (hieruber en neues Capitel), wie hiernach überhaupt das Alte. und Neue Tefte! ment nach Aehnlichtelt und Unterfihieb fid zu einander verhalt (ebendieſelbe Ausführung, auf welche die früheren Ausgaben art dom chriſttichen Glauben und der chriſtlichen Heilsmittheilung mt zurückgegangen waren). Darauf folgt die Lehre von der wirlüte Menſchwerdung, beit Beiden Natüren, dem dreifachen Auite, dm erföfenden Tod, und der Aufertehung Jeſu Chrifti mebft einem neuen Abſchnitt "über dent Begriff feines Verdienſtes, durch das er and Grade und Seligteit erworben.

Alles aber, was Chriſtus für ung gethan und erworden Kt idird id: zu eigen bitte) den Glaubeti; urd indem mt icht ad Pr die dm Cöattgefiut dargebotenr Mitteilung Chrft erfaffert, weiſt dies zurück auf einkn tieferen Grund, nämlich aufs geheime · Wirken des Heiligen‘ Geiſtes, durch welches wir Chriſi gerieben. Sbo eröffnet ſich das dritte Buch. Es entfaltet ale huimn feineh Itihalt im der Lehre vom Weſen des Glaubens, dat zoꝛwor im Eingang zar Auslegung des Symbolums beſprochen Mörder war, von der Buße oder Wiedergeburt und dein neuen Leben, von der. Rechtfertigung des gläubigen, im neuen Leben war deluden Ehrifieit, von bet geiſtlichen Freihrit, wetche berſetbe gef, dor Gebete, mit welchem er fortwährend aus Gottes Schäten feibpfen” def, don der Gnadenwaht, vermöge beten: Gon von Ewigtkeit vieſes geſanimte Heit den Einen ſichet and ganz zugetheift, den Mweren verfagt Hat. Sir dieſen Abſchnitten kehrt ſo weſentlich det Inhatt“ utrd die Gedankenfolge der vorigen Ausgaben wieder. Bas Capitel vom chriftlichen deben aber reiht ſich jegt, in mehrere auseindndergelegt, am den Abfchuitt von der Wiedergeburt, die in folchein Leben ich bethatigen ſoll, und ift hielt aus einem Anhang

Aber Gafbin's lüstitatio. 55

dr Institutio zu" einem organiſchen Gliede geworden. Den Schluß des Vuches bildet ber jetzt neu bearbeltete Abſchnitt von „der letzten Auferſtehuinng“, der von der ſeligen Hoffnung, welche die bereits vom Tode zum Leben durchgedrungenen Chriften unter den noch fortdauernden Dtangfatin ihrer irbiſchen Pilgerſchaft ftärte und aufrichte,

Das vierte Buch Teht jene „externa media vel admini- cula ete.“ im der Kirche und den‘ Sacramenten dar, indem- es mn beider Xehre‘ don der Kirkhe vollends alle die Abfchnitte zus fommenfaßt, die innerlich dazu gehörten‘, früher jedoch an andere Eiellen zertheilt geweſen wären. Zuletzt führt es von dem geiſt⸗ fhen, auf den innerre Menſchen und das ewlge Leben bezüglichen Regimente noch Hinüber auf dasfenige, welches mit der außeren, Kirgerficheir Gerechtigkeit zu thun Habe: mit dem Capitel „De po- Iitiee administratione“ ſchließt fo das ganze Wer:

Dan Kat bei diefer Gefammtamordnung des Stoffes die Voran⸗ ftellung der objecfiden‘, theologiſchen Momente gegenüber von den anthropofogifchen, des „Deus creator, Deus redemtor“, fon beſonders charaltetiftiſch gefunden. Wir haben indeffen zu beachten, daß, ſo gemiß had) dem Inhalt der cafvinifchen Lehre von Gott und Menſch jener der abſolut beftimmende ff, doch für bie Erkenntniß der teligiöfen Wahrheit gerade nach Calvin die Betrachtung Gottes imd die Selbſibetrachtung des Menſchen don dornhereiti Hand in Hand gehen muß und dag in der Entwiclung des behrſtoffes deu Lusſagen über den Schöpfer bie Misfagen über den von ihm gefſchaffenen Menſchen zur Seite: gehen, der Lehre don Gott dem Erlsſer die Darſtellung des erföfimgsbedürftigen Merifchen Dorangeht und "bei der Lehre‘ von der Heilsaneignung der göttliche dactor überhaupt nut inſoweit Betrachtet wird, als er in der eigenen fitlichen Erregüng und Bewegung des Sübjectes ſich berhanat.

Allgemeln finden’ wir ferner bei neueren Theologen jene Andrd⸗ nung wefetitfich" dadurch charäkteriſirt, daß ſie den geſammiten chriſt⸗ lichen Lehrftoff in die Grundlinien des apoftofifhen Sym boles haht Habe. Und darauf haben auch wir ſchon bei der Betrachtung kr Ausgabe von 1543 hingeblict Der Sachverhalt bedarf jedoch fr noch näheken Zuſehens und genauerer Beſtimmungen.Zuhleich

56 Rößlin -

iſt auchemerfen, daß dabei die, „Argumente“, melde die Anfters damer und nach ihr die Tholud’jche Ausgabe den einzelnen Büchern voranſchictt und welche ausdrücklich auf, die Artikel des Symbolums verweifen, aus dem Spiele bleiben müffen: denn fie ftammen nicht von Galoin’s, fondern erft von fpäterer Hand. Calvin felbft nun hatte, wie wir bei der Ausgabe von 1543 oben fahen, ſchon früher das apoſtoliſche Bekenntniß in vier Theile: zerlegt. . Und fofern er dort die Lehre von der Kirche. dem vierten Theile zumies, trifft jegt die neue Eintheilung feines ‚eigenen Werkes mit den Teilen des Symbolums noch mehr zufammen, als es nad) jenen „Argu- mentig‘‘ erſcheint: denn diefe theilen das Symbol nur in die drei Theile De Deo .creatore, redemptore et sanctificatore, denen dann Calvin's drei erfte Bücher entfpreden ſollen, worauf aber noch die Lehre von der. Kirche folge. (vgl. das ‚Argumentum ! zum 3. und 4. Bude). Anbdererfeits dagegen hätte nach derjenigen Eintheilung des Symbols, welche Calvin in der Ausgabe von 1543 gemacht Hatte, bei ‚einer Anordnung des ganzen Werkes nad) den Theilen des Symhols bie Lehre vom fubjectiven Heilsproceß als ſolchem, bie jegt das dritte Bud; füllt, mit dem Inhalt des gegens wärtigen vierten Buches Einen Haupttheil bilden müffen, und einem dritten Haupttheile wäre nur die Lehre vom heiligen Geifte, feinem Weſen und feiner Kraft an ſich ‚zugefallen; denn er Hatte dort Vol. XXIX, p. 479 die Theile des Symbole fo zufammengefakt: „tria membra patris,, fili et spiritus deseriptionem, unde totum. redemptionis nostrag MWygterium dependet, ‚compre- hendunt; -quartum, -quibus in rehus site sit nostra, salus, commemorat“...Und im der neuen Ausgabe hat er nun auch nicht etwa, wie wir. bej. einer Gliederung nady dem Symbol erwarten möchten „,da8 dritte Bud) wenigftens eröffnet mit der Lehre ! dom Geiſt an ſich und feinem Weien, um daran die Lehre von dem durch den Geiſt gewirkten Heilsproceß zu reihen; ſondern was er von jener dehre gibt, ſteht ſchon in dem Abſchnitte des erſten Buches über, bie Trinität. Ya er hat den Geiſt ſelbſt nicht. einmal jn der Ueberſchrift dieſes Buches genannt; denn dieſe lautet eben nur, wie ſie oben wiedergegeben worden iſt; die Voranſtellung des „Deus sanetificator oder de Titels „De cognitione Dei sanctifica-

dris in spiritu als Ueberfchrift 1 Tert, fondern a: mödte man nad) vom „einigen So ſomit auch die Tel So hatte einft Li Glaubens und di D.XXDO, ©. 1 „In einer ewigen geboren iſt“, erſ Glaubens“ beigez mit der vom Weſ Siftes ſchon in nd tingehend aby des Jahres 153€ Gange des Symi nität nicht unter Auslegung dieſes darauf aufmerffar bolums die ‚Stell erſtchung vor dei In der That kön tingeſchlagen hat, feiren, vielmehr Later, Sohn ur tgierung überha fie bedingten Hei deögfeichen om. I bedürftigkeit (1. & Thätigteit Gottes Etiftung des ſcho denſchgewordenen Sriftus geſchenkt dem durch den G delaproceſſe bis

ss asvſtkin

(3. Buch), 4. von den äußeren Mitteln, deren Gott fut dieſes Wirken feines Geiſtes ſich bediene (4. Buch). Wir erhalten hier einen an ſich Maren Gang, zu deffen Marer und fcharfer Darlegung jedoch gerade die Viertheifung bei Calvin und die auch von ihm felbft an die Hand gegebene Beziehung auf's Symbolum micht fo, wie e8 von Vielen gerühmt wird, dient. Nebenbei bemerfen wir, daß mit denjenigen beiden Haupttheilen, welche hier fich ergehen würden, auch ſchon eine Anknüpfung fir die Föderaltheologie fpäterer teformirter Dogmatifer ſich ‚darbietet. Calvin felbft führt freifid bet jener Zufammenfteflung der Lehre. von Gott nnd vom urfprüng fichen Menſchen die Idee des Bundes für das Verhältniß Beider nit ein, und ein eingehendes Verweilen bei diefem Verhältniß hätte überhaupt dem Gewichte nicht entfprochen, welches dann nad) den nachfolgenden Lehrftäd von der Prädeſtination auf den die Sünde md den Sündenfall ſchon in fich ſchließenden, Alles von vornherein determinirenden, ewigen Rathſchluß Gottes "Fällt. Zunächſt aber ſchien doch für ein ſolches Verweilen dadurch, daß er dort von jenem Rathſchluſſe noch ſchweigt, gerade andy bei ihm Saum gegeben. So hat Calvin's Werk allmählich diejenige Geftalt gemorinen, in welder es zum bfeibenden größten Denkmal für den umfaffenden, ſtrenge benfenden theofogifchen Geiſt ſeines Verfaffers geworden if. Und blicken wir von hier wieder auf die vorangegangene Ent wicklung zurüd, fo fehen wir ſchon dort überall’ eben denfelben Geift arbeiten nad) dem Ziele Hin, bei welchem er jegt glaubt ftehen bleibm zu dürfen, Obenhin angefehen erfcheint der ganze Organismus des Werkes feit ‘der erften Anlage vom Jahre 1836 fo durdaus umgewandelt, daß feine Schrift eines andern reformatorifchen Theo Togen ein ähnliches Beifpiel darbiete; und doch fehrt jener Grund: gedanfengang, den wir ſchon dort. durch bie Gliederung nach dem katechetiſchen Hauptſtücken ſich durchziehen fahen, auch jetzt am feinem Orte wieder. Im Einzelnen ferner haben viele und zum Zoch ſehr ausgedehnte Abschnitte faſt unverändert von der erſten bis 3 letzten Ansgabe ſich erhalten. Es zeugt dies, wie ſchon bemerl von der Gründlichkeit, womit der Verfaſſer ſchon anfünglich ihre Inhalt durchdrungen zu Haben fid "beruft war. Und zuglei müffen wir jegt, gerade auch wenn wir an fein theilweife medei nifches außeres Verfahren bei ihrer neuen Eingliederung denken,

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so - Rößlin. -

der chriſtlichen Religion“ an fi und mit fpecielfer Beziehung -auf die. Bedürfniffe der Gegenwart gehörten, die geiftige Energie und Klarheit, welche den ſich häufenden Stoff bemeiftert und .zufammen- drängt, während zugleich alle ungehörigen, müßigen Sragen und Ercurſe ferngehaften werden. Dagegen behält nun freilich die Darftelfung nit mehr. den urfprünglichen lebensvollen Guß und Fluß. Es verſteht ſich, daß in derfelben auch jest noch überall die lebendige perfünfiche Ueberzengung des Verfaſſers ſich kundgibt; fie behält ferner immer ihr Abſehen auf's ſittlich-religioſe Leben der Lefer; müßig find für fie eben ſolche dogmatiſche Fragen, melde für diefes feine Bedeutung haben: man vergleiche z. B. die Schranten, welche fie jich hiernach z. B. bei der Ungelofogie und Satanologie mit großer Befonnenheit geiegt hat. Nicht aber die Unmittelbarteit des Ausdruds von dem, was im inneren Beben fich bewegt, betgä- tigt und bezeugt, fondern der großartige, „Achtung gebietende, auf fefter Weberzeugung ‚ruhende. Denkproceß, durch welchen die göttliche Lebenswahrheit hier Hindurchgegangen ift, tritt jegt im Charafter des caloinifchen Werkes voran. Andererfeits bricht in der fpäteren und namentlich der legten Ausgabe gerade auch durch diefe wiffen- ſchaftliche Darftelfung eine perſönliche Erregung und Heftigfeit gegen die Widerſacher der Wahrheit durch, die uns, wie wir oben bemerft haben, in der erften Ausgabe noch nicht begegnet. Ausdrücke, wie „blaterones, phrenetici, bestiae, protervia canina‘“, befonders „canes“ erſchallen da und dort; öfters find fie in polemiſche Ab- Schnitte, deren Text fonft ganz unverändert aus der erften Ausgabe von Calvin beibehalten ift, fpäter nod von ihm -eingefchaftet worden. In Melanchthou's Locis hatte ein folder Ton überhaupt nie fo ſich geltend gemacht und war nad) der erften Ausgabe, welche auch ſonſt große, lebendige innere Bewegung gezeigt hatte, vollends mehr und ‚mehr perſchwunden. Bei Luther, welchem man ein ſolches Schelten am. meiften vorzumerfen pflegt, hängt e8 mit dem gewal⸗ tigen inneren -Seben, Wogen und Kämpfen zufammen, deſſen un mittelbarer, das Maß überftrömender Ansdrud dann auch feine Schriften, ihrem Gefammtcharafter nah find. Bei Calvin treten jene Ausdrüde neben der fonft fo maßvollen wiſſenſchaftlichen Sprade und Haltung gerade am ſchneidendſten und ftehendften hervor; er wirft fie gleichſam mit einer Miene, bie hei aller Leiden-

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@ Köftlin,äber Calvin's Institutio,

aufammenfaffende Darftellung ber Eigenfchaften und zwar nament⸗ lich der ethischen Eigenſchaften Gottes nicht gegeben und auch nachher nirgends verſucht; ſchon die erfte Ausgabe, welche mit zufammen- faffenden Sägen über Gott als die unendliche Weisheit, Gerechtig- keit, Barmherzigkeit u. f, f. begann, Hatte von fnäteren, weiteren Ausführungen des Werkes viel mehr erwarten laſſen: diefe Sätze find in der legten Ausgabe an jener Stelle ausgefallen und mezden nachher nirgends eigens entwickelt. Und doch möchte man in dem, 198 wir vermiffen, hie notwendigen ‚Prämiffen fuchen für die Beantwortung der ſchwierigſten Tragen, welche dann die Lehre von Gottes Wollen und Wirken für die Menfchheit zumeiſt gerade bei Calvin uud seiner Prädeſtinationelehre mit fi bringt. Dem Haben wir endlich beizufügen, daß die Lehre von diefem ewigem ‚gött Kiden Willensrathſchluß nicht blos derjenigen Grundlage entbehrt, welche wir in einer zufammenhängenden Darftellung von Gottes ewigem ethiſchen Weſen ſuchen, ſondern daß aucp fie felbit erſt da in's Syſtem eintrittt, wo von der wirklichen Application der Guade gehandelt worden war. Man möchte jagen, der Rath— ſchluß werde erft Hierin wirkſam und offenbar, ſeine Erkenntniß ſei alſo erft von Hier aus zu geminnen. Allein gerade nach, Calvin füllt ja doch, wie er in diefem fpäteren Abſchnitt ‚ausfpricht, unter ‚eben denfelben auch ſchon die erfte Sünde Adam's, der. nad; gött- licher Verordnung ‚gefündigt Hat, obgleich Calvin denfelben im erſten Bude, mo er von dieſer Sünde felbft vedgte, noch nicht wollte in die Betrachtung Hereingezogen. Haben. Forderte ein ſyſtematiſchet ‚Gang ‚des. Werkes nicht einen Hinbli auf denfelben wenigſtens ſchon da, wo fein geſchichtliches Wirken fo Hervortrat, und noch vorher ‚eine folhe zufgmmenhängende Gotteslehre, auf welche dann fofort non ihm ‚aus zurückgeblickt werden konnte? Es genügt, hier diefe Tragen aufgeitellt zu haben. Ein weiteres Eingehen auf fie müßte ung ſchon in die einzelnen Lehrſtüche fir ſich und im ihre geſchichtliche Entwicklung hei den verfchiedenen Redastionen des Wertes Hineinführen. Wir behalten es uns fo für unferen zweiten Artifel vor.

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des Apofteld Johannes geweſen, daß der Presbyter Fohannes fin Anderer als der Apoftel felbft jei und daß wir fomit in dem Zeugniffe über Markus ein apoftolifch- johanneifces Zeuguiß von glaubwürdigfter Urfprüngfickeit befigen. Der legte Nachweis ift das Ziel, auf weldes die fleißige Arbeit in unverkennbarer apo⸗ logetiſcher Tendenz ausgeht. Dieje Differenz der Urtheile erflärt fi indeſſen nit allein aus den abweithenden Standpunlten Derer, die fie gefällt haben, oder aus den Zehlern ihrer Unterfugung, fie hat ihren Grund zum Theil and in dem fragmentarifchen Cha rafter der und aufbehaltenen Nachrichten, der nicht in allen Punkten eine fichere Entſcheidung geftattet And ‚darum die Gefahr nahe legt, der Vermuthung größeres Recht einzuräumen, als ihr gebührt, Dei diefer Sachlage dürfte eine nochmalige Revifion, die fid in wiſſenſchaftlicher Beſcheidenheit mit dem Erreichbaren begnügt und auf das Unerreichbare verzichtet, nicht überflüſſig erſcheinen; mir lag ſie um ſo näher, weil ich durch die Fixirung meiner Stellung zu der fortgeſchrittenen Unterſuchung Manches in meinem Artitel zu berichtigen und zu ergänzen hoffte.

Eufebius, deffen Kirchengeſchichte (III, 39) wir die wichtigften und zufammenhängendften Nachrichten über Bapias verdanken, ftellt an die Spige derfelben (8 1) die Ausſage des Frenäus, daß Papias Aodvvov udv dxovorjc, HoAvxagnov dd Eraigos geweien fti, und geht fofort darauf aus, das unmittelbare Hörerverhäftniß des Papias zu den Apofteln als einen Irrthum des Irenäus aus deb Papias eigenen Worten zu ermeifen: dieſer deute vielmehr felbit an, daß er keineswegs dxgoauns zal auzorıng berfelben geweſen fei, fondern die Glaubenswahrheiten von ſolchen empfangen habe, die einft mit Jenen im vertrauten Umgange geftanden hätten.

Dan kann nun freilich ohne Mühe nachweisen, daß Euſebius mit feinem Urtheile in den folgenden Jahrhunderten alfein geblieben ift, und daß trog dejfelben nicht nur Hieronymus, fondern auch Matimus Confeſſor, der finaitifche Presbyter Anaftafius und Andere mit renäus den Papias für den unmittelbaren Hörer des Apoftels Zohannes gehalten Haben. Aber durch diefen Nachweis ift das Urtheil des Cufebins nicht im Entfernteften entkräftet; nirgends ift das Gedächtniß vergeßlicher und durch unkritiſche Auctoritäten ber

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66 . Steig

In dem Prodmium feines Werkes fagt er ($ 3): orx iron dd 00 xal Ö0a nord naga +Wv ngeoßvrsgwv zalüs Euadov xal zalög Eurnuörevoa ovyzararabaı vals ägun- velars, diaßeßawvusvos Unde arıöv alydeav. Ad Gr währsmänner nennt er-die Preöbpter ; eine Bezeichnung, über deren Umfang und Grenze bier noch nichts Beſtimmtes gejagt wird. Ich Habe feiner Zeit aus der Wahl von age geſchloſſen, daß er feine Mittheilungen unmittelbar aus dem Munde der Presbyter geichöpft habe: Weizfäder hat diefem Schluffe widerſprochen, Zah ihn adoptirt. Gewiß hat der Letztere Recht, wenn er jagt, war Iavaır rag zivos heiße nie etwas Anderes, ald „durch perſon⸗ lich empfangene Belehrung von Einem lernen“. Er durfte dafür nur an 2 Tim. 3, 14 erinnern: eldes, zagd wivog Zuadı., Dod wollen wir auf age allein noch feinen Beweis “baum; unfere Auffaffung wird fpäter durch weitere Argumente gejtügt werden. Aber auf das Beftimimtefte läßt das xad vor 50. ertennen, daß die Berichte ber Presbyter nicht die einzige Quelle des Papios waren, ſondern dag fie ihm erft als zweite und zwar mündliche Quelle in Betracht kamen, neben einer anderen, die er vorher im Prodmium namhaft gemadt haben muß und welde Euſebius zu unferem Bedauern nicht anführt. Diefe erſte Quelle kann nur in ſchriftlichen Aufzeichnungen beftanden, fie muß nad) aligemeinr Anfiht als eine ſehr glaubwürdige und zuverläffige gegoften haben, und er hält e8 darum für nothwendig, ſich zu rechtfertigen, daß et ſich neben ihr noch einer anderen bedient, die vielleicht Manden als eine unfichere erfcheinen · konnte, für deren Verläſſigkeit er aber mit feiner ausdrücklichen Verſicherung emtritt. Dies ijt der Sinn der Worte; „ch werde aber nicht anjtehen, auch alles das, was ich einft von den Presbytern richtig erfahren und richtig meinem Gedachtniß eingeprägt habe, ſammt den Erklärungen zuſammenzu- ſtellen, da ich für die Wahrheit deſſelben bürge.“ Aus zwei Quelle, | einer fehriftlichen und, wie fd aus dem Folgenden noch deutlicher ergibt, einer mündlichen, hat aljo- Papias jein Material geſchöpft. Worin beftand dieſes? Er beabfihtigt eine Erklärung oder Aus Tegung der Aöyım xugiax d. h. der Reben des Herrn; diefe find der Stoff, die Sijryoic oder Sgpmveias aber, die er damit ver- "bindet, find fo follte man denken feine eigene Zuthat und

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Reditfertigung bedurft, wenn er nur neben feiner Erklärung auch bie anderer, und zwar jo glaubhafter Zeugen aufgefucht umd ge boten hätte? Darin Tag ja nichts Berfänglides, Nichts, woraus ihm aud nur der leijefte Vorwurf erwachſen konnte. Eine Ente ſchuldigung war nur dann an ihrer Stelle, wenn er neben ben ſchriftlich verbürgten Reden Ehrifti noch andere, nicht aufgezeich⸗ nete, nur aus mündficher Mittheilnug ftammende, in feinem Wert niederlegte und fie ebenfo wie jene mit einer Sgumvel« aueftattele. In der That würde auch Alles, was Papias im Folgenden über die Berläffigkeit und ben Werth ‚der von ihm gefammelten Tra- ditionen fagt, feine ganze Bedeutung verlieren, wenn feine Nad- forfhungen nur dem Zmwede der Auslegung und nicht vielmehr in erfter Linie der Vervollftändigung der von Anderen aufgezeichnet Worte Ehrijti gedient Hätten. Auch der Ausdrud Gvyxararaiı tais Epumvelass läßt ſich fehr gut in diefem Sinne verjtehen, daß er das von den Presbytern Bernommene mit den dazu gehörigen, darauf bezügfichen Erklärungen zufanmengeftellt Habe; wie dem nit nur Rufinus (exponere cum interpretationibus suis), fondern auch VBalefius (cum interpretationibus nostris ad- seribere) ihn fo verjtanden haben.

Aber find denn die Adyı= xugiaxd, bon denen Bapias redet, wirklich nur die Reden Chriſti und können fie nicht vielmehr den Gefammtinhaft der evangelifchen Gefchichte, oder wie unfer „Wort Gottes“ geradezu die göttliche Offenbarung bezeichnen. Wenn Zahn den Ausdrud als einen dehnbaren bezeichnet und ihn bis zum Be griffe der Offenbarung erweitert (S. 670f.), fo mag er im All gemeinen Recht Haben; im fpäteren Gebrauche deffelben tritt allerdings eine folhe Dehnbarkeit und Erweiterung bier und da zu Tage. Aber daß Acysov und Röyıe in dem Sprachgebrauche der LXX und des N. T.'s, ausgehend von der claſſiſchen Be deutung: Orakelſpruch, Gottesfpruh, nur Worte, Sprüdt, Reden göttlichen Urfprungs bezeichnet, Hat Schleiermacher fo genii- gend (a. a. O., ©. 738) nadgewiefen, daß es feines weiteren Eingehens bedarf. Auch wo die apoftolifhen Conftitutionen das Wort Löyıov gebrauchen, ift entweder ein einzelner göttlicher Aus fpruch "gemeint, wie IL, 16, 3 dg8 von Gott 4WMof. 12, 14 über

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ro - j Steih

dd toĩc sas aAlorplag Evrolds urnhoveooviwW*), alla zols Tas nagd Tod xvglov ränilore dedollsres xal am aöris Hapayivonsvaug vis Almdeles. Die Ptesbyter werben hier als ſolche bezeichnet, welche nicht, wie Die, detiem det ‚große Haufe zufüllt, erdichtete Gebote Berichten, bie dem urfprüngfichen Wefen des Chriftenthums fremd find, fordern die vom Herrn ſelbſt ſelnen Gläudigen gegebenen und bot ihm, als der perſönlichen Wahrheit, ſtammenden Gebote, bie ſie in ſicherer Etinnerung Haben und darım uud wahrheitögetren referiren und übetfiefern Eönnen: ſolchen Zvrodeds iſt er daher auch bei ben Presbhtern nachgegangen, offenbar nicht als eittern geelgneten Apparat für die Auslegung der aus einer ſchriftlichen Quelle gefihöpften Aöyız zvoraxd, fonden als Aoyloıe xugiaxoss felbft, die et ebenſo wie die anderen aut fegen wollte und die ihnen als gleich authentlſche volllommen eben burtig an ber Seite ſtanden. Daß er uber bie Adys& nach ihrem Inhalte Hier vornehmlich ale Zrrorer bezeichtiet, hat fein Analogon in Oonst. apost. I, 4, wo umgefehrt,Aöyie-Xerörod für evsolul ſteht, und zeigt, daß er fehon auf dem beften Wege war, im’ alt katholiſchen Gelfte das Weſen des Chriſtenthums als abſoluten Heilprincips vornehmlich inter dem Gefichtspunft des Gebotes zu faffen, eine Anfchauung, die bereits bei Juſtin, Itenäus und Ter- tulfiatt in der nova lex ihren Abſchluß farb. .

Im I 4 fährt Bapias fort: ed dd Nov zad srumroloun- ade Tıg Tols npeoßvrsgois ZA$os, vous tov ngeoßvrepuy avengıvov Aoyovs. Wenn Weizjäder S. 29 fagt: „Dies heißt nicht, auch die Apoſtelſchüler Habe er mach dem Zeugniß der Apoftel gefragt, fo wie er zuvor bieje ſelbſt gefragt hätte, fondern a uch bei den Apoſtelſchülern ſei es ihm nicht auf daB eigene Zeugniß berfelben, fordern auf das ber Apoftel, welches ſie mitthellen konnten, angefommen“, fo ift dies ein zu raſcher Griff, denn nur vorellig

a) Zahn Halt es für das Matilclichfte, mnworeve hier in der gleichen Bedeutung wie in dem unmittelbar vorhergehenden Gate für „in Erin nerung haben“ zu nehmen; allein die Synonyme dıddaxeı und Aeyar deuten bereits auf die fortgefchrittene Bederfturtg: berichten, referiren. Beides ſchließt ſich ohnehin nicht aus: was man beriditen will, muß man aud in der Erinnerung Haben. i "

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1 H B hi \ 4 Ei N +

RR. Steig .

ö ngeoßöregos. Waren Kriftion und diefer Presbhter Johannes Apoſtelſchuler? aber dann konnten fie nur kesmel zov ano- Grökov, nicht Tod xuglov genannt werden; oder foll uadı7rai zou) xvolov hier etwas ganz Anderes bedeuten? aber in welchem Ver— haltniſſe find dann diefe beiden Männer zu den Apofteln zu denl und warum werben fie ihnen fo nahe und mit ihnen fat auf ein Linie geftelit? Nah Eufebius ($ 7) Hatte Papias die Zeug niffe der Apoftel nur durch ihre Schüler empfangen, dagegen den Ariftion und‘ den Presbyter Johannes noch felbft gehört; aber er wagt es doch darum noch nicht, dieſe Heiden Letzteren geradezu in bie zweite Generation herabzudrücken und zu bloßen Apoftelichülern zu machen. Kühner verfährt Rufinus; er überfegt ohne Bedenlen die Worte des Eufebius mit tertwibriger Freiheit: Papias apo- stolorum se verba ab his, qui secuti eos fuerant, Aristione videlicet et Joanne presbytero,. asserit suscepisse. hm ftet; am näcften Weizfärder, der ben Namen mresaßsregog allein auf die Manner der erften Generation, bie Apoſtel, beſchränkt, während der zweite Johannes ihn nur im Unterſchiede von dem’ gleichnamigen Apoftel als Amtsname oder im techniſchen Sinne getragen Habe; weder er noch Ariftion feien mithin Presbyter im bisherigen Sinne, ſondern nur Apoſtelſchüler geweſen, auch nedr- zei Tod xvoſov würden ‚fie nur im Gegeufatze zu wos rac allorgiag EvroAdg wmuovevoncıw genannt. Diefe Anficht hat) zu ihrer Borausfegung, daß der Sag: & ze Agioriwv Asyov- 69 nicht als indirecte Frage, ſondern als Relativfag aufzufaſſen und durd; rd mit zodg car zgeoßvregwv Aöyovs unmittelbar zu verbinden ift. Aber auch fo begreift fich nicht, ‘mit welchem Rechte Ariftion und der Presbyter Johannes von dem Kreife der rrge0ßöregos ausgefchloffen fein ſollen, denn wie konnte. Papias gerade die, welche mit den Presbytern verfehrt hatten, nad) dem fragen, was Ariftion und der Presbpter Johannes fagen, menn diefe nicht felbft Presbyter waren? Auch» Zahn beitreitet (©. 661.) die Coordination beider Sätze; auch er erklärt den zweiten für einen Relativfag, der durch fein 12 ummittelbar an zog zov mgeoßursgwv Adyovs angeſchloſſen fei, und zwar, weil das Re lativum unmöglic, eine indirecte Frage einleiten tönne; gleichwohl

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zu ſtellen, im bem zweiten aber denfelben ann durch Asyova wit Ariftisn als einen joldyen anzuführen, der noch immer wandelt uud deilen Stimme noch gegemmärtig ertönt? Schon dieje Br- mertungen reichen hin, Zahn’s Entordung als eine unheltbare zu feumzeichnen und bie Hypetheie von der Jdentität des Apoſtels und des Presbyters Johannes zu widerlegen. Endlich glaubte Ewald Geſjchichte des Bolles Firaci VII, 263) dem Wechſel der Tem⸗ yora einev und Asyovaıv nicht die Bedentung einer firengen Unter: jcheidung der Zeiten beilegen zu Dürfen: „was ſolche Männer fagten, das fagen fie ja in gewiſſem Sinne noch immer“ ; auch, er nimmt Aaomtaĩ vos zugiov in dem Sinne von Autopten; Ariftion und der Presbyter Johannes fein ebenjo wie die Zwölfe Herrnſchüler und Presbyter, fie gehörten mithin der erften Generation an, Papins aber, der igrer Aller Racrichten nur an der zweiten Hand halt, gehöre erſt in das dritte Geſchlecht; es fei daher ebenfo irrthümlich, wenn Eufebius fchliege, er habe Ariftion und den Presbyter Jo Hannes noch ſelbſt gehört, als wenn Irenãus ihn des Apoftel Johannes Zuhörer nenne. Die Stelle des Enfebins glaubt Ewald fo verftchen zu follen: „ch erforſchte die Worte der Aelteſten, was Andreas oder was Petrus fagte . . . . oder was eim ander⸗ weitiger (Eregos) der Schüler des Herrn, wie Ariftion ‚oder der Presbyter Johannes, die Schüler des Herrn, ſagen.“ Ewald ſcheint demnach ftatt des Relative ã re die Conjunction &ss zu leſen, aber diefe drüdt doch, mag fie vor einem Particip oder vor einer Appofition ftehen, ſtets wie das lateiniſche quippe einen Grund für das unmittelbar Borhergegangene ans, dient aber nie zur Erempfification.

Soweit gehen über den Inhalt eines Fragments die Anfichten auseinander und fo entgegengefegte Folgerungen werden daraus ge zogen. Um fo vorjichtiger und bedächtiger werden wir vorzujchreiten Haben. Wenn zunächſt Zahn die Regel aufitellt, daß das Relativum unmöglid einen indirecten Fragefag einleiten fünne, jo find mir in der Tage, widerſprechen zu tönnen. Matthiä hat in-feiner aus führfichen griehiihen Grammatit (I, 907, 8 485) durd eine Reihe von Beifpielen nit nur aus Tragifern, fondern auch aus Plato und Xenophon nachgewieſen, daß in abhängigen Fragejägen

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16 . Steig

an.die bekannte Regel erinnern, daß im Griechiſchen das Berbum in indirecten Fragen in demfelben Tempus und Modus fteht, wie in den directen: man fann daher jede indirecte Frage, abgelöft von. dem regierenden Sage, als eine directe nehmen umd Hat nur den der indirecten ‚Frage ſpecifiſch eignenden Fragewörtern (mie ömd- vegos, Önöre, Sorıs) die directen zu ſubſtituiren. Direct aus gedrüct würden daher die Fragen, die Papias an die Vertrauten der Presbyter richtete, jo gelautet haben: „Was (cl) hat Andreas oder was Petrus gejagt, oder was Philippus oder was Thomas oder Jakobus oder was Johannes oder Matthäus oder wer font zu den Züngern des Herrn gehörte, und was (FL) Tagen Ariftion und der Presbyter Johannes, die Jünger des Herrn?“ =) Allein die größere Evidenz, die wir dadurch zu gewinnen ſcheinen, ift dei feine völfig fihere; denn wenn Ewald's Bemerkung, daß, mes folge Männer jagen, fie in gewiſſem Sinne noch immer jagen, und daß darum auch bei den Sprüchen längft Dahingegangener das Bräfens ganz an feiner Stelle ift, al eine richtige anerfannt werden muß und das wird Niemand beftreiten fo fönnte auch in den bivecten Fragen der Wechſel der Tempora für die Zeitbeftim- mung nod immer ein ganz irrelevanter fein. Wollen wir daher eine Verfchiedenheit in der letzteren aufrecht halten, fo müſſen wir ‚andere Gründe dafür Haben. Nun fteht für mein Urtheil feft, daß Papias den Ariftion und den Presbyter Johannes den Apofteln nicht einfach angereiht, foidern als eine zweite Neihe von ihnen untere fchieden und dies dadurch markirt hat, daß er jede diefer beiden Reihen durch das Epitheton ueImrad tod xvglov abſchließt. Was tann ihn dazu veranlagt, worin fann ihm der Unterfcheidungsgrund gelegen haben? Beide waren ihm mrgsoßvregor, beide wasıei zod xvglov; uns drängt fich dabei fofort der eminente Unterſchied auf, daß die in erfter Linie genannten Presbyter und Herrnjünger ſämmtlich Apoftel, die in zweiter Linie genannten dies nicht waren;

a) Auch Balefins Hält diefe Unterfheidung der Tempora in feiner Ueber- ſetzung feft: „curiose seiscitabar, quaenam essent seniorum dieta, quid Andreas, quid Petrus .... quid ceteri domini “diseipuli dicere soliti essent: quidnam Aristion et Joannes Presbyter, discipuli domini, praedicarent“.

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Quelle jeber einzelnen nur ganz allgemein als Weberkieferungen der Presbyter referire (wie etwa Irenäus die testimonia feiner se- niores), fo ergibt fi daraus für mic) wenigftens,- wenn ich «6 mit altem bisher Erörterten zufammenfaffe, ein Hoher Grad von Wahrſcheinlichteit (das Höchite, was ſich in ſolchen ſchwierigen und dumfelen Fragen erzielen läßt), daß Papias aus dem engeren Apoſiel- kreiſe feinen mehr perſönlich gefannt Habe, fendern mr den Ariſtion und den Presbyter Johannes, welche mithin nicht blog die übrigen Apoftel, fondern auch den Johannes überlebt haben müfjen. Dem hätte er mit Diefem noch in dem vertrauten Verhältniſſe perſön- lichen Verkehrs geftanden ‚wie es Irenäus annimmt, dann würde er (die Verſchiedenheit der beiden Johannes varausgefegt, deren Identität auch Zahn nicht bewiefen Bat) defjen ‚Zeuguifie gewis ebenfo fpeciell hervorgehoben haben. Allein danon dat Eufebins in feinem Werke Nichts gelefen. Aus dem Gefagten ergibt fi meiter, daß der Ausdrud mer oßvregos bei Papias ſammtliche Männer der eriten Gensration umfaßt, die ſich für Kleinaſien durch bie Lange‘ Lebensdauer des Apoſtels Johannes beftimmt (obgleich die Dehnbarkelt des Ausdrude dem weit jüngeren Jrenäus gejtattete, auch die in Bolyfarp reprü fentirten pednral ziv anoordAmv noch unbedenklich Presbgter zu nennen). Daß unter biefe erfte Generation dem Papias au noch Ariftion und ber Presbyter Johannes zu ftehen kamen, ver bürgt ihre Bezeichnung als uaedneai Tod zuglav. Zahn wirft Weizfäder mit Unrecht vor, daß er diefe im Sinne „treuer Ehriften" "genommen habe; Weizfäder hat fie vielmehr im Gegenfage zu vos tag allorplas Evrolds urnnovevovosv gefaßt; allein daß man die Träger und Vermittler der vom Heren dem Glauben gegebenen und aus der Wahrheit ftammenden 5310401 oder Adyse deagulb fhon uasmrel coü xpgiov genannt habe, dafür iſt big jegt noch fein Belag erbracht worden, Der Ausdrud bezeichnet entweder: einen unmittelbaren Schüler oher "ganz allgemein einen Bekenner des Herrn und fann hier aur im erften Sinne gemeint fein. Die beiden indirecten ragen des Papias beweifen überdies, daß ihm die Zeugniffe des Ariftion uud des Presbyters Johannes. auf einer Anie nicht wit den Ausfagen der Apofteljchüler, ſondern mit den

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Sea heim for. Jerem wr pioh meörrei von zrgior in Sxrre yon Aarodien rehmen, britresen wır jelbjinerjtändlic nicht, be$ 23 verisieorne Jüngerkreife g:b: den engiten bildeten die zwili, einen cueren tie fieb;ig, den meiteiten Die, welche an Jejut unter deinen Zeitzenoijen fih argeitiofien Hatten oder auch nur gm (5 B. Joh. 6, 69). Aber wenn auch nur im weitejten Eine Arion und der Preebyter Johannes ihm fo von Anfang an zugeihan gewejen waren, konnte jie Papias, dem es vor Allem auf Augeszeugenihaft anfam, unter diejer Bezeihnung mit den Apofteln verknüpfen. Damit hebt ſich aber auch noch das Bedenken Zah's, daß Papias zuerft von Worten der nedızei ron xugiov und dann noch einmal von dem rede, was zwei Männer jagen, die ebenfalls nasrzai r. x. und gang unzweifelhaft (?) in dem % 1 ühlog nasrejs begriffen gemejen fein (5. 663).

Sir können nady diefer Unterfuhung nur dem Eufebius Recht geben, wenn er aus dem zweimaligen Borfommen des Namens Johannes und aus der zweiten Erwähnung mit der fignalifirenden Appojition 6 rresoßvregos, und zwar nad) dem Arijtion, auf zwei gleihnamige, aber verjchiedene Johannes geſchloſſen und in Papias den wöri;xoog nur des Presbyters, nicht des Apojtels, gejehen hat. Er hat ſich auch dies Urtheil nicht erft in der Abſicht gebildet, für die Apofalypfe einen andern Verfaffer als den Apoftel Johanues zu gewinnen; was er in diefer Beziehung fagt, ijt nur eine beſchei⸗ dene Vermuthung: er Hält es für denkbar, daß, wenn man nidt den Apoftel als den Verfaſſer des Buches gelten laſſen wolle, daffelbe von dem Presbyter gejchrieben fein fönne. - Diefe Alter: native gründet ſich wiederum auf bie Thatfache, daß die Apokalypſe

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82 , Steig

über das im Jordan bei ber Taufe Chrifti aufgeflammte, Teuer (Dial., e. 88). An ſolche Schriften könnte man daher and) immer Bin bei diefer Stelle des Papias denten. Aber auch dem Lufas- evangelium. dürfte er ſchwerlich den gleichen Werth wie feinen Zra- ditionen beigelegt haben, da er ja aud an dem. Markusenangelium Mancherlei auszufegen hatte, weil fein Verfaſſer nicht Autopte war. So ließe ſich wohl Zahn’s Erklärung rechtfertigen. ‚Aber es ift noch eine andere Auffajfung des Ausſpruchs Papias’ möglich, die überdies den Vorzug hat, daß fie fich ganz enge an den Wortlaut feines Tertes anſchließt. Er fagt ja nur, daß er geglaubt Habe, aus dem,,was ihm Bücher boten, nicht fo vielen Gewinn zu ziehen, als aus dem, was er aus der Tebendigen und noch immer forttönenden Stimme, d. h. aus der mündlichen, direrten und iv directen Belehrung der Presbyter lerne, und da er biefen Sah mit dem Vorhergehenden durch yag verknüpft, fo gibt er den Grund an, warum er durch die von Augenzeugen (wie.von Matthäus in der Redefammlung) ſchriftlich figirten Adyse xugiexd trog ihrer Authentie und Ariopiftie ſich doch noch nicht volltommen befriedigt gefühlt, ‘fondern um weitere Auskunft ſich an bie Presbpter und deren Vertraute gewandt Habe. So verftanden kann fein Urtheil auf affe fhriftlichen Aufzeichnungen bezogen werden, ohne daß es gegen biefe eine geringfchägende Aeußerung enthielte, ſondern es ſpricht nur aus ganz’ fubjectiven Erfahrung den relativ mächtigeren Eindrud aus, den aus den mündlichen Berichten derſelben Augenzeugen ein Dann empfing, defjen Bildung eben, wie Zahn fagt, vornehmlich auf perfönfiher Einwirkung beruht hatte. Damit fteht auch nicht im Widerſpruche, daß er die Aöyıa xugiaxa zuerft aus ſchriftlicher Aufzeihnung und dann erft aus febendigen Traditionen gefammelt Hat; beide betrachtete er als Ausflüffe einer und derſelben Quelle; aber hier quolfen fie ihm unmittelbarer, frischer, Tebendiger entgegen; er erhielt Antwort auf die Fragen, die fein Herz und fein: Intereſſe brennender befchäftigten, und je eigenthümlicher mir uns die Geiſies⸗ richtung des Mannes zu demfen Haben, um fo woher mußte er fich in dem Strom autoptiſcher Ueberlieferung fühlen, der ihn im freien Wechſelgeſpräch umfluthete, in dem offenen Fahrwaſſer, in welchem es am / ſicherſten feinen Lieblingszielen zuſteuern . konnte

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man ihn um folches fragte, zu antworten.” Allein Krüger be merft (a. a, D., 853,2. Anm. 1), dag im Griechiſchen das Im⸗— perfect oft gebraucht wird, wo im Lateinischen das Perfect ftehen müßte, und daß dies befonder& bei Neye und &xöReve der Fall fei. Es Tann feinem Zweifel unterliegen, daß diefer Fall. hier vorliegt, denn das Zeugniß fieht gar nicht darnach aus, als ob es eine ftehende Antwort des Presbyters auf eine. wiederholte Frage fei. Es ift aber au fraglich, ob die ganze Stelle als Ausſpruch des Preobyters zu nehmen fei, wie fie offenbar Eufebius genommen hat, denn die zweite Hälfte, von ovre yap 7xovoe an, madıt, wie Tholuck, Bleek und Holgmann fahen, ganz ‘den Eindrud einer gelehrten Reflexion des Papias; mande Ausdrüde, wie magme- Avdnoe und ovvrafıs Tür xugoxöv Aoylav, gehören zu feinen Stiwörtern (obgleich man folde auch in der erften Hälfte findet, wie don Quynuövevoev), ebenfo ift die wiederholte „Umfchreibung mit mowiogar, diefem Fragmente eigenthümfich ; das sc Egprp ſcheiut darauf hinzudeuten, daß fich Papias an anderen Orten feines Wertes ausführlicher über das perjünfiche Verhältniß des Markus zu Petrus ausgefprohen Habe, und diefe Anficht wird durch Eufebius (II, 15) beftätigt; der ganze Ausſpruch enthält endlich zwei Urteile, deren das letztere das erjte motiviren ſoll und die dennoch nicht recht harmoniren; denn während der Presbyter an dem Berichte dei

"Markus die rufıg vermißt, zwedt das Folgende vornehmlich darauf

ab, feine Unvoliftändigfeit zu entfhuldigen. Darum haben aud) die Worte 09 ulvro raksı den Erflärern fo große Schwierigkeit ge macht: Holgmann bezieht fie lieber auf den Mangel an principieller Anordnung und Nealeintheilung im Vergleih zu dem erften Evan gelium, als auf den Mangel an chronologiſcher Ordnung im Ber gleih zum vierten; Weizfäder auf den Mangel un Vollſtändigkeit, obgfeich diefe nie durch zafzs bezeichnet werden kann; Zahn endlich auf den Mangel „an Geſchloſſenheit (?) der Reihe von Erzähfungen und Reden, vielleicht auch an ſicherer chronologiſcher Zufammens fügung“. Mir ſcheint es, daß das Urtheil des Presbyters, dad zu feiner Rechtfertigung fo Tünftlihe Erklärungsverſuche bedarf, | weit über feinen wirklichen Werth überfhägt worden ift; daß «| auf den Charakter des Markus überhaupt nicht in Allem zutrifft

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8 7 Steig

von einer advrakıg zer xuguaxüv Aoylr ſpricht, fo Hat er dabei nicht das Ganze im Auge, fondern nur-den Theil, worauf es ihm bei feinem perjönlichen Intereſſe ımd feinem ſchriftftelleriſchen Zweck vornehmlich ankam, nämlich die Reden; wir haben- daher auch fein Recht, den legten Begriff durch den erfteren zu interpretiren und zu erweitern. Die Annahme einer Redefammlung, welche als dir daktiſche Grundſchrift mit einer Hiftorifhen in zwei unferer Evan gelien verarbeitet worden ift, ift ein durchaus felbjtäubiges Poſtulat der neueren Evangelienkritit und fo unabhängig von dem Zeugniffe des Papias, daß fie dieſes ebenfofehr betätigt, als von ihm ber ftätigt wird. So wenig aber unfer fanonijcher Matthäus eine freie, aber vollftändige Bearbeitung eines hebräifchen Evangeliums ift, fo wenig wurde jene hebräiſch gefchriebene-Redefammlung des Diet: thäus durch eine einzelne Evangelienſchrift überflüffig,, fondern fie wurde e8 durch die ganze Tanonijche Evangelienliteratur, die von Reden des Herrn weit mehr bot als jene, und in welcher außerdem zwei Schriften, der fanonijche Matthäus. und Lulas, dem ganzen Stoff jener Sammlung abforbirt hatten. Papias feheint übrigens bie Redefammlung des Matthäus nicht mehr gefannt zu Haben; die Kirchenväter, die fie noch weniger zu Geficht befommen haben, hieften fie in. verzeihlichem Irrthum nad) des Irendus Vorgang (V. 6, 1 cf. Euseb. V, 8, 2) für den Hebräifchen Grundtet unferes Matthäus.

Nur eine Spur deutet darauf hin, daß Papias in feiner ttiynoic einzelne neuteſtamentliche Begriffe erläutert Habe. Wenn er nämlich (nad) de8 Maximus Confeffor „Commentar zu der himmlischen Hierardjie des Areopagiten“, Cap. 2, p. 32; ed. Cordetius) von ben erften Chriften fagte, fie hätten Diejenigen, welche Gott gegenüber axoxio üben, Kinder (raidag) genannt, fo ſcheint er damit die Kindeseinfalt im Auge gehabt zu haben, zu der wir nach Chriſti Ausſpruch Matth. 18, 3 zurückkehren und in der wir den Kindern gleih (os Ta cudla) werden follen.

Mehrere Aeußerungen des Papias weifen offenbar bie Erfüllung von Weiffagungen Chrifti nah. Dahin ‚gehört die Angabe des Eufebius ($ 9), Papias habe mit den Töchtern des Philippus (die Appofition drooroAog gehört wohl dem Euſebius an) zu Hier

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Quelle jeder einzefnen nur ganz allgemein als Leberkieferungen ber Presbyter referire (mie etwa Irenaus die testimonia feiner se- niores), fo ergibt fi daraus für mid) wenigſtens, wenn id es mit allem bisher Erörterten zujammenfaffe, ein hoher Grad von Wahrſcheinlichteit (das Hochſte, was fi in ſolchen ſchwierigen und dunkelen Fragen erzielen läßt), daß Papins aus dem engeren Apoftel- kreiſe feinen mehr perſöulich gefannt Habe, jendern nur den Ariſtion - und den Preöbpter Johannes, welche mithin nicht blos die übrigen Apoftel, fondern auch den Johannes überlebt haben müfjen. Denn hätte er mit Diefem noch in dem vertrauten Verhältnijfe perjäns lichen Verkehrs geftanden, wie es Zrenäus annimmt, dann würde er (die Verfchiedenheit der beiden Johannes vorausgeſetzt, deren Identitat auch Zahn nicht bewiefen Hat) defjen Zeuguiſſe gewiß ebenfo fpeciell hervorgehoben haben. Allein davon hat Eufebins in feinem Werke Nichts gelefen. Aus dem Geſagten ergibt ſich meiter, daß der Ausdruck mer oßöregoı bei Papias jümmtlihe Männer der erften Gensration umfaßt, die ſich für Kleinafien durch bie Lange‘ Lebensdauer dei | Apojtels Johannes beftimmt (obgleich die Dehnbarkel des Ausdrude dem weit jüngeren FJrenaus geftattete, auch die in Polyfarp reprär fentirten nedmrai rev anoasalov noch unbedenkiih Presbhier zu nennen). Daß unter biefe erfte Generation dem Papias auch noch Ariftion und der Presbyter Johannes zu ftehen kamen, vers bürgt ihre Bezeichnung als nednsai Tod zuplav. Zahn wirft Weizſacker mit Unrecht vor, daß er diefe im Sinne „treuer Ehriften“ "genommen habe; Weizſäcker hat fie vielmehr im Gegenfage zu ro tag allorelag Evroldg urnnovevovos gefaßt; allein dag man die Träger und Vermittler der vom Heren dem Glauben gegebeuen und aus der Wahrheit ftammenden svralai oder Adyıe deshalb ſchon pasmrai zoö xpglov genannt habe, bafür ift big jetzt noch fein Belag erbradht worden. Der Ausdru bezeichnet entweder | einen unmittelbaren Schüler oder "ganz allgemein einen Bekenner des Herrn und kann hier nur im erften Sinne gemeint fein. Die | beiden indirecten Fragen des Papias beweifen überdies, daß ihm die Zengniffe des Ariftion und des Presbyters Johannes, auf einer Linie nicht wit den Ausfagen der Apoſtelſchüler, fondern mit den

des Bapias von Hierapofis „Außlegung ber Reben bes Germ'. 79

Zeugniffen der Apoſtel ſelbſt ftanden, denn auch bei den Apoftels fhülern war es ihm, wie uns Weizjäder belehrt, nicht um deren Zeugniſſe zu thun, fondern um die der Apoftel und des Ariftion und des Presbyters Johannes. Auch Markus war Apoſtelſchüler; wirde wohl Papias auch Diefen, von dem er fagt: ouzs yag jaovos toõ zuglav, ours magmxoAovämoe auto, Üoregov da Dirgp, ebenfo wie den Ariftion und den Preobyter Johannes Hadıtıs Tod xuglov genannt; würde er rüdfichtlich des Markus, deſen Evangelientradition er Mangel an za&ıs und Vollftändig- feit yorwirft, wit demſelben Intereſſe gefragt Haben: = MMagxag dev; womit.er fragte; *l Agorlov x. drug. I. Ayovan; md nicht vorgezogen haben zu fragen: xl ZAsrgog elmev, wenn ihm noch Jemand verläffige Kunde vom Herrn aus Petrus’ Munde gien konnte? Indem er daher diefe beiden Regteren wie die Apoftel kahrei Tod xuglov nennt, rechtfertigt er, meines Erachtens, marım er ihren Zeugniffen opoftefartigen Wang vindicirt hat,

Bir nehmen darum das Prädicat weder: Tau xzuglov in dem bier allein zuläffigen Sinne von aveorrıns. Johannes ift aber am Ende des 1. Jahrhunderts, unter der Regierung Trajan’s, ver» idieden und ein hohes Alter von mehr als neunzig Jahren erregt haben. Wenn aber Ariftion und der Presbyter Johannes in überfeht haben, wie alt follen fie geworden fein, wenn fie Feſum noch perfönlich gekannt haben? Wir verfenuen diefe Schwies

tigleit nicht, Halten fie aber nicht fr unlösbar. Auch Irenäus betrachtet ſich als Hörer des Polylarp, obgleich wir aus feinen eigenen Worten wiffen, daß er nur als Knabe ihn gefannt; und doch beruft er fich feierlich und umjtändlic anf die Treue feiner Crinnerungen aus jener Zeit und will als Polykarp's Schüler onerfannt fein. Nun ift es durchaus nicht unmöglich, daf Ariftion und der Preöbyter Johannes, Beide ohne Zweifel Paldftinenfer, in ihrer frühen Jugend noch Jeſum gefehen, gehört, von ihm die - aften für ihr ganzes Reben entfcheidenden Eindrücke empfangen hatten und doch, wenn fie aud nur das Alter des Johannes er⸗ tihten, dieſen noch um 5—10 Jahre überlebt haben. Da wir überdies annehmen dürfen, daß der Presbyter Johaunes und wahr- ſcheinlich auch Ariftion in Epheſus lebten, fo ift es nicht undenkbar,

0 Steitz

daß Papias erſt nach Johannes' Tode, aber bald darauf, zum Zwecke ſeiner Nachforſchungen nach Epheſus gekommen ſei, und beide Männer perſonlich befragt, daß er ebenſo Ipäter durch Andere, welde von ihnen famen, ihre Nachrichten und Traditionen erhoben, und fofern diefe Anderen auch mit Johannes und fonft einem Apojtel befannt gewefen, auch nad) deren Zeugniſſen ſich erfundigt habe. Alterdings können dieje Vorausfegungen nicht auf Viele zugetroffen fein, aber darum weiß auch Papias nur zwei Männer aufzuführen, die er noch ig diefem Sinne al Herrnſchüler den Apofteln an die Seite ftellen fann. Indem wir jedod nasmrei vod xuglov im Sinne von Autopten nehmen, beftreiten wir felbjtverftändlich nicht, daß es verfchiedene Züngerfreife gab: den engften bildeten die zwölf, einen tveiteren die fiebzig, den meiteften Die, welche an Jeſut unter feinen Zeitgenoffen ſich angeſchloſſen hatten oder auch nur glaubten (z. B. Joh. 6, 60). Aber wenn aud) nur im weiteſten Sinne Ariftion und der Presbpter Johannes ihm fo von Anfang an zugethan geweſen waren, fonnte fie Papias, dem es vor Allem auf Augenzeugenjhaft anfam, unter diefer Bezeichnung mit den Apofteln verknüpfen. Damit hebt fich aber auch noch da8 Bedenken Zahn's, daf Papias zuerft von Worten der uednzei Ton xugiov und dann nod einmal von dem vede, was zwei Männer fagen,. die ebenfal® nesnrel r. x. und ganz unzweifelhaft (?) in dem 7 ris &lRog nasmens begriffen gewefen fein (S. 663). - Wir können nach diefer Unterfuhung nur dem Eufebius Recht geben, wenn er aus dem zweimaligen Vorkommen des Namens Johannes und aus der zweiten Erwähnung mit der fignalifirenden Appojition 6 rrgsoßvrsgog, und zwar nad) dem Arijtion, auf zwei gleichnamige, aber verfchiedene Johaunes gefchloffen und in Papias den avenxoog nur des Presbyters, nicht des Apoſtels, gefehen hat. " Er hat fi auch dies Urtheil nicht erft im der Abficht gebildet, für die Apofalypfe einen andern Verfaffer als den Apoftel Johanues zu gewinnen; was er in diefer Beziehung fagt, ift nur eine beſchei⸗ dene Vermuthung: er hält es für denkbar, daß, wenn man nicht den Apoftel als den Verfaffer des Buches gelten laſſen wolle, daffelbe von dem Presbpter gefehrieben fein könne. - Diefe Alter native gründet fih wiederum auf die Thatſache, daß die Apotalypie

des Papias von Kierapofis „Auslegung der Reden_bes Herrn”. 8

von den Einen unter bie duoAoyovuera, von den Anderen unter die avsıleyduevr gejtellt und mithin von Diefen dem Evangeliften obgefppochen wurde. Er beruft ſich endlich für -feine Ueberzeugung, dab es zwei Johannes gegeben Habe, nicht auf die Sage von deu beiden Gohannesgrähern in Ephefus, fondern er begründet umge fehrt mit feiner aus Papias’ Worten genommenen Weberzeugung die Wahrheit der Sage. Schon vor ihm hat Dionyfius von Ale- zandrin mit kritiſchen Gründen nachzuweiſen derjucht, daß der Eoangelift die Apokalypſe nicht gefchrieben haben könne, und fie für die Bifion eines andren ‚in Kleinafien verlebten Johannes gehalten; - ad er hat beveitS auf die beiden angeblichen Johannesgräber hin⸗ gmiefen (Euseb. h. e. VII, 25, 16. 26). Seine fritifhen Ars gumente, welche die Vorläufer der neueren Kritif gegen den npoftor Giden Urfprung des Buches geweſen find, müſſen Jedem, auch mean er fich richt dadurch überzeugen läßt, noch jegt Achtung ein- füßen und verdienen es wahrlich nicht, daß er, den die uächſte Zeit mit dem Namen des Großen geehrt hat, von Zahn als „nicht groß in der Wiſſenſchaft“ gekennzeichnet wird. Man vergleiche dagegen Weizſäcker's - umfichtiges Urtheil im Artitel „Dionyjius“ in Herzog's Realenchklopädie III, 411, der ihn gerade in diefer ürage ein Heute noch nicht Hberlebtes Mufter nennt.

Das Fragment.des Papias fliegt mit den Worten: 0) yag u dx sav BıßMlov zonoürov us wyeisiv UnsAdußavor, 600» "u nage: Lan: yavjs za mevodons. Nur wenn man biefe Borte fo faßt, daß Papias auf Bücher. Überhaupt nichts gegeben, fondern bie unmittelbare Tebendige Stimme der Tradition ihm Alles ggolten Habe, kann man mit Zahn ‚darin „eine wegwerfende Aeuße⸗ tung“ erfennen. Ganz conjeguent hält er darum die Bücher, die Papias fo Herabjegen fannte, für Schriften, die er als Hermeneut yum Berftänbniß ‚oder zur BVeſtätigung der Aöyse hätte herbeiziehen lönnen, häretiſche oder katholiſche Bücher, die meift an ihn erit, kerangetreten feien, als ex. in reiferem Alter ftand und feine vor⸗ womlih auf. perfönliher Einwirkung ruhende Bil— dung ſich abgeſchloſſen hatte. Daß man es allerdings mit dem Gehrauche apokryphiſcher Evangelientraditiouen noch nicht. allzuſtreug nahm, zeigt z. B. die nur in ſolchen vorkommzude Erzahlung Juſtin's

Deol. Stud. Jahrg. 1868. 6

82 Steig über das im Jordan bei der Taufe Chrifti aufgeflammte, Feuer (Dial., c. 88). An folhe Schriften fönnte man daher andy immer» hin bei diefer Stelle des Papias denken. Aber auch dem Lufas- evangefium. dürfte. er ſchwerlich den gleichen Werth wie feinen Tra- ditionen beigelegt haben, da er ja auch an dem. Markusenangelium, Mancherlei auszufegen hatte, weil fein Verfaſſer nicht Autopte war. So ließe ſich wohl Zahn's Erklärung rechtfertigen. Aber es ift noch eine andere Auffaffung des Ausſpruchs Papias' möglich, bie überdies den Vorzug hat, daß fie fich ganz enge an den Wortlaut feines Tertes anſchließt. Er fagt ja nur, daß er geglaubt Habe, aus dem,, was ihm Bücher boten, nicht fo vielen Gewinn zu ziehen, als aus dem, was er aus ber Tebendigen und: noch immer forttönenden Stimme, d. h. aus der mündlichen, directen und is directen Belehrung der Presbpter Terne, und da er biefen Sah mit dem Vorhergehenden durch yag verknüpft, fo gibt er den Grund an, warum er durch die von Augenzeugen (wie von Matthäus in der Redefammlung) ſchriftlich fixirten Adyız xugiexe trog ihrer Authentie und Ariopiftie fi doch noch nicht volltommen befriedigt gefühlt, fondern um weitere Auskunft ſich an die Presbyter und deren Vertraute gewaridt habe. So verftanden Tann fein Urtheil auf alfe ſchriftlichen Aufzeichnungen bezogen werben, ‚ohne daß es gegen dieſe eine geringfchägende Aeußerung enthielte, ſondern es ſpricht nur aus ganz’ fubjectiven Erfahrung den relativ mächtigeren Eindrud aus, den aus ben mündlichen Berichten derfelhen Augenzengen ein Mann empfing, deffen Bildung eben, wie Zahn ſagt, vornehmlich auf perfönfiher Einwirkung beruht hatte, Damit fteht auch nicht im Widerſpruche, daß er. die Adyım zugiexa zuerft aus "schriftlicher Aufzeihrung und dann erft aus Iebendigen Traditionen gefammelt Hat; beide betrachtete er als Ausflüffe-einer und derſelben Quelle; aber hier quolfen fie ihm unmittelbarer; frifcher, Tebendiger "entgegen; | er erhielt Antwort auf die Tragen, die fein Herz and fein: Intereſſe brennender befchäftigten, und je eigenthumlicher mir uns die Geifte- richtung ded Mannes zu denken. haben, um jo wohler mußte er ſich in dem Strom autoptifcher Ueberlieferung fühlen; der ihn im freien Wechſelgeſpräch umfluthete, in dem .offenen Fahrwaſſer, in welchem er am:ficerften feinen Lieblingszielen- zuſteuern konnte.

des Papias von Hierapolis „Auslegung der Reden bes Herrn, 88

Et ift daher auch nur die eine Seite des Gedanfens, wenn Weizſäcker jagt: „Allerdings ſchieu ihm die. Fülle der Ueberlieferung durch die - vorfandenen Schriften keineswegs erſchöpft zu fein, ja im gegen wärtigen Augenblide, wo es ſich um. Unterfheidung des Falſchen und Aechten handelte, nicht zu genügen.“

Leider find von dem Werke des Papias nur fo fpärfiche Frag- mente auf und gekonunen, daß wir den Charakter deſſelben nach wenigen Seiten hin feitzuftellen vermögen. Daß er fi auch über feine ſchriftlichen Quellen verbreitet Haben muß, erfehen wir aus feinen Mittheilungen iiber das Markusevangelium und die Meder ſammlung des Matthäus. Wenn man daraus früher gefchloffen hat, daß er nur dieſe Evangelien gefannt „und benutzt habe eine dolgerung, ‚gegen dien. ornehurlich mein Artikel gerichtet war —, ſo fd ähnliche Luftſchlüſſe durch den jetzigen Stand der Evangelien⸗ fit und unferer Kenntniß des nachapoſtoliſchen Zeitalters einfach umöglich geworden... Es kaun nicht mehr bezweifelt werden, daß Bapiag unfere kanoniſchen Evangelien fammt der Apoftelgejchichte, ja die meiften neuteftamentlichen Schriften, ebenfo gut gefannt habe, wie ben erften Johannes und den erften Petrusbrief und die Motalypfe. Die Mitteilung feiner Nachrichten über das Markusr mangelium und den Matthäus bei Eufebius berechtigen nicht zu tinem argumentum e silentio, fondern bezeugen nur das Intereſſe, melhes der Vater der Kirchengeſchichtsſchreibung an dieſen beiden Traditionen nahm.

Ueber Markus führt Papias ein Zeugniß des Presbhters, ohne Zweifel bes mehrerwähnten Prebdiers Johannes, an: xal zouro ö mgeaßucegog Bye‘ Mögxas uer, ägueveurng IlErgov Verönerag, dca durnuörevoer, üngıßü E Houve⸗, 0% broı rafeı Ta Und rau Xoioꝛoũ 7 7 AyHvra 7 meu2Ibra: ovre zug Meouge Tov xuglov, oure nagrxo) Mnoer vboreoo⸗ de, wg Epar,, IErgg, ög mg ruc zeslas Inoıito trug Jıdaoxaklas, ar orx ‚sang virus tür zugraxcir moiovutyoc Aoylup [s Aöyar], sore ovdEr 7 uapre Mögnas, aörax ivıq Jooyag , os änspumuöreuger . c ⸗0 nocjouro aooroia⸗. Tod under ‚dv ſeouor nagak ir a Ver, caodol Tu in; avrois.. Zahn faßt (S. 692) dag Imperfect Neyer im cigentlichen Siyne: „Auch die, pflegte der Preöbpter, wenn

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Ds . Steig

man ihn um foldes fragte, zu antworten.” Allein Krüger ber merft (a. a. O., 853,2. Anm. 1), dag im Griehifchen das Im— perfect oft gebraucht wird, mo im Lateinischen das Perfect ftehen müßte, und daß dies beſonders bei Neye und Zxöheve der Fall fti. Es fann feinem Zweifel unterliegen, daß diefer Fall. hier vorliegt, denn das Zeugniß ficht gar nicht darnach aus, als ob es eine ftehende Antwort des Presbyters auf eine. wiederholte Trage fe. Es ift aber auch fraglich, ob die ganze Stelle als Ausſpruch des Preobyters zu nehmen fei, wie fie offenbar Eufebius genommen hat, denn die zweite Hälfte, von odre yap 7xovos an, macht, wie Tholuck, Bleek und Holgmann fahen, ganz ‘den Eindruck einer gefehrten Aeflerion des Papias; mande Ausdrüde, wie ragme- Avgnoe und ovvrafıg tüv xugraxdv Aoylov, gehören zu feinen Stichwortern (obgleich man ſolche auch in der erſten Hälfte findet, wie 6a Zurmuövevoev), ebenfo ift die wiederholte Umfchreibung mit no1ei090, diefem Fragmente eigenthümlich; das gs Ip ſcheint darauf hinzudeuten, daß ſich Papias an anderen Orten feines Wertes ausführlicher über das perjünliche Verhältniß des Markus zu Petrus ausgeſprochen habe, und diefe Anficht wird durch Eufebius (II, 15) beftätigt; der ganze Ausſpruch enthält endlich zwei Urtheile, deren das legtere das erſte motiviren foll und die dennoch nicht recht harmoniren: denn während der Presbyter an dem Berichte dee "Markus bie rafıg vermißt, zwedt das Folgende vornehmlich darauf ab, feine Unvoltftändigfeit zu entfhuldigen. Darum haben. aud) die Worte 09 ulvroı ass den’ Erflärern fo große Schwierigkeit ge: macht: Holgmann bezieht fie Lieber auf den Mangel au principieller Anordnung und Kealeintheilung im Vergleich zu dem erften Evan-

‘gelium, als auf den Mangel at chronologifiher Ordnung im Vers

gleich zum vierten; Weizfäder auf den Mangel un Vollſtändigkeit, obgleich diefe mie durch ra&ıg bezeichnet werden -tann ; Zahn endlich auf den Mangel „an Geſchloſſenheit (P) der Reihe von Erzählungen und Reden, vieleicht auch an ficherer chronologifcher Zufammen- fügung*. Mir ſcheint e8, daß das Urtheil des Presbyters, das zu feiner Rechtfertigung fo künſtliche Erllärungsverſuche bedarf, weit über feinen wirklichen Werth überjhägt worden iſt, daß es auf den Charakter des Markus überhaupt nicht in Allem zutrifft

det pepias von Hiecapofiß , Autlegung der Reben des Ger’. 86

und ſchon darum nicht, wozu es freilich auch nur Zahn ſtempeln wollte, apoſtoliſch⸗ johanneiſcher Abkunft ſein kann. Dagegen mag der Behauptung, daß dieſes Evangelium aus petriniſcher Tradition gefloffen ſei, immerhin eine wirkliche Erinnerung der alten Kirche, wenn auch fagenhaft erweitert und ausgeſchmückt, zu Grunde liegen. Bern nım die neuere Evangelienkritik ein Recht Hat, zwifchen einem Urmarkus und dem kanoniſchen zu unterfcheiden, was hier nicht zu unterfuchen und mit dem Zeugniß des Papias nicht zu entſcheiden ät, fo kann diefes Zeugniß felbftverftändlih nur auf Jenen gehen. Zahn freilich ſcheint ein foldes Recht nicht anzuerfennen: er ver» fährt darum ganz confequent, wenn er das Zeugniß auf den far nonischen Markus befchräntt.

Wichtiger ift das über Matthäus (8 16) Gefagte: mzol de roũ Murdofov revr’ eine: (nämlich von Papias vgl. $ 14, wenn and, wohl auf das Zeugniß feines Gewährsmannes hin) Mardaloc nv odv “Eßoatöv dinkkxıyp Ta Aöyın ouverdßaro, Houmevos d’ avra ᷣc 77 duvaros xaoros. Die legtere Bemerkung wird man wohl am einfachften von dem Privatgebrauch verjtehen, den die des Heräifchen mehr oder minder fundigen Gemeindeglieder vpn diefer hebräiſch gefchriebenen umd nicht überfegten Schrift in früherer Zeit gemacht Haben. Die neuefte Kritik fieht ziemlich übereinftimmend in diefem Werke eine von Matthäus veranftaltete Sammlung der Reden Chrifti. Anders Zahn. Er gibt (S. 694f.) dem Aus- drud xuguaxd Aoyıo in dem Dietum über Markus gleichen Umfang mit zu Uno Tod Xporod 7 Asxdbra 7 npuysHvra und fieht demnach in der in dem Dietum über Matthäus erwähnten avv- tafıg ro» Aoylar ein Werk diefes, Apoftele, welches außer Reden auch noch Thatſächliches enthielt, alfo eine volljtändige Evangeliens ſchrift; diefe fei urfprünglich hebräiſch gefchrieben gewefen und Jeder habe fie jo gut überfegt, als er konnte; entbehrlich fei fie erjt das durch geworden, daß ein griechiſches Evangelium entftand, meldes ihren Inhalt vollftändig wiedergab und doch mit folder Freiheit abgefaßt wurde, daß es fich wie im Originale Tieft. Allerdings geben die Worte 74 önò Tod Xo. 7 Asyderru 7 mgaydbvra im Munde des Pregbpters den Inhalt eines Evangeliums vollftändig an; aber wenn dann Papias in feiner daran gefnüpften Reflexion

8 7 Steig

von einer advrakıs zur xugimcr Aoylav ſpricht, fo Hat er dabei nicht das Ganze im Auge, fondern nur den Theil, worauf es ihm bei feinem perfönfichen Intereſſe und feinem fchriftftellerifchen Zweck vornehmlich ankam, nämlich die Reden; wir haben. baher auch fein Recht, den legten Begriff durch ben erfteren zu interpretiren und zu erweitern. Die Annahme einer Redefammlung, welche als di» daktiſche Grundſchrift mit einer Hiftorifhen in zwei unferer Evan⸗ gelien verarbeitet worden ift, ift ein durchaus ſelbſtändiges Botulat der neueren Evangelienkritit und fo unabhängig von dem Zeugniffe des Papias, daß jie diejes ebenfofehr beftätigt, als -von ihm ber ftätigt wird. So wenig aber unfer kanoniſcher Matthäus eine freie, aber vollftändige Bearbeitung eines hebräifchen Evangeliums iit, fo wenig wurde jene hebräifch gejchriebene-Redefammlung des Diat- thäus durch eine einzelne Evangelienſchrift überfli}ig, fondern fie wurde e8 durch die ganze kanoniſche Evangelienliteratur, -die von Reden des Herrn weit mehr bot als jene, und in. welcher außerdem zwei Schriften, der kanoniſche Matthäus und Lulas, den ganzen Stoff jener Sammlung abforbirt hatten. Papias ſcheint übrigens die Redeſammlung des Matthäus nicht mehr gefannt zu Haben; die Kirchenväter, die fie noch weniger zu Geficht befommen "haben, hieften fie in. verzeihlihem Irrthum nad) des Irenäus Vorgang (V. 6, 1 cf. Euseb. V, 8, 2) für den Hebräifchen Grundtert uüferes Matthäus.

Nur eine Spur deutet darauf Hin, dag Papias in feiner ZEnynuıs einzelne neuteltamentliche Begriffe erläutert Habe. Wenn er nämlid nad) des Marimus Confeſſor „Commentar zu der himmlischen Hierarchie des Areopagiten“, Cap. 2, p. 32; ed. Corderius) von den erften Shriften fagte, fie hätten Diejenigen, welche Gott gegenüber öxaxla üben, Kinder (maidas) genannt, fo ſcheint er damit die Kindeseinfalt im Auge gehabt zu haben, zu ber wir nach Chriſti Ausſpruch Matth. 18, 3 zurüdfehren und in ber wir den Kindern gleih (ws T& audio) werden follen.

Mehrere Aeußerungen des Papias weifen offenbar die Erfüllung von Weiffagungen Chrifti nad. Dahin ‚gehört die Angabe des Euſebius ($ 9), Papias habe mit den Töchtern des Philippus (die Appofition anoozoAog gehört wohl dem Eufebius an) zu Hier

des Papias von Hierapolis „Auslegung der Reden des Herrn“. 67

rapolis verlehrt und von dieſen einen wunderbaren Bericht gehört: vorge Yüp üvdoraaı zur’ auzov yeyorular iorogei. Die Worte xar avror werden gewöhnlich als Zeitbejtimmung gefaßt, allein da nad, Routh (Relig. sacr., Ed. II, Vol. I, 33) die griechiſchen Me— näen zum 14. November den Philippus zu Hierapplis einen Todten und in Galiläa einen Knaben auferwecken laſſen, fo wird, wie Dodwell (ebendaf.) annimmt, auch Euſebius dafjelbe haben fagen wollen. Vielleicht follen feine Worte heißen: Papias erzählt, daß eine ihn, den Philippus, angehende oder zu ihm in naher Beziehung ftehende Auferftehung eines Todten gefchehen fei. Ohne Zweifel hat Papias damit die Erfüllung des Wortes Eprifti, Matth. 10, 8: vexgods .Zyelgere conftatiren wollen. Auch die weitere Notiz (8 9), daß der Apg. 1,.23 genannte Barfabas mit dem Beinamen Zuftus Gepias nennt ihn umgekehrt Juftus mit dem Beinamen Barfabae) ein töbtliches Gift ohne Schaden getrunken habe, fol offenbar die Bahrheit der Verheigung CH xüv Javaoınov nlwoıw, od un avroog Pay (Mark. 16, 18) erhärten,. mögen diefe Worte damals bereits in einzelnen Abfchriften des Evangeliums Marci aufgenommen gewefen (bekanntlich findet fich die Exıftenz des Schluffes deffelben erſt bei Jrenäus III, 10, 6), oder von Papias aus der Tradition entlehnt worden fein.

Befonders dankenswerth ift es, daß Zahn zuerft auf die Sage des Papias vom Ende des Judas näher eingegangen ift, wie ſich diefefbe in den Katenen zum Matthäus und der Apoftelgefchichte und in den Commentaren des Dekumenius und Theophylaktus zu ber letzteren findet, Daß in den erfteren die Vermittlung der Notiz auf den Apollinaris, wahrſcheinlich von Laodicea, zurüdgeführt wird, hat für uns fein weiteres uterejfe; wichtiger-ift, daß bei Allen als Gewährsmann Papias auftritt. Voran fteht der Say, daß Zudas in Folge des Erhängens nicht (mie Matth. 27, 5 durch annyEaro angedeutet wird) erftidt, fondern am Leben geblieben fei. Das beftätige auch der Ausdrud der Apg. 1, 18: mes yerö- neros &Aaxnoev uloog, deutlicher noch berichte. es Papios in dem 4. Buche feiner Eregeſis: yulya dosßelug ünodeyua dv tovrp ro xoonp mepiendrnoev 6 lovdas. Darauf folgt dann eine Aus- führung, in welcher zwei verfchiedene, aber urfprünglih aus einer

88° \ Steih

N Zradition erwachſene Relationen verwirrend ineinandergemorfen find, "Die gemeinfame Wurzel ift die von beiden übereiuſtimmend berichtet Sage, daß Judas fo am Leibe aufgefchwolfen- fei (nono9elc yag In} ToooVrov nv oagxu beginnt die eine, ZugroIn yap mi zo ooũro/ 7v oaugxa die andere), daß er zwiſchen den Rädern eine Wagens nicht durchkonnte; nach dem einen Referate fuhr nun wirklich ein Wagen daher und erfaßte ihn, Judas flürzte (aruo eic = zenns yeröuevog), barſt und feine Eingeweide wurden verfchüttet; nad dem andern -dagegen ſchwoll fein Haupt jo an, daß die Augen, tief in die Höhlen zurüdgedrängt, nicht mehr fehen konnten; alle inneren Säfte waren in Auflöfung begriffen und ftrömten durd die unnatürlid erweiterten Schamtheile ausy nach vielen ‚Qualen verfchied er auf feinem Ader (xwolor), aber wegen des peftartign Geruches, der dort noch zur Zeit des Referenten zurüchgeblieben war, blieb‘derfelbe Leer und unbewohnt (Verwendung von Bf. 69, 26, aber hier in ganz anderem Sinne als in der Apg. 1, 18) und jeder Wanderer eilte rafch vorüber. „Ein fo ſchweres Geridt vollzog fih auf Erden- am Fleiſche des Judas.“ Ueber die Verſchiedenheit und Unvereinbarfeit der Nelationen über den Aus gang des Yudas bei Matthäus und in der Apoftelgefchichte kann fein Zweifel beftehen.- Die beiden Sagen ber. Kafenen und ber griehifchen Eregeten ſchließen ſich offenbar an.die Notiz der Apoftel- geſchichte an und bilden dieſelbe durch eine Reihe von Zügen meiter aus. Zahn hat fie fchärfer im Texte gefchieden und die leptere dem Papias zuerkannt, die erftere dagegen als Interpretation ein- geflammert. Mich wundert, daß er nicht darauf aufmerkfam gemadt hat, daß Theophylaft im Kommentar zur Apoſtelgeſchichte die erftere ganz ansgelaffen und allein die zweite als Erzählung des Papias ‚eingeführt Hat. Es ift nun für Zahn’ Tendenz fehr bezeichnend, daß er ſchon dem Papias die Abficht zutraut, er habe was allerdings ‚die fpäteren Eregeten nad) der von ihnen an die Spike geſtellten Erklärung bezwedten die abweichenden Berichte des Matthäus und der Apoftelgefcichte harmoniſtiſch ausgleichen wollen. Allein diefe” apologetiſchen Intereſſen waren dem Papias ſicherlich noch vollfommen fremd. Seine Abficht war ohne Zweifel auch hier der Nachweis, wie fi an Judas die Weiffagung Ehriſi

des Bapias von Hierapolis „Auslegung der Reden des Herm“. 80

(Matth. 26, 24) erfüllt Habe: dei 82 z@ ardeunp Zuew, di 08 6 viög zoo avdgumov nugaöldorar" xulöv jr uuro, el ovx Yorıdm 6 &vdownog Exeivos. Der Wunſch des Nichtgeborenfeins itt im Talmud ein ganz gewöhnficher und befagt ſprüchwörtlich (die ähnfiche Redensart wie Matth. 18, 6) nur, daß es beffer wäre, ein folcher Menſch egiftire gar nicht und wäre dadurch der Mög: fihfeit enthoben, eine fo entfegliche That zu vollziehen. Allein Bapias fah im dem Worte die Androhung eines fo furdtbaren Gerichtes, daß ihm gegenüber felbft das Nichtgeborenfein als Glück ericheinen mußte. Da diefer Vorftellung der einfache Selbftnord des Judas bei Matthäus noch weniger entiprechen konnte, als die Gnühlung der Apoftelgefichte, fo wandte er fich ohne Bedenken ner Sagenbildung zu, welche mit jener Vorftellung harmonifcher niammenzuftimmen fehien und fand in ihr evft die Wahrheit des Bortes Chriſti vollkommen gerechtfertigt. Man fieht übrigens daraus zugleich, was Papias mit der Verfiherung meinte, daß Bücher ihn nicht ſo gefördert hätten, als die lebendige Stimme der Tradition. Es iſt klar, daß die zweite Erzählung dem Zwecke des Papias am meiſten entſprechen mußte. Die nur leicht aufge worfene Bermuthung Schleiermaher’8 (a. a. D., ©. 744), dag dem Papias möglicher Weife unfer Matthäusevangelium unbefannt geweſen fei, ift allerdings durch den jegigen Stand der Ragogik befeitigt, aber dag Papias, wie wir annehmen müffen, daffelbe gefannt Hat und fich dach fo feicht von feinem Berichte trennen konnte, beweift, dag man an Evangelienfchriften nur die dorderung ftellte, daß fie die xvoruxa Aöyıo in zuverläffiger Weife wiedergaben,, daß man aber zu den darin erzählten Thatſachen ale Nebenumftänden in einem weit freieren Verhäftniffe ftand, ale in fpäteren Zeiten, und ihnen darum auch ganz unbefangen andere Traditionen entgegeuftellte, zumal wenn man fi) an diefen des Mertmates- authentifcher Abkunft verfichert zu haben glaubte. So zeigt auch diefe Erzählung des Papias, daß er es als eine der vihtigften Aufgaben feines Werkes anfah, die eingetroffene Erfüllung der Weiffagungen Chrifti “nad;zuweifen. In diefem Sinne vor- nehmlich find die Mittheilungen aufzufaffen, die er aus dem Leben der Apoftel gab, in dieſem Sinne hat er, foweit wir urtheilen

do Steig °

tönnen, den Stoff zur Auslegung der Herenworte bei feinen Pree bytern geſucht. Dies entfpricht aber durchaus dem Charakter di zweiten Jahrhunderts, das jchon in der Erfüllung der altteftamen lichen Weiffagungen den ummiderleglichiten Beweis der Wahrhe des Chriftentfums fowohl für Juden als Heiden fah und diele testimonium spiritus sancti nicht ſtärker unterftügen fonnte, ol durd den Nachweis, dag auch Chriſti Weiffagungen gleich bud ftäbfich erfüllt worden feien.

In Kleinafien Hingedamit, wie wir aus den Mittheilungen de Vresbyter des Jreuäus ſehen, noch eine ausgeprägte eschatologiſch apofafyptifche Richtung zufammen. Auch des Papias Werk ift i diefelbe eingetreten. : Andreas von Cäſarea führt ihn in den Bro legomenen zu feinem Gommentare über die Apofalypfe unter de

Zeugen für ro Seonvevoror oder akıömarov dieſes Buches au Da aber nicht feftiteht, ob Papias felbft diefe Ausdrücke gebraud habe, da ihm ferner Ariftion und der Presbyter Johannes ja auf einer Linie mit den Apofteln ftanden, fo läßt ſich aus der gabe des Andreas auch nicht beweifen, daß Papias den Evangelifte Zohannes für den Verfaffer der Apokalypfe gehalten habe, wen dies auch das Wahrſcheinlichere ift. Bon der Apofalypfe hat ı vielleicht bei Anlaß von Reden Chrifti (wie Matt. 24 u. ſ. w geredet und fi ihrer zur Erläuterung jener Reden bedient. De Presbyter Anaftajius vom Sinai erwähnt ferner an zwei Stelle feiner Betrachtungen über das Heraemeron, daß Papias der Bor gänger. Derer gewefen, welde das ganze Sechstagewerk und d Erzählung vom Paradiefe geijtlih auf Chriftum und die Kird gedeutet hätten; da ihn nun auch Eufebins den Vorläufer des Ch liasmus eines Zrenäus und Anderer nennt, fo wird jene Not des Anaftafius dahin zu verftehen fein, daß. er nach Analogie d ſechs Schöpfungstage ſechs Chiliaden des Weltlaufes, als den Sabbal aber das taufendjährige Neid und mit demfelben die volle Wieder herftellung des paradiefifhen Urftandes angenommen habe (vg Dorner I, 217, Anm. 60). Auf dieſe chiliaſtiſchen Erwartunge bezieht ſich and das hefannte Gleichniß vom Weinftod, vom Weizen torn, von den Obftfrüchten und der ganzen Vegetation im taufent jährigen Reiche, welches ung Srenäus aus dem 4. Buche des Papic

des Papias von Hierapolis „Auslegung der Reden des Herrn“. 9

(N, 33, 3) aufbetahrt *), diefer aber durch feine Gewährsmänner ans dem Munde Ehrifti felbit als Aöyıo» xugaxov empfangen haben will. Die Bilder des Gleichniſſes fhildern die unerfchöpfe fihe Fülle der Befriedigung im taufendjährigen Reiche; bie Zahlen find daher -nicht buchftäbfich zu nehmen, fondern der ſymboliſche Ansdrnd für den ſchlechthin unendlichen Ueberſchwang. Dem ent ſprechen auch die weiteren Züge, daß, fo oft ein Heiliger nach einer Traube greift, eine andere ihn einfadet: Ich bin beffer, nimm mid) und fegne mich durch den Herrn, fowie daß alle Thiere ſich nur von Begetabilien nähren, untereinander im Frieden leben und dem Menſchen willig fi; unterordnen. Auch darin liegt nur bie im zunehmender Proportion ſich entfaltende Bolltommenheit und bie Aetige Harmonie paradieficher Zuftände ausgefproden, in denen kin Stimme der Berführung mehr, fondern nur die Auffordes tungen ertönen, die Gabe Gottes mit Danffagung und ohne Schuld zu genießen, und die Unterordnung ber Thierwelt unter den Menfchen die Analogie jeiner Unterordnung und feines freien Gehorſams unter Gott ift. Wie weit des Euſebius Urtheil gegründet iſt, dag Popias ſich das tahfendjährige Reich ſinnlich (owuerıxus) gedacht, indem er da& im dem apöftolifchen Berichten bildlich und myſtiſch Gemeinte mißverftanden habe ($ 12) ein Urtheil, dem auch Norimus Confeſſor (im Kommentare zum: 7. Cap. der kirchlichen Hierargie) und Stephanus Gobarus (bei Photius Cod. 232) beittitt dürfte ans diefem Gleichniſſe nicht zu entfcheiden. fein

a) Irenäns leitet es mit den Worten ein: „Quemadmodum Presbyteri meminerunt, qui Joannem discipulum domini viderunt, audisse se ab eo, quemadmodum de temporibus illis (nämlid) regni sui) docebat dominus et dieebat.“ Man hat gefragt, ob dies Irenaus oder Papias füge. -Weizfäder entſcheidet fich mit großer Zuverfiht (S. 126) für das Letztere. Ich begreife dies fehr wohl. Gehören die Worte den Papias an, fo beftätigen fie auf das glängendfte Weizſäder's Anfiht, daß Papias aue mit Apoftelichlifern verkehrt und daß auch Ariftion und der Presbyter Johannes ſolche geweſen find. Aber man ngl. II, 22, 5: mavres of ngeoßuregoı Waprugodaw, ol zard ziv 4aiav Tuivun to Too zuglou uadnrz ovußeßAnxores, nagadedwxivaı talra rov Twavrnv. Hat Srenäus dies geſchrieben, dann gehören auch jene Worte ihm am und nicht dem Papias. J

9” Steig

(und doch feinen die beiden Letzteren daſſelbe allein zum Grumt ihres Urtheild gemacht zu Haben, da fie dem Papias Schuld gebe er habe das Reich Gottes als aloImriv Powuaru» anölavcı aufgefaßt), weil die apokalyptiſche Form fehr wohl die Möglicte offen läßt, daß dem Papias die finnlihen Bllder Hilfen’ geiftig Gedanken gewejen find. Jedenfalls zeigt und daffelbe, daß er b xugraxa Aöyım nicht blos aus fehriftlicher Aufzeichnung, fonder aud aus mündficher Ueberlieferung geihöpft hat. Das beftäti uns auch die von Eufebius ermähnte Erzählung need yuvaxd ini noMais önogrlas dıaßkmYelons Enl Too xvglov, die nid nur in dem Werke des Papias, fondern nach Eufebius’ Verſicherun aud im Hebräerevangelium geftanden hat und offenbar mit de durch Interpolation in das Evangelium Johannis gekommen Gefchichte von der Ehebrecherin (8, 1—11) identiſch ift. D Einwand, daß die Erzählung, deren Eufebius gedenkt, von ein Sünderin, aber nicht einer Ehebrecherin handle, hebt fich dur Vergleichung der apoftofifchen Eonftitutionen (II, 24, 4), wo neh der großen Sünderin (Luk. 7, 37) eine andere, Iron zus mua Trevio, auftritt, die ſich trog diefer Bezeichnung durch den Joh. 8, 11 entlehnten Ausſpruch Chriſti als die in letzter Ste erwähnte Ehebrecherin ausweilt. Aus Eufebius’ Notiz erjehen mi daß zu feiner Zeit die Erzählung noch nicht in das Zohan evangelium, wohl aber in das Hebräerevangelium übergegang war. Uebrigens kann e8 dem Papias aud, hierbei nicht ſowohl a, die Gefchichte, al auf das Aöyıor xupıaxor angefommen fein. ( ſind dies die einzigen Herrnworte, von denen wir. ficher wiſſe daß fie Papias aus mündlicher Ueberfieferung gefchöpft habe; ab wenn damals noch manches Andere von Mund zu Mund ging - ich erinnere mur an das befannte: ylveode Tganelicor döxımo - fo dürfte auch Papias Alles, dejjen er habhaft werden konnte, au gezeichnet haben; feinenfall® aber möchte ich auf die unbeſtimm Verſicherung des Eufebius: zul au de 6 aurög wor dx zug dooews dygapov el; aurov Hxovra nagaredeirun, Evag te zw nogaßoAds Tov owrijgos zai dıdahnuiles arzon xul rıva UN avdıxwrega, mit Zahn ben beftimmten Schluß bauen, daß er nu noch wenige Aöyıa xugoxa von feinen Presbytern erhalten hab

des Papias von Hierapolis „Auslegung der Neben des Herrn“. BB ,

bean das zivag bezieht fich nur mildernd auf Auffäliiges und Pa- tadored in den Mittheilungen des Papias; was aber außer biefem unter dem vorangeftellten «Aa verborgen liegt, wiſſen wir nicht. Daß diefe ſpäte Nachlefe der noch in’ unficherer Ueberlieferung forte fnufenden Herenworte von der Kirche nicht beachtet wurde und verloren ging, erklärt ſich theils aus ihrem ungenügend verbürgten Urfprung, theils aus ber wachſenden Abneigung gegen den Chi fasmus, durch die des Papias Sammlerfrüchte in Mißeredit kamen, teils aber aus dem fteigenden Anfehen der in dem neuteftament- lien Kanon fich abſchließenden Bucherſammlung, mit der fi, bald das Merkmal der Theopneuftie verband. Uebrigens darf man aus dem Titel des Werkes nicht fchließen, daß Papias eine voliftändige Sammlung von Herrnworten mit einem fortlaufenden Gommentare ' derichen habe; Eufebins fagt (V, 8, 8), Irendus gebenfe der Erinnerungen eines apoftolifchen Presbyters, deffen Name er vers Nneige, und fege deſſen Zänyrous Ielav yeupay bei. So wie Shritwort und Auslegung it den Zeugnifen dieſes Presbyters bei Jrenäus unbefangen durcheinanderlaufen und ſich in mannice facher Weife verfnüpfen,-mag es fi auch mit den Aoylıs ron xuplov und den ZEnynoss des Papias verhalten haben.

Schließlich erwähnen wir noch zweier Citate des Papias in des Andreas von Cäfaren Commentar zur Apofalypfe. Das eine ent Hält die danielifche Vorjtellung, daß ‘Gott einigen von den einft sättlihen Engeln die Verwaltung der Erde übergeben habe; das andere befagt, daß ihre Ordnung (r&Eıs) zu nichte geworben fei. Zehn ficht darin eine Erläuterung zu Luk. 10, 19; allein da das pneite Citat aud in der Gramer’fchen Katene zur Apotalypfe (KU, 9) vorlommt und Hier r&fıs mit moAsuen yyelonos ertärt vird, fo könnten diefe beiden Ausſprüche im Werte des Papias auch ſehr wohl mit apokalyptiſchen Vorftellungen im Zujammen- hang geftanden haben; Es iſt dies Alles, was ſich über.des Papias Bert jagen Täßt. Möchte diefe Unterfuginug dazu beitragen, die Differenz der Anfichten über diefen Oetenſan dem endlichen Aus frag näher zu bringen! r

. Steit

Erft nad; Abjendung diefes Auffages fam mir die. Abhandlun Overbeck's: „Ueber zwei neue Anficten vom Zeuguiſſe de Papias für die Apojtelgeicichte und das vierte Evangelium“ ü der „eitſchrift für wiſſenſchaftliche Theologie“ (X, 1, 35f.) zu Mit ihrem Verfaſſer ſtimme ich in vielen Bemerfungen gegen Zahn namentlich in denen über das Fragment von dem Tode des Juda— überein;. ich gebe ihm in&befondere darin Recht, dag das Meoti diefer Sagenbildung nicht in der Ausgleihung der Berichte dei Matthäus und der Apoftelgefhichte liegen. kann, feudern daß de Mythus erft fpäter im harmoniftifchen Intereſſe benugt worde ift, glaube aber das eigentliche Motiv einfacher: und richtiger nad) gewiefen zu haben. Das alte lateinifche Argumentum zum Evan— gelium Johannis Halte ich für ebenfo unſicher und unzuverfäffg, wie das Inteinifhe Fragment über die Marien. Dagegen fanı ich auf das Schweigen des Euſebius über eine etwaige. Berugung diefes Evangeliums durch Papias auch jetzt noch nicht, das Gewich legen, das ihm Overbeck noch immer zugefteht.. Es ift mir um: zweifelhaft, daß unfere fanonifhen Evangelien (wenn auch nid einzig und.altein) zur Zeit des Juſtin und feiner jchriftftellerifcher Thätigfeit, die zugleich die des Papias gewefen ift, befannt ware und gebraucht wurden. Die Bermuthung Overbeck's, daß die vor Papias bezeugte aramäifche Spruchjammlung des. Matthäus da: nagaräifche Hebräerevangelium geweſen fein dürfte, iſt nicht neı und hat in der Wiſſenſchaft fein Glück gemacht: ich bin von ihre Haftlofigkeit noch unumſtößlicher überzeugt, feitdem Hilgenfeld di wirklichen und angeblichen Fragmente diejes Enangeliums vollſtändie jufammengeftellt hat. Noch jpäter als Overbeck's Abhandlung kam mir Kloſftermaunds Schrift über das Markusevangelium zu. Id habe über fie fein Wort zu.verfieren: feine 'Erörterungen über Papiad ftehen uud. fallen mit der. Guericke-Zahn'ſchen Hypotheſe von der Hoentität .des Apoftels und des Presbyters Johannes. Wäre nod da8 Goncept meiner Abhanblung. in meiner Hand, jo mürde if bei der’ ſchwierigen Frage Aber das Zeitalter des Ariftion und dee Presbyter Johannes noch bejtimmter die Möglichkeit hervorgehoben haben, daß beide vielleicht nur in frühe ſter Jugend ſich mit dem öffentlichen Wirken des Herrn berührt haben und darum einem

des Papias von Hierapofis „Auslegung der Reben des Kern“. . 96

weit jüngeren Gefchlechte noch als Männer der erften Generation (ngeoßurepa) und als Autopten (kaIzrai ou xvolov) erjceinen Ionnten. Dieſe Annahme würde zugleich leichter erklären, warum fie vapias mit den Apofteln zufammengeftellt Hat, wie fie trogdem den Johaunes noch um geraume Zeit überleben fonnten und daß die Traditionen des Papias, deren‘ hauptfädlichfte Gewährsmänner fie nach Euſehius waren, zum Theil einen fo apofryphijchen Chas zofter tragen. Schlieglih noch die Bemerkung, bag meine Ber ſprechung des papianiſchen Zeugniſſes über Matthäus und Markus, es nur mit Zahn's Aufftellungen zu. thun Hatte; auf die Anfichten Anderer konute ich, obgleich fie mir befannt find, nicht. eingehen, ohne die Grenzen diefer Abhandlung ungebührlih zu erweitern: & genügte mir, meinen Standpunkt ihnen.gegenüber nur anzudeuten.

3.

Bonaventura als Dogmatifer. + Bon D. W. X. Solendag )

Das Werk, “in welchem Bonaventura feine ſcholaſtiſche Gelehr⸗ ſamleit niederlegte, umfaßt zwei ſehr ſtarke Foliobande. Auf das 1. Buch des Combarden „Fommen 45% enggedruate Bofiofeiten

a) Nachſtehender Aufſatz bildet eine Ergfinzung zu der anziehenden Schrift unſeres geehrten Herrn Mitarbeiters: „Studien' zu Bonaventura“ (Berlin 1862); dort iſt in:4 Capiteln Bonaventura's Bildungszeit; feine Schriftauslegung; feine Ordensleituug; feine myſtiſchen Sauriften) dep viel genannte und doch

. toenig befanntg, Dann nad; den Seiten, welche ein allgemeineres Intereffe beanſpruchen konnen, eingehend charakteriſirt; Hier dagegen ſoll theologiſchen Leſern eine anſchaulicht und gtuaue Vorſtellung von der Form und dem Inhalie · der Sauptwerle Bonabenturcẽs, tueltfe -ihn zum |Hodhgefeierten Sqholenicee gemacht haben, dargekattn wertez. „Die Redagtipm; "

. % Hollenberg‘

von welchen indeß der Text des Lombarden felbft abzurechnen if auf das 2. Bud kommen. 603 Seiten u. f. w. Es fann un natürlich nicht beitommen, von dem Anhalt diefes koloſſalen Werte eine Vorftellung zu geben. Nur Einzelnes kann hier’ feine Stell finden. So möchte id) von dem vielgejchmähten Prolog den Ge dankengang etwas genauer mittheilen. Er ijt allerdings nicht di ſchöuſte Partie des Commentars, und man muß darauf verzichten in ihm das lobende Urtheil Gerfon’s bewährt zu finden. Doe wird der Auszug felbft bemeifen, daß gerade der Prolog für bi Anſchauung der fcholaftiichen Methode von Wichtigkeit ift.

Das Proömium beginnt mit einem Spruch der Schrift. -Hiob28, Heißt e8 nämlich (nach der falfchen Ueberfegung der Bulgata): „Pro funda fluviorum scrutatus est et abscondita produxit i lucem“, „die Tiefen der Ströme hat er erforfcht und das Ber borgene an's Licht gebracht“. Sieht man diefen Spruc, forgfälti an, fo gibt er eine Andeutung von dem vierfachen Grunde, welde in den Sentenzen hervortritt. Denn 1) der materielle Grund find fih in den „Strömen“ ; 2) der formale in dem „Erforſchen de Tiefen“ ; 3) die Finalurſache in der Enthüllung des „Verborgenen“ 4) die wirkende Urſache in dem „Exfgricen“, wie in dem „an Licht ziehen“. Und wie der natürliche, materielle Strom vier Eigen ſchaften hat, fo auch der geiftige, der in den Sentenzen behandel wird, und daher hat ber Lombarde vier, Bücher der Sentenzen Denn der natürlihe Strom hat 1) Perennitas (Zeit); 2) Spa ciositas (Raum); 3) Circulatio (Kreislauf der Bewegung, ver möge des Verdunftungsprocejfes 2c.); 4) Emundatio, infofern e bie Gefifde reinigt, ‚ohne ſelbſt dadurch unrein, zu werden. So il aud) in dem göttlichen Strom eine perennitas, das ewige Aus gehen des Sohnes und des Geiftes, wie e8 Daniel 7, 9—10 heißt „Der Alte der Tage ſetzte ſich und ein fenriger ſchneller Stron ging aus von ‚feinem Angefiht." -Schuell war der Strom, ben die Fülle der Tugend ftrömte in den Sohn, und feurig, denn di Fulle der Liebe ftrömte in den Geift. Was die spaciositas betrifft fo ift ja die-Schöpfung ‚der Dinge ein fo umfaffendes Gebiet, di man nicht ſowohl von einem Stromg,. als pou einen Meexe ſprechen folfte, wie der Pſalmiſt (Pf. 104,:25) fogt; „Das Diver: fo groß

Bonaventura als Dogmatiler. 9

und weit (spaciosum)*. Was bie circulatio angeht, fo iſt das die Zleifhwerdung des Sohnes. Nicht blos kommt in Betracht, deß die Schöpfung von Gott ausging und am fechften Tage dur den Menſchen wieber zu Gott zurüdkehrte, fondern auch, was Jo⸗ hannes 16 zu leſen tft: „Ich bin vom Vater gelommen in bie Belt, wiederum verlaffe ich die Welt und gehe zum Bater“. So itt alfo auch das 3. Bud) der Sentenzen ſchon angedeutet. Endlich die emundatio ift an fih ſchon Mar. Die Sacramente find es, nelde und von den Sünden reinigen, während fie jelbft rein bleiben bie der Strom. (Auf eine afberne Weife ergibt ſich die ganze Biertheilung der Bücher noch aus einer etgmologifchen Betrachtung der vier Namen Piſon, Gihon, Hidekel und Phrat, der vier Pa- tdiefesftröme.)

Diefer erfte Theil des Prodmium umfaßt beinahe 3 Folioſeiten, af welchen 42 Citate aus der Bibel vorfommen. Zum näheren Lerftändniß des ſchon Angedeuteten fügt Bonaventura vier. quae- stiones hinzu, 1) über die Materie, oder ben Gegenftand der Theologie oder der vorliegenden Sentenzen. Die erfte Antwort fagt: Gott ift der Gegenftand berfelben; eine zweite: es ift Sade und Beiden; eime dritte: es ift das credibile. Jede Antwort wird kurz begründet, aber nun folgen unter dem Titel „sed contra‘ nicht weniger als ſechs Widerlegungen. 1. Gott fei nicht das Subject der Theologie, weil die Ereaturen auch mit behandelt bürden; 2. auch könne Gott, infofern er auch der Endzwed des ganzen Werkes fei, mischt zugleich bie materia beffelben "fein; 3. „Sache umd Zeichen“ ift eine zu-weite Beftimmung, weil alle Wiſſenſchaften fo beftimmt werden Tonnen; 4. auch ift Sache und Zeichen zweierlei, jo daß eine ſolche Inhaltsbeſtimmung die Einheit des Inhaltes aufheben würde; 5. das credibile ift zwar Gegen» ftand der Wahrheit [der unmittelbaren Religion] aber nicht der Wiſſenſchaft; 6. auch kann man fagen, daß die Sentenzen nicht blos vom Glauben, fondern aud von Hoffnung und Liebe Handeln, dljo ift das credibile nicht die Materie der Theologie.

Nun aber folgt die Eonclufion, die Löfung der Schwierigkeiten, in ſechs Sägen. Das Subject kann nämlich in dreifaher Bedeu tung genommen werden, als das subjectum radicale, wie 5. B.

Col. Stad. Jahrg. 1868. 7

3 Hollenberg

in der Grammatik als folches die Buchſtaben, die einfachften Formen bei der Analyfe übrig bleiben; in dieſer Bedeutung ift Gott dai Subjectum der Theologie; ferner als subjectum, auf weldes alı auf ein totum integrale Alles bezogen wird; endlich als totun universale; dem zweiten foll in der Grammatik die angemefien und vollendete Rebe entſprechen, in der theologiſchen Wiſſenſchaft Chriſtus; als letzteres foll in der Grammatik das artieulirte, inhalts volle Wort, in der Theologie entweder Sache und Zeichen, ode das mit der Erkenntuiß verbundene credibile angefegen werben. Nun erft wendet er fid) gegen bie ſechs Widerſprüche. 1: Alter dings fei Gott nicht im ganzen Werke das Subject quantum a substantiam, aber danı doc) quantum ad opera, et fei nid ut totum, fondern ut principium das Subject. 2: Allerdinge fei der Endzweck und Materie verfchieden, aber man müffe in Bezut auf legtere fondern: die materia ex qua, in qua und circa quam Diefe materia circa quam fei eben das Object. In ähnliche Weiſe werden die übrigen Behauptungen begrenzt umd berichtiget. Die zweite Trage ift: Welches ift die formale Urſache oder di Weife des Fortſchreitens in dem Buche der Seutenzen? Diel Weiſe, ber. modus procedendi, ſcheint nach der Hiobſtelle ci perserutatorius und inquisitivus secretorum zu fein, eine Er forfchung des Verborgenen. Nun aber erheben fich unter sed contr: erft drei Bibelftellen gegen das Forſchen, dann unter 4. wird gefagt der modus procedendi in der Wiſſenſchaft widerſpreche überhaup der Weife der Schrift, welche typifch und hiftorifch fortfchreite widerfpreche auch 5. dem Gegenjtande, infofern er dem Glauber angehöre (credibile).; 6: aud; dem Endzwecke, der’ Förderung be Glaubens, denn die Grunde fürderten nicht den Glauben, fonden leerten ihn aus, wofür Gregorius und Hieronymus citirt werden Sed contra heißt es: 1. nach der Schrift muſſen wir berei fein, Jedermann von unferm Glauben Rechenſchaft zu geben: 2. tritt Richard a Victore für die Notäwendigleit der Argumen: tation auf;.3. wie in anderen Wiſſenſchaften, was vernünftig be kampft werben kaun, auch vernünftig vertheidigt werden muß, fi muß es ja amd in der Zheologie:fein, wenn fie nicht ubler fteher ſotl, als die anderen Wiſſeufchaften. 4. Wir haben dabei auch dat

Bonaventuen a9 Dormatiler.

Vorbild der alten Kirche, welche gegen die falſchen Wunder ber Magier die wahren der Heiligen fegte. In der Conelusio bleibt es bei dem modus perscrutatorius, denn bie Begründung bewegt die Anfänger zum Glauben, beftärft die Schwachen und befeitigt die Volllommenern. Dies wird in ſechs Sägen erwieſen. Jene Shriftftefen verwerfen ja nicht die Forſchung, fondern blos bie eurioga perscrutatio, mir werben vielmehs angemwiefen: Suchet in der Schrift (gerutamini scripturas), Während bie Schrift den Ölaubensingalt als ſolchen, als credibile behandelt, Kommt er in der Wiffenfchaft als das intelligibel Gemachte vor, daher die andere Methode. Allerdings Tann. die Forſchung dem Glauben feindlich ſein, aber doch nur wenn man des Vernunft um ihrer felbft wilfen zuftimmt, wenn aber der Glaube ans Liebe zu dem Infalt, dem er zuſtimmt, Gründe zu haben verlangt, ſo Tann die Begründung nicht verfänglich fein.

In einer dristen Frage handelt es ſich darum, ob die Theologie ihren Endzweck in der Speculation habe, oder dasin, daß fie uns beffere, Drei Gründe treten für das Legtere auf, denn unter gontra drei fie das Erſtere; davımter ift, baß der Lombarde jage, feine Abſicht ſei, dem verborgenen Inhalt theologiſcher Unterſuchungen darzulegen, was eben auf die Erlenntniß als den Endzweck führe, ferner gehöre ja der Beſſerungezweck in das moraliſche Gebiet, die Theologie handele aber nem Glauben; endlich gehöre der Veſſerungs⸗ wet in das praftiihe Gebiet und dabei komme es auf unfer Handeln an, dis Theologie aber Habe nicht unjer Handeln, ſondern Gott zum Gegenftaud.

In der Gonelusio wirb der permittelnde Begriff der Weispeit Berbeigezogen, als weiche cognitio und affeetus zugleich jei. Das Reſultat ift, dag die Theologie allerdings Gegeuſtand der Specu⸗ lation ſei, aber vorzüglich dazu beftiamt, gat zu machen.

Am wunderlichſten ift die letzte Trage des Probmiums geftellt: ver die wärdende Urſache der ‚libri sententiarum ſei? Darauf fügt er ad 15 „Es ſcheint Peter Lombardus zu fein.“ Aber es iſt doch bedentlich, wenn man Matth. 23, 10 vergleicht: „Einer ift mer Magiſter, euer Lehrer und Doctor,” Dazu kommt ad 2, daß Peter Lombardus pielfach und nach feinem eigenen. Geſtündniß

q8-

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aus den Vätern gefchöpft Hat, weshalb man nad Ariftot. Ethik DL, 4 ihm die Autorfchaft abftreiten kann. Aber ein Contra fagt: „Gott hat das Werk der Sentenzen doch nicht mit feinem Finger gejchrieben, fondern hat einen andern Lehrer dazu gebraucht“, jo geräth man auf den Lombarden; ferner fagt der Lombarde felbft: „mit vieler Mühſal und mit Schweiß Habe ich diefes Werte mit Hilfe Gottes vollendet“. In der Conclufion wird erft der Unter: ſchied zwiſchen einem bloßen Schreiber, einem Compilator, einem Commentator und einem Derfaffer fharffinnig beftimmt. Der Lombarde ſei mur als ein Verfaffer (auctor) zu bezeichnen. Zwiſchen dem Meifter Chriftus und dem Meifter Peter fei ein ähnlicher Unterſchied wie zwifchen einem, der uns das Geficht wiedergibt und einem andern, ber uns bie fichtbaren Dinge mit feinem Finger zeige. Die letztere befcheidene Rolle müſſe dem Lombarden ver- bfeiben. : " .

So viel von dem Prodmium zu den großen Gommentarien über die Sentenzen. Seine Schwächen treten leicht hervor; aber fie find die allgemeinen ber ſcholaſtiſchen Periode, und beruhen zumeift in einer Geſchmacloſigkeit, die durch die Gewohnheit des dialektiſchen pro und contra in allen,- auch ben unbedeutendften Dingen, zur zweiten Natur geworden war und dem Gegenftand inhärent erfcien. Ebenſo erkennt man bei einigem Wohlwollen auch bald die guten Züge in dem Prodmium, das tüchtige Streben, überall gewiffenhaft, mit Umgehung feiner Schwierigkeit, namentlich feines Widerſpruchs, der von der heiligen Schrift aus erhoben werden fönnte, die kirch⸗ liche Lehre, den Text des Lombarden 2c. zu erörtern und zu be— währen. Auch diefe befjeren Merkmale des analyfirten Stüdes find zunächft als in der Zeit liegende, allgemeine Vorzüge ber fchos faftifchen Art anzufehen. Das Individuelle in dem Denken Bo: naventura's tritt in diefem Abfchnitte noch nicht hervor.

In den nachfolgenden Stüden, wo der Tert der Sentenzen dem Commentar Bonaventura’8 zu Grunde liegt, ift die Methode diefe. Zuerft beginnt Bonaventura eine Expofition des Textes, wobei denn auch die Anordnung und Folge der Diftinctionen vertheidigt wird. Dann greift der Commentar einige Säge heraus, bie ſchein⸗ bar faljch find oder der Erläuterung bedürfen. Wenn diefe Säge

Bonaventura als Dogmatiker. 101

zurecht gebracht find, folgt articulus I, der den Text zu erldu⸗ tern und weiter in's Feine auszufpinnen hat. Im Eingang jedes Artilels werden die notwendigen Fragen, die ſich aus der Materie ergeben, aufgeftelit, felten mehr als vier. Diefe Fragen, die Unters abtheilungen der Artikel, werden dann von verſchiedenen Geſichts⸗ hunften pro und contra beantwortet und die Concluſion gibt die endgüftige Entſcheidung des Commentars, genau nad der Weife des Probmiums.

Die erſte Diſtinction des zweiten Buches der Sentenzen hat in ihtem erſten Stück zu zeigen: es ſei ein Princip der Dinge und nicht mehrere, und dann im zweiten Stüd die Beweggründe zur Schöpfung zu entwideln. Dies alles thut der Lombarde auf beis nahe drei Seiten.

Nun folgt eine Expofition des Textes. Dann fragt Bonaven» tura in der erften dubitatio, ob die Reihenfolge der erften beiden Bücher denn richtig fei, ob man nicht vielleicht erft von den Crea—⸗ turen, als von dem Bekannteren Hätte reden müffen und dann von der Trinität. Es folgen noch vier andere Einwürfe. Dann fommt Artifel I von dem Hervorgang der "Dinge in's Dafein, und zwar Trage 1: ob die Dinge ein Caufalprincip haben. In ſechs Sägen wird dies mit Hülfe ariftoteliicher Citate bejaht, in fünf anderen - mit Beziehung auf denfelben Ariftoteles verneint; in der Eonclufion - wird entjehieden, daß die Welt ſowohl als Ganzes als auch nach ihren inneren Principien aus Nichts gefhaffen fei. Auf fehr ver- ftändige Weife wird diefe Behauptung den vier Hauptirrthümern gegenüber feftgeitellt *). Hierauf geht er zu einer zweiten Frage über: ob die Welt von Ewigkeit oder aus der Zeit geichaffen fei. Zuerft wird das ‘oppositum behauptet und bie Erſchaffung ex tempore in fünf Sägen geleugnet, aber in ſechs nachfolgenden

a) Fur bie Frage, wie weit Bonaventura mit Ariſtoteles bekannt geweſen, tommt biefe Aeußerung mit in Betracht: „Utrum (Arist.) posuerit ma- teriam et formam factam de nihilo, hoc ego nescio; credo tamen, quod non pervenit ad hoc; ..... ideo et ipse defeeit, licet minus, quam alii.“ Und in einer, in anderer Beziehung intereſſanten Stelle fährt er fort: „Ubi autem peritia philosophorum defecit, sub- venit nobis sacrosancta scriptura.“*

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aus den Vätern gefchöpft Hat, weshalb man nach Ariſtot. Ethil I, 4 ihm die Autorſchaft abftreiten kann. Aber ein Contra fagt: „Gott Hat da8 Werk der Sentenzen doch nicht mit feinem Finger gefchrieben, fondern hat einen andern Lehrer dazu gebraucht“, fo geräth man auf den Lombarden; ferner fagt der Lombarde ſelbſt: „mit vieler Mühfel und mit Schweiß Habe ich diefes Werke mi Hilfe Gottes volfendet*. In der Conclufion wird erft der Unter ſchied zwiſchen einem bloßen Schreiber, einem Compilator, einen Commentator und einem Verfaffer ſcharfſinnig beftimmt. Der Lombarde fei nur als ein Verfaffer (auctor) zu bezeichnen. Zwiſchen dem Meifter Chriftus und dem Meifter Peter fei ein ähnlicher Unterfchied wie zwifchen einem, der uns das Geficht wiedergibt und einem andern, ber uns die fichtbaren Dinge mit feinem finger zeige. Die letztere befcheidene Rolle müſſe dem Lombarden ver: bleiben. ö ö .

So viel von dem Prodmium zu den großen Commentarien über die Sentenzen. Seine Schwächen treten leicht hervor; aber fie fint die allgemeinen der feholaftifhen Periode, und beruhen zumeift in einer Geſchmacloſigkeit, die durch die Gewohnheit des dialektiſchen pro und contra in alfen,- auch ben unbedeutendften Dingen, zut zweiten Natur geworden war und dem Gegenftand inhärent erfcien. Ebenfo erfennt man bei einigem Wohlwollen auch bald die guten Züge in dem Brodmium, das tüchtige Streben, überall gewiſſenhaft, mit Umgehung feiner Schwierigfeit, namentlich keines Widerſpruchs, der von der heiligen Schrift aus erhoben werden könnte, die fird- liche Lehre, den Text des Lombarden ꝛc. zu erörtern und zu be währen. Auch diefe befferen Merkmale des analyjirten Stüdes find zunächſt als in der Zeit Tiegende, allgemeine Vorzüge der ſcho— Taftifgen Art anzufehen. Das Individuelle in dem Denken Bo naventura's tritt in diefem Abfchnitte noch nicht hervor.

In den nachfolgenden Stücen, wo der Tert der Sentenzen dem Commentar Bonaventura's zu Grunde liegt, ift die Methode dieſe. Zuerft beginnt Bonaventura eine Expofition des Textes, wobei denn aud die Anordnung und Folge der Diftinctionen vertheibigt wird. Dann greift der Commentar einige Säge Heraus, bie ſchein⸗ bar falfch find oder der Erläuterung bedürfen. Wenn diefe Säge

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zurecht gebracht find, folgt articulus I, der den Text zu erläu⸗ tern und weiter in's Feine auszufpinnen hat. Im Eingang jedes Artilels werden die nothwendigen ragen, die ſich aus der Materie ergeben, aufgeftelit, felten mehr als vier. Diefe Fragen, die Unters obtheilungen der Artikel, werden dann von verfchiedenen Geſichts⸗ punften pro und contra beantwortet und die Concluſion gibt die endgüftige Entfcheidung des Commentars, genau nad ber Weife des Probmiums.

Die erſte Diſtinction des zweiten Buches der Sentenzen hat in ihrem erſten Stüd zu zeigen: es ſei ein Princip der Dinge und nicht mehrere, und dann im zweiten Stüd die Beweggründe zur Schöpfung zu entwickeln. Dies alles thut der Lombarde auf bei⸗ the drei Seiten.

Nun folgt eine Exrpofition des Textes. Dann fragt Bonaven- tra in der erften dubitatio, ob die Meihenfolge der erften beiden Bücher denn richtig fei, ob man nicht vielleicht erft von den Crea⸗ turen, al® von dem Befannteren hätte reden müfjen und dann von der Trinität. Es folgen noch vier andere Einwürfe. Dann fommt Artikel I von dem Hervorgang der Dinge in's Dafein, und zwar Frage 1: ob die Dinge ein Caufalprincip haben. In ſechs Sägen wird dies mit Hülfe ariftotelijcher Citate bejaht, in fünf anderen

mit Beziehung auf denfelben Ariftoteles verneint; in der Concluſion

wird entjehieden, daß die Welt ſowohl als Ganzes als aud nach ihren inneren Principien aus Nichts gefchaffen fei. Auf fehr ver- ftändige Weife wird diefe Behauptung den vier Hauptirrthümern gegenüber feftgeftellt *). Hierauf geht er zu einer zweiten Frage über: ob die Welt von Ewigkeit oder aus der Zeit gefchaffen fei. Auerft wird das oppositum behauptet und die Erſchaffung ex tempore in fünf Sägen geleugnet, aber in ſechs nachfolgenden

a) Für die Frage, wie weit Bonaventura mit ciftoteles bekannt geroefen, lommt diefe Aeußerung mit in Betradit: „Utrum (Arist.) posuerit ma- teriam et formam factam de nibilo, hoc ego nescio; credo tsmen, quod non pervenit ad hoc; . .. ideo et ipse defecit, licet minus, quam ali.“ Und in einer, in anderer Beziehung intereffanten Stelle führt er fort: „Ubi autem peritia philosophorum defecit, sub- venit nobis sacrosancta scriptura.‘“

ior J Sollenberg

Voftionen wird dieſelbe wicderum behamptet und“ mit Hulfe bei Ariftotele bewicſen. Die Eonelufion befagt dann, daß die Welt weil fie ans Nichts entftanden, vom Ewigkeit her erfhaffen fei aber nur nach der Willensbewegung des Principe, nicht der natür lichen Ausführung deſſelben. Runmehr folgt ein Artikel II Abe die Einheit des Weltprincips. Die erfte Frage ift: ob die Ding von mehreren Principien hervorgebracht feien. Es wird biefe Frag erft bejaht, durch Herbeiziehung der Manichäer und ſolcher bibliſche Spräde, wie vom Fürften diefer Welt, Gott diefer Welt, von Geſetz in den Gliedern u. f. w., im Ganzen durch ſteben Sätze uun aber folgt das Gegeutheil, es wird geftügt durch oh. 1 „Alle Dinge find durch [das Wort] gemacht“, durch Sprüche, wie „Mir ift gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“, un andere Gründe. Die Concluſio bleibt auch bei der Einheit de Brincips und widerlegt die Manichäer ausführlid. Die ziveit > Zrage ift, ob das einheitliche Princip alles aus ſich gefhaffen ode durch Wermittlung eines Andern. Das Letztere ſcheint Anfang! erwieſen zu werden; es wird gefolgert aus der Freundlichkeit un ans der Hoheit des Schöpfers, daß er einem Anderen nicht bio Kräft gegeben, fondern aud) die Fähigkeit des wahrhaften Schaffens - namentlich der Heineren Dinge. Aber vier Gäge erheben fid ba gegen, worunter der, daß aus ber ausichliegfichen Liebe, die wi zu Gott haben follen, ſchon die Undenfbarfeit eines anbermeitiger Schöpfers folge. Und fo ftellt auch die Coucluſio feft, daß Got als reine THätigfeit (actus purus) und die zureichende Urſach aller Dinge, Alles unmittelbar hervorgebratht Habe. Der Iekt (dritte) articulus Handelt fiber das Weſen des Schopferprincipe (De ente et quidditate prineipii producentis) und ftellt zuerf die Frage auf: ob man bie Schöpfung als Veränderung begelchner müffe (motus und mutatio gehen immer ineinander über). Di Pro und contra bfeiben duufel, die Concluſion aber fagt, Daß di Schöpfung eine Veränderung fei, in der Dinge eine Beftimmtheil haben, die vorher gar feine hatten (denn die Schöpfung ift ex nihilo) °)

e) „Crestio est mutatio in qua res aliquo medo se habemt et nullo modo prius, cuius terminus est tota rei 'substantia.“

Bonaventura als Dogmatiter. 108

Die zweite quaestio #t: Ob die Schöpfung eine Vermittlung zwiſchen Schöpfer und Gefchöpf fei. (An creatio dicat medium inter ereatorem et creaturamf.) Dies wird in fünf Sägen bejaht; e8 folgen aber. fünf contra. Die Concluſion behilft ſich fo gut es geht: die Schöpfung als Handlung (actio) ift eine Der- mittlung zwiſchen Schöpfer und Gefchöpf, doch nur für den Ge daufen (secundum rationem praecisam tantum), die Schöpfung (ds passio, als gejegte) ift aud in biefer Beſchränkung keine Sermittfung.

Der zweite Theil der erften Diftinction des zweiten Buches handelt im Allgemeinen von der Beſchaffenheit des Menſchen, in Bezug auf den Endzweck, zu dem er erfchaffen ift. Die Expo- ftion des Textes und die dubia folgen. Der erfte Artikel ſtellt wert die Frage auf: ob von der erften bewirkenden Urſache eine Werheit von Dingen habe ausgehen müffen oder fünnen. Bier Gründe ſcheinen dagegen zu entſcheiden, die Vielförmigkeit fcheint dem einheitlichen Princip, die Gegenfäge zwiſchen Gutem und Böfen dm guten Princip zu widerfprehen. Aber es folgen vier contra, die Höhere Subftanz ift au in höherem Mage diffufiv, communi- tin, cognitio; je einfacher fie ift, defto gewaltiger, je früher, deſto univerfaler wirffam. Die Conclufion jagt ähnlich: das anfängliche Prineip aller Dinge hat die Erſchaffung einer Fillfe von Dingen nicht nur zum Gegenftand feines Denkens, fondern auch feines Wollens gemacht. Dann wird in der zweiten quaestio gefragt: ob die Geſammtheit der Dinge unterfchieden werden könne in die geiftigen, die förperlichen und die geiftig=förperlichen (ex utraque media). Gegen die Annahme körperlicher und gemifchter Dinge erheben ſich mehrere Schwierigkeiten, ja auch das Dafein rein geiftiger Weſen ſcheint der Natur zu widerſprechen. Aber vier contra jhügen bie obige Dreitheilung, fo zeigt fih die Macht Gottes in der Er- ſchaffung entgegengefegter Dinge und in deren Verbindung; ähnlich iſt es mit der Weisheit und Güte Gottes. Und die Concluſion Seit dabei. .

Der zweite articalus behandelt erft. die Frage: ob Gott zu feinem Ruhm oder zum Nugen der Dinge die Dinge felbft hervor⸗ gebracht Habe. Hier wird nicht das oppositum, fondern die Mei-

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nung des Bonaventura zunächft in bier: Punkten erfoiefen, nämlich daß. der Ruhm Gottes der Zweck der Ereatur fei; zwar folgen noch vier Einwürfe, aber fie find ſchwach und das Reſultat ift: Die vorzüglichere Urſache der Geſchöpfe ift der Ruhm des all- mächtigen Gottes, der zwar nicht gemehrt, aber doc geoffenbart und mitgetheilt werden foll, aus diefer Manifeftation des Ruhmes Gottes geht aber auch der Nugen der Creatur hervor. In quaestio 2 wird gefragt: ob der Engel vorzüglider fei ala der Menſch. Die pro und contra werden in oberflächlicher Weife abgemacht. Die Concluſio fagt: Wenn man die Beftimmung der Beiden zur Se figfeit berückſichtigt, find fie gleih, wenn man aber den Adel der Natur betrachtet, fo ift der Engel.höher al der Menſch. Der dritte Artikel will den Unterſchied zwifchen der Geiftigfeit der Engel und ber Menſchenſeele feſtſtellen. Es wird zunächſt gefragt (quaestio 1): ob Engel und Seele in specie verſchieden ſeien. Für die fpecififche Verfchiedenheit fpricht namentlich, daß die menſch⸗ liche Seele das Senfible und Vegetable an ſich hat; für die fpe eififche Gleichheit wird angeführt, daß ſie Beide zu gleicher Selig feit berufen find. Sonderbar vorfichtig fagt die Concluſion, obwohl die Seele, genau geredet, feine Species, fondern nur die Form einer Species genannt werden "dürfe, wird doch gelehrt, daß fie von dem Engel fich fpecififch unterfcheide. Nun wird in der zweiten quaestio in Erwägung gezogen, weldes denn die Differenz fei, durch welche fich der Engel und die Seele unterſcheiden. Das Reſultat ift, daß die Fähigkeit, mit dem menſchlichen Körper fih zu verbinden, den Unterfchied der Seele conftituire.

Doch die vorftehenden Auszüge mögen genügen, von Yonavens tura’8 Weife und damit von einer ganzen Reihe ſcholaſtiſcher Ars beiten. eine annähernde Vorftellung zu geben. Was den dogmas tiſchen Gehalt der Commentare unferes Bonaventura betrifft, fo ift es befannt, daß faft nur in der Lehre von den Sacramenten durch die Scholaftif eine Erweiterung und Entwidlung des Stoffe ftattgefunden Hat, und eben in diefem Punkte aud) Bonaventura noch inhaltlich ein entſchiedenes Intereſſe gewährt.

Bonaventura als Dogmatiker. 108

Das Breviloguinm.

Anftatt aber in Bezug auf die inhaltliche Seite ber Glaubens» lchte von dem fcholaftifchen Gerkft der Kommentare auszugehen, jehen wir es vor, zu dieſem Zwed ein kleineres dogmatifches Werft zu benugen, welches unter dem Namen Breviloquium ein wohl» verdiente Anfehen genießt). Schon Gerjon ftellte das Brevi⸗ loquium (mit dem Stinerarium) an die Spige ber kleineren Shriften Bonaventura’s, und in neuerer Zeit ſchrieb Baum— garten Erufins: „Das Breviloguium ift leicht die befte Dog- matik des Mittelalters‘ (Compendium der chriftlihen Dogmen- gigihte I, 262) B). Es befteht aus zwei Theilen, von denen der erfte prooemium, der zweite tractatus genannt wird. Das Yrebmium hat eine gewiſſe Aehnlichkeit mit dem, was bei ung difah unter dem Titel der Prolegomena oder auch Bibliologie de Darftellungen der Dogmatif vorausgefhidt wird. Es fängt mit einem Gebet aus Ephef. 3, 14 ff. an und fließt an die Stelle „auf daß ihr begreifen möget mit alten Heiligen, welches da. fie die Breite und die Länge und die Tiefe und die Höhe 2c.“ bie Bemerkung, daß Paufus in derfelben den Urfprung (ortum), Fort gung (progressum) und den Beftand (statum vel fructum) ber teiligen Schrift, welche die Theologie genannt werde, enthüllt habe, & ift unmöglich, daß Einer zu ihrem Berftändnig kommt, dem aiht zuvor der Glaube an Chriftus, als an die Leuchte, die Thür und die Baſis der ganzen Schrift eingegoffen ift. Und fo wie der Anfang, fo ift auch der Fortgang in der Heiligen Schrift nicht bedingt durd) die Gefege der Schlußfolgen, Definitionen und Eintheilungen, na der Weife anderer Wiffenfchaften, fondern fie ſchreitet gemäß dm übernatürlichen Lichte fort, um dem Menfchen auf feiner Pilger» ſohtt das nöthige Licht zu geben, fo weit fein Heil dadurch geför— dert wird, fie thut dies zum Theil durch einfache Worte, zum Theil

9) Bir benutzen aufer der Vat. noch die Separat- Ausgabe von Hefele (1845), welche viele Vorzüge beſiht.

b) Shrödh (XXIX, 230) fagt in feiner Weile vom Breviloquium: „, wenn man nur die Erwartungen nach dem Zuftande des Jahrhunderts gehörig herabſtimmt, ein nicht übel gerathenes Bud)“,

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durch myſtiſche. Sie befchreibt den Inhalt des ganzen Univerfum wie in einer Summe, und das ift ihre Breite, fie befchreibt de zeitlichen Verlauf, und das ift ihre Länge, fie beſchreibt die Herr lichteit der Seligen, das ift ihre Höhe, und das Elend der Ber dammten, worin ihre Tiefe und die Tiefe des göttlichen Rathſchluſſe befteht. Alle diefe vier Eigenfchaften werden vorläufig im pro gressus der heiligen Schrift aufgewiefen. Was num den Befton und die Frucht der Schrift betrifft, fo ift als ſolche die Fülle de ewigen Seligfeit zu nennen. Mit der Richtung auf dieje ift di Schrift zu erforfchen, zw erklären und zu hören. Der Gebant wie denn im Einzelnen diefe Frucht zu gewinnen fei, führt ih wieder zu dem Anfang zurück, mo der Epheferfpruch dem Leie zugerufen Hatte, die Kniee zu beugen vor dem Vater unferes Herr Jeſu Ehrifti.

Die ſchon oben angebeuteten vier Eigenſchaften der Schrift werde nun befonders erörtert. Die Breite bejteht in der Menge ihr Zpeile. Das A. T. insbeſondere faßt eine Menge von Bücher in fi, ſowohl (5) legales, (10) historiales, (5) sapientiale als (6) prophetales, im Ganzen 26 Bücher. Im N. T. en fprechen den Gefegesbücern die Evangelien, den Hiftorifchen di Apoftelgefchichte, den Lehrbüchern die Briefe, insbeſondere die paı Tinifchen, den prophetifchen Büchern die Apofalypfe: Diefe vie Theile des U. und N. T.'s follen ſchon bei Ezechiel im der erfte Biſion von der Feuerwolfe mit vier Thiergeftalten angedeutet fein ®

Die Länge der Schrift befteht in der zeitlichen Ausbreitung ihre Inhaltes vom Anfang der Welt bis zum jüngften Tage. In dieſe Ausdehnung find drei Perioden zu bemerken; die erfte Periode he das Geſetz der Natur, die zweite das gefchriebene Gejeg, die brit das Gejeg der Gnade. Sodann wird mit Rüdficht auf die Shi pfungstage noch eine andere Eintheilung in fieben Zeitafter angenon

a) Bonaventura fagt beifäufig, daß man mit Recht die Schrift in A. um N. T. eintheile, nicht in theoretifche und prattiſche Schriften, wie in d Bitofopfie. Denn in der Schrift könne nicht das Keligiöfe und Ethiſc geſondert werben, wicht die motitia reram sive credendorum von dt notitia morum. Den Unterfchieb der beiden Teſtamente könne man fur durch die Worte: Furcht und Liebe, timor und amar, -ausbräden.

Bonaventura als Dogmatiker. 107

men: Adam bis Noah, Noch bis Abraham; Abraham bis David, Darid bis zur babylonifchen Gefangenschaft, von da bis Chriftus, fodann eine große Periode bis zym Ende der Welt, und neben und in der letztgenannten noch die fiebente von der Grabesruhe Chrifti 66 zur allgemeinen Auferftegung. Wie biefe fieben Perioden mit den einzelnen Schöpfungstagen ſtimmen follen, kann bei Bonaven tura weiter erfehen werben ®).

In Bezug auf die sublimitas der Schrift geht er ganz auf bie Anfgauangen bes Ureopagiten von bem verſchiedenen Hierarchien in. Die Tiefe ber Schrift zeigt ſich beſonders in der Vielheit ürer möftifchen Auslegungsweiſe. Denn außer dem buchftäblichen Ein kanu fie am verjchiedenen Stellen noch dreifach erklärt werden, dur Allegorie, quando per unum factum indicatur aliud fa- tum secandum, quod credendum est; bie Tropologie,‘ wenn aus dem factum Ein faciendum, aus einem Hiftorifhen Umftand eine ethifche Anregung genommen wird, die Anagogie, ein Empor führen von der Wirklichkeit zu dem Gebiete ber Sehnſucht.

Wenn er im PBrodmium nod bie Eigenthitmlichleit der biblischen Darftellungsweife in's Auge faßt, fo überſieht er dabei natürlich nicht, daß dieſelbe eine andere fei, als die ſcholaſtiſch- wiſſenſchaft⸗ fihe, infofern fie für die verfchiedenen Beſchaffenheiten der Seelen be wirffamften Mittel zur Seligkeit bereit halten müffe. Damit # ihr bei dieſer Mannichfaltigfeit aber nicht an Gewißheit fehle, Ät ſe nicht durch menſchliche Forſchung, fondern durch göttliche Offenbarung überliefert. Daher iſt nichts in der Schrift als unnütz A verachten ober als falſch zu verwerfen. Der Ausleger muß das Verborgene und Dunffe durch hellere Steffen verdeutlichen, u welchem Ende er die Bibel ihrem Buchſtaben nad) im Gedächt- niß Haben muß. Für die Anwendung der verfhiedenen Auslegungs> teilen werden die Regeln aus Auguſtin (de doctrina chr.) ge⸗ Kommen.

Sodann geht er zu der Abhandlung felbft über, welche in feben Abſchnitten oder 72 Capiteln vollendet wird. Die fieben Abſchuitte Handeln: 1) von der Dreieinigfeit Gottes, 2) von der

) Achaliche Spielereien befäjäftigen ſogar noch Melanchthon.

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Ereatur, 3) von dem Verderben der Sünde, 4) von der Fleiſt werbung des Wortes, 5) von der Guadengabe des heiligen Geift 6) von der facramentalen Heilung, 7) von dem Endgericht. Neihenfolge weicht aljo aicht von dem Gange der Sentenzen ı nur daß einige Punkte mehr zu Hauptabtheilungen benutzt werd

.nämlih 3, 5, 7. In dem Eingang der Abhandlung, wo er bi Mannichfaltigfeit des Inhaltes der Theologie erwähnt, kommt auf einen Gedanfen, den wir fon aus den Gommentaren zu } Sentenzen Tennen, dag nämlich troß biefer Mannichfaltigfeit | Theologie eine einheitliche Wiffenfchaft fei, deren. Subject Gi fei, infofern alle Dinge von ihm fein, Chriſtus, infofern durd ihn fein, das Erlbſungswerk, infofern Altes dar hin gerichtet, da8 Band ber Yiebe, infofern Alles durch diefes v Mnüpft fei. Auch das credibile und intelligibile wird hier einmal genannt.

Von ber Trinität redet er in ber erften Abtheilung im gewöh licher Art. Als Ratio der ganzen Dreieinigfeitslehre erjcheint i da8 Streben des Glaubens, von Gott das Höchſte und Fromm zu denfen; nun würde man fi nicht den höchften Begriff von il maden, wenn man nicht glaubte, daß Gott ſich auf die höchſte! mittheilen könnte, und nicht den frömmften, wenn man glaubte, konne es wohl, aber er wolle e& nicht. Daher fagt der Glau daß Gott ſich auf die höchſte Weife mittheile, indem er von Em keit einen Geliebten und Mitgeliebten habe, und fo fei Gott dr heitlich und einheitlih. Mit dem, was fo rationell ift, ftim auch überall die Schrift. Zur näheren Beftimmung diefer Le dient die Erörterung ber zwei Emanationen (durch die Natur o durch den Willen), der drei Hhpoftafen und der betreffenden 9 lationen: Vaterſchaft, Sohnfchaft, Hauchen, Hervorgang (processi Fügt man zu dieſen vier Beziehungsverhältniſſen der Hypoſta noch die Urfprungsfofigkeit des erften Principe Hinzu, fo hat m eine Ueberficht über die wichtigften. Begriffe der Trinitätsleh Um diefe Lehre katholiſch auszudrüden, hält Bonaventura e& f nöthig, die Worte der Kirchenlehrer, namentlich ihre Logifchen 2 ftinetionen, zu Hülfe zu nehmen. Nach diefen muß man nun v Gott nur das Vollkommenfte ausfagen, alles Andere nur allenfal

Bonaventura als Dogmatiker. 108

ad der Anmehmung der menfchlichen Natur. Bon den zehn Ka- tgorien fönnen 3. B. die fünf legten: passio, ubi, quando, situs, habitus, da fie körperliche veränderliche Dinge angehen, Gott nicht mgeihrieben werden, es fei denn bildlich. Die fünf anderen aber wohl, fo jedoch, daß fie die Einheit Gottes nicht aufheben. Die meiteren trinitarifchen Ausführungen mögen hier Übergangen werben. Bon der Allmacht Gottes, der Weisheit, der Prädeftination und Präfdenz lehrt er ebenfalls das Gewöhnliche, auch in dem Ausdrud entfernt er ſich nur wenig von der ſcholaſtiſchen Terminologie *), hohl er doch im Ganzen den Wald von Worten etwas Lichtet. In der zweiten Abtheilung (De creatura mundi) wiederholt er mädft das, was wir aus dem zweiten Buche der Sentenzen oben mitgetheift haben, dag die Welt ex tempore und nicht ewig fei, di fie aus Nichts und von einem einheitlichen und höchſten Princip sidaffen fei, die entgegenftehenden Irrthümer werden furz widers Int. Hierauf werden die körperlichen Dinge betrachtet und zwar mädt in ihrer Entftehung, wobei dann die Schöpfungsurfunde in etwas Fünftlicher Weife beiprochen wird. In dem nächſten Ca— Aitl werden die körperlichen Dinge nad) ihrem Sein erörtert, vobei die ganze Himmelskunde, wie die phyfitalifchen Vorftellungen dr Zeit in nuce mitgetheilt werden. Darnach ift von der Wirk« fumfeit und den Kräften der Dinge die Rede und der bibfifchen ®hrart über dieſen Punkt. Nun erft geht Bonaventura zu ber Grihaffung der hohern Geifter über, zu dem. Fall derfelben, der Befeftigung der nicht gefallenen Engel, der Erſchaffung der Menſchen⸗ fele und deren Natur, wobei eine kurze pfychologifche Ueberſicht tiugeſchaltet wird, zu der Erſchaffung, Entftehung und Befchaffen- hit des menschlichen Körpers, wobei bei der urjprünglicen Aus— fiftung deffelben einen Augenblid verweilt wird. Die Anthropologie wird fodann abgefchloffen durch die Reflexion auf die Totalität des 9) & lommt 4. ®. folgender" elegante Sat vor: „Licet divins sapientia, ratione diversitatis scitorum et connotatorum diversa sortiatur vo- cabula, non tamen diversificatur secundum rationem intrinsecam. Cognoseit enim contingentia infallibiliter, mutabilia immutabiliter, futura praesentialiter, temporalia aeternitaliter, dependentia inde- pendenter, creata-increate, alia a se in se et per ge.“

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Menfchen als ein aus -Leib und Seele beſtehendes Ganzes. Ueb gens .erreicht er bei weitem nicht die wahrhafte Einheit diefer bei Theile, nur das ift anzuerkennen, daß er -Chriftum mit in die Einheit ſchaut und ihn mit Rückſicht auf ein doppeltes Bud) Gott eine innere Manifeftation und eine äußere, nennt: ein liber int et foris scriptus. Bei feiner atomiftifcgen Anficht vom Dienfc ift e8 denn nicht zu verwundern, daß er in Bezug auf die tol Ausrüftung des paradiefifhen Menſchen die katholiſche Lehrw vom superadditum genau befolgt.

Im dritten Theile des Breviloguium wird zunächſt von b Urfprung des Böfen im Allgemeinen gehandelt, bierauf von Berfuhung im Paradiefe, dem Fall und der Strafe. Yon Erbſunde lehrt er unter anderm, daß, wenn ein Mind zu derfel noch feine Thatfünde hinzugefügt habe und dann fterbe, es mit finnfiher Strafe in ber Hölle geftraft werde (sensus poe in gehenna non debetur), und eine entgegenftehende fireng Anfiht Auguſtin's fuct er aus dem, Streit deffelben gegen pelagianifchen Irrthümer zu erklären und zu entfräften. In de felben Zufammenhang zeigt e8 ſich, daß er das von dem Fran Tanern fpäter fo fehr begünftigte Dogma von der unbefledten E pfängniß der Maria nicht gehabt Hat, denn er nimmt an, daß böje Begierde der Maria bei der Empfünguiß des Sohnes Got durch eine befondere Gnadenwirkung getilgt worden ſei.

In dem vierten Theil, der von der Sleifchwerdung des Soh Bandelt, . fommt Bonaventura zunächſt auf einige thörichte Fra über die Angemeſſenheit diefer Incaxnation. Er ſpricht ſode von dem opus, modus und tempus der Fleiſchwerdung ſell Als opus geht ſie von der Trinität aus und iſt ein Annehn (assumtio) des Fleiſches von Seiten der Gottheit und eine Einigu (unio) der Gottheit mit dem Fleiſch. Diefe Einigung geſchi nicht in der Einheit der Natur, fondern der Perfon, nicht als e Einigung der menfchlichen Perfon, fondern der göttlichen, nid | angenommenen, fondern der annehmenden, nicht einer beliebig Perfon, fondern der Perfon des Logos allein, in welcher die Ei gung fo groß ift, daß, was immer vom Sohne Gottes gefagt wi vom Menſchenſohn gefagt wird und umgelehrt. Dieſe nothwendi

Bonaventura als Dogmatiker. 111

communicatio idiomatum tritt nur dann zuruck, wenn es ſich um ein Wort Handelt, das ein Widerfprechendes in fi ſchließt, vie z.B. die Beziehung der Einigung einer Natur mit der andern: timgen, annehmen und angenommen werden, oder eine Negation, wie z. B. anfangen, erjchaffen werben ac.

Ueber den modus der Fleiſchwerdung bringt Bonaventura erft die Geſchichte der Verkündigung bei und ſchließt daran, wie gemöhn- fi, mehrere rationes, von denen ſich eine auf die Frage bezicht, warum fich bei der Incarnation Gott, Engel und Menſch betheis figt Hätten. Sodann wird Gal. &, 4 „als die Zeit erfüllet war“ beſprochen. Sehr gut wird zu ber Fülle der Zeit. auch die alle nahliche Einftcht der Menfchheit in das Sündenverderben gerechnet md die päbagogifche, Bedeutung des Gefeges erfannt *). Auch die uffianifche Hoffnung weiß Bonaventura zu würdigen, wenn auch niht ganz genügend nad) ihrer fubjtanziellen Seite in dem aufs febenden Menſchengeſchlecht. In demfelben Gedankengange ſpricht wand) von einer Incarnation ohne Rückſicht auf die Sünde, als von einem Wortgang der Werke Gottes vom Unvollfommenen zu dem Volllommenſten, nach der Achnlichkeit des Sechstagewerles, an deſſen Schluß ja auch der Menſch in feiner Zier erichien, dod hat @ ſich dieſen Gedanfen nicht deutlich gemacht und geht ſogleich wieder in dem gewöhnfichen Zufommenhang der Menfchwerdung mit der Sünde ein.

Mit Wärme: und Beredfamleit erwägt Bonaventura ſodann die Fülle der Gnadenkräfte und Gaben in Ehrifto, zunächſt der cha-

3) „Sic debuit Deus genus humanum reparare, ut salutem inveniret, qui vellet quaerere salvatorem, qui vero nollet quaerere salvatorem, nec salutem per consegüens inveniret. Nullus autem quaerit me dicum, nisi recogtioseat morbum; . .. Quia igitur homo in prinv cipio wui lapsus adhue superbiebat de seientia et virtute, ideo prae+ misit deus tempus legis naturae, in quo comvinceretur de ignorantie, et post, cognita ignorantie, sed permanente superbia de virtute qua icebant: ‚non dest, qui faciat, sed deest qui jubeat‘, addidit legem praeceptis moralibus erudientem et caerimonialibus aggra- vantem, ut habita scientia et cognita impotentia, confugeret homo ad divinam misericordiam et gratiam postulandam, quae data est nobis in adventu Christi“

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rismata in affectu, feine Sündlofigfeit, feine mittheilende Wirt famteit als die Wirkfamkeit des Hauptes auf die lieder *). So bann vebet er von der Fülle der Weisheit und Erfenntniß Chriſt endlich von feinem Verdienſt und deffen Folgen.

Endlich ſpricht er in drei Capiteln noch von dem Leiden Chrifti die trodene Sprache wird hier mehr als fonftwo von dem leber digen religiöfen Gefühl durchbrochen. Die Schlußerörterung übe den Ausgang und Gewinn des Leidens führt von felbft auf de fünften Teil: Bon der Gnadengabe des Heiligen Geifte: Die Gnade wird zuerſt als ein Gefchent Gottes gefaßt, dann al eine Unterftügung des freien Willens, drittens als ein Heilmitt der Sünde; Bonaventura fucht fi durch die gewöhnlichen Formel vor den Beſchuldigungen des Pelagianismus zu ſichern.

Er geht num zu ber Art über, ‚wie fi die Gnade ausbreit und verzweigt (ramificatur) in allerlei Tugenden, Gaben ur Seligfeiten. Der Tugenden unterſcheidet er fieben, drei tHeofogifch Glaube, Hoffnung und Liebe, und vier Cardinaltugenden: Weihe (prudentia), Mäßigfeit (temperantia), Zapferfeit und Geredti keit. Er weiß wohl auseinanderzufeßen, wie aus ber einen Gnal doch fo Mannichfaltiges ſich entwidele und wie dann doch in allı diefen Tugenden auch wieder eine Einheit fei und ein enger Zi fammenhang. Und mas die obige Dreitheilung in habitus vii tutum, donorum und beatitudinum betrifft, fo fagt er, wie im theoretif—hen veligiöfen Gebiet drei Stufen gebe: Glauben, de Geglaubte erkennen, und das Erkannte ſchauen, und auf der erftt Stufe die Seele zurechtgebracht, auf der zweiten befreit, auf d dritten vollendet werde, fo verhafte es fi auch mit der Unte Scheidung der Tugenden, Gaben und Geligfeiten.” Was nun in befondere die habitus donorum anlangt, fo will Bonaventui fieben Gaben des Heiligen Geiftes mit Rückſicht auf Jeſ. 11, nadjweifen. Diefe Gaben werden dann in ihrem Werth betracht

8) Sonderbar bringt er die allgemeine Wirlſamkeit Ehrifti auf die Menſche welche feiner Erſcheinung vorgingen und nadjfolgten, mit dem Spru Matth. 21, 9 im Verbindung: „Das Volt aber, das vorging ur nachfolgte, fchrie und ſprach: Hofianna, dem Sohne Davids.” Gerade etlärte ſich ſchon Otfried in der Evangelienfarmonie.

Bonaventurn als Dogmatiter. 18

gegenüber den Verkehrtheiten ber Laſter, den Kräften der Natur, den Zugenbpflichten, im Leiden, Haudeln und in der Betrachtung. Aud der Seligkeiten find nach der Bergrede fieben, für welche Sichenzahl er in ſcholaſtiſcher Art mehrere rationes aufführt. Zu den fieben Seligfeiten treten dann noch zwölf Früchte des Geiftes nah Gal. 5, 22 und die sensus spirituales, Anſchauungsweiſen des Göttlihen, welche in ihren Stufen endlich wie die Jakobsleiter an den Himmel reichen, wo dann zufegt die Seele ihren herrlichen Bräutigam findet, „welchen aud die Engel ygefüftet-zu fchauen“,

und zu Sem ſich das Gemitth beſtindig ſehnt, wie der Hirſch ud friſhem Waffer.

Unterbeffen aber ift es erforderlich, daß eine Hebung in der Gnade‘ fintrete, erften® in Bezug auf den Glauben; hierbei fommt ber Glaubensgehorfam gegen die articuli fidei in Betracht, ja gegen "Ne ganze heilige Schrift (quia auctoritas prineipaliter residet ih sacra scriptura). Die zweite Mebung findet in Bezug auf bie Fiebe ftatt; die dritte in Bezug auf das Thun und die daſſelbe tegelnden Geſetze und consilia. Hiebei wird das mofaifche Gefeg und die Erfüllung deſſelben in fieben Nummern in Betracht gezogen. Eine vierte Uebung der Gnade bezieht ſich auf die Gegenftände der Üitte und des Gebetes, wober natürlich auf das Baterunfer über- gegangen wird. Nach dem bei Bonaventura fo Häufigen Gegenſatz wiſchen dem Pilgermege und der Heimath- bezeichnet er die drei erften Bitten des Baterunfer als ſolche, welche ſich auf das prae- mium patriae, bie vier anderen als ſolche, melde ſich auf da viaticum viae beziehen. “Eine meitere Ausführung diefer Gebanten fan hier nicht erwartet werben.

Der fechfte Theil des Breviloquiums ift überſchrieben: „Von der. fürramentafen . Heilung“ (De medicina sacramentali). Die Der fnition des Sacraments ift nicht von der gewöhnfichen verjchieden. Die Sacramente find repräfentirend vermöge ihrer similitudo iaturalis, fie find bedeutfam vermöge ihrer göttlichen Einfegung, md theifen geiftlihe Güter und Heilung mit vermöge ifrer sanctificatio. Es fehlt nicht an Anklängen an die innerliche Auffaffung ber Heiligen Handlungen; fo verneint er es ausdruüdlich, daß die Gnade in den Sacramenten fubftanziell enthalten fei und

Vol. Stud. Jahrg. 1868. 8

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eaufal gewirkt werbe, weil die Gnade allein im der Geele wol und von Gett allein amsfließe, es müfje im den Sacramenten ı durch diejelben die Heilung der Seele von dem hechſten Arzt Chrift wurf göttlichen Befehl genommen werben, ebwohl Chrifins feine Gie sicht an die Sacramente gebunden Babe.

Yonaventura fügt eine wicht ganz correrte Ueberficht über altteftamentfichen Analoga der Sarramente hinzu und erörtert da die Zahl und den Unterſchied der Garramente feiner Zeit. 9 fünnigften iſt in diefer Beziehung die Bergleihung der Sacramıtı mit den Tugenden. Weil nämlich die Sacramente Heilmittel fir die Geſundheit der Serfe aber im den drei theologiſchen und d Cardinaltugenden hervortritt, jo muß eine innere Verknüpfung v vornherein wahrſcheinlich genannt werden. Im Einzelnen dispon die Taufe zur Tugend des Glaubens, die Zirmelung zur Ho nung, die Euchariſtie zur Liebe, die Buße zur Gerechtigkeit, | legte Delung zum Ausharren, welches die Ergänzung und Sum der Zapferfeit ift, die Ordination zur Weisheit, die Ehe ; Bewahrung der Müßigkeit. Dagegen ift es fehr zu verwunder durch welche Berdrejungen er dazu fommt, die ſammilichen eramente auf die Einfegung durch Chriſtus zurüdzuführen. Daı fteht Bonaventura noch gebundener da, als fpätere Kiechenlchr weiche der gewöhnlichen Ehtlichteit foweit Gehör geben, daß jie | Kirde in Bezug auf die Einfegung der Sacramente eine größe

- Auctorität beilegten. Ueber die Verwaltung der Sacramente (ef er das in der latholiſchen Lehre Gewöhnfiche; die intentio im Au theiler ift erforderlich, außerdem meift der ordo sacerdotalis, | der Firmelung und der Ordination fogar der ordo pontifical Jutereſſant ift, was er darüber bemerkt, daß außerhalb der Kird bei Ketzern 2c., aud die wahren Sacramente nichts fruchten. ( folgert daS aus einem fichern Grundfag, daß außerhalb der © meinſchaft des Glaubens und ber Liebe, welde uns zu Sinde und Gliedern der Kirche mache, kein Heil ‚sei Um aber die Au hebung der facramentalen Wirkungen außerhatb der Kirche nic ganz ohne Erklärung zu laffen, wiederholt er eine Vergleichung di Sarramente mit den vier Paradiefesftrömen, bie Auguftin in feine Streit gegen bie Donatiften aufgeftellt hatte. Obwohl nämlich die

Bonaventura al Dogmatifer, 18

Ströme auch nach Mefopotamien und Egypten fließen, fo iſt bad nirgend die ſelige Fülle, als im Paradiefe.

Sodann wird voch der Reihe nach über bie ategeität der Sa⸗ ccamente geſprochen. Am wichtigſten "ft, was er in Cap. IX über die Integrität des heiligen Abendmahles bemerkt. Das fei feftzuhalten, dab in diefem Sacrament Chrifti wahrer Leib und wahres Blut nicht blos bezeichnet werde, fondern wahrhaft enthalten fei, unter der doppelten Geftalt won Brod und Wein, nicht als in, einem doppelten Sacramente, fondern in einem einzigen, Sobald bie Ein» fegungsworte mit der intentio conficiendi nom Priefter gefprochen fien, geht die Verwandlung der Elemente var ſich. Die finnenfällige Geftoft bleibt, im ihr iſt Ehriftus auf faccamentale Weife ganz *). & wird und als Speife vorgelegt (proponitur), und wer fie vürdig empfängt und nicht blos auf facramentale Weiſe, ſondern ud in Glauben und Liebe ihm geiftlich iffet, der wird dadurch mehr dem myſtiſchen Leibe Ehrifti einverleibet (incorporatur) und in ſich felbft wieder hergeftellt und gereinigt d). Denen, die ſich noch wenig würdig und rein an Leib und Seele fühlen, oder wenig fromm, väth er die Heilige Handlung aufzuſchieben. "

Hier wird es angemeffen fein, aus Bonaventura's Commentar über die Sentenzen noch Einiges beizubringen.

Lib. IV, dist, 8, art. 2, 1 hebt Bonaventura mit Hugo a ſancto Victore hervor, daß in der Euchariſtie breierlei vorhanden fä: die fichtbare Geftalt, der wahre Leib Chriſti und. der myſtiſche Leib deffelben. Diefe Unterſcheidung dient wenigftens dazu, bie behte zu ftügen, doß auch die Böfen den wahren Leib Chriſti em⸗ pfangen. Bol. dist. 9, art. 2, 1. Die Schuld, die dieſe da⸗

a) „In quarum utraque continetur totaliter non eircumseriptibiliter, nec

loealiter sed sacramentaliter totus Christus.“

b) In der nachfolgenden Erörterung heißt es noch auebrüdfich: „quoniam ca- pacitas nostra ad Christum efficaciter suscipiendum non est in carne, sed in spiritu, non in ventre sed in mente, et mens Christum non attingit nisi per oognitionem et amorem, per fidem ei charitatem ... ideo ad hoc, quod eliquis digne accedat, oportet quod spiritualiter comedat.

8.

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durch auf' ſich laden, hebt Bonaventura mit: Marten Worten

hervor ®).

Der Lombarde eifert IV; 9 gegen bie Häreſie, als ob hei „dem Abendmahl der Leib Chriſti nur in ber Art eines Zeichene fin signo) auf dem Altare vorhanden fet, und fucht biefe „hae- resis modernorum“ befonder des Scheingrundes zu berauben den fie aus Joh. 5: „Das Fleifh ift fein nütze“ zu nehmen pflegten. Bonaventura pflichtet dem Lombarden überall bei unt erhärtet, daß der Leib Chrifti veraciter vorhanden fel. Die Un möglichkeit läßt er um fo weniger gelten, als ja nicht Chriftus zum Behufe diefes Geheimniſſes geändert wird, fondern die Elemente Und wenn man entgegne, Chrifti Körper habe eine auf ben Himme begrenzte Eriftenz, fo fei das wahr, was die natürliche Erijten angehe, nicht aber in Bezug auf die Kraft, andere Körper in fid zu verwandeln. Durch diefe übernatürliche Kraft wird ‘er überall wo etwas Anderes in ihn verwandelt wird.

Bonaventura behauptet nicht allein, dag Chriftus wahrhaft ir Abendmahl fei, fondern auch, daß er nach feiner natürlichen Größ (secundum suam naturalem quantitatem) vorhanden fei. Sein Gründe anzugeben, wird man mir gern erlaffen. Große Verlegen heit macht nun das Verhältniß der propria dimensio zur Dimenfio der Hoftie, ein Wort wird indeß gefunden, „Chriftus ift nid dimensive im Abendmahl vorhanden“.

8) Freilich teitt ſelbſt bei Bonaventura in biefem Punkte eine Abftumpfun des Gefühle für das Heilige hervor; fo fagt er: „Qui projiceret corpu Doꝛ sterquilinium, 'gravissime peccaret; sed non est main

sterquilinium, quam homo peccator, ergo etc.“ Sierbei gebe ich zu gleich eine Probe von den Verſen, in welden ein Unbelannter in, feine „sententiae sententiarum * (19 SS. Fol.) den Inhalt jeder Diftincrio austrädt (IV, 9): „Sumere crede malos corpus Christi pretiosum Hisque salutiferum non est sed perniciosum, Digne sumentes sunt fructum percipientes Spiritualiter hi, sacramentaliter illi. - Est sacramentalis modus unus, spiritualis - Est melior, sine quo praesumes sumere pecco.“ Daß diefe Reime dem Bonaventura fälſchlich zugeſchrieben werben, ift fon lange erfannt worden.

Bonaventura als Dogmatifer. \ 117

Während. der Lombarde behguptet hatte, daß ein außer der airche ſtehender Prieſter die Brodverwandlung nicht zu Stande bringe (eonfieere), lehrte Bonabentura, wie bie meiſten Commentatoren, das Entgegengeſetzte *). Im Diſtinction XII beginnen die berüdhr figten ſcholaſtiſchen ragen, welde das communicirende Subject betreffen. Die erite Frage des zweiten Artifels ift: „An corpus Christi trajieiatur-in ventrem müris.“ Obwohl Bonaventura fih fomit auf dergleichen Vorwitz einläßt, fo ift doch anzuerkennen, dab ihm noch mehr Sinn für das Schicliche geblieben ift, als den meiften Anderen; gleich die erfte Frage beantwortet er, gegen bie Entſcheidung feines hochverehrten Lehrers Alerander, mit einem Nein, weil der Leib-Chrifti eben nach Heiliger Ordnung für den Menſchen beitimmt. fei, nicht für fonft Jemand. Die zweite Frage: „an corpus Christi descendat in ventrem hominis“, an-welce ſich mderweitig noch unangenehmere Fragen angelehnt haben, übergehen bir hier ebenfalls ®), und, verlaffen überhaupt bie Geutenen, um zum Breviloquium gurüczufehren. .

In diefem folgt nach der Erörterung der Euchariftie im 10, Capitel des ſechſten Theils die Buße, im UIten die letzte Oelung, im 12ten bie Prieſterweihe, im 13ten die Ehe. Etwas Eigenthümliches tritt in diefen Abjchnätten nirgend hervor, die Einfachheit der Behand- lung aber, welche Yon: der fonftigen ſcholaſtiſchen fo wohltguend obfticht, verdient dem Heinen Buche alles Rob.

Der letzte ober fiebente Theil des. Breviloquiums handelt von dem eschatologiſchen Problem. Daß ein Tag des Gerichte kommen werde, an welchem die Eröffnung der Bücher, d. i...der Geiviffen, fattfinde, iſt ihm gewiß. Vorher tritt fthon für die Seelen der Gerechten, bie mit nicht volfgüftiger Buße geftorben find, eine Strafe

3) Im ſolchen Stellen brirfgt mar gewöhnfich am Rande an: „Hic magister

mon fanetur. B '

b) Die Entfcheidung ift diefe: „Corpus Christi descendit in stomachum ad sumptionem sacramenti, et quamdiu stant species (als Brod und Beim) ibi stat, et si species evomuntur, eucharistia quoque evomitur, ut putatur probabiliter.“ Bei ber Taufe find die Erörterungen reiuer gehalten ; dod) lommt aud) dort die Frage vor: „an aliquis possit ba- pticari in utero‘“, was von Bonaventura verneint wird.

Sollenberg

Fegefeuers ein, in welchem fie gequält iverden secundum plus minus, je nachdem fie mehr oder wenig Verbrennliches aut am Leben mitgenommen haben. Ebenfo gehen dem Gericht jer die suffragia eeclesiastica, die Opfer, Faſten, Almofen sete und freiwillige Büßungen, welche die Kirche zum Befte im Fegefeuer Befindlichen verwendet dazu. kommen nod di ragia ‚der Heiligen. Dem: Gerichte gleichzeitig iſt ſodann bi löſung unferer Welt durd; das Feuer und die Verklärung der m, in&befondere auch ber Menjcenwelt*). Das Feuer def Bonaventura als ein Zufammenwirken des irdiſchen euer: dem Fegefeuer und dem Feuer der Hölle.

Ein zweites gleichzeitiges Ereigniß ift die Auferftehung ber Leiber eine alfgemeine ift. Die Guten’: erhalten ihre Leiber wieder * befreit von allem Abnormen, fo daß die echte Natur zum fein kommt. Dies malt er mit vieler Phantafie aus ®). 3on dem, was dem Gerichte nachfolgt, zieht er zuerft das, Höftifch er in feine Betrachtungen, dann und zuletzt die Glorie des Pa eſes. Selbft bei diefem Gegenftande verläßt ihn die Schärf Diftinetion nicht, denn er theilt den Lohn des Paradiefes i praeinium substantiale, d. i. das Schauen Gottes von An ht zu Angefiht, da8 praemium consubstantlale,- der verffärt mit feinen herrlichen Eigenfchaften, und das praemium acci tale, nämlich die aureola, die Krone der Märtyrer, der Lehre der ımbefledten Jungfrauen. Den Schluß des ſchönen Werte

„Dieitur autem transire figura huius mundi, non quantum ad de struetionem totalem huius mundi sensibilis, sed quia per actionen Mius ignis, omnia. elementaria inflammantis, cofsumentur vege tabilia et animalia purgabuntur, et innovabuntur elementa, maxim aer et terra, purgabuntur justi et adurentur reprobi; quibus facti cessabit etiam motus coeli, ut sic completo numero electorum fia quodam modo innovatio et praemiatio corporum .mundanorum.

(VI, 4, 1.) „Opportunum est, ut si aliquod membrum deerat, suppleatur, s aliqua erat superfluitas, auferatur, si.... parvülus erat, ad quan

titatem aetatis Christi, quam habebat in resurrectione, licet. non ir mole, divina virtute dedueatur, si decrepitus ad eandem aetaten reducatur, si gigas, si nanus, ad mensuram congruam limitetur.“

Bonaventura als Dogmatiler. 110

macht er mit einer Stelle aus Anſelm's von Canterbury Pros⸗ logium (Cap. 24f.),. wo ſich Anfelm in einem Gebete fehnt nad der Seligkeit, die fein Auge gefehen und kein Ohr gehöret hat und in feines Menſchen Herz gefommen ift (1 Kor. 2, 9).

Bevor wir das Breviloquium verlaffen, ift noch eine eine, wahrſcheinlich unechte Schrift zu erwähnen: „„Declaratio Termino- rum Theologiae.““ Es find im Ganzen nur vier Folioſeiten, welhe mit den Worten ſchließen: „Haec sunt, carissime frater, pauculs, quae pro usu et exercitio tibi relinguo, postquam, deo dante, te iterato videro, Jatius tibi exponam.“ Es ift din Grundriß des Breviloquiums, in der Form von bloßen anein- andergereihten Erklärungen. Obwohl ber Ausdruck zum Theil wört⸗ ih mit dem Breviloquium ftimmt, fo findet fich doch auch wies drum, namentlich zu Anfang, einiges Abweichende.

Bern man bie Commentare zum Lombarden ein ſyſtematiſirtes Rpertorium.. dev Theologie, das Breviloguium ein Compendium derfelben nennen kann, fo ift das .

Eentiloguium

als eine Propäbentif der: Theologie zu bezeichnen., Den Namen führt es davon, daß es im feinen vier Theilen [etwa] 100 Ab» ſchnitte emhält. Bonaventura bezeichnet nad einer für ihn charak⸗ teriſtiſchen Einleitung den Zwed feines Werkes und fagt: Er habe 8 zum Beften der. Kleinen und auf Verlangen verfertigt, er ein Ungelegrter, ein ungelehrtes Buch. Den Inhalt habe er ans den Ausſprüchen proborum genommen“); es kommen neben einer ofen” Zahl von Kirchenvätern auch Ariftoteles, Cicero (Tullius, De inventione, Ad Herennium), Seneca, Boethius und einige

Andere vor. Auch über den Inhalt gibt Bonaventura felbft eine . -

Ueberficht; der erfte Theil Handle von dem Böfen unter dem Ge- - fihtspunkte der Schuld, der ziveite von dem Bbſen unter dem Ge fihtspunfte der Strafe, der dritte vom Guten unter dem Gefichts- punkte der Gnade, der vierte vom Guten unter dem Gefichtspunfte

%) Shrödh fheint (XXIX, 219) die probi als Philofophen zu verſtehen und wundert fi dann, daf doch meift nur Kirchenväter angeführt find:

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der DVerherrlihung. Danach würde bie erfie Häffte des Centi loquiums dem dritten Theile des Breviloquiums und dem Schlu bes fiebenten Theiles entſprechen; die zweite Hälfte des Gentiloguium aber mußte aus fehr verſchiedenen Theilen des Breviloquium das entfprechende Material entnehmen. Nicht dogmatifche, fonder ethiſche Begriffe beftimmen im Centiloquium die Folge der Theil ‚ja man kann aud vom Inhalte felbft jagen, er gehöre mehr i das Gebiet der Ethik. Aber auch nur diefes mehr Täßt. fich be haupten, denn’ bie fittlichen Themata werden in dem Centiloquiur doch wieder dogmatiſch behandelt und die ſcholaſtiſchen Divifione und Subdiviſionen machen hier einen um fo unangenehmeren - Ein drud, als das fittliche Gebiet noch mehr als das dogmatifche ver langt, aus dem eigenthümlichen Weſen des menfchlihen Bemuft fein& und niht.aus pinem fertigen Neg der Dialektik feine Ordnun zu empfangen. ‚Um aber noch am einem einzelnen Momente ; zeigen, daß nicht blos die Behandlungsweife dogmatifch-ift, ſonder aud ganze dogmafifche Abfchnitte in. den Rahmen, der Ethif gebrad werden, fo ift die britte Abtheilung des Centiloquiums (De bon sub ratione gratiae) junädft dazu beſtimmt, das Gute in ei bonum increatum, ein. bonum.creatum und. ein bonum conju gatum,. worunter. Ehriftus verftanden- wird, einzutheilen, und mu folgt in ziemlicher. Ausführlichkeit die ganze Lehre. von ber Dre einigfeit, dann bie: Lehre von der Schöpfung, von der Beſchaffenhei der Engel, ihrem Fall und ihrer Befeftigung, ja zwei Abjchnitt behandeln alfein bie Vorftellungen von der himmliſchen Hierardie welche Bonaventura den Anfängern vielleicht hätte erlaffen. können Im Verlaufe derjelben Abteilung werden die ſämmtlichen (fano niſchen und apofryphen) Bücher ber sacra scriptura aufgezählt u. |.m Eine verwandte Schrift Bonaventura’s iſt die etwas niedrige - ftehende Diaeta Salutis, in welcher eine Reiſeroute zum Paradief gezeichnet wird. Der Ausgangspunkt der Reife ift bie fündig Zuftändlichteit des Menſchen; die Reife geht nun in neun Sta— tionen, die felbjt wieder diaetae find, zum Ziele hin, wodurch di ganze Schrift zehn Theile (tituli) erhält. Ein Anhang verſuch noch, die Anwendung des. Vorhergegangenen ben. Predigern zu er leichtern.

Bonaventura ald Dogmatiker. 121

In der Befchreibung des Musgangspunftes der Reiſe wird das Bejen der Sünde. im Allgemeinen beſchrieben als das eigentlich Haßliche, als das Ungerechte, welches der Satan ergreift und febt (mas ſchon in dem Spruche 1 Moſ. 14, 21 liegt: „Gib mir biegeute [animas], die Güter behalte dir“) und ale das Schwache. Im Speciellen find fteben Hauptfünden zu nennen, fünf den Geift näher betreffende: Hochmuth, Neid, Habſucht, Zorn und acidia (eröla), zwei das Fleiſch: Ueppigfeit und gula (Schmwelgerei), welche alle durch) das Gedächtnißwort saligia angedeutet werden. Son allen diefen Sünden bringt die Schrift fodann einige Gleich- nife vor, fie wirken alle auf die Seele, wie,wenn die Faulniß iinen Apfel ergreift und entſtellt, auch ſteht es mit ihnen wie mit kibfihen Wunden, bie am erften und zweiten Tage nicht beſonders fhmerzen, aber am dritten Tage ſchwer zu berühren und zur Hei⸗ Img zu bereiten find. “Auch geht es bei den Sünden wie bei einem fdlehten Tuche. Denn wie bei biefem ber Verkäufer nur ben fhönen Anfang des Tuches aufrolit, das übrige dem thBrichten Räufer verbirgt, fo entrollt ſich bei der Sitnde blos die delectatio, nicht das Mittelftück, die. Reue, oder däs Ende, die HöHe u. ſ. w. & werden auch die übrigen Laſter gleichnißweife erläutert, wodurch die ganze Schrift ein myſtiſches Gepräge erhält; and die ‚große Vorliebe für die affegorifce Auslegung der heiligen Schrift ent- ſpricht der myjtiſch⸗ praktiſchen Haltung der diaeta salutis. Bon kbem Laſter werben. die Typen und Vergleichungen aufgeführt, fodann die Nachtheile ‘(damma), welche es im Gefolge ‚hat, und‘ die übgeläiteten Laſter (fliae). Go 3. B. Leiten ſich von der luxuria fünf andere Laſter ab: fornicatio, nämlich eum..muliere soluta, aulterium, stuprum (quod est-cum virgine vel religiosa) md incestus. (Das Alles fol ſchon liegen in 2 Kön. 6, 25: Do erzählt wird, daß ein Biertheil Kab Taubenmiſt fünf Sitber- finge galt.)

Die erfte Reifeftation ift num bie Buße. Sie wird erft im Algemeinen gepriefen, dann folgen Erörterungen über ihre Theile: Zuhirfhung (contritio), Beichte (comfessio) und die büßerifche Gemgtäuung (satisfactio). Dieſe Theile find als partes inte- grales noch zu unterfcheiden von den partes virtuales, das find: "

124 \ Hollenberg \

folgenden Beſchreibung der drei theologifchen Tugenden wird zw zu Anfang immer auf die Sentenzen zurücgewiefen, aber me tommen homiletifche Stellen aus dem heifigen Bernhard in Betrad und Bonaventura Tann fi nicht genug thun in ber Aufhäufu von Vergleihungen, bie das Weſen und die Herrlichkeit der T genden anfhaulid machen follen.

Die erfte der Cardinaltugenden, und zwar wird fi fie als pruden! gefaßt, befommt ihre Definition aus Cicero's De officiis, die andeı aus anderen Schriften.

In der folgenden Station ergeben ſich bie fieben Gaben { heiligen Geiftes, ein fehr befiebtes Thema, über‘ weiches Bonavi tura noch ein befonderes Buch gefchrieben hat. Wie die fieh Gaben aus Jeſ. 11 abgeleitet werben, haben wir fehon aus d Breviloguium erfehen. In der Diaeta salutis find nur vier Get beſonders behandelt und zwar zunächſt die Furcht, in der gemöl lichen panegprifcen Weife. Am Ende diefes Abfchnittes wird all dings bemerft, daß das donum der pietas, der scientia upd | fortitudo zu beſprechen fä, aber die erftere fei dafjelbe oder fi daffelbe wie die Barmherzigkeit, und komme daher fpäter vi Die zweite, das Wiffen, fei ſchon bei der Tugend der pruden erledigt, ebenfo die fortitudo fei zwar nicht als donum, aber d aͤls yirtus früher hinlänglich behandelt worden. Er geht for fogfeih zum donum consilii über, wobei er mißbräuchlicher We wieder auf die jogenannten evangelischen consilia kommt. Bei & intellectus bemüht er ſich, zwiſchen ihm und der sapientia ein Unterſchied feſtzuſtellen, und zwar will er die prudentia und s pientia auf das active, praktiſche Leben, den intellectus auf | Eontemplation hefchränfen. Nictsdeftoweniger ſoll der intellect erforſchen, was über uns ift: Gott, mas ‚neben uns: ben Nächte und was unter uns ift: unfern Leib. Das Erftere gelingt Röm. 1,19 durch die Erkenntniß der. visibilie. Doch unterjceit er weiterhin ein doppeltes Buch, worin der. Verftand leſen könn das Bud, der Schrift, welches der Heiland den Yüngern no feiner Auferftehung gab, damit fie” in den gefegligen Vorbilde und prophetiſchen Gefängen des A. T.'s bie Geheimniffe der Gna erkennten, das andere Buch ift daS der Natur, welches die Bei niſchen Philoſophen nicht verftanden haben, da fie nicht vermochte

Bonaventura als Dogmatiter. 125

von der Größe des Geihöpfs zu der Größe dei Schöpfers auf- zuftigen. Eigenthumlich ift noch, daß er in dem Creatirlichen, fofern e8 der Erkenntniß dienen foll, neben dem fchlechthin Natür- fiden auch die Werke der Kunft aufzählt und in jenem ein signum zaturale, in diefen ein‘ signum positivum Gottes findet. dreilich zieht er fich in letzterer Beziehung fogleich wieder auf das Irtifiielfe im kirchlichen Leben zurüc, die Gebäude der Kirchen, die Gewänder der Priefter mit ihren bedeutfamen Farben, und Lehnliches. Den Schluß. der Abhandlung über die fieben Gaben macht die Weisheit. " .

Unter der Ueberſchrift „Won den evangeliſchen Seligkeiten“ (De ketitadinibus evangelicis) handelt der Verfaſſer fodann in der ſetſten Station von den fieben Hauptbegriffen der Stelle Matth. 5, 1ff., peft von der Demuth (humilitas), die er nicht genug preifen fm, von ber Sanftmuth (mansuetudo, oder mititas), vom Beinen und zwar von brei Arten des Weinens (fetus com- punctionis, compassionis ‘und devotionis), bon ſechs Hinderniffen des Weinens und ſechs Gründen und Belohnungen des Weinens, von der Barmherzigkeit, von der Reinheit des Herzens, alz deren Urfachen er die Refung der Schrift, Almoſen und Thränen afähft, vom Frie den und von der Geduld.

Die fiebente Station gewährt die zwölf Früchte des Geijtes, ac Gal. 5, von welchen aber nur acht befprochen werben, weil bie übrigen ſchon anderweitig erfedigt find.

Die achte Station führt zu dem 'Endgericht, und zwar, wie im Brebiloquium, treten erft die vorhergehenden und dann bie dem Gerichte ſelbſt gleichzeitigen Momente auf.

Zu den vorangehenden Momenten liefert er nad Hieronymus eine (ebhafte Befchreibung der Zeichen Mark. 13; am erften Tage ehebt ſich das Meer 15 Ellen Hoch über die Bergeshöhen und feht an feinem Ort wie eirte Mauer, am zweiten Tage verſchwindet % faſt, am dritten Tage erfcheinen die Fiſche und Seeungeheuer über dem Meere und brülfen zum Himmel empor u. f. w. Nach dieſen Zeichen befchreibt er, wie bie Bücher geöffnet werden: 1) das Bud) des Leidens Chrifti, 2) das Buch des Gewiſſens, 3) das But) des Lebens. Darauf fpricht er über das Urtheil felbft und deſen Ausführung. '

Hollenberg

In der Tegten Station wird uns die Strafe der Hölle und erlichteit des Paradiefes 'gefhildert. Um die Größe der St— chaulicher zu machen, führt er einen Sprud) Auguftin’E an, m die Strafe des Fegefeuers fchlimmer fei, als jede irdi tal, wie viel mehr die Höllenftrafe. Wirkſamer aber ift n : er neun verfchiedene Arten der Höffenftrafen anführt: Be irm, Geſtank, Kälte, Hunger und Durft, Folter (Mar. I jreden, Finfterniß und endlich noch die Beſonderheit, daf m Strafen nicht blos eine acerbitas, fondern aud) contra ift, Flamme und doch Finfternig, Tod ohne Tod, Ende ner anfängt x.

Er geht dann zur paradisi gloria ‚über, die er nach umalen nicht unternehmen will. Aehnlic wie im Breviloqu hreibt er die Krone einmal als aurea und dann als aureı erfte ift da8 praemium substantiale, welches im Schauen nießen Gottes befteht; die.[corona] aureola ift da8 praemi identale, die. Krone der Yungfrauen, Märtyrer und Leh ch einer kurzen, Betrachtung der zwölf Früchte des Leidens Ch > der zwölf Früchte der unfterblichen Glorie wird von der Sd : und dem herrfihen Bau des himmlischen Jeruſalems mehr tet als gelehrt. Was die Apofalypfe darüber fagt, wird ſtiſchem Geſchmack weiter entwidelt, namentlich was die ı ebenen Edelfteine anbetrifft, die in der Offenbarung genannt fi t legten Capitel wird die Herrlichkeit der Gemeinfchaft geprie ch welche in dem, oberen Jeruſalem. die himmlischen Heerſchac Chriſto verbunden find, und in ſchönen Cantilenen , die | e Paraphrafen bibliſcher Stellen find, läßt, der Schriftfteller ſchiedenen Gruppen der Seelen von dem erhöhten Heilande Iommnet werben. -

In dem Verlauf der /zufegt analyfirten Schrift wurde ein deres Wert Bonaventura’s über die fieben Gaben des heili iftes erwähnt. Da es ſich nad) Form und Inhalt auszeich wolfen wir es hier wenigftens im Allgemeinen charakterifi » damit von der Reihe Schriften Abfchied nehmen, welche maventura's dogmatiſcher Anſchauung zunächft und ex profe tun Haben.

Bonaventura geht don dem Spruche (Jak. 1) ans: „Ale g

iR Bonaventura als Dogmatiker. "137

Gabe und .alfe vollkommene Gabe kommt von oben herab, dem Later der Lichter“ und fieht in den Gaben des heiligen Geiftes sen Strahlen des Lichts, eines Lichtes, welches ſowohl erleuchtet, als and erwärmt, Erfenntniß gibt und Erquickung *). Sorgfältig Indert er fobann bie vollkommenen Gaben der Schöpfung "von den Gaben der Vollendung, von welden er ja fpecieller reden will. Für die Siebenzahl der Gaben führt er außer der Auctorität der befannten Stelle Jeſ. 11 aud) eine ratio an, denn durch die Sieben zahl wird ein umfafjendes Ganzes angedeutet (per septenarium sgnificatur universitas) und gleichwie die Welt in fieben Tagen vollendet worden, alſo die Meine Welt, der Menſch. Sodann ſucht a die Gaben des Geiftes von anderen Zuftändlichkeiten und Gaben n mterfcheiden. Die Gratia- ift ja die Quelle und die weiters biende Macht auch der Tugenden, in denen fie ſich gleichſam ver- zweigt, Wie-fich diefe Tugenden nun won den Gaben des Geiftes unterjcheiden, gelingt Bonaventura natürlich nicht fo gut zu zeigen, a wie fie mit ihnen zufammengehören. Hauptſächlich faßt er die Gaben als die reinigenden und befruchtenden Ströme auf, welde in dem erentürlichen Leben zu einer relativen Selbftändigkeit gelangen und dann den Laftern von innen heraus Widerftand kiften. Die, verfgiedenen Seligfeiten fondern fi ſchon leichter don den Gaben.

Was nun das Einzelne betrifft, fo beginnt er mit der Furcht, «8 dem Zundament der übrigen. Die Furcht leitet er mit Auguftin as der Liebe ab (timor est amor fugiens quidquid ei adver- stur). Eine gewiffe natürliche Furcht, wie fie Ehriftus vor feinem Tode empfand, fei zwar. nicht vonder heiligen Geifte, könne aber nicht gerade verworfen werden. Cine zweite Art von Furcht äft die weltliche Furcht, eine dritte die knechtiſche, eine vierte

2) Er zieht dabei nach Gregor's Vorgang in myftiier Art die fieben Söhne diobs zur Vergleichung herbei, von denen jeder an feinem Tage ein eonvivium madte: „sunt septem dies spirituales, sive illumina- tiones et quaelibet dies habet suum convivium. Igitur sicut septem sunt dies, ita et septem convivia erunt sive septem mentis tefectiones nos praeparantia et nos habilitantia ad illud grande con- Yirium ete.“” Diefe zwei Begriffe dies spiritualis und convivium kehren bei deg Beſprechung jedes einzelnen donum wieber.

2 f Hollenberg

ie anfangsartige Furcht (timor initialis), von dem Sprude: urcht des Herrn ift der Weisheit Anfang“. Sie ift von ndlichen Furcht fo ünterfchieden, wie da8 Unvolitommene vom % mmenen. Denn eine völfige Liebe treibt diefe Furcht aus,

infte Art der Furcht ift die findfiche (Alialis) und die eigent tabe des Geiſtes. Darnach fpricht er davon, wie denn nun er Furcht in der Seele ein Heller Tag anbreche und das Wohll er Seele vorbereitet werde (Hiob 1). In dieſen myſtiſchen sfitionen folgt er meift dem Hugo a fancto Victore und dem heil Jernhard. In zweiter Stelle handelt er von dem donum römmigfeit. Wohl weiß er, daß es eine gewiffe angeborene Fr igfeit gibt (pietas innata, quaedam affectio inclinans ad fi arentes ete.); diefe fogenannte Pietät fei auch in dem hie ie bei den Störchen z. B. Manche Haben auch eine ſchon idfeftere Pietüt, die acquisita, welche ſich auf die Bekannten reunde bezieht. Die vollfommene pietas ift aber die, welche ı wiell aller Frömmigkeit in\unfere Seele eingegoffen, nicht | ın Freunden, fondern Allen unaufhörlich Wohlthaten ermeift.

it an Werke der Barmherzigkeit an ſich, fünf feibliche: Arı juchen, MDürftende tränfen, Hungernde fpeifen, Gefangene erlö adte Heiden, Fremde beherbergen, Todte begraben; und fünf g de: Schuldnern vergeben, den Sünder zurechtweifen, den | iffenden lehren, dem Schwanfenden-berathen, den Traurigen tröſ r das Heil des Nächſten beten, Beleidigungen ertragen. Es fol ieder die zwei Anhänge über den Tag und das Convivium etas, in welchen Richard und Hugo a fancto Victore, Bernhe habanus, Caffiodor, Boethius, Auguftin, Gregor, Anfelm jamascenus u. X. citirt werden. Das dritte donum ift die © r Erkenntniß (seientia), welde nad) Gregor, dem bie Anordn r fieben entnommen ift, jegt folgen muß, weil das Erkennen fofern Erfennen ift, al6 e8 den Nugen ber Frömmigkeit ı hließt und andererſeits die Furcht und die auf die eigene © richtete Barmherzigkeit der pietas den Gläubigen’ antreiben, rfenntniß vom Heil zu ſuchen. Die weitere Behandlung e gewöhnliche. Nur wird noch ein Abfchnitt hinzugefügt über ilige Schrift, als der reichlich befegten Tafel der Erkenntniß ı r Geheimniffe Gottes. Leider ift diefer Theil voll von (

Bonaventura ‚als Dogmatifer. 129

tmadloſigleiten in der Vergleichung des Einzelnen, meift jedoch find diefelben als Citate Herübergenommen.

Von der Stärfe (fortitudo) Handelt das folgende” Eapitel, weil auf da8 Erkennen des Heilsweges das Handeln folgen muß. Bonaventura unterſcheidet eine zwiefache fortitudo, als Tugend und ol Gabe. Jene kämpft "gegen die zu überwindenden Schwierige kiten und Uebel mit Rüdfiht auf die endlichen, natürlichen Prk- dien, diefe mit Rückſicht auf die übernatürlichen Principien des ewigen Gefeges *). In dieſer letzteren QTapferkeit Haben die Heis ligen freudig ihre Kämpfe ausgefochten. In dem nun wie oben ſich anſchließenden Abſchnitt über den geiftlihen Tag, der mit der tortitado in der Seele anbreche, Spricht Bonaventura von den drei Thoren der Seele, Gedächtniß, Verftand und Willen, in welchen fi die Ebenbifdlichkeit des Menſchen mit Gott zeigt, als in Kräften, velhe der Ewigkeit fähig find. Dieſe Thore öffnet der heilige Geiſt durch das · Geſchenk der Tapferkeit.

Die fünfte Gabe des Heiligen Geiſtes, der Rath, consilium, wird ebenfalls zuerft nach ihrer natürlichen, pſychologiſchen Baſis berachtet, dann nach ihrer Steigerung durch die göttliche Kraft. teiht it auf diefer Stufe der geiftliche Tag und das geiftliche Vohlleben zu ſchildern, das mit dem consilium gegeben ift. "Ein Sdlußabſchnitt zeigt noch, wie die drei höheren Nathgeber: me- noria, intellectus, voluntas, auf die niederen Seelenkräfte und Tugenden reinigend, erleuchtend und vollendend wirken.

Die ſechſte Gabe, der intellectus, ift die erfte ber beiden, welche mehr zum contemplativen Leben gehören. Daß der Intellect ine in das Innere eindringende Keuntniß fei, leuchtet fon aus der Ahftammung des Wortes Hervor, infofern es aus intus legere componirt fein fol. Die Erkenntniß als donum des heiligen Geiftes

3) „Est alig fortitudo, quae est donum Sp. S., quae se habet respectu ilius poenae secundum dictamen supernaturalium prineipiorum ae- ternae legis“. .... Ex quo patet, quod donum fortitudinis est habitus existens sicut in subjecto in voluntate in quantum nego- tiatur circa ardya, quo voluntas hebilitatur ad volendum mortem

. sustinere, pro defensione seu pro motione veritatis fidei vel mo- rum etc.“

Deol. Stud. Jahrg. 1868. 9

180 Hollenberg, Vonadentura als Dogmatiker.

liegt noch · höher als die gewöhnliche, denn fie ift ja ein übernatü liches Licht (ein lumen -supernaturale. et superadditum inte kectui et datum homini) und daher ſchaut fie das höchſte Wat und das Unwandelbare. Wie. möthig eine ſolche Erkenntniß de Ehriften fei, weiß er wohl quseinanderzufegen, ebenfo auch, ı denn biefelbe in die Geheimniffe der Schrift und im die Sacı mente eindringt. Damit ift auch ſchon die letzte Betrachtung ? ©egenftandes, von dem Tage und dem Wohlleben der zur Orten niß gelangten Seele, angebahnt.

Die letzte Gabe des heiligen Geiftes, die Weisheit, m. 1 befonderer Sorgfalt erörtert. Die Weisheit der Welt, melde t Thorheit vor Goft ift, laßt er gleich fallen; aber aud die ewi unerſchaffene Weisheit kann nicht in feine Betrachtung gehör Näher ſchon liegt ihm die menfchliche, philofophifche Weisheit, meld wie Ariftoteles mit Reit fagt, wunderbare Freuden gewährt; al der eigentliche Gegenftand feiner Abhandlung ift die Weisheit v Oben. Sie ift. auch eine Betrachtung Gottes, aber weſentlich der Liebe Gottes wurzelnd und mit der Seligkeit der Empfindu verbunden. Diefe Weisheit muß von Gott erlangt, von ihm beten und gefordert werden, durch das erftere (quaerere) wird gefanden, durch da® Fordern. (postulare) wird fie befeffen; m findet fie durch Einficht, man befigt” fie durch Liebe. Das Ma welches die Weisheit der Seele bereitet, wird in Bildern dargeſte und zwar ale ein dreifadhes, ald ein Mahl der Freunde, u der heilige Geift durch die Weisheit anrichtet der Seele, wie | im Leibe ift; darnach als ein Mahl, dns der Seele zu Tt wird, infofern fie vom Leibe getrennt ift, das Mahl !

. Ruhenden, die im Herrn geftorben find; endlich als das M der Herrſchenden nad Luk. 22, 29ff.: „IH will euch ? Neid) beſcheiden, wie mir mein Vater befchieden Hat, daß ihr. ei und trinfen follt über meinem Tiſch 2.“ Zu den Gäften in diei hochſten Mahl gehören auch die Engel, melde mit den Gelig zuſammen den Herrn loben werden in Ewigleit.

.

Gedanlen und Bemerkungen.

1.

Eregetifche Bemerkungen zu den Sprüchen Salomo's. Bon J

D. R. Müelſchi, Dekan in Kirchberg, Kanton Bern.

Berfönliche Vorliebe und äußere Veranfafjung Haben den Ber foffer der nachftehenden Bemerkungen feit Jahren wiederholt zum tingehenden. Stublum des Buches der Sprüche Salomo's ges führt. Namentlich war es die im Vereine mit mehreren Freunden unternommene Reviſion unferer kirchlichen Bibelüberfegungen, der

ftanzöſiſchen und der deutſchen, von deren erfteren bereits.da8 Geſetz and die Hiftorifchen Bücher im Druck erſchienen find (Lanfanne 1861 und 1866), die poetiſchen Schriften demnädft die Preſſe verfaffen werden, wogegen bie Arbeiten der deutſchen Verſion noch nicht fo weit gebiehen find, was mid zu tieferem Eindringen in diefes Höchit intereffante Schriftftüd nöthigte: Es wird dies nur deshalb kemerft, um den Charakter der nachfolgenden Anslegunge- proben, die dem Urtheil der Sachkenner vorgelegt. werden, in's tichtige Licht zu fegen. Nämlich bei Erſtellung einer kirchlichen Ueberſetzung wird mit echt der Grundfag gelten müffen, dag ſoweit woglich, d. 5. wo nicht die Grammatik ein Verſtändniß des⸗ felben geradezu unmöglich macht am überlieferten maſoretiſchen Terte feſtzuhalten fei und Abweichungen davon nur im Nothfall auläffig ſeien. Dieſe Beſchränkung, die einer ſolchen Arbeit natür«

134 Rüctigi

Ticherweife gefeßt ift, iſt gerade bei einem Buche um fo wichtige deffen Text aus mancherlei Gründen, namentlich auch, der Schwi rigfeit und mitunter- gefuchten Dunfelheit des Ausdrucks wege in der That in einem nicht völlig reinen Zuftand auf uns gefomm« ift. Schon die alten Berfiönen, voran die LXX, gingen bier m einer ziemlich weitgehenden Weberarbeitung und nicht immer glü lichen Conjecturen voran, wogegen allerdings auch zuzugeben i daß fie noch im einer Anzahl von Stellen den urfprünglichen Te uns aufbewahrt Haben (f. befonders Higig, Die Sprüde ©: [Zurich 1858], ©. XXIIIff.). Wenn nun der eben gemanı Gelchute Ya ſeiner, in tmancher Hipſicht aurexichnieten, Bearbeitu der Sprüche in ſehr hohem Maße Conjecturalkritik übte und wirhl eine beträchtliche Anzahl von Stellen auf höchſt fharfjinnige u glückliche. Weife emendirt hat, fo ging dagegen das Veftreben d Unterzeichneten dahin, fo gut als ‚möglich in's BVerftändniß d maforetifchen Textes einzudringen und fo zu verfuchen, denſelb feftzuhalten gegen vorgefchlagene Aenderungen. Inwieweit mir d in den mitgeteilten Steffen gelungen fei, darüber werben Ande urthellen; das Gefegte mag genügen zu Bezeichnung des Gefih punktes, von dem man bei der Arbeit ansgegamgen iſt. Cap. VIIL

8. 85. Wir haften das Chetibh feit, punktiren es aber nid wie man gewöhnlich thun zu müffen glaubt, als Pluralis vwy was jedenfalls auch die Aenderung bes vorangehenden ıyso in »R zur Folge Haben imitfte, fo daß eine Willkür die andere ‚hervorrie fondern isn, was wir aber als Partie; mit »— als werbi dendem Bocale auffaffen, vgl. Pf. 114, 8: Ind ppm; 113, Sn app; 1Mof. 49, 11: May gppb min, ſ. Ewald, Let buch, 8:214, 5.1: (5 Ausg). Alfo: „wer mich findet, ift e Findender von Leben = der findet Leben“. Mit Unrecht hab die Maforeten dies fogenannte paragogifche »— *) verlannt und i Q’ri als überflüffig bemerkt, indem fie erleichternd nyg zu kei gebieten. Wir Halten dafür, es fei eine ganz nad; femitifche

8) Hier Aublandersiwo (der. 10,17; 29,28; 51,18. Magk 4,21. Erd. 27,

exegetifche Bemerkungen zu der Eprücen Salomo's. 186

Geſchmade geſuchte Aſſonanz und daher dieſe ungewöhnliche Form gewählt, um ein gleichlautendes Wort in verjchiedener Wer deutung dicht nebeyeinander zweimal zu gebrauchen.

Cop. X.

8. 6. Aeltere und neuere Ausfeger haben hier Anitoß genom⸗ men und find bei Deutung der zweiten Vershäffte geſtrauchelt, weil der Parallelismus etwas verſteckt, aber nur um fo ſchöner ift. Das Richtige fahen unter den Alten Yquila und Symmachus, von Neueren namentlich Ewald und Bertheau, Elfter und Zödler, aber zum Theil ohne fchärfere Beſtimmung des Mealfinnes. Nämlich gmäg V. 11 ift ser Subject, nicht Object; alfo der Sinn nidt: ‚eu Mund der Freoler dedt Uurecht“, wie auch Higig, mit Aen- drumg der Punctation in ngy dem Sinn nach deutet, d. h. „Unrecht, Leid fällt auf ihren Mund, diefer wird dadurch geftopft, daß fie verſtummen müffen“ ; aber zu ſolchem Sinne würde nicht ngp er⸗ wartet, fondern ein Wort, das „verſchließen“ oder dergleichen bes deuten könnte, und ftatt Dgm würde etwa > „Schande“ erfordert. Der Sinn ift vielmehr der: während der Gerechte, welder felber für Andere ein Quell des Lebens und Segens (V. 11), nichts als Ciebe und Treue ift, aud Segen zu erwarten hat (V. 7), hat der Fredler in fich felbft nur Verderben, er verſchließt's, birgt’s war (vgl. ng» B. 18) mit dem Munde, hat's aber doch in ſich (Bi.5, 10), und das gerade, daß er in fich den oym für Andere verbirgt, wendet den Segen auch von ihm ab. Man vergleiche die Ueberfegung des Targ. und die Deutung von Ibn - Esra,

8.8—10. „Wer weiſen Herzens, nimmt Gebote an“, er redet wenig, aber hört viel, nimmt Lehren an, drum geht's ihm gut (8. 9, a. Eap. 3, 1ff.); „wer aber ein Thor ift an Lippen“, ſich durch feine Worte als einen Thoren erzeigt, immer redet und ſich nicht belehren läßt, „tommt zu Fall“, eigentlich: wird hinges

. norfen. Es iſt überhaupt ein eigenthümlicher Reiz vieler Sprüde, daß der Parallelismus nicht immer völlig zufammenteifft, fondern dem Leſer überlaffen bleibt, die Zwiſchengedanken zu ſuchen und die Confequenzen herauszufinden. Cs ift dies eine allgemeine Bemer- - bung von großer Wictigfeit für die Erklärung unferes Buches,

Rüerihi

tuß, Birt. Hermeneutif, ©. 472. 4255. „Wer in Unſchu

ıbeft, wandelt ſicher; wer aber feine Wege krümmet, wird erfan den“ (wir bleiben mit Ewald und Bertheau, auch Zödter |

er Bedeutung von yap nad LXX und Vulg., der Sinn wi fhärfer: er jchlägt frumme Wege ein, wie er meint, um dei erer und unerfannter das Böſe üben zu können, aber er wi

) immer erfannt und offenbar, er muß felber immer fürcht

ınnt zu werden, was feinem Wandel „Unficherheit“ gibt; es

» ein guter Gegenfag zum erften Gliede vorhanden). „Wer n

1 Auge bfinzelt (6, 13), ftiftet (f. yng Nehem. 5, 7) Kräntun wer ein Thor ift an Lippen, kommt zu Fall.“ Hier hab Tegten Worte Anftoß gegeben und man fuchte, wie ſchon LX. ch Aenderung derfelben einen befjeren Gegenfag zum vorig ede zu erhalten. Doc ift gerade Hier der gewöhnliche Te auch Higig anerkennt, durchaus richtig; man erffäre ihn |

blinzelt, der Zalfche, ſchafft Leidweſen, verurfacht Verdruß fi bft, und auch wer thöricht gerade heraus Böſes redet, fäl

r fi) alfo bös gegen Andere erzeigt, wird's nicht lange treibe

trägt felbjt die böfen Folgen davon, die nur verfchteden fir

aachdem- er fich böfe gezeigt hat: Verdruß, wenn er's in ve

Her Weife, Sturz, Fall, wenn er’s offen gethan hat.

B. 14. Nach dem Sprachgebrauch unſeres Buches (V. 1 3; 18, 7; 10, 29) ſcheint der Sinn des zweiten Glied fein zu können „des Thoren Mund ift naher Einfturz“ d.

jeend der Weife fein Wiffen birgt, alfo nicht viel redet und

Sünde bewahrt bleibt, ift, wo Thoren reden, die ftets d

m aufthun, Einfturz, Schreden, irgendein Unglüc nahe v Thüre, denn da läufts ohme Sünde ſchwerlich ab, daher ni

e die übelſten Folgen für die Thoren. felbft, die fo plauder für Andere, 3.8. die ihnen zuhören, vgl. 21, 23 zum erft ede und zum zweiten 10, 19; 13, 3. Jak. 3, 1f. Die

ung von Ewald, Berthean, Hitig: „des Narren Mund dro

3 zu plagen und zu Berften, jeden Augenblick droht er mit fein

fällen herauszupfagen“, ift gegen die angeführten Parallelſtell nur veranlaßt worden durch das Streben, einen deutlichere

zenfag zum erſten Versgliede zu befommen. Daß ein fold

eregetifche Bemerkungen zu den Sprüchen Salomo’s.. 137

aber, nur mehr in der Tiefe, auch bei unferer, von Rofenmüller und Zödler in der Hauptfache angegebenen, Deutung vorhanden it, fiegt auf der Hand.

8. 17. Diefe Sentenz ift ein Verweis, wie zuweilen das Aller äinfachfte und Zunächſtliegende beharrlich verfannt werden Tann; man hat an den fo einfachen und fo wahren Worten Herumgefünftelt, bio weil man den Realgedanken nicht faßte. Der Sinn ift einfach br: das Beifpiel wirft, nämlich: „ein Weg zum Leben ift, wer Zucht bewahret; wer Warnung läßt (4, 2), feitet irre“, wie Ber- team und Zöckler ganz richtig überfegen. Wer die Lehre bewahrt, ft and Anderen ein Weg zum Leben; wer fie verläßt, führt nicht mr ſich ſelbſt, fondern auch Andere zu Schaden, ift ein Ver fire. Eine Aenderung der . Punctation, wie ſie Ewald und Öitig auf verſchiedene Veife* vorgefchlagen haben, ift - gänzlich möthig.

8. 18. Ewald hat ganz richtig gefehen, wa8 der Sinn der ma- foretiichen Lesart unferes Verfeg fein muß, und wenn er dann doch havon abgehen umd den Text nad LXX ändern will, fo fann ‘dies ur aus Mangel an tieferem Eindringen in den Realſinn erklärt nerden. Mir faſſen den Vers (ähnlich wie einige, bei Geier er- mäßnte, ältere Ausleger) als nur eine Ausſage bildend (die Structur der einzelnen Sprüche ift nun einmal nicht conftant die nämliche, fetbjt nicht durchweg in der nämfihen Sammlung, weshalb man an ſolchem Wechſel, drängt er ſich fonftwie auf, nicht Anftoß nehmen darf); fonft wird weder die Structur des erften Hemiſtichs, noch viel weniger das fo nachdrückliche nun im zweiten Gfiede irgendwie erllärbar, denn die Erklärung „der ift trügerifche Lippen ein Mann trügerifcher Lippen“ (Bertheau u. A.) geht hier nicht an; die Stellen 12, 19. 22 find weſentlich verſchieden, weil: wir hier dir Soneretum und fein Abftractum Haben. Vielmehr ift zu erklären: ‚wer Haß birgt mit trüglichen Lippen und dabei Berläumdung aus=- hen laßt, der ift ein Thor“; eins der alferhäßlichften Laſter Ät, wenn man den Haß birgt unter ſchönen Redensarten, dabei ober hinterrücks verfeumdet, ein Sofcher ift vor Gott und Menfchen detachtet und verworfen, ein bsp>. Das Subject wird alfo beſchrie— ben mit doppelter Eigenſchaft und dann das Prädicat durd mn

138 Rai

ſtark hervorgehoben zur Bezeichnung des Abfchenes vor einem ſolch Bol. 26, 24 ff. .

®. 32. Man Hat Hier oft an pp Anftoß genommen und fd im Alterthum (LXX, Veneta) entweder durch Aenderung ber Leto oder durch gezwungene Dentung ſich zu helfen gefucht, wie n Hitzig zwar leſen will und zugleich die zweite Hälfte des Verſes mit derjenigen des 32. Verſes den Pla wechſeln Altes ohne Noth, ja mit Zerftörung einer ſchönen, lebensvol Sentenz und Erfegung derfelben durch einen trocknen Gemeinpl V. 31 fagt: „der Mund des Gerechten fproßt Weisheit, aber Zunge der Verkehrtheit wird vertilgt“ ; ift der Mund des Gerech bem guten Baume oder Erdreiche vergleichbar, das auch gute Frü tragen muß, fo ift die ränfevolle Zunge ein ſchlechter Baum, nur faule Früchte tragen kann ıMd ebendeshalb ausgerot umgehauen, vertilgt wird, vgl. Matth. 7, 16—19. Dem f BD. 32 noch bei: „die Tippen des Gerechten kennen Wohlgetällig aber der Frevfer Mund Verfehrtheit“ ; der Gerechte findet jewei wie von felbjt, was wohlgefällig ift (nämlich vor Gott, 11, er ift wie injpirirt davon, fo daß feine Lippen es wie ganz natür finden, während umgekehrt der Frevler nichte als Verkehrtes ler meiß umd fein Mund alfo auch nur folhes redet. Man fann y7 vergleichen das Homerifche 3094a eidevaı, ja side Hu Schon Umbreit Hat weſentlich das Richtige gefehen.

. Cap. XI.

8.16. Während Hier die LXX offenbar eine viel ausführlid Sentenz in ihrem Texte lafen und überfegten, welder z. 8. a Ewald und Higig den Vorzug vor der fürzeren, maforetifc Geſtalt des Spruches geben, hat doch auch letztere, wie es ſche einen guten Siun, fobald man, ähnlich wie Schultens, Rofenmül de Wette, Umbreit, erklärt, indem y al8 Vav der Gleichſtellu wie 25, 25; Hiob 5, 7 u. a., aufgefaßt wird: „ein anmuthi Weib erwirbt Ehre, wie Gewaltige Reichthum erwerben“ ; da E ift fo wahr wie das Andere. Ein Weib ift durdy ihre Anm mãchtig, wie die Gemaltigen durch ihre Kraft; in der Aumuth li eine ebenſo große Macht, als im imponivenden Weſen des Gen

regetifche Bemerkungen zu ben Sprüden Salomo’s. 139

tigen; ja die Markt der Stärke der letzteren gewinnt nur mehr Bei, des. Weib dagegen Ehre und Achtung, mas mehr werth ift 2

Cap. XII. R

8. 19 galt von jeher für fehr fchwer, weshalb eine Menge von Ertlärangen geſucht wurden, Uns ſcheint die, nach dem Vorgange der Yulg., von den Meiften befolgte Worterflärung die richtige zu fein: „erfüßter Wunſch ift ſüß der Seele, und Greuel den Thoren it's, vom Böfen zu weichen“. mm ift Partic. Niph. Fem. von 9, „gemorbeu“, ſ. v. a, „zu Stande gefommen, verwirklicht, in Erfüllung gegangen“ , wie das Wort ähnlich auch 5Mof. 27, 9; dh. 8, 10 gebraucht iſt, Hiemit gleichbedeutend mit der 187 yRO 812. Das.erfte Glied fpridyt fo ein allgemeines pſychologiſches Öechm aus, dus zweite aber fubfumirt unter dafjelbe einen beſon⸗ deren Fall: dem Lefer bleibt es überfaffen, die Verknüpfung zwischen keiden zu finden, vejpective die Lehre und Nuganmendung aus der ganzen Sentenz zu ziehen. Wir denken, Jarchi hat da wohl das Kirfachfte und Michtige getroffen, wenn er das zweite Glied als dolgerung aus dem erften auffagt: Allen ift die Erfüllung ihrer Begierden füß, darım kann der Thor, der nichts als böfe Wunſche. ht, nicht Laffen Von Böſen. Es kommt alfo weſentlich auf den Inhalt der yeB an, diefer hängt ‘ab von der innern Beſchaffenheit 8 Begehrenden; iſt diefer ein bspp, fo iſt auch fein Begehren ein Ihlechtes, obwohl es ihm auch als füß vorfommt, es Ju erreichen; fee alfo zu, daß deine ya eine gute fei, deren Erfüllung du did) mit Recht freuen dürfeft! Die Auffafjung von Umbreit und Hitig, welche überfegen: „auffteigender Wunſch“ oder „entftandene At“ (fo auch Zödler) ift ſprachlich kaum nachzuweiſen und auch iahlich unrichtig; um muß keineswegs gerade eine, „verbotene“ ft bereichen, f. dagegen B. 12. Man vgl. Rofenmüller.

8. 23. Ganz unnöthiger Weife haben alte und neue Erklärer, vom den LXX bis auf Higig, an diefem Verſe Anftoß genommen. Sr gibt einen fehr guten Sinn, fobald er richtig verjtanden wird. Bir erffären mit Ubreit: „viel Nahrung gibt der Armen Neubruch, aber Vermögen wird hingerafft, wo Unredt ift“. Wenn Yitig

140 Rüetihi

frägt: warum gerade der Neubruch? fo antworten wir (nad) % theau und Rofenmülfer): weil dieſes als ein zuerft bebauter, u gemachter, daher auch ein mit vieler Mühe bearbeiteter Acker der dann aber die darauf gewandte Mühe lohnt, vgl. Hof. 10, ger. 4, 3. Aus dem Gegenfag bes zweiten Gliedes erhellt ſelbſt, daß unter dem Armen ein Gerechter gemeint ift, vgl. 128, 2. Dabei nehmen wir vi nicht, wie die Meiſten, perſt = „es gibt welche, die...“ oder „manch er wird weggerafft . fondern als Subftantiv, wie es 8, 21 offenbar fteht und

ſchon von den Alten meift richtig erfannt ward, im Sinne

ovote, „Vermögen“. Zum Sinne vgl. 16, 8. Ezech. 22,

ger. 22, 13; diefe Stellen beweifen zugleich, daß upwin- moralifhem Sinne von Unrecht bei Erwerbung des VBermö) verftanden werden muß, nicht aber im öfonomifhen Sinne Unordnung, wo's nicht ordentlich Hergeht, wie Ibn- Esra

Kimchi deuteten. Ob man dagegen 3 als Angabe der Umftände bei“ (fo oben), oder geradezu von der wirkenden Urſache „dur wie die Meiften überfegen, fajfen wolle, jcheint ziemlich gleichgi und kommt fo ziemlih auf Eins hinaus; wir zügen jedoch

Umbreit das erftere vor, weil es die Ausjage mehr in ihrer

gemeinheit beläßt.

Eap. XIV.

8.7. Wir überfegen, im erften Gliede mit älteren und neu Auslegern, 3. B. Bertheau, übereinftimmend: „entferne dich ı Angefihte des Thoren (gehe weg von ihm, gegenüber), fon ft & du nicht erfannt Lippen der Einficht“ (di nicht auf ſolche ftanden, feine Einjicht in Hinficht folcher gezeigt, nicht gemußt, ſolche za finden, oder nicht zu finden find). Was uns abt der Auslegung von Umbreit, Ewald und ſchon der Vulgata folgen: 1 „geh’ geradelos auf einen Thoren und doch erfährt du f Worte der Einſicht“, find in Kürze folgende Erwägungen: 1) wohl wir zugeben, daß 1339 bei Verbis der Ruhe aud) die ! deutung „gegenüber Jemandem, hiemit in der Nähe Jemand haben fann (vgl. 1Moſ. 21, 16. 2Kön. 2, 7.15. 5Mof. 28, AMof. 2, 2), ſo müffen wir diefelbe bezweifeln bei einem Vei

eregetifche Bemerkungen zu den Spruchen Salomo's. 14

kr Bewegung, wo bie andere Bedeutung „g conspectu, von etwas weg“ offenbar die zunächftliegende ift und häufig vor⸗ tommt, 3. B. Bf. 38, 12. Jeſ. 1, 16. Am. 9, 3 u. a. Daß aber 190 mit folgendem 5 verbunden vorfonme, beweift Richter 2, 34 vgl. 5Mof. 28, 66 und es Liegt dies ohnehin durdaus in dr Anafogie der Sprache, was wir gegen Higig bemerten. 2) Das Perfect pyay kann, wie Higig fehr triftig hervorhebt, nicht Zu⸗ lünftiges bezeichnen; wir nehmen es alfo in feiner Bedeutung als Präteritum, dann aber faffen wir ) als einführend den Folgeſatz d8 Gegentheils vom Hauptjage, d. h. „fonft“, welche Bedeu⸗ tung fih) aus derjenigen von „fo daß“ (Bolgebezeichnung, 3. B. 3Mof. 23, 19) nad) negativen Vorderſätzen leicht entwidelte und ifelsopne vorfommt, 3. B. 2Mof. 34, 15. Pf. 55, 13, wohl

ud Pf. 51, 18.. Hiob 6, 14. Pi. 143, 7; vgl. 1 Mof. 31, 27. Sim alfo der: wenn du dic mit einem Thoren in Redegemein⸗ Maft einfäjfeit, fo fieht man dir an, daß du nicht weißt, was ver⸗ fäudige Lippen find. Nur ale untergeordneten Grund führen wir an, daß die angenommene Synekdohe von mp bei der andern Er⸗ Mürung auch viel härter ift als bei der unfrigen. Gegen die von R Aben-Dana (bei Salomo ben Melek) vorgefchlagene, von Koſenmüller befofgte, Deutung? „entferne dih . .. und von dem, bei welchem du nicht erfannt haft Lippen der Einſicht“, bricht theils die Härte der Ergänzung der Worte 12... Iydz 4 tifen y und b3, theils der Umftand, daß fo das zweite Glied nichts Neues gäbe, ſondern eine nackte Wiederholung des erſten. Wie wenig nach alle dem eine Aenderung des Textes, wie fie Hitzig nad LAX befolgt, nöthig fei, erhellt Aus dem in obiger Weife genügend atlärten Texte,

8.17. Auch Hier vermögen wir die Nothwendigkeit irgendwelcher Tertänderung trog der ſcharfſinnigen · Vorſchlage von Emald -und dihig nicht einzufehen. Der Vers ift von Rofenmüller, Umibreit, % Bette, Bertheau im Weſentlichen richtig überfegt und erflärt dorden. Das zweite Glied darf nicht nothwendig einen Gegenfag zum erften geben, auch in V. 19 ift das z. B. nicht der Fall; % gibt aber auch Bier ein Mehreres als das erfte Glied: „wer ſquell auffährt, begeht Thorheit, wer aber auf Boſes ſinnt, iſt

‘142 B Rurt tſchi

fchon haſſenswerth“. Daß dow vhde vorzüglich in malam part gebraucht werde, beweiſen 12, 2; 24, 8; Bf. 37, 7.

8. 25. Da es bisher nicht recht gelungen ift, diefen Vers friedigend zu erffären, fo ſchlagen wir folgende Auffaffung v „es rettet Selen ein wahrhafter Zeuge, wer aber Lingen b (der Tügner), ungerechtes Gut“; wir nehmen alfo bsp als F dieat zu beiden Hemiftichien, im zweiten etwa in gleihem Si mie 1Mof. 31, 9; zu mp im Sinne von dem duch Trug worbenen vergleichen wir Ser. 5, 27. Wir entgehen fo der Schi rigfeit, vor mon das 7y aus dem erften Gliede ergänzen zu müſ was ſchwerlich zuläffig wäre, ober den Text zu ändern, was gen erjcheint.

8. 26. Die meijten Ausleger erkennen mit Recht an, dab dein Abjtractum ) my bes erſten Gliedes der concrete Meg des "m my herauszunehmen fei, auf den fid dann: das Suffir rgpd1 bezieht). Es entiteht fo ein fehr ſchöner Simt, den ja nicht durch Tertesänderung uns rauben laſſen mödten, näml der göttliche Schng für Seine Verehrer erftredt ſich noch weiter anf diefe perfönlih, auch auf.ihre Kinder und Kindesfinder, 2Mof. 20, 65. Pf. 103, 17. Drum ift die Gottesfarcht ein fefter Verlaß.

8. 32. Die Mehrzahl der Erklärer nehmen myy3 im m lifchen Sinne: „durch feine Bosheit, durch feine Sünde“. U fo vermiffen wir den Gehenſatz zum folgenden Gliede, welches ? auch Higig nah LXX und Syr. ändern will. Wir aber ü fegen: „in feinem Unglüd (vgl. 2Sam. 16, 8; 17, wird hingeſtoßen („gefällt”, wie Hitig gut überſetzt, da dns V an ſich einen erfüllten Begriff hat, weshalb nicht mit Ewald verbinden ift: „in fein Unglück geftogen wird..“; wie neh ?= &, nicht eis, alſo ganz parallel dem zweiten Gli— der Frevler, aber es vertrauet in feinem Tode (mod) felbfi feinem Zode) der Gerechte“, nom ift wie Pf. 47, 7 abfolut ge vom Vertrauen auf Gott. Es gehört dieſer Spruch zu denjenih weldye eine Hoffuumg und Ahnung des ewigen Lebens, ferbft &

a) Bgl. Ewald 12, 6.

eregetifche Bemerkungen zu ben Sprüden Salomo’s. 148

dem leibfichen Tod hinaus, ausſprechen, wie fie vom religiöfen Leben Ntaels aus feinem innerſten Wefen hervorgetrieben wurde. Für ken Greofer iſt dagegen die Hoffnung dahin, f. 11, 7 u. Pf. 16. 11.49, 73, ſowie befonders das Buch Hiob, vgl. Lug, Bibl. Dogmatit, ©. 100, und Bibl. Hermeneutit, S. 468. In ber Hauptfahe richtig erklärt Rofenmüller.

Cap. XV.

8.4. „Gelaffenheit der Zunge (f. 14, 30: wer mit Gelaſſen⸗ keit tröftend, vatgend u. |. w. zu Einem redet) ift ein Lebensbaum (für den, zu dem fie redet); ift aber Falſchheit in ihr bilrs Bruch im Herzen“, vgl. Rofenmüller und Bertheau. Zu Wo vol. 11, 3; 13, 6 und zu ızp Gef. 65, 14, wo es parafiel dem 35 397, vgl. Bf. 51,.19. Der Realfinn ift alfo: gerade mit der gelaffenen Rede, die fonft fo wohl thut, pflegt der Boſe zu täuſchen und dann wird man dadurd) noch ärger und tiefer ihlagen und betrübt als vorher. Die phnfifche Erklärung von Jarhi, Schultene w. A. „ein Bruch durch Windftoß“ ift mit Reöt jetzt allgemein aufgegeben, weil vom Sprachgebrauch nicht iterftügt. Dagegen Tönen. wir an > vor m fo wenig Anſtoß mhmen als 3. B. Ezech. 25, 6. 15. vgl. 36, 5. Daß die Alten trilmeife anders gelefen haben, darf uns nicht beftimmen, den ges dohnlichen Text zu verlajfen.

87. Folgen mir dem fihern Sprachgebrauche, nad welchem m, zumaf in Piel, nicht fo viel bedeutet als „ausbreiten, vers reiten, außftrenen wie Samen“, wie es faft alle Ausleger faſſen A dirfen meinen, fondern „fihten (20, 26), wannen, ventiliren“ md inſoweit and „ausftreuen“ das erfefene Korn, das babei zu Boden fällt, und „zerftreuen“ die Spreu am Winde (fo 3. B. dm Feinden gefagt): fo erwächſt uns folgender Sirin unferer Sen tn: „der Weifen Lippen worfeln (ventiliren) Erfenntniß", fie ften ſolche, erörtern fie und ſtellen fie rein dar; went Weiſe Imden, fo fällt das gediegene, reine Gut der Erkenntniß nieder, det Unreine, Unmüge n. ſ. w. wird durch ihre Reden, wie die Ehren durch's Worfeln, davon gefichtet und geſchieden. Dem fügt dann antithetif und In feiner Kürze um fo fehärfer das zweite

144 Ruetſchi

Glied bei: „aber das Herz der Thoren nicht alfo“; 2 oDpi find einander nicht ganz gleichgeſtellt, ſondern Id deutet weil Thoren in ihren Herzen die Erkenutniß nicht fo gefichtet erörtert wie gutes Korn Haben, fo fann natürlich auch .von il Lippen nicht ſolche gediegene Erfenntniß firömen. Wir bfeiber auch bei der einfachften Bedeutung der Worte Ind, ohne fie w in moralifd+figürfihem Sinne („das Herz der Thoren ift ı ſicher, nicht redlich, unzuverläfjig“, LXX. Syr., Schultens, de W - Ewald, Bertheau) oder in mehr intellectuellem Siune, mit Hi ala Object zum = „was nidt fo ift, Umwahres, Lügen“ zufaffen, was feinen Gegenfag zu nyı ‚gibt und auch fprad ferner liegt. \ ®. 15. Saft allgemein glaubt man, weil im zweiten Gliede „frohlicher Sinn“ gepriefen wird, im erften Sage 1x nicht äußerer, ſondern von innerer Bedrängniß „betrübt, mißmu gebeugt“ faſſen zu ſollen, wie wir glauben mit Unrecht gegen den ſehr conſtanten Sprachgebrauch. Wohl bezeichnet der häufig einen innerlich, im Gemüth Leidenden, aber nie dann, diefe Stimmung getadelt oder mißbilfigt werden foll, find doch omay eben bie echten Sfraeliten, die mzwgol z@ nveiuarı, daß innere Betrübniß anders bezeichnet zu werden pflegt, | B. 13. Dagegen bezeichnet 5Mof. 24, 12 augenfcheinlich 1 feiblih Armen, und fo nehmen wir’ auch hier; wir gewir dann durd) Entgegenfegung beider Hemifticien folgenden. fehr ſcht Sinn: „alle Tage eines Armen find [zwar] böfe [in Rückſicht feine äußerfihen Unftände]; wer aber (= ift.er aber) frögli Herzens, fo iſt's ldeunoch] ein beftändiges Feſtmahl“, auch äußerlich Arme kann alſo trotz feiner ſchlimmen Tage all Breudenmahl halten, hat er nur ein fröhlich Herz ſich bewa Wie tief wahr die Sentenz ijt, bedarf feiner Auseinanderjegu man vergleiche gleich, den folgenden V. 16. ®. 16 nehmen wir nad) V. 6 und 17, d. h. wir verfte unter mprıp nicht jpeciell (wie Higig und Zödfer nach Vuig. dem Verbo om Pſ. 39, 7, wo inzwiſchen die allgemeine Bei tung „lärmen, ſich abmühen“ aud ausreicht) die „raftlofe Gi den Schag zu mehren, fondern allgemein nad) dem Sprachgebrai

exegetiſche Bemerkungen zu ben Sprüchen Salomo's. 145

‚se Verwirrung, Unordnung“ in menſchlicher Geſellſchaft, bie da» durch zerrüttet und zerftört wird, namentlich in Folge der Unter- trüdung des Einen durch die Andern; hier alfo insbefondere: in⸗ vendige Unficherheit, Unruhe in der Familie, eine Folge des Mangels an echter ‚„Furcht Gottes“, mie fie das erſte Glied preift als Grundfage alles wahren Glüdes auch bei wenig äußeren Glüds- gütern. Man vgl. zu myrp befonders 2Chron. 15, 5 (paralfel by pn); Jeſ. 22, 5 (ale göttliche Strafwirkung); 1Sam. 5, 9. M; 5Mof. 7, 23 (Beftürzung); Am. 3, 9 (Verwirrung, Unordnung, to Gewalt vor Recht geht).

8.10. Auch, hier erſcheint ung Hitzig's Aenderung von byy in rıyals eine Verſchlimmbeſſerung; ift doch der Sinn, den z. B. Bette, Ewald, Bertheau richtig ausdrücken, ebenfo klar als wahr: ‚KuBeg des Faulen ift wie eine Dornenhede (vgl. Mid. 7,4)”, dh fieht eben überall Schwierigkeiten und läßt ſich's fauer erden; Keiner lebt in Wahrheit mühevoller als der Faule. Dem gegenüber nun: „aber der Pfad der Redlichen (Geraden, Gerechten) it gebaßnet“ ; dadurch, daß dem dyy die Dryy) entgegengefegt werden, vird die Faulheit ſtark verworfen, als Unrecht, als nicht gerader Weg bezeichnet.

8.26. „Ein Greuel des Heren find böfe Gedanken (Anschläge), ober rein find Tiebliche Worte.“ Wir Halten dafür, die ger mählten Ausdrüde nayın und ornd follen an's Opferweſen er- imern ; die wahrhaftigen Opfer bejtehen in Gedanfen und Worten; tere geben etwas Weiteres als die Gedanken im erften Gfiede, to das antecedens genannt ift. Jene „Lieblichen Worte“ find nach 16, 24 zu dverftehen (Bertheau): ſolche gefallen Gott wohl, ährend er ein auf Böfes finnendes Herz verwirft, Er, der Herzen md Sinne fennt. Der Sinn des Verſes jft meift zu wenig tief iaht worden.

Cap. XVI.

8.27—29. Weil e8 vielfach verfannt worden ift, wodurch der kinn mander Sentenz ſchief und lahm geworden ift, wollen wir ki dieſen Verſen darauf aufmerffam machen, daß das Prädicat dm Subject voranfteht, was die Regel ift, vgl. 6, 12—14;

ol, Stud. Jahrg. 1868, J 10

146 - Rüuetſchi

14, 15; 17, 4. 9 (und dazu Hitzig); 14, 19; 21, 17 u Sonach gewinnen wir für unfere Verfe folgenden fcharfen

treffenden Sinn, welchen viele Ueberfegungen mehr oder wen verwiſcht haben: „ein heilfofer Mann ift, wer Unglück gräbt | Anderen, vgl. von Nachftellungen Hiob 6, 27 und das Bil der Grube Bf. 7, 16; 57, 7), und auf feinen Lippen iſt's fengendes Feuer. Gin verdrehter, ränfefüchtiger Dann ift,

Streit anftiftet (Mancher hält dies für eine Art von Vergnü aber ftets deutet es auf einen „verdrehten“ Charakter; fo wird Streit - Anrichten ſcharf als unfittlich verworfen), und ein Of bläfer (18, 8; 26, 20. 22) ift, wer vertrauten Freund tre Ein gewaltthätiger Mann ift, wer feinen Nädjiten bethört ( ſcheint aber auch oft ein „unſchuldiger“ Scherz, ift aber im Grı ein Werk der Gewaltthat, des argen Unrechts) und ihm dann g läßt (das der Sinn des Perf. mit 7 nad) Impf.; letzteres ſchi die Handlung als eine Gewohnheit, erfteres führt empha hervorhebend die Folge davon an xei’odrwg, ſ. z. B. 25, dgl. Ewald's Lehrb., $ 233, b) „auf einem Wege, der nicht ( (itotes, für „auf ſchlechtem, ſchlimmem Wege”, vgl. Pf. 36 ef. 65, 2). ©, dazu 1, 10ff. Schon Umbreit und Er haben im Allgemeinen richtig überfegt und erflärt.

Cap. XVII.

®. 11. Verkennung des fichern Sprachgebrauches, wonach ſeinen Nachdruck nicht immer auf das unmittelbar dabeiſteh Wort, ſondern auf den ganzen nachfolgenden Say wirft, 1Mof. 29, 14 „wahrlich, du biſt mein Fleiſch und Beir 44, 28 „gewiß! zerriffen ift er“ u. ö., hat die Interpreten diefem Verſe vielfach, irre gehen laffen. Indem wir uns fonjt Umbreit und de Wette anfchliegen und die Deutungen von En und Higig als gezwungen und geſucht verwerfen, erflären ı „Gewiß! Empörung fucht Böfes (Verderben) und ein graufa Bote wird gegen fie entjandt werden.“ ap nehmen wir als J stractum pro Concreto, wie Ezech. 2, 7. 8, und ale Sub de8 eriten Gliedes, fo daß 12 im zweiten Gliede ſich darauf beji Der Sinn ift alfo: ein Empörer (gegen Gott und Menfchen) ſi

eregetiſche Bemerkungen gu den Spräden Salomo's. 147

fiherfih, ob er's gleich nicht meint, ſich ſelbft das Boſe, Unglüd; ke Empörung bringt gewiß nur Unglüc ihrem Urheber. Der ‚pranfame Bote“ tft ber, welcher Todesurtheil und Vollſtreckung Wielben zugleich bringt. Man vergleiche den allgemeinen Gedanken von dem fich felbft in's Verderben ftürzenden Wege der Günder, 1, 16ff.

Cap. XVII.

8.10. Die Ausleger haben Hier faft ſämmtlich richtig über- fegt, nur Higig nahm Anftoß und meint, ftatt yray vielmehr om ten und dann 13 „durch ihn“ faffen zu follen; mit Unxecht, wie wir glauben. „ine fefte Burg it der Name Jehopa's: zu ihr fuft der Gerechte und ift erhöht.“ Wir bemerken noch Fol⸗ gabs zur Nechtfertigung. 12 kann gewiß die Richtung des Aufn ausdrüden, da 7 in fiheren, ob auch feltneren, Beiſpielen km eis ober in c. accus. entſpricht, ſ. IKön. 10, 26. 1 Sam. 3,26 0077 ni2 = ſich einlaffen in Blutvergießen, in Blutſchuld gerathen, of. 23, 7 Dan min == eingehen unter dieſe Heiben, 9.61, 3, ja fo wohl aud in unferem Gapitel B. 6 272 mia = „eingehen in Streit", was ſchürfer ift als die, ſprachlich aller⸗ dings auch mögliche, ablative Faffung des 3 = lommen mit Streit, Streit dringen. Ferner beachte man am Schluß am, womit bie Folge des Laufens als roſch und ſicher eintretend ſchön hervor⸗ hoben wird, f. unſere Anmerkung zu 16, 29. Wir bleiben übri⸗ #03 bei der urfprünglichen und nächſten Bebeutung (hierin mit ditig übereinftimmend) des Verbi air) m= „erhöht, erhaben fein“, doraus erſt das consequens iſt: „firher, geidägt fein“, wie Bas Dort in Piel und Pual (unten 29, 25) vorkommt, obwohl in der Mehrzahl der Stellen die Bedeutung „erhöhen“ vollfommen wöreiht; mau vgl Gef. 9, 10; Pf. 20, 2; 69, 30; 91, 14 md den Mebergang der Begriffe „Höhe“ und „ficherer Ort, Zus Auge im Subft. am. Der Realfinn unferee Stelle ift fehr Mon; Jahve gibt und ift eine fefte Stüge; daß gerade non ge gt ift (wie Pf. 20, 2), vermehrt noch den Gedaufen, denn dies bexichnet ſtets Ihn, wie ihn der Menſch kenut, wie er Ihn in Grtenntniß und Glauben erfaßt und im Herzen trägt. Eben was

10*

148 Aüetigi

der Menſch von Gott kennt, ift für ihn ein fefter Turm. We ein Menſch ftrauchelt oder zagt, fo fehlt e8 nur daran, daß nicht hingelaufen ift zu diefem Halt, ſich gleichfam nicht erinn hat, wo jein fefter Schuß ift. Thut er’s, fo iſt er fofort erhil befreit aus aller Gefahr. Der in Gefahr, äußerer und inne Angft Schwebende wird als „niedrig“, als herabgedrückt geda der Vertrauende, feine Zuflucht zu dem Jahve, den er Kennt, N mende erfcheint al „erhöht“. S. auch Pf. 61, 3 u. 4.

Cap. XIX.

®. 15. Wie man an diefer fo einfachen Sentenz Anftop ı men fonnte und daraufhin mit Herbeiziehung der auf DMißverftä niß beruhenden Weberfegung der Alerandriner den Text änd wollte, ift mir ein faum begreifliches Näthjel. Iſt es denn n vollſtändig wahr und in andern Sprüchen unferer Sammlung eb falls ausgefprochen, was hier fteht: „Faulheit läßt in tiefen Si fallen“ ? vgl. 24, 30—34; 6, 9—11. Was ijt num aber Folge diefer einfchläfernden Wirkung der Trägheit. Keine and als die im zweiten Versgliede geſchilderte: „Läffige Seele ı hungern“. Der Faule begehrt wohl auch, aber er hat dann nid feine Eßbegierde (wr)) zu ftillen, eben weil fie „läfftg“ war in nicht aus faulem Schlafe zu angeftrengter Thätigkeit zu me vermochte; feine Trägheit betäubt ihn völlig, daß er fich nicht ı voffen mag, f. auch 20, 13. Das „Mangoldkraut“, zu weld als zur geringften Nahrung die Trägheit herunterbringe, ift ni als ein mwigiger Einfall von Higig.

®. 18. Don Neuern hat, wie wir glauben, nur Umbreit f das Richtige gefehen, indem er das Platte und unerträglich DM der gewöhnlichen Erklärung fühlte, welche im zweiten Gfiede ı Beſchränkung und Ermäßigung des im erften Gliede Entf tenen zu fehen vermeint und überfegt: „züchtige deinen Sohn, | dieweil noch Hoffnung ift; aber ihn zu tödten laß dir nicht Sinn fommen“, als Hätten wir hier eine Warnung gegen üb mäßige, der Gefundheit, ja dem Leben des Kindes ſchädliche Strei der väterlichen Zucht. Vielmehr ift das zweite Glied gerade e Schärfung des erften, und der Sinn ift der: „und laß dich mi

exegetifche Bemerkungen zu ben Sprüchen Salomo’s. 149

gelüften, ihn zu tödten“, nämlich: eben, wer fein Kind nicht züch- figet am rechten Ort und zur rechten Zeit, der tübtet es, ber mordet feine Seele! Ein wahrlich auch unferer ſchlaffen Zeit, mit ihrem falſchen Philanthropiemus, ihrer feigen und im Grunde höchft ſelbſtſüchtigen Schonung gegenüber, fehr berechtigtes, goldenes Wort! Zum Sinne vgl. 23, 13. 14: „nicht fpare am Knaben Zucht; wenn dur ihm fchlägft mit dem Steden, wird er nicht fterben; du zwar [hlägft ihn mit dem Steden, aber feine Seele retteft du vor der Hölle“. Man überfah bier meiftentheil® die Emphafe des vorangeftelften ugs; am beften noch Pifcator und Higig, im Gegen- jap zu sp. Der Sinn ift: du thuſt ihm Geringes an, aber eihft Großes dadurch; als Vater züchtigeft du ihm natürlich mit Nix, mit „Menſchen-Stock“ (2 Sam. 7, 14), nur mit der Ruthe, tetef, bewahreſt ihn aber fo vor der Unterwelt. ©. weiter 13, 24; 3,12; 22, 15. ©ir. 30, 1.

Cap. XX.

8.4. Die Einwendungen Higig’8 gegen die jegt, feit Vulgata, gmößnliche Erklärung des Verſes fcheinen größtentheils wohlbe⸗ gründet; wir fuchen daher nicht zwar eine durch nichts bezeugte Aenderung der Lesart, wohl aber eine andere Auslegung der Worte. qm bezeichnet eigentlich den Herbft, d. h. die Zeit der Obft- und Reinfefe, des Pflückens (man) der Früchte, im Gegenfage zu yır wohl auch Herbft und Winter zufaommen, die fältere Jahreszeit wgenüber der wärmeren. Deshalb aber darf man np nicht er» fären „der Kälte im Herbit wegen“, denn gerade der Begriff der „Kälte“ Tiegt am ſich nicht in dem Worte, und wenn alfo das der Hauptbegriff fein follte, warum wäre dann nicht der directe Ausdrud für „Kälte“ gejegt worden? Wir Kalten den Begriff ber Jahreszeit feſt und nehmen nun die Präpofition po nicht ufal, fondern tem porell; dies zwar nicht in der gewöhnlichen Beventung von „nad, gleich nach“, als Angabe des terminus a wo (inde ab), fondern vom Zeitpunfte felbjt. So gut locales Paud das Verweilen und Sein an einem Orte bezeichnen kann (wie Tateinifch a dextra u. dgl.), fo auch temporell „zur Herbft- zit“, eigentlich: von ber Herbftzeit an, indem der Unfang ber»

150 Adetihi

felben in's Auge gefaßt wird. Mean vgl. das Häufige many, ı Jedermann auffaßt = „am folgenden Tage“, 3. B. 1Mof. 34. 2Mof. 9, 6. 3Mof. 28, 11. 1Sam. 5, 3f.; 20, 97 ypp == „am Ende", vgl. Ewald, Lehrb., 8 220b. 218c. U „bon der SHerbftzeit an, zur SHerbftzeit pflügt nicht ber Fe (während der Fleißige damit beginnt, ſobald ber Herbſt anfär daher yo), und fo wird er dann fuden (Nachfrage hal bei feinem Ader!) in der Ernte und nichts ift dal»). 9 leſen mit K'ri EIN dgl. zu 16, 29, wodurch die Folge des ı fehrten Thuns oder Laffens emphatiſch eingeführt wird, wäh Chetibh bau einfach die Schilderung fortfegen würde, mas ſchwächer wäre; man konnte fogar das Perf. des K’ri mit y hy) thetifch faffen „und wenn er fucht (fuchen witrde) in Ernte, fo ift nichts dal“ vgl. 1Mof. 33, 13: an] ++++ Dy „und wenn man fie triebe, jo ftürben fie“. Die von Schult nad) Bj. 109, 10 beliebte Punctation ala Piel Iyyy zer ı betteln“, geht aus den von Hitig angeführten Gründen an, es gäbe nicht einmal einen recht runden und vollen Stan, yo könnte nicht fo kurz beigefügt fein.

®. 25. Der Sinn diefes Spruches wird im Allgemeinen 3 richtig verjtanden, fon feit LXX; e8 foll gewarnt werden da daß man nicht einmal Verſprochenes und Gelobtes dadurch 9 der theilweife zurüdnehme, daß man Hinterher erft nachjieht, und wie man's jegt halten und erfüllen wolle. Die Art aber, man diefen Sinn aus den Worten eruirt, ift verſchieden und ı unferem Dafürhalten noch kaum völlig befriedigend gelungen. 9 mentlich fcheint und die gewöhnlich angenommene Konftruction Worte an ſchweren und kaum erträglichen Mängeln zu leid man ergänzt 3. B. vor yby ein px, man befommt dann eine bi Bebenten erregende aramäifche Stellung des Yuf. Apab ganz Ende, weil man allgemein “mx als Präpofition auffaßt. Um d Schwierigkeiten zu vermeiden und unter Berückſichtigung des | beachtenswerthen Umftandes, daß gerade die Verba rn und

a) Roſenmüller: postulabit, sed nihil erit, quod colligat; t Umbreit.

exegetifche Bemerkungen zu ben Sprüdjen Salomo’s. 161

in den bezüglichen ober nahe verwandten Stellen der Thorah ges braucht find (5 Mof. 23, 22. 3Mof. 27, 33), möchten wir, nur etwas modifteirt, die Deutung von Ziegler neu auffrifhen und alfo effüren: „Baltftrid für den Menfchen iſt's, Heiliges (im Sinne des Geſetzes: das, mas man als xogß&v gelobt hat) zurückzu— halten und zu verzögern Gelübde, um [erft] nachzufehen [ob und wie man fie erfüllen wolle]*. Nämtic ydz nähmen wir als Nomen actionis unter Bergleihung des Stammes ) = men- titus est, abstulit quod alteri debetur; doch müfjen wir Ara- biſten entſcheiden laffen, ob dieſe Wortbedeutung richtig und ver— geihbar ift; die Wortform wäre wohl fein Hindernig, man vgl. Yy, das Patach in yby würde ſich durch y erklären. Auch Ewald

md Bertheam fühlten richtig, daß das Wort ein Infinitiv oder Sıfantio fein müffe, wollten aber ydz punftiren, was kaum nöthig fin wird. In me würden wir fodann den Infin. Piel no- minascens erfennen, was und nicht fo „gewagt“ vorfommt, wie Umbreit die Erklärung von Ziegler, die freilich an einigen, von uns, wie wir Hoffen, befeitigten, Schwierigkeiten laborirte, bezeichnete. Ung tommt die gewöhnliche Annahme, yo» fi = nyb Hiob 6, 3 U mindeſtens als ebenfo gewagt vor, obwohl fie einen ganz paſſenden Sinn gäbe: Teichtfinnig, übereilt ausfprechen.

8. 30. Wir deuten diefen Vers, im Wefentlichen mit Bertheau übereinftimmend, als eine fehr ſarkaſtiſch ausgefprochene Sentenz bietend: „Wundftriemen find Reinigung am Schlechten und Schläge, die 6i8 in die Kammern des Leibes (bis in's Innerſte) dringen.“ Die Structur ift die, daß das Prädicat mitten zwiſchen zwei Sub- teten fteht, von denen das zweite deutlich das Schärfere gibt, eine Steigerung enthält. An einem Böfen müjfen Harte Schläge als Reinigungsmittel dienen, ihm gleichſam eingerieben werben, und wenn diefe nicht gewirkt, nicht gehörig gefruchtet haben, fo folgen ſolhe Schläge, die in’s Innerſte eindringen. Wir nehmen alfo PR oder, wie K’ri will, phye , nicht wie die Alten als Verbum, ſondern al Nomen: jenes findet ſich nur in Kal und Pual, fee tere8 dagegen ift in Efth. 2, 3. 9. 12 von den Einreibungen mit Salben und Wohlgeruchen der für’s Königlich perfifhe Harem Ber fmmten gebraucht, alfo als Schönheitsmittel für den Leib. Die

182 Rüetihi

Seele des Böfen aber bedarf zu ihrer Verſchönerung ſchärff körperlicher Zucht. Wie treffend und ganz im Geift unferer Spri diefe Sentenz ift, ift von felber Har, man vergleiche auch Umbi Die Präpofition 7 vor y) ift ganz in Orbnung, da eben fo „Einreibungen“ äußerlih am Böfen vorgenommen werben. | Eonjectur Hitig’8 laffen wir auf ſich beruhen.

Cap. XXI.

®. 5. Indem wir uns an die gewöhnliche Deutung diefer ſchweren Worte anfchliegen, möchten wir fie nur etwas fchärfe präcifiren, woraus fi denn die Ungebühr einer Aenderung Textes von felbft ergibt: „Gedanken eines Fleißigen zum Gewinne, aber jeglicher, der eilt, nur zum Mang Wo Fleiß und Befonnenheit (darum find die niagro hervorgehobe zufammen find, hat's guten Erfolg; wer aber (ohne fich Zeit „Gedanken“, zu Nachfinnen und Ueberlegen, zu nehmen, wie opposito zu ergänzen ift, was leicht erhelft) nur eilfertig, leidenſchaftlicher Gier handelt, meinend, ſchnell reich werden zu mol bringt fi gewiß nur zum Mangel. Wie verderblih alfo b ungebuldige Haft! welch ein Wort für unfere Zeit!! mie t Beifpiele, zumal in der Handelswelt, find nicht warnende Yıuf tionen dazul Man vgl. 19, 2, und ein etwas verwandter Geda in 13, 11; 28, 20.

®. 28. Die Sentenz, die 3. B. de Wette und Ewald rid überſetzen, iſt ſehr fein gebaut, und man muß ſich hüten, i Spitzen nicht abzubrechen. Nämlich ya darf nicht, wie noch Umb wagt, gegen den Accent mit mb verbunden und Tegteres dann der höchſt feltenen (Habaf. 1, 4) Bedeutung von „Wahrheit“ a gefaßt werden; denn auch abgefehen von den Accenten entfteht fein rechter Gegenfag: 12 und Sz7 geben allein nidt ei vollen Gegenfag. ya ift abfolut gefegt wie 1Kön. 3, 9 v Gehorfam auf das, was wahr und recht ift. Der Tügenhafte Zer hält eben nicht auf da8 Wahre, drum muß er aufhören zu ſprecht feine Bahn geht aus (Pf. 1, 6). Dagegen der Mann, der hört auf das Wahre, wird immerdar ſprechen „als Zeuge und fon glücklich Tebend ftets reden fünnen und gern gehört werden“ (Emall

eregetiſche Bemerkungen zu ben Sprüchen Salomo's. 158

af eben nicht „untergehen“ (= ein Ende mit Schreden nehmen). du nygb in obigem Sinne beweift für unferen Zufammenhang 12,19, vie Bertheau richtig anmerkt; ſ. auch 19, 9. 5.

8.29. Man hüte fi, Hier der Lesart des K’ri, melde auch LXX ausdrüdt, zu folgen und alfo yı7y ftatt j73 leſen zu wollen; sift dies nichts als eine erleichternde Lesart, vielleicht veranlaßt Ach das Veftreben, den fcheinbaren Widerſpruch mit 16, 9 zu uermeiden, wobei aber der ſchöne, treffende Sim des Driginals toren geht. Letzteres, zudem durch Aquila, Symmachus und Tatgum bezeugt, iſt in der Ueherfegung, wie Umbreit bemerkt, idner in feiner ganzen Schärfe wiederzugeben ; am treffendften wohl Gm: „Frechheit ein Frevler zeigt im dem Geficht: doc Med» liter er recht macht feine Wege“, oder Umbreit: „es nimmt der dulihe fefte Mienen an, der Redliche befeftigt feinen Weg“. Die ganze Schärfe des Ausſpruchs Liegt in dem Gegenfag von 17 und dep mit ihren verfchiedenen Objecten 1938 und 197371. Beide Zeit: wörter enthalten den Begriff des „Feſtmachens“, aber die Objecte And eben verfchieden. Der yya ſieht's nur auf's Aeußere, auf die Formen, auf das Ausſehen und den Schein, auf momentanen Erfolg, %, der Sur dagegen geht auf das Reale aus, auf das wirklich Iate, er befeftigt alfo feine Wege, feine Lebens» und Handlungs- wife, fein ganzes Thun und Wandeln. Wie fehr bewährt ſich vd) das immer nen im Leben! Der Böfe ſucht und meint mit her Stirn feine Frevelei verdeden, ſich den Anfchein eines „ehr hr Mannes“ geben zu können, der Redliche ift wirflih zer md dadurch wird fein Weg „befeftigt“, vor Fall und Untergang, vr ſchlimmer Entfarvung und jähem Sturze gefichert und bewahrt, mas alles „Feftmachen des Angefichts“ auf die Länge nicht zu Teiften mag! Das Wort wa ift oben 7, 13 (vgl. Qoh’el 8, 1. 5Mof. %, 50) mit dem Accuſativ conftruiet, hier dagegen mit 3. Einen yeihen Wechfel der Conſtruction finden wir bei wg 3. 8. def. 1,16 Rt 0987, dagegen Thren. 1, 17 mit p7p2; ebenfo bei vn 3. B. #22, 8 mit onS (neben opipp mpp) und Hiob 16, 4 mit Ar. Diefer Conftructionswechjel bedingt übrigens eine Viantirung des Sinnes; mit I wird die betreffende Handlung nur 18 eine Außerliche Geberde dargeftelt; der Accuſativ weiſt auf

154 Rüetſchi

eine mehr von innen kommende Bewegung der äußeren GI Bin; dort Haftet die Handlung gleihjam am Gliede, Hier befti ber Wille das Tegtere als fein Werkzeug. Zu pr vgl. Pf. 119, Man bemerfe auch die Emphafe des nr, wodurch das Thun pr, obwohl aud) in einem „Feſtmachen“ beftehend, ſcharf in traft gefeßt wird gegen das nur vermeintliche „Feſtigen“ des Dean verliert offenbar viel durd die Lesart my, ſei's, daß dabei, wie gewöhnlich, das Suffixum in 947 reflerive faßt, bag man’s mit Hitig auf den pi) des erften Gliedes zurüch der Redlihe durhfchaut die Wege des Frevlers, obgleid | fie frech zu leugnen verfucht, wo man aber eher 125 als 7 warten würbe, oder eine Wendung wie 28, 11 (pr).

Cap. XXI.

®. 4. Wir müffen von den meiften Auslegern abweiceı Erklärung diejes Spruches. Gewöhnlich (Luther, Schultens, ſenmüller, de Wette, Ewald, Bertheau, Elfter, Zödler) nimmt nämlid 'y ns als per dovrderov zu nz, app, conftr Genitiv „Lohn der Demuth, der Furcht Jahve's iſt: ..“ 3 diefe Conftruction ift fehr gefucht und durch das &ouvdero nachfolgenden 5. Verfe nicht genügend gefhütt, da dort die b fenden Worte Nominativi find. Man Hat geglaubt, dieſe ftruetion, welche Umbreit und Higig mit Recht verwerfen, fei aufgenöthigt durch den Realfinn, da ja die Furcht Jahve's der Lohn der Demuth fein könne, vielmehr der legtern voran müffe. Diefe vermeintlihe Schwierigkeit veranfaßte Umbreit, von der Bejcheidenheit im Betragen gegen die Mitmenſche verftehen, was aber im religiöfen Sprachgebrauch Iſraels un Sprüde (15, 33; 18, 12) nicht begründet ift; Hitig glaubt dadurch zu der ingeniofen, aber, wie ung dünft, nicht nur flüffigen, fondern ſelbſt durch die folgenden Worte nicht begitnfti Eonjectur Ddy) = „das Schauen Jahve's“ (Pf. 11,7; 17 berechtigt, Warum follte indeffen der gewöhnliche Text, r verftanden, nicht völlig genügen? Der Sinn ift: „Lohn der De tft Furcht Jahve's“, nur wer demüthig ſich um fie bewirbt, e ſie (2, 2—5), mit ihe aber: „Reichthum und Ehre und Lel

eregetifche Bernerfungen zu den Sprücen Salomo's. 155

Die ehte, veligiöfe Weisheit = "nem iſt höchſter Kohn ber Demuth, fie iſt dem, der fie erlangt, Alles (Reichthum, Ehre, Leben), Ace, was der Menſch fonft begehrt und erftrebt, fie ift fein größter deichthum, feine höchſte Ehre, fein mahres Leben! Cine treffliche Sentenz, vergleichbar bem Worte des Herrn Matth. 6, 33: „erachtet m erften mach dem Weiche Gottes und nach feiner Gerechtigkeit, d wird euch alles folches zufallen". Das zweite Glied des Verſes jbt Hiermit eine Amalyfe des Prädicats im erten Gliede, es vutet an, was unter biefer may alles gemeint, mit ihr gegeben fi, was alfes der Demuth als Lohn zufalfe.

8.5. „Dornen (Hiob 5, 5 vgl. 4Mof. 33, 55), Schlingen (ut. Joſ. 23, 13, wo ebenfalls beide Worte verbunden vorkommen) find anf dem Wege des Falfchen: es bewahrt feine Seele, wer fern Heißt avon.“ Der Falfhe ſcheint gar liſtig zu fein, Handelt der ganz verkehrt, denn fir ihn, auf feinen krummen Pfaden, find Innter Gefahren, Beschwerden, Fallſtricke, in denen er endlich ſich iher fängt, wie unfer Buch überall lehrt; der Redliche dagegen, er gerade wandelt, ſich fern von dem Wege des Balfchen hält, Abt aud) fern von den, dem wpy eigenthümfichen Gefahren und ehrt fo fein Leben. Wir nehmen alfo swing Ar, der Regel mäß (f. oben zu 16, 27), als Prädicat und nm pm als Zubject, und nicht ungefehrt, wo man meiftens Ar deutet als wer fein eben behüten will“ (fo 3. B. Umbreit, de Wette, Berthean, aber ſ. 16, 17; 13, 3; 19, 8: überall ift yoga We⸗ hädicat) und dann peim etwa auch ala Juſſivus „der libe fern“ nimmt (Bertheau, de Wette, Hitzig, Zöcller). Unfere deutung ift viel einfacher und zugleich ſinnvoller.

B. 8. Diefer Vers ift von Rofenmüller in der Hauptſache ihtig erffärt worden und mit Unrecht ift feine Deutung von neueren Inslegern vielfach verlaffen worden. „Wer Frevel fäet, wird Unheil imten und die Ruthe feines Grimmes wird zu Ende gehen.” Zum "ten Hemiſtichium vgl. Hiob 4, 8; Hof. 8,7. ywz ift nicht blos telleit· (Bertheau), fonbern geradezu „Unglüc“, vgl. Habak. 13u.a. Stellen bet Gesenius, Lex. Man. s. v. No. 4. Worin He abıy, beftehe, wird im zweiten Gliede näher angebeutet, nämlich 2 grimmiger Härte und Unterbrücung des Nächſten, daher das

156 Rüeiät

Bild vom „Steden“ ober ber „Ruthe“ und der myzy bee mit den Menfchen Umgehenden, wie Beides z. B. aud bei 14, 5f. vgl. 10, 5 vorfommt. Diefer Stab des grimmen Dri wird zu Ende gehen, zerfchlagen. werden, aufhören müffen. ( den Sprachgebrauch ift die Deutung von Umbreit, de Wette, C Eifter: „feiner Strafe Stab ift ſchon bereitet“; auch Jeſ. 1 Cogl. Jeſ. 26, 20) Hat mby diefe Bedeutung nicht, es Heift hinſchwinden, zu Ende gehen“ und mazy heißt nicht ohne I „Strafe“, aud nicht oben 11, 23 oder Kfagel. 3, 1, wo myzy von Gottes Zornruthe gefagt ift. Zu einer Abweichung Texte iſt trotz LXX und Hitig feine Urſache vorhanden. 8.16. Wir billigen Hier vollftändig die Deutung von Ber Die Frage ift: bildet der ganze Vers nur einen Sag, vom lichen Subject ausgefagt? oder find zwei Säge anzunehmer verschiedenen Subjecten? In letzterer Weife fehen z. B. de | Umbreit, Ewald, Higig die Sade an und finden den Sinn einen Armen bedrüct, tht es, um ihm, dem Armen, fein © mehren (Gott wird den bedrüdten Armen entſchädigen, ihn umfomehr fegnen und reich maden, wie zum Lohn für bi toiderfahrene, ungerechte Bedrückung), und wer einem Reichen der thut's nur zum Mangel deffelben, zur Minderung der des Reichen, das ſchwindet wieder hin, hat feinen Segen, Beftand. Allein diefe Auffaffung bietet die alfergrößten Schi feiten durch den fo gewonnenen Gedanken; es wird wohl ı der Arme, ungerecht bedrückt, wird davon befreit und erlöft w nicht aber, feine Bedrückung diene gerade zur Vermehrung Vermögens und werde ihm damit vergolten; noch viel weniger jemals gefagt, wenn ein Reicher ein Gefchent erhalte, fo rufe ein Fluch, der feine Habe verzehre. Beide Gedanken wären t unwahr, und man mag fi drehen wie man will und obige faffung noch fo oder anders mobdificiren wollen, diefe Schwie bleibt, und man ift 3. B. gezwungen, den „Reichen“ gerade; einen ungerechten Reichen zu deuten, was erſchlichen ift. muß alfo der andern Auffaffung den Vorzug geben und erfl „wer einen Armen bedrüct, um fein eigen Gut zu wermehrer gibt einem Reichen nur zum Mangel“. Male parts

eregetifche Bemerkungen zu den Sprüden Salomo’s. 187

dlabuntur, vgl. 28, 8; 11, 24. Freilich darf man nit, wie eier und Rofenmäller, den Asp von einem andern Reichen ver- ſuhen, al von dem Bedrücker des Armen. Daß jo 5 in beiden deniſtichien nicht völlig gleich, das erſte Mal von der Abficht, das zueite Mal vom Erfolg geſetzt ift, bildet feine Inftanz gegen unfere Auffaffung; es gehört dies gerade zu den gejuchten pointes dieſer Sprüche, und überdies ift auch das zweite 5, vom höheren religiöfen Standpunkt aus betrachtet, eigentlich Bezeichnung der. Abficht: der xthlendete Meiche merkt's nur nicht, daß er fich felbft fo Mangel mieht; es ift, als thue er's abfihtlih! man vgl. va im N. T. Lie Sentenz zeichnet eine zweifache DVerfehrtheit: 1) indem ein Eolger einem Armen nimmt und einem Reichen, jich felber, ders nicht bedarf, gibt, und 2) indem der endliche Erfolg doch nur dei, dag er zuletzt Mangel hat.

Eap. XXI.

8.17. 18. Was hier Schwierigkeit macht, ift das zweimal uch, einander geſetzte Dx- >, don dem es nicht möglich ſcheint, es Se Male in gleichem Sinne zu faſſen. Wenn Umbreit, Higig, Fler zc. mit Recht zum zweiten Gliede von V. 17 das Verbum % erften wiederholen (nad) dem Vorgange von Ibn-Esra), wobei xp an zweiter Stelle in der That anders gemeint ift als. in ferer, hier „beneiden“ wie 24, 1. 19; 3, 31. Pf. 37, 1, om dagegen „eifern um die Gottesfurcht“, ihr eifrig nadj= nn, fo kann diefer Wechfel fehr wohl angehen, da > dort eine kıfon, Hier eine Sache einleitet, f. aud; oben zu 22, 16. Die wohnlich beliebte Ergänzung von „fei“ (im der Furcht Jahve's) % hart und kaum zuläffig. Hier nun hat ox“> feine gewöhnliche xdeutung = „fondern“. Dieſe aber mit Ewald (vgl. aud) de Wette: in! ſondern . .) auch in V. 18 anzuwenden: „vielmehr, dgibt noch eine Zukunft“, dürfte ebenfalls gewagt fein und müßte ud eine gar zu bedeutende Einfciebung von Zwifchengedanfen Mt gleichfam vermittelt werden, etwa wie einige Rabbiner para- Mafirten: . . wenn du Böſe beneideft, fo thuſt du, als wäre ir dich keine Mond, feine Hoffnung; diefem folle num unfer Sag Agegentreten: nicht fol fondern es gibt eine Zukunft u. j. w.

158 Niüetfcht, egegetifche Bemerkungen zu den Spruchen Salomo's.

Grammatiſch leichter wäre die, von Pifcator, Umbreit, Rofenmi Bertheau, Elfter, Zockler befolgte Trennung beider Conjuncti in der Weiſe: „denn, wenn es [wie nicht zu bezweifeln Ende gibt, fo wird deine Hoffnung [wenn du handelſt nad V. 17 gegebenen Rathe] nicht vernichtet werden“. Allein da madyen die Stellen 24, 14 vgl. Ser. 29, 11 von vornhere wahrfcheinlich, daß die Worte nyyas Wr mit den folgenden auf Einer Linie ftehen, und auch die Logil wie die Wortſte macht ſolche Trennung, wie Higig zeigt, nicht rathſam. bleibt nur entweder die Annahme, daß os - va hier für einfache: „denn“ ftehe, was freilich ohne weiteres Beiſpiel, daher bede anzunehmen wäre, oder, daß now durch ein Verfehen aus % eingedrungen fei. Legteres möchten wir faft anzunehmen g fein und fogar vermuthen, urſprünglich Habe geftanden 19-37 Zeph. 3, 9): „nicht beeifere fd dein Herz um die Sunden, dern um die Furcht Jahve's alfezeit, denn dann gibt's [für eine Zufunft und deine Hoffnung wird nicht ausgerottet wer Nämlich, nach der Aufhauung unferes Buches 24, 14. 20; 1 14, 32; 10, 28 wie der Pjalmen (37, 37f.) gibt es fin Böfen keine nn; dieſes Wort wird in bonam partem gebt und enthäfteine Hoffnung auf eine kommende, beffere Zeit (Ser. 31, ja felbft über den Tod Hinaus; f. oben zu 14, 32. „Todesſt Lebensende" (Umbreit) heißt mımx nie.

Zum Schluß diefer Bemerkungen erlaube ih mie nod h weifen auf die treffliche Hermeneutifche Anweifung zu Erkläru Sprühmwörter, wie fie mein unvergeßlicher Lehrer D. Lut gegeben hat in feiner „Bibl. Hermeneutif“, ©. 468—472. 3 es gelingen, immer tiefer einzudringen in biefen reichen ©: iſraelitiſcher Weisheit und immer mehr gebiegenes "Geld echt gidfer Lebenswahrheit aus demfelben zu Tage zu fürdern! | einen Heinen Beitrag zu geben, war der Zwed obigen Verſud

Laurent, ber Pluralis maiestaticus in den Theffalonicherbriefen. 1859

2.

Der Pluralis malestaticus in den Theffaloniherbriefen.

Bon

D. 3. 6. 9. Sue.

Himit unternehme ich es, zu beweiſen, daß man überall, wo in en Theffalonicherbriefen ein auf die Perfon des Apoftels bezüg- iter Plural vorkommt, denfelben als Pluralis maiestaticus zu wadten hat. Damit ftehe ih im Gegenfag zu v. Hofmann, cher das Vorkommen dieſes Plurals beim Apoftel Paulus über- aupt in Abrede ſtellt. Bliebe mir freilich nur die Wahl zwifchen rnfiht v. Hofmann’s und der der Mehrzahl der Exegeten °), xkhe bald den Pluralis maiestaticus anerfennen, bald nicht, fo Arde ich anbedingt die Hofmann'ſche wählen; denn e8 feheint mir km denkbar zu fein, daß gin Schriftfteller, der von fih mit Wir !ht, damit hie und da auch andere feine Gehülfen mit einen folfte. In den Theſſalonicherbriefen denkt fi Paulus immer, fan er von fich im Plural redet, als Apoftel, und fprict im Klühl feiner Amtswurde. Die Majeftät des Amtes alfo drüdt t duch den Pluralis maiestaticus aus. Will er das nicht, hi er mehr perfönlih, fo zu fagen privatim, fo fagt er nur

U Ropp und Pet find meiner Meinung.

160 Laurent

Die Durchführung diefes Satzes wird, wie ich Hoffe, Exegefe der Theſſalonicherbriefe nicht ganz unfruchtbar fein.

Den fefteften, früher von feinem Eregeten angezweifelten punkt gewähren die Worte 1Theff. 3, 6: "Agrı da EAyorıo uoſßov rreog juäs. Denn Apg. 18, 5 heißt es ausdrü Rs; de xarjAdov ano vs Maxsdovias Ög ve Ziläs® ö Tıu6seog, Ovvelxero Aöyp 6 HadAos. Den eriten T lonicherbrief ſchrieb Paulus laut 1THeff. 1, 1 in Gefelliga Silvanus oder Silas und des Timotheos. Wäre nun mi qjuãc 1 Theſſ. 3, 6 ein gewöhnlicher, kein Majeftätspfural geı fo wäre Paulus zu Korinth nicht ohne Silas gewefen, was der Angabe der Apoſtelgeſchichte widerfprechen würde.

Diefem Argumente zu entgehen, ftellt v. Hofmann d) bie. thefe auf: Timotheos und Silas fein nit miteinande: Makedonien nad Korinth gefommen, fondern zuerft Silas dann erft Timotheos, und Silas fei alſo beim Apoftel zu K gewefen, als Timotheos von Theſſalonich her daſelbſt ankam. gehe denn das jucc 1 Theſſ. 3, 6 auf Paulus und Silva Der Legtere war freilich erft nach dem Apoftel nach Korin fommen; denn nad v. Hofmann (S. 195) beſchränkt fir Berfaffer der Apoftelgejchichte auf die beiden Thatfachen, daf ohne jeine Gefährten nad Athen und ohne fie auch nad tinth gefommen ift. Wo war denn aber Silas vor Die Apoftelgefchichte jagt deutlih: in Makedonien: von fedonien kommt er nad) Korinth, Apg. 18, 5.

Der Apoftel war befanntlich, ehe er nad Korinth kam, zu 3 Dorthin war er im Jahre 53 °) von Berba ausgereift. Zu angefommen, hatte er (Apg. 17, 5) den Berdern, die ihn geleitet Hatten, den Auftrag gegeben, im den Silas und Timo welche zu Berba zurüdgeblieben waren, fo bald wie möglich Athen nadzufenden. Diefem Gebote folgte Timotheos, ward

a) So, nicht Cidas betone ich; f. meinen Auffag: „Zur Onomaft der luth. Zeitichrift 1863, ©. 676.

b) Die Heilige Schrift N. T.'s zufammenhängend unterfucht I, 195.

©) S. meine Neuteft. Studien, ©. 87.

ber Pluralis maiestaticas in den Theffalonicherbriefen. 161

nn von Paulus wieder von Athen nach Thefjalonich gefandt, wie 0 1Xheff. 3, 2 angegeben ift. Denn dort Heißt es: der Apoftel übe, von unüberwindlicher Sorge um die Gemeinde ergriffen, Lieber llein zu Athen, als ohne weitere Nachricht von den Theffalonichern wiben wollen (1 Theſſ. 3, 1), und Habe darum den Timotheos om Athen fortgefchidt. Das befagt der Ausdrud Arsupansr. Ik freilich nur, wenn man ihn als Pluralis maiestaticus faßt. %s lann v. Hofmann nicht, und darum iſt nad) feiner Anficht iht bios Timotheos, fondern auch Silvanıs von Berda nad ien gelommen, und Paulus und Silas haben den Timotheos beeſandt und find allein zu Athen geblieben. Won Athen reifte uther Paulus nach Korinth (Apg. 18, 1) und zwar, wie v. Hofe am jugibt, allein. Wo war aber da Silas? wie war der wieder nehRatedonien gefommen, von wo er ja vor dem Timotheos, den er nach Hofmann's Anficht noch mit von Athen nad) Mater onien abgeſchickt Haben ſoll, nach Korinth kam? Die Apoftele Hbihte fagt: es dd zarjAdov and sjs Maxedoviag. m beiden, vom Silas und vom Timotheos. Ich meinestheils me wegen diefer Stelle an, daß Silas von Berda nad Korinth m, daß er aus uns unbelannten Gründen dem Gebote des Apoftels, 2 Athen zu kommen, nicht gehorchen konnte und deshalb fo Lange : Mafedonien blieb, wie Timotheos, und dann mit demfelben, der avon Beröa abholte, nach Korinth reifte. Das erzählt Lulas ı der Apoftelgefchichte jo ausführlich nicht, aber feine Worte „ano ik Maxedortas‘““ tommen fo zu ihrem Rechte, und daß er oft Imejentfiches wegläßt, ift bekannt.

Demnach ift das drsuypansr 1 Theſſ. 3, 2 ein Pluralis ma- staticus; was auch dadurch nicht wenig befräftigt wird, daß das it önsupapısv ausgefagte fogleih V. 5 durch Zrreurya ausge fidt wird. Denn noch Hat bis auf v. Hofmann, fein Ausleger ters gedacht, als daß die Ausdrücke dio unxsrı oreyovres Erzsp- ſausy V. 1.2. und die ToDzo xayd umeerı oreyav Ense # einander völlig deckten. Anders v. Hofmann: er bezieht das "uye wicht auf die Sendung des Timotheos, fondern auf die us zweiten Boten, welchen von Korinth, nicht von Athen aus Kal. Stud. Jahrg. 1868. 1

162 Laurent

Paulus ohne Silvanus auf eigene Hand vor Timotheos A zu Korinth nad Theſſalonich abgefandt habe. Den -Hübe | nachher noch nach dem Timotheos allein abgefandt zu eineı wo Silvanus ihm fehlte. Dann aber fer Silvanıs ı gefehrt und habe den Timotheos mit empfangen. Nun fra hätte wohl Paufus, wenn er einen Zweiten abgefandt Hätte, fi Ausdrucks xdya unzerı areyav Erremipe ſchlechtweg bedient‘ muß es Andern Überlaffen, darüber zu entſcheiden, ob das mit Zrrepype zu verbinden überhaupt nur möglich ift; in dem nämlich, daß mit-dem xayo Paulus auch ich allein, nid wie zuerft, Silas und ic, fagen wolle. Ich beziehe das auf das Verhäftniß des Apoftels zu den Theſſalonichern, Sehnſucht er theile. Ich meine, ich darf es getroften Muthe unbefangenen Leſer üBerlaffen, eb er lieber mit mir das 1 3, 1. 2 Ausgefagte V. 5 wiederfinden oder v. Hofmann's thefen annehmen will; Hppothefen, deren Art fo lühn zu fein | daß, wenn ein Exeget wie Hofmann firh dazu getrieben fühl ſchon den ganzen Sag, den er vertheidigt, im einem beder Lichte erfcheinen Täßt. Wan beachte nur, daß von Silas' Erj in Athen, von deſſen Verfchwinden aus Athen nach Make don deffen Verfihwinden aus Korinth und von einem zweit Korinth nad Thefalonich gefendeten Boten in der Apoftelge oder fonft nirgends etwas gejagt iſt!

Ein fernerer Beweis für das Vorkommen des Meajeftätsp in den Theffolonicherbriefen findet ſich 1Theſſ. 2, 18. Dor es: dior nIEAjORnEv EAFElv irgög Ünäs - Ey mer I zal änak wai dis. Hier würde doch Paulus, wenn des Majeftätsplural® gar nie bedient hätte, gewiß nicht au Einfall gekommen fein, erft den Plural 7seAjoaner um zur näheren Erörtetung den Singular Eye zu fegen. Dat denke ic, der Grund, weshalb v. Hofmann (I, 191) nad Grotins’ Vorgange das zul Erna nad dic nur mit Eyu Dovkos verbindet und in Pareutheſe fegt, fo daß er den 9 von alfen Dreien, vor fi) und feinen Gehülfen, das Wollen fh) jelbft aber das wiederholte Wolfen ausfagen läßt. Gegen

ber Pluralis maiestations in ıden Theſſalonicherbriefen. 168

Ansiegung her Spricht ber Hiftorifche Thatbeſtand. Denn als Baus das Fheiranusv ſchrieb, waren SHas und Timotheos kn vorher (&gre) aus Matebonien gefommen (Apg. 18, 5). Tinst$eos war, wie wir wifjen, in’ Cheffalonich gewefen: auf den moite alſo das NSsArjommer ‚gar nick; paßte es auf Silas? Echwerlich! Er war ohne Zweifel in der langen Zeit, die ‚er in Bern verweilt war, mad Thefjalonich, dem unweit gelegenen, zum beſuch gelemmen. Hatte er doc beider Gemeinden, der zu Thefſa⸗ Imih and der zu Berba, in Abweſenheit des Apoftels mahrzus uimen! Ich zweifle alfo nicht im mindeften, daß das Weärr seuev hier Pluraks maiestatious ift, deſſen ſich Paulus hier kr Gewohnheit gemäß bedient, dam er «ber dann entweder zu beer Erörterung, um Mößverftimdniffen vorzubeugen, oder beſſer, neil Beides, das amtlihe und das perſönlicht Ver— hiltnig des Paulas in Frage kam, das eyw dv Zadlog

befigte, Dem ijſeaq̃ocusv entſpricht dann wieder das gleich :8, 1 atfolgende Gesyovrss, wie dem Ey yudv das Ossxew Eneurya 8,5. Auch Rinemann erkennt hier in jteljampev wie in drrog- penodevse; und Jomenddoaesrv den Majeſtätsplaral an. Mir bite and; zu verleunen, daß V. 17 der Mpaftel ſich und mr ſich Hilbert? paßt denn das drroppemsoddvrsc, 08 mgngurp od wedig auf Timotheos und Silas? Gewiß nicht! Das gibt and) » Hofmann unwillkürlich gu, denw er redet S. 1B8f. vom Apoſtel Wein, nicht auch :won deſſen Gehüffen. So find die Majeſtüts⸗ ſarale Enoppasıodiyusg und domaudipape weſeutliche Shiten Mr Anſicht, daß auch 7Yeijepmep nur Pluralis ‚maiestaticus kin fan.

Die 1Theſſ. 2, 17, fo bieten noch manche andere Stellen ‚nicht nice, ſondern Biftorifche Gründe für ben Majeſtütsplural bar; B. 2Theſſ. 2, 2 ws de’ mr, wo nicht blos der Brief offen« har nur den Apoſtel perſönlich berührt, ſondern auch menu und Kyoc der Gehülfen ja ger nicht in Frage kommen. 1Theff. 2, 14 lann er doch nur von feinem Evangelium, das er jelbft detritt, zeden, wie Gal. 1, 8. 9. Wil er im ähnlichen Falle fine Gehülfen ‚mit erwähnen, fo ſagt er es ausdrüdlih: 2 Kor.

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1,.19. 1Theſſ. 2, 7 Tann Ho nur den Apoſtel allen zeichnen, und die Verfolgung 1XChejf. 2, 15 berührte mır Das amöoroloı 1Theſſ. 2, 6 kann doch nur auf den A gehen. Pſychologiſch erklären fih nur fo Stellen, wie 23 3, 7. 9. 1Theſſ. 2, 6. 7. 11. 19. 20; 3,2u.a. m. | alf vedet der Apoftel. Hier auch an die Gehülfen denken w hieße meines Erachtens dem Gedanken Kraft und Saft nei Grammatiſche Gründe ſprechen an folgenden Stellen Maojeftätsplural: 2 Theſſ. 3, 9 ſteht zörov neben dav 1 Theſſ. 2, 7 zgöYog nad) Eyerjdmuev, worauf ich jedod allzuviel geben will; mehr aber gilt mir das os rang, wo den Paulus zwang, zu den Pluralen ragaxuloüvres, mag Foruevor und nagrvgögsvor den Plural as mrareges zu | hätte er an feine Gehülfen auch mit gedacht; an feine Geh von denen Zimotheos ſchwerlich ſchon Vater zu nennen Grammatifh zu beachten ift vor allen auch das mus 17 2, 18, wo, obwohl foeben Ey, doch gleich wieder Nuss und nit Zus. So natürlich war dem Apoftel der Gebraud Pluralis maiestaticus. Daß aber das jucc dem folgenden ı und dem 7usv V. 20 gleichfteht, ergibt pſychologiſcher Tact. Wir kommen jegt an zwei Stellen, welche für die Anficht 2 welche immer, ober wenigjteng mitunter in dem Pluralis ı staticus eine gewöhnliche Mehrheitsangabe fehen wollen, au erften Anblif auf eine fehr blendende Weife zu fprechen fd Es find folgende: 1Theſſ. 2, 9 und 2Theff. 3, 8, wo der A von x07ov 1juv vedet und Egyalöuevos (zweimal), Enge und &grov Eyayoyev jagt und zwar fo, dag man zuerft n Paulus rede Hier nicht blos von ſich allein, fondern aud) feinen Gehüffen als ſolchen, die mit ihm auch fein Handwer trieben hätten. Das aber ift ein Irrthum, nicht blos, weil | 2Theſſ. 3, 9 offenbar von Paulus allein die Rede ift er unbezweifelt nur fein eignes Vorbild der Gemeinde vorführ: fondern weil nachweislich feitftcht, daß Paulus mit feiner H Arbeit auch den Unterhalt feiner Gehülfen verdie Dein Apg. 20, 34 fagt er: aurol yıvWoxere, Örı Taig yo:

der Pluralis maiestaticus in den Theffalonicherbriefen. 165

nv xal roĩs oloıv ner’ Zuod Unmgsmonv al geiges adraı; tine Stelle, welde Luther und Hugo Grotius mit vollem Rechte auf die Gehülfen beziehen. Denn wenn Paulus nah Rabbinen» ftte auch ein Handwerk verftand, fo war das von Männern gries dicher Herkunft nicht zu erwarten; ein freier Römer oder Grieche, nie die Gehülfen waren, trieb fein Handwerk. Alſo find auch 2. 3, 8 und 1Theſſ. 2, 9 die Plurale Plurales maie- statici,

Haben wir fo bewiefen, was wir beweifen wollten, fo wird man ung auch zugeitehen, dag 2Cheff. 3, 1 das zus» ein Ma- Hätepfural ift. Das erhellt aus der daffelbe enthaltenden Stelle %.4, 3. Dort Heißt e8: mo00svgöuevo, Aum zul nregl indv AaAjomı TO Wvorigiov Tod Xgiorod, di Ö xal denen. Hier find 7r9008vxöuevo, der Plural, und dedenwas, der Singular, in einem und demfelben Sapverbande zufammen- geñellt.

Steht das feſt, fo wird endlich auch der ſcheinbarſte Einwurf den die Gegner uns machen, der nämlich, das zugapıoroüusv heſſ. 1, 2 und 1Theſſ. 1, 3 könne nur auf die drei ja eben vorher genannten DBriefftelfer gehen, uns nicht irre maden. Er ft ſton don Otto v. Gerlach widerlegt duch Hinweifung auf Kor. 1, 4, mo edxegiori, der Singular fteht, obwohl laut B. 1 nicht Paulus allein, fondern Paulus und Softhenes in kr Ueberfchrift genannt find. Ganz daſſelbe ift Phil. 1, 1 u 4 kr Fall: es Heißt edxagıora, obwohl Paulus und Timotheos an kr Spige des Briefes ftehen. Die Sache verhäft ſich offenbar d, daß die Gehüffen zwar als den Gruß an die Adreffaten mit

öfprechend zu denken find ®), daß aber der Apoftel immer fo vohl gleich den Segen als auch den nachfolgenden ‚ganzen Brief 2 feinem eigenen Namen und alfein fchrieb.

Afo: in den Theffafonicherbriefen bedient fich der Apoftel Paulus Immer des Pluralis maiestaticus, wenn er nicht abfichtlich mehr Pefönlich, fo zu fagen privatim, reden will.

4) Eenfo Belt.

166 Laurent, des PluraHs maiestaticus im den Theſſalonichechriefen.

Ift diefe ganze Arbeit gegen v. Hofmann gerichtet, fo mi ih zum Schluffe ausdrücklich befennen, daß ich zu dem gr Kreife Derer gehöre, die ſich dem hochverdienten Mlanne, 3 B. dem Antichrift, das xuseyuv und bad xardxov in das rechte Licht geftellt Hat, auch für feine Austegung Theffalomicherbriefe zu größtem Dante verpflichtet fühlen.

KNecenfionen.

1.

Borlefungen über die hriftlihe Dogmengeſchichte von F. Chr. Baur, nad deffen Tode herausgegeben von gerd, Friede. Baur. I. Band, 1. Abth., Leipz. 1865 XII und 738 SS.) und 2. Abth. 1866 (XIV mb 3 SS.).

Nah den großen bdogmengefchichtlichen Arbeiten Baur’s, die m den herorragendften Leiſtungen gehören, welche wir auf diefem Gebiete Haben, nach feinen firchengefchichtlichen Arbeiten, welche ſtets auf bie dogmengefchichtliche Bewegung ihr befonderes Augenmerk gerichtet haben, nach dem in zwei Auflagen erfhienenen Lehrbuch der hriftfichen Dogmengefchichte, wird man zwar in diefen nad feinem Tode von dem Sohne Herausgegebenen afademifchen Vor— kungen nicht gerade wefentlich Neues finden. Diefelben ſchließen fh ziemlich genau an den im Lehrbuch eingehaftenen Gang an. Dennoch Hat der Heransgeber durchaus Recht, „eine mit fo viel Big, Geift und Wiffen im Laufe fo langer Zeit zu Stande ge- brachte Arbeit nicht, der Bergeffenheit zu übergeben“ und nicht blos volche, welche fich zu den Schülern Baur’ rechnen, werden ihm mit dem Referenten Dank wiffen, daß er ſich der forgfäftigen Ferausgabe diefer „ausführfieren und zugleich das gefammte Ge- ft der Dogmengefchichte gleihmäßig und überfihtlic behandelnden Bearbeitung diefer Wiffenfhaft“ von der Hand des großen Theo» bogen unterzogen hat. Die vorliegenden zwei Abtheilungen des etſien Bandes umfaffen die Dogmengefchichte bis Ende des 6. Jahr⸗

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underts und laſſen überall das forgfältige Wortarbeiten Bau uch im Einzelnen erfennen. In der angeführten Literatur ift tappes Maß eingehalten, worüber wir weder mit dem Berfa och mit dem Herausgeber rechten; es ift das nur zu bilfigen, | Äirfte auch nach dem allgemeinen Mafftabe Hier und da ein & ermißt werden. So hätte bei Manes das Werk von Flü ıohl erwähnt werden folfen, bei Athanafius die Monographie zogt u. a. m. Diefe Vorlefungen find in ihrer breiteren 4 ihrung wohl geeignet, uns den Standpunkt, den Baur's the iſche Gefhictsforfhung einnimmt, nod einmal zu vergegent gen; hierfür find die einfeitenden Paragraphen befonders da riſtiſch, fo namentlich die Erörterung des Verhältniffes von Dogr eſchichte und Geſchichte der Philofophie (I, 78—100). 8 ehen, wie Baur hier erinnert, nicht nur in naher Beziehung ‚nander und greifen ineinander ein, fondern fie ftehen in einen gen Verhältniß, daß fie nur auseinander, ober als Theile e nd deffelben Ganzen begriffen werden fünnen. Denn die Geſch er Philofophie ift Geſchichte des menfchlichen Geiftes d. i. venfchlihen Denkens über das an ſich Seiende und Wahre ( Ibfolute), die Dogmengefchichte ein Theil derfelben; fie Hat {ben Gegenftand, und der Unterfchied ift nur der, daß fid in Yogmengefchichte da8 Denken und Forſchen des menſchlichen Ge n der Form des hriftlichen Dogma's bewegt, einer Form, m ichts Zufälliges ift, fondern aus dem Wefen des Geiftes fi egriffen werden muß, als eine im allgemeinen Entwicklungsge es menschlichen Bewußtfeins begründete Geftalt dieſes Bewußtſe daher gerade die productiofte Periode der. Dogmengefchtchte bie ı welcher das philofophifche Denken mehr und mehr in das t ogiſche überging. (Als an eine Analogie erinnert Baur an zerhältniß von Weltgefchichte und Kirchengefchichte in jener mit lterlichen Periode, in welder die ganze Weltgefchichte zur Kird efchichte wurde.) Der Umſchwung, wonach alles Denken in zlauben der Kirche aufgehe fo daß die Dogmengeſchichte nem großen Theile nur die Darftellung des im Glauben !iche gebundenen und in ihm erlöfchenden freien Denkens w bdiefer Uebergang von einer Form zur andern milffe ein Mom

Borlefungen über die chriſtliche Dogmengefchichte. ım

ds gefchichtfichen Proceffes fein, in deffen Sphäre fid der Geift bemege.

68 ift ja num ohne Zweifel eine richtige und für die fpecufative Durchdringung des hriftlihen Dogma wesentliche Forderung, daß die chriſtliche Dogmenentwicklung hineingezogen und eingegliedert werde in die Gefchichte bes menfchlichen Geiftes Hberhaupt; die ganze großartige Geiftesarbeit und Gedankenbewegung der Kirche lann nicht derart von der natürlichen Geſchichte des Geiftes iſolirt werden, daß fie in ihrer Pofitivität vom rein philofophifchen Stand- punkte aus den Charakter einer zufälligen Erfcheinung erhielte. Es muß ein weiterer Horizont gewonnen werden, unter welhem man im chriſtlichen Dogma unter eigenthümlicher Form ben in ber Int alfer philoſophiſchen Forſchung weſensverwandten fpeculativen Gehalt zu würdigen vermag. Jener dürftige, niedrige und äußer- Iihe Bragmatismus, der fein Wefen getrieben Hat, als die Dog- mengefehichte noch eine junge Discipfin war, wird damit ebenſowohl übernunden als der faljche Poſitivismus, welcher das Syſtem der Dogmen gefchichtslos und verbindungslos mitten in die Geſchichte ber natürlichen Geiftesarbeit Hineinftellt. Allein e8 kommt num vor Alm auf die Vorftellung an, welche man fi von jenem allge— meinen Entwicklungsgang des philofophirenden Geiftes in feinem Verhältniß zu den realen Mächten des Lebens macht. Hier alfo namentlich auf die Stellung, in welche man die Religion und ihre Data zur Philoſophie fest. Baur geht daher auch zur näheren Legründung und weiteren Ausführung obiger Erörterung auf das Verhältniß von Religion und Philofophie ein. Beide find ihm an fih im Wefen des Geiftes identifch, im der Form ihrer Er- fheinmg weſentlich verſchieden. Charakter der Religion fei, deß der Geift die Wahrheit, welche der Inhalt der Religion ift, - mm als eine empfangene weiß, eine ſchlechthin gegebene (eine äußere Offenbarung, die ihren geſchichtlichen Urfprung außerhalb der Vernunft Habe); daher ihre nothwendige Form die der Vor fellung, ihr Inhalt ein Unmittelbares, das mit dem denfenden Benußtfein noch nicht vermittelt ift. In der Philoſophie dagegen diffe der Geift die Wahrheit als eine ihm immanente, als das Rfultat feines eigenen Denkens. Baur hat Hierin im Weſent

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lichen den Standpunkt feftgehalten, den er bereits in feiner One eingenommen, ben der Hegel’fchen Religionsphilofophie. Unterſche er ſich auch wefentlich und zum Vortheil der Sache durch ein ı objectiveres Eingehen in da8 Detail der Forſchung und demgen durch eine die Eigenthümlichfeit der NReligionsformen umd ih eonereten Inhalt wie ihren Zufammenhang, ihre Stellung zu ander zutreffender beftimmende Conftruction, als fie das den ligionserſcheinungen keck übergemworfene Ne Hegel’fcher SKatego gewährt, fo ift doch der Standpunkt überhaupt mit feiner gri lichen Verfennung des eigenthümlichen Wefens der Religion, j Standpunkt des abfoluten Bewußtſeins, aus deffen Schlingen die Wiſſenſchaft unferer Tage vermöge ihres realiftifchen mit Thatſachen wieder Ernft madenden Charakters auf der ganzen | der Wiffenfchaften loszulöfen jtrebt, nicht überwunden. Cs f nicht die Aufgabe diefer Anzeige ein, diefen durch die wiſſenſch liche Ernüchterung und Refignation der Gegenwart bereits richteten Standpunkt des panlogiftifchen Rauſches zu befämp nur vergegenmwärtigen wollen wir uns an einigen Punften, derfelbe den Nefultaten der fo verdienftoolfen dogmenhiftorif Forſchungen Baur’s ihr Gepräge gibt.

In dem getrennten Auseinanderfein jener beiden Formen Geiftes, der Religion und der Philofophie zeige ſich, fagt 3 vornehmlich der Particularismus der alten Welt; Religion Philoſophie verhalten fih fo wie Orient (wobei befonders an Judenthum gedacht wird) und Dccident. Wir wollen im Bor gehen, ohne das Wahre in diefer Entgegenfegung zu verfen nur einshränfend erinnern, einmal, daß doch auch für die gried) Philoſophie die Wurzel in der Naturreligion liegt, fodann ı befonders, daß der Particularismus der alten Welt ebenfofehr fi in dem Charakter der alten Religionen für fi, ihrer mefentli Gebundenheit an das Nationale, alfo in dem Verhältniß von ligion zu Religion fiegt, fowie andererfeit® das Hinauswachfen i den Particulariemus ebenfofehr in der jüdifchen Religion als der heidnifchen PHilofophie noch auf ihrem antifen Grunde namentlich auch in der Stoa ſich anfündigt. Der größte Fe ſchritt im Entwicklungsgange des Geiftes in der vorchriftlichen 3

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wurde und in ber unendlichen Mannichfaltigfeit feiner Formen Erſcheinungen frei von aller particulariftifchen Befchränftheit mationalen Bewußtfeins ſich darjtellen follte, erweiterte ſich Bewußtjein in's Umendfiche, aber es war and mit einer Vor fegung behaftet, die für das philofophifche Denken eine ſchlech gegebene war, die unmittelbare Thatfache einer Offenbarung, welcher ſich der fubjective Geift nur receptiv und paffiv verh konnte. Iſt num der Neuplatonismus die eine diefer Hauptfori in denen fid (noch abgejehen vom Chriſtenthum) das Bewuß der Zeit ausgeprägt hat, eine Verfehmelzung der griechifchen lofophie mit dem religiöfen Bewußtfein des Orients, fo ift andere die jüdifche alexaudriuiſche Neligionsphilofophie, meld) erklären ift aus dem Erwachen eines fpeculativen Triebes und dürfniffes im Judeuthum. Beide Erſcheinungen gehören in Gebiet der Gefchichte der Philofophie und ftehen doch ium und wefentlicher Beziehung zur Dogmengefchichte, wie denn die Anglogie eines dogmatifchen Syſtems ſich in ihnen finde. „C hier tritt an die Stelle des Philofophirens jenes Dogmatij wie es zum Charakter der chriftlichen Theologie gehört. Es nit an echt jpecufativem Inhalt; aber der freie philoſopt Gedanke ift durch eine ihm von der Religion gegebene For bunden und mit einer Vorausfegung behaftet, in welcher das Di feine Schranke hat und feinen Anfang nicht in ſich felbft, fon nur im Glauben nehmen Tann. Die alexandriniſche Religi philofophie macht auf die Geſchichte des hriftlichen Dogma | fo den Uebergang, daß derjelbe Strom, welcher bisher in ber ſchichte der Philofophie feinen Lauf Hatte, nun in ein anderes übergeleitet wird, in welchem er unter dem Namen der cpriftl Dogmengefchichte fi durch wiele Jahrhunderte fortbewegt. gibt im Grunde neben diefer feine Gefchishte der Philoſophie we Man fragt nun natürlich, welche fpecififche Bedeutung denn Ehriftenthum für den Proceß des Geiftes bfeibt, wenn diefe } die Entwicklung des Bewußtſeins und das Abjtreifen der par lariftifchen Schranken Hervorgerufenen Erſcheinungen Neupl nismus und Philonismus ſchon im Wefentlichen das eutha was die neue Stufe des denfenden Bewußtfeins conftituirt, när

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Geiſtes ift Bier, fi) in den Juhalt des Glaubens immer mehr vertiefen und in ihm ſich zw objectiviren, bis der Cpnhalt i Glaubens foviel möglich erſchöpft und der freie bewegliche ji de8 Denkens felbft gleihjam zu einem ftehenden Syſtem ftreng fich abgefchloffener, durch eine äußere Autorität beftimmter Dogn “geworden ift, zu einem ſich felbft äußerlich und trangfcendent wordenem Denken.“ Hier bleibt dann natürlich nichts übrig, Auflöfung und Zurüdnahme des Objectivirten in den zu ſich fe tommenden Geift, wie dies Baur num weiter ausführt. „We es im Wefen des Geijtes begründet ift, daß die. Gefchichte Philoſophie auf einem bejtimmten Punkte in die Geſchichte Religionsphilofophie und Theologie oder die Geſchichte des dr lichen Dogma übergeht und auf dieſe Weife das freie philofopfi Denfen ein durd den Glauben gebundenes, nur innerhalb Glaubens ſich bewegendes und am Glauben entwidelndes wird, ift 8 im Wefen des Geiftes nicht minder begründet, daß er ı diefer Gebundenheit ſich wieder losmacht. Er geht dazu gleichſ aus fi heraus, um im Dogma fich felbft zu objectiviren, in de felben eine ihm felbft fremde und transfeendente Welt zu jchafi um auf der andern Seite aus diefer Objectivität, die er fich fe gegenütber geftellt Hat, fich wieder im fich felbft zurückzunehm Dem Dogma muß die äußerliche Geftalt, die es am fich hat ı in welcher der Geift fid) feiner felbft entäußert Hat, dadurch wie genommen werden, daß es auf feinen innern im Wefen des Geil liegenden Grund zurüdgeführt wird.“ Dieſe Selbftauflöfung | Dogma wird ganz in Strauß'ſcher Weife und mit Berufung | ihn dargejtellt, und es ergibt fi) daraus, daß wie die Geſchit der Philofophie überging in Gefchichte des Dogma, dieje wieder überzugehen und fi) aufzulöjen hat in Gefchichte der Philofop! Es iſt aber nicht genug, wenn Baur hier fagt: „wie früher Dogmengefchichte die Geſchichte der Philofophie in ſich untergel Tieß. und alle geiftige Bewegung nur don einem dogmatifchen | tereffe ausging, fo ift jegt da8 Umgefehrte und das philofophil Element ijt in der Entwidlungsgefchichte des Dogma jo fehr d überwiegende, daß es vorzugsweiſe das bewegende Princip if fondern es wäre zu dem Geftändniß fortzugehen, daß das Dog

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geiſtvoll auffaffender Hiftorifer wie Baur in der That meinen f mit jenen Sägen das wahre und eigentliche Wefen des Chrij thums bezeichnet zu Haben. ebenfalls ift es, wie and) die | faffungen davon nod) auseinandergehen mögen, dem Chriftent wefentlih, die Einheit Gottes und des Menfchen eben nicht eine am fich feiende, fondern als eine erft gefegte, durch Chri geſchichtlich zu Stande gefommene zu fafen, welche nicht nur weſentlichen Unterfchied, fondern auch die factifche Trennung d die Sünde voransfegt. Wi man dies Alles nur als die auf fpeculativen Standpunkt aufzuhebende Form der Vorftellung fa fo geftehe man ein, daß man dumit eben feinen Standpunft mehr auf dem Boden des hiſtoriſchen Chriſtenthums nimmt; dern der Borausfegung nad) über demfelben, daß alfo dev dogr geſchichtliche Proceß, wenn er Hierzu führen fol, nicht bios Auflöfung des Dogma in PHilofophie, fondern ebendamit auch Aufgebung des Chriſtenthums als Religion ift. Es ift für ganze Auffaffung harakteriftifh, daß die gefammte Baur'ſche ſchichtsforſchung eigentlich doch Perſon und Werk Chriſti im du Hintergrunde ſtehen läßt; ſie ſchrumpft, ſo zu ſagen, zuſam zum bloßen mathematiſchen Anfangspunkt der Entwicklungel Dies kommt zum Ausdruck da, wo Baur von dem Anfange Dogmengeſchichte Handelt (I, 15ff.). Es handelt ſich darum, das N. T., die Lehre Jeſu und der Apoſtel, ſchon mit fi gehöre. Die Antwort lautet, daß der Anfang der Dogmengeſch nur fein könne der Anfang der Bewegung de Dogma; ı nun, wie es in der That der Fall fei, in der neuteftamentli Behre diefe Bewegung des Dogma fchon beginne, fo gehöre fie ı in die Dogmengefichte. Munſcher habe gegen Ziegler Recht, Lehre Jeſu und der Apoftel könne, da an ihr die ganze Geld des Dogma Hänge, ‚vom Inhalt der Dogmengefchichte nicht 4 zeichloffen werden. Aber die weitere Frage fei, ob bie Lehre: and der Apoftel in der Dogmengeſchichte jo voranzuftellen fi, wir in ihr das Umveränderliche haben zu dem Veränderlichen Dogma in der Dogmengeſchichte (Engelhardt). Man das allerdings in gewiſſem Sinne zugeben und das bibliſche W 18 das Subftantielle betrachten, das dem ganzen Juhalte

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auch nicht die Lehre Jeſu ſelbſt, fofern fie nichts unmitt bar Gegebenes ift, doc die Lehrbegriffe der Apoftel ſchon Sphäre dogmengeſchichtlicher Bewegung angehören.“ Man gleiche Hierzu, was Baur in feinem Lehrbuch der criftl Dogmengefhichte (2. Ausg., Tub. 1858) ©. 5f. fagt: „2 ihr (der Dogmengefgichte) aud der an die Perſon Zefu tnüpfte und mit ihr identifche fubftantielle Jnt des Kriftliden Bemwußtfeins als der unmwandelb Grund aller gefhihtligen Bewegung gelten muß ift ihr doch die urfprüngliche chriftliche Lehre felbft nur durd Vermittelung der neuteftamentlihen Schriftfteller gegeben, in t Darftellung ſich ſchon die Keime der Differenzen wahrnehmen Io die in der Folge in eine fo große Weite auseinandergegangen Auch auf dem Boden der biblifhen Theologie muß es daher Dogmengeſchichte wenigftens freiftehen, fo weit zurückzugehen, fie Differenzen nachweiſen kann. In keinem Tall aud die Lehre Jeſu zum Inhalt der Dogmengefchichte gerei werden. Gegenftand der Dogmengefchichte ift die 8 Jeſu nur in der Form ihrer gefhichtlihen Entwicklung. ' Lehre Zefu ift überhaupt nicht Dogma, fondern der ganzen Entwidlung des Dogma zu Grunde gende und über ihr ftehende Allgemeine und Prir pielle des hriftlihen Bewußtfeins, das die Dogm gefhihte nur vorausfegen und nur in der Form in aufnehmen Tann, in welcher e8 auf dem Gebiete der neuteftan lichen Theologie ſchon feine beftimmtere Faſſung erhalten 5 Das Verhängnißvolfe diefer Erörterungen Tiegt unferes Erach nicht darin, daß auch die apoftolifche Lehre und ihre Typen bei in die dogmengefchichtliche Bewegung hineingezogen werden, ift vielmehr unumgänglich) und die jpecififche Dignität des apı liſchen Wortes für die gefammte Dogmenentwidlung damit ı wohl vereinbar aud) nicht darin, daß es der „Lehre Jeſu“ gefprochen wird, Dogma zu fein, fondern darin, daß ala der unbewegliche Punkt, welcher die bleibende Grundlage der dogn Biftorifchen Bewegung bilden foll, nur wieder das Allgemeine | Principielle des chriſtlichen Bewußtſeins, welches an die Perj

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Gefetz verſchiedenes und von ihm ganz unabhängiges Princip Heils in ſich Hatte. Dies Princip konnte nur ber‘ Zefu fein“ (I, 142). Muß dies nicht als eine ganz lo und gleichſam zufällige Kombination erſcheinen, jo lange man blos jene ideelle Vorausfegung des Allgemeinen und Princip des chriſtlichen Bewußtſeins im Auge hat, welches fich an die P Jeſu Enüpft, während der tiefe und notwendige Zufammen nur dann, dann aber auch fofort, in die Augen fpringt, wen ruht auf der Vorausfegung einer realen Wirkung oder © bethätigung der Perſon Jeſu ohne Gleichen, nicht blos auf dem gehen eines neuen Bewußtfeins, fondern auf einem Wirken, Selbfthingabe, einer fittlichen Liebesthat von ſchöpferiſcher B tung? Es wird nicht nöthig fein, Hier weiter zu verfolgen, mit jenem Mangel eines wahrhaft realen hiſtoriſchen Funden welches den ganzen Bau des Dogma zu tragen vermag, die | Conftruction Baur's von der Entwiclung des apoftolijchen und apoftolifchen Zeitalters wefentlich zufammenhängt, jener Mangel aber nur die Confequenz feiner fpeculativen Grundanſchauung Abgefehen Hiervon vergegenwärtigen natürlich die vorlieg Borlefungen namentlich in der Darftellung der großen bogmat Streitigkeiten der alten Kirche auf's Neue die große Meifter Baur’8 in der begrifflihen und geſetzmäßigen Entwicfung Dogmen und erinnern dabei von felbft vielfach an die bleib Verdienfte, welche er fich durch feine monographifchen Arb insbefondere durch feine Geſchichte der Dreieinigfeit und Me werbung erworben hat. Neben den großen Vorzügen begriff und fpeculativer Durchdringung geht freilich al8 eng damit zu menhängend nicht felten die Verwifchung der individuellen und porären Züge her. Nicht als ob er über den höheren Entwidl gejegen, nad) denen. das Dogma feine begriffliche Bewegung di fegt, die concreten Faktoren, das empirifche Detail und bie cal rirenden hiſtoriſchen Verhäftniffe aus dem Auge liege. Es ift fogar, wie wir beifpielsweife anführen wollen, gerade bei ihm gefallen, daß er den äußern Verlauf der arianiſchen Streitigf in einer fr die Dogmengefchichte kaum erforderlichen Ausführli ‚aufgenommen Hat. Wir haben einen anderen Punkt im Auge,

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184 Kichm

2.

D. Hermann Hupfeld. Lebens- und Charabterbild e beutfchen Profeffors, gezeichnet von D. Eduard Kiel ord. Prof. d. Theol. in Hallen. S. Halle, Berlag Julius Fricke. 1867, 155 SS. 8°.

Die Palmen. Ueberfegt und ausgelegt. von D. Herm. Hupfeld. 2. Auflage, Herausgegeben von D. Edu Riehm. Erfter Band. Gotha, Friedrich Andr Berthes. 1867. XVI und 506 SS. 8°.

Die „Studien und Kritiken“ Haben ‚bisher dem am 24. 9 1866 zur ewigen Ruhe eingegangenen Profefjor D. Herm. Hu noch fein Wort der Erinnerung gewidmet. Und doch hat ber nicht nur vermöge der hervorragenden Stellung, die er als der erften unter ben altteftamentlichen Forſchern unferer Zei der Theologie einnimmt, fondern auch vermöge feines näheren: bältnifjes zu unferer Zeitfchrift wohlbegründeten Anſpruch da daß auch hier. jein Gedächtniß in Ehren gehalten werde. Hu gehörte nämlich zu dem Kreife von Mitarbeitern der Studien, w von Anfang an mit der Nedaction enger verbunden gewefen fie durch Rath, und That unterftügt Haben; als folcher hat er z an der Conferenz Theil genommen, auf welcher Ullmann, Rit und Sad, Müller und Kling im September 1835 in ] burg über den gedeihlichen Fortgang des damals noch jungen nehmens Berathung pflogen. Schon der erfte Jahrgang en einen Beitrag von feiner Hand; feine Abhandlungen „kritiſche leuchtung einiger dunklen und mißverjtandenen Stellen ber altt mentlichen Textgeſchichte“, die für die letztere, ſoweit es ſich die äußere Tertgeftalt handelt, eine epochemachende Bedeutung wonnen haben, find eine Zierde der „Studien“ (Jahrg. 1 und 1837); und eine im Jahrg. 1861 befindliche Abhandl

D. Hermann Hupfeld und Hupfeld, die Palmen.

idete, dag auch in fpäteren Jahren fein Intereſſe für un chrift (ebendig geblieben war. Wenn wir trogdem unſ t8- und Dankespflicht gegen den Entfchlafenen bisher n erfüllt Haben, fo lag der Grund davon lediglich darin, | mterzeichnete Mitherausgeber, dem als Schüler, Freund ı gen die Erfüllung derfelben vorzugsmeife obgelegen hätte, | Ausarbeitung eines ausgeführteren Bildes des Lebens ı end Hupfeld's beichäftigt war. Daſſelbe liegt nun vor, ı ef ich mich Hier darauf befchränfen, in wenigen Worten : Gedãchtnißſchrift hinzuweiſen.

er äußere Lebensgang Hupfeld's war ein einfacher ); mi abe beftand daher vorzugsweiſe in der Veranſchaulichung tn Reichthums feines gefunden, kräftigen und ganz dem Die

Echoten am 31. März 1796 in Marburg, erhielt Hupfeld feine Sc idung theils durch, feinen Vater, der Pfarrer in Dörnberg bei Holzay ann in Melſungen und zufegt Metropolitan in Spangenberg war,

inen mütterlichen Oheim, den württembergiſchen Pfarrer Sigel in ingen, theils auf dem Gymnaſium in Hersfeld. Bon Oftern 1818 um Herbft 1817 ſtudirte er in Marburg, vorzugsweiſe unter Arnolt tung. Nachdem er die Univerfität ala D. phil. verlaffen Hatte, : zuerft zweiter Major an ber Stipenbiatenanftalt in Marburg, dann rühjahe 1819 Profeffor am Gymnaſium in Hanau. Durd, Kränklid it Aufgabe feiner Stelle genöthigt, Tag ex vom Herbft 1822 an wi inen theologiſchen, namentlid) altteftamentlichen und orientafifchen Stu b, zuerft im Efternhaufe, dann in Halle unter der Leitung von Gefeni jier habilitirte er ſich im Herbft 1824 in der philoſophiſchen Facuftät, te aber im Frühjahr 1825 nad) Marburg über, wo er im Herbſt deſſe jahres zum außerorbentlichen Profefjor der Theologie, im Frühjahr 1 um Ordinarius für die orientafifhen Sprachen und im Herbft 1830 lech zum Ordinarius in der theofogifchen Facultät ernannt wurde.

ipril 1832 verehelichte er fi mit Marie Suabediffen, der ältı ochter des befannten Philoſophen, die ihm 3 Töchter und 3 Söhne ſchen Rad} dem Tode, von Geſenius trat er Herbft 1843 als deſſen Nachfo 1 die tBeofogifche Facultät zu Halle ein, von der er auch ſchon 1834 ; ). theol. ernannt worden war. Kurz nad) der Ueberſiedelung (San. 1E taf ihn der ſchwere Schlag des Todes feiner edlen Gattin, der zwei J päter auch fein jüngftes Töchterchen nachfolgte. In dem neuen grc Birkungsfreife erfüllte er im rüftiger, auch im höheren Alter ungeſchwäc oft unb mit gewiffenhaftem Eifer mehr al 23 Jahre lang unun

186 Riehm

ber Wahrheit und des Rechtes geweihten Lebens und in der gehenden Charakteriftif feiner mehr als AOjährigen Wirkſa während deren er fih in allem Wechjel der Berhäftniffe und ſchenden Strömungen als ein ftets ſich jelbjt treu gebliebener ı after Vertreter beftimmter wiſſenſchaftlicher, Kirchlicher und tiſcher Grundfäge und Ueberzeugungen bewährt Hat. Seinem L gange entfprechend mußte meine Darftellung in drei Abſch zerfallen: die Zeit der Entwidlung, die der Marburger und d Halle'ſchen Wirkfamfeit. Die mir von der Familie über volftändige Sammlung der Briefe, die er von feinem 13. jahre an an feinen Vater und an feinen Oheim Sigel gefd hat, haben e8 mir möglich gemadt, im erften Abſchnitt ei ich hoffe aufchaufiches und Tebendiges Bild feiner inneren fung zu geben.

Daffelbe kann vielleicht Manche, namentlich unter unfern | Theologen zur Orientirung über die in der Schriftbetradhtun «Behandlung vorhandenen Gegenfäge dienen; denn es fpiege darin der Entwiclungsgang, den dieje im Ganzen und Gro| den legten zwei Jahrhunderten genommen hat. Der bur Oheim in Hupfeld’8 Herz gepflanzte Bibelglaube hat anfang ftreng fupranaturaliftiihe Form; er kommt aber immer m peinlichen Conflict mit den Wahrnehmungen, welche Hupfe feinem von offenem und unbeſtechlichem Wahrheitsfinn gel Studium der heiligen Schrift über deren wirkliche Beſchaf und über das Verhältniß. ihres Inhaltes zu demjenigen a Denfmäler des Altertfums gemacht hat; und dod fann er feinen Bibelglauben aufgeben, noch ohne Verleugnung ber We den eingefchlagenen Weg ftreng gefhichtliher und kritiſcher forſchung verlaffen. Da eröffnet ihm zuerft Herder das Ver niß für das menschlich Schöne im A. T.; und indem num mit Liebe und Begeiſterung weiter in die Heiligen ©:

brochen die Pflichten feines Berufes, bis ihm im Frühjahr 1866 an abend feines 70. Zahrestages eine Bruftfellentzündung auf das & lager ftredte, in Folge deren am 24. April um bie Mittagsſtu Gehirnſchlag feiner Wallfahrt ein Ziel fette.

D. Hermann Hupfeld und Hupfeld, die Pſalmen. 187

eft, enthüflt fich ihm mehr und mehr in dem menfchlich-gejchichte ı Entwifungsgang des. ifraelitifchen Volkes und feiner Religion Walten des göttlichen Geiftes; es tritt ihm in demfelben zus ) eine fortgehende das erwählte Volk durch das Wort begeifterter esmänner und durch eigenthümliche Inſtitutionen und Füh— en zu feiner weltgefchichtlichen Beftimmung erziehende Wirkſam⸗ de8 lebendigen Gottes, und in den nad Form und Inhalt echt chlichen bibliſchen Schriften zugleich ein ewiger göttliher Offene ngeinhalt in überzeugungsfräftiger Mlarheit vor Augen; und m gilt ihm die kritiſche und geſchichtliche Schriftforfchung, e weil fie den menschlichen Charakter der heiligen Schrift ländiger in's Licht ftellt, zugleich auch als der Weg zur kla— Erfenntniß der Offenbarung Gottes in ihrer geſchichtlichen tät und in ihrem wahren Charakter.

für den zweiten und dritten Abſchuitt ftanden mir als len außer den Schriften und Abhandlungen Hupfeld’8 die zahl- m Briefe zu Gebote, die er mit feinem vertrauteften Freunde, Staatsrath Bickell, von 1832—1848 gewechſelt hat; und 1850 an fonnte ih auf Grund eigenen, theils mündlichen, ſchriftlichen freundſchaftlichen Meinungsaustaufches berichten. hatte hier nicht blos feine academiſche und fachwiſſenſchaftliche igleit zu harafterifiren; denn bei allem Eifer in den müh— en und oft entlegenften Detailunterfuchungen und bei der pünft- n Gewiffenhaftigfeit in Erfüllung der nädjften Berufsaufgaben Hupfeld zugleich voll Lebendiger Theilnahme für die Angelegen- des öffentlichen Lebens und Hatte einen jtarfen Trieb, feinen gungen in demfelben Geltung zu verfchaffen. Darum tritt nem Leben und Wirken aud die thätige Theilnahme an den ben des Firchlichen und des politischen Lebens bedeutſam hervor. gerade für die hierauf bezüglichen Partien meiner Darftellung hte ich, daß fie auch in weiteren Kreifen Beachtung fänden. wird aus dem einfachen Referat über feine kirchliche Wirk— it (5. 43—48. 58—74. 100—103 und 116—119) die tzeugung gewinnen, daß er mit gleicher Energie für die freie ftforf hung gegen die Autorität des Buchftabens und der Tra- ', wie für das Heiligtum des echt evangelifhen Glaubens

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und das Befenntniß der Kirdye gegen Naturalismus und Bert aufflärung eingetreten ift, und zwar letzteres in einer Zeit, we weder Protection von oben, noch der Beifall zahlreicher Gefint und Barteigenoffen dazu ermunterte; man wird finden, daß er entſchieden die Freiheit und Selbitändigfeit der Kirche, die 2 Berftellung einer der Gemeinde zu ihrem Rechte verhelfenden 8 verfaſſung und die Gewährung voller Freiheit zur Bildung refigiöer Gemeinjchaften forderte, als er innerhalb der evangı Kirche das gute Recht des ihre Grundlage bildenden Glaubens die Schwankungen der Theologie und die Gefahren einer jch loſen Lehrwilllũr gefichert wiſſen wollte; und als Grundtri feiner ganzen kirchlichen Thätigfeit wird man das innerlich] Iebendigfte Intereſſe für eine wahre Erneuerung der evangı Kirche durch den Geift des Tebendigen, gefunden und tapfern Gla der fie in ihren Anfängen beſeelt hatte, erfennen. Die V lungen aber über feine politijchen Meinungsänßerungen (©. 53 91. 94. 103—106) und über jein mannhaftes Auftreten m der Sturmjahre von 1848—1851 (S. 106—116) zeigen it einen Mann, der mitten im Kampf der Parteien nad) A aftteftamentlichen Propheten das Panier der ewigen ſittlichen nungen hochhielt, der ohne Menſchenfurcht und Menfchengefä nad oben wie nach unten, und bald gegen die eine, bald gen andere Partei für Recht umd Wahrheit eintrat, und auf | feiner durchaus von fittlich-refigiöfen Grundüberzeugungen getr: und beftimmten Weltbetradhtung ſich faum jemals über ben n Charakter der Zeitbeftrebungen täufchte und oft in überrafe Weife ihren Ausgang vorausfagte.

Einen Hauptwendepunkt in jeiner Halle'ſchen Wirkfamteit der Anfang der entjchiedenen politiſchen und kirchlichen Reac periode; denn von da am zog er fich nicht nur von ber th Betheiligung am den Angelegenheiten des öffentlichen Leben zurüd und widmete feine Zeit und Kraft faft ausſchließlich nächſten Berufsaufgaben und der Literärifchen Arbeit in feine fonderen Fache; fondern er führte fortan auch, durch die verän Berhältniffe in eine andere Stellung gedrängt, fein ſcharfes © vorzugsweife im Kampfe gegen diejenigen, welche mit dem An

D. Hermann Hupfeld und Hupfeld, die Pſalmen 189

nen Wächter der Kirche und ihres Bekenntniſſes zu fein, it, Gefundheit und Wahrhaftigkeit der. Schriftforfchung n. Gerade in diefem Kampfe hat er bis in feine letzten : hinein am meiften Verfennung erfahren. Seinen in« otiven und legten Zielen nad) wird man denfelben nur ig würdigen, wenn man beachtet, daß er feinen Proteft Reaction in der Kirche und Theologie, ebenfo wie einft die falfche Aufklärung „von den anerkannten Grundfägen n biblifchen Chriſtenthums und den ewigen Grundlagen gion aus“ erhebt. Man wird dann gewiß auch den Eins innen, daß die rückſichtsloſe Schärfe, mit welder er das angriff, worin andere unentbehrliche Stügen und en des Glaubens erfennen zu müffen meinen, eine Folge Ueberzeugung war, daß bie göttliche Wahrheit ein Heilige das als folches auch gegen allzu zudringliche Freunde und e Bertheidiger gewahrt werden müffe, und daß die Stüßen glitter, mit denen Menfchenkunft und Menſchenwitz fie zu müffen ‚glaubt, die ihr eigene Kraft, fich felbft den id Gewiffen zu bezeugen, nur zu beeinträchtigen vermögen. Bericht über fein Ende habe id) eine gedrängte Charakters vorausgehen lafjen; man wird finden, daß ich hier, wie nzen Schrift, bei aller liebe- und pietätsvollen Hervor⸗ iner vorbildfichen Charaktereigenichaften auch die Einfeitig- Schranken, welde ihm wie jedem anderen anhafteten, hwiegen habe; denn das Bewußtſein, dag der Vollendete volle Wahrhaftigkeit in unerbittlicher Strenge zur Pflicht aben würde, hat mic) von Anfang bis zu Ende nie ver- - Möge das Büchlein etwas dazu beitragen, daß manchem eitgenoffen in Hupfeld’s Leben und Wirken die Bewährung hlſpruchs: „der Kampf für Wahrheit und Recht ift nichtig hrhaftigfeit und Gerechtigkeit“, lebendig vor Augen trete. Zeit der Parteiungen und des Kampfes ift es nöthig und as Vorbild folder Charaktere, die, unzugänglid für die er perfönlichen und dev Parteiintereffen, nur jenen höheren t folgen, wohl im Gedächtniß zu behalten. nüge diefe Gelegenheit, um auch auf den zu Anfang diefes

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Jesr:s im zweiter Aoil:ge vom wir berandgegebenen erfte des Fiolmencommentares Sevieid's, der als jein gröteres egrgeriches Sert die Bedeatang eines Bermäctni die Ihrolog:ih - wiiienibaitlihe Beit gewonnen hat, aufmer maden. Die wiſſenſcaftliche Bedentung des Werkes iſt a anertannt: das Fundament zu einem Ichenevollen Berftän Pialmen, die umbejangene ftreng methodiſche, die verji exegetijchen Möglichkeiten mmjihrig erwägende, mit fer Grundlichteit auf alles Einzelne eingehende, über feine © feit taſch hinwegeilende, die Ergebniſſe ſcharf und bejtim ftellerde und jorgiältig begründende Erläuterung des Wo ift darin fo jolid und volljtändig gelegt, wie in feinem Bjalmencommentare; und fein anderer enthält jo viele g amd genane Erläuterungen der biblijchen Begriffe, Bilder ı ftellungen. Was das Berhältnig der zweiten Auflage erften und meinen Antheil an jener betrifft, fo jtand mir ve Herein der leitende Grundſatz feſt, dab dem Werke in Zn Form fein eigenthümlidhes Gepräge bewahrt bleiben, daß at befonders durch jorgfältige Berücjihtigung der unterdeffer nenen Literatur, den jegt vorhandenen Bedürfniſſen und derungen Rechnung getragen werden müfle. Weiner Uebera waren hierdurd bejtimmte Schranten gezogen. Nicht zum g Theile war fie eine weſentlich nur redactionelle. Es waren vor allem die eigenhändigen Bemerkungen, Berbejjerungen füge des verewigten Verfaſſers, die ſich theils am Rand Handerempfares, theild in feinem Collegienhefte fanden, Text bineinzuverarbeiten ; ihre Zahl war fo beträchtlich, zweite Auflage eine „großentheil® von dem Verfaſſer fel befjerte und vermehrte“ genannt werden fünnte. ferne in Ausführung der Intention des fel. Hupfeld die einleiten terfuchungen über das Pſalmbuch von dem Ende des legten an den Anfang des ganzen Werkes zu rüden, und innerh felben eine fleine Aenderung in der Paragraphenordnung nehmen. enes bedingte eine Verweifung der legten Pfalı drei erften Bände in den je folgenden Band, weshalb d Band nunmehr nur noch 18 (ftatt 21) Pſalmen enthält.

D. Hermann Hupfeld und Hupfelb, bie Palmen. 191

eine jorgfältige Nevifion der Citate das Werk von einer en Anzahl von Druckfehlern gefäubert; durch Weglaſſung hrlich gewordenem und durch Kürzungen, namentlich in tischen Ausführungen, ift Raum für die nöthigen Zufäge worden; und da und dort ift auch die Darftellung im der Deutlichteit und Ueberfichtlichfeit mehr oder weniger t worden. J die Ueberarbeitung nicht blos redactioneller Art iſt, ſon— Jerichtigungen der Ausführungen Hupfeld's und in ergän— fägen befteht, ift fie, als lediglich auf meine Rechnung durch Einſchließung der betreffenden Stellen in eckige 1 gefennzeichnet. Es verfteht fi) von felbft, daß ich dabei richten mußte, überall, wo id) dem Urteil meines feligen ei aller Uebereinftimmung in den Hauptfachen, nicht beie 1, "meine abweichende Anſicht geltend zu machen. Dagegen mir auch nicht mwohlgethan, mid) eigener Berichtigungen ı enthalten. Es ift fchwer, darin das rechte Maß zu Ich habe mid) in der Einzelerflärung wenigftens beftrebt, zu befolgen, daß, wo in der Hauptſache nur der exeger t und das Spracgefühl zwiſchen verfchiedenen exegetifchen ten entfcheidet, mit einem etwaigen Diffenfus zurückzus ) dagegen Gründe, deren Gewicht jeder abzumägen ver—⸗ Anficht Hupfeld's entgegentreten, die Berichtigung vorzu- dabei aber auch feine Anſicht ſammt ihrer Begründung mitzutheilen ſei. Dagegen gehört die confequente ung der jogenannten negativen (de Wette'ſchen) Pfalmen- vefentlich zum Charakter des Werkes Hupfeld's, daß ich verpflichtet hielt, diefelbe unverändert zu belaffen; nur in n, bei Pi. 7 und 18, glaubte ich ausnahmsweiſe auch jenen etwas abweichenden Standpunkt vertreten zu dürfen. diefe und andere von mir herrührende Zuthaten mwohl- waren, ober befjer weggeblieben wären, darüber werden urtheifen haben. Das Werk felbjt aber, die gereifte 1e8 der gründlichen und gemwiffenhaften Erforſchung des geweihten Lebens, wird gewiß noch vielen, denen e8 um egründetes Verftändnig des Pfalters zu thun ift, gute

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Dienfte Teiften. Der Preis iſt, obfchon der erfte Band zweiten Auflage vier Bogen ftärfer geworden ift, von dei lagshandlung nicht erhöht worden. Der zweite Band w kurzem nachfolgen.

D. Eduard Rich

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Theologijcher Jahresbericht. Unter Mitwirkung naı Theologen herausgegeben von Wilh. Haud, en. Riechheim (Sachjen- Meiningen). Wiesbaden, bei Nieduer (in Duartalheften).

Es gibt bdreierlei Arten von Recenſionen; ſolche, aus de Autor etwas lernen kann, folche, aus denen das Publikum fernen kann, und folhe, aus denen Beide nichts Ternen Eine Recenfion der erjten Art wird gefchrieben von einem der den vom Autor behandelten Gegenftand ebenfogut und

ſtudirt Hat; eine Recenſion der zweiten Art kann auch gef

werden von einem Manne, der bei dem Autor Belehrung felbjt gefucht und gefunden und den Autor verftanden ho Recenſion der dritten Art ſchreibt jeder penny-a-liner, nac in die nur Halb aufgefchnittene Novität ein paar Blickeg und Vorrede und Inhaltsverzeichniß gelefen hat.

Die Bücheranzeigen, welde in Hauck's theologiſchem Jahre und geboten werben, gehören ber ehrenhaften zweiten Cla und wenn fie fi nicht in die erfte verfteigen, fo gefchieht t Willen und wohlbewußter Abfiht. Denn nicht eine w ſchaftlich-theologiſche Zeitſchrift will die obengenannte f dem Sinne, daß die Wiſſenſchaft felber durch fie meiterg und Fragen und Probleme derjelben entſchieden oder de

Theologiſcher Jahresbericht. 1

näher geführt würden; ſondern dem größeren Publiku (em den Dienern der Kirche, will fie dienen durch ı des und treues Referat über fümmtlihe neue Erich uf dem wiſſenſchaftlich- wie praftijch= theologifchen Gebi ine Abfiht ſpricht der Herausgeber in dem Vorwort | Worten aus:

wollen über die auf dem Gebiete der evangelifchen Th jährlich erfcheinenden Schriften möglichſt ſachlich g e Referate liefern, in der Weife, daß wir die Gru der Schriften und ihre Nefultafe kurz und erſchöpfe ‚und fo ein lebendiges Gefammtbild von dem Stand u tt der evangelifchen theologiſchen Wiſſenſchaft und Literat t ermöglichen. Wenn aud das, was man Heutzuti er Recenfion zu nennen pflegt, unferer Tendenz fern lie ir nur den Zweck verfolgen, jedem Werke nad fein jen Inhalte gebührend gerecht zu werden, fo verfteht von felbft, daß bei einem unbefangenen liebenden Gi in den Inhalt dennoch, ein beftimmtes, orientirendes Urt! felben zu Tage treten.muß, umfomehr, als wir weit dat find, von dem Gefichtspunft einer völlig indifferenten V igsloſigkeit zu Werke zu gehen, vielmehr ganz entſchie andpunkt eines Iebendigen Chriſtenthums auf pofttiu feſthalten.“

innere Einrichtung des „Theologiſchen Jahresberichtes“ : Erfte Abteilung. 1) Einleitungswiſſenſcha jlich der geographiſchen, hermeneutiſchen, bibliologiſch u. ſ. w. Literatur. 2) Eigentliche Exegeſe: A. A nt; B. Neues Teftament. Zweite Abtheilung. Hifi Theologie: 1) Bibliſche Geſchichte; 2) Kircht hte, einschließlich Patriftit, Meiffionsgefchichte, Biograph ; 3) Dogmengeſchichte. Dritte Abtheilung. ifhe Theologie: 1) Dogmatik, A. Biblif atit; B. Kirhlihe Dogmatik mit Symbolik, Ap Bolemit und Srenit; CO. PHilofophifhe Dogma it. Vierte Abtheilung. Praktiſche Theolog miletit; 2) Katechetik; 3) Liturgik; 4) Baftor . Stud. Jahrg. 1868. 18

194 Hand

theologie; 5) Praktiſche Hülfswilfenfhaften; 6) chenrecht. Fünfte Abtheilung. Kirchliche Kunſt Literatur: A. Poeſie; B. Muſit; C. Literatur Sechſte Abtheilung. Ascetiſche Schriften: 1) Predi A. Sammlungen; B. Einzelpredigten: a) Bibelgeſellſchaft, C Adolf» Verein, Miſſion, Synode, Gedächtniß- und andere

betr.; b) Sonftige Predigten. 2) Katehismen. 3) Ge buchsſache. O Gebete, fromme Betrahtungen, V ſchriften m. f. w. 5) Gelegenheitsfhriften: A.

meinen Inhalts; B. Perfönlichen Inhalts. Siebente Abthı Vereinswefen. Zeitfgriften: 1) Wiſſenſchaftliche ſchriften; 2) Praftifch-theologifche Zeitſchriften; 3) Kirchenzeit 4) Blätter für Mijfion: a) äußere Miffton, b) innere M e) für Miſſion überhaupt; 5) Guftav-Adolf-Verein; 6) Ki Anzeigen, Oemeinde- und Bolfsblätter u. ſ. f.

Wenn wir nun hienach den „Theologiſchen Jahresbericht“ Zwede nad zu den wiſſenſchaftlichen Zeitſchriften nicht re fo werden wir ihm doch, was die Mittel und die Ausfüh betrifft, das Lob wifjenfhaftlicher Behandlung nicht ver Wiſſenſchaftlich tüchtige und durchgebildete Männer find «6, hier dem größeren theologifchen Publitum den Dienjt feiften zu veferiren über den Stand und Fortſchritt der theologifche ratur, und von allen diefen Referaten iſt anzuerkennen, daB eine gewiffenhafte Lectüre des anzuzeigenden Werkes vorangeg ift, von den meiften, daß der betreffende Referent auch den C ftand, den das Werk behandelt, genügend fennt. In letzterer fiht fehlt es freilich nicht ganz an Ausnahmen; fo würde der Referent von Mückeberg's „J. Weftphal und J. Cal wenn ihm die beiberfeitigen Quellen in vollem Umfang b gewejen wären, in feinem Lobe fparfamer, in feinem Tadel ſchiedener geweſen fein, und das, was er aus dem Buche rei von dem, was gefchichtlich erwiefene Wahrheit fei, auch dur Form der Rede deutlicher unterfjchieden haben. Indeſſen i ung weder möglich noch unfere Abficht, Necenfionen der ein; Anzeigen zu fchreiben; wir beſchränken uns auf die freudige 3 tennung, daß der nun vollftändig vorliegende erfte Jahrgang

fert, da fter W richt“ 18 werth diges es Ref dem gt hlag b

Beriätigungen zu Jahrg. 1867, deit &

©. 700, 3. 11 vn für „Satos“ fies „Iyateo“.

719, 7 u. 6 v. u. für „die aus Stafien Lommenden“ Ties ui Italien Stammenden“.

719, 30. m für „uoch dem griechiſchen Lerifon“ Ties „nad griegiigen Lerikon“.

BPerthes? Buchdruderei in Gotha.

Theologifche dien und Kritifen.

Fine Beitfhrift für efammte Gebiet der Theologie,

begründet von "1.6. Ullmann md D. F. W. C. Umbreit s

und in Verbindung mit

R,itzſch, D. 3. Müller, D. W. Beyſchlag

herausgegeben . ©. 8. Hundeshagen um D. €. Riehm.

Dahrgang 1868, zweites Heft.

Gotha, bei Friedrich Andreas Perthes. 1868.

Dina, Google

Abhandlungen.

14%

Dina, Google

Daun, Google

202 Riggenbad

Romang über den gleichen Gegenftand in den Stud. u. | 1867, I. II. Es iſt intereffant, ign mit der Behandlung zu gleichen, welhe Döllinger der gleichen Frage angedeihen lie feinem prächtigen Buch: „Chriftentfum und Kirche in der Zeit Grundlegung“ (1860, S. 180ff.). Begegnen wir hier e Kathofifen, bei dem die Polemik gegen den Proteftantismus in den Hintergrund tritt, weil er hier durchaus als bibfifcher 2 Loge fchreibt, der eben deswegen neben einigen Partien, wi Lehrform feiner Kirche durchſcheint, in andern beinahe prote tifcher ald Romang, der Protejtant, ſich ausfpricht; fo ijt Hin diefer vor Allem befliffen, als Anwalt des gemeinverftändigen wußtfeins , ber rationellen Bildung, der Vernunftwiſſenſchaft eine Gejtaltung der Lehre Hinzuarbeiten, die dem heutigen Bild ftande mehr als die aftfirchliche Kehrart Rechnung trage. handelt die Frage mehr als Philofoph, denn als Theologe.

dem, was theologifches Herfommen jei, ſcheint er feine g Stüde zu haften. Wir verlangen’s auch nicht, obwohl wir bi fein möchten, ob das gemeinverjtändige Bewußtſein für feine fc Erörterungen foviel mehr als für die gewöhnlichen theolog werde zugänglich fein, fo ſehr wir es um ihres hohen willen wünfchen möchten.

Die Thatjahe, von welcher Romang ansgeht, Tiegt umbeitr vor, die Entfremdung nämlich fehr Vieler in unferer Zeit Kirche und kirchlichem Chriſtenthum, die weite Verbreitung Mipftimmung gegen Alfes, was Dogma und Dogmatik Heißt. Heilmittel empfehlen uns Manche eine Volkskirche ohne Dei von der ed mehr als zweifelhaft ift, ob fie noch Kirche zu E verdienen würde; denn mit Recht erinnert Romang (S. 52) ohne irgendwelche Uebereinftimmung der Lehre und Ueberzen in den Hauptpunkten keine Kirche beftehen könne. Jene aber ı die der Kirche entfremdeten Gebifdeten durch Conceffionen gewi die bis zum Preisgeben aller Grundlagen des Evangeliums würden, ohne Jemanden wirklich zu gewinnen. Sie verjude Kinder der Zeit ju bereden, wie fie unbewußter Maßen, fo zu anonymer Weiſe, viel beffere Chriften feien, als fie je gedacht hi Am entjciedenften hat fi jener franzöfifche Pfarrer, der auf

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204 Riggenbad

hat Chriftus für uns und ohne uns vollbracht; diefes, unfere 9 fertigung, die wirkliche Verfegung aus dem Stande der Sünde des göttlichen Mißfallens in den Stand der Erneuerung und E ift erft möglich geworben durch jene That der Verföhnung, ift das, mas Ehriftus in uns und mit uns vollbringt.“ Auf Boden werden wir gern mit Döllinger treten. Und aud Ro Tegt allem Heil die Gnade Gottes in Chrifto zum Grunde, eri wie Kant uns befehre, daß der Menſch, von Natur mehr gut, der Erlöfung und Sühnung bedürfe (S. 56), beton Nachdruck, daß alles Gute nur von Gott gewirkt werde, einen Aft Gottes, der nicht bedingt fei durch irgend ein ve gegangenes Thun oder Verdienft des Menſchen (S. 57); fi) nicht vor dem Ausdrud, es Handle fih um eine nicht menfchlicher Weife denfbare, nicht durch) menſchliches Thur creatürliche Mittel zu vollziehende Sähne für die Sünde, un übercreatürfiche göttliche Vermittlung und That, um etwas rationales oder Hyperrationales (S. 64); und wiederholt es dies mehr als einmal, daß nicht nur im Anfang, fondern auf Punkt unferer Entwicklung die göttliche Thätigfeit unferer m Tichen vorausgehe (S. 66 u. a.). Da. ift alfo von bem, man Pelagianismus nennt, feine Rede. Ueberhaupt, wo bie nunftwiffenfchaft jo ernft und tief Grund legt, da werben n nicht ablehnen, uns mit ihr zu verftändigen, und uns aud daran aufhalten, mit ihr zu procediren, woher fie denn jene 2 heit habe. J Unſer gemeinſamer Ausgangspunkt alſo iſt die Gnade Gi

Gnade, die nach Röm. 5, 21 durch Gerechtigkeit herrſcht, das alſo: eine volllommene Sühnung wirkt und darbietet; Gnad ſeres Herrn Jeſu Chriſti. Gern wollen wir uns dabei Romang erinnern laſſen (S. 65), daß es bei dem durch diefe bewirkten Heil nicht blos auf den Straferlaß anfomme, fo ebenfojehr oder noch mehr auf Befreiung von der Sünde (beſonders da ja Sünde die ſchwerſte Strafe der Sünde ift), nit nur auf eine von außen fommende Seligkeit, fondern auf Theilhaftigwerden einer innerlichen Vollkommenheit.

"Bon Gottes Gnade in Chriſto kommt dieſes Heil; wie wit

ber die Rechtfertigung durch den Glauben. 205

angeeignet? Die Reformatoren fagen, dem Apoftel Paulus folgend: durh den Glauben. Dem tridentinifchen Katholiciemus und dem Kıtionalismus will das nicht einleuchten. Es ift aud wohl be» greiflich, wenn man den Glauben nur al eine theoretische Funktion, time Art von Wiffen, ein bloßes Fürmwahrhalten. anfieht, daß man ihn nicht kann für genitgend erkennen. Darum erffärt das Triden- tinım (Sess. VI, cap. 7), wenn nicht Hoffnung und Liebe zum Glauben Hinzutrete, könne er uns nicht mit Chrifto vollklommen vereinigen, und fprict in Canon 9 das Anathema über Den, der kehaupte, durch Glauben allein ohne Mitwirkung von irgend etwas Anderem, ohne Vorbereitung durch die Bewegung des Willens werde dr Gottloſe gerechtfertigt.

Der Protejtantismus darf es als einen Mifverftand ablehnen, wen vom Glauben geredet wird, als fei demfelben eine Bewegung ds Bilfens fremd, und als müßten Hoffnung und Liebe erft zu dmjelben Hinzutreten. Von folder kümmerlichen Auffaffung ift Dillinger frei. Ihm gilt der Glaube als dem Keime nad) alle Araft der Werke in ſich enthaltend (S. 187), und als bibliſcher Theologe fpricht er es runder und entfchiedener als felbft Romang ms, daß die Aneignung des göttlichen Gnadenwerks nicht durch) das Gefeg und deffen Werke, fondern durch den Glauben gejchehe. ‚Die von Adam Sünde“, Iefen mir (©. 182), „jo geht von Ehriftus Gerechtigkeit auf Alle über; das Organ aber der Auf- nahme und Aneignung ift der Glaube.“

Auch Romang ift übrigens ferne davon, den Glauben jo dürftig afzufaffen wie das Tridentinum. Zwar daß ein Firwahrhaften dazu gehöre, darauf dringt er mit Recht (S. 73). Keine vefigiöfe lleberzeugung, fagt er, ift möglich ohne Fürwahrhalten, und daß der Glaube unberührt bleiben könne bei der durchgreifendften Um— witaltung der Lehre, kann nicht im Ernft behauptet werden. Wir ſegen z. B.: daß ein lebendiger, feiner ſelbſt und feines Wertes Imußter Gott fei, dag Chriſtus, der gefreuzigte und auferftandene, mier Tebendiger Erlöfer jei ob ich das für wahr oder aber für unwahr Halte, das ift doch wahrhaftig aud für mein Vertrauen richt einerlei. Aber alferdings diefes praftifche Moment des Ber- tranend auf den Gott der Wahrheit haben unjere Reformatoren

206 \ Riggenbach

für die Hauptſache im ſeligmachenden Glauben’ erklärt. Miore trauen, pwWyed, ſich feſt auf etwas ſtützen, dieſe bibliſchen drücke find dafür ſprechend genug. Ya es läßt ſich ein Uebe finden vom Fürwahrhalten zum Vertrauen. Wie die Aug in Art. 20 fagt: die rechte fides fei diejenige, quae eredi tantum historiam, sed etiam effectum historiae, fo get Fürmahrhalten, daß’ Gott und jein Erlöſungswerk jei, zu Fürwahrhalten weiter, daß e8 für ums vorhanden fei; d das Gleiche, was der Heidelberger mit dem Ausdrud bez (Br. 21): ein Herzliches Vertrauen, daß nicht allein andern dern auch mir Vergebung der Sünden, ewige Geredhtigfei Seligfeit von Gott gefchenft fei, aus lauter Gnaden, allei des Verdienftes Chrifti willen. Sehr ſchön bejchreibt den © auch die hefvetijche Confeffion (Art. 16): es fei derfelbe nic menſchlicher Wahn oder Beredung, fondern ein fteif veft Bert Verlaſſen oder Vertrauen, ein richtiges und beftändiges Zi oder Mitftimmen des menfchlichen Gemüths, ja eine gewiſſ greifung und Annehmen göttlicher Wahrheit und ( felber, als des einigen ewigen oberften Guts, und füraus göttlichen Verheißung und Chrifti, welcher aller Verheißung ( Hanptfumma ift.

Gegen diefe Säge follte Döllinger kaum etwas einzun haben, wenn wir vergleichen, wie er 3. B. ©. 195. 196 Glauben redet. Und auch Romang definirt uns (S. 79f. Glauben, der diefen Namen verdiene, ale eine Ueberzeugthei welcher der Mensch mit der ganzen Kraft feiner Seele fomol theoretifchen Inhalt des ihm Verkundigten, Verheifenen in t tifcher, al& die wirkliche Sache nach Möglichkeit in praktiſche thätigung ergreife. Der religiöfe Glaube namentlich (denn es vom Glauben auch in weiterem Sinne geredet werden) nehm Mittelpunkt des perfönlichen Wejens ein, in welchem alle © thätigfeit, Erkennen und Wollen ſich concentrirt. Und fo i Glaube theoretiſch und praktiſch ein Verzichten auf das eigene © reine, vom tiefften Gefühl der eigenen Bedürftigkeit durchdru Hingebung an den Gnade anbietenden Gott und Erföfer. durch eigenes Vermögen wolle der Gläubige das Heil wirten,

über die Rechtfertigung durch den Glauben. 207

km inwiefern er dabei doch eines Thuns fähig fei, gehe er darauf as, es zu empfangen. Alſo können wir die bisher gewonnene Iebereinftimmung mit deu Worten bezeichnen: Das Heil geht aus vn der Gnade Gottes in Chrifto und wird angeeignet durch Teben- igen Glauben. Aber wie gejchicht diefe Aneiguung? Hier ber ‚mt das Zufammengehen umjerer Wege fi zu lockern.

2. Rehtfertigung nur dur den Glauben.

Bern Glauben ſoviel ift als Vertrauen, worauf ſtützt fich ofielbe? Auf Chriſti Gerechtigkeit, fagen unfere Reformatoren. Betonen fie aber mit Nahdrud, daß diefe eine dem Sunder von then zufommende fremde Gerechtigkeit fei, fo erhebt fich dagegen de ntionafiftifche Denfart noch mehr als die fathofifche und be pet: eine fremde Gerechtigkeit Fönne uns nicht zu Gute fommen, fondern nur unſere eigene. Wir wollen nicht in Abrede ftellen, di die Broteftanten im Eifer, alle Selbftgerechtigfeit abzufchneiden, fer und da anf bie fremde Gerechtigkeit in einer Weiſe Gewicht Blegt haben, daß es fcheinen konnte, fie fei auch eine fremd blei— ende, was doch nicht die Meinung war. Und doch wäre nur ie ſolche Rechtfertigung unbegreiflich, die uns folfte zu Theil xrden um einer Gerechtigkeit willen, welche uns fremd wäre und liebe. Romang anerkennt, daß diefer Vorwurf die proteftan- Abe Kircheulehre nicht trifft. Daß die vor Gott geltende Geredj- gfeit, jagt er, als eine dem Menſchen zunächſt äußerliche gefaßt ird, ift nicht anzufechten ; denn beftünde fie bereits in uns, fo Aten wir fchon gerecht md bedürften Feiner Rechtfertigung (©. 64). WWilt das nichts Anderes, als was er auch fonft wiederholt ein- Aunt, daß unfer Heil aus göttlicher Initiative jtanıme, vo: Oben Amme, nicht von uns abhängig fei, zunächſt ohne unfer Zuthun wirft werde. Wir unfererjeits widerſprechen nicht, wenn er nad) m angeführten Worten weiterfährt: Aber wenn wir wahrhaft et werden follen, jo wird die Gerechtigkeit wirklich die unfrige den müffen. Die Frage, auf die es anfommt, ift nur: wie Yihieht das? wie wird die Gerechtigkeit Chrifti ung zugeeignet? Die Reformatoren fagen: durch die Rechtfertigung als durch Ann gerichtlichen Aft, oder wie es Röm. 4 erklärt: durch Zur

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rechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit. Dem ijt nun R abgeneigt. Er meint, das Wort dixasodr fünne ebenfogı Katholifcher Deutung „gerechtmachen“ heißen, nämlich die Gere mittheilen, eingießen, als nach proteftantifcher „für gerecht ert und es habe auch unzweifelhaft bei Paulus felbft beide tungen. Ich kann nicht umhin zu glauben, daß es ihm fallen würde, diefe Behauptung zu beweifen. Auch der $ Döllinger ift nicht feiner Meinung. Er ift ein zu guter b Theologe, um nicht hier den Bann feiner firchlichen Trabi durchbrechen und anzuerfennen (S. 187), daß Paulus de drud von dem Urtheile Gottes über den Menfchen gebrauc rechtfertigt werden, fagt er, heißt bei ifm: von Gott für erklärt werden. Aber, fügt er bei, das Urtheil Gottes | der Wahrheit, Röm. 2, 2. Auf das letztere werden wir eingehen, heben aber gern zuvor noch einmal hervor, daß ! fichtige Katholik die aftproteftantifche Auslegung von dixauc ftätigt. Es ift auch umfomehr daran fejtzuhalten, da bie Rom. 4, wo und die Bedeutung der Rechtfertigung als , nung bejonders flar entgegentritt, nicht etwa vereinzelt daft welchem Fall man fagen könnte, fie fei von minderem ( jondern recht eigentlich al8 sedes doctrinae zu bezeichn Der Glaube Abraham’s, von dem dort die Rede ift, hat auch wegs nur als piychofogifche Funktion den gleichen Charaft der chriſtliche Glaube, fondern er richtet ſich auch auf den Gegenſtand, den Segensfamen, wenn auch natürlich erſt Form der Verheißung. Das allein möchte bei Döllinger ein Nachwirkung feiner kirchlichen Ueberlieferung fein, daß er ü 4, 5; 5, 6 unter &osßys nicht den Menſchen überhaupt in Gottentfremdung, fondern nur den ‚Heiden verftehen mödht auch Abraham nur als gemefenen Gögendiener (S.195); ı zu eng und äußerlich, eine Abſchwächung des Begriffes. Nach einer andern Seite geben wir Romang völlig Recht er eine gewiffe .ungehörige Vorſtellung vügt, die man fich bi von der Zuredinung made, ſei's Webertragung der Schul Sünder auf den Bürgen, fei’s wiederum Zuficherung der Si als ginge das Alles jo äußerlich und unperſönlich vor ſich n

über die Nechtfertigung durch den Glauben. 209

ünſchreiben eines Schuldpoftens von einem Blatt auf das andere. Aber man kann doch nicht fagen, daß mit einer ſolchen höchſt äußer« iten Borftellung von Zurechnung und Uebertragung zugleih auch ie Auffaffung der Rechtfertigung als einer Gerechterklärung ſtehe ker falle. Wie nun die Zurechnung vermittelt zu denken fei, für i Gerechterllärung fommt e8 nur daranf an, daß das Urtheil An unwahres und darum ungerechtes ſei. Gegen die Art, wie Dillinger an Röm. 2, 2 erinnert, haben wir umſoweniger ein- anenden, da er es nicht ausdrücklich polemiſch thut. Wenn aber domang, was man fo oft gegen die reformatorifche Rechtfertigungs- dire vorgebracht hat, auch feinerfeits wiederholt: einen Sünder, ken Sünder wäre, fir gerecht erflären, wäre eine Ungerechtig- kt, ein unwahres Urtheil, fo ift ja das freifich wahr, aber es Imst u fo ehr auf der Hand, und wenn es eine Einmwendung gen die proteftantifche Nechtfertigungstehre fein foll, fo Tann fie Fehr jeder Schüler machen, daß uns ſchon dadurch die Erwägung we gelegt wird, e8 werden die denfenden Männer, die gleichwohl i det proteftantifchen Rechtfertigungslehre blieben, auch ihrerfeits auf gelommen fein, es fönne aber diefe Lehre und müffe in lehrheit fo verftanden werden, daß fie von diejem' Einwurf nicht froffen wird.

Die Dentweife, als deren Anwalt Romang auftritt, hat auch hft zuviel Mißtrauen und Vorurteil gegen alles Richterliche, widiiche, wobei man vergißt, daß auch die unvolifommene menfch- he Rechtspflege eim irdiſches Abbild des Waltens göttliche Ge Hrigfeit if. Und vor den Richterſtuhl Gottes, der freilich zum ihter auch Vater ift, ftelit uns der Ausdrud dixasodv. Romang Igt übrigens in der Abneigung gegen den blos deklaratoriſchen k wie in fo vielen andern Stüden den Spuren Schleiermacher's. t findet das bloße Gerechterflären befremdlich unter fo vielen dern Aten, die fämmtlic Alte des göttlichen Wirkens feien; fo hricht, fo geſchieht's, das gelte von Gott; und fo müßte auch in Gerechtſprechen als eine wirffame Gnadenerweifung, Heilsver- itlung, Heilswirkung, Gerechtigfeitsmittheilung verftanden werben 3.69). Wir ftellen nicht in Abrede, daß in dem göttlichen etechtſprechen auch ein Wirken unferes Gerechtwerdens verborgen

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fei; es fragt fi nur: wie? und darauf antworten wir, t deutung von dıxasodv feithaltend, die einzig Tann erhärtet ı indem Gott den Glauben wirft, jo wirkt er, daß er ung k gerecht erklären.

Weit mehr berechtigt, in der That fehr beherzigenswert die Rügen Romang’s, daß Mauche ſich der Glaubensgere rühmen und ji dabei zu leicht hiuwegſetzen über die Urg keit de8 Lebens (S. 54); daß bei Vielen nur eine Uebe der Rechtfertigung veranlaßt werde, die von feiner wahren | Umwandlung begleitet fei (S. 75), und daß man nicht forgfäftig genug geweſen fei, diefe möglichen nachtheiligen Wi abzuwehren. In der Neformationgzeit langen die Vorwü— gröber und maffiver: das Heiße ein tolles und viehifche pflanzen, wenn man die Leute lehre, fie können in allen leben, falls fie nur glauben, fo fei Alles wieder gut; oder Heidelberger diefe Schmähungen ausdrüdt: folde Lehre mad loſe und verruchte Leute. Das war num vorwiegend, ſei's bejd ſei's böswilliger Mißverſtand, wie ſchon Paulus in Röm. dagegen zu fümpfen Hat. Aber es ift nicht zu leugnen, da dem Mißverftand auch der Mißbrauch möglich, und Leider fach wirklich geworden ift. Man fann fi auf die Ger durch den Glauben fteifen in einer Weife, dag man ſich im bequem und träge gehen läßt, gegen Fleifh und Sitnde I übt, in feiner rechtgläubigen Lehre bedenklich ficher ift un die leifefte Abweichung von derjelben hart zelotifch auftritt find Gefahren, gegen die wir ale wachen müſſen. Es fr nur: wie wird denfelben auf die vechte Weiſe begegnet?

Das find alfo die Punkte, bei denen wir Nomang ein daß er uns auf eine Aufgabe richtig aufmerkſam made: die Rechtfertigung durch den Glauben als Gerechterffärun bejchreiben, daß das göttliche Urtheil nicht als ein unwah ungerechtes erfcheine; und es gilt ſowohl dem Mißverftand ( Mißbrauch der Rechtfertigungslehre fo zu begegnen, daß ein werde, wie wenig fie einem fleifchlichen Wandel Vorfchul Hier aber gehen unfere Wege nun mehr auseinander.

, Über die Rechtferttgung durch ben Glauben, au

3. In welhem Sinn Reätfertigung durd den Glauben?

Romang ift geneigt, die proteftantifche Rechtfertigungslehre durch he Erklärung zu erfegen:" der Glaube in der Siebe oder auch die Kbe im Glauben vechtfertige den Menſchen. Diefe von einem weichenen Katholiken aufgeftellte Lehrart entſpreche dem wicht Wologifch, aber aligemein rationell gebildeten Bewußtſein auch bei , m Broteftanten beffer (S. 88). Möchte das nicht daher rühren, 38 «8 bei vielen vationell Gebildeten an Verfiändigung und Ver- Vdniß fehlt über das, was die Schrift, was infonderheit Paulus

Hl unter Glauben als unter Rechtfertigung begreift? Ich br mic zwar, hervorzuheben, wie viel Treffliches die Ausführung Kfımang (befonders S. 90ff.) enthält über die enge und ums Wire Zufammengehörigfeit von Buße, Glauben, Liebe und Bet. Ex zeigt, wie das eine zum andern unaufpaltfam weiter- De, wie in der ganzen Entwidlung das gleiche Streben, der hide Trieb vorhanden fei, der von Stufe zu Stufe ſich weiter Nolte. Speciell zwiſchen Glauben und Liebe weift er die innigfte Kmadtfhaft nad. Iſt der Glaube Vertrauen, fo bricht im Aetrauen bereits die Liebe durch. Vertrauen ift ihre erfte Geftalt. b find Liebe und Glaube in ihrem tiefern Wefen Eins. Liebe tits anderes als die in eine intenfivere Energie (dev felbit-

Hingebung) übergegangene Entwidlung des Gleichen, was der be feinem Wefen’ nad if. Romang bezeichnet darum auch

93) die Liebe als des Glaubens reale. Wefenheit und Kraft. hoffe nachher deutlich machen zu können, daß es nicht nur ein hrtftreit ift, wenn ich fage: viel eher könnte ich beiftimmen, wenn Hi umgefehrt ausgebrüdt hätte: der Glaube fei die reale We— Meit und Kraft der Liebe. Er aber erinnert uns zuletzt an das kitolifche- Wort vom Glauben, der durch die Liebe thätig fei, Ran das andere von der Liebe, ohne welde wir nichts wären, Dit weun wir allen Glauben Hätten, und findet es ſchwer begreif- b, wie man bei der teten Berufung auf Paulus dies nicht mehr achten fönne, bejonders da im jenem erften Ausſpruch geradezu Ü Bezug auf die Rechtfertigung gefagt werde; der Glaube gelte

212 Riggenbad

nichts ohne die Xiebe (S. 95). Wir unfererfeits halten ihr gegen, daß Paulus freilich jenes Wort vom Glauben geja: der durch die Liebe thätig ſei nicht ganz in folder Bez auf die Rechtfertigung, wie Romang will, wir werden e8 fel und daß er ebenſo jenes andere Wort gejagt hat, wodurch wiffer Beziehung die Liebe fo entſchieden über den Glauben wird e8 wäre unrecht, das zu überfehen; aber nicht unrecht wäre es, für nichts anzufchlagen, daß der gleiche | nirgends fchreibt: jo werden wir nun durch die Liebe gerecht fondern immer wieder: durd den Glauben, ohne des ( Werke. Das muß doch, fagen wir, feine Urjache haben. das iſt's alfo, wogegen wir uns ausfprechen, daß Roma engen und unauflöslichen Zufammenhang von Buße, ©) Liebe und Werken betont; auch Calvin thut ſolches und zeigt z wie wenig Rechtfertigung und Heiligung zu trennen feien Instit. 3, 11, 6). Aber indem er es ablehnt, diefelben zu fi verfäumt er doch nicht, zu unterfcheiden, worauf e8 für bie fertigung anfomme.

Um zu erkennen, was uns von Romang trennt, müffen vn Apoftels Lehre von der Rechtfertigung ſchärfer in's Auge und zu verftehen trachten, in welchem Sinn er diefe dem zuſchreibt, und warum nur dem Glauben und weder der Liet den Werfen. Im Verlauf diefer Erörterung wird fich un felbft ergeben, wie wir im Sinne des Apoſtels jenen do Vorwurf abzulehnen haben, daß das Urtheil Gottes ein um! wäre, wenn er den Sünder nur um des Glaubens willen fertigte, und daß aus der Vertröftung auf die Olaubensgerer eine fchlaffe fittliche Praxis folge.

a. Rechtfertigung durch den Ölauben ift fein unma

B Urtheil Gottes.

Die Rechtfertigung, fahen wir, ift nad) Paulus unftrei nädjft ein richterlicher Akt, ein Zurechnen des Glaubens rechtigfeit. Aber doch nicht nur ein richterlicher. Das geh! daraus hervor, daß der wiederkehrende Ausdruck nicht ift dexa Evarıov Hsod, jondern dixasoovyn Heod, einmal fogar (Phil

über bie Rechtfertigung durch den Glauben. als

& Jeod. Was in dem legtern Ausdruck unmißverftändlich vore fiegt, das ift der Sinn aud) des einfachen Yeod, nicht ein bloßes Gelten vor Gott, wie Luther überfegt, fondern ein Stammen aus Gott, ein Gewirktfein von ihm; aber wie? Darauf führt befon- ders eins, worauf Döllinger wiederholt hinweiſt, während mande Proteftanten es eher zurüdjtellen; daß nämlich mehr als einmal von Paulus nicht nur der Kreuzestob Chrifti, fondern ebenfo die Auferftehung als Gegenftand des’ Glaubens und Kraft der Recht fertigung Hervorgehoben wird (Röm. 4, 25; 10, 9. 1Cor. 15, 17). Darin liegt ein’ Zwiefadhes: für’s Erfte nad) der Seite des gött⸗ üben Sühnungswerkes jagt der Apoftel, Chriftus fei um unferer Einde willen dahingegeben, das will fagen: um für unfere Sünde de Sühnung zu leiften, die dmoAvrgwars, das heißt den Loskauf

u bewirlen. Diefer Loskauf aber geht auf den Fluch, der und Einder im Teiblihen und geiftigen Tode feſthält. Die Löfung diefes Fluches ift erſt dann vollbracht, wenn wir num von Rechts gen dürfen in das Leben des Auferftandenen eingehen. Wie widieht aber dies? Das führt uns auf das Zweite. Erſt als er Auferftandene wird Chriftus im vollen Maße Lebensquelle, pendet den Heiligen Geift und wirkt durch denjelben den Glauben, ur den wir ihn ergreifen und der Rechtfertigung theilhaftig xrden.

Denn der Glaube ruht auf einer Wirkung Gottes, auf welche reilich der Menſch eingehen muß. Wie der Menſch feine Sünde ihrer ganzen Gottwibrigkeit nicht anders zu erfennen vermag, 18 wenn ihn der Geift Gottes von derfelben überführt, jo kann t auch nicht ander8 zum Glauben kommen, als dadurch, daß der deift ihm Chriftum verflärt. Das Innerfte der Sünde vom erften Infang bis zur Vollendung ift Unglaube, Sichverſchließen gegen dort, Mißtrauen gegen feine Xiebe, Abkehr von ihm, Gottloſigkeit; arum eben ift unter dem «oeßrs nicht nur der Heide zu verftehen. Biederum ift der Glaube nichts anderes, als nachdem der Menſch m Licht der göttlichen Gnade ergriffen ift, die Antwort auf diefen zug des Vaters, das Ergreifen Gottes in Chrifto mit heilsbegies iger Seele, ein Eingreifen, das zum innigjten Einswerden mit dem Irgriffenen führt, das ein Zuihmſem und Inihmerfundenwerden

Theol. Stud. Jahrg. 1868. 16

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zu Stande bringt (Gal. 2, 20. Phil. 3, 9). In Chriſto wir dixaoodın Heod (2Ror. 5, 21); er felber, Chriftui durch den Glauben unfere Gerechtigkeit (1Kor. 1, 30). beruht es, daß Gottes Urteil über uns fein unwahres ift. fieht unfer Einsgewordenjein mit Chrifto an. Wenn die Con formel, durch die Polemik gegen Ofiander veranlagt, beftrei die Einwohnung Gottes der Rechtfertigung zum Grunde fie behauptet, daß fie erft auf dieſe folge (S. 695), fo ift i Theologendiftinction, worin ſich bereits der Unterſchied zwifı fpäteren Lehrentwidlung der Lutheraner und der Reformin kündigt, die und bejondere Schnedenburger’s Scharffinn vo hat. Luther felber aber in der Schrift von der Freihe Chriſtenmenſchen geht durchaus auf jener Bahn, das Rechtfer urtheil Gottes auf die Vermählung der Seele mit Ehı gründen.

Auch Dölfinger geht infoweit durchaus mit ung einig, | ſchreibt (S. 193f.); „Der Menſch glaubt an Chriftus, üı in feine Gemeinfdaft tretend Genoffe feines Todes und feir erftehung wird, d. h. der Sünde fo abftirbt, daß diefe i mehr ihrer Herrſchaft unterwerfen kann, und indem er du Wiedergeburt und geiftlihe Zeugung ein Glied an dem Leibı und damit des von ChHriftus ſich ergießenden Lebens theilha Sobald auf diefe Weife das Princip der Sünde durch Gerechtigkeit in ihm verdrängt und diejes legtere, in ihm th kräftig iſt, verwirklicht fih an ihm das göttliche, ihn ale anerfennende Urtheil.“ Hier ift abermals die Rechtfertig ein Richteraft Gottes anerfannt. Inwieweit die angeführte doch auch einen Anfag enthalten zu einer, wie wir urtheilen nicht ganz richtigen Wendung der Lehre, das wird mit 9 zur Sprade fommen.

Verftehen wir die dixasoouen coõ in der angedeutetei fo wird fofort offenbar, wie diefe Lehre gar nicht eine ausfı panlinifhe zu nennen ift. Die neubegnadigte Gemeinde Gerechtigkeit vom Heren, ſpricht der Prophet, und zwar e vechtigfeit aus lauter Onaden, denn fie kauft, was ihrer ſtillt, ohne Geld und umjonft (Jeſ. 54, 17; 55, 1). Di

über bie Rechtfertigung durch den Glauben. 216

ſelbſt, fagt ein anderer Prophet, ift ihre Gerechtigkeit (Jer. 23, 6). Ja bis auf den Wortlaut trifft mit der Lehre des Paulus zu- ſammen das Wort der Bergpredigt (Matth. 6, 33) von der di aaloovn aurod, das heißt ja Yeov.

b. Reätfertigung durch den Glauben leiftet der fittliden Schlaffheit feinen Vorſchub.

Iſt es richtig, daß dieſe Rechtfertigungslehre von dem Vorwurf nicht getroffen wird, fie laſſe Gott ein unwahres Urtheil fällen, fo wird auch das andere Bedenken dahinfallen, als ob fie der fitt- lihen Schlaffgeit Vorſchub leiſte. Wir fagten bereits, dag Röm. 3u. 6 ums zeige, wie ſchon Paulus fic ähnlicher Vorwürfe zu wehren Habe. Aber es ift Ichrreih, zu betrachten, wie er es Au, Nicht fo nämlich begegnet er jenem Vorwurf, daß er bie Rehffertigung noch an etwas Anderes außer dem Glauben Enüpfte; fmern: wiſſet ihr denn nicht, was Glauben ift? im dieſe Frage finnte man feine ganze Verantwortung zufammenfaffen. Die Recht - fertigung aber ſchreibt er nach wie vor nur dem Gfguben, zu. Barum das? es ift nöthig, auf diefe Frage etwas näher einzu- geben.

Paulus führt und nicht darauf, zwifchen Buße, Glauben, Liebe, Werlen, an deren inniges Zufammengehören, wir erinnert wurden, " eine Trennung zu behaupten. Dennoch knüpft er unter Allen Glies dern diefer Kette allein an den Glauben die Rechtfertigung. Nicht an die Buße. Das will aud) Romang nicht (S. 74. 82). Wenn in der Buße Erkenntniß der Sünde ift, weiter Traurigkeit über diefebe, ein Streben von der Sünde und Unjeligleit loszukommen, ein Verlangen nad Erlöfung, Vergebung, Entfündigung, fo fann man dies als den negativen Anfang eines Strebens bezeichnen, das aus dem Geiſte Gottes ftammt. Aber nur in oberflächlicher und fentimentaler Weife könnte man fagen: ſchon durch die Thräne der Reue ſei der Menſch gerechtfertigt. Wer es -tiefer und ernfter nimmt, kann nicht die Gerechtigkeit fuchen wollen in dem, was die Ueberführung von unſerer Ungerechtigfeit ift. Unfer Hunger zeigt wohl, daß wir für Nahrung empfänglich find, aber Niemand fättigt den Hungrigen mit feinem Hunger. Ich könnte davon abbrechen,

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wenn ih es nicht für paſſend hielte, noch mit einem Wort erinnern, wie wenig der herfümmliche Begriff von Buße und biblifhe von meravo ſich dede. Letztere ijt Sinnesänder nit im Sinn eines Zlid- und Stückwerks diefer und jener

gewöhnung, fondern im Sinn einer Umkehr der Grundrihtung a Denkens und Trachtens. Ging diefe Grundrichtung beim na fichen Menfchen von Gott hinweg auf die Welt hin und auf Waide des Ich in der Welt, fo richtet fie ich jegt bei dem Gott ergriffenen Menjchen aus der Welt hinweg und aus

Suden ded Ich in der Welt zum lebendigen Gott. Die ( gemäße Traurigkeit (2 Kor. 7, 10) ift nur die eine negative diefer Bewegung; peravora als Ganzes ift umfafjender;

während man zur Buße nad) gewöhnlicher Vorftellung den Gla— fügt al das zweite pofitive Stüd zum erften negativen, ift der Sinnesänderung vielmehr zu fagen, daß der Glaube die derjelben fei. Umfoweniger find wir bibliſch veranlaßt, aud) zu fragen, ob man nicht für die Rechtfertigung die Buße mit Glauben verbinden follte.

Biel näher Tiegt es, in dieſer Beziehung die Liebe mit Glauben zu verknüpfen. Wie nothwendig der Trieb, der im Ola: lebendig ift, ſich weiter zur Liebe geftalte, Hat, wie wir ſchon mähnten, Romang trefflich gezeigt. Und nicht weniger fhön ı Döllinger davon (S. 206): „Indem der Menfch erkennt, Gott uns zuerft geliebt, da wir noch Sünder und ihm entfrei waren, wie er durch den Opfertob feines Sohnes den erhaber Beweis dieſer Liebe gegeben Hat, und in die Betrachtung d unverdienten Huld und Liebe, diefer zum Vergeben und Geben bereiten Gnade ſich verfenft, entzündet ſich in feinem Herzen Gegenliebe, und damit erfüllt ji die große Beftimmung Glaubens. Durch den Glauben Ieben Heißt nur: durch den Glaı fieben und in dieſer Liebe gehorchen und dulden. Der in 2 thätige Glaube, das ift die fürzefte Befchreibung des ganzen Chrij thums.“ Offenbar denkt Döllinger nicht fo niedrig vom Glau wie frühere katholiſche Lehrer, die ihn erft durch Hinzutreten Liebe laſſen Geftalt gewinnen; fondern ber Glaube ift nach das Ergriffen- und Entzündetwerden von der Liebe Gottes zu ı

über die Rechtfertigung durch den Glauben. 217

und erft daraus erwächſt unfere Gegenliebe. Er fagt daher weiter: „Den heiligen, den gerechten und die Sünde haffenden Gott fann die fhuldbeladene Seele des Menſchen noch nicht Tieben; aber den Tiebenden, ben mit der Menſchheit verfühnten, den zur Vergebung bereiten, die Fülle feiner Gaben anbietenden, oder mit einem Worte: den durch Chriftus ſich offenbarenden Gott kann fie Tieben.“ Dem Allem würde fein Proteftant widerfprehen. Nur wenn Dölfinger " jagt: der in Liebe thätige Glaube, das ſei bie fürzefte Beſchreibung des ganzen Chriftentyums, möchten wir dagegen erinnern: aber nicht die kürzeſte Beſchreibung der Rechtfertigung.

Döllinger freilich liebt es, zu wiederholen, der in Liebe thätige Glaube fei es, duch den wir gerechtfertigt werden; und Romang geht noch weiter als er und bemerft (©. 95):- „Bei der Recht: ferfigung gilt der Glaube nicht ohne die Liebe. Und wenn er nur sit, infofern die Liebe dabei nicht fehlt, fo ift eben die Liebe das Moment, von welchem felbft die declaratorifche Rechtfertigung ab» hängig ift. Geſetzt das andere, das auch zum Glanben gehört, dürfe nicht fehlen, fo ift doch die Liebe das Entfcheidende.“ Aber das ift durchaus nicht fo Mar, als Romang meint, des Apoftels Lehre. Vielmehr ift ja doc gewiß vor allem zu beachten, daß Vaulus nicht in Gal. 2 u. 3, wo er ausdrücklich von der Recht⸗ fertigung redet, in folder Weife die Liebe mit dem Glauben ver- bindet, fondern erft in Cap. 5, wo er von der Gfaubensgerechtig- feit die Anwendung auf's Leben macht. Beſtehet in der Freiheit, heißt e8 Hier. Fallet nicht aus der Gnade, indem ihr melnet, durch Beſchneidung das Gefe zu erfüllen. Im Geifte durd) den Glauben harren wir auf die Hoffnung der Gerechtigkeit. Mar kann diefes Wort verfchieben verftehen. ebenfalls aber ift die Hoffnung, auf die man harrt, foviel al der Gegenftand der Hoffnung. Alſo fagt der Apoftel entweder: Wir Harren auf den Gegenftand unferer Hoffnung, die darauf geht, gerechtfertigt zu werden; nämfich ſchließ⸗ lich, endgültig, da man ja aus der jegigen Nechtfertigung zeitweilig wieder Herausfallen könnte; ober er will fagen: wir harren auf den Gegenftand unferer Hoffnung, welcher in Gerechtigkeit befteht; oder endlich es könnte ein Genit. possess. fein, und die Bedeutung wäre: wir harren auf den Gegenftand unferer Hoffnung, welder

218 Riggenbad

der ldurch den Glauben zu Stande gefommenen] Gerechtigkei— fommt. Wie man aber den Genitiv nehmen möge, beadjtens: tft, daß hier, wo von Gerechtigkeit die Rede ift, ala das M wodurch fie menfchlicerfeits zu Stande fommt, der Glaube nichts ale der Glaube genannt wird.

Heißt es nun weiter .im folgenden Vers (6): in Chrifto ve (loyveı) weder Beſchneidung etwas noch Vorhaut, fondern Gl welcher durch Liebe thätig iſt, jo ift es unberehtigt, wenn turzweg ergänzt: vermag etwas‘ zur Rechtfertigung; da vie die richtige Ergänzung ift: vermag etwas zur rechten dem | gefälfigen Erfüllung des Gefeges; wie im, Gegenfag zur fa Erfüllung dur die Beſchneidung bald darauf V. 14 fagt: ganze Geje wird in einem Worte erfüllt, in dem: Liebe t Nächten als dich felbft. Unfere Auslegung wird durch die gleihung von 1Kor. 7, 19 beftätigt, wo der Apoftel jagt: ſchneidung iſt nichts und Vorhaut iſt nichts, ſondern Halteı Gehote Gottes“; und doch iſt er gewiß ferne davon, irgendn lehren, daß durch Halten der Gebote Gottes die Rechtfert

komme. Sondern die durch den Glauben Gerechtfertigten ge ihm, wenn fie in Kraft ihrer Rechtfertigung die Gebote Halte

Steht es fo mit dem Ausſpruch Gal. 5, 6, wo es noch einigen Schein haben Fonnte, als ſchreibe Paulus der Liebe zufe dem Glauben die Rechtfertigung zu, fo fällt bei der andern die man auch anführt, 1%or. 13,2, genauer angefehen felbft Schein hinweg. Denn freilich ift hier von einem Gfaubeı Rede, einem großen Glauben fogar, bei welchem man nichts kann, weil die Liebe fehlt. Aber die Schilderung zeigt, daß nit vom Glauben die Rede ift im Sinn des Ergriffenfeine Gottes Liebe, fondern vom Glauben in einer befondern Rich vom heroiſchen, Wunder mwirfenden Glauben. Heißt es nun diefem: wir feien trotzdem nichts, wenn uns die Liebe mangl fann man wohl fagen: bin ich nichts, fo bin ich auch nicht ge fertigt. Aber daraus folgt nicht, daß es alfo die Liebe fei, wol die Rechtfertigung erft zu Stande fomme. Sondern darum ich nichts, weil die Siebe fehlt, und darum bin ich bei fehl Leibe nicht gerechtfertigt, weil diefes Fehlen zeigt, bag mein Gl

über die Rechtfertigung durch ben Glauben. 219

nicht mehr der echte, lautere Heilsglaube ift, der ällein die Recht⸗ fertigung empfangen Tann. Daß diefe der Liebe zu Theil werde, iſt auch Hier nicht gejagt.

Auch in Luk. 7, 47 ift das nicht der Fall, einer Stelle, welche fon in der Confutatio gegen die Augsburger Confeffion im rö- mifchen Sinne geltend gemacht ward. Melanchthon in der Apofogie (S. 87 ff.) proteftirt dagegen, ohme die wahre Deutung genügend ins Licht zu ftellen, wie fie von Bengel, Stier, Meyer, v. Hof⸗ mann u. A. vertreten wird. Wenn man nämlich obenhin leſend meint: hier werde ja doch Har gefagt, der Sünderin feien ihre Sünden vergeben, weil fie viel geliebt Habe, alſo ihre Liebe fei die Urfahe der Rechtfertigung, fo überfieht man, wie man durch folde Auslegung das vorangegangene Gleichniß von den zwei Schuldnern geradezu auf den Kopf ftellt. Diefes verlangt gebieterifh, daß das Shenten der Schuld die Urſache und das danfbare Lieben die Birfung fei; und wenn das Caufalitätsverhäftnig in B. 47 ſcheint ds umgefehrte zu fein, fo ſcheint es nur fo; in Wahrheit aber fagt der Herr, mit einer alten Paraphrafe zu reden: ihr müſſen viele Sünden vergeben fein, was man daraus fieht, daß fie jo diel geliebt hat. Alſo nicht: ihr ift vergeben, weil fie geliebt Hat; jondern daß ihr vergeben ift, Tann ich dir fagen, weil man ja fieht, wie fie geliebt hat. ergeben aber ift ihr, weil fie geglaubt hat, jagt uns V. 50 ausdrücklich. Alſo das ift ja freilich wahr, daß techter Glaube unfehlbar Liebe Hat. Aber nicht durch diefe Liebe tehtfertigt er uns, fagen wir einftweilen dem Apoftel folgend. Barum er fo lehrt, das wird ſich und bald enthüllen.

Ebenſo Har ift endlich, dag nach dem Apoftel der Glaube zwar nothwendig gute Werke Hervorbringt, daß aber Paulus wenigftens bie Rechtfertigung des Sünders niemals an die Werke knüpft. Yatobus thut es, und wir werden fpäter unterſuchen müffen, ob und wie er mit Paulus zu vereinigen fei. Für einftweilen bleiben hir bei diefem al® dem Hauptapojtel, der die Nechtfertigung vers fündiget, ftehen. Nun ift auch hier wieder anzuerkennen, wie treff» fit) und tiefdringend Romang den Zufammenhang darftellt, wie wiſchen Glaube und Liebe, fo aud weiter zwiſchen Liebe und Werlen (S. 96ff.). Und zwar hebt, er vor allem das innere

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Thun und Wert, die Selbftüberwindung, bie Energie des in Bewegens, Regens und Strebens hervor als das, worauf « tomme, was vorhanden fein-Könne, wenn auch von außen mächtige Hinderniffe der Verwirffihung des Thuns im Wege ft während dagegen die Liebe kraftlos wäre, wenn fie nicht nad Maß der äufern Mönlicjfeit zur Verwirklichung triebe. Zei uns fo die Werke als das notäwendige letzte Glied in der der Heilsverwirklichung, fo ift er doch ferne vom Pelagianit infoweit er nicht daran deuft, die Werfe als Verdienft des Me Gott gegenitber zu ftellen; vielmehr find fie ihm nad) vern wiſſenſchaftlicher Erkenntniß nicht anders, als nad) des Xp Wort (1Ror. 15, 10) nur die legte reiffte Frucht der gött Gnade, nur das Heraustreten der göttlichen Wirkjamfeit in als menschliches Thun ericheinende Wirkung (S. 97. 102). Alles nehmen wir dankbar an. Daß der Glaube, wenn ift, Werke haben müjfe, hat der Proteftantismus nie in 2 geftellt. Aber die Rechtfertigung Hat er darum doch nicht a Werke geknüpft, und wenn es Romang thut, fo weicht er vom Apoftel Paulus ab.

Döllinger hält ſich Hier abermals näher an die apoftolifche Das Wort: wir werden gerechtfertigt durch den Glauben ohn Geſetzes Werke (Rom. 3, 28) ift ihm zu ſtark. Und zwar er ſich der Ausflucht, welche hier katholiſche Ausleger - man gebrauchten, zu jagen, es feien darunter nur die Werfe des jüd Ceremonialgeſetzes verftanden. Er ift ein zu guter biblifcher & Toge, um nicht zu willen, daß das Geſetz ein Ganzes ift, von uns der Apoftel nicht geftatten wiirde, einen ſolchen einzefnen heranszufchneiden. Er fagt vielmehr (S. 186): „Nicht aut Werten des Gefetes, das hieß: aus Werfen, welche allein in des Gefeges, fraft der bloßen geſetzlichen Erkenntniß und vollbracht werden. Alles, was der Jude fraft des mofai Bundesgeſetzes, der Heide fraft des von ihm im Gemiffen erfaı Sittengeſetzes thut, fei es auch ein moraliſches, dem Buchft des Geſetzes ganz entſprechendes Werk, das ſchließt Paulus der Rechtfertigung aus.“ Und fpäter fügt er bei (©. 2 „Gnade und Werke find bei Paulus entgegengefeßt, eines hebt

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andere auf. Gerechtfertigt, fagt er, wird nicht der, welcher (in gfeglichen Leiftungen) werfthätig ift, fondern der Glaubende; Gott effärt au den, der ihm bisher als Heide ganz entfrembet war wenn er nur gläubig wird, fr gerecht.“

So fteht e8 alfo mit der Rehre des Apoſtels: wenn gegen fein Gnadenevangelium der Vorwurf erhoben wird: das fei für die Einder eine Ermunterung, weiter zu fündigen, auf daß die Gnade mächtiger werde, fo weift er das mit Nachdrud zurüd; aber nie» mals fo, daß er fagen würde: bedenkt doch, daß der Menſch nicht durh den Glauben allein: gerechtfertigt wird, fondern durch ben Vlauben nur, wenn er im Liebe thätig ift, nur wenn er Werke rorbringt. So redet er nicht. Sondern feine ganze Verant- Rertung (Röm. 6) kann man mit den Worten umfchreiben: wiſſet iit dun nicht, was Glaube ift? welch ein Abgeftorbenfein ber Eine, welch ein Eingetretenfein in den Dienft des Gehorfams zur Gerechtigkeit? Ein Glaube dagegen, bei welhem man forglos fortfündigen wollte, da® wäre ja gar fein Glaube mehr. Alfo mie der Heidelberger (Fr. 64) folchen Vorwurf ablehnt: denn es unmöglich ift, daß die, fo Chrifto durch wahren Glauben find ein- oflanzt, nicht Frucht der Dankbarkeit follen bringen. Oder wie Nelanchthon in der Apofogie fagt (S. 86): „Quare fides illa, quae aceipit remissionem peccatorum in corde perterrefacot et fugiente peccatum, non manet in his, qui obtemperant apiditatibus, nec existit cum mortali peccato.‘“

© Der Glaube niht als Tugend, fondern als Ergreifen Chrifti.

Hier aber werden wir auf einen letzten entjcheidenden Punkt führt. Wenn der Apoftel lehrt, der Glaube werde uns zur Ges tötigkeit angerechnet, jo will das richtig verftanden fein. Es ift chet nicht richtig, wenn man meint, das gefchehe, weil der Glaube fe Gott wohlgefällige Gefinnung und Willensrichtung fei, oder til er dem Keime nad) den ganzen äußern Gehorfam, der daraus machfen werde, ſchon im fich ſchließe; alſo Gott rechne dem Menſchen den Glauben als das Princip des neuen freien Gehor⸗ fans, als die Bürgſchaft der nicht ausbleibenden Heifigung, mit

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einem Wort: er rechne ihm den Glauben ale zur Gerechtigkeit. So ehrt Dölfinger (S. 18 es auch Romang an, und will eben deswegen bleiben. Nun ift ja freilich der Glaube im hi gefällig; denn er ift ein Gott die Ehre geben, « Gottes Kraft (Röm. 4); er ijt das Grundmwerl der Seele (1 Theſſ. 1, 3. 2Theſſ. 1, 11. Vgl in Lange's Bibelwerf X, 2. Aufl, ©. 107); akt des Gehorſams gegen Gottes Ordnung (Röm. oder wie e8 Döllinger treffüch ausführt (S. 1' Menſch zur Gerechtigkeit glaubt oder im Gfaı macht er von feiner Freiheit den ftärkjten und e brauch, deffen er fähig ift; er nimmt demüthi das ihn für einen ohnmächtigen Sünder erklärt u Sünden vergibt; er entjagt aller eigenen Gere Streben darnach; er erkennt an, daß Gerchtig ift, und er nur von dorther fie empfangen kann völlig dem Willen und widmet fein ganzes L Gottes. Und jo liegt im Glauben die ganze En und Chriftus gerichteten Willens.“

Das ift völlig wahr und fhön gefagt. U nicht die Urſache, warum uns der Glaube zur Ge wird, und ift die Vergleihung mehr ſcheinbar treffend, wenn Döllinger fagt (S. 186), e8 wer! als Gerechtigkeit angerechnet, wie der Haß al Tüfterne Blick als Ehebruch. Das ift doch nicht Der Apoftel, aud wo er ausführen will, wi Kraft des neuen Gehorfams fei, läßt doch das (Röm. 6, 11): Afo aud ihr haftet end di Sünde geftorben feid und lebet Gott in Chriſto 3 Aoylleode &avrovs, wie Gott Aoylleıa. lichkeit das Ziel, daß die Sünde todt ımd ab fe erreicht, gleichwohl haltet euch dafür, denn ihr ge der euch in Chrifto anficht; und durch diejes Muth, daß ihr nun auch unverbroffen gegen t in der That. Alfo liegt auch. Hier dem Thatgeh

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rigtfein bereit zum Grunde, nicht umgefehrt, auch nicht in ber Beife der Anticipation.

Ein ſprechendes Beiſpiel zur Erläuterung deffen, worauf es tommt, können wir einem Abſchnitt entnehmen, der ein Heilungs- under berichtet; aber wie ber Herr das gleiche Wort: dein Glaube tdi gerettet, zu fo manchem Geheilten und nicht minder zur Finderin gefprochen hat, jo Täßt fi auf unfere Frage mit Necht menden, was Petrus aus Anlaß einer Heilung fagt: Was ſeht mauf uns, als hätten wir dieſen wandeln gemacht durch unſere gene Kraft oder Frömmigkeit? Vielmehr auf Grund des Glaubens tinfih.unferes Glaubens) an ben Namen Jeſu hat diefen, ben richt und kennet, geftärft Sein Name, und der durch Ihn Om) gewirfte Glaube (der im Rahmen gemirfte) hat ihm die Delle Sefundheit verliehen (Apg. 3, 12. 16). Diefer Gegenfag Münferft fprechend. Nicht unfer Glaube als Tugend der Fröm- Mgfit (B. 12) ift die. heilende Kraft gewefen, fondern unfer Haube als Ergreifen de Namens Jeſu, wodurch auch in dem hanfen ein gleiches Vertrauen auf diefen Namen entzündet wurde 8.16). Es ift eins der Meiſterſtücke von Verdeutſchung, mie tung bei Luther fo oft begegien, wenn er in V. 12 edosßeıe it, Verdienſt⸗ überfegt. Dadurch tritt in Wahrheit der Gegenfag, in den es fich handelt, in das Hefffte Licht. Und auch in Bezug F die Rechtfertigung wird es wahr fein, wenn wir fagen: nicht A den Glauben als Verdienft und Tugend fommt es an, ſondern hf den Glauben als Ergreifen Chriſti. Alfo wie ber Heidel- her (Fr. 61) den Sinn des Apoftels trifft: Warum fagft du, HE du alfein durch den Glauben gerecht feieft? Antwort: Nicht, 38 id) von wegen der Würdigfeit meines Gfaubens Gott gefalle, Iern darum, daß allein die Genugthuung, Gerechtigkeit und Niigfeit Chriſti meine Gerechtigkeit vor Gott iſt, und id} diefelbe itt anders denn allein durch den Glauben annehmen und mir xignen kann.

Hier tritt das, was ung von Romang und auch von Döllinger feınt, am klarſten zu Tage. Sie laffen das Rechtfertigungsurtheil "dasjenige ſich beziehen, was von neuem chen im Menfchen “tits entftanden und Bis auf einen gewiffen Grad entwidelt fei,

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und zwar iſt Romang, der ſich weniger « Schriftwort hält, philoſophiſch unftreitig (S. 95) aufſtellt: je mehr des Guten im Stande gefommen, je intenfiver die Energiı ihm fei, defto weiter fei auch die Nechtferti, alfo bei der Liebe weiter als beim Glauben kräftiger Werkthätigkeit weiter, als bei einer! Verwirkfihung ihrer Gefühle bringe (vgl. ı das ift es nicht, worauf fi) nach Paufus Sünder bezieht. Es ift ja wahr, vor Go weifige wirkliche Eriftenz des Menden (S. den wirklichen Zuftand eines jeden nicht an Wahrheit ift (©. 68). Aber er fieht, m fertigung Handelt, nicht auf das, was Gutı wickelt das Gute in mir zu Stande gefomn ide dixcioovvn nämlich, fondern einzig d mein eigen, ob Chriftus meine Gere fei (1Kor. 1, 30). Das hängt aber nid durch Gotted Wirkung das Gute im mir fche wirkende Sündenneigung ſchon befiegt fei, uni oder Schwäche meines Glaubens ift es nid ift wie ein Senfforn, wen er nur ein laute liches Aufnehmen Chrijti und der in feinen gewirkten Gnade ift, fo habe ich in ihm V Befreiung von ihrer Tyrannei, Frieden m Gottes, oder was der Apojtel nennt (Rön fertigung des Lebens. Und fei auch die En rung noch ſchwach und blöde, der Zueignur darf ich mic, auf fein Wort getröften.

So wird auch erfüllt, maß die helvetifche Co Darzu möchten weder unjere Werke noch Lie fie gefhähen von dem Ungerechten ober Unfre wir zuvor fromm und gerecht ſein, ehe denn ı gerechte Werke thun. Nun erinnert uns f wenn Jeſus denfelben. Sinn in das Gleichni Baum könne gute Früchte tragen, von einen

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Rede fei, nicht von einem faulen, von dem nur erklärt werde, fei als ein guter anzufehen (S. 98). Aber diefer Einwurf ift he beftechend als wirktich treffend. Wie ein fauler Baum könne a guten werden, das will uns Jeſus in jener Gleichnißrede gar K lehren. Alfo haben wir darin aud) gar feinen Aufſchluß über Glauben zu erwarten und wie er wirfe, fei e8 als Tugend tals Ergreifen Chriſti. Romang felbft aber, der jo ausdrüd- ‚wie wir es vernommen haben, das Srrationale oder Hyper⸗ ionale im Sühnungswert Eprifti anerkennt, ſollte nur noch den un (oder großen?) Schritt weiter thun, diejes Irrationale oder perrationale auch in der Art und Weiſe der Aneignung einzu— Bien; id) meine das im guten Sinn Myſtiſche, das Gcheimniß x Ootfeligkeit, die Vermählung der Seele mit Chrifto durch den Mauben, wodurch es zu Stande kommt, daß wir an Ihm, dem kin Grrechten, Antheil haben, und Gott uns nicht mehr in un m mtürlichen Geftalt anfieht, fondern in Ihm, defjen Glied ? geworden find.

Das ift Luther's Lehre, wie Dorner fie darſtellt (Gedichte proteftantifchen Theologie, 1867, ©. 232f.): „Won dem an= menden Glauben gilt, wenn Luther fagt, er fei ein herzlich, Rltig Vertrauen auf Chriftus; er gebe Gott jeine Ehre, er fei fülung des Grundgebots, feine Abgötterei zu treiben, ja er fei Keim die. Erfüllung aller Gebote Gottes, er fei der wahre fesbienft und daͤs wahre Opfer. Bon dem Glauben, der ver» md genommen Hat, aber fagt er, er fei im fteten Stande Beſſerung; er fei jchon fromm und felig, gefalle Gott fo wohl, ler feinen Glanz, von Chrifto erhalte, wie Chriftus Gott ge» 8, jo gefallen die Gläubigen Gott; denn die Seele wird durch Aftus wieder Gottes Ebenbild, dem Worte gleich, daran fie gt. Dem nehmenden Glauben wird zu Theil die Befreiung 1 Schuld und Gefeg, die Wiedergeburt, die Erlöfung von Strafe, ie, Tod. So iſt der Glaube alfo rechtfertigend, aber nicht atlıh an ihm felber um feiner Kraft oder Tugend willen, ſon⸗ Aum deffen willen, der nun zu ihm gehört und gerechnet wird, A, Nicht die Kraft des amnehmenden Vertrauens ift der und der Rechtfertigung, fondern aud ein ſchwacher Glaube ift

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Glaube, wenn er zitternd den Inhalt erfaßt, der rechtfe Kraft Hat. Ebenſo befteht Rechtfertigung und Wiedergebi nicht im Fühlen und Empfinden der Seligfeit, jondern a wir ſolche Gefühle nicht haben, kann doc eine Gewißheit im Vertrauen auf Chriſtus.“

Damit ftimmen aud die reformatorifchen Bekenntniſſe. bier auf die befannteren nur hinweifen, jei es den kurze bündigen Art. 4 der Augsburger Confeffion, fei es die ausf elaffiihe Frage 60 des Palatinus. Hingegen ſei Hier ı weniger allbefaunte und doch jo ſchöne Artifel unferer erften Confeſſion, der die Aufigrift führt: „Vom Glauben und V in jeinem ganzen Wortlaut wiedergegeben: Wir befenner laffung der Sünden durch den Glauben in Jeſum Chriſt Gekreuzigten. Und wiewohl diefer Glaube ſich ohne Unterle die Werke der Liebe übet, hervorthut, und alſo bewähre jedoch geben wir die Gerechtigkeit und Genugthuung für Sünde nicht den Werfen, jo des Glaubens Früchte, fonder dem wahren Vertrauen und Glauben in das vergoffene & Lammleins Gottes. Denn wir frei befennen, daß uns in der da ift unfere Gerechtigkeit, Heiligkeit, Erlöfung, Weg, U Weisheit und Leben, alle Dinge geſchenkt jeien. Darum di der Gläubigen nicht zur Genugthuung ihrer Sünden, jonder darum gejhehen, daß fie damit Gott dem Herrn um bi Gutthat, uns in Chrifto bewiefen, ſich etlicher Maßen erzeigen.

Verftehen das nur die Theologen, wie Romang dafür zu ſcheint? Ich will nicht davon reden, daß ich einigermaßen ohne dem verehrten Mann zu nahe zu treten —, ob meinverftändige Bewußtſein wirklich jeine philoſophiſchen rungen jo viel leichter und beffer verjtche. Aber das gie fagen zu dürfen: den Kern der protejtantijchen Rechtfertigur haben von Alters her verftanden und verſtehen jegt mod Sünder, nicht nur in den Zuchthäufern, fondern überhauf von fich felbft abgefommen find und immer gründlicher abfe auch folhe, die mit Paulus jagen fünnen: ich bin nad) dx

rechtigkeit im Geſetz geweſen unjträflih, die aber wit |

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aben, was ihnen Gewinn war, um Chriſti willen für ud Koth zu achten (Phil. 3, 6ff.).

obe des Gefagten wird fein müffen, was auch bei Romang 6 der Unterfuchung bildet (S. 294 ff.), die Beantwortung ob einmalige oder allmähliche Rechtfertigung; wobei aud) ihung zwiſchen Paulus und Jakobus wird müffen zur ommen.

(mählih wachſende oder ganz angeeignete Rechtfertigung? teht fich, daß Romang’s Ausführung auf allmähliche Rechte hinauslaufen muß. Zwar unterjucht er ernftlih, ob es , irgendwie einen Anfangspunft des neuen Lebens, das einer neuen Potenz in die Entwicklung eines Menfchen ers wichtig und entjcheidend nachzuweiſen. Sein Ergebniß 3.306 ff.), daß es kaum angehe, einen einzelnen Moment Hung als jo ausgezeichnet wichtig zu fallen, weder vor n Gott, der ja das Einzelne nicht in feiner Vereinzelung dern im Zufammenhang mit dem ganzen Verlauf; noch . den Menfchen, infofern der Nachweis der Grenze, wo denſch aufhöre, der meue beginne, nur fehr relativ gelinge elten fo deutlich wie bei Paulus vorliege. Ueberhaupt lich, zwei Menfchen innerhalb eines Menſchen zu unters jährend doch eine Perjönlichteit die beiden in ſich befaffe. durch theologifche Borausjegungen beftimmte Wiſſenſchaft darauf gekommen und könne aud) eine ſolche Darftellung ren (©. 313). Wir könnten erwidern: eine gar nicht logische Vorausſetzungen bejtimmte Wiffenfchaft wäre wohl folhe, die gar nicht durch das Chriſtenthum beftimmt darum begreiflich auch auf die Thatfache der Wieder ie Ruckſicht nähme; die ſollte aber Hier ein entjcheidendes t Haben. Wir fünnten weiter erinnern, daß es doch i, die Wahrheit, die in jener Unterfcheidung gemeint ift, allgemein gebildeten Bewußtſein in ergreifender Weife ringen. Ich will hier nicht ſowohl auf Kant's Religion der Grenzen der bloßen Vernunft hinweiſen, als auf

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Chamiſſo's Gedicht: „Die Erſcheinung“. 2 Poeſie, ‚und zwar der Form nad) phantaftijc moglich fein, die erfehütternde Wahrheit, die einer Geiftergefchichte vorgeführt wird, au ſchaftlicher Weife zu erörtern. Bei Romaı anders zu erwarten, wenn er doc die Recht nung des im Menfchen bereit thatjächlid anfieht, als daß er nun auch lehren müffe: Wachſen diejes Guten im Menfchen fei auch eine ganz allmählich wachſende zu denken (€ Aljo kann fie auch eine abnehmende fein. eine allmählich wachſende ift, fo ift fie eine nie noch mangelhafte; aljo im Grund, je ftreng fi) felber nimmt: eine immer noch höchſt zn damit beim "Tridentinum angelangt, das i contra inanem haereticorum fiduciam „Nam sicut nemo pius de Dei misericordi deque Sacramentorum virtute et effice ‘sie quilibet, dum seipsum suamque et indispositionem respieit, de sua gratis potest; cum nullus seire valeat certitı potest subesse falsum, se gratiam Dei Dos ift freilich der entſchiedenſte Gegenſatz mit welchem Ofevian, der eine ber Väter de und fo viele andere Proteftanten ftarben. Nun wollen wir nicht leugnen: ein Warn heit kann nöthig fein. Es kann ein certiss auf das Dogma vom Glauben, jtatt auf d felber ſich ftügt; wo die justitia imputativ wird. Man fann ſich auf die Glanbensgerei vertröften, als brauchte e8 ein Kind Gottes genau nicht zu nehmen, fünnte gar im gre und doch auf die Rechtfertigung durch den doch als wäre jeder ftrengere Eruft der Zud jeder entſchiedene Heifigungseifer, ja als m Paulus ermahnt, das Schaffen der Seligkeit

über bie Rechtfertigung durch den Glauben. 229

echte Gefetzlichleit oder ein Mangel an Glauben. Aber andern Seite gibt es doch ebenfo umleugbar, wo der Troft bensgerechtigfeit ſich verdunkelt, ein unfeliges Sichlafteien, ftqual ohne Ende im Zweifel über den eigenen Gnaden⸗ on ſich Derjenige, der nicht auf feine eigene Wirdigfeit, uf Wort und Werk Jeſu traut, in Gnaden befreit weiß. darauf ankommen, dur fcharfe Entwicklung der zweis n Wahrheit zu zeigen, wie beide Klippen gemieden werden. atholiken Haben, um die Menſchen nicht allzu troſtlos zu je Lehre von der justitia infusa, inhaerens, habitualis . In dem frommen Menfchen fomme, wenn aud noch ige Gerechtigkeit, fo doch ein ſolches vorwiegend gutes zu Stande, daß das Vorherrfchen der guten Willens- tönne für eine vollfommene Gerechtigkeit angenommen Romang zeigt mit Recht (S. 300), wie nahe dieſer m 2ehrart die Anfhauung moderner Proteftanten komme, e Rechtfertigung durch den Glauben darauf gründen, daß be als Potenz des Lebens aus Gott dafür angenommen 18 ftehe er der actuellen Entwidlung glei, die daraus erde. Es ift wahr, das ift im Grunde die katholiſche habitualis. Und es ift weiter wahr, daß man gegen ichſtellung von Potenz und actueller Entwicklung gegrün- enfen erheben kann, wie Romang thut (©. 303f.), indem an das” Kind erinnert, deſſen potenzielle fittliche Exiftenz Mannesreife nicht gleichftehe, theils an den faulen Knecht, tgrabene® Pfund nicht anerfannt werde als Erfag für die Entwilung, die aus jener Potenz hätte follen erwachſen ir werden freilich fagen dürfen, daß Romang damit nur art widerlege, die auf gleicher Vorausfegung mit feinen Anfchauungen beruht; mit andern Worten, dag er nur den führt, wie feine eigenen Prämiffen die Rechtfertigung in ige Ungewißheit auflöfen. ine Lehre Hingegen, welche ıben, wo ſich's um Rechtfertigung handelt, nicht als Potenz en im Menfchen, nicht als Tugend der edosßeıa, fondern Eprifti willen, den er ergreift, in Anfchlag bringt, wird en Einwürfen nicht getroffen.

. Stud. Jahrg. 1868. 16

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Immerhin, was er befämpft, das befämpft er mit Recht. nur die fathofifhen peccata venialia propter levitatem verwirft er, fondern auch Schleiermadern ſollte man nicht fehen nadjfprechen, dag die Sünde im Wiedergebornen imm: noch als verſchwindende anzufehen fei, die ihre Vergebung mitbringe, weil fie fofort wieder bereut und befämpft werde zu lehren fei ſowohl praftifch bedenklich, als theoretifch ur (S. 315). Im höchſt beherzigenswerther Weife dringt R (S. 314ff.) auf Wahrhaftigkeit in der Selbftbeurtheilun verwirft die falfchen Ausreden, als falle dem Menfchen dat nicht zur Saft, wohin ihn alte Gewöhnung geriffen habe ohr ftimmung feines Willens; als berühre den neuen Menſchen was ber alte noch thue. So dürfe man fi) nicht entſchu denn es fei eine Perfon, die jo Handle und fo ſich aus; verfuche. Ya weit entfernt, daß Sünden, die der Wieder, thue, leichter anzufchlagen wären, feien fie ihm vielmehr ſchwerer anzurechnen, weil ihm ſchon Beſſeres zuzumuthen Und ob es denn auch nur wah: ſei, daß die Sünde bloß verfhwindende vorhanden fei? „Bei den Meiften geht e langſam und zweifelhaft mit diefem Verſchwinden. Sell Frömmeren find im Alter nicht wefentlich freier davon gen als früher in ihren beffern Zeiten. Nicht die Schlechtefter den Alten wuͤrden dies befennen. Das Ausbleiben mander begangenen Sünden ift weit mehr die Folge der Erfchlaffu ſinnlichen Triebe und der Abweſenheit der Reizungen, als di fung einer ſittlichen Erſtarkung, die dagegen aushalten w (S. 317.) In diefer Ausführung fpürt gewiß ein Jede fage es mit Freuden, den Ernft des Proteftanten, dem ein entwickeltes Gefühl der eigenen Verantwortlichkeit inwohnt. macht nicht gerade die, wenn nicht ein Verzweifeln am He Ende fein foll, die Nothwendigfeit der wahrhaft evangelifchen fertigungsfehre beſonders einleuchtend ?

Um bdiefelbe nach der Richtung, die uns hier befchäftigt Auge zu faffen, fragen wir; wie geht denn überhaupt, we einmal ernſtlich begonnen hat, die Weiterentwicklung des Ch lebens vor fih? Ein fefter Ausgangspunkt muß de fein,

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die Rechtfertigung im früher entwidelten Sim. Den jortgang bezeichnen die Proteftanten als bie Heiligung. nach katholischer Art Rechtfertigung und Heiligung identir wendet ein: Paulus erwähne das Geheiligtwerden nur Verbindung mit dem Gerechtfertigtwerden, und da laſſe rhergehen (1 Kor. 6, 11); ein andermal in Aufzählung er der. Heilslette knüpfe er am die Mechtfertigung fogleich Verherrlichung, ohne dazwifchen dev Heiligung zu erwähnen 30). Er has die wichtige Stelle 1 Kor. 1, 30 über Die erfte von ihm genannte erklärt ſich daraus, daß n Ausdrud zulegt ftellt, worin ſich der Gegenfog zum var (B. 9) am fhärfften zufpigt. Uebrigens kaun man zugeben, dab die Schrift ayselew, ayıaouos gar nicht der Weife brauche, daß der Begriff des Allmählichen in der proteftantifchen Kirchenlehre vorfchlage. Wenn e Lefer feiner Briefe als Heilige anrebet, fo meint er durch einen entfcheidenden Akt von der Welt ausgefondert, Dienſt gewonnen feien. Aber wenn ſich auch der Unter- hen Rechtfertigung und Heiligung nicht ganz geftaltet ſchulgerechten proteſtantiſchen Lehre, darin hat diefe doch ; fie als beftimmmte unterjchiedene Momente das Eintreten nadenſtand und das weitere Wandeln in bemfelben here Jenes Eintreten aber, und damit der Ausgangspunkt für tere iſt eben bie Mechtfertigung des Sunders vor Gott en, durch den Glauben an Chriftum. " ıther dies aufgefaßt und ergriffen habe, ſchildert Dorner S. 359): „Zum Impuls des eigenen neuen Lebens bens in Heiligung wird die Kraft Chrifti, an welcher der ntheil erhält, vor Allem durch die Erkenntniß und Er⸗ er Liebesgabe, welche nicht eine nur ftüchweife, oder erft gen und Stufen des innem Wachsthums abhängige ift, ehe ganz und voll dem Menſchen ſchon jegt in alt feiner menheit gilt. Das ift die Erfahrung des innern - Zeug- ) heiligen Geiſtes vom der Vergebung des Sünden und em mit Gott, kraft deffen auch unfer eigenes Herz und eben Tann, daß wir Gottes Kinder find. Das ift der 16*

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fröhliche, ſelige Hintergrund unſeres zeitlichen, wachſender immer unvollkommenen Lebens, die ewige Ergänzung u vollfommenheit zur Gerechtigkeit vor Gott, jo wir nur ir bleiben.“ Diefen Ausgangspunkt hatten wir im Auge, « abfehnten, mit Romang (S. 93) die Liebe zu bezeichn reale Wefenheit und Kraft des Glaubens. Es ijt diefe 2 im Zufammenhang feiner Gedanken durchaus begreiflid; hat die Triebkraft im Sinn, die im Glauben und Vert unvolffommener, in Bingebender Liebe erft vollfommener kundgibt. Wir aber, wenn wir umgefehrt den Glauben und Kraft der Liebe bezeichnen, verftehen darunter, daß das und Erfülltfein von der Liebe Gottes zu uns (das if Glaube) die allein nachhaltige Triebtraft unferer Liebe |

Iſt Gott für uns, wer mag wider ung fein? wenn | gangspunft da ift, wie geftaltet fi dann der weitere Das Normale ift, daß es ein Wachſen fei. Aber dat ann aud) eintreten, nämlich ein Abnehmen. Oder dat lichſte wird fein ein Schwanfen zwiſchen Beiden, eir zwiſchen Fallen und Aufftehen. Wer will es abwäge und der Fehltritt leichter oder fehwerer fei? ob er un Umftänden eine größere, unter jenen eine kleinere Verſch dinge? ob die Gefammtentwiclung überwiegend gut od verlaufe? Ueber das Alles ein ficheres Urtheil zu f jeweilen jhwierig, oft unmöglich fein. Jedes Fallen ı das feheinbar unbedeutendfte, ift ein Mangel an Wadh| beziehungsweife ein Abnehmen. Und wenn aud die vor Strömung eine gute ift, immerhin wird der Gläubige was gut an ihm ift, nicht ſich, fondern Gott die Ehre Betreff des Böfen aber, das ihm immer noch anklebt, n wahr fein: daß er durch Uebung leichter den Ruckweg und Glauben findet, und daß er fich auch die Leiferen Uebt ftrenger anrechnet. Denn nimmermehr wird er fich gel mit der noch zurücbleibenden Sundenneigung leicht zu Ze mehr er aber zu Zeiten entdedt, daß die Sünden ſelbſt verſchwinden, je mehr er fich zuweilen in das St glimmenden Dochts von neuem verfegt findet, befto mef

fiber die Nechtfertigung durch den Glauben. 238

ingen zu neuer Umkehr in die Buße zu Gott, zu neuer gung durch nichts als den Glauben. Aber nimmermehr des Erfchlaffens und des falfchen Glaubenstroftes. Denn nm erfährt er's ja von Neuem, daß Glaube nur ift die des Sünders, dem feine Sünde leid ift, zum lebendigen 8 Herausgehen aus ſich felbft und Sichwerfen auf Ehriftum. ber fchlaff würde, wo ihm feine Sünde nicht mehr Leib daher die Heiligung in's Stoden geriethe, da würde das u der Heiligung rüdwärts erweifen, daß fein echter Glaube t auch feine Rechtfertigung mehr vorhanden wäre.

ud den günftigen Fall gefegt, daß die Entwidlung vor- in Wachen im Guten fei, fo ift fie es doch nicht in der ſich's eine falfche.und unffare Vollkommenheitslehre vor- 8 Wachſen iſt Fein fteigendes, "ununterbrocdene® Vorwärts⸗ in gerader Linie aufwärts zum Ziel. Das Tridentinum es (Sess. IV, cap. 11) als Verſtoß gegen die Wahrheit, daß der Gerechte in jedem guten Werf wenigftens läßlich er) fündige, und daß Gottes Gebote für einen Geredht- unmöglich zu erfüllen feien. Denn Gott gebiete nichts es. Und diefen legten Sat wiederholt auch die metho- Bolffommenheitslehre, und fügt hinzu: die dritte Bitte fei liche Bitte, und es hieße der Ehre Chrifti abbrechen, ın behaupten wollte, er könne fein Werk in einem Menfchen n Ziele bringen. In Wirklichkeit fcheuen ſich doch die vor dem Frevel, zu behaupten, fie hätten ſchon in biefer die Vollfommenheit wirklich erreicht. Ihre Lehre bleibt ie unfruchtbare Theorie, und die Pragis nöthigt fie, nach rſtändniß zu fuchen, wie bei der noch immer nicht befiegten „keit unferes Thuns das Gebot Gottes, die Erhörlichkeit ets und die Ehre Chrifti gleichwohl beftehe. So Iernt das Zunehmen im Guten nicht ſowohl durch rafches öfteigen, als durch tieferes Niederfteigen und Unterſichwachen mit welchem doch fein Mattwerden und fein Verzichten Ziel gemeint ift. In der That, fo wenig es den Anfchein wahr ift e8 doch, daß gerade die ftrenge, ſcheinbar allen impfende Lehre des Heidelbergers (Fr. 114. 115) mehr

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Förderung in ber Heiligung enthält, ale eine unklare Be heitöfehre. Es Heben auch die Allerheiligften, fo Lange jie Leben find, nur einen geringen Anfang des Gchorfams, daß fie mit ernftlihem Vorfag nicht allein nach etliche⸗ nach allen Geboten Gottes anfangen zu leben. Hat e nächſt die Wirkung: daß wir unfer ganzes Leben lang ur liche Art je länger je mehr erkennen und fo viel defto Bergebung der Sünden und Gerechtigkeit in Chrifto führt es doch weiter dazu: daß wir ohne Unterlaß uns und Gott bitten um die Gnade des heiligen Geiftes; unl Art werden wir je länger je mehr zu dem Ebenbild Gotte bis wir das Ziel ber Volltommenheit nad; dieſem Leben Das ift alfo der Weg des Wachſens; mehr und mehr zu wiffen, daß man muß‘ bemüthig fein und von Gn fondern wirklich demüthig zu. werben und von nichts ı zu leben. Und dazu dienen chen die Erfahrungen im, Uebungen bes Glaubens. Inſofern find auch die Werke Bedeutung, nit nur als Erweifungen des Glaubens, for wirfend als Förderungsmittel deffelben. Wie durch Nid machen von den Kräften des Glaubens in der That d felber allmählich verfümmern und abfterben müßte, jo m tehrt das Gebrauchmachen förderlich auf ihu wirken, und | des Glaubens werden Mittel zur Stärkung beffelben. harten und härteren Proben muß er beftehen lernen; wir dabei gerade durch die Uebung im Werk die Gebrı unferer Werke Irbendig inne werben; wenn wir es mit ſchämuug fpüren, wie unſere beften Werke nie ganz wie unfere Liebe fo gar mangelhaft ift, wie Bewegg Selbftfucht jo unvermerkt fih einmifchen und unfer Thu wenn wir fo das fündliche Verderben immer tiefer erfı bei wachſender Wahrhaftigkeit und Lauterfeit auf alle Be deffelben verzichten, fo ift e8 eine Ruckwirkung ber Werl Glauben, daß biefer immer entſchiedener Chriftum allei So geht es immer mehr Hand in Hand, dag der Mei tm Gewiffen, milder gegen Andere, ftrenger gegen ſich fe und immer völliger damit Ernft macht, bie Gerechtigkeit

über bie Rechtfertigung durch den Glauben. 235

en als im Glauben an Ehriftum. Das ift apoftolifcdhe menheitslehre. In jedem Augenblid, wenn ic) jegt fterben wüßte ich: durch meinen Glauben, der Chriftum Hat, bin Gott in Gnaden, und was id) erlebe und thue, führt mich ner tiefer da hinein. Meine Vollfommenheit fteht darin, von Ehrifto ergriffen bin, darauf ſtellt auch Romang ab 2), und wir fügen nur Hinzu, daß diefem Ergriffenfein von das Ergriffenhaben Ehrifti entfpricht, wenn es auch für fönliche Vollkommenwerden immer noch beim Nacjagen nd nie, fo lange wir im Fleiſche find, dahin gelangt, daß ſchon ergriffen hätten (Phil. 3, 12—14).

können den Gegenfag zwifchen der römifchen und der evan⸗ Lehre in fürzefter Weife zufammenfaffen, indem wir auf Seite den Ausſpruch des tridentinifchen Belenutniffes ftellen: cati per observationem mandatorum Dei et Ecclesiae , justitia per Christi gratiam accepta crescunt, atque justificantur‘“ (Sess. IV, cap. 10); auf die andere denjenigen eines der proteftantifchen Väter: „Sanctificatio ificatio quotidieiterata.“ Dort allmählihes Zus n, bier tägliches Neuaneignen. ebenfalls follte r fein, wie dieſes, recht verftanden, durchaus fein faljches tröften ift.

ebenfofehr befeitigt e8 die faljche Selbſtquälerei und bringt ten evangelifchen Troſt; denjenigen, worin ſich Furcht und des Apoſtels mit der apoftolifchen Freudigleit verbindet: l uns fcheiden von der Liebe Gottes? Es war eine katho— usflucht: diefe triumphivende Gewißheit fei durchaus nur nahme kraft befonderer apoftolifcher Erleuchtung. Es thut u fehen, wie Döllinger fern davon ift, in folcher Art auszu— . „Alles verbürgt den Gläubigen“, fagt er, „daß fie wirklichen haben an der Liebe Gottes, wirklich in Gemeinſchaft ftehen tiftus. Sein Geift ift nad) dem Ausdrucke des Apoftels egel und Aufgeld in unferen Herzen, welches uns von der it des mit ihm gefchloffenen Bundes, der Wahrheit und geit feiner Verheißungen überzeugt“ (S. 209). Nicht als gleich triumphirende Gefühl bei allen und immer vorhanden

236 Riggenbad

wäre. Ja das gerade wäre der Anfang des Gerathens in St ten und peinfiches Zweifeln, wenn man anfangen wollte, a: Intenfität des Gefühle, überhaupt von neuem auf den « Zuftend des Menfchen das Augenmerk zu richten umd das trauen zu gründen, ftatt immer von neuem aus fich felbit h zugehen und ſich auf Gott und feine Gnade in Ehrifto zu m Niemand kann mic ans Gottes Hand weißen, nur ich felbft mein eigener Feind fein. Gott aber wirfet Wollen und Vollbr und gerade darum, weil er das tut, ziemt mir Furcht und ; einzig darüber, daß ich Könnte von dem, was Gott wirft, treuen Gebraud machen; dagegen aber ift das mein Troſt wenn nicht mein lauter Triumph, doch meine ftille Gewißheit Auguftin betend fagt (Conf. 10, 5): „aliquid de te scio, de me nescio“. Alſo nicht: ich weiß, daß ic) einen Glauben der es aushalten Tann; aber: ich weiß, daß ich einen Gott der mit der Verfuhung aud den Ausgang ſchafft, dag n können ertragen. (©. die Ausführung in den apologet. Bei von Gef und mir, 1863, ©. 230ff.). Der große Haller die Schärfe der Selbſtbeobachtung oft zur tiefen Niedergefd heit führte, denn er fand fi viel zu unrein für den Hi ſchreibt doch an Bonnet in Genf: „Ich fühle in meinem « Herzen, daß, fobald id an der Genugthuung Ehrifti zweifl nicht mehr als ein Heide bin, ein Chinefe, der ſich einbildet, angenehm zu fein durch einige gute Eigenfchaften, verbunde taufend Fehlern, und daß ich die ewige Verwerfung des ; vergeffe, die von der Reinheit und Heiligkeit Gottes unzertre ift.“ Da fehen wir, wie er Gebrauch macht von der Rechtfert durch den Glauben an Ehriftum.

Selbſtverſtändlich ift es für dem enangelifchen Ehriften, daß jedes Berdienft des Menfchen vor Gott dahinfällt. Hier fre uns, Romang mit größter Entſchiedenheit ſich ausfprechen zu | In durchaus feiner Beziehung wird von DVerdienft des Me vor Gott die Rede fein fönnen (S. 57); nicht nur nicht im Anfang der Heilsverwirffihung, fondern auch in ihrem w Fortgang nit (©. 66); und ausdrücklich wird gejagt, de nicht nur vom cpriftlichen, fondern auch vom vernunftwiflen]

über bie Rechtfertigung durch den Glauben. 297

tandpuntt aus gelehrt werden müffe (S. 97). Alfo auch mie wir es ſchon in jener Strenge der Selbftbeurtheilung ift Romang durchaus Proteftant; und wenn er in nicht en Punkten von der Lehre feiner Kirche weicht, fo bringt die Confequenz, womit er es thut, den Vortheil mit fi, hum deutlicher bloszulegen, als wenn er auf halbem Weg iebe. öffinger Hingegen thut es un feid zu fehen, daß er in ztück der Tradition feiner Kirche zu viel nachgegeben hat. und getrene Knecht, fagt er, wird der Ehre würdig ober die Seligkeit des Reiches der Herrlichkeit und Vollendung f.). Er beruft fih auf Offb. 3, 4: fie find es würdig, Stellen, die vom Himmlifchen Lohne reden; aber nicht t. Denn würdig erfunden werden, nachdem Gott’ und emacht hat, und belohnt werden, indem Gott feine Gnade > felbft unfer großer Lohn wird, ift etwas Anderes als die verdienen. "Döllinger felber mildert den Begriff von dahin, dag er ihm dem der moralischen Befähigung gleich d von dieſer jagt, fie fei felbft wieder Gottes gnädige, iſtus verdiente Gabe. Ya in einer früheren Stelle (5.199) och entfchiebener das Heil bezeichnet „als Gottes freie in völlig unverdientes, nicht ein durch Leiſtungen von vor— den Werfen bedingtes Geſchenk. Alles wird im Sinne nfonft und aus Gnade gegeben. Wie Gott dem Menjchen ı Glauben feine Sünden vergibt, fo reinigt er auch fein ) heifigt ihn durch den Glauben. Wie unfere Losſprechung den nicht ans den Werfen, fo ift auch unfere Heifigung den Werfen. Denn Gnade fein und aus den Werfen > find entgegengefetste,. fich wechjeljeitig aufhebende Dinge. 3 vermöge der Werke gegeben wird, das wird nach Pflicht tdienft gegeben.“ Diefer Definition von DVerdienft und ig diefer Ablehnung des Verdienftes hätte Dölfinger bie de treu bleiben folfen. Bedenken wir, welches Unheil die e Verdienſtlehre und Ablaßpragis ſchon 'geftiftet Hat, fo ie nur mit Thierſſch fagen (Döllinger's Auffafjung des nthums, ©. 12): „Auch fo (mie Döllinger die Lehre mil-

238 J Riggenbach

dert) bleibt es beklagenswerth, daß man von einer Lehrweiſ laßt, in welcher, fo lange fie fortbeſteht, unevangeliſches immer wieder feine Stüge und Beftätigung finden wird.“

5. Paulus und Jakobus.

Bon dem erreichten Punkt aus fünnen wir nun noch eine auf Jakobus und feine keineswegs ftroherne Epiftel werfe war eine merkwürdige Erfahrung, die ein proteftantifcher Mi in Oberindien machte, daß ihn Muhammedaner höhnten: ihr ja felbjt nicht an die Bibel! und als er den Beweis ve ihm vorhielten: ewer Meifter Luther hat ja felbft gejagt, de Jakobi fei eine ftroherne Epiftel. So zu reden Hatten fie liſche Priefter inftruirt.. Das wird auch Dölfinger nicht und wir unfererfeits haben nicht Urſache, das voreilige Luthers wie ein befonderes Kleinod werth zu Halten. Tret ſelber auf den Jakobusbrief ein. Nicht dag wir ung in al troverſen darüber einlaffen möchten; auch in die nicht, ob He berg Recht Habe, in den von Jakobus befämpften Gegnei Heidendriften, Anfänger der aufgeblafenen Gnofis zu fehe uns mehr als zweifelhaft ſcheint. Vielmehr will ih nur ir die eigene Auffaffung entwideln.

Die Rechtfertigung ans den Werken und nicht aus dem allein, die Jakobus lehrt (2, 24), verftößt hart bie im den laut hinaus nicht ſowohl gegen Paulus felber, als gegen 8 Meberfegung von Röm. 3, 28, wo er meinte, zur Verjd de8 Sinnes das Wörtlein allein beifügen zu müffen. Zr lage der Römifchen auf Verfälfchung der Schrift ijt unbe Im Zufammenhang des Nömerbriefes, wenn die Geſetzeswer der Rechtfertigung ausgefchloffen werden, bleibt der Glaube auf dem Plan. Aber der Zufag ift doch unnöthig und ü infofern mißlich, als er leicht den Gedanfen wedt, den 9 fo ernſtlich und mit Recht abwehrt, als fei von einer fid Nede, die nicht nur sola fei in der Rechtfertigung, fonder: nachher solitaria bleibe, nämlich ohne Frucht der Werke. miffen. daß folches des Paulus Sinn nicht ift. Wir wife aud er einen Glauben kennt und tadelt, der mächtiger und

über die Hechtfertigung durch ben Glauben. 239

als da8 Sagen, man habe den Glauben, wogegen Jakobus einen Glauben, der fogar Berge verjeßt, und bei dem man nichts fein kann. Solchen Leuten, wie fie Jakobus bes würde wohl Paulus nad Röm. 6 antworten: wifjet ihr it, was Glaube ift? das, was ihr fo nennt, iſt gar nicht Jakobus dagegen läßt ihm den Titel, fpricht ihm aber en ab, nennt es einen todten Glauben, einen ſolchen, der Leichenantlig des Glaubens habe. ehrt kennt auch Jakobus den Glauben, der feine Echtheit der durch die Anfechtung geübt, erprobt, geläutert wird der die Kraft ift des ungetheilten Gebets (1, 6); durch Wort und zum Samen der neuen Geburt wird (1, 18); heraus wir Chriftum als den Herrn der Herrlichteit be- 2, 1); durch welchen das Gebet dem Kranken Heilung, der Vergebung erfleht (5, 15ff.). Ja bis in Stellen ſtreckt ſich das, wo man faum darauf zu achten pflegt. ı er 4, 17 fagt: „Wer da weiß Gutes, Schönes, Edles und thut es nicht, dem ift es Sünde“, fo hat biefer alls Ausſpruch doc feine nächſte Beziehung auf das eben jangene: „Das prahlerifche Reden ift böfe, und zwar ift die de, die der Prahler begeht, feine andere als bie, daß er Ehre zu geben verfäumt, und nichts Anderes ift das xaAdv, nterlaffen hat, als eben dieſes Gott die Ehre geben.“ Das nach Röm. 4, 20 das Wefen des Glaubens. Wir ſehen 1 hier: wenn zwar die beiden Apoftel fich einer zum Theil nen Terminologie bedienen, hauptſächlich weil fie verfchie- jner vor ſich haben Werkheilige Paulus, wifjensftolze ıbige Jakobus fo ftimmen fie dod im. tieferen Weſen

ft auch in Betreff der Werke der Fall. Bon Zeya vouov, Baufus ausfchliegt, vedet Jakobus gar nicht, fondern von die nichts find al8 eine Kundgebung der Energie des 6, alſo deffen, was Paulus Röm. 4 an Abraham’s Bei- furzen Zügen fo mächtig befchreibt. Nichte Anderes thut obus, wirklich nichts Anderes, man achtet oft viel zu wenig Was ift denn das Werk Abraham’s, wovon er redet, ab»

40 Riggenbad

gefehen vom Glauben, nad) feiner äußeren Erſcheinung? ein des Wahnfinns wäre es, der Schwärmerei, des äußerften Fr von ferne nicht mach gewöhnlichem Maß gemefjen ein fi Verf. Nur wenn wir den Trieb erfannt haben, aus dem e vorgeht, fo verftehen wir, wie es ein Beweis ift, ja der Beweis in feinem ganzen Leben: welch energifche Kraft in Glauben lag, welch entfchiedener Ernft e8 ihm damit wa fern fein Glaube war von bloßeng fraftlofem Sagen: er ha Glauben, weil er etwa die rechte Lehre vom Glauben gehabt

Und die Hure Rahab, die Heidin, die Sünderin, was | für ein Werk? wiederum eines, das nad) Menfchenmaßftab triotifch wäre, ein Verrath an ihrer Vaterftadt, eine Rettung f Spione, und durch welches Mittel? durch eine Züge, die m fehr unbefriedigend mit dem zweibdeutigen Namen ber N würde zu entjchuldigen fuchen. Diefes Werk von fittlich fo ; haftem Charakter, wenn man auf die Außenfeite der Erfd blickt, wird dennoch fo Hoc) geftelft, warum? nur wegen des bens, aber allerdings mächtigen Gfaubens, der darin pulfirte. Heidin, diefe bisher laſterhafte Frau ift offenbar tief ergriffeı etwa von Feigheit, fondern von einem Heiligen Schreden v lebendigen Gott. Ihr Blick ift geöffnet, fie merkt: es g uns zu Endel es fommt über uns das Gericht! unfere find nichts, vor dem Gott Iſraels aber erbebet das Erbdreic

ſie flieht nicht von ihm weg, fondern zu ihm hin. Das

Glaube; aber allerdings nicht nur ein Reden vom Glauben mächtig in der That, fondern ein Iebendiger, gewaltig durdht der Trieb, mit ihrer ganzen Vergangenheit zu breden, fic und gar auf den Gott Iſraels zu werfen. Weil diefer le Trieb vorhanden ift und ſich fundgibt in ihrer That, wi der unlautern Aeußerungsform, die in Betracht ihres bie Lebens mehr als natürlich war, in Gnaden abgefehen. Gott das Herz an.

Was hätte wohl Paulus nur im geringften gegen biefe Wahrheit einzumenden? Nur die Terminologie, mit der J das ausgedrüdt hat, ift anders gehalten als wir fie bei 9 erwarten würden. Daß Abraham, daß Rahab aus ben &

über die Rechtfertigung durch den Glauben. 21

rtigt wurden, fo hätte ſich Paulus nicht ausgebrüdt. Man ı auch diefe Differenz auszugleichen, zwifchen diıxsodv bei und dixauodv bei Jakobus zu unterfcheiden verfucht., Aber nmt nicht weit damit. Zwar fo viel ift wahr, daß, wie Lebensproceß verfchiedene Stationen und Stufen zu untere find, ein Aehnliches fich auch hier wiederholt. Es gibt ein ertigtiwerden beim erften Eintritt in’8 neue Leben und gibt sten Abſchluß deffelben, wenn es an's Ziel gelangt, erprobt ährt ift, mit Hofmann zu reden: daß Gott den Glauben n'8 recht gewerthet habe. Auf dieſes Ziel blidt hier und Paulus Hinaus; fo in der früher befprocdenen Stelle 5; oder wenn er Röm. 5, 19 fagt: durch den Gehorfam en dixamcı xuraoradnjoovra od nollol. Das muß fie werden als thatſächlich nach ihrer eigenen Beſchaffenheit ewordene daftehen, ebenfo thatjählich, wie Adam’s Söhne liche Sünder daftehen, nicht nur als Sünder vermöge einer ing. Ebendahin gehört auch die Art, wie Paulus Röm. 5, 9 undlegenden dixammdnvaı das ſchließliche wIjcsoda x ſtellt. So will nun auch Huther in feinem Commentar «odcder bei Jakobus auf das zufünftige Gericht beziehen, dem Menſchen ſchließlich die Curnolce zu⸗ oder abgejprochen und das geſchehe ja auch laut Paulus nach den Werken 2, 6. 2Kor. 5, 10). Uber Döllinger erinnert dagegen ht (©. 212. 214), daß im Grunde der Begriff des di- bei Jakobus fein anderer als bei Paulus fei, nämlich der echterfunden- und Erflärtwerdens in dem Urtheile Gottes. ge (in feinem Commentar zu Jakobus) hat Recht mit wendung, es antieipire Huther unpafjend das Forum des Gerichts. Und wenn man erinnern könnte, es beſtehe doch fenunterfchied zwifchen dem erften dixaodv des doeßys, , und demjenigen, wo das rAmewsivn (al. 2, 23) ten fei, fo entfpricht doch gerade jenem erſten das Beifpiel e Rahab. Wenn irgendwo, fo liegt hier ein erftes dixauodv :Brjs vor, und doc auch diefes nach Jakobus e Zoywr. wie dag? Nicht EE Zeywv vönov, fondern EE Zgywv, nur ein folder Glaube, dem es rechter Ernſt ift, den

242 Riggenbad

Tebendigen Gott und in ihm das Heil ergreift. Aber auch | ſchreibt die Rechtfertigung Abraham's feinem anderen als ſolchen Glauben zu. Wenn alfo auch die Ausdrucksweiſe verjc das Weſen der Sache ift bei Beiden das gleiche. Jakobus der Glaube ift behilflich zu den Werken (2, 22); denn id den Dativ nicht verftehen: er Hat mit den Werfen gemirt wären dieſe wie für fich beftehend und der Glaube wie ihr arbeiter vorgeftelit; fondern ich nehme ihn gleichbedeutend d bei Paulus (Röm. 8, 28); und wiederum durch die Wer denen der Glaube half, wird der Glaube vollendet, das heiß nur vollends erwiefen, fondern vollends ausgereift; und jetz erfüllt, jegt tritt in volle Kraft und Berwirklihung ı Schriftwort? fein anderes als: Abraham glaubte Gott, ui ward ihm zur Gerechtigkeit gerehnet. Schon das | Glauben führte zum Gerechtfertigtwerden. Set, da ber ( in ſchwerſter Probe bewährt hat, daß er am lebendigen Go feiner Verheißung fefthält, ergeht der Urtheilsſpruch zum Mal. So geht es im der Glaubensgerechtigkeit von Sti Stufe bis zur Vollendung. Nicht mehr und mehr werde gerechtfertigt, fondern immer neu, und fo, daß die Beftä immer feſter wird. Aber fehon die Hure Rahab war geredt ohne daß etwas daran fehlte. Haben wir Ehriftum, fo fi gerechtfertigt. Es ift alfo nicht richtig geredet, wenn Hengſt (a. a. O., ©. 1123) fagt: die frühere Rechtfertigung fe eine vorläufige, unvollftändige, unvollfommene. Nein, get nach Jakobus auch die Rahab ganz gerechtfertigt, hat Go fi, wer will wider fie fein? Das fchließt Bewährung des bens in immer ſchwereren Proben und fo eine Bewährun Befejtigung im Stand der Nectfertiguug nicht aus. Weniger ift dagegen einzuwenden, wenn Sengftenberg (S. 1117): „Wenn unter dem Glauben der wahrhaftige dige Glaube verftanden wird und unter den Werfen die wahrh: aus dem Glauben hervorgehenden, fo fann ohne Widerſpru Rechtfertigung aus dem Glauben und aus den Werten g werden. Die erftere Fafjung ift die angemeffene, wo man e folgen zu thun Hat, die mit todten Werfen umgehen, die I

über bie Rechtfertigung durch den Glauben. 243

f gegen den todten Glauben, die bloße Glaubenseinbildung.“ That werden wir fagen müffen: wenn wir nicht Luther's eit folgend die ftroherne Epiftel verwerfen wollen, fo ie auch nicht ein Lehren, das fih an Jakobus anſchließt, pönen können, obwohl feftzuhalten ift, daß fich des Paulus eſtaltung völliger eignet, die Meinung abzufchneiden, als uns die Werke, als wiirde uns fogar der Glaube ale oodem zugerechnet. Und jedenfalls wer wie Jakobus U, bei dem werden wir umfomehr darauf dringen müffen, öllig Ernft made, von Glaubenswerken im Sinne des zu reden, alfo von ſolchen Werken, durch welche das Wort rd: fein Glaube ward ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.

nicht gut, über die Rechtfertigung durch den Glauben zu Denn wie Jakobus jagt (3, 18): der Gerechtigkeit Frucht rieden gefüct denen, die den Frieden Halten. Die Männer denen wir theilmeife gegenübertraten, werden hoffentlich, diefe Zeilen leſen folten, den Eindrud befommen, daß es um Zanf zu thun war, fondern um etwas Beſſeres. ftändigung eignet fi, wenn irgend etwas, das Wort von (S. 326), wo er zwar ablehnt zu fagen, die Gereditig- ie durch den Glauben allein, aber mit Nachdruck darauf komme durd die Gnade allein. Für Dölfinger in Gegenfag, denn er fagt (S. 185F.): Heil nur durch ben, das heißt: Heil mm durch Gottes Gnade. Und wir um und fagen: die Art, wie wir in jedem gegebenen t in der Gnade wurzeln, das ift eben der Glaube. Oder mang (a. a. D.) fagt: Daß wir die Gewißheit der Liebe ewonnen haben, darauf fommt es an im Leben und im fo fagen wir: ja, und fügen nur die Frage bei: was anders, als daß wir glauben? Auf diefem Grunde find .

244 Groos

2.

Der Begriff der zoioıs bei Johannes, eregetifch entwickelt, ein Beitrag zur neuteftamentlihen Lehre vom Ge

Bon Divifionsprebiger D. Groos in Coblenz.

Wie das ftellvertretende Leiden, der ftellvertretende Tod Auferwedung von den Todten: fo gehört zum Begriff di menschen gleich wefentlih die weltrichtende Macht in müthern, im fittlichen Bewußtſein der einzelnen Menſcher

8) Wenn ic hiermit den Lefern diefer Zeitſchrift eine Studie über ı neifchen Vegeiff der xginıs vorlege, fo fehe ich mich veranfaf merfung vorauszufchiden, daß mir ein folder Verſuch umſowen Rechtfertigung zu bedürfen ſchien, als fi) ſowohl in den Biblif gifchen wie in den exegetiſchen Werken neuerer Zeit eine eingehen widfung jenes Begriffs, wie eine ausführlide Erörterung der 2 bisher vermiffen ließ. Schmid bietet nur Weniges (Bibl. The N. Es, ©. 246 u. 247); aud) Lutz berüßet die johameiſche beiläufig. Die Erörterungen von Frommann und Köftlin Dorftellungen des johanneiſchen Lehrbegriffs“ Laffen wie an K an unbefangener Objectivität der Auffafjung viel zu wünſchen noch geringerem Grade eignet letztere der befannten Schrift von feld, die ihre tendenziöfe Färbung kaum zu verdeden vermag. jeder Hinficht gediegene gründliche und erihöpfende Darftellung ve wurde dem Berfaffer dieſes Aufſatzes leider erſt nach Vollendung zur Benutzung zugänglich; ec weiß ſich nicht blos im Weberein mit der Auffaffung von Weiß in den weſentlichen Punkten, fi Hatte auch um ber Befriediguug halber, die ihm die genannte währt, bereits den Gedanken wieder aufgegeben, feinen Aufſatz veröffentlichen, und ift erft neuerdings wieder durch theologiſcht dazu ermuntert worden,

über den Begriff der zglous bei Johannes. 245

ng der Weltgefchichte und in der großen Weltfataftrophe, dem gegenwärtigen Menfchendajein umd Zuftand der Dinge gefegt ift, und die in dem großen definitiven Scheidunge- dem „letzten oder jüngften Gericht”, ihren Abſchluß findet. den des Herrn wie die der Apoftel weiſen auf eine xgioss durch das perfönliche Auftreten des hiftorifchen Chriftus i feiner Erſcheinung im Fleiſch herbeigeführt ward, deren it geichichtliche wie geiftige Wirkungen beim Eintritt des in die Welt fofort begannen uud feitdem in immer fteir ʒrogreſſion ſchon durch zwei Jahrtauſende fortgedauert haben! (fter, beftimmtefter, zufammenfafjendfter Ausdrud der rich» Thätigkeit Chriſti erſcheint die Unterſcheidung der avd- lons und dvdoradız xgloewg, wie fie uns im johan- Lehrbegriff vorliegt. Derfelbe Evangelift aber gibt uns ı eine Reihe höchft bedeutfamer Ausfprüche, die fich gegen- Mären und ergänzen und uns einen Maren Blick in das den Umfang und Gegenftand der „xgLoss gewinnen laſſen. zunächſt unfere Aufgabe fein, diefe johanneiſchen Stelfen Weiſe zu erörtern, daß ſich daran eine bibliſch-theologiſche ung der neuteftamentlichen Lehre von der xgloıs wird an- fünnen, die wir einer weitern Darftellung vorbehalten. wir jedoch zu dem mehr exegetifchen Gefchäfte fchreiten, 8 angemefjen, im der Kürze die allgemeinen Grundzüge des ı Begriffs der xgloss vorauszufciden. Was ift zelaıs? sonderung des Ungfeichartigen, und diefe ift mım einmal inere, die ethifche xglors, d. h. die. Herbeiführung einer tſcheidung fomohl der fir das-Wahre und Gute, für Offen» und Mittheilung Gottes Empfängfichen, als ber durch ver- zeſinnung dafür Unempfänglichen, einer Selbftentfcheidung, die bisherige jcheinbare Harmonie aufgehoben und ihr BVerhältniß an den Tag gebracht wird; ſodann cine e, nämlich die Scheidung beider in Anfehung ihres äußeren es oder der Verfegung der Einen und der Anderen in die neren Qualität entſprechende äußere Situation. Gott, ale ter aller Welt, richtet durch Chriſtum (Joh. 5, 22. 27. ), 38; 17, 31); die ethiſche einig follte durch die Er— - Stud. Jahrg. 1868, 17

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ſcheinung Chriſti eingeleitet, angebahnt und durch feinen Geif zogen werden; fie iſt eine von Chriſto ausgehende, in feiner | Liebesmacht beruhende, ein durch alle Zeiten fortſchreitender | Proceß (Matth. 10, 34. Joh. 9, 39; 3, 19; 16, 8ff. U 39ff. 1%0h. 2, 19); fie ift mad) der andern Seite begrüi der göttlichen Weltregierung, durch deren Fügung jest Diefi Jener zu Chrifto fich Hingezogen fühlt (oh. 8, 37; 6, 4 Entſcheidung felbft aber ijt eine Wirkung der Liebesmacht d löfers, der durch fein Wort und feinen Geift den Menfchen sieht (Joh. 12, 32). Die Äußere.xgFoss aber ift zunächſt X der göttlichen Vorſehung und geht als ſolche im Kleinen und immer fort; aber die ganze Manifeftation und Thätigkeit de lichen Vorfehung Hat ja wiederum Chriſtum zu ihrem Bi und das von ihm gegründete Gemeinleben der Menfchheit lebendige allwirtfame Gentrum der Weltgefhichte. Die gan; wicklung der Geſchicke, welche jene xgloıs in fich jchließt daher mit Recht aud auf Ehriftum als ihr vermittelndes | bezogen. Beiderlei zgioıs aber zieht ſich nicht nur durch di dieffeitige Entwicklung der Menſchheit hindurch, fie erſtreckt fi in die jenfeitige Exiſtenz. Nach dem Tode findet xglou (Hebr. 9, 27) zuvörderft infofern, als der ſcheinbare Wide zwifchen innerer Befchaffenheit und äußerem Zuftand auf und jedes Individuum in die jeiner Beſchaffenheit adäqua! gefegt wird und infofern eine ftrenge Sonderung zwijchen M von entgegengefegter fittlicher Lebensrichtung vollzogen wird. die ethifche xglass entwidelt ſich weiter; Vieles, was im ir Leben unentſchieden ift, kommt dort zur Entſcheidung, und die äußere zgloss, die allen Schein des Wohlergehens der entfremdeten und des Uebelergehens der Frommen entfernt, die innere xgloıs mächtig fördern, wie dies aud in biefem uuleugbar ftattfindet und überhaupt. eine auf die andere wir ihr Vorſchub leiſtet; es vollzieht ſich jene innere xglors una in der Seele jedes einzelnen Menſchen, und muß diefelb einem längeren oder fürzeren Verlauf fittliher Kämpfe un ruflih und für immer der Subftanz des Guten, des ewigen und der Gemeinfchaft des Gottesreiches einverleiben oder i

über ben Vegriff ber xglors bei Johannes. 247

der Sünde und des Todes hinabftürzen. Das Gericht en wir jagen, der nothwendige Abfchluß der freien Selbſt⸗ ng des Menſchen als einer fittlichen Perjünlichkeit; er berhaupt nicht al8 Perfon behandelt, wenn er nicht einem unterworfen würde, wenn ihm nicht gegeben würde, was ent hat. Dadurch, daß feine Handlungen gewogen unb rechnet werden, wird erft der Werth wie die Freiheit feiner hfeit vollſtandig anerfannt. Welchen andern Abſchluß follte twicklung fonft aud) Haben? Durd die Sünde tritt eine onie und Verworreuheit in das gefammte Sein und Leben hen; dieſe Trübung, dieje Alterirung feiner Perfönlichkeit, nerjten Weſens, kann zulegt nicht anders aufgehoben werben ) ein endliches Gericht, durch welches der Menſch das, iöher nur approrimativ war, ganz und voll wird. Ein bſchluß, nach welchem alles Halbwefen und Stückwerk wie ıtjchiedenheit aufhört und Jeder ganz und voll bis zur usgeftaltung wird, was er innerlich, wenn auch nur exft, ihon war, Tiegt ebenfowohl in der Idee der göttlichen feit als der creatürlichen Perſönlichkeit als ſolcher. Die xeioıs enthält darum nothwendig ſchon in fich die Idee ixcquotc, des zardxgiua. Das Gute ijt zulegt das ab⸗ thwendige, darauf ruhen die Grundfäulen der Welt, ja n Gottheit, des höchſten Wefens felbft. Dann aber muß ih das Böfe in feiner Energielofigfeit und fein Dafein revel gegen die heilige Majeftät Gottes und feiner Welt» ſich erweifen, muß „gerichtet“, verdammt werden. Chriſtus das gottgewollte, gottgeordnete Centrum der göttlichen . ung, der Zielpunft, dem nad) dem heiligen Willen Gottes gegenftreben, die Macht, unter die fich Alles beugen foll. t aber verwirft ihn, negirt diefe feine abſolute Autorität. denn das Weltgericht Chrifti feine abfolute Rechtfertigung Welt, wie es andernfeits die Erweifung feiner abfoluten von dem Böen, von dem Zufammenhang mit ihm und ngtheit durch daffelbe iſt. AL der freie Weltrichter wird Hechthinige ewige Nichtberechtigung alles Böfen, feine innere it und Selbftauflöfung, Selbftvernichtung zur Erſcheinung 17*

248 Groos

bringen, wie er als der befreiende Weltrichter Diejenigen, haben ſammeln, auswählen laſſen von dem xdamos, vi Zuſammenhang, aller Berührung mit dem Reich des B loſen wird.

Es ift aber dieſe richterfiche Thätigfeit Gottes in Ch vornherein ſchon eine fondernde, feheidende, wie die im des xolvsıw ja mitgefegt ift, und indem fie das Dief Jenſeits umfaßt, hat fie wie die Parufie Chriſti felbft ihre worin fie befonders erkennbar und auffallend ift. Eine letzt epoche wird diejenige fein, welche durch den Eintritt des jährigen Reichs“ bezeichnet wird; die alsdann erfolgend xgloss muß auc auf eine ausgezeichnet eclatante Weife t xelcıs fürdern, fo daß Alles reif wird für eine große a Scheidung und Entſcheidung (Matth. 25, 31ff.; 16, 27 4, 5. 2Ror. 5, 10. 2Cheff. 1, 6-10. 2 Tim. 4, 8. 4, 13. Joh. 12, 48. 190h. 2, 28; 4, 17. Offb. 20, 1 &s ift dies das Endgericht, der Asfchtug der langen xg deren feierliche Manifeftation in ihrem ganzen Umfang Entfheidung nun hat jenen ganzen Scheidungsproceß Vorausfegung und ift fein notäwendiger Schluß; fomit | Eine mit dem Andern nicht im Widerſpruch, nod wird durch das Andere entbehrlih. Was Gott in Eprifto in genen, inneren Gerichten und in erfannten äußeren Geri dahin gewirft und gefügt hat, tritt alsdann in vollfommeı heit für Alle hervor und wird feierlich betätigt und ı Es werden offenbar die Heuchler, welche ſcheinbar für d Gottes wirkten, in Wahrheit aber eigener Neigung fröhn ihre eigene Verherrlihung wirkten und kämpften, aber nid) Jö&a zod Isoö, die Lieblofen, die in einem todten Glaube gingen, die Nachläffigen und Saumfeligen, die Ungetre Ruckfälligen, endlich alle beharrlich Unbußfertigen, die i göttlihem Sinn verharrten und in der Sünde ſich verfef welchen die erlöfende Liebe, die ihnen im Mittler und jeine und Geifte kräftig nahegetreten, fpurlos vorübergehen mußte 7,21; 24, 43; 25, 1ff. u. 14ff.; 11, 20ff.; 25, 3 12, 48. 2Theſſ. 1, 8). Ebenſo werden offenbar bie ı

über ben Begriff der xglaıs bei Johannes. 249

en und Frommen, alle Berfennung wie aller ungünftige ber fie verhüllt; alfe Verdunklung und Beeinträchtigung ihrhaft fittlichen Werthes durch Schwachheiten, Gebrechen iner Art hat aufgehört; ihre vielfach verborgene Treue, jeduld kommt an das Helle Tageslicht und fie treten in das vollfommene Leben ein, welches freies, wirffames Walten chließt (Röm. 5, 17. Matt. 24, 21. Lut. 19, 17. 19). Offenbarwerden beider in ihrer wahren fittlihen Grund» als einer diametral entgegengejegten, dieſes Entſcheidungs- älft zufammen mit der Auferftehung der Einen und der und der Qualität ihrer Auferftehungsfeiber; bei den Gott- ten ift der Verleiblichungsproceß in eben dem Grade auf ninationspunft gelangt, wie bei den Seligen die Bervoll- ig, und in der Leiblofigkeit Jener ſtellt ich ebenfo dar ihre fein aus dem Heilsgebiet, wie in der der Gläubigen das Reben. „Was ift demnach“, jagt Nitz ſch, „das ganz All- an dem Auferftehen und an dem Gericht? Am Gericht durch das endfchaftliche Verhältniß jedes einzelperfönlichen zum Sohn des Menſchen der perfünliche Werth oder Un- ſſelben ſchlechthin geoffenbart werden foll, und am Auf daß derfelbe Erfolg und Widerfprud in der Ieiblichen ng feliger und unfeliger Wefen fich vollzieht.“ diefen allgemeinen Vorbemerkungen über die xgioıs nad) jentlicher Lehre wenden wir und nun zu den einzelnen hen Jeſu felbft, um nach deren Analyfe eine klarere Einſicht Weſen, den Grund und den Gegenftand der xglaıs zu ge Bekanntlich haben nun die meiften Ausfprüce Jeſu feine und fein Kommen zum Heil, zur Mittheilung des Lebens, gleit zum Object, fo beſonders auch die Stelle Joh. 3, : „00 ya dnsorsılev 6 Heös Tov viov adrod eis nov, va xglın Tov xoonov, aAR iva GwI) Ö x00u0g occ. Wenn er aber unmittelbar darauf Hinzufügt: „eur ji xcloic Örı To ps EAjAudev els Tov x00uov x.5.1.“, fen zuvörderſt diefe Worte umfomehr einer Aufklärung, als id der Wahrheit fich nicht kann widerfprochen haben. Es 0 gewiß Beides wahr fein, einmal, dag er nicht gekommen

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ſt, um die Welt zu richten, ſodann aber auch, daß dadurch nit feinem Kommen ein Gericht anhebt. Iſt das das das „Licht in die Welt gefommen“, hat das Komm ichts in die Welt ein Gericht zur nothwendigen Folge, fo ii in neues, vor dem Kommen des Lichts noch nicht vorh deriht. Iſt num aber Gott als der Heilige und Gered !derzeit der Richter der Menſchen gewefen, fo hat es au ‚or dem Kommen des Lichts in Chrifto ein Gericht gege ange ald Sünde in der Welt war, und fo hat der Altı ıon jeher über alle Menjchen, weil alle der Sünde hi varen, auch fein Gericht geübt. in allen feinen ftrafenden u eltenden Gerichten, die er über den Ungehorfam und bi ofigkeit der Menfchen hat ergehen laſſen, fowohl äufer nnerlich, ſowohl unter dem jüdifchen Wolfe als unter den owohl in äußeren Strafgerichten wie duch fein Wort ı Stimme des Gewiſſens. Wie Alle Sünder waren und keir vor Gott gerecht, jo waren fie auch Alle dem Gerichte verfallen, und diefes war da® Gericht, welches nicht erft nußte, fondern überall und immer ſchon da war. Aber w a feiner Barmherzigkeit bejchloffen hatte, diefen Baun dei neinen Berdammniß zu löfen, fo jollte num der neue B er Bund der Gnade aufgerichtet werden; wie „Alle un Sünde beſchloſſen waren“, fo wollte ſich Gott Aller er Dazu jandte Er feinen Eingebornen. Es follten die Menſch ur Rechenſchaft gezogen werden wegen ihrer Sünden, t Uen Guade, Vergebung, Verföhnung mit Gott, Leben und eit durch den einigen Mittler angeboten werden. Wie nu ıenn aber gleichwohl das „Kommen des Lichts“ ein Ger jolge? Hier haben wir uns zuerft zu verftändigen über de es Ausdrudg Irı 70 pas EAmjivdev sis ToV xo0wor; b ft, wie Chriftus ſich felbft das Ficht und die Wahrhei ichts Anderes als Chriftus felbft. Warum nennt er ſich al Gicht etwa, um irgend eime einzelne Eigenſchaft oder T u bezeichnen, nicht nur ſich damit als den Lehrer der M arzuftellen, fondern er bezeichnet mit diefem Ausdruck nichte 4 18 die in und mit ihm den Menfchen gewordene Erſcheinu—

über dem Begriff der «glass bei Johannes. 251

arung Gottes, wie denn Johannes in feinem Briefe jagt: arm adın 1) dyyeıla jv dmxoauev dn’ adrod ünı 6 püs dor zul oxorla &v aird ovx Borıv ondeula“; ber Heißt ein Licht im Gegenfage zu allem ungöttlichen vornehmlich als der Heilige, als das von alfem Böſen freie es Böfe haſſende Weſen; er heißt fo als die ewige Wahrheit t, als die ewige Seligfeit. Wie num Gott ſich auch „ehe ort Fleiſch ward“ den Menfchen offenbarte, fo heißt es von Üihte: „ev aeg Lan 79 xal 7 lum 17V 10 yas av nuv' xl zo yas Ev ıfj axorig gyalvsı xal 1; axorla u xariraßerv“, d. h. der Ewige Hat fich in der Offen- feiner Wahrheit und Heiligfeit niemals den Menfchen ent- iondertt wo irgend ein relativ wahres menſchliches Leben, ich in noch fo ſchwachen Regungen fich zeigte, fo war es ; ewige göttliche Licht, in welchem es feinen Grund und g hatte; aber wiewohl leuchtend in der Finfterniß, wurde von den Menfchen, die der Finfterniß, dem ungöttlichen rgeben waren, begriffen, ergriffen, feftgehaften, fondern nur in vorübergehenden Strahlungen. Nun aber erfchien Iivov Yüs, 70 Yäs Tod x00nov, dazu beftimmt, die n ber Finfterniß zu entreißen und fie dem Lichte zuzuführen. ver heißt doch nichts Anderes, als daß in Chrifto Gott felbft Menſchen gefommen, daß die Quelle ihres Lebens, ihres ich ihnen offenbart hat. Aber ift nun darum der Heifige n Sündern als ein Richter erfchienen? Keineswegs: „ovᷣ rsorenltv 6 Heds Tov viov auto) iva xelım ToV xd- ar iva ws 6 x00nog“; aber weil „die Menfchen terniß mehr Tiebten als das Licht“, fo hatte fein Erſcheinen es Gericht zur Folge für Diejenigen, die fi Gott und Licht nicht zugewandt, fondern von demſelben abgewandt. bgleich ihnen angeboten wurde, allem Gerichte entnommen en, übergaben fie ſich felbft einem neuer und fehwerereit . Wären Alle dem Ruf der göttlichen Gnade von Anfang den heutigen Tag gefolgt, fo gäbe es fürder fein Gericht denn e8 gäbe dann, wenn auch noch mit Sünde behaftete m, doch feine Strafe, fein richterliches Einſchreiten, keine

Groos

mehr, weil die den Gläubigen noch anhaftende ht der angeeigneten Gnade gebrochen wäre und würde, und es wäre alsdann das Reich des nd Wahrheit in ungehemmter und ungetrübte zu feiner abfoluten Vollendung fortgefchritten der Menſchen ſich felbft ausgeichloffen haben v Neibt der Zorn Gottes über ihnen“, fie verfall das ift das Gericht, welches mit dem Komm iſto in die Welt gefommen ift. Che das «Ar waren Licht und Finfterniß gleichſam in eine tifchten Zuftande, und wir können fagen: der; jen Lebens vor Chrifto glih der Dämmerun iterniß in einer unentfchiedenen Vermiſchung ve die Signatur der Indifferenz, es ift no n e zwifchen beiden gefommen. Da erfchien das icht, das auch vor der Menfchwerdung des ( icht und Leben der Menfchen geweſen, dasjenig alle vereinzelten Spuren des Wahren, Guten, Gedanken und alle Höheren Regungen, die je ir ıft lebten, ftammten. Niemals war e8 noch in Reinheit, in feiner vollen ungeſchwächten Kr n, in feines Menfchen Inneren hatte es noch nem Glanz gefeuchtet, noch den Durchbruch des bt; als es aber erjchien, da bewirkte es auch valtige, tiefgreifende Veränderung und Entjcheid welt und der innern Welt‘ des Menfchen.

im Glauben dem Lichte zu, das ihnen entgegenft rden nicht gerichtet; denn fie fehloffen ſich im & Lebensprincip an, nahmen e8 in ſich auf, lie en und ihr Leben mußte nothwendig in ber Gemeinschaft mit dem wahrhaftigen Licht und u immer höherer und volffommenerer Stufe des ı dafjelbe Verhältniß findet auch jegt noch ftatt e gefagt werden kann, daß Einer ſchon ganz ud 8 Lichtes angehöre, fo ift doch fo viel gemiß, | er Finfterniß und damit dem Gericht für imme

über den Begriff der zofors bei Johannes. 258

bleibt. Andere dagegen entziehen fi ganz und gar den n de8 Lichts und dieje bleiben nicht nur was fie find, weil fie fi dem von Gott gefandten Fichte 'widerfegen, fo immer tiefer in die dunkle Tiefe der irdifhen Natur und fentfremdung, die das Gericht zur Folge hat. Das roße feindliche Gegenfag, der durch das Chriftenthum und jelben in die Welt eingetreten ift, der ſchon an und für xolois, eine Scheidung ift und in dem implicite eine ‚gioss Liegt, die immer beſtimmtere Dimenfionen annimmt. (ich tha:fächlich ftellt fich diefer Gegenfag dar in der Ges Jeſu felbft, wie in der feines Reichs und es entwickelt ſich egenfag im ganzen Verlauf der Welt: und Menfchen- und da, wo er am ftärfften und jchärfften hervortritt, n auch immer entjcheidende Zeiten im Reich Gottes, Krifen, N. wir aber nun weiter nad) dem Umfange und den Grenzen chts fragen, das mit dem Erſcheinen Chrifti in die Welt 1, fo fällt diefe Frage im Grunde mit der andern zu— „wie kommen die Einen an das Licht und warum bleiben n beinfelben entfremdet?* Diefe Frage nad) ihrer ethiſchen tologijchen Seite beantwortet ung diefelbe johanneifche Stelle, wir ausgegangen find. Es heißt nämlich weiter 3, 20. 21: 20 ö yadla ned00wv nice To Yüg xal odx Egyerau ps iva um EAeyyI va Egya avroü‘ 6 de nowv Yaıav Eoysraı neo To Yüs va yarsgudj aurod örı Ev VeB Eariv eioyaausva“. Wenn hier die Rede inem Thun der Wahrheit, fo ift ein Thun der Wahrheit ten de8 Subjects gemeint, noch ehe das Sicht Chrifti dem⸗ 'he tritt und erfcheint, es berührt. Es ift ja außer allem daß Keinem, dem Gott, der Vater der Geifter und des ine vernünftige Seele gegeben, das Licht verjagt ift, dns he Licht“, und Johannes jagt ja ausdrücklich: jenes Licht Licht und Leben der Menſchen, wie denn durch das Ge— a8 Geſetz, das Gott dem Menfchen in’s Herz geſchrieben, enbarung defjelbigen Lichtes ift; diefes Licht Teuchtete in ch fo unvollfommenen Aeußerungen und Geftaltungen der

Sroos

in allen noch fo befehränften Anfängen der ( Ver nun nach Maßgabe des ihm immanenten ie „Wahrheit thut“, wer fie Tiebt, wer fie fud nmten Lebensrichtung der Wahrheit gemäß | äußerlich die Wahrheit und Klarheit Tiebt ı die Täuſchung meidet, gegen fich felbft treu if tren ift und aus folder Gefinnung Heraus | > notwendig ben Trieb zum wahrhaftigen 2 der hat den Zug zum Glauben, fühlt fich ve d „ommt an das Licht“. Wie die Blume a und von demſelben ihren Farbenſchmuck empfä ) das Lichtverwandte im Menfchen und das Menſchen den Strahlen des himmliſchen Lich leuchtet, die Seele erfennt in Chrifto das „wah fie fonft überall vergeblich jucht, fie erfennt oraus fie felbft ihren Urfprung genommen, a das unauslöfchliche Bedürfniß nad) Licht und V Stande ift, fucht darum Vereinigung mit de var e8 auch, was alle edleren und befferen Ge ) fehnten und feufzten nach dem Iebendigen Ge ſchaft mit ihm dürftenden Herzen zu dem Ci och Hinzieht, weil fie in ihm ihre Lebensfonne e n ihr eigentliches Lebenselement, ihren Lebens: ; das war es, was Diejenigen, die die erften us in ſich eingefogen, nun and mit einer u walt daran fefthtelt und fejtfnüpfte, weil und n eigenen Leben lafjen mußten. So fommen yeil fie das Licht fuhen und fieben, und fie dazu; immer reicher, immer wirffamer un 1 fie es in fih auf, und je mehr fie «6 defto mehr wird die Sünde gebroden, der 8 gelöft, defto ficherer bleiben fie dem Geric chdem fie ein Gericht über fich haben ergehen hrheit thun, find ja nämlich nicht etwa Solc digem Wefen wären denn im Licht der gi m Keiner, der wahr ift gegen fich felbft, als

über den Begriff der xolouc bei Johannes. 255

1 erjcheinen, vielmehr find e8 Solche, die von einer aufs ernften Empfänglichkeit für das Licht befeelt find und die n Maß ihrer Erfenntniß und ihres Vermögens ſich redlich , zu beim Fichte Hindurdzudringen und im Licht zu wandeln, pi meıvövres zal diyavrss ııv dixauoovvnv, ol ewxol vuore, es find Diejenigen, in Bezug auf welche Chriſtus gt: æciy vis HEAn To Ielmue aurod morsir, yvaoeras is didayns möregov &x tod Heod Eorlv, weil eben Dies die ſchon eine natürliche Hinueigung und Liebe zu dem Gottes haben, auch in der Lehre Chrifti den wahrhaftigen illen erkennen, es find folhe dAnIos "TogemAlaı Ev ols Zorı; es find ſolche Naturen, die ohne Vorbehalt und ichtliche Verfchleierung ihres Inneren mit einem fchlichten, einfältigen, für die Wahrheit offenen Sinn zu ihm kommen, ri E9vsı ol yoßovusvor FEdv xal Egyalöuevor dızaso- Apg. 10: ol övres dx is dimdelas dxovovaw adrod wis; fie, die aus der Wahrheit find und feine Stimme viffen es aber jelbft, daß fie ſich einem gewiſſen Gerichte fen müffen; haben fie fich bei ihrer unvolltommenen Er— für gut, für frommer oder gerechter gehalten, als fie find, und fommen fie num dem wahrhaftigen Licht nahe, es in ihr Inneres und vertreibt e8 alle Finfterniß aus erzen, dan wird aud) ihnen das Verderben ihres Herzens, rrungen und Vergehungen ihres bisherigen Wandels, die heit ihrer bisherigen Lebensrichtung enthüllt und aufgedeckt, em fie „das Licht mehr Lieben als die Finfterniß“, fo fie nicht zurück vor feinen heilſamen Strahlen, fühlen die Gewalt der erbarmenden, zu ihnen fich herablaffenden ottes, und im Spiegel der Heiligkeit und Liebe Chrifti ihre jaftigkeit und Sünphaftigkeit erfennend und jede Selbft- g in ihren Inneren enthüllend und ihr nachfpürend, öffnen Herz dem befeligenden Ruf der Gnade und „kommen nicht Gericht“. Wo dagegen die Gewalt der Finfternig die Ober: wanu, wo die Seele durd) die dunffen Triebe der irdiſchen jefeffelt ift, da mendet fich der Menſch der betrüglichen, den Gewalt folgend von dem Nichte ab, entzieht ich jeinen

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Einwirkungen, verſchließt ſich ihm, weil er mit einem g Schauder fühlt, daß er ſich einem Gericht unterziehen muß, feine YeöRa Feya geſtraft werden würden; wo die Wer find, wo der Wille des Menſchen auf das Böfe gerichtet fündigen Wefen und Treiben ſich verfeftigt hat, da findet de feinen Zugang, da. bleibt der Menſch der Finfterniß und al dem Gericht preisgegeben. So fühlbar groß ift die Gem Sünde, dag aud das Wort des Lebens fie nicht zu übe vermag, fo mächtig die Finfterniß, daß auch das göttliche 2 Gnade und Wahrheit fie nicht ‚zu erhellen vermag. Wel alfo der tiefere Grund diefer Erfceinung? „Die Menfchen bie Finfterniß mehr als das Licht.“ Wer Arges thut, wu Yüs xal ovx Egysraı rgos To Yüs, va un Eieyy Eoya avcod. Wäre alfo in unferer Stelle und a. a. D. ı verdienten Strafen für die Sünde im gewöhnlihen Sir Wortes die Rede, fo wäre es wohl erklärlich, daß Diejenic ſich derfelben jchuldig fühlen, nicht an das Licht kommen fondern lieber, wenn fie e8 vermöchten, dem ftrafenden 4 zürnenden Richters entrinnen möchten; aber es ift bei der fprodenen xeloıs überhaupt von feiner Strafe mehr bi fondern nur von einer Offenbarung und Enthüllung ihrer nur davon, daß folhe Offenbarung derfelben fie an's Licht folten, daß fie die Sünde follten erfennen und bereuen und Gericht entrinnen. Aber das ift die verfinfternde und verf Gewalt der Sunde, daß die Menfchen darum das Licht der heit, daß fie die Nähe und Gemeinfchaft Gottes ſcheuen, f fliehen, weil es nicht anders fein kann, als daß fie in jene die ganze VBerwerflichkeit ihres Treiben, die ganze Verf ihres Sinnes erkennen müffen. So werden fie, wenn das ri ftrafende Licht der Wahrheit ihnen nahe tritt, in neuen Bet Sünde verſtrickt und kommen nicht an das Licht, aber weil e nahe war und fie fi) von ihm abgewandt, find und bfeil dem Gericht verfallen. Das aljo ift das gerechte und heili richt über Diejenigen, welche die Finfternig mehr Tiebten Licht, und fomit iſt e8 Fein Widerſpruch, wen Chriftus ı einen Seite erklärt, daß er nicht gefommen fei, die Welt zu

über den Begriff der xgleıs bei Johannes. 267

f der andern Seite es ausfpricht, daß fein Kommen ein zur Folge Habe. Daß er feine erlöfende Thätigkeit nad) weifachen Seite bezeichnet, Tag aber fehr nahe, da ſchon die 9 des in ihm erjcheinenden Lichtes während feines Lebens en in diefem Sinne eine doppelte war. Deshalb ſtellt er fo einander gegenüber. Der Sünde muß ihr Recht ange den; dies gefchieht entweder durch das über das Subject e verbammende Gericht oder dadurd), daß an biefem, wenn der Erlöfung hingibt, die Sünde gerichtet, von ihnen in erdammlichfeit erkannt, negirt und ausgejtoßen wird.

rhellt ſomit, daß fich jene Ausfprühe Joh. 3, 17 u. 19 3 nicht ausfchliegen oder widerſprechen. Nach der göttlichen nie wirken ja Gericht und Heil in abgemeffenem Fortſchritt n, erjt nebeneinander in der Weife, daß eines dad andere ft und begründet, bis es ineinandergeht im Gipfel- und ınft der xgloss, von wo aus es ſich entjcheidet, weldyes im für den fündigen Menſchen ſich auflöft, bis fie völlig aus- treten zur Vollendung des Heils und Vollendung des Ge- das Gerichtliche ift ein conſtituirendes Moment im gött- jeilsplan, das Heilmittel ein ſolches im Gerichtsbeſchluß menſchliche Sünde, das Ganze ein ebenfo heile» als rechtes Proceß, wodurch dem, was als wiedergenejen und geſund tfertigt, wie dem, was als unheilbar fich jelbft verurtgeilen in Recht widerfährt.

nun die anderen Ausjprüce des Herrn über die xgioss annes angeht, jo ift wohl zunächſt im Anfchluß an das Sntwicelte Joh. 9, 39 zu berücfichtigen. Zwar Heißt e8 ; xgiue Eyd eis Tov xdauov zodrov mAdov; zolum fich hier nicht auf ein Zufünftiges, fondern auf ein Gegen» ; aber auch diefe Worte wollen nicht jagen, daß er gefom- ‚ein Gericht zu halten, fondern daß fich eine Entſcheidung ,„ nämlich durd der Menjchen Selbſtentſcheidung für oder jefum im Glauben oder Unglauben, zum Heil oder Gericht; iicht felbft bleibt demnach immer noch ein zufünftiges. Was : vollzieht, ift die xgloıs (3, 18. 19) als eine gegenwär⸗ jobei ſein verurtheilendes Gericht als äußerlich geſchichtliche

258 Groos

Realiſirung des jetzt innerlich ſich vollziehenden immer noch der Zukunft bleibt; denn eis xoiue heißt es, und nicht eis alfo nicht, daß er ein Gericht als Act vollziehe, jondern | ein gerechtes Gericht als Reſultat herausſtellt. Auch die 12, 31 Kann diefe Auffaffung nur beftätigen: vüv xeian Tod xÖönov zovrov, eine vichterliche Entfcheidung über d vollzieht fid) von nun an. Hierin liegt nicht blos Verur des x0onog als x6owog, jondern auch Rettung Derer, we demfelben wollen entnehmen laſſen. Diefe ſcheiden de dung hat von num am ftatt, fie iſt in der Geſchichte Jeſu (ogl. 16, 11). Auf Grund des Gerichts, das über den diefer Welt ergangen ift, wird die Welt überführt, daß es gibt, nämlich für fie, d. h. ſofern fie „Welt“ und Her gebiet des Argen ift, auch einer xgloıs anheimfält. Daru es, da Jeſus am Eingang ded Todes fteht, exgırau.

wird die Welt überführt, welche xgroıs ihrer wartet.

Auch die Stelle Joh. 5, 22ff., wo es Heißt: oda rare xgiveı oddeva x. v. A., diefes Wort von ungel Tragweite, in dem ſich eine ganze Welt von Gedaufen der und erhabenften Art verbirgt, enthält nicht blos eine Ver auf die Zukunft; Jeſus weiß, indem er es ausfpricht, | Gericht in dem Augenblict felbjt, in welchem er fpricht, fi zieht (B. 25, vgl. 12, 31), ja, daß es von Anbeginn d an ſich vollzogen hat; er weiß aud), daß fein perfünliches A den Knotenpunkt der Weltgefhichte bildet, von wo an de was bisher im Verborgenen geſchah, immer Helfer und ge an den Tag treten wird. Jeſus ift gefommen theild zum theils zur Mittheilung des Lebens. Es wird durch ihn m Menſchen ein Gericht geübt, die Einen erfennen ihn an, die nicht, die Einen ergreifen feine Erſcheinung, die Andern n ſcheidet fih an ihm die ganze Menschheit und an Gef ſcheidet fich fiir einen Jeden, was er it und was er ſein darum hat ihm der Vater das Gericht übergeben über alle DL das er auch im fräftigen Gericht über alle Menjchen üben Del. Lut. 10, 22: al oVdeis yırdazsı zig Erw 6 vi pa) 6 nermg, xal dig Eorıv Ö naug, ei un à vids

über ben Begriff ber xglass bei Johannes. 269

vantas 6 vios arroxaldıyaı, feine Erfcheinung faſſen und en kann ein göttliches Werk genannt werden, die Erfenntnig von Gott gewirkt und Jeſus braucht fid nur zu zeigen, einen, jo entfteht und vollzieht fid) das Gericht. Zeus ih Joh. 5 a, a. O. für die innige Lebenseinheit zwifchen ) dem Vater, nach welcher ſowohl er, der Sohn, Alles thue dem Vater „abjehe“, als auch andererfeits der Vater un dem Sohn „zeige“ und durd) ihn feine Werke, auch die 1, außrichte. Den Yubegriff diefer Werfe faßt hierauf Jeſus wei hochwichtigen Stüde zufammen, in Lwororeiv und - beide find in der Weife nebeneinandergeftellt, daß deutlich vie nach Gottes gerechtem Willen alle Kinder Adam's ohne ne unter Jeſu ftehen und ſchlechterdings als den Einen den Anderen, entweder als Heiland oder ald Richter haben inne werben follen, daß dem Sohn gleiche Ehre wie dem ebühre; hiernach befinden ſich alle Menſchen unter dem ner Nothwendigkeit, dem fie nicht ausweichen können und Selbſtentſcheidung drängt. Dies beruft aber auf nichts als darauf: & yag dv dxeivos na tedre xal 6 olwg rrossi und B. 20: 6 yag rang yılzl zov div ra delxvvow auıo & autos nosel.

wiß ſich nun damit alles meffianijche Wirken, wie e8 fein on entwickelt und der Meffias für alle Menfchen jetzt [8 das helfe Licht und Beifpiel, wie das göttlich » menfch- n fein ſoll, uud als der Offenbarer der höchften Wahr- er dieſes, wonach alles Thun der Menſchen von jegt au werden muß, wird fich eben diejes jein Wirken nun inner= menſchlichen Geſchichte nie wieder verlieren, fondern, je fortfchreitet, nur deftomehr als das göttliche Gericht über tentiren, und derfelbe, welder vormals als leicht verkenn— rblicher Menſch unter Menfchen ftand, wird aud) der un- Nichter über alles Menfcliche werden. Der Beweis aber göttliche ihm eignende Nichterqualification gipfelt in V. 21: yag 6 naıng Eyeigeı Toos vergods xai Lwonori 6 vis oös Helsı Lworrori, woran ji aufs engfte ittelbarfte anfchließt oude yag 6 mrarıjg xgiveı ovdsva,

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alle ınv zeloıv n&car dedwxe ro dup. Eiguet ihrer Art einzige Function der Todtenerweckung am jüngfte dem Sohn wie dem Bater, muß er als ſolcher wie der 2 ehrt werden, fo ift fein Gericht überhaupt ſchon als ein ı der Welt immanentes, ein ſich als gerecht legitimirendes, m Auftreten als Bevollmächtigter Gottes ſchon eingetretene rag iſt aljo am diejer Stelle entjcheidend: wenn der Sohn maden muß, fo muß er aud Richter fein, das Eine } Andern; er ift es aber wirklich und zwar fo, daß ihm a lich das Gericht übergeben ift: &&ovaie» (wie 1, 12: 2 Net; eben dur die Erſcheinung, die ihm Gott gege vloc x. v. A., hat er das Recht erhalten, die große Scheit beizuführen) Zdwxev adzo (B. 27) zal xgioıw moseiv avseunov Eoriv; weil in Jeſu das deal der gott Menſchheit erfcienen, fo kann aud er, allein der Ri Menſchen fein ; denn diefe werden gerade gerichtet nach il hältniß zum Ideal der Menjchheit. Gerade als „Meenic als zur Menfchheit gehöriger, ift Jeſus, der Sohn Got EEoxv geeigneter Richter der Menſchen, zu deſſen gerec billigem, alle ihre Umftände und Zuftände berüdfichtigende ‚fie alles Vertrauen zu faffen Urſache haben, fo daß aud) der Con ausſchließende xgloıs als abfolut gerecht erjcheine

a) Wenn Weiße in feiner philoſophiſchen Dogmatit jagt: „Das wird an dem Ganzen des Geichfechte und an jedem einzelnen fe vollzogen durch den Sohnmenſchen, d. h. durd die Idee dee Geift, von der Willensjubftanz der Gottheit durchdrungenen, mit der Gottheit organifh gemengten und in der Perfon des g Heilands zum Maren Vewußtfein feiner ſelbſt und feines göttlich feiner überfinnlichen Gegenftändlichkeit Hindurchgedrungenen Meuſc fo ift dies eine ſpiritualiſtiſche Berflüchtigung der bibfifchen Lehre unhaltbar als die in derfelben Schrift ausgejprodjene gewagte B Nicht in gleicher Weife wie durch eigne perjönfic;e Uebernahme und Todes der geſchichtliche Chriftus die Hobepriefterfiche Yu ewigen Sohnmenfchen zu der feinigen machen fonnte: micht Weiſe kanu er auch die königliche That des Weltgerichts nur zueiguen wollen mit Ausſchluß feiner Sünger er würde dure artige wildphautaſtiſche Selbſtüberhebung die fittfiche Bedeutung

über den Begriff der zglaıs bei Sohannes. 261

1 alfo nad) der eben behandelten Stelle 5, 22—27 ber em Sohn das Gericht übergeben Hat, fo kann aud) damit | Widerfpruch ftehen wenn er 3, 17 (vgl. 12, 47) ver- nicht gefommen zu fein, um zu »glvew. Der Gegenfag er unmißdeutbar, der Zwed feines Auftretens unter den n fei nicht der geweſen, ein ftrafendes Urtheil, vielmehr jeil über fie Herbeizuführen. Wenn er aber das Urtheil als it8 gefälltes Hinftelft, indem nur ein Maßftab, wie Gott ihn ı habe, angelegt werden dürfe: fo liegt hierin theils, daß Chriſtus einft zu fällende Urtheil nicht ein willkürliches, en damit ein folches jein werde, welches bereits ſchon Jeder ur der Sache nad) ſich würde fällen fünnen. Endlich aber ‚gloıs und das Ertheilen der Lam) aiwveog nicht eine Thä- hrifti, welche am jüngften Tage nur als eine bisher nicht jervortreten wird; fondern namentlich die wur aiuwıog 8 etwas dem Keime nach hier in den Menjchen Gelegtes t, kraft defien der Tod ihm (feinem wahren Weſen nach)

Demuth, des jelbftverleugnenden hingebenden Gehorfams bis zum Tod gu vereitelt Haben. aumgarten-Erufius im Commentar zu diefer Stelle fagt örı 9wzros, weil er von Menſchenart ift, zur Todtenerwedung gehört nur jöttliche Kraft, zum Gericht neben jener die Menjhennatur, Menfchen- und zivar vielfeicht nicht in dem Sinn, in welchem der Hebräerbrief Nothwendigkeit auffafst, daß Epriftus Menſch geweſen fei: fühlend ud md und ertvagend mit den Meufchen, fondern jo, daß jenes Gericht n unmittelbare, beftimmte, volle Einwirkung auf die Menfchen erfor- Eine feine und richtige Bemerkung, gegen welde Luthard ohne nd polemifirt (ogl. Schmidt, Bibl. Theologie, S. 122 und befonders 145): „Alles Gericht hat der Vater dem Sohn übergeben und fo auch Macht, Tebendig zu machen, wen ex will. Die pofitive Thätigfeit ift oft bei Johanues erwähnt oder erörtert: das Leben geben. Daß aber Menſchliche in diefer Thätigkeit nicht ausgeſchloſſen ift, erhellt nicht daraus, daß der Herr ſich überhaupt als Menfchen und Menſchenſohn et, fondern namentlich eben in Cap. 5 fih als den Menſchenſohn net, ja ausdrücklich jagt, der Vater habe ihm die Macht gegeben, icht zu halten, weil er Menſchenſohn ift.. ... . Dazu ift er vom mel Herabgelommen, um der Welt das Leben zu geben, und felbft das icht vollzieht er deshalb, weil er dev Menſcheuſohn geworden iſt.“ Stud. Jahrg. 1868. 18

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nichts anhaben möge (Joh. 6, 46. 50; 11, 25); gleichwohl deun doch die Harften Stelten bei Johannes völlig umgedeute die zeloıs und Lur alwvıog als etwas je in dem Leben genwart bei jedem Einzelnen ſich gauz Vollendendes gefak wollte. Stets wird ein jenjeit der gegenwärtigen Geſtal Laufs der menfchlichen Dinge liegender Zeitpunkt angenon welchem im Gegenfag zu dem, was die Gegenwart ve oder verwirklichen läßt, die richteude Thätigfeit Chrifti ſolche ſich rechtfertigen wird, welche durd) Zuerfennung | ftimmten Looſes und die Vollziehung diefer Zurechuung A gleichend der Idee der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gotte ordnet.

Wir wenden und nun zu Joh. 12, 47. 48. Auch di prägnante Stelle weift völlig unzweidentig auf eine günf mauenz der Gerichtshaudlung hin (vgl. 1 Joh. 3, 14); f will Jeſus jagen, ift ſchon jegt die kritiſche Macht; 9 das Wort jet eben dadurch, daß es den Glauben ermöglid dem es nahe kommt, Jedem, der „an das Licht kommt der Wahrheit ift“. Es iſt aber ein über den Menfchen Zufunft ſchlechthin entfcheidendes Gericht, weldes das Q weil Jeſu Wort durhaus nur das Wort des Vaters ift | ganzen Umfange. Zu vergleichen ift in diefer Beziehung bei Matt. 7, 24—27: Nachdem Jeſus der falſchen ph Theorie [gegenüber] jeine Rede (5, 21—48) und der Pragis [gegenüber] feine Ermahnung entgegengefegt Bat 7, 23) bezeichnet er geradezu und ausdrüdlich diefe fei al8 die entfcheidende xgloss für das gefammte jüdif (5, 24— 27T). Es fteht aljo bevor das ift die P welche Jeſus eröffnet ein Gericht, welches den Gri irdifchen Beftandes antaftet, und einen Halt, der gegen die ftürzende Macht aushielte, gibt es in dem Bisherigen nicht. erſehen wir, daß Jeſus fein Wort, feine Rede zum Pr Gentrum einer nenen Weltordnung einjegt; er kann dies türfih nur unter der Vorausfegung, daß in feiner R Berfönfichfeit enthalten ift, daß das Wort der Träger jei jönfichkeit ift und deshalb Niemand jeine Rede von feine

über ben Begriff der xgloıs bei Johannes. 283

fönne und daß in feiner Perjönlichteit Gott felbft rede; Wort nım feine Perfönlichkeit involvire, jo habe aud die ag dieſes feines Wortes dafjelbe Gericht zur Folge, wie tung feiner Perfon. Daher heißt es nun 12, 47: xal uov dxovon av Ömudtwv xal um) nuoredon, .dya » avzov, d. h. von mir felbt geht feine Verurtheikung, erben nicht aus, fo daß id) gleichfam gegen das gefliffent» oriren meiner Perſon, die nicht überfehen werden faun, 8 Beleidigen und Verachten derſelben Vergeftung übend, 5 berbeiführte (vgl. 5, 45); denn ich bin nur zum Retter t, zu der ein folder gehört, gelommen, bei mir ift fein an Rache, aber ein ſolcher hat gleichwohl feinen Richter, erurtheilt und verdammt: 6 Adyog öv EAdina, Exsivog vrov Ev ıH Eoxarn Tusog; dies beruht aber darauf, ottes Wort ift, was er nicht annimmt; was er daher anerkennen will, troß aller naheliegender überführender da8 wird dann umverfennbar flar als göttlich hervor d daran feine Verdammungswürdigkeit ald eines Ver des göttlichen Wortes einleuchten; es wird alsdann auf telbarfte Weije erkennbar fein, daß feine andere ‚Weisheit t zur Seligfeit der Seele ausfchlagen konnte, Die Frage 3 den Menfchen einft richten wird, deckt ſich mit der an- h dem Richter; die Verachtung des Wortes zieht das ach fich, Chriſtus iſt aber jelbft das fleifchgemwordene Wort ieht ſchon jett in feinem Wort ein Gericht, wie anderer⸗ Wort einft den Menfchen, der. e8 verworfen, richten wird; Worte wird ja die den Menſchen in Chrifto erfchienene Snade und Wahrheit verachtet. Daher fagt Jeſus Luk. -33 (vgl. Matth. 12, 42): Baotlısoa Nörov dyso- &v ⁊ñ xgloeı xal xaraxgıvei avcods; fie verachteten he Weisheit Chrifti, die mrAsior Zolouwvos vor zei vevi dvanınoovraı &v zj xglası xal xaraxglvovorv, teten die göttliche Gnade, die in der Predigt Ehrifti an« urde, die die von einem Jonas geprebigte unendlich über« 0) xolvo aurov heißt e8 aber, „ich ſelbſt“, will er verfündige nur den Menjchen den gnadenvollen Rathſchluß 18°

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Gottes zu ihrer Seligkeit; ich werde einen Solchen, der m davon verachtet, nicht richten, weil es ja meines Gerid bedarf ; denn wer mein Wort hört und doc) nicht glaubt, verachtet und mein Wort, den richtet ſchon das Wort, dat nommen hat, eben diefes Wort wird ihn richten am jüngfte Zu dem Worte aljo, das ein Jeder vernommen, fpricht a der Richter zu ihm; denn je nachdem die Menfchen das 2 nehmen und daran glauben oder es von ſich weiſen, ſpricht es ihnen ja Seligfeit oder Verdammniß zu. W nun näher dieſes Wort? es ift das allgemein einladende, berufende, welches er auf die mannichfaltigfte Weife ur verfchiedenften Geftalt ausgefprochen, fowohl wenn er fi über fein Verhältniß zu den Menſchen, als in einzeln rungen, das Wort, daß Alle zu ihm fommen, um ihn meln, an ihn fih anfdliegen ſollen, daß er gefommen Welt das Leben zu geben; es iſt im Zufammenhang die das Wort, welches er kurz vorher noch hier geredet: &r xeövov 16 pas Ev Öuiv soriv, neginareire Zus Eyere, bva ur) oxorla Önäs xaralaßpn; B. 46: &yo zo» x0owov Enjlude x. v. A; dieſes Wort wird ein richten, d. 5: er wird es erfennen, erfahren, daß er ebe de8 Fichte des Lebens beraubt wird, weil er fid) nicht zugewendet, daß er eben darıım an der GSeligfeit feinen 5 Das fagte der Herr, ald er im Begriff war, fein öffentfi zu beſchließen, als fein einladendes Wort au die große I Menjchen nicht mehr ergehen fonnte. War aber das U er redete, das göttliche Wort, fo war es ein umvergäng! nicht an den Augenblict gebunden, nicht gebunden an feine im Fleiſch, fondern. wie e8 einmal in die Welt gefommen, es nicht wieder aus derfelben verſchwinden. Als er die ( laſſen, wurde daſſelbe Wort verfündigt durd den Mu Zünger, und nod) immer ergeht es an Alfe, und denen, di nehmen ımd vernommen haben, fteht es immer wieder zi und wenn fie das Ohr ihrer Seele öffnen wollen, wird e Innere derjelben dringen und das rettende jeligmachende Erföfung in ihnen beginnen: 6 dd dderav dus xal um

Über ben Begriff der zgiaıs bei Johannes. 265

6juard mov &yes vov xglvovra avrov; die um Aauı- ; find alfo diejenigen, die fi in offenen und entfchiedenen ich gegen dafjelbe fegen, die, weil fie „Arges thun, nicht‘ icht kommen“ und das Licht nicht wollen an ſich fommen leichwohl tragen fie in dem Worte, wie wenig ihnen n zu Ohren gefommen, wie wenig es auch in ihr Herz fein mag, ihr Gericht in fih. Iſt es einmal in die Menſchen gelangt, fo kann e8 nicht anders fein, als daß r unauslöfchliher Funke in ihr brennt und nicht aufhört ı und zu ftrafen, zu überführen und zu richten und wenn icht eine Zeit lang unterdrückt, endlich zur „Flamme der niß auflodern ober ein „Gericht: des Todes zum Tode“ ird ). on dieſen entſchiedenen Verächtern des Wortes, die ſich eiſe fein Gericht zuziehen müſſen, bis zu Denjenigen, die nem Sinn einer Verachtung ſchuldig machen, gibt es noch Zwifchenftufen Solcher, denen das Wort, wenngleich in em Grade, nicht zur Rechtfertigung, fondern zur xgioss, theilung gereichen muß. Sohannes berichtet nämlich Kurz

Schulz, Die dogmatifche Bedeutung der neuteſtamentl. Anſchauung oppelten Auferftehung, in: Jahrbücher fir deutiche Theologie 1867, 2: „...in jedem Fall aber muß ſich in jeder menſchlichen Perfön- Leben oder Tod auswirken: das Leben kann ſich für die Menfchen ı Zufammenhang mit dem gottmenfchlichen Leben, mit Chrifto aus- der Tod wird fich nicht eher quswirken nad, Gottes Gnade, 8 die Freiheit der Creatur das Heil fr immer von fi geftoßen damit den Ungläubigen gleich gemacht hat. Die allgemeine. xgiaıs ganze Menſchheit ift gegeben, wenn bei Todten und Lebenden die Hung vollendet ift wenn in deu verſchiedenen Nichtgläubigen das Chrifti oder das Leben der Welt das allein herrſchende geworden .. . Gericht geht aus von Chrifto und den Seinen, Denn an dem jen Leben, wie e8 menſchlich geworden ift und fich entfaltet Hat in ille der Individuen, muß ſich offenbaren, ob ein menſchliches Leben ttliche Leben des domos, weldier vergeht, in ſich trägt. Nur mer Leben im fih trägt, hat im menſchlichen Leben das göttliche. Es ich ſchliehlich nur darum Handeln, ob fid) an der Perſönlichteit Jeſu und der Seinen bie Lebensrichtung des Einzelnen als eine berfelben mote oder abgemandte erweiſt.“ J

266 Groos

vorher: Öumg uevros 8x Tv doxövrem moAlol Eniorev avrov‘ dAld. die Todg Yagıcalovs ovy WuoAsyovv 'anoovrayayoı yEvayıaı Tyanmnoav ydg ımv dökar ı Yonnwv uälkov Tree ınv dögav tod Feod; es glaub an ihn, ihr Inneres konnte diefem Menfchen, der gewaltig und ji in Allem, was er redete und that, als den darſt: mit dem Geifte Gottes gefalbt war, eine gewiffe gläubi fenntnig nicht verfagen, aber die Furcht vor weltlichem und zeitlihem Nachtheil Hielt fie zurück, ihren Glauben: zu | fie waren zwar feine ausgefprochene Verächter des Herrn ui Wortes, aber fo lange fie in feiger Zurückhaltung ve konnten auch fie von jener Verachtung nicht freigefprocher und im Licht des göttlichen Wortes mußten fie fich ſelbſt theil ſprechen; auch auf fie alfo findet jenes xgiveiv j wenbung, vollends aber auf alle Diejenigen, die fi fo ı eine folhe Stellung zu Chrifto und feinem Wort anuehn wäre das ewige Wort nicht Fleifch geworden, als wäre

in die Welt gefommen, der ausdrücklich erklärt, er fei | der Welt, er fei dazu geboren und in die Welt gekommen, Wahrheit zu zeugen, und der Bater habe ihm Macht gege alles Fleifh und Niemand komme zum-Bater als durch il überfehen kann er ja nicht werden; haben fie alſo feiner nicht die Aufmerkſamkeit und Beachtung geſchenkt, die es ſpruch nimmt, fo tragen aud fie das Urtheil in fich, | und fein Wort verachtet zu haben, und wenn fie in fold achtung beharren, wird das Wort ihnen zum zaraxgına

am jüngften Tage. Worauf gründet ſich nun diefes Ger inwiefern ift es eim gerechtes? Gehen wir zurüd auf 5 Steht der Meffias nad ‚5, 22 einmal als der gottgefandte da und beginnt mit feinem Wirken ein doppeltes Gericht, einen Seite zum, höhern Leben, vön der anderen Seite zu derben, fo folgt ja, und Jeſus erklärt es auf das Beſt V. 24, örı 6 10V Aöyov mov dxoiwv xal niorevwv re Yavrl us !yeı Lonv alavıov xai eis xgloıw oux E invofoirt aber das Hören und Annehmen des Worts den ( an Jeſu göttliche Sendung als Mittler, Tann eins das

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268 Groos

auf das Wort, das er redet, eben weil er nur das rede,

vom Vater gehört habe. Darum will und fordert er,

Menſchen vor allen Dingen zuerſt auf fein Wort achten | die Juden einft fragen „wer bift du“, ba erwidert er: „erft der ich mit euch rede“, denn er vede aus Gott, mit feinen gelalbt. Kennt aber, wie Chriftus fagt, Niemand den Ba der Sohn und wen es der Sohn will offenbaren, fo gibt feinen anderen Glauben an Gott den Vater, als den, zu die Menſchen durch Vermittlung des Sohnes gelangen. der einzige Glaube an Gott, der zur Gemeinſchaft mit ihr vom Gericht errettet, der einzige Glaube, von dem gejagt fan, daß der Menſch in ihm das ewige Leben habe. W der Apojtel Jeſu Ehrifti von einem Glauben redet an © auch die Teufel hätten, aber fie zitterten, fo ift das eben der der das Leben nicht zu geben im Stande ijt, in welchem welchem vielmehr der Tod haftet, die Unfeligkeit, die im des Gerichts erjcheint. ragen wir aber, was liegt zwifchen zwifchen folhem Glauben und dem Glauben an den Vater, den, der feinen Sohn gefandt in die Welt, auf daß die We ihn felig werde, fo müffen wir fagen: nichts Anderes, a unfelige Schwanfen des menfhlichen Herzens zwifchen dem und Unglauben, in welchem das ewige Leben nicht ift. Der an Gott als den Urheber und gewaltigen Regierer der W alfein kann das Herz des Menfchen nicht felig machen; de jenige, was der Keim, die Wurzel und der Quell der U: ift und darum dem Gericht verfallen muß, verſchwindet dat Nur alfo, wenn die Menjchen ihm erkennen und an ihn als an Denjenigen, der auch der Unfeligfeit ein Ende mac dann ift in dem Glauben an ihn das ewige Leben, und a andere Weife fonnte und wollte Gott diefe Unſeligkeit a als indem er feinen Sohn in die Welt fandte, daß, wer ‚glaube, nicht gerichtet würde, nicht verforen werde. Und au) andere Weife gelangen die Menfchen zu folhem Glauben an

Bater, der feinen Sohn gefandt hat, als wenn fie das Wort des hören. Darum fonnte er fagen, wer fein Wort höre, es ni achte, der habe da8 ewige Leben und komme nicht in das

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270 Groo8

an, ober ift Beides im chriſtlichen Bewußtſein fo ineinand der Chrift in demfelben Verhältniß, in welchem er das Gottesbewußtfein hat, auch das ewige Leben hat?“ Baur wortet die Frage, wie ſich erwarten läßt, dahin, daß unftrei Letztere die Lehre des Evangeliums Johannis fei und d darin erft vollends die hohe Eigenthümlichkeit feiner Anſche weife aufgeht; es gebe überhaupt feine das Jenſeits umd de feits trennende Kluft; das ewige Reben jei aus der Aeußt eines nur fünftigen Zuftandes in die Innerlichkeit der Ge verlegt; ift aber die Zufunft der Gegenwart immanent, fi ineinander, fo dürfe die Ejchatologie nichts enthalten, was ni diene, beide auseinander zu halten. Die Auferftehuug fäl in das diefjeitige Leben und ber Zeitpunkt der Auferftehung der des Gerichts, aber. auch das Gericht wird nach Baur’ vom Evangelium ebenfo aus der Zukunft in die‘ Gegenwart Wir müffen geftehen, daß wir vergebens nad; feften Anhalte für eine foldhe Behauptung uns umgefehen; es ſcheint un eine folche Annahme gerade „die hohe Eigenthümlichteit“ ber neifhen Anſchauungsweiſe in ihrem innerften Kerne verlı afterirt, und die ganze Conftruction erfcheint uns verſchober die Vorftellung einer doppelten Auferjtehung? Bei Johan rade könnte man, dinft uns, am allerwenigiten eine ſolche feln *). Joh. 5, 28. 29 ſcheint mit feiner Annahme einer a) Bol. Schulz a. a. O., S.126, und Weiß, S. 187: „Wenn deutlich die Vorſtellung einer noch zufünftigen Auferweckung Tiegt, |

fid) daran V. 29 durch die Vorftellung einer doppelten Auferftehun

das Schiefal der Menſchen endgültig entſcheidet und fomit zu de Endgericht überleitet ..... Es iſt Mar, daß aus Allem bie

das Geringfte gegen die Borftellung von einem Endgericht im ei Sinn folgt. Will man and darauf den Sag anwenden, daß der‘ nicht in das Gericht fommt, fo Hat das fein gutes Recht, infofe Zuverficht, mit der der Gläubige dem Gerichtstag entgegenficht

4. 17) ihn völlig über die Situation. im welcher noch eine doppe ſcheidung für ihm möglich ift, Hinauahebt. Aber diefes Gericht a Tage bleibt darum doch ein ganz anderes als das ſchon gegen denn bei diefem hängt Alles vom Glauben ab, bei jenem vom pe

aeg.“

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272 . Groos

‚nur bie dee eines fehon gegenwärtigen Gerichts eine © oder wenigften® von weſentlicher Bedeutung ift *).

Mit Berufung auf Joh. 3, 19—21 und 1, 12. 13 | endlich, wie ſchon erwähnt, im Evangelium die Grundan von einem „ethiſchen Dualismus“ finden wollen (Georg Tubing. Jahrb. und Andere, fo bejonders Hilgenfeld a. eine Annahme, die, wäre fie irgend ftichhaltig, allen efchate teleologiſchen Momenten, namentlich aber dem Begriff dei die Spige abbrechen würde. In der That behauptet m johanneifche Evangelium habe eine dem gnoſtiſchen Dualisn analoge Weltanficht; die Xehre von einer Verfchiedenheit der lichen Natur im Johannes fünne nur dann geleugnet werd man den Muth Habe, alle diejenigen Stellen, die den Gege Guten und Böfen, des Lichts und der Finſterniß in feine Schärfe darftellen, das verfchiedene Verhalten der Menſche über der hriftlichen Offenbarung auf eine objectiv begründ wenbigfeit zurüdführen, einen principiellen Unterfchied vi herein in der menſchlichen Natur. Hinwegzuerffären. Nur ftellung einer von entgegengefegten Principien herrührenden ı lichen Verfchiedenheit der menſchlichen Naturen laſſen ſich drüde des Evangeliums einreihen, in welchen von dem | unter den Menjchen die Rede ift.. Indem man dann ı hiermit geſetzte Verſchiedenheit der menſchlichen Naturen Eonfequenzen auffaßte, wollte man auch dem Yohannes-Ev diefelbe Dreiheit der Principien zujchreiben, auf welche ! ftifer ihren Dualismus zurüdführen. Es ift hier nicht auf die Widerlegung diefer wunderlichen Hypotheſe näh: gehen. Wir haben vergebens nad) einem Schein von We fichfeit gefucht. Eine principielle Verfchiedenheit der Menf fi in feiner Weife aus irgend einer Schriftftelle debuc Berfchiedenheit des Verhaltens aber gegenüber der ihnen | und nahegetretenen Offenbarung zu erflären, müſſen wir

a) Der Gegenftand iſt zum Theil ausführlich zur Sprache gekomm ſchiedenen Auffägen von Zeller, Plant, Baur, Georgi in logiſchen Jahrbuchern von 1842, 1845, 1847, 1848.

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274 Wahl

Beziehung zu einander iſt das beſtändig wiederkehrende feiner Predigten (S. 91, Z. 24); er ſagt es ausdrüclich, daß den eigenthümlichen Act der myſtiſchen Selbſterkenntniß di fenntniß Gottes gegeben iſt, welche mit dem realen Beſitzen zufammenfällt (S. 382, 30). Dies ijt möglich, weil für i Seele der Coincidenzpunktt des Creatürlichen und Göttlic (©. 95, 24; 306, 10). Um nun diefe Sdentität Gott der Seele zu erflären, muß zunächſt die Stelle aufgezeigt v wo in der Gotteslehre Meiſter Echart's die Seele ihren wendigen Plag hat.

Wenn unferem Myſtiker Alles, was da ift, als in beftä Fluß erſcheint (S. 514, 29), jo muß es doc einen feiten geben, von mo diefer Strom ausgeht und wohin er zurü Diefe erfte Sache ift Gott (S. 313, 34; 528, 33).

Das Erfte muß im Gegenfag gegen das Bedingte um das Unvollfommene ftehen, es muß das ſchlechthin fid 2 mende fein. Daraus folgt für Edart, daß dieſes Abjolut was es fei, wieder auch nicht fei.” Er ift darum bemith Namen, die es jont gibt, von Gott fern zu halten, felbft de drud „Weſen“ (S. 82, 37; 83, 15). Das Abfolute i nur feiend, nicht etwas Beſtimmtes feiend, es it „nihi (©. 620, 3) *).

Bei der abjoluten Einfachheit Gottes ala des bloßen „1 ift aber nicht ftehen zu bleiben, deehalb muß er fi Gott a actualifirend denfen, als fi zum abfoluten Proceß erweitert zwar indem er feine Indifferenz aufhebt und ſich von fid unterfcheidet, indem er fich feiner felbft bewußt wird, denkt. fagt Echhart, „ift ein lauter Weſen, ein lauter Verftändni verfteht ſich felber in ihm felber“ (S. 593, 22). Durd Act des Sichfelbftdenfens tritt Gott nothwendig als Subje

&) Es fol zur Verherrlichung Gottes dienen, wen fo bie Abſolutheit in die Verneinung aller pofitiven Beſtimmungen gefet, Gott fo fi als der Ueberweſentliche gefaßt wird, daß er nicht ſowohl der Seit der Nichtjeiende if. Zu Grunde Tiegt hierbei die platoniſche Trans der Gottesidee, die ja auch ben beſtimmenden Gedanken der Theolo Dionyfins Areopagita ausmacht.

über bie Seelenlehte Meifter Echar's. 275

useinander, als Vater und Sohn (S. 527, 15). Hiermit die innergöttliche Selbftentfaltung nod nicht vollendet. id Sohn ftehen zueinander in einer Spannung, die nur n Willen Beider, zufammen zu jein, was fie find, aus- wird. Diefer Wille ift der heilige Geift (S. 94, 6). er Weife ergibt ſich die dreieinige Selbftentfaltung des ten Lebens in Gott mit Nothwendigfeit. je, dem orthodoxen Syſteme angepaßte Eonftruction der fließt fi) aber bei unferem Meifter die Schöpfung ft nur felten und weniger zu feinem Syjtem ftimmend 498, 10; 391, 15; 529, 17; 513, 1; 496, 4). Sie h häufiger aus einer anderen Gedanfenwendung. Es wird ein Zwiefaches geſetzt, Weſen und Wiederfehen. „Nach efen ficht Gott nichts Anderes, denn in fein bloßes Weſen jet fich felber da innen nach aller feiner Kraft, und da ſich blos ohue den Sohn und ohne den heiligen Geiſt et da nichts als Einigkeit ſeines ſelben Weſens“ (S. 608, 9). väre aljo in Gott ewiger Stillftand, ewige BVetrachtung bit in unendliher Eintönigfeit. Hierbei verzehrte fich die Potenz in fih felbft. Darum muß in Gott eine Bes jedacht werden, die ihn aus ji Heraustreten läßt, und eine Minne (S. 272, 31; 145, 17; 145, 35). Minne r nur da fein, wo fie Gleiches findet (S. 196, 24). findet nun Gott, indem er fi wieder ſetzt in der Geburt nes, der ewig it wie Gott, da die Minneluft Gottes als rünglic innemohnend gedad;t wird und da fie niemals fan. Damit wäre jedodh das Weſen der Güte nicht Ahr Eigenthümliches ift ja, daß fie anderen Weſen e mittheilen, fie ſich gleih maden muß (S. 196, 24). mt es aber zu diefen? Dadurch, daß mit diefer ethiſchen {heit der Liebe zugleich in Gott ein Verendlihungstrieb ; Gott muß nicht blos altes Das fein, was ift, fondern alles Das werden, was nicht ift. Sobald als Gott ſich t in dem Sohne, hat er auch damit alle Dinge gefegt , 22; 528, 40); aber er läßt diefelben erft allmählich ität fommen dadurch, daß er zeitlich auseinander treten

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fäßt, was ewig in ihm egiftirte. Nur fo ift die Herſtellun Organismus niöglic, der im Verlauf feiner Entwidlung ni Gott ift, fondern nur approximativ ſich ihm nähert. Desf zeichnet unfer Myſtiker die Schöpfung der Welt am Lieb dem Ausdrud „Ausfliegen“ und vergleicht diefelbe fehr ani mit concentrifhen Kreifen im Waffer, von denen immer ei andern erregt, nachdem zuerjt durch einen Wurf die Di begonnen worden ift (S. 165, 15; 98, 38). Wie ei durch den andern hervorgebradht wird, fo entfteht eine Schö fphäre aus der andern, und er unterfcheidet beſonders eir weltliche Engelregion und eine innerweltliche, durch erftere telte Exiſtenzweiſe des Geſchaffenen.

Diefes Creatürliche ift, weil in der Entwicklung begriffen Gott, oder, da Gott allein das wahre Etwas ijt, es ift „' „Alle Greaturen haben fein Wefen, denn ihr Wefen ſchw der Gegenwärtigfeit Gottes“ (S. 136, 23). Während a das Gejchaffene an ſich „Nichts“ ift, ift es doch von Gott gelegt, daß es fein Wefen aufnehmen kann, d. h. es if (©. 250, 21), und zwar find die Geſchöpfe in einer A

zur Vollkommenheit hin für die Aufnahme des göttlichen organifirt (©. 514, 29). Der Menſch iſt die vollko— Entfaltung göttlicher Herrlichkeit in creatürlicher Seinsfor in ihm das Gottesbewußtfein zum Durchbruch fommt (©. : Jedoch auch auf diefer höchſten kosmiſchen Dafeinsftufe ft Gottes Wefen zunächſt in feinem Individium voliftändig | auch nicht in den vielen Individuen als Gefammtheit betrac die Menfchheit in ihnen immerfort in der Entwicklung werden muß, alſo nie ein in jich vollendeter Abjchluß, in Gottes Wefen fein Genüge fände, ſich herausſtellt. Käi zu dieſem göttlichen Emanationsproceß nicht ein anderer Ac fo fände nur ein ewiges ſich Entleeren Gottes ftatt, ein hörliches Außfliegen Gottes ohne Rückfluß. Deshalb mu eingreifen und dem ganzen Schöpfungsfluß eine rücläufige gung geben. Da nun das von Gott Gedachte, die Selbi virung Gottes, der Sohn, allſogleich ſich in die Welt aufl muß in derfelben, wenn fie wieder zu Gott fommen ſoll,

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irgendwie gehindert wird, da wird die Naturkraft zur heruntergebrückt, fpeciell bei der Zeugung wird unter dem folder Störung anftatt des Mannes ein Weib. Damit wi au Ende, die Natur brächte es nicht weiter und müßte ruh das Leben nicht aufhören zu laffen, ift alfo ein neuer Im— Seiten Gottes nöthig, und zwar muß diefer da wirken, BPaffivität eingetreten ift, im Weibe, fo dag aus ihr dor das zeugende Princip hervorgehen fan. Aber noch nad ı deren Seite muß Gott mit der Natur cooperiren, damit feelter Meuſch werde. Da die Natur Nicht - Gott ift, jo es in ihrer unvollendeten Entwicklung nicht zu dem ben in fid) vollendeten Gottes bringen, was ja doch die Seele

fie fäme nicht weiter als bis zum feelenfofen Embryo, : feeren Gehäufe. Alſo muß Gott abermals eingreifen und

in den Körper ſchaffen. Und zwar jegt unfer Myſtiker Thomiften dafür einen beftimmten Termin, den vierzigf Mit diefem „zeitlofen Nu“, in welhem die Seele im

hineingeſchaffen wird, ift dann eine geiftfeibliche Vereinig geitellt, die gauz unlöslid ift und für die Ewigkeit dau (©. 237, 6).

Aus einem zwiefachen Grunde ift die Seele in dem Leibe feits nämlich ift die Seele durch den materiellen Yeib für | tut das Mittel, in Gott zurücgenommen zu werden (©. 1 andernfeits ift die materielle Welt durd) die Leiblichteit, die Proceß verflochten ift, für die Seele felbft ein nothwendi mient, da diefe ſonſt das, was fie potentia ift, nicht in | vität zu fegen vermöchte (S. 264, 14). Um num die wirkung zwifchen Gott und Natur in der Seele möglich zu find nach Edhart zwei Dreiheiten von Seelenfräften geord ſprechend der göttlichen trinitas (S. 319, 40), die einen Direction zu Gott hin, die andern mit der Richtung auf türlihe. Damit find aber ſogleich zwei Stellen gegeben, aus ſich die Lebensbewegung abnorm gejtalten fann, fofern die fünf miedern Sinne, die Leibesfinne, unterfchiedlos Gi Böfes, wie fie e8 in der Ereatur wahrnehmen, der Seele ; und fofern zweitens in der Seele felbft eine Gegenfüglict

über die Seelenlehre Meifter Echart's. 279

wo die auf Gott gewandten und die.auf die Ereatur ger Kräfte concurriren.

chten wir zunächft die niedern Kräfte. Die Aufgabe : muß, foweit fie der Welt zugewendet ift, im Allgemeinen 1: den Stoff, welchen die leiblichen Sinne zuführen, fo zu , daß er wahrhaft mit ihr verſchmolzen, in den religiös- Proceß der. Gotteinung mit aufgenommen werden fann ‚39; 183, 7). Hiermit, mit dem Verflochtenſein der die Welt, tritt die Möglichkeit der Sünde ein, deun örtliche und zeitliche Vertheilung der Dinge entftehen Ger d. 5. eine Auflöfung des einheitlich Seienden, „wo das Weſen ift“. Zu dieſen „Widerfagungen“ gehört unferem um auch das Böfe, die Sünde, welde er als zn) 6v faßt 6; 327, 17). Es ift die Sünde eine privatio boni, richt Wefen, fondern fie beraubet Weſen“ (S. 613, 3). alle Eindrücke, welche die unvollendete, in der Entwidlung auseinander Haffende Welt auf die fünf Sinne macht, tichied den niedern Seelenkräften mitgetheilt werden, jo diefe charakteriftifh fein das Schwanken und Wählen Sutem und Böjem, Leiden durch das phyſiſch Mächtige, he Unvollfommene, was ihnen zugeführt wird (©. 356, 35). 8 ganz platonifch gedadht, daß die Seele, da fie mit verbunden ift, auch Theil erhalten muß an den Berner id Veränderungen des Yeibes. Dadurch ift fie dem Vers zugewendet und kann fi nur durch beftändiges Zuftrö- ten, fie bedarf immer Neues und begehrt dies ihrer Er- egen. Daher nennt Plato den niedrigften Beſtandtheil das Begehrliche, EriYvpmeixöv. Ohne Zweifel ift dies vas Meijter Chart mit „gerung‘“, concupiscibilis, be- 5. 383, 10). „Was das Auge fieht und das Ohr Hört, fie zu Hand . „gerunge“, man fönnte fagen dem finnlichen Ber- effen Eigenthümliches es ift, mur zu haben, jedes Ding als einzelnes. Die „gerunge ift alfo weſentlich dazu en Stoff zu ordnen. „Sites dann eine geordnete Sache, ie es jofort der andern, die heißet .

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2) eine „betrahtung‘“ (©. 383, 14). Diejelbe telnde Stellung, welche Plato die dämonifche Kraft, den einnehmen läßt, indem diefelbe das Sterbliche und das in der Seele, das Begehrliche und die Vernunft verbind unfer Myſtiker der .„‚betrahtung“ zu, die er auch z iraseibilis nennt. Wir erinnern uns hierbei, daß Plat zweiten Theil der Seele als eigenthümlich alle die Thätigk legt, welche Beſtrebungen zur Handlung und zur Verw der in der Seele angelegten Begehrungen (zürnerin, etı Eifer), oder vernünftigen Ideen enthalten (betrahtunge Ivnös ift jedoch ohne das Göttliche der Vernunft zu de hat nur die Beſtimmung, der Vernunft als Helfer zu dier die finnlichen Begierde. -Erfahrungsmäßig ift dem Plato daß diefe zweite Kraft der Seele oftmals fi auflehue | finnlie Begierde und im Streite der Seele mit ſich Partei der Vernunft ergreife. Diefer. Erfahrung fi) anf mag auch unfer Meiter feine zürnerin zuweilen gerade; nunft“ nennen. Ebenſoſehr fteht aber dem griechiſchen Pf feit, daß Eifer und Muth etwas Untergeordnetes iſt, auc Kindern, felbjt in den Thieren ſich zeigt, und daß auch gebildeten Menjchen dev Muth fich oft fortreißen läßt oh denfen über das Bejjere und Schlechtere und dann von nunft geftraft wird. Dieſe

3) „Vernunft“ iſt alfo eine von den andern gefonder etwa die Mare Ueberlegung. Sie Heißt bei unferm Mei „bescheidenheit‘‘, weil fie weiß, was ſich gebührt, ober licheit *, welches Wort befanntlid) im MHD. denfelben ©:

Diefe drei genannten niedern Kräfte der Seele find Natur, der Ereatur, zugewandt, von den drei höheren Kräf es aber ausdrücklich, daß fie Gott zugefehrr find. Hier "ein Gegenfaß in der ‘Seele, der von ihr jelbft nach den i thümlichen Kräften nicht überwunden werden kaun, dem die

* heiten höherer und niederer Vermögen haben verfchiedene 3 nad) oben und nad) unten. Um diefe Kluft zu überbrücke etwas Drittes hinzukommen, wodurd die obern Kräfte niedern verbunden und mit ihnen in Harmonie gejtellt

Über bie Seelenlehre Meifter Echart's. 281

Ein ſolches ſoll nach einer Stelle (S. 397, 26) auch gleich bei dr Schöpfung des erften Menſchen vorhanden gewejen fein, alſo, um fholaftifch zu veden, ein donum supernaturale, welches fo- mohl die Leiblichkeit ſtets normal erhielt, Unfterblichkeit wirkte, als ad) eine göttliche Einwirkung auf die höheren Kräfte den niedern sermittelte, fo daß auch fie dem göttlichen Lebensfluß von oben her kin Hinderniß entgegenftelfen konnten. Hier ift ein offenbarer Biderfpruch in Meifter Eckhart's Vorträgen. Einmal nämlich be» went er ſich der Firchlichen Lehre von der justitia originalis an, wit öfter aber läßt er diefen Zwiefpalt nothwendig durch die Schöpfung gefegt fein. Er faßt dann die Sünde als für. den Neſchen fubjectiv nothwendig, als Entwicklungsmoment des Geiftes; wer wird leugnen, daß dies für fein Syſtem das Conſequente in Er beruft fich dann darauf, daß dem Menfchen zur Heraus» fing der Sittlichkeit, des jelbftbewußten Willens, die Ueberwins hung eines Hindernifjes, welches in ihm felbft Liegt, nothwendig R, und daß eben in diefer Nothwendigkeit der fündigen Neigung "leih mit der Anlage zur Spontaneität der Unterfchied des gott- denbildlichen Menſchen von der bemwußtlofen und darum nicht-fitt- den Natur begründet liegt (S. 551, 34). Es iſt damit keines⸗ 98 die Sünde felbft entfehuldbar gemacht, denn die Neigung dazu tja eben zugleich mit dem Willen des Menfchen da. Wer alfo ittlich zur Sünde kommt, der kommt dazu durch feine Schuld 5. 551, 33). Und wenn aud der Menſch, weil er in das Na— Irfiche verflochten ift, als nothwendig fündigend gedacht werben nß, fo Hindert doc nichts, ihm zugleich die Sünde beftändig über» indend zu denken, fo daß die Befiegung der Sünde troß jeder glichen Niederlage das Charakteriftifche für ihn werden Tann, xshalb fagt Edhart: „Sünden haben gethan ift nit Sünde, ob t leid find. Gott ift ein Gut der Gegenwärtigfeit: wie er dich ndet, fo nimmt er di und empfängt did), nicht was du gemefen ft, fondern was du jegt bift.* (©. 557, 21.)

Es entfteht num aber das Bedürfniß, genauer nachzuſehen, mie e Sünde im Menfchen von Seiten Gottes überwunden werden m, eine Frage, welche für den Myſtiker unendlich wichtiger ift, 6 die andere, inwieweit die Selbftthätigfeit des Menſchen dabei

282 Wahl

in Betracht komme, inwiefern Spontaneität vorhanden fi müffen zunächſt allgemeinen Gedanken Meiſter Eckhart's „Es iſt eine Kraft in der Seele, und nicht allein ei mehr, Wefen, und nicht allein Wefen, mehr, es löfet W die ijt fo lauter und fo hoch und fo edel in ihr felber, | nicht mag feine Ereatur, fondern Gott allein, der wohn (S. 258, 18; vgl. 4, 26; 5, 1; 63, 28). Ge hiernach “in der Seele felbft ein Coincidenzpunkt göttl menfchlihen Weſens gegeben, von wo aus der Menſch werden ann. Eben darum , weil hier Göttliches und J Greatürliche® auf einer Achſe fteht, fo iſt diefe Seine Creatur überhaupt nicht unter einen Ausdrud, der eine | Exiftenzform bezeichnet, zu bringen, fondern auf Seiten dies der Ort, wo er feine Natur wieder fegt, auf Deenfchen der Ort, wo das Wefen feiner felbft ruht, di heit (S. 56, 13), welde die Fülle aller .concreten Exfd wie fie ſich in der gefchichtfichen Entwidlung der Welt mögen, in ſich ſchließt. Diejer Mifrofosmus im Menfd) faltet wie er ift, ift eben darum „einig“ (nicht etwa ı teres unterfchiedlo8 eins) mit Gott, denn Alles, was fid in die Entwidlung und Bewegung, in Zeitlichkeit und Ri ſich vertheilt, ift dadurch befhränft, „in der Entwicklung fchied der Kräfte“. Alles Unvollfommene muß aber Go: fein; foll .alfo eine Gongruenz mit Gott in der Seele | fo muß hier weder ſchon eine Selbftthätigfeit Gottes, « gehen feiner jelbft in die Entwicklung fein (Stille, S noch darf die Seele felbft da ſchon fchöpferiihe Moment entwideln, fie muß „unschepfelich jein, eine einfäftige ( Unbeweglichteit· (S. 484, 30; 193, 16). Alfo die von Gott nur vollftändig durddrungen, infoweit fie nod) der abſtrakten Allgemeinheit ihres Begriffes herausge EG. 135, 29): umgefehrt empfängt die Seele Gott au feiner unentwidelten Allgemeinheit ohne allen öfonomifch ſchied, mit ihm aber folder Weife den Herd'alles Leb (©. 313, 13; 46, 34). Dieſes Sichzurücdnehmen © des Menschen in ihren ewigen Naturgrund, wo alle Se

über bie Seelenlehre Meifter Echart's. 288

feime fiegen (©. 59, 16), nennt unfer Meifter die Geburt des Sohnes. „Geht dein Selbft allzumal aus durd Gott, fo geht Gott des Seinen allzumal aus durch di. Da diefe zwei aus— gehen, was da bleibt, das ift ein einfältiges Ein. In diefem Ein gebiert der Vater feinen Sohn in der innerften Quelle“ (S.142, 34). Den Punkt, wo Gottgeitliches und Menfchheitliches zufammenfallen, nennt Echart mit verfchiedenen Namen: Hütte bes Geiftes (S. 46, 7), &iht (S. 193, 16), Fünkfein, aud) wohl die gewissen (S.383, 24); foll er aber ohne Bild davon reden, jo nennt er es „ein Was, das ift höher über dies und das, als der Himmel über ber Erde“. „Cs ift von allen Namen frei und von allen Formen ‚blos, ledig md frei zumal.“ Diefes Gebären des Sohnes in der Seele ift an aber nichts Anderes, als nur das immer wiederholte Selbft« Ihnen Gottes, welches vorher als ein immanenter Act Gottes aht wurde (S. 205, 7). In derſelben Weiſe, wie Gott der Kater ein vollfommenes Einfehen in fich felber hat, gebiert er feinen Eon in der Seele Grund; und es ift dies Eingebären die ewig nothwendige Selbfterhaltung Gottes in dem Strudel der Mannich- faltigket (S. 44, 23). Gott gebiert fih in jedem Menfchen mit Natutnothwendigkeit (S. 60, 16); fein Wefen ift es, ſich ſolcher⸗ geftalt in der menſchlichen Seele zu fegen (S. 145, 35). Um- gefehrt ift jeder Menfch auf die Gottfohnfchaft angelegt und kann derfelben nicht derfuftig gehen, auch der Verdammte in der Hölle hat dieſen Keim- und Quellpunkt der Sefigkeit noch (©. 113, 34; 11, 30), weil er ja mit dem zufammenfällt, was ihm feine Exiftenz nod erhält, mit feinem allgemeinſten Wefen, das Gott bejtändig in ihm fett.

Hier erklärt fi) nun, wie von Gott aus.die Sünde über bunden werden kann, indem. nämlich non dem Univerfellen der Seele jeder einzelnen Kraft, insbejondere der Dreizahl der niedern Kräfte ein Ueberſchuß zukommt, der ihrer Schwäche aufhilft. Es lann auf. diefe Weife ein Strom göttlichen Lebens von den oberften Sinnen in die niederften und von da in den äußern Menjchen ges fangen,.. der ihm befreit von dem fündeerregenden Einfluß der Zeit⸗ fihfeit und Mannichfaltigfeit.

Es ‚erhebt ſich aber jegt eine andere Frage, auf die Meifter

284 Wahl

Eckhart ſelbſt führt: Wenn nämlich der Grund der Natur in Menſchen gleich ift, fo müßte ja von hier aus Gott in alle Gfeihe, aljo die Vergottung wirfen? Darauf antwortet e neinend, indem er von dem Sünder fagt, er fünne das gi Licht nicht empfangen, welches von diefer Geburt „fi au und in die Kräfte überflieget“, noch wäre er feiner würdig er mit Sünde und Bosheit erfüllt fei (S. 11, 32). Er alfo doch eine Spontaneität in die Seele legen, wonach fie fi göttlichen Impuls im ihr auch nichtwollend entgegenfegen Ausdrücklich jagt er (S. 453, 5), Gott Habe uns unfern Willen gegeben, daß wir mögen thun das Beſte und lafl Aergfte. Diefer freie Wille fann in den niedern Kräften Tiegen, da diefe überhaupt noch in das um 6% verflochten fi muß vielmehr, wenn irgendwo, in den höheren Kräften, von er ferner redet, zw finden fein. Wir gehen deshalb zunäd diefe über, um den Proceß des von dem gottmenſchlichen C punfte wirkenden Lebens zu befchreiben.

Die drei höheren Kräfte find fonderlich ein Bild di ligen Dreifaltigteit, fte heißen gehügede (gehügnisse), ver nisse ober vernunft und der wille (frie wille) (S. 383 und werden zufammengefaßt unter dem Namen muot (S. 35° Was die niedern Sinne verarbeitet und vorgearbeitet haben wird von den höheren, geiftigeren Kräften ergriffen, nadd Kluft zwiſchen den beiden Dreiheiten der Seelenfräfte dun über alle Seelenfräfte hinaus wirkende Natur der Seele übe ift (S. 383, 18). Der Seele Kraft nimmt, was die ı Sinne darbieten, „fonder Gleichniß und fonder Bilde und tr auf in die oberften Kräfte“. Yon diefen ift

1) zu nennen „gehügnisse“, etwa Erinnerung, Einbif kraft ꝛc. „Sie ift eine behaltende Kraft alles deſſen, we andern Kräfte in fie bringen“ (S. 383, 37). Darum wi auch memoria genannt. Was die beiden erften niedern Sin getragen, was der dritte gefichtet und geläutert hat, das wir diefer erften höheren Kraft feitgehalten. Sie ift nicht un Zei Raum gebunden, fondern reproducirt frei und ideal, deshalb aud mit der Einbildungsfraft gleich zu fegen (S. 270, 11)

über die Seelenfehre Meifter Edhart’s. 285

Die andere höhere Kraft ift

2) die „verstantnisse‘“, intellectus (©. 383, 39). Zur Acht geht ihre Richtung auch auf die geichaffenen Dinge. „Es ft jih aus und hört und vernimmt, darum beſcheidet es und wret und ſetzet.“ Hierbei wird ihr aber ihre Beſchränktheit, terfaupt die creatürliche Begrenztheit offenbar, fie erfennt etwas ber fih, was fie nicht zu ergründen vermag. Deshalb aber ges ade bahnt ſich auch in biefer zweiten Kraft.ein Umſchwung der Sefemfräfte nach Gott zu an, fie ift die „auffriegende Kraft, ira- ebilis“. Es ift dies jedoch nicht ander möglich, als wicder durch ie „Hilfe“ (S. 384, 17) ®), die von der einheitlichen Natur ber

a Life „Hilfen“ , welchen wir fchon mehrere Male begegneten, in ihrem Aılammenhange machen eigentlich) da® aus, was Edhart mit dem Namen ‚Snabe“ bezeichnet. Der allgemeine Gedanfe, worauf fich dieſe fuper- uturalen Acte inmitten feines pantheiſtiſchen Syſtems gründen, ift der E. 327, 37): Das Wefen ber Gnade (d. 5. eben Gott felbft, wie er an fd if) kann natürlich in feiner Ereatur fein, deshalb wird die Gnade Äbernatürlic; in der Seele Weſen als ein „anefal“ geichaffen, deshalb werden auch Glaube und andere göttfiche Tugenden ber Seele übernatürlich tingegoffen. Die Notäwendigfeit einer folden Annahme leuchtet ein. Da Gott nach Edhart’s emmanatiftifcer Anſchauung in die Welt ſich auflöſt, fo muß er, fol er fich nicht unaufhaltſam verenbfichen, biefelbe durch um- beichränfte Acte immer wieder in ſich mvfichreifgen. Hat aber die „Gnade“ für unfern Muſtiker diefe Bedeutung, fo ergibt fi von felbft, daß er von Gnadenmitteln im kirchlichen Sinne nicht veden kann. Ihm kann es nicht beikommen, bie irdiſchen Efemente fo Hoch zu achten, daß er an fie beionbere göttliche Wirkungen gehnüpft dächte. Sagt er dennoch (S. 380, 16): „Die Tanfe ift ein Fundament aller der Heifigkeit und des Heils, fo an den Menfchen fallen mag“, fo geht aus dem Zufammenhange Mar hervor, daß er fo nur fpricht, um die Berbammung der Juden und Un« chriſten (ein für ben gewöhnlichen Berftand feiner Zeit unveräußerliches Dogma) nicht aufzugeben. Er hat vorher das Leiden als den reiten Weg zum wahren Leben gepriefen; nun kann er das großartig tragifce Ver Bängniß des Judenvolkes nicht leugnen, fie Teiden wirklich. Werden fie alſo doch nicht felig, fo muß dies daran Tiegen, daß fie die Taufe nicht befommen haben. Ebenſo benußt er bie transsubstantiatio, um dadurch die Verwandlung der Seele in Gott Mar zu machen (S. 205, 21). Dies beweiſt aber nicht, daß diefe Lehre für ihn. Werth Hat. Wenn er auch ſogar (©. 334, 12) gegen die ſich ereifert, welche die Brodverwandlung nicht glauben, fo ſucht er ſelbſt das Wunder doch nur dadurch begreiffich

286 Baht

Seele, von ihrem fpecififch göttlichen Herde ausgeht und das Verſtändniß über ſich felbft Hinaus gerifjen wird. D heren Zug der Seele nennt unjer Myftiker Glaube“ | 21; dgl. auch ©. 171, 31; 380, 38), und er iſt d zwiſchen der zweiten und der dritten Seelenkraft, näm „Willen“ (S. 384, 2). Aud dazu muß die Natur wieder helfen, daß

3) der wille diefe göttliche Zvsgyesm, melde im Ve angeregt ift, aufzunehmen vermöge, dadurch aber ift er in dem die Rüdfehr der Creatur zu Gott in erfter Inſtan, Sofern er nur gleichjam eine Yortfegung der zmweiten | wird ihm ale erſtes Werk beigelegt

a) Begehrung (©. 106, 30). In dieſer Begehri die zweite Kraft noch nad), und deshalb ijt diejelbe nad) Seite hin mehr als der Wille. Aber an fich betracht Wille dod) höher, da er direct in Gott eingreift (©. Er ift das eigenthümliche ögyavor Annzıxov der Seel Göttliche, während die weitere Vermittlung des durch it nommenen den übrigen höheren Sinnen, befonders dem Bi aufbehalten bleibt. Das zweite Werk des Willens ift da

b) die Minne (S. 108, 13). Nachdem die Begel Seele fo hoch) gehoben Hat, daß fie Gott in feiner Weſenh hat, jo kommt fie hier zur Ruhe und zur Freude des fie hat nun das. erreicht, worauf fie angelegt ift. Wo aber

zu machen, daß die Ratur alle Dinge werben kann. Durd; fie ihm wirklich Alles geworden (S. 356, 5), aber freilich m fie durch feine Leiblichkeit in die unterfchiedfofe Einheit zurüchen An Chrifto iſt jedoch die Leiblichteit nur ein ganz verſchwindende wie ſollie deshalb fein verflärter Leib beim Saframente noch eh fein können? Das Wort Gottes ferner, :als: die heilige Sch wenig ein Gnadenmittel, daß Alles darin einen verborgenen ungleich dem ift, was Gott iſt (S. 332, 3). Der Schläffel mur durch die unmittelbare Offenbarung im Innern der Ger In dem Worte der Predigt wird für ihn darum ganz conſequent abgeſchwächt, indem der Prediger ein „Mitwirker Gottes“ ift, | Gnade, da fie durch ihn als unvollfommenes Medium geht, ni empfangen (6.201, 1).

über die Seelenlehre Meifter Eckhhart's. 287

gemacht oder gefunden ift, da ift Minne (S. 196, 35; 197, 7). Beide zufammen, Verſtänduiß und Minne, find alfo der fruchtbare Schoos, aus welchem das ‚Göttliche in die Greatur hineingeboren mird, von hier aus ‚geht? der Proceß göttlichen Lebens, welcher alle bezwingend die übrigen Kräfte vergottet und die fündlichen Begeh— tungen, welche in die Seele von der Endlichkeit aus eingetragen werden, aufhebt. Es erübrigt nur noch eins, nämlich daß zu den genannten Kräften, höheren und niedern, in ihrer Gefammtheit hinzu⸗ trete die der Seele immanente Lebensenergie, die ihr von ihrem Weſen aus zuflicht; diefe „gewissen“ (©. 383, 24) faßt alle gräfte in Einigkeit, fo daß fie num unterſchiedlos das find, was fe von oben Her durch verfchiedene Acte geworden find (S. 384, 39), nd damit ift die Geburt Gottes. in der Seele vollzogen. du Beachtenswerthe ift mın, daß Meifter Echart einmal diefes Öntgeborenwerden als einen Proceß auffaßt, der ſich von dem Filihen Zeben aus (S. 385, 24) durch die feelifchen Kräfte hin- durch in die Ewigkeit hinein immer mehr vollendet (S. 386, 29), md daß er dann wieder, während die Seele nod) .im Leibe ift,

fih einen ähnlichen Vorgang als möglich denkt, wonach die Seele.

über ſich ſelbſt hinaus entzüdt und rudweife in Gott geführt wird (2. 50, 12). Dadurch kommt der Menfc aber doch nur in den „umberinc der Ewigkeit, nur zu der höchften Offenbarung Gottes, Aber nicht im feine innerfte Natur. Das Hiermit Gemeinte (die Ehitafe) wird durch volljtändige Weltentfagung möglich gemacht (S. 462, 30). Mit dem Leibe fteht es dann fo (©. 481, 8): „Der Leib ift in einer ſtillen Ruhe, daß er feine Bewegung mag haben aller feiner, Glieder, denn die oberften Kräfte haben die nie» drigften eingeholt und das Wefen der Seele hat die oberjten Kräfte fingeführt, und das fteht Alles in einer ſtillen Ruhe.“

Die ſich unfer Moftifer diefe Efftafe in einem einzelnen Falle denkt, zeigt ums ein Beifpiel in dem Traktat „Schwefter Katrei“ (©. 448 f.). Diefe Schmefter, gewiß nur eine ideale Figur, hat % durd ihre vollfommene Weltentfagung dahin gebracht, daß fie alles Irdiſche vergeffen Hat (S. 462, 30). Dadurd) ift ihre äußere Setalt jo verwandelt, daß fie nicht erfannt wird, man häft fie für fin Engelweſen (S. 463, 30). Nach den furchtbarſten Kämpfen

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mit ihrem vergängfihen Theile ift jie endlich fo meit ge daß jie zu ihrem Beichtiger fagen fann (©. 465, 1): freuet euch mit mir, ic) bin Gott geworden“. Er antworte fei Gott gelobet! Geh wieder von allen Leuten in deine Dleibeft du Gott, ich gönne dir ihm wohl.“ Sie ift ber tiger gehorfam und geht in die Kirche in einen Winkel. fie dazu, daß fie des vergaß, das je Namen gewann, u alfo ſehr gezogen aus ihr felber und aus allen gefchaffenen dag man fie aus der Kirche mußte tragen und lag bie dritten Tag und hielten fie ſicher für tobt.“ ALS fie endfi zu ſich fommt, fragt der Beichtiger: „Haft du Alles, willſt?“ Darauf antwortet fie: „Ya, id bin beweret‘“ | de8 Meinigen gebracht). Nachdem die Schwefter nun fo d Punkt der Gotteinung gefunden hat, ift fie das rechte M Natur in Gott zuriczuführen. Deshalb gibt ihr auch de tiger den Rath: „Möchteſt du (S. 473, 39) genießen al turen, das ſollſt du billig thun, denn welche Greatur du | die trägft du auf in ihren Urfprung.“ Sie will aber dave wiſſen, fie zieht es vielmehr vor (und das iſt jedenfalls Eckhart das Höhere), ein armer Menſch zu bleiben bie in Ihm felbft väth fie freilich davon ab und zum richtigen ( der Natur, „damit er nicht rafenb werde" (S. 475, 2 verschließt fi alfo dem Myſtiker Hier doch die Wahrhe daß die abfolute Vereinigung mit Gott, welde dur) | Abtödtung und durch Weltflucht erreicht werden will, Teichtl endet, daß der überfpannte Geiſt in das Gebiet der 3 Phantaſie Herabfintt.

Wir haben bis Hierher den Proceß des göttlichen Leben Seele dur alle Kräfte hindurch befehrieben, aber nirgends ſich ſelbſt beftimmende Freiheit eine Stelle gefunden. 1 war auch nicht anders zu ‚erwarten, denn wo Freiheit ſ muß auch Willkür fein, fo, oder anders zu wollen; dieſe ſetzt aber eine relative Selbſtändigkeit voraus, wie ſie unſer dem Geſchaffenen nicht zugeſtehen kann. Ihm iſt vielme Greatürlihe abſolut bedingt, und auch die Seele, fo lang den Weltlauf verflochten iſt, muß deshalb durch irgend etw

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ihr gebunden fein, wäre e8 auch Vernunft, oder Minne (S. 260, 7). Nur in dem ganz abjtraft gedachten Urgrund aller Dinge ift für Edhart ein Wollen feiner felbft, eine Freiheit möglih. So lange die Creatur in dem Urfein latitirt, ift fie allerdings für ſich ſelbſt mbefhränft, will fie das, was fie ift. Dies Hört jedoch auf mit dem Schöpfungsproceß, damit tritt vielmehr das Wechfelverhäftnig dr gegenfeitigen Bedingtheit Gotte® dur die Ereatur und der Greatur durch Gott ein,. dabei geht aber ſowohl für Gott wie für die Greatur die Freiheit verloren. Bon Freiheit kann nur erft dann wieder nach Meifter Eckhart die Rede fein, wenn Gott bie Sratur vollfommen in ſich zurücgenommen hat (S. 281,. 20). Dennoh muß Eckhart notwendig den Bann feines Determiniss at, der ſich zumeilen bis zu den ftarrften Confequenzen verfteigt WS. 487, 16; 487, 28), durchbrechen, jobald er auf das fitlige Leben, welches eine ‘Folge der Gotteinheit fein joll, a ſprechen kommt. Es ift ihm damit ein fo heiliger Ernft, er hm fih jo wenig mit einen jelbftlofen Handeln genügen faffen, RB er in feinen Predigten Häufig ‚genug Crmahnungen ergehen läßt, ronach er annehmen muß, die Seele habe die Fähigkeit, jih in ih jelbft zu concentriren (3. B. ©. 454, 40), ſich fo zu vers merlihen, daß der Proceß des wahren Lebens in ihr fi voll- iehen fan. Die: fittliche Aufgabe, welche er Hiermit dem Menſchen lit, nennt er nach der fubjectiven Seite Hin „Ruhe“ (S. 152, 10) md erklärt diefelbe durch die mannichfaltigften Bilder. Wie in tinem, ruhigem Waffer der Menſch fein Antlig unverftellt fieht, 9 fann ſich Gott in der ruhenden Seele rein wieberbilden. Dem Io ruhenden Menfchen erſcheinen die Dinge nur von ihrer ewigen Fit. „Alle Dinge (S. 29, 6) werden dir bei diefer Geburt auter Gott, gleichwie einer, der die Sonne lange angeblickt hat, ieſelbe überall fieht (S. 29, 6). Er nennt dieſes Aufgehen in dort wohl auch ein „Zodtfein" (S. 106, 37), nämlich ein Ab- “hiedenfein von allem Weltlichen und Greatürlichen. „Der Erea- ar Eigenthümlichkeit ift, daß fie von etwas etwas made, aber hettes Eigenthümlichfeit ift, daß er von nichts etwas mache, darum, ol Gott etwas in dir, ober mit dir machen, jo mußt du vorher u Nichte geworden fein“ (S. 189, 28). Für eine ſolche abger

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ſchiedene Seele gibt es nun auch fein Leiden, denn „was de leidet durd Gott und Gott allein, das macht er ihm I füß“ (S. 45, 35). Der Menſch ſoll deshalb auch u weiter bitten, als um Gott, denn in Gott hat er Alles, gehrenswerth ift (S. 32, 38).

Das fittlichereligiöfe Ziel, welches die Seele erreichen objectiv da8 wahre Leben. Danach ftreben unbewußt wußt alle Menſchen; das wirffiche Leben aber ift Gott (S. 204, 4). Dies fol der Menfh haben, nicht bios danken oder die Phantafie damit beſchäftigen. Eckhart deshalb, der Menſch folle einen „gewesenden‘‘ Got (S. 548, 29), Gottes „Iſtigkeit“ folle des Menfchen werden (S. 204, 21). Da in Gott allein, ganz ohne tur, das wahre Sein ift, fo foll, wer ein Sohn Gotte will, ſich felbft verleugnen (S. 197, 17), in feiner Ereat (S. 223, 3). Jedes Ding foll er nur fo viel begehren, in demfelben wohnt; Gott ift aber nur die reine Weſenh foll man an den Dinge. aud nicht dies oder das Gu jondern die Güte (S. 197, 21). Wan fol jelbft Gott ni um das, was er gibt, fondern um die Güte, die er ift (©. ]

Ein folches Leben in Gott muß vor Allem demüthig un fein (S. 155, 18; 119, 29); der Menſch muß allen Ei laffen und trogdem er von dem mächtigſten Begehren | ewigen Gute getrieben wird, doch voft aller Leidenfchaftli frei Halten (S. 178, 9). Es fordert unfer Meifter eine fa Ruhe (S. 182, 9; 41, 32); diefe Ruhe ift aber daı feine ftarre, bewegungsloſe, fondern nur frei von niedern wie in Gott fein Zorn und feine Betrübniß ift, ſondern und Freude (©. 42, 5).

Die Einheit mit dem göttlichen Wefen ift das hoöchſte Menfchen; die Vollziehung derfelben ift die Tugend. liche Forderung des Myſtikers geht aber auch noch über di hinaus. „Die Tugend foll in mir mejentlid fein, und über der Tugend mein Wejen haben“ (S. 182, 31).

Die wahre Gotteinigung muß zu rechtem Handeln Welt treiben. „Gott meint in der Einigkeit der Scha—

über die Seelenlehre Meifter Edharr's. 291

frudtbarkeit der Wirkung“ (S. 18, 32). Wenn der Menſch Gott sgriffen Bat, der gut ift, fo muß er aud) das mitzutheilen fuchen, ns er dadurch geworden ift, denn „gut ift das, was ſich allgemein ucht; den Heißen wir einen guten Menſchen, der gemein und nüge t (©. 269, 21). Darum ift gerade das Geben und zwar das jingeben des Größten und Beſten, was man hat, an Andere ein prafteriftiiches Merkmal: bes Guten. So iſt es ja auch bei Gott; tine Natur ſchwebet daran, daß er große Dinge gebe (S. 135, 23). Inf diefe Weife zeigt unfer Meifter energifcher fogar als die ihm adfolgenden Myſtiker aus quietiftiiher Ruhe und Selbtverjunten- at hinaus auf das Handeln in der Welt, nur daß er dabei nicht tt genug betonen kann, man möge ſich in aller Ungleichheit und Amupe der Welt die ewige göttliche Gleichheit des Gemüthes er- kim (S. 548, 2). Auf Erfolge, auf Lohn oder Dankbarkeit darf der wahrhaft Gute nicht rechnen. Aller Lohnfucht wird die Bırzel abgefchnitten, alle Werfgerechtigkeit vernichtet; man ſoll Beiigfeit nicht fegen auf ein Thun, man foll fie jegen auf ein in, die Werke Heiligen und nicht, fondern wir follen die Werfe fligen (©. 546, 22; 190, 19). Lob, jofern es eine Belohnung in foll, Tadel, fofern er ungerecht ift, foll den Menſchen nicht rühren (S. 106, 19). Was in ber Welt gewirkt wird, foll m zu Gottes Ehre gethan werden, nicht um Nunferes Vortheils en, ja nicht einmal um der edelften fubjectiven Bedurfniſſe

ilen, auch nicht wegen der eigenen Seligkeit (vgl. die ganze Pre»

gt über 2 Moſ. 32, 11, ©. 54ff.). Es fpigt ſich dieſer Pro- ft gegen die Lohuſucht jo zu, daß Eckhart überhaupt das Warum Am Handeln bejeitigt wiſſen will, denn man joll das Gute aus m innerjten Wefen heraus thun, weil man nicht anders fann, «il man von Gott dazu getrieben wird (©. 66, 5). Der mit ht geeinte Witte iſt es allein, worauf es anfommt, mag er fi Alifiren können oder nicht, denn Gottes Zwede müffen ſich un- Bingt durchfegen und find in Gottes ewiger Schauung fehon volle tacht (S. 56, 40; vgl. 487, 28; 190, 30). Die Kehrfeite iervon iſt, daß man äußeres Gut und Befig für nichts achte; vor em abjoluten Rechte der Innerlichteit, vor der fchlechthinigen Ger undenheit an den göttlichen Centralpunkt find alle äußerlichen Ver—

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pflichtungen und alle zufälligen Werke verſchwindend nebe Selbſt die ſieben Sacramente (280, 27), die Ponitenzien lichen Uebungen, die Kloſtergelübde (S. 340, 30) hindern an dem wahrhaftigen innern Leben. Eb läuft alle A Eckhart darauf hinaus, daß man fich felbft als an fidh ı greift, um dadurd das wahre Sein zu gewinnen, Mo göttlichen Tebensprocefjes zu werden. „Wenn wir uns fennen wollen, fo follen wir erfennen, daß wir nichts | ein Rüftzeug Gottes, daran die Heilige Dreifaltigkeit wirfet. Darum follen wir mit Fleiß uns hüten, daß wiı hindern feines der Werke, die der hohe Werfmeifter an ur will zu feiner Ehre, und follen uns aljo halten, daß das ohne Unterfaß bereit fei dem Werkmeifter, feine Werke a wirfen.“

Es frägt fid endlich zum Schluß diefer Erörterungen, wi Chart über den Tod und den Zuftand der GSeee n Tode denkt. Schon im Leben der Natur fennt er fein | fondern nur ein Aufgehobenwerden in etwas Höheres, n nur fo, wie Speife und Trank in Fleiſch und Blut v werden. Im Menſchen, dem Mittelpunkt der Schöpfung alfe der Vergänglichkeit verfallenen Dinge wieder, indem und mit dem Leibe in Geift verwandelt werden, der ( Menfchen aber in den erften Urſprung zurüdfließt (S. 1 473, 39) in einem ewigen Proceß, der eben deshalb, weil ift, nie ein vollftändiges "Aufgehen in Gott wird.

Allerdings muß unfer Myſtiker confequent mit dem % allen weiteren Fortgang bedingende Entſcheidung eintrete denn da Leib und Seele untrennbar zufammengehören (©. und zwar fo, daß beide nur in- und miteinander fich w wideln fönnen, der Leib aber durch den Tod der Materie und der Einwirkung der Seele jchlechthin entzogen ijt, jo m Eintritt des Todes die Stellung der Seele principiell (S. 639, 18; 498, 18). Entweder fließt dieſelbe von immermehr in Gott, oder fucht immermehr aus ihm | treten und fällt dadurch der Vergänglichfeit anheim, wir mehr zum Nicht (S. 471, 3; 65, 20).

über bie Seelenlehre Meifter Echart's. 298

Verfolgen wir zunächſt genauer den Proceß der Gott abgewandten See in ihrer Depravation. Den Böfen denkt fid Eckhart zwar ud dem Tode als fich ſtets weiter von Gott entfernend; nie aber Immt e8 jo weit, daß er feine Subfiftenz, die er an Gott hat, tlöre, ganz gottlos würde und damit ber Vernichtung anheim⸗ ie (S. 11, 30). Die Seelen, welche fid mehr und mehr mit zatürfihen Dingen bejchäftigt Haben, fo daß diefelben ihr Weſen poorden find, geraten nur immer intenfiver in das widerſpruchs ple Dafein, Gott als ihre Grundlage nicht entbehren zu können mb do in dem an ſich Weſenloſen ihr perfönliches Leben zu führen. Dein Zuſtand, nicht etwa einen beftimmten Ort, nennt Edhart

und vergleicht denfelben in fehr treffender Eremplification * eines böswilfigen Verbrechers, der in eines Königs Thurm gen gehalten wird (S. 471, 29). „Der Mann ift in des Big Hof, denn der Thurm ift ebenfowohl in des Königs Hof, Pic Saal, da der König ift mit feinen geliebten Freunden und verfteht ihr wohl, daß ihre Weſen ungleich ift.“ Die eigen liche Qual des Gottlofen nad) dem Tode befteht alſo darin, Ber mit ungöttlicher Lebensrichtung doch fih von Gott nicht b8 beeinflußt, fondern gezwungen weiß, daß er mit feinem ganz hmägtigen, im eigentlichſten Sinne knechtiſchen Willen von Gottes ke übermögendem Willen vollfommen eingeſchränkt und regiert ift. Bir fteht es aber mit Denen, bei welden ber Proceß ber Ein« ung in Gott während ihres irdiſchen Lebens nicht zu Stande bommen ift, trogbem daß ihr Streben auf Gott gerichtet gewefen? ind fie von einer weitern Entwidfung ausgeſchloſſen, oder gibt für fie noch eine Möglichkeit der Gotteinung? Darauf ant« tet Eckhart durch feine dunkle Lehre vom Fegefeuer (vgl. 471, 37 ff.). Echhart ſcheint hiernad anzunehmen, daß Die- igen, welche Hier ein tugendfames Leben in Treue und Liebe kren, im Augenblick des Todes durch eine befondere Gnaben- tung Gottes den Umſchwung von der Ereatur zu Gott Hin er⸗ ren. Gott muß ſich nothwendig über fie erbarmen, „daß ihnen zde eine rechte Reue in Minne und in Erfenntniß, daß fie fih ben außer ihnen felber und außer allen gejchaffenen Dingen. a wird rechte Minne ihr Wefen, alfo, ob fie Länger leben ſollten, Vol. Stud. arg. 1868. 20

204 Wahl

daß ſie nimmer Gebreſten ſollten üben und Alles das wollt wegen rechter Minne, das unfer Herr Chriſtus gelitten alle feine geliebten Freunde.“ Es tritt Gott bei ihrem % der Grenze von Zeitlichkeit und Ewigkeit, mit feiner dure den Macht ein und nimmt in dem Anfang ihres got Seine glei) die weitere Entwicklung mit voraus, fo de eben deshalb nicht verfinfen läßt in den Zug, der die b immer tiefer in die Materie bineinführt. Der Zuftand | feuers ift alfo ein Stillftand; weiter ſich entwideln Tan bewanbte Seele nicht, fie ift no in die Materie mit ih wenn auch nicht in diefem und in organijcher Verbindung verflochten, jie befindet fich daher in einem Zuftande des | und was fie erhält, ift nur noch die Hoffnung, welde gibt. Dadurch wird fie noch an Gott geknüpft, „diefe iſt ihr Wefen“. Indem alfo in ihr der Zug nach ober wird, bleibt ihr die Möglichkeit, wenn der große Läutern der Welt vollendet ift, zugleich mit dem Leibe vergottet 3 Einfacher zu begreifen ift der Fortgang göttliher €: bei der Seele, im welcher es ſchon hier zur wirklichen G Sohnes gelommen if. „Die Seele hat ein Fortgehen Edelleit in die andere, zu welcher Stunde fie ſcheidet non in demſelben Punkte wird ihr geöffnet das ewige Leben u Oeffnung wird fie umfangen von einem göttlichen Kid dem Befängniffe des göttlichen Lichtes wird fie gezogen bildet in Got (S. 386, 29). Jedoch geht die Seele da in Gott volllouunen auf, fondern es bleibt ihr das Sell . fein. Es gehört nämlich für Edhart zum Begriff eines tigen Weſens, „daß es fich verfteht mit ihm felber“. | das creatücliche Selbftbewußtfein allerdings dadurch, de Erkenntniß des Ewigen in fi aufnimmt, ſich unendlic aber es kann nicht überfchlagen in das Selbftbemußtjei ohne fich felbft zu vernichten. Deshalb nennt er es meifteg Weſen, doß fie ihren Schöpfer nicht durchgrür (S. 387, 3). Es tritt hier der nothwendige Selbftw der Myſtit offen zu Tage, welcher darin liegt, daß der in feiner Gottinnigfeit alles Erentürliche aufheben wöckte,

Bber die Seclenlchre Meiſter Ccharra. 2%

fin EntRbnunfehn nicht hingeben Tann, da es fi mit abſoluter Gemißpeit als den umendfichen Hoentitätepuntt des Göttlichen und Gratürlichen weiß.

Die es mit dem Leibe ftcht, während die Seele in Gott ein. xyangen ift, darüber gibt und eine Stelle aus dem Traftat „Schwefter dattei· Auskunft (S. 472, 18). Es foll hier die Entrüdung x Johannes erflärt werden als eine Vorausnahme deſſen, was Am am jüngften Tage gefcgehen wäre. „Der Leib, der in der Isde ſollte zu Nichte geworden fein, der ward verzehret in der Luft, ij nichts mehr in Gott kam, als das Wefen des Leibes, das doch ir Seele gefolget wäre am dem jüngften Tage. Alfo geſchah fen und allen Denen, von denen man faget, daß fie mit Leibe Gott find gekommen.“ Abgefehen von den Entrüchwugen, wobei vergeiftigte Leib (S. 472, 10) durch eimen göttlichen Allmachts ) ‚eine Hilfe”, der Sphäre des Materiellen entzogen wird, tft dies das Schidfal des Leibes, daß er fich zwar in die Materie it, foweit er ſtofflich ift, aber aud nur foweit, denn das Metihe, was von oben ber, von den höheren Kräften in ihm

Yugt ift, bleibt zwar gebunden in der Sphäre des Creatutlichen, 8 dies fi felbft zu feinem von Gott ihm geftedten Endziel ent- hielt Hat, wird jedoch beim Abſchluß diefer Weltentwicklung frei d vereinigt ſich mit der vorausgeeilten Seele. Der jüngfe Tag 5. 470, 40), an welchem dies geſchieht, ift nicht als Gerichtstag dacht, fonderm nur als Vollendung aller kosmiſchen Entwicklung, ken Mittelpunkt die Vergottung der Seele ift.- Es iſt aber dieſe hanifche Wiedervereinigung von Seele und Leib zugleich ein Aufe hen der Materie im den Geift durch den vergeiftigten Leib. An dift diefelbe dann zergangen und zernichtet, aber fie Het, durch Leiblichteit des Menſchen aſſimilirt, ihr höheres Dafein gewon- 1. „Welche Speiſe und Trant der Menſch empfängt, da wird 8 Fleiſch und Blut an ihm. Sehet, fo ift des Chriften imbe, daß derſelbe Leichnam zum jüngften Tage erftehen folk, erftehen alle Dinge und nicht an fich felber, fondern an dem, : fie in fi gewandelt Hat. Darin ift zu prüfen, daß e jegliche Ereatur etwas Ewiges hat in menfchlicher Natur.“ Hl. auch ©. 473, 39.)

296 Wahl, über bie Seelenlehre Meiſtet Echart's.

Ob auf diefe Weife von Korperlichkeit noch die Rede | ift eine Frage, die ſich allerdings nur verneinend beantwo Es tritt auch hier wieder der Grumdfehler des Platoni unfern Meiſter beeinfluffend auf, daß nämlich Geift und Geiſt und Fleiſch, obgleich das Eine nicht ohne das A tann, doch fo wejentlich verfchiedene Principien find, daß letztlich doc immer wieder den Drang in fi) hat, ſich Materie zu befreien umd von allem Körperlichen und F ſich loszureißen. Ohne daß aber das immanente Verh' Geift und Leib richtig gefaßt ift, iſt auch feine fortichre Lich » religidfe Entwicklung möglih. So ftart der Myſ auch betont, und fo epochemachend er dadurch für die fünf logie und Philoſophie ift, fo wenig kommt jie doch be ihrem Rechte. Alles, was neben der Geburt des Sohn noch exiftirt, ift doc nur ein blindes Auf- und Abwogeı türlichen ; die Vergottung felbft iſt aber entweder vollftä überhaupt noch nicht da, in ihr ift deshalb auch feine möglich. Wer noch aufgehend und zunehmend ift am ( an Licht, der kam noch nie in Gott (S. 80, 20). ift auch in dem abfoluten Geifte eine wahre Bewegun ſoll fi Gott zur Dreieinigfeit entfalten vor der Wel Welt foll durch die Öppoftafen erft möglich werden, aber werden diefe doch nur mit ber Welt, fpeciell mit der Seele ( Wo anders gefchieht fermer diefes fich auf fich ſelbſt Wirken Gottes in der Seele, als da, wo die abfolute wird, in dem Innerften der Seele, dort in ber unten Einheit des Nicht, fo daß von dem ganzen Trinitätsverh; nicht einmal der Name übrig behalten wird.

Gedanten und Bemerkungen.

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1.

Zur johenneifhen Logoalehre. Bon

Lie. R. Rohricht in Berlin.

Philo und Iohannes.

Seitdem duch Grotius, Clericus, Gfrörer, Dähne, Keferftein, Ereger, Großmann, Niedner und Undere das Stubium des Philo ind der übrigen Alerandriner in größere Aufnahme gelommen, ben fi die meiften Ausleger des Johannes und Forſcher auf km Gebiete des N. T.’8 (außer Earpzov, Lampe, Hofmann, Lut⸗ ardt, Dorner) der Meinung angefchloffen, daß die philoniſche Lo⸗ logie die Quelle der johanneifchen fei. In Folge deffen ift auch arüber Streit ausgebrochen, ob der Logos des Phil ale perſön⸗ id oder unperſonlich (modaliſtiſch) zu faffen fei, wenngleich die thtere Unficht, durch Dorner und Niedner vertreten, gefiegt zu aben ſcheint. Beide Tragen find jedoch am beften vor der Hand hseinander zu halten und bei der Beurtheilung des philonifchen Anfluffes die Frage nach der Subftantialität feines Rogos bei Seite ılaffen, da der Kombination immer erft die Diftinetion voran⸗

ehen muß.

Daun, Google

zur johanneiſchen ogoslehre. soi

aeaoyoꝛoc (I, 308, 28; 427, 3.4; 653, 24 oh. 1, 18), alein doch eben nur in dem allgemeinen fchöpferifchen, aber nicht hen Sinne zugleich. Der Logos heißt fernerhin Feog (I, 655, 17. 28), aber katachreſtiſch; dmwoögyos (I, 175, 16; 560, 18 - Joh. 1, 3), aber ebenfalls im bloßen creatürlichen Sinne; Wumreös (I, 436, 20; 437, 1. 10; 438, 6 Joh. 1, 18), ter im intellectuellen Sinne; roumv (I, 308, 30; 596, 18 dh. 10, 12), aber im Sinne von Baasledg wie my (mov & Homer). Er tritt gegenüber der &rmsdune (I, 110, 41; 1 350. 40 ꝙoc und oxorle, G&gE), aber nur als pſycho⸗ wid höhere Größe; er heißt doüs adyis (I, 52, 30), Yös 1%, 15; 59, 9; 132, 23) und {or (I, 209, 11. 18 WW. 1, 4), aber die Beziehung der Begriffe von Licht, Leben, Weunft, Sprache aufeinander ift nicht blos philoniſch oder johan- wi, fondern geht fo weit das Gejeg der Ideenaſſociation geht, Malik durch faft alle Sprachen *). Ebenfowenig beweiſen Stellen, wie

Sl. Schlegel, Iudiſche Bibfiothe IT, 28.—288; Benfey, Griechiſches Wurzelwörterbuch II, 108, 127; beſonders aber bie fchöne Ausführung 3. Grimm’s, „Ueber den Perſonenwechſel der Rebe”, S. ba ff. (Abhandl. d. Berl, Mad. 1856). Aehnliches ſprach ſchon Grofmann aus (II, B6ff.). Ueberhaupt irrt man fehr häufig, wenn man anf Achnlichkeit oder Gleichheit don Begriffen und Urtheilen bei verjchiedenen Autoren ohne Weiteres fih zum Schluffe auf ein Abhängigteitsverhättniß Beider beredtigt glaubt. Die Ehinejen erfauden vor den Europäern ben Porzellan und das Schießpulver, das letztere felbftändig madjerfanden. I. Böhme und Gkotus Erigena haben nicht gewußt, daf ihre Säge ſich auch in der hinefifchen und Sanfe hya · Philofophie finden; der Aftronom Adams löfte daffelbe Problem auf gleiche Weife, ohne zu wiffen, dafs deverrier es ſchon gelöft; Leibnitz erfand, wie jetzt durch Boiffon feftfteht, ſelbſtändig die Rechnung des Unendlichen, ohne Newton's gleiche Entdeckung zu kennen. Wir erinnern endlich noch an den gleichen Zug, ber durch die Satisfactionslehre des Nicolaus von Methone und Anfelm, durch die Reformatoren Luther und Zwingli geht, ohne daß fie vorher fich darüber geeinigt. Jeder Gelehrte wird ſchon viele mal dieſelbe Entdedung an fich gemacht Haben, daß in dem ſalomoniſchen Sprache „ES gibt nichts Neues unter der Sonne” viel Wahres enthalten if. (BL Zödler in den Jahrb. f. deutſche Theol, 1864, &. 714 Aum.;

308 Rögriät

I, 213, 22sq.; 241, 1, wo ber Logos Manna gem (ob. 6, 31 35), oder die Bezeichnung des Logos al xAncos (Gfrörer, Philo I, 275. 280. 281 Yoh. denn erftere Stellen haben mit ber johanneifchen dieſelb Tage, das U. T. und letztere Benennung bezieht fich ja bei Johannes auf den Logos, fondern das nveöue &yio

Wollte daher Johannes die philonifche Logoslehre ben blieb ihm nichts Geringeres übrig, als fie ganz umzugleß Benugung müßte dann in der Sprache ſich zeigen; fie wi nicht fo leicht und ſchwer, flüfftg und feft fein, wie fi Haltung und der Charakter des Werkes felbft ſchwanken, Elarheiten, Mißverſtändniſſe fich einfchleichen, wie man unfelbftändigen Werfen genugfam bemerken kann. Ebenfo der Styl und der Charakter des Evangeliums, fpricht di dualität des Evangeliften entfhieden gegen die Abhängi Philo. Johannes war ja der Schliler, der an des Her gelegen, der tiefere Blide in die d6E« feines Meifters u gethan, wie ein Anderer, von ihm nur bewegt und c erleuchtet und erwärmt wurde, wie der Planet von de Wie können wir von ihm meinen, daß er bei Philo d geſucht und gefunden Habe, um das Bild feines Herrn ; er, der zugleich jenen Geift der Heiligen Schroffheit beſaß den Namen des Donnersfohnes gab und im Evangelium liegt in der Schärfung und Spigung der Gegenfäge, wi x00w05 ein fittliches Tohu, die Tovdatos eine Teufelsbr

Weifen wir alfo bie Möglichkeit eines materialen der philonifchen Logoslehre auf die johanneifche ab, fo trit die Frage, ob nicht vielleicht wenigftens ein formaler zu fei. Diefe Meinung erfreut fih ziemlich allgemeinen Beife aber je eine firicte Begründung erhalten zu haben. WIE Gegner derjelben wollen wir eine folche in einigen Fet verſuchen. Eine jede Philofophie hat einen gewiffen tern

Ewald, Bibl. Jahrb. 1858, &. 220 oben; Bleek, Einkeit. i S. 127, Zeile 9-15; Hengftenberg, Chriſtol. WMa, ©. 16°

zur johanneiſchen Logoslehre. 808

hm ihe Syſtem wenn auch nicht angelt, aber doch in beftimmter Beftalt erſcheint. Wir erinnern an die termini: sldos, sub- kantia, fategorifcher Imperativ, Humanität, abjolute Identität, itfie Weltordnung u. f. w., bie in kürzerer Zeit bie in entlege- wre Kreiſe Himabdringen und ſich dort fortpflangen. Wir Haben nfür einen Beweis an indischen PHilofophemen *). Ebenfo gehört herer, daf die Sprüche des Menander, Aratus und Epimenides denfalls auch auf diefem Schleichwege in Pauli Gedächtniß ges hamen jind )). So wäre denn auch ber Rogos als ein damals I Philoſophen⸗ Stichwort auch dem Johannes befannt worden dieſer habe es, das einfache Wort, herübergenommen. Allein fe Analogie Hat wenig Schein von Wahrſcheinlichkeit; denn das ige phifofophifche Leben läßt fi nicht im Entfernteften ver» mit dem Indiens, wo, wie befannt, eine fo große literas Bewegung herrſcht, wie fie noch heute felten fogar bei euro- Völkern ftattfindet. Sodann leiſtet uns ja die Annahme folgen formalen Einflufjes gar nichts; denn man nimmt ihn be für den Prolog zu Hülfe, während das Wort Adyos noch kr denn dreißig Mal im Evangelium wieder -vorfommt... Warum hd man nicht confequent auf alle Stellen, wo Aöyog fteht, ben Imolen Einfluß ausdehnen, der in weiter nichts befteht, als daß \

%) Baſelet Diff. Magaz., April 1865, ©. 188: „Sind doc; bie Refultate der Spentitätsphilofophie dort (im Indien) ſchon feit Jahrtauſenden Gemein-

ı gut der Schulen geweſen und ihre Stichwörter bie in bie niebrigften Kreiſe edrungen“.

b) Wir ſielldg noch Hierher die Bezeichnung des Adyos bei Philo ale eizav 905 (I, 561, 15 2or. 4, 8), al duvanıs (I, 560, 18 Eph. 6,14), zegpaAr (I, 640, 20 ph. 5, 28), der ople als dxgorouos nerge (I, 82, 15 1Ror. 10, 4), des Geſetzes als A6yos Öpıziwds (l, 516, 19 1Tim. 1, 10), Gottes als uövos wopds (I, 885, 25 1Xim. 1,17) u. ſ. w. Siernach wäre das Verhäftniß von Paulus iu Philo auch zu unterſuchen. Dan vergleiche endlich noch dem Sinne nad; Jat. 3, 7 und Soph. Antig. 343—348 und fpradjlic den zedyos yariseng Jat. 8, 6 mit dem orphiſchen rooxos yandasms (Tobed, Aglaopp, S. 798 f.), eine ſptachliche Merkuitebigfeit, bie noch nicht bekannt ift.

804 Nöohricht

das Wort Aöyog von Philo entlehnt ſei! Auch können nicht recht denen, daß Johaunes follte fo viel Gelegenhe haben, den philoniſchen Terminus fo oft zu hören, daß ſchließlich ganz geläufig wurde; denn wir irren wohl ſ wenn wir annehmen, daß die Richtung feines fpäteren w ganzen Lebens durchaus eine innerliche einerfeits und bende andererſeits gemwefen fei. Feſte, gewaltige Geifter, hannes und in feinem Alter laſſen fich nicht in einen Co mit fraufen, leicht beweglichen und modischen Floskeln ein ihnen beftehen, deren formaler Gebrauch fie ſchon abfto weil er nur an eine beftimmte Zeitrichtung erinnert, mäl Sinn auf das Unvergängliche fteuert.

Es bleibt daher dem Eregeten, da auch die Annahme e fluffes der Targumim *) überaus problematiſch ift, nid als die im A. T., der geſchichtlichen Grundlage der neu entwicklung, gegebenen Anhaltepunfte zu unterjuchen.

Iohannes und das Alte Teftament.

Von formaler ‚Seite tritt und hier die Lehre vom 177 copla, fowie anderer Begriffe, die die Manifeftationsact umfcpreiben, entgegen. Dit dem Wort ®) vollführt Gott

8) Bgl. Schöttgen, Lighfoot in den Horis; Bertholdt, Judd., p. 180sq.; Keil, Opp., p. 523sgq.; Rittangel p. 87sq.; Lange, Dissertat. de Targg. [Hal. 1720] unt teeffliche, nod; nirgends genannte Abhandlung: Disceptatio de Sermone Dei.... apud Paraphrastos Chaldaeos, Ireno) (63 Seiten.)

b) Dos Wort ift die vollendetfte Geberde, die Emanation der ve (ogl. Stimme Stimmung; Buxtorf, Lex. Talm., p- 4

Dur mo und Ywrij, Gal. 4, 20) und bem freien Geiſte ſe dig, wie die Thräne dem gedrückten; denn Reben ift ein laut ON» Atyeıy, gdoseı bei Hom., vgl. Philo II, 271, 36; Das Wort if Fleifh, d. h. laut gewordener Geift, ber kräfti— barungsact des Innern und. der einzige Weg, ſich als Perjon | erben: indem ich als Subject mic als Object höre und begr

dur johanneifchen Logosiehee. 306

vi ($f. 83, 9; 105, 31. 34; 107,25; 148, 5), fo die Welt» Bipfung (1 Mof. 1. Bi. 33, 6. Sir. 9, 1. 4Ejra 16, 59. ybt. 11, 3 vgl. Sir. 39, 22). Durch das Wort beftimmt er en Geftirnen die Bahnen (Sir. 43, 11. 4Ejra 16, 57), die nung des Naturproceſſes (Sir. 43, 14. 25) und deffen Unter mhungen (Hiob 9, 4 vgl. Matth. 4, 3; 8, 8.16; vgl. Horft, huberbibfioth. I, 88, 89; II, 28, 64 ff). Auf dem Worte maht die Gemeinfchaft, die Gott mit Iſrael begründet. Es ift ® Gejeg, das Gott durch Moſes (5 Mof. 34, 10. 4 Moſ. 42,8) Ker Zeichen und Wundern (5Mof. 4, 36) offenbart, das Wort Ewigkeit (Pf. 119, 89. Gef. 40, 8), in dem das Volt wan⸗ Ud (2Moſ. 19, 68; 24, 3—5; 34, 1. 27 ff.) eben (2 Moſ. ‚12. 5Mof. 32, 47. Ezech. 33, 5), Licht (Pf. 119, 105. 6, 23) und Rath (2 Kön. 1, 16. 2 Paral. 18, 4; 1 Sam. 1) hat. Gegenüber diefer feften Gejtalt erfcheint das. Wort als bewegliche fortgehende Kraft der Offenbarung bei den hopketen (mg, "by, Ada 1Sam. 3, 7. 1Rön. 8, 31; 8,22. Jeſ. 34,4. Ser. 1,4; 26,1. Ezech. 1,3; 7,1. Wi, 1. Dagg. 8, 1. ngl. 1Moſ. 15, 1. oh. 10, 35), die WLolE theils durch Verheigungen erheben, theild durch Drohungen müthigen follen *). Als zweite Analogie erſcheint im U. T. die ® (oople)®). Sie ift nad dem locus classicus Spr. 8,

%) Die Rabbinen haben an diefe altteftamentlichen Stellen das Theologumenon der dip MD angeiponnen (vgl. Joh. 12, 3Bff. Matih. 17, 5. Apg. 10, 3. Matth. 3, 17. Dan. 4, 28). Bgl. Hollander, Goldbach, Nunfter: De filia vocis [Hafn. 1666]; Ugolini, Thes. I, 244; It, 786; III, 888; Buxtorf, Lex. Talm., p. 820; Hottinger, Thes. II, 1, sect. 4, p. 515; Meuschen, Nov. Test. ex Talm., p. 3508q.; 445sgq.; Tract. Berachot Babyl., deutſch von Pinner, ©. 22ff.; Lubkert in ben Stud. u. Mrit. 1885, II, 684647. Aus dem A. T. dürften zur Erklärung der Genefis diejes Theologumenons noch au rechnen fein: Bj. 29, 8. 4.5.7. 9; 104, 7. Hiob 37,2. Jer. 28, 20. Joel 2, 1. (Eyed. 1, 24. LXX).

») Bol. Brettfchneider, Syſtemat. Darftellung der Dogmatik d. Apokryphen. 6.194— 276; Dähne, Zub. alegandr. Religionspbil. II, 126ff.; 176ff.

306 Röhr icht

22-3832 (von Philo De temul. 244 e led. Freof.] benugt) Erſchaffung der Welt bei Gott (bye, woher die Kabbala Gottes nbssn nennt, nad Jellinek, Cabbala II, 27, wird bezeichnet in den Apofcyphen als ovupßlwosw Yeoi (Weish. 8, 3) es 7) 0;v Hgdvar magsdgos (Weis. | Sir. 24, 4 und Nägelsbach, Nachhomer. Theof., ©. Sie ift Gott nicht dweovarog, fondern von ihm geſcha Sir. 1, 4 (vgl. B. 9) und 24, 3; fie wird als druis duvdnsws xai dnößhoıe Tis Tod navsoxgarog silızgwis (Weish. 1, 7. 25), als dnavyaope Yard zal Eoonıgov dxmlldwvov zig Tod Feod Evegyelaz vgl. V. 29) bezeichnet. Durch fie ſchuf Gott die Welt

22-32; 3, 19. Pi. 104, 24. Jer. 10, 12; 51, 15 7,22; 8, 5; 9, 1ff. Sir. 24, 3. 5 vgl. Targ. Hieros 1, 1. Philo I, 101, 12; 560, 18) und ordnete die W 28, 25ff.; 38, 4 extr. vgl. Weich. 7, 23. Sir. Hiftorifch hat fie ſich offenbart dadurch, daß fie dem Me Sprache verliehen (Sir. 17, 4—6), damit zugleich die | über alle Ereatur, fpeciell im Gange der Heildentwidlung (Weish. 10 u. 11), wo fie ihre ax» für immer aufı (Sir. 24, 8 vgl. 11).. Einem Jeden bietet fie fih als und Lehrerin an (Sir. 4, 11; 14, 23; 15, 2ff. Weish.

7, 17-21; 15, 6); benn fie weiß Alles (Weish. 9,

daher, wer fie als OuußovAov befigt! Im N. T. find di dieſes Theologumenons äußerft ſpärlich *). Nur die befaunte Matth. 11, 19. Luk. 7, 35, wozu man vielleicht noch 8

a) Die Kirdenväter ibentificirten, wie leicht erflärlich und fehr beat if, Aöyos und aveöua (Dorner, Ehriftologie I, 1. S. 226 A. X. auch häufig 12} (Hiob 9, 4; 12, 13. Ser. 51, 18) ihm fonongm ift und auch Philo beide miteinander oft bermed I, 506, 4; 690, 34. 37. 41; vgl. Grossmann, Qua I, 67), wenngleich; auch wieder auf der andern Geite der Ad soplas (I, 560, 31) heißt. Philo nennt die vopke auf) ; :öamov (I, 562, 14; 361, 42; 202, 1) alfo ſchon biete fimmtere Berfonification als in den Apokryphen Die Eabbaliften

zur johanneifchen Sogoelehre.

7

IRor. 3, 21. 24 zählen könnte, ftehen damit einigermaßen in Ber - indung. Hingegen kann man einzelne Stellen ber Apofryphen mit Ötellen des N. T.'s zufammenftellen, 3. B.

Belt. 15,8: 70 yag dnteraadat

? ööaAngos dizmoaden zul el -

Yu 16 xgiros aov dla dhava- das. ‚Beil 2,18: 4 ya dam Ö di. vlds 9oö, dvrikjyperan auror n foern aroy. "Bit, 5,17: Arperas mavonMlav de filov avroõũ. |B.18: Inddonras Iulgaxa dixaio- zul negudrjssrus xögude zpl- ireaözgizor.

N Ray: mugavvorsan eönogoı fo- dergameiv.

Wett. 6,3: Ira Ed0dn magd voö Non H agernaıs duiv zul f du- wwreia nage Uplorov xra.

Bis. 6, 18: dydan H rignas Ihar ach, memoyi fi vöun pe- kuss dpdagaias.

Beish. 7, 18: doyiv zui TeRas yedvav zgomav dAde- is zal ueraßolds xcuoc⸗.

Bıish. 7,26: [rople deriv] dnav- ua pands dikion,

Beish. 11, 24: dyangs yag ze ba.

Cr. 6, 24: zul elatveyxov rols Was aou eis zis nedas zal eis Wald» Aneie row TeagnAdr von.

Ich. 17,8: aüım da Zorw ali- vus Zui, Ira ywuoxwal ae tor uövor dAndıwöv Sedv zul.

Matth. 27, 45: nemodev ini zov Heov: Gwadadw vür adrov, ei la adrov.

Eph. 6, 11: &rdicasse rıjv na- vonAlav toi Seo.

B. 14: bvdvadueron riv Iagaza vis disamaivn. 8. 17: zai iv mepızepalmay Tod awenglov d6- Zaods xrA.

V. 16: & d dwiasade ndrıa z0 Bllm ToU novngod za nenwgw- ubva oßlamı.. .

Nöm. 18, 1: od yag Eazıw dfoe- ale ei u dnd Heod (Joh. 19, 11).

Joh. 14,21: 6 Zyur rac dvroäds Aov zal engov aurds Exsivds dorıs d dyandv we.

Sat. 1, 17: map’ oux Erı ne QuAay # rgomis dnooxlaaue.

Hebr. 1, 3: ös (ze) dr daei- yaoya rüs dings...

Ih. 3, 16: odrw yag nydnnaer 89. 7. zöguov,

Matth. 11, 29: ügare ro⸗ Luyd» nov Ey" Aus weh,

in bie Zah der MID oder MMPD (vgl. Gfrörer U, 18— 52; 200— 272; Hofmann, Schriftbeweis I, 90— 95; Lüde, Johannes

1, 264 ff).

308 Röhrig

©ir. 4,12: Ödyandv aurivdya- Yoh. 6, 47: d nusreni nd Luip zai ol og9elfovses ngis Eye Lwiv airıor. adeıv duninadrsortes eipgosuvng.

Sir. 24, 21: ok dosiorsks us Erı Ioh. 6,35: 6 Epyduero newdoaoı xai ol mivovres us Er ou um newdon zei d nu

dupioovaı. dus 0) dupian nuinore. Weis. 12, 12: zig yug Egei ri Möm. 9, 20: pn dat dnolnaas ; To nkdoarıı- ri ne dmoin

Stellen von geringerer Bedeutung find: Weish. 5, Offb. 2, 10. Jat. 1, 12); 9, 14 (vgl. Röm. 11, 34) (vgl. Joh. 6, 33). Sicher ift, daß aus allen diefen S ähnlich fie auch aneinander zu Elingen fcheinen, jedenfalls fitio geſchloſſen werden darf auf eine Kenntniß bei den heilige ftelfern von dieſen Schriften; daß aljo au eine Entlehn Umarbeitung des coyla *)-Theologumenon® von Yoha bedenklich anzunehmen ift.

Beachtenswerther ijt aus dem A. T. für unfere Theol die 1127 (oder nyypn) ®). Gott offenbart ſich durch jie (5Mof. 12, 5. 46. 4 Moſ. 14, 10; 16, 19; 9, 16 9, 23. 2Moj. 16, 10; 33, 9; 34, 5; 40, 34ff.), in der Stiftehütte und dem Tempel (2 Paral. 7, If. 1 Ku Sie gibt (nad) Gal. 3, 19 der weodens) das Geſetz (2 Moj erſcheint in Vifionen (Ezech. 1, 28; 8, 24; 10, 4; : 44, 4) und zu Gerichte (2Mof. 15, 7. Jeſ. 2, 10. 19

8) oopia. bald im ethiſchen (1 Rön. 2, 9), bald im intellectu (Siob 12, 15; 9, 4 vgl. Spr. 15, 8. 1Xim. 1, 17) gen dem Aoyos (Weish. 9, 10. Jeſ. 11, 3. 2Mof. 28, 3) um (4Mof. 24, 2. Jud. 6, 34; 18, 25. Jeſ. 59, 21. 2Gam. | 1&am. 16, 23; 19, 9. Weish. 2, 17; 7, 22. Sie. 1, 9ff. fononyem (ogt. mg [by] 397 Lam) mm).

b) Im der rabbin. Theologie entfpridht ihr NMING ober NIP> bei Ontelos), mit NNED (4 Mof. 28, 11; 18, 21; 11, 23, 14; 31, 8. Onf.) und MM verbunden (Tract. Beracl Dgl. darüber Rittangel, Jezirah, p. 82sqg.; Ugolini, XXIV, 171sqq.; Meuschen, N. T.ex Talm., p. 422394. ' Bertholdt, Christolog. Judd., p. 121sgg.; Buxto Talm. s. r.

zur johanneiſchen Logoslehre. 309

ht. 23, 20. Matth. 16, 27; 19, 28); ift felbft vom Mofe nicht aufgauen (2Mof. 33, 24). Sie iſt andererfeits im Himmel bMoſ. 33, 26 vgl. Pf. 68, 35), nimmt in Zion (mie oben die role) ihren Platz (Jeſ. 4, 5. Pi. 68, 35) und offenbart fich n der ganzen Schöpfung (Ser. 26, 15. Jeſ. 6, 3. Pf. 104, 31). die ift fpnonym dem oy (Gef. 59, 19 vgl. Micha 5, 3), dem W2Theff. 1, 9), mio (Matth. 6, 13. Röm. 6, 4. 2 Chef. ‚19 vgl. Bf. 57, 6. 12; 108, 6)*). Der Tip oder der Ber Ahnung Gottes, daß er Gott iſt, ift analog die Bezeichnung dottes, daß er tft, durch og ®); denn erft der Name fegt eine xrſon (daher auch das Ehriftenfind in der Taufe benannt wird, 4 den Gebrauch von xzaieioIaı Matth. 5, 9. 19. Joh. 3, 1. Ir. 5, 1; 7, 18ff. Hebr. 11, 18). Der apm dy, ober of (BBıf. 24, 11ff. 5Mof. 28, 58. 1Paral. 13, 6 vgl. 2Mof. %Uf. Buxtorf, Lex. Talm., p. 497) ift ſchrecklich (65 Moſ. %,58ff.), feine Läfterung ift eine Zäfterung Gottes (vgl. Gesen., des. 8. v. 2py und pm). Er ſchlagt in der Gtiftshütte feine dohnung auf (5Mof. 12, 5. 11. 21. 23; 16, 2. 6. 11; 6, 2) wie die 1139, oder im Tempel (1 Kon. 8, 27. 2Rön. 3, 27. 2Paral. 20, 9; 33, 4. 2Sam. 6, 2. Pf. 47, 7) auf und göttlicher Verheißung (1Kön. 8, 29. 2Mof. 20, 24) und Mt im zu (2Mof. 23, 21 vgl. Offb. 19, 13). Seines Na⸗ md wegen wird Gott angerufen (1 Sam. 12, 22. 1Nön. 8, 41. 1.54, 3; 79, 9. Jeſ. 14, 21) um feines Namens willen ver- fiht Gott Geduld (ef. 48, 9. Ezech. 20, 9. Pi. 138, 2), ber preißt man feinen Namen (5Mof. 10, 8. Pf. 61, 9);

) Im N. T. bezieht ſich der Begriff der ddfa (namentlich bei Joh. 2, 11; 11, 14. 40; 12, 41; 17, 22) faft nur auf die Herrlichkeit bes Lebens und der Thaten Chriſti; parallel if fie dev Amosdela (1 Theſſ. 2, 12 vgl. Hebr. 2, 10. Matth. 6, 18), owrngfa (2 Tim. 2, 10) und Ieovos (NY ®B. 11, 4; 47, 9; 89, 5. 15. 30. 37. Jeſ. 66, 1. Sir. 44,7 Matth. 5, 24; 19, 28. Hebr. 7, 49; 8, 1).

) Zur rabbiniſchen Lehre darüber vgl. DW bei Buztorf. Eifenmenger, Entd. Sud. I, 154. 162. 176. 351. 358. 879ff.; II, 882; Horfl, Zauberbibliothet III, 136 ff.; IV, 180ff. 168 ff.

Theol. Stud. Jahrg. 1868. 21

s10 ° Röpriht

Giebt (Pf. 5, 12), fürdtet (Pſ. 61, 6) ihn; baut auf 20, 2; 88, 21; 124, 8. Spr. 18, 10), dankt ihm (Pi ſchwört bei ihm (1Sam. 20, 42), beſchwört (1 Kön. feguet (1 Paral. 24, 13) und flucht in ihm (2 Koön. 2, ift daher nur eine Umfchreibung Gottes, eine Bezeichnun in feiner perfönfichen Einheit, der 1127 parallel (Pf. 102 der ya (Bf: 54, 3), Gott (Pf. 66, 4; 68, 5; 76,2 145, 1) und feiner duvamıs (Apg. 4, 7 vgl. 2Mo Mit 1122 und 497 verbunden kommt er Pf. 79, 9 vo gehört Hierher aber auch noch ‚der Begriff der og, der Gerov (bei Clem. Alex. Paedag. I, 7 heißt Ehri re60wror), oder wie öyıs, facies (Plat. Phaedr., Gic. de Offic. I, ö, 1) die Perſan bezeichnet (ogl. 1Kor Pſ. 34, 6. Jer. 5, 3. Ezech. 2, 7). Man fleht zu (1&am. 13, 12. 1Kön. 13,.6. 2Rön. 13, 4) un (2 Sam. 21, 1. 2Paral, 7, 14). Jehovah fümpfi (2 Baral. 32, 2. Jer. 21, 2; 44, 11. Ejech. 13, 15, 7. ®. 21, 13..3Mof. 17, 10) und bringt Hül 4, 87. Bf: 42,6). Ihm ſynouym ift die mia oder x 4, 37. 1Baral. 16, 11. 2Theſſ. 1, 19). Ste ift in | (Bi. 68, 25). bei Gott (2 Paral. 20, 6. Dan. 2, 20) ſynonym der 127 (Pf. 96, 7; 68, 35. 1Chron. 16, 1, 3. Matt. 24, 30), dem my (Mia 3, 8. Qu. 1 4,14. Apg. 1, 18), der vopie (Weish. 7, 25 vgl. Hic und.Gott felbft (Matth. 26, 64; 6, 13. Apg. 8, | 6, 14. 2Ror. 13, 4. ®f. 59, 10. 17. 18; 105, 4 40, 10; 51, 5) wie aud) das or Gott ſynouym ift (P 105, 4). Der nr endlih ſchafft die Welt (1Mof.

33, 6 vgl. Joh. 1, 3) und die Menſchen (Hiob 33, - 104, 30), feitet die Frommen (Bf. 143, 10) und tri Wort (337) an die Propheten heran (4Mof. 24, 2; 27, 2, 15. 2Baral. 15, 1. Jeſ. 11,2; 59, 21; 61,1. & 2Tam. 23, 2), ift ſynonym der vopie (2Mof. 28, 3. | Weich. 7, 7), wäßrend wieder das Wort parallel m (C 11, 5; 4, 5. 1Rön. 18, 46 vgl. Pf. 109, 27. Matt

zur johanneifehen Logoslehre. u

&t. 11,20), der dövanıs (Hebr. 1, 3) und Gott felbft (Bf. 56, 3.12). Außer diefen allgemeinen Ausdrüden, die die Thätigfeit und das Sein Gottes bezeichnen, ift noch zu erwähnen, daß das LT. aud) einer anderen Reihe von beftimmteren Ausdrücken gött- iger Eigenfhaften das Prädicat der Ewigkeit vindieirt, z. B. außer era (Bi. 104, 31), der Macht (Dan. 7, 14), dem Geſetz Eir. 1, 5. Bar. 4, 1 vgl. Tract. Pesach., c. 4. Tholud, zhetulat. Trinit., ©. 41ff.); dem Wort (Pf. 119, 89; 111, 8. %. 40, 8. 1Betri 1, 23), dem Namen (2Mof. 3, 15. Bf. 185,13. ef. 63, 6) auch der Güte (Pf. 118; 138, 8), der Jude (Pf. 100, 5; 106, 1; 107, 1; 117, 2; 118), ber Ge gteit (Pf. 111, 3. Jeſ. 54, 8), dem Erbarmen (Sir. 40, 17), ia Wahrheit (Sir. 40, 12. Pf. 100, 5; 119, 40) ). Soweit Sr demnach augenblicklich urtheilen dürfen, ift der Logos des Jo— hans daher auch eine ſolche Umſchreibung Gottes, als eines Uletthin fich offenbarenden, thätigen. Doch widerftrebt einer folchen kfung, die augenblicklich vein mobaliftifch erfcheint, nicht auf's arfte der Ausdrud 6 Adyos mv mods 70V Yacv? Dies Ürt ung darauf, diefen Ausdrud näher zu unterſuchen, als es m den Exegeten bisher gejchehen ift.

Daß zunächft reös c. acc. fo viel ald wage c. dat. bebente,

®) Als materiale Grundlage des Logos hat man (Hengftenberg, Chriſto- fogie III, 26. ©. 60-86) den ISO des . TS berbeigezogen (ogl. Ruck, Geſch. des Alten Bundes I, 144—160), allein der Beweis für bie Berechtigung und Nothwendigleit dazu ſcheint uns weder im exegetiicher noch dogmatifdier Beziehung Hinveichend. Auch ift diefes Theofogumenon fo dunkel, daß die Acten des Streiteg darüber wohl nie werden geſchloffen werden Können, alfo auch eine fefte Erfenntniß für unfer Theologumenon ju gewinnen nicht möglich ſcheint. Weber die rabbiniſche Lehre darüber vgl. Meuschen, N. T. ex Talm., p. 709sqg.; Grätz, Gnoflicism., ©.44f.; Bertholdt, Christol. Judd., p. 1205qg.; Hengſteuberg, Chriſtoi IT, 2. S. 78ff; Lighfoot, Hor. Hebr., p. 738; Eifen- menger I, 18; II, 20. 375; Buxtorf, Lex. Talm. s. v. NbDıD; Ugolini, Thesaur. VIII, 261 sqq.; Schmieder, Interpretatio, loci Gal. 3, 19, p. 4lsgg.; Dillmann, Henoch XLIsg.; Erſch und Gruber?s Enchelopädie: „Zuben“, S. 41 Anm.

21*

812 Roͤhricht

iſt aus einer Reihe von neuteſtamentlichen Stellen (vgl. zu Mark. 6, 3) erſichtlich, fo daß ſich nicht begreifen Baur (Dreieinigkeit I, 97) und Meyer nod ein M Bewegung heraus» resp. Hineindeuten können. Der Aust zıva ebvar fommt im A. T. ziemlich) Häufig vor, und nächſt da, wo zwei Perfonen oder Saden im localen 2 zu einander ftehen (1Mof. 23, 4; 27, 44), oder im c und temporalen (1Mof. 18, 23. 25. Hiob 3, 14; 9, 2 40, 15. ®f. 73, 5; 89, 18; 120, 4. Kohel. 2, 16) juridiſchen (1Mof. 29, 25. 30), im religiöfen (1&aı Bi. 18, 24), freundfchaftlihen und ethifchen (1Moj. 28, 10; 21, 22; 31,5. 4 Moſ. 24, 2. 5Mof. 31, 17 17, 2. 2Paral. 25, 17; 31, 21; 32, 8. 2 Rn, 3, 40, 10. ®j. 89, 25 gl. Joh. 14, 9. 16; 16, 4. 32) aber wird der Ausdrud by, My, .oy mo and Perſon gebraucht, um eine geiftige Thätigleit zu bezeich 1Rön. 8, 17. 1Paral. 28, 2. 2 Paral. 6, 7; 24,

8, 5. Jeſ. 59, 12 (vgl. LXX dazu), Hiob 9, 35; 12, 10, 13 (vgl. 2 Paral. 1, 11); 14, 5; 27, 11 (vgl. 9 50, 11; 16, 11; 51, 5; 69, 20; 73, 22. 23. 30 2 Petri 3, 8), und zwar fpeciell eine intellectuelle

bie wieder theils als Thätigkeit allgemein in Betracht Ton als ſolche, die die Einheit des Berfonenbewußtfeins, das wiffen vermittelt. Andererſeits fällt eine zweite Reihe v in's Gewicht, wo ımfer Ausdruck gebraucht wird, um der (merkwürbigerweife im A. T. nur von Gott gebraucht) ethifher Kraft und Thätigfeit zu vindieiren, 3. B. 13. 16 (vgl. Pf. 78, 11); Pf. 130, 5, 7 (vgl. Bf. 36, 10 (vgl. Jer. 17, 13. Pf. 68, 27); Dan. 2, 22 1, 17); Spr. 8, 30 (vgl. Weish. 9, 4. Sir. 1, 1) alfo der Ausdrud: bei Gott fein logiſch daſſelbe ift, ale fein; denn nur dadurch, daß Etwas in einer Perſon ift,

Befiger des Etwas, hat es durchaus und nothwendig *). 5

a) Man vergleiche im Deutſcheu: es fieht bei mir; bei, mit,

| ! zur johanneiſchen Logoelehre. 818

noch Marer und exegetiſch unumſtößlich dur den Sprach⸗ rauch. Dan vergleihe 5Mof. 30, 14, wo by ganz beftimmt das folgende 7 erflärt wird (Röm. 10, 8), ferner Hiob 6, 4.

al. 28, 12. Pf. 3, 3 (ogl. Hiob 12, 16); Jat. 1, 17.

Bf. 78, 11 (vgl. Hiob 12, 13) fowie Gesenius, Lexic. 8. v. 177. Ebenfo fpricht der nenteftamentliche Sprachgebrauch für uſere Behauptung; denn Aoyilsogas rreög Savsods (Mark. 11, 3. Cut. 20, 11. 14), oder ag’ davrois (Matth. 21, 25 vgl. Moſ. 23, 21. 2Sam. I, 9. Apg. 20, 10) ift daffelbe wie dv arois (Matth. 16, 7) ober Asysım Ev Savrois (Ruf. 3, 8; 3,4. Matth. 9, 3. 21; 21, 38)*). Damit ift num gewonnen, ns olfo das Verhältniß zwifchen Aoyos und Feog das ift, daß er in letzterem ruht, daB er von ihm umfaßt wird als das Spieliere, Beftimmtere von dem Allgemeinen, und wir fehließen, Wi den diefes Allgemeine (eos) ſich ſpeciell als Aöyos beſtimmt. Der Schluß iſt ausgeſprochen in dem Satze 8oc 7v à Adyos, +. Gott ift eben der Logos, ein Sag, der einen Fortfchritt zum ktimmteren herbeiführt. Diefe Art im Gedanken fortzuſchreiten tim A. T. gewöhnlich (vgl. Pf. 130, 7 Bi. 59, 18; 36, 10

ſprechen, es wohnt ihm fein guter Geift bei, laß dir dies nicht be ikom · men; bei Verſtande fein; ferner Xenoph. Memorab. I, 2, 10: r5 Big nedasow EySom zei xivdwvo; ibid. 1, 8; 2, 84; Corn. Nep. Themist. 7: penes quos; Livius IH, 3, 87; IV.4, 3 apud in ahn - fihen Sinne. Der philoniſche Sprachgebrauch klingt allerdings auch an, à B. I, 298, 11: mods dAnseav eivas; aber Stellen, wie I, 35, 3; 1, 193, 4; 199, 8 u. f. w. entfernen fi) weit. Mit 9x DY+ MR für 7 wedifelt im A. T. mitunter auch ON ab, 3. B. Bi. 3, 9 (vgl. 8.3); 7,12; 28, 7; 144, 2; 68, 8 gl. 42, 5; 50, 16; 9,20; 15, 3. Eech 33, 19. SJeſ. 42, 5; 38, 16). Dieſes Schwanken ber Präpofitionen ift eine nicht nur in ber hebräiſchen Sprache, fondern überhaupt bei allen Vöftern oft Hervortretende Erſcheinung. Wie großer Werth aber gerade auf der feharfen Beſtimmung ber Bräpofition Tiegt, ift 3.8. bei ber Hegel’« [hen Logik deutlich. Wie lönnen wir aber den Sinn unferer in frage fiehenden Präpofition erfaffen, wenn nicht in der verſuchten Weife? ) Häufig vertritt auch Mit» d die Präpofition 5 c. gen., 3. ©. Siob 12, 18. Hofea 1, 9. vgl. Eye. 16, 8. Pi. 118, 6. 2Tim. 1, 5. 18; 3,1. 10.

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Necenfionen.

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1.

der Hirte des Hermas. Ein Beitrag zur Patriftit von D. Ernft Gaab, Pfarrer. Baſel 1866.

Ban man die zahlreichen und ausführlichen Beſprechungen auch ar theilweiſe überblict, welche in den letzten Jahrzehnten den Ieten des Hermas nad; Seiten feiner geſchichtlichen Bedeutung, iner Lehre umd feines Textes zum Gegenftand gehabt Haben, fo eht man an biefem in feiner Art einzigen Denkmal der älteften irhe fih im fteigendem Maße dns Wort des Dichters erfüllen: Bas wir verftehen, fünnen wit nicht tadeln.“ Während die an gende Kritik des "vorigen Jahrhunderts ihre Geringfchägung gegen "8 gefehmacklofe Buch nicht Hart genug ausdrücken konnte, während ’% Jachmann in dem nadten Gerippe, das er aus demfelben Nparirte, das Buch als ein geiftlofes Werk gezeichnet zu haben aubte, das fich weder durch Neuheit der Gedanken, noch durch khönheit der Form auszeichne, vielmehr reich fei an ſeichten Bes erfungen und abgeſchmackten Bildern, ohne Einheit des verbin- aden Gedankens, eine Schmarogerpflanze der Apokalyptik, welche Dft ſchon ein Auswuchs, ein Stieffind ber alten Prophetie ges den“), fo hören wir jegt faft überall die edle drAdens rühmen, he das Buch ſelbſt fo oft empfiehlt, die naive Freimüthigfeit . ns vom Geiſt geweckten Bußpredigers, wie er troß feines Ju⸗ iitmus auch der alternden Kirche der Gegenwart noch zu wunſchen

3) &,56F. feiner Schriſt über den Huten des Gerums,

320 Gab

wäre *). Einen bedeutenden Schritt auf diefem Wege Anerkennung würde man zu thun haben, wenn es ber vorg Schrift gelänge, ihre Auffafjung des Buches geltend zu Sie ift eine frembartige Erfcheinung unter den neueren über den Gegenftand und feheint ſich felbft einer günfti nahme bei den Vorgängern und Mitarbeitern nicht zu Der Verfaſſer wendet ſich daher bei alfer Ausführlichkeit einanderfegung mit biefen wiederholt und vorwiegend an die , noch auf der Schwelle kirchenhiſtoriſcher Studien ftehend Togen“, denen er eine zu weiterem Forfchen anregende in das Studium des Hirten bieten möchte, etwa das, ſelbſt einft für Tertullian Haffelberg’s Schrift geweſen ift. man zu biefer nicht unrichtigen Parallelifirung Hinzu | Hervorhebung der kirchenhiſtoriſchen Verdienfte von H. W. J. welchem der Verfaffer auch in unwefentlichen und unrichtige folgt, und endlich das apoftolifhe Wort, mit welchem er To nveüne um oßevvurs, rgoymrelas un &Eovdeveire fo möchte die Gefammtanfhauung, von welcher die Unt getragen ift, einigermaßen bezeichnet fein.

Das Gefühl einer felbftändigen Stellung zu den Fi älteren Kirchengefhichte und das Bebürfnig, derfelben Au geben, welches ber Verfaffer ausfpricht, werden durch bie nicht nur befundet, fondern auch als berechtigt erwiefen, erbetene Zeugniß, daß er durch liebende Hingebung an be ftand deſſen eigenthümliche Art und Weife in's Licht zu ft fucht Habe, ſoll ihm Hier wenigftens nicht verfagt werde andere Frage ift es, ob gerade für diefe Stellung zum die gewählte Form der Behandlung die natürliche und nannten, ja überhaupt für jeden Zwed der eingefchlagene geeignete war, welchen ber Verfaſſer den Hiftorifc -ritifd und einer „mehr dogmatifchen Behandlung“ oder einer , ftellenden Behandlungsweife* gegenüberftellt. Es entwidel eigene Auffaffung an dem Faden einer Gedichte der Be des Hirten von der Zeit feiner Entjtehung bis auf die

8) 3. B. Hilgenfeld, Ap. 8. 127. Herm. pastor. proleg. X

der Hirte des dermas. 321

Handlungen von Lipſius. Es ergibt ſich dadurd) nicht blos für den Recenfenten die eigenthümliche Aufgabe, eine Reihe immerhin ingehender Recenfionen vecenfiren zu follen, fondern es wird auch gerade Denen, welche erft durch diefe Schrift mit dem Stoff und finer Literatur befannt gemacht werden follen, in hohem Grade erihmwert, einen einheitlichen Eindrud von den Dingen felbft, wie von des Verfafjers Urtheil über diefelben zu gewinnen. Kein Ju- ſaltsverzeichniß, feine fortlaufenden Ueberſchriften, kein Regiſter leihtert die mühjame Arbeit des Suchens z. B. aller der Stellen, m das Verhäftniß des Hermas zum Montaniemus befprochen wird, weil faft alle Eritifirten Vorarbeiten Anlaß gaben, darauf iiugehen. „Die kritiſchen Verhandlungen über den Hirten“, durch welhe der Verfaffer auf feinen Weg gedrängt zu fein glaubt, for« km unferes Bedünkens den davon Unbefriedigten zu einer ganz abern Arbeit auf, zu einer vollftändigen Behandlung de Mar krnls nach fachlicher Ordnung umd zu. einer mit beftändiger An« Yang des Ganzen verbundenen Einzelerklärung eindringenderer it, als dem Buch bisher zu Theil geworden ift. Es würde diefer ormellen Seite hier nicht fo ausführlich gedacht fein, wenn nicht hen daraus ſich manche auch fachliche Unebenheiten der vorliegen» im Arbeit erklärten, und wenn nicht, was noch mehr zu bedauern t, die Beweiskraft auch der richtigften Erkenntniſſe ſich dadurch iſplitterte.

Es ſind deren nicht wenige, und es iſt der Muth zu ehren, mit dem der Verfaſſer in mehr als einem Punkte geradezu herr⸗ kenden Vorurteilen entgegentritt, vor allem in der Frage nad) m Verfaſſer und der Abfaffungszeit des Hirten. Ober ift es wa nicht eine Verirrung bes kritiſchen Gefhmads, wenn man in er Hinficht den Hirten mit dem vierten Buch Eſra, den Tefta- enten der zwölf Patriarchen oder den apokryphiſchen Apofalypfen oftofifchen Namens zufammenftellt? Wan möchte diefe Frage meinen, wenn man fieht, mit welcher Einjtimmigfeit und Zur tſicht die befonnenften Forſcher fo gut wie diejenigen Gelehrten, {de fi vorzugsweife den kritischen Beftrebungen widmen, katho— Ge wie proteftantifche Theologen das Buch des Hermas für ie Fiction aus der Mitte des zweiten Jahrhunders erklären.

322 Gab

Während Bleek 1819 noch ungeftraft jagen durfte, daß feine inneren Spuren einer abfichtlichen Uuterſchicbung trage *), und Neander es nur für fehr zweifelhaft erflär Schrift von dem „apoftolifhen Hermas“ ftamme, wir trog vereingelten Einſpruchs als eine feines - Beweifes Thatfache. behandelt, daß der Verfaſſer für den „apoftolifchen (Röm. 16,.14) gelten wolle, ohne es zu fein d).

Die im weiteren Sinne geſchichtlichen, die Situation di ftellers zeichnenden Elemente einer Schrift, welche Erzeu beftimmten, wohl erfennbaren Zeit fein, im Falle einer F Jahrzehnte oder Jahrhunderte Hinter ihre wirkliche Gege rüdbatirt fein will, find entweder 1) im vollen Sinne g oder fie find 2) der Ueberlieferung über die Zeit un welcher die Schrift fäljchlih angehören will, entnommen find 3) reines Gedicht. Im erften Fall ift das Unbe für unfer Verftändniß der Schrift Gleichgültigfte, oder den fpätern Leſer Unverftändlichfte gerechtfertigt; und | uns die genannten Eigenſchaften entgegentreten, erregen ftärtfte Vorurtheil der Geſchichtlichkeit der davon behaftete und damit ber Echtheit der Schrift. Ein zurüdgelaffene eine medicinifche Anweifung für den ſchwachen Magen eines Notizen über Perfonen, deren fehr gebräuthliche Eigennan berühmten Träger aufzuweijen haben und feine fymbolifch zufaffen, find Züge, die man ſchwer für erfundene ausg Der zweite Fall, in welchem die erzählenden Züge das Mittel zur Bewirkung der Illuſion find, ift in dem Mi zu erfennen, als es uns ſchwer ift zu beftimmen, was ü ftehungszeit der Schrift an Ueberlieferung über die Zeit, fie ftammen will, vorhanden war. Aber zum Beweife, Ball vorliege, gehört vor Allem, daß gezeigt werde, wi liegenden gejchichtfichen Elemente überhaupt Inhalt ein tieferung, gleichviel ob einer richtigen oder falfchen, feiı

2) Theolog. Zeitfchrift von Schleiermacher, de Wette, Lüe ©. 148. b) &o wieder Lipfins in d. Zeitfehe. f. wiffenfch. Theol. 1865,

der Hirte de Hermas. 823

ner Ueberlieferung, welche im Gedächtniß einer fpäteren Generation io feft Haftete, daß fie dadurch trügficher Weife in die frühere Zeit prüdverfegt wurde. Der dritte Fall tritt bei Schriften ber ge- annten Art wohl niemals rein auf. Cr findet ſelbſtverftündlich gr nicht ftatt, wenn die Schrift wirklich Ausfage der Gegenwart it, deren Schein fie am ſich trägt, und auf welche fie wirken will. Aber auch die Ahficht, für das Erzeugniß einer früheren Zeit er kannt za werben, Tann eine Schrift durch rein erdichtete Züge nur reihen, fofern diefelben mit mehr oder weniger Geſchick ſich an- nen an hiſtoriſche oder ‚fagenhafte Elemente, und wären es auch a ein paar Namen, welche in der Ueberlieferung verbunden waren ; Kb. nur der Hiftorifche Roman kann den Schein der Gefchicht- ühleit erregen. Aber es ift bei der Annahme einer ſolchen Miſchung KR dorderung zu ftellen, daß Alles, was nicht aus dem Zwed der kaiihtigten Illafion, alfo als Beſtandtheil der vom Dichter ber age Tradition erflärt werden fann, aus dem Zwed der Schrift Abit, welchem die Fiction nur zur Stüge dient, erklärt werde, MW auf dieſer Forderung ift um fo beharrlicher zu beftchen, je aufiher die ernfte Abficht einer praftifchen Einwirkung Hervortritt, !meniger das Ganze den Charakter abfichtslofer Dichtung trägt, id je weniger die fraglichen Züge ein in ſich verftändliches ‚und Miehendes Bild Tiefern.

Legt man diefe Maßſtäbe, deren Selbftverftändlichkeit leider ihre xtvorhebung nicht überfläifig macht, an den Hirten des Hermas 1, fo ſtellt fich die Unmöglichkeit der Annahme einer Fiction bald mg heraus. Niemand wird leugnen, daß die Situation, welche 4 der Verfaſſer des Hirten, der von Anfang bis zu Ende in fer Perſon redende Hermes gibt, eine für Leſer, die nur durch * Schrift felbft damit befannt find, in hohem Grade undeutliche 1, daß fie alfo auch nicht zu dem Zweck gezeichnet fein kann, um (hen Lefern, die alfo mit uns in dieſer Hinficht auf gleicher tufe ftänden, einen anſchaulichen gefehichtlihen Hintergrund für * berichteten Biftonen zu jchaffen. Diefe Notizen und Andeus ugen, welche immer nur gelegentlich und zum größten Theil fichte h ohne alte Abficht Hiftorifcher Belehrung oder dichterifcher Täu- jung gegeben find, fegen bei den erften Leſern des Buchs, welche

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der Verfaffer im Auge hatte, eine größere Kenutniß der voraus, als wir fie befigen. Nur mit großer Mühe gewi aus biefen Anzeichen eine ungefähre Vorftellung von dei verhäftniffen des Hermas; jeder Verſuch, fie auszufpreden gleich folgende, wird fih auf Widerſpruch gefaßt mache Es ift dies völlig begreiflich, ja das eigentlich Natürlid ein Schriftfteller zu feinen Mitbürgern, zu den Gliede eigenen Gemeinde redet, welche ihn und feine einfache fennen, und nur in zweiter Linie an Lefer anderer Orte, gar nicht an Leſer fpäterer Zeiten denkt. Will aber der durch diefe Züge den Schein hervorrufen, baß er ein vor ı zwei Menfchenaftern ®) dagewefener Mann ſei, fo muß der Ueberlieferung feiner Gemeinde, jeines nächſten Leſerkr nommen haben, und diejenigen Züge am meiften, weld Form der Erzählung vorgetragen find. Sehen wir fie einmal an!

Der Hermas, welder ſich mit diefem Namen als göttliher Offenbarungen einführt, ijt entweder in der geboren oder früh in diefelbe gerathen, dann von dem $ deffen Haufe er aufwuchs ®), an eine in Rom lebende Frai Rhode verkauft worden. Er ſcheint darnad nicht in Nor zu fein). Während fein früherer Herr ſchwerlich ein weſen ift denu driftliche Herren werden ihre Scla verkauft haben —, jcheint Rhode eine Ehriftin zu fein; dem Moment, in welchem die Viſionen des Hermas beg ſcheint fie ihm vom Himmel her, in den fie aufgenomme zeichnet ſich als feine Verklägerin vor Gott und mahn Hriftlicher Buße. Zwiſchen jenem Verkauf an Rhode

2) Wenn man Röm. 16, 14 um 58, den Hirten um 140 geſchriebe

b) Denn ein Bater oder Bormund (d Ipeyas us) wird nicht I Sohn verkaufen, zumal ein jübifdher; die Sprache des Hermi daß er durch Geburt und Erziehung, ober durch Ießtere allein, war.

c) Es Hönnte das eds Pulp auch nach vis. 2, 4 (eis Tavım ef. sim. 1) erffärt werden „in Rom“. Aber bie Erwähmmg | namens fpricht dagegen.

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Jugend und dem Augenblick, in welchem bie Offenbarungen be» ginnen, liegt ein Tanger Zeitraum, deffen Inhalt fehr umdeutlich Meist). Ob fie ihn noch bei Lebzeiten freigelafien, oder ob er et nach ihrem Tode, der dann ſchon längft erfolgt ift, frei ger worden iſt; ob er ſchon Chriſt war, als er zu ihr fam, oder ob es in ihrem Haufe geworden ift, im Haufe ber beften Frau, die er ſtets als Herrin und Schwefter geehrt Hat, läßt ſich nicht jagen. ebenfalls hat er nach längerem Dienftverhäftnig längft fie felbftändige Stellung gewonnen. Er hat wahrſcheinlich durch, dandelsgeſchäfte ein bedeutendes Vermögen erworben, nicht ohne hädigung feines geiftlichen Lebens (Vis. II, 6. Mand. 3; 4,2; 10, 1) und BVernadhläffigung der nöthigen SKinderzucht {is I, 3). Die Folge davon war, daß feine Kinder mißriethen Wihn und feine Frau, wie es fheint, bei einer Verfolgung der ‚Dirgteit verriethen, und überhaupt ein ſchlimmes Leben führten (fs. I, 3; I, 2. 3). Es ift die Strafe feiner Verwiclung in wtlihe, auch wohl unredfie (Mand. 3) Geſchäfte, und, wie es heint, unmittelbare Folge feiner mangelhaften Findererziehung, daß hm fein Reichthum genommen ift, wohl durch Confiscation feiner Püter , welche bei einer Verfolgung ihn traf und durch jenen Ver⸗ ah feiner Kinder veranlagt wurde d). Sogar fein Haus ſcheint

4) Bergebfich ſucht man auch bei Gaub eine Erklärung des Buchanfangs, welche doch für die Einführung der „jüngeren Theologen” jo nöthig wäre. Die älteren, noch auf der lateiniſchen Vulg. beruhenden Angaben bei Jach- mann und dilgenfeld find antiquirt. Wenn man auch jet ſich nicht ver- anlaßt fieht, etwas zu jagen, fo ſcheint man ſich die Schwierigkeit der Sache zu verbergen. Was Heißt hier dveyvwgundunv, da doch von einer Trennung des Hermas von feiner xvola Nichts geſagt iſt, und wie ift die Tiberfeene zu erflären, da doc „nach einiger Zeit”, ohne baf von bem inzwijchen erfolgten Tode ber Mhode gelagt wird, biefe als im Himmel befindlich, alfo chriftlich geftorben angejehen wird? Muß dann nicht die Scene im Tiber ſchon eine viſionäre, gleichfalls dem Tode Rhode's erſt folgende fein, und dann auch der Cod. Lips. mit feinen Zgovos moAdol Recht behalten?

b) Vis. I, 3; III, 6; auch Vis. I, 3 wird nad) dem Zuſammenhang das zarspddens dnd Tüv Auwrexev odkeov vom Verluft zu ver⸗ eben fein.

Theol. Sind. Jahrg. 1868. 22

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er verloren zu haben (Sim. 7 fin.). Er gehört zu den 9 bei denen es zum vollen Martyrium nicht fam (Sim. 8, falls aber ift er in eine gefahrvolle Lage gerathen, in ı fig um „Abfall von dem lebendigen Gott“ handelte (Vi Geradezu verarmt ift er nicht. Hermas hat draußen vor feinen zehn Stadien von der Via Campana gelegenen 9 IV, 1), wo er felbft Aderbau treibt *). Aber es hat ſich feine Tage auch geändert. Sein Weib zwar macht ihm

durch feine böje Zunge; feine Kinder bedürfen noch vieler : er fol den Schmiebehammer des täglichen Mahnworts u ſchwingen (Vis. I, 3). Aber im Verlauf der Offenbaru fie ihr Unrecht gründlich eingefehen; die Noth, welde

willen auf Haupt und Gliedern des Haufes noch laftet, mehr eine Uebung im Leiden and) für jene (Sim. 7). ift ein Laie; auch ein Prophet im apoftofifchen Sinne d ein Prophet, wie er ihn felber ſchildert (Mand. 11), il Daß er Offenbarungen empfängt, ift ihm felbft überra macht ihn noch nicht zum Propheten, da Hierzu Bifione forderlich find, wohl aber die vom Geift getragene öffen Im Haufe zwar gebraucht er das freie Wort, auf die und ganze Kirche aber wirft er wefentlich durch Mittheil weiſe eigene Vorlefung der jchriftlichen Aufzeichnung fei niffe. Wenn er auch mündlich die Vorfteher und ande der Gemeinde ermahnt, fo ift das ein voudszeiv gewef auch der Grapte aufgetragen wird (Vis. IL, 4), d. h. e Tefung der ſchriftlichen Aufzeichnung beftehendes, jedenfalls fußendes. Zur Verbreitung derfelben in auswärtige

bedient er ſich des mit diefem Verkehr beauftragten Clen ebenjo der ſchon genannten Grapte zur Mittheilung an d und Waifen. Nehmen wir nod Hinzu, daß ein gewiffer der in einer Verfolgung verfeugnet hat, unter Hinweis große neue Verfolgung gewarnt wird, fo haben wir alle Züge beijammen. Und durch diefe fol ſich der Verfaſſer, der römifchen Gemeinde um die Mitte des zweiten

8) Darauf führt das Zondereis des Cod. Sin. (Vis. M, 1).

der Hirte des Hermas. 8237

derts ), den Schein gegeben Haben, der „apoftofifche Hermas“ zu fin! Da fich nicht annehmen läßt, daß der Verfafjer bei der zu dem Ende gefchaffenen Situation meiften® aus der Rolle gefallen fi und etwa einen zu feiner Zeit Iebenden Marimus und eine gleichzeitige Grapte und dergleichen mehr eingeführt habe, wodurch der erjte befte Lefer in Rom, jedenfalls aber Marimus und Grapte felbft, auf die Täufchung aufmerfjam geworden wären; ba ferner. fait alle thatfächlichen Verhältniſſe recht im Gegenfag zu der fon- fügen Breite des Buches nicht befchrieben, erzählt und erklärt find, fondern ihre Kenntniß vorausgefegt wird, jo müfjen fie der Tras dition der römifchen Gemeinde angehört Haben und zwar in viel größerer Ausführlichkeit, als wir fie erkennen. Hilgenfeld, der diefe wderderung im Prineip anzuerkennen ſcheint (Ap. ®., ©. 161), hitxänkt den traditionellen Stoff in einem Maße, in welchem er ‚bez erffärende Thatſache unerflärt läßt.

dit dag 16. Eapitel des Nömerbriefes, wie fo vielfach angenom- an wird, unecht, vielleicht an einen anderen Ort adreffirt, fo hat 8 unferes Wiſſens zur Zeit des Apoftel® Paulus in Rom gar kinen Chriften Namens Hermas gegeben, von welchem ſich achtzig Rhre lang eine Weberfieferung Hätte erhalten können. Es hätte ich erft auf Grund der fälihlih an den Romerbrief angehängten Zrüße die irrthumliche Meinung gebildet, daB mit den vielen dort von Paulus gegrüßten Perfonen auch Hermas der römifdhen Ge zeinde angehört habe. Warum man fi dennoch diefen nadten, die Origenes fo richtig bemerkte, durch nichts ausgezeichneten Namen ver allen anderen als feften Stod der umftändlichen Sagenbildung md zwar einer fo harmlos häuslichen Sagenbildung, wie die Refte ie erfennen laſſen, follte erwählt Haben, wäre unbegreiffih. Und % hätte dies längft vor Abfaffung des Hirten geſchehen müſſen, o dag der Verfafjer deffelben nur mit wenigen leifen Strichen an vn Helden der Sage hätte zu erinnern brauchen, um für ihn zu

¶) Diefer Zeit hat ſich and) Hilgenfeld (Herm. prol. XX) genähert, wäh. rend er früher eine Abfaffung fogar noch in den letten Zeiten Trajan’s fir möglich hielt (po. Bäter, ©. 160) und die Zeit vom 120— 180 annahm (Zeitiche. f. wiffenfh. Theol. 1858, ©. 440).

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gelten. Aber gejegt auch, jene Grüße waren nad) Rom | wie Hilgenfeld meines Wiffens auch jegt noch annimmt; alfo dort ein gemiffer Herma, den man nur nicht einen ſchüler oder apoftolifh nennen ſollte, weil einmal ein Apo Gruß an ihm gerichtet hat; ift denn das, was unfer & feinem Hermas fagt und andeutet, irgend geeignet, Inhalt lange andauernden Gemeindetradition zu fein? Konnte f Schriftfteller, welcher fi nad) einem ehrwürdigen Na apoftofifchen Zeit umfah, um unter deſſen Schirm feine W und Weiffagungen in die Gegenwart einzuführen, feinen finden? Es ftehen Röm. 16 doc glänzendere Namen, | es auc ohne dies Gapitel fein würden, uud folhe, die dronifus und Junias und alle Folgenden hier von Paulu erhalten. Wenn aber auch die Beſcheidenheit ihn trieb, fheinbarften zu wählen, was, wie Ga&b richtig bemerkt

der Weiſe folcher pfeudonymen Scriftfteller durdaus wit wollte er bei aller Befcheidenheit feinen Zwed erreichen,

er andenten, daß er der dort Genannte fei. Er mußte

fomehr thun, je weniger auffallend der Name war. nicht nur noch einmal zur Zeit des Biſchofs Pins vor, er abgejehen davon, daß er als dorifche Form neben Hermes Verwechſelungen Anlaß gab, nad) Ausweis der Wörterb gar nicht feltener. Er mußte, wenn er überhaupt für ein der apoftolifchen Zeit gelten wollte, ohne es zu fein, Be zu irgend einem Apojtel fingiren. Bekanntlich wird in Buch weder die Zwölfzahl der Apoftel, noch einer der Zu Paulus genannt, und auf den Römerbrief insbefondere

an einer einzigen Stelle Rüdficht genommen *). Das

Abrede Geſtellte Kiejt man zwar Häufig, z. B. bei Baur (C u. 8. der drei erſt. Jahrh. ©. 135), Hilgenfeld (2. wiſſenſchaftl. Theol. 1858, ©. 439; Herm. proleg. XV fonderbarer Weife auch bei Gaab (S. 102). Aber daru nicht jo. Die einzige Stelle, auf welche man verweift (Sim.

a) Die Berüheung mit Röm. 2, welche Gab anfühet, if mi (©. 118).

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ſtelt nur die für die Kirche beftimmte Menfchheit unter dem Schema kr zwölf Stämme vor und läßt diefen durch die Apoftel den Sohn Gottes geprebigt fein, fagt aber nichts über, die Zahl der Apoftel. Die Zahl „der Apoftel und Lehrer der Predigt vom Sohne Gottes“, welche überall als einheitliche Maffe erfcheinen, ohne dag zwiſchen Kpofteln im engeren Sinne und kirchengründenden Lehrern der erften Generation unterfchieden würbe (Vis. III, 5. Sim. IX, 15. 16. 25), wird vielmehr (Sim. IX, 15) auf 40 angegeben. Wer gibt uns tin Recht, diefe Zahl in 12 und 28 zu theifen, oder im 17. Ca— Pit eines Gleichniſſes die beiden vorigen vergeffen zu haben? Bern man hier (Cap. 17) den Hirten das Wort drrdarolos in ken befannten engerew Sinne und zwar mit abfichtlihen Ausſchluß Uderer auf die zwölf Apoftel anwenden läßt, fo bitrdet man ihm wenteuerliche Meinung auf, daß diejenigen Menfchen, welchen At einer der zwölf Apoftel, fondern irgend einer der erften „Lehrer Me Predigt vom Sohne Gottes“ das Evangelium gepredigt habe, Im dem ſymboliſchen dodsx&gyvAov auszuſchließen feien.

Der Name des Hermas hat auch beim Erſcheinen des Buches m nicht die Meinung erwedt, baß es von dem „apoftolifchen jermas“ ftamme. Man wird dies doch nicht daraus ſchließen vollen, daß Irendus es als „Schrift“ citirt. Jrenäus möchte ine apoftofifche Begrüßung ſchwerlich als Bedingung der Inſpi—⸗ ationsfähigfeit betrachtet haben. Es ift ferner nicht richtig, daß er muratorifche Canon bdiefer Meinung entgegentrete, wie auch ib fagt. Er tritt lediglich dem von Etlihen oder Vielen erho- men Anspruch entgegen, daß dieſe Schrift im öffentlichen Gottes- ienft gleich den prophetiſchen und apoftolifchen Schriften vorgelefen verde. Er begründete feinen heftigen *) Proteft dagegen durch die Imerfung, daß das Buch erft fürzlich unter Pius von defien Jruber geſchrieben fei. Man fieht nur das aus diefer Begründung, 08 die Vertreter der von ihm befämpften Forderung das Buch it weit älter hielten. Deutlich aber zeigt die erfte uns befannte inmbination. des Verfaſſers des Hirten mit dem „apoftolifchen jermas“, daß da8 Buch nicht zuerft in diefer Meinung aufgenoms

a) Das fpricht ſich jedenfalls in dem in finem temporum aus,

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men ımd nicht in Verbindung mit biefer Meinung verbreitet tft. Origenes gibt diefe Combination ganz befcheiden als feinem Kopf aufgejtiegene Bermuthurig *), und keineswegs, ı Gaũub (S. 6) meint, auf Grund einer „conftanten Tre Daß und wie aus alerandrinifchen Vermuthungen kirchliche entftanden, zeigt „der Presbyter Johannes“. Auch das ifi tige Auslegung, wenn Gaäb die Worte des Origenes: „a pore opportuno Christo rursus deberet offerri“, auf ei Tradition feftftehendes Martyrium dieſes Hermas deutet. wenn au die Märtyrer als Gott dargebrachte Opfer | werden fünnen, fo geftattet.doch ein oflerre, welches den & zum Subject hat und durch das dabeiftchende rursus als aufhebung des positus erat sub angelo poenitentiae | folche Deutung nicht. Auch das ift wenigſtens nicht genau daß unfer Buch) feinen Hermas als noch nicht reif zum SM bezeihne (Gaäb, ©. 6, 40), worin man immer fon e weifung auf das von Ga&b wiederholt behauptete ML (©. 69) deffelben erbliden könnte. Es bezeichnet ihn viele einen Mann, dem noch Vieles fehlt, einen Ehrenfig einne Tönnen, wie ihn Märtyrer erhalten; es fehlt ihm dazu n das Martyrium, fondern vor Allem die pofitive Lebensger (Vis. II, 2). Diefe Erfenntniß in ihm zu wirken, dient t Scene.

Es mögen Andere vor und nad Origenes unabhängig daffelbe vermuthet haben, aber feine Bemerkung beweift, fpätere, mit feiner Vermuthung übereinftimmende, von bejtrittene Annahme nicht traditionelle Fortfegung des erfi drucks geweſen ift, welchen das Buch bei feinem Erſcheinen hat. Wenn alfo der Verfaſſer dennoch die Abficht gehal fo Hätte er fie zum gerechten Lohn feiner Außerften Ungefi des vollen Gegentheils der ihm neuerdings nachgerühmten dernswerthen Gewandtheit“, nicht erreicht. Ober follte gerathener fein, ihm ein pfychologifch fo unerflärliches V

a) BeiHilgenfeld, Herm. proleg., p. XI: „Puto tamen, quod iste sit scriptor libelli illius, qui Pastor appellatur.“

der Hirte des Hermas. 881

nicht zuzufchreiben und fomit auch die Strafe zu erlaffen? Uber Hermas will ein Angehöriger der apoftolifchen Zeit fein, oder, wie wir bei dem fehwanfenden Charakter jenes Begriffes beffer jagen, er will jeine Offenbarungen empfangen haben zu einer Zeit, als Clemens noch Tebte, deffen Tod man gewöhnlich auf das Jahr 101 ſeht. Clemens erfcheint als derjenige [Gemeindevorfteher], dem der Verkehr mit den auswärtigen Gemeinden übertragen ift, und ift uch für uns als Verfaffer des Briefes an die Korinther Hin» teichend bezeichnet. Es lönnte diefe dem Clemens zugejchriebene Stellung eine Fünftliche Abftraction aus dem viel gelefenen Briefe deſelben jein ); aber was wäre dagegen zu fagen, daß in der That de römische Gemeinde wegen ihrer Bebentung fehon am Ende bes ofen Jahrhunderts in häufigerem Verkehr mit anderen Gemeinden kat, und daß es gerathen fhien, einem dazu befähigten Presbyter ‚& ſolches Commiffarium zu geben, wodurch anderweitige regel- ige Verwerthung feiner Kraft nicht ausgefchloffen war? Wenn llemens auch nur ein, zweimal vor oder nach Abfafjung des Briefes in die Korinther, der feine Begabung dazu bekundet, eine Eorre- hondenz im Namen der römifchen Gemeinde geführt hätte, wäre kt Ausdrud des Hermas erklärt. Nicht erklärlich aber ift es, nf Hermas, wenn er fälihlih für einen Zeitgenoſſen des Elemens rlten wollte, durch nichts ein näheres Berhältniß zu ihm andentete, er ihm nicht einmal deutlich nach feiner amtlichen Stellung xxichnete, und daß er außer ihm nur folhe Namen nannte, die übt nur nicht berühmt, fondern unferes Wiffens überhaupt fonft übt genannt find. Weder eine Grapte, noch ein Maximus ift tgendwo aufzutreiben. Und wenn im Gedächtniß der römifchen Bemeinde 50 Jahre nach dem Tode Domitian’s ein Maximus fort- niebt Hätte, der in jener Verfolgung verleugnet Hatte, es bliebe ‚oc unverftändlih, was die abgeriffene Warnung deffelben an fo feutungsvoller Stelle (Vis. II, 3) heißen follte. Durch den ger Äufigen griechifchen Frauennamen Rhode aber konnte man ſich doch mr fo lange mit einigem erträglihen Schein an Apg. 12, 13 innern laſſen, als fie die Sclavin war. Seitdem fie durch Sin.,

2) Bot. Ritſchl, Atkath. Kirche, 2. Aufl, ©. 4407.

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et aeth. zu einer Sclaven haltenden Herrin ft, fonnte man im zweiten Jahrhundert fo w e Magd im Haufe der Maria zu Jeruſalem d Ihrigen die gelegentlichen Bemerkungen, wonach ce Apoftel und der mit ihnen zufammengehörigen er im Großen und Ganzen als bereits dahin, a wenigen Vertretern nod vorhanden bezeich 5. Sim. IX, 15. 16. 25). Zwar Teugnet Hil; d nimmt dadurch dem Verfaffer das Einzige, inmaligen Nennung des einen Clemens an M te, um fi in das erfte Jahrhundert zurück; fon von jenem Standpunft aus nicht gerathe »dem anderen erlaubt fein, es nicht zu verfteh tung, daß überhaupt noch Biſchöfe, Lehrer ı d), bedeuten fol. Es wird deren fogar m nehr gegeben haben. && kann alſo auch hier eren Stelfen deutliher ft, nur von der apof ründenden Generation erfter Prediger des Eva in. Den Clemens felbft mag er dazu gerechn ilexandriniſcher Namensverwandter einen dr Und warum follte Hermas nicht auch nad m? Jedenfalls paßt die ganz gelegentliche B der ebenfo gelegentlichen Erwähnung des Efemeı ad Cor. 1) von plöglichen und wiederholten : igenen Gemeinde redet, welche fie bisher gehind rinthiſchen Gemeinde ſich anzunehmen, fo fegt n voraus, in welchen Einige fchlecht beftant felbft weder Märtyrer noch Verleugner gewort ermögen empfindlich geftraft worden ift. Her ıben die Beunruhigungen der Chriften unter 2 Während diefer noch unmittelbar aus denjelber apfängt Hermas feine Offenbarungen in einer

B. ©. 134 Anm, 159. Herm. prol., p. XV. övzes, Vis. II, 5. genfeld, Ad Clem. ep. ad Cor, cap. 1.

der Hirte des Hermas. 388

bigen Zeit, weift aber hin auf eine demnächſt bevorftehende große Berfofgung, im Vergleich zu welcher alles bisher Erfebte nur eine Borübung. ift. Der Verfaffer des Hirten gibt ſich aljo nicht den Schein, der opoftofifche Hermas“ zu fein, fondern tritt auf als ein Glied der imiihen Gemeinde, Namens Hermas, welches nad den domitia- ijhen Unruhen, aber vor dem Jahre 101, etwa unter Nerva ker in den allererften Jahren Trajan's Offenbarungen empfangen ıben will. Da ſich nun gezeigt hat, daß die von ihm vorgebrachten Aihtlihen Züge weder der dritten, noch der zweiten der oben⸗ wannten Arten angehören, noch eine Mifchung beider darbieten, duird man zu der erften Art greifen müfjen, Hermas wird der h. wofür er fich ausgibt, und fein Buch der Zeit angehören, ohne alle Künfte, aber auch ohne alle verrätherifche Fehlgriffe kuimidit. Wenn man fi hiervon als der einzigen Möglichkeit lexigt Hat, wird man mit Zuftimmung die Erinnerungen Gaub's 8.597.) an ben ethifchen Charakter des Buches leſen, mit welchem heine pia fraus befonder8 wenig vertrage, und den Nachweis t Gründe, welche die Verwerfung der Echtheit des Buches ver daft Haben (S. 15ff. 60ff. u. ſ. w.), im Ganzen zutreffend den. Oder find etwa erhebliche Gründe vorgebracht worden, {he und das nad) dem bisher Gefagten Unwahrfcheinlichfte glaub» ft machen könnten? Dan gefteht ziemlich allgemein zu, daß die meinbeverfajfung weſentlich auf derfelben Stufe ftehe, auf welcher t fie am Ende der apoſtoliſchen Zeit finden *). Die Hinwei- en auf gnoſtiſche Regungen find fo allgemein gehalten, daß dit Eipfius, der doch den Hirten mehr noch als Hifgenfeld herab- üden möchte, gegen deſſen Preffung unbeftimmter Warnungen d Magen Verwahrung einfegt ®). Aber auch die wenigen Stellen, welhen Lipfius um fo unzmweifelhafter den Gnoſticismus ber it um 140—150 berührt findet, geben trog der dort gegebenen fen Paraphraſe kein Refultat, ftatuiren fein anderes Verhältniß

BL. Hilgenfeld, Apoſtol. 8, ©. 16i ff. Ritſchl, Alttathol. Kicche, ©. 402.

>) Beitfehe. f. wiffenfhaftl. Theol. 1865, ©. 284.

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zwifchen jenen Erfcheinungen und de Spftemen, als das des Allgemeinen regenden Neigung zur ausgebildeten, 1 von Gaũub (S. 105 ff.) dagegen Ben Verhältnig zum Montanismus wirde gebniß gefährlich werden, wenn die würde, daß der Hirte antimontanifti Berwandtfchaft, weldes nur von es Lipfius Hinaufgejchraubt hat, wied braucht einer richtigen Würdigung d Was Gaäb in diefer Hinficht bemer entbehrt bei allem Wahren, was gef beweisträftigen Schärfe, weil der V exegetifche Unterfuhung des Thatbefi meinere Erwägungen vorzieht, welche Ausfchlag geben mögen, aber nicht 5 lichen Beſprechung zu entfcheiden. €: der Verfaffer S. 178 fagt: „Die t mus laſſen fi im Hirten nicht nad) wieſen fein. Es Handelt fih um t welchen ſich die empirifche Kirche dem ihm zuerft mit allen Epuren des % figend, nach der Deutung des Buches weil der Geift der angerebeten Chriſte kraftlos ift in Folge ihrer Verweich gleichen Greifen, die nichts mehr ı Schon der doppelte Vergleih mit t und franfpafter Leibesſchwäche, mehr Vergleichs gebrauchten Ausdrüde rugsı vov und Enalewödnte, machen die möglich, wonad damit einerfeits „die Hifftofigkeit“ dargeftelft werden fol durch ihre Verwicklung mit der Welt d ©. 300), und doch andererſeits „di Dafein der Kirche überhaupt beginneı Geiſt ſchon verwellt fei, fagt doc, |

ber Hirte des Hermas. 835

fo nachdtucllich hervorgehobene Greifenafter fegt eine Jugend voraus. Pit Wehmuth blickt Hermas wiederholt auf eine beffere Zeit der Ringe zurüd, auf die nun dahingeſchwundene Zeit der erften Ver⸗ ändiger de8 Sohnes Gottes in aller Welt und die erften Leiter er neugegrünbeten Gemeinden, welche heilig und uneigennütig ihren Dienft gethan haben (Vis. III, 5. Sim. IX, 25, aud 27). Auch xnn die Mutterfirche den Chriften, ihren Kindern, bezeugt, daß k diefelben Ev moAlj anidımu xal dxaxig xai veuvörmz Kferzogen Habe, meint fie damit nicht den Sinn, welden fie felbft ai gehabt Habe, fondern den anfänglichen Sinn der Chriften, fo ine fie ſich noch von ihr erziehen liegen. Wenn fich diefe Aufe ing nicht von felbft verftünde, würbe die weiterhin folgende Klage den gegenwärtigen böfen Stand der Gemeinde beweifen, daß Sgenfag hiezu jene Eigenschaften genannt waren (Vis. III, 9). ht alfo die durch die erfte Erfcheinung der Frau bezeichnete nichts zu ſchaffen mit der montaniftiihen Meinung, daß x Apoſtel um der Schwäche des Fleiſches willen manches noch haltet Hätten. Die doIeveim der Kirche bei Hermas, an welchen wen, übrigens nur in einem zweiten Bilde gebrauchten, Ausdruck bins fich vornehmlich zu halten ſcheint, ift eine Entfräftung der kenden Kirche; die infirmitas carnis bei den Montaniften ift ie noch nicht vom Geift überwundene jugendliche Unreife. Es agt allerdings die lage über die dermalige Beſchaffenheit der iche nicht, wie wenn fie eben erft und plögli in diefen Zuftand fathen wäre, fondern, wie mit jeder Erfchlaffung, fo iſt's auch # diefer; fie erſcheint als ein ſchleichendes Gift, welches auch die tſten zu ergreifen droht; die ganze Kirche erfcheint dem Hermas diefer Gefahr zu fehmeben. Die zweite Geftalt ftellt die in Folge Fan Hermas ergangenen Offenbarung geſchehene Erneuerung des tmes, zunächft feines eigenen, aber auch feines Haufe und der meinde, dar. Wie er mit feinem Haufe durch das ganze Buch Much der Typus, das zur Demonftration dienende Exemplar t Öemeinde ift, und wie er überhaupt über den Erfolg feiner Bätigteit an der Gemeinde nur ganz gelegentliche Andeutungen acht, fo darf uns auch das Fehlen einer hiſtoriſchen Benachrich- Ang am Schluß der erften oder Anfang der zweiten Vifion nicht

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hindern, der deutlichen Erklärung (Vis. III, 12) zu glau zwifchen beiden Vifionen, während des dazwifchen Tiegende (Vis. II, 1) eine gewiffe Erneuerung und Ermannung | des Hermas, fondern aud der römischen Gemeinde fta hat. Allerdings gelten die Ermahnungen der erften Bifio: dem Hermas und feinem Haufe. Aber fon bie ef Verkündigung, derem Ende ihm allein im Gedächtniß bi über diefen privaten Kreis hinaus *) und muß ihn veranlı in der Gemeinde davon zu reden. Wenn das aber aus natürlich wäre, wie es ift, fo würde bie beftimmte © (Vis. III, 12) dennoch nöthigen, es anzunehmen. Als erften Wirkung der Offenbarung, ale Lohn diefer Erma; Gemeinde, wird die Offenbarung des Thurmbanes bezeid nicht ganz genau ift, aber ungefährlich, da das zwifchen d and dritten Vifion Liegende nur eine Fortfegung jener

iſt. Es ift alfo unberedtigt, die zweite Geftalt als ‚S ganzen Periode von der neuen Offenbarung an bis zur 9 faffen, wenn anders die Deutung der Bilder an die aus Angaben des Buches felbft ſich zu Halten hat. Noch u ift die Deutung der dritten Geftalt auf die Zeit der V denn auch diefe Geſtalt wird (Vis. III, 13) vom Buche die in Folge der wiederholten Offenbarungen ſich fteig hebung der Gemeinde gedeutet. Schon an den grauen H Frau (Cap. 10) feheitert die Erklärung von Lipfius.

bleibt dann die nierte, Geftalt (Vis. IV, 2), welde dod mit ber dritten nicht identiſch ift, die gefhmüdte Braı auf diefe Schilderung paßt, was Lipfins von der dritt: -präbicirt, daß fie völlig jugendfich fei. Die rolges As nicht wie die zofges ngeOßUreges der dritten Viſion 3 Alters, die der Braut fehlecht anftehen würden; fondern wie das Kleid und die Sandalen ift auch der natürliche des Hauptes ®). Die vierte Gefialt wird nicht gedeutet, nad) den früheren Erklärungen fofort von Hermas als

a) Vgl. befonders Vis. I, 4: „rois dızaiog ... rois Even zei rar“,

b) Bol. Offb. 1, 14, wo Ehriftus auch nicht ale Greis dargeftellt ı

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rlannt wird, und weil fie ſich durch ihre diesmalige Erſcheinung jnteichend charalteriſirt als die zum Empfang des Bräutigams ertite Braut, als die Kirche unmittelbar vor der Paruſie. Das mfentliche Erfordernig für den damit gezeichneten Zuftand ber irhe hatte Hermas foeben typiſch dargeftellt in dem Glauben, ihn vor dem There, dem Typus der legten großen Drangfal, mahrt hatte. Das in den drei vorigen Geftalten ſich Darftellende Reine während des Verlaufs der Vorgänge, deren Urkunde unfer Jach ift, ſich vollziehende allmähliche Erhebung der Gemeinde, aber per folchen, welche die Sehnſucht nach der Kirche der Vollendung, 16 der Erneuerung Himmels und der Erde (Vis. I, 3) nidt it. Den hier geltend gemachten Aeußerungen des Buches jelbit Rmiber darf das nicht irre machen, daß bei fpäteren Offen gen die Gemeinde keineswegs als auf dem dritten Standpunkt erfcheint, fondern durchweg wieder auf dem erften. Gleich Anfang der vierten Vifion wieder fteht neben dem Danf auch um Buße für Alle. Es find ſolche lobenden und anklagen— hdusfagen ihrer Natur nach relativ, und es hiefe den Charakter t Bußpredigt überhaupt wie unferes Buches insbeſondere völlig cheſſen oder verfennen, wollte man aus ſolchen Ausfagen ein igionsgefchichtliches Schema bilden. Die anfänglich ſcheinbar ganz mentane Erlaubniß zur Buße dehnt ſich noch im Verlauf der fenbarungen zu einer Tängeren Periode aus, während welcher Tmas und die Gemeinde unter dem Engel der Buße ftehen. ' heißt zwar auch jegt noch immer: Bald wird der Bau voll- xt! Eilt mit der Buße! Aber es ift doch mit fteigender Deut« keit, befonders im adjten und neunten Gleihniß, vor die Thurm⸗ lendung eine &voxn von echt apofalyptifcher Dehnbarkeit ge- tm, eine von der Langmuth Gottes gewährte Zeit des Wartens d der Erziehung zur Buße. Der Bußruf jegt aber immer den h nicht ermeuerten Zuftand voraus.

Die Meinung, daß Sim. IX, 11 die Sitte des jungfräuficer fammenlebens gedacht werde, behandelt Gaäb (S. 56—59) fait vorfichtig, folgt auc gewiß mit Unrecht Anderen in der Meinung, mad erhalte Vis. IT, 2 den Befehl, mit feinem Weibe fortan

838 Saab

nur noch als Schweſter zufammenzufeben. Die Wort Bl cov zij weAlovon Gov ddeAyij jagen doch nicht als daß fie einft, nämlich im fünftigen Aeon, nur Schwefter fein werde (Matth. 22, 30); und eine ande ftige Uebertragung auf die Gegenwart bezeichnen die i adeApjv 0ov*) auch nicht. Unferes Wiſſens neu und werth ift die Bemerkung des Verfaſſers, daß gerade ftand und Mißbrauch der Stelle Sim. IX, 11 die

gebildet habe. Es ift ein folder Einfluß des vielgel hochgeehrten Buchs glaublicher, als der Einfluß auf di Gebetsfitte, den nach dem Zeugniß Tertullian's (De c ganz äußerlicher ad ordinem narrationis, non ad in plinae erwähnter Umftand geübt hat.

Auch der Behauptung, daß die Verfolgungen, wie f als vergangen vorausfegt, nicht die meronifche und d fein können, hätte der Verfaſſer mit größerer Beftimmthe treten dürfen, als es ©. 67ff. geichieht; und es war mehr veranlaßt, da Hilgenfeld früher, als noch ein: den pfeudepigraphifchen Charakter des Buches nothmwen! (Ap. V., ©. 159f.), diefen Punkt allein ſchon für hielt und eigentlich auch allein mit einigem Nachdruck geli Es werden aber in der ziemlich weitläufigen Darlegung lich zwei Ausfagen des Hermas als beftimmte Hinwe fpätere Zeit gefaßt, die Worte (Vis. III, 2): uaory xäs, Yalıyeıs weydias, oravgovs, Imgla Svsxe vod tod Feod, welde eine Verurtheilung zum Thierkam fegen, und die Stelle (Sim. IX, 28): öoos Er’ e£o Hevres EEmracdncav zul odx jevjoavıo x. €. A, „geordnetes inquifitorifches Verfahren“ zeigen follen, ı dem befannten Refeript Trajan's an Plinius nicht vi fei. Man könnte zwar diefen Bedenken, deren erftes fid von Neander geäußerten Zweifel gründet, während da& | ends nnerweislich ift, einfach die Forderung gegenitberf durd) die Schrift des Hermas, wenn anders feine e

a) Bol. Vis. I, 2 mit 1Ror. 9, 6.

der Hirte des Hermas. 839

Gründe gegen ihre Entftehung um das Jahr 100 fprehen, eines beſſeren belehren und unfere dürftigen Quellen über bie Vorgänge ter Nero und Domitian vervollftändigen zu Taffen. Aber das Benige, was wir wiffen, genügt zu völliger Rechtfertigung diefer die aller übrigen Ausfagen des Hermas über das Martyrium finer näheren und ferneren Vergangenheit. Da eine eingehende Ärörterung der Art und des Umfanges der Neronifchen Verfolgung der, was damit faft gleichbedeutend ift, eine Erklärung der von kn Philologen ziemlich mannichfaltig auegelegten Tacitusſtelle Ann, XV, 44) bier nicht gegeben werden kann, fo muß die Frage beantwortet bleiben, ob nicht unter den gravissimae poenae, m welchen Tacitus nur die legten unerhörten Erfindungen vaffi- er Graufamkeit nennt, um zu erflären, wie in der heidnifchen Ri trog des Haſſes gegen bie Chriften Mitfeid Habe entftehen Bi,” auch die in der Kaiferzeit faft zum Bedürfniß gewordene Beet. Calig. 27. Dio C. 59, 10) Verurtheilung ad bestias ietommen fei. Es möge auch unerörtert bleiben, ob der Zu- mmenhang es geftatte, unter dem circense ludierum ein bloßes dagenrennen zu verftehen, oder vielmehr eines jener combinirten Maufpiele erfordere, in welden blutige und unblutige Kämpfe ander folgten. Aber, auch ganz abgefehen von diefen mehr oder iger disputablen Fragen, find die Worte des Tacitus: „pereun- bus addidit ludibria, ut ferarum tergis contecti laniatu anum interirent, aut crucibus affixi etc.“ ein völlig ge- igender Commentar zu der Ausfage bes Hermas, daß er Mär- ter im Himmel vwifje, welche neben und nad) anderen Quälereien ih oravgodg xal Imole erduldet haben.

Bas aber die Vorausfegung eines inquifitorifchen Verfahrens gen die Ehriften anlangt, fo werden ſchon durch den Brief des finius ſelbſt, auf welchen Trajau antwortet, bie erhobenen Ber afen völlig gehoben. Che Trajan eine die Chriften als ſolche treffende Verfügung getroffen Hatte, murden dem bithynifchen tatthalter Chriſten in großer Zahl vorgeführt, mit welchen er ein ehör veranftaltete; e8 gab delatores, es wurde gegen Sclaven tdolter angewendet, e8 wurde bie Zumuthung geſtellt, dem kaifer- hen Standbild Hulbigung zu ermweifen, e8 kamen bie verjchiedenen

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der Hirte des Hermas. 341

tmeber nach meinen Gefegen oder gehe aus meinem Rande“, a8 nur der chriftliche Widerhalf beffen, was bie befannte „bis Dio Caffins (67, 14) berichtet. Noch ift für das des Römers, namentlich des nach dem judiſchen Reichthum "pen Kaiſers, das Chriftenthum nicht aus der Schale des ‚Möums gelöft; noch wird der Gegenſatz deſſelben gegen das chum als der Gegenfag einer fpröden Nationaffitte gegen das Staat umentbehrliche Nivelliren des Gefeges gefaßt; und en diefe kaiſerliche Auffaffung Tann Hermas von feiner Auf des Chriſtenthums aus als des dem wahren Chriſten im» m Gefeges einer obern Stadt in feiner ſchönen erften Pa- ingehen. nun fo Alles ungezwungen zufammenftimmt, den Hirten NMachtes Erzeugniß der Zeit darzuthun, der er angehören will, "BB man nicht mehr dem Ungewiſſen das Gewiffe opfern dürfen. de auch die Abneigung gegen den Inhalt und Charakter Schrift ſchwerlich mächtig genug gewefen fein, die hier bes Annahme zur Herrihaft zu bringen, wenn fie nicht an dem schen Kanon und den damit zufammenhängenden apofrhphen ten eine auf den erften Blick biendende Beftätigung befäße. ie Unficherheit des Zeugniffes befennen faft Alle, welche dann nit einigen Beſchränkungen fich defjelben bedienen. Die That felbft ift oben ſchon richtiggeftellt. Der Fragmentift verräth feinen Eifer, daß die Meinung von einer früheren Entjtehung Zuches, auf welche fih, nad) feiner Entgegnung zu fehließen, on ihm abgemiefene Forderung gegründet haben muß, nicht die ung einiger Wenigen ift.. Die Forderung felbft, daß nämlich dirt dem kirchlichen Kanon einverfeibt und im Gottesdienſt en werde, mag vereinzelt aufgetaucht fein; aber nicht blos in auch anderwärts wurde fie geftellt und abgelehnt (Tertull., pud. 10). Wenn Tertullian in feiner Heftigen Weife der That der Nichtaufnahme in den Kanon das inter apocrypha et a judicari fubftituirt, fo ift das natürlich feine genaue Wie- be des Sinnes, in welchem jenes gefhah. Nicht einmal der mentift fcheint fi darüber ar geworden zu fein, daß fein eft mit ſolcher Begründung das Buch zugleich u einem Falſi⸗ heol. Stub. Jahrg. 1868.

842 Goab

ficat made. Mögen ihn dogmatiſche Anſichten feindfid Bud) geftimmt Haben, ober andere Gründe, jedenfalls Halbheit feiner Polemif gegen den Hirten ein Hohes | Buches in der römiſchen Gemeinde aud) bei Denen, wei gerade im öffentlichen Gottesdienft vorgelejen haben woll rend er diefen Legteren ſcharf eutgegentritt, erlaubt er ı deren Seite nit nur die Privatlectüre, fondern erfent Nothwendigkeit und Pflicht folder Benugung an (leg Einen Werth hat num feine Behauptung der Abfafjung durch den Bruder des Biſchofs Pius offenbar nur dan eine für ihn in ihrer Nichtigkeit zu erhürtende gejchid ift. Wäre fie aber dies geweſen, er würde es ſchwerl fo nadten Behauptung haben bewenden laſſen. Ver daher, wie faft allgemein geſchieht, darauf, in dieſer eigentlich geſchichtliche Nachricht zu erkennen, Hält u Gründen, die mir nicht beweifend fein würden, für um ſehr unwahrſcheinlich, daß der Bruder des Pins unf ſchrieben Habe, fo follte man auch nicht mehr von- eine haltenen richtigen Erinnerung reden, welche der An Abfaſſung um die Mitte des zweiten Yahrhunderts diene *). Stelle man fi doch ben hierzu erforderlid lungsgang ber Kunde des Buches vor! Um 150 t der römifchen Gemeinde auf mit dem offenbaren Anfpı Erzeugniß der Zeit um da8 Jahr 100 zu gelten. Es der Erfolg zeigt, mit diefem feinem Anſpruch fofort d das Anfehen als eines faft heiligen Buches, welches bis 40 Jahre nachher, wie in Nom, fo in den Gemeir und Galliens genoß und welches der Sragmentift in eir ten Zufpigung befämpfte, hat unfer Buch nur auf gewinnen können, daß ihm fofort und völlig gelang, gelten, wofür e8 fi ausgab. Wie unbequem dieje Vo wie gerne man es, um fie natürlicher zu machen, Bud) nicht gerade aus berfelben Gemeinde ftammen wi es fi zunächſt einführt, und aus fo naher Zeit, de

») So 5. B. Lipfius a. a. O., ©. 283.

der Hinde des Hermas. 848

kate noch deutlich erinnerten, man muß fie gleichwohl vollziehen. die Frage nach der kritiſchen Befähigung jener Zeit. bleibt. hier unz außer. Betracht. Es iſt mw daran zu arimnern, daß bie wielen Hungenen pias fraudes jener Zeit zeigen, wie ernftlic man ber ogen fein wollte, und wie fern wenigftens die leſende und hörende Menge won ber Höhe des literariſchen Stanbpunftes war, auf elder man ſich die weligiöfen Schriftfteller feuer Zeiten vielfad, thend denkt. Es iſt alfo ſchon fchmer zu denken, daß außer bes erfoffer ingend Jemand um die wahre Eutftehungsgeit des Buches mad wußte. Aber geſetzt, es hätten wenige Eiugeweihte darum mußt und Hätten nicht geſchwiegen, jo müßte ihre doc jedenfalls m beftimmte Kenntniß im Lauf von etwa vierzig Jahren ſich Kid ihrer Beſtimmtheit entkleidet haben, fo daß nur..die vage Böuung bfieb: „Es ift nicht fo alt, wie die Menge meint“, und en wieder die neue Beftimmtheit angenommen haben, daß 28 der kur des Pins gefchrieben habe. Iſt nun diefe Entwidlung worſtellbar und namentlich unwahrſcheinlich, daß auch das Letztexe ion Inhalt der vom Fragmentiſten benußten Ueberlieferuug war, dies vielmehr Gonjectur auf Grund der Namensgleihgeit, fo nicht abzufehen, warum ein Dann, der eine.fo Fühne Canjectur 3 Hiftorifche Thatſache behauptete, überhaupt noch für feine Auf- kungen eines fo ſchwachen Anhalts bedurfte, wie fie ihm jene beſtimmt gewordene Grinnerung geboten hätte. Wir. haben es o gewiß mit einer bloßen Eonjectur zu thun und zwar mit einer sthlofen. Auch ben Anhalt, welchen Gaäb der Behauptung bes agmentiften an ben fpäteren apofrhphen Nachrichten gibt, wird im nicht Zugeftehen dürfen. Es iſt zumächft nicht richtig, daß mdotertullian dem Bruder des Pins ein Buch über das Paſſa Ihreibe *); denn die Verje fagen nur, daß jener Hermas durch

)& Gaab, ©. 13, oder follte bieg nur eine momentane Verwechſelung mit dem Lib. pontifie. fein? Solcher Berfehen find mehrere zu beklagen“ Das ungriechiſche Wort S. 166, 3. 5, iſt leider auch night als. einer ber {ehr zahlreichen Drucfehler zu erllären. ‚Auch iſt zu vügen, daß der Ber faffer, dem die ſchöne Ausgabe in Hilgenfeld’s Nov, Test. e. can. rec. noch nicht vorlag, bald griechiſch, bald lateiniſch, eiumal (H. 6) ſogar nach der Seitenzahl der Ausgabe von Hefele eitirt.

23*

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der Hirte des Hermas. 345

ches aus Mikverftand des Briefes entftand und darum wohl m Anderen, welche im Hirten vergeblich nach dem Paffamandat fuht Hatten, wieder entfernt wurde, wenn fie nicht von Anfang eine Interpolation ift; endlich da® neue Mißverftändniß, daß tLib. pontif. ein Buch De celebrando paschate erwähne. Es bleibt alfo dabei, daß die Behauptung des Fragmentiften, de feinen Werth hat, wenn fie nicht eine genaue gefchichtlidhe ahricht iſt, und in der That feinen hat, da fie dies nicht ift, im übrigen inneren und äußeren Gründen gegenüberfteht, welche son Gnäb vertretene Urtheil über DVerfaffer und Abfaffungss t charten. Es iſt erfreulich, daß der Verfaffer fein Refultat Mt wieder durch Heranziehung des Röm. 16, 14 erwähnten Ämues unficher macht (S. 145, während nach anderen Stellen ibefajfer erft im Verlauf der Arbeit fid darüber Mar geworden Men ſcheint), und ebenfomenig durch die von Thierſch vertretene knme einer Weberarbeitung des alten Buches durch den fpätern mod. Das bisher befprochene. Urtheil des Verfaſſers, deſſen gründung, wie diefe Bemerkungen zu zeigen fuchten, mannich« ker Berichtigung und Vervollftändigung bedürftig ift, erſcheint das Werthvollſte feiner Arbeit. Zu unbeftimmt und fragmens id find feine Auslaffungen über die theologifchen Lehren des mas, um weſentlich fördernd auf den Gang der Unterfuchung wirken zu können. Weder in der chriftologifchen Frage, noch in nach dem Verhältniß des Hermas zum Judenchriſtenthum und a Paulinismus wird er feine Vorarbeiter überzeugen oder auch t bedenklich machen, vor Allem deshalb nicht, weil er über wid. fe Bunte felbft zu einem feften Reſultate nicht gekommen iſt *), dweil micht eine auf vollftändiger exegetiſcher Unterfuchung jende Anfchauung der anderen entgegentritt. Manches Licht hätte ner der Erflärung des Hirten zu Theil werden können, wein dem Verfaſſer gefallen Hätte, die Unterfuhung über das Ver» ig des Hirten zu den neuteftamentlichen Schriften voffftänbiger d minutiöfer zu führen, als es ©. 113—124 geſchieht. Er de bei diefer Gelegenheit auch Lipſius' fehr richtige Hinweiſung

»6&.%. 8. ©. 86 dgl. mit 92; ferner S. 181. 196,

6 Gasb

auf die Hebraifirende Diction des Hermas etwas wert finder haben, als er es tut (S.171). &o, mie die U jetzt vorliegt, Tann fie nur als Erinnerung an die Aufg Das eigentliche Intereſſe des Berfaffers iſt einer tiefe rigeren Frage zugewendet, als die bisher berührten Hermas, wenn er ber ift, für den er fich ausgiebt, aud was er erlebt haben will; hat er wirklich die Viſione deren Inhalt er aufzeichnet, oder fingirt er fie? Zw Hängt diefe Frage mit ber Echtheitsfrage nicht zufamme Verfaſſer am Schluß es darſtellt, wenn er fagt, men Hirten trog innerer und äußerer Zeugniffe für „ein fpäterer Zeit“ erklären, wenn man am eine urchriftlich nicht glaube, „wenn man alles Derartige, was mit der auf Inſpiration, Bifton, Prophetie nach dem Hingang auftritt, a priori für Fälſchung, fraus pia oder imy ©. 200). Wie gewiß nad) dem Sprüdwort der Satz def, wer einer auf Täuſchung beredjneten Fiction übe nicht. mehr Glauben verdient, wenn er göttliche Offenbarun fo verkehrt ift e8 doc zu fagen, daß, wer in einem Punkte, in welchem man ihm mißtraute, gerechtfertigt auch für alles Andere, was er behauptet, für etwas fo Ernftes, wie Offenbarungen der unfichtbaren Welt, Gla ſpruchen könne. Es fatın etwas ein Machwerk fein, fpäteren Zeit anzugehören; es kann Jemand ebenfog: Jahr 100 al® um 150 den unbegründeten Anfpruch er! pfänger göttlicher Offenbarung zu fein, und felbft das nit im Voraus beftimmen, ob nicht ſchon damals in lichen Kirche dies umlautere Mittel der Darftellung e Töbfichen Zwecke gedient habe. Auch das Urtheil der zeit und der zurtäcjtfolgenden Firchlichen Generation bindet gelifhen Theofogen nicht in feiner Entjcheidung darilbet. innere Gründe Haben darüber zu eatſcheiden. Ich fage es der Verfaſſer an inneren Gründen für ſeine entſchie nung jeder Fiction ganz fehlen laſſe. Aber er erſchwer liche Loſung des Problems außerordentlich, indem er die als ziemlich gleichbedeutend behandelt: Hermas hat wirkl

der Hirte des Hermas. da⸗

vefihert, Bifionen gehabt; Hermas war inſpirirt ober ein Prophet; m die Schrift des Hermas ift infpirirt, aber darum noch nicht mouiſch ). Man kann dem erften Say beiftimmen, was ih iermit ihne, und dennoch dem zweiten, vollend® den dritten ver“ xrfen. Viſion ift nicht Inſpiration. Wie es dem Propheten nicht nfentlich ift, Bifionen empfangen zu haben, ehe er redet ober freibt, fo macht der Empfang oder das Erleiden von Biflonen oh nicht zum Propheten. Hermas felbft will, wie ſchon oben och wohl richtig bemerft wurde, fein Prophet fein; er nimmt für ine mündliche und ſchriftliche Mittheilung ®) der empfangenen Ein» füde nur vedlichen Willen und Wahrhaftigkeit in Anſpruch, feines ng8 göttliche Einwirkung oder auch nur natürliche Geſchicklichleit. Ben wir ihn felbft ſchon nicht Änfpirirt und einen Propheten han werden, fo noch weniger feine Schrift deshalb eine inſpi⸗ ik, weil fie Bericht von empfangenen Bifionen iſt, wenn anders it eine Schrift infpirirt nennen, um diejenige, bei ihrer Entſtehung üffame Providenz Gottes zu bezeichnen, weiche fie geeignet macht, a Bert Gottes an die Gemeinde zu fein. Auch damit ift noch itt gefagt, daß fie kanoniſch ſei; denn «8 kann ein Buch in der nannten Weife entftanden fein und dod vom Gelft der ben Kanon mmelnden Kirche mit Recht ausgeſchieden fein, weil es vor nur omentaner Bedeutung mar. Indem der Berfaffer be Schrift v Hermas infpiriet nennt umd gegen bie vom Thierfch gewollte eibung bes göttlich Gegebenen und menfhlicer Zuthat Einſpruch hebt, ſtellt er ſich im Grunde die Aufgabe, den ganzen Lehrgehalt $ Hirten af8-fchriftmäßig und wahr zu erwelſen. Er zeigt ſich uch einmal (&. 146) geneigt, das menſchlich Mangelhafte auf bmerfälligen Styl und gewiſſe überfommene Begriffe zu rebuciren; ber, wie auf den anders urtheilenden Leſer Dioapofogetifche Darſtellung r&chre des Hermas in vielen Punkten nicht überzeugend wirkt ®),

3) ©. 5. 10f. 42. 146 ff. 153, 202.

b) Ich fehe ab von der Schrift Vis. IT, 1sq., welche nicht den Bericht non einer Bifion zum Inhalt hat, fondern ſelbſt Inhalt einer Viſion ift.

9 Daß 3. B. Hermas die bibfifche Engellehre nicht überihreite S. 148ff., daß der Engel im fünften Gleichniß das Faſten als ascetiſches Hiffsmittel empfehle &. 287, wird Niemand jugeben dürfen.

348 Saab

fo ift der Verfaffer ſelbſt Hierin feiner Sache nicht ga doch fam für die Aufrechthaltung feiner Thefe hierauf Es zeigt ſich diefe Unficherheit nicht blos in der Erlaubni uns gibt, dod noch eine Scheidung anzuftellen, Jo oder äl Thierſch es that (S. 152); deutlicher noch in der wi Berufung auf die Unantaftbarfeit der Regel Gal. 1,

©. 42. 146 Anm.). Paulus fegt dort, indem er über

bis zu einem Engel im Himmel auffteigt, die ſehr abftra lichkeit, daß ein folder Lüge verfündige, was nicht der fann, ohne daß er aufhört, ein guter Engel zu fein. 9 Berfaffer diefen Sag auf den Hirten angemendet wiſſen es ſchwerlich feine Abficht, die Frage zur Discuffion zu

zur Zeit des Hermas eine große Revolution der Art in welt ftattgefunden habe, oder nicht; fondern der Sinn | innerung Tann nur der fein, daß aud in die Berührun Vifionärs mit der unfihtbaren Welt Trübendes fich

tönne, und daß dies auch dann ftattfinden könne, went fegung in den efftatifchen Zuftand, das yereadaı Er 7 weder ein Produkt eigenmwilliger Schwärmerei, noch eine dämonifcher Kräfte, fondern eine Wirkung Gottes mit

Zwed ift. Iſt aber dies zugeftanden, fo darf die Altern mehr ‚lauten: göttliche Offenbarung, oder Betrug? ſond der Viſion ein mittlerer Charakter zuzufchreiben, wel höheren ober niederen Grad der Reinheit ſchon der erften

Conception, ein fei es willfürliches, fei es inftinctives F des vom Geifte Gottes ausgegangenen Anſtoßes zuläßt.

innerlihe Gonception fällt noch nicht zufammen mit d ſtelleriſchen Conception des Buches, das davon erzähl fon der Weg „aus dem Auge durch den Arm in de des Malers, dem fein Original figt, lang ift und viel de Toren geht, wie viel länger und gefährlicher der Weg au ftänden der Entzücung bis zum ſchriftlichen Ausdrud eines Mannes, deffen Gedächtniß oft nicht reiht, um den An Biſion mit ihrem Ende in Einklang zu erhalten! Der wird auch diefen unvollftändigen Bemerkungen in etwas Sinne feinen Sag entgegenhalten (S. 145): „Man u

der Hirte des Hermas. 39

nicht, was echt und urfprünglih, und was unecht und fpäterer Zuſatz iſt“. Wir wiſſen es nicht a priori; aber in diefer Lage befinden wir uns oft genug gegenüber jehr wichtigen Dingen; in diefer Sage befand fich die Kirche auch gegenüber den fehriftlichen Greugniffen, welche fpäter ihren Kanon bildeten; in derjelben auch xgenüber allem Vifionären und Elſtatiſchen, fo lange es in ber Kirche ſich regte, und es bleibt die Frage offen, ob fie immer bie Adtige Antwort gegeben hat. Es ift died Element nicht in ber Reife aus dem kirchlichen Leben verfhwunden, daß an die Stelle Bttliher Juſpiration und gottgewirfter Elſtaſe das reine Nichts wer die bämonifche Karrifatur trat, fondern fo, daß ein allmäh- ühes Nachlaſſen der Uebermacht des Geiftes über die Natur feiner Deyane ftattfand.

der „troftlofen Evacuation“ der Geſchichte von allem Ueber⸗ würlichen will der Verfaſſer an feinem Theile auch auf dem pas kffihen Gebiete entgegentreten; es Liegt da ohne Zweifel eine fenfhaftliche Aufgabe; es werden noch inanche Berfuche zur yrſtellung eines. wahrhaft Hiftorifchen Standpunftes für die Beur- xilung der älteften chriſtlichen Literatur gemacht werden müffen; ber es wird ber Verfafler dem zuftimmen, dag man bei ſolchem kftreben bie Vertreter einer anderen Gefchichtsauffaffung vor Allem n Atribie übertreffen muß, wenn man mit ihnen verhandeln will.

Göttingen. Lie. th. Th. Zahn.

0 Grat

2.

Die geſchichtlichen Bücher des Alten Teflament! hiſtoriſch⸗ kritiſche Unterſuchungen von Karl Heiuri Dr. theol. und phil., Profeſſor an der Königl. ſchule zu Meißen. Leipzig, T. DO. Weigel. VIO und 250 SS. 8°.

Während der von demfelben Verfaſſer im Jahre 1862 | Verlage erfchienene Commentar zu Jeremias, w durch gefunde Exegeſe, befonnene Kritik und liebevolles auf den Inhalt und Geiſt der Weiſſagungen Jeremia'sc die verdiente Anerkennung in weiteren Kreiſen gefunden I der Ungunft, mit welcher in unferen Tagen die hiftorif Erforfhung des A. T.'s betrachtet wird, zu fürchten, Wenige der vorftehenden Schrift die ihr gebührende ſchenken werden. Umfomehr ift es Pflicht, auf ihre aufmerffam zu maden, zumal fie geeignet wäre, bie, wie in's Stoden gerathene Kritik des Pentatenh® und be hiftorifchen Bücher des A. T.'s wieder in Fluß zu brin

Sie befteht aus zwei felbftändigen, aber innerlich in zu einander ftehenden Abhandlungen. Die erfte Hat « weife mit dem Pentateuch, die andere-mit ber Ch tun. In jener Hat fi der Verfaffer die Aufgabe gefte Deuteronomium ausgehend ben verfchiederen Theilen der Gefeggebung ihren Pla in der Geſchichte anzumeifen ur ſammenhang damit darzulegen, wie fih von der Ueberarb älteren Werkes durch den fogenannten Jehoviſten an die heit diefer Bücher durch Erweiterung und Fortfegung geſte Der Gang der Unterfuhung ift Mar, überfichtlih und Seinen Ausgang nimmt der Verfaſſer vom Deuteronomi deffen Entftehung in der Megierungszeit Joſia's für A ernſtlich auf Kritik eingehen, ein fefter Punkt fei. Dar

bie gefchichtlichen Wirher des A. Ts. st

er gerade die Zeit Joſia's nennt, wollen wir wicht mit ihm rechten, da es file die weitere Unterfuchung eine mwefentfiche Bedeutung hat, ch man das Deuteronomium einige Jahrzehnte oder auch gegen ein Jahrhundert Höher hinaufrückt oder nicht. Nach einem jedenfalls beachtenowerthen Verſuch, die urfprungliche Geftalt des Denteronomium zu ermitteln, weiſt num ber Verfaſſer eingehend 38 Verhältniß nach, im welchem dafjelbe zu den voransgehenden Büchern des Pentateuchs fteht. Zunächft führt er viel vollftän der und mehr in das Detail eingehend, als es bisher gefchehen f, den Beweis dafir, daß die Geſchichtserzählung der drei mittleren Bücher des Pentateuchs dem Deuteronomifer ſchon vor» Klıgen hat. Zu diefem Zweck ſammelt er die im Deuteronomium velommenden Ruckbeziehungen auf die dort berichteten Geſchichten, weht anf die Freiheit aufmerkſam, mit welcher ber Deuteronomiler A ielen Einzelheiten won jener Erzählung abweicht, aber auch auf hs auffallende Zufammentreffen im einer Reihe charakteriftifher Ansorüdte und Redewendungen, und folgert Hieraus mit guten Necht, as derfelbe trog jener Abweichungen, nicht aus der mündlichen Iberlteferung oder aus anderen fehriftlichen Quellen, fondern nur 29 der uns vorliegenden Gefchichtserzählung geſchbpft Haben kann. Beifäuftg werben zugleich manche Belege dafür beigebracht, daß der genannte Jehodiſt mit dem Deuteronomiker nicht identiſch fein amt. Diefe ganze Beweisführung gehört zu ben forgfältigft. aus» dührten und überzengendften Partien des Buches; nur hätte viel⸗ ticht noch beftimmter nachgewieſen werden Tünnen, daß die Ger Hihtebarftellung der Mittferen Bucher des Pentateuchs gerade n ber uns vorliegenden Zufammenarbeitung ans den Beftandtpeilen verfäiedener Quellenſchriften for em Deuteronomiter vorlag, ein Nachweis, der namentlich ans der hezugnahme auf die Kundſtchaftergeſchichte (5 Mof. 1, 86. 88), us 5Mof. 1, 9—-185vgl. mit 2Mof. 18, 13ff. und 4Mof. 11, u 8 Moſ. 9, Gwll. 18 vgl. mit 2Mof. 24, 18 und 34,28 mb aus ber Urt und Weife, wie der Deuteronomifer bie vierzig Büftenjahre unterzubringen fucht, geführt werden kann. Der berfaſſer beweift ſodann, daß ebenfo auch die in 2 Moſ. 20—23. 34 und 13 enthaltenen Geſetze dem Deuteronomiler vorgelegen

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die gefhichtfichen Bücher des U. Te. 858

das jehoviftifche Stüd 5Mof. 27 einfchaltete umd überarbeitete und 5Mof. 29 und 30 beifügte. Den übrigen Theil des jehoviftifchen Werkes von 5Mof. 31 bis 1Köon. 10 überarbeitete er und fchrieb jelbft was noch im Buch der Könige folgt, mit Ausnahme der Shlußverfe 2 Kön. 25, 22—30, die erft fpäter hinzugefügt wurden. Der Verfaffer ift geneigt, den Propheten Jeremias mit diefem Schriftſteller zu identificiren.

Auch der Prophet Ezechiel hat verſchiedene Gefegesaufzeich- nungen ausgehen laffen; dahin gehören die Stüde 3Mof. 18—23. % und 26 und das Sabbatsgeſetz in 2Mof. 31; unter ihnen fd 3Mof. 18 und 3Mof. 20 Aufzeichnungen weſentlich derjelben beſete, die aber für verſchiedene Anfragende beftimmt und von öunder unabhängig waren. Es Bieten dieſe Geſetze ein befon« Ins Buch 8 Moſ. 18—26.

Im der Zeit Eſra's und wohl von Eſra jelbft wurde dann die beeggebung des Pentateuchs ergänzt, theils durch Aufnahme des ben erwähnten, die Ezechiel'ſchen Stücke enthaltenen Buches, theils uch die vielleicht von Eſra felbft und jedenfalls in der Zeit des weiten Tempels gejchriebenen Stüde 2Mof. 12, 1—28;43—51; 5—31; 35—40. 3Mof. 1—16 (morunter nur in 3Mof. 11. in älteres Geſetz); 24, 10—23. 4Mof. 1, 48— 10, 28; 15—19; 8-31; 35, 16 36, 13; jedoch ift bei einzelnen diefer Stüde on geſchichtlichem Inhalte, wie bei 4Mof. 16 und 31, nur Ueber» zeitung einer älteren Grundlage anzunehmen.

Seinen letzten Abſchluß erhielt das Werk jedoch erft in der Zeit ald nah Eſra (S. 75), in welder noch Zufäge wie 2 Mof. 0, 11ff. 3Moj. 27, vieleiht auch 2Mof. 36, 8— 38, 20 Md einige andere (S. 87 Anm.), gemacht wurden.

Vorftehendes Ergebniß ift von dem Verfaſſer nicht in allen feinen Theifen neu begründet worden; mit den früher erfchienenen Untere uchungen der Mitforfcher genau befannt, fußt er vielfach auf diefen, ad fegt Mandes unter Hinweis auf die von Anderen gegebenen deweisführungen voraus; darunter auch Manches, was nad) meiner Ieberzeugung nicht haltbar ift. Dahin gehören Annahmen wie die, 05 der fogenannte Jehoviſt ein bloßer Ergänzer und Ueberarbeiter ft (möchten ſich doc einmal diejenigen, welche diefe Anficht immer

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noch vertreten, mit den in Hupfeld's „Quellen ber Gei entgegengeftellten Juſtanzen gründlich auseinanderjege daß die Ueberarbeitung der Altefsen, den Büchern Richter, md 1Kon. 1—10 zu Grunde liegenden Quellenſchriften berrührt; umd ebenfo die Annahme, daß es der Deute war, der auch diefe Bücher überarbeitet und das Uebri Büchern der Könige gefchrieben hat. Judeß Haben wir Streitpundte Hier nicht weiter einzugehen. Wir befchrä anf den eigentlichen Kern der Unterfuhung, auf das e fichfte und am eingehendften begründete Ergebniß berjelben die Gefeßgebung des Leniticus und was and den Exodus und Numeri zu ihr gehört, betrifft. Dieſe Ge wird von den meiften.Keitifern in der Hauptſache als elohiftijchen Werkes, alfo als Beſtandtheil der älteften ( des Pentatenhs, und als viel älter denn das Deuterono trachtet. Der Verfaſſer kehrt das Verhältnig um, inde Geſetzgebung erft der Zeit des zweiten Tempels zuweiſt; wird zugeftehen müffen, daß diefe Anficht über das Verh deuteronomifchen zu der levitiſchen Gefeßgebung hier in

ftalt und einer Begründung vorliegt, welche fie viel am erjcheinen läßt, als fie fi bei Batfe, von Bohlen und darſtellte. Jedoch kann ich nicht verhehlen, da trotzdem

ſuchung unſeres Berfaſſers mir nicht vorſichtig genug Schritt vorwärts zu ſchreiten ſcheint; die Tragweite der ar Argumente ift oft nicht gehörig ermeſſen; da und dort

die betreffenden Gefegesftellen nicht genau genug exegetif ſucht. Bon der Nichtigkeit des Ergebniffes vollends Habe nicht überzeugen. können.

Freifich muß die große Schwierigfeit anerfanıt werde der gewöhnlichen Anficht dadurch bereitet wird, daß die v Geſchichte fo überaus wenige Zeuguifje von dem Dort der in der levitiſchen Gefeßgebung beſchriebenen Inſtituti— weift, dagegen vielfach Verhältniſſe vorausjegt, die nid paffen. In der Zeit des zweiten Tempels dagegen ift die Geſetzgebung in's Leben getreten. Da ift es denn ehr E daß das Beſtreben, aud ihr einen beftimmten Plag in

die gefhichtlichen Bacher des A. Ts. 865

f#ihte anzuweifen und dadurch eine Hare und in fig wehlzufam- merhängende Anſchauung von dem Entwidfungsgange der Inſti⸗ tutienen und der Religion Iſraels zu gewinnen, zu der von dem Lerfaßfer vertretenen Anficht führen kann. Jene Schwierigctlt ift damit befeitigt; aber es fragt ſich, ob man ſich nicht babei in neue md größere werwidelt, und ob nicht entfcheidende Inſtanzen eine folde Löfung des Problems verbieten.

Vorab fei in aller Kürze darauf Hingemwiefen, daß die Zeit Eſra's und die zumächitfolgende Zeit durchaus nicht mehr in dem Maße, wie gewöhnlich angenommen wird, den Charakter einer Reſt au⸗ tations periode an ſich trüge, wenn ein fo bedeutender Theil des Gejegbuches damals erft entftanden wäre. Die Grundlage der ptesdienftlichen unb bürgerlichen Ordnungen der Gemeinde des jeiten Tempels wäre gerade in ben Theilen, welche den Charakter un Vollslebens und der Religion Iſraels von der Zeit Eſra's an vorzugswelſe beftimmt Haben, nicht das alte Gefeg, wie es in finem fchon als heilige Urkunde geltenden Schriftwerke verzeichnet war, ſondern eine durch ihren Tevitifch priefterlichen Geift von der pur Zeit Joſia's eingeführten deuteronomifchen fehr merklich fich mterfcheidende nene Gefeßgebung geweſen; die Autorität des ger Iriebenen Gotteswortes und feine Heilighaltung hätten alfo auch am der Ansgeftaltung diefer letzten Entwicklungsphaſe der ifraeli- tiſchen Religion einen beträchtlich geringeren Antheil, als man ihr gewöhnlich zuſchreibt. Nun darf man allerdings die von unferm Berfaffer (©. 71f.) angeführten Zengniffe über die Art der Wirk— ſamkeit Efra’s und Nehemia's nicht überfehen; aber doc; ift dieſe durchaus getragen von dem Anſehen, welches Eſra als geſetzes⸗ kundiger und geſetzeseifriger Schriftgelehrter genießt; mb dies wäre kaum begreiflich, wenn Eſra ſelbſt an der Zuſam⸗ menftellung und Abfaſſung des Geſetzbuches in ſo bedeutendem Maße betheiligt wäre. Mir wenigſtens ſcheint dadurch das Vor⸗ handenſein eines im Weſentlichen abgefchloffenen ,Buches bes Ger fees Moſis“ vorausgeſetzt zu werden, deſſen göttliche Autorität und Verbindlichkeit im Allgemeinen anerfannt wurde und immer dollere Anerkennung fand (vgl. bei. Neh. 8). Ich begnüge mic hierauf Hingedeutet zu haben.

156 Sraf

Ebenſo will ich auf ein gewichtiges Bedenke ver entgegengefegten Seite aus gegen die An hebt, nur furz hinweiſen. Nach ihm Hätte Hrifhdes Pentateuchs, als das von dem Jel Berk, aljo der Pentateuch in feiner vor deftalt, nur äußerjt wenige Stücke jalts enthalten, nämlich außer dem Bundes wer 1Moſ. 17. 2Mof. 13 und 34. Eing Befegesaufzeihnungen neben einer ſchon ſehr b amfeit in Aufzeichnung der nationalgefchichtlid te doch anderwärts länger als die geſetzlich Rechtögewohnheiten der fchriftlihen Fixirufg zu von Mund zu Mund fortgepflanzt zu werden | cheinlich und gegen die Analogie der Literatu Böffer, auch mit Stellen wie Hof. 8, 12. 2€ venn ber Palm nicht von David herrührte) Sodann fordert der Charakter der Grundfd jeradezu die Annahme, daß diefelbe eine größ Befegen enthalten habe. Die Beftandtheile un hr wirklich ‚angehören, zeugen deutlich) davon, | md jummarifcher Gejchichtebericht in einem di teht zu dem Bericht über die Feſtſtellung ber reı stenftlichen Ordnungen in dem Gottesreihe, a aſſer fein Augenmerk hauptſächlich gerichtet ha od von vornherein jede Epoche duch ein th eſſen Feſtſetzung gleihjam das bleibende Erg sie Schöpfungsepodhe durd) die Heifigung des luthsepoche durch das Verbot des Blutgenufjes ver Heiligkeit des menſchlichen Lebens, und die nıcch die Einfegung der Beſchneidung; und w tellung, abgejehen von den Hauptepodhen, nur veitläufig, wo, wie in 1Moſ. 23, fein rechtöge u da8 Spiel fommt. Da erfceint e8 mir de heinfich, daß fein Werk über die durch Mofe: ichen und gotteedienftlihen Ordnungen nit n oll als jene wenigen Stüde; namentlich Hinficht

bie geſchichtlichen Bücher des U. Ts. 857

xdnungen "Tann einem Schriftfteller, der in 1Mof. 17 fo aus- ihrlich von der Befchneidung Handelt, die compendiarifche Kürze, a weldher diefelben bort behandelt find, ſchwerlich genügt haben. dazu kommt noch ein Anderes: anerfanntermaßen find eine bes rätliche Anzahl der Gultusgefege des Leviticus in ber Yeritellung und Ausdrudsmweife, namentlich in einigen charal- riſtiſchen Ausdrücken und Redewendungen der Befhneidungs- erordnung (1Mof. 17) fo ähnlich, dag man barin von ker einen‘ ftarfen Beweis dafür erfannt hat, daß auch jene der kundfhrift angehören; am meiften aber gilt dies von dem Peſach⸗ He (2Moſ. 12,.1—28 und 43—50). Iſt es nun wahrſchein⸗ 4, dab von, diefen einander fo ähnlichen Gefegen das eine wirklich rülteren Gefeggebung, die übrigen aber erft der nacheriliſchen di angehören? Unfer Berfaffer ſucht ſich (S. 92F.) dieſer diunz durch die Annahme zu entlebigen: in jenem Pefachgefeg das Beichneidungsgefeg der Grundfgrift unmittelbar berüd- Migt; und ebenſo Habe letzteres bei der nad Alterthümlichem Senden Formulirung der Gefege im Exil und nad demfelben 1 Vorbild gedient, oder die Verwendung derfelben Formeln ſei aus zu erffären, daß diefelben in gewiſſen Kreiſen priefterlicher Htölchrer zu jeder Zeit gebräuchlich waren. Allein diefe Aus- ft kann nicht befriedigen: denn angeſichts der Thatſache, daß t Ausdrügke und Redewendungen in der deuteronomifchen Geſetz⸗ ung ſich nicht finden, theilweife auch durch andere, ebenfo ftehenb tauchte Formeln erſetzt find (3. B. das pam no WR ON ch yv v9 Hm), und daß fie ebenfo theilweiſe den Gejeg- mlungen 2 Mof. 20—23. und 3 Moſ. 18—20 fremd find, Heint ſowohl ‚die Annahme, daß diefelben zu jeder Zeit übliche fegestermini waren, als die andere, daß bie Geſetzesaufzeichner nachexiliſchen Zeit, denen aud die eben genannten größeren Ges teſammluugen vorlagen, ihre Ausbrudgweife vorzugsweiſe nur d ienem Beſchneidungsgeſetz gebildet Haben, unzuläffig.. Mebrigens delt es fih auch nicht blos um die von unferem Verfaffer - 93) angeführten Formeln, fondern um den ganzen Charakter Shreibart; ‘und auch von einzelnen Formeln laſſen ſich mehs : anführen, darunter auch folde, melde die Levitifchen Cultus⸗ Test. Stud. Jahrg. 1868. 24

358 j ö Graf

geſetze mit anderen Stucken der Grundfehrift (außer gemein haben; 3. B. das umftändfiche „und fie that Jehova befohlen Hatte, alſo thaten ſie“ (1Mof. 6, © 7,6; 12, 28. 50; 39, 32. 43; 40, 16. 4Moſ. 1, 8, 20; 9, 5; 17, 26); die Formel 3 ara oyy> (13 17, 23. 26. 2Mof. 12, 17. 41. 51. 3Mof. 23, 1 29. 30. 5Mof. 32, 48); „er und feine Söhne mit ihn 6, 18; 7, 7. 13; 8, 16. 18; 9, 8. 2Mof. 28,1. 4 3Mof. 8, 2. 30; 10, 9. 14. 15. 4 Moſ. 18, 1.2. ' ferner die in 3Mof. 11 vorkommenden Ausdrüde der E PD, 37 (außerdem auch 3Mof. 5,2; 22, 5), by ( 25, 6), woy u. f. w. So erheben ſich alfo aud Seite Her gewichtige Bedenken ‚gegen das Ergebniß ui faſſers.

Prufen wir daſſelbe num aber etwas eingehender ve ihm feldft gewählten Ausgangspunkt, dem Deuterono: Nur mit den Gefegen 2Mof. 13. 20—23 u. 34 fol teronomifer befannt gemefen fein, nicht aber mit den lev tusgefegen. Nun ift es allerdings richtig und auch v erfannt worden *), daß da, wo die Gefege des Leviticu älteren Gefegen im Widerſpruch ftehen, bie deuteronor ftimmungen fih an die letzteren anfchliegen, und daß g der erfteren im Deuteronomium nicht berückſichtigt für gegen ift e8 für mich zweifellos, daß die Behauptung ı faſſers viel zu weit geht, daß vielmehr eine Bela des Deuteronomilers mit manden anderen des Leviticns unmöglich in Abrede geſtell kann, und feine Gefeggebung im Vergleid Tevitifchen fi im Ganzen und im Einzelne jüngere ermweift.

Unter den Belegen für dieſe Befauptung ſtellen wir Speiſegeſetz (5Mof. 14, 3—21) voran. Daß dies

a) Val. meine „Gefehgebung Mofis im Lande Monb*, ©. ©. 54 Anm. 8, ©. 72. b) gl. ebendaſ., S. 11.

bie geſchichtlichen Becher des A. 28. 9

affelbe Geſetz iſt, welches etwas ausführlicher auch in 3Moſ. 11 & findet, iſt sei dem Zuſammentreffen in Inhalt, Anordnung und urolteriftäjchen Ausdrucken nicht zu bezweifeln. Nach der gewohn⸗ den Anfiht nun hat der Deuteranomiler aus dem vellftändigeren teren Geſetz das, was ihm am wichtigften war, ausgezogen, unb u Ende noch eine audere Speifefagung, die fih in der Älteren eſetgebung am anderer Stelle zweimal findet (2Moſ. 23, 19; 426), Hinzugefügt. Unſer Verfaffer will mngefeprt annehmen: !fürgere deuteranomiſche Faſſung des Geſetzes ſei die ältere und ſprüngiche, sie in 3Mof. 11 dagsgen eine fpätere, durch Bei⸗ kg genauerer Beftimmungen vermehrte Reproduction (©. 66f.). haen lonnte ihm der undeuteronomiſche Charakter der Formu⸗ ug nicht eutgehen, und er gefteht daher zu, daß ber Deutero⸗ wie feinerjeits „Bielleicht“ ſchon ein älteres Verzeichniß benutzt &(S. 22. 67). Man vergegenwärtige ſich num ben Sachner- in 8 Moſ. 11 iſt das Geſetz Beſtandtheil einer Gefehes- wlung, deren charalteriſtiſches Gepräge auch ihm eigen iſt; im attronomium ſteht es dagegen in einer Geſetzſammlung, deren alteriſtiſches Gepräge ihn fo fremd iſt, daß die Annahme ber khaung aus einer älteren Urkunde nicht abzuweifen ift. Dazu wit, daß mehrere der für die Foramlirung des Geſetzes charak⸗ Ren Ausdrüce (bie im Deuteronomism eben nur is ihm tommen) der aus ber Genefis wohlbelannten Schreibweiſe des faſſers ber Gruudſchrift angehören (ſ. oben). Wie unnatürlich jeint da meben der einfachen Annahme, daß 8 Moſ. 11 ein Ber dtheil der Grundſchrift und daher dem Deuteronomiler befanut „die Hypotheſe des Verfaſſers, die und zumuthet, nah ein es ültese® Verzeiggniß anzunehmen, das eigenthimlicher Weiſe ſo auffallend mit der Schreibweife der Grundſchrift bexuhrte! figtlich des Einzelnen, was der Verfaffer für die Unfpränglich- der deuteronomiſchen Gefepesgeftalt geltend macht, bemerke ich 3 68 eniſpricht ganz dem ſouſtigen Berfahren des Deuterono⸗ 18, daß er bas ältere Geſetz auf der einen Seite nur in aus⸗ artiger Kürze, und zwar ziemlich forglos, reprodueirt, und der anderen Seite doch auch wieder einige Zufäge macht, von n ber mirtigfte, die Einnlaufzählung der efharen Vierfüßer ur

860

(5Mof. 14, 4. 5), nich dem aus 3Moſ. 11 herü Beftimmungen erforderlich alſo ala fpäterer Zufag k Geſetzes von 3Mof. 11,: weife darin feinen Gru unreinigung durch Berü' er fi darauf befchränfen werden ſoll (5Mof. 14, Herübernahme: der Worte willkurlich Zeugniß davon Geſtalt auch jene andere! Die Erlaubniß, die Heuf ihm die Sade nicht wid erft in fpäterer Zeit Sit mit unferm Verfaffer. dei von Sohannes dem Täuf geſſen Yabe!! Ganz um mung über das Effen 11, 40 und 17, 15 ei | mäßigung; denn fon 3 das Eſſen von dem Gefi mäßigung ift vielmehr ı = das Eſſen von dem Stellen dem 4 diefelbe $ Hfraeliten. Dieje Gleit und Rechten ift auch n gehöriges, fondern fomr vor (2Mof. 20, 10; bie erft Ezehiel (47, : Art. Auch daß ber Bodlein In der Milch fei zweifellos aus 2:Mof. 2 Geſetz bei ihm nicht in Geſtalt vorliegt.

Hat nun dem Deute

bie geſchichtlichen Bilder des A. %6. 881

ıegen, fo wird man dies auch Hinfichtlich der übrigen zu jenem Hörigen Reinigfeitögefege 3 Moſ. 12—15 annehmen müffen., Und n Beleg dafür Liegt ja in 5Mof. 24, 8 vor; allerdings ‚wird er nicht das gefchriebene Ausfaßgefeg, fonbern die von den Prieftern gebende Unterweifung ausdrücklich erwähnt; allein ſchon die Wort» tbindung ny2g7=y3y, die fonft nur in 3Mof. 13 und 14 vor- mmt, umd noch mehr die Hinmweifung auf von Jehova den tiefteen gegebene Befehle (onmy ix), wie folche eben 3Mof. 13 und 14 verzeichnet find, beweifen, daß der Deutero- mifer jenes Gefe doch vor Augen hat. Darauf, daß die ſpe⸗ fe Beftimmung 5Mof. 23, 12. die allgemeinere in 3Mof. 3, 16 zur Borausfegung hat, wollen wir fein Gewicht Iegen: Raıgen ift die Bevollmächtigung, nad Belieben in den einzelnen fürn Thiere zu ſchlachten und zu effen, in 5Mof. 12, 15f. 32 durch den Gegenfag zu den in Zerufalem zu haltenden Wer, Zehnt- und Erftgeburtsmahlzeiten für ſich allein kaum ge⸗ gend motivirt; man wird wohl eine ausbrüdliche Aufhebung des ausführbar gewordenen, älteren Gefeges 3Mof. 17, 3ff. darin ben müſſen *), umfomehr, da auch das beigefügte Verbot des utgenufjes und befonders deffen Motivirung in 5Mof. 12, 23 Hinblick auf 3 Moſ. 17 (vgl. bei. V. 14) gefchrieben zu fein eint.

Bon den Satzungen in 3Mof. 18—20 kommen zwar einzelne h in verfchiedenen Stellen des Deuteronomium vor, aber meift anderer Formulirung, fo daß ein Abhängigfeitsverhältnig damit jt zu ermeifen ift; mar bie Stellen 3Mof. 19, 19 und 5Mof. ‚9—11, fowie 3Mof. 19, 13 und 5Mof. 24, 14f. find ein- der fo ähnlich, daß die eine von der andern abhängig fein muß; beiden Fällen ift der fecundäre Charakter der deuteronomifchen tmufirung unverkennbar; denn die in.3Mof. 19 ift kürzer, wäh— !d der Deuteronomifer namentlich in der zweiten Stelle in feiner

D., &. 29. Auch ber Berfaffer ſelbſt findet darin bie Auf ten Brauche“; vgl. feine Abhandlung „Zur Gefchichte des Stammes Levi” in Merz’ Archiv für wiſſenſchaftliche Erforſchung des A. Ts, Heft 1, 1867, ©. B1f.

862 er 777;

rhetoriſchen Manier paraphraftrt *); m im Deuterondmium das unverſtandlich durch den Zuſatz „Wolfe und Leinen zu wie det Verfaffer 3. B. die alte Sagın 24, 7 durch den Zufag „von deinen Iſtaels“, oder das Gebot 2 Moſ. 28, gewöhnlichtre, leichter verftändliche Fo vn pa 2Moſ. 12, 6 In 5Mof. Untergang der Sonne“ erläntert.

Ob die Beſtimmungen 5Mof. 15, 22, 21ff. fußen, mag bahingeftelft I Belanntfhaft des Deuteronomiters m leten Bucher des Pentateuchs nicht zu Halt er ſich ſachlich und im Unsbruc gefege in 2Mof. 23. 34 und 13. kommt in diefen Gefegen nur 2 Mof. in einer im Hinbfid auf das Peſach nommerten fpäteren Umformung des @ bis Verbindung "5 op niyy, ftammt 0 9, 2-14; "sollende die Uebertragun ganze fiebentägige Opfer» und Feſtfeler hier die jüngfte Formulirung der Feſt— Beftgefetge Handeln nämfich ganz gefoni von dem Mazsotfeft, ohne irgend wel zudeuten; benn in 2Mof. 12 ift bie | geſetzes in das Peſachgeſetz anerkannte und nichts Urfprüngliches. Noch in 8 28, 16ff., wo beiderfei Feierlichkeiten gereiht werden, wie fie zeitlich aufeins die Pefachfeier vom dem Mazzotfeft no ber Deuteronomiler hat, was dort oh fteht, zufammen verfchmolgen, indem er macht, von der er, nicht ohne mit untı

a) Auch 5Mof. 25, 13—16 darf man woh Hofung von 3Mof. 19, 35f. anfehen.

bie gefchichtlichen Bücher des U. Ts. 888

deücke gebraucht, die fich nach ihrem urfprünglicen Sinne theils af die eine, theis auf die andere Feier bezogen. Seine Bes tnntfhaft mit dem Peſachgeſetz in 2Moſ. 12 verräth er auch bach die Entlehnung des Ausbruds Inpn7 aus 2Mof. 12,11 °) md die daraus und wohl aud aus 2Mof. 12, 34. 39 abgeleitete Baeihnung des ungejänerten Brobes durch yy und, welche ber Bedeutung, die dafjelbe fonft hat, wiberftrebt. Und auch bie auss widihe Erflärung: das Peſach konne nicht im jeder beliebigen Stadt geopfert werden, verbunden mit der fonderbaren Ermäch- igung, am Morgen nach der Pefachfeler dürfe man in feine Zelte en (5 Moſ. 16, 5. 7), kann wohl nur im Hinblid auf 2Mof. 12 Mörteben fein, im Gegenfag zu welchem Gefeg ber Deuteronomifer bs Opfer nach Serufalem verlegen will, während er das Eſſen " ungefäuerten Brodes im Wohnfig eines Jeden (vgl. 2Mof. 3,20) zu vermehren, einen Grund hat, und darum die. Heim- bir ſchon am Morgen nad der Pefachfeier erlauben zu wollen Beint, Der Ausdrud nyyy, aber für die gottesdienftliche Ver⸗ mung des fiebenten Tages in 5Mof. 16, 8 ift gewiß aus Moſ. 23, 36. 4 Moſ. 29, 35, wo die Schluffeier des Laube üttenfefteß fo Heißt, entnommen; denn auch der beuteronomifche tame des letzteren Fisgm am (5 Mof. 16, 13. 16; 31, 10) Tann ar aus 3Mof. 23, 34 entlehnt fein (in 2Mof. 23 und 34 heißt dpa 30); die fiebentägige Beier ift ebenfalls noch nicht in den vftgefegen des Exodus, fondern erft 8 Moſ. 23 erwähnt; und uch in der deuteronomifchen Beſchreibung berfelben erinnert ber lusdruck in V. 14 und 15 an 3Mof. 28, 39—4l. Daß nämlich » diefen Punkten das umgefehrte Abhängigkeitsverhältniß ftattfinde, ann man bei der fonftigen Abhängigkeit des -beuteronomifchen Feft⸗ eſetzes von älteren Vorlagen nicht wohl annehmen.

Es dürften dieſe Belege ausreichen als Beweis dafür, daß dem Deuteronomiler nicht blos der Geſchichtsbericht, fondern auch die deſetzgebung ber mittleren Bücher des Pentateuchs ſchon vorlag; md fo werden wir auch in der Erwähnung der aus Alazien-

&) Der Berfaffer nimmt ©. 36 ſchr unwahrſcheinlich an, daß der Ausdrud in der Erodusfielle aus bem Deuteronomkum entlehnt fei.

Daun, Google

die gefchichtlichen Büdjer des U. T.'s. 865

eine andgebilbete Gerichtsorganifatton vorausgefegt ift? . Und was den andern Punkt beteifft, fo verſuche man es doch einmal, ob + 8. das Zehntinftitwt ber levitiſchen Geſetzgebung als eine in m Kimmerlicgen Zeiten der Gemeinde des zweiten Tempels erft entſtan den e Umgeſtaltung bes bdeuteronomifchen Zehntinftituts xſchichtlich zu begreifen iſt! Mußte fich dann nicht auch in erſterem thend eine Spur ber deuteronomiſchen zweifachen Verwendungs⸗ veiſe des Zehntens (Zehntmahlzeiten und dreijähriger Zehnte) er⸗ nlten Haben? Und wenn die eigenhändige Denkſchrift Nehemia's m Reh. 13, 12f. vgl. 529 und Mal. 3, 10 bezeugen, daf zur zFeit des zweiten Tempels der Zehnte nach Ferufalem in bie Umpelvorrathstfammern zum Unterhalt der dort Dienft Wenden Priefter und Leviten abgeliefert wurde, warum. wäre denn

der Tevitifchen Geſetzgebung alfen Leviten ohne Unterfchied das

hren des Zehntens an jedem beliebigen Orte verftattet, ib nur bie Ablieferung bes Zehntene vom Zehnten an bie Priefter boten, warum nicht jene den Berhäftniffen und Bebürfniffen der echeriliſchen Zeit viel mehr entfprechende, auch in einer Beziehung ger an die deutersnomifche Zehnteinrichtung ſich anſchließende 5Mof. 12, 17.) Abtieferungs- und Verwendungsweiſe beibehalten meden? Daß fi dagegen umgekehrt das beuteronomifche fehntinftitut als Umgeſtaltung des levitiſchen jehr leicht begreifen Ift, glaube ih (a. a. O., ©. 45 ff. u. bei. ©. 120ff.) nachge⸗ Hefen zu haben. So wird es wohl auch Hinfichtlih der deu tonomifchen Geſetzgebung bei dem Ausfpruc be Wette’s (Opusce. heol., p. 160) bfeiben: „Deuteronomium prioribus libris tam- kam fandamento niti quaevis pagina docet.“

Die von unferm Berfaffer gegebenen Erflärungen über bie eſchichtliche Eutſtehung der levitiſchen Eultusgefege us den Verhältniſſen der exiliſchen und nacheriliſchen Jeit find auch großentheils fehe unbefriedigend. Arm meiſten gilt ies von dem, was ©. 34ff. über das Pefachgeſetz in 2Moſ. 12

3) Die Stellen Neh. 10, 31—40; 12, 44—47, nach welchen ganz dem älteren Zehntgefeg gemäß verfahren worden fein foll, gehören zu den von dem

Chrouiſten hertichrenden Zufägen zu der Denkſchrift Nehemia's.

Daun, Google

bie gelchichtlichen Witcher des A. Ts. 887

weshalb bie Werkgerechten fih auch Jeſ. 58, 2ff. nur auf bie Verdienftlichkeit ihres Faſtens, nicht wie in der vorerififchen Zeit auf die ihrer Opferdarbringungen berufen. Nod ein Beifpiel! Rah ©. 63 foll die Anordnung 2Mof. 30, 13ff. nebft dem Bericht über ihre Ausführung 2Mof. 38, 26 aus ber Zeit nach Era Herftammen, weil laut Neh. 10, 33 erft in der Zeit Eſra's und Nehemia's die jährliche Abgabe von einem Drittel Schekel zur Beitreitung der Koften des Gottesdienftes eingeführt und erft fpäter af einen halben Schefel (Matt. 17, 24) erhöht wurde. In ken Erodusftelfen ift aber gar nicht von einer jährlichen Ab- gabe die Mede *), fondern nur von einem Sühngeld, welches bei Volkszählungen oder vielmehr bei Aufnahme der waffenfähigen \Bannfchaft entrichtet werden follte; und diefe Anordnung ruht auf x alterthumlichen BVorftellung, daß folde Zählungen den Zorn der Gottheit rege machen, die im U. T. auch durch 4Mof. 31, ff. und 2Sam. 24 bezeugt ift. Mit der richtigen Auffafjung des Sinnes jener Stellen fällt die Kombination des Verfaffers von felbft dahin. Vergeblich fuchen wir auch nad) einer Antwort af die naheliegende Frage: wie denn eine in der Zeit des zweiten Tempels entftandene Gefeßgebung die damals angejehenfte Leviten⸗ daffe, die der- Sänger und Muſiker, fo ganz unberücjichtigt laſſen konnte, daß fie auch nicht von ferne auf eine derartige Function der Leviten hindeutet. Hier tritt recht deutlich an den Tag, mie wenig es angeht, die Geſetzgebung des Leviticus als ans den ge⸗ ſchichtlichen Verhliltniſſen der Zeit des zweiten Tempels hervor⸗ gewachſen, anzuſehen.

Gegen die Anſicht des Verfaſſers muß auch das bedenklich machen, daß er zu ihrer Durchführung die Ueberarbeitung einer Reihe von geſchichtlich en Abſchnitten des Pentateuchs in der Zeit des zweiten Tempels annehmen muß. Eine nähere Prüfung der Geſchichtserzäh— lung dürfte zudem herausſtellen, daß dieſe die in die nahegififche Zeit verwiefenen Geſetze in noch beträchtlich weiterem Umfang voraus»

®) Erſt der Chroniſt Hat die Stelle‘ fo anfgefaßt, ohne Zweifel gemäß dem zu feiner Zeit ſchon herrſchend gewordenen Brauch, bie Tempelfteuer von äinem halben Scheel zu entrichten; vgl. 2Chr. 24, dff.

368 Graf

feßt, und daß man fi durch Ausſcheidu ftandtheife in das Bodenloſe verliert. Auch die Außeren Zeugniffe, meldı für feine Anfiht -geftend macht, Tann ih Denn wenn auch in Amos 5, 25 voraus während der vierzigjährigen Wüftenwander bracht Habe (wozu Hof. 5 vgl. 4Mof. 9, daraus noch nicht, daß die Opfergefege bes noch nicht vorhanden waren, fendern nur Annahme der geregelte Opfercultus erft nc naans eingerichtet wurde, und daß der Pe vorhanden war, noch nicht als eine von M tifche Urkunde des Geſetzes Jehova's Heilig aud noch mit feiner Darftellung im Wi ditionen Tebendig bleiben und als unter dem gefegt werden Eonnten. Und mehr wird m nicht folgern dürfen, wenn man den Wor: Täffig ift, urgiven will. ebenfalls näml weſentlich darauf an, daß nicht die Forderu nur die des Gehorfams die Grundlage mit den Vätern zur Zeit ber Ausführung abgefchloffen Hat, kraft deſſen er ihr Got follten; und dies ftimmt nicht nur zu d Deuteronomiums *), fondern aud zu der Bücher des Pentateuchs, nach welchen der 2

a) Zu biefen Borausfegungen des Deuteronomin wie unfer Berfaffer S. 70 vgl. ©. 11f. Gebote am Horeb geoffenbart wurden. Deur fagt nad; dem Zuſammenhang nur, daß Gott Berfon am Verfammlungstage (5 Moſ. 9, 1 Beuer und Wolkendunlel heraus dem Bolfe n Yund gemacht Habe, während, wie twieberhoft ı 5Mof. 4, 13f.), weitere Offenbarungen din Dagegen betrachtet ber Deuteronomiler aller ſelbſt verfündeten Worte als Grundlage t Bundes.

die geſchichtlichen Bücher des A. T.'s. 369

ehe die Opferthora gegeben wurde (2Mof. 19, 5; 24, 3ff.). Denn nun auch Jeremias von der Vorausfegung ausgeht, daß der geregelte Opfercultus erft inr heiligen Lande eingerichtet worben ift, und wenn auch er ben Pentateuch noch nicht weſentlich anders ans ſieht, als die älteren Propheten, fo konnte er ſich wohl fo aus⸗ drüden: das Wort und Gebot Jehova's an die Väter zur Zeit des Auszugs aus Egypten habe nicht Brand» und Schlachtopfer betroffen, fondern Jehova habe Gehorfam gefordert. Die den Wortlaut ur- girende Folgerung, daß Jeremia und feine Zeit von einer von Gott am Sinat gegebenen Opfergefeßgebung überhaupt nichts gewußt habe, dag aljo auch noch fein Buch vorhanden gewefen fein könne, in welchem eine ſolche verzeichnet war, fann ſchon darum nicht uichtig fein, weil das (von Jeremias allerdings faſt ausſchließlich kangte) Deuteronomium das Vorhandenfein der levitiſchen Geſetz⸗ gung vorausſetzt; wie denn auch ſchon Jeſaias in Jeſ. 4, 5 moerfennbar die Stelle 2Mof. 40, 38 vor Augen hat, Jeremias feloft feine Bekanntſchaft mit der levitiſchen Gefeggebung wenigftens nicht ganz verleugnet (vgl. Jer. 2, 3 mit 3Mof. 22, 10. 12. 16. Jer. 32, 7. 8 mit 3Mof. 25, 25ff. Ser. 34, 8 mit 3Mof. 25, 10. 40), und fein Zeitgenofje Ezechiel diefelbe vielfach befundet (ogl. 3. B. &. 4, 14; 22, 26).

Die Abweichungen der von dem letzteren Propheten in Cap. 42—48 für das neue Gottesreich entworfenen Gottesbienftordnungen und Priefterfagungen von der levitiſchen Geſetzgebung bemeifen ebenfalls nur, daß dieſe noch nicht das Anfehen einer für alle Zeiten gül- tigen Heiligen Urkunde gewonnen Hatte; wogegen ihr Vorhandenſein gerade auch durch diefen Entwurf bezeugt wird; denn feine einzelnen Beftimmungen find vielfach eine ganz unverfennbare Wiederholung oder Umgeftaltung jener Gefegesfagungen, wie 3. B. die Berbren- mung des Sundopferfarrens an einem befonderen Ort des Haufes außerhalb. des Heiligthums (Ey. 43, 21) an die Stelle der Ver⸗ brennung defjelben ‘außerhalb des Lagers tritt, wie die Priefter- fagungen (Ez. 44, 21ff.) die des Gefeges nur In einzelnen Punkten, beſonders hinfichtlich der Erlaubniß, eine Wittwe zu heirathen, vers ſcharfen u. f. w.; aud) werden mande Gefegesvorjchriften voraus» gefegt, ohne wiederholt zu werden, z. B. Ez. 44, 26 die über die

8To Graf

Neinigang der au Leichen Verunreinigten 46, 17 die über das Jobeljahr (3 Moſ. Unfer Verfaſſer will ſich hier freilic Ezediel felbft zum Verfaffer der 25. 26, fowie des Sabbatgeſetzes 2 Moſ und Bertheau Hat biefer Anficht weg diefen Capiteln hervortretenden Uebereinftis des Sprachgebrauche mit denen Ezechiels ſchenkt *). „Wie wäre es denkbar“ m vom ganzen Pentatenche und feiner Gefek Capitel nachgeahmt, ja nach ihnen feine In der That kann auch nicht in Abrede auffallend viele charakteriftifche Ausdrucke Ezechiel wiederfinden. Aber es haben au Hheten au andere Beftandtheile des Pen fluß geübt; jo gebraucht er z. B. bie Ay Dim oyyy in 2, 3; 24, 2; 40, 1 die Formel rip a in 6, 18; 16, 19; druck Brod Gottes“ vom Opfer in Ey in Ezech. 46, 13; die auch von Jeremia nommene Formel „und ich werde euch Ge Bolt fein“ in Eye. 11, 20; 14, 11; 23. 37; ferner mpg dx mug Myn in 2Mof. 26, 3; in Ejech. 4, 5f. iſt Ge 4 Moſ. 14, 34 gebildet; in Ezech. 28, 1 bar 2Mof. 28, 17 f. vor Augen; der A 42, 20; 44, 23 ftammt aus 3Mof. 16 46; 44, 8. 14. 15. 16; 48, 11 ten Numeri hänfige Nedensart nyguio ax auf I3Mof. 10, 9 zuräd, Ezech. 44, Exech. 44, 29 auf 4Moſ. 18, 9. 10 wäre leicht, noch manche Belege dafür aus der Ievitifchen Gejeßgebung überhaupt, bezeichneten Capiteln, fich Vieles angeeign

a) Bol. Zahrbuchet für deutſche Theologie 186

bie geſchichtlichen Wider des A. Ts. er

o, ft es danu zu verwundern, daß er, ber WPriefter, gerade mit em Brieftergefeg 3Mof. 21—22, 16, er, ber in's heiduiſche Land Beggeführte, mit bem vor dem Thun der heidnifchen Egypter und ianaaniter warnenden (3Mof. 18, 2; 20, 23) Geſetzesabſchnitt Moſ. 18— 20 umd mit der dem Volke für den Fall der beharr- den Widerſpenſtigkeit ſolches Geſchick anfündigenden Drohrede Moſ. 26 (die aber auch fchon ber Deuteronomiter und Jeremias men), fowte mit den für die Erulanten doppelt wichtigen Sabbats⸗ tboten ſich ganz befonders vertraut gemacht hat, fo daß fie den theutendften Einfluß anf feinen Ideenkreis und feine Ausdruder xiſe geübt Haben? Dagegen ſcheint mir die Annahme, daß er Kft diefe Eapitel gefchrieben Habe von Anderem abgefehen Men durch die fehr bedeutenden Abweichungen der Priefter- und Meinungen Ezehiel’8 von denen jener Geſetzesabſchnitte ausge⸗ Wollen gu fein. Man bedenke z. B. nur, daß bei Ezechiel nirgends a einem Üohepriefter die Rede ift, was gewiß nicht zufällig ift, dern wohl mit der an Ser. 3, 16 erinnernden Nichterwähnung = Bundeslade zufammenhängt, wogegen in 8 Moſ. 21 in Ueber⸗ aſtimmung mit der fonftigen levitiſchen Geſetzgebung für den Hoher fefter befondere Satzungen aufgeftellt werden. Und wie fehr ht doch was Ezechiel über die Feſte beftimmt von der Felt nung 3Mof. 28 ab, auch abgefehen von dem aus einem Ernte ieh eitigefchalteten Abſchnitt 3 Mof. 23, 9I—22. Wir wollen ich nicht gang übergehen, daß vom ben Formeln, welche unfer Ver⸗ fer als Ezechiel und den ihm zugefchriebenen Abſchnitten des Pen- teuchs gemeinfam anführt, einige auch fonft in der levitiſchen Ge⸗ Webung vereinzelt vorkommen: fo das na mm an nicht bios 1 dee Spige des Dekalogs, fondern auch 3Mof. 11, 44. num pn“ ng auch 4 Moſ. 19, 20 vgl. 3Mof. 15, 31; umd daß idererſeits fo charalteriſtiſche Spracheigenthümlichleiten von 3 Mof. 8—20 Ezerhiel fremd find, wie 3. B. ya ober ıpı vom Land, % feine Bewohner ausfpeit. Wir können diefen Erörterungen folge in den Berührungen Ezechiel's mit den bezeichneten Pens iueuchabſchnitten einen Verweis nicht für deren Abkunft von Ezechiel, indern nur fir ihr Vorhandenfein zur Zeit Ezechiel’s erkennen. - Hinfichtlih der Stelle Eſra 9, 11, in welder der Verfaſſer

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die gefehichtlichen Bilder des A. Es. 878

von, da neben ihm und jeinen Söhnen auch noch Andere des rieſteramts gepflegt haben *). Es gilt dies namentlich auch von Ahen Abfchnitten, deren Zugehörigfeit zur Grundfchrift anerfannt , 3 8. 4Mof. 20, 22ff., wo aud eine befondere Amtstracht nors erwähnt ift; vgl. 4Mof. 27, isff.

Aber auch in der ganzen folgenden Zeit bis zum Erik finden it wenigftens am Centralheiligthum, in Silo, Nob und Yerufolem, nur Yaroniten im Beſitz des mit dem Mittleramt t die gefammte Nation betrauten Prieftertfums (vgl. Richt. 1,28. 1 Sam.’ 1, 3 vgl. 2, 28; 14, 3; 21, 1ff.;.22, 20ff. Sum. 8, 17; 15, 24ff. 1Rön. 2, 26f. 35), während nicht- Knitijhe Leviten nur an anderen Heiligthümern priefterliche tionen verrichtet zu haben ſcheinen; auf diefen Sachverhalt deutet Rh Czechiel in Ezech. 44, 10. 12 vgl. 15 hin, Der Wider had, zwiſchen den gottesdienſtlichen Verhältniſſen der voregififchen it und der Gottesdienftordnung des Leviticus ift namentlich auch dutch gejteigert worden, daß man aus der Nichtermähnung mancher Mödienftlicher Einrichtungen auf ihr Nichtvorhandenfein ſchloß; 4 diejeg argumentum e silentio halte ih, wo nicht andere Dihtige Beweisgründe hinzufommen, für trügerifch. Wird doch kr im Geſetz felbft der Zehnte, obſchon feine Entrichtung ſicherlich wie auch der Verfaffer S. 48 anerfennt ein alter Brauch t, erft in 3Moſ. 27 erwähnt; und Haben doch fait alle Er— Amungen einzelner gotte&dienftlicher Gebräuche in den vorderen vpheten nur den Charakter des Zufälligen und Gelegentlichen ®).

Daß in 2Mof. 24, 5 „die Süngfinge der Söhne Iſraels“ als Priefter fungiren, und in 2Mof. 19, 22. 24 proleptiſch ſchon Prieſter erwähnt werden, Tann Hier ebenfowenig in Betracht Tommen, als daß Yaron in 2Mof. 4, 14 auch einmal „der Levite“ genannt ift; denn felbftverftändlich iſ bier die Zeit vor Errichtung des Prieſterthums aus dem Spiel zu laſſen.

Umſoweniger ſollte man fo unzweideutige Zeugniffe, wie das für das Bor- Handenfein von zu heiligem Gebrauch beftimmten filbernen Trompeten in 28ön. 12, 14 dgl. 4Mof. 10, 1ff., fo gering tagiren, wie unfer Berfaſſer S. 88 zu thun ſcheint.

Bol. Stud. Jahrg. 1868. 26

974 Araf

Immerhin aber bleibt der wicht in Abı ſchied der vorezilifchen gottesdienftlichen Verl dienſtordnung des Lehiticus noch bedeutend | auch unſer Verfaſſer, wiewohl er die ganzı in die Zeit verweilt, in welcher man auf’ Alles dern Geſetzbuch gemäß zu ardnen, ı von Gefegen anerfennen, die nicht zur A men find? Co bemerlt er ©. 23, daß Auſicht fon in der Grundfchrift des Pentat eich über die Freilaſſung der hebräijchen Le Dienjtjahre (2Moſ. 21, 2 ff.) „micht zu ı geforamen“ , und daß ebenfo die Anordnun (AMof. 23, 11) „nie in's Leben getreten weift er auch ©. 26 ff. darauf Hin, daß, n fo auch bei den Iſraeliten, die ftaatlichen tungen viel mehr durch Herkommen, alte E dige Ueberfieferungen, als durch gefchriebene ( und daß ed wie er, 34, 8ff. zeige - Einrichtungen, die nicht auf uralter Gitte das Privatrecht eingriffen, durchzuführen, u als heilige Pflicht dargejtellt und geboten ı in die Zeit des Erils, resp. des zweiten T fegen muß er für eines, die Anorduung des daß fi) von feiner Ausführung auch in dei eine Spur finde (S. 80), Wenn wi aus welchem die levitiſche Gottesbienftordr hervorgegangen ift, die Priefterihaft am C trachten haben, kann es auffallen, wenn nicht zur Durdführung fam? wenn nameı und Forderung einer einzigen Opferftätte | zur Zeit Hiskia's die eingewurzelte, dem 20, 24ff. entfprechende Praxis, an verfchiedi Landes zu opfern (devem weitere Ausbildu Hohencultus war), wicht befeitigen Tonnte, u der aaronitiſchen Priefterfchaft in vieler Bezi

die gefichtlichen Bäder des A. Te. 875

ad eben nur am Centralheiligthum felbft gewahrt werden fonnten? rat auch die ganze Geſetzgebung als Aufzeichnung der auf Mojes widgehenden Gefegesüberlieferungen auf und zwar infofern it gutem Grund, als fie im Ganzen und Großen theils auf mor iſchen Einrichtungen und Anordnungen beruhte, theil® eine weitere merete Detailausführung und Anwendung mofaifcher Principien ar ſo konnte ihr dies doch nicht zur Üeberwindung entgegen« thender gotteßdienftlicher und rechtlicher Gewohnheiten verhelfen, kun e8 fehlte eben dem Geſetzbuch noch die Anerkennung, daß es me authentifche Aufzeichnung jener Ueberlieferungen und in allen nen Beftimmungen die Kundmachung des Geſetzes Jehova's ſei. # folche Anerkennung konnte e8 auch nicht gewinnen, fo Lange köundmahung und immer neue Bezeugung des Geſetzes Jehova's Mi borzugsmeife in der Predigt der Boten, die Gott fort und zu feinem Volke fendete, in dem lebendigen Wort der Offen- fung durch die Propheten, erfannt und anerkannt wurde; und am tigften Tonnten die einzelnen detaillirten und in allerlei Aeußer— keiten ſich verlierenden Satzungen eines gefchriebenen Geſetzes ! Anerfennung ihrer göttlichen Verbindlichkeit rechnen, während anerkannten Prediger des göttlichen Geſetzes alles Gewicht nur die wefentlichen Grundforderungen des geoffenbarten Gotted+ lens legten. So kam «8, baß die levitiſche Gottesbienftorbnung, Hon fie großentheils ſchon in der Grundſchrift des Pentateuchs tichnet war, während der vorerififhen Zeit in Allent, worin mit der herrſchenden Praxis im Widerſpruch ftand, nur ſo viel trfennung und Durchführung fand, als die Reiter d Machthaber, namentlich die Könige, ihre Grund- de geltend zu maden ſich angelegen fein ließen, wie nentfich Hisklia den Grundfag der einheitlichen Opfercultftätte die ganze Nation zur Geltung brachte. So fonnte es and men, daß die jüngfte Gefeßgebung, bie deuteronomifche, die nad Veife und in dem Geifte der Propheten das Geſetz Jehova's eugte, und in ihren Gottesdienft- und Rechtsordnungen ben bes jenden Verhältniffen, Gebräuchen und Gewohnheiten in manderfei odificationen der Älteren Gefeggebung Rechnung trug, durch das 25*

376 Graf

Zufammenwirken der Propetie (Jeremiat thums und des Priefterthums am früheften fand, und durch den Eifer und die Ener, Königs durchgeführt wurde; wogegen die gebung mit ihren mancherlei Sagungen er diger in dad Leben trat, ald man nad} den das gefhriebene Geſetzbuch als die Ki Jehova's zu betrachten und heilig zu halte noch auf eine bedeutende Gegenmwirkung di gottesdienftlichen und rechtlichen Gewohnheit Lebenskraft im Exil gebrohen war al fegesbeftimmungen gemäß ordnen konnte, So dürfte der Widerftreit der gottesbi der voreriliſchen Zeit mit der levitiſchen C wirklich vorhanden ift, die Kritik feineswe, gebung der mittleren Bücher des Pentateuc ftehenden Inſtanzen, für jünger als bie ein Product der Zeit des zweiten Tempels Weit mehr als mit dem Inhalt der er| ferent mit dem der zweiten einverftanden. ſich der Verfaſſer hier geftellt Hat, ijt eine V der Ehronif in Inhalt und Darſtellun ſchichtsbüchern zu dem Zwecke, fein Verhi feinen Werth als Quelle der Geſchichte klareres Licht zu fegen. Cine neue Unterju ftand war fehr am Plage. Denn feit bir tiſchen Urtheils de Wette's und Gramb der Chronik und das Verfahren des Chron ſelben, als habe er nämlich nur die Bi Könige benutzt und alle ihm eigenthümlicheı eigener Erfindung oder Combination Hinzu, Kannt ift, haben auch kritifche Geſchichtsforſe den Werth der Chronik als Gefchichtsgu indem fie allzu geneigt waren, die Abweichi Geſchichtserzählung als aus älteren Quell

die geſchichtlichen Bücher des U. Te. 877

taten, wodurch oft der Hiftorifche Werth der vorderen Propheten ı ungerechtfertigter Weife herabgedrüdt wurde. Weberhaupt find od) fehr unklare Vorftellungen über das Verfahren des Chroniften breitet, wie denn z. B. was Bleek in feiner Einfeitung (zweite uflage, S. 401 ff.) darüber fagt, nicht von ferne ahnen läßt, mit eher Freiheit der Chroniſt oft die älteren Ucherlieferungen den nfSauungen feiner Zeit, feinem levitiſchen Intereſſe und feinem wänetiihen Zwecke gemäß umgeftaltet hat. Unter dieſen Ums inden ift eine fo gründliche und erfchöpfende Unterfuchung, wie unſer Verfaffer hier darbietet, doppelt dankenswerth. Auf der lichen Vorarbeit, welhe Bertheau in feinem Commentare liefert hat, fußend und unter öfterer Verweifung auf dieſen Com- tor ftellt er eine bis auf das Detail der Darftellung und des berudds fich erftredende kritiſche Vergleihung der Chronit mit 3 Büchern Samuelis und der Könige an, wobei er ganz zweck mög von dem zweiten Buche ausgeht, darauf die Kritik der Ger ichte David's (1Chron. 10—29) folgen läßt, umd zufegt die ſchiedenen Verzeichniſſe (1 Chron. 1—9 u. 23—27) einer ein renden Prüfung unterzieht. Ueberzeugend hat er durch diefe Ver⸗ ihung in das Licht geftellt, dag der Chroniſt unfere Bücher muelis und der Könige nicht nur als Hauptquelle und Grundlage ies Werkes benugt, fondern auch ihren Text fo weit und fo iſtändlich wörtlich beibehalten hat, als es fein Zwed erlaubt, i er dagegen, wo biefer Text nicht mit den Anfchauungen oder gottesdienftlichen Gebräucden feiner Zeit übereinftimmte oder ' ı einem Könige ein anderes Bild darftellte als das, welches ‘5 die Umgeftaltung ber nie ruhenden Sage feinem Jahrhundert Augen ſchwebte, denfelben durch willfürliche Aenderungen aller : mit diefen Anfhauungen, mit den aus fpäteren Quellen ger ipften Erweiterungen und mit feinem Lehrzwede in Ueberein⸗ mung gebradt hat. Zu den auffälligften Beiſpielen folder igeſtaltungen gehört, neben der Erzählung über die Thronbeſtei⸗ g Salomo’s in 1Chron. 28 u. 29 vgl. 18K0n. 1, die Erzähr ig von dem Sturze Athalja's 2Chron. 23 (Graf, ©. 148ff.). : faft allen abweichenden Darftellungen und Zufägen weift der

378 b Graf

Verfaſſer aus dem Charakter der Erzählungen und bej dem Sprachgebrauce nach, daß fie, auch wo der Stoff Quellen entnommen fein muß, in ihrer uns borliegen von ber Hand des Ehroniften herrühren, fo daß deffen ci ſtelleriſche Thätigeit eine viel bedeutendere ift, als gem genommen wird, wie die auch Bertheau (Jahrb. f 1866, &. 159) dem Verfaſſer zugeftanden hat. hierin das Ergebniß der Unterfuhung wieder mehr de Wette's, fo Hat der Verfaffer doc andererfeits auch niges herausgehoben, was ber Chromift aus ben net vorderen Propheten von ihm benußten Quellen entnon muß; darunter auch eine Reihe von Nachrichten, die rein ammaliftifchen Charakter ihren Urfprung aus ben | under über die Geſchichte der Königszeit befunden (vgl zeichniß der im zweiten Buch enthaltenen derartigen ©. 187f.), während allerdings die Onelle, ans welche nift das meifte, und aus welcher er unmittelbat gefchör beträchtlich jüngere if. Wenn Referent auch in m zelnen mit dem Berfaffer nicht einverftanden ift, fo erke in dieſer detaiffirten kritiſchen Sonderung deffen, was in ans für uns verlorenen Quellenjchriften entnommen, vo als eigene Zuthat des Chroniften zu betrachten ift, ei brauchbare und wmeift zuverläſſige Grundfage für eine n und feiteren Grundfägen verfahrende Verwerthung der Geſchichtsquelle.

Auch mit dem, was der Verfaſſer über die in dem 4 Ehronit citirten Quellenſchriften bemerkt (S. 188 ff mic, faft durchweg einverftanden erflären, fowohl dam verfchiedenen Citate fait alle auf ein und daſſelbe Wer als damit, daß diefed Wert, „da® Buch der Könige | Zuba’s“, wie es am häufigften genannt wird, weber ı Konigsbuch, noch mit den in dieſem citirten Bücher: geſchichte der Könige Juda's und Iſrael's (deren CHaral treffend gefäjildert iſt) identifh fein fann, vielmehr ı Zufammenarbeitung der letzteren fein muß, in welche

bie geſchichtlichen Gucher des U. 2.8. 878

Bereiherungen, namentlich) mancherlei Prophetengeſchichten, aufge⸗ ımmen worden waren. Nur in Betreff des Verhältniſſes unſeres Rönigsbuches zu diefem Sammelwerfe muß ic) von der Anficht des derfaſſers abmeihen, da mit viel fiir die Anficht zu ſprechen ſchelnt, auch unfer Königebuch, adgefehen von 1Rön. 1 m. 2 und ber Weichichte Elias" und Elifa's, das vom dem Chroniften eitirte Buch er Könige Iſrael's und Juda's zur Grundlage hat, indem der derfaffer einzelne Stüde davon, wie-1 Kön. 12. 20. 22. 2 Fön. . 10. 18—20 unverändert mittheilte, fonjt aber einen feinem wecke entfprechenden Auszug daraus machte. Wer diefe Anficht, ren Begründung bier nicht gegeben werden kann, theilt, wird auch a dem Eitat 2Chton. 9, 29 eine Hinmelfung nicht anf unſer Wigsbuch (Graf, ©. 189), ſondern, wie in den Übrigen theile wie ahnlichen Citaten, auf das Buch ber Rönlge Ifrael's und rs finden.

Zum Schluſſe konnen wir nur wünſchen, daB auch dieſe zweite uſterhaft gtundliche Unterſuchumg geblihrende Beachtung finde, d daß durch fie richtigere Anſchauungen Über den Charakter nd a Siftorifchen Werth det chroniſtiſchen Geſchichtsetzuhlung vet» ätet werben möchten. .

Ed. Riehm.

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Appendix cod. celeberr. Sin. Vat. Alexandrini. 381

Herausgabe deſſelben nach Art des Sinaiticus, wozu ſich Tiſchen⸗ dorf auf eigene Koften erbot, lehnte Pins IX. ab, meil er eine ſolche ſelbſt in's Werk fegen wolle. Tiſchendorf aber „Hatte allen Grund, damit zufrieden zu fein, daß er dem lange gefühlten Bedürfniffe einer wirklich kritiſchen Behandlung des vaticanifchen Tertes nachkommen konnte, wenn er auch auf ein zweites fo pracht⸗ volles Werk, wie fein Sinaiticus, verzichten mußte“. „Er machte äh) denn auch voll Eifers daran, nicht nur die Handſchrift Zeile fir Zeile zu vergleichen, indem er dabei feine Aufzeichnungen über Me ihm aufgeftoßenen verdächtigen Stellen in den Mai'ſchen Aus- nben und den verfchiebenen Vergleichungen beftens benugte, fondern ind diejenigen Seiten, die ein befonderes Intereſſe für Paldo- wohie darboten, oder auch des Textes felber wegen vor allen Wirren wichtig waren, wie 3. B. das 5. Gapitel des 1. Johannis- kries, ferupulds abzuſchreiben“. Dies ruhig und glücklich zu Äibe zu führen, war ihm nicht vergönnt; denn etwa in der Mitte finer Arbeit erhob ein auf die wiſſenſchaftliche Ehre der römischen inrie eiferfüchtiger Jeſuit an allerhöchſter Stelle die Anklage, daß äfgendorf doc; eine Ausgabe nach Art des Sinaiticus vorbereite. ie nächſte Folge war ein Verbot der meiteren Communication % Code. Indeſſen gelang es Zifchendorf, über feinen Wider ker zu triumphiren und feine Arbeit zu vollenden, wenn auch Merdings zu der bisherigen Scrupulofität in der Detailvergfeihung fe im zugemeffene Zeit nicht ausreichte. Das Hauptergebniß at im Nov. Test. Vatic. vor, welches gleichzeitig mit dem ppendix erſchien und womit Tifchendorf „endlich eine fritifche iusgabe des nächſt dem Sinaiticus wichtigften Codex geben wollte“. m Appendix aber haben wir die ſämmtlichen Abfchriften vor lugen, welche Tifchendorf ſelbſt anfertigte. Die zwanzig Platten der Seiten) find mit den Lettern des Sinaiticus gedruckt, wobei it Interpunction und die oft ihre Stelle vertretenden Teeren Zwiſchen⸗ iume forgfältig wiedergegeben find, und die verfleinerten Buchſtaben Mm Anfang der Zeilen beobadhtet werden. Nehmen wir zu dieſen vanzig Seiten noch die am Ende gegebenen Facfimiles Hinzu, von men drei mit größtem Fleiße folchen Stellen entnommen find, die

882 Tiſchendorf

von der die ganze Schrift umfaſſenden ſpäteren Aufftiſr betroffen wurden, jo haben wir nunmehr endlich ein zu Abbild der Urfchrift, welches eine are Anſchauung von i rafter gibt. Bon Allem, was Tijchendorf in den Prolegor die Handſchrift ſchreibt, ift am Überrafchendften, was er Alter und den Schreiber derfelben mittheitt. Das vati N.T. ift nämlich von demfelben Schreiber gef deffen Hand auch das finaitifhe N. T. ſchrieb. dorf, der biefen in feinen Ausgaben der Sinaihandfehrift beweift feinen Sag ſowohl aus den Schriftzügen, ben und den befonderen graphifchen Eigenthümlichkeiten, als c ders ſchlagend aus der Orthographie beider N. T. 3. B. immer Ioayns ftatt Joavıns. Demnach gehört ticanus gleich wie der Sinaiticus in's vierte Jahrhunder ift aber nicht gefagt, daß ber Schreiber D beide Mo Original copirte -— dann wären beide Codices, der Va Sin., ja identifh! das find fie keineswegs, fondern entfloß einer anderen Quelle. Zur Entſcheidung der Bra; von beiden entfloß der reineren, älteren Quelle? wirt Zifchendorffche Editio VIII des N. T.s gewichtige geben. Man fehe nur die drei bis jegt erſchienenen ‚ver Evangelien an, und vergleiche fie mit irgend einer Ausgabe: welde tiefgreifende Veränderungen gehen da v Jetzt kommen wir zur dritten Gabe, welche ıms T ſcharfes Auge und unermüdliher Fleiß im Appendix ift der neue genaue Abdrud des Clemens v Den Hohen Werth diefer Schrift bekanntlich eine d apoftolifchen nad) der Heiligen Schrift felbft kennt je fhaftliche Theologe und weiß, warum am dreißig Aut Ueberjegungen des Briefes an die Korinther erfchienen; wohl auch, daß alle bisherigen Abdrüce des Textes un und unvollkommen find. Weder in Bezug auf die Li in Bezug auf die Lesarten ber bekanntlich einzigen | des Codex Alexandrinus, wußte man bisher ficher Dies erfennend und überdies erwägend, daß ber fehr

Appendix cod. oeleberr. Sin. Vat. Alexandrini. 388

Coder nicht Länger der immer wiederholten Antaftung ausgeſetzt merden dürfe, entfchloffeh ſich die Verwalter des Brittiſchen Mur jums, die ganze Handſchrift photographiren zu laſſen. Das jeſchah, aber der Zuftand der Handfchrift ift der Art, dag eine Photographie (melche überdies nur in wenigen Exemplaren exiftirt) feineswege in allen Fällen ausreicht. Denn tHeils iſt die Schrift vielfach unleferlih, das Papier vergilbt und verwittert, theils ift nd durch eine Galfapfeltinetur, welche man zur vermeintlichen Auffeifchung über den. Tert ausgoß, vieles fo entſtellt und ver mnteft, daß die Photographie öfters nur dunkle, unentzifferbare dchatteninſeln darbietet. So war es denn ein Glück, da Tiſchen⸗ nf mit feinem geübten Blick die Handſchrift forgfältig und genau ajtern und ganz nad) Wunſche benugen durfte. Er durchſchaute m die verdunfelten Stellen, unterfuchte "die faft erlofchenen Efriftzüge, und fah gar Manches, was felbft fehr forgfältig infhenden Gelehrten, wie z. B. einem Jacobſon, bei wieder« ‚ter Bemühung entgangen war. So gewann er fir bie Kritik es Clemens von Rom in Wahrheit glänzende Nefultate. Ich kife nur einige wenige derjelben mit.

Ep. I, ce. 49, p. 52 Hilgenfeld las man bisher allgemein he Arg: 10 neyadsiov vis xallovig adrod vl; dgxeidg des elrreiv; Tiſchendorf fand, daß vielmehr dafteht: zis exsrög Ebsıneiv! Yet wundert man ſich freilich, daß tiemand an dem Zdss Anſtoß genommen hat.

Ep. I, c. 2, p. 6 fteht im Eoder: auaumao. Das aber t auvnolxexoı, da das ap, wie fo oft, aus Verſehen verdop⸗ at iſt.

Ep. I, c. 13, p. 16 vermuthete ich längſt, was Tiſchendorf bt ganz feftftelit. Es ift nämlich, nicht davrodg egüg zu leſen, dern Savrods sis. Denn das unpaffende eos überſchrei— t aud den Raum: nicht vier, fondern drei Lettern mur inden da. In derfelben Weife find ohne Zweifel viele Stellen u zu umnterfuchen und zu berichtigen, und eine ganz neue Text» gabe ift ein dringendes Bedürfniß. Iſt doch auch das viel» ‚fprochene zul Erri To Tegua wis does endlich mit Bejtimmt-

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Vrogramm der Hunger Geſellſchaft zur Vertheidigung der chriſtlichen Religion für das Jahr 1867.

Directoren der Haager Gefellfchaft zur Vertheidigung der hriftliger Religion haben in ihrer Frühlingsverfamm- ung im Monat April d. J. ihr Urtheil ausgeſprochen über zwei jochdeutſche Abhandlungen, die Frage betreffend:

„Zudem über die Gefegmäßigfeit und Nothwendigkeit der Todes- trafe, beſonders auf juriftifchem Gebiete, für und gegen geftritten ft, berufene Theologen aber dieſen Gegenftand noch nicht hinreichend handelt Haben, fo verlangt die Gefellihaft, ganz befonders vie Religion und die theologifche Wiffenfhaft in’ Kuge faffend, eine ‚Abhandlung über die Todesftrafe‘.“

Die eine Abhandlung, mit dem Wahlſpruche: Wenn die Ge- . :ehtigfeit untergeht u. f. w., befürwortete die Todesſtrafe, ie andere, mit dem Motto: Der Buchſtabe tödtet u. f. w., nftritt fie. Obgleich Directoren der erftgenannten Abhandlung a8 Rob nicht verfagen konnten, daß fie manche wifjenswerthe Ein- elnheiten enthält, waren fie dod ber Meinung, daß die zuleßte nannte in mancher Hinficht den Vorzug verdiente. Nichtsdeſto— veniger fühlten fie fich gedrungen, ſowohl diefe als jene Abhandlung nbefrönt bei Seite zu legen, weil, ihrem Urtheile nach, die ver- dienftfichjte den Mangel der Einfeitigfeit hatte, und die andere zu oberflächlich gehalten war; beide aber dies miteinander gemein hatten,

386 Programm

daß fie zwar Licht über die Gefchichte des Ge aber in felbftändiger Beantwortung der Fre die Religion und die theologiſche Auge faffend, Hinter den Anforderungen

Bon diefem Urtheile wurde baldmöglichfi tifhen Kirhenzeitung eine kurze Na Verweifung auf das diesjährige Programm.

In ihrer Herbftverfammfung, im Monat rectoren ihr Urtheil ausgefprodhen .über dr: eingelaufene Antworten auf ausgefchriebene zwei hochbeutjche, betreffend die Frage:

Im Hinblid auf den heutigen Materiali Unterſuchungen auf anthropologifchem Gebiete „Kann die dualiftifhe Anſchauung als ein aus Leib und Seele zufamm auch jegt noch aufredt erhalten wer moniftifhe ihre Stelle einnehme Monismus vertheidigen ohne Schal ben an die perſönliche Unjterblichle

Die eine hatte zum Wahljpruh: Yn’s ! u. ſ. w. ber, ohne noch Ruckſicht zu ı falſchen Theſen und andere darin enthaltene die Verfammlung der Meinung, daß ein Auffag, der im Drud nicht einmal zwei 2 nit den Namen einer Abhandlung verdiene, eine fo fchwierige und vielumfaffende Frage zweite, mit dem Motto: Zr Tod ögarod mit mehr Anerkennung geurtheilt. Directo feitigen Kenntniffe, das philoſophiſche Studir des Urtheils, wodurd fie fich auszeichnete, a tonnten fie auch diefem Verfaſſer den ange zumeifen, weil es ihm, ihrem Urtheile nac mögen, die Einwürfe gegen feine Löſung d zu befeitigen, wie er denn auch unter An Erſcheinungen im organifchen Leben des Pi bindung diefer mit feiner geiftigen Thätigleit

der Haager Geſellſchaft 4, Vertheid. d. chriſtl. Religion. 887

Die dritte zur Tafel gebrachte Abhandlung war eine Inteinifche, mit dem Wahlfprudj: “Erormor da del migos dmoloyiav, die Droge betreffend: „Die Gefeltfchaft verlangt eine apologetifde Abhandlung über ben bleibenden Werth des Chriften« hums.“

Directoren fanden darin einen Aufſatz, der, aus Mißverſtändniß ur Frage, fich großentheils außerhalb des Gegenftandes bewegte, ud viel zu unbedeutend war, als daß fie an Belrönung Hätten enlen Können,

Die Geſellſchaft Hat befchloffen, die zwei obenbenannten Fragen wimald auszufgreiben; die eine etwas umgeändert, die andere ait einem Zufage verfehen, wonach fie jegt aljo lauten:

1 „9m Hinblid auf den Heutigen Materiolismus und bie Baiften Unterfuhungen auf anthropologiſchem Gebiete fragt die Silihaft: Kann die dualiftifhe Anſicht über den Renfchen, als ein aus Leib. und Seele zufammen- tſetztes Weſen, aud jegt noch aufreht erhalten erden, oder ift fie durch die moniftifdhe, in einer jrer Formen, zu erfegen? Und kann diefe Erfegung attfinden ohne Schaden für den Glauben an bie per» inlige Unfterblichleit des Menfhen?“

I „Weil Etfihe in unferen Tagen fich erfühnen, das Chriften- nm, es fei mit ober ohne Anerkennung feiner Verdienfte für frür - ne Jahrhunderte, als völlig antiquirt zu erklären, Andere dagegen mtwährend noch Manches zu handhaben ſuchen, mas im traditior len Chriſtenthum wirklich antiquirt ift, fo verlangt die Gefell- hit: Eine apologetifhe Abhandlung über den bleis enden Werth der hriftlihen Religion.“

Auch die folgende Frage wird auf's Neue ausgefchrieben:

II. „Zudem über die Gefegmäßigfeit und Nothwendigkeit der odesſtrafe, bejonders auf juriftiihem Gebiete, für und gegen ftritten ift, berufene Theologen aber diefen Gegenftand noch nicht nreihend behandelt haben, fo verlangt die Gefellfhaft, ganz :fonders die Religion und die theologifche Wiffen- haft in's Auge faffend, eine Abhandlung über die Todes. :afe.“

Daun, Google

der Haager Gefellichaft 3. Vertheid. d. chriſtl. Religion. 889

Bor dem 15. December dieſes Jahres wird noch Antworten nigegengefehen auf die Fragen über die Askeſe, den Baro- ismus, den Wunderbegriff der Berfaffer des N. Ts, ie Zufunft des Herrn, die Trennung von Staat und 'irhe und den Krieg, um in ber Herbftverfammlung des Jahres 868 beurtheilt zu werden.

Säriftfteller, die fi) um den Preis bewerben, werben darauf machten Haben, daß fie die Abhandlungen nicht mit ihrem Namen, mbern mit einer beliebigen Devife unterzeichnen. in befonberes, tamen und Wohnort enthaltendes und gut verfiegeltes Billet de fobann diefelbe Devife auf der Abreffe.

Die Abhandlungen müffen in holländifcher, lateinischer, fran« Kider oder deutſcher Sprache abgefaßt, und die in deutfeher Sprache x Inteinifchen Buchſtaben gefchrieben fein, widrigenfalls fie bei Site gelegt werben. \

Ueberdies wird den Verfaffern auf's Neue in Erinnerung gebracht, 2 auf gedrängte Behandlung großer Werth gelegt wird. Auch itfen die Verfaffer nicht vergeffen, wie ſehr fie ſich felber fchaden, enn fie bei ihren Antworten auf die Fragen der Geſellſchaft die übere Form vernachläffigen. Directoren machen darum auch jet ven feften Beſchluß bekannt, daß fie Abhandlungen, deren Schrift ich ihrem einftimmigen Urtheile undeutlich ift, der Beurtheilung ht unterziehen werden. derner fei aufs Neue zur Warnung daran erinnert, daß es jne Bewilligung der Geſellſchaft nicht erlaubt ift, feine gefrönte bhandlung herauszugeben, weder einzeln, nod in einem anderen derfe, .

Auch werde im Auge behalten, daß die eingereichte Handfchrift ner abgewiefenen Abhandlung das Eigenthum der Gejellfchaft leibt, es ſei denn, daß diefe fie freiwillig cedire.

sl. Stud. Jahrg. 1868, 26

Im gleichen Berlage ift erſchienen:

Neander, Dr. A., Werke, 13 Bände Tholucdt, Dr. A., Werte, 9 Bände . Ullmann, Dr. C., Werke, 5 Bände. B Reander, Dr. A., Kirchengeſchichte. 4. Aufl. 9 Die. Apoſtelgeſchichte. 5. Aufl. —. Leben Jeſu. 6. Aufl. . . Ullmann, Dr. C., Gregorius v. Nazianz. 2. Aufl. Reformatoren vor der Reformatior 2. Aufl. 2 Bde.. _ Sündlofigfeit Jeſu. 7. Aufl., 2. Abdi Hupfeld, Dr. H., Die Palmen. 2. Auflage, herausgegebe von Dr. €. Richm. 1. Band . . (Der 2. Band erfKeint in wenigen Bogen) Fabri, Dr. Fr., Kirchenpolitifche Frage. 3. Aufl. Krigler, H. Humanität und Chriftenthum. 2 Bde. . Gremer, Dr. H., Bibliſch-theologiſches Wörterbud) . (Durch endfiches Erſcheinen der zweiten Hälfte iſt dieſes be deutende Buch volfftändig geworden.) ütterodt, Graf Ludwig: Erneſt Graf zu Mansfelt 1580—1626. Mit einem Anhauge: Originalbrief Mangfeld’8 und Tilly's . . Müde, Dr. Auguft, Die Dogmatik des 19. gehrhundert Schulze, Dr. 2, Vom Menſchenſohn und vom Logos Schmidt, Dr. G., Juſtus Menius, der Thü ringens. 2 Bände uch dieſes Werk ift duch Erſchinen des weiten Bande jest zum Abſchluß gekommen.) Böttiger, Geſchichte von Sachſen. 2. Aufl. Derautgegebe von Dr. Th. Flathe. 1. Bd. oo. NReander, Dr. A., Ueber den _ Julianus und ch Zeitalter. 2. Aufl. . Brandt, M. ©. W., Erinnerungen an 1 Carl Daniel Sur Rein zu Nonnenweier Daffelbe, mit Portrait und Bootographie Pröle, Dr. H. A., Andreas Proles, Vicar der Kuga ein Zeuge der Wahrheit vor Luther . . . .

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Studien

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das gefammte D. €. Ulmen

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D. €. 3. ,Nitzſch, ] D. ©. 8. Hmm cinun

bei Friedr

Theologiſche Studien und Kritiken.

Line Zeitſchrift für wgefammte Gebiet der Theologie, begründet von D. €. Ullmann und D. 3. W. €. Umbreit und in Berbindung mit . €. 3. NRitzſch, D. 3. Müller, D. W. Veyſchlag Herausgegeben

vom

D. ©. 8. Hundeshagen um D. €. Riehm.

Jahrgang 1868, drittes Heff.

Gotha, bei Sriedrih Andreas Perthes,. 1868. v

Abhandlungen.

250, Google

1.

Am fünfzigjährigen Stiftungstage der evangelifhen Union.

Geftrede, Yhlten am 31. October 1867 in der Aula der Univerfität Halle-Wittenberg

von

D. Willibald Benfhlag.

Hocherehrte Verſammlung!

Am heutigen Tage, dem vierthalb-hundertjährigen Gedenktage der formation, feiert auch die Stiftung des legten Neformationd- biläums, die evangelifhe Union, ein fünfzigfägriges Beſtehen. fe theologische Facultät von Halle-Wittenberg hat es für recht achtet, diefen Tag auch ihrerſeits nicht ohne feſtliche Begehung ! laffen, und ich habe mic) dem Auftrag, biefer Feier zum Organ dienen, gern unterzogen. Wenn ic) demfelben doch nicht mit em freudigem Feftgefühl gegenüberftehe, fo liegt das nicht daran, 8 ich zu der Sache, welcher es gilt, ein ſchwankendes Verhältnig te; es kann Niemand unter und klarer und wärmer zu ihr ftehen 8 ih. Was mir vielmehr befehwerend auf dem Herzen Liegt, 8 ift die Gefchichte der Union in diefem halben Jahrhundert tes Beſtehens. Nein, die evangelifche Union Hat keine Urſache, efe ihre fünfzigjährige Geſchichte zu feiern!

Indeß, die Union hat eine ältere, größere Geſchichte als die von 817 an; fie hat eine Vorgeſchichte von Anbeginn der Reformation,

898 Beyſchlag

der Reformation, deren ganze Entwicklung der Unionsgedante mie ein guter zum Weg des Friedens rufender Engel freilich, nen] einem anderen und nad) anderer Seite Hin lockenden Geifte begfeitet. Und wenn ein Gedanke in der Anlage einer nod) uner⸗ ſchöpften geſchichtlichen Entwicklung, in einem Haren Plane göttliher Weltregierung feine Stelle hat, dann macht's wenig aus, ob einmal der Wind eines Menſchenalters ihm widerwärtig ift und unte entgegengefeßt auffehäumenden Wellen die wahre gefchichtliche Strö mung ſich vorübergehend verbirgt: „was Er fi) vorgenommen ur was Er haben will, da8 muß dod endlich kommen zu feinem Zi und Ziel“. Erheben wir uns, meine Freunde, über die Hai Schwankungen und widrigen Eindrüde der Gegenwart zu je Höhe geſchichtlicher Betrachtung, zu welcher der Doppelcdaraktı dieſes Tages als eines Reformationd- und eines Unionsjubiläum uns einlädt, und verfolgen wir den rothen Faden der Union durd die Gefammtgefchichte der evangefifchen "Kirche!

Freilich, ehe wir das verfuchen fönnen, gilt es noch eine frage zu erledigen. Die Spradverwirrung diefer Zeiten brig mit fi, daß, wer über Union reden will, immer erft fagen was er unter derfefben verfteht. Num, ich verftehe unter Uns ganz dafjelbe wie der fönigliche Aufruf von 1817, der fie bei in's Dafein gerufen Hat. Nicht eine Alfermeltsfirche, im der A zufammenflöffe mit alleinigem Ausfchluß des Papſtthums, denn wäre feine evangelifche Einheit, feine Einigung der beiden re formatorifhen Kirden. Nicht einen bloßen „Geift der M Bigung und Milde“, der zwei getrennt bleibende Confeſſionen durd wehen ſollte, denn diefer Geift Hat feine firchenrechtliche Greifbartt und weht gottlob auch außerhalb der Union. Auch nicht ein bloße Combinirung diefer beiden Eonfeffionen, die nur die beider feitigen Bekenntniſſe addirte unter Subtraction der Differenzpunttt denn wenn die Befenntnißfchriften in allem Anderen abfolute Br rechtigung haben, fo haben fie dieſelbe aud in ihrer Differen; Sondern, wie e8 im Unionsaufruf von 1817 heißt, die einigung der beiden getrennten proteftantifchen Kirchen, der mirten und futherifchen, zu Einer evangeliſch⸗chriſtlichen“; die mırt ide Bereinigung, die natürlich vorausfegt, daß man der

Feſtrede am fünfzigjähr. Stiftungstage ber evangel. Union. 399

beiten Sondergebilden aud in feinem einzigen Punkte mehr ein objoutes echt zuerfenne, fondern auf die einheitlichen Principien derfelben zurüchgehe und auf deren Grund ein wirklich Neues werden Iaffe, aus altem und jungem Material, in reicher Mannichfaltigkeit md lebendiger Einheit. Sagt doch auch das Wort „Union“ tbendied und nichts Anderes. „Union“, Einigung, das ift ein Proceß, in den wir beiderfeits eingetreten find, ein Proceß, der feine mehr ser minder fortgefchrittenen Stadien haben kann, in dem jedes Stadium mit Freiheit erreicht und mit Geduld abgewartet werden nill, deffen endliches Ziel aber nichts anderes fein kann, als die sirffihe Einheit. Nur eben nicht die katholiſche Einheit, die miforme, die feine Berfchiedenheiten duldet, fondern die enangelifche, de ſich derfelben freut, weil jeder lebendige Leib ans allerlei ein- ik dienenden Gfiedern beftehen muß.

Und, meine Freunde, mußte nicht ebendas auch fchon die Irhfihe- Idee der Reformation fein? Das Joch der geſetz-⸗ ihen Kirche wollte man abthun und die evangelifhe Freiheit der deniffen Herftellen: konnte man da die evangeliſch erneute Kirche sederum auf ein ſtarres Gefeg, auf ein Gefe der Lehre gründen oollen? Die apoftolifche Kirche wollte man wiederbringen: aber ren denn die Apoftel "Petrus, Johannes, Paulus in der Lehr- orm einig geweſen? Einig waren fie im Glauben, in dem Halten a dem Einen Heildgrumde, der gelegt war, in den großen Prin- ipien des neuen Wefens in Chrifto, und auf diefe Einheit hatten ie fi) die Hand der Gemeinſchaft gereicht (Gaf. 2, 9), unbeforgt, 5 der eine auf jenen Grund Gold, der andere Silber oder edle Steine baute, oder aud einmal einer dem andern Holz, Stroh, Stoppeln darauf zu bauen ſchiene (1 Kor. 3, 11f.). So mußte ac die Kirche der Reformation ein einheitliches Fundament haben, enn wie wäre Kirche, d. 5. Glaubensgemeinfchaft, möglich ohne in ſolches? mit nichten aber mußte und konnte auch der Lehrbau, er auf diefem einheitfichen Glaubenggrunde ſich erhob, ein in voller Finhelfigfeit ſich entwidelnder, alle Differenzen ausfcjfießender fein.

Darum, als nun die Reformation nicht blos an Einer Stelle, ondern an zweien zugleid, auftrat, in zwei gleich felbftändigen Per— Önficteiten, denen es ſich fofort anfehen fieß, daß ihre Geifter nicht

Daun, Google

Feſtrede am fünfzigjähr. Stiftnngstage ber evangel. Union. 401

wo fie es nicht Können mit mir Halten.“ Allerdings bedeutet ihm dies Dulden noch nicht die volle brüderliche Anerkennung; behufs biefer drängt er bem Bucer in Wittenberg faft mehr ab, als diefer jugeſtehen kann, aber immerhin hat er dabei über eine wenn auch, untergeordnete Lehrdifferenz Hinmeggefehen, und nod; mehr, als jernach die Schweizer ihm ihre Nichtübereinftimmung mit dem Bucer'ſchen Zugeftändniß offen erffären, kündigt er ihnen doch die wihloffene Freundſchaft nicht auf, erläutert ihnen vielmehr feine Doctrin auf's aflermildefte und will es „göttlicher Allmächtigkeit kfohlen fein laſſen, wie Ehrifti Leib uns gegeben werde“. Es ift an ſchönes, noch Heute beherzigenswerthes Wort, das er hiebei gegen fie mefpricht: „Nicht ift mir die ganze Zeit des aufgegangenen Evangelii dröhlicheres widerfahren, als daß ich nach dem Häglichen Zwiefpalt ai eine Eoncordiam Hoffen, ja fehen fann; denn die Zwietracht beber mir noch jemands geholfen, fondern vielen Schaden gethan, nf freilich nichts Nützliches noch Gutes darin zu hoffen gemeft, uch noch ift.“

Es ift wahr, Luther hat den Hauptgrundfag unferer heutigen Inionsdoetrin, daß Unterjchiede der Lehre bei weſentlicher Zuſam— tenftimmung im Glauben fein Hinderniß kirchlicher Gemeiuſchaft ilden follen, nie förmlich anerkannt: für feine heroifche Natur, ie im Kampf mit einer Weltmacht und Weltgefchichte der unbe ingten inneren Gewißheit bedurfte, gab es nichts Schwereres, als tgend etwas, das ihm in heißen Kämpfen feſt geworden war, irgend- de wieder dahingeftellt fein zu laffen. Dennoch, wenn ich fein erhältnig zu Melanchthon anfehe, von dem er's erlebt, daß er ein Abendmahlöbefenntniß verläßt, ja eine andere, auch den Schwei— ern annehmbare Faſſung in's Augsburger Bekenntniß hineinfegt, wenn ich fehe, wie Luther mit diefem im Punkt des Abend- iahls anders denkenden und Ichrenden Melanchthon doch Sonntag m Sonntag zum Tiſche des Herrn geht, fo muß ich fagen, 'er nt in diefem Verhältnig die Union auch in unferem heutigen Sinne hatſächlich ohne Wandel gehalten und immer wieder von Neuem ollzogen, und es ift unfaßbar, wie es Heute lutheriſch fein foll, ieſelbe Abendmahlsgemeinſchaft, die Luther mit Melanchthon hielt, nem wie Melanchthon Denfenden zu verfagen. Aber es hat be»

_ Beylchtag

kanntlich zwiſchen Luther und Melanchthon noch eine andere Lehr differenz beſtanden, indem Luther im Punkte der Gnadenwahl fein gegen Erasmus ausgeſprochene Auguſtiniſche Anſicht die nadı malige Calviniſche Kirchenlehre zeitlebens feſthielt, Melancht dagegen die Realität der menſchlichen Freiheit und die Bedingthe des göttlichen Rathſchluſſes durch diefelbe die nachmalige luth riſche Kirchenlehre vertrat. Wenn demnach die beiden Häu der deutſchen Reformation in den beiden nachmaligen Hauptdifferenz punften der proteftantifchen Confeffionen wechſelsweiſe verjdje denfen, jeder in einem diefer Punkte reformirt, in bem ber art die nachmalige Tutherifche Kirchenfehre vertritt, ift denn da volfe kirchliche Gemeinfchaft, in der fie beffenungeachtet bis x Tode miteinander geftanden Haben, eine Gemeinf—haft im Sin unferes modernen Confeffionalismus, oder ift fie eine Gemeinihek im volfften freieften Sinn der Union?

Dennoch, als die damals noch flüffige Kirchenbildung der Ref— mation nad; Luther's Tode fih zu verfeftigen begann, mar Ergebniß feine Kirche, in welcher Luther und Melanchthon eint tig miteinander hätten wohnen können: ftatt der Eintrachtsfir haben wir die Eintrahtsformet erhalten und mit ihr bie befieg tirchliche Zwietracht. Gewiß, e8 ift eine gefchichtliche Nothmendi feit in dem Gange, den die Dinge nach Luther's Tode nehm: wie hätte er fonft fich durchjegen können trog einem Melandit trog einem Calvin, den großen Häuptern auf beiden Seiten, di in der reinften Unionsgefinnung verbunden dennoch das von % fenden mit bfutendem Herzen Empfundene nicht aufzuhalten ver mögen. Die Epigonen der Reformation wußten fic feinen anderem Rath, die Errungenfchaften der Heroen ſicherzuſtellen, ale die Au prägung berfelben zum Lehrgeſetz, die Begründung der Kirche af die Spige de8 Dogma's: aber der eherne Gang gefchichtlicher Roth wendigkeit, den fie gingen über die Leiche Melanchthom's, dit Märtyrers der Union —, die echte Nachfolge, die wahrhaftige dort fegung der Reformation war er nit. Er war ein Uebergarg wie einft aus dem Zeitalter der Apoftel in das der Kirdennäter, welches auch mit gefchichtlicher Nothwendigkeit Herauffteigt, welttet auch von einem reichen Erbtheil des apoſtoliſchen zehrt, und jet

Feſtrede am fünfzigiähr. Stiftungstage der evangel. Union. 408

m gegenüber feine eigenthitmliche Größe hat, aber das dennoch m der vorangegangenen Höhe und Reinheit immer weiter herab⸗ mmt, immer ftärfer ein zugemifchtes falſches Princip der Geſetz- heit offenbart, denn das Evangelium ift nun einmal fein djeg, weder ein Gefe der Werke, noch ein Gefeg der Dogmen. ı den Früchten, Heißt e8, erkennt man den Baum: mas waren ı Bergleih mit den Früchten der Reformation die Früchte jener mmatiſtiſchen und darum unionsfeindlichen Zeiten? Daß die beiten bensfäfte der beiden evangelifchen Eonfeffionen fich nach der offenen unde zogen, um dort in Zank und Haß zu vereitern, daß das ift der confefftonellen Polemik die Predigt, ja den Unterricht der mündigen zerfraß und verzerrte, daß die menerfchlojjene Bibel Mm Buch mit fieben Siegeln, die Rechtfertigung durch deu Glauben mRuhefiffen fittlicher Trägheit ward, daß der Anhänger Calvin's, vdoh anerfanntermaßen die Augsburger Eonfeffionsverwandtfchaft log, dem Lutheraner fremder und verhaßter ward als felbft t Bapift; endlich, daß über dem inmerevangelifchen Hader der ainfame Erbfeind furchtbar wieder zu Kräften fam und der formation die Hälfte des ihr willig zugefallenen Gebietes ge- ltſam wieder entriß. Wenn wir und fragen, woher doch unfer tiches Volk, deſſen Herz um die Mitte des fechzehnten Jahr nderts und noh am Schluß deffelben unter dem Evan— ium der Reformation faft ungetheilt entgegenfchlug, heute in der #ift, feine verlorene innere und äußere Einheit ohne Zu- in von Neligion und Kirche zu fuchen, wir werden vor Allem en Geift confeſſionellen Haders anzuklagen Haben, der dem fpa- Gen Orden und der ſpaniſchen Dynaftie bei ihrer Zerreigung eutſchlands fo gründlich in die Hände gearbeitet hat. Ich weiß, emand in unferer Kirche will. heute noch die confeffionellen Zu— ade jener Zeiten. Aber wenn ihr die Früchte nicht wollt, anzt auch die Bäume nicht, die fie tragen!

Aber auch im jenen vom Geift der Zwietracht beherrfchten iten hat es der Union nicht an Wahrheitszeugen gefehlt. Einmal d die Spuren Melanchthon's in Deutfchland dod nicht auszu— gen geweſen; fie dauern fort in jenen lutherifchen Gebieten, die d der Goncordienformel erwehren, in jener Heffifchen Kirche, von

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Feftrebe am fünfzigjähr. Stiftungstage der evangel. Unton. 405

iemit auf vechtem Wege ift, wie Heute wieder jo Mancher meint, enn wenigſtens die offenbar felbftgewiffere,. in ihrer Sondergeftalt ſtere und fprödere Eonfeffion, die lutheriſche, hiemit eine gefunde, male Entwicklung vollzieht, nichtwahr, fo muß in dem Maaße, 8 fie ihre Beſonderheit durchbildet, auch die innere Kraft der onfeſſionslirche wachſen, die geiftige Macht, mit der fie ihr Volt tchlich umfaßt, ſich fpannen und fteigern? Aber fiehe da, das egentheil gefchieht: gerade als die Confefjionskirchen die Aus⸗ Rung ihrer Sonderegiftenz fo weit als möglich gebracht Haben, agen fie an zu verwelfen und abzudorren wie Bäume, denen ber nit ausgeht. Cine wunderliche Lähmung durchfährt das kirchliche fen zumal der [utherifchen Seite; dem ftreitbaren Theologen ent» Mt das Schwert der Polemik, von Geifterhand daniedergefchlagen; x Beift des Yahrhunderts will das nicht weiter, er hat ſich ab» andt von diefer ganzen Art und Weife der Kicchlichkeit, und mächtig, ein dumm gewordenes Salz, fteht die Kirche dem fich ihr tzichenden Genius des deutſchen Volfes gegenüber. O daß doch dies attesgericht des achtzehnten Jahrhunderts endlich verftanden, endlich erigt würde von Denen, welche den Geift des neunzehnten Jahr⸗ uderts mit denfelben Mitteln zu zwingen meinen, die ſchon am tzehnten kläglich verfagten; als ob der Genius unferes Volkes nicht Is für allemal erklärt hätte: in eurer engen Klaufe fann und Kid fürder nicht wohnen! Aber, wird man mir. antworten, ! denn diefer Geift des deutſchen Volkes nicht damals auch mit nChriftentfum, mit dem Evangelium der Reformation gebrochen, dem ihn zurückzuführen doch unfere unbebingte Aufgabe ift? ohl, ich weiß recht gut, daß damal8 mit der ungeniebar gewor- ien Schale taufendfältig auch der gute göttliche Kern weggeworfen wden ift: wer war daran mehr ſchuld, als wer denfelben ohne ſe Schale nicht bieten wollte und konnte? Doc) ift’8 die Meinung fereg Volles bekanntlich nicht gewefen, mit dem Chriftenthum, t der Reformation zu bredien, als es mit der Kirchenlehre brach, d wenn es fo- unklar darüber war, was Chrijtenthum, was Re— mation fei,. wer hatte, als das ganze Volk noch gläubig in die chliche Schule ging, verfäumt, es beifer zu lehren? Dann aber iht ja fofort inmitten der allgemeinen Verwirrung und Veröbung

406 Beyſchlag

wahrhaftiges evangeliſches Chriſtenthum aus den Tiefen des deut! ſchen Lebens quellfriſch wieder hervor in einem Klopſtock, Hamam, Herder, Claudius, Novalis, Schleiermacher, und erftarkt in dm Tagen betenlehrender vaterländifcher Noth zu volksthümlicher Matt, aber freilich, es ift formlos, undogmatifch, heterodor, es il weder Iutherifch noch veformirt, und dennoch evangelifch, denod) mas doch das einzig Nothwendige ift lebendiges Chriſten- thum!

Und dieſes neuerwachten evangelifchen Chriſtenthums fire Ausdrud, Firchenbildende That war die am dritten Neformations jubiläum beginnende evangelifche Union. Nicht ein fürftlicher Einfall oder eine That dynaftifcher Kirchenpolitit; wiewohl ich denfe, dah gerade nach der Verfaſſungsgeſchichte der deutfchlutherifchen iu ſolch eine fürftliche Initiative wohlberehtigt war und daß es den Hohenzollernſchen Haufe wohl auftand, feinen Beruf, dem großen Anliegen nationaler Entwicklung thatkräftig entgegen zu komm auch Hier zu bewähren. Was ein in Gottes Schule gegangen Fürſt auf dem Tichten Höhepunkt feiner Laufbahn zur freien Schließung feines Volkes gewendet ausſprach, er nahm es fei Volke, feinem Zeitalter von den Lippen; wäre e8 ander® gemeit fein Wort wäre fpurlos verhallt, anjtatt taufendftimmiges, un: theiftes Echo zu finden. Auch nicht eine That des LUnglauben und der Gleichgültigfeit: die Tage der Aufklärung und des Indif rentismus waren vorübergegangen, ohne daß fie e8 der Mühe wert geachtet Hatten, die brüchige Scheidewand der Confeffionen adj brechen, deun was lag ihnen an den Confefjionen überhaupt? Erſt der wiedergefehrte heilige Ernft und fromme Glaube empfand der Trieb kirchlicher Reform, fuchte und ftiftete ſich ein kirchliches Weien, in dem er fi) daheim fühlen Konnte, Entfpringend an dem wahr und warm gefeierten Gedenktag der Reformation war die Uniont bewegung wahrlich nicht befenntnißlos, vielmehr lautes Bekenntnis: „Wir wollen vom Glauben der Väter nicht laſſen, wir wollen un neu erbauen auf unfern alten evangelifchen Glauben.“ Aber freilid auch die deutliche Erklärung: „Wir wollen und neu auf ihn baucı, wir wollen nicht den jungen Wein it die zerriffenen alten Schläutt faffen, wir wollen dem Glauben unferer Väter nachfolgen, nicht

Feſtrede am fünfzigjähr. Stiftungstage der enangel. Union. 407

ihrem Glaubens zank und »ftreit; wir wollen einen einheitlichen Reuban aufrichten aus der alten baufälligen Doppellirche, mit Ber zendung jedes guten alten Baufteins, der ſich findet, aber auch mit wen Mitteln, wie der Geijt fie uns gibt, und vor Allem nad inem neuen Bauriß, nicht mehr eine Kirche des Lehrgefeges md des Lehrftandes, fondern eine Kirche des freien lebendigen aubens und der Iebendigen gläubigen Gemeinde.“ Und ich denke, ver Ohren Hat zu hören, der Tann auch Heute noch inmitten alles detümmels der Parteien dieſe Herzensmeinung unferes beutjch- dangelifchen Volkes deutlich vernehmen. Es war ein ſchöner Sonnenaufgang, ein Lichtbli, wie er nicht ft im Leben eines Volkes vorkommt, diefer 31. October 1817, er ſchien eines guten Tages Verheißung, eines Tages voll hen und Segen. Aber die freundliche Sonne hat fi bald Water düfter auffteigenden Wolfen verborgen, und jene gute Morgen- hmde, fie ſollte wenigftens bei uns in Preußen bie einzige te Stunde bleiben, von der die Union bis Heut zu fagen weiß. tahdem der große edle Gedanke in Volt und Zeit hineingerufen nr, hat man verfäumt, den einzigen Weg zu eröffnen, auf dem sjelbe zu voller freier Verwirklichung kommen konnte, die Mündige dung der Gemeinde. Statt deffen jene unfelige Verwicklung * Unions⸗ und der Agendenfache und das noch unfeligere Zwangs⸗ fahren gegen Die, welche in der unveränderten Weife ihrer Väter jott zu dienen begehrten, ein Unrecht, in deſſen Gefühl man an auf den Weg jener wie halbe Widerrufe Elingenden Unions- tlorationen gerieth. Inzwiſchen war überhaupt mit dem frühe Gen nationalen. Gefühlsaufſchwung auch der religiöfe und Kirchliche aurig gedämpft; die überwunden geglaubten verneinenden Geiſter 8 achtzehnten Jahrhunderts erhoben in neuen erfchredenden Ges alten und Waffenrüftungen wieder ihr Haupt, und dem gegenüber reitete, beſonders im geiftlichen Stande, jene troßige und verzagte degenftrömung ſich aus, welche mit kirchlichen Reftaurationen die Beifter der Zeit zu bewältigen meint. Von dieſer wachfenden Ge- enftrömung eingefhüchtert, hat das Kirchenregiment wir fagen 8 offen feither zur Erhaltung der Union wenig, zu ihrer För- verung fo gut wie nichts zu thun gewagt, während es zu ihrer Theol. Stud. Jahrg. 1868. 28

408 ö Beyſchlag

Verkummerung und Unterwühlung Vieles geſchehen ließ. Und fo ſind wir in dieſe Stunde gekommen, in der wir uns des befeſtigten Beſtandes der Union feſtlich erfreuen ſollten, und in der die Sorge um ihre Aufrechterhaltung die Kreiſe ihrer Freunde wieder und wieder durchſchleicht.

Dennoch, auch am Ende dieſes halben Jahrhunderts voll Ungunſt ſteht unfere Sache günftig genug! Achten wir doch, wie der Heiland felbjt uns mahnt, auf die Zeichen der Zeit! Was erbliden wir denn in dem kirchlichen Leben diefes Jahrhunderts? Lutheriſche Gemeinden, die nad} reformirter Kirchenordnung begehren, reformirte, die fi) an Tutherifchen Liedern und Gebeten erbauen. Blügende evangelifche Liebeswerfe, wie die Zeiten des Confeſſionalismus fie nie gekannt, Liebeswerfe, denen man den confeſſionaliſtiſchen Chas tafter höchſtens nachher anzufränfeln vermochte, während ihr gefunder Urfprung weder des Lutherthums noch des Calvinismus Gepräge: trägt. Eine Schriftauslegung, eine Theologie, die in jeder Leben frifchen Hervorbringung über den Gegenfag von reformirt lutheriſch hinaus ift, die nach ihres höchſten Meijterd Gebot ihrem Schage Altes und Neues hervorträgt, Neues, das med lutheriſch noch calviniſch und dennoch evangefifch ift. Endlich cn Gefchlecht von Geiftern, das, wo es von religiöfen Fragen bewegt wird, mit ganz anderen und weit gewaltigeren Problemen ringt,s als den alten confeffionellen Differenzpunften. Noch mehr, wir | fehen dem gegenüber einen Confefftonalismus, der fo gut mit nirgends die Gemeinden hinter ſich Hat, der in jedem feiner Wort führer gegen fein eigenes orthodoges Richtmaaß verftößt, der, fo oft er in antiunioniftifcher Nichtung ſich fortzuentwideln ftrebt, ent weder fectirerifch oder Tathofifirend zu werden genöthigt iſt, ber, wo er einmal den Verfuch einer reinen altlutherifhen Kirdens bildung unternimmt, vor Subjectivismus wieder auseinanberfährt und in ultrareformirtem Independenthum endigt. Meine Freunde, deuten diefe Zeichen der Zeit auf einen Untergang der Union?

Oder unterſchätzen wir etwa die Gegnerfchaft, die fich gegen fie erhoben hat? Wir denfen es nicht und wollen es nicht. Mehr als die Macht und Lift, die man von Zeit zu Zeit wider die Union aufzubieten geſchäftig ift, imponirt uns die unleugbar große Zahl

Gekoede am fünfsgiähe. Stiftungetage: des, eonmgel.. Union, 400.

Afiher, frommer Herzen, die ihr eutfremdet find, treuer Diener er re, die den zu hütenden Schag göttlicher Gnade und. Wahr- - at nur in den altererbten Gefäßen meinen unverfürzt erhalten, zu innen, herzlicher Freunde unſeres deutfch-evangelifchen Volkes, die ı fürchten, e8 möchte irgend etwas von dem Erbtheil einer großen agangenheit durch die Aufhebung des Sanderkirchenthums dieſem olfe verloren gehen. Aber wenn fie ung zurufen, diefe redlichen nonägegner, „ihr wollt ja den Frieden, fo laßt doch das ttrennende Einigungswert um des Friedens willen fallen“, wir iffen ihnen antworten: „Hier ftehen wir, wir können nicht anders, et helfe uns!“ Wie die Vertreter des nationalen Einheits- Aunfens, wenn man ihnen vor zwei, drei Jahren zugerufen hätte: kit ihn doch fallen, diefen Einigungsgedanten; ihr feht ja, daß keriwirrung und Zerfpaftung immer größer wird“ —, hätten Morten müffen: „wir können nicht, denn diefe deutſche Zer- ſenheit hängt zufammen mit alfen Krankheiten unferes nationalen kens und es ift für feine derfelben eine Heilung zu hoffen, wenn bt diefe8 Uebel gehoben wird, es gibt für unfer deutfches HE feine Zukunft, e8 werde denn einig“, ganz ebenfo müßten 5 wir antworten im Namen umferen ebangeliſchen Kirche. Und ! die Baterlandsfreunde Hätten fortfahren können nnd fprechen: ki unfer deutſches Volk eine Zukunft haben muß und wird, handelt ſich's nicht darum, ob der Einheitsgedanfe zu Stand d Weſen kommt, fondern alfein darum, ob er dazu fommen foll jſanftem, ebenem Wege, ober durch eine gewaltige, Alles erſchüt⸗ nde, Manches zerftörende Krife“, fo fünnen aud wir nur men und jagen: „kommen muß und kommen wird die ver— 'gte und geeinigte deutſch-evangeliſche Kirche, aber helfet doch, 3 fie im Frieden komme und nicht im Sturm, nicht durch eine Nice Maſſenauflehnung der Gemeinden gegen eine clericale Strö- ing, die ihre tiefften Bedürfniffe und berechtigtiten Anſprüche ver» at; damit nicht Vieles, was euch und uns lieb und theper iſt, Sturme mit vergehe und verwehe.“

Darum, halten wir die Fahne hoch, zu der wir uns befennen, ine Freunde! Wir tragen fie nicht aus eines irdiſchen Könige md, wir tragen fie aus der Hand des höcften Könige, des

28*

410 Beyſchlag, Feflede am fünfzigjähr. Stiftungstage d. enang. Union.

Königs der Wahrheit und der Liebe, in deffen Namen allein Hrit, “amd deffen Sache der Sieg gewiß ift. Er, der in ber Nacht feines Leidens auf fein Heilandsherz, das da brechen follte fiir die fün- dige Welt, auch diefe unfere Sache genommen, und die Einigung der Seinen erbetet hat als das größte Zeugnig für feine götilicht Sendung, „auf daß fie Alle eins feien, gleichwie Du, Bater, in mir und ihin Dir, daß aud fie in ung eind feien, auf daß die Welt glaube, Du habeſt mid gt fandt* —, Er gibt uns das Recht, au im Namen der evan gelifhen Union das alte Siegesfied der Reformation anzuftimmen, „Ein? fejte Burg ift unfer Gott: das Neih muß uns di

bleiben!“ Amen.

2.

Calviu's Instituto nad Form und Inhalt, in ihrer geſchichtlichen Entwicklung

von

D. 2. Köln.

Zweiter Artikel.

So weit die fortjchreitende Entwicklung der einzelnen Lehrtheil durch die verfchiebenen Ausgaben der Institutio hindurch * fortgeſetzten Ausgeſtaltung des geſammten Werkes und Syſt

zuſammenhing, Hatten wir auch von jener ſchon im vorigen Ab ſchnitte zu ſprechen. Die allgemeinen, in ber Zeit jedesmal vor Tiegenden Anläſſe, Bedürfniffe, Antriebe, welche bei den verfciedenen neuen Redactionen des Werkes einmwirkten, machten ſich uns vor nehmlich bei diefen und jenen einzelnen Teilen bemerklich. Dot

Köfllin, über Calvin’s Institutio. 41

Streben Calvin's nad Vervollftändigung und fyftematifher Ord⸗ nung des Ganzen zog auch einzelne Theile vor anderen in die er» mweiternde und umformende Arbeit hinein. Jetzt Haben wir bie wichtigſten einzelnen Lehrſtucke für fich noch einer fpecielleren Be⸗ trachtung zu unterziehen. Und zwar muß biefe fi hauptſächlich auf diejenigen Seiten und Elemente des Inhaltes beziehen, in welchen wir befondere Eigenthümlichkeiten des calvinifhen Stand⸗ punktes namentlich auch gegenüber von dem eines Melanchthon's amd Luther's ausgeprägt finden. Es verfteht ſich von felbft, A eine fpecielle Hinkehr der Aufmerkfamkeit auf ſolche Eigen- kiten für eine Betrachtung der Theologie Calvin's überhaupt Er⸗ jerderniß iſt. Es wird aber für eine richtige Auffaffung feiner Inmatifchen Eigenthümlichkeiten namentlich eben aud der Hinblid danuf, wie fie in den verfchiedenen Ausgaben feines dogmatiſchen hauptwerkes hervortreten oder nicht Hervortreten, von Werth fein. Bir müffen erwarten, daß fie in demſelben ſchon frühe um fo kftimmter zum Ausdrude gekommen fein werden, je unmittelbarer ie mit feinen Grundprincipien zufammenhingen oder gar felbft zu haen gehörten. , Wo jenes nur erft wenig, faum oder gar nicht vr all ift, dürfen wir zwar hieraus nicht fofort fchliegen, daß ie damals bei Calvin überhaupt noch nicht vorhanden geweſen ten, wohl aber, daß fie für ihn jedenfalls nur fecundäre Bedeu ung gehabt haben. Im Nachfolgenden werden wir ber Kürze nlber die Ausgabe von 1536 als Ed. 1, die von 1539 als Ed. 2, ter Ed. 2a, die von 1543 als Ed. 2b, die von 1550 ale &d. 2e, die von 1559 als Ed. 3 bezeichnen.

Gleich der erfte fehr wichtige Abſchnitt num, welchen die Aus⸗ yoben feit 1539 ung darbieten, gehört erft der geſchichtlichen Ent- sidlung des Werkes an, fofern er im der urfprünglicien Geſtalt ffelben noch ganz gefehlt hatte: es ift jener Abfchnitt über bie dotteserkenntniß, über die Quellen und Normen der ‚eligidfen Wahrheit. Während aber Calvin diefes Lehrſtück erſt für Ed. 2 ausgearbeitet Hat, ift Hier die Ausarbeitung auch jogleich recht eingehend, in allen ihren Grundziigen fon fertig und tif. Offenbar Hatten ihm dabei nicht blos die Veranlafjungen, don welchen wir oben fprachen, fondern auch befondere, in feinem

410 Beyſchlag, Feſtrede am fünfigiähr. Gtiftungstage d. evang. Union.

Königs der Wahrheit und der Liebe, in deſſen Namen allein Heil, “und defjen Sache der Sieg gewiß ift. Er, der in der Nacht fein Leidens auf fein Heilandeherz, das da brechen follte für die fün dige Welt, auch diefe unfere Sache genommen, und die Einigung der Seinen erbetet hat als das größte Zeugniß für feine göttlick Sendung, „auf daß fie Alle eins feien, gleichwie Da, Bater, in mir und ihin Dir, daß aud fie in unseind feien, auf daß die Welt glaube, Du Habeft mid gr fandt* —, Er gibt uns das Recht, aud im Namen ber a geliſchen Union das alte Siegeslied der Reformation anzuftimmt „Ein’ fefte Burg ift unfer Gott: das Neih muß uns d bleiben!“ Amen.

2.

Galin’s Institutio nad) Form und Juhalt, in ihrer geſchichtlichen Entwicklung von i

D. 9. Köflın. |

weiter Artikel. So weit bie fortfchreitende Entwicklung der einzelnen Lehrthei it

durch die verſchiedenen Ausgaben der Institutio hindurch mit fortgefegten Ausgeftaltung des gefammten Werkes und Syſt zufammending, Hatten wir aud von jener fchon tm vorigen ſchnitte zu fprechen. Die allgemeinen, in ber Zeit jedesmal vi liegenden Anläffe, Bedürfniffe, Antriebe, welche bei dem verfchiedenn neuen Redactionen bes Werkes einmwirkten, machten fi uns ve nehmlich bei diefen und jenen einzelnen Theilen bemerklich. De

Köfllin, über Ealvin’s Institutio. 4

Streben Calvin's nach Vervolfftändigung und ſyſtematiſcher Ord⸗ ung de Ganzen zog auch einzelne Theile vor anderen in die ers veiternde umd umformende Arbeit hinein. Jetzt Haben wir die sichtigften einzelnen Lehrftüde für ſich noch einer fpecielleren Be— tachtung zu unterziehen. Und zwar muß biefe fi hauptſächlich uf diejenigen Seiten und Elemente des Inhaltes beziehen, in schen wir befondere Eigenthümfichfeiten des calviniſchen Stand- unftes namentlich) auch gegenüber von dem eines Melanchthon's ad Luther's ausgeprägt finden. Es verfteht ſich von felbft, af eine fpecielle Hinkehr der Aufmerkfamkeit auf folhe Eigen- eiten für eine Betrachtung der Theologie Calvin's überhaupt Er- mderniß ift. Es wird aber für eine richtige Auffaffung feiner mmatifchen Eigenthümlichkeiten namentlich eben auch der Hinblick kruf, wie fie in den verfchiebenen Ausgaben feines dogmatifchen xuptwerles hervortreten oder nicht hervortreten, von Werth fein. Bir müffen erwarten, daß fie in demſelben ſchon frühe um fo ftimmter zum Ausdrude gefommen fein werben, je unmittelbarer ie mit feinen Grundprincipien zufammenhingen oder gar felbft zu nen gehörten. . Wo jenes nur erft wenig, faum oder gar nicht er Fall ift, dürfen wir zwar Hieraus nicht fofort ſchließen, daß 2 damals bei Calvin überhaupt noch nicht vorhanden geweſen äien, wohl aber, daß fie für ihn jedenfalls nur fecundäre Bedeu⸗ ng gehabt haben. Im Nachfolgenden werden wir der Kürze alber die Ausgabe von 1536 als Ed. 1, die von 1539 ale Ed. 2, der Ed. 28, die von 1543 als Ed. 2b, die von 1550 ale 2. 2e, die von 1559 als Ed. 3 bezeichnen.

Gleich der erfte fehr wichtige Abſchnitt nun, welchen die Aus- aben feit 1539 uns darbieten, gehört erft der gefchichtlichen Ent- idlung des Werkes an, fofern er in der urfprünglichen Geftalt eſſelben noch ganz gefehlt Hatte: es ift jener Abfchnitt über die dottegerfenntniß, über die Quellen und Normen der eligidfen Wahrheit. Während aber Calvin diefes Lehrftüd ft für Ed. 2 ausgearbeitet Hat, ift Hier bie Ausarbeitung auch ogleih recht eingehend, in allen ihren Grundzügen fon fertig und if. Offenbar Hatten ihm dabei nicht blos die Veranlaffungen, von welchen wir oben ſprachen, fondern auch befondere, in feinem

42 ad ſtlin

gauzen theologiſchen Standpunkt liegende innere Antriebe geleitet. Mit den Grundzligen, die er fo als der Erfte unter dem protejten: 'tifchen Theologen Hier entfaltet hat, trifft dann nachher auch dir Darſtellung der orthodoren lutheriſchen Dogmatifer zuſammen, alt fie gleichfalls -das Bedurfniß fühlten, die dahin gehörigen Fragen umfaffender und fchärfer, als anfänglich im Tutherifchen Proteſtan tismas geſchehen war, zu erörtern: auch ſie finden, indem fie die Schriftoffenbarung den der gefallenen Menſchheit nicht mehr gmi« genden allgemeinen Offenbarungen Gottes in der Schöpfung u. |. m. zur Seite und gegenüber ftellen, das ‘entjcheidende Moment unſeren Glauben an die Göttlichkeit der heiligen Schrift in jen unmittelbaren Zeugniffe des göttlichen Geiſtes und unterfcheiber -baffefbe micht blos von den äußeren Kriterien, wofür fie wie Calbu namentlich das Zeugniß der Kirche und Märtyrer gelten lajle, foridern auch von den inneren Kriterien, worunter fie mit Cal die Majeftät der Schriftfprache, die Hoheit der in der Schrift haftenen Dinge, die Harmonie des Inhalts u. ſ. w. auffü Charatteriſtiſch ‘aber ift fr Calvin eben dies, daß er, tie Mi der deutfchen Neformatoren, gleich die erite größere Bearl “feines chriftlichen Unterrichts mit diefer Ausführung einleitet. fehen bei ihm ein befonderes: wiſſenſchaftliches Streben, bei jeir Dringen auf bie Schrift und. die in ihr :geoffenbarte Wahrheit uw gleich das Verhältniß der Naturoffenbarung und des alfgemeinm natürlichen refigiöfen Sinnes hierzu, zu beleuchten. Und wir kennen in jenem Dringen auf die Schriftoffenbarung felbft des große Gewicht, welches ihm auf das Formalprincip des cum gelifhen Glaubens und auf eine befondere eingehende Erörterung defjefben fiel: namentlich hierdurch unterfcheidet fich feine Institution fon fo frühe von den Lehrdarftellungen eines Melanchthon ur Luther.

So feſt und zuverfichtlich als möglich ſtellt num Hier Cafıit jenes ſichere, entfcheidende Zeugniß des Geijtes für die Schrift wahrheit voran. Er ftellt es entgegen derjenigen Autorität ir Kirche, auf welde die Katholiken pochten. Er weift nicht mine mit demjelben die Enthufiaften ab, deren angeblicyer Heiliger Get über die Schrift ſich erheben wollte: denn es fei ein Zeugniß dee

über Calvin’s Institutio. . 418

Geiftes eben für bie höchſte, bleibende Geltung der Schrift ſelber; das Schriftwort wolle der Geift in feinem eigenen Kommen nicht abthun; fondern derfelbe Geift, in deſſen Kraft und das Schrift wort dargereiht worden fei, ſolle das Wort und befräftigen (Ed. 2, Vol. XXIX, p. 302) °). Er ordnet der Macht diefes einen, uns mittelbaren, göttlichen Zeugniffes auch alle jene einzelnen Kriterien anter, in deren frommer und denfender Betrachtung unfer Glaube m die Schrift und ihren Inhalt fich weiter „vermitteln möge, könne and folle. Auch die Wunder nehmen unter den Beweiſen für die Höttlichleit der biblifhen Offenbarung, wie Niedner ®) mit Recht hemerft, „mehr nur eine Nebenftelle ein“; wir fügen bei, daß Safoin fie Hier überhaupt erft in Ed. 2e eingeführt, übrigens dann in Ed. 3 den fie betreffenden Abſchnitt noch erweitert hat. & ſchätzt darum ſolche Kriterien und Beweisführungen nicht gering; e felbjt wollte fi, wie er inEd. 3 (Vol. XXX, p. 59) beifügt, trauen, auch Hartnädige Gegner mit ihnen zum Schweigen zu hingen; aber die Gemißheit, welche der Glaube Haben follte, könne, agt er, überhaupt nicht durd) Disputiren erreicht, fondern nur ch jenes Geifteszengniß gewirkt werden.

Zum erften Male alfo finden wir hier bie Lehre von jenem Zeugniffe, die fo wefentlich zur evangelifchen Principienlehre gehört, nit folder Beftimmtheit dogmatifh fixirt. An die Art jedoch, vie dies bei Calvin, und zwar gleich bei feiner erften Darftellung n Ed. 2 gejchehen ift, knüpfen ſich für uns fofort noch meitere Bahrnehmungen in Betreff der Eigenthümlichkeit feiner Theologie.

Neben jenes Zeugniß finden. wir bei Calvin die vorhin erwähnten Ainzelnen Kriterien gejtellt, und zwar namentlich diejenigen, melde n der Schrift felbft vorliegen, ihre Erhabenheit über alle blos menschlichen fiterarifchen Producte, die jedem Lefer von felbft ſich aufdrängen müſſe u. ſ. w. Wir möchten da wohl aud) einer in= neren Beziehung nachgehen zwiſchen diefen Eindrüden vom Cha-

a) Bgl. Dorner (Geld. d. proteft. Theologie, S. 377) darüber, wie Calvin im Unterſchied von Zwingli beide Geiten, das äußere und das innere BVort, fefter zuſammengeſchloſſen Habe.

b) Bhifofophier und Theologiegeigigte, S. 341 Anm. 2.

44 Kain

rafter, von der Redeweiſe, von dem Inhalt der Schrift und zwiſchen jenem höchſten unmittelbaren Zeugniffe des Geiftes für fie. Wirkt ja doch auch in ſolchen Eindrüden, die wir in unferer reffectirenden menſchlichen Betrachtung uns auseinander Iegen und ben Gegnem disputirend vorzulegen und bemühen, Gott felbft, der Urheber ber Schrift, auf uns; und iſt's doch Bedürfniß für und, anbererfeits auch jenes höchſte Zeugniß bei aller feiner Unmittelbarkeit fo weit als möglich noch für uns zu analyfiren und mit unferem übrigen Erfahrungen und Beobachtungen in Betreff der Schrift zu vers mitteln, des Ganges, wie Gott vom Einen zum Anderen weiters! führt, uns bewußt zu werden. Darauf aber geht Calvin gerade nicht weiter ein; er ftellt Beides nebeneinander und einander gegen über: „etsi (scriptura) reverentiam sua sibi ultro majestats conciliat, tunc tamen serio nos afficit, quum per spiritum obsignata est cordibus nostris“ *); er führt nicht auch innerff vom Einen zum Andern hinüber. Er thut dies aud nicht in Ed. }} wo er noch eingehender von der Macht, mit welder das Wort Mi neuteftamentfichen Zeugen feine göttliche Hoheit fundgebe, begei

geredet Hat. Das Zeugniß des Geiftes tritt jo bei Calvin ab herein. Mittelft deijelben wirft dann der Geift den echten Glauben, welchen die Schrift aud mittelft jener ihr felbft innemohnende Kriterien noch nicht in göttlicher Gewißheit feſtzugründen vermag; und zwar wirft er ihm nicht bei allen Denen und will ihn nidt bei allen Denen wirken, welchen die Schrift mit jenen Kennzeichen dargeboten ift, fondern, wie der Abſchnitt von der Prädeftination weiter zeigt, nur bei den von Ewigkeit her Erwählten. it dem zuletzt Gefagten find wir indeffen fehon zu dem Zuſammenhang der Calviniſchen Auffaffung des Formalprincips oder der Schriftautoritit mit der Auffafjung der Gnadenmittel weitergegangen. In diefer Beziehung trat dann die Lehre des Lutherthums ihm entgegen. Mit Bezug auf da8 zuvor Gefagte aber finden wir nicht, daß die Ir therifchen Dogmatifer, als aud) fie beftimmter mit dem Test- monium spiritus $. für die Heilige Schrift fi) befchäftigten, daffelk lebendiger mit der Wirkung jener Kriterien auf den menſchliche

a) Vol. XXIK, p. 295. Vol. XXX, p. 60. (Ed. 8, Lib. I, c. 7,55.

über Calvin's Institutio, 415

Heiſt vermittelt haben. Im Luther's eigener Anfhauung war dies ne Zweifel mehr der Fall; eine wiffenfchaftlihe Ausführung Hat t aber darüber überhaupt nicht gegeben.

Zudem wir von dem Zeugnig des Geiftes für den göttlichen Irfprung und die göttliche Autorität der Schrift hören, werden ir ferner fragen müfjen nad dem Verhältniſſe diefes Zeugnifjes a einer inneren Erfahrung, welche der Ehrift in Kraft des Heiligen heiſtes auch von dem in der Schrift ihm verfündeten Inhalte jelbft at, von der Verſöhnung, Lebenskraft, Bejeligung, die er ier mit göttlicher Gewißheit zu genießen befomme, von dem Herrn nd Heiland, der ſich mit der Kraft feines Todes und feiner Auf- tehung ihm unmittelbar zu erfahren und zu erfennen gebe. Geht Beides im Werden und Beſtand wahren Glaubens miteinander hend im Hand? ober geht das Eine, und zwar das Erftere, dem Inderen, Leßteren, voran? Und ſoweit Jenes ber Fall fein ilte, wird fich weiter fragen, ob der Glaube, welcher im Lichte 3 Geiftes den rechten Mittelpunkt und Zufammenhang des Ins tes der in der Schrift geoffenbarten Heilsmwahrheit erfaßt Hat, ht Recht und Anlaß Habe, von da aus auch gegen einzelne Bes andtheile des Schriftkanons felbft noch eine innere Kritik zu üben, dem er eben auch jenes Zeugniß des Geiftes für dem göttlichen sfprung der Schrift doch bei näherer, gemifjenhafter Prüfung nicht ir alle einzelnen Bücher des Kanon gleihmäßig eintreten fehe. Bir kommen Hiermit auf das Verhältniß zwifchen der formalen ad materialen Seite des evangeliſchen Grundprincipe. Und wir men dabei an das Verhältniß, in welchem beide miteinander bei uther ſich darftellen und vermöge defjen für ihm feine befannte ritik namentlich gegen den Jakobusbrief möglich war. Auch Calvin un will von einem Zeugniß des Geiftes nicht blos mit Bezug uf bie Schrift reden, will jenes Zeugniß des Geiftes für die Schrift icht ifofirt Haben. Er führt nachher, wo er vom Glauben an en heifbringenden Inhalt des Evangeliums redet, eben aud ihn aranf zurüc, daß der Geift den Inhalt des Wortes uns. im jerzen verfiegle (Ed. 2, Vol. XXIX, p. 456sqq.; p. 4685q.; siter in Ed. 3, Lib. IH, c. 2). Er hat aud dem Abfchnitt ber die heilige Schrift und das Zeugniß des Geiftes für fie in

416 abſtlin

Ed. 2,0 noch einen befonderen Satz beigefügt, in welchem er aus drücklich darauf vermeijt, daß er unten noch weiter von einem ſolche Zeugniß des Geiftes zu reden haben werde, und vom * überhaupt erflärt, daß dazu eine Verſieglung des göttlichen Geih gehöre (Vol. XXIX, p. 296). Ohnedies mußte er für die 6 wißheit der einzelnen Chriften von ihrem perfünfichen Erwähltſeu auf ein ſolches Geifteszeugniß ‚zurüdtommen. Allein zunädit und dies ift wieder gerade für Calvin das Charakteriftiihe handelt er doch die Lehre von dem göttlichen Urfprung und göttlichen Autorität der Schrift und von dem Zeugniß des Geil biefür ‚ganz für fi ab. Die Darftellung geht fo bei ihm dab daß der Geift zuvörderft den Glauben an diefen Charafter Schrift fertig hervorbringe und daß der ſchriftgläubige Chriſt demgemäß aus der Schrift den Inhalt mit allen feinen einzelas Beitandtheilen als göttlich wahr zu entnehmen habe, wernglei dann auch diejes Entnehmen und diefes Glauben an bie ein Momente der Wahrheit keineswegs bios Sache des menjcl Dentens fein, vielmehr unter fortwährender Erleuchtung und währender Berfieglung des Juhaltes im Herzen dur den Geiſt ſich vollziehen fol. Auch wenn er dazwifchen die „Wahı der Schrift das nennt, was wir in Kraft des Geiftes zu befommen, fo meint er hiermit in dem Abſchnitt, an welchem ftehen, einen abjoluten Wahrheitscarafter, der von vornherein Schrift im Ganzen beigelegt werden müffe und von uns in mit der Göttlickeit der. Schrift überhaupt empfunden werde. ſtellt fi die Sache gleid) in Ed. 2 dar. Gott, fagt Calı (Vol. XXIX, p. 2925sqg.), ift der menschlichen Schwäche, wi aus feiner Schöpfung ihn fo wenig mehr erfannte, mit dem bei deren, wirffumften Mittel feines Wortes zu Hilfe gekommen. war um derſelben Schwäche willen höchſt nöthig, daß dieſe ki göttliche Lehre ſchriftlich aufgezeichnet und Hierdurch vor Corrupti verwahrt werde. Auch dafür hat Gott geforgt. Er hat in heiligen Schrift und nur in ihr feine Wahrheit niedergelegt. Ti! Schrift hat für uns eine Autorität, als ob in ihr Gottes lebendt Stimme felbft zu hören wäre. Und wo nun feftftcht, daß, ne uns vorgelegt wird, die Rede Gottes fei, darf ja Niemand jo jr

über Ealoin’s ‚Institutio. 417

fein, dem Redenden den Glauben zu verweigern. Die Gewißheit aber, dag der Schrift wirklich folche Autorität zukomme, beruht für ung nicht auf der Autorität der Kirche, fondern eben auf jenem Zeugniffe des Geiftes. Calvin bezieht ſich dabei auch auf die ein- jenen Bücher der Schrift; .er weiß, daß die Geguer ‚fragen, wie man ſich denn ohne eine Vorfehrift von Seiten der Kirche davon überzeugen follte, welches Buch mit Ehrfurcht aufzunehmen, weldes som Kanon abzuweifen fei; er felbft führt dagegen auch Hier keine imdere Inſtanz an, als das Testimonium spiritus: die Gefammt- pit der Schriften erſcheint bei ihm durch dieſes gleichmäßig, fo zu gen en bloc, göttlich legitimirt. Die Ed. 3 *) verftärkt noch ie Säge über den göttlichen‘ Urfprung der Schrift und über das Bricht, welches hierauf zu Tegen fei: „(scripturae) non alio be plenam apud fideles autoritatem obtinent, quam ubi Hatuunt e.coelo fluxisse, ac si vivae ipsae Dei voces lic exaudirentur®); tenendum..., non ante stabiliri Ioctrinae fidem, quam nobis indubie persuasum sit, autorem us) esse Deum; itaque summa scripturae probatio ussim a Dei loquentis persona sumitur.“ Die Ausfagen falbin’8 über das von den Propheten und Apofteln geſprochene Bort, welches diefe mit Recht für Gottes Wort erklärt Haben, then hierbei ohne Weiteres . über in Ausfagen über die heilige Schrift ale ſolche und in ihrer Gefammtheit; mit dem Sage ‚legem et proöpketias et evangelium a Deo manasse“ wechſelt tt Sag „a Deo esse scripturam“ wovon eben das Zeugniß 8 Geiſtes und gewiß macht. Aus den „manifesta signa lo- iwentis Dei‘, welche man in der Schrift erfenne, wird jo ges ofgert, „coelestem esse ejus (scripturae) doctrinam “. Und at nachdrücklichen Sägen, welche gleichfalls der Ed. 3 eigens agehören, macht dann Calvin die Annahme des in biefem Gottes-

)Lib.1,0c.7n,81.84

b) Die in dieſem Sat gefperet gedructen Worte find erft in Ed. 3 beige gefügt; Die folgenden Säge gehören ganz erſt ihe an.

©) Unter „ejus‘ iſt übrigens noch nicht (wie Dorner a. a. O., ©. 380 Anm. 2 erfärt) die scriptura felbft zu verftehen, ſondern einfach die doctrina.

418 Körlin

wort vorgelegten Inhaltes zur Sache unbebingten Gehorfams. Shen in Lib. I, c. 6 hat die Ed. 3 im Alfgemeinen erflärt: „omnis recta Dei cognitio ab obedientia nascitur“. In e. 7,84 erffärt fie weiter: „prophetae et apostoli... sacrum Dei nomen proferunt, quo ad obsequium cogatur totw mundus“. Mit Dorner (a. a. O., ©. 380), ja nod mt ſchiedener als er es thut, müffen wir nad alle dem bemerken: „ci bfeibt die formale Seite des proteftantifhen Princips bei Calbi im Uebergewicht über die materiale, womit zufammenhängt,; daß in der heifigen Schrift vornehmlich Offenbarung des Willens Go fiegt, den er durch die heiligen Schriftiteller den Meenfchen dieti hat“. Und dieſe Richtung tritt bei ihm in dem fortfchreit Ueberarbeitungen feiner Institutio nur noch ſtärker hervor. Auffaffung des formalen Principe hat fo aud einer Kritif, fie Luther gegen einzelne Theile des Kanon übte, feinen Raum laſſen. So fehr er übrigens nad) diefen Seiten Hin von Lut Glaubens und Lehrart fich unterfceidet, fo wenig war dod nachfolgenden fogenannten orthodor lutheriſchen Dogmatik gegeben, fih in diefer Beziehung des Luthertfums zu Gerade auf den Weg, auf welchem wir hier fhon Calvin bat vielmehr auch fie fich begeben und ift darauf weitergegangn. Unter den Lehren, welche nach Calvin den Inhalt eines fr gemäßen chriftlichen Unterrichts bilden müſſen, fehen mir bei i beſonders die Lehre von der Trinität einfah auf das und die Autorität der Schrift gegründet, obgleich er daneben ni unterfäßt, auch auf die Beziehung aufmerkſam zu maden, in wel der Inhalt der Lehre zum Mittelpunkte unferer hriftlichen Eri rung, unferes fittlich religiöfen Bewußtſeins und Lebens fteht, hiermit auf die. Bedeutung, welche ihm auch in praftifcher Bezieh zufommt. Zugleich fteht ihm fon in Ed. 1 feit, daß mir zwar alle unfere Gedanken und Ausfagen über Gott, den Vater, ka Sohn u. f. w. nad) der Schrift regeln müffen, daß aber die luch lichen Termini der odole, Önoordesig, essentia, personae N Sinn der Schrift felbft ausdrücken, daß die Häretiker unberedtigter Weife „dawider bellen“, daß auch foldhe neue Wörter zum Schux ber Wahrheit gegen häretifche Angriffe und Kunftgriffe dienen dürfe.

über Calvin's Institutio. 419

ab auch die „Homoufte“ des Sohnes von Arius nicht verworfen orden wäre, wenn er der Schriftlehre von der Gottheit des Sohnes ahrhaft treu hätte bleiben wollen, daß ſolche Namen nicht unbe» achtſam (temere) erfunden feien und daher auch nicht unbedacht- ım abgewiefen werden dürfen. Er findet fogar hinſichtlich jener mini, daß darin planioribus verbis ausgefprochen werde, uae captui nostro perplexa in scripturis impeditaque sunt ®). Ran hätte wohl von der evangelifchen Reformation erwarten mögen, 38 fie in freier Uebung ihres Formalprincips und zugleich von = Beziehung des ganzen Glaubensinholtes auf ihr Materialprincip 8 auch -jene ganze Lehre von der Trinität neu durcharbeiten und alten werde. Sie hat e8 nicht gethan; fie hat vielmehr im Ienfage zu denjenigen Umgeftaltungsverfuchen, welche Einzelne etfich machten, welche aber bei ihnen zu einer Erſchütterung der Bttlihen Grundlagen des Heiles zu führen drohten, nur die alten Kenntniß- und Lehrformen neu für berechtigt und bezichungsweife othwendig angenommen. So hat Melanchthon gethan in den wei ten Ausgaben feiner Loci, nachdem in der erften Ausgabe jenes Rpfterium als ein mehr anzubetendes, denn zu erforfchendes, zu ir feinem Gegenſtande dogmatiſcher Ausführung gemacht worden ar und es hierbei immer noch möglich fcheinen konnte, daß ber vongelifche Dogmatifer, wenn nachher doc das Bebürfniß einer hen Ausführung fih ihm aufdränge, diefelbe in einer neuen, rien Weife anfaffen werde. Und fo hat nun alfo Calvin auf ' nen derartigen Verſuch in feiner Institutio fchon von Anfang an richtet. Was dann aber feiner Darftellung unter der der deren, gleichzeitigen evangelifchen Theologen vorzugsweiſe eignet, t da8 umfichtige, vorfichtige Maßhalten, womit er hierbei doch auf ie einfachften Grundformeln der Kirchlichen Lehrfaſſung ſich befchränft "d feinen Schritt weiter, als ihm dur die Abwehr alter und euer Gegner, der Gottheit des Erldſers und Heiligen Geiftes be- echtigt erfcheint, über die einfachen Schriftfäge hinaus zu einer ogmatifhen Formulirung oder gar zu fcholaftifchen Fragen und Intworten weiter gehen will. Ja da fügt er jenem Sage, daß

a) Vol. XXIX, p. bosqq.

420 Köplin

man die erwähnten Namen nicht unbedachtſam zuridtweifen dürfe, fofort den andern Satz bei: „utinam sepulta essent (nomina), constaret hoc modo inter omnes fides, patrem, filium et spiritum S. unum esse Deum, nec tamen aut filium patren esse aut spiritum S. filium, sed proprietate quadam esse distinetos“ *). Während ferner Melandthon dann aud die älteren Speculationen wieder aufnahm, welche den Logos als is vom benfenden Vater fich gegenüber geftellte Ebenbild feiner ſelbſt zu begreifen fuchten, Hält Calvin aud vom Wege menfchlicher Spe— eulationen und Analogieen ſich zurüd. So viel allerdings meint doch auch er über das Verhältniß der drei Perfonen gemäß der heifigen Schrift jelbft beifügen zu dürfen, dag man dem Bater beis zulegen habe prineipium agendi rerumque omnium fontem & originem, dem Sohne sapientiam et consilium agendi, dm Geiſte virtutem efficaciamque agendi: fo in der erften und ia, den fpäteren Ansgaben. Man fann jo mit Gaß (a. a. O., ©. 10) die calvinifhe Expofition der Trinität die umfichtigfte nennen # den Schriften der Neformatoren, indem fie den ganzen Umfang Dogmas überfehe und, ohne der Sache Etwas zu vergeben, Wortgefecht vermeide. Wir finden aber jo in ihr auch am m nigften Triebe, den Inhalt der Lehre felbftändig meu zu durde dringen und in lebendiger weiterer Entfaltung der chriftlichen Cr lenntniß näher zu bringen.

Eine gewiſſe Fortentwidlung bieten dann auch für diefe Lehre die folgenden Ausgaben der Institutio dar, und zwar ſchließt dir felbe vollends mit einer befonders entfchiedenen Behauptung der tirchlichen Lehrform ab. Die Ed. 1 Hat ſich noch ungemein kurz gefaßt. Für die Wahrheit, daß Ein Gott fei und daß zugkid der Bater, der Sohn und der Geiſt Gott ſei, ftellt fie als Ein Argument, das für taufend gelten könne, mit Berufung auf Eph. 4,5 „das voran, daß der Einheit der Taufe und des Glaubens dir Einheit Gottes entſpreche, zugleich ja aber die Taufe nach M Schrift auf den Namen jener Drei erfolge und die Drei zugleit Gegenftand des Einen Glaubens feien, demnach die Drei aud alt

a) Vol. XXIK, p. 62.

über Calvin's Institutio. B 421

n Gott anerkannt werden müfjen *); einen Nachweis der inneren edeutung der Dreie zugleich und eines jeden Einzelnen von ihnen t den heifbriigenden Glauben und das Heilsleben, worauf jene enthümliche Deduction Leicht hätte führen können, gibt Calvin ft. Es folgt eine kurze Zufammenftelfung weiterer Schrift Sprüche, dann die oben angegebene Erffärung in Betreff der ımen substantia, personae ı. f. w. Zu einer weit eingehen- en Begründung des Glaubens an die Gottheit von Vater, Sohn d Geift, an die Einheit ihres Weſens und an ihre Unterſchiede ıfih, wie wir ſchon im erften Theil unferer Abhandlung ber ttten, Calvin in Ed. 2 veranlaßt. ingehend führt er da ®) bibliſchen Belegftellen vor, zuerft und vornehmlich diejenigen, a welchen die Gottheit auch des Sohnes und Geiftes, dann die, Knelchen ihre Unterfheldung erhelle; dabei betont er die Ber kung der Gottheit des Sohnes für die Zuverficht, welche wir ihm und durch ihn zum Vater Haben dürfen, und für die Mit— Hung der göttlichen Gaben durch ihn an und: dieſe „Practicä ätia“ fteht ihin fefter als jede „,otiosa speculatio“ ; deögleichen ter beim Geifte hervor, wie wir durch dieſen Gottes theilhaftig den und felber feine febendigmachende Kraft fühlen; die Beru— g auf die Taufe läßt er Hier erft folgen. Den Gebrauch fhliher Analogien für das Verhältniß der Drei zueinander, hen feit 1535 auch Melanchthon in den Locis wieder verjucht fe, erwähnt jetzt duch er, weiß jedoch nicht, ob derſelbe fromme; fürdtet, man möchte durch Kühnheit darin Anfaß geben zu bos— ten Verläumbungen ober zu „rohen Halfucinationen“. Hitie tÜich jener in der Kirche üblich gewordenen Namen glaubt er t für den der Hypoſtaſe auch ein Schriftwort, Hebr. 1, 3, ans ten zu dürfen. Eigenthümlich aber finden wir num bei Ed. 2 ! Bezug auf jene Ausdrücke vielmehr das, daß er doc, angeles ih ſich verwahrt gegen ein Streiten über ſolche „nudas vo- a3‘ und gegen eine verfehrte Strenge, womit man fie Anderen drängen möchte. Er erinnert jet daran, daß aud die Alten,

ı Vol. XXI, p. 58. ) Vol. XXIX, p. 481sgg.

422 ° Köflin j beſonders die Griechen und Lateiner, keineswegs Alle miteinander im Gebrauch der Namen zufammengeftimmt haben, Er warnt „ne confidenter veluti censorio stilo protinus notemus eos, qui in verba a nobis concepta jurare nolint‘“; ſolche Leute, jagt er, folle man freundlih auf das Bedürfniß, welches jene Ausdrüke, gefordert habe, verweiſen; er fließt: wofern fie nur nicht in Ar rede ftellen, daß, wenn wir vom Einen (Gott) hören, an die Einpeil der Subftanz, wenn wir von Dreien hören, an die Dreiheit

Eigenfchaften *) in dem Einen Wefen zu denfen ſei, fo Liege u weiter an den Worten (verba nihil moramur). Hatte ja Cali auch ſich felber kurz vorher noch gegen den mehr als stilus Caroli's hinſichtlich des Gebrauches der kirchlichen Forı

über die Trinität verwahren müſſen. Dagegen tritt nur umſonch das Gewicht hervor, welches endlich in Ed. 3 hinſichtlich der mulirung der Trinitätslehre doch auf die andere Seite fällt: neuen Gefahren des Anitrinitarismus Haben hier vollends den i wiegenden Einfluß auf Calvin gewonnen. Er ftellt da dem nicht blos die Schriftzeugniffe in ausführlicher Polemik en Er ſucht jegt auch in der von ihm vorangeſchickten pofitiven legung mit einer Beftimmtheit, welche in Ed. 2 noch nicht hatte, aus Hebr. 1, 3 zu beweifen, daß nad dem Zeugniä „Apoftels“ drei Hypoſtaſen in Gott feien, und fieht Trotz wenn man über die Uebertragung von „Hhpoftafe* in „Peri ftreite. Er ſtellt jegt ferner (Lib. I, c. 13, $ 6. 8 20) weiter ftreng formulirte Säge über die relationes, die proprietates, da ordo in der Trinität auf. Er wiederholt zwar ($ 5) jenen far heren Abfchnitt mit dem Ausfprud, „Utinam sepulta essent etc“ mit der Warnung vor dem „censorius stilus“ u. f. w., mit da „Verba nihil moramur‘“; aber er fügt bei, daß bie hier ım ihm empfohlene Milde Denen nicht gelten dürfe, die trogig ul boshaft widerfpredhen; und er läßt dem Verba nihil moramar'

&) „trinitatem proprietatum considerandam esse“ in Ed 2 (Td XXIX, p. 495); dafür heißt es in Ed. 8 (Lib. I, c. 18, $ 6): „per sonas notari‘; fibrigens hatte auch die Ed. 2 ummittelbar vor ja® Sage von „personarum trinitas in una esgentia“ geredet.

über Calvin's Institutio. 423

zum Schluß die Erffärung folgen: „Sed expertus pridem sum et quidem saepius, quicunque de verbis pertinacius litigant, fovere occultum virus, ut magis expediat eos ultro provo- tare quam in eorum gratiam obscurius loqui.‘“

Die Lehre der Institutio vom göttlihen Weſen und von ven göttlichen Eigenfhaften und ihrem Verhäftniffe zu inander Fönnen wir deswegen nicht fo, wie ihre Lehre von der Tri- ntät al8 ein Ganzes darftellen und verfolgen, weil Calvin felbft, sie wir früher erwähnten, fie nirgends fo al8 ein Ganzes ausein- mdergelegt hat. Eben auch das übrigens, da er dies unterläßt md daß er auch in feiner fortgejegten Arbeit feinen weiteren Schritt au thut, wird nicht ohme Bedeutung für die Eigenthümlichkeit finer Betrachtung Gottes jein. Calvin erflärt: Das unendliche Wefen Öhttes könne der menjchliche Geift nimmermehr faffen; wir müſſen Iott die Erfenntniß feiner felbft überlaffen; wir dürfen ihn nur d auffaffen, wie er fich felbft uns offenbare, dürfen nur in feinem igenen Worte Kunde von ihm ſuchen (Vol. XXIX, p. 480). lber bietet uns nicht eben diefe Offenbarung und diefes Wort eine intfaltung des göttlichen Weſens in Eigenfhaften dar, die als ein- eitliches Ganzes von uns aufgefaßt werden können und follen? Ne hriftliche Lehre Hat, wie Calvin fagt, nicht mit froftigen Spe- dotionen darüber zu thun, was Gott fei, quid sit Deus; ihr gt vielmehr daran, zu wiſſen, qualis sit, zu erfennen, was zu ner Ehre diene, ihm kennen zu lernen in feiner Beziehung zu 16, damit wir ihn verehren und alles Gute von ihm erbitten men (Ed. 3, Lib. I, c. 2). Allein mit der Frage, qualis sit, mmen wir auch wieder auf die vorhin aufgeworfene Frage, und ade auch von den Beziehungen aus, in die er zu uns fich fegt, töhten wir zurüdhliden können auf einen einheitlichen Charakter, in ihnen fich bethätigt. Sollte gerade dies bei Calvin zur igenthümlichkeit feines dogmatifchen Standpunftes mit gehören, af er die verfchiedenen Momente und Beftimmungen dieſes Cha- alters, welche in Gottes mannichfaltigem und verfchiedenartigem erhalten zu den Menfchen ſich bethätigen, nicht auch an ſich nad, rem inneren Verhältniß zu einander bdarzuftellen wagt, vielmehr ine ſolche Darſtellung für etwas Unzuläffiges anfieht, das über

Dheol. Stud. Jahrg. 1868. 29

44 Körlin

bie von Gott gefegten Schranken unferes Verſtehens unbgerf Hinausliege? Es wird hierbei befonders in Betracht kommen da Verhaltniß des Machtwillens, der Gerechtigkeit und der Liebe Gotte zu einander.

Für eine genauere pofitive Betrachtung und Würdigung Sottesbegriffes der Institutio find wir alfo auf diejenigen &e ftüde angewiefen, welde ung Gott in feiner Thätigfeit auf Menfchen, fpeciell bei feinem Heilswerle, darſtelleu; befonders wi ift natürlich ihre Prädeftinationslegre. Erft von dort aus geſiat fie ein beſtimmteres Urtheil darüber, welche unter den angedeutt Eigenſchaften oder Seiten des Gottesbegriffs etwa ein Ueberge bei Calvin behaupte, ob und. in welcher Weife bei ihm, man ihm wohl vorgeworfen hat, eis Dualismus göttlicher eigenſchaften eintrete, und welcherlei Unterfchiede etwa auf diefer Beziehung die durch die verſchiedenen Ausgaben fortfchreit dogmatifche Arbeit Calvin's darbiete.

Es gehören übrigens Hierher auch ſchon allgemeine Aeuße Calvin's über Weien und Inhalt des religiöſen Verhältniſſes, das Verhalten, das und gemäß Gottes Stellung zu uns ihm über obliegt, über das Verhalten, das mir von ihm gegen erwarten follen. Die Hauptmomente, um welde es bei die Verhältpigfe ſich handelt, faſſen fich zufammen in den Sägen: Oi ſei unfer Herr, der und gefchaffen, und unfer Vater, von dem Gute komme; ihm gebühre daher Ehre und Herrlichkeit, ihm bi und Vertrauen. Wir follen, Heißt es bei der Erklärung bes talogs in Ed. 1 ebenfo wie in Luther’s Katechismus, Gott „fürdif und lieben“. Die göttliche Offenbarung in der Heiligen Schi wie in der Schöpfung leitet uns nad Calvin vor Allem zur Fur Gottes, dann zum Vertrauen auf Gott au; fie will uns ihn ge horſam verehren und dann ganz von feiner Güte abhängen Lehren *). Wie aber verhalten fih bei Calvin beftimmter die beiden Suiten zu einauder, die bier außgehoben ſind nnd die wir desgleichen and 3. B. bei Luther zufammengefaßt finden, ja in jeder gefunden Be trachtung der Religiofität zufammengeftelft finden werden? wie dem:

a) Vol. XXIX, p. 30. 34. 288. 304; Vol. XXX, p. 78 (kb. I, c. 10,82

über Caloim’s Institutio. 5

aach auch in Gott felbft die beiden Seiten, vermöge beren er einer⸗ jeits Gegenftand ber ehrerbietigen Furcht, andererjeits Gegenſtand x Vertrauens und der vertrauensvollen Gegenliebe für uns ift? Bir finden in ber Institutio und zwar namentlich in Ed. 3 Aus- prüche, in welchen die zweite Seite vorangeftellt erſcheint. Calvin ffärt nicht blos, die Erkenntniß, daß Gott von Allen verehrt verden müffe, fei ungenügend ohne die Ueberzeugung, daß er bie Quelle alles Guten fei; fondern er fährt fort: bis die Menfchen er väterlichen Furſorge Gottes und feiner Urheberfchaft alles Guten ame geworben feien, werben fie fich ihm hie mit freiwilligem Dienft mterwerfen; wenn fie wicht feſt im ihn ihte Glüchſeligkeit fegen, werben fie fi ihm mie ganz ergeben. Ja für die erfte Stufe ar Frömmigkeit erflärt er, in Gott den Vater zu erfenmen, der ws jhüge und pflege bis zur endlichen Aufnahme in fein Reiche- re, wie denn auch eine Heilbringende Erkenntniß Gottes ohme ihriſtus nicht möglich fei. Er definiert die pietas al$ „conjun- tam eum amore Dei reverentiam, quam beneficioram ejus otitia conciliat.“*) Man könnte hiernach bei Luther und den utheranern da8 Moment der Furcht in der Frömmigkeit noch mehr 18 bei Galoin betont finden, fofern ja doch jene die Belehrung zu dott von Gindrüden der Furcht, von Schreden des Gewifjens -f. mw. ausgehen faffen. Und im Zufammerhang hiermit bes wefen wir aud fon, wovon umfen weiter zu reden feim wird, nad) dem Lehrftück Calvin's De poenitentia der Glaube der huße und Abtödtung ded Sündenmenſchen in uns vorangehen fol. ein, werm es auch die väterliche Liebe Gottes ift, auf deren afahrung die chriftliche Neligiofität von Anfang an ruhen muß, iſt Hiermit doch noch nicht gejagt, wie weit dieſe Siebe reiche, Nefern fie allen Menſchen ſich zu erfahren geben oder etwa nur af eine abgeſchloſſene Zahl Auserwählter ſich beſchränken wolle, sefern jie mit dem ethifchen Weſen Gottes eins nnd in alfem Ainem Verhalten das Grundbeftimmende fei oder neben ihr amdere Ägenfhaften walten, vor welchen fie werigftens theilweife in Gottes 3erhaften zur Menfchheit zurücktreten müffe. Jene Ausfagen laſſen

»Lb.Le2,91;506,84. 29°

426 Köflin

Raum genug für eine fchroffe Prädeftinationslehre und für alle Confequenzen, welche wir von einer ſolchen aus für die Auſchauung von Gott und feinen Eigenfchaften zu ziehen haben. Solden Er: ärungen über bie Liebe, wie bei Luther, wonach fie gleichſam den Grund des Herzens Gottes ganz erfüllt und wonach Gott in jenem Grregen von Furcht und Angft eben noch gar nicht fein eigentficee Werk treibt, Können wir doc) bei Calvin nichts zur Seite ftellen. Terner ift mit jenen Ansfagen auch darüber noch Nichts ausgemadt, wie weit in jener Frömmigkeit ſelbſt, melde ohne die Erfahrung der göttlichen Liebe nicht bei uns entftünde, num eben bie Liebe oder doch die mit ihr verbundene Ehrfurcht das Uebergewicht erhalten, | wie weit der Fromme im vollen freien Genuß jener göttlichen Liebe leben oder überwiegend in ehrfurchtsvollem Gehorfam feine Gefin- nung gegen den Vater zu bewähren haben werde. Und da erinner wir an den Nachdruck, mit welchem befonder® die Ed. 3 gegenüber von der göttlichen Offenbarung den Gehorfam unfererfeits gefordet hat. Ebenſo führt diefe Ausgabe, und zwar in einem men auf gearbeiteten Abſchnitte (Lib. IH, c. 20, 8 42), den Begriff W Reiches Gottes, bei welchem Luther (vgl. 3. B. im Gr. Katıh) die erlöfende, befeligende Thätigfeit und Mittheilung Gottes voraw ſtellt, fogleih auf die Herrſchaft Gottes über die ſich felbft vr: Teugnenden und der Gerechtigkeit ſich ergebenden Menfchen zurüd. Auch feine Definition von religio (Lib. I, c. 12, $ 1) ift hie zu erwähnen; er fieht‘ darin den Gegenfag gegen vaga licentis bei der Gottesverehrung ausgebrüdt: „pietas sese intra fines suos relegit“. Dod wir wollen nur vorläufige Bemerkungen hiermit gemacht haben.

Treten wir in ben conereten Lehrinhalt der Institutio weiter ein, fo haben wir hier überalf die Beziehung auf den Mittel punft der Kriftlihen Heilswahrheit in's Auge zu faſſen und im Auge zu behalten. Auf Gottes Verhalten zur Welt und Menſchheit, abgefehen von der Erföfung und Erlöfungsbedürftigkei, ift, wie wir fahen, Calvin überhaupt erft feit der Ed. 2 allmäh- lich ausführlicher zu reden gefommen. Und auch darauf ficht man dann bei ihm ſchon jene Beziehung einwirken. Durch das, was wir als Ehriften aus der Heilswirkfamfeit Gottes über fein Ber-

über Calvin's Institutio. 427

hältniß zu und erfahren, wird bei Calvin auch ſchon feine Auf- jaffung vom Verhältniß Gottes zur Welt überhaupt beftimmt, wenngleich wir gerade bei Calvin werben fragen dürfen, wie weit virflich die chriftliche Erfahrung von Gottes Liebe und Liebesdar- Hetung bei ihm in ihrer ganzen Tiefe und vollen Confequenz zur Geltung gefommen fei, oder ihr gegenüber doch zugleich ſolche all» jemeine veligiöfe und metaphyfifche Anfchauungen einwirkten, welche ht völlig von ihr durchdrungen waren. In jener Hinficht rinnen wir auch daran, daß er feinen Abfchnitt über das all» jemeine Walten der göttliden Providenz bei une Renfen urſprünglich, nämlid in Ed. 2, erft dann eingeführt nt, nachdem er zuvor das Heilswirken und den Heilsrathſchluß dottes mit der Prädeftination gemäß, den Schriftzengnifjen wollte gehandelt Haben. Wenn Gaß (a. "a. D., ©. 106) bemerft, a5 der Abfchnitt von der Vorſehung fich Deutlich als theologifche Interlage der Prädeftination zu erkennen gebe, fo trifft dies zu ir Ed. 3; nur umfoweniger aber darf überfehen werden, daß das, 28 hier als Unterlage fich darbietet, doch anfänglich nur als An- ang zu dem Anderen eingeführt worden war. Anbererfeits ift brigens auch ſchon in dem Abfchnitte der Ed. 2b von Gott als em allmächtigen Schöpfer befonder8 ber Nachdruck zu beachten, vomit er bei aller Vermittlung bes göttlichen Wirkens durch crea- ürfihe Werkzeuge doch die Unfelbftändigkeit diefer Wert- euge und die vollkommene Umnbedingtheit Gottes ihnen gegenüber xhauptet. Und noch weitere und ftärfere Erklärungen gibt dann arüber die Ed. 3. Gott, fagt Calvin, flöße den Werkzeugen rein ach feinem Willen Kräfte ein und Ienfe fie; und Gott könnte, va8 er fo duch fie, 3. B. durch die Sonne wirft, ebenfo Teicht uch ohne fie vein durch fich felbft wirken. Gott, fagt er in Ed. 3, affe uns ordentlicher Weife dur Brod ernähren; und doch lebe iach der Schrift der Menfch nicht vom Brod allein: denn nicht ie Füllung mit Speife nähre uns, fonbern die göttliche Segnung, owie umgekehrt Gott (Jeſ. 3, 1) auch drohe, die Stüge des Brodes zu zerbreden *). Wir Haben Hierin auch ſchon allgemeine

a) Vol. XXIX,'p. 510; Vol. XXX, p. 145g. 150 (Lib. I, c. 16,8 2. 7).

28 Röklin

Brämiffen für den fpeciellen Gebrauch, melden dann Gott nad Ealoin für fein Heilswirken vom Wort und von den Sacramenten mad).

Jemehr wir bei Calvin in bie direet aufs chriſtliche Heil bezüglihen Dogmen eingeführt werden, befto mehe müfjen wir dan auch erwarten, biejenigen Eigenthümlichfeiten beftimmt ausgeprägt zu finden, welde den calvinifchen Lehrtypus vom Intherifd: deutſchen unterfheiden, und müffen mit Bezug auf fie wieder feine eigenen drei Hauptausgaben untereinander vergleichen. Und wirfli bietet gerabe in dieſer Beziehung ein folcher Vergleich der drei fehon bei einer alfgemeinen Weberficht ein hohes gutereſſe dar. Sehen wir den Fall, daß die Institutio in ihrer erften Gejtalt mit allen ihren Beftandtheilen, auch mit ihren Abfchnitten üüber- die : Sacramente im Allgemeinen und über die Taufe, nur den ſpecich vom Abendmahl handelnden Abfhnitt ausgenommen, einem Forſcher in ber reformatorifchen Theologie vorgelegt witrde und daß diefe ; hierbei den Namen bes Verfaſſers noch nicht kennte und zug die fpäteren Außgaben feiner vergleichenden Betrachtung entrilt wären, fo würde diefer fchwerlich irgend welchen Aulaß finden, da Wert einem anderen Boden, als bem der deutſch- evangeliſchen Lutherifchen Theologie zuzumeifen. In ben Abſchnitten über de Sacramente im Allgemeinen und über bie Taufe würde er wohl befondere Verwandtſchaft mit demjenigen Standpunkte finden, meiden Melanchthon's Loci in ihrer erften Ausgabe repräfentiren. In anderen Abfchnitten, wie in ber Ausführung davon, daß Ehrijtus ganz das Unfrige angenommen habe, um das Geinige uns zuzu⸗ theifen, daß Chriftus, das Leben, den Tod verfehlungen habe, dak Chriſtus mit feiner ganzen Perſon und Leiftung, feinem Geherjam und Schuldtragen, für uns eingetreten fein. f. w. (vgl. unten), würde er innige, fpeeielle Verwandiſchaft mit Yuther, gerade auch im Unterfchied von Melanchthon, gewahr werben. Bon Ansfagen über hie Prädeftination würde er Nichts antveffen, was nicht Luther auch damals noch hätte vortragen können. Ex möchte wohl die jenige wolle Darftellung vom GCinsgewordenfein des Göttlicen und Meufchlichen, welche Luther zu geben bemüht war, vermifjen, jedoch auch auf Leinerkei Widerſpruch gegen diefelhe ftoßen.. Belime er

1

über Calvin’s Institutio.} 29°

alsdann den ſpeckellen Abfehmitt über’s Abendmahl bazır in bie Hand, fo würde er darin einen Mann erkennen, der in diefer Beziehung, unbeſchadet feiner fonftigen Gemeinfchaft mit Luther und Meland- thon, den ſogenannten oberländifchen Theologen, ben Urhebern der Confessio Tetrapolitana vom Jahre 1530, ſich anſchließe, ber kdoch auch in dieſer Hinficht durch Betonung und tiefe Auffaffung der im Abendmahl den Seelen, wenn auch nicht bem Munde dar- gebotenen göttlichen Gabe. eine Gemeinfchaft mit Jenen nad) Kräften xwinnen und befeftigen wolle und ber hierfür in ber That eine jedeutendere theologifche Leiftung als alle die oberländifchen Genoffen vorlege, Nachher erft, in Ed. 2 und vollends in Ed. 3, kommen nit der weiteren Entfaltung des geſammten Lehrftoffes bie von der Intherifchen Lehrform abweichenden, beziehungsweiſe ihr entgegen- Hegten Eigenthitmlichteiten Calvin's erfentibar genug zum Ausdruck. Bir aber fehen nun nicht bloß, wie biefe für ihm felbft dort noch d ganz Hinter dem Gemeinfamen zuricktraten, welches fir ihn auch ein das Fundamentale war und über welches ihn das Bebürfniß hriftliher Unterweifung für die bei der erften Ausgabe in's Auge ſefaßten Leſer nicht Hinausführte; -fondern wir fehen auch, wie das⸗ enige, worauf er bier fich beſchränkte, wirklich im fich felbft zu men Ganzen fich zuſammenſchloß ohne eine Spur von Künſtelei rer von bdiplfomatifchen Wendungen und Verhüllungen. In der päteren Ausführung des Werkes fobann weifen allerbings jene jervortretenden Eigenthümlichkeiten deutlich genug auch auf einen ewiſſen Unterſchied der criftlichereligtöfen Grundanſchauung zurüd, mie wir ja einen folchen auch fehon bei Calvin's Auffaſſung des ormalen Princips bemerflich gemacht Haben; und man kann dann ragen, ob fie, mit allem Gewichte betont und conſequent verfolgt, iicht auch noch zu einer viel tiefer greifenden abweichenden Faſſung erjenigen einzelnen Dogmen hätten führen müſſen, welche zunächſt 18 ganz gemeinfame erjchienen: fowie in der Dogmatik fplterer Calviniſten ſolche Unterſchiede theils wirklich, theils wenigſtens aach der ſcharfſinnigen Darſtellung mancher Theologen, beſonders Schneckenburger's, eingetreten find. Allein das werden wir doch bei Safoin keineswegs jo, wie man hiernach erwarten möchte, beftätigt finden. Und die Urfache hiervon werden wir nur in dem Weber-

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gewichte fehen können, welches bei ihm doch fort und fort das &e- meinfame eines echt evangelifhen Standpunktes behauptet, wenn aud die divergirenden Elemente nicht zu voller Einheit damit ge⸗ bracht find und überhaupt eben nicht Diejenige durchgreifende Einheit und Confequenz der dogmatiſchen Anfhauung und des Syſtems, welche Freunde und Gegner dem Calvin oft nachrühmen, von ihm wirklich erreicht worden ift.

Die Sünde, von welder wir Exlöfung bei Chriſtus ſuchen follen, iſt durch alle Ausgaben hindurch ganz in der Weiſe der deutſchen lutheriſchen Predigt und Theologie aufgefaßt. Namentlich ift dem gegenüber von Zwingli'ſchem Einfluß feine Spur. Tie ſtarken Säge über die Macht und den Fluch der Sünde erhalten | theifweife in Ed. 3 noch beftimmteren Ausbrud als vorher. Solche Ausdrüde zwar, nach welchen es feheinen müßte, als ob der Wil des natürlichen Menſchen ganz aufgehört hätte Wille zu fein, hält « Calvin immer von feiner Darftellung ferne: fo bie Bezeichnung } des Menfchen als eines Klotzes. Für die Sache aber, nämlit dafür, daß der Menſch und fein Wille gar keine wahrhaft gab gemäße, ihrem Princip nad gute Thätigkeit, Strebung und Be wegung mehr habe noch aus fich produciren könne, macht dies gar feinen Unterfdied. Und für das Maß, in weldem die Menjcen und zwar ſchon die Kinder vom Mutterleib Her von dieſer Ber derbnig umfangen und durchbrungen feien, gebraucht Calvin in allen Ausgaben auch Ausdrücke, welche man ſelbſt flacianifch hätte deuten tönnen: „tota eorum natura quoddam est peccati semen“; die Concnpifcenz erfülle und verunreinige Alles im Menſchen, In- telligenz und Willen, Seele und Leib: „aut, ut brevius absol- vatur, totum hominem non aliud ex se ipso esse quam cor- cupiscentiam‘“‘ *). Auch er fieht in diefer Sünde Wiberftreit und Feindſchaft gegen Gott, pofitiv Selbſtſucht. Auch ihm ift mit ihr und zwar ſchon für die Kinder Abfchen von Seiten Gottes und

a) Vol. XXIX, p. 118 (Ed. 1) p. 310. 968 (Ed. 2). Vol XXX, p. 183. Lib. D, c. 1, 5 8 (dazu wird hier im dem nen Hinzugelommenen 5 9 noch weiter polemifch gegen bie Lehre katholiſcher Theologen von der fleiih lichen Luſt ausgeführt, da „arcem ipsam mentis occupavit impietas. ad cor intimum penetravit superbia ‘“).

über Calvin's Institutio. 431

erdammniß gefeßt; wir find dadurch ſchuldig des göttlichen Zornes. urch das Prädeftinirtfein der Gottlofen ſoll ihre Schuld keines— :96 aufgehoben, noch gemildert fein. Daneben erkennt zwar Calvin m auch bei Heiden eine edle Begabung und fchöne Leiftungen auf m Gebiete der Künſte und Wiffenfchaften, des bitrgerlichen Rechtes, 3 Staatslebens u. ſ. w. an. Eine lebhafte Anerkennung dafür den wir ja aber nicht blos auch bei Melanchthon, fondern auch Luther umd nur durch Mißverftand wird fie öfters bei diefem erſehen oder unbegreiflich gefunden (vgl. in meiner „Theologie ter“ II, 373. 487). Und andererjeits ift auch nach Calvin " rum doch die Grundrichtung des Willens oder die innere Ge— mung bei ſolchen Heiden keineswegs gut und gottgefällig, Wie tter zwifchen den „‚res inferiores, rationi subjectae und den giritualia “, unterfcheidet and) er zwiſchen „res mediae, quae ücet nihil ad regnum Dei pertinent und zwifchen der „vera ztitia, quae ad spiritualem regenerationem refert“ (Vol. UX, p. 318; Vol. XXX, p. 190; Lib. II, c. 2, $ 5), ober iſchen „res terrenae“‘ und „res coelestes“ (Vol. XXIX, 325; Vol. XXX, p. 197; 1. c. $ 13). Auch bei jenen enſchen führt er ihre Begabung und Thätigfeit auf ein Wirken tlichen Geiftes zurück; es fei aber, erflärt er, nicht der Geift Heiligung, durch welchen die Menſchen ſelbſt Gotte zu einem inpel geweiht werben (Vol. XXIX, p. 327; Vol. XXX, p. 199, 116). Weiter nod geht dann Calvin in der Anerkennung von 8 natürlich Gutem auch bei unerlöften Menfchen: es habe, ter, jederzeit Etliche gegeben, die nicht blos durch einzelne aten ſich ausgezeichnet, fondern auch mit ihrem ganzen Leben ter Leitung der Natur nad Tugend geftrebt Haben. Er jagt m in Ed. 2 (Vol. XXIX, p. 337): „exempla ista nos mo- nt, ne hominis naturam in totum vitiosam putemus‘“. Er eint Bier doch mehr zuzugeben als Luther zugab, und mehr auch ; mit feinen eigenen oben aufgeführten Sägen verträglich erſcheint. ein er erflärt fogleich weiter: auch bei ſolchen Perſonen fei die gemeine Verderbniß keineswegs geheilt oder in Heilung begriffen, " tde vielmehr nur durch befondere göttliche Fürforge in Schranken yaften, während fie, wenn Gott den eigenen Lüften den Zügel

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ſchießen ließe, bei ihnen fo arg wie bei Anderen wieder losbrechen würde; und als Motive, durch welche Jene fo weit fich im Zaum haften Laffen, nennt er Furcht vor den Gefegen, Rückſicht auf den von einem ehrbaren Wandel erwarteten Vortheil, die Abficht, An dere durch die eigene Erhabenheit ſich unterwürfig zu machen; man fieht, für wahre Tugendhaftigfeit läßt auch er jene „Qugenden“ teineswegs gelten. Säge, welche die Ed. 3 den bisher beifügt, erflären vollends über die beſten Helden bes Heidenthu turzweg: „ut praestantissimus quisque fuit, eum semper i pulit sua ambitio, qua labe foedantur omnes virtutes, coram Deo gratiam omnem amittant‘“; e8 fehlt ihnen das Streben, Gott zu verherrficen; ihre Tugenden haben Lob u „in foro politico et in communi hominum fama“ (Lib. I c. 3, $ 4)*). Und jenen Sag „Exempla ista nos mo nent etc“ hat die Ed. 3 recht bedeutſamer Weiſe verändert in: „Exem ista monere nos videntur“ (l. c., $ 3). Wie gan ders hat ein Zwingli die Tugenden, mit melden Gott Heiden ausftette, gewürdigt haben wollen. Wir Haben vie doch wefentlich nur denjenigen Standpunkt, auf welchem Me thon, mit Luther einverftanden, in der erften Ausgabe feiner die Tugenden eines Sokrates, Zeno u. |. w. felbft auch aus Selbſtliebe abgeleitet und darum für Lafter erklärt hat. die Prädeftinationslehre bringt für diefe Auffaffung der men lichen Verderbniß und Erföfungsbedürftigkeit keine Modification nd ſich. Gott iſt in ſeinem Willen und Rathſchluß, jener zu Ben unbedingt frei. Aber er felbft Hat ſich mit feiner wirklichen, cr fenden und Heiligenden (nicht blos zügelnden) Thätigkeit auf de Erlöfung durch den menfchgewordenen und zuvor im altteſtamem— lichen Worte geoffenbarten Chriftus unbedingt befchränt. *or| nehmlich eben hierin wich Zwingli fo fehr ab. Und von cc) anderen Seite her hatte auch Melanchthon feither in feiner zwem] Ausgabe den Gedanken angeregt, ob nicht vielleicht Gott trefflicer Heiden auch ſchon eine gewiſſe Erfenntniß der freien Barmperzigtet,

a) Ferner vgl. ſchon in Ed. 2: Vol. XXIX, p. 756; in Ed. 8: Lib. Il 14,88.

über Calvins Institutio. 433

w Sündenvergebung und bes wahren Gottesdienftes durch befon- me Wohfthat gewährt habe (Corp. Ref., Vol. XXI, p. 385). aloin nähert ſich foldhen Gedanken fo wenig als Luther. Man innte ferner mit der Prädeftinationslehre die Vorftellung verbinden, 6 den in Chriſto Erwählten, wie fie ſchon vor ihrer Geburt wählt ſeien, fo auch fchon von ihrer Geburt an ein guter Keim ı Unterfhleb von den nichterwähften Sundern mitgegeben werde, t unter dem Sundenſtand fatent bleibe, um dann auf den Ruf 8 Evangeliums Hin fich zu entfalten. Calvin Hat, fobald er in d. 2 feine Prädeftinationslehre ansführte, auch diefe Vorftellung mähnt, aber nur um fte ganz abzıtweifen; auch Jene, jagt er, m, fo viel an ihnen fei, bis zu ihrer Berufung und Belehrung kirrende Schafe, fi) mälgend im Gränel der Sünde: „quale ie, amabo, electionis semen in is germinabat etc.?“ 'l. XXIX, p. 883. 885; in Ed. 3: Lib. IH, c. 24, 8 11.) Sollen wir weiter nad) Eigenthümlichem in Calvin's Auffaffung t Sünde und des Sündenftandes forfchen, fo bürfen wir wohl & anmerken, daß er in der menfchlichen Sünde befonders gern ı Hochmuth betont. Diefer bleibt ihm, wie wir fehen, nament- ) auch die Grumbdfünde jener befferen Heiden. Melanchthon pflegt fündhafte Selbftfucht, welche das Grundweſen ber Erbſünde mache, mehr nur als Liebe zum eigenen Selbſt, als philantia, bezeichnen, als Selbftliebe im Gegenfage zur Hingabe an t in Vertrauen und Gottesliebe. Der Nachdruck, welchen Calvin f die Selbftüberhebung, superbia, ambitio, legt, entipricht dem ichdruck, mit welchem er bie rechte Gefinnung zu Gott vor Allem die vollkommene Selbftbeugung unter Gottes Majeftät fett. Ährend ferner Calvin dem Menfchen, um ihn zur Anerkennung ' reinen Gnade Gottes zu treiben, fo fräftig- das Sundenelend d die Sundenſchuld vorhäft, überfehen wir nicht, wie er zugleich ch ſchon abgefehen von der Sünde die Schwäde und ürftigkeit des Menſchen und feine fchlechthinige Abhängigkeit von es Macht und Gnade anerfannt haben will. Die Betonung fer Seite iſt Luther'n befonders in feiner früheren Periode eigen, er mit Anſchluß am die Myftit bie völlige Nichtigkeit der Ereatur jenüber vom Schöpfer hervorhebt. Bei Calvin macht fte in der

4 Körlin

weiteren Ausführung ber Institutio noch mehr als früher fih geltend. Schon in Betreff des Urzuftandes leitet er aus Adams Geſchaffenſein nad) Gottes Ebenbild nicht etwa ab, daß derjelbe demnach auch mit einer gewiſſen Selbftändigkeit von ſich aus Härte Gutes Teiften können, fondern vielmehr, daß demnach fein Gutes nicht fein eigen gewefen, daß er nur Dei participatione felig g- weſen fei; die Ed. 3 fügt bei, daß ohnedies ſchon fein Entnommen fein aus Erde und Koth allen Hochmuth bei ihm Habe zlgen müffen (Vol. XXIX, p. 313; Vol. XXX, p. 134. 186; Lib. c. 16, $ 1; Lib. Il, c. 2, $ 1). Vollends kommt dieſe Set zu einer Alles umfafjenden Geltung in Calvin’ Ausführung it die Prädeſtination und allwaltende göttliche Providenz. minder weift Calvin die Rechtsanfprücde, die Anfprüche auf dienft und Lohn, die ein Menſch vor Gott erheben möchte, nad drüucklich umd unbedingt auch ſchon wegen des allgemeinen Berhil niffes des Menſchen zu Gott, noch abgefehen von der Sündheft keit defjelben, zurüd. Er ftügt ſich dafür allgemein auf den © von den unnügen Knechten uf. 17, 10 (Vol XXIX, p. Vol. XXX, p. 580; Lib. III, c. 15, $ 3). Nebenbei v er fich auch gegen die, wie er fagt, von gelehrten und from Männern vorgebradhte Meinung, als ob wenigſtens Gaben fi irdiſche Leben verdient werden könnten durch gute Werte (Vol) XXIX, p. 772; Vol. XXX, p. 582, $ 4). Selbſt Luther ja mit weniger Strenge und Aengftlichkeit, und zwar auch im Kaum mit Katholiken, fogar auf irdifhe Gaben, melde Gott den oe erwähnten Heiden um ihrer Tugenden und Leiftungen willen jr tommen lafje, den Begriff der remuneratio oder retributio ar zuwenden jich wicht geſcheut *). Vollends erſcheint wieder bei dr Prädeftinationslehre Calvin's ein jedes Recht des Menſchen vm Gott ausgefchloffen. Auch die Art, wie Calvin bei der gort- pflanzung des Verderbens von Adam her über die Urſache der felben fich äußert, ift für die ſpecifiſch Calviniſche Auffaffung ir

8) Bgl. meine „Theologie Luther's“ a. a. D.; Luth. opera Ed. Jen. 155. Tom. H, p. 425 (im der Confut. ration. Latom.). Op. exe. Hi Erlang., Vol. I, p. 166.

über Ealoin’s Institutio. 435

Ügemeinen Berhältniffes zwifchen Gott und Menfch bezeichnend. ir erffärt ſich hierüber fchon in Ed. 28, umd zwar dahin: man taude nicht über Traducianismus zu disputiren; es genüge für u, daß, wie Gott die der menſchlichen Natur beftimmten Gaben i Adam niedergelegt, fo Adam diefelben für uns Alle verloren ibe. Seit ber Ed. leſen wir weiter: nicht in der Subftanz % Fleiſches und der Seele habe die Auſteckung. mit Erbfünde ven Grund, fondern einfach eben in der Verordnung Gottes, daß rerfte Menfch fo jene Gaben aud für feine Nachkommen ver- men ſollte. Entſcheidend erfcheint fo dafür am Ende einfach der itlihe Wille, dem wir nicht weiter nachzufragen berechtigt find. a der Ed. 3 jtellt dann Calvin diefe Verordnung Gottes mit » horribile decretum der Prädeftination auf Eine Linie: die Are können doch auch Die nicht Teugnen, welche am letzteren ſich en; Mar fei ja, daß jener Verfuft des Heiles fir Viele durch # Einen Schuld nicht natürlicherweife (naturaliter) erfolgt, ſon—⸗ m aus einem wunderbaren Rathichluffe Gottes hervorgegangen ; 8 fei gar zu abfurd, daß jene Patrone ber göttlichen Gerech— keit, welche doch den Rathſchluß der Prädeftination beftreiten, er Balken ſich wegfegen und doc über einen Halm nicht weg⸗ amen Tönnen ).

Erlöſung aus ben Banden der Sünde und Rettung vor den igen Strafen ift dann alfo auch nad Calvin ſchlechthin nur bei a menſchgewordenen Gottesfohne.

Zwifhen der Ealvinifchen und der Lutherifchen Auffafjung der fung ift der Unterſchied gemacht worden, daß dieſe dort mehr ; Befreiung von der den Willen bindenden Macht der Sünde 7 als Mittheilung neuen fittlihen Lebens an's Subject, t mehr als Tilgung der Schuld und als Herftellung eines neuen ectiden Verhältniſſes für den Menſchen zu dem die Schuld rich⸗ den und nunmehr vergebenden Gott aufgefaßt werde. Hält man ) aber an das, was Calvin in den Ausgaben feiner Institutio d auch fonft überall wirklich fagt, fo wird man in diefer Be—

» Vol. XL, p. 310; Vol. XXX, p. 182; Lib. II, c. 1, $ 7. p. 704; Lib. HI, c. 28, 8.7.

46 zönlin

ziehung Höchftens einen Unterſchied ſehr relativer und ſchwebender Art herausfinden. Und zwar bleibt ſich feine Lehrweiſe Hier durch alle Ausgaben gleich. Für Calvin's Eigenihmlichkeit kommt da allerdings gleich diejenige Ueberſicht Über die Bedeutung des Weſene und Wirkens Chriſti, des Heilsmittlers, in Betracht, welche er der ausführlicheren Entwidlung vorangehen läßt (Vol. XXIX, p. 645gq 617 8q.3 Vol_XXX, p. 341 qg.; Lib. H, c. 12, $ 1-3). Gu fagt er, ift, während unfere Sünden wie eine Wolfe zwiſchen und uns ftanden, felbft zu uns Herabgeftigen; Gottes Sohn in Menſch geworden, um und zu Gottes Sohnen und aus der Hölle zu Kindern des Himmelreichs zu machen, indem er Unfrige annimmt, das ihm von Natur Eigene aus Ghaden uns überträgt, den Tod verfchlingt, die Sünde beſiegt m. j. Erſt als zweites Hauptſtück unferer Erlöfug (alterum redı tionis nostrae caput; Ed. 3 fegt ftatt redemt.: reconeiliationi nennt dann Calvin das, daß Ehriftus genugthuenden Gehoche geleiftet und die Strafen für die Sünden abgetragen habe. GC hat fo mit dem, was er hier voranjtelit, gleich von vornherein die von Chriftus> ausgehende Lebensmittheilung im Auge ge Allein die Aufeinanderfolge der beiden „eapita“ Hat doch wi etwa den Sinn, ald ob das zuerft über Chriftus Ausgeſagte auf die Lebensmittkeilung im Unterſchied von der Verfühnung Sündenvergebung ſich beziehen und als ob jene die Prierität diefer erhalten ſollte. Es war vielmehr. Calsin darum zu th zuerſt, ehe er auf das befondere genugihuende Wirken usb Lei des Mittler einging, die umfaffende heilsmittleriſche feiner ganzen gotimenfchlicgen Perſon hervorzuheben; und bei diei faßt er zunächſt Alles, die Verföhnung und Vergebnug fammt

Zedensmittheilung, in Eins zufammen: jene gehört wejewtlich mi zum Befiegen der Sünde; und fo weit ja nachher auch ber bi ftimmtere Ausdrud der Ed. 3 „alterum recuneiliationis caput- darauf zurüd, daß es auch bereitö bei dem erften um eine durdi reconciliatio ſich vollziehende redemtio ſich Kandel. Exil der Ed. 28 wurden fodann, wie wir fehon früher erwähnten, de Abfchnitte über Buße, Wiedergeburt und neues Leben vor dem be fonderen Abſchnitt über die Nechtfertigung entwidelt; es wird aus

„Aber Eatbin’e Trank 437 es nicht ohne Bedeutung für die ſpecifiſch Calviniſchen Anſchauun⸗ n fein; zugleich werden wir dort auch auf eine unterſcheidende igenthämlichkeit Calvin's in Betreff der im Qutherifchen Lehrtypus wongeftelften terrores incussi conscientiae zu reden fommen. Mein wir Haben aud ſchon bemerkt und merden mod) weiter zu merken Baben, daß man aus des Ordnung jener Abfchnitte nicht viel folgern darf ). Im Abfchnitte von der Rechtfertigung zeigt 5 jodann Mar, daß gerade auch Calvin ganz bejonders von der, attifhen Trage darnach bewegt war, wie wir zu dem neuen, der culdhaft entgegengefegten Verhältniß zu Gott gelangen, wie wir t dem göttlichen Gericht oder Forum beftehen, wie die von der guld geängftigten Gewifjen geftillt werden Können. Kaum ir ꝛdwo fonft redet Calvin mit jo ernſtem Pathos, wie hier davon, dman zu Gottes Richterftußl die Augen erheben müfje, daß das wiffen erregt werde und der Satan anflage, daß man da ganz müthig und arm allein bei Gottes Barmherzigkeit vermöge der t und eintretenden Gerechtigkeit Chriſti durch Zurechnung biefer fehtigfeit Rettung finden könne. Und nicht blos für's fubjective durfniß fällt nad) Calvin auf diefe Momente ein ſolches Gewicht. ıh an fi ift ihm (Vol. XXIX, p. 737; Vol. XXX, p. 533; b. III, c. 31,8 1) ®) die prima gratia die, daß wir „Christi iocentia Deo reconciliati pro judice jam propitium ha- amus in coelis patrem‘; „regeneratio secunda est gratia‘“. Diefer ganzen Betrachtung aber über die Auffaffung des Heiles Calvin und über die höchften Intereſſen, die ihm Hierbei be» gen, mäffen wir num das noch beifügen, daß ihm über allem teren die Anerkennung der Ehre und abfoluten Majeftät Gottes bit fteht und daß ihm in diefer Beziehung auf Seiten des Menſchen e zum Glauben gehörige abfolute Selbftvemüthigung das Wich-⸗ fe ift. Vor Allem, über Allem und in Allem handelt es ſich a darum: ut domino illibata constet sua gloria (vgl. Vol. XIX, p. 751; Vol. XXX, p. 559; Lib. ID, c. 13, $ 1). fi der weiteren Ausführung der Institutio nach der Ed. 1 tritt

) Dies gift auch gegen die meuefte Darfiellung bei Philippi, Kirchliche Glaubensl, Th. 5, Abt. I, ©. 121f.

) Bel. die ſchon im unferem erſten Artikel gegebene Ueberſicht über bie Aus- gabe von 1539.

438 Köplın

diefer Geſichtspunkt noch immer ftärker hervor: vollends in de Lehre von der Präbeftination, auf welche dann von der gegenmär: tigen Zutheilung des Heiles aus zurüdgegangen wird. Wir jet die Intereſſen nicht fo wie‘ bei Luther darin geeint, dag Gott fi felbft erſt recht verherrlicht in der Offenbarung der fein Herz er fülfenden Liebe, und dag die Menfchen ihm erft recht ehren im Anı nehmen eben diefer Liebe, wofür freilich die tieffte Selbfterniedrig Vorausfegung ift. Wie wir ferner oben von der Sünden derbniß aus bei Calvin auch ſchon auf eine Schwäche und Dürfti keit des urfprünglichen Menſchen zurüdzufhauen hatten, fo nun nad Calvin der Menſch, auch wenn er fih von Sünden erhalten hätte, doch zu niebrig gemwefen, um ohne einen Mittler | Gott dringen zu fönmen: „humilior tamen erat ejus condi quam ut sine mediatore ad Deum penetraret“. Es iſt a Sag, den erft vollends die Ed. 3 (Lib. II, c. 12, 8 1) ausſpriti während fie ſich doch zugleich ftreng gegen die Meinung ver

als ob wirklich, auch abgefehen vom Zwed der Erlöfung der Si eine Menſchwerdung Chrifti Hätte eintreten follen ($ 4800.). greift hier wieder auch jene allgemeine Auſchauung vom Berk zwifchen Gott und Menſch ein.

Zn der Darftellung der Perfon des Mittlers zeigen W verfehiedenen Ausgaben, mit einander verglichen, weder ein fortcrk tendes Eindringen in das dogmatifche Problem, noch eime vol Entfaltung der einmal aufgeftellten Grundlehre. Die Erweiterug welde der Abſchnitt befonders in Ed. 3 noch erfahren hat, nur ber negativen Abwehr von Srrlehrern, befonders Ehenfowenig fühlt Calvin gegenüber von der bereits überli auf der chalcedoniſchen Seftftellung ruhenden Naturenlehre ci Beruf, Neues zu geftalten. Einestheils zeigen uns fehon die ober angeführten Ausfagen Calvin's über Chriftus als den Mile) zwiſchen Gott und den Menfchen, wie viel ihm daran gelegen ja mußte, die Einheit der beiden Naturen in der Einen Perſon u behaupten. Er redet auch gleich in der erften Ausgabe ohne Be denfen oder Claufeln von der „communicatio idiomatum “. ort möge deren die Schrift das der Gottheit Chrifti Eigene jene Menschheit beilege und umgefehrt. Und dazu fett in Betreff de

über Calvin's Institutio. 489

Säriftausfagen, welche das an Ehrifti Menfchheit Gefchehene auf ie Gottheit übertragen (wie Apg. 20, 28), die Ed. 2 und Ed. 3 ti: e8 gefchehe dies uneigentlicherweife, doch „non sine ratione‘“ ®). (6 beſonders wichtige und deutliche Erffärungen über das Wefen hriſti ſtellt ferner Calvin namentlich feit der Ed. 2 diejenigen usfprüche hin, in welchen beide Naturen zufammengefaßt feien: af Ehrifti Gottheit und Menſchheit zugleich gehe 3. B. das, daß : die Macht habe, Sünden zu vergeben, die Todten zu erwecken, 8 Gericht zu Halten, Gerechtigkeit und -Seligfeit auszufpenden ſ. w. Dazu warnt er in ber Ed. 22, während er die ver- hiedenen, der wahren Gottheit oder Menſchheit Chrifti gefährlichen rlehren abweifen will, ganz fpeciell (Vol. XXIX, p. 522) vor m Irrthum des Neftorius. Er fteht infoweit, was die Diffe- a zwiſchen einem Luther und Zwingli betrifft, fehr entfchieden 1 Jenes Seite. Anderentheils aber macht er doch weder früher x jpäter einen Verſuch, das Wie? des Geeintjeins beider Naturen febendiger Darftellung zu bringen, aus jenen beide Naturen Naffenden Ansfprüchen weitere dogmatifche Eonjequenzen zu ziehen, er die „ratio“, welche für- jene „communicatio idiomatum ıtthabe, näher darzulegen. Es genügt ihm, darauf zu dringen, $ man den Unterfchied der Schriftftellen, welche von der einen er von der andern Natur oder von beiden zufammen reden wollen, Hl beachte und in den eigenen, auf die Schrift zu grümdenden hrausfagen recht ſorgſam Alles gleichermaßen fernhalte, wodurch tmeder die Einheit der Perjon oder die Wahrhaftigfeit jeder der den Naturen geleugnet würde. Er fommt fo in feinen eigenen gmatifhen Beftimmungen über die allgemeinen Formeln, in alchen ſowohl jene Einheit, als diefe Integrität der Naturen bes uptet wird, nicht hinaus. Und zwar haben wir für dieſes fein halten ohne Zweifel zujammen in Betracht zu ziehen die ihm ‘4 fonft eigene Vorficht, mit welcher er den göttlichen Dingen genüber auf das Schriftwort und die hiermit im Einklang von m erfundenen kirchlichen Formeln ſich beſchränkt und welche wir ıd bei jeiner Trinitätslehre wahrnahmen, die ihm eigene, über a Vol. XXIX, p. 521; Vol. XXX, p. 354 (Lib. II, c. 14. $ 2).

Theol. Stud. Jahrg. 1868. 30

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diefe Objecte mehr verftändig reflectivende, als lebendig intuitive oder fpeculative Geiftesrihtung, endlich, wieder jene Grund anfgauung vom Berhältuig des Göttlichen zum Menſchlichen un Creaturlichen überhaupt. Fu der Ed. 2b tritt dann meben jene fpecielle Warnung vor Neftorianiemus eine ebenfolde vor Euty: dianismus. Zunächft hatte Calvin hinſichtlich einer Vermengug der Naturen hauptjächlic die Servet'ſche und anabaptiftifche Kehren im Auge. Seit Ed. 2 tommt dazu in der Abendmahlslehre cin offener Kampf für die wahre Menſchheit Ehrifti gegen die luthe⸗ rijche Ubiquität des Leibes, durch welche jene aufgehoben werk. Es Handelt ſich Hier übrigens wirklich für Calvin um ein et 1 ligiöſes Interefje, nämlich vor Allem darum, daß nicht mit dem wahrpaften Fleiſche des erhöhten Chriſtus für ung Menſchen die daran ſich fnüpfende Hoffnung auf die Auferftehung unſeres eigenm Fleiſches verloren gehe *), keineswegs blos um die Wahrung de Unterfdjiedes zwiſchen Gottheit und Menſchheit oder um die ir habenheit jener über diefe. Zugleich werden wir Calvin bei jene Abendmahlslehre befonders jeit Ed. 2 in eigenthünlicher 2 darnach ringen jehen, eben au für die Menfhheit uud Mi Fleiſch Chrifti eine umfafjende und bleibende heilsmittleriſche dr deutung zu gewinnen: die Menſchheit Ehrifti joll nicht bios Be deutung haben für das Verfößnungswerf, das Chriftus als Mernſch gehorfam, leidend und jterbend ein- für allemal vollbracht ku, fondern durch Chriſti Fleiſch fol auch fort und fort die Zutheilung des Lebens vom erhöhten Ehrijtus aus an die Menſchheit ſich ver mitteln. Dies ift das eigenthümlichjte pofitioe Moment in der chriſtologiſchen Lehrentwicklung Calvin's, obgleich er e& in dem vor Eprifti Perjon überhaupt handeluden Abſchuitt nicht mit verarbeitt hat. Er Hat es übrigens in der Ed. 3 nicht blos bei der Abend- mahlslehre, fondern auch bei der Xehre von der Rechtfertigung gegenüber von Ofiander beigezogen: Chriftus rechtfertige und made febendig als Gott und Menſch, auch als Menſch, fofern nämlic Gott das, was in Gott verborgen und unbegreiflich ſei, in im uns offenbare, ihn für uns zur Quelle mache und jo durch iin a) Vol. XXIX, p. 1005; cf. Vol. XXX, p. 1029 (Lib. IV, c. 17, 52. v

über Calvin's Institutio. 441

aus dem verborgenen göttlichen Urquell uns ſchöpfen Yaffe; im Fleiſche ChHrifti ruhe für uns, wie die Sacramente lehren, die materia justitiae et salutis (Lib. III, c. 11, 8 9). © Calvin's Antwort auf die Frage, wodurch Chriftus Er- löjung für uns gebradt babe, ijt ihren Hauptmomenten nad ſchon in dem enthalten, was eben (©. 436) aus den von ihm jelbft vorangeſchickten überfichtlihen Sägen ®) ift mitgetheift worden. Für's Erfte alfo fpricht dort Calvin ganz umfafjend aus: der menfchgeiwordene Gottesfohn made uns aus Menfchenföhnen zu Gottes Söhnen, indem er das Unfrige an ſich nehme, das Sei⸗ nige auf uns übertrage; darum Haben wir die Zuverficht, Gottes Söhne zu fein (Ed. 1: „haec spes nostra est etc.“; Ed. 2 md 3 genauer: „hac arrha freti confidimus), weil der Gottesfohn fich Fleiſch von unferem Fleiſch u. j. w. beigelegt habe (Ed. 1 u. 2: „composuit“; Ed. 3: „aptavit“). Daß unfer Erlöfer wahrer Gott und Menſch fei, habe ferner diefe Bedeutung für uns (Ed. 1 u. 2: „sic nostra referebat, verum esse Deum ete.“; Ed. 3: „apprime utile fuit hac etiam de ausa ete.“; vgl. auch die franzöfifche Ueberfegung): er habe den Tod verfchlingen jolfen (absorbere, engloutir), und wer anders habe dies vermocht als das Reben? er habe die Sünde befiegen follen, und wer anders habe dies vermocht, als die Gerechtigkeit ſelbſt? ®er aber fei das Leben und die Gerechtigkeit als Gott allein (dafür Ed.2 u. 3: „penes quem vita est aut justitia aut potestas nisi penes etc.“)? Für's Zweite erflärt dann Calvin dort: zur Eriofung (Ed. 3: Verſöhnung) gehöre, daß der Menſch, der fi durh Ungehorjam in's Verderben geftürzt, jtatt defjen jegt Gehor- faın leiſte, der göttlichen Gerechtigkeit (Ed. 3: dem göttlichen Gericht) genugthue, die Sündenftrafen abtrage; fo jei nun Chriſtus an Adam's Stelle getreten: „ut patri se obedientem pro eo ex- hiberet (Ed. 3: ‚ut ejus vices subiret patri obediendo‘), ut carnem nostram in satisfactionem (Ed. 3: ‚in satisfa- ctionis pretium‘) justitiae Dei statueret (Ed. 3: ‚justo Dei judicio sisteret‘), ut in carne nostra peccati poenam (Ed. 3:

a) Vol. XXIX, p. 65. 517sg.; Vol.XXX, p. 341 (Lib. IL, c. 12, $ 2), s0*

442 Körlin

‚poenam, quam meriti eramus‘) persolveret.“ Das Erit haben die fpäteren Ausgaben nur wiederholt, mit den angegebenen Modificationen einzelner Säge, ohne es weiter zu entwideln. Dar Zweite wird ſchon im Ed. 1 bei der Ausfage des apoſtoliſchen Symbolums über Chriſti Leiden weiter befprochen und dann in den folgenden Ausgaben noch immer eingehender erörtert. Zugleich fehen wir, wie jene Säge, in denen es zunächſt zufammengefaßt iſt, in Ed. 3 noch auf fchärferen Ausdrud gebracht find: noch ſchärfer ift darin ausgebrüdt die Beziehung auf Gottes Gericht mit Chriſti Stellvertretung vor demfelben für uns Menfchen. Das Erfte erinnert, wie id) ſchon oben bemerkte, fehr an zuſammenfaſſende, myſtiſch geartete Darftellungen Luther's nicht etwa blos aus feiner frühereh Zeit, wie in der „Freiheit eines Chriſtmenſchen“, fondern aud 3. B. im großen Commentar zum Galaterbriefe Aud im zweiten Stüd aber, in diefer. Zufammenftellung des Gr horſams und des Strafleidens Chrifti, trifft Calvin zumeit eben mit Quther zujammen. Schnedenburger *) Hat gegen Guerik mit Recht bemerft, daß derfelbe in Hinficht auf die Anerfennug des activen Gehorjams Chriſti den Reformirten fälfchlich ein mins anrechne, als ob bei ihnen dieſes Dogma erſt jpäter als bei dm Zutheranern in ihren Belenntniffen einigermaßen. angedeutet werk, daß fie es vielmehr längft vor der Eoncordienformel in Bekenm- niffen vortragen und daB es ſchon Calvin anerfenne. Wir dürfen noch mehr jagen. Ich müßte außer den Schriften Luther's und außer der Brandenburg- Nürnberger Kirchenordnung vom Jahre 1533 ®) feine Darftellung von Seiten Intherifcher Theologen zu nennen, wo zu jener Zeit die beiden Momente ſchon mit jolder Beitimmtheit nebeneinander vorgeführt würden, wie in Calviu'd Institutio ſchon feit ihrer erften Ausgabe. Dagegen vermijjen wir die Hervorhebung diejer Bedeutung des activen Gehorfams bi Melanchthon, ſowohl in feinen Locis als in den von ihm verfapten daupitclenutniſſen der lutheriſchen —— und als Urſacht

Fa kirchlichen Chriftologie, Lehre vom doppelten Stande Ehrifti u. |. m. . 65.

b) Fasten, Evangel. Kirchenordnungen I, 186f.

über Calvin's Institutio, 443

dafür müffen wir bei Calvin einen auf's Ganze der Perjon und v8 Werfes Chrifti gerichteten umfaffenden und ſyſtematiſchen Blick nerfennen, in welchem iym Melanchthon nicht gleichtam. Für je weitere Ausführung der beiden Seiten, des Gehorfams und des !idens Ehrifti, find dann befonders noch die Erweiterungen bes Tertes in Ed. 3 wichtig. Hinſichtlich der Verſöhnung durch Chriſti Schorfam führt er Hier (Lib. II, c. 16, $ 5) weiter aus, wie au der „ganze Kauf feines Gehorſams“ gehört habe; er bezieht ierauf Röm. 5, 9. Gal. 4, 4, das Wort Jeſu Matth. 3, 15, en Ausſpruch PHil. 2, 7. Zum Leiden Chrifti hat er von Anfang m ganz befonders die Seclenleiden gerechnet, in welchen derjelbe ie ſchwerſten Kundgebungen des zürmenden Gottes erfahren und © Drange der Angft das Wort Matth. 27, 46 gerufen habe, Aleich freilich Gott wider den geliebten Sohn felbft nie zornig mein fei. Deshalb Hält er aud) feft am Artikel von der „Höllen- ihrt· Chrifti, indem nämlich derjelbe eben auf dieje inneren Leiden Duldenden und Sterbenden zu deuten fei. Auch das fegt er od weiter in Ed. 3 (a. a. O., $ 11f.) auseinander: der Sohn hottes fei umfangen gewefen von Schmerzen, bie Gottes Fluch nd Zorn erzeuge, aus welchem der Tod hervorgehe; in Angft wor babe Jeſus nach Hebr. 5, 7 zu Gott geſchrieen; in Geth— mane habe fein Hinabfahren zur Hölle begonnen; hiernach könne an die ſchrecklichen Qualen ermeffen, die. er habe erleiden müffen, quum se ad tribunal Dei reum stare cognosceret nostra usa“; dabei Hatte ſich Calvin jegt (in Ed. 3) zu verwahren r dem Vorwurf böswilliger Gegner, daß er Chriſtum Herabfege, dem er ihm Furcht um das Heil der eigenen Seele beilege. Diefe usjagen der Institutio über die beiden Seiten, über den Gehor- m als folhem und über das Leiden, gehen nun bald mebenein- ider ber, bald faufen fie ineinander über. Hin und wieder erſcheint 6 Leiden felbft wejentlich unter dem Gefichtspunft eines ethifchen ite6: z. B. an der vorhin angeführten Stelle Ed. 3, Lib. II, 16, 8 5; es legt fih uns die Auffafjung nahe, daß es zur erjöhnung diene weſentlich eben als höchfte fittliche Leiftung des orfams, der Gottergebenheit, der Liebe gegen Gott und die denſchen u. |. w. Dann aber wirb es auch wieder für fi in

Ad Köplin

Betracht gezogen: der Nahdrud wird auf dasjenige gelegt, war auf Chriſtus gelaftet, was vor Gottes Gericht an umferer Statt ihn getroffen Habe; wie tief Ealvin das Strafleiden überhaupt nahm, zeigen genugfam fon die angeführten Säge aus allen dem Ausgaben ; gern verweift er befonders auch auf den pauliniſchen Ausſpruch, dag Ehrijtus für und „zur Sünde“ gemacht worden ſei. Wenn Schnedenburger a. a. O. weiter bemerkt, daß das Dogma vom activen Gehorfam bei den Reformirten von jeher an erfannt, jedoch allerdings „in charalteriſtiſch unterfcheidender Geftalt* anerfannt gewefen jei, und wenn er num die Richtung Hier dahin gehen fieht, den leidenden Gehorſam jelbft in den thuenden zu ver- wandeln, fo läßt fi doch bei Ealvin ein weiterer Schritt zu eine folhen „Verwandlung“ Hin durchaus nicht nachweiſen. Die ver ſchiedenen Seiten feiner Auffafjung Haben alle namentlich aud bi Luther ſelbſt ihre Parallelen *), obgleich allerdings die hier in Be

tracht gezogene Seite bei ihm noch mehr als bei Luther ſich geltab |

madt: wir Können au Hier nur von einem fehr relativen Unte fchiede reden. Zu ber. Genugtuung, welche Ehriftus mit ſeim Gehorfam und Leiden für uns geleiftet hat, kommt endlich ds Thätigfeit des erhöhten Erlöfers. Hier mm gewinnt diejenige Ti- tigfeit, mit welcher er fein Leben den glänbigen Subjecten inner lid mitteilt, entfchieden die Hauptbedeutung bei Calvin. Un zwar tritt diefelbe mit der gefchichtlichen Entwicklung der Institutio noch beftinmter hervor. Mit unbeftimmteren Ausdrücken Hatte dir Ed. 1 von dem erhöhten Chriſtus ausgeſprochen, daß er uns mit geiftigen Gaben ausjtatte, heilige, vegiere, beim Water beftändig für und eintrete, bei uns mit feiner unfihtbaren Hülfe und Madt gegenwärtig fei u. f. w. (Vol. XXIX, p. 70sq.). Seit Ed.?» folgt auf Erklärungen über Chriſti Interceſſion vor Gottes Ange fit, die jegt gleichfalls ſchärfer gefaßt find, mit harakteriftifgen Ausdrud die Erflärung über jene mittheilende Thätigkeit: „in er celsis sedet, ut transfusa inde ad nos sua virtute in vitan spiritualem nos vivificet etc.“ (Vol. XXIX, p. 534; Vol. XM. p. 383; Lib. II, c. 16, $ 16). Dazu haben wir dann weiter

a) Belege in meiner „Theologie Luther's“ LI, 419.

über Colin’ Listitutio. 48

ud das zu ziehe, was wir in Betreff der Bedeutung des Fleiſches Irifti für Calvin oben erwähnt haben. Wir jehen übrigens zu- feich, wie entſchieden doch Calvin als Vorausjegung für diefe Rittheilung das objective Verſöhnungswerk fefthäft, zu welchem sit dem vorangegangenen Gehorfam und Leiden Ehrifti auch noch ieje fortgeſetzte Interceſſion gehört.

Als befondere dogmatifche Leiſtung Calvin's pflegt man zu ber achten, daß er die Gefammtheit des Werkes Chrifti unter dem defihtspunfte der drei Aemter entfaltet und zufammtengefaßt abe. Zugleich findet in diefer Beziehung ein großer Fortſchritt in ner eigenen Arbeit ftatt, der eben auch zeigt, wieviel ihm wirk⸗ 4 an der Durchführung diefer Betrahtungsweife gelegen war dabei beimerft übrigens er jelbft Ed. 3, Lib. II, c. 15, $ 1, daß un die Namen auch im Papfttyum Habe, daf die rechte Erkennt» 5 des finis et usus die Hauptfache fei). In der Ed. 2 (Vol. XIX, p. 513sqgq.) knüpft er diefe Betrachtung nur an den damen „Chriftus“ an, und zwar noch ehe er auf Chrifti Menſch⸗ verdung felbft und auf die Bedeutung derſelben in den oben mits etheilten zuſammenfaſſenden Sägen eingegangen ift. Und babei »det die kurze Einzelausführung der Aemter in Ed. 2a nur vom !önigthum und Hoheprieftertfum, nachdem nur bei der „Salbung* berhaupt auch die Anfündigung des Gefalbten als eines Pro- heten erwähnt worden war; erft die Ed. 2e fügt darnach noch nen fpeciellen Sag über dus Prophetenamt bei. Dagegen wird ı Ed. 3 die Lehre von den drei Aemtern zu einem bejonderen iapitel erweitert (Lib. II, c. 15). Und diefes erhält feine Stelle wiſchen der Lehre von Chrifti Menſchwerdung und beiden Naturen, n welche bereits auch die erwähnten zufammenfafjenden Sätze über ie Annahme des Unfrigen durch ihn u. f. w., fowie über die Be— eutung feines Gehorfams und Leidens ſich wieder angeſchloſſen aben, und zwifchen denjenigen Abjchnitten, welche mit Anfchluß an em Artikel des Symbolums von Ehrifti Tod, Auferftehung und Irhöhung fein Verſöhnungswerk weiter entwideln. Allein Calvin ft nun doch nicht wirklich dazu gefommen, die Lehre von den drei Iemtern ſyſtematiſch im Zufammenhange feiner Chriftologie zu verarbeiten oder die ganze Lehre won Chrifti Thätigkeiten in jie

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hießen ließe, bei ihnen fo arg wie bei Anderen. twieber loebrehen würde; und als Motive, durch welche Jene fo weit fich im Zuu halten Laffen, nennt er Furcht vor den Gejegen, Rüdfiht aim von einem ehrbaren Wandel erwarteten Vortheil, die Abſicht, Int dere durch die eigene Erhabenheit fich untermürfig zu machen; he fieht, fir wahre TugendHaftigfeit läßt auch er jene „Tugenden teineswegs gelten. Sätze, melde die Ed. 3 dem bither cr beifügt, erffären vollends über die beften Helden des Helbenti turzweg: „ut praestantissimus quisque fuit, eum semper pulit sua ambitio, qua labe foedantur omnes virtutes, coram Deo gratiam omnem amittant‘; es fehlt ihnen q das Streben, Gott zu verherrlichen; ihre Tugenden Haben Lob „in foro politico et in communi hominum fama“ (Lib. c. 3,8 4)*). Und jenen Sag „Exempla ista nos monente! hat die Ed. 3 recht bebeutfamer Weife verändert in: „Exem ista monere nos videntur“ (l. c., $ 3). Wie gm ders hat ein Zwingli die Tugenden, mit welchen Gott Heiden ausftatte, gewürdigt Haben wollen. Wir Haben bi doch wefentlich nur denjenigen Standpunkt, auf welchem Mi thon, mit Luther einverftanden, in der erften Ausgabe feiner die Tugenden eines Sofrates, Zeno u. ſ. w. felbft auch aus Selbftliebe abgeleitet und darum für Lafter erklärt hat.

die Prädeſtinationslehre bringt für diefe Auffaſſung der mei lichen Verderbniß und Erlöfungsbedürftigkeit feine Weodification fi. Gott ift in feinem Willen und Rathſchluß, jener zu ſteu unbedingt frei. Aber er felbft Hat fich mit feiner mirfficen, : fenden und Heifigenden (nicht blos zügelnden) Thätigkeit aui Erlöfung dur den menſchgewordenen und zuvor im altteftum lichen Worte geoffenbarten Chriſtus unbedingt befchräntt. u nehmlich eben hierin wich Ziwingli fo fehr ab. Und von m anderen Seite her hatte auch Melanchthon feither in feiner

Ausgabe den Gedanken angeregt, ob nicht vielleicht Gott teffl Heiden auch ſchon eine gewiffe Erfenntniß der freien Barmperji

a) Ferner vgl. ſchon in Ed. 2: Vol. XXIX, p. 756; im Ed. 8: Ih. 14,88.

über Calvin's Institutio. 433

er Sündenvergebung und des wahren Gottesdienftes durch befon- ere Wohfthat gewährt Habe (Corp. Ref., Vol. XXI, p. 385). infoin nähert fich ſolchen Gedanken fo wenig als Luther. Man Innte ferner mit der Prädeftinationslehre die Vorftellung verbinden, 5 den in Ehrifto Erwählten, wie fie fon vor ihrer Geburt wählt felen, fo auch fchon von ihrer Geburt an ein guter Keim 1 Unterfehteb von den nichtermählten Sundern mitgegeben werde, t unter dem Siünbenftand fatent bleibe, um dann auf den Ruf ® Evangeliums hin ſich zu entfalten. Calvin hat, fobald er in d. 2 feine Prädeftinationslehre ansführte, auch diefe Borftellung wähnt, aber nur um fte ganz abzumweifen; aud Jene, fagt er, en, fo viel an ihnen fei, bis zu ihrer Berufung und Belehrung kirrende Schafe, ſich wälzend im Gräuel der Sünde: „quale ke, amabo, electionis semen in üs germinabat ete.?“ dl. XXIX, p. 883. 885; in Ed. 8: Lib. IH, c.24, 8 11.) Sollen wir weiter nad Eigenthümfichem in Calvin’ Auffaffung : Sünde und des Sündenftandes forfchen, fo birfen wir wohl & anmerken, daß er im der menfchlichen Sünde befonders gern Hochmuth betont. Diefer bleibt ihm, wie wir fehen, nament- auch die Grundfünde jener befferen Heiden. Melanchthon pflegt fündgafte Selbftfucht, welche das Grundweſen der Erbſünde /mache, mehr nur als Liebe zum eigenen Selbft, als philantia, bezeichnen, als Selbftliebe im Gegenfage zur Hingabe an ft in Vertrauen und Gottesliebe. Der Nachdruck, welchen Calvin die Sefbftüberhebung, superbia, ambitio, legt, entjpricht dem hdrud, mit welchem er die rechte Gefinnung zu Gott vor Allem die volffommene Selbftbeugung unter Gottes Majeftät fett. hrend ferner Calvin dem Menfchen, um ihn zur Anerkennung reinen Gnade Gotte® zu treiben, fo fräftig- das Sündenelend die Sundenſchuld vorhält, überfehen wir nicht, wie er zugleich ch ſchon abgefehen von ber Sünde die Schwähe und rftigleit des Menſchen und feine ſchlechthinige Abhängigfeit von tes Macht und Gnade anerfannt Haben will. Die Betonung er Seite ift Luther'n befonders in feiner früheren Perigde eigen, er mit Anschluß an die Myftit bie völlige Nichtigkeit der Creatur müber vom Schöpfer hervorhebt. Bei Calvin macht fte in der

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weiteren Ausführung der Institutio noch mehr ale früher fi geltend. Schon in Betreff des Urzuftandes leitet er aus Adam‘ Geſchaffenſein nach Gottes Ebenbild nicht etwa ab, daß derſel demnach aud mit einer gewifjen Selbftändigfeit von fich aus hätt Gutes leiſten können, fondern vielmehr, daß demnad fein fin nicht fein eigen gewefen, daß er nur Dei participatione felig gr weſen fei; die Ed. 3 fügt bei, daß ohnedies ſchon fein Entnomme fein aus Erde und Koth alten Hochmuth bei ihm Habe zügelt müffen (Vol. XXIX, p. 313; Vol. XXX, p. 134. 186; Lib. ec. 15, $ 1; Lib. Il, c. 2, $ 1). Vollends kommt dieſe Sei zu einer Alles umfafjenden Geltung in Calvin's Ausführung il die Prädeftination und allwaltende göttliche Providenz. Ni minder weift Calvin die Rechtsanſprüche, die Anfprüche auf dienft und Lohn, die ein Menfch vor Gott erheben möchte, n drüdlich und unbedingt auch ſchon wegen des allgemeinen Verf niffes des Menfchen zu Gott, noch abgefehen von der Sümdhafth keit defjelben, zurüd. Er ftügt ſich dafür allgemein auf den ©: von den unnügen Knechten Su. 17, 10 (Vol. XXIX, p. 7 Vol. XXX, p. 580; Lib, III, c. 15, $ 3). Nebenbei ve er fich auch gegen die, wie er fagt, von gelehrten und fr Männern vorgebrachte Meinung, als ob wenigſtens Gaben fi irdiſche Leben verdient werden Eönnten durch gute Werke (Ti XXIX, p. 772; Vol. XXX, p. 582, 8 4). Selbſt Luther

mit weniger Strenge und Aengftlichkeit, und zwar auch im Lat

mit Katholiken, fogar auf irdifche Gaben, welche Gott den ol erwähnten Heiden um ihrer Tugenden und Leiftungen willen zu tommen lafje, den Begriff der remuneratio oder retributio « zuwenden ſich nicht geſcheut *). Vollends erſcheint wieder bei

Präbeftinationslehre Calvin's ein jedes Recht des Menſchen ve Gott ausgeſchloſſen. Auch die Art, wie Calvin bei der Fott— pflanzung des Verderbens von Adam her über die Urſache kr’ ſelben ſich äußert, iſt fr die ſpecifiſch Caloiniſche Auffaſſung =

a) Bgl. meine „Theologie Luther's“ a. a. D.; Luth. opera Ed. Jen. 15° Tom. I, p. 425 (im der Confut. ration. Latom.). Op. exg. E Erlang., Vol. D, p. 166.

über Calvin's Institutio. 435

gemeinen Verhältniffes zwifchen Gott und Menſch bezeichnend. Fr erffärt ſich hierüber fchon in Ed. 28, und zwar dahin: man tauche nicht über Traducianismus zu disputiren; es genüge für ne, daß, wie Gott die der menfchlichen Natur beftimmten Gaben a Adam niedergelegt, jo Adam diefelben für uns Alle verloren abe. Seit der Ed. leſen wir weiter: nicht in der Subftanz 18 Fleifches und der Seele habe die Anfteelung mit Erbfünde nen Grund, fondern einfach eben in der Verordnung Gottes, daß m erfte Menſch fo jene Gaben auch für feine Nachkommen ver- even ſollte. Entfcheidend erfcheint fo dafür am Ende einfach ber Rtliche Wille, dem wir nicht weiter nachzufragen berechtigt find. hi der Ed. 3 jtellt dann Calvin diefe Verordnung Gottes mit i horribile decretum der Prädeftination auf Eine Linie: bie Mere können doch auch Die nicht Teugnen, welche am Iegteren ſich Wen; klar fei ja, daß jener Verluſt des Heiles für Viele durch $ Einen Schuld nicht natürlicherweife (naturaliter) erfolgt, fon- m aus einem wunderbaren Rathſchluſſe Gottes Hervorgegangen ; 8 fei gar zu abfurd, daß jene Patrone der göttlichen Geredh- fit, welche doch den Rathſchluß der Prädeftination beftreiten, er Balken ſich wegfegen und dod über einen Halm nicht wege amen können ).

Erlöfung aus den Banden der Sünde und Rettung vor den igen Strafen ift dann alfo auch nad) Calvin ſchlechthin nur bei a menfchgewordenen Gottesfohne.

Zwiſchen der Calviniſchen und der Lutherifchen Auffafjung der fung iſt der Unterfchied gemacht worden, daß diefe dort mehr 3 Befreiung von der den Willen bindenden Macht der Sünde er als Mittheilung neuen fittlihen Lebens an's Subject, v mehr als Tilgung der Schuld und als Herftellung eines neuen ketiven Verhäftnifjes für den Menjchen zu dem die Schuld rich- den und nunmehr vergebenden Gott aufgefaßt werde. Hält man ) aber an das, was Calvin in den Ausgaben feiner Institutio d auch fonft überall wirklich fagt, fo wird man in diefer Ber

u Vol. XL, p. 310; Vol. XXX, p. 182; Lib. II, c.1, 8 7. p. 704; Lib. III, c. 28, 8.7.

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ziehung höchſteus einen Unterfchied fee relativer und ſchwel Art herausfinden. Und zwar bleibt ſich feine Lehrweiſe hier alte Ausgaben gleich. Für Calvin's Eigenthümlichkeit fommt allerdings gleich diejenige Weberficht über die Bedeutung des und Wirkens Chrifti, des Heilsmittlers, in Betracht, welde er ausführliheren Entwicklung vorangehen läßt (Vol. XXL, p. 6450 517 q.; Vol. XXX, p. 341sqg.; Lib. H, c. 12, 8 1-3). Gh fagt er, ift, während unfere Sünden wie eine Wolfe zwifcgen i und uns ftanden, ſelbſt zu uns herabgeſtiegen; Gottes Gofn i Menſch geworden, um uns zu Gottes Söhnen wud aus Rind der Hölle zu Kindern des Himmelreichs zu machen, indem er Unfrige annimmt, das ihm von Natur Eigene ans Ghaden uns überträgt, den Tod verſchlingt, die Sünde beſiegt u. |. Erſt als zweites Hauptftüd unferer Erföfung (alterum red tienis nostrae caput; Ed. 8 jegt ftatt redemt.: reconeiliationi neant dann Calvin das, daß Ehriftus genugthuenden (eheri geleiftet und die Strafen für die Sünden abgetragen habe. €: hat jo mit dem, was er hier voranftelit, gleich von vornherein die von Chriftus> ausgehende Lebensmittheilung im Auge g Allein die Aufeinanderfolge der beiden „eapita“ Hat dog etwa den Sinn, als ob das zuerft über Chriftus Ausgeſagie auf die Lebensmittkeilung im Unterfdied von der Verfühnung Sündenvergebung ſich beziehen und als ob jene die Prierität diefer erhalten follte. Es war vielmehr, Ealsin darum zu ti zuerft, che er auf das befondere genugihuende Wirken und Lei des Mittlers einging, die umfafjende heilsmittleriſche feiner ganzen gotimenfchlicgen Perſon hervorzuheben; und bei di foßt er zunächſt Altes, die Verföhnung und Vergebung fanmıt Ledensmittheilung, in Eins zufammen: jene gehört wejentlich wi zum Beflegen der Sünde; und fo weiſt ja nachher auch der be ftimmtere Ausdrud der Ed. 3 „alterum recunciliationis caput” darauf zurüd, daß es auch bereits bei dem erften um eine durh reconeiliatio ſich vollziehende redemtio ſich haudelte. Ca der Ed. 22 wurden fodann, wie wir ſchon früher erwähnten, di Abjchnitte über Buße, Wiedergeburt und neues Leben wor dem be fonderen Abfchnitt über die Rechtfertigung entwickelt; es wird as

über” Calvin’e Institutio. 437

—J ies nicht ohne Bedeutung für die ſpecifiſch Calviniſchen Anſchauun⸗ m fein; zugleich werden wir dort auch auf eine unterſcheidende igenthumlichteit Calvin's in Betreff der im Lutherifchen Lehrthpus xangeftellten terrores incussi conscientiae zu reben kommen. Kein wir Haben aud ſchon bemerkt und werden noch weiter zu merken Haben, daß man aus der Ordnung jener Abfchnitte nicht : viel folgern darf ®). Im Abfchnitte von der Rechtfertigung zeigt $ jodann Mar, daß gerade auch Calvin, ganz befonders von der attiichen Frage daruach bewegt war, wie wir zu dem neuen, der cuildhaft entgegengefegten Verhältniß zu Gott gelangen, wie wir w dem göttlichen Gericht oder Forum beftehen, wie die von der qquld geängftigten Gewiſſen geftilit werden können. Kaum ir- ao fonft redet Calvin mit fo ernſtem Pathos, wie hier davon, man zu Gottes Richterftuhl die Augen erheben müffe, daß das wiſſen erregt werde und der Satan anflage, dag man da ganz müthig und arm alfein bei Gottes Barmherzigkeit vermöge der t uns eintretenden Gerechtigkeit Chriſti durch Zurechnung diefer tehtigfeit Rettung finden könne. Und nicht blos für's fubjective Mirfniß fällt nach Calvin auf diefe Momente ein ſolches Gewicht. ich an ſich ift ihm (Vol. XXIX, p. 737; Vol. XXX, p. 533; b. III, e. 311,81) ®) die prima gratia die, daß wir „Christi iocentia Deo reconciliati pro judice jam propitium ha- amus in coelis patrem‘“; „regeneratio secunda est gratia‘“. Diefer ganzen Betrachtung aber über die Auffaffung des Heiles Calvin und über die höchſten Intereſſen, die ihn Hierbei ber gen, müffen wir num das noch beifügen, daß ihm über allem deren die Anerkennung der Ehre und abfoluten Majeftät Gottes dit fteht und daß ihm in biefer Beziehung auf Seiten des Menfchen © zum Glauben gehörige abfolute Selbftdemüthigung das Wich- fte ift. Vor Allem, über Allem und in Allem Handelt es fich a darum: ut domino illibata constet sua gloria (vgl. Vol. IX, p. 751; Vol. XXX, p. 569; Lib. III, c. 18, $ 1). A der weiteren Ausführung der Institutio nach der Ed. 1 tritt ) Dies gift auch gegen die neueſte Darftellung bei Philippi, Kirchliche Glaubensl, TH. 5, Abth. 1, ©. 121f. ) Bgt. die fehon im unferem erſten Artikel gegebene Ueberfücht über bie Aus- gabe von 1589.

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diefer Geſichtspunkt noch immer ftärker hervor: vollends in Lehre von der Prädeftination, auf weiche dann von der gegenmir, tigen Zutheilung des Heiles aus zurückgegangen wird. Wir je die Intereſſen nicht fo wie‘ bei Luther darin geeint, daß Gott fi felbft erſt recht verherrlicht in der Offenbarung der fein Herz er fülfenden Liebe, und dag die Menfchen ihn erft recht ehren im nehmen eben diefer Liebe, wofür freilich die tieffte Selbfterniedrigu BVorausfegung ift. Wie wir ferner oben von der Sünden derbniß aus bei Calvin auch ſchon auf eine Schwäche und Dürftk feit des urfprünglichen Menſchen zurüdzufchauen Hatten, fo nun nad Calvin der Menſch, aud) wenn er ſich von Sünden erhalten Hätte, doc) zu niedrig gewefen, um ohne einen Mittler Gott dringen zu können: „humilior tamen erat ejus condi quam ut sine mediatore ad Deum penetraret“. Es it Sag, den erft vollends die Ed. 3 (Lib. II, c. 12, $ 1) ausjpri während fie ſich doch zugleich ftreng gegen die Meinung ve als ob wirklich, auch abgefehen vom Zwed der Erlöfung der Ei eine Menſchwerdung Eprifti Hätte eintreten follen ($ 4sqg.). greift hier wieder auch jene allgemeine Anjchauung vom Berl zwifchen Gott und Menſch ein.

In der Darftellung der Perſon des Mittlers zeigen verfchiedenen Ausgaben, mit einander verglichen, weder ein fort tendes Eindringen in das dogmatifche Problem, noch eine vol Entfaltung der einmal aufgeſtellten Grundlehre. Die welche der Abſchnitt beſonders in Ed. 3 noch erfahren hat, nur der negativen Abwehr von Irrlehrern, befonders Ebenfowenig fühlt Calvin gegenüber von der bereit überli auf der chalcedoniſchen Feſtſtellung ruhenden Naturenlehre &i Beruf, Neues zu geſtalten. Einestheils zeigen uns ſchon die obal angeführten Ausfagen Calvin’ über Chriftus als den Meilen zwiſchen Gott und den Menſchen, wie viel ihm daran gelegen ſcu mußte, die Einheit der beiden Naturen in der Einen Perjon # behaupten. Er redet auch gleich in der erften Ausgabe ohne & denken oder Claufeln von der „communicatio idiomatum*. MM möge deren die Schrift das der Gottheit Chriſti Cigene jet Menschheit beilege und umgekehrt. Und dazu fegt im Betreff da

über Ealvin’s Institutio. 489

Shriftausfagen, welche das an Ehrifti Menfchheit Gefchehene auf ie Gottheit übertragen (mie Apg. 20, 28), die Ed. 2 und Ed. 3 ei: es gefchehe dies umeigentlicherweife, doch „mon sine ratione‘ ®). 118 befonder8 wichtige und deutliche Erffärungen über das Wefen ihriſti jtellt ferner Calvin namentlich feit der Ed. 2 diejenigen lusſprüche hin, in welchen. beide Naturen- zufammengefaßt feien: uf Chriſti GottHeit und Menfchheit zugleich gehe 3. B. das, daß : die Macht habe, Sünden zu vergeben, die Todten zu erwecken; 1 Gericht zu halten, Geredtigfeit und -Seligfeit auszufpenden ‚fm. Dazu warnt er in der Ed. 22, während er die ver⸗ fiedenen, der wahren Gottheit oder Menfchheit Chriſti gefährlichen Imlehren abweifen will, ganz fpeciell (Vol. XXIX, p. 522) vor m Irrthum des Neftorius. Er fteht infoweit, was die Diffe- m zwifchen einem Luther und Zmingli betrifft, fehr entjchieden ıf Jenes Seite. Anderentheils aber macht er dod weder früher jpäter einen Verfuch, das Wie? des Geeintſeins beider Naturen ! febendiger Darftellung zu bringen, aus jenen beide Naturen nfaffenden Ausfprüchen weitere dogmatifche Conjequenzen zu ziehen, vr die „ratio“, welche für: jene „communicatio idiomatum ıthabe, näher darzulegen. Es genügt ihm, darauf zu dringen, 6 man den Unterſchied der Schriftftellen, welche von der einen er von der andern Natur oder von beiden zufammen reden wollen, ohl beachte und in den eigenen, auf die Schrift zu gründenden hrausſagen recht forgiam Alles gleichermaßen fernhalte, wodurch tmeder die Einheit der Perſon oder die Wahrhaftigkeit jeder der iden Naturen geleugnet würde. Er kommt fo in feinen eigenen gmatifchen Beftimmungen über die alfgemeinen Formeln, in alchen ſowohl jene Einheit, als diefe Integrität der Naturen bes uptet wird, nicht hinaus. Und zwar haben wir für diefes fein erhalten ohne Zweifel zujammen in Betracht zu ziehen die ihm ich fonjt eigene Vorficht, mit welcher er den göttlihen Dingen genüber auf das Schriftwort und die hiermit im Einklang von m erfundenen kirchlichen Formeln fich befhränft und welche wir ıh bei jeiner Trinitätslehre wahrnahmen, die ihm eigene, über a) Vol. XXIX, p. 521; Vol. XXX, p. 354 (Lib. II, c. 14. 8 2).

Theol. Stud. Jahrg. 1868. 30

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dieſe Objecte mehr verſtändig reflectirende, als lebendig intuitie oder ſpeculative Geiftesrichtung, endlich wieder jene Grund: anſchauung vom Verhältniß des Göttlihen zum Menſchlichen und Greatürligen überhaupt. In der Ed. 2b tritt dann neben jm fpecielle Warnung vor Neftorianismus eine ebenfolde vor Euty: chianismus. Zunächſt hatte Calvin hinſichtlich einer Vermengung der Naturen hauptſüchlich die Servet'ſche und anabaptiſtiſche Lehren im Auge. Seit Ed. 2 kommt dazu in der Abendmahislehre eu offener Kampf für die wahre Menfchheit Ehrifti gegen die luthe riſche Ubiquität des Leibes, durch welche jene aufgehoben werk. Es Handelt ſich Hier übrigens wirklich für Calvin um ein et ı- ligibſes Intereſſe, nämlich vor Allem darum, daß nicht mit dem wahrhaften Fleifche des erhöhten Chriſtus für uns Menſchen die daran fich knupfende Hoffnung auf die Auferftehung unferes eigenen, Fleiſches verloren gehe *), keineswegs blos um die Wahrung de Unterfdiedes zwiſchen Gottheit und Menſchheit oder um die Cr habenheit jener über diefe. Zugleich werden wir Calvin bei jene Abendmahlsichre befonders jeit Ed. 2 im eigenthümlicher N; darnad ringen jehen, eben auch für die Menfhheit und W Fleiſch Ehrifti eine umfafjende und bleibende heilsmittleriſche ds deutung zu gewinnen: die Menſchheit Chrifti ſoll nid)t blos de deutung haben für das Verföhnungswerf, das Chrijtus als Meujd gehorfam, leidend und jterbend ein- für allemal vollbracht ha, ſondern durch Chriſti Fleiſch fol aud fort und fort die Zutheilung de8 Lebens vom erhöhten Chriſtus aus an die Menfchheit fid ver mitteln. Dies ift das eigenthümfichjte pofitive Moment in dr chriſtologiſchen Lehrentwicklung Calbin's, obgleich er es in dem vom Ehrifti Perfon überhaupt handelnden Abſchnitt nicht mit verarbeitt hat. Er Hat es übrigens in der Ed. 3 nicht bloß bei der Abend: mahlefehre, jondern auch bei der Lehre von der Nechtfertigung gegenüber von Ofiander beigejogen: Chriftus rechtfertige und mad lebendig als Gott und Menſch, aud als Menſch, fofern nämlis Gott das, was in Gott verborgen und unbegreiflich fei, in ihm uns offenbare, ihu für und zur Quelle made umd jo durd ib

8) Vol XXL, p. 1005; cf. Vol. XXX, p. 1029 (Lib. IV, c. 17, 58

v

über Calbin's Institutio. 441

aus dem verborgenen göttlichen Urquell uns ſchöpfen Laffe; im Fleiſche Ehrifti ruhe für uns, wie die Sacramente lehren, bie materia justitiae et salutis (Lib. III, c. 11, 8 9). © Calvin's Antwort auf die Frage, wodurch Ehriftus Er— löſung für uns gebradt habe, ift ihren Hauptmomenten nad; ſchon in dem enthaften, was eben (S. 436) aus den von ihm felbft vorangeſchickten überfichtlihen Sägen *) ift mitgetheift worden. Für’s Erſte alfo Spricht dort Calvin ganz umfaffend aus: der menfchgemordene Gottesjohn made uns aus Menfchenföhnen ju Gottes Söhnen, indem er das Unfrige an fi nehme, das Sei- nige auf uns übertrage; darum haben wir die Zuverſicht, Gottes Eöhne zu fein (Ed. 1: „haec spes nostra est etc.“; Ed. 2 'md 3 genauer: „hac arrha freti confidimus), weil der bottesſohn ſich Fleiſch von unferem Fleiſch u. f. w. beigelegt habe (Ed. 1 u. 2: „composuit“; Ed. 3: „aptavit“). Daß unfer Ertöfer wahrer Gott und Menſch fei, Habe ferner diefe Bedeutung für ıms (Ed. 1 u. 2: „sic nostra referebat, verum esse Deum ete.“; Ed. 3: „apprime utile fuit hac etiam de causa ete.““; vgl. auch die franzöfifche Weberfegung): er habe den Tod verfchlingen folfen (absorbere, engloutir), und wer anders habe dies vermocht als das Leben? er habe, bie Stunde befiegen follen, und wer anders habe dies vermocht, als die Gerechtigkeit jelbft? Ber aber fei das Leben umd die Gerechtigkeit als Gott allein (dafür Ed. 2 u. 3: „penes quem vita est aut justitia aut potestas nisi penes ete.“)? Für's Zweite erflärt dann Cafoin dort: zur Erloſung (Ed. 3: Verſöhnung) gehöre, daß der Menſch, der ſich durch Ungehorjam in's Verderben geftürzt, jtatt defjen jegt Gehor- ſam leiſte, der göttlichen Gerechtigkeit (Ed. 3: dem göttlihen Gericht) genugthue, die Sündenftrafen abtrage; fo ſei nun Chriftue an Aam’s Stelle getreten: „ut patri se obedientem pro eo ex- hiberet (Ed. 3: ‚ut ejus vices subiret patri obediendo‘), ut carnem nostram in satisfactionem (Ed. 3: ‚in satisfa- stionis pretium‘) justitiae Dei statueret (Ed. 3: ‚justo Dei judicio sisteret‘), ut in carne nostra peccati poenam (Ed. 3:

a) Vol. XXIX, p. 65. 5175q.; Vol. XXX, p. 341 (Lib. II, c. 12, $ 2), s0*

442 Köflin

‚poenam, quam meriti eramus‘) persolveret.“ Das Erf haben die fpäteren Ausgaben nur wieberholt, mit den angegebean Modificationen einzelner Säge, ohne es weiter zu entwideln. Dit Zweite wird fchon im Ed. 1 bei der Ausfage des apoftoliicen Symbolums über Ehrifti Leiden weiter befprochen und dan in de folgenden Ausgaben nod immer eingehender erörtert. Zugleit fehen wir, wie jene Säge, in denen es zunüchſt zufammengejaft if, in Ed. 3 nod auf ſchärferen Ausdrud gebracht find: noch ſchärfer ift darin ausgedrückt die Beziehung auf Gottes Gericht mit Chriſi Stellvertretung vor demfelben für uns Menfchen. Das Erir erinnert, wie ich ſchon oben bemerkte, ehr an zujammenfaffent, myſtiſch geartete Darftellungen Luther's nicht etwa bios aus feiner früheren Zeit, wie in der „Freiheit eines Chriftmenfge‘, fondern auch 3. B. im großen Commentar zum Galaterhriet. Auch im zweiten Stüd aber, in diefer. Zufammenftellung des Gr horfams und des Strafleidens Chrifti, trifft Calvin zumit eben mit Luther zujammen. Scnedenburger *) hat gegen Gueri mit Recht bemerkt, daß derjelbe in Hinficht auf die Anerkennug des activen Gehorſams Chriſti den Meformirten fälſchlich ein mins anrechne, als ob bei ihnen dieſes Dogma erft fpäter als bei du Zutheranern in ihren Befenntnifjen einigermaßen. angedeutet werk, daß fie es vielmehr längft vor der Concordienformel in Belennt: niffen vortragen und daß es jchon Calvin anerfenne. Wir dürfen noch mehr fagen. Ich wüßte außer den Echriften Luther's un außer der Brandenburg- Nürnberger Kirdenordnung vom Jahrt 1533 ®) feine Darftellung von Seiten Iutherifcher Theologen y nennen, wo zu jener Zeit die beiden Momente ſchon mit jolder Bejtimmtheit nebeneinander vorgeführt würden, wie in Galins Institutio ſchon feit ihrer erften Ausgabe. Dagegen vermiffen mir die Hervorhebung dieſer Bedeutung des activen Gehorjams bi Melanchthon, ſowohl in feinen Locis als in den von ihm verfaftt: Deupthetemtiſſen der Reformation. Und als Urſack

"N Fi tirchlichen Chriftologie, Lehre vom doppelten Stande Chriſti u. 1. n. ©. 65.

b) Richter, Evangel. Kirchenorduungen I, 186f.

über Ealvin’s Institutio. 43

dafür müffen wir bei Calvin einen auf's Ganze der Perjon und des Werkes Chrifti gerichteten umfaffenden und ſyſtematiſchen Blick anerkennen, in welchen ihm Melanchthon nicht gleichtem. Für die weitere Ausführung der beiden Seiten, des Gehorfams und des leidens Chrifti, find dann beſonders noch die Erweiterungen bes Tates in Ed. 3 wichtig. Hinſichtlich der Berföhnung durch Chriſti Gehorſam führt er hier (Lib. II, c. 16, 8 5) weiter aus, wie zu der „ganze Kauf jeines Gehorfams“ gehört habe; er bezieht Nerauf Röm. 5, 9. Cal. 4, 4, das Wort Jeſu Matth. 3, 15, ven Ausſpruch Phil. 2, 7. Zum Leiden Ehrifti hat er von Anfang m ganz befonder8 die Seclenleiden gerechnet, in welchen derſelbe ve fhwerften Kundgebungen des zürnenden Gottes erfahren und m Drange der Angft das Wort Matth. 27, 46 gerufen Habe, Ahpleich freilich Gott wider den geliebten Sohn felbft nie zornig eweſen fei. Deshalb Hält er auch feſt am Artikel von der „Höllen- Art“ Chriſti, indem nämlich derfelbe eben auf diefe inneren Leiden # Duldenden und Sterbenden zu deuten fei. Auch das fegt er od weiter in Ed. 3 (a. a. O., $ 11f.) auseinander: der Sohn hottes fei umfangen gewejen von Schmerzen, die Gottes Fluch nd Zorn erzeuge, aus welchem der Tod hervorgehe; in Angft wor habe Jeſus nach Hebr. 5, 7 zu Gott geſchrieen; in Geth— mane habe fein Hinabfahren zur Hölle begonnen; hiernach könne tan die ſchrecklichen Qualen ermefjen, die. er habe erleiden müffen, quum se ad tribunal Dei reum stare cognosceret nostra ausa“; dabei hatte ſich Calvin jest (in Ed. 3) zu verwahren x dem Vorwurf böswilliger Gegner, daß er Chriſtum herabſetze, dem er ihm Furcht um das Heil der eigenen Seele beilege. Dieſe usſagen der Institutio über die beiden Seiten, über den Gehor- m als folhem und über das Leiden, gehen nun bald nebenein- ter her, bald laufen fie ineinander über. Hin und wieder erſcheint 18 Leiden felbft wefentlich unter dem Gefichtspunft eines ethifchen ctes: z. B. an der vorhin angeführten Stelle Ed. 3, Lib. II, 16, 8 5; es legt ſich uns die Auffafjung nahe, daß es zur erföhnung diene weſentlich eben als Höchfte fittliche Leiftung des horfams, der Gottergebenheit, der Liebe gegen Gott und bie tenjhen u. ſ. w. Dann aber wird es auch wieder für fih in

[773 Köptin

Betracht gezogen: der Nachdrud wird auf dasjenige gelegt, was auf Chriſtus gelaftet, mas vor Gottes Gericht an unferer Statt ihn getroffen Babe; wie tief Calvin das Straffeiden überhaupt nahm, zeigen genugfam fehon die angeführten Säge aus allen den Ausgaben; gern vermeift er befonders auch auf den pauliniſchen Ausſpruch, dag Chriſtus für und „zur Sünde“ gemacht worden ſei. Wenn Schnedenburger a. a. O. weiter bemerkt, daß dar Dogma vom activen Gehorfam bei den Reformirten von jeher an erkannt, jedoch allerdings „in charakteriftifch unterfcheidender Geftalt* anerfannt gewefen jei, und wenn er nun die Richtung Hier dahin gehen fieht, den leidenden Gehorfam felbft in den thuenden zu ver- wandeln, fo läßt fi) dach bei Calvin ein weiterer Schritt zu einer folhen „Verwandlung“ Hin durchaus nicht nachweiſen. Die verr ſchiedenen Seiten feiner Auffaffung haben alle namentlich aud bei Luther ſelbſt ihre Parallelen °), obgleich allerdings die Hier in Be tracht gezogene Seite bei ihm noch mehr als bei Luther ſich geltend macht: wir fünnen aud) Bier nur von einem fehr relativen Untm; ſchiede reden. Zu der. Genugtfuung, welche Chriftus mit feine

Gehorfam und Leiden für uns geleiftet hat, kommt endlich de} Thatigleit des erhöhten Erlöfers. Hier num gewinnt diejenige The | tigkeit, mit welcher er fein Leben dem glänbigen Subjecten inner

lich mittheilt, entſchieden die Hauptbebeutung bei Calvin. Um zwar tritt diefelbe mit der gefchichtlichen Entwidlung der Institutio

noch beftinmter hervor. Mit unbeftimmteren Ausdrücken Hatte die | Ed. 1 von dem erhöhten Chriftus ausgeſprochen, daß er uns mit geiftigen Gaben ausjtatte, heilige, vegiere, beim Vater beftändig für und eintrete, bei. uns mit feiner. unfichtbaren Hüffe und Madt gegenwärtig fei u. f. w. (Vol. XXIX, p. 70sq.). Seit Ed.2» folgt auf Erflärungen über Chrifti Interceffion vor Gottes Ange fit, die jegt gleichfalls ſchärfer gefaßt find, mit charakteriſtiſchem Ausdrud die Erklärung über jene mittheilende Thätigfeit: „in er celsis sedet, ut: transfusa inde ad nos sua virtute in vitam spiritualem nos vivificet etc.“ (Vol. XXIX, p. 534; Vol. XIX p. 383; Lib. II, c. 16, $ 16). Dazu haben wir dann weiter

3) Belege in meiner „Theologie Luther's“ 1, 419,

über Eaföt’d Tästitutio. [23

ud das zu ziehen, was wir in Betreff der Bebentung des Fleiſches Eprifti für Calvin oben erwähnt haben. Wir jehen übrigens zu- eich, wie entfchteden doch Calvin als Vorausſetzung für diefe Rittheilung das objective Verſöhnungswerk fefthäft, zu welchem nit dem vorangegangenen Gehorfam und Leiden Chrifti auch noch ieſe fortgeſetzte Interceſſion gehört.

As beſondere dogmatiſche Leiſtung Calvin's pflegt man zu ber raten, daß er die Gefammtheit des Werkes Chrifti unter dem Sefihtöpunkte der drei Aemter entfaltet und zuſammengefaßt abe. Zugfeich findet in diefer Beziehung ein großer Fortſchritt in finer eigenen Arbeit ftatt, ber eben auch zeigt, wieviel ihm wirk⸗ ih an der Durchführung diefer Betrachtungsweife gelegen war (ubei bemerkt übrigens er ſelbſt Ed. 3, Lib. II, c. 15, 8 1, daß km die Namen auch im Papftthum Habe, daß die rechte Erkennt iij des finis et usus die Hauptfache fei). In der Ed. 2 (Vol. IX, p. 513sqg.) Mipft er diefe Betrachtung nur an den Namen „Chriftus“ am, und zwar noch ehe er auf Chrifti Menfch- erdung felbft und auf die Bedeutnng derfelben in den oben mit beilten zufammenfaflenden Sägen eingegangen ift. Und babei det die furze Einzelausführung der Aemter in Ed. 2a nur vom tonigtfum und Hoheprieftertfum, nachdem nur bei der „Salbung“ berhaupt auch die Ankündigung des Gejalbten als eines Pros beten erwähnt worben war; erft die Ed. 2c fügt darnach noch inen fpeciellen Sag über dus Prophetenamt bei. Dagegen’ wird n Ed. 3 die Lehre von dem drei Aemtern zu einem bejonderen Sapitel erweitert (Lib. II, c. 15). Und diefes erhält feine Stelle wifhen der Lehre von Chrifti Menfchwerdung und beiden Naturen, m welche bereits auch die erwähnten zufammenfaffenden Säge über ie Annahme des Unfrigen durch ihn u. f. w., fowie über die Be- wutung feines Gehorfams und Leidens ſich wieder angeſchloſſen „ben, und zwiſchen denjenigen Abfchnitten, welche mit Anſchluß an m Artikel des Symbolums von Chrifti Tod, Auferftehung und Ichögung fein Verföhnungswert weiter entwickeln. Allein Calvin ft mm doch nicht wirklich dazu gefommen, die Lehre von den drei Aemtern ſyſtematiſch im Zufammenhange feiner Chriſtologie zu verarbeiten oder die ganze Lehre won Chrifti Thätigkeiten in fie

" Halt des Königthums ausmacht, zur Vorausfegung und Grundlage

48 Körlin

hineinzuarbeiten. Mußte nicht in unferen Abſchnitt von den drei Aemtern, wenn er in Ed. 3 fo gewichtig vorgetragen wurde, mit Alarheit und Beftimmtheit eben auch das hineingearbeitet werden, was die früheren Ausgaben einfach nach dem Gange des apoite: liſchen Symbolums entwidelt hatten und was mun in derſelben Weiſe, nur noch ausführlicher, auch die Ed. 3 nachbringt? Die Hauptmaffe defien, was fo nacgebradt wird, gehörte zur hohe⸗ priefterfichen Tätigkeit Chriſti: vielleicht hat Calvin eben aud mit Bezug hierauf in dem Eapitel von den drei Aemtern das Hohe priefterliche zulegt beſprochen, weil unmittelbar darauf weiter vom verföhnenden Thun und Leiden gehandelt werben follte, und ohne Zweifel deswegen auch nur fehr kurz, weil das dahin Gehe ige im nächſten Abſchnitt weitläufige Ausführung fand; an dr Maren Beziehung aber zwijchen dem, was ſchon unſer Capitel bringt, und dem, was nachfolgt, fehlt es. Weiter kommt ſodann das for gende Gapitel bei der Erhöhung Cprifti auf diejenige Stellung un diejenigen Thätigkeiten des Herrn, mit welchen der Juhalt dr Lehre vom Königthum Chrifti in unferem vorangegangenen Capd zufammentrifft, während abermals jene Beziehung zu vermiffen ft Und überdies erhebt ſich zugleich innerhalb unferes Capitels jet gegen die Aufführung des Töniglichen vor dem Hohepriefterlicer Amte die Einwendung, daß nicht blos in den folgenden Abjchnitten vielmehr die zum Hoheprieftertfum gehörigen Momente den aufs Tönigliche Amt bezüglichen voranftehen, jondern daß auch nad ir ganzen übrigen Darftelfung Calvin's das dem Hohepriefter eigene BVerfühnen und Intercediren demjenigen geiftigen Walten, Aus fpenden und Herrſchen Chrifti, das nad) unjerem Eapitel den Ju

dient. Diefe fyftematifchen Mängel müßten uns bei einem Geiſt wie Calvin fehr befremden, wenn wir blos feine legte Ausgabe Tennten. Sie erklären ſich aus der gefchichtlichen Entjtehung dr ſchließlichen Ausgabe: fo wichtig der neue Abſchnitt dem Berfafler warf, fo hat er ihn doch nur eingefchaftet, ohne in ftrenger Be: ziehung auf die hier betonten Geſichtspunkte die bisherige Anlage des Stoffes durchgreifend umzugeftalten.

Von der ganzen heilsmittlerifgen Wirkfamkeit Jeſu aber müſſen

über Calvin's Institutio. 447

vir zurückgehen auf das Berhältniß, in welchem fie zu dem ewigen dot Vater fteht, auf den göttlichen Willen und Rathſchluß, us welchen ſie felbft hervorgegangen ift. Ganz beſonders bei jafoin müffen wir auf diefe Beziehung unfer Augenmerk richten, emäß der Umbedingtheit, mit welcher er jene Wirkfamfeit auch son wit allen ihren Erfolgen bei den einzelnen Subjecten im dathſchluſſe der göttlichen Prädeftination geſetzt fein läßt, überhaupt emäß dem Nachdrucke, welchen er auf die Unbedingtheit und Un- andelbarkeit des göttlichen Wollens und Waltens legt. Man hınte zweifelhaft werden, ob nicht für Calvin von diefer Seite her onſequenzen fich ergeben möchten, wornach e8 eines heilsmittleriſchen itlichen Wirkens Jeſu in der Richtung anf Gott hin, oder einer inenden, verfühnenden Thätigleit gegenüber von Gott gar nicht ar bebürfte, noch Raum für eine ſolche bliebe. Nur umfomehr fen wir jedoch anerkennen, daß in Wirklichkeit Calvin's Meinung id Abficht keineswegs dahin geht. Er geht auf. diefen Gegenftand i ber Lehre von Chrifti Verſöhnungswerk feit der Ed. 2b aus» Adlich ein *). Er bemerkt Hier, dag die Schriftausfagen, nad) elchen Gott den Menfchen bis zum fühnenden Tode Chriſti feind weſen fei, fich unferer Faſſungskraft und unferem Bedürfniß an- quemen, um uns dejto Fräftiger zur Anerkennung des Elends, in m wir ohme Gottes Barmherzigkeit wären, zu bringen. Er felbft tont dem gegenüber, daß doch Gottes eigene Liebe zuvorgefommen i und felber die Verſöhnung geftiftet habe. Allein er löſt den Siberfpruch, den man Hier finden könne, nicht anders, als es auf rund der ausdrücklichen Schriftzeugniffe wie der auch von ihm geführten Stellen Joh. 3, 16. Röm. 5, 10 und gemäß dem nen Wefen der göttlichen Liebe und göttlichen Defonomie eine * evangelifhe. Dogmatik thun mußte und thun muß, fobald fie verhanpt beſonnen diefe Frage vorgenommen hat®). Die zuerft mähnten Ausfagen, fagt er, feien doc; keineswegs falſch. Gottes he, vermöge deren wir wieder zu Gnaden angenommen werden len, rege ſich um deswillen, weil wir troß unferer Sünde doch

a) Vol. XXIX, p. 52459.; Vol. XXX, p. 868g. (Lib. II, c. 16, $ 2sq,). b) Bol. befonders auch wieber bei Suther, meine „Theologie duther's“ II, 307f.

448 " KöRlin

noch Gottes Gefchöpfe bleiben und Gott nicht zum Tod, fonden zum Leben uns gefchaffen Habe. Als Sünder aber haben wir aller: dings in uns, was Gottes Haß auf fich ziehe und um beffen willen wir felbft wahrhaftig „in offensione Dei“ (en la haine de Dieu) fein. Diefes nun tilge Gott durch den fühnenden Tod Chrift, vermöge deffen er es uns nicht mehr zurechne. Das hier’ Audge führte faßt an einer fpäteren Stelle (Lib. DI, c. 17, 8 2) die Ed. 3 furz fo zufammen: „Deus ineffabili quodam modo, quo tempore nos amabat, simul tamen erat offensus nobis, done reconciliatus est in Christo.‘ So fährt denn Calvin auch jonft fort, unbefangen und ernſtlich die Ausdrücke zu gebrauchen, deh Gott felbft verfühut worden fei; Chriftus, fagt er am einer jden oben angeführten Stelle der Ed. 3 (Lib. II, c. 16, 8 5), hie! durch den ganzen auf feines Gehorfams für und die Gerechtiget‘ erworben, „quae Deum nobis faventem ac benevolum red«' deret“. Die Sache ftellt ſich demnach bei Calvin fo dar,

‚durch die im Lauf der Zeit von Ehriftus geleijtete Sühne auch

Gottes eigene Stellung zu den Menfchen eine Aenderung bewi

daß gleichſam eine Schranfe aufgehoben worden ift, welche aud

Gott felbft mit Bezug auf die Hinkehr feiner Liebe zu dieſen

ſchöpfen vermöge feiner zürnenden Heiligkeit und Gerechtigkeit

ftand, daß aber eben feine eigene Liebe diefe Schranke hat tilge wollen und zu diefem Behufe Chrijtum die Sühne hat vollbringe laſſen. Auch der vorzeitliche Liebesact der Erwählung ift dam hiernach ſchon dadurch bedingt, dag wirklich nad) Gottes Verordium diefe Sühne vollbracht werden follte, auf welche Hin Gott ek wirklich Gemeinfchaft mit den zum Genuß feiner Liebe beftimmte Menſchen eingehen konnte: fo fagt Calvin im Zufammenhang jenr Haupiſtelle der Ed. 2b und Ed. 3 weiter, daß auch die dirk, mit der Gott nah Epheſ. 1, 4 uns “fon vor Schöpfung der Welt umfaßte, auf Chriftus fich gegründet Habe. Davon, da ir fühnende Tod Chriſti dann doc nicht allen Menſchen zu gute kommen folfte, hat Calvin in diefem Abſchnitt und überhaupt bei jeiner Lehre von Chrifti verfühnendem Gehorfam und Leiden ganz abgefehr. Gemäß dem Gefagten ift nun klar genug, daß, wenn Calvin Chriftun ein Pfand der göttlichen Gnade für uns nennt, dies nach Calirt

über Calvin'e ‚Institutio. 49

igemer Abficht nicht fo verftanden werden follte, als ob Chriſtus iefe Gnade uns nur verbürgt oder gar nur irgendwie manifeftirt, nd nicht vielmehr mit Bezug auf’ fie auch felbft Etwas gewirkt m zwar vor dem der Sünde zürnenden Gott fr uns gewirkt itte. Allerdings aber erhebt fi nun noch von einer anderen fite her eine wichtige Frage gegenüber von der Bedeutung, welche aloin dem Gehorfam und Leiden Ehrifti beilegt. Wodurch Hat hriſti Leiſtung folches Gewicht? Bekanntlich wendet die Qutherifche Jogmatif Hierfür die Lehre von der communicatio idiomatum 1: jene Seijtung hat nach ihr ſolches Gewicht, weil in Ehrifti den feine Gottheit mit dabei war umd weil er vom Gefege, das tin activem Gehorfam erfüllt, vermöge der communicatio idio- wium auch als Menfch frei und vielmehr Herr des Geſetzes war. kin, den wir oben gleichfalls von communicatio idiomatum i den Schriftausfagen über das Leiden des Gottesfohnes reden ten, kennt doch eine derartige Ausdehnung und Anwendung der Den nicht. Jene Frage nun macht: er zum Gegenftand befonderer trterung überhaupt erft in Ed. 3 (Lib. II, c. 17), nachdem wiſſe „verkehrt ſcharffinnige“ Menſchen an einem „Verdienſte“ kifti Anftoß genommen hatten und in Chriſtus ſtatt des Lebens⸗ ten ein bloßes Werkzeug hatten fegen wollen: er meint den ilius Sozinus und deffen Landsmann und Geiftesgenofjen Ca— illus; wie diefer den Sag, daß Chriftus Etwas verdient habe, 8 unbiblifch beftritt, fo hatte jener an Calvin felbft mit einer afrage darüber fich gewendet, wie Gott durch ein Verdienſt Chriſti fimmt worden fein follte, wenn er doch mit feinem eigenen freien Yilen die Menſchen gerecht zu machen befchloffen Habe; und Calvin te ihm darauf 1555 eine Antwort ertheilt, die er dann auch in ine Institutio 1559 aufnahm °). Da erflärt er denn: „equi- m fateor, si quis simplieiter et per se Christum opponere ılet judicio Dei, non fore merito locum, quia non reperie- ir in homine dignitas quae possit Deum promereri.“ Unb a num nachzuweiſen, daß Ehriftus dennoch, wie in den Ausfagen

4) &gl. Illgen, Vita Laelii Socini 1814, p. 39sq.; Responsio D. Cal- vini ad aliquot L. Sosini Senensis quaestiones, Genevae 1555.

450 Köflin

der Schrift wirklich Tiege, uns die Gnade habe verdienen können, recurrirt er nicht auf jene Idiomenlehre oder darauf, daß bei Chrifti Leiftung eben aud feine eigene Gottheit betheiligt geweſen fei, ion dern einfach darauf, daß es Gott jo verordnet, daß der Wille orte dem Gehorfam und Opfertod Eprifti diefe Wirkung gegeben habe: „Christus non nisi ex Dei beneplacito quidquam ne reri potuit ete.“ Ebenſo weift er den Einwand, daß die Rruft zu rechtfertigen (virtus justificandi) weit über das Vermögen ver Engel und Menden und fomit auch Chrifti als eines Menjcen hinausgehe, an einer fpäteren Stelle, im Streite gegen Ofianter, einfach damit zurüd': „hoc non ex dignitate creaturae cujus- quam, sed ex Dei ordinatione pendet‘“; die Engel, ſagt a vermöchten es deswegen nicht, weil fie eben nicht dazu beftimat feien (Lib. IH, e. 11, $ 12). In nod ganz anderem Sim als demjenigen, in welchem es auch innerhalb ber lutheriſchen Di matif gefchehen konnte, bezeichnet demnach Calvin (c. 17, 8 1)

göttliche „„ordinatio‘‘ als „prima causa‘“, durch welche wir

Heil erlangen, und daneben das Verdienſt Ehrifti nur als

„subalternum “; der Meinung, daß Chrifti Berdienft und ©

Barmherzigkeit einen Widerfpruch mit fich brächten, ſtellt er W gemeine Regel entgegen: „quae subalterna sunt, non pugnare“. Bon Hier aus find wir nun allerdings berechtigt zu fragen: behält demnad für Cafoin Chrifti Gehorfam und Tod überhaupt nad in ſich felbft eine verföhnende Bedeutung, Kraft und Wirkung? und wenn ihm eine folche Lediglich durch eine freie, nicht im Wefen ir Sache begründete göttliche Wilfensbeftimmung und Willenserklärung beigelegt wird, würde man dann nicht beffer einfach fagen, Gott habe jegt nach feinem unergründlichen Rathſchluß feinem eigenm Zürnen Einhalt thun wollen, und würde dem Thun und Leiden Chriſti ftatt jener Bedeutung fr den zürnenden Gott mar nd eine Bedeutung und Kraft in Beziehung auf uns zuſchreiben? Für diefe Beziehung. küme dann in Betracht die objective Mari: feftation des nicht mehr zürnenden, fondern Gnade und Vergebung darbietenden Gottes in Chrifto, und weiter nad) Calvin die innert Einwirkung Chrifti auf uns und Selbftmittheifung an uns. Tier Gedante an ſolche Eonfequenzen bietet fi uns, wie gefagt, dat.

über Ealoin’s Institutio. 451

dahe fiegt ohnedies bei jenen Süßen Calvin's der Uebergang zur minianifchen Ucceptationstheorie. Allein Calvin ſelbſt thut doch ı diefer Richtung feinen Schritt weiter. Klar genug ift auch neben nen Sägen bei ihm überall das Streben, dennoch eine wahrhafte, en durch Chrifti Gehorfam und Leiden erfolgte DVerfühnung zu haupten, keineswegs etwa blos wegen bejtimmter Schriftaus- gen, fondern aus dem tiefften Intereſſe des Glaubens heraus; x Allem eben darauf, daß Chriſtus nad 1 Joh. 4, 10 Maouöc worden fei, verweiſt er den Glauben und begründet eben damit, 5 Chriſtus nicht bios causa formalis des Heiles Heigen dürfe, j vielmehr in ihm die materia salutis nostrae zu ſuchen fet 0. O., 8 2). Wir ftehen Hier bei einem Problem, das er, k wir fahen, erft fpäterhin fhärfer erörtert und auch dann nicht Kine ftrengen fyftematifchen Abſchluß gebracht Hat. Wir müffen Üingeftelft Laffen, wie weit, wenn er e8 ferner verfolgt hätte, den gedeuteten Conſequenzen das anderweitige dogmatifche Grund⸗ ereife bei ihm entgegengewirkt und ihn zu neuen Löſungsverſuchen tieben haben würde. Daneben darf mit gutem Grund die Frage keit werben, ob etwa jene Lutheriſche Theorie, die ohnedies bei her jelbft noch nicht zur orthoboren Form ſich firirt hat, ihrer 8 ſchon dem Problem genügt habe. ' Bas Calvin fo von der wirklichen Bedeutung des Gehorfams Todes Chrifti behauptet hat, zielt, wie wir fehen, alle darauf die Gläubigen alfein eben in diefem Chriftus jene Vergebung Sünden, jene prima gratia, jene Gerechtigfeit vor dem götte en Richterftuhle fuchen zu lehren. Mit Bezug auf das Recht⸗ ttigungsdogma felbft hat nun Calvin's Darftellung in Ed. 1 Eigenthümliche, daß fie den Begriff der Rechtfertigung nicht ciell neben dem der Vergebung, der angeeigneten Verſöhnung u. f. w. ut, ihm auch nirgends ausdrücklich definirt, daß fie feruer, wie früher von und gegebene Ueberficht zeigte, ein befonderes Ca- | diefer Lehre nicht gewidmet hat. Allein.nur umſomehr ift leich zu beachten, wie fehr fie dod in materieller Hinficht mit Lehre der folgenden Ausgaben und nicht minder mit der Lehre deutſchen Aeformatoren zufammentrifft. Wird diefem Lehr: enftand fein fpecieller Abſchnitt zugewiefen, fo kommt er befto-

158 > oßlin

mehr im ganzen Verlauf der chriſtlichen Unterweiſung als ihr Haupt: * gegenjtand zur Entfaltung. Und mit Beftimmtheit und Nadoru werden fchon Hier diefe Hauptmomente aufgeftellt: während eine Gerechtigkeit durch Werke oder eine Geſetzesgerechtigkeit nimmer mehr erlangen können, vielmehr vermöge des Geſetzes dem göttli Zorne verfallen feien, erlangen wir Vergebung der Sünden au reiner Gnade, wenn wir die Barınberzigfeit Gottes in Chrifto du den Glauben ergreifen; während wir felbft Sünder feier, fei Ehrift unfere Gerechtigkeit; fein Verdienft trete für uns ein. Ebenſo heil es: Gott rechtfertige uns, indem wir feine Barmherzigkeit glaubt ergreifen. Schon vernehmen wir auch die beftimmter formuli Säge: „Christi justitiam imputatione nostram fieri; ita n vere nos esse justos sed imputative, vel non esse justos pro justis imputatione haberi.“ Dabei wird vom Glauben nık drücklich erklärt, daß er nicht ein bloßes Fürwahrhalten, ſondes eine völlige, fefte Zuverficht zu dem Einen Gott und Chriſtus ud zu jener göttlichen Barmherzigkeit jei und an das Wort und mentlih die Gnadenverheigungen Gottes jejt fih halten von ſelbſt ergibt fich hier aud) feine Beziehung. auf das Verſöhm werk, den Gehorjam und Tod Ehrifti*). Im der Ed. 28, Inhalt auch in allen folgenden Ausgaben ſich erhalten md noch mehr erweitert hat, wird dann eine‘ förmliche Definition Justificatio vorangeftellt. Und zwar wird diefe jo ſcharf und im forenfijhen Sinne genommen, wie es Melanchthon nod mi in der Augsburger Eonfeffion und Apologie, fondern erſt in zweiten Ausgabe feiner Loci (1. c.. p. 421) gethan hatte; hat den Begriff überhaupt nic jo ftveng auf den blos forenfit Gebrauch befchränft ®). Die Ed. 2a erffärt: gerechtfertigt wi „qui judieio Dei et censetur justus et acceptus est ob su justitiam “; wirkliche Rechtfertigung aber erlange der Ehrift al dadurch, daß er Chrifti Gerechtigkeit durch den Glauben crgreil

a) Vol. XXIX, p. 465g. 51. 78. 81. 60. 56sgg-

b) Bgl. meine „Theologie Luther's“ II, 447f.; gegen die hier anfgehelie] Ergebniffe find mir, jo wenig fie zu herkömmlichen Boransfegungen ite| Auther’s Lehrweiſe flimmen, doch tod) keinerlei Einwendungen zu Gehk! gelommen.

über Eoloin’s Institutio. 458

und, in fie gekleidet, vor Gottes Angeficht „tanquam justus‘“ arſcheine. Seit der Ed. 2b find die Alles zufammenfafienden Säge xigefügt: „‚justificationem simpliciter interpretamur acceptio- ıem, qua nos Deus in gratiam receptos pro justis habet‘“; ‚eamque in peccatorum remissione ac justitiae Christi im- ntatione positam esse dieimus‘ °). Das Wefen jenes Glau- ens entwidelt Calvin im gleichen Sinne, nur weit ausführlicher, vie früher. Ebenſo bleibt ihm das Object defjelben ganz das leiche; namentlich rechnet er hier auch jet, fo gewichtig er jetzt u fpäteren Abfchnitten feine Prädeftinationslehre vorträgt, doc nicht twa auch ſchon das individuelle Erwähltfein zum Gegenftande des echtfertigeuden Glaubens als ſolchen. Weit behauptet er fo die Restfertigung Sola Fide. Er fließt hiermit aus die Werte, Fir Rechtfertigung zwar, welche ohne gute Werke bejtünde („quae ie is constet‘“), will Calvin nicht lehren; denn Chriſti Gerechtig it fönne man nicht haben, ohne Chriftum zu haben, und Chriftum ine man nicht befigen, ohne auch feiner Heiligung theilhaftig zu den: Chriſtus rechtfertige Einen nicht, ohne zugleich Einen zu äligen d). Allein nimmermehr darf nad Calvin, wie ja das eben ich in diefen Sägen liegt, unfere Gerechtannahme vor Gott auf eſe Heiligung und ihre Früchte geftügt werden. Vollends kann ht die Rede fein von einem „Verdienfte“ der Werke. Wir haben hon oben gejehen, wie ftreng und allgemein gerade Calvin jeden afpruch eigenen Rechtes oder Werthes abweift. Ya er drüdt, dem er die Schriftausfagen über eine Bedingtheit des ewigen viles durch Werke als „‚causae inferiores‘“ zu erörtern hat, an rrſchiedenen Stellen fon jeit Ed. 1 ji fo aus, daß jede innere kziehung, in welche man das Heil zum inneren Werthe der.Hei- gung und der guten chriftlihen Werke vor dem das Gute wür- genden Gotte jegen möchte, entfernt zu fein und ein Zuſammen⸗ ng zwifchen Beidem nur darum ftattzuhaben ſcheint, weil Gott nun einmal fo wolle und verordnet habe; jene Heiligkeit des

a) Vol. XXIX, p. 787 0. et. Ed. 3. Vol. XXX, p. 588. (Lib. U, c.11.) b) Vol. XXIX, p. 742. 776; Vol. XXX, p. 5485q. (c. 11, $ 19). 586 («. 10).

464 Köflin

Lebens fei der Weg nicht welcher führe, fondern auf Gott die Erwählten führe zur Herrlichkeit, weil es fein guter wi fei, die von ihm Geheiligten auch zu verherrlichen; jene ausfagen zeigen nicht fowohl „causam“ an, als vielmehr „ordinem consequentiae‘; Gott führe die Erwählten dat durch einen Lauf in guten Werfen zum Beſitze des ihnen vorht beftimmten Lebens, um in der von ihm beftimmten Ordnung il Wert an ihnen zu volfführen *). So find dann nad; Calvin Werte der Wiedergeborenen ein Zeugniß, durch welches fie i Beruf gewiß machen und nach welchem fie wie Bäume nad Früchten beurtheilt werden; fpeciell fieht Calvin laut der fünf Bitte des Vaterunſers in unſerer Willigkeit, Anderen zu verge ein Zeichen für uns, das uns ber Vergebung unferer eigenen Sin! von Seiten Gottes vergewiſſere; ähnlich übrigens haben über Bedeutung der Werke Luther an verfehiedenen Orten und Me thon namentlich in der Apologie der Augsburger Confeſſion ausgedrückt ®); ja jene Erflärung Calvin’® beim Baterunfer fo auffallend mit der Luther's im Großen Katehismus zujam daß man denfen möchte, er habe diefe vor Augen gehabt. Dafi „Sola Fide‘ und diefelbe Auffafjung vom Wefen des Gfaut behauptet Calvin gegen eine Begründung der Rechtfertigung die Liebe ſchon feit Ed. 1 und weiter gegen die Lehre von Fides caritate formata jeit Ed. 2°). Nicht minder er fih gegen die Meinung, daß der Glaube durch feine eig Würdigkeit die Gerechtigkeit verdiene, wofür man fälſchlich die Bezeichnung des Glaubens als Werkes Joh. 6, 29 ſich bi Der Glaube, erflärt er, redhtfertige nur quia instrumentum quo Christi justitiam gratis obtinemus 4). Wir finden

a) Vol. XXIX, p. 55. 768. 792q.; Vol. XXX, p. 578 (c. 14, 6 M 604 (c. 18, $ 1).

b) Vol. XXIX, p. 775. 767; Vol. XXX, p. 585 (c. 16, $ 8). 564 (c. 14, $ 1889); Vol. XXIX, p. 97. 982; Vol. XXX, p. 672 (c& $ 45). Bgl. meine „Theol. Luther's“ II, 458; abol. Conf. Aug. Art.Iil $ 154sq.

c) Vol. XXIX, p. 80. 472; Vol. XXX, p. 40359. (c- 2, $ 8sq.).

d) Vol XXIX, p. 799sgg.; Vol. XXX, p- 6105gg. (c. 18, $ Bagg.

über Calvin's Tüstitutio. 486°

duther und bei Melauchthon (vgl. Apol. d. Augsb. Eonf.) ‘öfters eine Bezeichnung des Glaubens als Gehorſams gegen Gottes Grund» gebot, ans der man freilich mit Unrecht fchliegen möchte, Voß durch fie jener Meinung Raum gegeben werde; in Calvin's Institutio find, wohl nicht ohne Abficht, derartige leicht mißver- Rändliche Aeußerungen durchaus vermieden. Mit dem Glauben, welcher vechtfertigt, muß ferner,. wie die Erzeugung pofitiver Früchte, d vor Allem die Abkehr von der Sünde, die Abtöbtung des alten Benfchen, fich verbinden. Nicht Hierauf aber, fondern einfach darauf, nf der Glaube die Gerechtigkeit Ehrifti ergreife, wird von Calvin berall die Rechtfertigung dur; den Glauben zurücgeführt. Dazu mt, daß Calvin, wie wir unten noch näher fehen werden, diefe ktödtung felbft erft aus dem Glauben hervorgehen läßt. Bei Weir ihrer Stellung erfcheint fie nicht bios nicht als Grund der Rehtfertigung, fondern vielmehr ala Etwas, dem mit dem Glauben ad fon die Rechtfertigung vorangehen müſſe oder das wenigftens Mt neben der Rechtfertigung aus dem Glauben hervorgehe: die ergebende Gnade Gottes ift nad) Calvin's ausdrüdliher Erklärung a8 „eigentliche Object“ des Glaubens, aus dem auch die Abtödtung ımmt, und die gratia prima, auf welche die Abtödtung mit dem cuen Leben folgt, und erſcheint demnach als das Erfte, was ber dlaube erlangt *). Schnedenburger (a. a. O. II, 11) zeigt mit ieſen Sägen Caloin’s feine Belanntfchaft; nur werden wir aller ings unten eine gewiſſe Unffarheit über diefe Stellung der Ab- tung und contritio auch bei Calvin felbft finden. Die innere Imwandfung und Heiligung des Menfchen wird endlich gemirft uch den Heiligen Geift, und man könute hiernach noch fragen, ob iht der Glaube wenigftens vermöge des Geiftes rechtfertige, er dem Gläubigen mitgetheilt werde. Auch die aber verwirft jaloin ausdrücklich: „Christi justitia imputatione communi- atur; evanescit argumentum illud, ideo justificari hominem de, quoniam illa spiritum Dei participat, quo justus reddi- ur; quo nihil magis est contrarium superiori doctrinae;

a) Vol. XXIX, p. 6855. 694. 787; Vol. XXX, p. 488g. 450 (c. 8, $ 1. 19). 583 (c. 11,9 1). —— ws

Weol. Stub. Jahrg. 1868. 3

«“ Körlin

neque enim dubium, quin sit inops propriae justitiae, ‚justitiam extra se ipsum quaerere docetur.“*) Ma hat es charalteriſtiſch für die veformirte Lehre gefunden, daß fie den Glauben felbft ſchon als Product der wiedergebärenden Heil thätigkeit betrachte und fo der durch den Glauben Wiedergeborent für fie Gegenftand der rechtfertigenden Thätigleit Gottes werd, während bei den Lutheranern, wie Schnedenburger (S. 13) meint, erft die reformirt mobdificirten unter der Wiedergeburt „ganz refor- mirt“ die Donatio fidei verftehen. Gerade Luther aber iſt &, der fehr häufig eben auch ſchon den Glauben durch die Wieder-

. geburt“ zu Stande lommen läßt, während Calvin vielmehr die „regeneratio‘‘ mit ‚der „poenitentia“, welde erſt auf ben Glauben folgen fol, geradezu identificirt B).

So hat Calvin ausführlich gelehrt, Längft che die Ofiandrifde Nechtfertigungslehre aufgetreten war und auch folche proteftantiide Theologen, welche vorher noch nicht mit gleicher Beſtimmtheit den bit forenfiichen Sinn der Glaubensredhtfertigung behauptet hatten, p ſchärferer Faſſung ihrer Säge antrieb. Calvin trat ihr entgye von demjenigen Standpunkte aus, den er ſchon bisher fo entichiem einnahm; von ihm aus hat er ihr auch einen befonderen polemifde Abſchnitt in Ed. 3 der Institutio gewidmet. Da erwidert er dem auf Oſiander's Vorwürfe gegen jene Lehre vom objectiven Werk Chrifti, durch welches wir verföhnt, und von der objectiven Gr rechtigleit Chrifti, durch deren Zurechuung wir gerechtfertigt werden: „Wir fehen darum doch Chriſtum nicht in der Ferne aufer und an, damit feine Gerechtigkeit und zugerechnet werde“ ; „Sed quia ipsum induimus et insiti sumus in ejus corpus, unum deni- que nos secum efficere conatus est, ideo justitiae societatem nobis cum eo esse gloriamur“ (Lib. II, c. 11, $ 10). In diefem Sage hat man nun doch gerade auch bei. ihm. eine weſentlich ofiandriftifche Anfchauungsweife von dem, was vor Gott uns gerecht mache, jehen wollen: er müßte alfo zu ihr übergegangen jein feit

a) Vol. XXIX, p. 745; Vol. XXX, p. 552 (c. 11, $ 28). b) Vol. XXIX, p. 690; Vol. XXX, p: 440 (c. 8, $ 9: „Um rerbo poenitentiam interpretor regenerationem.“

über Ealvin’s Institutio. “7

der Herausgabe der Ed. 2c. Allein geinäß beim ganzen Zuſammen hang, innerhalb deffen der Sat eben aud in Ed. 3 fteht, können mir darin nur das angelegentlichfte Streben fehen, Ghriftum, wäh« rend feine objective Gerechtigkeit und zugerechnet wird, zugleich in die inmigfte Lebensbeziehung zum gläubigen Subject feldft zu ſetzen, ohne welche fir diefes auch jene Zurechnung nad; Gottes Ordnung nicht ftatthaft wäre; und barin trifft er namentlich wieder mit @uther zufammen, bei welchem aud) fehr viele Aeußerungen, wenn nicht feine übrige Lehre entgegenftünbe, ganz im gleichen Sinne ſich deuten ließen; wie Calvin im Oſiandriſchen Streit, fo erflärt Luther 3. 3. in den Verhandlungen mit den Katholiken, daß wir um des Sohnes willen, der im Herzen wohne, vor Gott gerecht heißen *). Reineswegs aber will nad) dem ganzen Zufammenhaug Calvin davon Etwas fagen oder hören, daß die Gläubigen das ihnen imerlich Mitgetheilte als ſolches, alfo den neuen Keim ſittlichen Lebens u. ſ. w., vor jenem Richterſtuhle Gottes zum Behuf ihrer Rechtfertigung geltend machen follen oder fünnen. Er hat jdon wor (a. a. O., & 5. 6) dagegen gefämpft, daß Oftander mit der durch Eprifti Gehorfam und Tod erworbenen Gerechtigkeit ſich nicht begnüge, fondern die Gläubigen qualitate infusa wolle gerecht werden laſſen; er hat erflärt, dag Gott, obgleich er die zu Gnaden Angenommenen zugleid, mit feinen Geiftesgaben ausftatte und inner» lich erneuere, doch nicht duch dieſes Wiebergebären, ſondern einfach durch Vergeben rechtfertige, fo wie man bei der Sonne Licht und Wärme nicht trennen könne und darum doch die Erleuchtung der Erde nicht von ihrer Erwärmung herleiten dürfe. Er erklärt dann gleich) nach jenem Sage ($ 10. 11) die Meinung, dag Gott „ju- stitiam suam nobis inspiret, qua realiter simus cum ipso justi“, für ein befonders gefährliches Gift. Er widerlegt den Einwand, dab Gott Menſchen, welche gottlos bleiben, nicht für gerecht erflären könne, nur mit dem Hinweis darauf, daß ja freilich von der redhtfertigenden Gnade die wiedergebärende nicht abgetrennt werben dürfe, während doch beide zu unterfcheiden fein, ferner mit der Bemerkung, daß ja auch nad Dfiander’s Belenntniß die

a) Beiteres in meiner „Theologie Luther6* IL, aba f.

468 22.. Kößlin _

* Gläubigen wegen der neben ihrer Gereihtigkeit fortbeftchenden Säuden noch einer ‚freien Vergebung durch Imputation bebürfen, und mit der Frage, auf weldes große oder Heine Stüd nun wohl: nad Dflander die Sünder diefe letztere Gnadenaunahme ausdehnen jollten, endlich mit der den ganzen Einwand abſchneidenden Berufung darauf, daß Gott „fi erbarme weſſen er ſich erbarme* (2 Moſ. 33, 19), daß jeder Vorwurf gegen den frei vergebenden höchſten Richter Anmaßung fei; er fchließt den Abfchnitt mit dem Sage, daß die durch Ehrifti Gerechtigkeit gededten Gläubigen „dum se ipsos merito damnant, justi extra se censeantur“. Weiterhin ($ 23) wiederholt er aus Ed. 2 namentlich aud die oben angeführten Säge über jenes „nugamentum ‘“; er verfchärft fie nur noch, fofern er ftatt der Worte „quo nihil magis est contr. sup. doctr.‘ jet fagt: „quod magis contrarium est sup. doctr., quam ut conciliari unquam quest.“ So wenig hat Calvin in Ed. 3 trog Oftander feinen Standpunft geändert.

Es erhellt hiernach, wie ‚verkehrt e& wäre, wenn wir folgen wollten, das rechtfertigende Urtheil Gottes werde für Calvin g einem Urtheil secundum veritatem, fofern es die dem Gläubiga ſelbſt ſchon eigene fittliche Rechtbefchaffenheit als ſolche anerkemt. So fehr ihm jenes Dringen auf eine innere Einigumg mit Ehriftus, die fofort ein neues, heiliges Leben erzeuge, eigen ift, fo ftrenge beharrt er doch auch neben dem, was der Chriſt hiermit felber hat und wird, auf jeiner Grumdfehre, daB vor Gottes Richterſtuhl bie Menſchen ſchlechterdings auf Nichts, was fie in fich felbft aufweiſen können, einen Anfprud; begründen oder ihre Zuverſicht ftüten dürfen. Weit eher find wir berechtigt, von anderen Elementen der Cal⸗ viniſchen Theologie her Bedenken gegen die Rechtfertigungslehre zu erheben, die wir hier als die feinige anerkennen mußten. Bir blicken zurüd. auf feine Lehre von dem .objectiven Verſöhnnngswerl und zugleich wieder vorwärts auf feine Prädeftinationslehre. Mir tonnten dort zweifelhaft werden an der von Calvin gefehrten objer tiven Bedeutung jenes Werkes Chrifti, wenn doch die Geltung, dir es haben folle, eigentlich nur in einer Willensverordnung Gottes beruhe und nicht im Werfe felbft begritndet fei. Wir könuten jekt aud fragen: würde nicht zur. Aufnahme der Gläubigen in.die ver:

über Catvin's Institutio. 40

gebende und heiligende Gnadengemeinſchaft mit Gott und Chriſtus das einfache miserebor cujus miserebor “‘ genügen, mit welchem Calvin den Oſiander abgemwiefen Hat, ohne daß es Hierzu jener Imputationstheorie bebürfte? Und ferner noch: weshalb wird über- haupt ein folder Nahdrud auf den zeitlichen, durch den Glauben der Subjecte bedingten forenfiichen Nechtfertigungsact Gottes gelegt, wenn die Gnade Gottes, welche ſchon vorher den betreffenden Sub- jecten ſich zumenden wollte, zum Behuf ihrer Mitteilung an fie eigentlich nicht erſt einer objectiv wirffamen Leiftung Chriſti und einer Imputation an diefelben bedarf, wenn vielmehr die Schranke, welche ihr zuvor in Gottes Strafrecht und Zorn gejegt erfchien, ägentfich ſchon von voruherein durch den bloßen Willen Gottes gehoben war? Calvin ſelbſt erflärt, nachdem er die Rechtfertigungs- tre abgehandelt Hat, in nachfolgenden Abſchnitten der Ed. 2 noch weiter, mit Bezug auf Röm. 8, 30: „vocatio et justificatio nihil aliud est quam divinae electionis declaratio“ *). Und den Glauben, welden er als Werkzeug zur Erlangung der Ger rechtigkeit Chrifti bezeichnet Hatte, nennt er nachher in Ed. 3 (Lib. DI, c. 22, $ 11) ein Pfand: „fidem singulare esse paterni amoris pignus, filiis, quos adoptavit, reconditum “. Bird ihm nicht confequenterweife das Verſöhnungswerk Chriftt zu einer bloßen Manifeftation des ewigen Gnadenwillens im Allge- meinen, die Rechtfertigung aus einem objectiven göttlichen Acte zu einer bloßen Manifeftation diefes Gnadenwillens für das einzelne Subject, und der Glaube aus einem Werkzeug zum Ergreifen jener Gerechtigkeit zu einem bloßen Iunewerden diefes Gnadenwillens von Seiten des Subjectes werden? Wird nicht dies der richtige Aus- deu für jenen Heilsproceß fein, während dagegen die Darftelfung beffelben in der obigen Rechtfertigungslehre blos aus ber Accommor dation an ein gewiſſes fubjectives Bebürfniß der religiöfen Per: fönfichfeiten hervorgegangen ift, welde im gegenwärtigen Moment die Schreden des Gerichtes fühlen und ein losſprechendes Urtheil für ſich erfehnen, zu einer adäquaten objectiven Auffafjung des

a) Vol. XXIX, p. 539g. 865.'877; Vol. XXX, p. 686. 7I1 (c. 21,8 7; © 24, 81). Bol. auch fon in Ed. 1:. Vol. XXIX, p. 73.

460 Köflin

Herganges aber ſich noch nicht zu erheben vermögen? Gewiß find die Eonfequenzen, welche man in dieſer Beziehung für den Eal- vinismus Hat ziehen wollen, nicht ohne Grund. Allein nur um fo nachdrücklicher müffen wir, ebenfo wie oben bei der Berfühnunge Ichre, darauf hinweifen, daß doch bei Ealvin durchaus feine weitere Andeutung folder Confequenzen, ja keine Ahnung derfelben an den Tag kommt. Und gewiß ift gerade dies wieder charafteriftifch für ihn und für diejenigen Gefichtspunfte und Intereſſen, welche doch durchweg bei ihm überwiegen.

Die genauere Erörterung der Stellung von Glanbe und Buße zu einander, wobei nach Ealvin diefe ans jenem hervor sehen, obgleich der Zeit mad) nicht von ihm getrennt fein foll*), | haben wir uns bis hierher vorbehalten. Zunörbderft ift hierfür der | Sinn der Calviniſchen Säge, der nicht immer richtig aufgefaft | worden ift, feftzuftellen. Unter dem Glauben, fofern er die Wurzel der Buße fein fol, verfteht Calvin nicht etwa ®) blos den allge meinen Glauben an Gott als den Allmächtigen, Heiligen u. f. m. worauf erft hernach der Glaube zum Glauben an das Heil in Chriſto werden ſollte (das wirde ganz der Kutherifchemelandzthon’fchen Lehrweife entſprechen). Der Gegenftand des Glaubens ift vielmehr Schon Hier beftimmt das Evangelium vom Heilande Ehriftus: mit

der guten Botfchaft, fagt Calvin °), gebiete Je. 40, 3 den Anfang der Predigt zu machen; der Menfch könne der Buße fich nicht ernftlich befleißigen, che er erkannt habe, daß er Gottes fei (se Dei esse); die Ueberzeugung aber, Gottes zu fein, könne Einer erft haben, wenn er vorher Gottes Gnade ergriffen habe. Hierzu fügt Ed. 3 bei: Diejenigen, welde die Buße voranftellen, mögen des wegen auf diefen Irrthum geraten fein, weil allerdings Viele, ehe fie die Gnade erfannt, ja verſchmeckt haben, durch Schreden des Gewiſſens gezähmt und zum Gehorfam herangebifdet werden; hier handle ſich's aber nicht um eine folche Vorbereitung; rechte Gefinnung fei jedenfalls nicht möglich, wo der Geift Chriſti noch

a) Vol. XXIX, p. 685egg.; Vol. XXX, p. 434sgg. (c. 9). b) So ſcheint e8 and Dorner (a. a. O., S. 282) aufzufaffen. ©) Vol. XXIK, p. 686 qg.; Vol. XXX, p. 4Bösgg. (c. 3, $ 204.

über Cafoin’s Institutio. 4

nicht regiere; wahre Gottesfurdt fei nicht möglich ohne die Zuverfiht, daß Gott Einem gnädig fei, gemäß dem Pſalmwort ®. 130, 4: „apud te est propitiatio ut timearis“. Weiter erffärt dann Calvin: die Buße, umter welcher er ausdrücklich die. ganze negative und pofitive inmere fittliche Umgeftaltung befaßt Haben will, müſſe von der ernftlichen Gottesfurcht ausgehen und beftehe in „veteris hominis mortificatione et spiritus vivificatione ‘; da findet er denn mit Bezug auf jene Furcht nothwendig, daß der Menſch erregt werde durch den Gedanken”an Gotte® Gericht, und weiter Haben wir hierfür beizuzichen, was er vorher bei der Lehre vom Gefeg über deu Vorhalt der Sünde und Verdammungs- würdigkeit durch dieſes gefagt Hat *); erwedt werden foll jedoch hiermit eine ſolche Traurigkeit, die nicht blos vor den Strofen fih fhte, fondern die Sunde felbft haſſe, und Haß der Sünde ift mr, wo vorher Liebe zur Gerechtigkeit ift ®), welche Liebe denn wieder nah Calvin's Lehrzufommenhang auf eine ſchon vorans tegangene Onadenerfahrung uns zurückweiſt; die mortificatio ferner ſoll ſelbft ſchon, wie vollends die vivificatio bei uns eintreten ex Christi partieipatione. Das find die Hauptfäge Calvin's mit Bezug auf jenes Vorantreten der Gnadenbotſchaft und des Glaubens. Um ſodann das Eigenthümliche diefer Lehre zu firiren, haben wir fie beſonders mit der Luther's zufammenzuhalten, aud die letztere übrigens Hierbei genauer, als häufig geſchieht, in's Ange zu faffen ©). Abgemacht ift auch nach Luther die Buße oder innere Abtödtung kineswegs mit derjenigen Gewiffenserregung, welde dem das Evans gelium ergreifenden Glauben vorangeht: im Gegentheil würde fie ohne diefen zu einer bloßen Kainsbuße; und wahre, ernftliche Buße tommt auch nad; Luther erſt aus einer die Gnadenerfahrung ſchon

a) Vol. XXIX, p. 429sq.; Vol. XXX, p. 257g. (Lib. II, c. 7. $ 654.). Man beachte Hier auch Calvin's Verhältuiß zu Agricola: er feheint mit biefem übereinzuffimmen, fofern aud er mit dem Gnadenruf, Gnadenzug und Glauben den Anfang macht, weicht aber dann fehr entichieden vom ihm ab, foferm er gerade auch mit Bezug auf die von der Gnade ergriffenen Subjecte ein Strafamt umd (vgl. unten) Lehramt des Geſetzes behauptet.

b) Vol. XXIX, p. 695; Vol. XXX, p. 451 (Lib. III, c: 3, $ 30).

©) Meine „Theologie Luther’e“ II, 440f.

462 KöRlin

voraußfegenden Liebe zur Gerechtigkeit. Der Unterſchied beftct - vielmehr in dem Nachdruck, womit Luther dennoch darauf dein daß jene Gewiſſensſchrecken als Anfänge der Buße den erft auf fi folgenden Anfängen des Glaubens Bahn machen müfjen, und zma nicht blos bei „Vielen“, fondern allgemein und wejentlich. Vol Klarheit kann ih num, wie ich ſchon oben gejagt, bei Calvin i den hierher gehörigen Ausführungen nicht finden. Die vorhin en widelten Säge find der Ed. 2 u. 3 entnommen, wo Calvin üb haupt erjt mit Veftimmtheit in die Frage eingegangen ift. Ed. 1, in welcher dies noch nicht der Fall ift, Hat nicht bios Boranftehen des Glaubens noch nicht betont, ſondern legt viel: theilweife auch eine entgegengefegte Auffaffung nahe. Sie zieht m nicht jene Folgerung aus der Sefaiasftelle. Anknüpfend an Feſ— Worte Mark. 1, 15 findet fie zwar, daß Hier zuerft die Schü der Barmherzigkeit aufgeſchloſſen werden, weiter aber, daß darı bin Buße und „tum postremo ‘“‘ Zuverficht zu Gottes Verheißung gefordert werde. Indem fie ferner die Buße als mortificatio zeichnet, jagt fie zwar, daß man in Gemeinjchaft mit Chriftus feinem Tod abfterben müfje dem alten Menſchen nad, zugleich al diefe Buße eröffne ung „primum ad Christi cognitionem i gressum“*). Iu Ed. 2 und vollends inEd. 3 Hat dann Cain jene andere Auffaſſung durch die oben mitgetheilten, an Jeſ. und Pf. 130 anfnüpfenden Säge, welche er Hier in dem Capi von der Buße neu eingefügt und an bie Spige geftelft hat, drücklich abgewiefen. Im weiteren Berlaufe jedoch Kat er ad wieder die Säge der Ed. 1 von der „‚postremo‘ geforderten Zu verficht zu den Verheigungen und von der Buße als „primus ingressus etc.“ aufgenommen: ftatt „Buße“ nennt er Bier be ftimmter den „Haß der Sünde“, welcher der Anfang der Buße fi, ohne zugleich auch hier zu bemerken, daß doch diefer Haß ſchon den Genuß der Gnade vorausfege d). Er hat ferner beim vorange- ſchickten Capitel vom Gefeg, in welchem er die Grundgedanlen darüber aus Ed. 1 wiederholt, nicht‘ felber auch darauf aufmerkſam

a) Vol. XXIX, p. 149g. b) Vol. XXIX, p. 693q.; Vol. XXX, p. 449g. (c. 3, $ 1924.)

über Ealoin’s"Ihstitutio. 463

macht, daß doch jenem Vorhalt der Sünde und Verdammuiß arh'& Geſetz bei der Buße jchon eine Erfahrung der Gnade voran⸗ en müffe. Auch in demjenigen Abſchnitt der Bußlehre, wo die d. 2 u. 3 die Furcht vor dem Gericht einführen, vermiffen wir ne Mare Zurückbeziehung auf bie jet vorangeftelften neuen Säge ver den Ausgang der Buße vom Glauben: die Darftellung ift er einfach wieder in den Gang der Ed. ‚1 übergegangen. tdenfalls fehlt es den fpäteren Ausgaben hier wieder, wie auch anderen Fällen, an einer genauen Durchbildung bes feit Ed. 1 ibehaltenen Stoffes von denjenigen Gefihtöpunften aus, welde : jelbft erft neu mit ‚Beftimmtheit eingeführt haben. Nichtsdeſto⸗ miger bleibt für uns der Nahdrud, mit welchem er die neuen üge vorträgt, bedeutfam. Und zwar war es ihm hierbei ohne wifel hauptfächlich um den Gegenfag gegen eine Meinung zu wm, welche mit einer Voranftellung der Buße oder contritio vor m Glauben fich leicht verband, gegen die Meinung nämlich, 0b irgend Etwas auf Seiten des Menſchen, das feiner, erft th den Glauben fich volfziehenden Einigung mit Chriftus voran» jen würde, zum Behuf feiner Rechtfertigung vor Gott in Ber ht kommen dürfte; er erwähnt fo polemifch auch Diejenigen, Ihe einen, dem Glauben vorangehenden, initialis timor ſchon ter die Tugenden rechnen (Ed. 3 1. c., $ 2). Allein daß der⸗ ihen Meinungen mit jener Boranftellung keineswegs nothwendig bunden feien, konnte ja Calvin Mar genug in Luther's Erxflä- ngen fehen, wonach jenen terrores conscientiae noch keinerlei htfertigende Kraft zufommt; und andererfeitS feugnet ja doch auch nit, daß wenigftens bei „Vielen“ ſolche pavores vorangehen, dag man durch fie ſchon zum Studium pietatis und zu Chriſtus bit Hingezogen werde (vgl. weiter in $ 2). Der Grund ders igen Differenz, die dennoch zwifchen der Calviniſchen und Luthe— hen Lehrweiſe beftehen bleibt, wird fo noch anderswo zu fuchen a: die Schuld und das Schuldbewußtſein Hat für Calbin, diel Gewicht er darauf legt, dennoch im Verhäftnig zum pofi- en Zug der Gnade und Gnadenbotfchaft nicht diefelbe Bedeutung e für Luther; fo findet er eine kräftige Erregung des Schuld» vußtſeins vor dem Innewerden der Gnade doch nicht bei Allen

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nothwendig, findet es auch nicht nöthig, davon in feiner Darftellung des Gnadenweges eigens zu handeln; ja er würdigt bie pavores a. a. DO. auch nicht einmal beftimmt unter demjenigen Gefichtsı punft, unter welchem Luther fie fo betonte: er bezeichnet fie beftimmt als Schreden über die Schuld, unter welchen man zu Greifen nach der Schuldvergebung bereitet, fondern nur wodurch man gezähmt und zum Gehorſam herangebildet folle. Wir könnten auch die wieder zu jenen Fragen über Wi wirkliche Bedeutung einer objectiven Vergebung und Nechtfertigu welche nad Calvin erft im zeitlichen Verlauf eintreten foll, in siehung fegen, wenn wir hiermit nicht wieder ganz über: Dasjni Hinausfchreiten würden, was Calvin felbft fagt und dent. Auch auf das neue fittlihe Leben überhaupt, defien he negative Seite die Abtödtung des alten Menjchen ift, richten endlich noch einmal unfere Aufmerfjamteit. Calvin Hat, wien fahen, feit der Ed. 2 die Lehre von der Buße nach ihrer pofii fowohl als nad; ihrer negativen Seite und ſowohl nad) it Anfang, als nach ihrem fortgefegten Verlaufe, eben damit die gemeine Lehre von der Wiedergeburt und fortgefegten Heil ſchon vor dem bejonderen Capitel über die Rechtfertigung delt und hat dazu in Ed. 3 auch ſchon die concrete Ansfül über die „Vita Christians‘, welde in Ed. 2 das Wert gezogen. Wir Haben nicht minder ſchon gefehen, daß er di doch keineswegs die Rechtfertigung auf biefe innere Erneuerung ihre Früchte, die Werte, hat gründen wollen. So madit er auch zum Motiv des chriftlich-fittlichen Verhaltens, Strebens Wirkens in Feiner Weife eine ſolche Beziehung der Rechtferti auf die. eigene Rechtbeſchaffenheit. Ja er betont als Motiv ii auch nicht fo, wie man meinen möchte und gemeint Hat, daß M Erneuerung und die Werke ein Zeugniß des Heilsſtandes fei Er ſtellt vielmehr als die wirffamen praftiven Motive nur fammen: die Abfiht, Gott zu verherrlichen, welche, mie er Tat, eigentlich ſchon ganz genügen follte, und für die Menſchen, mei dur den Gedanken an Gottes Ehre noch nicht fo kräftig ench werden, das dankbare Gedächtniß der Wohlthaten Gottes in Ehritt: das fttliche Streben fol, wie er ein ander Mal erklärt, ausgein

über Calvinꝰs Institutio. 466

son, daß Gott uns ermahne heilig zu fein wie er felbft, und jes zur Ehre Gottes (gloria Dei) gehöre, mit der Unreinigkeit ie Gemeinfchaft zu Haben, und um uns hierzu noch beifer uregen, wird und Gott als Bater vorgehalten, der, wie er in tiſto ſich und verföhnt hat, fo in ihm fein Bild uns barftellt, b welchem wir uns geftalten ſollen *). Auf biefen Grundlagen bt Calvin mit dem ftrengften fittlichen Exrnfte zur Zucht, Selbft- igung und chriſtlichen Thätigleit an. Charakteriftiich fir Calvin rift es num allerdings, wie mit der Sorge um das Heil, die öhnung, die Heilsgewißgeit bei ihm unmittelbar, von vornherein ı mit gleichem Nachdruck dieſes Dringen auf die fittliche Lebens⸗ altung, auf bie Heifigung vor dem Beifigen Gott, auf die Dar⸗ lung der neuen Perfönlichkeit zu einem Opfer an Gott u. f. w. }rerbindet. Eben aud) darum hat er, wie wir im Eingang des ineren Hanptftücdes von der Nechtfertigung leſen, dieſes felber !nachfolgen laſſen wollen: man ſollte ſchon von vornherein ers sem, dag der Glaube, durch welden allein man die Gerechtigkeit reife, nicht müffig fei zu guten Werfen. In der Betonung biejer ite ift auch die Ed. 2 wefentlich über die Ed. 1 fortgefchritten: ift ein Fortſchritt in der Iehrhaften Entfaltung des ſpecifiſch viniſchen Geifted. Und eigenthümlich ift für Calvin weiter, daß ihm dieſes neue fittliche Verhalten und Wirken, obgleich es im Hfertigenden Glauben wurzeln foll, doch nicht in demfelben inneren ı wefentlichen Verhältniß zu diefem, wie namentlich bei Quther, 8 Licht tritt. Bei Luther Tieße ſich eine ſolche Stellung des ihnitte von der Rechtfertigung darum nicht- denken, weil bei ihm ? aus dem Junewerden der Vergebung und Rechtfertigung felbft, dem freien, freudigen Geift ber Berföhnung und Gotteskind⸗ it 018 ſolchem die fittlichen Bewegungen und Früchte des Wieder» orenen fließen. Bei Calvin erfcheinen die „erfte” Gnade, die Vergebung, und die zweite, die der fittlichen Erneuerung, viels dr als nebeneinander ftehend, beide als nebeneinander hervor⸗ end aus der Beziehung des Glaubens auf den Erlöfer, bei

) VeL XXIX, p. 777. 1124sqg.; Vol XXX, p. 588 (c. 16, $ 3). 502594. (c. 6).

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welchem analog bie verſöhnende unb bie heiligende Thätigkeit uche einander geftellt wird. Hiermit hängt denn zufammen, daß auf feiner Betrachtung des fittlichen Lebens ſelbſt wirklich eine arde Seite als bei Luther überwiegt, wenngleich auch diefer Unterjie deſſen wir fon oben gedacht haben, von manchen —A übertrieben worden iſt. Derſelbe gibt ſich gleichfalls ſeit Ed.2 ſchieden kund. So ſehr nämlich auch Calvin im Capitel von chriftlichen Freiheit betont, daß die Chriſten nicht mehr vom Zum des Gefeges getrieben werden, fondern, dem Joche des Gi entnommen, freiwillig Gott gehorchen, fo herrſcht doch in jei Darftellung der chriſtlichen Sittlichkeit nicht fo wie bei Luther j erhaben freie und freudige Geift der mit dem Vater verſt zu ihm gleichſam fehon in den Himmel gehobenen und nun in „herniederfahrenden“ Kinder. Im Charakter der Kinder wird ſogleich das Gehorchen als ſolches betont, Gott und Chriſtus il als mahnendes Vorbild vorgehalten, ihr fittliches Leben vor vornehmlich unter den Geſichtspunkt der Selbftverleugnung (vet. „De vita Christiana‘). Mit Beſtimmtheit trägt fo von Anfang an auch ſchon den Tertius usus legis im ftüd vom Gefege vor. Es ift bei Luther zum mindeften haft, ob er dem Geſetz für die. Wiedergeborenen eine andert deutung gebe als fofern auch fie noch Sünder find und darum immer das Strafamt des Geſetzes nöthig Haben; erft bi Intherifchen Dogmatikern wird beſtimmter auch der Didactic legis usus als folder feftgefteltt. Bei Calvin wird eben ii fon von Ed. 1 in dem genannten Abſchnitt ausgeführt. nach Ed. 2 ift diefer Gebrauch des Gefeges für bie Gfäufi in welchen der göttliche Geift ſchon Iebe und herrfche, der praecipuus et qui in proprium legis finem propius spectat“ Erft nach diefer Betrachtung des Heilsweges und Heil gehen wir dazu über, auch eigens die ewige Erwählung derjeri Berfonen zu betrachten, welche auf dem bezeichneten Werte Glaubens und der Wiedergeburt von Gott und zwar er ü Folge der ewigen Gnadenwahl zu dieſem Heile gebradit

a) Vol. XXIX, p. 50. 433; Vol. XXX, p. 261sq. (Lib. I, c. 7,51

über Calvin’s Institutio. 481:

em gegeniiber fteht die Menge Derjenigen, welche der ewige Rath⸗ Gottes der Verdammniß preisgegeben Hat. Bei Jenen hängt wer mit der Lehre von ihrer Erwählung auch die Lehre von der jarrlichkeit zuſammen, die Gott feinen Erwählten verleiht und nöge beren fie, einmal gläubig und wiedergeboren, des Glaubens heifigen Geiftes nicht wieder verluftig gehen können. Calvin ftift e8, der das Lehrftüd von der Bräbdeftination ſammt probation u. f. w. in der von uns innegehaltenen Reihen» einführt. .

Rerkwitrdig ift für uns überhaupt bei Calvin's Prädeftinationg- t [bon von vornherein die Art, wie er fie, die, fir ihn fo hohe Siigfeit Hatte und für fein Syftem ſo charakteriſtiſch ift, in die Mihrungen feine® Syſtemes durch die .verfchiedenen Ausgaben het) eingegfiedert Hat. Eingehend, nachdrücklich und mit aller Mumtheit trägt er ſie fehon in Ed. 20 vor. Man kann bei furzen Zeit, welche zwifchen Ed. 1 und Ed. 2a liegt, nicht men, daß fie für. ihm ſelbſt erft in der Zwiſchenzeit ſich fo ? feftgeftellt haben, zumal da er fie ja auch gar nicht erft neu fih zu erzeugen, fondern nach ihren Grundzügen und gerade mit den Härten, die fie bei ihm Hat, ſchon bei den Häuptern Reformation, namentlich in Luther's berühmten Buche gegen mus, ja aud in Melanchthon’s Locis bis 1535 vorgefunden % Was er Hierhergehöriges in feiner Ed. 1 vorbringt, läßt auch jehr einfach bereits als Beftandtheil der fpäter von ihm ausführlicher vorgetragenen Lehre auffaffen. Dennoch bringt a Ed. 1 mit Bezug auf fie nur ſolche allgemeine Säge vor, ein Anderer, wie etwa ein Melauchthon von feinem eigenen ren Standpunlte aus, Leicht auch in anderem Sinn hätte deuten m. Er wibmet ihr hier Keinen befonderen Abſchnitt: und zwar wegs in der Weife, wie dies hier auch mit der Rechtfertigungs- e der Fall ift, auf melde umfomehr durch's Ganze hindurch Blick gerichtet: bleibt, vielmehr fo, daß er auf jene überhaupt von gewifjen einzelnen Punkten aus zurücdjchaut. Fragt man, iin Ed. 1 als Gentraffehre ſich darftelle, fo kann man dafür ‘Herdings nur die Lehre vom Heil bezeichnen, fofern es auf md der von Gott in Chrifto geftifteten. Verſöhnung in, ber

468 Kalte

Gegenwart durch ben Glauben augeeignet werde. Gr (Vol. XXIX, p. 51) die ewige Ermählung im Gegenfag zu Begründung des Heils auf bie von dem Ehriften ſelbſt zu benden Verdienfte, indem er das Heil vielmehr allein darauf gri daß wir vor der Weltihöpfung ohne Werdienft nach Gottes gefallen erwählt, durch Ehrifti Tod erlbſt, in Chriſto von zur Sohnſchaft angenommen fein u. ſ. w:, und er erflätt demfelben Gegenfage gegen das eigene Verbienft das heilige der Chriften nur für den Weg, auf welchem Gott die zur Herrlichkeit führen wolle (p. 55 vgl. oben). Eigens von! Erwählung redet er dann bei der Lehre von ber Kirche, dem versus electorum numerus‘‘ (p. 72sqgq.), befchräntt fi j auf die allgemeine Lehre, daß Gott Die, welche er erwählt berufe, die Berufenen rechtfertige u. f. w., und daß Reine Herrlichkeit eingehen werde, ber nicht fo berufen und gerecht worden fei. Nach Denjenigen, welche Gott nicht erwählt frägt er hier gar nicht. Diejenigen, welde, mit der der Gnade in Ehrifto ſich nicht begnügend, fürmwigig in de grund der göttlichen Majeftät eindringen wollen, warnt er, u nicht Gottes Zorn Herausfordern. Bei ber Lehre Don ber Gottes, der Alles in Allem wirte (p. 63), nimmt er hierm! Sünde einfach aus, die vielmehr unferer Schlechtigkeit zuzurie fe. Im einer beiläufigen Bemerkung (p. 60) redet er auf" einem Wirken Gottes „in reprobis‘, führt aber das Böfe 4 auf die Wurzel in ihrem eigenen Inneren zurück, fagt von 9 blos, daß derſelbe ihrem eigenen böfen Willen Erfolg und Ar gebe, erwähnt nichts von ihrem Dahingegebenfein in's Böfe de einen uranfänglichen Rathſchluß Gottes felbft. Nur tritt zu ja allgemeinen Ausfagen über die Ermählung ſchon jet in Ber der Perfeverang der charakteriſtiſch caloinifhe Sat, daß, I! Kirche das Bolt der Erwählten fei, wahre Glieder der Kirk ı moglich mehr ſchließlich verloren gehen können (p. 73) °).— | ») A. Schweizer (Die proteft. Ceutraldoguen u. ſ. w. I, 150f.) tt VBerbienfl, wohl zuerſt wieder in Erinnerung gebracht zu haben, daß ü uerſt nur fehr beſcheiden dieſe Lehre fo, wie fie ſchon vor ihm breitet war, belasmte*.

über Cofotr’s Institutio. 469

m folgenden Ausgaben fah ſich dann aljo Calvin veranlaßt, die chre, die ex theilweife auch bei evangelifch Gefinnten gefährdet ſah, inerſeits defto jhärfer nad) ihrem ganzen Inhalte zu entfalten. ur deſto mehr fällt dann aber auch auf, daß er ihr dennoch erft e Stelle Hinter jenen anderen Lehrſtücken zuweiſt. Man ſollte nten, er habe bei der Eingliederung derfelben ebenfo freie Hand habt, wie bei der des neuen befonderen Hauptſtückes von der ehtfertigung und von der Buße. Zudem ändern die Ed. 2b d die Ed. 3 noch die Stellung derfelben, aber nur um vor t auch noch die Lehre von der chrijtlichen Freiheit umd weiter die am Gebet und vom chriftlichen Leben durchzunehmen. Wir men biefe Behandlung der Prädeftinationslehre im Syſtem der atitutio nur begreifen, wenn ber erfte und nächfte Gegenftand Krefigiöß« hriftlichen Intereſſes für Calvin eben nicht der ewige Michlug ſelbſt war, auf welden der ſeligmachende Glaube ſich hen müffe, fondern vielmehr immer die gegenwärtige Heilsdar- Wung in Ehrifto mit der gegenwärtigen Heilserfahrung und die enwärtigen Erweifungen Gottes überhaupt an das Subject, oder 3, was das Subject von dem gegenwärtig wirkenden Gott inne id; wir fönnen fie ferner nur begreifen, wenn Calvin es nicht # für die Sache einer hriftlich-populären Untermeifung, fondern h für die Aufgabe einer chriſtlich-wiſſenſchaftlichen Dogmatik fh, von dem auszugehen und zunächft ganz bei dem zu verweilen, s jenes Intereſſes näcjfter Gegenftand fei. Bon hier aus erft aut er zurück anf jene ewige Willensbeftimmung in Gott. Un d aber ift diefelbe allerdings für ihn die nothwendige Prämiffe, f welcher der ganze Inhalt unferer gegenwärtigen chriftlich » refis Hen Erfahrung nicht blos an und für ſich ruhe, fondern welche, mit diefer Inhalt. für ung Wahrheit und Gewißheit Habe, auch : die gläubige Erkenntniß feftgeitelit und feitgehaften werden müſſe. id zwar ift eben ihm der befondere Eifer eigen, womit er darauf t Ed. 2 der Institutio dringt und beharrt. Man erkennt in jem Fortſchreiten oder Rückſchreiten von der gegenwärtigen Er» ung aus zu ihrer Begründung im ewigen Rathſchluß einen At fühner Conſequenz. Zugleich aber wird von da aus auch iteres Licht zurüdfallen auf die befondere Art, wie ſchon jene

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gegenwärtige Erfahrung jelbft und das gegenwärtige Verhältniß awifchen Gott und Menſch überhaupt ſich ihm vermöge der Eigen: thumlichkeit feines religiöfen Geiftes darftellte.

Betrachten wir jedoch, ehe wir weiter über’ die Stellung dei Prüdeftinationgfehre in der Institutio reflectiren, erſt näher nodı ihren Inhalt, wie er feit Ed. 2 vorliegt. Wir haben uns gehütet, in die zuvor erörterten Lehren vom geſchichtlichen Berföhnungswerte, von ber zeitlichen Heilsdarbietung durch's Evangelium, von der zeitlichen Heilsaneignung durch den rechtfertigenden und wiedergebät renden Glauben ſchon weiter, ald Calvin jelbft es thut, bie Rüd fiht auf den ewigen, unwandelbaren Willen Gottes hereinzuzichen Wir müffen uns nicht minder Hüten, das, was er nachher ü diefen Willen vorträgt, abzuſchwächen. Auch jetzt verweift er jenigen, welde mit Gottes Rathſchluß ſich befchäftigen, anf Wort, durch weldes Gott den Gnadenrathſchluß vollziehen walk, auf den Verfühner Ehriftus, in welchem Gottes ewige Liebe und gegenwärtig darftelle: Chriftus fei der Spiegel, in melden wir unfere Erwählung betrachten ſollen *). Jetzt aber wird zuge nachdrucklich und rückhaltslos erklärt, daß, wie die gläubige An— Eprifti und des Evangeliums ſchlechthin nur durch das freie Wir des göttlichen Geiftes in den Subjecten hervorgebracht werde, i6 aud einer unzähligen Menge von Subjecten diefe Gnadenwirtug vorenthalten und hiermit die Annahme des Heiles unmöglich bleibe, und daß das zweite wie das erfte von Ewigkeit her in Gottes m bedingtem Rathſchluſſe feftitehe: wie bei den Erwählten dann m der Berufung und Rechtfertigung die ewige Gnadenwahl fih m erkennen gibt, fo bei deu Verworfenen das für fe beſtimmte Gericht darin, daß Gott fie von der Heilserfeuntnig und von feinem Geil der Heiligung ausſchließt ). Da genügt denn für Die, melde ihres Heiles gewiß werden ſollen, aud nicht mehr jener Hinweiu auf die objective Darbietung des Heiles in Ehrifto und dem Heilt worte, wonach fie glaubend greifen follen: es fragt fid ja no, ob Gott felbft diefes Glauben nach feinem Rathſchluß ihnen ver

a) Vol. XXIX, p. 880; Vol. XXX, p. 7l5sq. (Lib. UI, c. 24, $ 5). .b),VoL XXIX, p. 865; Vol. XXX, p. 686 (c..21,.8 7).

über Calvin's Institutio. 471

leihen wolfe oder verliehen Habe, umd zwar ein nicht blos ſchein⸗ bares und mit Selbfttäufchung verbundenes Glauben, wie e8 nad Ealoin auch bei Verworfenen ftatthat, fondern ein wahrhaftes, feftes, umverrüdbares Anhängen an Chriftus. Hierfür erſcheinen mm bei Calvin die Gläubigen weiter auf ein unmittelbares indivi» welles Innewerden des Geiftes als eines ihmen felbft ſchon mit- jetheilten verwiefen. So vermweift er in Sägen, welde die Ed. 3 Anfügt, auf 1905. 3, 24: „inde agnoseimus nos esse filios, x spiritu quem dedit nobis“ *). Wir bemerken indeffen, dag lalvin felbft auch im Abſchnitt von der Präbeftination diefe Re— krion der Gläubigen auf ihren eigenes? inneren Zuftand zum Behuf ber Vergewiſſerung von ihrem wahrhaften Heilsbeſitze doch nicht R, wie es uns confequenterweife nöthig feheinen möchte, betont und iefolgt; er wiederholt für Chriften, welchen das Myſterium der kideftination bange macht, doch mehr nur ähnlich wie Luther ft allgemeine Mahnung, an Gottes Offenbarung in Chriſtus ih zu halten, ohne Zweifel vorausfegend, daß, wenn diefelben er. aahlt feien, Gott eben auch dieſer Ermahnung Kraft geben und ach das Wort von Chriftus fie auch zur wahren inneren Sicher- eit thatfächlich bringen werde. Nicht überflüffig wird gegenüber on neueren Darftellungen des reformirten Shftems nebenbei auch ie Bemerkung fein, daß die guten Werke, welche wir im Abfchnitt om der Rechtfertigung als Zeugniffe der Berufung und Kindſchaft Beichnet fanden, doch von Calvin gerade bei der Prädeftinationd« hre felbft nicht wieder in biefer ihrer Bedeutung hervorgehoben verden: fo fern bleibt Calvin davon, auch nur wenigftens die ſub⸗ etive Gewißheit des Heils weſentlich auf fie zu ftügen und dann wa dies zum Hauptmotiv für das Ueben der guten Werke zu tahen. Andererſeits, mit Bezug auf die Vermworfenen, erhebt ch das Bedenken, wie jenes unbedingte Decret über fie mit Gottes hiſchem Charakter ſich vertrage. Und mit Bezug hierauf fpricht 4 jest die igenthümlichleit des Calviniſchen Standpunftes in d. 2 und nod) weiter in einzelnen Sägen der Ed. 3 unverhüllt 18. Er bleibt feineswegs nur bei der Antwort ftehen, daß fie ja

a) Vol. XXX, p. 718 (c. 24, $ 8) cf. Vol. XXIX, p. 8785qq. 882, Theol. Stud. Jahrg. 1868. 82

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dvermöge ihrer eigenen, ihnen angeerbten Sünde verdammungsweri feien. Gr hatte ja jet, wie wir oben fahen, auch das, daß vm Adam aus die Sünde auf fie fid) vererben follte, einfach auf den Willen Gottes felbft zurüdgeführt. Die Berufung auf dieſen Willen genügt ihm auch gegen alle Bedenken über die Neprobation: dem jeder Einwurf gegen denfelben ift Frevel wider die göttliche Majeftät. Der Frage, warum Gott Jenen die Gnade vorenthalte, jtellt die, Ed. 3 in new eingefügten Sägen die frage entgegen, ob er dem nad) der abjoluten Freiheit feines Willens nicht auch Ochſen, Ciel oder Hunde hätte ans ihnen machen können. Und ſchon die Ed.? ftelft den Hauptſatz auf: ‚„‚Quidquid Deus vult, eo ipso, quod valt, justum habendum‘“ ®). ° Unter den Gefichtspunkt der bri⸗ deftination ſtellt er endlich fhon in Ed.2 aud den Fall Adams; auch von ihm fagt er: „„Deum non modo praevidisse sed ı- bitrio quoque suo dispensasse“. Wenn er daneben dem betont, daß „cadit homo Dei providentia sic ordinantg, sed suo vitio cadit“, fo läßt doch hierfür meines Erachtens I ganze Zufammenhang feiner Lehre nicht etwa nod die Auffofag zu, daß Adam’st Uebertretung „nur als eine für Gott g

Größe in die allgemeine Weltordnung (ordinatio) mit aufgenomat ſei“ (Dorner, Geſch. d. prot. Theol., S. 389). Calvin king! vollends in Ed. 3 beſtimmt gegen Die, welche meinen, Gott hir es in dem freien Willen Adam’ geftelit, fein Schickſal fich zu g ftalten, und Habe nur bejchloffen gehabt, ihn nad) feinem Berdienk zu behandeln. Dazu haben wir beizuziehen, was er in Ed 3) Zuvor, in den neuen Abfchnitten vom Urzuftand, über Adam au gefagt hat. Hier will er die Frage nad) der Prädeftimation aus drücklich noch fernhalten und äußert zugleich, Adam Hütte ſteher können, wenn er gewollt Hätte, und fei mur durch feinen eigen Willen gefallen. Aber er fügt bei: Adam fei deswegen, weil ihm die constantia perseverandi nidjt verlichen geweſen fei, jo litt gefallen; und weiter hören wir hier: Gott Habe ihm auch eins binfälligen Willen (volunt. caducam) gegeben, „ut &

4) Vol. XXX, p. 687 (c. 22, $ 1); Vol. XL, p. 870; Vol. II. p- 700 (c. 28, $ 2).

über Calvin's Institutio. 478

ilius lapsu gloriae suae materiam eliceret“. Suchen wir diefer ganzen Anſchauung Calvin's eine über feine ausdrüdlichen Borte hinausgehende Ergänzung zu geben, jo kann es, wie mir ſcheint, nur diefe fein: Adam fei allerdings durch feinen eigenen Bien gefallen und diefe feine Willensbeftimmung fei keineswegs pofitid von Gott gewirkt worden; wohl aber fei biefelbe bei ihm deshalb nicht blos leicht, fondern in Wahrheit unvermeibficherweife ingetreten, weil fein Wille vermöge des natürlichen, creatürlichen Mangels an fittlicher Kraft und vermöge des Fehlens jener Gottes» yabe der Beharrlichkeit der Verfuhung nicht Stand zu Halten vers nocht Habe, und fo fei es ergangen eben nach dem ewigen Rath⸗

Muß Gottes zum Zwed feiner Verherrlichung; es ift dies fo eine,

Kffaffung vom Falle Adam's, welche weſentlich mit der Luther's Rker Schrift gegen Erasmus zufammentrifft. In diefem Sinne ht dann Calvin in Ed. 3 auch ben Sag Anguftin’s fich ange Ignet: „Deum sic ordinasse angelorum et hominum vitam, # prius ostenderet quid posset liberum arbitrium‘ deinde uid posset gratiae suae benefieium justitigeque judieium ®). fa eben auch der Fall der Engel wird nach Calvin nicht anders ufgefaßt werden können. Erſt Ed. 3 läßt auch auf ihn vollends t diefer Beziehung ein Licht fallen: wie am der eben angeführten Stelle, jo noch beftimmter in c. 23, $ 4, wo es im Gegenjag ı dem guten, „auserwählten“ Engeln (1Xim. 5, 21) von den nderen Heißt: „Aliorum defectio arguit fuisse derelictes; ujus rei causa non potest alia adduci quam reprobatio, uae in arcano Dei consilio sita est.“

Sehen wir nun aber von Bier aus wieder auf das Syſtem im Janzen, fo werben wir jet doch das gewöhnliche Urtheil über alvin's Eonfequenz als eine ſyſtematiſch durchgreifende und um- ngfame weſentlich einſchränken müſſen. Mußte ihn nicht eine ſolche onfequenz, wenn fie ih fo weit führen mußte, auch noch weiter eiben? Warum, wie wir bereits am Schluffe des erften Artilels agten, hat er nicht wenigftens in der Ed. 3, wo er auders

a) Vol. XXIX, p. 873sq.; Vol. XXX, p. 70459. (c. 28, 8 78q.) 148 (Lib. I, c. 18,8 9). 32*

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als früher eine ausführlichere Erörterung über Adam's Fell ſchon dem 1. Buch eingefügt hat, hierbei auch ſchon des göttfihen Decretes gedacht, durch welches derfelbe nad) dem 3. Bud ver- ordnet war, vielmehr dieſes hier ganz unmotivirterweife noch aut dem Spiel lafjen wollen? Warum hat er nicht die ganze Ent wicklung der Menfchheit durch Sünde und Gnade, wie fie ihm durch dieſes Decret gejegt ift, jet auch von Anfang an als Vollziehung deſſelben dargeftellt, ja wohl gar auch ſchon den erften Eintritt der Simde in ber Engelwelt unter eben diefem Gefictspunfte voran geftellt? Dazu erinnern wir an jene Confequenzen, die von feiner Prädeftinationsfehre aus für die vorher von ihm entwickelte Ver⸗ ſohnungs⸗ und Rechtfertigungslehre fich zu erheben droßten. Welch ganz andere Geftalt hätte fo fein Syſtem erhalten können! Betrachten wir ferner das unmittelbare chriftlich-religiöfe Bewußt⸗ fein, auf deſſen Grund er nach jenen ewigen Nathichlüffen Gotth zurücſchaute, fo hört man wohl häufig fagen, das reformatoridt Grundberbußtfein von der freien Erbarmung Gottes treibe ae fequenterweife zu jener ftrengen Prädeftinationstheorie. Aber je dem daffelbe nicht noch andere Seiten in ſich, welche eine an Löfung fordern, und war jene nicht für Calvin blos deswegen gr fordert und überhaupt möglich, weil in der Eigenthümlichkeit feintt teligiöfen Grundanſchauung diefe Seiten weniger Gewicht hatten, | als fie es fr andere evangelifche Theologen haben und wohl uud nad dem evangelifchen Princip felbft haben follen? Gehört dam nicht and eine ſolche Auffaffung der fittlichen Perfönlichkeit und zugleich des Gegenfages Gottes gegen das Böje, welche wenigitert jene Auffaffung vom urfprünglichen Sündenfall ausſchloß? und hat wohl nicht eben ein Gefühl hierfür auch Calvin felbft abgehalten, noch beftimmter über diefen fich zu erflären und mit jenem Decret Gottes den Anfang zu machen? Cr geht hierbei aber doch fo meit, als wir ihm gehen fahen, weil er gegenüber vom abfoluten Gott die Creatur ſchon an ſich fo umfelbftändig und ſchwach meint denten zu müffen: ob vermöge des ſpecifiſch evangeliſchen Princips, wäre eben erft noch die Frage. Es ift ja ferner nicht blos Frei- heit ber göttlichen Liebe, was diefes Princip lehrt, ſondern es it vor Allem bie Liebe ſelbſt als Grunbbeftimmung in Gott. C*

über Ealvin’s Institutio. 475

fragt fich, ob nicht von hier aus der Conjequenz, welche man aus iener Freiheit ziehen möchte, dennoch gewehrt wird. Bei Calvin aber kommen wir jo darauf zurüd, daß bei ihm diefer Liche in Gott etwas Anderes -ungeeinigt und mit einem gewiſſen Uebergewichte gegenüber ftehen bfeibt. Und zwar meinen wir mit biefem Anderen weniger die göttliche Strafgerechtigfeit, die er allerdings felbft ihr gegenüberftellt, deren Gewicht und aber zur Erffärung feiner Lehre noch nicht genügt, da fie ja doch auch ſchon durch Chrifti Straf» feiden befriedigt erfcheinen konnte. Wir meinen weit mehr noch das Alles überwiegende Bewußtfein von der abfoluten göttlichen Sou- veränität, Willensfreibeit und Willensmacht als folder: fie ift’s, die bei Calvin über dem Walten der Liebe und der verdammenden Gerechtigkeit fteht, die eben darin, daß fie rein nach freier Wahl tils begnadigt, theils verwirft, ſich felbft bethätigt und in ber gähmäßigen Durchführung diefes verfchiedenen Wirkens ſich ſelbſt vderherrlicht, die endlich eben vermöge ihres Weſens auch alle im ſittlich- veligiöfen Bewußtſein des Menſchen wider fie auffteigenden Fragen als Verlegung der ihr ſchuldigen Ehrfurcht verwehrt und serdammt. Charalteriſtiſch bleibt freilich für Calvin fein Streben aach ftrenger Conſequenz und nach Einheit des Syſtemes. Nicht ninder charateriftifch aber ift e8 gewiß für ihm, daß er, während er doch die letzen Conſequenzen nicht zu ziehen fich berufen fühlt und zu einer wirklichen inneren Einigung der verfchiedenen Seiten, Motive und Intereſſen des evangelifchen Principe doch nicht ger fangt, an den Schranken,welche er fich hierfür geſetzt findet, mit einfacher Entfagung vor der göttlichen Majeftät ſich beugt und die gleiche Entfagung Alten zur Pflicht macht. Und gerade in der fortfchreitenden Entwicklung der Institutio fommt auch diefe feine Eigenthümlichkeit immer mehr nod zum Ausdrud,

Auf die bisher beſprochenen Lehrſtücke bin ich fo weit, wie hier geliehen ift, eingegangen, weil mir vornehmlich die hier hervor- tretenden, beziehungsweife nicht Hervortretenden Eigenthümlichkeiten Calvin's gerade auch nad) den verfchiedenartigen darauf gerichteten Arbeiten neuerer Theologen noch einer genaueren Unterfuchung zu bedürfen ſchienen.

Beſtimmt, wie es bei jenen Lehren nicht der Fall war, liegt

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416 Köplin _

num feine Eigenthümlichkeit in Betreff der Gnadenmittellehre oder wenigftens Abendmahlslchre uns fchon im der eriten Bearbeitung der Institutio vor: ſowohl der Unterfchied von ver lutheriſchen Theorie, als zugleich das Streben, dennoch eine tiefe Bedeutung des Sacramentes für die Heilsdarbietung Gottes an uns feftzuhalten. In der geſchichtlichen Entwielung der Institutio aber verdient vornehmlich das unſere Aufmerkjamteit, daß zumeift eben diefes Streben in den folgenden Ausgaben und zwar auch noch in der Ed. 3, welcher ſchon der Heftige Bruch zwifchen Calvin und den Zutheranern vorangegangen war, mit fortjchreitender Stärk ſich bethätigt und zu weit volleren Ausfogen als in Ed. 1 führt, während freilich aud jene andere Seite unverrüdt beftehen bleibt und uns für mande jener Ausfagen die Frage nahe legt, ob Calvin nicht zu viel, nämlich mehr, als er jelber eigentlich wolle, wit ihnen anszufagen ſcheine. Wie er ſchon in Ed. 1 darauf gedrungen hat, daß der Glaube feinen Gegenftand, feine Grundlage, feinen Halt u. f. w. im Worte habe, fo ſpricht er nachher aus, dag Got immer Denen, die er zu fich ziehen wolle, durch's Wort id vergegenwärtige, findet im Worte (inesse in verbo) die „ek caciam vitae‘‘, vergleicht weiter in Ed. 3 die Nothwendigfeit da Wortes für den Glauben mit der Nothwendigkeit der Lebendign Wurzel des Baumes für die Früchte, nennt gleichfalls im einem Zufag der Ed. 3 das Wort einen unvergänglichen Samen, deſſeu Keimfraft in den Gläubigen nie ganz verdorre *). Bon den Sr cramenten hat ſchon die Ed. 1 erklärt, daß durch fie, diefe Pfänder der göttlichen Gnade, der Glaube genährt werde, wie Gott dur) Brod unfern Leib nähre. Die Ed. 2 gibt zu: „Dominum prae- sentissima spiritus sui virtute suae institutioni adesse‘‘. Di Ed. 2b fügt bei: Chriſtus jelbft jei die Subftanz der Sacrament, und die Kraft und Wahrheit derfelben an fi folle vom Zuſtande des Empfängers nicht abhängig gemacht werden. Gleichlautend wie bei Luther werden das Wort und die Sacramente um deswillen für Kennzeichen der Kirche erflärt, weil fie „nirgends fein fönnen,

a) Vol. XXIX, p. 57. 455; Vol. XXX, p. 402 (Lib. IH, c.2,$6.

422 ($ 31). 415 ($ 21).

über Calvin's Institutio. 47

ohne daß fie Frucht brächten“ *). Dazu faßte Ealvin die inneren Vorgänge felbft, fir welche die Sacramente zu Pfändern, ja eben hiermit auch zu Werkzeugen dienen follten, in tief myſtiſcher Weife af. Es ift Abtödtung, Neubelebung und Mittheilung aller Gaben Ihrifti, um was es bei der Taufe für ihn fich handelt. Dabei findet er eine gewiſſe geheimnißvolfe erleuchtende Einwirkung der jöttfihen Gnade auch fehon in den neugeborenen Täuffingen möglich, vbgleich er feit Ed. 2% und weiter feit Ed. 2 vorſichtig beifügt: r wolle hiermit in Betreff diefer Kinder nicht behaupten „,eadem se fide praeditos quam nos experimus, aut (fo feit Ed. 2) mnino habere notitiam fidei similem‘“, wolle vielmehr dies dahingeſtellt fein laſſen. Hinſichtlich des äußeren Actes der Taufe Mit er Schon feit Ed. 1 neben den Sag, daß jene Gnadengaben m Sacramente nicht eingefhloffen feien, den anderen, daß mir erzeugt fein follen, Gott übe doc fo gewiß, al& der äußere Act rellzogen werde, jene Gnadenwirkungen in uns. Während er ferner in Ed. 1 bei jenem erften Sat auch das verneint hatte, „quod #cramentum organum aut instrumentum sit, quo [gratiae Ilse] nobis conferantur‘, hat er feit Ed. 2 die gegen ben Be— zriff des Werkzeuges gerichteten Worte gejtrichen: er redet polemifch ur noch von einem ſolchen Eingefchloffenfein der Gnadengaben im Sacrament, wobei dieſes vermöge eigener Kraft fie mittheilen ollte; und Ed. 3 fügt dazu weiter den pofitiven Sag: „Dominus welher uns im Sacrament ein Pfand feines Willens gebe) in tem praesentem nos adducit et, quod figurat, efficaciter mul implet‘“ ®). Die geiftlihe Gabe oder Speife für bie Seele, ım die es beim Abendmahl fich handeln foll, hatte die Ed. 1 zu> jammenfaffend ausgedrüdt in dem Sage: daß Chrifti Leib und Blut unfer werde, Heiße fo viel, als daß wir den ganzen für ums jefreuzigten Chriftus befigen und aller feiner Güter theilhaftig werden. Eben im diefe reale Mittheilung oder in das Eſſen felbft,

®) Vol. XXIX, p. 1045q. 950; Vol. XXX, p. 954 (Lib. IV, c. 14, 8 17); Vol. XXIX, p. 544; Vol. XXX, p. 754 (Lib. IV, c. 1, $ 10).

b) Vol. XXIX, p. 982; Vol. XXX, p. 990 (c. 16, $ 19); Vol. XXIX, p. 115. 965; Vol. XXX, p. 970 (c. 15, $ 16).

478 . Köflin

das nicht mit dem Glauben eins, fondern des Glaubens Folge id, ſucht dann die Ed. 2 noch in weit vollerer Darftellung einzuführen. Und zwar hat fi Calvin jet erft ganz fpeciell und in fichtlichem, angelegentliyem Arbeiten und Ringen des dogmatijchen Gedankens mit der befonderen Bedeutung befchäftigt, welche in der allgemeinen Mittheilung Eprifti feinem Leibe oder Fleiſche zukomme. Jetzt erit trägt er die ihm eigenthümliche Auffaffung derfelben vor, melde er ausdrüdt in dem Bilde: wie man Waffer aus einer Duelle durch Canäle auf die Felder Leite, fo ftröme das Fleiſch Chrifti das aus der Gottheit ihm zuquellende Leben auf uns über, indem es felbft einer reichen, unerſchöpften Quelle gleiche. Indem fein Leib und dargeboten werde, in welchem er allen Gehorfam zum Behuf unferer Gerechtigkeit erfüllt habe, werden wir zuerjt mit ihm felbft Ein Leib und genießen dann, feiner Subftanz theilpaftig geworden, auch feine Kraft in der Gemeinfchaft aller feiner Güter. Eine Erflärung der Ed. 1, wonad uns „nicht die Subftanz de, Xeibes oder (seu) der wahre und natürliche Leib Chriſti, fondeni alfe von ihm in feinem Leib geleiteten Wohlthaten“ zugetheilt ſollen, ift feit Ed. 2 weggefallen. In dem auf diefe Ausgkr folgenden befondern Libellus de coena Domini gebraucht Ealıa « im Gegentheil vollends den Ausdrud: „Christum nobis veran propriamque corporis et satguinis sui ‚substantiam nobi dare.“‘ Andererfeits jagt wiederum die Institutio in Ed. 3 ne } genauer; „Christum e carnis suae substantia propriam in nos vitam diffundere, quamvis in nos non ingrediatur ipsa Christi caro.“*) Zugleich übrigens Täßt jegt Calvin ſeit Ed. 2 jene Gemeinfhaft mit Ehrifti Leib für uns durd den Geift ChHrifti vermittelt werden; er vergleicht mit der Art, wie fie uns durch diefen zu Theil werde, die Art, wie die Sonne ver- mittelft ihrer Strahlen gewifjermaßen ihre eigene Subftanz br Erde zulommen laſſe; er nennt aud den Geift gleichſam einen Canal, durch den Alles, was Chriftus fei und habe, uns zufliege?).

a) Vol. XXIX, p. 120sq. 1000sqg.; Vol. XXX, p. 1007 qq. (beider e.17,8 9); Vol. XXIX, p. 123. 1010; Vol. XXX, p. 10925q. ($ 3). Libell. de coena: edit. Gener. 1545, p. 28.

b) Vol. XXIX, p. 1008sq.; Vol. XXX, p. 1011. 1009 ($ 12. $ 10)

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über Calvin's Institutio. 479

tan wird nun gutes Recht Haben zu Zweifeln darüber, ob Calvin og aller feiner Bemühungen einem hier die erforderliche Klarheit währe, ob nicht eben auch diefes Verhältniß des Geiftes, der 1 Canal für Ehrifti Leib, und wiederum des Leibes, der ein Canal t das göttliche Geifteswefen Chriſti fein fol, eine große Unklar⸗ it in ſich ſchließe, ob ein ftrengeres Denken überhaupt mit er Mittheilung des Leibes jelbft in Calvin's Syftem Ernft machen me und nicht vielmehr von hier aus doch immer wieder nur auf n Genuß der von Epriftus im Fleiſch vollbrachten Leiftungen d zugleich auf eine den Glauben ftärkende Betrachtung der wahren id fortwährenden Menfchheit des Mittlers werde zurückkommen üffen. Aber Calvin felbft ift es jedenfalls hoher Ernft damit, t Realität jener ganzen Mittheilung feitzuftellen. Er erklärt au) M, daß er mit allem Neden dem Gegenftand noch nicht zu ge» im ſich bewußt fei, und ermahnt die Leſer, noch viel höher maufzufteigen, als“ er jelbft fie zu führen vermöge. Er durfte in etreff jener Lehren den Gegnern, welche ihm Rationalismus vor⸗ arfen, mit vollem Recht entgegnen: ob er etwa alles Das durch + Bernunft ſich habe ehren laſſen *). So befennt er denn endlich 4 mit Bezug auf die Frage, wie die Darbietung jener Gabe !facramentalen Acte vor ſich gehe, feit der Ed. 2b: das eheimniß fei zu tief, als daß et es zu faffen oder auszufprechen mödte. Eben unter den Symbolen, jagt er dann, follen wir m Leib nehmen umd effen. Eben im Abendmahl, jagt er in d. 3, wolle Chriftus feinen Geift wirken Laffen, um zu’ erfülen, 26 dort im Zeichen verheißen fei. Und gerade noch in der Iegten gabe fügt er vollends bei mit Rückſicht auf die Unwürdigen: t Leib werde auch ihnen „nicht minder wahrhaftig gegeben“ ale nÖläubigen, während freilich, wie der Regen von hartem Geftein fliege, fo jene durch ihre Härtigfeit die Gnade Gottes zurück-⸗ en, daß fie nicht zu ihnen eindringe d). Allein während albin's Ausfagen nad) diefer Seite hin fortwähren und fi noch

%) Vol. XXIX, p. 1000; Vol, XXX, p. 1028 ($ 24). b) Vol. XXIK, p. 104. 943sq.; Vol. XXX, p. 947 (C. 14, $ 8); Vol. XXIK, p. 1010; Vol. XXX, p. 1032. 1009. 1085 ($$ 32. 10. 33.)

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verftärfen, bleiben doch nad) der bereits oben bezeichneten anderen Seite Hin feine Erflärungen deutlich und kräftig genug ımd fordern, daß nicht mehr, als mit ihnen ſich vertrage, im jene gelegt werde. Nicht blos nicht eingefchfoffen foll die Wirkſamkeit Gottes in die Gnadenmittel fein; fondern während wir alle die bisher er« wähnten Erflärungen vernehmen, wird doch immer wieder neben- einander geftellt: das Lehren des Wortes, die Bekräftigung di die Sacramente, und dann erft („postremo") die Wirkfamtei des Geiftes, welche die Herzen öffne *). Und einestheil® vedet ba: Calvin trog jenem Sage, daß Gott immer durch's Wort ziel beifäufig auch von „Vielen“, denen Gott durch ben Geift Predigt des Wortes feine Erfenntniß geſchenlt habe. Anderentheilt was für und die Hauptſache fein wird, erklärt er ſchon v Ed. 1 her, daß die Gnadenmittel den Geift nicht Allen zufüh fondern der Herr ifm nur „peculiariter suis ſchenke“ ®); dies muß vollends feit Ed. 2 für Calvin's Gnabenmittellehre vornherein und durchweg in Betracht gezogen werben, nachdem ihr hier jene ausführliche Lehre von der Präbeftination Hat gehen laffen. Da fagt denn Calvin in Betreff der Taufe nur von den Erwählten umter den Kindern, daß Gott, was er der Taufe begonnen, bei ihnen nachher weiter vollziehen und ſchon nad; der Kaufe verftorbenen doch auch jo, wie er es gut erneuern werde °). Und in Betreff jener hartherzigen Empfän des Abendmahls müffen wir nad Calvin’ Sinn beifügen, M Gott felbft die wahre Aufnahme feiner Gabe ihnen nicht mögli machen wolle. Wenn Calvin doc diefe Werkzeuge Gottes fi unfere geiftige Ernährung mit dem Brod und anderen Werkzeug für unfer natürliches Leben vergleicht, fo darf Hieraus ſchon deswillen defto weniger gefolgert werben, da er ja jet (vgl. obr ©. 427) eben auch auf die Unabhängigkeit Gottes von diefen m törfichen Werkzeugen fo lebhaft dringt. Füglich fragen wir, wit weit hiernach die Sacramente auch nur noch für fihere Pfändet

a) Vol. XXIX, p. 981; Vol. XXX, p. 989 (c. 16, $ 19). b) Vol. XXIK, p. 107. 960; Vol. XXX, p. 954 (c. 14, $ 17). ©) Vol XXIK, p. 988sg.; Vol. XXX, p. 91 (c. 16, 8 21).

über Caloin's Institutio. 48

a Alle, welchen Gott fie fpenden läßt, gelten können. Calvin ft aber geht auch Hier auf die Confequenzen nicht, wie wir's warten und wünfchen möchten, ein; es fehlt auch feiner Ausfüh- ung über die Gnadenmittel, und zwar aud noch in Ed. 2 u. 3, ne durchgreifende Beziehung auf die Präbdeftinationslehre,

In diefer Weife alfo umd innerhalb diefer Grenzen betont und folgt Calvin bei den fortgefegten Bearbeitungen feiner Institutio e Bedeutung der objectiven, äußeren Hülfsmittel (subsidia, Lib. J. ec. 1, 8 1), deren Gott zu feinem Wirken in den Gläubigen d bedienen wolle. So ftellt er denn unter diefen Gefichtspunft ih mehr und mehr die Kirche, welcher eben jene Gnadenmittel xrtragen find. Ja in feiner anderen Beziehung zeigen die ſpä⸗ mu Ausgaben der Institutio ein ftärferes Fortſchreiten, als in mNahdrud, womit er dieſe anftaltlihe Seite im Wefen der Inge betont. Die Ed. 1 hat die Kirche wefentlich als den „uni- sus electorum numerus ‘‘ betrachtet, wie fie ja in diefem Ab⸗ mitt auch ihre Hauptfäge über die Erwählung felber vorgetragen t; hier, fagt fie, genießen die Erwählten in ihrer Gemeinschaft tinander aller Güter; von dieſer Kirche fagt fie dann auch, daß t, in ihren Leib aufgenommen, die Vergebung der Sünden er= gen, und daß außer ihr fein Heil fei, fo wie fie felbft auf der sgebung der Sünden beruhe. Bon demfelben Begriff der Kirche * Calvin aud in Ed. 2 aus und knüpft daran den Sag, daß unfere Mutter jei, wir in ihrem Schooß empfangen, in ihrem Hoofe gehegt werden müffen u. f. w.; fofort aber geht er jegt timmter und ausführlich zur fichtbaren Kirche über, zu ihrer torität und feit Ed. 2b zu dem ordo gubernandi ecclesiam. ı der Ed. 3 ftelft er gleichfalls noch jenen Begriff voran, fpricht = hiervon nur kurz und handelt weiterhin ganz von der externa, übilis ecclesia, führt auch erft mit Bezug auf fie, und zwar t mit gefteigertem Nachdruck, die Bedeutung der Kirche ald un⸗ er Mutter ein*). Und hier macht nun bei ihm in Ed. 2 und llends in Ed. 3 noch ein anderes Moment als bei den oben geführten Sägen über die Onadenmittel mit Macht ſich geltend-

» Vol. XXIX, p. 725qg. 5878gg.; Vol. XXX, p. 74ösga. (c. 1).

482 Köflin

Neben den Gefichtspunft der Gnade, welche in der Kirche und den Gnadenmitteln ſich darbiete, ja beziehungsweiſe über denfelben tritt jetzt der Gefichtspunft des gebietenden göttlichen Willens, der cn an die hier von Gott geftifteten Ordnungen uns gewieſen hat. Zu ienen Gnadenmitteln, die man eben in der fihtbaren Kirche ge) brauchen foll, kommen ferner die Ordnungen der Zucht und de Selbftheiligung der Kirche, welche nach Gottes Willen zu üben i fammt den geordneten Einrichtungen, welche überdies für ein

meinleben als foldes Bebürfnig find. Was hier zur befonde Geltung kommt, ift die dem Calvin eigene praftifch = fittliche fittlih-fociale Tendenz, mit der Hinkehr des Blickes auf Gott den heiligen Herrn und Gefeggeber, und zugleich mit einem gewiſſ gefeglichen Charakter. Und fie kommt fo zur Geltung ofi unter dem Einfluß der praftifhen Kämpfe, welche Calvin ſe als Organifator der ſichtbaren Kirche zu beftehen hatte. Zu di Kirche mit ihrer äußeren Predigt des Wortes und überhaupt den „vehicula‘, durch welche hier Gott uns zu ſich ziehen m follen, fagt die Ed. 3, ſich Alle ebenſo Halten, wie einft Je zum Einen Heiligtfum. Seit Ed. 2b erhalten wir eine einge pofitive Darlegung von einer potestas ecclesiae, "welche b: in doctrina, in jurisdietione und in legibus ferendis. 4 diefes dritte Stüd (das übrigens die Ed. 2b erft im nachfolgent Gapitel De traditionibus humanis ausführt) wird fo mit da beiden erften zufammengeftelft: die Kirche bedarf folcher Grit wie jede menfchliche politia, nur müfjen fie einfach aus den cn

14, 40 angedeuteten Rückſichten, nicht aus Tatholifchem Aberglaubt hervorgehen. Mit Bezug auf alle diefe Stüde wird dann gedru auf die Autorität der Kirche, auf den Gehorfam,. welchen Alte ik ſchuldig feien *). Die Uebung aller diefer Thätigfeiten endlid «| ſcheint niedergelegt in die Hände der kirchlichen Amtsträger, der ministri. Indem die Ed. 3 ihr 4. Buch „De externis medis vel adminiculis ete.“ mit dem Hinweis auf unfer Bedürfri folger Hilfsmittel eröffnet, ſtellt fie gleich als Erftes hin die Be a) Vol. XXX, p. 751 (c. 1, $ 6); Vol. XXIX, p. 6285qg. 857599. 5: Vol. XXX, p. 8465gg. (c. 8, $ 1sgq.) 8875qg. (c. 16, $ 27sag.r

über Calvin's Institutio. 488

kllung don Hirten und Lehrern durch Gott und die Autorität, ait welcher er diefelben ausgeftattet Habe; dann nennt fie die Sa- samente u. f. mw. Die Bedeutung folder Menfchen, weichen Gott 28 Regiment der Kirche übertragen, ſetzt Calvin ſchon in Ed. 2b amentlich auch darein, daß wir fo noch mehr, als wenn Gott un— üttelbar fpräche, in der Demuth geübt werden follen; noch mehr ttont er dieſes, examen obedientiae ‘“ und „jugum modestiae ı Ed. 3. Auf die Grundlage eines allgemeinen Prieſterthums ıt er dieſes Amt nie, wie Luther, zurücbezogen, fondern blos eine ktgeifigung der Gemeinden an der Wahl der Amtsträger gewünfcht, brigens vor 'einer Hingabe der Wahl an die Menge gewarnt, ber untlih auch unter den Genfer Verhältniffen mit einer nur ganz Directen, ja in Wahrheit nicht mehr fo zu nennenden Betheiligung m Gemeinden ſich begnügt. Und ohne Bedenken vergleicht er in 4.3 die Lehrer ſelbſt mit ben altteftamentlichen Prieftern, aus en Munde dort das Volk den wahren Sinn des Gejeges Habe fragen follen *). Zu den Trägern des kirchlichen Amtes ge» sten nun für Calpin mejentlih au die Saienälteften. Wir üffen indeffen mit Bezug auf diefes befondere Moment der Cal» niſchen Lehre eine Wahrnehmung vorausfchiden, welche wieder hei t geſchichtlichen Entwicklung der Institutio ſich und darbietet und elche theils zeigt, daß das genannte Inſtitut für Calvin feines- 18 ſchon von Anfang an fo hervorragende Bedeutung hatte, eils auch, daß feine Theorie feineswegs, fo wie man häufig meint, t Praxis, dem Drange des praftifchen Bedürfniſſes oder auch ir wenigftens der praftifchen Gefeßgebung voranſchritt. Wir leſen m dem Inſtitute noch nichts in Ed. 1, während damals in Bafel reits die Zuziehung von Laien zur Sittenzucht durch Oekolampad npfohlen und in gewiffem, wenn auch nur beſchränktem Umfang, "geführt worden war. Ja Calvin bejpricht daſſelbe auch noch Hin Ed. 28 vom Jahre 1539, während er doch inzwiſchen ber ſchon in Genf auf eine ſolche Beiziehung von Laien gedrungen

#) VoL XXX, p. 744 (c. 1, $ 1); Vol. XXIX, p. 561; Vol. XXX, p. 760. 752 ($$ 5. 6). Vol. XXIX, p. 570. 579sg.; Vol. XXX, ?- 7768q. 796 (c.8, $14aq.; c. 4, $ 12); Vol. XXX, p. 780 (c. 1, $5).

484 Köftlin

Hatte und während in dem genannten Jahr ſchon die heſſiſche Kirch zuchtordnung erfßien, welche nad; der „alten Ordnung des heili— Geiſtes, wie wir die in dem apoftolifchen Schriften haben“, Aclteftenamt aufrihten wollte *). Wir müffen Hierauf umſome aufmerffam machen, da der ſonſt fo zuverläffige Richter (Gef der evangel. Kirchenverfaſſung, S. 167 ff.) die Säge Calvin's das Aelteſtenregiment ſchon auf die Ausgabe von 1539 zurücfii er hat mit diefer die Ausgabe von 1543 verwechfelt, wie wir a fonft aus feinen Citaten fehen. Auch die von einem „Presbyteriu redeude Schriftftelle 1 Tim. 4, 14, welche Calvin mit Bezug die dort ermähnte Handauflegung anführt, veranfaßt ihn in EA. und Ed. 2% nicht, über Laienälteſte fi zu äußern: er meint „presbyterium werde da beffer vom „ministerium*“ (Rehra als von einem „coetus seniorum‘‘ verftanden; feit Ed. 2b er dann biefe Bemerkung weggelaffen. Unter dem ,‚gois pevos“ Rom. 12, 8 verfteht er in Ed. 1 politifce „, fecturas“. In Ed. 28 erfennt er bei diefer Stelle, obgleich a mit auf „omne praefecturae genus‘ beziehen will, dod daß fie „eigentlich“ vebe de senatu gravium virorum, wie ji Männer von der alten Kirche für die Zucht aufgeftellt wi fein, und daß bafjelbe Amt 1Kor. 12, 28 xußegvjasss wendet imdeffen nicht auch den Presbpternamen darauf an und anf das erwähnte Amt felbft nicht weiter ein®). Erſt nad das Genfer Confiftorium mit feinen aus dem Rathe ber St hervorgegangenen Aelteften gemäß den ordonnances eccl&siastiqus vom Jahre 1541 bereits in's Leben getreten war, gibt Cal aud in der Institutio vom Sabre 1543 feine Theorie über folk Aeltefte. Und zwar führt er fie hier ein eben mit Berufung af jeme Ansfprüde Röm. 12, 8. 1Kor. 12, 28 über die gubernatie ecelesiae, als „seniores e plebe delectos, qui censurse morum et exercendae disciplinae una cum episcopis prae essent“. Dabei ftehen fie eimerfeits entſchieden ben Leitern, nämlich den Dienern des Wortes, nah. Auch hat Calvin noch u

a) Richter, Kirhenordnungen I, 290. b) Vol. XXIX, p. 190. 1094. 281. 1108.

über Catviuo Institutio. 486

an mmittelbar vorangehenden Abfchnitten den bibliſchen Namen presbyteri“ als ibentifh mit pastores, episcopi, ministri w auf die Diener im Wort ausgedehnt, nur auf dieſe die Aus- rüde Tit. 1,5. 7. Phil. 1, 1. Apg. 20, 28 bezogen; auf diefe, ter, gehe auch der Ausfpruc von den Hirten Eph. 4, 11, und merkt ſchließlich: bis Hierher Habe er die Aemter aufgezählt, weiche ı Dienft am Worte beftehen. Bon da aus geht er dann mit erufung auf die erwähnten Stellen des Römerbriefes und erften wintherbriefe® zu den „seniores“ über, welde Jenen für die thenzucht zur Seite ftehen ſollen. Erſt in einem jpäteren, ſpe⸗ 4 von der Eirchlichen Zurisdiction handelnden Abſchnitte fügt er diefen beiden Stellen auch bie 1Tim. 5, 17 und findet num u doppelte „presbyteri“, von denen ihm die einen mit dem m genannten „seniores“ identisch find. Diefelbe Darftellung tät in Ed. 3°). So wenig ift hier ſchon diejenige Lehre ſpu—⸗ nt, befonders ſchottiſcher Calviniſteu durchgebildet, melde der men Theorie vom Ritchenamt von vornherein den Begriff ber ssbyteri als einen gleichermaßen für die Laienälteften und die itmer des Wortes geltenden zu Grunde legt. Andererſeits ftehen mm bie seniores ſammt den Dienern des Wortes durchweg als tager eines göttlich verordneten Amtes mit der Autorität folchen ateö über der Gemeinde. Dieje foll auch zu ihrer Wahl beis jogen werben, bat aber auch Hierauf in Genf fo gut wie ver« ten müffen.

& Hat Ealoin, während er gegen das fchriftwibrige katholiſche irchenthum kämpfte, nicht minder eifrig die Herſtellung eines recht ften, objectiven, gottgemäßen Kirchenthums und Amtes erftrebt id hat im feiner Lehre von der Kirche mehr und mehr auf diefe kite alfen Nachdruck gelegt: das ift hier für ihn namentlich nz anders als für einen Luther das Charakteriftiiche. Da» en bfieb nun aud) für ihn die Irrthumsfahigkeit der Amtsträger, * Möglichkeit ihres Falles, eben Hiermit die Frage, wie die Mäubigen, die Mitglieder des numerus electorum, fich Hiergegen

9) Vol. XXIX, p. 5665q. 648.; vgl. auch p. 572; Vol XXX, p. 782 3,88). 892 (c. 11, $ 1); vgl. and) p. 788 (c. 4, $ 1).

486 Köflin, über Calvin's Institutio.

wahren follten. Daneben mußte ferner in den Bekennern der evangelifchen Grundlehren, wie gerade Calvin diefe vortrug, der Drang bleiben, auch fo weit fie nicht Träger diefer Aemter fein und namentlich; bei Beftellung diefer Aemter ſelbſt dem im ihnen felber Lebenden Geift praktiſch geltend zu machen. Cine genligende Vermittlung jener Seite aber mit den ragen und Anfprücen, welche von hier aus ſich erhoben, wird man in der Institutio, m gerade auch in ihrer legten Bearbeitung, nicht finden.

Nah Allem, was wir in diefer Darftellung ausgehoben hal wird es feines weiteren Beleges dafür mehr bedürfen, dag a bei Calvin und feiner Institutio trog aller Feſtigkeit jeines fprünglichen Standpunftes eine Entwiclung ftatthatte, nur bei bedeutender aber erſcheint eben auch in ihr fein geiftiges Arbeitak Nicht minder dürfen wir wiederholen, daß er bei aller Arbeit jei fyftematifchen Geiftes, mit der er für feine Zeit Einziges gelei " bat, ein mit voller Strenge durchgeführtes, harmonifches, in abgejchlofjenes Syſtem uns doch auch in der ſchließlichen A des Werkes nicht darbietet. Nur deſto reicher aber find bie ſchiedenen Elemente, die er darin zufammengefaßt hat, nur reicher die Anregungen, welche darin einer weiteren Entwin der Dogmen und kirchlichen Grundfäge nach verſchiedenen bin gegeben waren, ja auch noch für die Zukunft gegeben ft werben.

Steitz, die Tradition v. d. Wirhamkeit d. Apoſt. Johaunes in Cpheſ. 487 3. Die Tradition

von der Wirkſamkeit des Apoſtels Johannes in Epheſus.

Von

D. Georg Aduard ZSteitz.

Unter allen Ueberlieferungen der alten Kirche über die ſpüteren idfale der Apoftel galt bisher als die ficherfte und glaubwür- - dhe die Tradition von der Wirkſamkeit und dem Tode des Apoftels Mannes in Ephefus. Zweifel, wie die von Reuterdahl (De ntibus historiae ecclesiasticae [Eusebianse [und 1826], 24), ob biefelbe nicht wielleicht ebenfogut wie die von der ebannung nad) Patmus aus der Apofalypfe entftanden fei, konnten gen die alfgemeine Ueberzeugung nicht auffommen. Die Tübinger chule Hielt daran feft wie an einem unbezweifelbaren hiftorifchen ogma, und Baur konnte wahrhaft unwillig werben, wenn Jemand w einen leifen Berdacht gegen dieſen Fundamentalartifel feiner nihauung des apoſtoliſchen und nachapoftolifchen Zeitalter zu Bern wagte. Erft Herr D. Keim’ Hat in dem erften Bande feines agft erfchienenen Buches: „Geſchichte Jeſu von Nazara“ (Zürich 867), den Glauben an diefe Tradition nicht blos zu erfchüttern, andern bis in bie Wurzeln zu zerftören verſucht. Er will un verzeugen, dag der Apoftel Johannes ſchon Tange vor Ablauf des ften Yahrhunderts geftorben, daß er nie in Kleinaſien gewirkt, 18 die bezügliche Sage von ihm nicht älter als Jrenäus fei, daß eſer den Presbyter Johannes, den Lehrer des Polykarp und Papias, it dem Apoſtel verwechſelt und die Nachrichten, die er als Knabe : Meinaften über den Erfteren gehört, irrthümlich mit dem Les ten verfnüpft und fo der kleinaſiatiſchen Kirche zu dem Befig nes zweiten Apoſtels neben Paulus verholfen habe, einem Sonder fig, den fie nicht mit Rom zu theilen Hatte. Sein Nachweis Theol. Stud. Jahrg. 1868. 33

ass Steig

bildet den Abfchluß feiner Unterfuchungen über das vierte Evangelum und hat den offen ausgeſprochenen Zwed, der Abfafjung deſſelben durch den Zebedaiden den legten Halt wegzuziehen. Ich Habe die mir von einer der erften theologifchen Zeitſchriften angetragene Re- cenfion des Keim’fchen Werkes ans manden Gründen abgelehnt. "Auf diefe einzelne Parthie im rein hiſtoriſchen Intereſſe näher ein- zugehen, fonnte ich mir nicht verfagen, weil fie mit meinen neueften Studien über Papias (Theol. Studien u. Krit. 1868. I, 63—95) in zu unmittelbarem Zuſammenhzange ftcht.

1. Die erfte Vorausfegung, auf die Keim's Beweis fic ſtü— ift die Annahme, daß zu Ende des erften Jahrhunderts fämmtlic Apoftel längft igren Lauf und ihr Wirken beſchloſſen Hatten. ein, Apoſtel“, fragt er ©. 156, „damals noch gelebt, wenn ſchon die Offenbarung Johannis um das Jahr 70 und das Er gelium Lutas- Markus 80 100 an den Hingeng der Apalid glauben?“ Mir laffen die letztere hronalogifhe Beſtimmung af fi berußen, da fie den Gegenſtand unferer Unterfuchung nicht m mittelbar berührt. Wir beftreiten zuerft, daß aus den ker ©. 156, citirten Stellen Offb. 18,20 u. 21,14 Keim’s Annie erfebloffen. werden foun. In der erjten wird unter dem zei nur das die Verfolgung über die Heiligen, Apoftel und Prophen d. 5. über die gefammte chriſtliche Gemeinde verhängende Urtkl Noms verftanden merden können; denn erft V. 24 ift von da wirklich vergofjenen Blute von Propheten und Heiligen (ohne Artitd und ohne. Erwähnung der Apojtel) die Rede. Ihre zwölf Name auf den zwölf Grundfteinen der Mauer des neuen Jeruſalems u der zweiten Stelle bezeichnen die Apoftel ſyuboliſch als die grund legenden Träger des Gottesreiches, aber weder als Lebende, nah als Abgeſchiedene.

Segen die Zuläffigfeit der letzteren Annahme ſprechen Math. 16, 28. Luk. 9, 27 und Mark. 9, 1. Zwar haben die beiten jungeren Synoptifer deu Schluß bei Matthäus: „Wahrlih, ih fage euch, daß Einige Hier ftehen, welche. den Tod nicht [med werben, bis fie des Menfchen Sohn in feinem. Reiche kommen fehen‘, abgefürzt. Lukas jagt nur: „bis fie das Reich Gottes fehen‘; Markus: „bis fie kommen fehen das Reich Gottes in Kraft‘ (—

die Tradition v. d. Wirkſamkeit d. Apoft. Fohannes in Epheſ. 489

dvvansı). Man Hat darans auf eine weit fpätere Zeit der jim⸗ gern Evangelien, auf das Ermatten der efchatologifchen Hoffnungen, auf die Erwartung der Hiftorifchen Barufie an der Stelle der eſchato⸗ logiſchen, auf den Uebergang zu der johanneifchen Borftellung des Kommens Yefu im Geifte gefchloffen; Keim findet darin ©. 71 den Gedanken angedeutet, „daß die Nähe des Neiches auch ohne den Reichsheren immerhin auch noch den Urapofteln ihre Ausfichten gebe und fie noch über ihr Wirken hinaus im der Perſon der Nach⸗ jolger, eines Paulus und feiner Gehülfen, eine Welternte hoffen haffer. Allein diefes Wort Chriftt redet von einer Kataſtrophe, don der nicht mehr alfe, fondern nur einige überfebende Apoftel roch Augenzeugen fein werben. Dies kann die Wirffamteit des Paulus und feiner Gehülfen ſchon deshalb nicht fein, weil mit nahme des Fudas- md des älteren Jakobus die übrigen Apoſtel Wfelbe wohl noch alle mit Augen gefehen Haben; wenigſtens be» :htigt 1 Kor. 9, 5 zu ber Annahme, daß etwa ein Jahr vor der thten Reife des Paulus mach Sermjalem die Urapoftel no in hrer vollen Miſfionsthätigkert begriffen waren, und auch Ent. 21, 16 savarascovoı SE vᷣueõv) laßt vorausfegen, dag nur Einige on ihmen in den DVerfolgungen, die der Zerftörung Jerufalems orhergingen, umgekommen feien, ®. 20 aber, daß die Mebrigen de Belogerumg noch mit Augen fahen (drav da Idnrs zuxlov- urm uno oreasonedaov TIsgovoakru). Das Kommen des Reiches Chrifti muß demnach bei Lukas und Markus einen andern dinn haben. In der großen eſchatologiſchen Rebe Luft. 21 (Matth. 24. Rarf. 33) Tiegt die Enthüllung. Jeſus läßt die den Weltlauf liegenden Ereigniffe ſich fucceffiv in drei Stufen vor den Jüngern nahen: erft eine Periode der Kriege, der Trübfale und Ver⸗ olgungen (im denen nur einige Apoſtel den Tod finden, die ans eren fich mit Erfolg verantworten); dann dem Greuel der Ver- süftung an Heiliger Stätte (bei Lukas die Zojumoıs der Stadt is zum Ende der xaıgoi Evo B. 22— 24); endlich nah Jeichen am Himmel und auf Erden die ſichtbare Erfcheinung des MNenſchenfohnes in den Wolken: mit Herrlichteit und Kraft (dyovras, wa Akten gleichmäßig feitgehalten, bejegt wicht, daß die Apeitel eine Erſcheinnng nicht mehr fehen, fordern daß fie von allen J 33*

40 Steig

‚Menfchen mit Augen wahrgenommen wird, denn nad; Matth. 8. 31 und Mark. V. 27 kommt er, um durch feine Engel alle Aut erwählten auf der Erde zu fammeln). Wie an dem Hervorbreden ber Feigenblätter die Nähe des Sommers erkannt wird, fo ſollen die Jünger an der Stufenfolge diefer Ereigniffe erkennen, daß dr Menſchen Sohn vor der Thüre (Matth. V. 33 und Mark. V. 29) oder daß das Reich Gottes nahe fei (Ruf. V. 31: örs Eyyus dom 7 Baoılele voö ®eod). Da mit der Nähe des Reiches Gottes auch bei Lukas nur die Nähe des Leiten Ereignifjes, der Erfcheinug des Menfchenjohnes, gemeint fein Tann, fo ergibt ſich, daß auch der Begriff des Reiches Gottes, das nach Luk. 9, 27 noch einige Apoftel fehen follen, nicht Hiftorifch, fondern nur eſchatologiſch gemeint und daß diefem Evangeliften fein Anbrud; dem Sinne nad ganz mit dem Kommen des Menjchenfohnes a 7 Baasksig aus ibentifch iſt; felbft der Ausdrud Mark. 9, 1: Zus dv Idum iv Baoılslav voü Gsod EAnivdeiav Ev dvvapeı, fin feine Erklärung in der duvanss zal do&n old, worin uf alfen Synoptifern (Matth. 24, 30. Marf. 13, 26. Lu. 21, der kommende Menfchenfohn ſichtbar gefchaut werden wird. OR zwingenden Grund aber fhließt man aus dem Umftande, di Luk. 21, 25 das eudewng des Matih. 24, 29 vor der dritten Ste der Ereigniſſe ausläßt und nad der Zerftörung vom Jeruſalen die zaıgoi Z9vw» eintreten läßt, welche die Anderen nicht haben, auf einen fehr langen Zwiſchenraum zwifchen der Abfaffung de Matthäus und des Lulas und auf eine „unbeftimmbar große Pr riode der Trümmerlage Jeruſalems unter dem ehernen Tritt der Heiden“ ; die mAjgwaıs vor zagav Eävov braucht Lukas, defim Evangelium auch Holgmann (Spnopt. Evang., S. 410) höchſtent fünf bis zehn Jahre nach 70 gefchrieben dent, noch fange niht mit umferem Augenmaße berechnet zu haben, die Auslafjung ds eidg aber bei Lukas bezeugt ebenfowenig feine Gewißheit, dıf die Apoftel jenen Tag der Erjcheinung des Menfchenfohnes nicht mehr erleben werden, denn gerade die Apoftel warnt Jefus bi demfelben Evangeliften (Luf. B. 34): „Hütet euch, daß micht jener Tag plöglih Über euch (&y’ dus) komme.“ Wenn ferner Keim aus Luk. 21, 28 fehr frei folgert, die Apoftel follten mar den

die Tradition v. d. MWirkfamfeit d. Apoſt. Johannes in Epheſ. 491

Anfang des Endes, nicht das Ende felbft mehr fchauen, fo fagt umgekehrt Jeſus in dieſen Worten nur: fie follten ſchon beim Ans fange diefer Ereigniffe ihre Häupter in der Gewißheit erheben, daß ihre (der Apoftel) Erlöfung, nämlich in der unmittelbar vorher erwähnten Erſcheinung des Menfchenfohnes, nahe. Schließlich tritt noch die gleichmäßige Verfiherung bei Matthäus (8. 34), Markus (8. 30) und Lukas (B. 32) ein: Wahrlich, ich fage euch, das gegenwärtige Gefchlecht (zu welchem auch die Apoftel gehören) wird nicht vergehen, bis das Alles gefchehen, d. h. bis die ganze Ent widlung diefer Ereigniffe ihr Ziel umd ihren Abſchluß gefunden haben wird *). Nach allem dem merben wir wohl zu ber An— nahme berechtigt fein, daß, als Lukas und Markus fchrieben, noch immer Apoftel am Leben waren und daß man fich die Parufie uch vor Ablauf des erften Menfchenalters nach Chrifti Tod ein- fretend dachte; denn im andern falle würden ſich biefe beiden Syn⸗ optifer in den Parallefftellen 9, 27 und 9, 1 nicht mit einer fo unbedeutenden Variante begnügt, fondern ben ihnen nothwendig anſtößig gewordenen Ausſpruch Jeſu ganz beſeitigt haben.

Wir beſitzen aber auch noch ein poſitives Zeugniß des zweiten Jahrhunderts vor Jrenäus, das unſere Anſicht augenſcheinlich aus den alten Erinnerungen ber Kirche beftätigt, nämlich des Hege- fippm®, der im Anfange des Epiffopates des Eleutherus (um 176) feine Denkwürdigkeiten fehrieb. Diefer fagt bei Eufebins (III, 32, 7), daß die Kirche bis zu Trajan's Zeit im tiefen Frieden gelebt habe und eine reine Jungfrau geblieben fei, weil biß dahin Diejenigen, welche darauf außgingen, die gejunde Heilsverfündigung zu verderben, fich im Dunkel verbergen mußten. „Sobald aber der heilige Kreis der Apoftel nach und nad das Ziel des Lebens erreicht und das Geflecht Derer, die mit eigenen Ohren die göttliche Weisheit gehört Hatten, dahin war, da (rmvixzöra) fing der gottloſe Irr⸗

8) Wir haben nad) dem Zweck unferer Abhandlung nicht zu unterſuchen, ob Jeſus diefen Ausſpruch in einem andern Sinne gethan und bie Apoftel ihn mißverftanden haben (vgl. Holgmann a. a. D., &. 410), fondern nur zu fragen, wie ihn die Evangefiften nad; dem Wortlaut und Zufam- menhang, worin er bei ihnen ſteht, gefaßt haben,

492 Steig

tum an, fi durch den Erug der Irrlehrer zu erheben, weil nämlid Seiner der Apoftel mehr übrig war, nad mit unverhülltem Hanpte wagten Jene der Wohrheitspredigt bie fälſch- lich ſo gemannte Guoſis entgegenzuftellen.“ Es ift Hier deutlich gelagt, daß das gleichzeitige Abfterben der letzten Apoftel und Er- löfchen der erften Generation mit dem offenen Hervorbrechen der Gnofis in fo unmittelbarem caufalem Zuſammenhang ftand, dei diefe Ereigniffe fo gut wie in einem Zeitpunkte unter der Regierung Trajan's zufommentrafen. Bis zu diefer hatte es alfo nad Hege fipp Apoftel gegeben. Es fteht im fchneidendften Widerfpruge mit biefem Zeugniffe, wenn Keim S. 156, Anm. 1 fagt, Hegeſipp habe einen überlebenden Apoftel überhaupt nicht gefannt, an folde habe man erft in der Zeit des Irenaus geglaubt Wenn er dann weiter zufügt, die Upoftel und Augenzeugen feien dem Hegeſipp ſchon damals im Beginne der Blüthe der Gnojis wefentlich aus geftorben, fo ift dies nur unter der Vorausfegung richtig, daß man dieit Ereigniffe als ziemlich gleichzeitig denkt (demn erft mit dem Tode br letzten Apoftel fiel die Schranke, welche die bereits vorhandene Gnoß bis dahin gehindert Hatte, an das Licht zu treten); daun aber ft Hegefipp im vollen Einklang mit Irendus, der die Lebeusdaut wenigftens bes Johannes bis in die Zeit des Trajan Herabrüdı, und im Widerfpru mit Keim, der ſich darauf ftügt, daß ud den Zeugniffen des N. T.'s und des Hegefippus ſchon geraum Zeit vor Ablauf des erften Jahrhunderts fämmtliche Apoftel dasin geweſen feien.

2. Keim hat mit großer Unbefangenheit die Zeugniffe für den frühen Gebrauch des vierten Evangeliums geprüft, und, während noch jüngft Scholten denfelben vor dem Jahre 170 unerweisbet und beftreitbar fand, ‚die Ueberzeugung ausgefprochen, daß von Bar⸗ naba® on (nad ihm um 120 n. Chr.) bis auf Irenäus eine fult ununterbrochene Reihe von Zeugen für feine Exiſtenz und Benupung auftritt. Er ift, wie er felbft faft mit Verwunderung gefteht, nahezu der eifrigfte Vertheidiger feines Alters geworden, denn aud für die Synoptiler fennt er feine. befjeren und älteren Zeugniſſe Um fo auffalfender muß es erſcheinen, daß er dem Papins, „ber doch der uralte Schriftfteller nicht war“, für den man ihn lang

die Tradition v. d. Wirtſandelt d. Apoft. Johaunes in Epheſ. 498

halten Hat, ben Gebrauch dee Edangellums noch immer auf das mfthiebenfte abfpriht (&. 140). Gewiß fatın er bamit nicht zinen, daß Papias daſſelbe nicht gefannt habe, denn mie follte iefem ein Buch unbelannt geblieben fein, das fehon der Barnabas⸗ rief, Suftin der Märtyrer, Baſtlides, Valentin und von da an aft alle Kivchenlehter benuden. Affein wenn ans nun S. 145 ie Amahme empfohlen wirb, daß Papias es nicht nur vetſchwiegen, mdern möglichermeife fogar laut getabelt habe, fo iſt das doch re etwas zu ſtatke Zumuthung. Die wenigen Fragmente, bie ns von des Papias Werk erhalten find, fegen uns wahrlich nicht ıden Stand, Mit dieſer Sicherheit zu entfcheiden, was et ver⸗ wiegen Hat, noch weniger, wag er verfchtweigen wollte. Auch daß Infebins uns zwar feine Traditionen über den Markus und Mat Nas mtitthelit, aber feine feiner Yeußerungen über das Evangelium xhannis, beweiſt noch nicht, daß Vapias biefes nicht benutzt habe; im nur von dem beſtrittenen erſten Johannis- und erſten Petrus · xief und von der gleichfalls beſtrittenen Apokalhpſe unterläßt nebius grandſätzlich (h. e. III, 24, 18) nicht zu bemerken, welche Shriftfteller daraus Zeugniſſe 'entlehnt Haben, aber in Beziehung af das Johannisevangelium hat er dies nie gethan, weil er ſelbſt Ane Authentie wicht bezweifelte und es innerhalb ber Kirche zu iner Zeit unbeſtritten unter die Öuoloyounera geftellt wurde. 18 Schweigen des Eufebius iſt darum fein Argument; wir Bönnen maus höchftens fehließen, daß Papias fich über feine Abfaſſung icht fo umſtändlich als über die Entftehung des erften und dee seiten Evangeliums geäußert habe, und dies würde gerade dann m leichteſten ſich erflären, wenn die Tradition von bem Aufent alte des Johannes zu Epheſus gejchtchtlchen Grund Hat, weil er (8 Meinafiate gewiß zunächft für Kleinaſien ſchried und feinen lnlaß Hatte, fi über Dinge weiter zu verbreiten, an denen im Anen Kreiſen Niemand zweifelte. Ich fürdte, wenn die. Schrift 8 Paptas aus dem Grabe taufendjähriger Verborgenheit wieder uferſtünde, es wurde einem Theile unferer Krititer ähnlich damit tgehen, wie bei der Auffindung des Ottobonianiſchen Coder der Sementinifchen Homilten; auch diefen hat die Tübinger Schule ja ie Kenntniß und den Gebrauch des vierten Evangeliums fo Lange

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abgefprodhen, bis der wieberentdedite Schluß der 19ten (c. 22) unwider⸗ leglich bewies, was man bis dahin Hartnädig geleugnet Hatte. Noch auffallender ift Keim’ andere Bermuthung, Papias habe das Evange- lium Johannis möglicherweife getadelt. Er hält es nämlich a. a. O. für moglich, daß Papias unter die Berbreiter apofryphifcher Reden Jeſu (08 ı& noAle Asyovres, ol zas dllorgiag Evrolds wunpo- vevovres), denen derſelbe feine Presbyter als Träger und Ber- mittler echter Tradition entgegenftellt, den Verfaſſer des vierten Evangeliums gerechnet habe (S. 145, Anm. 1). Aber Keim weih, daß Papias den erften Johannesbrief hochgeſchätzt hat, er hält ſelbſt (©. 149) an der. Ueberzeugung des älteften Kritikers Dionpfint von Alerandrien feft, daß der Brief dem Verfafjer des Evangeliums gehört; er findet in ihm diefelben Ideen wie in dem Evangelium, nur in anderer Form, nämlich polemifch, vertreten (&. 107); mie hätte unter diefen Umftänden Papias ſich auf die Anctorität da Briefe berufen, aber das Evangelium al apokryph verfchieige: oder gar tadeln follen? Etwa weil er die darin Jeſu in den Mh, gelegten Reben oder die von ihm berichteten Thaten nicht in je monie mit Matthäus oder Markus fand? Da hätte er ein A tifer der neueften Schule fein müſſen und als folden Hat er fi, in feinen Traditionen wahrlich nicht verrathen. Keim's Anſicht i in diefem Punkte um Fein Haar empfehlungswürdiger, als die om Schwegler und Köftfin, die feiner Zeit in den Verbreitern op« Trpphifcher Traditionen bei Papias den Paulus und die Pauline zu erfennen meinten; doch läßt er darin eher mit ſich handeln; ı gibt (S. 145, Anm. 1) wenigftens als möglich zu, was ums immer als das Nächftliegende und Ungezwungenfte erfehienen ift, daß „Diet Worte nur auf die Gnofis zu deuten“ find. Man vergleiche doh nur, wie Jrenäus im Prodmium des erften Buches mit wenigm Worten bie Gnoftiter darakterifirt: Ögdioveyoüvres a om xugiov, dinynrai xaxol rüv xaläs elgmusver yırönevon, nl man wird nicht mehr fragen können, in welcher Abficht Papiet den echten Aoyloıs xugiaxois nachgegangen ift und feine exijmox derſelben verfaßt hat.

3. Was Keim nicht zu einer unbefangenen Würdigung des Pa pias und der Heinafiatifchen Kirche fommen ließ, ift die Zägiglei,

bie Tradition v. d. Wirfamteit d. Apoft. Johannes in Epheſ. 495

womit er noch immer an dem Judaismus des Papias (S. 51) feſthält. Ich Habe feit Jahren die Fragmente des Papias oft und bis in das Sleinfte erwogen, aber diefe traditionelle Anſchauung der Tübinger Schule nirgends beftätigt gefunden. Allerdings hat er große Stüde auf die Apofalypfe gehalten und iſt Ehiliaft ges weſen. Aber hat er dies nicht völlig mit feinem Zeitgenoffen Juſtin gemein? Hat nicht auch diefer die Apofalypfe für ein Werk ns Apoftels Johannes gehalten? Hat er nicht an die fichtbare Barufie und die Errichtung des taufendjährigen Reiches auf Erden xglaubt ? Und doch repräfentirt er entfchieden den Standpunkt ber Attathofifchen Kirche in feiner Zeit! Es iſt daher aud ein Irr⸗ !ım, wenn Eufebins (III, 39) den Papias zum Urheber des Ehi- issmus macht. Keim fieht felbft (S. 164), daß von Zuftin dem Märtyrer bis auf Irenäus und die großen Väter die Apofalypfe % Buch des Apoftels anerfannt geweſen fei; wir bürfen daher uch annehmen, daß, was ſich von efhatologifchen und chiliaſtiſchen Borftelfungen bei ihnen findet, meift aus dieſer Quelle gefloffen ei, und haben ebenfomenig Grund zur Erklärung derfelben den ngeblihen Judaismus ihrer Landesfichen zu Hülfe zu nehmen, 8 aus dem BVorhandenfein folder Vorftellungen fofort auf Ju—⸗ aismus zu fehliegen. Keim will foger (S. 139, Anm. 1) auf Irund von Stellen, wie Ap. I, 66. Tryph. 103. die Möglichkeit "3 Glaubens Yuftin’s an die johanneifche Abfaffung des Evan- yeliums zugegeben wiffen. Mir ift es fehr wahrſcheinlich, daß die atholiſchen Väter diefer Zeit den Apoftel Johannes für den Ver- affer beider Schriften, des Evangeliums und der Apofafypfe, hielten nd ſich dabei der differenten Anfchauungen Beider fo wenig bewußt jeworden find, daß fie diefelben unbefangen nebeneinander gebrauch⸗ en, baher auch durch das Evangelium in ihrem apofalyptijchen Thiliasmus ſich nicht beirren liegen, Erſt der Widerſpruch gegen sven Chiliasmus der Meontaniften hat den Zweifel an der Authentie ver Apokalypfe (zum Theil aber auch des Evangeliums) hervor⸗ gerufen und ihm ein handgreifliches Intereſſe geliehen. Mit dem- ielben Rechte, womit man von dem „jndaifirenden Papias“ fpricht, tönnte man auch von dem judaifirenden Juſtin, Irenäus und Ter- tullian reden. Die beliebte Annahme des Judaismus der Hein

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afatifgen Kirche gründet fich vornthmlich auf bie Tübinger Auf⸗ faffung des Bafrhaftreites, der gegeniiber id noch immer die meinige aufrecht Halte, und zwar unter Zuſtimmung nicht blos kuchlih fteengerer, fondern auch entfchieben freifinniger Theologen. Wem daher Leim meine Scheinbeweiſe ımb Kunfteleien durch feel ') gewürdigt, von Baur und Hilgenfeld aber gelehrt md glänen widerlegt glaubt, fo macht mir das wenig Kummer; ich finde es im Grgentheil ebenfo begreiflüh, als er es (©. 167, Anm. 1) begreiflich fand, dag Riggenbach Zahn's Anficht von bem Pred⸗ byter Johannes fofort zuftimmte, obgleich bekanntlich Riggenbach diefer Anficht ſchon mehrere Jahre vor Zahn beigetreten ift.

4. Reim bant anf die Mittheilungen des Papias wech andere Schlüffe. Er findet es (©. 169) bedenklich, daß im ber Reihe der fieben Apoftel, die er (Euseb. II, 39, 9) aufführt, Johannci nahezu in legter Linie genauut wird, den Kleinaſiaten fo ferne ge rüdt, wie Matthäus, von deſſen Beziehungen zu SMeinafien die Kirche nie etwas gewußt Hat. Schon biefer Umftand erwedt item Zweifel, ob Johaunes jemals in Kleinaſien gemefen fein tum; Bis jetzt hat noch Niemand danach) gefragt, warum Papias in R Aufzählung der Apoftel zuerft fieben d): den Andreas und Pen, dann den Phifippus, den Thomas und den Jakobus umd zuleht erft den Johannes und Matthäus nacheinander mit Namen auf führt, die Uebrigen aber unter ber Bezeichnung: „oder fonft Ein

a) Glaubt ewwa Keim, ſeine Behandlung des johanmerichen Eoamgeftume, oder fein „Sefns von Nazara“ Uherhanpt wurde vor Mies Forum gerät erfunden worden fein? Die Vorſicht und Mengftfichteit meines alten Befrerd in ſolchen Fragen ift befannt. Einſt fogte mic mein feliger Freund Kıtk: „Ich vermag mir Ihre Auffafjung des Pafchaftreites noch amueigun, dem ich bin nur ein Decennium älter als Sie; Bleek vermochte es nich mehr, deun bie zwanzig Jahre, die er vor Ihnen voraus hat, maden ir dieſem Alter und in folden Dingen oft viel und feihen der wiſſenſchaſtlicen Tradition eine ungleich ftärkere Macht.“

b) In meiner Abhandlung (Stud. u. Krit. a. a. D., ©. 71) Habe ih 3.15 dv. u.) nad) einer die Worte F =6 Pldsmezrog irrthitmlich ausgelaſſen m demnach (3. 7 v. u.) nur von ſechs Apoſteln geredet. Das Richtige ſude fich aber auch dort ©. 76. Auch ©. 88 iſt InterpoTatiom fr Inter pretation (3. 12 v. u.) zu Iefen.

die Tradition v. d. Wirkſamleit d. Apoft. Johannes in Epheſ. 497

7 Zänger des Herrn“ zufammenfaßt. Die Synoptifer heben ale ertraute Zefa nur den Petrus, Jakobus und Johannes hervor; dartus reißt diefen einmal (13, 3) auch den Andreas an. Sonſt ird derfelbe nur als Bruder des Petrus in beffen Gefolge ges yentlih erwähnt, aber nirgends von ihm ein fpecieller Zug er bit, Hier aber wird nicht nur Andreas in auszeichnender Weiſe nannt, fordern auch Philippus und Thomas, deren Namen ? Spnoptifer nur in den Apoftellatalogen, fonft aber nirgends ben. Audreas wird fogar in erfter Linie dem Apoftelfürften Arus, Philippus und Thomas aber werden den Söhnen des Zr Mus vorangeftellt. Was gibt ihuen diefe Wichtigkeit in der Gägung des Papias? Ich kenne Hier nur eine Antwort: Ans md, Philippus und Thomas haben erft durch das Evangelium Munis eine Geftalt und einen feften Charakter in dem Bewußt⸗ in des nachapoftolifchen Zeitalter8 gewonnen, fie werden in biefem angelium nicht mur öfter erwähnt, fondern auch redend und nelnd eingeführt. Man vergleiche fr Andreas Joh. 1, 41. 45; 8. 9; 12, 22; fir Phifippus 1, 4446. 49; 12, 21. 22; ‚8.9; für Thomas 11, 16; 14, 5; 20, 24—29; 21, 2. maus erklärt fi) auch das Intereſſe, welches die alte Kirche ignen neben Petrus, Johannes und Paulus nahm und daß fie ige über ihr fpäteres Leben Nachrichten fammelte; dem Philippus es das zweite Jahrhundert bereits feinen Wirkungsfreis in Hiera- 8 an, dem Andreas das dritte Jahrhundert in Schthien und n Thomas in Parthien (Drigenes bei Euseb. III, 1). Die genannten Apoftel aber, die unter der Bezeichnung 7 us Eregos v cod xvglov uasmeav verborgen Liegen, find die vier Anderen, em Namen bei den Spnoptifern nur in den Apoftelfatalogen tommen, aber in dem Evangelium Johannis nirgends erwähnt tden. Schon diefe auszeichnende Hervorhebung jener drei Jünger ht e8 mir mehr als unwahrfcheinlih, daß Papias das vierte vangeliung nicht gefannt ober gar abfihtlich verfchwiegen Haben foll. Aber auch die Neihenfolge, in der bei Papias die ſechs erſten t Namen hervorgehobenen Glieder des Apofteltreifes aufgezählt ten, ift haarſcharf diefelbe, in welcher diefe Namen in dem sten Evangelium nacheinander auftreten. Der Erfte, der mit

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afatifgen Kirche gründet fich vormehmfic auf bie Tübinger Anfe faflung des Pafıhaftreites, der gegenüber ich noch immer die meinige aufrecht halte, und zwar unter Zuftimmung zicht blos kirchlich ftrengerer, fondern auch entfchieden freifinniger Theologen. Wem daher Keim meine Scheinbeweiſe ımb Künfteleien durch feet») gewürdigt, von Baur und Hilgenfeld aber gelehrt und glänzend widerlegt glaubt, fo macht mir das wenig Kummer; ich finde im Grgentheil ebenfo begreiflih, al8 er es (S 167, Anm. 1) begreiflich fand, dag Riggenbach Zahn's Anficht von bem Pre byter Johannes jofort zuftimmte, obgleich bekanntlich Riggenbach diefer Anficht ſchon mehrere Jahre vor Zahı beigetreten iſt.

4. Reim bant anf die Mittheilungen des Papias much andere Schlüffe. Er findet es (S. 162) bedenklich, daß im ber Reihe der fieben Apoftel, die er (Euseb. II, 39, 4) aufführt, Johannch nahezu in legter Linie genannt wird, ben Kleinaſiaten fo ferne ge! rüdt, wie Matthäus, von deſſen Beziehungen zu SMeimafien bi‘ Kirche nie etwas gewußt Hat. Schon biefer Umftand erwedt ikea Zweifel, ob Johaunes jemals in Kleinaſien gewefen fein fm, Bis jet Hat noch Niemand danach gefragt, warum Papias in W Aufzählung der Apoſtel zuerft fieben b): ben Andreas und Petr, dann den Philippus, den Thomas und den Satobns und zuit erft den Johannes und Matthäus nacheinander mit Namen auf führt, die Uebrigen aber unter ber Bezeichnung: „oder fonft Eint

a) Glaubt etwa Reim, ſeine Behandlung bes johanneiſchen Eoangeltums, ode fein „Jeſus von Nazara“ Überhaupt würde vor Bleeka Forum geht erfunden worden fein? Die VBorficht und Aengſilichleit meines alten Behret in folden Fragen if befanmt. Einſt fagte mir mein feliger Freund Rothe: „Ich vermag mir Ihre Auffafjung des Paſchaſtreites noch amzueigen, bem ich Bin nur ein Decennium älter als Sie; Bleek vermodjte es nicht mehr, deun bie zwanzig Jahre, die er vor Ihnen voraus hat, machen i dieſem Alter und in ſolchen Dingen oft viel und leihen der wiſfenſchaftlicher Tradition eine ungleich ſtärkere Macht.“

b) In meiner Abhandlung (Stud. u. Krit. a. a. O., ©. 71) Habe ih (3.13 d. u.) nad) eimev die Worte A z4 Scamnoſ irrthümlich amsgefaffen md demnach (3. 7 v. u.) nur vom ſechs Apofteln geredet. Das Richtige findet ſich aber auch dort ©. 76. Auch S. 88 if Interpolation für Jake pretation (3. 12 v. m.) zu leſen.

die Tradition v. d. Wirfamkeit d. Apoft. Johannes in Ephef. 497

7 Jinger des Herrn“ zufammenfaßt. - Die Synoptifer Heben ale ertrante Jeſu nur den Petrus, Yalobus und Johannes hervor; tarfus reiht diefen einmal (13, 3) auch den Andreas an. Sonft itd derjelbe nur als Bruder des Petrus in deſſen Gefolge ge» yentlich erwähnt, aber nirgends von ihm ein fpecieller Zug er⸗ ft. Hier aber wird nicht nur Andreas in auszeichnender Weife nannt, fondern au Philippus und Thomas, deren Namen : Spnoptifer nur in den Apofteltatafogen, fonft aber nirgends ben. Audreas wird fogar in erfter Linie dem Apoftelfürften aus, Philippus und Thomas aber werden den Söhnen des Zur Hus vorangeftellt. Was gibt ihnen diefe Wichtigkeit in der Higung des Papias? Ich kenne Hier nur eine Antwort: An» ws, Philippus und Thomas haben erft durch das Evangelium maunis eine Geftalt und einen feften Charakter in dem Bewußt⸗ a des nachapoftolifchen Zeitalter gewonnen, fie werden in diefem ungelium nicht nur öfter erwähnt, fondern auch redend und Heid eingeführt. Man vergleiche für Andreas Joh. 1, 41. 45; 8. 9; 12, 22; für Philippus 1, 4446. 49; 12, 21. 22; ‚8.9; für Thomas 11, 16; 14, 5; 20, 24—29; 21, 2. waus erklärt ſich auch das Intereſſe, weldes die alte Kirche ihnen neben Petrus, Johannes und Paulus nahm und dag fie he über ihr fpäteres Leben Nachrichten fammelte; dem Philippus 8 das zweite Jahrhundert bereits feinen Wirkungsfreis in Hieras is an, dem Andreas das britte Jahrhundert in Schthien und n Thomas in Parthien (Origenes bei Euseb. II, 1). Die jenannten Apoftel aber, die unter der Bezeichnung 7 zus Eregos v cod xuglov auonreõv verborgen Liegen, find die vier Anderen, m Namen bei den Synoptifern nur in den Apojtelfatalogen tommen, aber in dem Evangelium Johannis nirgends ermähnt tden. Schon diefe auszeichnende Hervorhebung jener drei Jünger cht es mir mehr als unwahrſcheinlich, daß Papias das vierte angelium nicht gelannt oder gar abſichtlich verſchwiegen haben foll. Aber auch‘ die Neihenfolge, in der bei Papias die ſechs erften : Namen Hervorgehobenen Glieder des Apoſtelkreiſes aufgezählt ven, ift haarſcharf diejelbe, in welcher diefe Namen in dem tten Evangelium nacheinander auftreten. Der Erfte, der mit

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dem ungenannten Junger *) des Täufers fih Jeſu anſchließt, if aud bier Andreas; buch dieſen wird als Zweiter fein Bruder Petrus ihm zugeführt; als Dritten beruft Jeſus felbft den Bhi- lippus (Cap. 1)®). Erft vom 11. Gapitel an wird Thomas genannt. Der Lieblingsjünger, der an des Herrn Bruſt Ing, tritt vom 13. Eapitel an namenlos auf; in genauerer Bezeichnung aber werden er und fein Bruder Jakobus erft in dem Nachtrag (Cap. 21) als od od Zeßsdaiov eingeführt; Papias ftellt den Jakobut vor Johannes, wie er bei den Synoptifern (mit Ausnahme vor Luk. 8, 51; 9, 28) ftetS diefe Stelle einnimmt. Wenn er abe mit Johannes noch unmittelbar den Matthäus, der in bei vierten Evangelium nie erwähnt wird, verfnüpft, fo mag dies fein Grund darin haben, da ihm Beide als Verfaffer von apoſtoliſcha Denlſchriften gegoften Haben °). Nach meinem Urtheil bleibt Li

&) Bon des Drigenes Commentar zum Joh. ift 1, 19—51 verloren. Ehrl ſoſtomus (Hom. 18 [17] in Joann., c. 8) bemerft, Einige hätten Ungenaunten für den Evangeliften gehalten, Andere für einen Fünger geordneten Ranges (ovy) rer dnionuor). Er entſcheidet ſich fir Legtere, denn auch bie Namen der 72 fein uns nicht überfiefert. Catene des Corderius wiederholt biefe Erklärung wörtlich unter dem des Theodor von Mopsveftia und fo hat fie denn auch Fritsche in Exegetifchen Reliquien zum N. T. (S. 24) aufgenommen; er hätte bemerfen dürfen, daß fie dem Chryſoſtomus angehört. Euthymins Zu benus hat die von Chryſoſtomus geäußerte Anfidht nur im Aızszuge wie gegeben. Xuguftin (Tractat, VII in Joann., $ 9) und Theopäulatt ich auf diefe Unterfachung gar nicht ein,

b) Nathanael ſcheint der alten Kirche nicht als Apoſtel gegolten zu hat Eufebius erwähnt ihn in der 8.-©. nirgends. Im vierten beſtritten (nad) Fabricius, Cod. apoer. N. T. II, 787) Ehryfoft Gregor von Nyſſa, Auguftin, fpäter noch Gregor d. Gr. und Andere druclich, daß er Apoftel geweſen; Epiphanius ſah im ihm dem Genie des Kleophas auf der Wanderung nad) Emmans; noch Pſendo - Ati ermähnt ihn nur als folden, der Jeſu nachgefolgt und in feiner Gemeinitetl mit Philippus geblieben fei. Nur in den apokryphiſchen Duse viae ne| judicium Petri, die alferbings ſchon Elemens Alex. Tennt, wird Nattund als Apoftel aufgeführt, aber freilich and Kephas neben Petrus (Hi genfeld, Nor. Test. extra canon. recept. IV, 95. 97. 98).

©) In den erwähnten Dune viae (a. a. D., ©. 95) werben gleichfalle de Hannes und Matthäus verbunden, aber in erfte Linie gericht. Higef:

bie Zrabition v. b. Wirkfamfeit d. Apoſt. Johannes in Epheſ. 499

m eine Wahl. Entweder ift die Reihenfolge der Apoftel bei apias eine gedanfenlofe Zufammenwürfelung von Namen, wie fie m gerade der Zufall eingab, und dann find auf die Voranftellung 8 Einen und die Zurückſtellung des Anderen überhaupt feine Hlüffe zu bauen, auch die nicht, welche Keim gezogen hat; oder je Reihenfolge ift durch einen leitenden Gefichtspunft beftimmt, d dann weift fie uns deutliche Spuren auf, daß Papias das te Evangelium nicht nur gefannt, fondern auch benugt und hoch⸗ ſchatzt Haben muß.

5. Damit find wir bereits in die Keim'ſche Beweisführung neingetreten, daß ber Apoftel Zohannes nie in Kleinaſien geweſen ; die erfte Inſtanz find auch hier wieder argumenta ex silentio, türlich mit wegwerfender Abſchätzung Derer, die in ſolchen zwar mn Grund zu Bedenlen finden, aber ihnen feine durchſchlagende Wweiskraft beifegen Tönnen. „Das N. T. bis zu den. erften Aus» ıfern, im Voraus die Apoftelgefchichte, felbft ſchon fo fange (7) 4 der Zerftörung Serufalems, ſchweigt gänzlich ſtille“ (S. 161). ne das N. T. Hat mur den Ausgang des älteren Jakobus ber htet (Apg. 9); die Apoftelgefcichte begleitet fogar den Paulus t bis Rom; fie erwähnt bie Urapoftel zum legten Mafe bei dem mvente zu Jeruſalem; was fann unter diefen Umftänden das Ämeigen gegen den Aufenthalt des Apoſtels Johannes in Klein . en bedeuten? „Es ſchweigen noch lange über die Mitte des eiten Jahrhunderts die Ignatiusbriefe, die drei und bie fieben, ht blos der Brief an Smyrna, auch der an Polylarp und Epher 3; es fchweigt auch Polykarp im Phifipperbrief und die ſmyr⸗ iſche Leidensgejchichte unter Marc Aurel von einem Apojtel For mes in SMleinafien, überhaupt von einem Apoftel Johannes, Üter dem theuerften Befig der Kirchen, welche vorerſt bis 170 w den Namen des Paulus zu nennen und zu hören verftehen.“ 08 nimmt fih auf den erften Bli allerdings bedenklich aus, er diefe Bedenken ermäßigen ſich bei näherer Prüfung um ein edeutendes. Schon das Eine, daß überhaupt von dem Apoftel

bemerft bayın ©. 105: „Primi recensentur illi duo apostoli, quorum erangelia in N. T. leguntur, Joannes et Matthaeus“,

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Johammes in dieſen Urkunden wicht die Rede iſt, macht es une denllich, daß fie von feinem Aufenthalte in SM feinafien fchmeig Ein großer Theil der Literatur der nachapoftolifchen Zeit ift ve foren gegangen, darunter gerade folche Werke, die wie die des Pa Pins und bes Hegefippus uns vielleicht am erften noch Auffchlü über ältere Perſonlichleiten geben konnten. Was von Scriftftür auf und gekommen ift, hat einen ausfchlieglich apologetifchen, metifch=polsmifchen und poräuetifchen Inhalt. Weber die U und das apoſtoliſche Zeitalter finden wir darin fo gut wie fri Naceichten; felbft die neuteſtamentlichen Schriften werden mei ohne die Namen der Berfaffer citirt, und dieſes Schweigen weder befremben, noch zu unberechtigten Schlüffem verleiten, man firieb im Kampfe um bie Eriftenz ber Kirche unter den folgungen des Staates: und dem Andrängen haretiſcher Sperulati man ſchrieb über brennende Fragen für die unmitielbarjten dürfniffe der Gegenwart, nicht für die Wihbegierde der Nacı zumel man bei dem zerrütteten Weltzuſtande das Ende meh wartete. Daraus erklart fi ebenfo leicht der auffalfende. Din an Jutereſſe für folhe Kunde, als die Möglichkeit apokryphiſe Sagenbildung neben glaubwürdiger Tradition. Clemens zuerſt das Martgrium des Paulus und. Petrus; Papias einige Notizen über Petrus, Phifippus und Matthäus. Des B und deo Petrus gedentt Ignatius in bem Briefe.an die im Hinblick anf die auctoritatioe Stellung, die fie zu dieſer S meinde einnahmen; des Paulus: wiederum im Briefe an bie ji

weil er ihre Stadt den Durchgang der Heiligen zum * nennt; deſſelben Apoftels Polykarp im Briefe aw die Philipi

wo er den pauliniſchen Brief an diefe Gemeinde citirt; ein Mal

Babei ben Johannes zu nermen, war bei dieſen fpeciellen Bun nicht geboten, auch nicht in dem. igwatiawifchen Briefen narh Sy!

md an Polykarp, weil diefe fich Kediglich im dogmatifchen frau amd der Befprehung beftehender Verhältniffe bewegen Das Rum ſchreiben der Gemeinde von Smyrna über die Berfolgungen ıd den Tod des Polyfarp ift jo erfüllt von dem Drange ber cm erlittenen Noth, daß es nur bei ihrer Schilderung verweilt und ſit jeden Rücbliet in die ältere Vergangenheit verſagt; es iſt außerder

die Tradition v. d. Wirkjamteit des Apoft. Johannes in Epheſ. 501

an benachbarte Gemeinden gerichtet, denen max, wenn ber Apoftel Johannes wirklich in Epheſus verweilt Hatte, umſoweniger erft davon Kenntniß geben durfte. Auch von ber Exiſtenz des Press byters Johaunes, des Jüngers des Herrn, wiffen wir mar durch tin zufällig erhaltenes Fragment des Papias; mit Recht fordert Reim, daß der geſchichtliche Wahrheitsfiun am ihr uicht zweifle, dogleich Die iguatianifchen Briefe, die drei und die ficken, der Brief des Polylarp und die ſuhrnäiſche Leidewägefchichte von. einem Bresspter Johannes in Sleinefien, je von einem Presbyter Jar pnneg überhaupt, fchweigen, to der eminenten Bedeutung, bie 2 rach Reim foger für die kommenden Geweratiouen haben mußte. Erſt um das Jahr 160 hat die fühnere Erhebung der Härefie mw ihr Andringen in mountcfoltigeren Verzweigungen und Ger bien das Vebürfwiß zum Bewußtfein gebracht, nicht nur eine Bgre Berkindung aller Laudeslirchen enzubahnen (des Polyfarpus kife wach Nom; exfte Synodeu gegen die Mantanijten in Aſien 60-170, Euseb. V, 16, 10), wodurch audz die einafintifce tt in Ishhafteren, Verkehr mit dem Abenblande trat, ſondern auch xx opoftolifchen Tradition in dem. apoſtoliſchen Gemeinden jeibit achzugehen und fie durch den Nachweis der apoſtolijch-biſchöftichen quecajſion außer Zweifel zu ſtellen. Die Reife (um. 157—168) nd die Schrift (um 176), des Hegeſippus verfolgte für Serufalem, Yin vud Rom diefen Zoeck. Mit dieſer Tendenz hängt ohne weifel auch die erweiterte Notiz des gleichzeitigen Biſchoſs Dio- yius. ven. Korinth zuſammen, daft; Paulus und Petrus die beiden hemeinden zu Rovinth und Rom gepflangt und: in Rom um bie leiche Zeit den Zeugentod erlitten Hätten, obgleich wir ihr Inhalt wenigen auf geſchichtlicher Erinnerung zu ruhen, ald dur; Com⸗ inalion aus dem, arten Rorinther» und: dem erfen Chemens Briaſe jhloffen, ſcheiat. Irenaus ſtellt der römiſchen Sucaffion, die eu m Petrus und Paulus auf Eleutherus Herabführt, die kleinafiatiſche a die Seite, die ſich von dem Apoſtel Johannes durch Polylarp uf dig Preabpter feiner. Zeit. fartleitet: (Iren. IH, 8), Exf Herr cum bat es unternommen, den Urfprung den leteren aus eineme Ainen Mißverſtändniß zu erläxen, um damit ber johanusifchen Ab⸗ Yung-des. werten Epangeliumg dem allerlegten Halt megzuzichen.

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6. Seine Argumente haben anf den erften Blic etwas Ueber- tafchendes, Imponirendes, Biendendes. Zu den Schweigenden tommt ein Nebender. Nah Zrenäus war Papias Fremd und Zeitgenoffe Polyfarp’8 ; er Hat von 80 oder 90 bis 161 oder 163 gelebt; obgleich Leidenfhaftlicher Sammler ältefter Tradition, hat er einen Apoftel Johannes in Meinafien weder perfünlich gekannt, noch vorausgefegt, fondern nur den Presbyter Johannes, deſſen Zuhörer er noch geweſen war: folglich kann auch Polykarp nicht mehr mit Jenem verkehrt haben. Irendus hat erft dem Yohannes als Apoftel Kleinafiens feit etwa 190 n. Chr. proclamirt; wie er ihn aber mit dem Presbyter verwechfelt, wenn er den Papias einen Zuhörer des Apoftels Johannes nennt, fo irrt er auch darin, daf er den Polyfarp für einen Zuhörer des Apoftels und nicht des Presbyters Hält, welchen Legteren er daher auch nie nennt. Die Vieldeutigkeit des Prädicates: „Junger des Herrn“, welches Pa pias auch dem Legteren gibt, hat das Mißverftändniß veranlaßt, das ſich ſchon dadurch verräth, daß Frenäus in feinem. Werke mit demfelben Namen meift den Apoftel bezeichnet. Die Begierde .

dem Befig von Apofteln als Bürgen und Träger reiner Uebem lieferung gegen die Gnoſis hat es befördert und feine raſche Aus⸗ breitung begünftigt. Auch die Apofalypfe, ale Werk des Apoſten anerkannt und deutlich genug auf Kleinaſien und Ephefus hinweiſend, hat Helfend mit eingegriffen. Eufebius hat den Irrthum des Frenäus | in Betreff der vermeintlichen apoftolifchen Schillerfchaft des Papicd , durchſchaut, zur Löſung des letzten Irrthums, der Apoſtelſchüler⸗ ſchaft des Polykarp, fehlte ihm der Muth. Aber dieſe letztere if eine Unmöglichkeit neben ber Thatſache, daß fein Zeitgenoſſe, Nadr bar, Freund in PHrygien ohne Verbindung mit dem Apoftel un trog des nahen Zeugen Polylarp ein ganz mühfeliger Sammler vereinzelter Weberlieferungen über die Apoftel geweſen iſt. „Die apokalyptiſchen und chifiaftifchen Träumereien des Papias hat Eu febins quellengemäß auf Ariftion und den Presbpter ohanns zurückgeführt; Srenäus feinerfeits datirt diefelben Reden bei Bapiet von Johannes, dem Apoftel. Endlich der Johannes des Papiet wie der Johannes des Polykarp lebt in Stleinafien, lebt als Greie bis in die Tage Trajan's, bis an das Ende des erften, vielleicht

die Zradition v. d. Wirkfamfeit des Apoft. Johannes in Epheſ. 508

is in die Anfänge des. zweiten Jahrhunderts; wie fönnte fonft Bapias fein Zuhörer geweſen fein? Alſo fallen die. jeltfamen doppelgänger im Namen, im Titel, im Alter, in der Zeit, in der 'oealität, in den Grundfägen fo rein zufammen, daß nur bem Inverftand oder dem Eigenfinn ber Sag übrig bleibt, die eiden Doppelgänger haben im Ernſte nebeneinander exiſtirt.“

S. 164—169).

Die Möglichkeit diefes Sachverhaltes wird zum Voraus kein derftändiger Teugnen; aber um uns zu veranfaffen, nach Art der Abinger Schule diefer Möglichkeit fofort die Wirklichkeit zu ıftituiren, müßten diefe Argumente doch etwas zwingender fein, 8 fie fich bei näherer Prüfung ausweiſen. Daß die angebliche üferftellung des Papias zum Apoſtel auf.einer Verwechſelung &renäus beruhe, ift allerdings von Eufebius erkannt, Heutzutage on allen Unbefangenen zugeftanden und auch von mir gegen Zahn getan worden. Daß die Zweideutigfeit des Präbicates „Zünger 3 Herrn“, welches gleichmäßig dem Presbyter und dem Apoftel igelegt wird, aud) andere Mißverſtändniſſe derfelben Art bei Jrenäus tonlaßt haben kann, ift ebenfo unbedenklich einzuräumen. Vielleicht

feine Nachricht über das Zufammentreffen des Apoſtels mit inth in Epheſus (Iren. II, 3, 4. Euseb. III, 28, 6) nicht inder als das Gleichniß vom Weinftod ans derſelben trüben Quelle floffen, und gleiche Verwechfelungen find mit untergelaufen, obgleich venäus bei jener Nachricht nicht wie bei dem Gleichniß auch das dert des Papias citirt, Eufebins aber für die „einigermaßen ber emdlichen Parabeln des Erlöfers“ nicht den Presbyter Johannes $ Gewährsmann des Papias nennt, fondern fie nur auf unge jriebene Ueberlieferung zurüdführt und feinen Chiliasmus aus der hftäbfichen Auffaffung myſtiſch d. h. ſymboliſch gemeinter Dies fen der Mpoftel ableitet. Es ift dies umfomehr zu beachten, da ich Eufebins Papias die Zeugniffe des Presbyters und des Ariftion it ihren Nomen anzuführen pflegte und Euſebius es nicht unters ſſen Hat, die Ueberlieferung über Markus ausdrücklich als von

m Erfteren herrührend zu bezeichnen. Aber daß die Verwechss ng des Irendus fo eminente Dimenfionen angenommen, daß fie radezu den Presbpter in den Lange vor ihm ſchon verftorbenen Theol. Stud. Jahrg. 1868. 34

[03 Steig

mb niemals nach Kleinaſien gelommenen Apoftel trensformirt habe und daß Alles, was Örenäns über dieſen aus dem perjänfice Umgang mit Polykarp vernommen heben will, nur vom Jeuen gelte, ift doch eine gewiß nicht allein mir, ſondern auch vielen Anı deren fehr zweifelhafte Bermuthamg, wie denn Ewald (Göttinger Anzeigen 1867, 41. St.) geradezu meinte, der Werfaffer kin nicht ernftlich gefonnen fein, biefelbe zu vertheidigen. -

Bas Keim zur näheren Begründung feiner Vermuthung anführt, koante nur dazu dienen, mich von ber Verſchiedenheit unferer fra tiſchen Grunbfäge und Methode zu Überzeugen. Daß *

einem Apoſtel Johannes in Meinafien nichts gewußt und ſolchen überhaupt nicht vorausgeſetzt habe, Täßt ſich doch aus wenigen Sragmenten, bie won jeinem Werke erhalte find, wicht Sicherheit darthum. Daß er keinen der Apoftel mehr perjönld getannt habe, ift mir zwar durch meine Unterjuchung (a. a. O4 ©. 78) in hohem. Grade wahrjheinlid geworden u ich Habe dies als das Höchfte bezeichnet, was ſich in fo bunte Fragen erreichen laßt: weiter zu gehen und auf Bahrfcpeinficheim Beweife zu bamen, hatte ich allerdings nicht den Muth, und if freue mich deſſen. Ans der wahrfcheintichen perfönlicen Um belanntjchaft des Papias mit dem Apoftel Johannes ließe ſich da Gleiche für Polylarp nur dar folgern, wenn feftftänbe, daß bat Zeitgenofjen auch Alterögenoffeu gewejen find. War aber Polytı (geboren fpäteftens 80 n. Chr., cf. Euseb. IV, 15, 20) nur zehn Jahre älter als Papias (geboren fpäteftens 90 u. Chr ſo ift fahr wohl möglich, daß euer noch vor Ablanf des er Jahrhunderts als Yüngling mit dem Apoſtel verkehrt, diefer i aber nicht mehr geßannt, dagegen noch mit dem Presbpter Lmgay| gepflogen und bei ihm directe Exfundigungen augeftellt Hat (ml. meine Abh. a. a. O., S 79ff.). Woher weiß Herr. Keim, dej Papins trotz des nahen Zeugen Polylarp ein fo mühſamet Sammler wereingelter Uebenlieferungen über die Apoftel geweſa HP Seine Worte bei Eufebius machen im Gepentheil den Gr dend, daß ihm die Befragung von Apoſtelſchulern noch in reden Maße zu Gebote ftand, und gewiß wird er in Palyfarp einen fein werläffigften Gewährsmänner sd eine der ergichigſten Queiea

bie Trabition v. d. Wieffemfeit b. Apoſt. Johannes in Ephel. 505

opoſtoliſcher Tradition gefunden Haben. Uebrigens ift er nicht Ueberlieferungen über die Apoſtel, ſondern Herruworten nad» gegangen; ben fpäteren Schidfalen der Apoftel hat er, ſoviel wir aus den vorhandenen Beifpielen ſchließen dürfen, nur fomeit nach⸗ geforiht, als er an ihnen die Erfüllung von Weiffagungen Jeſu nachweiſen kounte.

„Ein Boden von Unmöglichkeiten“ iſt mithin die Tradition des Irendus keineswegs. Über ſie ſteht genauer angeſehen auch nicht einmal im Widerſpruch mit Papias und Hegeſipp. Zwar ſpricht Frenäus im echt griechiſcher Weiſe mit großer Ueberſchwänglichkeit bon dem reichen apoſtoliſchen Verkehre ſeines verehrten Lehrers Bolglarp. Bald hat er „mit Johannes, dem Junger des Herrn, md den anbern Apofteln“, bie er noch gekannt (Euseb. V, 24, 16), Kl „mit Johannes und den Uebrigen, die den Herrn gefehen haben, lebt“ (V, 20, 6), bald ift er „nicht nur von Apofteln belehrt worden und mit Vielen, die Chriftum noch pefehen haben, umgegangen, fondern aud von Apofteln in ioch jugendlichen Alter zum Biſchof von Smyrna eingefegt worden“ (W, 14, 3. Iren. adv. haeres. II, 3, 4). Man kann fi ver- fuht fühlen, einen oder den andern Zug von diefer Schilderung 18 rhetorifche Ueberfülle in Abzug zu bringen: ein fefter Kern Heißt unauflöslich zurüd und wird anderweitig beftätigt.@ Jreuäus weiß, daß Polykarp nicht allein mit Apofteln, fpeciell dem Fohanyes, jondern auch mit Anderen verfehrt Hat, die den Herrn noch gefehen ben: an wen foll man dabei anders denken ald an Männer wie Ariition und den Presbpter Johannes, „die Jünger des Herrn“, die den Apoftelfreis noch überlebt, die Papias noch gefannt, bei denen er bie echten. Herenworte gefucht, von denen er noch zu Pos Iglarp’8 Zeit gefchrieben Hat, nicht wie Jrenäus ein Vierteljahr. hundert Äpäter? Findet ‘nicht überdies diefe Ausſage des Irendus ihre unbefangene Beftätigung in dem Zeugniffe des Hegefippus, daß die Tegten Apoftel und die legten Obrenzeugen in ber Zeit Trajan's unmittelbar vor dem Emporkommen der Gnofis etloſchen feien und daß in ihnen eben die Schranke fiel, welche bisher dieſes Emporfommen niedergehalten hatte? Stimmt endlich nicht mit den eigenen Erklärungen des Papias äber den Zweck und

34*

506 Steig

das Ziel feiner Traditionenfammlung überein, was Irenäus (Euseb. V, 20, 6) weiter von Polykarp berichtet, er habe die Worte Derer, | welche Chriſtum gefehen, in treuer Erinnerung behalten, und mes er von ihnen über den Herrm gehört, über feine Wunderthaten und feine Lehren, das habe er Alles, als von ben Autopten des Lebens empfangen, verfündigt nad) feinem vollen Einklang mit ber Schrift?

Ueberhaupt verliert die Hypotheſe des Herrn Keim in dem Mojt am überzeugendem Cindrud, als man fi) die näheren Voraus⸗ fegungen Mar macht, unter denen fie vollzogen werben muß. Irenäut hat feine Jugend in Smyrna verfebt, er hat mit Polykarp Umgang gehabt und will fich noch der Worte, die er geredet hat, erinnern follte, ja muß er nicht in biefem Berfehre and) von der Eziften, jenes Presbyters, den Papias, der Freund des Polylarp, fo genau gefannt, und den jedenfalls aud Polylarp gelamıt haben muf, gehört haben und zwar als von einer mit dem Apoſtel gleichnamigen, aber von ihm verfciebenen Perfönlickeit? *) Iſt es alfo denkbar, daß er in die Lage gelommen fei, Beide 5is zu dem Punkte zu vermengen, daß er den Presbpter, wie heutzutage Guericke, Zahn und Andere, in den Apoftel auflöfte, deffen Fuß nie Kleinaſicn betreten haben fol? Ya, erjcheinen nicht die Verwechſelungen, die im Einzelnen nicht zu bejtreiten find und deren Umfang die Kritif noch ſchatfer zu unterfuchen hat, erft dann vollfommen begreiflic, wenn zwei Männer räumlich und zeitlich mit denfelben Namen, Titeln, Jahren und Prädicaten fo nebeneinander eziftirt haben, das man unwillkürlich Gefahr “ef, Züge des Einen auf den Anderen zu übertragen?

Aber gerade dieſe Goezifteng ſcheint Keim fo ungereimt und un möglich, daß er es nur dem Unverjtand und Eigenfinn anheimgeben fann, das verneinende Reſultat feines im fiheren Giegesgfühle geführten Beweiſes zu bezweifeln. Allein, laffen fich nicht ganz

a) Allerdings hat er feinen Namen nicht ausdrüdfid genanut, aber fon GaE (Art. „Johannes Presbyter“ in Herzog’s Realencyti. VI, 764) weit deraui bin, daß für Icenäus, der gern bie höchſten Auctoritäten auffucht, der Evangeliſt feinen gleichzeitigen Mamensgenoffen in den Hintergrund geht and mit feinem Glanje verdunkelt habe.

bie Tradition v. d. Wirtſamleit d. Apoſt. Johannes in Epheſ. 507

ähnliche Parallelen auffinden? Ich erinnere nur an bie beiden Anaftafius, die fih am Wendepunfte des fechften und fiebenten Jahr⸗ hundert auf dem Batriarchenftuhle zu Antiodien fuccedirten und zu denen nod) ein dritter Namens» und Zeitgenoffe, ber Verfaſſer des ödnyog, der Monch und Presbyter vom Sinai, kommt. Auch bier waren Berwechfelungen möglich und find, wenn auch erſt Jahre hunderte fpäter, wirklich vorgekommen. Nicephorus Calliftus hat (Hist. eccles. XVII, 44) nicht allein den Märtyrertod des Zweiten (f 608), fondern aud den Namen des Sinaiten auf den &rften (F 599) übertragen und in ihm den Verfaſſer des ödnyds sefehen ; Gretfer ift ihm darin gefolgt, und bis Heute ift die Ver⸗ wirrung über diefen Gegenftand noch nicht völlig gelichtet. Gleich⸗ bohl geftatten noch die vorhandenen Quellen, uns über die Dreis Mil der Doppelgänger zu orientiren; aber über des Presbyters Aufenthalt in Meinafien berichtet nur ein vereinzelte Fragment de& Bapias, über den des Apoftels, wie es feheint, erft Srenäus. Läßt fh da mit Keim fo raſch und kurzweg entſcheiden? Doc brauche # noch nicht einmal ‚fo weit zurückzugreifen; ſelbſt in der nächften Bergangenheit, in meinem eigenen Lebensfreife bietet ſich mir ein Ühlagendes Beifpiel dar. Bor einem halben Jahrhundert ftarben 1 Frankfurt zwei Rathsglieder meines Namens, deren Lebenslauf md Amtsführung in den wichtigften Wendepunften die auffalfendfte Uebereinftimmung zeigt. Der Jüngere, mein Großoheim, war 1756, mei Jahre nach dem Weiteren, geboren, wurde 1801, zwei Jahre nad ihm, Senator und jtarb 1819, wiederum zwei Jahre nad Im. Beide waren urſprünglich Kaufleute, find im gleichen Alter von 45 Yahren Senatoren der Reicheftadt geworden, verwalteten während der Primatifchen Zeit die ftädtifchen Angelegenheiten, haben fh um die Finanzen namhafte Verbienfte erworben, find gleid kitig 1816 auf die Schöffenbanf gerüct, Haben ihren Genatoren- und Schöffenfig Jeder achtzehn Jahre innegehabt und find Beide 63 Jahre und einige Monate alt geworden. Sie waren zudem nicht Brüder, nicht einmal nahe Vettern, fondern im dritten und dierten Grad verwandt und gehörten zwei verfchiedenen Linien an, die ſchon ein Jahrhundert vor ihrer Geburt auseinandergegangen Daren. Auch diefe beiden Doppelgänger fallen in Gefchlechtename,

808 Steig

Localität, Zeit, Lebensalter, Dauer und Grundfäßen der Amts- führung haarſcharf zufammen. Gleichwohl haben fie in Wirklich- keit nebeneinander eriftirt; ich felbft habe fie vor 48—50 Yahren noch als Kind gefehen; ältere noch jegt lebende Mitbürger haben fie noch aus perfönfihem Umgang gefannt; erft in biefem Jahre (1867) wurde die legte Tochter des Aelteren begraben, nod in zwanzig Jahren werden Leute übrig fein, deren Kindheit ſich mit ihren legten Jahren berührt hat. Es iſt eine alte Klage und ein unfere locale Geſchichtsforſchung fehr erſchwerendet Umftand, daß man bei ung wenig aufzeichnet; Hiſtoriler wie Friedrich Böhmer haben fogar die verhäftnißmäßige Flüchtigkeit unferer reichsſtädtiſchen Traditionen unverhohlen bedauert: „Ein Geflecht von geftern treibt fih auf und ab; keine Memnonsſäule ragt mehr aus der uniformen Fläche!“ Auch über die beiden Doppelgänger meines Geſchlecht iſt faft nichts aufgezeichnet, nur über meinen Großoheim eriftirt u wenigen Händen eine ala Manufcript gedrudte Broſchüre von einem Bogen, in der der Andere nicht einmal erwähnt ift. Es kann daher einft, wenn auch troß der Flüchtigkeit unferer Traditionen erſt nad Ablauf des Jahrhunderts, eine Zeit fommen, die von ihnen nichs mehr weiß, als die Bunfte, auf.denen ihre 2ebenslinien fo wunder bar zufammentrafen; würde fie im Rechte fein, wenn fie durch den Scarffinn ihres kritiſchen Spürtriebes fi auf den Einfall feitn Tiege, daß nur def. Eine in Frankfurt wirklich gelebt, der Anden aber erft im der verdunfelten Erinnerung der nächften Generation aus dem mejenlofen Schatten defjelben fich zu feinem mythiſchen Doppelgänger condenfirt habe? wenn fie ſich von der überrafchenden Wahrſcheinlichteit ihres Bundes fo bienden ließe, daß fie den Sah Beide hätten im Exrnfte nebeneinander exiftirt, nur „dem Unverftandt ober dem Eigenfinne“ anheimgeben wollte? Man täuſche ſich nicht! Solde Beifpiele zeigen deutlich, wie lange nod in der Erinnerung der folgenden Generationen die Spu— ven eines Menfhenlebens fortlaufen, das fig in größeren oder Heineren Berhältniffen wirkfam un in ausgezeichneter Stellung ‚betätigt hat, und mie viele Zeit darüber hingehen muß, bis fie fich völlig verwifchen. Man halte damit die Tradition von dem

die Tradition v. d. Wirkſanueit d. Apoſt. Johannes in Epheſ. 508°

lufenthälte des Apoſtels Johannes in Kleinaſien uſammen, und der Schluß, zu dem dieſe Vergleichung rängt, wird ſich von felbft ergeben.

7. Noch weniger begreift. fih, was Keim über die vafhe Ber reitung der angeblich fo jungen Gage uns glaublich machen will. % man nämlich in Ephefus ebenfo begitrig nach Apofteln geweſen 4, als in Rom und Korinth, fol fofort Kleinaſien aus der vor rilhaften Selbfttäufhung des Irendus Capital gemacht haben. !i6 Beleg dafür muß der Brief des Polyfrates von Epheſus an Nietor im zweiten Paſchaſtreit „mit den fiir das kritifche Auge icht entdedbaren Blößen feiner Rhetorik· dienen (Euseb. V, 24, 8). „Was er gibt, find doch nur phantaftifche Wilder, aub a Evangelium und der Offenbarung aufgeleſen: den Philippus ter gegen die älteften Zeugen zu einen Mpoftel gemacht und das hab einer feiner Töchter für Epheſus anıtectivt, während Phi⸗ Mus neben feinen vier Tochtern nach Proclus in Hierapolis ruhte Euseb. II, 31). Endlich hat er doch: nicht den Muth, Fohannes men Apoftel zu nennen; er Hat ihn wunderfam Philippus, bem Ipoftel, und feinen vier Töchtern nachgeſtellt, bagıgen dem Poly« mp, Thraſeas, Sagaris, Papirius, Melito, jüngeren, ja ganz mgen Zeitgeſtalten nahegerüct, weshalb auch fehön"Higig und Biefeler die Verwechſelung mit dem Presbpter Johannes vermütget Sen“ (S. 165). Was zunächſt den Philippus betrifft, fo eutet allerdings die Erwähnung feiner Töchter und. ber Grabftätte 1 Hierapolis unverkennbar auf den Apg. 21, 8. 9 ermähnten Aiebenmann und ich habe darum auch ftets eine Verwechſelung mit ieſem vermuthet. Aber ausgemacht ift bis zur Stunde noch nicht, uf weicher Seite der Irrthum liegt, ob in der Angabe des Poly- sated oder in der älteren Mpoftelgefchichte. Giefeler hat ihn ı der letzteren gefucht und V. 9 die Notiz Über die vier weiffa- enden Juugfrauen fir eine ſchon an ihrer Abgeriffenheit kenntliche, uch die Erwähnung geiftbegabter Menfchen und ihrer Weiffagurigen eranlaßte Gloſſe eines alten Leſers gehalten (Stud. u. Krit. 1829, 5. 139f.). Er Hält aljo B. 8 an dem Diakonus Phifippus feft. zeller (Die Apoſtelgeſch, 1829, S. 154) nimmt zwar die Glaub⸗ dirdigfeit der Apeſtelgeſchichte Hier gegen Polykrates in Schuß,

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Mann fic dabei aber doch nicht verhehlen, daß die Worte 21, 8: ‚Övsog dx vor Enca mit ihrer deutlichen Rücbeziehung auf Gap. 6 fi) als Zufag des Bearbeiters zu dem Berichte des Augenzeugen zu verrathen fcheinen, während die Genauigkeit in den Angaben vs Bolyfrates ein günftiged Vorurtheil für die Ueberfieferung, ber m gefolgt ift, erwede. Hilgenfeld (Vaſchaſtreit, S. 189.) find, daß es mit der ausdrüclichen Angabe des Polyfrates nod) int wege jo ſchlecht ftehe, daß fie der Apoſielgeſchichte nothwendig gr opfert werden müſſe. Auch ich glaube, daß, wenn in der Apoitd| gefchichte ein mißverftändliher Zufag des Bearbeiters anzunehmen if, derfelbe in B. 8 voransgefegt werden muß; nicht blos die Work õvroc dx reõy eᷣarci, fondern aud die Bezeichnung des Philippu als 6 sueyyelsorns ijt verbädtig, denn abgefehen davon, di edayyelsoral im ganzen N. X. nur Eph. 4, 11 und 2 Tim. 4,5 in vielfach angezweifelten Briefen vorfommen, fo kann das Ant: eines ſolchen doch nach Apg. 6, 2. 3 ſchwerlich mit dem Diakon verbunden geweſen fein; 21, 8 aber fcheint, wie das Prädicat da Siebenmannes aus 6, 3. 4, fo die Vorftellung des Phifippus als| Evangeliften aus 8, 12 zu ftammen, wo bon den Samariten, uuter denen der Diakon während ber Verfprengung der Urgemente eine vorübergehende, rein perfönfiche Wirkſamkeit (8, 5 u. 8, 14) geübt, aber kein Amt bekleidet hat, gejagt wird: Entorsvoer si Bilinnp evayyelılonusvo zegl vis Bacılelas von se, und aus 8, 35: eunyyelloaro auch (v5 evvodxw) zov 'Inooir. Sind diefe Zweifel gegründet und beide Epitheta als Gloſſen ii Bearbeiters anzufehen, der irrthümlich den Philippus zu Gäfere für den Dinfonus und erften Miffionsprebiger, Samariens hl, dann braucht man auch V. 9 nicht weiter mit Giefeler anzuzweifeln fondern ann die Stelle von Philippus und feinen weiffagende Töchtern auf den Apoftel beziehen. Bon diefem läßt fich ohne leichter begreifen, wie er zu einer Zeit, wo felbjt Paulus in Je rufalem feinen Apoftel mehr fand, fondern nur den Jakobus un die Preöbyter (21, 18), weil Jene durch ihre Miſſion auswärt befchäftigt waren (1 Kor. 9, 5), einen dauernden Aufenthalt un ein Haus zu Cäfaren haben konnte, al von dem gleichnamigen Diakonen, der in der Urgemeinde ein ftändiges Ant bekleidet.

bie Tradition d. d. Wirkſamkeit des Apoft. Johannes in Epheſ. 611

Das ift es, was ſich zu Gunften ber Angabe des Polyfrates fagen fäßt. Papias und Proclus aber können’ in biefer Frage nicht ent« ſcheiden, Jener nicht, weil wir nicht feine eigenen Worte haben, fondern nur das Meferat des Eufebins, der überdies die Nachricht auf den Apoftel bezieht (III, 39), Proclus nicht, weil er nur von Philippus fpricht, ohne ihm näher zu bezeichnen *).

Bei diefem zweifelhaften Stand der Frage Tann das Zeugniß ver Apoftelgefchichte nicht als kritiſche Inſtanz gegen Polykrates venugt werden. Noch weniger der angebliche Widerſpruch zwifchen Broctus und Polykrates in ihren Angaben über die Töchter. Denn wenn Jeuer von pier weiffagenden Töchtern des Philippus fpricht md dann zur Legitimation feiner Kunde von ihnen auf ihr Grab a Hierapofis und das ihres Vaters Hinweift, jo läßt fih aus Kefer ganz allgemein gehaltenen Bemerkung ebenjowenig mit Sicher⸗ rit fliegen, dag alle Töchter des Philippus in Hierapolis be— toben Tagen, als aus ber ebenfo allgemeinen Notiz des Clemens on Alexandrien, Philippus habe feine Töchter an Männer gegeben, ab alle verheiratet waren (vgl. den Ausdrud od Aoınoi ano- zoloı 1Ror. 9, 5 und de Wette dazu); Hier macht vielmehr bie Ingabe des Polykrates, daß zwei derfelben im hohen Alter als jungfrauen geſtorben und im Hierapofis begraben Liegen und die ndere, die im Heiligen Geifte gewandelt, zu Epheſus ruhe, den

a) Allerdings könnte man aus ben Worten feines Gegners Cajus bei Eufebius U, 25, 6: &y@ da rd 1gomaia züv dnoaröAuv Eya deita, darauf fließen, daß entweder Proclus nicht den Apoftel Philippus gemeint, oder doch Cajus ihn micht ale Apoftel Habe gelten Iaffen wollen. Allein ich zweifle, daß Cajus die römifchen Apoftelgräber des Petrus und Paulus fo direet dem hierapolitaniſchen Grabe bes bloßen Diakonus entgegengeftellt hat, denm wäre überhaupt in feiner Schrift der Amtscharakter des Phir fippus zur Erörterung gefommen, fo hätte Eufebius unter bem Eindrude diefer Berhanblungen IT, 81, -2 wohl fÄhwerlich die Angaben des Poly frates und des Proclus fo gleichmäßig auf den Apoftel beziehen und dann in harmloſer Naivetät den Aufenthalt des Paulus bei dem Sieben- mann und feinen Töchtern zu Cäſarea aus ber Apoſtelgeſchichte als be Rätigendes Zeugniß anfügen Können. Au Schmwegler (Montanismus, ©. 283) ſah in ben Berufungen ſowohl des Proclus als des Cajus Ap- pellationen auf die Apoftolicität der betreffenden Kirchen.

72 Ex

Euteuf sr gig Gesaugfer, umiemche, da mar in Epheſus after moße, m üt 2er Bes Genh amer Diefer Töchter befand Dar nie Zn wire Grambe uber Soll dab Zeuguih des Procus, 2 cmer Domes In Simemuhmet, größeres Gewicht haben, du Tem Mir inmmit iber Aut Beh Bekyfrases Sinaufragt, fondern 4er rue jimger angry werben Bari? “) Keim's Behauptung,

2, De Erreiürse: Scxios zıb Möfizere werben in ben Fragmenten der Doler orimmmmitnier Srsore- gar wide, fonbern erfi in ben unedite Gehcimer ie Tenor c 50 omäßet. Ad. Valentin. c. 5 führt yew Le-ufker WER den Befrritern des Balentic er ch zıh uub Iaint, Sein Gegner Ci Mich geyex due Zune: dem Eitanene et Zephgrinns (Euneb. II, 25, zwiier BG. ze %:, wie Euiebins (a. a. D.: Hozip &y; rem; dels Saher Jusäoyes III, 32, 4] und dmi Pospuns ng Beszles ů— #eryes algismıs Fmeguayoüvra zexwnudros 20, 3, im EicF- gürafı, deutet ofme Zooeifel anf bie Heichzeitig beider Mämerr zu Snjeng des drittem Jahchunderte. Proclus je (Euseb. III, 31, 4,: pere r de neopimdes reoaages al #| Ainnor yerörgree dr Teganödes 75 zen rip alay" 8 vogos anıin, der izei zei 6 res warpos errar; Clemens von Alerandrien €. 30, 1; Serum. VI, 5%: Aduraos de α ddduze; Fobzkıaten (1,24, 9): Hisnov zör vv duldexa dneozölen, ös Tegancins, zui due Suyariges aured yeyıgerial nagdere zei j Erien are Ieyürmo dr dylp nveiuarı no sauern Prüdicat der Propetim, dgL 5 5 und Balefins zu der Im Stelle), dranerieren. Da Polytostes die dritte in Epfet begrabene Tochter wur ale Propketin bezeichnet, aber micht als mapdrm, wie die beiden Wnderem, Darf man jehliehen, daßz fie verheiratet mar. ex enbfich in dem Berzeiaiffe der im Meinafien Beſtatteten bie vierte nid aufähft, fo läßt ſich amnehmen, bafı fie außer dieſem Lande ſich verkelit Sat und geftorben if. Papios hat mod Töchter des Phifippns in Gin polis gefammt, ſcheint aber ur im Allgemeinen von ihnen gerebet zu faba (Euseb. HI, 89). Die Wet amd Weiſe, wit der antimontaniftifde Aaoı- mans, als wahre Propetem, die nicht in Bewirßtlofer Effefe gemeiffont, suh dem Agabus (Apg. 11, 28; 21, 10), Judas und Silas (15, 32) m deu Töchtern des Phifippus (AL, 9) ſofort bie philadelphiſche Mama m) den Onadratise nennt (Euseb. V, 17, 2), geigt, daß er nur meniehemen: Hide Notizen mit der rchlichen Tradition verknüpft hat. nd die dr leitenden Worte: zes woöres in dem Fragmente bes Procius (mh Schtwegler wäre au Quadratus dder, was ich fils richtiger halte, ax eina

die Tradition v. d. Wirkfamkeit d. Apoft. Johannes in Epheſ. 813

olhlrates Habe „ein diefer Gräber für Epheſus „annectirt“, bat rum nur den Werth einer Vermuthung.

Geradezu in der Luft aber fteht die Beſchuldigung, auch Poly 18 habe nicht den Muth gehabt, den Johannes wie vorher n Philippus einen Apoftel zu nennen, als ob nicht die Bezeich⸗ ng: 6 m 6 0rj9og Tod xuglov dvaneouv fo deutlich wäre, 5 fie jedes Mißverftändnig geradezu ausſchlöſſe! als od fie nicht it jtärfer wäre als das „rev zur dudsxe dnoozoiwv“ und nit matt, überflüffig und geradezu lächerlich geweſen wäre, an er nach jenem höchften Prädicate noch) etwas derart zugeſetzt te! als ob der Ton und die Sprache diefed ganzen Actenſtückes 4 nur irgendwie die Unficerheit des böfen Gewiſſens, das zag⸗ fe Bewußtſein möglicher Selbfttäufchung oder gar abfichtlicher Möung verriethe! Endlich hätte ſich Herr Keim ohne großen harfſinn fagen Fönnen, auf welchen Grunde die Reihenfolge ber kt, in der Polhkrates die großen Gejtirne feiner Landeskirche führt. Es werden ja lauter Entjchlafene genannt, die in Afiens de ruhen und die Auferſtehung am Tage der Parufie bes Herrn arten: in erfter Linie Philippus, offenbar als ber zuerft Heim» angene, in zweiter Stelle Johannes, den die Tradition der alten he die. übrigen Apoftel überleben Täßt, hierauf Polylarp, den feinen Schüler und Hörer nennt, dann erft eine Reihe von Ännern, meift Märtyrer, bis-auf Melito, der noch im laodis iſchen Pafchaftreite (um 170) Wortführer geweſen war, Ale ıe Ausnahme nit nur jüngere Zeitgenoffen des Polykarp, bie nicht um ein ober zwei Jahrzehnte überlebt haben werden, und ere des Polykrates. Mit welchem Rechte fagt denn Herr Keim, Iptrates habe dem Johannes eine Reihe jüngerer, ja ganz junger tgenoffen nahegerüct, da doc feine Aufzählung den Eindrud interbrochener Continuität macht und ihr offenbar die Abſicht zu unde liegt, einerſeits das Alter, andererfeits die Allgemeinheit

der von dem eben genannten: Anonyme vorher genannten Männer ber Schrift zu denken) machen es mir wahrſcheinlich, daß auch diefe Notig nicht aus eigner focaler Kunde, fondern gleichfalls aus der Apoftelgefchichte und der lirchlichen Tradition zuſammengeſchweißt ift.

55 Fhmeige er anf wor Vavias, auf dem er ſich ohne Zweifel sewidher Necte wir er die Anderen berufen konnte. Man Beher auch Terz Grrad, dereıf Ebfäfje zu gründen, daß er Arolzurs mu Erit’ämweiger übergeht; es wäre fogar nicht mögt:h, dah Dirier wach gefcht hat, zumal wenn dieſes Actenfti wie mau gewiie!ih exummt, bald nad) Bictor’s Amtsantritt des Jahr 190 werizät in.

Irenäns wer Zeugenoije des Polylrates; er hat unter dem flepate des Eleutheras (177—190) jein Werk gegen die Härci werfagt (Euseb. V, 5, 9), er hat nod im großen Paſche feinen Brief an Bictor geihrieben; Keim läßt ihn etwa feit

uud wir follen mm ganz beruhigt annehmen, Polyfrates habe jo im Jutereſſe feiner nady dem Befige von Apofteln begierigen Lanı firche diefe Proclamation mit beiden Händen ergriffen, fie friſcht anf ihr Bauner geheftet und zu ihrem Loſungsworte gemadit; fl er habe, an diefer fühen Frucht, die ihm unverhofft iu den © fiel, noch nicht erfättigt, obendrein den Diafonus Bhilippus dem ange eines Apoftels beffeidet, das Grab einer feiner Ti unbedenklich für Ephefus annectirt und alle Blößen diefer Annerio mit dem Flickwerk prunfender Rhetorik zugedeckt. Keim nimmt Hilgenfeld 166 als Todesjahr Polykarp's an *); Polyfrates fi um oder bald nach 190, er habe 65 Jahre in dem Herrn: er alfo, wenn wir diefes After von feiner Geburt und nicht erft dm) den Anfängen feines Chriftentjums an beredinen, bei Polylar Tod etwa vierzig Jahre alt geweſen; er muß ihn wohl perfönlid,

2) Diefe Annahme ſtutzt fich anf die djeomologikie Wetig am Schlufſe d Martyriums, beren Unechtheit von mic (Fahrb. f. D. Aeel VI, 12613 mit Gründen nachgewieſen worden ift, die ich durch Kilgemfelb’s Gtgre bemerfungen (im feiner geitſchrift IV, 289) nicht für emtfiäftet Halten far

die Tradition v. d. Wirkſamleit d. Apoſt. Sohannes in Epheſ. 515

id zwar nicht wie Irenäus als Jungling, ſondern in der vollen eife der Manneszeit noch gekannt und er ſoll niemals von m erfahren haben, mit wem er eigentlich in feiner Jugend ver⸗ it hat, ob mit dem Presbyter Johannes allein, oder auch mit m Apoftel Johannes? Er foll wohl gar nicht darnach gefragt ben, in einer Beit, wo man bereit8 in ben apoftolifchen Gemeinden ıen ficheren Anhalt gegen die wuchernde Gnofis an ber Feſtſtellung : apoftolifchen Tradition und der bifchöflihen Succeffion zu ge» men fuchte und wo Hegefippus in diefem Intereſſe feine Neife 57—168) von Paläftina über Korinth nad Rom anftellte; in ır Gemeinde wie Epheſus, die unleugbar als apoftolische Pflan- ng ſchon von Paulus Her galt? Auch ihm foll das zweidentige fdicat „Zünger des Herrn“, das Papias gleihmäßig dem Pres⸗ fr und dem Apoſtel beilegte, denfelben Selbftbetrug wie dem mäus in Gallien gefpielt oder er fol fogar den Presbyter mit ſem Gewiffen als Den, der an der Bruft des Herrn geruht, eichnet und darum nicht den Muth gehabt haben, ihm unums inden das geringere Prädicat des Zwölfboten beizulegen, und es te ſich in ganz Kleinafien, in dem ganzen Lebenskreiſe des Por arp, der noch nicht völlig ausgeftorben fein konnte, Feine Seele 2 fo viel Wahrheitöliebe gefunden, um dem Irrthum oder der pe zw widerfprechen? Endlich noch die fieben Männer, die aus ner Familie das biſchöfliche Amt in Kleinafien befleidet, die alle “its als Heimgegangene von ihm bezeichnet werden (joay Eni- oro), die noch ſämmtlich Zeitgenofien des Polykarp und des wias gewefen fein müffen, auf deren Ueberlieferung (regadoous iy Guyyevay mov) er fih als der Erbe diefes ihres geiftigen hatzes fo feierlich beruft, auch von ihnen foll er nichts Verläffiges er eine Frage, welche für die Zeit eine der brennendften war, hr erforfcht und vernommen haben? In der That, man macht ) wunderfame Illuſionen über die flüchtige Dauer der Tradition, hrend man ihr doc) wieder in anderen Fällen eine unvertilgbare isigfeit der Erinnerung vindicirt, jenes freilich, wo es gilt „der faſſung des Evangeliums durch den Zebebaiden den letzten Halt tzuziehen“, dieſes, wo man das entgegengefeßte Intereſſe verfolgt, Dionpfins von Alerandrien, Eufebins, Hieronymus und den

sıs Steig

apofioliſchen Eonftitutiouen wech fpäte Zeugen für die unverwiſch baren Spuren der Exiſtenz und Wirfjamsfeit des Presbpters Jo hannes in der Erinnerung Kleinagfiens aufzuftellen, weil er einmal der Schlaſſel fein muß, der das ganze Rathſel löft, Arioduefaden, der ans dem Irrgewinden diejes Labyrinthes ficheren Ansgang verheißt. Und dech Haben alle dieſe angeruj Zeugen keine Traditionen mehr über den Presbter gehabt: Du unfins glaubt (Euseb. VII, 25, 16) nur aus dem beiden Je Hamisgräbern zu Epheſus ſchlichen zu dürfen, daß es in dir Stadt noch einen andern Mam (EAlov zıva) dieſes Namens geben Habe, weiß aber von feiner Perſon nichts mehr; Cujeh hat feine ganze Keuntniß von dem Presbpter lediglich aus Werke des Papias gejhöpft (II, 39, 7), Hieronymus aber Enfebius; die Fabel der apoftolifgen Conftitutionen (VII, 4 endlich von dem durd den Apoftel Johannes zu Epheſus ea gefegten Biſchof Johannes nad dem paulinifhen Zijcof Ti thens legitimirt ihren Urfprung und ihren Werth ſchon durch Erwähnung des fmprnäifchen Biſchofs Arijtion. Wie kann d Kritiler da von der Zähigfeit der Tradition reden!

8. Bon dem Jahre 192 an batirt man die Adhpriftftelleri Thätigkeit des alerandrinifchen Clemens. Auch er tritt als } für die Wirkſamkeit des Apoftels Johannes in Rleinafien auf, wenn er damit zugleich die Sage von feiner Verbannung nah Inſel Patmus verbindet, ſo erflärt fi) dies daraus, daß er ch wie Origenes die Apolalypfe für das Werk des Evangeliften haften Hat. Aber er erzähft auch bereits (Quis dives. salv. $ bei Euseb. III, 23) „eine Sage, bie ihm nicht Sage, fon Geſchichte ift“, von dem unter Räubern gefallenen und in 3e/ brechen verhärteten, aber durch ‚die Liebesmacht des Lieblingsfünget geretteten Juüngling, und verjichert, daß Manche noch den Rama] der Ephefus benachbarten Stadt und Gemeinde zu nennen wie wo es gefchehen fei. Iſt wohl wahrſcheinlich, daß die fo jur Runde von dem .erft feit 190 in Gallien proclamirten Apotıı Meinafiens in einem oder zwei Decennien ſich nicht nur Kt Alegandrien verbreitet, fondern hier aus ihrem frudtbare

Schooße neue Sagen zur Befriedigung des Chrgeizts bes tv

die Tradition v. d. Wirkſamteit d. Apoft. Johannes in Epheſ. SIT

Nitionslofen und doc fe trabitionsfüchtigen Geſchlechtes erzeugt hätte? ö

9. Doch wir find nicht auf Wahrſcheiulichkeitsgrunde allein au⸗ gewiefen. Keim felbft gibt und eime Waffe in die Hand, fcharf ynug, um das leichte Gewebe feiner Weweisführung mit einem Scäuitte amfzuböfen, und wir wundern uns nur, daß er dieſen kri⸗ iſchen Maßſtab für feine Entdeckung nicht beſſer zu verwerthen ver⸗ tanden hat. Er berichtet uns ©. 164: „Mpollonius um 1170—180 ) sußte (Euseb. V, 18, 14) von einem Zobterr im Ephejus gu sühlen, den Johannes, zwar nit der Apoftel, aber ber Kpotalyptiter, aufermedte“, und das bietet er uns im aller Darmtlofigkeit unmittelbar, ja ganz unmittelbar nad; ber Ver⸗ Üherung: „von Suftin dem Märtyrer bis auf- Srenäns und die Bogen Väter fei die Offenbarung Johannis als Buch des Apoftele werfanat“ gewefen! Alſo Wird wohl auch Apollonigs in Johanmes, - rn Berfafjer der Apofaiypfe, den Apoftel gefehen haben, oder dere Keim nenne uns doch gefälligft wor Dionyſtus von Alepan⸗ wien am 260 einen einzigen Water, ber die Apofalypfe für eis Berk des Johannes, aber nicht des Apoftels, ſondern eines An- eren dieſes Namens gehalten hätte! Much Eufebius hat in feinem Refevate über Apollonius fein Wort non dem Apolalyptiler Far ames als einer von bem Apoſtel verſchiedenen Perfönlichleit, er agt nur: „Apollonius hat auch Zeugniffe aus der Apokalypſe For annis angeführt und erzühlt, daß ein Todier durch göttliche Kraft om Ihchanues ſelbſt (meös asnod AImarvem 18 ſteht nick Inmal: mgös «od wirod I.) in Ephefus auferwedt worden ſei.“ kein Umbefaugener wird verfennen, daß hier der Apoſtel gemeint ft und allein gemeint fein fann. Die Unterſcheidung Keim's wiſchen ihm und dem Apokalyptiker, der Zeit des Apollonius vbllig remd, iſt auch nur die Ausflucht der Verlegenheit and hat das Intereffe an dem Bedenklichen, mas in dieſer Augabe für feine Anfiht von hem Verlaufe der Dinge liegt, den Veſer licht mund amerfüd voräberzuführen. Aber wie ſchneidend ritt mun dieſes

a) Ueber die chronologiſchen Verhältnifſe vgl. Valeſtus zu Eufebins (V, 10) und Keim ſelbſt (@. 154, Aum. 2).

518 . Steig

Zeugniß feiner Anſicht entgegen: Apollonius, der Beftreiter des Montonismus ſchon zu der Zeit, da derſelbe noch im Phrygien feine erfte Blüte entfaltete (V, 17, 1), umd nach dem Yudzügen des Euſebius aus feiner Streitjchrift zu urtheifen, felbft fiat, kennt ſchon um 175 den Aufenthalt und die Wirkjamfeit des Apoftels in Ephefus und weiß einen fpeciellen Zug von ihr zu erzühler. Aljo hat aud nit erft Irenäuß feit dem Jahre 190 den Apoftel Kleinafiens proclamirt; diefer kann nit erft aus feiner Berwechſelung mit dem Presbyter, dem Zünger des Herrn, als trügerifhe Phantasmagorit, als weſenloſe Quftfpiegelung anfgeftiegen fein; dieid Ueberlieferung, gewiß nit erft von Apollonius ers funden, ift älteren Datums; Yrenäus, beffen ir Kleinajien verlebte Knabenzeit Keim wohl etwas fpät in die Jahre 150—160 fest, hat fie ohne Zweifel von dort, wo er fie bereits vorfand, mit nad Galfit gebradt und als früh empfangene Runde in feine Werke und feinen Briefen an Florinus und Victor niedergelegt.

Doch wenn auch Apollonius ſchon von ber fchriftftekferijcen Zhätigkeit des Irenäus und unabhängig von ihm die Wirffamfit des Johannes in Epheſus bezeugt, wäre es nicht dennoch benfher, daß ſchon bei ihm diefe Nuchricht Iediglich aus einer Verwechſelung des Presbpters und des Apoftels entftanden fei? Auch diefer Eir wurf, den wir uns im Intereſſe der Gründfichkeit felbft mac, hebt fi, wenn man fih nur die Mühe nehmen will, die nähe Bedingungen zu erwägen. Apollonius zeigt ſich als einen namentih in Ephefus mit allen Verhältniſſen vertrauten Mann, denn er vr weift feine montaniftifhen Gegner auf das öffentliche Archiv fir Aften, das ſich in diefer Stadt befand (V, 18, 9). Er wird alt auch in Epheſus feine Kunde über den dortigen Aufenthalt de Johannes empfangen und fie muß dafelbft in dem Munde der üb teren Leute gelebt haben. Er hat etwa zehn Fahre nach Polylarpe Tode gefchrieben, reicht alfo noch felbft in deffen Lebenszeit hin’ und darf als jüngerer Landes- und Zeitgenoffe ihm unbedenllit nahegerüdt werden. Jedenfalls wirkten, als er ſchrich, deſſta

bie Tradition d. d. Wirhamkeit d. Apoſt. Johannes in Epheſ. 519

Traditionen bei den Vielen, die ihm noch perſönlich gekannt Hatten, ı volfer Frifche fort. Wenn darum fon Apollonius die Wirk- ıumfeit des Apoſtels in Epheſus bezeugt, fo ift dies zu einer Zeit heben, in der unter dem frifchen Eindrud diefer Traditionen ne Verwechſelung des Presbyters und des Apoftels, die Ein- eidbung des Einen in das Gewand des Anderen, noch nicht denkbar t. Je weiter ſich aber die Egiftenz diefer Tradition in bie Zeit % Polykarp und des Papias zuruckzieht, deſto entfchiedener wird eſe Verwechſelung, die Hypotheſe des Herrn Keim, zur reinen nmöglichteit.

Hier ift der Ort, wo wir auf den Brief des Irenäus an ben Imifden Victor (Euseb. V, 24) etwas näher eingehen müffen. 7 enthält unter Anderem den Bericht über Polykarp's Reife nad) dm und feine Verhandlungen mit Anicet in Betreff der Paſcha⸗ Hferenzen. Wenn fich der römiſche Biſchof für die Obfervanz iner Kirche auf die conftante Gewohnheit feiner Vorgänger bezog, olykarp dagegen die Berufung auf Johannes, den Junger des ern, umd auf die übrigen Apoftel einlegte, mit denen er einft tlehrt umd das Paſchanach kleinaſiatiſchem Brauche begangen itte, fo kann man vielleicht die Erwähnung mehrerer Apoſtel als agenauigkeit des rhetoriſchen Ausdruckes dem Referenten zur Laſt jen (doch vgl. Adv. haeres. II, 22, 5 in fine), obgleich auch olyfrates auf die apoftolifche Auctorität des Philippus appellicte, me daß ihn die Kritif darin des Irrthums zeihen könnte; aber ird man auch den apoftolifchen Umgang des Polyfarp überhaupt 8 eine bloße Verwechſelung, als einen reinen Gebächtnißfehler und ae handgreifliche Unrichtigkeit des Jrenäus beurtheilen wollen? ch will keinen Nachdruck auf die immer diſputable Frage legen, wohl das Zeugniß des Presbyters Johannes, einer im Abend⸗ nde jedenfalls volllommen unbekannten Perſönlichkeit, ein großes 1b entfcheidendes Gewicht in Rom Haben fonnte zu einer Zeit, o man fchon auf den apoftolifchen Urfprung der Gemeinde und ter Traditionen fo hohen Werth legte, daß damals Hegefippus diefem Intereſſe an Ort und Stelle die Succeffion der römifchen hifchöfe aufzeichnete, ich frage ftatt deffen nur: Würde man es ohl in Rom fo ftillfchweigend und rußig Hingenommen haben, Theol. Stud. Jahrg. 1868. 3

520 Steik

daß Irenäns Apoftel und vor Allem den Johannes als ii Gewährsmänner des Polykarp für feine Heimifche Feſtſitte aufruft wenn Bolyfarp felbft dem Anicet nur den Bresbpter zu nenn gewußt Hätte? Die Pafchafrage war eine drängende geworden Seit Polykarp's Beſuch hatte man zwar von Seite Roms di Verfchiedenheit der morgenländiſchen Sitte bis zum Aufang Epiflopates Victor's mit Enger Nachficht geduldet, aber gewiß ni aus dem Auge verloren und die Verhandlungen zwifchen Anicet Polykarp ſicherlich in treuem Gebäctnig behalten. Dajzu bei man auch alle Mittel. Als Hegefipp in Rom weilte, war n feiner Ausfage (Euseb. IV, 22, 3) Eleutherns Diakon Anicet‘ derjelbe Eleutherus beftieg nach Soter den römiſchen Bifchofeft er war der unmittelbare Vorgänger des Bictor geweſen und di hatte jedenfalls fchon unter feinem Epiflopate ſich mit ben ſchwebenden kirchlichen Fragen vertraut gemacht. Sogleich nad Wahl des Elentherus, noch im Jahre 177, finden wir den Frenũ damals noch Preöbyter, als Ueberbringer eines Schreibens lugdunenſiſchen Märtyrer in Rom (Euseb. V, 4), und gewik er mit dem römiſchen Bifchofe und feinem Clerus auch über di BVerhäftniffe, die feinem Intereſſe fo nahe lagen, da fie mit fei früeften Jugenderinnerungen zufammenhingen, fich verſt Noch konnten, denn es war kaum 30 Jahre Her, im römif Presbyterium nicht alle Männer ansgeftorben fein, die unter Ari ein Kirchenamt beffeidet hatten und ſelbſt Zeugen der mit Poly gepflogenen Unterhandlungen gemwefen waren). Im Rom mi man alfo fo gat wie in Lugdunum wiſſen, auf welches Zau fich Polykarp geftiigt Hatte, ob auf ein apoftofifches oder ein nid! apoftofifches, und würde gewiß nicht verfäumt haben, einem etwaigm, in dem fehwebenden Streite fo präfubicirlichen Irrthum des Irenau

a) Der Berfoffer gehört ſchon über ein Vierteljahrhundert dem Meiniflerim| in Sranffurt en und würde im Stande fein, Aber alle kirchlichen Bargist und Berhanbfirngen während biefer Zeit verläffige Auskunft zu geben; m feiner Collegen könuten es aus einem Zeitraum von 82—34 Jahren; cẽ dritter iſt die lebendige Chronik alles Deffen, was während eines halber Säculums im Collegium gejdjehen ift und erzählt davon mit aller Tr: und Friſche. Denkt man fi, darin jene Zeiten vielleicht anders?

die Tradition d. d. Wirkſamkeit d. Apoft. Johannes in Epheſ. 621

ofort mit allem Nachdruck zu begegnen. An Roms Widerſpruch ätte daher eine Selbfttäufchung in dieſem Punkte, wenn fie über aupt denkbar wäre, nothmendig zu nichte werben müffen. Ober ill man Tieber zu der Annahme greifen, die ganze zweite Hälfte eſes Jahrhunderts: Irenäus in Gallien, Clemens in Alerandrien, pollonius und Polykrates in Kleinafien, Anicet und Victor in Rom, am Ende Polylarpus felbft, feien ohne Ausnahme demfelben xrthum erlegen und hätten, geblendet durch das neckiſche Prädicat Jünger des Herrn“, den Presbyter für den Apoftel gehalten? denn nach Schopenhauer eine richtige Hypotheſe „nur der wahre » vollftändige Ausdruck der vorliegenden Thatſache ift“, wie fie t Denker „in ihrem eigentlichen Weſen und inuerem Zufammen- ge intujtio aufgefaßt hat“, wenn insbefondere die hiftoriſche Hypo⸗ He darin ihr Kriterium Hat, daß fie die gefchichtliche Thatſache in t Totalität aller ihrer Momente zu ihrem treffenden Ausdrud d ihrem überzeugenden echte beingt, fo darf gewiß die neue thüung, um welche Keim die johanneiſche Frage bereichert Hat, a Anfpruch auf diefen Namen nicht erheben. Dagegen halte ich trotz feiner Zweifel (S. 166) für ein wirkliches „Zeichen hiftor {her Kritik“, daß die Tübinger Schule wenigftens am „Apoftel einaſiens“ unerſchütterlich feftgehalten ‚hat. Ich kehre noch einmal zu Apollonius zurüd. Ich kann nämlich Bermuthung nit bergen, daß die von ihm berichtete Auferweckung es Todten durch Johannes zu Ephefus nur eine andere Verfion * Sage von dem bei Ephejus durch Johannes geretteten Jüng- 9 ift; denn noch in der Erzählung des Elemens von Alerandrien, der Referent ausdrüdlic als eime überlieferte und im Gedächt⸗ ; bemwahrte (Aoyor napadedouevov zal urrjun Trepvkayuıs- v) d. h. als eine alte bezeichnet, wird von dem gefallenen und lorenen Jüngling gefagt: „Er ift geftorben, er ift Gott geftorben“, segen ber gerettete ein Merkmal wahrer Palingenefie, eine von hannes aufgeftellte Trophäe der ſichtbaren Auferjtehung (yvo- rue nallıyyereolas, veoneov dvaordaswus Blemousuns) annt. Ich wage fogar zu glauben, daß im ber letzteren Sage urfprüngliche Wurzel zu fuchen ift, aus der erft die Geftalt, der fie bei Apollonius auftritt, als fecundäre Formation ſich 36*

522 Steig

entwidelt hat *). ft meine Vermuthung begründet, dann verliert ſich die Tradition von dem Aufenthalte des Apoftels Johannes in Ephefus in eine fehr frühe Zeit zurück und ihr Alter wird kaum zu bezweifeln fein.

10. Ich darf zum Schluffe mir wohl noch die Frage erlauben, was nad) Abzug aller „Scheingründe“ umd BVelleitäten von Herm Keim's Unterfuhung noch ftehen bleibt? Ich glaube, höchſtens eirig Verwechſelungen des Presbyters und des Apoſtels Johannes, die dem Irenãus in Einzelheiten begegnet fein mögen, und die Thatſaqhe daß wir in den Fragmenten des Papias nur die Wirkfamteit 4 Presbyters in Kleinafien ausdrückl ich bezeugt finden, bei 9 näus nur die des Apoftels. Diefe Tängft bekannte Thatſache br rechtigt nicht zu einem jo weitgreifenden Schluffe, wie ihn Keim ge zogen hat, zumal Srenäus mit Bapias nicht in directem Widerjpru fteht, fondern felbft die Stelfe bietet, an welcher fich die “r nicht erwähnten unmittelbaren Gewährsmänner des Papias, Arifie und der Presbpter, ohne Zwang und Künftelei einfügen (oben Nr. 6) Jene Verwechfelungen aber, um die man gleichfalls läugſt gewrh hat, erffären fih um fo leichter, wenn zwei Objecte räumlid zeitlich nebeneinander exiftirt haben, die man verwechjeln fon Da aber die Anwefenheit des Apoftels in Ephefus ſchon vor fchriftftellerifchen Thätigkeit des Irenäus durch Apollonius Bi ift, deffen Leben noch bis in die Zeiten des Polykarp und Bari

&) Papias ſcheint die ephefinifche Todtenerweckung des Johannes noch = gelannt zu haben; er Hätte fie fonft ficher mit der hierapolitaniſchen # Vthilippus als Erfüllung des Adyıov zugaxdy (Matth. 10, 8) werhune da beide die zwei in der Tradition fo enge verbundenen Mpoftel Kleine! gleihmäßig verherrlichen, und Eufebius hätte fi dann für jene The: da Johannes dewiß nicht erft auf das fpätere Zeugniß des Apolloniut, dern fehon auf das frühere des Papias geftügt. Iſt fomit der Urfprung der Sage außer Zweifel und doch nicht anzunehmen, daß ft den zehn bis zwölf Jahren zwiſchen dem Tode des Papias und dem & richte des Apollonius rein aus der Luft gegriffen worden jei, jo laßt ir ihre Grundlage and nur in ber Erzählung vom geretteten Jüngli Wahrſcheinlichteit nachweiſen und diefe, die bereits Clemens als alt dition bezeichnet, wird als die äftere und urjprünglide Form beurtie: werben muſſen.

die Tradition d. d. Wirkfemfeit d. Apoſt. Johannes in Ephef. 528

jinaufreicht, fo fällt jeder ſcheinbare Grund weg, ben Jrenäus für sen Urheber der von ihm befolgten Weberlieferung zu halten und ht den Charakter alter Erinnerung abzufprechen. Wir fehen uns fo noch immer auf demfelben Punkte, auf dem wir uns vor deim's Unterfuhung wußten. Wir ftehen allerdings nur einer Icherlieferung gegenüber, von der wir vor dem Jahre 160 feine öpur finden, weil man vor diefem Zeitpunfte nichts über bie Ipoftel fchrieb oder das Wenige, was man von ihnen gelegentlich moöhnte, meift aus dem N. T. fchöpfte, die aber als die glaub» sürdigfte beurtheilt werden darf, welche wir über einen Apoftel «figen, und von diefer Zeit an durch die übereinftimmenden Zeug« üffe der Thatſachen und Urkunden beftätigt wird. Einen größeren Infpruch darf man an die Glaubwürdigkeit von Traditionen nicht mäen, als daß die zweite oder dritte Generation einftimmig für % eintritt und daß fie von den gleichzeitigen ſchriftlichen Aufzeich- ungen feinen Widerſpruch erfahren. Argumenta ex silentio haben gen fie Fein Recht, denn wenn fie durch gleichzeitige Schriftftelfer Stätigt wären, würden fie eben feine Traditionen mehr fein. Diefe Tradition Hat aber noch überdies die ftarfe Stüge, daB wir in zolytarp die einfache Vermittlung Fennen, durch melde fie der olgenden Generation zugefommen ift.

Benn Herr Keim (S. 167) mit den Worten fhließt: „Wir aben den Doppelgänger hiermit aufgelöft, und es bfeibt abzumarten, d man wagen will, ihm wieder aufzumeden und den Text des Bapias aufs Neue zu mißhandeln“, fo fpricht er damit ein Ber oußtſein von Unfehlbarfeit aus, um das ihn kein Forfcher beneiden oird, der die Schwierigkeit der zu Töfenden Aufgaben und Probleme ‚ne Unterfcägung fennt. Wenn er ferner ſiegesgewiß ausruft: ‚So ift der Abfaffung des Evangeliums durd den Zebedaiden auch er allerlegte Haft weggezogen“, fo verräth er damit das Intereſſe, yurch welches er die Richtung feiner Unterfuchung beftimmen lich, ind der „Muth“, der ihn trogdem nicht verlaffen Hat, ift umfo» nehr zu bewundern. Wenn er endlich an dem befcheidenen fleigigen Zahn die Mahnung richtet: „Möchte er Talent und Fleiß beſſer verwenden!“ fo feheint auch das nur zu den „Iebhaften Front» felfungen“ zu gehören, die fid) nach der Vorrede fogar Naheſtehende,

524 Steig, die Trab. v. d. Wirkjamt. &. Upoft. Sch. in Epbef.

wie Holgmann und Weizſacker, zurechtlegen follen, die ſich aber gegen Fernerſtehende geradezu in Urtheilen, wie „Unverftand, Eigen- fun, Sindereien, Verjcjrobenpeit“ und dergleichen breit machen.

Was das Keim'ſche Buch überhaupt betrifft, fo weiß ich mid frei von jeder Antipathie gegen die darin niedergefegten Forſchungen and bin weit davon entfernt, feine Bedeutung zu unterfchägen. Daf es bie Refultate vieljeitiger und gründlicher Studien enthält, daf es des Neuen, Intereſſanten und Belehrenden viel bietet, daß « ragen anregt, die nicht gewiſſenhaft genug erwogen werben können, daß insbefondere feine Anſchauung von Jeſu, obgleich nur vom ren geſchichtlichen Standpunkte ausgehend, eine fittlich ernfte und durchau— würbige ift, werden alle Beurtheiler, die fich felbft ehren, anerkennen, auch wenn fie ſich mit der kritiſchen Methode des Verfaſſers miht immer befreunden können. Wo nicht die Tendenz und das Bor urtheil ihn befangen macht, ba zeigt er meiſt ſcharfen Blick, vor | ſichtige Befonnenheit und ficheres Maß. In dieſer Unterfuchug Haben ihn feine ſchützenden Mächte verlaffen. Ich bin ihr entgegen» getreten, nicht im apologetifchen Intereſſe für die johanneifche Ab | kunft des Evangeliums eine Frage, beren Schwierigkeit ich femme ı und die ih bis jegt nach ihrem Für oder Wider noch fiir ungelöl halte —, fondern in dem Wunfche, dazu beizutragen, daß die Un befangenheit, ohne welche der Wiffenfchaft ihre Köfung unmöglih gelingen Tann, nicht durch Schwierigkeiten verwirrt werde, die af | reiner Fiction beruhen und nur dazu dienen können, das Urtheil zu verrüden und irvezuleiten.

Nachtrag: Wenn der Verf. unter Nr. 2 den 1. Yohannes- un den 1. Petrusbrief „beftritten“ genannt hat, fo muß er dies be richtigen: auch Eufebius ſtellt fie unter die Ömodoyodpera; abe um fo auffallender erſcheint es, daß er den Grundfag, den er IH, 3, 3 für die «vsslsydueva anfündigt, nämlich anzugeben, welche Schriftfteller fie benutzt Haben, gerade an diefen Briefen ebenio conftant zur Anwendung bringt, al an der Apofalypfe, deren Au thentie ihm zweifelhaft war.

Gedaufen und Bemerkungen.

1.

Nohmals über Galater 2, 6

von

Diet. D. Buck in Schw. - Hall.

Der Erklärung von Gal. 2, 6, welche ich im vierten Hefte bes Jahrgangs 1865 diefer Zeitfchrift der öffentlichen Beurtheilung vorfegte, Hat im dritten Hefte des Jahrgangs 1866 Herr Profeſſor Märcker in Meiningen einige Einwendungen entgegengehalten, welche eine Rechtfertigung meiner Auffaffung als nicht überflüffig erſcheinen laſſen.

Die erſte Einwendung iſt eine ſprachliche, daß nämlich rgogavs- Hevro bie von mir angenommene Bebeutung: „fie Haben Hinzugefügt“, ‚noch dazu aufgelegt“, nicht haben könne, welche vielmehr nur dem Activ dieſes Wortes zukomme, daß auch bei diefer Erklärung die Beziehung von mreogavsdsvro zu avedeunv B. 2 unberüchichtigt bleibe. Die zweite Einwendung betrifft den Gebanfenzufammenhang. Mit meiner Auffaffung, wonach die Gegner Pauli, wenn fie auch feine Autorität nur als eine abgeleitete gelten laſſen, doc zugeben, daß er von den Urapofteln anerkannt worden fei, foll der Umftand, daß fih Paulus V. 7—9 fo fehr bemühe, feine Anerkennung durch jene drei Apoftel erſt nachzumeifen, im Widerſpruch ftehen.

Es fragt ji, ob diefe Einwendungen von folhem Gewichte find, daß dadurch die von mir gegebene Erklärung unmöglich gemacht wird.

Gern geftehe ich zu, daß fich weder in der claffifchen, noch in der fpäteren Gräcität eine Stelle findet, in welcher das Medium ngogavartIscHaı die Bedeutung „hinzufügen“ Hätte. Ebenſo⸗ wenig aber ift mir eine Stelle befannt, wo es „noch Hinzu vor⸗

528 Butt

legen“ hieße in dem von Märder angenommenen Sinne: „eine weitere Belehrung ertheilen“. Vielmehr ift die Bedeutung des Mediums: „fih Einem anvertrauen, ihn um Rath fragen über etwas“, 5. B. moogavarldsadaı vois navreoı. Ebenfo in un⸗ ferem Briefe 1, 16; alfo: „Belehrung ſuchen“, nicht: „Belehrung ertheilen“. Auch das einfachere und häufigere Verbum ara 909er hat in den beiden nenteftamentlichen Stellen, in denen es vorfommt, Apg. 25, 14 und Gal. 2,2, nicht die Bedeutung „er manden über etwas Mitteilung machen“ im Allgemeinen, oder gır um ihm Belehrung zu ertheilen, fondern: „etwas der Beurtheilung der Entſcheidung Jemandes vorlegen“ (vgl. Apg. 25, 26). Def] aber diefe Bedeutung „Semand etwas zur Entfcheidung vorlegen‘ an unferer Stelle nicht paffe, ift an fih Mar, auch Hat meins Wiffens noch fein Ausleger diefelbe Hier geltend gemacht. Da man alfo nicht umhin kann, eine vom fonftigen, geficherten Sprachgebrauch abweichende Bedeutung hier anzunehmen, fo dürfte es im der Thu am nädjften liegen, die Medialform im Sinne des Activs zu faſſen, "was auch, bei einigen anderen Stellen des N. T.'s nothwendig ift (ſiehe die Beifpiele bei Winer, ©. 299). Ja gerade das Medium dvarideodaı hat auch in der claffischen Gräcität hin umd wieder die active Bebentung: „aufladen“; vgl. Xenoph. Cyr. 8, 5, 3: dvarldevraı &lloı ca oxedn Ent sa Önoldyie, und Ansb. 2, 2, 4 ebenfalls vom Beladen der Laftthiere.

Hiernach beftätigt auch der Sprachgebrauch die Anficht, meld fi) mir bei meiner früheren Arbeit aus dem Gedantenzufam menhang bes Briefes ergab, daß „bei rgogavsderro fchwerlih mit Meyer an Belchrungen zu denken fei*. Ich fagte abſicht lich ſchwerlich, denn ala unmöglich möchte ich die Meher'ſche Auffaffung nicht bezeichnen. Ich Tann aber auch nicht zugeben, dag „meine Erflärung an der gegebenen Auslegung von zrpogere sevro ftreng fefthalten müffe, um ihre Haltbarkeit zu behaupten“. Selbft wenn Meyer's Auslegung von gosarederro bie richtig wäre, fo wäre deshalb meine Erklärung von od doxoünres elru zu nicht unhaltbar. Der Sinn des DVerfes wäre dann: „on Seiten ber Geltenden etwas, d. 5. ein Berkündiger bes Evangeliume, zu fein, von ihnen mein Evangelium zu haben, darauf lege ih feinen Werth (wie etwa die Irrlehrer thun), denm mir haben dir

nochmals Aber Gal. 2, 6. 529

Beltenden Keine weiteren Belehrungen ertheilt“. Auch fo wäre ber ag mit ya eine paffende Erfäuterung zu dem Sage: dnd hepsgss.

Gehen wir mın über auf das, was Herr Profeffor Märder in achlicher Beziehung gegen meine Erflärung geltend .madt. Wir werden hier am eheften zu einer Entſcheidung kommen, wenn wir on der Frage ausgehen: weldes ift die Untithefe der Gegner, gen welche ſich Paulus in unferem Abſchnitte verteidigt? Märder ndet diefelbe in dem Sage, die von Paulus vorgetragene Lehre iuneht und unvollftändig. Paulns weife nun nad, feine tre fei echt, weil die. drei Urapoftel fie gebilligt; fie fei voll- ändig, weil fie ihm feine ergänzenden Belehrungen mitzutheifen Yabt haben.

Hiegegen Habe ich zunächſt das Bedenken, daß Paulus in Eap. 2 oh nicht von der von ihm vorgetragenen Lehre redet, fondern x, wie im eriten Gapitel, von feiner Perfon, wie ſchon die ch Zrresze dd vermittelte enge Verknüpfung beider Eapitel zeigt. rt mit bem dritten Capitel, wo ſichtlich ein neuer Abſchnitt be⸗ amt, wird auf die Lehre übergegangen. Sodann wird zwar ®. 2 8 Umſtandes erwähnt, daß Paulus den Urapofteln fein Evan- fium zur Beurtheilung vorgelegt; aber gerade das, worauf nad) lärder das Hanptgewicht fiele, dag nämlich die Apoftel dafjelbe nem Inhalte nach gebilligt, ift gar nicht ausgejprochen. . Endlich ire offenbar bie Behauptung, daß ihm die Urapoftel feine weiteren elehrungen erteilt, eher ein Beweis gegen, als für die Voll» indigkeit der Lehre des Paulus. Handelte es fi ja doch um ı Sat, daß feine Lehre jegt volfftändig fei, nicht daß fie es n Anfang gewefen. Für jenen Sag aber hätte er den Beweis einer für bie Gegner ficherlich viel überzeugenderen Weife geführt, nn er. hätte erflären können: „was mir anfangs noch mangelte, 3 haben die doxoüvres durch ihre Belehrungen ergänzt". Der 1: „fie Haben mir feine weiteren Belehrungen ertheilt“ (es ift hl zu bemerken, daß es nicht Heißt: fie Hatten mir feine Bes tungen zu ertheilen), mußte ja den Gegnern den Einwurf he legen: eben deshalb ift Deine Lehre unvoliftändig.

Kann alfo die Antithefe der Gegner nicht wohl die von Märder genommene fein, handelt es ſich überhaupt Hier zunächft nicht

so Bart

um bie Lehre, fondern wm bie Perfon, fo ift nur ein Zweifachel möglich: entweder die Gegner behaupten: „ein Verkundiger Ds Evangeliums, ein Apoftel in weiterem Sinne, ift nur Derjenig, welcher feine Vollmacht auf die Urapoftel zurüdführen kam; dl tauaft Du wicht, afjo erfennen wir Dich nicht als berechtigten Ba Kündiger des Evangeliums an“; oder ihre Einrede lautete: „u Apoftel ift mar, wer unmittelbar von Gott und Chrifto berufe ift; das ift bei Dir nicht der Fall, da Du vielmehr erft durch N Auertennung der Urapoftel Deine Würde erlangt haft; alfo erle wir Di, wenn aud; vielleicht als einen untergeordneten Leb des Evangeliums, doc; nicht als mit apoftofifcher Yuctorität

ſtellten, ſcheint mir 1, 11f. und bie ganze Entwidlung von 1, an zu beweifen. Denn hätten fie dem Paulus vorgeworfen: | Urapoftel haben Dir feine Vollmacht gegeben“, wozu braucht dann eben diefen Umftand, daß er zu den Urapofteln im feine ziehung getreten ſei, fo ausführlich nadhzumeifen, wie er am nannten Orte thut? Seit dem fogenannten Apoftelconcil har es ſich bei Paulus gegenüber von feinen Gegnern nicht ſowohl feine Anertennung durch die Urapoftel dieſe lag als unmi fprechliche Thatſache vor —, als vielmehr um feine unmitt: Berufung dur‘) Chriftum und die darauf ſich gründende

liſche Würde im engeren Sinne. Das fehen wir u. A. aus 1 9, 1. 2Xor. 10, 7. Wir müffen überhaupt die Meinung, ale diefe Irrlehrer in einer fo nahen Beziehung zu den Urapofteln flanden, oder auch nur eine ſolche vorgegeben hätten, aufge

Beyſchlag hat in feiner Arbeit „Ueber die Epriftuspartei ind rinth· (Stud. u. Krit. 1865, IL.) treffend gezeigt, wie die U handlungen Apg. 15 „ein unabhängigeres, von der Autorität I Urapoftel losgelöſteres Auftreten der ftrengeren Judaiſten“ nad i zogen. „Sie hörten, ohne fid von der Verbindung mit jenen And täten loszufagen, auf, die Sache des Judenthums lediglich auf de Namen zw ftellen.“ Sie meinten, wenn Paulus, ohne zu! Zwölfen zu gehören, „in eigenem Namen lehren und wirken dir? fo Haben fie mindeftens dafjelbe Recht. Daher fuchen fie, wır: ich ſchon in meiner früeren Arbeit hinwies, ihren Ruhm in a

nochmals über Gal. 2, 6. 581

sen Apoſtel verfeinernden Bergfeihung mit ihm (6, 4). Cine ſolche wäre ihnen aber gewiß ferne gelegen, 'wenn Paulus ihnen als in ieder Beziehung unberechtigt gegolten hätte. Wenn fie ſich als Solche Hinftellen wollten, die Etwas find (6, 3), indem fie ſich mit m vergleichen; fo müffen fie zugegeben haben, daß aud er Etwas a; nur als einen durch feine apoftolifche Würde vor ihnen aus—⸗ geihneten Mann wollten fie ihm nicht gelten laſſen.

Demnach hatte Paulus bei Bekämpfung feiner Gegner nachzu⸗ wien, daß er, wie diefer Gedanfe ja gleich an die Spige des zriefes geftellt wird, feine "Autorität nicht von Menfchen habe, mdern ein durch Chriftum und eben darum durch Gott felbft be⸗ ifener Apoftel fei. Das wird im erften Capitel aus der Geſchichte her Berufung erwiefen. Das zweite Capitel Liefert fodann den Whweis, daß auch die Beziehungen, in welche er fpäter zu den tapoſteln getreten jei, feine Abhängigkeit von denſelben, ein Aufs ben feiner unmittelbar apoftolifchen Würde in fich ſchließen. „Es ndelte fich“, zeigt er ®. 1—10, „dabei nicht darum, daß ich von ter Seite her etwas erjt geworden wäre, mir eine Würde von sen verleihen oder ein? Verpflichtung durch fte Hätte auflegen : Ten, fondern nur darum, daß fie meine apoftolif—he Würde, welche

als etwas von Gott Anvertrautes ſchon Hatte. (man beachte % Berfelt merrioreynes) und welche ber des Petrus völlig coor⸗ tiet iſt (adess), auch anerkannten.“

Paulus bemüht fih alſo V. 7—9 nit, feine Anerkennung rc die Urapoftel nachzuweiſen, vielmehr das will er nachweiſen, 8 diefe Anerkennung nichts weiter gewejen fei, als eben nur die ierkennung eines thatfächlich ſchon beftehenden Verhältnifjes. „Die tige Verpflichtung“, fährt er fort, „welche ich dabei übernahm, ift !, der Armen zu gedenken. Daß aber Hierin feine Verleugnung ner Selbftändigfeit Tag, geht ſchon daraus hervor, dag ich eben % fchon vorher aus eigenem Eifer gethan hatte.“ Nur bei dieſer ung erklärt ſich das adrd zodro in V. 10 auf ungezwungene kife. Daß aber der Xorift namentlich im Relativfage das Plus- iomperfeft vertritt, darüber fiche Winer (S. 318). Und daß aulus ein Recht hatte zu der Behauptung, er habe ſchon vorher frig der Armen in Jeruſalem gedacht, fehen wir aus Apg. 11, 29f. fe in B. 10 mit novov eingeführte Verpflichtung, welche offen-

832 Burt

bar eine Einſchränkung des mit odddv reocavederso anägeip: henen Gedantens enthält, ift uns überdies ein weiterer Beweis, daß es fi; and, bei dem letzteren Ausdrucke nicht um Belehrungen, fondern um ein mit der Webertragung einer Würde verbundene Auflegen einer Berpflichtung handelt.

Mit B. 11 geht der Apoftel dann einen Schritt weiter, indem er zeigt, daß die doxonvsss nicht nur, wie er B. 2 erklärt hatte, za’ ldlav feine Gleichberechtigung anerkannt haben, fondern da er biefelbe au Zumgoosev navswv (8.14) thatſächlich erwieſen habe, indem er dem Petrus, wie einft den WerdadsApor, gegenüber die dAjdeıa Tod evayyelov geltend machte (vgl. B. 5 mit 13,

Hiermit glaube ich nachgewieſen zu haben, dag meine Auslegun von B. 6 dem Gedanfengange des Apoſtels wohl entjpricht, un füge nur noch bei, daß bei der eben dargelegten Auffaffung dieie Gedanfenganges eine doppelte Schwierigleit fich hebt, welde mir bisher nicht in befriedigender Weife gelöft worden zu fein ſcheim Warum legt Paulus (1, 19f.) ein fo großes Gewicht darauf, daf er in Serufalem nur Petrus und Jakobus, den Bruder des Herrn, gefehen habe? Und warum erwähnt er, wenn, wie jet wohl als ermiefen gelten darf, 2, 1ff. von der Apg. 15 berichteten Reit nach Jeruſalem handelt, nicht auch derjenigen, welche Apg. 11, 291.‘ angeführt wird? Wer von ber Auficht ausgeht, Paulus molk | nachweiſen, daß ihm die Urapoftel feine ergänzenden Belehrungen| ertheilt haben, Tann diefe beiden Fragen nur im gezwungener Zeit beantworten. Belehrungen hätte er in ber That von Petrus und Jakobus ebenfogut erhalten Können, wie von ſämmtlichen Apofteln, und zu Belehrungen hätte die Apg. 11, 29. erwähnte Anwefenhri in Serufalem ebenfogut Gelegenheit geboten, wie die Cap. 15 be richtete. Er konnte alfo diefelbe, wenn fie wirklich ftattfand, gar nicht mit Schweigen übergehen, ohne den Verdacht zu erweden, gerade damals feien die Belehrungen, die er in Abrede zieht, erfolgt. Daher bleibt Denen, die an Belehrungen denken, nichts übrig, ale entweder die Glaubwürdigkeit der Apoftelgejchichte preiszugeben, oder ſich mit der Ausflucht zu Helfen, bei der (Apg. 11, 29) erzähfter Veranlaffung fei Paulus gar nicht nach Jeruſalem, fondern nur in bie jüdifchen Landftädte gelommen.

Ganz anders ftellt fi die Sache, wenn man annimmt, daß &

nochmals fiber Gar. 2, 6. 633

ih von der Webertragung einer Witrde Handelte. Eine ſolche onnte der Natur der Sache nad) nur von der Gefammtheit des Apoftolat8 ausgehen und nur in feierlicher Berfammlung der Apoftel eſchehen; fomit war an fie weder bei der Beſprechung mit einem der dem anderen Mpoftel (1, 18ff.), noch bei einer bloß gelegent- ichen, fonft nicht erwähnten Anweſenheit in Jeruſalem (Apg. 11, 29) u denfen; wohl aber mochte an die Anmefenheit Pauli bei der fo ochbedeutſamen Verfammlung (Apg. 15) von feinen Gegnern der zorwurf gefnüpft werden, erſt damals ſei ihm feine amtliche Autos ität übertragen worden. Dies der Grund, weshalb er einerjeits

1, 19f.) ausdrüdlich verfichert, außer Petrus und Jakobus feinen Ipoftel gefehen zu Haben, andererfeits die Reife (Apg. I1, 29) merwähnt laffen kann.

Darf id mir zum Schluffe nod) einige Bemerkungen über die om Herrn Profefjor Märder aufgeftellte Erklärung von 2, 6 er- ben, fo bleibt der Uebelftand, welcher mir alle bisherigen Ans- gungen dieſes Verſes als unbefriedigend erfcheinen läßt, daß nämlich m Ausbrud ol doxodvses elval vu beſonders bei Vergleihung it 6, 3 etwas Wegwerfendes habe, auch bei der feinigen beftehen, nd wenn er dagegen ter Hinweiſung auf Meyer erklärt, in dem nannten Ausdruc liege nicht die geringfte Herabfegung, fo geftehe d, daß mich in diefem Punkte Meyer’s Nachweis nicht befriedigt, ad daſſelbe Gefühl fcheint der Aeußerung des Herrn Profeſſor zeizſacker zu Grunde zu Liegen, daß die Art, wie fich Paulus Hier ber die Urapoftel anbdrücke, mit feiner im Uebrigen 'gegen fie be- iefenen Haltung contraftire.

Zu diefer Schwierigkeit, welche die Erflärung Märcker's mit alfen “üheren gemein hat, fommt dann aber noc) eine ihr eigenthümliche. Yie von ihm vertheidigte Verbindung der Worte arrd elvai it dem Vorhergehenden feheint mir nämlich manchen Bedenken zu aterliegen. Der Gedanke: „wir gaben den falfchen Brüdern nicht ach, damit die Wahrheit des Evangeliums dauernd bleibe bei euch, as aber freilich nur möglid war durch die Autorir it der doxoövres“, wäre doch ein weit hergeholter. Jeden— 48 dürfte der vermittelnde Gedanke nicht fehlen: „wie wir nicht adgaben, fo fegten wir aud einen entfprehenden Be— Hluß der doxoövres durch, damit fo dur ihre Autorität

534 Burk, nochmals über Gal. 2, 6.

die Wahrheit des Evangeliums danernd bliebe bei Euch“. Wo ift ferner in den Worten des Apofteld der von Märcker eingeſchaltet Gedanke: „was aber nur möglich war“, auch nur amgebeutet? Ebenfowenig vermag ich dann in der zweiten Hälfte des Verſes einen Beweis dafür zu finden, „daß Paulus in der apoſtoliſchen Würde jenen Dreien ganz gleich ſtehe“. Daß die Worte oͤnoloi note 70av ovdey or dsapsgsı nothwendig den Gedanken voraus: fegen: „ich ftehe mit ihnen auf gleicher Höhe“, möchte ich bezwei fein, Auch Einer, der ſich feiner niebrigeren Stellung wohl bewußt ift, kann von einem Anderen jagen: „feine Hohe Stellung ift für mich von feinem Belang“. ebenfalls durfte der Hauptfag, ım - den es ſich Handelt, doch nicht blos vorausgefegt, er mußte auf ausgefprochen werden, wenn er durch das folgende yag begrüntt werden wollte.

Auch ſprachliche Härten ſcheint mir diefe Erklärung zu haben Daf einem bereits vollendeten Sage eine Beftimmung mit de a. gefügt wird, kommt freilich häufig genug vor; daß aber diejes d die Bedeutung „aber freilich nur“ Haben könne, wird fich faum nachweiſen laſſen. Namentlich aber ſcheint mir die Verbindung vor dieusvew mit dred eine allzugewagte. Wohl hat drro die Br deutung: „von Seiten“, ober „durch die Autorität“, und Verbin dungen, wie elval do zıvog, massiv drrö zıvos haben burdus nichts Auffallendes. Dagegen weift Winer (S. 444) mit Recht darauf Bin, dag drrd nie daftehe, wo ber Inhaber (oder Urheber) als unmittelbar felbftthätig zu denken fü. U dAndeim dass ano cv doxovvr@v Tünnte alfo etwa bedeuten: „vermöge ihre Urfprungs von den doxodvres hat die Wahrheit Beftand“, nidt aber: „durch eine einzelne That bewirken die dox. den Fortbejtan der Wahrheit“. Dieſe letztere Bedeutung aber müßte nad) Hern Profeſſor Märder’s Auslegung für unfere Stelle poftulirt werden.

Ob bie ſprachlichen und fachlichen Schwierigkeiten, melde der Auffaffung meines geehrten Herrn Gegners entgegenftehen, gering find als diejenigen, welche er der meinigen gegenüber geltend gemadt hat, oder ob am Ende wir Beide mit dem traditionellen Anakoluth uns zufrieden zu geben Urſache hätten, mögen Andere entfcheiben.

Reeeuſionen.

Theol. Gtub. Jahrg. 1868. 3”

1.

Franzisen Hernandez und Frai Frauzisco Ortiz. An- fänge reformatoriſcher Bewegungen in Spanien unter Kaiſer Karl V. Aus Driginalacten des Juquiſitionstribunals zu Toledo bargeftellt von Eduard Böhmer. Leipzig, Häffel. 1865. 8°.

Eine Sqandſaule hat in Valladolid Jahrhunderte fang die Stätte vr Wohnung der Cazallas bezeichnet. Sie war verdammt worden, üedergeriffen und dem Boden gleichgemacht zu werden. Denn hier voren die lutheriſchen Keger zufammengefommen, um Berfamm- ufigen zu halten gegen den heiligen, katholiſchen Glauben und die ötmifche Kirche. Das Geſchick dieſes Haufes bildet das Schidfal eformatoriſcher Negungen in Spanien ab.

Es war Anfangs Juni 1523, als feben Tage lang Morgens ind Abends ein Mönd an das Haus pochte; immer ward er ab- ewieſen. Frai Franzisco Ortiz war der Bittende. Sohn des Mayordomo beim Gefandten Rojas in Toledo, war er von ben edeutenden Theologen Elemente, Carrasco, Ziruelo, Miranda zu Mcala in die Scholaftit eingeführt. Bon Jugend an geneigt, Nenſchen zu fliehen und ſtill zu (eben, nahm er das Franziscaner- leid. Schon früh wurden ihm Predigten Übertragen. Das Volt son Alcala liebte ihn und folgte feinem mächtigen Wort. Niemand hätte gewagt, Bifchöfen zu fagen, was er furchtlos ausſprach, über- jengt, wie er war, auch die Berggipfel könne das Feuer des Welt- fine und der Eiferſucht rühren. Dabei ift er unermüdet in Werfen

. 36*

538 Böhmer

tatholiſcher Srömmigteit. Meilenweit wandert er um das Glüd, eine Meffe zu leſen. Alle, die fi trennen vom Willen Gottet und vom Gehorfam der katholiſchen Kirche, verabſcheut er, zumeift die verdammte Iutherifche Secte, die behaupte, jeder Laie könne Meſſe lefen wie ein Priefter.

Aber unbefriedigt von feinem Wiffen und Können ſchmachtete r nad) der Erfahrung eines erwedten, inneren Lebens. Führer day hatte er gefucht. Allen, die der Ruf ihm mannte, wer er nadr gegangen. Das Gemwünfchte war nicht erſchienen, das Verlangen, die Wahrheit zu erfahren, um ihr zu folgen, unbefriedigt. Ma wies ihn nad) Valladolid zu Franzisca Hernandez, der großen &cl rerin des inneren Lebens. Gr reifte hin, fuchte die Wohnung ie Cazallas auf, die Franzisca theilte, und erbat lange umfonft Einlaf. „Gr ift ein großer Prediger, der ſchon im Generalcapitel zu vom hatte“, bemerften fürbittende Freunde. „Wenn er das ift, fo gt er auf die Kanzel“, erwiderte die Gebetene. Endlich empfing ji ihn mit den Worten: „Ihr könnt Euch verſichert halten, daß Ik durch Gottes Hand Hereinfommt.“

So ftand ihm in zarter, einfacher, ſchlichter Erfcheinung de Mädchen gegenüber, von dem das Gerücht fagte, es fei von Kin auf eine Dienerin Gottes gewefen,.nie habe fie eine Todſünde be gangen. Franzisca Iebte als Laienſchweſter, ohne Gelübde, von ihrem Vermögen, in ftiler Umgebung. Ehrfurchtsvoll wie ei Heiligen nahte man ihr, um irgend gine Yeußerung ihres reiche, inneren Lebens zu empfangen. Sie war Myſtikerin wie die heilig ZTerefa. Durch die Gnade war in ihr das Vermögen mächtig em widelt, die Kraftwirkung der dem Geifte unmittelbar nahe gebradta Wahrheit zu erfahren. Nicht dur discurfives Denken, ſonden in unmittelbarer Anſchauung erfannte fie den dargebotenen Schi inhalt, liebte und genoß das unmittelbar Gefchaute. Diefes Cr: kennen, diefer Genuß gab ihr eine umvergleichliche Herzensgemißkeit von ben göttlichen Dingen, enthüllte, ihr den vollen Inhalt der Thatſachen, durch die die göttliche Liebe fi uns fund gethan hat, und fie verfegte ſich mit denfelben durch beftändige Vergegenmär tigung in Lebensgemeinſchaft. Was füme an Innigkeit, Warne und Tiefe diefem Erleben glei)? Welde Erkenntniß erreidtt

Frangisca Hernandez und Frai Franzisco Ortig. 539

ſolches Fichte, umfaffende Durchfchauen des Wortes Gottes? Fran- zisca fah fich in eine neue Welt verfegt, ald die Gnade das Ver⸗ mögen unmittelbaren Anfchauens, Genießens und Erfennens entband, als ſie damit die Schriftwahrheit ſich aneignete. Die Süßigfeit der freien Liebe zu dem angefchanten Kleinod pries fie mit begeifterten Worten. Durd den Eindruck des mit ganzer Kraft wirkenden Gutes fühlte fie fich von Heiliger Liebe entflammt. Beftändig waren ihr die größten Liebesoffenbarungen Gottes gegenwärtig. Nicht im Schatten der Vergangenheit ſchwebten fie, blieb Ehriftus und die Thatfachen feines Lebens. Sie leuchteten dem’ unmittelbar anfhauenden Geiftesauge, übten unverrücktt ihre Wirkung, alles Leben des Herzens in der Liebe zu Jeſu zu concentriren und zu feftigen.

Die innere Herrlichkeit durchleuchtete Franzisca's Aeußeres. Einen mauslöſchlichen Eindrud ließ fie zurüd. Wer einmal mit ihr ver- khrt, den führte ein mächtiger Zug ihr wieder zu. Man fühlte von ihrem Herzen eine Anziehungsfraft ausgehen, die fo eigen- thümlich erquicte, dag man ftets fich darnach ſehnte. Suchende Seelen Hatten bei ihr das Gefühl, e8 gäbe feine größere Wahrheit anter dem Himmel, als die fie verfünde, wenn fie vom inneren eben vede, wenn fie die Schrift erfläre. Hoc und tief war ihre Auslegung. Fehler gegen die Grammatik famen vor, aber die Sub- ſtauz der Stellen ſprach fie mit wunderbarer Klarheit aus. In drei einfachen Worten, ohne Stroh und Staub, legte fie dar, mas die Doctoren mühjfelig zufammenquäften. Wo fie die Bibel auf ſchlug, ward ihr Alles lebendig. Ohne anzuhalten, ohne über den Ausdruck nachzuſinnen, ſprach fie fih in Hinftrömender Rede aus. Diefe Lehrerin fehien ihren Zuhörern der Inbegriff aller Güter. Einzelne Haben den Boden gefüßt, auf dem fie ſtand. Sie riefen: „D Sehora, hätten die Türfen gefehen, was wir, jie würden hier niederfnieen!" Auch Naturen wurden ergriffen, die im Welttreiben gegen den perſönlichen Ausdruck Hoher Frömmigkeit abgeftumpft waren. Franzisco de [08 Angeles, der General der Franziscaner, geftand: nie fei ihm in Spanien und Stalien eine ähnliche Er- ſcheinung begegnet. Ein in gelehrten Studien und diplomatifchen Geſchäften ergrauter Doctor dankte Gott mit Thränen, daß er Solches in Spanien habe erleben dürfen.

540 Böhmer

Groß war ihre Macht über die Herzen. Ihre Worte durch drangen die Seele und riffen fie von Allem los, was nicht Gott iſt. Leichtfertige Menfchen brachte ihr eindriugliches, ja zermalmen- des Mahnen zur Befinnung. Neugierigen, die in der Erwartung unerhörter Offenbarungen zu ihr famen, fagte fie nur, wir follten Gott lieben, und damit wir's könnten, ihn um Liebe bitten. So wurden fie entlaffen ohne entdect zu Haben, daß Franzisca Briefe las, ohne fie zu öffnen, daß ihr Gedanken Anderer offenbar waren, daß die Nähe eines unlautern Meuſchen ihr Schmerzen und Op macht erregte, daß fie Kranke durch Gebet Heilte. Ein Franzis, canerguardian fandte ihr feine Wende. Er rühmte den Erfol Sie glänzten unter den Uebrigen wie foftbare Steine durch Demuth, Gehorſam, Siebe zu Gebet und Schweigen. So ergreife die Rein heit und Seelengröße in dem Heinen Perfünden. Franzisca kenn die Schranfen ihrer Einwirkung: „Ich weiß, wer nicht von Gott, zu mir geführt wird, findet in mir nichts, als was ihm Anftof geben muß." Warum? wegen ihrer Oppofition gegen den firde lichen Pharifäismus. Alte, die fo viel Weſen von den Ceremonia machten, mußten ſich an ihr ärgern. Auf die Liebe Gottes tum ihr Alles an. Ohne die fei Niemand heilig. Fromm fein könn, wer in grobem Zeug gehe, fo gut, als wer Brocat trage, wer mit Waſſer und Brod zufrieden fei jo gut, als .wer alle Tage Putr und Blancmanger efje. Ebenſo heilig werde man lachend wie weinend, ſpreche nd wie ſchweigend, wenn man nur das Gnade leben der Seele durch die angelegentlichfte Sorge, Gott zu lieben, nähre. Sie ahnte nicht, daß fie mit diefen Lehren Keulenſchläge gegu die. gemeine, von der Kirche gedufdete Werkpeiligkeit führte. Um je unbefangener ſprach fie fi) aus. Warf ihr Strafwort Harte Sünder auf die Kniee, wie hätte ihrem geiftlichen Liebeswort die Wirkung

. fehlen können? Unbedenklich ftellten Einzelne fie neben Franz vo Aſſiſi. In diefen efenden Zeiten fei fie gefandt, die in Yeufer- Tichfeit Berfunfenen zu erweden. Sie approbirten das Urtheil ie Juan VBaldez, der eine Seele der Hölle zuweift, die ſich rühmt: „Ich empfing die Taufe, die Firmung, communicirte, beichtete ale Vierteljahr, Hielt alle Feſte, außer den kirchlichen Feſttagen noqh ſelbſterwählte, die Bigilien unferer lieben Fran bei Brod und Waſſer.

Framgisca Hernandez und Frai Framisco Orti. su

Fäglich Hörte ich Meſſe, zahlte für Meſſen, betete die Yanonifchen Stunden und viele andere Andachten. Ich machte Wallfahrten mit, euntägige Andachten, betete einen vom Papft gefegneten Roſenkranz, ab Almofen, ftenerte Waifen aus, baute drei Mlöfter, that unzählige te Werke, nahm eine päpftliche Bulle, in der er mid a poena t culpa in articulo mortis abfofvirte, trug ein Bußkleid, ftarb, n vom Papſte gemeihtes Licht in der Hand, Tieß mid im Fran⸗ scanerffeide begraben, und machte zahllofe fromme Stiftungen in keinem Teſtament.“ Auf die Frage der Werkheiligen, warum ie Kirche die guten Werke auflege, wenn fie nicht Helfen, ward wibert: Gebete, Faſten, gute Werke find Mittel zur chriftlichen jolllommenheit. Wer für fie die. Seligfeit als Preis begehrt, kicht einem Kämpfer, der in voller Rüftung während des Kampfes 4 im Zelte verborgen Hat, dann aber, wenn der Feind fort ift, en Lohn fordert, weil er ja die Rüftung getragen hat.

Franzisca übte, was fie lehrte. Alles Kokettiren mit frömmeln- m Formen floh fie wie die Peft. Nur ihre treuherzige Raivität 8 fie walten. Da war feine Spur von Aengftlickeit und eſchnürtem Wefen. Ein paar Mönchen, denen fie zu begegnen ſich eute, fiel fie um.den Hals. „Aber Schweiter, fo auf offener Straße fich zu umarmen?“ ' „Nun Jeſus“, meinte fie, „was ift mn daran!“ Es erregte Entjegen, wenn die Frommen hörten, dieſe veilige laſſe ihren Gäften das Befte auftragen, und nöthige zum ſſen mit der Berficherung, fie wolle felbjt eſſen wie ein Wölfchen. inſt fand fie vor der Thür ihres Zimmers eine Schüffel Blanc- tanger, von einer befreundeten Dame gefendet. Alles ward den irmen gegeben. „Nun“, feherzte fie, „werden die Empfänger Pagen, wie voll Blancmanger muß diefe Fromme fein, da ihr fo viel ir uns übrig gebfieben ift.“ Die Vereinbarkeit frömmfter Inner- chteit mit Erfüllung häuslicher Pflichten zeigte fie an ſich felbit. Bährend fie ſechzig Ducaten weggeben konnte, als wären es Stroh- alme, durfte in ihrem Haufe nichts umlommen. Nach Tiſch widelte ie felbft die Brodrefte ein, um fie aufzuheben. Kindlichkeit durch⸗ ang ihre Aeußerungen. Kindliche Empfäuglichkeit für Freude blieb hr eigen. Die Heinften Liebeszeichen beglücten fie und wurben in ühften Ehren gehalten. Koftbare Geſchenke machten fie traurig;

542 Böhmer

Berfonen von hohem Range haben fie knieend gebeten, Etwas an⸗ zunehmen. Briefe von Ordensprälaten, die überfloffen von Ber- fiherungen der Hochachtung, konnte fie lachend Iefen und verbrennen, dagegen über Schreiben von wenigen, einfachen, aufrichtigen Worten wunderbare Freude haben. So war dieſe Lilie im Thal, dieſe geborne barmherzige Schwefter in spiritualibus, zu der der beharr» liche Ortiz endlich durchgedrungen war.

Bei dem erften Befuche bfieb er fünf Stunden. Er ſchied mit der Ueberzeugung, fie fei ihm von Gott zur Mutter umd Herria gegeben. Gott habe in feine Seele für fie gelegt er wiſſe nicht m und er wifje dor das, er könne es fühlen aber nicht fagen. = er im Orden gefucht, hatte er in ihr und durch fie gefunden, Leben mit Gott. Die Mutter, die ihn in das Thränenthal geboreg) nannte er gegen fie nur die Kleine. Franzisca hat gefagt: „Würde| ich in einem Dornbuſche befonders erwedt, Gott zu erfennen zu lieben, dann trennte ich mich nimmer davon.“ Ortiz mei nicht Teben zu können ohne ben Verkehr mit feiner geiſtliche Freundin, wie Diepenbrod geglaubt hat jterben zu müffen, me man ihn von Sailer trenne. Ein Freibrief vom Orbdensgen gebot: Niemand dürfe Ortiz am Verkehr mit Franzisca hind So entjtand ein geiftliches Verhältniß, wie zwifchen Franz von Salt und der Chantal, zwifchen Angelica Arnauld und Saint» Eyran. Nur waren hier die Frauen vorwiegend die Nehmenden. Etwa di heilige Tereſa Hat ähnlich gebend zu Baltafar Alvarez, ihrem Beichtvater, geftanden, wie Franzisca zu Ortiz. Er empfing dei innerlichen Geſchmack der wahren Weisheit. Ju zwanzig Zu gab ihm diefe Schule mehr, als zwanzig Jahre in Paris. Nik Paris, nur das Paradies könne folhe Gaben fpenden. Seht der angejeheufte Gelehrte von gefundem, demüthigem, auf Gott gerichtetem Sinne müffe, wenn er Franzisca über die Schrift reden höre, die Ueberlegenheit der von Gott in eine heilige Seele gr legten Weisheit über die Büchergelehrſamkeit einräumen, die de Geſchmackes der Erfahrung mangelt. Im Beſitze diefer Weishei habe Franzisca die Aufgabe von Gott, durch Gebet, unmittelbare Einwirkung, Worte voll Wahrheit und tugendhafte Werte Denn Strahlen der Klarheit zu geben, bie aufrictigen Sinnes und der

Franzisca Hernandez und Frai Franzisco Ortiz. bas

mäthigen Herzens, wohl vorbereitet, mit ihr verlehrten. Enthuſiaftiſch childert Ortiz die Wirkung davon in feinem Herzen. Er könne feinen Namen der Liebe nennen, fo ausgefucht er fein möge, um aud nur um hundertften Theile genügend die himmlifche Liebe zu. bezeichnen, ie fo rein, lauter, füß, ftark, groß, voll Segen Gottes und zum jerfhmelzen des Herzens und der Seele ihm von Gott geſchenkt A durch feine wahre Mutter und Herrin. Diefe hielt dafür, die dorge für das Seelenheil ihres Freundes Liege ihr ob. Sie wies m auf feine Fehler Hin, die er vorher eingefchlürft hatte wie Wafler. Are Weifungen, ihre urſprüngliche, frifche, gefunde Frömmigkeit mahrte ihn vor den Verirrungen ber Erwedten.

Diefe lebendig Frommen Hatten ſich im Gegenfage zum Schein- nitenthum der Mafjen verbunden. Mehr als Schein und Schatten m die Religion bei Unzähligen nicht. Wir vernehmen die Klage: r Kern der Frömmigkeit, die Kleinode find verloren. Statt der lechen nennt man, wie die Spechte im Walde, die Namen. Mit den hriftlicher Tugenden, die fie in ihren Seelen nicht dulden ollen, die fie aus dem Leben vertreiben, umhängen fie fi, um ht verlacht zu werden, falls fie ſich Chriften nennen. Gefpenfter id Fragen fegt man an die Stelle des inneren hriftlichen Lebens. 8 erfogene, zum Trug erfundene Treiben wird von den Außer, h prächtigen, des Lebens, der Wahrheit baren Masten der ömmigfeit zugededt. So verhößnt die Mafje Chriſtum. Nir- nd war die Verhöhnung ärger als im Gebet, man mochte f die Gegenftände der Anbetung ſehen, oder auf die Weiſe, ie fie geſchah. Welche Blasphemie, zu den Bildern von Mont- at und Guadelupe zu beten, die durch die Lüfte fuhren, um te Verehrer ans Gefängniffen zu befreien! Welche Schmach für n Gefreuzigten, das Erucifiz in San Auguftin zu Burgos ans teen: „Pues teneis todo el poder del Dios padre en ıestra mano, Crucifixo soberano, venid nos a socorrer.“ Der fäubige ward ermahnt: „Sege Deine Hoffnung auf Gott und 8 Crucifix von Burgos, das meilenmweit gegangen ift, um eine odte zu erwecken.“ Und die Antwort: „O heiliges Crucifix, barme dich, uud erwede dieſes Kind vom Tode.“ So groß war © Zahl der Auferftandenen, daß man fragte, warum das Crucifix

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fich nicht ſelbſt Lebendig made. Von anderu Gebetsformeln wird verfichert, wer fie fpricht, ſtirbt in feiner Todſunde nub fieht di Tage vor feinem Ende ſicher die heilige Jungfrau. Diefe Gchett greuel, Ausgeburten der Hölle, trieben die Frommen zur beſondern Pflege des Herzenögebets. Dem äußerften Mechanismus, der g baften Verweltlichung im Reden der Seele mit Gott fetten fie de bhöchfte Spiritualität entgegen. Einige nicht ohne Ueberſpannur Die Gelaffenen verſchmähten felbft die Arbeit, den Gedanten Teufen; in der Ruhe volllommener Paſſivität wolkten fie fid 6 laſſen. Die Gefammelten drangen auf die Arbeit der Er des Herzens, der Ausftopung fremder Gedanken. Ortiz hielt für bfind, ihren Zuſtand der Ruhe für Starrframpf. Er übte Sammlung nad) den Weifungen Bonaventura’8 und Gerſon's; herumirrende Anhänglichkeit an das Sichtbare, die umberfchweif . Gedanten übermältigte er durch Erhebung zu Gott, frei von Peftilenz der Gelafjenheit. Dem inneren Gebet gab er vor mündlichen den Vorzug, Wer auf's Dad; fliegen Tann, bi freilich. keine Leiter. Wer noch gehen muß, foll die Leiter des mis lichen Gebets benugen, Stufe nach Stufe hinauffteigen, fich an Wänden halten und an Den, der ihm die Gnade gibt. Verirrte wies er nad Valladolid; Franzisca werde fie aus Verblendung reißen. Sie rügte die Täufchung der armen Gelafjen die wahre Sammlung fei ihnen fremd. Zu ihr ermunterte fie Ort mochte er auch wie Jeder, der ſich nicht in Aeußerlichkeiten ftreuen wollte, als Alumbrado verdächtigt werden,

Noch mehr verdankte er ihr für feine Predigten. Das das fie nicht ſelbſt Hatte, führte fie burd ihn. Er ward ihre Zu in der Kirche. Sie machte ihn zum König der Prediger. In if Umgange ſammelte er die Speife, die er ben Hörern bot. übertrat die Ordensregel, um in ihrer Nähe zu weilen. Bar von ihr entfernt, fo leitete fie ihm brieflih. Ihre Zufchriften g fie zu vernichten, denm nicht Papiere gefallen Gott, aber in Herz fchreiben was frommt, ihm zu dienen. Das Andeufen ai fie war ihm die Magnetnadel, an der er fih im Thun umd Lafer orientirte. Er bedurfte die Roſeukranzperlen nicht, die Frarzien wohl Soden als Andenten an die gemeinfam durchlebten heilige

Feanziscn Hernandez und Frei Franzisco Ortig. 545

domente fchenkte, die fie in aufrichtigem Sinne befuchten. Ihre iſtlche Nähe erfüllte ihm oft fo überſchwänglich, daß hundert ujend Städte nicht eine Stunde dieſes Troftes bezahlt Hätten, t fein Herz fo in Vergeſſen alles Irdiſchen tauchte, daß er nicht pe derfelbe zu fein ſchien. Welten hätte er ihr zu Füßen gelegt; » fie erfreuen konute, fandte er. Reiſte er nach Valladolid zurüd, ‚überwand die Sehnſucht körperliche Schwachheit. Er machte touren in einem Tage, die den Genoſſen lebensgefährlich ſchienen. Franzisca's reiche Anregungen machten Ortiz die Vorbereitungen ‚den Predigten leicht. Er ftellte an fich große Forderungen, figens ein nachjichtiger Krititer Anderer. Der gute Wille, den ! Prediger zeigte, Erlenntniß und Liebe Gottes zu erweden, ge Keim, um ſich zu erbauen. Ueber das Unbedeutende in ber Wit fchwieg er. Gutes Hob er hervor. Mühe genug hatte ihm R die Vorbereitung gemacht. Das Studium einer ganzen Woche te die Predigt. Nach feiner Ummandlung kam es vor, daß er amtliche Faſtenpredigten in vierzehn Tagen fehrieb. Seine Hülfe- %[ waren die ungloffirte Bibel und das Andenken an Frauzisca's te. Ex erfuhr, was der heilige Bernhard erzählt, durch das denen an einen heiligen Menſchen fei die andächtige Stimmung : in Wellenfchlägen über ihn gefommen. Die Gedanfen flofjen t zu. Nie wieberholte er Predigten, jo groß war der Reichthum. : bat er um Berjegung anderswohin, wie die Prediger pflegten, hdem fie drei bis vier Jahre eine Kanzel innegehabt. Was er „ſtach freilich gewaltig gegen die gewöhnliche Kanzelfpeife ab. in war in den Predigten an den rhetorifchen Schwulſt der Ritter« same, am den Bombaft des Seneka gewöhnt. Nur viele fremde

drücke, geſchraubte Sentenzen, Hochtönende Gleichniffe, bei den‘

aren zum Thema herangefchleppte Ausführungen, endlofe Ueber⸗ gel Bald wurde das Profane in gemeinfter Weife eingemifcht, » die Wunderfucht von der Kanzel mit Gedichten genährt, die die Scenen der Romane erinnerten. Was lag daran, wenn die

ter ftatt der Worte des Lebens Gras und Blumen des Feldes

ımen, und die ſchlaftrunkenen Augen auf den Kirchenbildern ten, Ja ignorancia del pueblo, la ganancis del clero. Wie ogenes nach einem Menjchen, mußte man nach dem Prediger

546 Böhmer

fuchen, der ernft und freimüthig Chriftum, nicht ſich predigte. Reden der Meiften waren Grabreden für fie ſelbſt über den Tert „Du haft die erfte Liebe verfaffen.“ In einer Schrift des Valtı die kirchliche Schäden aufdeckt, tritt ein berühmter Prediger auf Stolz wie ein Satan fhreitet er daher. Er’ verfichert, nur überfüllten Kirchen habe er gepredigt. Denn während er den Tigen fpielte, richtete er feine Rügen doch fo ein, daß fie die weſenden nicht trafen. Niemand wolle die Wahrheit. Hätten getroffen, fo märe vielleicht die Belehrung der Hörer die Folge weien. Diefe hätte auch den Redner gezwungen, fich zu befe davor wollte ich mich wohl hüten. Als Beichtvater gehörte er‘ Denen, die man fuchte unter dem Vorwand, fie fennten die Si gut. Eigentlich war der Grund, man fonnte mit ihnen ungen von den Sünden reden und hatte feinen Stab „Wehe!“ zu fün Es könnten doch Diejenigen nicht die Stirn haben, die Sünden tadeln, denen fund fei, daß die Beichtfinder die noch größeren Si der Beichtväter kennten.

Bon all diefen Kanzelfünden hielt Ortiz fih frei. Einft [7 er etwas darin gefucht, viele trockene Speculationen vorzulegen, mehr die Menge über die Subtilität des Redners ſtaunen fi als die Gewiffen ergriffen. Nun war diefe Spielerei aufg Wenn er oft unter Thränen über die Zungen des Geiftes in die Kanzel bejtieg und mit Feuer zu reden begann, zielte er Frucht bei den Hörern, auf das Entflammen ihres Willens Gott, Wie es Wahnfinn fei, das Heilmittel an der Ferſe wenden, wenn die Krankheit im Kopfe ftede, fo fei es umji den Ohren zu predigen, da doch das Uebel im Herzen wohne. hielt auf Bibelauslegung. Nach tüchtiger Arbeit mit ber gefchentten Gnade gab er viele katholiſche und nügliche Erklärm die man bei feinem Doctor gefehrieben fand. Gegen kirchli Pharijäismus ging die Polemit. Den Schlaffen ward alle Tegenheit entzogen, ihre Schlechtigkeit zu bemänteln ; taufend Dial es, Werke ohne Liebe Gottes feien nichts, do konnten die Sim menſchen ſchließen: gut, fo laßt uns fehwelgen ftatt zu in der Liebe Gottes. Gegen die Blindheit hat er geeifert, Gott allein in Steintempeln ſuche, uneingedenk des Wortes CHrift

Franzisca Hernandez und Frai Franziseg Ortiz. 547

Das Reich Gottes ift inwendig in Euch.“ Allezeit und allent- {ben fei Gott zu fuchen, um ihn defto würdiger in den Kirchen d Sacramenten zu finden. Der mächtige Strom gläubigen bens in. biefen Predigten traf die Herzen. Unerhört war der drang. Abends zuvor nahm man die Kirchenpläge ein für 1 folgenden Morgen. So viele Gefuhe um Saftenpredigten n Ortiz liefen bei feinem Guardian ein, daß dieſer meidifch d ärgerlich die zarte Gefundheit des Predigers als Ablehnungs- and vorfchügte. Der Erzbiſchof hätte ihn gern beftändig ger tt. Die Kaiferin öffnete ihm die Kanzel des Palaftes. Hatte da zu predigen, fo verbarg er ſich bis zum Heraußtreten zwifchen 1 Orgel und der Wand, um nicht, wie bie meiften Mönche, die ‚en Paläften der Großen lebten, der Eitelkeit zu verfallen. Sie x ihm fern. Hätte er vor einem Hohen Auditorium prebigen len und wäre mit der wohlftudirten Predigt auf dem Wege zur mel geweſen, und ein anderer Prediger träte ihm mit dem orten entgegen: „Sch Habe zu predigen, nicht Ihr“, er würde a die Füße Füffen und mit Freuden zuhören. Karl V. bot ihm Stelle eines Hofpredigers an. Franzisca entſchied: fie möge ht, daß er Prediger des Kaifers werde, er folle Prediger Jeſu eifti fein. Sie wollte auch dem Volke den Glauben nehmen, Freund Tiebe diefe vielgefuchten Eitelfeiten.

„Invidia virtutis comes“ lautet die Inſchrift auf dem Grabe Benito Arias Montano, eines der größten ſpaniſchen Gelehrten ſechzehuten Jahrhundert. Wie wahr fie fei, erfuhr Ortiz bald. w Bifhof von Mondonedo hörte ihn predigen und bemerfte: Nefer Pater ſchafft Frucht, doch Hat er Nebenbuhler unter den Öncen, die ihn verfolgen; er nehme fich zufammen und thue im ben der Franzisca nicht zu viel.“ Unter diejen Feinden, die ſchon 1 ten des Inquiſitionsproceſſes ſprachen, bevor die Inqui⸗ ion daran dachte, fehen wir den Guardian Guinea. Theologiſche ntniffe waren nicht feine Stärke. Sein Lieblingedogma lautete: Inquifition fönne niemals irren. In dem, was Ortiz von : Riebe Gottes predigte, fand Guinea die Irrlehre der Franzisca. " möge doch nüßlichere Dinge abhandeln. Monche, die das Echo * Öuardians waren, wiederholten: „Ortiz kann ſich paden mit

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feiner Gottesliebe. Bon Franzisen’s Lehre wußte Guinea, wie a geftand, nichts. Doc Habe ihm ben ſchlechteſten Eindrud gemacht was er von ihrer Lebensart gehört. Aber aud von ihrer eben weife wußte er nichts, als daß fie oft unzugänglich fei. . Ortiz m feine Freunde wies er aus dem Kloſter. Mit einer folden u lenzerſecte wolle er nichts zu thun haben. Gil Lopez hielt je eigenen Predigten für bie beften feit der Apoftelzeit. Ortij dunfelte ihn. Nachdem Jener mit großem Beifall über das da des Evangeliften Johannes gepredigt, rügte Lopez acht Tage fi auf der Kanzel, daß man die Prediger fo viel lobe. „Unb mai tobt Ihr fie? weil Einer über das Leben des Johannes gefp dat? Aber welche Lafter und Schmaufereien hat er getabelt?“ letzte Aeußerung fpielt auf das freie Leben der Franzisca an. Ynl Gegner flüfterten: Ortiz gehöre zu den Alumbrados, die den gefunden hätten, in Kurzer Zeit, ohne alle guten Werke, volitom zu werben. In einer Predigt Habe er gefagt, Chriftus fei tommener in der Seele der Gerechten, als im Sacrament Aktars. Ein Bischof war von Ortiz gebeten: Se. Guaden mi das Gute in Erasmus’ Schriften fo fehägen, daß er midt d Schlechte darin gutzuheißen ſcheine. Er rachte fich. Unerkö Weife nenne Ortiz die Franzisca eine benditisima Dienerin Go indeß Engel und Apoftel Maria nur die Gejegnete hießen. & Eorrectur war nicht geeignet zu verſöhnen: benedieta in mul bus heiße befanntlich fo viel al8 super omnes, wie das s vor dem Namen des Paulus noch etwas mehr ſage als sa tissimus in der Titulatur der Prälaten.

Die stulta superbia und aemulatoria fatuitas wandte aud) gegen Franzisca. Einft ftand fie vor dem heiligen, © Aber Hadrian VI. hatte als Großinquifitor entſchieden: es liege rit Erhebliches vor, was dem Glauben präjudicire. Sie war gefte „Es heißt, Ihr könnet Geifter unterſcheiden, ob fie zum gl zur Hölle, zum Himmel gehen.“ Antwort: „Sah id ſchlecht leben und hörte feinen ſchlechten Ruf, fo weinte ich ihm bei feinem Tode.“ Cardinal Hadrian hatte nur das Bedenſ fie Habe fo mumtere Augen und lache fo viel, das -zieme ſich mi für eine Dienerin Gottes. Mit leichten Poenttenzen mar fie durh

Framisca Hernan dez und Frai Franzisco Ortiz. 549

kommen, „Mix ift Alles recht“, verfegte fie, „doch, die das than, müflen Gott Rechenſchaft geben.“ Papſt Habrian hat üter, am Steuer des Gchiffleins Petri figend, feine papſtliche erfon und das Regiment der ganzen Kirche der Fürbitte Frau⸗ xa's empfohlen. Was einft nicht gelungen war, nahmen jegt lenſchen wieder auf, denen igre Perfon und ihr Wirken ein ber indige® Strafgericht war, Da erzählten die Klätſcher: die Hei⸗ e weife die Armen ab, beute die Reichen aus. Mönche made dem Gelübde untren, Minatello nenne ſich mit vollem Munde en unwürdigen Diener der Verlobten Ehrifti, lehne aber Ordens⸗ iden ab. Den Befuchenden fage fie wohl, man folle Gott Lieben d ihm dienen ; dann aber Liegen fie ſich's wohl fein, äßen gut, xichen fehlecht über Andere, aud über. die Prälaten, ohne ſich Die Obedienz zu kehren. Wie eine Heilige laſſe fie ſich ver- km. Fur Guinea war jede diefer Verleumdungen unwiderlegliche hatſache. Auf Grund derſelben vieth er; die Berfon in ein Kloſter fteden ober fonft wohin, damit die Irrlehre nicht fo großen chaden ftifte- Franzisca wünfchte nicht von den Dißpofitionen uinea's abzuhängen. Sie verließ Valladolid und zog nach Caftel Tejeriego. Hier lebte fie zurückgezogen; aufgefordert, fprad fie er das Wort Gottes wie Raterina von Siena und Angela von Migny. Ortiz ward in der Verfolgung fefter, wie ein Nagel, je tier man auf ihn Schlage, um fo tiefer in der Mauer ftedde. Er lam vom Prälaten den Befehl, jeden, auch fchriftlichen Verkehr t Franzisen abzubrechen. Bleibe es dabei, lautet fein Beſcheid, werde er Rarthänfer, das geftatte fein Gelübde. In beftändigem der mit den Oberen wolle er nicht leben. Dies bemühten ſich : Sranziscaner zu verhüten. Sie mißgöunten den Karthäufern Erbſchaft des Ruhmes, den Ortiz bisher feinem Orden gebracht. n leichter Unsweg fand fi. Ortiz berief ſich für die Recht⸗ Aubigfeit feiner Lehrerin anf das Urtheil der Inquiſition, die fie t fieben Jahren unbehelligt gelaffen habe. Gelang e8 jegt, ihre rurtheilung durchzufegen, jo war Ortiz gefchlagen, mußte -fie fgeben und blieb dem Orden.

Man hoffte mit Recht auf die Allmacht der Inquiſition. Das ige Gericht war in Spanien die Säule, die Staat und Kirche

73 Böhmer

trug. Sie lehnte ſich an die beiden fpanifchen Heiligthümer, Kein: heit des Glaubens und des Blutes. Aber alle Leidenjchaften, die im dunklen Grunde der Seele ruhen, nahm fie, Befriedigung ver- heißend, in ihren Dienft. Der Mordluft, der Rachſucht, der Hıb gier bot fie als treue Helferin die Hand. Ihre entfeglichen That) wußte fie in Gottesdienft, den Mord in heilige Feier zu Hüllen Niemand Konnte wie fie das fill gegebene Wort löfen, das fchenkte Vertrauen belohnen. Mit geiftlichen und weltlichen Wıf zugleich ſchlug fie nieder. Karl V. hätte eher einen Theil fi Staaten verloren, als Etwas gegen die Ehre Gottes und die Me der Inquiſition geduldet. „Oderint dum metuant“, war Wahlſpruch. Der Guardian Guinea war feiner Sade v gewiß. „Man muß Franzisca verbrennen; ich werde dafür for daß fie in's euer kommt.“ Den Großinquiſitor Manrique er fo einzunehmen, daß er auf Ortiz’ begeifterte Vertheidigung erwiderte: „Der Guardian hat Recht, fie verdient den Scheit haufen.“ Es erfolgte eine Citation nad Toledo. Freundlich heiter empfing Franzisca die Beamten. „Wäret ihr fo fiher dem Befehlen, wie ich beim Gehorchen, jo wären wir beiderfei recht ficher.“ Gefragt, weß Weib fie fei und was fie befige, fpı fie: „Ich bin eine Verlobte Jeſu Chrifti; ich Habe nichts und mangelt nichts durch Gottes Barmherzigkeit." Zwölf Tage mil fie, Alles entbehrend. In Toledo fah Ortiz fie wieder. Als an die heiteren Mienen erinnerte, womit fie einft vor dem Zril geſtanden, fagte fie: „Bittet Gott, daß ich nicht lache, wenn i fehe, welche Dinge fie fagen und fragen.“ Ob fie etwas bei hieß es: „Ich brauche hier nichts und von Niemand zu erbil und folite ich noch taufend Jahre hier bleiben mit Gottes Hülfe‘

Der Franziscanergeneral Hatte dem Großinquifitor gejagt: .. habe geglaubt, an Franzisca Hernandez fei etwas Gutes, aber H fehe doch, es ift möthig, fehr aufzupaffen. Fanget ung die die Meinen Füchje, die den Weinberg verderben.“ Diefer Mat gehorfam, fandte das Officium die Geiftesverwandte der heilige Terefa in's Gefängniß. Handhabe bot ein Brief, worin Orth geſchrieben: „O meine Herrin, meine reinfte Liebe, mein gejegneiits Innerſtes, mein Herz, mein Auge, Leben meiner Seele“ ; fie mix

Framisca Hernandez und Frai Franzisco Ortig. 551

dr feine blinde Mutter bitten; Habe fie doch den wahren Arzt fo 1 fi, daß fie nur Ja zu fagen brauche, um das Erbetene zu em- fangen. Er unterzeichnet: „Geringer Sohn und Diener Euer großen Inaden, der Euren Heiligen Fuß bald in tieffter Ehrfurcht zu kuſſen langt.“ Die Ausdrüde erinnern etwas an den Amabis und e Schäferpoefie, aber was wäre Häretifhes an diefem geiftlichen ebesbriefe mit ſpaniſchem Colorit? Der Verfaffer ſah die Stunde fommen, durch eine fühne That fein Wort zu befiegeln, als Ritter sanzisca’8 dieſen Mönden eine Ohrfeige zu geben, an bie fie jenslang denken folften, und leichten Herzens Gloria in excelsis fingen.

In der Zaftenzeit Hatte Ortiz viel geprebigt. Oft war der Kaifer iter den Hörern geweſen. Andächtig las er Mefjen; nur noch Rüge, wußte er, werde er Halten. Unter Gebet und Thränen ritete er ſich auf feine lebensgefährliche That. Mit unausfprede ber Freude erfüllte ihn der Bli auf die nahe Verfolgung um t Liebe Gottes willen. Heiter dent er an bie Trennung vom Äern und Studien, an die Stille des Kerkers. Hier könne er a Staub von den Füßen fehütteln, mit dem die Arbeiten des ftlihen Amtes ihn bedeckten. Dazwiſchen quälte ihn Angſt, die ehnte Stunde des entfcheibenden Wortes nicht zu erleben. Götts jes Feuer durdglühte ihn, als er bie Kanzel von San Juan rat. Eine vornehme Zuhörerfcaft war verfammelt. Die Ge Bheit, er werde in Stüde geriffen die Heilige Stätte verlaffen, :ad) er im Eingang der Predigt aus. Er beginnt heroiſch: „Ich !ige, als wäre dies meine letzte Predigt. Höret, als müßtet ihr tben, wenn fie endet.“ Der Tert war da8 Wort des Propheten: der Löwe brüllt, wer follte ſich nicht fürchten; Gott der Herr Acht, wer folfte nicht weiſſagen?“ „Man muß Gott mehr jorchen als den Menſchen“, diefes Thema führte er aus. „ch ll fagen, was ich weiß, und nicht fagen, was ich nicht weiß.“ amit ging er zu dem ihm bewegenden Greigniß über. „Ich bin n Prophet und fein Prophetenfohn, ich weiß nicht, ob Gott eine oße Sünde, die in diefer Stadt begangen ift, noch in diefer Welt afen wird. Diefes, ich wiederhole es, weiß ich nicht. Was ich er weiß, iſt, daß, die fehr ſchwere Sünde, die kurzlich in Toledo Theol. Stud. Jahrg. 1868. #7

so2 " ‚Böhmer

begangen wurde, bie ich offentlich nenne, weiß fle öffemtfic geſcheh die Verhaftung der Franzisca Hernandez ift." Als Münde u larmen begannen, rief er im großer Bewegung: „Schweigt, Got Heißt mich reden. Der Name biefer Dienerin Gottes ift weit be fannt. Fur fie ging ich zum hochwürdigſten Erzbiſchef von Geville, wie einen Engel nahm er mid auf —“. Weiter konn, er nicht fprechen. „Laßt doch den Heiligen reden!“ rief ein Ga licher weinend. Umſonſt. Man rig Ortiz von der Kanzel, fin Digte ihm Yuguifktionshaft an.. „Ein Freudengeſchenk verdient I Für fo gute Botſchaft“, entgeguete er. Froh trat er den Mey] dem Kerker an, in dem Franzisca litt.

Sein Gefängniß ift if heilig und gefeguet. An einem heie Orte der Marheit und des Friedens fei eB erbaut. Das Treiben von Toledo reiche dahin nicht. Durch Jeſu Guade fung er hier an, ein wahrer Minorit zu ſein. Ihm ſei die ar

treuzigt und er der Welt. Ohne Bulle von Rom, ohne Einfp der Pralaten ſei er jet Karthäufer. Keime beſſere laufe bi die Hallen von Sevilla, als diefe Zelle, wo er nur zwei Gm fangenwärter fehe. Hörte er draußen aber einen Armen für du Eingelerkerten beten, jo ließ er wohl fein Theil Brod hinausreiche und faftete. Ein Freund drängte ihm, die Predigt zu widerrufe Aergerniß habe fie erzegt, wie mie ein Wort, dad er gefpraden Die Kanzel fei ihm dadurch verfchloffen, dem Volke, das ihn m met mehr hören koune, wmabfehbarer Schaden gebracht. Er hai wicht wifſen Lönwen, ob der Erzbiſchof nicht auf Grund neuer 2. ausjagen die Verhaftung verfügte. Mit Unrecht nenne er = eine Öffentliche Simde, alſo die Inquiſitoren üffentliche Sin, und bejchäbige ihren Ruf. Saft häretiſch fei es, die kirchliche Ou⸗ nung durchbrechend, den Erzbifchof anzugreifen. Auf feine im Freudigleit möge ex ſich nicht berufen, die Habe auch Huß gehett Ded Gewiffen, mit dem er die Predigt gehalten, möge er ablegm: leicht fei es, unbeſonneue, umrichtige Weuferumgen zu revodsm. DOrtig Amipfte den Widerruf am feine beffere Einſicht im den be -gangenen Fehler.

Die Anklagen nahmen größere Dimenfionen an. Er habe ba Eczbiſchof beleidigt, der als Generalinguifitor in Spauien die zweit

Frangisea Hernandez und Frai Framised Ortiʒ. ss

Perfon nach dem Papfte fei, alſo ben Papft feibft, um ein Weib m erheben, defſen Gemeinheit man kenne. Diefem ‚gemeinen Weibe laube er mehr als der Kirche. Um des Weibes willen habe er 1 fo vornehmer Verſammlung dem Erzbifchef werlegt, jeinen Oberen en Gehorfam aufgefagt. Gegen ben Willen berfelben fei er’ auf er Kauzel geblieben, habe viele Tage und Nächte in der Wohnung 1 Franzisca zugebtadt, ihr Geſchenke gemacht, verliebte Briefe iſchrieben. Beide Hütten newen Irrthum auftifchen wollen, um R uppiges Leben zu reditfertigen, um Iedere Mahlzeiten, Bantette ılten und müßiges Geſchwätz treiben zu können. Seine früheren ken Predigten nenne Ortiz, der Gnfpirirte, der Prophet, ‚der Iner auf Gottes Geheiß, Narrheiten zum Aerger der Stadt leala und ber Magiſter der Umiverfität. Wie ein Alumbrabo Be er Dinge gepvebigt, die Großen und Cavalieren auftögig weſen; diefe edlen Hörer feien aus der Kirche hinausgepredigt, m überdied ganz Spanien geärgert mit Irrlehren, zu deren xgründung er die Schrift gemißbraucht, wie die: Gott fei voll⸗ ennener in ber Seele des Gerechten, ala im Sacrament; bie kichte ſei micht göttlichen Rechts. Er käftere, wenn er ſich die !ben Gaben des Heiligen Geiftes beilege. Er frevle, wenn er an Tod für die Lüge empfehle, duch Wunder Lügen beweijen elle, für feine Predigt fi großer Ehre nor Gott nnd Menjchen erth achte, fein tollfühnes Wort für ben größten Dienft erkläre, n er Gott geleiftet, in feiner inneren Heiterkeit ein Wunder fehe, therlicherweiſe fich einbilde, Gott laſſe ihm in Meer Sache nicht ten, mit dem, was er im Gemiffen fühle, könne man fein Ketzer, in Todfünder fein. Verbrecheriſch habe’ er das Leben der Ehriften gefüllt genannt mit verfluchter Lauheit und Schlafiheit, und von ? Inquifition gefagt, durch Franzisca's Verhaftung fei fie um te Heiligkeit gekommen, enblid) gedroht, fielen auch noch fo Viele m Erzbifchofe zu, er niemals. Ueberhaupt verhöhne ex den geift- Gen Stand, die Strenge bes Möndjlebens, die Kirchenlehrer, ı er Franzisen höher ftelle als zehntaufend Dortoren. Es ar nicht ſchwer, das Gemiſch von Lügen und Wahrheiten in den lagen zu fondern. Ortiz thut e8 in Briefen an den Groß- iquifiter. „Aus dem jehe Heiligen und geliebten Gefängniß der 37”

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Inquiſition zu Toledo“ fehreibt er ihm wiederholt, um Zranziea zu verteidigen, über die fcandalöfe Sünde der Verhaftung eier. Bei der Anklage gegen eine Heilige Dienerin Gottes wäre mit der größten Sorgfalt vorzugehen Pflicht geweien. Der Prälat fich dafür eine befondere Offenbarung‘ erbitten follen. Wie möglich fei, daf er die Wunder für dämoniſche Illufionen da ſich doch Frauzisca's Heiligkeit und Reinheit darin bezrug‘ Wie es möglich fei, daß er den Guardian ermuthige, fie auf Sceiterhaufen zu bringen? Die vorliegenden Zeuguiſſe rei zur Einterferung einer Dirne nicht Hin. Webrigens habe der Erzbijt die Unterfuchung ebenfogut führen können, hätte die Gefangene in ci angefehenen Haufe in Balladolid gewohnt. Weshalb die Gemal wodurch Schwache am geiftlichen Leben irre und beide Gef wie Ketzer von der Mefje ausgefchloffen würden? Nicht ftreng ſpricht Ortiz mit den Inquiſitoren. Sie follen fich mi durch das Wohl ihrer eigenen Ehre verhindern laſſen, Unrecht zu machen. Erft hinaus mit dem Balken ans ihrem Auge, mögen fie ben Splitter in dem feinigen berühren. „Demüthig b End dem Gotteögerichte, das der unerforſchliche Weltregierer 4 diefer Sache über End verhängt. Seid Inquifitoren Eures cignd Herzens. Die Denuncianten Franzisca's Hört das erfte Mal, [| zu fehen, wo das hinaus will. Das zweite Mol zeigt ihnen tik gutes Geſicht, das dritte Mal werft fie zu den Teufeln der Hälg die in ihren Seelen wohnen. Aber leiht Eure Ohren micht dieie Abſchaum der Hölle, diefem ſchwarzen Pech, das befudelt, beji anfhwärzt, ſich feitjegt, um das Feuer der Hölle zu nähren.“ pört fprict er vom Guardian. Seine Stimme zum Guardi babe er ihm nicht gegeben, aber jegt gebe er ihm das Votum: „Gefangen werben mögen die Füße, die fo böfe Schritte ginge, ein Knebel fefjele die Zunge, die fo verderbliche Lügen gefproden| möge er hier noch feine Sünden erkennen und bemeinen, um a Abgrunde der Hölle zu entgehen.“ Er vertheidigt Franzisca's car gelifche Freiheit als durch die reine Liebe zu Gott gegeben, jer Liebesworte mis entraias mit dem Vorgange des Apoftels, der de Onefimus mea viscera nenne.

In den Berhören vor den Inquifitoren erſcheint Ortiz bejcheide

Frangisca Hernandez und Frai Franzisco Ortiz. 555

ft, der Rechtsformen kundig. Sein Wunſch ift: das Heilige Offi⸗ um möge ebenfo bereit fein, die Schuld abzutragen, die es, wie : mit Gottes Hilfe zu zeigen hoffe, auf ſich geladen, wie er bereit i, in Allem und Jedem für die Sünde genug zu thun, die man m in feinem Vorgehen zeigen werde. Bisweilen war er fröhlich n Gefängniß, denn man müſſe fi in diefen Mühjfeligkeiten. doch ch etwas Heiteres erholen. Sein Gebet lautet: „Mein Herr! me Franzisca Hernandez Haft Du mich erfchaffen, ohne fie mich loſt, ohne fie mir viel Gnade erwiefen. Siehe auf mich, belehre ich, worin ich irrte, ob ich glaubte, Dein Geift bewege mich, und ) war mein eigener. Gib mir Licht zu erkennen, es fei Deine Ängebung nicht geweſen, durch die ich predigte, falls fie es nicht nr.“ Aber immer fefter ward feine Ueberzeugung. Franzisca egifterte ihn im Traum zu umfajjenden Vertheidigungsfchriften. don Feuereifer fühlt er fich zur Vertheidigung: feiner Predigt durch⸗ fungen. Er fei der Daniel diefer neuen Suſanna. Ohne öffent he Chrenerflärung für fie und ihn nehme er die Freilaffung nicht . Gott ſei in jeinem Augapfel verlegt. Nur Reftitution könne 18 fühnen. In den dem Gerichte vorgelegten Schriftftüden ber urrt ber Verfaſſer dabei, die Verhaftung ohne genügende Aukläger i Unrecht. Mit Recht Habe er fie fo nennen müffen, denn nad iner UWeberzeugung fei fie der evangelifchen Wahrheit, die er ge⸗ redigt, nicht conform. Das Volt Habe daraus Anlaß nehmen innen, feine Lehre zu verwerfen, die dod nicht fein, fondern Jeſu hrifti ſei. Da habe er dem Erzbifchofe widerftehen müffen, wie zaulus dem Petrus. Wunder bezeugten die göttliche Sendung ranzisca's. Ohne Theologie zu verftehen, lege fie meifterhaft die Schrift aus, leſe die Gedanken Anderer. Ihm und Anderen ſei e wie der Heilige Franz abweſend erfchienen. Unbeftreitbar feien ie Gebetswunder. In ihrer Nähe wären ihm feine Predigten ge- ungen. Un fie gebentend Habe er ein Licht zum Erkennen feiner fehler, einen Anfang der Gottesliebe, eine rechte Andacht. Endlich var ihm ein großes Zeugniß, daß er, der ſchwache Mann, den Muth erlangt Habe, in dieſer Sache fein Leben einzufegen, alles teiden zu ertragen. Er könne nicht widerrufen. Wüßte er auch, ın feinem Widerrufe hänge Franzisca's Leben, tanfend Tode werde

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ex fie ſterben laſſen, che er Gott, der ſich feiner ſo Barmfenig angenommen, babund beleidige, daß er gegen fein Gewiſſen handck. Die Inquiſitoren erwiberten: Alles ziehe ſich im den Punkt zu fammen, er behaupte göttliche Zeugniffe fär ben. göttlichen Berui zu jener Predigt zu haben. Die Kirche könne über Verborgens wit richten. Born Meufchen müffe die Sache gerichtet werden, Bon Rechtewegen feien fie nur dann verbunden, feinen Morten ja glauben, wenn er fie durch Wunder beftätige. Er möge ein Wunder than. Ortiz verwies auf das Wunder, daß er im Gefängng| munter, heiter, fröhlich und zufrieden fei, Tag und Nacht voll dl gegen Gott, der ihn gewürdigt Habe, für feinen Namen zu lie und in ſehnlicher Erwartung des Todes und der Krone des Sehen. In ſolcher Weiſe bewegten fih Anklagen und Verantwortungs, Lange Paufen, berechnet, den Gefangenen abzumatten md zum Ge ftändniffe zu zwingen, trennten die Verhüre. Sieben Monate uf der Verhaftung legte der Fiscal die Anklage vor gegen Ortiz Apoftaten, den Beförderer und Verteidiger von Härefien, den Bei leidiger und Feind des Officiums, ber dem weltlicden Arme überliefern fei. Mit großer Verſchlagenheit war die Ace Hundert Augen, wie Argus, mußte man haben, um auf Alles ai worten zu können. Das Material hatten Klatſchereien uud var| drehte Stellen aus Predigten geboten. Laugathmig fpasın der Prod) ſich fort. Das Heilige Gericht erlaubt Alles, was ihm nützlich ii Es verjchmäht die elendeften Kunſtgriffe uicht, um zum Bid a kommen. Gegen Ortiz wurben ſchlechte Zeugen zugelaffen; fe R do dein Zäger der elendefte Hund willlommen, wenn auch su zum Anzeigen der Beute. Mit der Bemerkung, man mäfje Heim Gedächtnißfehlern der Zeugen doc; nachhelfen, deckte man die Schin⸗ lichteit zu, ihnen das Gegentheil ber Ausfogen in den Mund # legen. Entlaſtungszeugen wurden möglicft ſpät angeführt. In bedenklich votirten die Richter, ohne die Vertheibigung des Angeklager auf anchträgliche Beſchuldigungen gehört zu haben. Die Sek war ſpruchreif, als die Raiferin ſich für Ortig verwandte, Si wimſchte aus einigen guten NRüdfichten die Freilaſſung des & fangenen, bat und beauftragte Die ehrwürdigen Inquiſiteren de Stadt und des Erzbistkums Toledo, zu ihrem Dienfte Anecbum

Franzisca Hernandez und Frai Franzisco Ortig. 57

a treffen, daß mit geößtmöglichfter Kurze bes Ortig Sache erledigt erde, in Anbetracht der Quafität feiner Berfon, bes Ordens, der mgen Zeit der Haft, und beffen, daß fein Bruder, Doctor Orthz, af Befehl der Kalferin nach Rom, gehe in einer Sache, bie fir m Dienft des Kaiſers, der Kaiferin umd das Wohl der ganzen rifllichen Religion ſehr wichtig ſei. Deshalb wunſche fte, daß e ſchwebende Angelegenheit vor der Ankunft des Geſandten erledigt erde, denn damit werde ihr gedient fein. Das Gericht beeifte h nicht. Dreiundſechzig Netractationsartikel legte es Ortiz vor. e unterwarf ſich in Sachen des Glaubens und der Sitten dem ttheile der Gelehrten, er konne irren, aber fein Keher fein. Wo fich um Thatſachen Handele, ſtelle er fein Erfahrungswiſſen iiber t Ausſpruche der unkundigen Doctoren. Er blieb bei feinen Aus⸗ Mm über die Wunder der Frauzisca und das an ihr begangene keit, über das von aller damoniſchen Illuſion freie Zeugniß bes Gewiffens für den Befehl der göttlichen Majeſtät zur Prebigt, er die Wahrheit und die Verdienftlichleit feiner Mede, den Irr⸗ um des Erzbiſchofs, die Realität der ihm im Kerker verlichenen miden, die erfahrene Einwirkung Franzisca's, die von ihr erhals- ie reine Subftanz bes Evangeliums, und fein Recht zum Verkehr it ihr, mochten auch Mofterceremonien verfäumt werben. Zurüd« nommen hat er die Behanptungen: alle öffentlichen Sünden dürfe " Prediger bffentlich rügen; es ſei Tobfünde, Franzisca im Ge— agniß zus behalten; das gemößnfiche Leben der Chriften ſei voll tfluchter Lauheit; es ſei ungerecht, ihn gefangen zu halten und 16 Bolt um die geiſtliche Speiſe ſeiner Predigten zu betrügen, id ähnliches. Fur den Fall vollftändigen Widerrufes hatte das wicht die Strafe bereits feftgeftellt. Die ftrengften Doctoren unſchten ein abſchredendes Exempel zu ftatuiren. Sie fordern, htiz Habe Predigt und Irrlehren bffentlich zu widerrufen, ſich m Verdacht. der Ketzerei durch einen Reinigungseid zu befreien, itfe nie predigen, Beichte hören, zwei Jahre nicht Meſſe leſen, & nie öffentlich zeigen, mit Niemand außer dem Kloſter verkehren we reden. Dieſes Strafmaß erfcheine gelinb; man berückſichtige ibei die Ehre des Branziscanerordens; das Mecht heiſche ewiges Müngeiß. Die mildere Serdenz, der ſich die Majoritüt der. Nichter

5858 Böhmer

zuwandte, verhängte Abſchworung, Suöpenfion vom Predigen af ein Jahr, Zellenhaft in einem SFranziscanerflofter, wo er nicht öffentlich, fondern nur in der Eapelle Meffe leſen dürfe. Seu Pralat möge ihm geiftliche Poenitenzen auferlegen, hinſichtlich der törperlichen mild fein. Verftimmt wiefen die Inquiſitoren den A: geflagten in feinen Kerker, als er völligen Widerruf unbedingt weigerte. Ein halbes Jahr lang hat er ihm nicht verlafien. Dr Proceß ftand till.

Spaniſche Romanzen ſchließen wohl mit dem Refrain: für ji ift von der Gefchichte weiter nichts mehr zu erzählen, und wer ng mehr wiflen will, fehe, wie er es erfahre. Die Stelle in Onf Leben, an der wir ftehen, erinnert an jenen Spruch. Die Urfuna ſchweigen über die Motive des jet erfolgenden, ganz umermwarkem Scrittes. Er widerruft Alles. Ob im Bli auf den nahen Schi terhaufen, ob in fatholifchem Gehorfam gegen das Gebot des Grip inquiſitors, ob unter fremden Einflüfen, ob nad} ſchweren Kämpfe, wir wiſſen davon nichts. Genug, er erbat ſich eine Audienz, a der er geftand, eine ausdrückliche Offenbarung Gottes, zu predige, habe er nicht gehabt, nur einen Antrieb dazu, den er für götlih gehalten. Da es eines der größten Opfer ber Diener Gottes je, ihr eigenes Fühlen und Meinen zu verleugnen, eine Unterwerfung, wie fie der heilige Bernhard letztwillig von feinen Mönchen ur- lange, wie fie in Franziscus geftrahlt habe, fo verlengne er fen Urtheilen und Wollen und bringe es dem Herrn Jeſu zum Opfe dar; er retractire, was er gepredigt, nehme alle Strafen über fi, nicht aus Todesfurcht, fondesn um ſich um Gottes willen zu wm leugnen. Den Erzbiſchof bat er um Vergebung; unverftändigt Eifern fei der Grund feiner Bermeffenheit. Auf den Kuieen mok er dem Prälaten dienen, wie er dazu verpflichtet fei, fo lange m Iebe. Das vorbereitete Urtheil ward gefällt. In Procfim 309 Ortiz vom Gefängniß zur Kathedrale und ſchwor ab. E— mußte geloben, Franzisca nie wieder fehen zu wollen. So it geichehen. .

Im Madonnenklofter Tordelaguna verlebte er feine Graf Nie Hat er es wieder verlaffen. Fromme Uebungen, einjame Br trachtung fühlten feine Tage. Seinen Studien war er wiedergegeben

Framisca Hernanbez und Frai Framisco Orti. 559

Schzehn Bände umedirter Arbeiten hat er handſchriftlich Hinterlaffen, adletiſche Tractate, Predigten, Abhandfungen geſchichtlichen, patriftie ihen, cafuiftiihen Inhalts. Als Gewiſſensrath war er geſucht. Den Admiral von Caftilien bereitete er auf fein Ende vor. Nur u gern Hätte biefer ihm bei fich gehabt. Aber Ortiz Iehnte alle Befuche ab. Bon jenen zwei Zeiten, deren Salomo gebenfe, fei ne des Schweigens für ihn gekommen. Die Menge der Yahre verurfachte ihm feinen Ueberbruß, der Hunger, fein Winkelchen zu genießen, nahm zu. Zurüdgezogenheit und Stille hatte man ihm 18 Poenitenz gegeben. Gott wandelte fie in füße Befriedigung m. Die reihe Einfamteit bot eine Fülle von Gelegenheiten zur Belbfterkenntniß, zur Verſenkung in das unermeßlice Meer der Bite Gottes. Schon früher hatte er oft mit Neid auf Solde Pogeblickt, die in der Stille durch ihre Gebete für die Kirche Gottes ten durften; unglaubliche Frucht könne eine Seele bringen, bie 8 verftehe, allein zu fein. Set war ihm ein ſolches Gebetswirken gönnt. Aufgefordert zur Uebernahme eines Amtes verfegte er:

Will Gott mein Amt noch gebrauchen, fo werde ich fagen, gelobt i Er, und ihm anhänglich folgen. Will Gott Hier mein Leben aden, fo fage ih, hochgelobt ſei Er, denn nur Tod iſt's, was endet.“ ir konnte es fagen im Jahre 1546. Beſchäftigt mit Anmerkungen 1 einem Buche von Alejo Venejas über den Tod, überrafchte ihn in Ende. _

Verloſchen war jein Andenken. 1813 tauchte es wieder auf. in den Debatten der Eortes von Cadir über die Abfchaffung der Inguifition ward er unter den Opfern des Tribunals genannt, (8 Meifter myſtiſcher Berebfamteit, als Mufter erften Ranges für ie fpanifche Sprade. Wenig wußte man von feinem Leben. Dürf⸗ ge Notizen gaben eine fragmentarifche Kunde von der Wirkjamfeit iefes frommen Mannes in elenden Zeiten, die leer gewefen an Korn nd reich an Stroh und verdammter KHeuchelei. '

Nun hat fich eine reiche Duelle der Belehrung aufgethan. Aus em Lande der Manuferipfe ftammt fie, in dem das Handſchriften⸗ eſen während des fechzehnten Jahrhunderts blühte wie im Mittel Iter, wegen der Seltenheit ber Verleger, der Koftfpieligfeit des Irudes, ber Eenfur der Inquifitton. Ein in Spanien erworbener

560 Ba hmer

Handſchriftenband bietet Proceßacten, Briefe von Ortiz an Ftan⸗ zioca, an den Erzbiſchof von Sevilla und Andere, Bertheibigungt: ſchriften, Zeugenansfagen und ähnliches Material. Er ift in die rechten Hände gefommen. D. Böhmer gehört zu ben grundlichſten Kennern der romaniſchen Literatur. Das einzige Buch, das wohl jemals ei deutjcher Gelehrter in Dante’ Sprache gefchrieben hat, ift von feiner Hand. Seine Ansgabe von Valdez' Eonfiberationn hat bie verdiente Anerkennung gefunden. Sie zeigte, wie heimiid er ift in den Arcanis alter, feltener Bücher.

Er Hat fich die Aufgabe geftellt, das neuentdeckte Material pr Geſchichte feiner Helden volljtändig zu verwerthen. Keine Mir der Quellenforſchung ift gefreut. Die koſtbarſten Schriften alır ſpaniſcher Literatur find zu Mathe gezogen, Werke, von bmm vielleicht nur ein Gremplar in Europa exiſtirt, daneben neuere Un kandenpubficationen, die den behandelten Zeitabſchnitt berühren Nur wer Zugang zu großen Bibliotheken hat, kann jo nad Hm zensluſt Kloſterchroniken, Orbensgefhichten, genenlogifche Wert, Topographien, Neifebefchreibungen, Stüdtegefchichten durchſuchen Freilich muß er zu Haufe jein im banoniſchen Rechte wie ir den Myſtitern, wenn er ed darauf anlegt, über Alles, was af feinem Wege Liegt, quellenmäßige Information zu geben. | ſollte -folcher Fleiß nicht viele neue Kunde zu Tage fördern? Mu wird durch fie oft genug überrafcht. Die Anhänge find Zeugriſt feltener Gelehrfamfeit. Lange überlieferte Irrthumer werben u ihnen berichtigt, neu aufgejtellte Gefichtspunfte begrümdet. De größte Excurs gibt einen trefflich gearbeiteten Auszug aus da Meinod der fpanifchen Myftit, Oſuna's Abecedar, einer Anleitung zum Gebete, die die heilige Tereja geführt Hat. Das Bud ma faft verſchwunden, jegt iſt es und wiedergegeben. Bühmer’s Bat ift aus vergilbten Arten gearbeitet. Wer jemals foldes Materul in Händen hatte, kennt die Gefahr, eine farbloje, trodne Arder zu liefern. Der Autor ift ihr entgangen. An dem Buche ift nichs Bergilbtes, als das dem Pergament ähnliche prächtige Papier, af dem es gedruct wurde. Bucherſtaub Hat fi nicht anf bie Dar: ftellung gelegt. Sie ift friſch, zeichnet in beftimmten, feften Züge bewaltigt ben fpröben Stoff, verteilt mit chriftlicer Gympalhs

Franziscn Hernandez und Frai Franzisco Ortiz. r se

ücht und Schatten, durchwebt die Thatfachen mit finniger Reflexion. Man kann darüber ftreiten, ob richt Einzelne®, das zuerft in den Acten mitgetheilt wird, beffer in die Darftellung verflochten wäre. Dann Hätte die Gefahr gedroht, entweder ſich zu wiederholen, oder ie Actenſtücke zu ſehr ihres fefjelnden Inhaltes zu berauben. Der derfaffer kennt die Wirkung diefes Details fo gut, und Hat fi gar im Nebenpunkten jo ſorgſam darım gemüht, daß man gewiß fin kann, er habe and in der Bertheilung dns Rechte getroffen. Es ift eine Erquickung, ſolche Heilige Seden in dem Lande nutreffen, wo die Mabonnenbilder Ströme von Thränen ver- offen und verfauften, wo das Wohlergehen des Königs nad) Leib“ m Seele von der angemeffenen Beſetzung der Stelle eines koginquifitors abhing. Die Maffe freilich kennt diefe Freude Mt. Der große Meenten jagte: „Die Welt hat nur Auge und Ban für das, was auf dem Schauplage der Gelebrität gefchieht, ir das Leben der großen und Meinen Menfchen, die da Leben Nefen, Leben träumen, Leben dichten; für das wahrhafte, göttliche eben göttlicher Menſcheu hat fie, fo lange fie in der Welt find, in Auge, feinen Sinn, wie viel weniger, wenn fie nicht mehr in = Welt find.“ Alle aber, die den Herrn lieb Haben, lauſchen ern jedem neuen Zengnifje dafür, daß Er fein Volt auch da Hat, o unfere Augen aur Finfternig und Schatten des Todes jehen. he ftärken fi an der Anfchauung ſolcher Menfchen der Sehnfucht, zen Ziel und Bahn, troß mancher Schwachheit, fich in die Wolfe ner Zeugen verliert, deren die Welt nicht werth war.

Bien. . B D. theol. Wiltene.

562 Ehrenfeuch ter

2.

Aus dem Nachlaß von Eruſt Friedrich Fink, weiland Dochr ber Theologie und Pfarrer an der Heilanftalt zu Ilenau. Nebft einem Abriß feines Lebens. Herausgegeben vn D. Friedrich Ehrenfeuchter. Heidelberg, C. Winters Univerfitätsbuchhandlung. 1866. 8°. 318 SE.

Dem am 25. Juni 1863 Heimgegangenen D. Fint hat a obiger Schrift die kundige Hand feines Schwagers ein Denkmi | geſetzt, das nicht blos den Dank der perſönlichen Freunde Finte) verdient, fondern aud bie Beachtung weiterer Kreife der enang liſchen Kirche in Anfpruch nimmt. Auch die „Studien und Kritiken haben in früheren Jahren mehrere Arbeiten von Fink gebracht. Neben feiner außgebreiteten und heute noch von Vielen gefegneten Wit! ſamleit an der Illenauer Anftalt und jeiner Thätigkeit im den Ari gelegenheiten feiner Landeskirche während einer ereignißreichen Zei, wußte er nicht minder der fortdauernden Pflege der theologice ! Wiſſenſchaft, als der eingreifenden Mitarbeit an der Förderung ie | chriſtlichen Lebens auf den verfchiedenen Gebieten der inneren Diff | feine Kraft zuzuwenden. Dieſe Vielfeitigleit, welche bei ihm ri zur Zerfpfitterung führte, weift einerjeits auf eine feltene und reif natürliche Begabung Hin, andererjeit® auf die Kraft des Glauben und der Liebe, die er von oben empfangen hatte und im Dienit der Gemeinde Chriſti mit voller Hingebung. verwerthete. Es it nad) dem Vorwort des Herrn Herausgeber „das Beiſpiel ein Lebens, worin ſich Glauben, Dienen und Studium fo innig m zugleich fo anſpruchslos verſchwiſterten. Möge diefes Beiſpiel fir die Amtsbruder des Heimgegangenen nicht verloren fein, umfowenige, je mehr der Ernſt unferer Tage perſönliche Weberzeugung verlangt die nicht ohne eine gründliche wiffenfchaftliche Ausbildung gemonnr werden fan.“

aus dem Nachlaß von Ernft Friedrich Fink. 588

Ernft Friedrich Fink wurde den 24. October 1806 zu Kandern geboren. Sein Bater war Beamter, zuletzt Kreisrevifor in Mann- heim; erzogen aber wurde Fink bei feinem Großvater, Pfarrer Higig in Wollbach, und befuchte fpäter die Schulen in Lörrach, Müllpeim und Freiburg. Auf der Freiburger Univerfität begann r feine philofophifchen und felbft feine theologifchen Studien, fegte ie fodann in Halfe, Berlin und Heidelberg fort, und beftand im Jahre 1828 fein Candidateneramen. Auf feine theofogifche Ueber- ' eugung hatten vornehmlich Schleiermacher und Abegg in Heidelberg ingewirkt; den Mittelpunft feines Glaubens und feiner theologiſchen Neberzeugung bildete die Perfon Ehrifti, von welcher er die fein yanzes Zeben beftimmende Erfahrung machte: „Herr, Du haft Worte "8 ewigen Lebens!“ Die folgenden Jahre brachte er in Wertheim ad Heidelberg, theils in wiffenfchaftlicher, teils in unterrichtender md in praltiſch kirchlicher Arbeit zu; eine Zeit lang trug er ſich mit um Wunſch, in das afademifche Lehramt, fei es in theologifchen »der in philofophifchen Fächern, einzutreten, ging aber dann, da id, fein Weg zur Verwirklichung diefes Wunſches zeigte, mit voller Yiebe im das pfarramtliche Leben über, als Pfarrverweſer zu Leutes- eim (unweit von Straßburg) im Jahre 1833. Mit feltener Treue uchte er die ihm befohlene Gemeinde nicht nur in Predigt und datecheſe, jondern auch auf manchen anderen Wegen, welche die fiebe Chriſti auffindet, zu Ehrifto Hinzuführen. Der Herausgeber at diefen Abſchnitt in Fink's Leben mit befonderer Liebe gezeichnet mb damit ein erweckliches Bild der Haushaltertreue im chriftlichen Predigtamt und vorgeführt. Dem Pfarrer von Leutesheim genügte icht die Außerliche Erfüllung vorgeſchriebener Pflichten; jede Be— ufsthätigfeit, felbft bis in die firhlichen Ankündigungen, wußte er nit Geift und Leben zu erfüllen, in Seelforge, Eonfirmationde mterricht, Armen» und Krankenpflege fuchte er den Einzelnen nahe u fommen. Befonders zog ihn die Kinderwelt an. Er errichtete nit jeiner ihm gleichgefinnten Gattin, Friederike geb. Eichhorn, im Jahre 1839 eine Kleinkinderſchule in feinem Haufe. Beide Ehe- jatten hielten die Schule allein, bis Frau Jolberg, die Wittme ines Arztes, im Jahre 1840 nad Feutesheim kam und die Anftalt ien organifirte, bald zugleich als Bildungsfchule für Kinderlehrerinnen,

564 Etzren feuchter

die noch jetzt zu Nounenweier im Segen blüht. Spaziergänge, die mit den Kindern des Dorfes gemacht wurden, bejonders auch Abend- ftunden bald für Männer, bald für Frauen und ältere Mädqen, bald fin die Confirmanden, gehörten in den Kreis diefer Wirkfam keit. Mifftonsftunden, damals noch etwas Seltenes, wurden ein- geführt. Fink's Miffionsbichlein in Katehismusform (Heidel berg 1840) Hat viel zur Weckung des Miſſionsſtnnes in abe beigetragen.

Dos Jahr 1842 führte Fink als Hausgeiſtlichen im die we erbaute Irrenauſtalt Illenau bei Achern. Für einen folchen Diaw war dies die rechte Stelle, und hier hat er durch eim glücklica Zufammentreffen in inniger Berufs- uud Lebensgemeinfchaft uk den übrigen NAnftaltsbeamten, beſonders mit dem Director, de hochverdienten Geheimrath Dr. Roller, und dem Geheimen Hofraf Dr. Hergt bis zu feinem letzten Athemzug gewirkt. Seine Liebe ha dort im Dienen an den Kranken, und nicht minder an den Wärien und Wärterinnen eine Stätte gefunden, wo man am wenigſien mit Außerlicher Pflichterfüllung ausreicht, fondern wo allein die freie Hingebung etwag vermag. Sie ging and) Denen nad, die als Ge nefene in ihre Heimath zurückkehrten, und je länger fein Wirtai an der Anftalt dauerte, defto mehr erweiterte ſich der Kreis Derer,' die mit ihm im perfönlichen, oft aud) fchriftlichen Verkehr blichen,: was freilich den Umfang feiner Arbeit dergeftalt fteigerte, daß mri die genauefte Zeiteintpeilung und fortgefegte Anftrengung ihm in da] Stand fegen konnte, der wachjenden Aufgabe nachzukommen. DE war feine Gefundheit angegriffen, und fein plöglicher Tod # 57. Lebensjahre mochte wohl die Folge feiner im Dienfte jrh aufgeriebenen Lebenskraft fein.

Zn einem Schriften, das er dem Vorſteher der Anftalt is Zahre 1852 zu deſſen 25 jähriger QJubelfeier übergab, „Die ei anftalten von ihrer Firchlichen Seite“, find die Ergebniffe fein Erfahrung und feines Nachdenkens über die Stellung des Geijtlike an einer Heilanftalt niedergelegt. Seine grundlegenden Gedanter find (©. 52f.): Seelenftörung oder Krankheit der Seele die tt aber lieber nad) dem Vorbild der holländiſchen Sprache Krud: finnigkeit nennen möchte ift ihm eime auf leiblichen und geiftigen

aus dem Nadiaf von Ern Friedrich Fink. 565

Grund ermachiene Störung bee natürlich perfönlichen Lebens, ſomit ver geordneten. Gemeinfchaft zwijchen Körper und Geift, Leib und Seele, wo die leibliche Berftimmung und Berderbnig dem Geifs, ie geiftige Unordnung bem Leibe in feinen verfchiedenen Syſtemen id, eingebildet haben. „Die Heilung kann aljo nicht zunächſt nur arm beftehen, daß auf die Sünde gewirkt, dag Buße und Glaube eweckt und gemahnt werde, fondern das natürliche und das geiftige Birten muß beifammen fein. Anftalten fir Seelenfrante find ſo⸗ ut ein Werk des Staates und der Familie zugleih. Aber auch ie Kirche kaun nicht aufhören, die Kranken als ihre Glieder und 18 Gegenftände ihrer rettenden Thätigleit zu betrachten, um fie rem Beruf ale Menſchen und Chriſten wiederzugeben. Wie die kilanftalt eine Kirchliche Seite Hat, jo muß überhaupt der Sim R Anftalt, der ſich in der ganzen Einrichtung fund gibt, chriſtlich Am“ Er nennt dann weiter Gebet und ort Gottes als bie jonptmittel der Einwirkung des Geiftlichen.

Die Stellung des Hausgeiftfichen zur Anftalt faßte Fink mefent- ch als eime dienende auf. Daß er ſich in die Gefammtarbeit des auſes einglieberte und unterordnete, hat dem Erfolg feines Wirkens inen Eintrag gethan, und gerade biefes felbjtverkengneude Zufam- ienwirlen in Hingebung em die Kranfen hat Illenau gehoben und ı der Anftalt einen Geift walten laffen, deſſen wohlthuender Ein» neben und mit den anderen SHeilmitteln eine Heifende Kraft währte. „Der Geiftliche darf“ fo urtheilt Fink (S. 53) im alteme feinen Wirken nicht vergeffen, daß nicht er die Leitung ibe, fondern der Vorfteher, der ein Arzt iſt. Der Geiftliche ift nerhalb der Anſtalt weſentlich dienend, alfo muß er auch bie ıfere Ordnung feines Wirkens von dem Vorfteher annehmen und das erfte Beifpiel de Gehorfams geben. Daß er hierbei tht im eine mechaniſche Abhängigkeit komme und wicht das Weſen ines Dienftes aufopfere, wird am beiten dann verhütet fein, wenn r Director felbft die Bedeutung des geiftlichen Amtes und die sie Bewegung diefer Thätigfeit zu würdigen verjteht.“

Seine VBoransfegung, daß man von Seiten der Anftalt die vide ge Wirffamfeit des Geiftlichen würdigen müffe, fand Zink in Illenau füllt. Der Director der Anſtalt, Dr. Roller, hat ſich darüber in

566 Ehrenfeudter

einer neueren Schrift ausgefproden *): „Man Hat die frage, ıb Geiftliche an einer Irrenanſtalt mitwirken ſollen, davon abhängig maden wollen, ob dadurch Irre geheilt werden können. Natir- licher erfcheint e8 wohl, wenn man fragt, ob die Irren aud der Seelforge bebürfen, und Hier wird die Entſcheidung geradefo aut: fallen, wie in der übrigen Welt. Deshalb, weil manche Menidı die geiftliche Seelförge für unnöthig halten, ift fie noch niht dk geichafft worden. Gewiß ift, daß viele Pfleglinge fie fehmerid vermiffen würden, umd daß fie an Vielen fich Heilfam ermeit‘ (S. 15). Die von Fink eingenommene Stellung wird (©. 19 fo charalteriſirt: „Wei der Stellung eines Geiftlichen an einer Ja anftalt feheinen uns zwei Abwege möglich. Entweder Läßt fih Geiftliche von dem mechanischen Getriebe verfchlingen, das zur Haltung der Ordnung einer großen Anftalt nothwendig, aber ud nur das äußere Gerüfte ift, Hinter dem fich das eigentliche © verbirgt. Es find das leicht nur die gejelljchaftlichen Intert in deren Bewegung er ſich verflehten läßt. Oder entgegenge faßt der Geiftliche feine Aufgabe in einer myftifchemagifchen Weil er ſieht ſich als Träger übernatürlicher Kräfte an, mit denen gegen die Krankheiten der Seele, bie er dann gern nur als Ci wirkung dämonifcher Mächte faßt, ankämpft. Fink vermied ki Weiſen. Sein Hauptgefihtspunft war, in der Zufammenfaj] alter Bewohner Illenau's, der Gejunden, der Beamten umd Di der Anftalt, wie der Kranken, eine chriftliche Gemeinde zu erbli der er nad den weſentlichen Grundjägen zu dienen Habe, wa natürlich auch unter gegebenen Modificationen, wie eine Ehrifte; gemeinde überhaupt zu bedienen fei. Dieſer Chriftengemeinde Fr diger, Lehrer und Hirte war er; Verfündiger der ewigen Wahrkt und Liebe mitten unter aller krankhaften Störung und Berfehrtfeit”

Es möge überhaupt bei diefem Anlaß auch einmal in einer tr logiſchen Zeitfchrift auf diefe von fittlihen und zwar driftid

3) „Illenan. Gedichte, Bau, inneres Leben, Statut, Hausordnung, Ber aufwand und finanzielle Zuftände der Anſtalt. Herausgegeben von Mi Divection der Großherzogl. Heil- und Pflegeanftalt FM enan.“ Eier Ch. Th. Groos. 1865. 141 SS.

aus dem Rachlaßz von Ernſt Friedrich Fin. 567

ttlihen Grundgedanken getragene Arbeit hingewiefen werben, die in llenau fchon über 25 Jahre eine Stätte gefunden hat und deren tfolge wahrhaft überrafchende find. Ohne daß dem Sag: „Seelen- ärungen find Krankheiten und bedürfen deshalb ärztlicher Behand- ng“, zu nahe getreten wird, hält man in Illenau viel auf die ychiſchen Heilmittel; und das wirkſame Princip in der pſychiſchen ehandlung wird nicht der inteflectuellen Sphäre entnommen, fon m wird als wefentlic auf dem fittlichen Gebiete liegend anerkannt. ich der eben erwähnten Schrift (S. 69) find dort von 1842 3 1864 in der Anftalt 4753 Kranke aufgenommen worden, von sen (Ende 1864) 1854 als genefen, 1209 als gebeffert, 892 3 ungebeffert entlafjen, und 670 als geftorben bezeichnet find. ® find leuchtende Zahlen auf einem Gebiete, welches erft feit ang diefes Jahrhunderts für die chriftliche Liebe erobert worden : Im wel rühmlicher Weife aber die badifche Regierung den gen biefer Heilanftalt den Landesangehörigen (es befinden ſich effen immer auch ausländifche Kranke in der Anſtalt) zugewendet :, geht daraus hervor, daß 3. B. im Jahre 1861 bei einem anfenftand von 447 Perfonen 170 (darunter 31 Penftonäre und in ber erften @lafje) ihre Verpflegungsfoften ganz bezahlten, hrend fiir 263 Kranke die Koften nur theilweife bezahlt und 14 3 auf Koften der Unftalt verpflegt wurden; von jenen 268 anten aber gehörten 235 der dritten ober niederften Elaffe au, welche ein durchſchnittlicher Werpflegungsbeitrag von nur Gulden 3 Krenzer im Jahre entrichtet werden mußte. Diefem engeren Berufskreiſe Fink's in Illenau ſchloß ſich bald weiterer Kreis chriſtlicher Liebesarbeit und kirchlicher Thätigkeit ſeinem Vaterlande an. Fink war der hervorragendſte Vertreter inneren Miſſion in Baden. Er ging, wie D. Ehrenfeuchter . 60ff.) ausführt, dabei von dem Gedanken der chriſtlichen meinde aus. „In die Gemeinde follte alle chriftliche Riebes- tigkeit Hineingeftellt werden, ohne in die vorhandenen kirchlichen ‚men aufzugehen.“ Zur Organifation der vielfach zerfplitterten ſtlichen Liebesthätigkeit Tieß er im Jahre 1845 ein Schriften gehen: „Der evangeliſche Verein. Ein Aufruf an die meinde“ (Heidelberg, C. Winter). In der Gemeinde wollte er

Heol. Gtub. Jahrg. 1868, 36

568 Ehreufeuchter

eine Vereinigung gebildet ſehen, welche mit ihrem Wirken in die von den Aemtern des Staates und der Kirche unerreichbaren innern und äußeren Lebensgebiete innerhalb der Ehriftenheit hineingreifel ſollte, in freier Hingabe zum Dienft des Staates ımb ber Kirche Die Arbeitögebiete dieſes Vereins gliederten ſich ihm folgendermaßen 1. Erziehung (1. Kinderpflege: Waifen, Findellinder, Blinde, Tu ftumme, Eretinen; 2. Jugendpflege: die Sonntagsfchulen, Lejejid für Handwerler, Dienſtmädchenſchule). II. Unterftügung (3. Armaı pflege: Leihverein, Sparkaſſe; 4. Kranfenpflege: Spitäler, Siehe] bäufer). III. Zucht (5. Befferung: Rettungsanftalten, Arbes auſtalten; 6. Gefängnißpflege: Züchtlinge, entlaffene Sträflig| IV. Bibelverbreitung. V. Guftav-Adolf-Verein, fir deutfche u angrenzende Glaubensgenofjen. VI. Eoloniftenpflege (in hen VII. Miffion. Jetzt reiht freilich dieſes Schema nicht m für das der immeren Miſſion zugewieſene Gebiet Hin, weil die deutung der focialen Frage vor 20 Jahren erft anfing erfamt werden. Als den Ausgangspunkt diefer Vereinsthätigkeit dachte Fink die Krankenpflege, und insbefondere Bildungsſchulen für Pl und Pflegerinnen. „In Demuth und Stille“, ruft er aus, heiligem Geijte fei das Wert angefangen; nicht als eine Sad NRührung, der Prunkſucht, der Parteiung werde fie betrieben, | dern als eine Sache des Herrn und feiner Gemeine. Auf Herrn foll die Sache ftehen, und die ſämmtlichen Kreife der tigfeit ſich vereinigen in der Gemeinfchaft der Kirche, die da for und fördert die freien Werke eines Vereins der chriſtlichen & erwachſen aus Gottes Heiligem Evangelium.“ Dur mil Anregung und Korrefpondenz wirkte Fink uuermüdlich für Sache und war auch bei der Gründung des badifchen Larl vereins für innere Miffion, der 1849 entftand, vorzugsweiſe tät Er ſuchte diefen Verein. nad) den vorhin erwähnten Grundgeit zu geftalten und mußte in der Nähe und Ferne für ſolche Atta anzuregen. Auch dann noch, als das Intereſſe für die inm Miffion Hinter die kirchlichen Fragen zurädtrat, hat Fink biefe Sek vertreten, und vom Jahre 1853 1860 die „Blätter für im Miffton im Großherzogthum Baden“ herausgegeben. Cine wit Verwirklichung feiner Idee hat er nicht fehen dürfen; allein ie

ans dem Nachlaß von Ernſt Friedrich Fink. 569

ielen iſt durch diefe Anregungen das Bewußtfein um die Ver- ichtung zur chriftlichen Siebesarbeit geweckt worden und Hat zu jegneter Arbeit geführt. Hervorzuheben ift noch Fink's Thätig- t für die äußere Miſſion und für die evangelifche Diaſpora; Diafporagemeinde in Bühl verdankt ihm ihre Sammlung. An den eigentlich, kirchlichen Fragen Hat deſſenungeachtet Fink en fehr vegen Anteil genommen, fowohl an den heimathlichen an den allgemeinen. Die Theilmahme an den Jahresverfamm- gen des Kirchentages und des Guftan-AdolfeBereins, brieflicher rehr und Reiſen dienten dem in ihm wohnenden Trieb, als ein mdiges Glied der Kirche der deutfhen Reformation fi an ihren mden umd Leiden zu betätigen. Alle bebeutenderen Regungen b Erfcheinungen in dem Leben feines badifchen Heimathlandes ddes ganzen deutfchen Waterlandes Hat er innerlich mit durch it, Zu Allem ſuchte er fich eine Stellung zu geben, doch war nichts weniger als ein Parteimann. Furchtlos trat er für feine iifhe und refigiöfe Weberzeugung ein, doch nie verfegend, den zner vielmehr achtend und von ihm geachtet. Wit feiner irenifchen, ) im Gegner nod das Gemeinfame möglichft anerkennenden, t im bibfifchen Glauben feft gegründeten Perſönlichkeit brachte ein ſchätzbares Element in die kirchlichen Verhandlungen anf ‚ferenzen und Synoden. Ihm widerftrebte jeder Confeffionalis- 3; mit Ueberzeugung trat er namentlich für das göttliche und xriſche Recht der Union in Baden ein. Ein eigentlicher Kirchen- in war er nie; dafür war ihm zu fehr die gegliederte chriftliche neinde in ihren freien, von Gott gewirkten Lebensäußerungen Ausgangspunkt feiner Beftrebungen. Unter den Mittheilungen feinem Nachlaß, welche D. Ehrenfeuchter gegeben, find wohl Bedeutendfte die Gedanken über diefe Fragen, welche ſchon in „Skizze einer Ueberficht über das Syſtem der Theologie“. 181 —204), dann aber hauptſächlich in „Leben und Geftalt Sriftlichen Gemeinde“ (S. 205—225) niedergelegt find, und ) in einer anderen Arbeit „Vom Indifferentismus in ber evan- ihen Kirche" (S. 235— 248) zum Vorfchein kommen. Was jierüber gibt, das find vortreffliche und für die Organifation Gemeinde brauchbare Gedanken. Sie jegten ihn allerdings auf 39°

570 Ehvenfeugter

der Generalſynode des Jahres 1861, auf welcher er wie auf ber vom Jahre 1855. Abgeordneter war, in Widerfpruch mit der dar mals beratgenen Kirchenverfaſſung. Sein Votum über die legten ift durch den feitherigen Verlauf der Dinge in hohem Grade ge: rechtfertigt worden; denn bei aller ihm eigenen ſchonenden Mil des Urtheils mußte er jih (S. 83) dahin erflären: „Ich ſehe m den Beitimmungen der neuen Berfafjung gar viel Fremdartigu neben dem, was aus dem Geifte Chrifti fommt, ich ſehe in Durdfliprung der richtigen Grundgedanfen von der Freiheit Selbjtändigfeit der Gemeinde bis zu den höchften Stufen hiuf Manches, was der Einheit der kirchlichen Dienfte, der ftetigen, (de digen, organifchen Gliederung und Thätigkeit der Gemeinde den Hiftorifchen Grundlagen der Verfafjung unferer umirten Ri auf bedenkliche Weife mibderjtreitet. Deshalb, und weil id ri verfennen kann, daß die rafche und unruhig bewegte Zeit aud ih Autheil an diefer Verfaffung Hat, kann ic) meine Befürchtut nicht unterdrüden, «8 möge ftatt der von Herzen gewünſchten derung der Freiheit, Einigkeit und Ordnung in der Kirche ti anderes Schlimmeres entftehen. Darum vermag ich für m Perjon. die Annahme diefer neuen Verfaſſung weder zu empfel noch zu verantworten.“

Fügen wir diefem Votum noch einige Grundgedanken aus ji Theſen über „Leben umd Geftalt der hriftlichen Gemeinde“ Die Gemeinde ift ihm vor Allem ein Organismus miit beſtit Gliederung, gemäß der in ihr beftehenden Verſchiedenheit nad) Cu! Kräften und Dienften. Die Einheit der Glieder befteht darin, fie alle ohne Unterfchied follen von Gott gelehret fein, als m Gott in Chriſto vereiniget freien Zugang zu Gott haben und i Andere beten und opfern; ‚Alle follen mithelfen, in priftlicher und guter Zudt den göttlichen Wandel Aller zu fördern (allgem Vrieſterthum). Als eine natürliche Ungleichheit aber zeigt jid nächſt der Unterſchied zwifchen Mündigen und Unmiündigi (nicht zu verwechſeln mit dem zwiſchen Gläubigen und Ungläubiga Die Mündigen find diejenigen Glieder, welche mit eigener Erfei niß den Glauben haben und bezeugen, mit eigener Liebe Got © Chriſto bewußt ſich opfern, mit eigener bewußter Hoffnung in!

aus dem Nachlaß von Ernfi Friedrich Fink. 571

ukunft ſchauen und wirken, Alles in frei hewußter und gewollter ebereinftimmung mit der Gemeinde. Die Unmündigen find über- igend nur von dem alfgemeinen Leben der Gemeinde getragen, it weniger eigener Betheiligung, weniger freibemußtem Mitempfin- n, Mitdenfen und Mitwollen. Außer diefem Gegenfag befteht nerhalb der Miündigen noch der zwifchen leitenden und geleiteten Kigfiedern, fedoch fließend, an feinen befonderen Stand gebunden. icht jeder Mundige ift zur Leitung befähigt und berufen, fondern rt, welcher vorher gedient und im Dienen ſich erprobt hat. der Mündige aber fol und muß dienen mit feinen Gaben an nem Ort. Wo der vom heiligen Geift geweckte Trieb, dem anzen zu dienen, und bie von Gott verliehene Gabe zuſammen⸗ Hen mit dem erkannten Bedurfniß der Gemeinde und einer darin den Aufforderung, da wird auch eine Verordnung der Ge inde zu einem Dienft erfolgen. Die Berufung und geordnete bindung der Gemeindeglieder zu Belenntniß und Lehre, Gottes: nft und Liebesdienft, Sitte und Regierung, ift die Organifation rÖfiederung der Gemeinde im engeren Sinne. Der vom Herrn ordnete und in der Gemeinde geordnete Dienft heißt auch Amt. cht jeder Dienft ift ein Amt. - Bei „Dienft“ waltet die: frei: lige Hingabe vor, bei „Amt“ die Verordnung zu etwas und die macht; bei jenem das Perſönliche, bei diefem das Sachliche. te Gegerüberftellung von Dienft und Amt auf der einen: Seite, meinde auf der anderen, hat bei einer lebendigen Anfchauung ven Play. Auch gibt e8 eigentlich weder begrifflich- noch wirklich Srüher. Im Herrn war Dienft und Gemeinde weſentlich zu⸗ ih gefaßt. Früher als die Gemeinde waren nur die Apojtel, r ſchon der zwölfte Apoftel geht aus der, freilich noch nicht figen, Gemeinde hervor. „Amt vor der Gemeinde“ gilt nur ı der Miſſion. Es muß zur Vermeltlihung der Kirche gerechnet den, wenn irgendwo (Mittelafter) der Begriff des. Amtes über des Dienftes hervorgeftellt wird. Die Gliederung der Diener Gemeinde nach den Dienften, die fie nach ihren Bebürfniffen ihre Glieder erfordert, -wird diefe fein: Es gibt Diener, die zur Beſorgung der natürlichen Bedürfniffe der Gemeindeglieder

572 Ehreufeuchter

durch den Dienſt ihrer Liebe verordnen und verordnet werden. gibt Diener, welde die verfchiedenen Thätigfeiten, die zum Lader der Gemeinde gehören, vertretca und verwalten (nicht als Vertreim der Gemeindeglieder, fondern der vom Geift geweckten Thätigfeiten) Gemeindeverwalter, Vorfteher, Aeltefte nach den Seiten des Einzl Werkes Eprifti als Lehrer, Priefter, Hirten. Endlich gibt «8 m türlih in der Gemeinde auch ſolche Diener, welche ihre Cini und den Zufammenhang mit dem großen Ganzen darſtellen Biſchöfe. Diefe Gliederung wird nun gefehichtlich in der Ari lien Kirche nachgewieſen, am Diafonen-, Aelteften- und Bijhp, Amt. Die reformatorifhen Grundfäge Halten die Berchtigg und Berpflichtung Aller feft, in Glauben, Liebe und Hoffnung z Belenntniß, Feier und Sitte, zur Erhaltung und Ausbreitung Lehre, der Liebeöbienfte und der Kirchengewalt mitzuwirken, ei die Nothwendigkeit einer Gliederung, nur daß fie alle Ordnung, die gemacht find, nad) Umftänden, die der heilige Geift zum deihen der Gemeinde weifet, für veränderlich anfehen. Nach Berfaffung der lutheriſchen Gemeinfcaft ruht die chriſtliche be ſtaltung der Einzelgemeinde weſentlich in dem geiſtlichen Amt, dd in ‚Einer Perſon erſcheint, welcher die Lehre, Spendung ber Sarg mente und Verwaltung ber Kirchenzucht übertragen ift; bie Ein regierung, die biichöfliche, tritt mehr hervor, die Gemeinde dd deren Vertreter werden nur hülfsweiſe in’s Mittel gezogen. de Berfoffung der reformirten Gemeinſchaft ftellt das Amt m Lehre nur als eines der Gemeindeämter bin und hat neben Ishrenden auch regierende umd dienende Glieder; daher die collepi presbpteriale Form mehr hervortritt, und die gegliederte Gemen den Ausgangspunkt bildet.

Aus allen diefen Orundfägen leitet Fine zum Weiterbau dr Verfaffung und zur Förderung des chriftlichen Lebens folgende &r forderniffe der Gliederung unferer Gemeinden ab: 1) Sichere Ge winnung wirklich wmiündiger Gemeindeglieder; fie wird durd le Vorbereitung zur Eonfirmation und durd Offenbarung und Uebux chriſtlicher Lebensthätigkeit vollzogen. Ohne -fpätere Confirmatin im fünfzehnten bis ſechzehnten Jahre, ift eine wirkliche, Tchendin,

aus dem Nachlat von Ernſt Friedrich Fint. 518

achhaltige Cingliederung in die Gemeinde nicht zu erwarten. Die jollendung der Miündigkeit muß mit dem Eintritt in die Ehe oder m Alter von fünfundzwanzig Jahren zufammenfallend angenom- en werden; diefer Eintritt aus der Zahl der LXeiftenden in die r Leitenden geſchieht durch Aufnahme in das Verzeichniß der zur dithulfe bei Ordnung des chriftlichen Lebens berechtigten Mitglieder. ) Richtige Befegung der Gemeindedienfte. Wenn zu den Mit- iebern. Alle gerechnet werden, die fich nicht thatfächlich und an⸗ fanntermaßen vom Chriftenthum losgefagt, fo muß von den in e Leitung der Gemeinde als verordnete Diener zu berufenden na» wich mehr verlangt werben; fie müffen in ihrem chriftlichen Sinn, , Yandel umd Wirken amerfannt fein, - ein geiſtliches Stenercapital, zen in Bewegung befindlichen Grundſtock chriſtlicher Gaben und häfte befigen. Sie werden aus Denen genommen, die ſchon frei- ige Leiſtungen vollbracht Haben. Die Erneuerung des Helfer» tes neben dem Amte der Aelteften ift ein nothwendiges Erfor- miß richtiger Ordnung der Gemeindedienfte. Für das Helferamt ähft der Aelteftenrath die tauglichften Leute aus, und aus ber ihl der Helfer, die ſich durch mehrjährigen Dienft bewährt haben, trben durch die felbftändigen Gemeinbeglieber bie Aelteften ermählt. ı Die geordnete Einfügung der Gemeinde in das Ganze der Kirche; : gefchieht durch Kenntnißnahme ber Gefammtheit von dem Stande rt Einzelgemeinde in der Bifitation und durch Theilnahme der hgeordneten der Gemeinde an der kirchlichen Verfammlung des tzitkes. Zwiſchen ber Heineren Bezirksſynode und der Landes» node muß eine Kreisfynode ftehen zur Vorbereitung der Verhand- ngen der Landesfynode. Die Mitglieder der höheren Synode erden aus ber Zahl der Mitglieder der andern bei beren Ber- mmlung gewählt, fo daß die, bewiefene Liebe und Sachkenntniß t niederen greife zur Mitarbeit im höheren befähigt.

Auch von Fink's wiſſenſchaftlicher und ſchriftſtelleriſcher Thatig it gibt ung der Herr Verfaſſer ein Bild (S. 83—87), das als n mahnendes und ermunterndes Zeugniß gelten Tann, wie auch n vielbefchäftigter praftifcher Geiftlicher auf diefem Gebiet rüftig tzuarbeiten vermag. Neben dem fleißigen Studium und der

574 Ehrenfeudter

Excerpirung der bedeutenderen theologifchen Erfcheinungen, betheiligte er fih auch producirend theils durch Heinere Schriften, z. B. die Biographie feines Freundes, des verftorbenen QJudenmiffionare J. A. Hausmeifter in Straßburg; ein Sendſchreiben an Statt: director Burger in Freiburg aus Anlaß des Conflicts zwiſchen der babifchen Regierung und dem Erzbifchof von Freiburg, teils durch Arbeiten in theologiſchen Zeitfriften und Kircdhenzeitungen. Ju den „Studien und Kritiken“ ift außer Früherem in den Leiten Jeh⸗ ren eine Abhandlung von ihm erſchienen: „Die reformirte Kirk der Niederlande und die Groninger Schule". Der Piper’fche % Tender hat mehrere Biographien von ihm. Bejondere Sorge ‚verwandte er auf die Herausgabe ber Hauskirche“ (Heidelben 1850 u. 1852); fie enthält im erſten Theile einen Bibellalendet und Gebete, namentlich ein Kranfenbüchlein und eine Krankenbikk; im zweiten eine Chriftenlehre und Chriftenlieber, worin er eina auf dem Studium der bisherigen Katechismen ruhenden Katechismu— gibt. Manche Arbeiten von ihm find im Manufcript gebliche, von welchen uns der Herr Herausgeber eine Auswahl mittheil Wir finden bei diefer, außer dem ſchon Erwähnten, und zwar u Thefenform, Philoſophiſches, „Stellungen“ (über die Stellung de: DMenfchen zur Welt und zu Eprifto), fodann „Menfchentgum un Chriſtenthum“, 75 Säge zum Nachweis, daß das Meenjchentkum ı im Chriſtenthum verflärt, das Chriſtenthum die höchfte Form &# Menſchenthums ift, und daß, wer Menſchenthum will, auch Chriſten thum wollen muß. Aus dem perfönlihen Bedürfniß, alles Eir zelne im Zufammenhang mit dem Ganzen anzufhauen, ift dir feine Gedankenarbeit auf philofophifhem und theologiſchem Ga hervorgegangen und trägt darum auch das eigenthümliche Geprüg feiner Gebanfenwelt. Für Andere werden ſich die von ihm af geftellten Kategorieen nicht immer mit den Sachen dedfen. Deſſen ungeachtet wird Jeder in der „Sfigze einer Ueberſicht über dat Syſtem der Theologie“ eine Iehrreiche und anziehende Frucht find ſinnenden und ordnenden Geiftes erfennen. Es umfaßt hiernad die Theologie die Chriſtenthumslehre oder philofophifche Theologie (Apr: Togetit, Thetit und Polemik), die Kirchenthumslehre oder hiſtoriſcht

aus bem Nachlaß von Ernſt Friedrich Fink. 575

Theologie, und die Kirdjlichkeitlehre oder praktiſche Theologie Kirchenpflege, Kirchenverwaltung und Kirchenrecht). Außer den anderen ſchon angeführten theologifchen Arbeiten find noch abgedruckt sier Abhandlungen über Union und Abendmahl, über die Predigt m Kirhenjahr, über die Behandlung der Unterſcheidungslehren im Tonfirmationsunterricht umd über kirchliche Ausfichten aus dem Jahre 1847; endlich etliche Predigten, in denen ſich fein Verhäft- zu den Gemeinden in Leutesheim und Illenau wieberfpiegeft. Im Jahre 1856 Hat ihm die theofogifche Facultät zu Heidelberg & Gelegenheit der Jubelfeier zum Gedächtniß der Reformations- inführung in Baden den theologifchen Doctorgrad honoris causa ttheilt. Sein Antwortfchreiben an bie Facultät enthält fein theo- siihes Glaubensbekenntniß, in welchem er unter Anderem fagt: MS die Aufgabe der Theologie erfcheint e8 mir, die Frömmigkeit nd den Glauben in ihrer Einheit mit dem Wefen der Menfchheit s erfennen, die heiligen Urkunden der Cpriftenheit mit Verſtand nd Gemüth zugleih in freier wiſſenſchaftlicher Forſchung zu er⸗ ründen und immer neu darzuftellen, die Kirche in ihrer Tebendigen eblichfeit anzufhauen, und die in der Entwicklung hervorgetretenen Jegenfätge ber Lehre und des. Lebens nicht durch Verſchärfung noch fter, vielmehr in ihrer Einheit: dem Leben des Ganzen dienftbar ı machen, und in der kirchlichen Ausübung‘ darauf zu wirken, daß 18 Chriſtenthum, ftatt nur eine Sache des Denkens und der Schule, elmehr eine Sache des Gewiſſens und Lebens werde, eine That r Tebendigen Gemeinde in allen ihren Gliedern“ (©. 71). Einen hervortretenden Zug in Fink's Perfönlichkeit vepräfentiren ih die S. 97—146 mitgetheilten Gedichte. Tiefe finnige edanken, Glaubensfreudigkeit und ein Herz voll Liebe ſprechen 18 aus denſelben an, neben einer großen Formgewandheit. Diefe iabe berührte ſich bei ihm mit einer ausgefprochenen gefelligen habe, welche ihn nicht blos im Verkehr liebenswürdig und heiter feinen ließ, fondern auch in reichem Maße der Anftalt zu gut m, an welder er arbeitete.

Der Lebensabriß Fink's umfaßt zwar nur 94 Seiten, allein der err Herausgeber hat es verftanden, auf diefem Meinen NRaume

876 Ehrenfeuchter, ans dem Nachlaß von Ermft Friedrich Fiul

das Gefammtbild diefer reich und mannichfaltig ausgerüſteten Ber ſonlichkeit fo wiederzugeben, daß man alfe Züge derfelben in trenr | und dem anfpruchslofen Sinn bes Heimgegangenen entſprechender

Dorftelfung wieberfindet.

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[3 u. lies [3

Oberkirchenrath 8. Mühlhäußer, | Pfarrer in Wilferbingen.

Beridfiguugen. u. fies: mäfle fatt müßte. : Ergreifen. Grundzng ſtatt Grundjag. orterrefacte. : Unterfiäwadien. Ges: Han» reißen.

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und Philofophie . . . . —9

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db. Polenz, Dr. ©., Der franzöjische Calvinismus. 5. Band.

Schulz, Dr. C., Die Union. Eine gefhichtliche und dogmatiſcht Unterſuchung.

Winter, Die Ciſtercienſer des nordöſtlichen Deutſchlands bis zum Auftreten der Bettelorden.

Zahn, F. M., Ein Gang durd die heilige Geſchichte.

Juhalt der Theologiſchen Studien und Kritiken. Dahrgaug 1865. Zweites Heft. Abhandlungen. J Riggenbach, über die Rechtfertigung durch den Glauben. . Gr008, über den Begriff der xgloıs bei Johanues. Wahl, über die Seeleulehre Meifter Eckhart's. Gedanfen und Bemerkungen. Röhricht, zur johanneiſchen Logoslehre. Necenfionen. Gaab, der Hirte des Hermas; rec. von Zahn. „Graf, die gejchichtlichen Bücher des Alten Teftamentes; rec. von Riehm. .Tischendorf, Appendix codicum celeberrimorum Sinaitici Vaticani Alexandrini etc.; rec.;von Laugent. Miscellen. hogrammı der Haager Geſellſchaft zur Vertheidigung der qriſtichen Religion für das Jahr 1867.

Inpalt der Zeitjgrift für die hiſtoriſche Theologie, Dahrgang 1868. Zweites Heft.

D. Beiträge zur Holläudifchen Kirchengeſchichte. Bon F. Nippold.

IV. Die Familie Calas und Voltaire, der Retter ihrer Ehre. Dargeftellt von Dr. Herzog in Erlangen.

V. Die Verfolgung des Jeremias Braun von Bafel, Prediger in der Sand- ſchaft Toggenburg (St. Gallen), im Jahre, 1663. ‚Ein Beitrag zur Geſchichte der Verfolgungen der Proteftanten in ber Gchweiz. Bon J. R. Linder, Pfarrer in Regoldswyl in Bafelland.

VI. Die Bedeutung Johann Tennhardt's. Bon Friedrich Klemme, Pfarrer zu Kirchhaiu in Kurheſſen. " J

U. Eine Bemerkung zu Luther's Briefwechſel. Bon Lic. Foerſter, Prediger und Infpecior am aan Domeandibatenfift zu Berlin.

Beiis von Rudolf Befler in Gotha.

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1868. Band AXIII, Seit "alt: Steitz, die Abendmahlslehre der PA Kirge in ihrer geſchicht · lachen Tutwickelung. (Fortfegung) —. Kitſchl, Geidichtlihe Studien zur griſtlichen Lehre von Gott. (Bieiter Artitel.) Pfleiderer, über die Compofttion der efdjatologifchen Mede Matih: 24, Aff. An- zeige von 19 neuen Schriften.

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in einer praftifchen Auslegung des Hebräerbriefes von Dr. H. ®. Andrea. XII u. 419 ©. in 8. broch. 20 Ngr. nDiefe praktiiche Auslegung des Hebräerbriefes ift der Empfehlung würtig, einmal, weil fie im Ganzen und Grofen wirtlich die „Weitanſchauung da Glaubens“, gegenüber der „mobernen“ des Unglaubens, vertritt; fodanı, md fie aufs forgfältigfte den inneren Zufammenhang ber einzelnen Theile une einander darlegt und in ber Auffafjung des forticreitenden Gebanfengung manches Eigenthümliche, oder bisher wenig Beachtete, bietet; endlich, weil jr ſich bemüht, den Leſern die Ueberzeugung mitzutheilen, daß das ganze alte Zr ſtament erſt im neuen feine rechte Erfüllung und jein richtiges Berftänbniß fie Einer gamz befonders eingehenden Behandlung ift das elfte Kapitel umterjogm, weldjes nad) diefer Auslegung in der That als eine wahre Glaubeneihuk erſcheint.“ Rubelbad u. Gueride's Zeitſchrift 1867. Das Bud) ift ferner günftig recenfirt und empfohlen: im Oeſſiſchen Kiräe Blatt, Rei Gottes, Badiſchen Kirchen⸗ und Bollsklatt, Matäufins Belt Blatt und von Prof. Hundeshagen im Theologiſchen Jahresbericht.

Perthes Bucbruderei in Gotha.

Theologiſche ztudien und Kritiken.

Fine Zeilſchrift für j as gefammte Gebiet der Theologie, begründet von D. 6. numann a D. F. W. 6. Nkreit und in Verbindung mit ). €. 3. NKitzſch, D. 3. Müller, D. W. Feyſchlag herausgegeben

D. C. B. Dundehayen und D. E. Riehm.

Dahrgang 1868, viertes Heft.

Gotha, bei Sriedrih Andreas Perthes. 1868.

Abhandlungen.

1.

Neber die Lehrweiſe der böhmiſchen Brüder

In Betreff der Redtfertigung durd den Glauben und der Werke des Glaubens.

Bon

D. Hermann Flitt,

Yufpector des Seminars ber Brübergemeinde in Gnabenfelb.

Wir richten die Aufmerkfamfeit der Lefer hier auf ein Gebiet, elches im Ganzen nocd wenig genauer dogmengefchichtlich erörtert orden ift, die Lehreigenthümlichkeit der böhmischen Brüder-Unität, eſer nad) Luther's Worten einzigen Zeugin reiner Lehre in den kten Jahrhunderten vor der Reformation. Diefe fpät gereifte ruht aus der Märtyrerfant des Johannes Hus wird weniger achtet, theils weil jenes Kirchlein in diefer Geftalt vom Schau- a ber Gejchichte verſchwunden ift, theils weil fo manche Quellen r ihre Geſchichte und Lehre nicht Allen gleich zugänglich find.

An und für ſich aber nimmt dieſe Erfheinung gerade als vor» formatorifche immer ein befonderes Intereſſe in Anſpruch, und 18 gegenmwättig umfomehr, da fie in umferer Zeit wieder mehr in 18 Gedächtniß der Firchlichen Welt gebracht und ihrem Verftändnig iganglicher geworben ift. Dies theils durch die Geſchichtsdarſtellung 8 fatholifchen Theologen Gindely, wie durch die Arbeiten von

»

582 Britt

D. v. Zezſchwitz ) u. A., theils und hauptſächlich dadurch, deß in Folge der im Proteftantenpatent von 1861 gewährten größeren Freiheit der Evangelifchen des öſterreichiſchen Kaiferftantes in den Mutterlanden der alten Brüder -Unität das Andenken an fie und die Liebe zu diefem nationalen ſlaviſch-evangeliſchen Kirchlein viel: fach angeregt worden ift und in Folge davon deſſen Name auf den Kreifen. verfchiedener evangelifcher Länder und Kirchen öfters entgegentritt, welche in thätiger Liebe ber bebürftigen Glaubens ‚genoffen Böhmens und Mährens fich annehmen. Dazu komm, daß gerade das Jahr 1867 für die Gefchichte der böhmischen Br, derfirche ein Säcularjahr ift. Vor vierhundert Jahren, 1467, 9 fich diefoßpe nach whnkihrieom Meitehen al freierer Verein zu als felbftändige Kirche conftituirt durch Wahl und Weihe eigent, Geiftlicher. Anderthalb Jahrhunderte Kat fle unter der Pflege ihret in ihrer‘ Mitte forgfam erzogenen Diener, deren gar manche da Namen apoftolifcher Zeugen verdienen, geblüht und Früchte getragen!

So wird e8 nicht unangemeffen fein, auch im Kreife der deutj evangelifchen Kirche und Theologie eben jest einmal aufs New von diefer Arche zu reden. Wir thun bies, mach den gefhidh lichen Arbeiten Anderer, bier unter theologifch - dogmatiſchem Ges; ſichtspunkt.

Indem wir es Andern üherlaſſen, eine umfaſſende Darftellug der geſammten Lehrweiſe ber bohmiſchen Brüder zu geben, greife wir für diesmal nur dep einen Hauptpunlt heraus, um melde: fich die Hauptſtreitigkeiten der Kirche im Meformationszeitalter br wegten, bie Lehre von der Mechtfertigung durch den Glauben a den Werken des Glaubens, ein Punkt, an welchem die befonke Eigenthumlichkeit des Lehrtropus der böhmiſchen Brüder in m Uebereinſtimmung wie im Unterſchied von dem reformatoriſcheu deutlich zu Tage tritt. Zugleich find wir der Meinung, daß dabe gewiffe Seiten der evangslifcen Wahrheit in Frage kommen, wel

a) Siehe diffen Meine Schrift „Die Katechismen der Waldenſer und bohmiſen

"Brüder u. ſ. w.“, Erlangen 1868; ferner deſſelben Artikel „Lulas ver

"Prag und die bohmiſchen Brüder” im 20, Bande von Herzog’s Ein clopãdie.

über bie Lehriveife der bohmiſchen Brüder. [3

ac für den gegenwärtigen Standpunkt der evangelifch » kirchlichen ehrentwicklung Beachtung verdienen und von wefentlicher praftifcher hedeutung find.

Die Lehre der böhmischen Brüber in Bezug auf biefen Gegen» tand erfcheint am meiften mit dem Lehrtypus der deutſchen Res mmation, zumtichft Luther's, übereinstimmend in ber Coufeſſion on 1535, wie fie ſich bei Köcher findet in einem Abdruck freilich ft vom Jahre 1558 *).

Nachdem Art. 4 de peccato et ejus fructu ac sui psius oognitione gehandelt Kat, ganz im pauliniſch- luthe den Sinne (docent ex scripturis, quod homines agnoscere ebeant propter hanc sui ipsorum depravationem ae corrup- dam et propter peccata ab hac radice nascentia dignam ii imminere perditionem, formidabilem Dei vindietam im- indere, et dignam suis factis gehennae poenam propositam se —), heißt es ſchon ba weiter: ad haec dooent, necessa- um esse, ut animadvertant omnes ac norint infirmitatem uam extremamque inopiam et mala, in quae ob peccata

3) Im diefem Jahre Tief Vergerius die Confeffion wieder abdrucken nad) Köcher, „Ölaubensbelenntniffe der bbhmiſchen Brüder“ (Leipzig 1741, ©. 45) und Gindely, Fontes rerum Austriacarum I, 454 sub 22. In feinem Geſchichtswerk (I, 496) nennt der Letztere fie (sub 14) „uriprüng« lich böhmiſch, wohl von Augufta verfaßt” —, „weder bie Böhmische Urſchrift noch die damalige deutſche Ueberjegung, in der fie wohl an Ferdinand über- veicht worden, ift zu finden. Die Tateimifche Ueberſetzung wurde 1535 ſchon verfaßt, aber erſt 1538 in Wittenberg gedrudt. Sie ift unter den Brüberconfeffionen bie berüßmtefte geworden und verleitet mit Unrecht zu der Annahme, als ob fie der genaue Ausdruck des Vrüberglaubene fei. Weit genauer und aufrichtiger find die früheren Bekenntniſſe.“ Ferner ©. 232. „Alles war auf den Beifall Luthers berechnet (I) nur bie Bedeutung der Werke war nicht verhehlt man ſollte die Confeſſion als einen Appendir der Augsburger betrachten.“ Zu beachten ift jedenfalls, daß bie erfie Geftalt auch dieſer Eonfeffion bei Luther gerade im Punkt von der Rechtfertigung Widerſpruch fand fiehe bei Gindely ©. 238. und die Brüder daraufhin diefen Artikel (mebft dem vom Eölibat als zweitem beanftan- detem) „in einer Weiſe neu ſtiliſirten, daß fie nicht mehr dem früheren Zabel begegnen mußten“,

bs⸗ plitt

conjecti sint, quodque se ipsos nullo modo servare, nullis- que suis operibus aut studiis justificare possunt. Nee quic- quam habere praeter Christum solum, cujus fiducia a pec- catis, Satana, ira Dei .et aeterna morte sese redimant et liberent.

Darauf folgt Art. 5 de poenitentia. Docent, poeni- tentiam esse, quae ex peccatorum et irae divinse agnitione nascitur, quae per legem Dei, primum dolores et ter- rorem conscientiae incutiat ete. Interim docent, ne sic pavefacti et territi desperent, sed ut ad Deum ts corde redeant, et fide in Christum, quae pars qw que poenitentiae est, misericordiam apprehendant de lentes, se peccasse. Etsi enim omni justitia vacui sint, die vinam tamen gratiam et clementiam implorent, ut sibi ipsi. misereatur et peccata condonet propter Christum ejusgus meritum. 2%or. 5, 21. (Diefe Buße, heißt e8 weiter, mi durch da8 ‚ganze Leben fortgehen „cum opus est“.) Eos etiam, qui sic resipiscunt, docent, quod apud Esajam scriptum est, ut desinant perverse agere, discant autem benefacere. Iden! et Johannes, praecursor Domini: facite inquit dignos fruct poenitentiae. Consistit autem in hoc maxime poenitentia, ut mortificetur vetus homo ac deponatur cum actis et con- cupiscentiis suis, induaturque novus, qui secundum Deun ereatus est (Rof. 3). Sodann werden die poenitentes an da Priefter gewiefen, ihm ihre Sünden zu befennen, obgleich nicht ſt alfe aufzuzählen, und von ihm kraft der Schlüffelgewalt nach Chr Einfegung die Abfolution zu empfangen, und deren Ausitbung ſi zweifellos vollfräftig wirkfam zur Vergebung der Sünden. Be nicht ſolche Buße bei Lebzeiten thue, gehe ohne allen Zweifel ver. foren nad) Chrifti Wort (Luk. 13, 3). Wer nad) gethaner Bußt wieder in den Siündendienft zurücfalle, gehe dem gleichen Schichel entgegen (Hebr. 10, 26). Für den rechten Bußfertigen aber get: fundamentum et omnem virtutem poenitentiae in merito mortis Christi consistere, ö

Hierauf Handelt Art. 6 de Christo Domino et fide in ipsum. Chrifti Berfon als des wahren Gottes und Menfden,

über bie Lehrweiſe der bohmiſchen Brüder. 585

mb fein ganzes Werk von der Geburt bis zur Wiederkunft find ie Grundlage unferer Erlöfung und werden durch Wort und Sa— rament uns mitgetheilt. Chriftus ift zwar bis zu feiner Wieder- anft nicht mehr Teiblich und ſichtbar auf Erden, wie er es vor inem Tode und nach der Auferftehung bis zur Himmelfahrt war, leichwohl ift er Christus ipse, verus Deus et verus omo, auch jegt bei uns, ratione invisibili, insensibili, sed nen vera et ad: salutem nostram necessaria; per hunc nodum] enim is in nobis operatur, ut nos in illo et »se in nobis sit, idque per Spiritum Sanctum et dona sius, quem suae visibilis essentiae. loco se missurum eccle- ae suae recepit (? praecepit?), per quem potentia, gratia, mitate et, veritate sua, qua sibi obedientes salvos reddit, et in ea cunctis diebus usque ad consummationem seculi. %. 16 und 14: Non relinguam vos orphanos, veniam ad s per hunc sc. Spiritum veritatis.

Porro docent per Christum homines gratis fide ı Christum per misericordiam justificari, sa- ıtem et remissionem peccatorum consequi, citra lum humanum opus et meritum. Solam itemque ejus ortem ac sanguinem ad abolenda et expianda omnia omnium minum peceata sufficere docent (Apg. 4, 12 u. a. ©t.). Docent ad haec, ut omnes homines ad solum Christum o venia et remissione peccatorum suorum, pro salute et ıavis alia re impetranda per omne suae vitae tempus ac- dant (Hebr. 4). Item docent (in eo uno fiduciam omnem spem defigendam esse —), quod nemo fidem hanc ıis viribus, voluntate et arbitrio habere potest; ınum equidem Dei est, qui ubi et quando illi sum est, eam per Spiritum Sanctum in homini- ıs operatur, ut ad salutem quidquid iis per verbum ternum et Sacramenta a Christo instituta rite fuerit ad- inistratum, pereipiant (Joh. 3, 27; 6, 44).

Pergunt docendo sola fide seu fiducia in Jesum Christum stificari homines coram Deo, sine ullis eorum studiis, me- is et operibus, sicut Paulus dieit (Röm. 4, 6; 3, 21).

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Et hie sextus articulus apud nos omniem maxime prin- eipalis habetur ut qui totius christignismi ae pietatis summa est.

Art. 7 handelt dann de bonis operibns. Die aus Guaden durch den Glauben Gerechtfertigten follen die von Gott gebotenen guten Werle tun nach Matth. 28, 19, Und zwar richt, um die Rechtfertigung, das Heil und bie Vergebung ber Sünden ſich de durch zu verdienen, denn wir fpllen ſprechen: wir find unnie Kuchte, auch wenn wir Alles gethan haben (vgl, Röm. 3, 20), 1. Sed facienda ideo bona opera docent, ut par ipsa appıe betur fides, sunt enim bona opera certa testimonia, sigug cula et indices latentis intus vivae fidei et fruetus ejusde per quos dignoseitur arbor bona aut mala (Matth. 7) 2. Item, ut per ea firmam certamque efficiant suam vo tionem atque in ea sine peccatis rerventurp (2 Betr. 1, 51!

3. Hanc etiam ob causam bona opera fieri docent, ut abı subministretur introitus in aeternym regnum atque inde piosior merces a Deo referatur (ibid.).

Dem Inhalt nad) find es weſentlich Werke der Riebe (eit, Luf. und Matth. 25) und haben als ſolche ihren Werth vor Gut operg ergo in fide facta placent Deo et suam zneı habent in hac- vita et in future. Aber die reiten guten find eben auch nur diefe im Namen Chrifti durch dem gethanen, nad) Joh. 15; sine me nihil potestis facere, se. Deo gratum vobisque ad salutem profyturum sit.

Item docent, fidem et charitatem, quae dilectio est um) Dei tum proximi, fontes esse omnium virtutum et honora operum, (In der deutſchen Ausgabe ift dies jo wiedergegeben; Im Namen Chrifti aber gute Werke thun, heißt Ddiefelben thu im lebendigen Glauben an ihn, dadurch wir find gerechtfertigt; auß Liebe, welche durch den heiligen Geift in unfer Herz as gegoffen. Nämlich dag ung Gptt liebet, und wir wiederum Geil den Herrn und unfere Nächten), Zuletzt heißt 68;

Docent präeterea, neminem esse, qui praesepta a De opera faotis explegt. Neminem item esse, qui non pecret qualibet studiose se in bonis operibus et lege Dei exerceat:

Über bie Lehrweiſe ber böhmiſchen Brüder. 667

icut scriptum est: Non est homo ullus in terra, qui ope- etur bonum et non peccet. Unicuique igitur in Christo esu perfectio legis, vita, justitia, salus ex merito et gratiæ jus per fidem petenda est. Quicunque enim Christum ap- rehenderint ac in eum se abdiderint et inclinarint, qui pro ani credenti legem impleyif, omnia eorum per ejus san- ünem eluuntur peccata, ‚sient transgressiones legis non »ssunt damnare credentes (Röm. 8, 1. 1Ror, 1, 30). Art. 10 De verbo Dei heißt es: Docent tenere discri- en inter vim !egis et Evangelii, quod illyd quidem sit ad- inistratio mortis, hoc autem administratio vitae et; gloriae r Christyum (2Ror. 8. Job. 6, 63). Concedunt insuper, wi nemg yergm fidem assequi potest, nisi verbum Dei Yiat (Röm. 19, 17). Die pentfche Ausgabe der Confeſſion von 1573 ift nur formell finderf aber night wejentlich, theils im befierer Ordnung der ein» nen Lehrfäge innerhalb der Artikel, theils durch hie und da reis te Ausführung und Erläuterung derſelben. Sp wurde z. B. Art. 4 die Sünde beſſer claſſificirt, nach „Stuffen und Glieden“: der pofitive Ungehorſam Adam's, „die allererſte größeft und wereſt fünd, deswegen der Tod über Alle herrſcht, auch über die, wicht gefündigt haben mit gleicher Uebertretung“ (Röm: 5); die angeborne Erbfünde, darin wir Alle empfangen und auf fe Welt geboren werden (Pf. 51, 7. Eph. 2, 3); „diefer Erb⸗ he Kraft ſoll erkannt werden an ber Schuld, au der böfen Art, igung und Pen; 3) nennet man die wirklichen Sünden, welde d Früchte der angebornen Sünde, jo durch die Kräft und Glieder Menſchen innerlich und äußerlich heimlich und offentlich aus- hen in Uebertretung der göttlichen Gebpt oder Verbot, dazu in erlei verdammlicher Blindheit und Irrthum,“ In Art. 5 wird von der Buße gejagt, daß fie „eigentlich aus hter Erfenntnig der Sünden und Zornes Gottes komme und veft werde, beide durch die Gefegeöpredigt von der fehuldigen rehtigfeit Gotted und durch die Predigt des Glaubens Chriſtum Jefum und feiner Heiligen Buße, bie er uns mit Schmerzen getan“. Ferner, daß „diefe heilſame

588 plitt

Bekehrung weit von Eſau's und Judas' Buß unterſchieden Habe eigentlich ihren Urſprung und Ankunft aus der Gab Gottes “und jtrafpredigt göttliches Worts wider die Sünde und fei herz liche Furt und Schreden für Gott und Entfegung mit Reu und Leid für feinem wahrhaftigen ftvengen Gericht und ernfter Rad.“ Aber es wird auch in Beziehung auf das. zweite, evangeliſche Moment bezeugt, „daß Ambrofins fage: Keiner kann rechi⸗ ſchaffne Buß thun, er Hoffe denn Gottes Erbarmung".

In Art. 6 wird auch das Wefen des Glaubens näher ftimmt, als „ein willig Herz gegen alle göttliche Wafre: heit im Evangelio verfündigt, dadurch der Menſch finn und gemüth erleuchtet wird, auf daß er feinen Gott, den Jeſum Ehriftum, recht erkenne, für feinen einigen Heiland anneh auf ihn als den rechten Fels feine Seligkeit gründe, ihn liebe, nahfolge, genieße, in Ihm allein feine Hoffnu und Bertranen ſetze, fi dadurch aufrichte und der tröftli Zuverſicht fei, daß er um feiner und feines Verdienftes willen ei gnädigen, gütigen und milden Gott habe u. f. w.“

„Diefer einige Glaube und das Herzliche Vertrauen auf —F

Jeſum unſern Herrn rechtfertigt oder macht gerecht den Menſt vor Gott ohn all fein Zuthun, Werk oder einig Verdienſt.“ „U diefe Rechtfertigung ift die Vergebung der Sitnben] die Benehmung der ewigen Bein, fo Gottes ftreng Gerechtigkeit erfordert, die Bekleidung im Ghril Gerechtigkeit oder derfelben Zurehnung, die Ba fühnung mit Gott, die Annehmung zu Gnaden, du welde wir find angenehm gemadt in dem Gelicht und Miterben werden des ewigen Lebens. Darad, des zur Beftätigung und neuen Geburt, das Pfand des heilige Geiftes und andere Gaben gefchenft und gegeben werden, aus ur endfiher Gnaden um Chrifti, feines Todes, Blutvergießens un Auferftehung willen (Röm. 4. Gal. 4).“ „Denn melde Gm rechtfertigt, denen gibt er den heiligen Geift und neugebieret fe anfänglich durch denſelben (Ez. 36, 26).“

Der Paffus über Chrifti gegenwärtige Verhältniß zu den Seinen bildet hier den zweiten Theil, eingeführt durch die Worte: ‚is

Über bie Lehrweiſe der böhmifchen Brüber. 589.

eſem Artikel lehret man fonderfich und nothwendig, zu umgehen el ſchädliche, antichriftifche Verführerei, von der Gegenmwärtigkeit heifti und weiterhin wird noch beftimmter aud) das geleugnet, Ber jegt gegenwärtig fei auf Erden „in dem verklärten Weſen, {des er im der Auferftehung überfommen, darin feinen Jüngern fhienen, und am vierzigften Tag nach feiner Auferftehung offent- h dor ihnen gen Himmel gefahren ift“.

Art. 7 von den guten Werken ift wefentlich übereinſtim- md, nur mehr ausgeführt.

Sieht man dieſe unter dem Einfluß der deutfchen Reformation Htandenen Belenntniffe an, fo würde man, wäre ung weiter nichts halten, gar nicht begreifen, wie, befonders nach Gindely, Lukas x Prag am Anfang der zwanziger Jahre ſich fo an Luther’s Nifertigungsehre könne geſtoßen haben, daß die nähere Verbin— ng zwifchen beiden Theilen zehn Jahre lang nicht zu Stande n, und das umfoweniger, da berjelbe Lukas nach demfelben Gin- 4 früher im den achtziger und neunziger Jahren gegen bie Heine ztei und ihre Lehren im Geift des Peter von Chelziz diefelbe Ötfertigung duch den Glauben allein fo eifrig Habe verfechten men (vgl. Gindely I, 62f., Synode zu Brandeis 1490; - S. 188f.). Zum Mindeften müßte man auf eine große Un- erheit und Unfelbftändigleit des Standpunftes der alten Brüder dieſer Beziehung fchliegen. Denn hier ift faft das einzige, 8 von dem veformatorifch-Tutherifchen Lehrtypus abweicht, . die tonung des Werthes vor Gott und der Bedeutung für unfer il, welche die im Glauben gethanen guten Werfe der Wieder⸗ orenen Haben; indeß findet dies wenigftens in dem Philippismus er Zeit einige- Anfnüpfung. Cf. Melanchthon, Loci theol. 1558 de bonis opp., p. 257sqq.; de tertia quaestione omodo placent Deo bona opera? per fidem ob media- em; wo nur das, was die Brüder an den Schluß ftellen, daß e Werke in fich ftets durchaus ungenügſam und durd die Sünde tört feien, nachdrucksvoller voranfteht; und de quarta quae- »ne propter quas causas facienda sunt bona opera? 269sqgq.): necessitas a) mandati, debiti; b) retinendae fidei £.190h. 3); c) vitandi poenas, wobei es heißt: ac repudiatur

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illa frigida cavillatio, qua reprehenduntur benefacta metu poe- nae; facilis est responsio piis, qui sciunt, ejusdem facti multas esse causas et ordinatas; dies nimmt den größten Raum ein. dignitas, niet daß die Werke in fic) eine ſolche Hätten, Be gebung der Sünden brächten oder „pretium ‘“ sint vitae aeternae, ſondern weil der Glaube dadurch bewährt und Gott im der Menſch heit verherclicht wird. praemia, spiritualia et corpotala in hac vita et post hane vitam, abet nicht die Seligkeit felbft, weder zeitlih nod ewig.

Gleichwohl zeigt fich ſchon Hier der Unterſchied, dag bie Brüig eben auch das Heil felbft als jenſeitiges mit bedingt laffen dur) die nova obedientia. Hier weichen fie auch Melanchthon ab. Und dies ift ber Punkt, von dem fir und Leben, auch in geſchichtlicher Hinfiht, nach allen. Seiten ein klares Licht ſich werbreitet. Doctor Philippus and die Bi find fih nahe gerüdt, aber won dogmatifd urfprängli verſchiedenen Standpunften aus. Melanchthon Kat vom der wofpränglichen futherifchen Bofition des sola fide mühfem durchgerungen zu der fo ſtark verffaufulirten Merk der Nothwendigkeit und Wichtigkeit der nova obedienitia, bei opera; die Brüber weichen gerade in biefem Punkt nie ganz u einem ihnen urfprünglich tiefeigenen Sag und haben ſich von ih früheren Anſchauungen and) ihrerfeits nur allmählich und nicht Kampf durchgerumgen zu den Ausfagen, welche wir fie hier ü das sola fide thun hören. Darm hat Melanchthon, was Leben betrifft, die von den Brudern in der lutheriſchen Kirch i ſchmerzlich vermißte diseiplina nicht hervorgerufen und Berdorris Können, während fe diejelbe nur wider Willen durch die Macht id Zeitgeiftes nach und nach auch Ar ihren Kreife etlahmen und endlid‘ entſchwinden ſahen. Eben die hereinbrechende fleifchkiche Zreihet de8 Lebens hatte feiner Zeit einen Lulas, der den Römijchen ut ber gejeßglichen „Heinen Partei” gegenüber das sola fide verfodt. nachdem er damit durchgedrungen war, bedenklich gemacht, auf dieies Wege fortzugehem, mb dadurch war auch be) dogmatiſchen Stant: punfd der Brüder-Unität, fire die Zeit ihrer felbftändiger Aus bildung zumal (15001532), eine ehr beſtimmte und eigenthüm

über die Lehrweiſe der bohmiſchen Brüder. 591

ihe Färbung gegeben, welche' in dem foeben Hervorgehobenen Lehr⸗ unkte auch fpäter fich immer noch deutlich durchfühlen läßt.

Die möthige Mlarheit tiber biefe ältere Geftalt der Lehre der Iräder» Unität in Betreff der Rechtfertigung geben uns bie Con- ffionen ans der bezeichneten Periode. ö In dere Belennttiiß an Konig Wladislaw ) von 1504 heißt es gen das Ende des Eingangs: Viva fides am die göttlidhe zahrheit, wie fle durch den Heiligen Geift offenbart, danm in der hei- gm Schtift durch deufelben Heiligen Geift niedergelegt, im apofto- ſchen Symbotum zufammengefaßt, von der Kirche bewahrt, und währt im Lehre und Leben, befonders durch das nicäniſche Concil der Athanaſius und duch deſſen Nachfolger weiter ausgeführt kb vertheidigt iſt universale est fundamentum salutis hu- Inae, quae fides dono Spiritus Sancti meritoque gratiae htisti prineipaliter Jargitur (?), in ecclesig vero voce evan- jica ac veritatis verbo ministerialiter annuntiatur, sacra- entis quoque ecclesiasticis exemplariter confirmatur. ieſer Tebendfge Glaube wird dann in alfen Artikeln aufgeführt der von den Schofaftifern, 3. B. dem Lombarden, her gebräud;- hen dreifachen Zorm: credere de Deo Deo in Deum;

») Bol. bei Lydius, Waldensia II, 1sqg. Diefe Eonfeffton gehört in das Jahr 1504. Denn im vierten Theil des fpätesen Apologie (1588), der dom Sacrament des Altars handelt und auf bie früheren dahin ein- ſchlagenden Zeugniffe der Brüder Bezug nimmt, leſen wir (bei Lydius, p. 256): „Sub annum vero Domini 1504 ad Wladislaum Bohemiae et Ungariae etc. Regem in hunc modum .... confitemur etc.“ Um " die darauf folgenden Worte ſtimmen ganz genau überein mit denjenigen über die Euchariſtie im achten Artikel dev Confeffion, von welder wir Hier ſprechen (cf. Lydius II, 10). Dagegen ſtinunt jenes Citat nicht mit den Stellen über die Euchariſtie in der Oratio excusatoria Regi Wla- dislao missa von 1507 dies Jahr wird a. a, D. bei Lydius p. 296 genannt und in der Excusatio contra bins Hiteras D. Augustini (1508). Bol. bei Lydius bie erfte Stelle II, 26 qq., die zweite p. 66sgg. Ich zweifle daher, daß v. Zezſchwitz mit dem Recht Bat, was ex in feiner Schrift über den Katehismus der Brüder (S. 91), über die Titelver- wechſelung ber Eonfeffionen von 1504 und 1507 fagt und wonach die erfte in das Jahr 1503, die zweite in 1504 fallen foll.

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das erſte in Bezug auf die Wahrheit feines Weſens, das zweite in Bezug auf die Wahrheit feines Offenbarungswortes, das dritte in Bezug auf die Bedeutung und die Abſicht diefer Offenbarung, indem wir uns das aneignen, was Er uns gibt, und ung Ihm hingeben in Herz und Leben. So z. B. in Art. 2: 1) De Christo sapientia aeterna credimus, verum unicum Deun. aequalem in divinitate patri ac spiritui sancto potestate sapientia et bonitate, vitam aeternam esse, perpetua gene ratione ex patre procedere, per quem fecisse et secula hand ambigimus etc. 2) Christo Jesu annuimus, dummodo jus ejus, quae nos ad credendum in eum, fidendum, diligendur que pro vita gloriae adeunda obligant, vera ac fidelia die, mus esse. 3) In Christum autem credimus, quomodo Deut et salvatorem nostrum cognoscentes, omnes ejus —*8* plena fide amplectimur, ipsum quoque perfecta cha, ritate diligentes, cum fidis ejus membris in fidı amore copulamur. Hier ift der „lebendige Glaub‘ der Liebes glaube und zwar in der Doppelbeziehung des Geh Ehrifti, gegen Gott und die Brüder; der Begriff der „perfect charitas“ wird ohne Arg gebraucht. Ganz nach ſcholaftiſch Ausdrud wird diefer Glaube in Art. 4 (von der Kirche) aud al fides formata bezeichnet: Eadeın formatae fidei plenitudin eredimus ete. —, wobei die Kirche doppelt beftimmt wird: a) numerus omnium &leetorum "aller Zeiten (nah J. Hus) di ift fie ratione fundamenti fidei vivae. Dagegen b) ratis ministeriorum dispensatorumque ift. fie congregatio omniı ministrorum (der Begriff des Clerus im römifchen Sinn) » populi obedientia subjugati. In jenem Sinn ecclesia nen nem damnandum continet, in biefem Sinn, als ecclesia mistı servat ad tempus praefinitum judicii extremi eos, qui ei maligno prodierunt etc.

Wenn hierauf (Art. 5 u. f. m.) von den Ministeriis ecelesia gehandelt wird, fo ift zuerſt das Evangelium Chrifti als das pri- mum potissimumgue ministerium ecclesiae catholicae bezeidhne:. ſowohl al das Wort vom Kreuz, oder vom Heilswerk Chrift. wie auch als die gefunde Lehre von unferer Aneignung dieſe:

über bie Lehrweiſe der böhmischen Brüder. 598

3ahrheit zum Heil durch den Glauben (verbum sani dogmatis, ao veritas salutifera „in sensu fidei cognoscitur“, x qua notitia homini boni desiderii vita gratiae loriaeque administratur). Dann folgen die fieben Sacra- ente als für die Kirche heilſame Inſtitute, quibus populo cre- alo promissa Dei impleta esse significantur ete. Nach- m dieſe Artt. 6—12 abgehandelt find (Art. 11 de poenitentia psorum betont die richterliche Entſcheidung und Wirkſamkeit des rieſters kraft der claves Christi fehr ſtark, dringt aber ebenfo- hr auf wahre Herzensbuße), folgt Art. 13 Communio san- oram, wo biefelbe definirt wird als -gemeinfamer Genuß der itlichen Gnade und gegenfeitige Handreihung in Kraft derfelben m Seiten der electi verae fidei, gratiae, justitiae Chriſto, wogegen den malis „informis fidei‘ alle äußer- de Teilnahme an Kirche und Sarramenten nichts nügt. Art. 14 handelt de remissione peccatorum, furz fo: tedulitate Christi gratiae libere enuntiamus, quod qui vi- wi fidei communicat, eo ipso veritatem relaxationis vitio- ım in Christo assequitur, simulque, quia sacramentis ec- esiae participat, solutionem criminum in eadem fide et rtitudine adipiscitur; qui, si in finem vitae perduravit, tam gratiae hic extremi quoque tempore judicii in beata surrectione glorificationem animae consequetur. Amen. Die Oratio excusatoria ad Regem Wladislavium vom Jahr 07 *) (Gindely, Fontes, Nr. 7) —* nichts in dieſen Lehr⸗ ſammenhang Einſchlagendes. Die Excusatio fratrum contra binas uteras D. Augustini | regem von 1508®) (Gindely, Fontes, sub 8: „Apologie © Zedermann?“) Handelt S. 52 de purgatorio, weldes ein eifaches fei: eins in dieſer Zeit, bibfifch begründet und gewiß n quo se purgant ad immortalia corpora“, das andere bliſch unbegründet und ungewiß, wie aud; noch Auguftin bezeuge; t Spätere, wie Thomas Aquinas, hätten das hervorgebracht.

1) Bei Lydius, p. 2lsgg- . ») Bei Lydius, p. S4sgq. Deol. Stud. Jahrg. 1868. 40

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Ben dem erfteren dagegen heißt 68: Ex his manifestatum est) quod nullus alius locus est principalis certi purgaterü nisi Dominus Christus, qui purgationem peccatorum facien sedet ad dextram majestatis in excelsis, atque ipse est fon aquae salientis in vitam aeternam. Omnis, qui salvabitur oportet eum de hoc fonte sumere pleno justitiae et aequi tatis, oportet eum sumere per amorem gratize sui merü pro gratin Spiritum Sanctum (das heißt wohl: er muß in & zu der durch Chriſti Werdienft uns erworbenen Gnade ald legte und fundamentale ſolche Gnadengeſchenk den heiligen Ga nehmen und empfangen), qui de amore suo transfundit in fideium; ex- sola gratia per donum fidei quisd salvandus venit ad purgatorium per Christum Jesum, ut di Sanctus Paulus (Rom. 3, 28): „Non justificatur homo ed operibus legis nisi per fidem Jesu Christi“, et nosi Christum Jesum credimus, ut justificemur & fide Christi et non ex operibus legis. Chris dieit: Qui credit in me, habet vitam aeteraam. Et ille lt prosus dixit ex fide: Domiae si vis, potes me mundare. Domiaus dixit: volo, mundare. Et iterum: fides te aalı fecit. Et Sanctus Petrus: fide purificans corda eorum. D dilectione dicit Dominus ad Mariam (?): Remittuntur ı peccata multa. De charitate dieit Sanctus Johannes Ü Charitas operit muititudinem peccatorum. Et de obe dientia ceharitatis dieit Sametus Petrus: animas ven * castificantes in obedientia charitatis (? veritatis). Et} spe dicit Dominus: Confide, fili, remittuntur tibi peca: et Sanctus Paulus: Spes autem non confundit. Et de vir tute hujus fidei (des febendigen Glaubens, deſſen Bollberi nad) dem Borigen Liebe, der Gefinnung wie der That, us Hoffnung einfhließt) dicit Sanctus Petrus: Ministrate : fide vestra virtutem scientiam abstinentiaın. Hax enim si vobis adsint etc. De poenitentia dicit Deus X Prophetam: Impietas impii non nocebit ei, in quacangi die conversus fuerit ab impietate sua etc. De operibı misericördiae: Nolite judieare, et non judicabimini ete. (Lit.t

über die Lehrweiſe der böhmiſchen Brüder. 505

Consilium datum est Nabuchodonosor, quod eleemosynis redimat peccata sua (Dan. 4, 24), Et sic devota oratio et munda cum fide purgat, quando cum ea est viva fides et humile cor: hujus est exemplum de publicano et peccatore. Dies ift ganz jatobifh (Kap. 2, 22): 7 Alorıs Ovvigysr vois Zgyoıs aber gleichwohl finden wir feine Berufung auf diefen Apoftel, vielmehr lenkt das Belenntniß fogleich tiefer zuräd auf den johanneiſchen Grund: Sed quod poenitentia mundat hominem in Christo fundatum fide vel poenitentia, dieit Dominus Jesus: Ego sum vitis etc. (Joh. 15, 1). Et de verbo dieit Deus per Ezechielem: Effundam super vos aquam mundam, et. mundabimini ab omnibus inquinamentis vestris. Et Do- sinus Jesus: Jam estis mundi propter sermonem meum (Joh. 15, 3). Et de testimonio baptismi, quod simul kt cum fide: Qui crediderit et baptizatus fuerit, salvus erit. Et Sanctus Paulus: Accedamus cum vero corde in pleni- tudine fidei aspersi corde a conscientia mala et abluti corpus aqua munda. Habemus nunc spem firmam et confessionem sostram, quod sumus habituri pargatorium in tertio inferno? Non, sed vitam aeternam. Nam diecit Dominus: qui perse- reravit usque in finem, hie salvus erit. Et cum his verbis, wuae robur in se habent, mundat hic ecclesiam et purgat ıd vitam gloriae etc.

Wir haben Hier eine umfaffende Zufammenftellung ber in der Schrift an verfchiedenen Orten genannten fubjectiven Bedingungen mb objectiven Vermittelmgen der Beguadigung, ohne Unterfcheidung »es A. und N. T.'s (obwohl nicht das Geſetz, ſondern die Pro- ’heten, und dieſe meift mit evangelifchen Zeugniffen citirt werden), ohne Unterfchieb auch der ſynoptiſchen Ausfprüce und der pau- iniſchen; beide vermittelt durch ſolche allerdings centrale Worte, wie die bei Johannes (Cap. 15). Man fieht, wie der Lehrtypus ich an der Hand der Schrift und Erfahrung von dem ſcholaſtiſchen runde, mit dem er gefthichtli und formell noch zufammenhängt, immer mehr Toszulöfen jucht, ohne aber noch entſchieden und Mar

ben einen Punkt finden zu können, auf welchen Hier Alles ankommt . 40*

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und den Paulus und Luther fo ſcharf hervorheben. Die Begu digung ift den Brüdern Reinigung (purgatorium, mundari)

- von der Sünde; zwar auch Befreiung von ihrer Schuld, Ber:

gebung der Sünde, aber untrennbar davon ebenfo auch von ihrer Macht und Herrſchaft, Neugeburt in ethiſcher Hinficht; und das nicht nur im principiellen Sinn, wo dieſer neue ethijche Lebens: fame ebenfalls nur rein receptiv vom gläubigen Herzen aufgenom- men werden fann, fondern fie verbinden damit in der Weiſe dr ſynoptiſchen Ausſprüche Chrifti auch die ethiſche Reproduction Cogl. das Eitat uf. 6 und Dan. 4). Iſt in dem erften nur de Mangel der begrifflichen Unterſcheidung zu tadeln, die Sa an fi) aber biblifch tief begründet, fo ift das zweite in diefer Zora wirklich unvolltommen und nicht die lautere nachpfingſtliche Wahr⸗ heit. Ein einigermaßen innerliher Romanismus könnte damit fich alfenfalls noch verföhnen, wie die Lehrbeftimmungen des Tir dentinumß felbft zeigen. Die Brüder ſchieden eben auch hier nid genug zwifchen erfter Begnadigung, Eintritt in den Gnabenftad und enblicher Befeligung beim Gericht. Aber weil in dieſer Br ziehung ihre Anfchauungen wiederum bibliſche Wahrheit haben, blich ihr innerfter praftifher Glaubensftandpunft- doch von dieſer Fehler weſentlich unverlegt, und fie konnten fpäterhin im Lichte dr Reformation in Bezug auf die erfte Begnadigung oder Wiedergeburt eine andere Stellung nehmen, ohne zu meinen, daß fie ihren Pri- cipien untren würden.

Die Eigenthümlichkeit diefes ihres älteren Standpunftes gel endlich fehr Mar hervor aus der ausführlichen Apologie von Yahre 1538 *). Eine vermittelnde Stellung nimmt die Cor felfion von 1532 ein, indem die accurat lutheriſch "beftimmtz Ausfagen über die Rechtfertigung durch den Glauben allein, meld die Eonfeffion von 1535 hat, fich fo nicht finden, aber andererjeit auch nicht die ungehörige Art, wie in der Apologie, der Begrif

8) Giche bei Lydius II, 92-867; die umfangreichfte aller diefer Ca feifionen bei Gindely, Fontes, Nr. 19. &ie wurde in den Jahr 1536—1538 bohmiſch abgefaßt, in dem letztgenanuten in's Latriniſche über fegt und im Wittenberg unter Luther's Beihtilfe mit der von 1685 gehraft

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ver Rechtfertigung in extenso erläutert wird. Aber aud fo bleibt zum einmal die Differenz zwiſchen den beiden 1538 edirten Zeug- üffen ftehen, und diefe Apologie mit diefem ihrem Drudjahre zeigt uf das einleudtendfte, wie fehr der ältere Standpımft aus der jeit des Lukas noch in Kraft war. Bon diefer Apologie jagt auch indely (I, 239): obwohl fie als eine neue Ausgabe der Eon- fion von 1532 für den Markgrafen von Brandenburg bezeichnet ourde, fei fie von diefer doch im Inhalt vielfah, in der Form anzlich abweichend. Und dies ift wirklich richtig.

Bon der Sünde handelt im zweiten Theil der dritte Artitel ©. 147) ebenfo ftreng als die andern Zeugniffe. Der. vierte ©. 149) ift im Text überſchrieben: De misericordia Dei jratuita erga hominem tam misere delusum, deque pro- tisso liberatore filio suo; dagegen (&. 96) in der Einfeitunge- berficht: De justificatione et promissionibus. Dies ift m fo auffallender, da danıı erft sub 8 de poenitentia, 9 de vangelio, 10 de bonis operibus geredet wird; aber es ift nicht fällig, noch dem Sprachgebrauch der Schrift felbft fremd. Denn 1 diefem vierten Artifel wird der Quell des Heil im Gnaden- ath der göttfichen Barmperzigfeit und im fünften die Ausführung es letzteren, Chrifti große Gnadenthat, als zwiefacher Ausdrud er höchften Liebe Gottes gegen die gefalfene Sünderwelt gepriefen. )er ftrenge Begriff der Satisfaction tritt dabei weniger hervor, modern bei Chrifto mehr feine Heilige und Heil wirkende priefter- he Selbftopferung. Siehe die ſchöne Stelle (S. 152): Vitae utem sanctimonia inculpatus, a peccatoribus longe segre- atus repertus est, quatenus dignus et idoneus, pro totius ıundi peccatis sacrificus et 'sacrificium esset. Ubi vero nmineret hora illius, nihil moratus neque cunctatus passioni e parat et sanguinem suum pro peccatis nostris fundit ac acrificat, pontifex simul et hostia factus, quo qui- em passionis sacrificio morteque obita aeternam nostram ıortem abolevit ac vitam aeternam nobis mercatus est, de- icto illo, qui mortis habebat imperium, hoc est Diabolo: :t sanguine suo mundissimo peccata et iniquitates multo- um emendavit ac omnino in totum sustulit. Sic quoque

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in carne carnis peccatum erucifixit, per passionem a passiv nis aeternae poenis nos liberavit, per mortem mortis im- perium atque ipsum mortis tyrannum devieit et nos ab ilius tyrannide in pristinam libertatem et dignitatem ad- seruit. Atque hae unica sui oblatione sanctificatos reddidit in perpetuum, promerita nobis gratia, redemptione, sancti- ficatione et vita aeterna, sc. omnibus in se credentibu. Unter diefen Früchten des Werkes Chriſti für die Gläubigen it die justificatio nicht genannt, fordern ihre Stelle nimmt der Aus drud redemptio ein. Der herrſchende Gedanke ift auch hier da umfafjendere der freien Gnade überhaupt, wie denn der Xridl ſchließt: Sic dooemus, Christum esse solum totius mundi vatorem, cui & patre eoelesti ommia donata sunt, in ge solo tantum salus est, atque adea, ut eam nemo usquam alias adepturus sit, etiam nullis factis 'seu operibus, vel sus vel alienis (cit. Apg. 4, 13. Röm. 10, 13. 1or. 3, 11). - Die Zueignung des Heil ift vielmehr ein Werk des Heiligen Geiſta (Art. 6), wobei ebenfalls bezeugt wird, daß itidem Spiritus Sar- ctus nullis hominum operibus aut factis demereri potest: vielmehr gratuito exque pura Dei donatur misericordia ill. quem Deus salvandum in Christo praedefinivit,

Nachdem dann Art. 7 von der Kirche gehandelt hat *), Hank

a) Die Definition lautet: Est autem ecclesia seu major seu minor ett dentium in Christum per evangelium collectorum numerus juxta i Christi: Matth. 18, 20. Cum enim Deus promulgatam jam a# exhibitamque in Christo misericordiam, mentibusque humanis ir pressam, ratam hominibus et fieri et haheri per Spiritum Sancın vellet, placuit in id muneris certa quaedam exteriora media ments itidem suam declarantia constituere, quibus id apud suog effidst quatenus tam benignae Dei erga se voluntatis eertissimi sint. Ia- que constituit ministros verbum seu evangelium - sacramenta seu ritus evangelio accommodos... his mediis Deus fideles suos in ecelesia ordinat, regit, provide & conservat ad vitam aeternam ..... Quapropter quieunque vet veram fidei salutisque rationem adsequi et habere, certissimusgi de Christi erga se favore deque meritis ilius, num scilieet eorıs particeps sit, reddi, hunc oportebit ejusmodi ecelesiae incorporani..-

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ftt. 8 .de poenitentia alfo, daß diefes Lehrftüc fich auf's ngfte. am das vorige anſchließt; denn es wird da bezeugt, daß ur in dieſer Kirche Chrifti, deren Kennzeichen ſoeben genugfam angegeben felen, wahre Buße und Vergebung der Sunden ftatt- nde; dieſe rechte ans Gottes Wort hervorgegangene Buße führe ie Menſchen in die Kirche hinein, und wenn fie gefallen feien, vieber in dieſelbe zurück.

Das Wefen diefer wahren Buße (oder Belehrung) wird dann » beftimmt, daß fie ein reines Gnadengeſchent von Gott fei, kraft eſſen der Menfh im Glauben an Gottes Wort fih als mndserdorbenen Sünder und Zornesfind erfonne und von Schmerz nd Angfi darüber erfülkt werde von Furcht vor dem Zorn jottes, aber dies vorzüglich deshalb, weil er als untreuer Sohn a diefem feinen fo gütigen Vater abgefallen el. Aus biefer hkenntnig und Empfindung geht aber nun auch eine neue Willens⸗ ihtung hervor: tum posthac audito tam laeto, evangelico rius irati nuntio, quo favor illifus?] in Christo annunciatur, er fidem totus assurgit confidenter, "mutatur a melius, decernitque apud se, non ultra ex onfesso ac studio peccandum, quin potius pre ar- itrio Dei patris sui bono, ad quod creatus est, vitam tran- igendam. Atque interim misericordiae Dei per ministerium 'vangelii oblatae ac receptae totus innixus eam conse- ui ac per Christum justificari summopere oupit. ‚tque haec est illa apud nos poenitentiae et origo et ratio, c quoque Christus eam omnibus praedicari voluit, scilieet a fide sua, h. e. illius misericordiae nostri gra- uito miserentis habenda fiducia.

Diefe Buße, wird dann weiter gelehrt, twete jederzeit wieder ein, » oft der Gläubige etwa in einen Irrthum oder eine Todſunde arückgefallen fei; denn, heißt es, homo peccati lege corruptus

Spiritus enim, Sanctus per ministros administrationesque illorum sa- lutem operatur, et Christus prope legis jure id a suis exigere vi- detur dicens: Amen amen dico vobis: qui accipit si quem misero, me acoipit; qui autem me adelpit, eum, qui me misit, accipit.

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et vitiatus in multos variosque lapsus etiam nolens in- eidit. Aber es ift dies immer das Nichtfeinfollende, Fall und Krankpeit; denn Diejenigen, welche gratiae Dei vere partieipes sunt atque bonum illius sentiunt, hi ex animo peccare mi- nime possunt, summo enim odio prosequuntur peccatum, et si quando contingat, eos decipi, seu labi in pecca- tum protinus resurgunt, resipiunt et ad se redeunt, ut Petrus et alii, et modis omnibus cavent ea, quibus Deum offenderent. Die poenitentia ift hiernach die ueravom im Sinn der Evangelien und der Apoftelgefcichte, die Bekehrun des Menſchen im Glauben an die Gnade Gottes im Chris und als ethifhe That, freie Hingebung in den Gehorſan des Glaubens und der Liebe, die Belehrung nach der Seite, nad welder fie eo ipso ber Anfangspunft des fortgehenden perſönlichen Heiligungslebens ift. Und doch ift derfelbe Vorgang fo beftimm nad) Urfprung und Weſen als Werk Gottes, feiner Gnade ım feines Geiftes, im Menſchen bezeichnet, daß allem pelagianifce Sichfelbftbefehren der Raum genommen ift. Das Eharakteriftiid ift nur dies, daß jenes beftimmte Moment, welches bei Pauls am meiften unter den Apofteln jelbftändig Hervortritt und dm der Reformation in gleicher Weife, ja faft bis zur einfeitigen Ans fchließficgfeit betont wurde, bie Vergebung der Sünden, de Aufhebung des Schulbbanns der Sünde, zwar keineswegs feilt, aber doch nicht fo allbeherrſchend auftritt. Eutſprechend fehlt dr Begriff der justificatio, den man gerade bier durchaus er warten würde, zwar nicht ganz, aber er kommt jelten und nicht in beftimmt ausgeprägter Bedentung vor.

Diefer gefammte Standpunkt zeigt ſich zunächſt ſchon darin deut lich, daß der nächſte (Ne) Artikel handelt: de foedere pomi- tentis vere et ex animo cum Deo ineundo —, und dam fogleih der 10te de bonis operibus folgt. Im 9ten mir gefagt, daß der durch die evangelifche Gnadenbotfchaft wieder auf gerichtete Büßende nun feines Antheils an diefer Gnade götllit gewiß zu werden wünfche, und dies geſchehe durch das Bundet verhältniß, in welches er im Glauben mit Gott trete. Dadurh werde die vor Alters gegebene Berheigung Gottes erfüllt und je

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über die Lehriweife ver böhmifchen Brüder. so

wohl Gott mit uns als wir mit Gott offenbarlih und zweifellos serföhnt. Von Gottes Seite beftehe diefe Bundſchließung darin, »aß er, nachdem er einmal in feiner grundfofen Barmherzigkeit in Sprifto das Heil begründet und beſchloſſen Habe, uns daſſelbe durch en heiligen Geift unter Vermittelung des dazu eingefegten Amtes uzueignen, fi num dem Sunder bundmäßig verpflichtet, „obligat, 'emissurum se illi peccata eumque justifican- lum‘. Ob biefe beiden Begriffe Hier gleichbedeutend fein follen, der als verfehiedene nebeneinander geftellt find, erhellt nit. Im folgenden finden wir Stellen, die für das Eine, aber auch ſolche, ie für das Andere ſprechen. Wahrſcheinlich war eben der Sprad- chrauch in Bezug auf den terminus „justificatio‘‘ den Brüdern uch nicht ſcharfer feftgeftelft, fondern ſchwankte zwifchen der pau⸗ luiſch⸗ veformatorifchen und der auguftinifch - römiſchen Saffung, wie ih daſſelbe ja auch bei Luther in der früheren Zeit nachweiſen it. Bon des Menfchen Seite befteht die Bundſchließung in er Hingebung feiner jelbft an Gott, devotio sui ipsius Deo, prin- ipio (1) per veram indubitatamque cordis fidem, per evan- elii integri praedicationem adeptam (?), perque (2) liberri- ıam in eadem fide sui ipsius consecrationem Deo, demum 3) per oris confessionem publicam sive solemnem cum re: ignatione totius impietatis. Auf dies öffentliche Bekenntniß der teubefehrten vor dem Wolle Gottes und den Dienern der Kirche gt dann ‚durch deren Handauflegung das göttliche Siegel ber Ab- ilution und Erlangung der Gnade Ehrifti. Dadurch wird die sch die Taufe auf Ehriftum ihnen ſchon Tängft bezeugte Ver⸗ bung der Sünden offenbarlich erneuert und nun erſt dem Gläu- igen als ſolchem zu feinem perfünlichen Befig und freiem jebrauch übergeben, wodurch er zum vollberechtigten Gliede am eibe Chrifti, der Gemeine, eingefegt wird (er. 31, 31. 34. Röm. 0, 10. 1Tim. 6, 12 [„ad Titum‘“J. 1Theſſ. 4, 3. 1 Petri ‚21. Macc. 16, 16.)

Im 10. Artikel Heißt e8 dann weiter: Docemus, post conse- rationem sese Deo, tam in nos propitio, per adeptam sic emissionis peccatorum gratiam, ut Deo confoederati, quis- ue pro sua,virili, bonis operibus sese aceingat. Matth.

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28, 19: Docete baptizantes docentesque eos servare omnia quaecunque praecepi vobis. Haec 'autem omnia ma- xime consistunt in fidei exercitio et in imptetione mandatorum Dei. Ante omnia enim de fide dieit: hoc est opus Dei, ut credatis in eum, quem pater misit; atque hinc patet, fidem esse primariam ac Jignissimam omniun, laboriosissimum utilissimumque opus, ex quo omnia reliqua opera non secus atque ex optima arbore optimi fructus «- piosissimi salaberrimique prodeunt, et sunt Deo acceptissim haec opera gratissimaque.

Atque de hujusmodi [operibus] dieitur: Qui vult ingreä vitam, servet mandate. Sic Apostoli ex mandato magisti sui se gesserunt, quod scilicet ad fidem susceptos ac bapi- astos docebant, ne in vanum hoc est mihil operanten gratiam Dei reciperent. Ea vero ipsa bona vpera ob id facienda docemus, prima ut voluntati divinae ma a nobis geratur. Namque ipsius, inquit Apostolus, sumui figmentum, conditi in Christo Jesu ad bona opera, ut in ds ambularemus. Haec enim post aoceptam gratiam certum | est illi grata esse et saluti hominym conducere. Secundı ut per bona opera firmam vocationem et electionem effce | remus (2®etri 1). Tertio ut per ipsa bona opera in adepa | jam misericordia Dei conservari valeamus, neve per eorun missionem in pristina peccata relaberemur ete. Quarte; ut in gratia Christi magis ac magis profigeremus et augere mur, atque hinc ut certius divini favoris erga nos habente argumentum, majorem fiduciam et consolationem ac speu in diem adventus Domini nobis colligeremus.

Postremo docemus, quod bona opera citra Jesı Christi fidem, quantumvis magna, quantumvis in specien facta, non justificant coram Dgo, qui ad oceulta cor- dium intuetur, novitque omnia..... bona opera externs Deo non satisfaciunt neque gratiam seu favorem promt- rentur..... E diverso in fide Jesu Christi omnis open etiam exigui ponderis in speeiem sunt acceptissima, salı- taria, benedjcenda et fructum allatura, ob id, quia sanch“

über die Lehrweiſe der böhmifchen Brüder. 608

cationeın suam per Christum assequuntur et eertam pro» ıissionem mercedis et gratiae habent.

Nachdem hievanf der 11. Artikel von der Waffenrüftung Gottes, nd der 12. von der rechten Art des Kampfes gehandelt hat, ſpricht "13. de fiducia in Christum, quod scilicet per fidem | adhaerentibus et non secundum carnem versantibus nulla t condemnatio. Die unvermeidliche Süudigfeit und Schwachheit r Glaubigen, heißt «6, hat die Folge, daß oft das Gemüth nieder beugt wird und dann des Troſtes im Glauben an Ehriftum bes if, in quo (Christo) et peccatorum condvnatio et defectuum t imbecillitatum nostrarum perfectio, denique omnis ostra justificatio reposita est. Der Begriff der justi- catio geht hier, felbft wenn er den der condonatio peccatorum it einbegreift, jedenfalls auch auf die perfectio, die endliche Durch- Aligung der Gläubigen. Weil aber jene immer das Erfte und undamentale ift, wird mit allem Naddrud darauf hingewieſen, wir in feftem Glauben Ehrifto anfangen follen, gewiß, daß m feinet- und feiner Vertretung beim Vater willen über Den- nigen feine Verdammniß mehr fei, welche ihm durch den Glauben gepflanzt find. Denn dann haben wir ihn zu unferm Für— weher, der zur Rechten des Vaters fteht und die Verfühnung ift ie ale unfere Gebreden und Schwachheiten.

Aber Hier wird nun auch darauf hingewieſen, dag nicht jede Sünde fo unter der Gnade Chrifti ftehe,. fondern daß es auch ne Sünde gebe, fr welche feine Vergebung zu hoffen jei: Do- mus, peccata bifariam dividi, in irremissibilia et remissi- ilia: remissibilia (seu ut aliqui volunt venialia) esse ea; uae ex lege peccati, quae in carne est, exque naturali cor- uptione omnes actus nostros sequuntur. Qui autem dicit, e peccatum in diefem Sinn non habere, hic fallit 8 ipgum, Joannis testimonio, et veritas in eo non est, quin otius cascus est, qui neque se ipsum, neque inhabitans in e peccatum agnoseit. Et quamquam pii ac fideles malum oe, quod oderunt, designant, aeque ut alii, non tamen id x animo aut studio seu ex perversitate, neque etiam de- ectantur seu gaudent eo, sed magis id accidit illis invitis,

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siquidem malum hoc in se ipsis summe detestantur ac ex eo gravissime dejiciuntur animis etc. Qui ejusmodi sun jam non illi hoc malum operantur sed inhabitans in ilis peccatum. Atque ob id ejusmodi peccata, quantumcunque etiam enormia, docemus quod sunt venialia sive remissibilia. quia Christus pro illis hostia sacrificiumque patri adsistit (1908. 2, 1. 2. Röm. 8, 1).

Atque hic est ipsissimus et efficacissimus locus, immo et summa extremaque animorum dejectorum ob eam corruptic- nem assiduamque peccabilitatem necessitas coenae scili- cet extremae institutio etc-*)

a) Mit beredten Worten bezeugen bie Bekenner hier aus lebendiger Exfahrun die göttliche Kraft dieſes zweiten Sacraments, in welchem bie ganze Fül der duch Chriſti blutigen Verſöhuungstod eröffneten Gnade Gottes üb die Seinen von biefen in dem unter der fichtbaren Geftalt des Brodes un Weines dargereichten Leib und Bfut Ehrifti empfangen, das Gewiſſen ei wuhigt, und ewiges Heil gotteaftäftig ihnen zugeeignet wird. ide fie da an bem äuferen Prunk der Ceremonie, wenn die Herzen boch todt um umerpfänglich feien. Die aber, deren Herzen Gott mit feinem Lebenshusd angeweht habe, daf fie verfichen, was ihnen hier verliehen wird, feiern k in innerer Anbetung Gottes und Chriſti und werden mit fo überfchmän: licher Freude und tiefer Beugung erfüllt, daß fie ſich nicht Laffen fon, jondern oben müffen, preifen und danken und verfünbigen alfenthafer wie freundlich der Herr ift. Mögen daher Andere dies hochheilige Cam ment zu einem Anlaß todten Formdienftes und tödtenden Geplärres mads Luthers „Lören uud Tönen“ —, wir fireiten hier mit ihnen nik weiter. Das aber follen fie wiffen, daß wir arme geringe Leute vom dicke unferen Belenntniß über das hochheilige Gacrament und beffen hädfer ehrerbietiger Werthihägung niemals Laffen werben. Daffelbe ift unſer bei, theuerfter Schatz, in dem das Heil, das ewige Leben, die Vergebung u ſerer unzählbaren Sünden und Schwachheiten uns nicht durch fchmaht Menſchenwort, fondern duch die ewig gültige Einfegung des allınädtige Gottesfohnes ſicher verbürgt if. Hier ſtehen wir; daranf wolle wir feben und fterben. Das wollen wir noch mit dem letter Athemzug dem Tode, der Hölle, dem Teufel und allen Bir den entgegenhalten, die mit Chriſto au's Kremz geheftt! und getöbtet find. Dort mag unfer ewiger Feind, ber Zeuftl, unfere Sünden uns vorwerfen, wir find geborgen in der offenen Seite Iefu Ehrifi

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Sodann heißt e8 weiter: Irrcmissibilia haec esse docemus: ncredulitatem sc. verbo Dei, sancto Evangelio, um omnibus, quae ipsum amplectitur, obdurativnem ıervicacem in malo, contradictionem veritati studiosam t ex professo sive ob vanam gloriam, sive alicujus di- nitatis seu favoris obtinendae gratia, aut ex suimet ipsius omplacentia apertissimae sc. illi probatissimae ac invic- issimae veritati, usque etiam ad blasphemiam tum illius am etiam eorum, qui amplectuntur eam. Et ad hanc ntentionem irremissibilia sunt omnia idololatriae peccata t alia quaeque contra Deum et proximum admissa. *) Item, i quis post adeptam hujus Evangelicae veritatis cognitio- em, quibuscungque occasionibus sive causis suapte sponte st consulto ab ea exciderit et nec admoneri sustinet, fin etiam in admonitores fertur hostiliter, et peccata sua xtenuat, tuetur et excusat etc. Haec atque iis similia ir- emissibilia diserte pronunciamus, nam an non recte huc- eratur illud Joannis: Est, inquit, peccatum ad mortem; on dico quod aliquis oret pro eo. Et ad Hebraeos: Vo- mtarie, inquit, peccantibus nobis post acceptam notitiam eritatis jam non relinquitur pro peccatis hostia, terribilis utem quaedam exspectatio judieii et ignis vehementia, qui evoraturus est adversarios. Et Christus: Qui dixerit, in- ut, blasphemiam in Spiritum Sanetum, is non habebit re- issionem, sed dignus erit igni aeterno.

Schließlich Handelt der 14. Artitel de confidentia per- everantiae in Christi gratia usque ad vitae inem.

Hier heißt es: Docemus, ut fideles certissima fiducia Deo ihaereant, in gratia ejus ad finem vitae perseveraturos et »st hanc vitam habituros aeternam perfectamque resur- ectionem ac nunquam finienda gaudia in locis amoenissimis »elestis patriae, cujus quidem firmissima extant testimonia Joh. 10, 27. 28. 1 Petri 5, 10. 11). Isto decimo quarto

„») Diefer Satz fehlt in der Eonfeffion von 1582.

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Articulo perinde ac certissimo desideratissimoque ac prac- cedentium oolophone sub certa spe oonstituimus et stabili- mus fideles, ut ea velut. firmissima jacta anchora secure potiantur ac innitantur, trajicientes videlicet ad ea usque. quae sunt intra velum, ubi praecursor noster ingressus eit. Jesus Christus. Amat enim Deus quod aequum est ne

unquam sanctos suos deserit sed perpetua custodia fie

eos. Porro id cum primis necessarium ducimus, ut populs fidelis de salute sua reddatur certissimus, non modo in principio conversionis et medio, sed etiam d fine, ut vera cordis pace gaudeat eo quod certo rei quod Deus, qui in eo coepit operari salutem, idem et pt ficiet et certissimam dabit perseverantiam usque in fin vitae et posthac ad aeternam salutem perducet; id ven totum ob solum Jesum Christum, in quo totius hujus cw- solationis summa plenamque gaudium dependet. Cui | laus et gloria!

Hiermit ſchließt das eigentliche Belenntniß über die Hauptlet: punkte, zunäcft der zweite Theil der ganzen Schrift. Es fee! aber noch einige wichtige und chärakteriftische Bemerkungen alle) meinen und principielen Inhalts in Betreff des gefammten a geitellten Kehrgebäudes und der Wichtigkeit, melde gerade deu) Ganzen als folgem und der gehörigen Gliederung) deffelben in feine einzelnen Theile zukommt. Mehrfache u wichtige Urfachen, heißt es, dringen zur forgfältigen Weobaditei dieſes ordo seu methodus docendi. Erſtens, daß inmitten te vielgeftaltigen Lehrweiſen der Zeit da8 Gemüth in Allen, was W Hal angeht, Haren und ſicheren Grund habe. Zweitens, daß i nachtheilige Verwirrung der Lehre vermieden werde, melde an da Anfang ftellt was an's Ende gehört und umgefehrt, wodurd de einzelne Lehrwahrheit ihre ganze Bedeutung und Kraft, die ihr ıw rechten Pla im Gefammtorganismus eignet, verliere. Dada werden denn oft gefährliche Irrthümer und feichte Lehren unter des Borwand der Schrift und ihrer Wahrheit eingeführt. (ine joler Zerreißung des rechten organiſchen Yehrzufammenhangs fei der & fundheit der Lehre ebenfo nachtheilig wie ein gleiches Verfahren m

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Bezug auf den menfchlichen Leib. Wollte man deſſen einzelne Glie⸗ der auseinander ſchneiden und abjondern aus dem Gejammtzufan- menhang des Leibes, fo wäre derfelbe, ob auch feines der Glieder fehlte, doch aller feiner urfprünglichen Harmonie beraubt, und jedes Glied für ſich unfähig gemacht zu der Wirkfamkeit, welche es dem Ganzen zum Dienft und zum Schmud ausüben foll.

In Anwendung diefes treffenden Gleichniſſes Heißt es dann weiter: Quidam sunt, qui arrepto mordicus aliquo fidei seu religio- ais articulo, puta de sola fide, aut de bonis operibus; sic etiam de aliquo sublimiore vitae genere, aut de libertate Christiana; aut etiam de sacramentis deque .coena Domini maxime, sive itidem de pote- state sublimiore, adque id genus quocunque e scripturis dvinis extracto, tum hoc solo pro summa totius religionis srepto, magnas movent: in ecclesia Dei tragoedias .... perinde atque in eo, quod sic tumultuese exagitant, totius salutis salutarisgue doctrinae puppis ut ajunt et prora pen- deat, aliis articulis ac sententiis, non parum multis aeque huic negotio necessariis, immo vero longe utilioribus intactis relietis. Fit itaque, ut hoc truncato ac confuso docendi genere ac eorum, quae coherere sibi invicem debuerant, divulsione nihil aliud quam etiam simultas et odium sup- pullulet et alatur, veraque interim pietas salutarisque doc- ins, quin etiam germarus illius sensus corrumpatur et Bxtinguatur.

Hier waltet unverkennbar eine pofemifche Tendenz, und zwar, wie's ſcheint, nicht blos gegen die römiſche Kirche, auf welche Artt. 2. 3. 6 ſich beziehen, fondern auch gegen die lutheriſche Lehrweiſe, welche Artt. 1. 4. 5 treffen. Hierin feheint deutlich der Standpunkt des Lukas in der Zeit von 1522—1528 nachzuklingen. Der ihm nachgeruhmten, Unklarheit“ könnte auch die wunderliche Reihenfolge diefer Punkte zugefchrieben werden. Oder wäre es Politik um die Polemit mehr als eine’ allgemeine theoretifche erjcheinen zu laſſen? Wahrſcheinlich aber follen die Ertreme in drei Paaren einander gegenübergeftellt werden, nur daß dann im zweiten Paare, abweichend vom erften und dritten, das katholiſche Schiboleth zuerft

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genannt wäre, und das dritte Baar feinen Gegenfag in ſich [hlöfe, fondern nur je einen von beiden Seiten befonder& hervorgehoben und polemifch geltend gemachten Lehrpunft aufführte.

Hiermit fchließt der zweite Theil der Apologie, der wie der exfte zu den urfprünglichen Beftandtheifen der Eonfeffion von 1532 gehört, nur daß die Apologie in Allem viel ausführlicher ift. E folgt nur noch eine Rechtfertigung der Autoren (bei Lydius, P. 176), daß fie hier nicht die altgewohnte Zwölfzahl von Ar tikeln beibehalten hätten (auch diefe kurz in der Confeffion von 1532), wie fie fi) in dem früheren Schriften der Brüder fink, u. a. auch in der lateiniſchen Apofogie, welche (olim) zu Nürnben gedrudt worden jei (utcunque inerudito stilo scripta). Did ift nad) ©. 296 im Jahre 1511 geſchehen. In diefer Ausyık miüffen wohl die zwölf Punkte hervorgehoben worden fein; deu in. der „Apologie“, welche Lydius unter dem Titel Excusatio fn- trum Valdensium contra binas literas Doctoris Augustin datas ad Regem vom Jahre 1508 (II, 34sqq.) mittheift, finkt ſich diefe Einteilung nit; und doc feheinen beide im eat: lichen .diefelbe Schrift zu repräfentiren, denn Gindely führt die Exeusatio nicht an, fondern nur diefe „Apologie für Jedermann' sub 1508 (Fontes, No. 8.).

Der dritte Theil Hat die Ueberſchrift: Quo ordine ac nitu in ecclesia nostra administratio salutaris fiat apud nos, qus que pacto et forma in eam exteri recipiantur, quis denique usus clavium (p. 177—188 bei Lydius) entſprechend 5 der Eonfeffion von 1532 ebenfalls dem dritten Theile.

Neu Hinzugefügt bei Abfaffung diefer Apologie ift num aber ei fpätere Erörterung über die Rechtfertigung oder Heilsaneignum, welche die Apologie von 1538 innerhalb des vierten Theile gibt (Lydius, p. 189sqgq.: De ministris ecclesiae nec non ei administrationibus Christi, quae sunt verbi Dei & sacramentorum, im Uebrigen ebenfalls dem vierten Theile in br Eonfeffion von 1532 entfprechend). So fagt aud) ein Bericht ir Brüder bei Gindely (Fontes, p. 27), daß die Brilder fih da: mals ausführlicher über ihre Lehre von der Nectfertigun ausgeſprochen Hätten. Das ganze Stüd de excellentissima verbi

über die Lehrweiſe der böhmifchen Brüber. 609

Dei administratione ift fehr ausführlich (bei Lydius, p. 205— 255), während das entjprechende erfte Stüd des zweiten Abfchnitts im dierten Theile der Confeffion von 1532 ziemlich kurz ift und nur Inhalt und Bedeutung des Wortes Gottes zur Seligkeit oder zur Berdammniß einfach Hinftellt. Hier in der Apologie Hören wir S. 221), daß das Wort Gottes, rein nach der Schrift verfünbigt, us bie drei für uns hochnöthigen Stüde lehre: principio poe- ıitentiam, mox fidem, postremo dignam vocatione vi- ‚am. Die erftere durch Vorhaltung der Schuld und Strafe der Sünde, die zweite durch Bezeugung der unausdenklichen Gnade Bottes in Ehrifto gegen diefe Sünderwelt; die dritte durch Auf- forderung zu den rechten fructus justitiae, ut jam justificatos decet. Der erfte Punkt wird dann S. 223— 227 ausgeführt, der zweite S. 227—231, ber dritte S. 231—234, und von da his S. 236 folgt die Schlußzufammenfajjung, daß diefes dreifache Zeugniß treu und lauter darzubieten der Zweck des evangelifchen Predigtamtes fei. Dann folgt ©. 236 ganz im Sinn der ben ingeführten Lehrprincipien ein nachdrückliches Zeugnig, daß Yiefe vollftändige Lehre des Wortes Gottes nicht zerſtückelt verden dürfe, und eine Rechtfertigung, weshalb die Brüder, Ihe die beiden erften Stüde zu vernachläffigen, die dritte operatio rerbi divini befonber® betonten bei Denen, qui jam pridem a nultoque tempore adepti sunt divini favoris per fidem gra- iam peccatorumque remissionem seu justifica- ionem in Christo Jesu, quandoquidem hujus :onditionis major pars nostri populi sub nostra pastura sit, mit feharfer Verwahrung, daß fie deshalb die Seligkeit auf die Werke gründen wollten, wie wohl Manche diefen Verdacht gegen fie hegten: nescientes miseri, quod in evacua- tionem quin etiam contemtum Evangeli recta ferantur, qui docent, quod nemo placere Deo possit, nisi prius plenus bonis operibus fuerit.

Damit ift denn eine neue und fehr ausführliche Erörterung über Rechtfertigung, Glauben und Werke eingeleitet, welche den übrigen Theil des Abfchnitts füllt, und von der die Eonfeffion von 1532 Nichts hat. Die Iektere Handelt im zweiten Theile, dem

Theol. Stud. Jahrg. 1868. 4

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eigentlichen Glaubensbelenntniß, sub 8 von der Buße, und zub9 von dem Önadenbund Gottes mit den Gläubigen, ebenfo wie die Apologie, aber ohne den Begriff der Rechtfertigung ſchärfer hervor: zuheben oder beftimmt zu erläutern. Dies foll die Apologie nun nachholen, aber fie thut es in fehr eigenthümlicher Weiſe.

Hier nämlich tritt der Begriff der justificatio nicht in der enger Verbindung mit der remissio peccatorum auf, wie in den am geführten einzelnen Stellen früherer Belenntniffe und uoch zug diefer Apologie felbft, jondern wird (S. 237) mit salus („salıs sive justificatio *“) gleich gejegt, und dem Begriffe eine dreifadt Bedeutung gegeben. Erftens bedeutet er die ewige, unbedim Guadenwahl, melde der dreieinige Gott vor aller Zeit üht die Seinen beſchließt und innerlich vollzieht, wodurch er eim Solhen „apud semetipsum et.per semetipsum solum pr suo non alterius arbitrio justificat, favore suo digaum faeit ..... nullo jure aut debito, aut etiam illius favori sensu et notitia ulla, tanto minus absque quibusvis merits illius hominis, vel etiam cujusvis alterius .... . quande- quidem omnes homines nihili et peccatis corruptissimi et re fertissimi sunt. In der Zeit aber macht Gott nun durd de Sendung des Sohnes und das Zeugniß des Heiligen Geiftes did freie Gnade den Erwählten fund und fegt fie für fie in Mit Alſo in der objectiven Heilsbegründung, theil als vorzetis j ewiger, theils als zeitlich geſchichtlicher, beſteht diefe erjte just: ficatio. Diefe justificatio, quae ita pendet in favore illo De patris, in meritis filii Dei et in donationibus seu illationibw

üs in mentes nostras Spiritus Sancti wird dann bezeichnet alt

die substantialis justificatio, seu justificatio ex parte Dei, ob id, quod in solo Deo sit et „extra hominee tota“ et extra omnia alia. Ohne diefen allein von Gott gr legten Grund der freien Gnadenwahl, wird dann weiter verfidert könne nichts Anderes, es fei was es wolle, den Menfihen vor Got gerecht machen (justificare apud Deum), neque ipsum verdur solum, neque itidem sacramenta illa, sed neque poenitenüs aut quantumeungue magna opera bona, neque ipsae afflictio- nes neque item misericordia et quaevis beneficia in proxinos

‚über die Lehrweife ‚der böhmifchen Brüder. 61

quin immo ne fides ipsa quidem hominis (damit ſoll wahrſcheinlich ein „‚propter fidem‘‘ im pelagianifchen Sinn aus- geigloffen werden) aut etiam virtutes, in summa nihil, quod vel in coelo vel in terra inveniri potest, tanto minus in in- feris vel purgatorio.

Zweitens aber wird gelehrt (&. 242), quod salus seu justi- ficatio est et etiam sit (fein fol?) ex parte hominis sub- stantialis, et haec quoque quod consistat et dependeat in novitate creaturae, aut in divina ista spiri- tuali regeneratione, quam ipse Deus in homine opera- tur eo tempore, quo illi libitum fuerit, ut possit ad ex- ternum fili sui verbum resonare jam suum echo: illi eredere, obsequi, parere, eo regi, poenitentiam seriam agere, idem, spem et charitatem ceterasque virtutes adipisci, in is adolescere, proficere et aedificari juxta vim a Deo sibi donatam . ... Quae quidem regeneratio jam non fit neque agitur extra hominem ut illa prima... sed est circa ho- minem et in ipso homine; non tamen aliunde quam ab illis jam dictis substantialibus. influentiis divinis (Hier lingt der ſcholaſtiſche Begriff der gratia infusa bdeutlih nad) procedit, atque citra omnem meritorum vel cujusvis dignitatis hu- manae, ut in prioribus, 'respectum; ex quibus (influentis) quidem, velut e fonte aquarum viventium rivuli isthaec (? gemeint find die vorhergenannten Gnadenfrüchte, der Glaube, ber Gehorfam u. ſ. w.) procurrunt suavissimi ad hominis con- solationem et futurae vitae delibationem, sed et ad certitu- dinem et argumentum filiationis et electionis Dei evidentis- simum. Diefe zeitlih-fubjective justificatio alfo, als Neugeburt im dynamifhen Sinn, regeneratio zu Buße und Glaube, Liebe und Gehorfam gibt den Begnadigten theils den - Vorſchmack des ewigen Lebens, der fünftigen Geligfeit, theild das Thatzeugniß und Siegel jener vorzeitlichen justificatio sive electio. Sie kommt zwar nit zu Stande ohne geordnete Bermittelung durch die Kirche und ihre Diener, melde das Wort von Ehrifti Mittlerſchaft und die Sacramente verwalten, aber die Seligkeit und Heilszuverſicht beruht für den Begnadigten doch weniger auf dieſem

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objectiven Zeugniß von Ehrifti objectiver Sühnthat welde fir, wie fonft auch, verhäftnigmäßig fehr zurüctritt gegen den allgemei- neren Begriff der innata filii in nos benignitas, propensissims filii bonitas etc. als vielmehr auf der fubjectiven Er: fahrung des Erneuerungswerkes Gottes im Herzen, der [inchoata]| novitas des Menſchen.

Gehört dazu num freilich auch jene remissio peccatorum, welche dem bußfertigen Glauben zu Theil wird, fo ſchließt dieſer Begrifi doch nicht: jo wie bei den Reformatoren alles Uebrige, „Leben un

. Seligfeit“ bereits in fih, und wenn mit demſelben der andere de justificatio verbunden wird, fo bedeutet diefer Ausdruck im Zr fammenhang diefer Erörterung vielmehr eben das zu dem jwribifce Moment der Gnade hinzugehörige Dynamiſche. Die justitia welche dem Menfchen fo in der Zeit zu Theil wird, salıs, iſt nicht eigentlih, am wenigften ausſchließlich, eine justitia im- putata, forensis, fondern vielmehr weſentlich eine justitia infusa inhaerens, das justificare ift ein justum facere.

In diefem Sinn heißt e8 ©. 243 weiter: Opus quoque hot Dei intrinsecum in homine recte et aptissime ac propris- sime et dici et haberi, ac quidem esse re ipsa et actu sa- lutem seu justificationem ipsissimam. Hic enin jam homo non solum occulte ac secreto apud Deum et in Deo justificatur aut armatur (?) vel in deliciis Dei es. verum etiam et apud semet jam ipsum in corde et in ips sua conscientia, scienter et sensibiliter sibi ipsi, e salvands esse se omni certo certius habet, sed et apud homines ... quin et juxta ipsam veritatis sententiam.... pro tali ju stissime pronunciatur ac justus justissimo Dei judicie effieitur.

Die Anſchauung ift eine ähnliche wie bei Oſiander, wenn er erftens an Chriſti Kreuz die allgemeine Vergebung der Sünde voll: zogen werden läßt und dann zweiten® jeden Ginzelnen zu feiner Zeit gerecht gemacht werden durch feine Einpflanzung in Epriftum: nur daß das erfte Moment noch weiter zurüd verfolgt ift bie in feine Telgte Wurzel in der vorzeitlichen Gnadenwahl Gottes, worin dann ein Anfnüpfungspunft mehr für die reformirte Kirche un

über bie Lehrweiſe der böhmifchen Brüder. 13

deren Lehre von der Heilszueignung liegt. Das biblifch -paulinifche Schiboleth der Intherifchen Kirche: Chrifti objective Verföhnungs- that und die Rechtfertigung durch den Glauben an diefe allein ale actus forensis, ift zwar nicht geleugnet oder ausgeſchloſſen, aber unverkennbar ſehr zurüdgeftellt. Dagegen fehlt wiederum jedes Element der pelagianiſchen cooperatio, durch melde die römifche Lehre ihre infusio gratiae sive justitiae unterbaut; ber allgemeine bibfifche Begriff der freien fchöpferifchen Gnade im Sinn von Eph. 2, 8—10 und Röm. 8, 29. 30 ift unverfümmert im Recht gelaffen, und der ganze Vorgang diefer zeitlichen regeneratio wird in biefem Sinn (S. 244) ausdrüdfich nach Joh. 3 mit ber phy⸗ figen Zeugung verglichen: siquidem Deus hominem prius, non secus atque in utero matris vivificat, componit et denuo recreat (quod jam apud Deum justitia est), quam ab extra illuminat, cum juxta promissorum suo- tum fidem aufert ab eo cor lapideum .... et tradit illi vim, quae illud mollificet et carneum faciat, ut sit alacre, obse- quiosum etc. In diefer Beftimmung berührt ſich der Lehrtypus vielmehr mit dem der fpäteren Tutherifchen Dogmatifer, wenn fie fraft der Taufe die regeneratio bereits eintreten laſſen, ehe die iubjectid bewußte Glaubensaneignung des Verdienftes Chrifti, die justificatio im engeren und entfdeidenden Sinn, erfolgt, Uber die Brüder nennen folche recreati eben bereits justificati, nad) ihrem Begrifiszufammenhang, und zwar ſchon zu einer Zeit, wo diefe renovatio ihnen nur erft dem göttlich objectiven Anfang nad zu Theil geworden, in das are fubjective Bewußtſein aber noch leineswegs eingetreten ift, fo daß fie certum de se ipsis judi- cium hac in parte facere nesciant, scilicet illine ipsi sit,n an alii electi Dei et ejus regni fili, plane ut neque ipse noviter natus infantulus ad longam usque aetatem potest debite judicare, quamquam et audiat et videat ac sensibus utatur, fruatur sole auraque aetherea et aliis rebus sibi con- venientibus. Geradeſo ift e8 auch mit diefen „ex electorum albo‘“; verum post, ubi’adoleverint, tempore suo sunt ist- haec cognituri namlich die in Wort und Sacrament inzwiſchen ſchon immer van ihnen genofjenen Gnadenfpenden ii citius,

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illi posterius, pro modo et ordine dispensationis divinae. So, heißt es, fei e& bei den Apofteln vor dem Pfingftfet auch geivefen, die damals des Heilands Wort und Werk noch fein wegs wirklich verftanden und doc Erwählte und Begnadigte ge: weſen ſeien, und fo ſei es mehr oder weniger bei Allen: plane non nascitur perfectus et consummatus homo, ut juxta car- nem, ita ne juxta spiritum quidem, verum pusilli prineipio eduntur in lucem, infantuli demum paulatim succrescunt quoad in viros perfectos adolescant. Wenn ſolche Kinder in Chriſto und Anfänger auch fterben, jo werden fie doc) felig frıt der justificatio durch Wahl und Geift Gottes; wer aber länge lebt, der reift in der Schule Gottes. nach dem Worte Eprift: „Wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe“, md nad) dem Gleichniß vom Himmelreich (Mark. 4): „Der Sm mächfet Tag und Nacht, ohme daß der Menſch es merkt.“

Dabei verwahren fi die Brüder aber ausdrücklich gegen dir Folgerung, welche fcheinbar aus diefen Sätzen hervorgehen künnt, als wären bie äußeren Gnabenmittel, Wort und Sacrament, fir diefe recreatio gleichgültig, und gefchähe diefe unabhängig vo jenen als blos finnlichen Dingen. Dagegen hätten ihre Vorfahrt ſchon genügend geftritten. Allerdings aber. haben, fie in dieſen Zufammenhang mehr nur vorausgejegt und furz erwähnt, ald br ſtimmter betont, daß diefe Gnabenmittel die media jeien, durh welche Gott die recreatio bewirfe; und auch im folgenden Abſchrin der von den Sacramenten im Allgemeinen handelt, wird diefm ſammt dem Wort zwar die heilswirkſame Sräftigkeit zuerkannt, aber doch ausdrücklich nur befehränft auf die „electi* (©. 257). Dies fteht in Uebereinftimmung mit der Faſſung der justificatio a parte Dei == electio aeterna. Die auf urfprünglic huſſi⸗ ſchem Grunde (die ecclesia als coetus electorum) ruhen Geiſtesverwandtſchaft mit der reformirten Kirche tritt auch fir in's Licht zu einer Zeit, als bie Brüder ſich derſelben ifrerfeitt noch faum bewußt waren. Denn die nähere Bekanntfhaft mit derfelben fällt für fie erft in das Jahr 1540.

Der Begriff der justificatio erfhöpft ſich den Brüdern aber nod) nicht in den genannten zwei Momenten: dem göttlichen, aufer-

über die Lehrweiſe ber böhmifchen Brüder. 615

zeitlichen, grundlegenden und dem beziehungsweife menſchlichen, in der Zeit ausführenden und verwirklichenden, fondern es gehört zum Vollbegriff ihrer justificatio, wie befonderd S. 248° in furzer Ueberficht ausgefprochen wird, aud das Moment der ſich auswir⸗ fenden Heiligung. Da heißt es: Declaramus, quo modo et quid de justificatione hominis lapsi sentiamus, quo scilicet pacto Deus hunc sibi justificet, scilicet (1) apud semetipsum tacite, secreto ac incomprehensibiliter, posthac (2) et apud ipsum hominem, ipso nondum id agnoscente, tum ac tan- dem etiam (3) cum ipsius ac aliorum quoque certo et evidente testimonio ac sensu, perinternam hujus ritae corroborationem assiduamque, quam Deus, ut regene- tavit, ita educavit ministerio ecclesiae, quae quidem crescit & augmentatur de die in diem, in agnitione Dei ex fide prodeunte, de qua ad Phil. 3: non habeo, inquit Paulus, astitiam, quae ex lege est, sed eam, quae ex fide Jesu Christi est, quae ex Deo est justitia®), ut eum scilicet ıgnoscam et vim resurrectionis et societatis sive communio- is afflietionum illius, cum adsimilor morti ipsius.

Alfo Erwählung, Neugeburt und Heiligung zufammen, sie eine aus der anderen herborgehend, erfüllen erſt den Begriff er justificatio, des justum facere. Zu diefem Sinn heißt es, anächft mit Beziehung auf dieſes dritte Moment, weiter: Quam wi habet, certissimum apud se habet testimonium, quod sit justus apud Deum, gratus illi filius et haeres vitae aeter- nae; et quanto magis in hac vita et justificatione dem neuen Heiligungsfeben creseit, ae seipsum per vir- ‚utem Spiritus Sancti Dei opera agentis exercet, satagitque n omni opere Deo placere, tanto semper majorem justi- ieationis suas apud Deum certitudinem hujus, scilicet

a) Das mi 7 ziores wird übergangen, alfo jedenfalls nicht im Luther's Sinn von einer dem Glauben „jugerech neten“ Gerechtigkeit verſtanden, fondeen richtig fo, daß das dd dem vorhergehenden du weſentlich parallel iſt, und durch beide die menſchlich fubjective Bermittelung (per) und Bor- ausfegung (propter) bezeichnet wird, welche die Ertheifung der dexameuen von Seiten Gottes bedingt,

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beneplacentis et perfectae voluntatis Dei erga se assequitur habetque. Hier erſcheint allerdings dies dritte Moment, die gott- gewirfte Heiligung, hauptſächlich immer als das Mittel unſerer Bergewifferung über ein tieferes und entjcheidendes prius, da jastum esse apud Deum coram, &vairuıov, Röm. 3, 20 —, und ber Inhalt des Teteren wird übereinftimmend mit der Er- Täuterung, welche Paulus und die Neformatoren dem Begriff der dixamoss sive justificatio geben, beftimmt als das gratum esse filium Dei et haeredem vitae aeternae viossole, xingovönov alas —; aber bei alledem tritt dieid beftimmte juridifche Moment nicht fo hervor wie dort, beherrik nicht Alles, fondern ift mehr nur vorausgefegt und amgebeukt Wir finden auch, was charalteriſtiſch ift, faft gar feine Citate au dem Römerbrief, am wenigften aus dem erften und Kaupttkil deffelben, welcher Hierher eigentlich gehört. Aber freilich, was fer zu beachten ift, und von uns ſchon oben bemerft wurde, nun auf nicht etwa eine Berufung auf Jakobus und deſſen von ber par liniſchen abweichende Darftellung des Verhältnifjes von Glaube und Werken und Rechtfertigung, fonbern neben den Berufunge auf Worte Chrifti aus den Evangelien und Zeugniffen des Panlıt ans anderen Briefen befonders Häufige Eitate aus Johannet So heißt e8 an der angeführten Stelle gleich weiter: Atque huc recta id 1 Joannis 8 tendit: filioli mei, inquit, non dil- gamus verbo seu lingua sed ipso actu ac opere et veritate. Per hoc, inquit, cognoscimus, quod e veritate prognati mus et in conspectum ejus suadebimus cordibus nostris. Quoniam si condemnet nos cor nostrum, major corde nostro Deus est et omnia novit. Carissimi, si cor nostrum nos non condemnaverit, fiduciam habemus erga Deum, et quic- quid petierimus, accipimus ab eo, quoniam mandata illius servamus et ea, quae placita illi sunt, coram eo facimus Et inferius: Per hoc; inquit, novimus, quod in Christo ma- nemus et ille in nobis, quod e spiritu suo impartitus est nobis. .

Hier wird nun jenes fich nahe anfchliegende Wort des Paulıt aus Röm. 8 damit verbunden: Quod et Paulus diserte tests

über die Lehrmeife ber bohmiſchen Brüder. 617

ur ad Romanos dicens, quod ille ipse spiritus testimonium eddit spiritui nostro, quod simus filii Dei. Aber baffelbe chäft in diefer Stellung und Verbindung eine beftimmtere Bezie- ung auf das Zeugniß der Werke, als es dort eigentlich Hat. Zwar t ber Zufammenhang von Röm. 8, 16 mit V. 12—14, wo bie tsifche Forderung und Vorausfegung bleibender Gotteslindſchaft fo zergifch ausgefprochen wird, nicht fo zu überfehen, wie von pro⸗ ftantifcher Seite, namentlich bis auf die Zeit des Pietismus, meift eſchehen ift; dennoch aber ſcheint Paulus gerade in ber angeführten ätelfe bei diefem testimonium Spiritus Sancti ſchon wegen 3. 15 und im Zufammenhang mit feiner in den vorigen Eapiteln itwickelten Lehre von der Rechtfertigung zunächſt doch an das mittelbare innere Wort des Geiftes, an das menjchliche Herz, a denken. Der Standpunft, den die Brüder hier einnehmen, ift icht ein unbiblifcher, aber er ift mehr ein johanneifcher als der xciell pauliniſch⸗ reformatoriſche, und zwar ift es ein Johanneis- ms, der noch nicht gehörig durch das pauliniſche Zeugniß unter⸗ aut und ſcharf beſtimmt iſt; alſo wenn man eine ſolche Unter⸗ heidung, wenigſtens dogmatiſch genommen, machen kann, mehr och der Standpunkt des Evangeliums des Johannes als der der driefe (vgl. beſonders 1 Joh. 1, 7.8). Namentlich unterfcheidet : fi) von dem fpecififch- reformatorifchen am meiften, ber doch jer feinerfeits in feiner Polemik gegen das römifche Werkweſen eilich auch dem Paulus felbft gerade nach der ethifchen Seite Hin icht vollftändig gerecht wird. Dies ift hier bei den Brüdern mehr er Ball, wie ſich gleich im Folgenden zeigt, wo auf ſchöne Weife it Verwerfung alles felbfteigenen Gutesthuns, doc die fortwähr ende ethifche Bedingtheit des gottesfindlichen Gnadenſtandes ganz ach dem einftimmigen paufinifch-johanneifchen Zeugniß betont wird: Et e diverso, quisquis eum spiritum Christi qui ho- ıinem Christo adsimilat tum cum corpus peccati mortificat richtige Ergänzung von Röm. 8, 13 aus 6, 6 und Kol.’ 3, 5), onficit, destruit, et loco hujus novam vitam implantat et ‚enerat ac etiam aedificat seu promovet non habet in 'e manentem et hospitantem (im Sinn von Röm. 8, 8 u. |. w., 08 aber nicht citirt wird), is evidentissimum testimonium et

sıs . Britt

clarım argumentum hinc habet, quod penitus non sit, Christi. sed adversarii illids, plenus peccatis, etiamsi bene operari videatur. Et qui peccat, inquit Joannes, ex diabolo est, qui vero ex Deo est, is facit justitiam et quidem hanc, quod verbum Dei propensissimo corde audit, in se recipit ac rapit potius, id custodit, ne elabatur facil. Ea propter beatus et justus est, hacscilicet ju- stitia, quae fidei est, non ex'se ipso sed ex Deo, qui eum sibi ipsi justum fecit principio apud semetipsun ante secula olim futura, Christi redemtione, et Spiritus Sant horum omnium in cor instillatione et illuminatione, ac tr dem tempore suo hujus spiritus fidei, velut certissimi huja pignoris donatione. Siquidem leges suas in corda suorım dat pro certissimo favoris et participationis sive justifieationis suae signo et symbolo, quibus scilicet in posterum vivant, non sibi ipsi in concupiscentiis carnis sed: ‚pro arbitrio illius, qui eum vocavit et ad regnum fili sd adscripsit. Cui quidem jam is der Berufer omnia quaecunque sic contulit aut donat assiduo, cum totis fruct- bus hine prodeuntibus imputat et habet pro justitia, ob Christum*), nihil aestimatis omnibus prioribus peccs- tis, sed ne quidem adhuc praesentibus eorum reliquiis, imms ne etiam tam frequentibus obmissionibus et defectibus s pleno debito hujus jam justitiae et spiritus et corporis at membrorum, a quibus tamen juxta Apostoli dogma expur- gare se assiduo oportet, 2Cor. 7, ut sunt ignorantiae, obli- viscentiae et multifariae imbecillitatis nostrae, sed et ab omnibus malis hine manantibus assiduo, usque etiam ab ipsis externis corporis membris (?); fidelibus etsi non sit possibile, nedum membra externa in totum sibimet subjicere (quamquam a Deo regenerati sint), iis quoque pro arbitris

a) Wohl im Sinn von Röm. 4, 4. 5: Gott rechnet dem Erwählten dir: gefammten von ihm ſelbſt verfiehenen Gnaben und Gaben, Glauben, Lich. Gehorfam u. ſ. w., als Gerechtigkeit an, d. h. fieht fie, obwohl fie ct. empiriſch genommen, nicht find, um Chriſti willen als vollſtändig an.

über die. Lehrweiſe der böhmischen Brüder. 619

ivino, h! e. prout justitia illius exigit, uti et in officio de- nere, sed ne ipsum quidem spiritum suum, in quo isthaee 'generatio incepta est fieri.

Nam an perfecte, ut debent, Deo ex totoque corde fidant omnibus, an, ut par est, revereantur et timeant, an, ut nentur, eum et ex eo natos diligant‘, an illum veritatem- te illius in omnibus, ut meretur, glorificent, ne multis, ı in omnibus cum eo unius spiritus sint? lane non.

Relinquitur igitur, ut aliunde quam ex se ipsis ıstificationem habere .et ea se tueri et omnia ereri (nad) dem im vorreformatorifchen Zeitafter häufigen wei⸗ ten Sirme des Wortes hier erlangen) eos oporteat, ie. a Deo, sic ut isthaec nominata et alia id genus, scita ;ignorata, illis non imputentur ab eo, et quaecungue sunt adhue, et ad haec omnia quaeque aut habent aut wrantur ut suppleantur, perficiantur et conse- 'entur gratuito ob Christum et Spiritum San- ;um illius, quo donati sunt, pro quibus quidem ab omni- is sanctis oratur et orari debet in tempore opportuno: ıter noster, dimitte nobis debita nostra, sicut et nos di- ittimus debitoribus nostris. Et id ipsum sacrae scripturae went diligentissime.

Hier zeigt ſich Har und lebendig, wie wenig die Brüder eine jene Gerechtigkeit der Gläubigen aufrichten wollen. Sie ſprechen ht wie die Neformatoren direct von einer imputatio meriti hristi, wie davon auch Paulus nicht fpricht, fondern was fie von ır justitia imputata und von peccata non imputata ob hristum fagen, ruht ganz auf dem, was der Apoftel Röm. 4, 4 st von dem Aoyksıw mv riiorıv sis dinasoodvnv, und V. 6 m dem od ur) Aoylleoda duagslav. Wie Hier der erfte undlegende Glaubensact, fo wird im Lehrzuſam⸗ enhang der Brüder hernach um Chriſti und ſeines 'eiftes willen das durch dieſen im gläubigen Herzen ngefangene gute Werk die wefentlihe, dem wieders tborenen Herzen inhärent gewordene Gerechtigkeit

620 Britt | angerechnet, als wäre es fhon vollendet und voll! ftändig, und dies umfonft aus freier Gnade und Güt Gottes.

Denn, beißt es etwas fpäter (S. 252), darum ift Chriftus der ewige Hohepriefter, nachdem er unſere Schwachheit an fid m fahren und Barmherzigkeit gelernet hat, zur Rechten der Majeftü in Gottes Thron erhöhet worden, ut hinc succurrat et auxile tur ejusmodi peccatoribus justis, quandocunque et qui cunque operibus illius beneficis eguerint et eum —e— Et hanc justificationem, quae dependet in recreatione Spiritus Sancti renovatione, consuevimus ab olim voum! substantialem seu essentialem ex parte hominis ad. differa- tiam illius prioris, quae in Deo est et ex eo pende aeterno. Quandoquidem in confesso est, scripturas de utraque hac justificatione loqui, jam per se, quad parte Dei, jam quae ex parte hominis, jam de utraque coy junctim, immo et pro evitandis erroribus id facimus.

Nach einem Fräftigen Zeugniß, dag fie demmad nicht zu Dei jenigen gehören, welde das Heil oder bie Rechtfertigung gerad ber jelbfteigenen Werfgerechtigfeit ober irgend welchen Verdienſ zuſchreiben, oder biefelbe doch auf den Glauben und andere genden weſentlich und in erfter Linie gründen denn in ® Sinne ruhe die Gerechtigkeit allein auf der freien Gnade Ga des Vaters, auf dem Verdienft unferes Herrn Jeſu Eprifti wid den Gnabenwirfungen des Heiligen Geiftes erflären bie kai daß in jener faljchen Lehre der römischen Kirche vielmehr nic Anderes zu fehen fei, als die Erfüllung der Weiffagungen Chrif und ber Apoftel von der Verkehrung der Wahrheit im den Ley Zeiten durch falfche Propheten und Irrlehrer nach dem Willen da Fleiſches und der Menge. Sie fließen mit dem Bekenntniß, dei feitdem Gott die Herzen des böhmiſchen Volkes hauptſächlich durt feinen Heiligen Blutzeugen Johann Hus zu dem reinen Wort dc Wahrheit wieder zurüdgeführt und befehrt Habe, ihre Vorfahr und fie ſelbſt daffelbe fo ergriffen Hätten, daß fie ihm, diefem In teren Worte Gottes, allein anhangen, fi und all? das Ihre all danach richten und daran fefthaften wollten. Zugleich aber erfärt

über die Lehrweiſe der böhmifchen Brüder. 621

ie fich freudig bereit, wenn fie noch in irgend einem Stüde Mangel aben ober irren follten, wie das Menſchen nicht anders: ergebe, bwohl fie fich deffen nicht bewußt feien, fo wollten fie darüber ı feiner Weife halten und ihren Irrthum vertheidigen, vielmehr ern aus dem allerheiligften Worte Gottes fi des Beſſeren be- hren laſſen. Denn fie hätten feinen größeren Wunfc als den, eſem Heiligen geoffenbarten Worte Gottes von ganzem Kerzen izupflichten und gehorfam nachzuleben.

Diefe Willigkeit weiter zu lernen, Haben die Brüder durch die hat bemiefen, wie die anfangs angeführten Stellen des Belennt- fies vom Jahre 1535, 1558 herausgegeben, und befonders die utſche Ueberfegung defjelben von 1573 zeigen. Da haben fie 18, was ihrem älteren Standpunfte fehlte, den pau— miſchen Begriff der justificatio als dıxalwoıs im tundlegenden rechtlichen Sinn, nahgeholt und diefem legriff die gebührende Stellung im Lehrfyftem an- :wiefen. Ihre umfafjendere Beitimmung des Begriffs der stificatio nad den drei angeführten Beziehungen Haben fie aufs geben, weil diefelbe, obwohl an und für fi, mas den Gedanken» halt betrifft, nicht unbiblifch, doc, die Terminologie des N. T.'s, nächſt die des Paulus, nicht für fi Hat. Paulus gebraucht yar den Ausdruck dixasog, dixaoodvn auch im ethifchen Sinn r die Heiligung, ebenfo Jakobus und Johannes, aber wie Paulus rade das dem lateinifchen justificatio. entiprechende dixaiwoıg id dixasodv nur im juridifchen Sinn hat, fo hat Johannes inerfeit8 diefe Ausdrüce gar nicht, ann alfo jedenfalls auch nicht 8 biblifher Gewährsmann für jene Bezeichnung des ganzen Be— igungswerkes Gottes als justificatio angeführt werden. Am enigſten paßt diefe Bezeichnung für das erfte vorzeitliche Moment; r das zweite, die neue Geburt aus dem Glauben, hat auch Luther, dem er diefelbe mit der diıxafwaıs in eins faßt, den Ausdrud ters ®) gebraucht, aber doc; fpäter nur felten, "und die ausgebil- tere Terminologie der confeffionellen lutheriſchen Dogmatik unter-

a) und zmar and; in fpäterer Zeit noch; vgl. 9. Köflin, Luther's Theo- Togie II, 446ff.

622 plitt

ſchied ausdrücklich die regeneratio und die justificatio. Daſſelbe gilt von dem dritten Moment, der sanetificatio, welche ſich ala fortgehender Prozeß noch beftimmter von dem dem Begriffe nach einheitlich fundamentalen Act unterfcheidet, welchen jene beiden Aus drüde nur nad feinen beiden Seiten, der dynamiſchen und der ju⸗ ridifchen, bezeichnen. Daß die alten Brüder diefen dogmatifch und praftifch jo wichtigen Unterſchied zwifchen dem Grunde und de Folgen, der Wurzel und den Früchten, nicht klar und ficher erfaſt haben, ift und bleibt das Mangelhafte ihrer Lehre in diefem Stid. Hierin Hatten fie etwas Wefentliches zu Iernen von der deutide: wie von der ſchweizeriſchen Reformation. Denn Hier find Liter und Calvin durchaus einig auf dem fejten Grunde des paulinijce; Zeugniffes. Aber wie vorher bemerft wurde, fie haben Hierin willig gelernt „Nur der eine Unterfheidungspunft des beiderfeitigen Lehrtropus blieb ftehen, daß die Brüder auch fpäte hin der Heiligung als Frucht der Redtfertigung I Neugeburt eine beftimmte ethifhe Bedeutung zu ſchrieben. Nicht nur gewifje höhere praemia im ewigen & knüpften fie an einen treuen Heiligungsgehorfam der Liebe ü Glauben, wie dies Luther und namentlich auch Meelanchthon thaten, fondern derſelbe war ihnen aud ein in zweiter Liri mitbedingender Grund der Erlangung des ewigen ei bens felbft, die ethifch-organifche Verknüpfung zwiſchen der zeitlihen Begnadigung durd den Glauben un dem endlihen Beftehen im Geridt. Dies wird, m Gindely richtig Hervorhebt, auch in der Coufeſſion von 153 (Art. 7 de bonis operibus) nit verſchwiegen, und in der deu fen Ausgabe von 1573) wird zu der Berufung auf 2 Petri 1 noch eine Reihe anderer neuteftamentlicher Stellen Hinzugefügt, a welchen der Herr in diefem Sinne ſpricht (Luf. 6, 36. 38; 12, 33: 14, 13. 14. Matth. 25, 35. 36. 40. 34) und dann gefglojle:

a) Siehe Köftlin a. a. D., ©. 466 ff., und Giefeler, Kirchengeſtitnn &b. II, Abth. 2, ©. 236 in ben responsiones ad Bavaricos artieu)- b) Bei Köder, ©. 199.

über bie Lehrweiſe der bohmiſchen Brüder. 623

‚Hieraus ift Mar und, richtig, daß die Werke, fo aus dem Glauben eichehen, Gott wohlgefallen und reichlich begnadet werden mit aller- Gütern und Segen, beide, in dieſem und zufünftigen Leben.“

Erſcheint ſchon hier diefer den Brüdern fo wichtige Punkt in er ſpäteren deutſchen Ausgabe mehr betont als in der älteren la— anifchen, fo zeigt jene auch im vorhergehenden 6. Artikel: vom Hauben an Ehriftum, mehr als die legtere die nothwendige Baſis es fraglichen Lehrfages in der Faſſung des Glaubensbegriffes ſelbſt. dachdem nämlich beide Schriften bezeugt haben, daß der rechtferti— mde Glaube nicht des Menfchen felbfteigenes Werk, jondern ein Inadengefchent Gottes fei, geht die Tateinifhe gleich über zu der anz lutheriſch gefaßten Lehre von der rechtfertigenden Kraft folchen Haubens, umd die deutſche hat diefen Artikel nachher ganz ebenfo; cher aber fchiebt fie noch die Definition des Glaubens ein, weiche wir oben herausgehoben haben, und in welder „da® wil- ige Herz gegen alle göttliche Wahrheit im Evangelio verfündigt“ orangeftelit und gefagt wird, daß dadurch der Menfc „auf Chriſtum :8 den rechten Fels feine ganze Seligfeit gründe, ihn liebe, adhfolge, genieße und in ihm allein fein Hoffnung und Ber- auen fege“ u. f. w. Im Zufammenhang damit heißt es etwas äter: „Denn welche Gott rechtfertigt, denen gibt er den heiligen ieift und neugebieret fie anfänglich durch den heiligen teift (Ez. 36, 26), damit, wie zuvor in ihnen die Sünde und x Tod geherrichet, alfo wiederum herrſche die Gererhtigkeit zum vigen Leben durch Jeſum Chriftum. Und das ift die Ge— teinfchaft der Gnaden Gottes des Vaters, des Ver— ienjtes unferes Herrn Jefu Ehrifti und der Heilir ung des Geiftes. Das ift das Gefeg des Glaubens, das eſetz des Geiftes und Lebens, geſchrieben durch den heiligen Geift.“ In diefem Begriff des gläubig Liebenden Vertrauens, der eugeburt duch den heiligen Geift und der Gemeinfhaft mit jott in Ehrifto zu Gehorfam und Genuß findet das ethiſch mamiſche Moment neben dem rein juridifchen im Begriff des Haubens feinen Ausdrud, durch welches die guten Werke des laubens erſt ihre Lebendige pſychologiſche Baſis, und fo die Hei— gung ihre organifche Verknüpfung mit der Rechtfertigung befommt.

624 Pitt

Darin werden wir ein Zurüdgehen auf die urfprünglichen An- ſchauungen der Brüder wohl nicht verfennen fönnen, und es er⸗ ſcheint die als ein neuer Beleg für den accommodativen Charakter der Eonfeffion von 1535. Dagegen ift nicht zu überjehen, dai, was dieſe von der reinen paulinifch = Iutherifchen Rechtfertigungstehre fo nadhdrüdfich aufgenommen hat, in der Schrift von 1573 nich weggelaffen oder verfürzt ift, fondern mit aller Anugelegen- heit und voller Begründung aus dem N. T. wiederholt. Dies it den Brüdern aljo wirklich zum bleibenden und (ebendigen Beenntuir eigenthum geworben, und nur auf eine bibliſch und dogmatiſch if begründete Weife mit dem Wahren ihres älteren Standpurk organijch verbunden. So ift auch der Artikel von der Buße ie wie dort als fünfter vor den vom Glauben geftelit und micht mag‘ wie in den Befenntniffen von 1532 und 1538 als achter erſt nd dem von der Kirche, worin die Correctur durch die reformatoriide Xehre deutlich vorliegt.

Dagegen finden wir in diefem Artifel von der Buße 1573 eina Zug, der 1535 fehlt, nämlich daß diefelbe durch die Doppelt] Predigt erweckt werben folle: 1) von der Gerechtigkeit Gottes nf dem Gefeg, 2) von „dem Glauben an Jeſum Epriftus] und feine Heilige Buße, die er für ung mit Schmerj gethan“. Wenn die Brüder in dem vorher erwähnten Puntt der Neugeburt zur Lebensgemeinſchaft mit Gott, die ihnen mit da; Rechtfertigung unmittelbar verbunden ift, die Wahrheit mehr der herrſchende reformatorifche Lehrtypus zur Anerkennung g Haben, welde A. Oſiander und fie felbft früher nod a unrichtiger Weife vertreten hatten, fo ftreift ihr Zeugniß Hier a die weiland von Joh. Agricola ebenfalls in einfeitiger Webertreibuz vorgetragene Lehre von der Buße aus dem Evangelium. Aus bier gilt, daß durch die Verbindung dieſes pofitiven Moments mi dem negativen, der Buße durch die Gejegespredigt, der Borgay erft zu feiner biblifchen und pfychologijch » ethiſchen Erfüllung gebratt wird. Doc ift dies Moment von den Brüdern nicht befondrt herausgehoben und betont worden.

Dies hängt vielleicht damit zufammen, daß fie ein anderes De ment aus ihrer älteren Lehrart in diefer Schrift von 1573 i

über die Lehrweife der böhmifchen Brüder. 635

venig als in der von 1535 zur Geltuwug bringen, welches man ingern vermißt, und durch deſſen Wiederhervorhebung ihre fpätere 'chre noch nad) einer anderen verwandten Seite hin gegenüber dem errſchenden proteftantifchen Lehrtypus zur billiſchen Bollftändigkeit oinde gebracht worden fein.

Dies ift die Betonung des Begriffs der freien Selbſthin— ebung, der in Gottes Gnadenzuge wurzelnden ethiſchen That desjenigen, welcher in bußfertigem Glauben ſich zu Chriſto bekehrt. dies Heben die Schriften von 1532 und 1538 im 9. Artikel nter dem Begriff der Bundſchließung zwiſchen Gott und den Nenfchen, und zwar ausdrücklich als beiderfeitiger, Heraus. jierin findet jener Begriff der reformatorifchen Orthodorie vom Renfchen in der Erneuerung als subjectum mere passivum jeine lfame Berichtigung und Ergänzung und damit die biblifche und ogmatifche Wahrheit ihr Recht, welche Melanchthon und feine von en Gegnern als Synergiften bezeichneten Schüler, wie befonders 3. Strigel gegenüber Flacius, fo nachdrücklich und mit innerfter ieberzeugung vertraten *). Man kann e8 in der That nur bedauern, die Brüder nicht auch in diefem Stüd das Gute, das ihre ktere Tradition ihnen bot, ſich erhalten oder wieder zugeeignet ıben.

Und das umfomehr, da fie für bdiefen wichtigen Lehrpunft im ren früheren Lehrfehriften auch eine tiefere Baſis hätten finden Innen in der nachdrücklichen Unterfcheidung, welche diefelben madjen vifchen den zwei Arten von Sünde, „ber vergeblichen und uuver- eblichen“ (Art. 13). Dies ift abermals ein Moment, welches n Gebiet der veformatorifch- proteftantifchen Lehre nicht genug zu techt gefommen ift. Aber e8 nimmt allerdings auch bei den Brü— ern infofern noch nicht die bedeutende Stelle ein, welche ihm eigent- ch zukommt, als auch fie die allgemeine Sindhaftigfeit der ada-

a) Bgl. die ſchöne und reiche Darftellung der „Weimarer Disputation von 1560 bei Ruthardt, Die Lehre vom freien Willen, ©. 207ff. Befon- ders Strigel's in al’ feiner Verlegenheit dem Heftigen Widerfacher gegeu- über doc; unerſchütterliches Bekenntniß: „Der gute Wille müffe, wie Gottes, fo auch unſer fein.“ ©. 214.

Theol. Stud. Jahrg. 1868, 42

626 Plitt

mitiſchen Menſchheit als bereits ohne Uuterſchied Alle zur Hölle verdammende Sünde darſtellen und den erwähnten Unterſchied erit fpäter geltend machen, wo es ſich darum handelt, die Sünde der Gläubigen aud) im Önadenftande und die Sünde der Ungläubige und Widerfacher des Evangeliums oder Derer, melde aus der Gnade gefallen find, in verfchiedene WertHbeftimmung zu bringen. Für die Frage nad dem Verhalten und der Stellung des Menſchen bei der Belehrung kommt es aber gerade auf die Faſſung an, welche man der Lehre von der natürlichen Sündhaftigkeit der Menſchu als ſolcher gibt.

Dagegen Haben die Brüder nun in. der Betonung ber Bedeu der aus dem Glauben geborenen Werte der Gottesfinder für ts Erlangung der ewigen Seligkeit ſehr beftimmt das Moment fir gehalten, welches auf Lutherifcher Seite ©. Major in älterer Zi vertreten hatte, welches Melanchthon mehr als Luther hervorkeh, aber doch auch er nicht in dem Sinn und mit der Beſtimmihet wie die Böhmen. Wir haben aus alleın bisher Mitgetheilten a tannt, wie tiefe Wurzeln diefe Lehreigenthümlichkeit bei ihnen hal in der vorwiegend ethiſch⸗praktiſchen Grundrichtung der böhmiſchu Brüderunität von Anfang an. Wir mögen gern, ja wir müle in der Art und Weife, wie fie diefe Wahrheit ausdrücken, in da Vermiſchung von Rechtfertigung und Heiligung ein Merkmal du Urfprungs bdiefer Verbindung in. der vorreformatorifchen mitıd- alterlihen Kirchenzeit erfennen. Aber wir dürfen ums auch dagegen] nicht verfchließen, daß fie, wenn fie nun auch im hellen —8 evangeliſch⸗ reformatoriſchen Wahrheitserlenntniß gerade von dieſe Wahrheit nicht laſſen, gewichtige Gründe Haben, dies zu thur. Und das find nicht nur die äußeren, daß es eben ihre Lehrtraditin fo mit ſich brachte fie haben fonft an dieſer willig gebeffert noch daß die von ihmen fo hoch geſchätzte Disciplin des kirchlicher Lebens dies zu fordern ſchien. Daß fie diefe fo Hoch Hielten un jo feſt bewahrten, als jie vermochten, war zum mindeften ebenic ſehr Folge jener dogmatifchen Weberzeugung. Und was fie in x lutheriſchen Kirche ihrer Zeit in Betreff des Lebens fo Vieler fahr. könnte fie nur in der Ueberzeugung beftärten, daß die durch der Proteft gegen römische Verdienftlehre Hervorgerufene Gleichgültiglen

über bie Lehrweiſe ber böhmifchen Brüder. 27

gen die „guten Werke“, die Furcht, der wahren Heiligungstreue gend eine Bedeutung für die Erlangung der ewigen Seligkeit zu- ichreiben‘, doch auch ihr Bedenkliches habe und Viele zur Nach: iffigkeit, ja zum Leichtfinn führe. Aber die Hauptſache war, dag ſich durch die Schrift dazu genöthigt fanden, hier anders zu teilen. Mag aud) das ftehend von ihnen angeführte Wort aus Betei 1 Hier noch nicht allein genügen, möchte felbft gegen die wermittelte Verwerthnng einzelner unter den angeführten fhnop- ben Ausfprühen Jeſu Einwand erhoben werden fünnen, das ite in dieſer Reihe von Zeugniffen, das Wort des Herrn in datth. 25, hat einen fo ftarfen Hintergrund an den parallelen vom eichte handelnden Stellen felbft bei Paulus (wie 2Kor. 5, 10. im. 2, 6ff.; 8, 13. 17. 18or. 10, 1—12. Gal. 5, 6. 15. 21; ‚710. 15. 1Tim. 6, 18. 19. 2Zim. 2, 10—12; 4,7. 8), nen fich noch andere verwandte bei Petrus und Johannes an« fiegen (1 Petri 1, 14—17. 1860h. 2, 28. 29; 3,18 u. f. w.), 5 bier der ſichere Schriftgrund der in Rede ftehenden Lehre Har tigt. Wir fanden aud von diefen Worten einige weitere an- führt in der Apologie von 1538.

Selbſt Luther Hatte fich dem Gewicht dieſer Zeugniffe nicht ganz liegen Können. Wie er einerfeits, abweichend vom fonftigen, mentlich fpäteren, orthodor proteftantifchen Lehrtypus, mitunter nennt, daß die Lebendige Heiligungefrucht uns auch als ein ugniß gelten folle, daß wir Gottes Kinder find, in demen er das erk angefangen hat und auch volfführen wicd *), fo ſpricht cr et h aus, daß diefelbe ihre Bedeutung habe für das Beſtehen im dgericht ®). Er macht da zwar eine einfchränfende Unterfcheidung, em er hinzufügt, die Früchte des Glaubens gälten da wohl vor at, wider den Teufel und alle Feinde, aber „nicht bei oder der Gott felbft zwifchen mir und ihm allein, da liege les allein und zu aller Zeit am Glauben“. Gr meint da offen» t, wenn Gott mit der aus feinem Weſen herfließenden For⸗ ung einer vollkommenen, abfoluten Heiligkeit uns gegenüber:

RAT in, Luther's Theologie II, 469ff. ) Bol. ebenda ©. 467 ff. 42*

628 Blitt

trete, könne Keiner vor ihm beftehen. Und dies ift eine tiefe un unzweifelhafte Wahrheit. Aber abgefehen von der frage, ob dern Gott wirtlid Denen, die einmal in Chriſto find, um jüngften Tage fo entgegentreten wird, oder ob es ſich eben him nicht um eine nur begriffliche Abftraction handele, muß doch vo Allem gefragt werden, wo fih in der Schrift diefe Unteride - dung finde, und wie Luther ji an der angeführten Stelle u 1Joh. 4, 17 berufen fünne? Man befommt vielmehr durdus den Eindrud, daß er hier nicht fowohl aus dem Worte, ſonden aus feinem individuell und zeitlich bedingten Erfahrungsbewußi heraus rede. In diefem bildete aber der Gegenfag gegen jr Schatten oder Schein des Verdienftes jo fehr den Mittelpuch. daß andere Seiten der Schriftwahrheit dagegen zurücktreten mußten Bei den Brüdern war dies nicht in demfelben Mae der fu und die in den Gonfeffionen von 1532 und 1538 emtwiden veifen theologijchen Grundfäge über die Pflicht, nad) der ganzen Wahrheit in ihrer organiſchen Gliederung un Zufammengehörigfeit zu traten, mußten fie noch mehr u hindern, das sola fide einfeitig zu betonen. Dies letztere hat protejtantifche Orthodorismus hernach zum Schaden der Kirde i Leben und Lehre noch mehr gethan, und Ullmann hat feiner mehrfach darauf hingewieſen, daß, kirchengeſchichtlich betrachtet, heilſames Eorrectiv dagegen aus den Schägen der vorreformas tischen deutſchen Myſtik mit ihrer Innerlichkeit und ethifchen Tieh zu gewinnen fei. Diefes Charisma ift den böhmifchen Brüberz ſchon weil fie Slawen waren, nicht in dem Maße eigen. Ce haben eher etwas Nüchternes, durch und ducch Praftijches. At— gerade nad) diefer Seite Hin, im Blick auf treue, im Glauben und der Gnade gegründete Lebensheiligung dürften doch auch aus der Theologie diefer anderen vorreformatorijchen Erſcheinung der mit: alterlichen Kirchengeſchichte fruchtbare Winfe zu entnegmen fein *: den immer volfendeteren Ausban der evangelifchen Lehre vom fi Der Spenerifche Pietiemus auf Grunde der evangeliſchen Mif eines Joh. Arndt Hat in diefer Richtung bereits gearbeitet. T: gegenwärtige evangelifche Theologie ſucht dies im manchen ihre Strömungen auch wiſſenſchaftlich in verſchiedener Weife zu t-

über bie Lehrweiſe der böhmiſchen Brüder. 629

defchieht dies auch nicht alfenthalben auf reine und richtige Weife, > daß das tiefe biblische Grundprincip der Reformation wirklich verlegt bleibt, jo ift doch die allgemeine ethifch= perfönfiche Ten- enz unferer Theologie eine tief berechtigte und ein fegensreiches wien der Zeit, in welchem veiche Kräfte für die Zukunft der che verborgen liegen. Wer hiervon Tebendig durchdrungen ift, r wird dann aud das, was jene alten Zeugen der Wahrheit nad) ren Kräften in diefer Richtung gethan umb gelehrt haben, der keahtung werth Halten. Um der lauteren Grundtendenz willen, elche fie dabei beftimmt, wird er gern über die formellen Unvolf- nmenheiten ihres wiſſenſchaftlichen Apparats und ihr unbeholfenes atein hinwegſehen, und im Stande fein, auch unter den mandherlei gmatifchen Mängeln und Unklarheiten, welche ihre Arbeiten älterer pit zeigen, .dod) das Moment der Wahrheit, welches fie vertreten, ı würdigen.

2.

Zur Tertlritit der Pfelmen. Bon " Prof. D. Sb. Schrader in Zürich.

Die Pfalmen gehören bekanntlich. zu den in tertfritifcher Hinficht teniger gut erhaltenen altteftamentlihen Büchern. Der Grumd fer Erfheinung kann nicht zweifelpaft fein. Als das Gefang- nd Gebetbuch. der alttefiamentlichen Gemeinde wurde der Pfalter > häufig durch Abfchrift vervielfältigt, wie kaum ein anderes. alt: ‚ftamentliches Buch; bei der Abfchrift felber aber war man weniger orgfältig, als bei derjenigen anderer Schriften des Kanons, als

B. bei der Abfchrift des Pentateuchs; gehörten doch die Pfalmen u den fogenannten Fetubim, d. i. zu denjenigen Schriften des alt=

680 Schrader

teftamentlichen Kauous, die, wie fie am jpäteften zu dem Ran— tanoniſcher Schriften gelangten, auch noch fpäter in Hinfiht a ihre höhere Schägung Hinter denjenigen des erften und zweite Theiles des Kanons zurückſtanden *). Wielleicht trug zu der Beren Corruption des Textes auch noch der. Umftand bei, daß bi Pfalmen vielfach den Abſchreibern im Gedächtniß waren ; fo koun es denn kommen, daß der Abfchreiber ftatt der im Texte vorgefm denen Wörter oder Phrajen folhe einfügte, bie ihm gerade ander weit im Gedächtnig waren. Etwas Achuliches wiederholt ſich ſpin belanutlich noch einmal bei der lateiniſchen Ueberfegung des Pit] ters d). Bei einer ſolchen Befchaffenheit des Textes num aber m der Ereget mehr als bei irgend einem anderen altteftamentlhe] Bude bei dem Pfalter wie das Recht fo auch die Pflicht Haba bei dunfeln Stellen vor Allem auf Herftellung des urfprüngli Wortgefüges Bedacht zu nehmen und, wenn nöthig, zu verſuthe ob ſolches nicht durch Conjectur zu erzielen ſei. Es ift dieſes de auch feit Houbigant (geftorben 1783) bereits bei einer Reihe u Stellen und vielfach, mit Glück geſchehen. Indeß dürfte dod m diefe oder jene Stelle im Pfalter übrig fein, wo man, meinen namentlich auch, ftatt ohne Weiteres grammatiſche Anomalien 5 ftatuiren, vielleicht gut thäte, die Stelle einmal darauf an ob nicht etwa ein Textgebrechen vorliege, das Heilung heiſche. © ift der Zweck dieſes Auffages, mehrere ſolcher Pfalmitellen, m meinen wir, die Corruptheit des Textes evident und aud ig Verbefferung des ſchadhaften Wortgefüges nicht allzufchwer ſtu dürfte, einer eingehenderen Betrachtung zu unterftellen und zur Be befferung der Textſchäden Vorfchläge zu machen; vielleicht fin der eine oder andere derſelben bei competenten Beurtheilern Beijıt. Wir werden aber bei Beſprechung der verfchiedenen Stellen nid die für unjern Zweck zufällige Reihenfolge der Pſalmen im Pak beobachten; fondern diefelben gruppenweife behandeln, gleiharig Fälle in der Erörterung mit einander verbindend; wir gewinnen is deu Vortheil, daß die eine Stelle der anderen zur Erläuterung bi

a) Bgl. Dillmanın in den Jahrbb. f. deutiche Theol. (1858) II, 482f: b) Siehe Beet, Einl. in's A. T. (1860), ©. 783b. 786.

zur Tertlritit der Pſalmen. 681

Wir beginnen die Erörterung mit ein paar Stellen, wo, nach un⸗ erer Anficht, die nicht urfprüngliche Textesfesart veranlaßt ward durch in in ber Nähe ftehendes ähnlich ausfehendes Wort. Einen fall, wo biefes ziemlich evident fein möchte, bietet Pf. 74, 19. der Bers lautet im Hebräifhen: ray mn In vos mıma ınn br nsıb roWin dr. Die traditionelle Ueberſetzung diefer Worte ift: Gib nicht den Thieren Preis die Seele deiner Taube; des Lebens einer Elenden vergiß nicht in Ewigkeit.“ Die Schwierigkeit Tiegt ier in der erſten Vershälfte. Nun wäre an dem Gedanken felber irchaus nichts auszuſetzen; tritt er und dod in dem im Ausdrude ah font mit dem unfrigen ſich berührenden Pf. 79, 2 ent gen, wobei indeß doc zu beachten, daß dort das beftimmtere en „Sleifh“ ftatt wos „Leben“ fteht; auch findet fid dort neben an nn das bdefinivende ph, das man auch Hier erwarten würde, Bas aber gerechte Bedenken erregt, ift, daß in unferm Pfalme x st. constr. nın jteht, während man den st. abs. mm erwartet, ı ja ein das Wort definivender Genitiv nicht folgt. Man hat un freilich wohl verfucht, diefen anomalen st. constr. fyntaktifch ı rechtfertigen, indem man fih auf 2Kön. 9, 17 berief und ‚inte, der st. const. jei hier im „Fluſſe der Rede“ beliebt, und var um die Form dem folgenden nır gleich zu machen. Allein > nicht auch 2 Kön. 9, 17 ein Textfehler vorliege, wie Ewald lches als möglich Hinftellt *) und Maurer, Gefenius u. A. geradezu mehmen, fann zum mindeften gefragt werden; die Möglich :it einer Verfchreibung war durch das vorhergehende nynd enigftens unendlich nahe gelegt. Der in Rebe ftehende Fall unter peidet fi von demjenigen im Konigsbuche zudem auch noch da= rd), daß der unfrige die weitere Unzuträglichleit bietet, daß dem ‚m unmittelbar hinter einander eine verfchiedene Bedeutung eignen ürde; das eine Mal die Bedeutung „Thier“, das andere Mal e Bedeutung „Leben“. Aus eben diefem Grunde dürfte auch die aheliegende Conjectur, daß hinter dem erften min ein pre (vgl. ſ. 79, 2) ausgefallen wäre, ſich wenig empfehlen ; durch diefe jenderung würde zudem die in die Augen fpringende äußere Gleich

a) Ewald, Hebr. Sprachlehre, $ 173.

632 Särader

heit der Glieder zerftört. Beide Gründe Laffen auch die Annahme Olshauſen's und Anderer unmahrfcheinlich erfcheinen, daß das be⸗ treffende Wort hier, wie zuweilen fonft im A. T., im Sinne von „Schaar“ zu nehmen fei, und daß Hinter demfelben ein Wort aut: gefallen fei, das „bie Feinde“ bedeutete. Eine Verbindung aber wie: derum wie we) nın „Gierfchaar“ oder „Gierleben“ (Gefeniut, Maurer, Hengftenberg, Delitzſch) ift gegen altteftamentlichen Sprat- gebrauch, indem we) nie fo abjolut, wie Bier erforderlich wir, im Simme von „Gier“ gebraucht wird; es eignet dem Worte dift Bedentung nur, wenn ein Genitiv folgt, dem eine folde wi # kommt. Diefer letztere Umftand hindert und auch, der im Uebrin finnreihen und einfahen Conjectur Hupfeld's unfere Zuftimmm zu ertheilen, der nämlich nın und we) die Stelle wechſeln fit und überjegt: „Gib nicht der Wuth Ipreis] das Leben Dein Taube.“ Es wird auf andere Weife zu helfen fein. Wir biidw auf den Parallelvers: „Vergiß nicht de8 Lebens Deiner Elend’, ein ähnlicher Gedanke fteht auf jeden Hall im erften Gliede 1 erwarten. Einen ſolchen bot auch der urjprüngliche Text. Da Dichter ſchrieb ftatt mind vielmehr mygb, alfo: „Gib nicht da Tode preis die Seele Deiner Taube.“ Nunmehr entſprechen fd beide Glieder vollfommen und jeder Anftoß ift befeitigt. Dit mob na wie Pf. 118, 18. Ez. 31, 14. Das dem nın in feinm zweiten und dritten Confonanten fo ähnliche, bezüglich "gleiche nr aber ift aus dem zweiten Gliede in das erfte eingedrungen, m ftatt des urfprünglihen Inn] ande 2 Sam. 22, 5 das Imol ıır Pſ. 18, 5 aus dem dyder⸗ »bam des folgenden Verfes im den vor hergehenden fünften Vers verfchlagen ward (fiehe die Ausll. zu de Stelle), jo daß zur Erklärung der Entftehung des Tertfehlers © nicht einmal noch der Annahme, daß ein Abfchreiber das in feinem Exemplare theilweis corrumpirte mo aus dem folgenden nın ſit ergänzt Habe (der im Uebrigen nichts entgegenftände), zu bebirit: ſcheint. Einem ähnlichen Falle glauben wir zu begegnen Pf. 68,2° Hier Tefen wir zuoörderft mit fämmtlichen alten Berfionen im erfter Gliede ftatt pby ps vielmehr ofby mix, indem mir für de weitere Begründung diefer Aenderung der maforetifchen Lesart auf Ewald (Dichter des A, B.'s, 3, Ausg, Bd. II, ©. 424) m

zur Tertkritik der Palmen. 638

weifen (zu vgl. auch Hupfeld und Olshauſen zu der Stelle). Iſt danach V. a. zu überfegen: „Entbiete, o Gott, Deine Kraft“, fo macht nun wieber Schwierigkeit im zweiten Hafbverfe (av ey vd pay m) das erfte Wort my. Man hat ſich gemeiniglich dabei beruhigt, das Wort als einen Imperativ mit h. parag. anzufchen = „jei ſtark“. Aber wo bleibt in diefem Falle das Subftantiv, auf welches ſich das ı1 zurückbeziehen könnte, da ombn (de Wette) olches nicht fein Tann, kraft deffen, daß dyd nie fo abſolut vor immt im Sinne von: handeln, wirken (Hitzig). So hat man nehrfach my als tranfitiven Imperativ im Sinne von „befeftige“ der ähnlich nehmen wollen; eine folche Bedeutung ift aber ohne Beleg (Hupfeld); zudem ift nicht blos die script. plena my ftatt yy bei dem Imperativ, fondern diefe Form des Imperativs der Verbb. med. gem. überhaupt analogielos (Higig). Mit der im- xrativiſchen Faſſung diefes my wird fomit überall nicht zurecht u fommen fein. So ift alfo any wohl nur andere (Feminin-) jorm für iy, wie pp neben pr ſich findet? D. Hitzig trägt ein Bedenken, folches zu ftatuiven, und überſetzt danach den ganzen Bers: „Entboten hat Dein Gott Deine Madıt, die Gottesmacht⸗ jilfe, fo Du uns geleiftet.“ Diefer Auffaffung haftet num aber wächft die Schwierigkeit an, daß der Berfaffer des Pſalmes müßte Nier den st. constr. auf 7— ftatt auf n— haben ausgehen Laffen, oahrend er doch fonft (W. 13. 31) denſelben ganz regelmäßig ildet. Sodann muß Anftoß erregen die Poftulirung einer weib- ichen Form my meben der fonft ausschließlich ſich findenden nännlichen ſy, wie nicht minder, daß nun gerade die durch das Antreten der Yemininendung zufammengedrängte erfte Sylbe follte lene (mit Vav) gefchrieben fein, während doch in einem ganz ihnlichen Falle unmittelbar vorher bei derfelben Sylbe befective Schreibart fich findet. Für das erftere kann man ſich aud nicht vohl auf mprı berufen, da bei diefem Worte die männliche und die veibliche Form unendlich oft wechfeln; während in unferem Tale ticht nur das Gegentheil jtattfindet, fondern die männliche fogar anmittelbar vorher ſich findet. Sehen wir und fo in der Lage, sie beſprochene Auffaffung ablehnen zu müſſen, fo hat D. Hitig indererfeit8 darin gewiß Recht, daf er vor dem aba ein Sub⸗

684 Schrader

ſtantiv poſtulirt, auf welches das ı im Folgenden ſich zurüd- beziehen müſſe. Welches nun war dieſes unzweifelhaft in dm my ſteckende Subftantio? Ein Fingerzeig wird und jedenfalls die ſeltſame Plenefchreibung des betreffenden Wortes fein mühe. Woher diejes auffallende Vav? Wir meinen, es ift Reit eins urfprünglichen I, und der Dichter ſchrieb nichts anderes ald mn „[entbiete] die Hüdfe, o Gott, die Du ung geleiftet“, d.i feifte ung den Beijtand, den Du uus früher (vgl. V. 8ff.) hit zu Theil werden lajjen. Der Abfchreiber wußte mit dem us Resch verdorbenen Vay nach dem 1 nichts anzufangen; das vor: hergebende zzu veranlaßte ihn wie zu der Umftellung der Cw fonanten Vav und Zain, fo zu der Ausſprache app, fees, er dabei an ein Subftantiv in der Bedeutung von ip, fie, daß er an einen Imperativ mit h. parag. dachte. Vielleiti war ein ähnlicher Umftand auch Urfache des Teptfehlers in eine Stelle, an welcher die Exegeten ſchon vielfach fich abgemüht haben. Pſ. 58, 2 leſen wir in unferem maſoretiſchen Texte: obx now DIR 92 1DBWn Dinehn pınaın pr. Daß die vorliegende Punc- tion des ſchwierigen od nicht die richtige und einfach in An logie von Pf. 56, 1 gemacht ijt, dürfte als allgemein anerfamt gelten. Man Hat fic) jegt gemeiniglich bei der Ausfprade oir beruhigt, indem man unter den „Göttern“ die Handhaber der gön lichen Obrigkeit auf Erden, infonderheit die Richter verith. Allein daß die Richter im A. T. fo ohne Weiteres als „Götter bezeichnet feien, möchte doch nicht jo feitftehen, als man gemöhnli annimmt (fiehe Hupfeld zu Pi. 82; Higig, Palmen IL, 13: Jedenfalls hätte der Verfaſſer es nicht unterlaffen dürfen, im Eon texte jelber irgendwie anzudeuten, daß num hier unter den „Göttern“ nicht etwa überirdifhe Weſen, fondern. vielmehr Lediglich iride Beamte zu verftehen feien; vgl. Hitzig a. a. D.: „als Subjede begriff durfte der Verfaffer die Götter nicht aufftelfen, ofne un über die Kategorie zu verjtändigen.“ Wir möchten geradezu de haupten: hätte der Verfaſſer bei den „Göttern“ am Erdeuridtt gedacht, jo würde er es ſicher nicht unterlaffen haben, etwa in dm Parallelverſe, irgendwie diefe Elim näher zu definiren oder akt fonft, daß unter den Elim nicht wirkliche Götter, viele Rider

zur Tertkeitit der Pſalmen. 635

zu verftehen feien, irgendwie anzubenten (vgl. Bf. ß, 6.7). Durch das im Parallelverfe ftehende on v2, das etwa als Anrede zu faffen wäre, kann ber Dichter diefes nicht wohl gethan haben, da dieſes denn doch ein gar zu allgemeiner und unbeftimmter Begriff. Zudem eignet fih das „bie Menfchenfinder“ weit beffer zum Ob» jecte denn zum Subjecte de8 Verbums *). Diefer legtere Umftand dürfte auch D. Hitzig's Vorſchlag, ober auszufprechen und diefes = Soch Leute zu nehmen, nicht empfehlen; da in diefem Falle Dix 2 nicht wohl etwas anderes denn Subject fein könnte; außer dem möchte denn doc eine Umftellung der Confonanten bei einem fo gewöhnlichen Worte anzunehmen, bedenklich fein. Wir meinen, auch Hier Tiegt ein einfacher Tertfehler vor. Wir vergleichen Joſ. 7, 20: son von mon. Folgt hier auf die Betheuerungspartifel und zwar im Beginnen einer Rede ein Pronomen, fo fteht vielleicht an Gleiches auch in unjerer Stelle zw erwarten. Wir meinen, der Berfaffer ſchrieb ftatt obx vielmehr oms, und der Anfang des Blalmes lautete einfah: „Sprechet wirklich ihr Recht, richtet in Billigkeit die Menfchenkinder?“ Die Urfache der Verſchreibung war biefelbe, die unfere jegige, jedenfalls falfche, Punctation veranlaßte: die Nähe des dem Abfchreiber im Gedächtuiß haften gebliebenen or Bi. 56, 1.

Eine weitere gewöhnliche Entjtehungsweife von Textfehlern ift befanntlich, daß ein Abfchreiber aus DVerfehen ein Wort ausließ und diefes daun fpäter, als er des Irrthumes inne ward, nmach— brachte: daß ed an einem unrechten Orte ftehe, vielleicht irgendwie andeutend. Manchmal aber wird er ſolches auch unterlaffen haben, und indem dann ein Späterer den in Folge der Verſtellung eines oder mehrerer Wörter finnlofen Text einigermaßen fich zurecht zu legen fuchte, famen noch weitere Abweichungen von dem urfprüng- lichen Wortgefüge in den Text, fo daß es jegt oft ſchwer Hält, den urfprüngfihen Wortlaut wiederherzuftellen. Einem ſolchen Valle glauben wir zu begegnen Pf. 74, 20 (über V. 19 f. o.). Der betreffende Vers lautet im maforetifchen Texte jegt: urı2 don min) ya aunD anbo 39 nina, zu überjegen etwa: „Blicke

a) So aud Ewald, Palmen, ©. 190. 191; Hupfeld II, 9.

636 Schrader

auf den Bund; denn voll find geworden die Verſtecke des dandes von Dertern der Gewaltthat.“ Es ift ein Vierfaches, woran hier Jeder fofort Auftoß nehmen wird. 1) überrafcht die Ungleichheit der BVersglieder: das erjte enthält zwei, das zweite ſechs Wörter; die Ungleichheit ift um fo auffallender, als gerade dieſer Palm fonft Gleihmäßigkeit im Bau der Versglieder in feltenem Make zeigt; 2) ift feltfam die Phrafe: „Blicke auf den Bund!“ ui einen Bund, den man gefchloffen, blikt man nicht, fondern deiin erinnert man fi; das im Hebräifcen zu erwartende Verbum it nicht 0937, fondern 391°), fo 1Mof. 9, 9. 16. 2Mof. 2,4 3Mof. 26, 15. Bf. 105, 8; 106, 45; 111,5; 3) überruik die ganz furze Bezeichnung: „der Bund“ (mar), während di vorher von einem Bunde überhaupt keine Rede, man erwartet: der Bund, den Du mit Deinem Volke gefchloffen, oder aber wenig: ftens „Dein Bund“ oder fonft eine nähere Bezeichnung bejjelben: endlich 4) ift ein Angefültfein von Verfteden oder Schlupfwinker mit Dertern der Gewaltthat einfach ein logiſch umvolfziehbarer Begriff. Wohl kann ein Land, ein Raum, d. i. ein Ganzes, a gefüllt fein mit Einzeldingen, mit einzelnen Oertern; nie und nimmer aber können einzelne Derter (Verſtecke, Schlupfwinkel) angefül: fein mit einzelnen Dertern (Hitzig, Hupfeld). Diefem letzten Uebel: ftande entgeht der erftere, wenn er fcharffinnig unter Vergleich von 4Moſ. 32, 11. 12 in den Worten den Sinn findet: „Die Va— ſtecke des Landes find vollends geworden zu Dertern der Gewalt that“, nur dag doc auch diefer Gedanke wenig einfach und natit- lich fein dürfte, und andererfeits die citirte Stelle im Bude Nu meri für diefen Gebrauch des Verbums bu feine ausreichen: Analogie bietet; ein 5 miwnb ober zum mindeften eim 5 hätte jchmr lich fehlen können, umfoweniger, als diefer Gebrauch des Verbuue bon, abgefehen von der Redensart mm ırız dp, überhaupt im ganzen A. T. ſich nicht findet. Sodann möchte die auch fonjt mr den Exegeten hier poftufirte Bedeutung „Schlupfmwinkel, Berfted‘ für uno überall erſt noch zu ermeifen fein. Wo das Wort font im A. T. ſich findet, fteht es entweder in der abftracen Ben-

a) Bol, Hitzig a. a. O., ©. 139,

zur Tertkeitit der Palmen. 637

tung „Binfternig“ (fo Jeſ. 29, 15; 42, 16. Pf. 88, 19) oder in der concreten „Unglüdsort, Hölle“ (fo Pi. 143, 3. Klagl. 3, 6 vgl. 88, 7); die Bedeutung „Verſteck, Schlupfwinkel“ fteht nicht zu belegen. Wir nahmen oben Anjtoß an der Ausdrucksweiſe: „Dli auf den Bund“. Auch diefe Schwierigfeit ſucht D. Higig in fcharfjinniger Weiſe zu befeitigen. Er ſchlägt nämlich vor, den Ausdrud „Bund“ concret zu fajfen und unter Vergleich von Dan. 11, 28. 30. 22. 32 unter dem Bunde zu verftehen das Bundesvolf, das Bolt Iſrael. Allein dort gibt fi die Be— zeichnung des Volfes Iſrael als „der Bund“ als ganz friſche Ab- türzung aus der volleren: Heiliger Bund, mit welcher die fürzere au jenen Stellen wechfelt. Iſt dort fomit die Bezeichnung des Volkes Iſrael al des „Bundes“ begreiflich ſowohl als unmißver- ſtändlich, jo würde fie in unferer Stelle ebenfo feltfam ale ſchwer zu erklären fein. Auch durch diefen Erklärungsverfuc dürften fo mit die obigen Anftöße nicht befeitigt fein; es bleibt zudem noch, die Ungleichheit der Versglieder. Wir meinen, auch bier werde ein Tegtgebrechen vorliegen. Wir nahmen oben hauptſächlich Anſtoß an dem Unlogiſchen der Ausdrudsmeife V. 6. Hupfeld nennt das Angefülltfein von Dertern mit Dertern eine phrasis hybrida; es fteht zu vermuthen, daß ſich V. 6 ein oder mehrere Wörter zu viel finden. Da nun „angefüllt fein mit Oertern der Gewalt- that“ am ſich eine unbedenfliche Ausdrudsweife, fo wird ſich unfer Verdacht gegen das yıx vawrın *) rühten. Nehmen wir nun an, beide Wörter jtänden hier am unrechten Orte, feien irrthümlich hierher verfchlagen, und transponiren wir fie in's erfte Glied, jo gewinnen wir zuoörderft vollfommene äußere Gleichheit der Glieder; ein jedes der beiden Versglieder enthält nunmehr vier Wörter. Schon diefer Umſtand wird unferer Bermuthung einen hohen Grad von Wahricheinlichkeit geben. Aber wo ift nun in V. a das Ber- bum, von dem die Statusconftructus-Verbindung abhängig? Man tonute an var denfen; von diefem ift ja aber das nn abhängig ? So ftect am Ende in diefem Worte felber, das und oben fo große Schwierigkeiten machte, das zu poftulivende VBerbum? So meinen

8) woran aud) Ewald (a. a. ©, ©. 444) Auftoß nimmt,

638 Schrader

wir, indem wir uns an ef. 42, 18 erinnern, wo wir ein, eben: | falls imperativifhes, mixy5 una lefen. Wie aus urfpränglichem | Mmanb ein mımab, fei es durch falſches Leſen, fei es durh Gon-| jectur eines Abſchreibers (fiehe unten) entftehen konnte, bedarf feiner Auseinanderfegung. Selbftverftändlich ift nunmehr ftatt des, wie wir meinen, durch die Verfegung bes Plurals vun veranlaften Plurals bo der weibliche Singular nbo (auf por zurüchu— beziehen) zu fefen, und ber —— Text lautete: nid on Dem mısa maybg 92 pam szumo d. i. „Blicke Bin und ſiehe de Landes Finfterniffe; denn voll ift ri bon Dertern der Gewaltthar Die Finfterniffe des Landes find feine Leiden, fein unglückice Zuftand; Ten ift in derfelben tropiſchen Bedeutung gebraudt, in welcher fo oft Iyn vorlommt. Und wie entftand das Tertgebreden? Das rreörov ayeödos war offenbar die Verfegung des pas ins aus der erjten in die zweite Vershaälfte *). Diefe hatte weiter zur Folge einerfeitd die Ummwandelung des nunmehr incorrecten ne in den Plural do, andererfeitS die Veränderung des nunmeht objectöfofen und fomit unverftändfichen Verbums mind in dar Subftantiv mad. Der legte Grund des Textſchadens war fomit ein einfaches Verſehen (Berftellung zweier Wörter); die übrigen Veränderungen des urſprünglichen Wortgefüges find durch das Be ftreben verurjacht, dem in Folge der Verftellung ſinulos gewordenen Wortgefüge ein Berftändniß abzugewinnen. Auf den Tegteren Bunt ſcheint man immer noch zu wenig fein Augenmerk gerichtet zu haben, und doch lehrt ja ſchon eine Vergleihung der uns erhaltenen pa rallelen altteftamentlichen Texte, wie oft eine Abweichung von dem urfprünglidhen Wortgefüge fofort andere nad) ſich zog; unten werden wir noch) zwei weitere Belege Hierfür zu verzeichnen haben.

Wir gehen zur Betrachtung einiger Pſalmſtellen über, wo die Ber- derbtheit des Textes ihren Grund hat in falſcher Wortabtheilung Wir beginnen die Erörterung mit Pi. 85, 14. Der Vers laute im maforetif—en Texte: way 7b nimm hm manb ps." B. 2 ift klar; derfelbe ift zu überfegen: „Gerechtigkeit wandelt vor ihn

8) Bgl. den umgelehrten Fall Pi. 35, 7 (fiehe Oupfeld und ditzig je

der Stelle).

zur Tertkritik der Pfalmen. 639

(dem in der zufünftigen Zeit fein Volt fegnenden Jahre) Her“. Die Gerechtigkeit wird hier gleichſam als die Vorhut Jahve's auf ieinem Zuge vorgeftelft, feine Ankunft und Gegenwart verfündend. der Sinn der Phrafe ift fomit: überall wird die Gerechtigkeit in xes ſich offenbarenden Gottes Nähe fein. Schwierigkeit macht nun ber V. b. Man überfegt wohl: „und fie (die Gerechtigkeit) ſetzt nf den Weg ihre Tritte“ (Rofenmüller, de Wette u. A.), und egt diefen Worten dann den Sinn bei: fie gehet frei umher; fie ft thätig und wirkſam in der Melt. Aber wie matt und ungeſchickt väre diefer ohnehin wenig poetifche Gedanke ausgedrüct! Wie ganz mder8 Tanten da die zur Vergleihung herangezogenen Stellen Jeſ. 59, 14. Amos 5, 7! Dazu führt doch der Gegenfag, in velchem das ınyD zu dem vorhergehenden ob fteht, gewiß zu üererft darauf, das Suffix auf Gott zu beziehen (Hupfeld); aber ieſes Forſchers eigener Meinung wiederum («8 fei zu überfegen: ie macht zum Wege feine [Gottes] Tritte) dürften faum minder toße Bedenken entgegenftehen. Denn wenn dies fo viel heißen oll als: fie mahht zu ihrem Wege Gottes Wege fie folgt Gott ach, jo hätte doch wohl ſchwerlich das auf pas bezügliche Suffix wi dem 777 fehlen dürfen; der Dichter hätte in diefem Falle gewiß No gefchrieben. Allen diefen und ähnlichen Auffafjungen klebt udem die Unzuträglichkeit an, daß dann der Optativ dirz genom⸗ nen werben müßte im Sinne des Verb. fin. oxipy; denn optativifche jaſſung ift ſichtbar unangemeſſen. Ein Schreibfehler wird vor- iegen. Man rücke nur die beiden Schwierigkeit: bereitenden Wörter ng zufammen, jo ergibt ſich das urfprüngliche Wortgefüge von über ; der Dichter fhrieb: vayr 717 Toy und hütet feiner Gottes) Tritte Weg“ d. i. weicht von diefem nicht ®), oder aber dgl. Hof. 4, 10. Sad. 11, 11): „und Hat Acht auf feiner Schritte Richtung“. Die Tertverderbnig beruht folglich Hier auf alſcher Wortabtheilung und (auch jonft befauntlich häufiger) Ver— sechjelung von 4 und 5. Noch ein anderes Beijpiel der in Rebe ftehenden Entftehungsweife der Textverderbniß bietet uns ber 35. Pſalm. V. 4b lefen wir in einer Anrede an Gott: mia

a) Bol. Emald a, a. D., S. 460.

640 Schrader

zes rap. Ueber den Sinn des Satzes kann gemäß dem Zu- fammenhange ein Zweifel nicht obwalten; er ift zu überfegen: „Du, Haft geftillt Deine Zornesgluth.“ Auffallend und analogielos iſt nun aber bei der uns hier entgegentretenden Nedensart die Ver bindung des tranfitiven Hy mit der Präpofition jo. Kraft feiner activen Bedeutung Hat das Hiphil rin und zwar gerade in bier] Nedensart ausnahmslos den Accujativ nad) ſich (vgl. 4 Mof. 25, 11. Pſ. 78, 35; 106, 23. Spr. 24, 18. fra 10, 14). Man fir tuirt Bier gewöhnlich eine Verſchmelzung der Eonftruction des tra fitiven Hiphil Hu mit derjenigen des intranfitiven Kal Id (w Hupfeld). Allein da, wie bemerkt, das Hiphil des betreffen Verbums fonft ausnahmslos den Begriff Zorn oder Zomt: gluth im Accuſativ ſich unterordnet, fo muß diefe Annahme dern doch gerechte Bedenken erregen. Auch die Berufung auf Ez. 14,6; 18, 30. 32; 21, 35 (de Wette u. A.) dürfte nichts verſchlagen Wie die erfte der angeführten Stellen beweift, ift die Redensan jo Dun erft eben aus ber an jener felben Stelle noch vollſiändiz ſich vorfindenden Nedensart jo ı9p Din verfürzt. Nur wo jene 195 dem Sinne nad) zu ergänzen ift, wie eben Ez. 18, 30. 32°, alfo nur ſcheinbar, eignet dem Hiphil intranfitive Bedeutung. Te große und wefentlihe Unterfchied jener Stellen im Buch Ezehi und der in Rede ftehenden ift der, daß an letzterer ftatt eines ur fprünglic zu erwartenden Accufativs die Präpofition jo ſich find, während in jenen Stellen im Bud Ezechiel das betreffende Cut ftantiv fo wie fo mit der Präpofition jo zu verfehen war; u der Accufativ hätte deshalb dort überall nicht gefegt werds können. An jenen Stellen ift die Urfache der fcheinbaren tranii tiven Bedeutung des Verbums nun die Ellipfe eines Accujatio:, de8 mp; daß aber eine ſolche Ellipfe in der Pfalmftelle nicht r ftatuiren, fieht Jeder ohne Weiteres. Denn lautet die entjpredent Nedensart im Buch Ezechiel: „Ich wende mein Antlig von’: mandem ab“, und ward diefe durch Ellipfe des: „mein Antlig‘ verfürzt in: Ich wende ab von Jemandem, fo wäre die zu erwar tende analoge Verkürzung der Pfalmenphrafe: „Ich wende meint

a) Ueber Ez. 21, 35 vgl. Hitzi g zu der Stelle,

dur Terttritit der dſalmen. 641

Zornesgluth von Jemandem ab“ offenbar ebenfalls: Ich wende ıb von Jemandem, bei Leibe aber nit: Ich wende ab von der Zornesglutö! Die angezogenen Stellen bei Ezechiel bieten fomit n Wirklichkeit feine Analogieen “). Unfere Stelle tritt vielmehr änzlih aus fonft herrſchendem Spracdgebrauche heraus wie oir meinen, in Folge eines Schreibfehler und falſcher Wort- theilung. Das o ift als 7 zum vorhergehenden Worte zu ziehen ad es ift zu lefen: Tpx par mmmuin; fo ift da8 betreffende Berbum sie fonft ausnahmslos auch Hier mit dem Accufativ conftruirt. ste Urſache des Textgebrechens war wohl, daß der Abjchreiber n die Plenefchreibung der Endung der zweiten Perfon Masculini Gingularis nicht dachte und fo das ald v zum folgenden Worte og. Wie leicht zudem m und v verwechfelt wurden, ift befannt; ir unferen befonderen Fall Liefert ein fchlagendes Analogon 2 Sam. !6, 11, wo ftatt des maforetifchen nm die LXX lafen omım ed Eosode. Wir haben nun aber im Pfalter noch einen, em erörterten wie ein Auge dem anderen ähnlihen, Fall eines urch Verwechſelung von n und v am Schluffe eines Wortes und che Worttrennung entftandenen Tertfehlers; einen Tall zudem, »0 die Entftehung des Fehlers womöglich noch eclatanter fein dürfte. Ne Stelle ift Pi. 89, 45a. Die betreffenden Worte Tauten im ebraiſchen Texte: yn Haya. Der Sim ift unzweifelhaft: Du (Gott) Haft ein Ende gemacht feinem (Iſraels) Ganze.“ Boher aber kommt das jp vor dem Subftantiv, da das Verbum an fonft ausnahmslos mit dem Accufative conftruirt wird, wie a8 ohnehin die tranfitive Bedeutung des Hiphils: zur Ruhe, zu inde bringen, gebieterifch fordert? Man Hat die verjchiedenften Inftrengungen gemacht, das im Texte ftehende p zu erklären; allein es eine auffallende Anomalie, wird fi kaum in Abrede ftellen iſſen, und wenn D. Delitzſch ſich mit einigem Schein auf Ez. 16, 41; 4, 10 beruft, fo ift zu bemerfen, daß in beiden Stellen der eben ier zu poftulirende Accuſativ ausdrücklich fich gejegt findet, bie gezogenen Stelfen fomit keine ausreichende Analogie bieten. Wir

a) wie dieſes and; de Wette felber ſchon fühlte (ogl. defien Bemerkung zu der Stelle). x Teol. Stud. Jahrg. 1868. 4

62 Sqhrader

erinnern uns der eben gemachten Beobachtung, leſen rw mach und laſſen das betreffende Hiphil wie fonft ausnahmslos mit dem Accufative des Objects conftruirt fein. Sollte in diefem zweiten Falle Jemand an der Richtigkeit der Conjectur noch zweifeln, jo möge derfelbe nur drei Worte weiter leſen: dort findet er zum Ueberfluß in dem parallelen Gliede das entſprechende Verbum pp gerade fo, wie wir es für das Verbum des erften Hafbverie poftulirten, in der zweiten Perfon mit m im Auslaute ge: ſchrieben; ic) dächte, mehr kann man bilfigermeife nicht verlange. Laffen wir unfere Beobachtung fofort noch einer Stelle außerhah des Pfalters zu Gute fommen, die den Eregeten kaum geringe Schwierigkeiten bereitet hat, wie die eben befprochenen. 5Moj. 3 lejen wir im Gegen Mofis (B. 3 c. d): gr yozy mn ram. Im Anfchluffe an V. a. b (Auch liebt er [Gott] ie Stämme; alle feine Heiligen leiteft Du) ift zunächft V. c zu übe: fegen: „fie aber folgen demüthig Dir nad)“. Was aber bejag 2. d? Man überfegt wohl (de Wette): „fie empfangen Dein Worte“. Aber wie fteht. diefe Ueberfegung zu vedhtfertigen? woht da8 zn vor dem Subſtantiv? Hat diefes etwa partitive Beh tung = etlide von Deinen Worten? Das würde aber dad den Gedanken ungemein abſchwächen; und woher kommt zudem dt Singular win, da doch ein Jeder nach dem fo ausdrücklich gejegtn om gewiß Hier den Plural des Verbums erwarten wird? De Schwierigkeit entgeht Knobel, wenn derjelbe V. d zum Folgerda zieht und ald Subject des xir Mofes nimmt „aus Deins Neden nahm, gebot ein Gejeg uns Moſes“; jener Schwierigkeit. fage ih, entgeht fo Knobel, aber nur um neue Unzuträglichleite ſich zu ſchaffen. Denn einerſeits wird durch diefe Abweichung vos der maforetifchen Versabtheilung der ſchöne viergliedrige Parallel mus des dritten Verſes zerftört, und andererfeits ift bie Thon denn doch wohl nicht ein Theil der in Ausficht genommenen Wort Gottes zu Mofe, fondern biefe felber! Wir ziehen dei ftörende » als ı zum vorhergehenden Worte und leſen: yr1z7 wer Mit einem Schlage gewinnen wir den durch das nachdrucsvel voraußgeftellte om gebieterifch geforderten Plural des Verbs un den allein zu erwartenden Accufativ des Nomens. Wir hätten hie

zur Tertkritik dev Pfalmen. 643

alfo textfeitifch genau benfelben Fall wie 1 Sam. 10, 10, wo die LXX, and) Syrer und Araber ftatt des maforetifchen oy a in ihrem Texte ein of Non lafen (fiche Thenius zu diefer Stelle). Die zuletzt befprochenen «Stellen waren ſämmilich folde, wo ein urfprünglich zum vorhergehenden Worte gehöriger Buchſtabe durch Verſehen zu dem folgenden gezogen ward; den umgefehrten Fall bietet die Stelle Pf. 94, 20. Der Bers lautet im Hebräifchen: pn Syn, bay Ab mia pp miggys; zu überfegen: „Iſt mit Dir derbündet der Thron de Verderbens, der Frevel finnet wider Recht?“ Aber wie kann wohl von einem Throne, einem Stuhle gejagt werden, daß er ſich mit Jemand verbünde? Man beruft fich wohl (v. Sengerte u. A.) auf Pf. 125, 3, wo von dem Stabe (Scepter) der Ungerechtigkeit ausgefagt werde, daß er nicht ruhen werde auf dem Looſe (Rande) der Gerechten. Allein was dort von einem Stabe, Scepter ausgefagt wird (daß er nämlich ruhen. werde ma) ift etwas, was von einem Ieblofen Dinge, wie einem Stabe, Stode überall ausgefagt werden konnte. Wie ganz anders bier, wo etwas rein Menſchliches (ein Sich = verbinden mit Jemandem) einem leb⸗ Tofen, fich gar nicht regenden und bewegenden Dinge beigelegt wäre! Auch die Verweifung auf Jeſ. 22, 23 (Hitig) dürfte nicht ause reihen, da an jener Stelle n2> no Prädicat ift eines per- ſönlichen Subjects; Hier ein perfönliches Subject (die Frevler) durch eine Sache und zwar ein fo ſchwer perfönlich vorftellbares Ding, wie einen Stuhl, einen Thron, vertreten wäre, was denn doch ein wefentliher Unterfchied. Nicht minder kann ich die Frage ſelber: Iſt der Thron des Berderbens, d. i. die Frevler, mit Dir (Gott) im Bunde? wenig angemefjen finden; man würde eher das Umgekehrte erwarten: Bift Du (Gott) etwa im Bunde mit den Frevlern? Ein ſolcher Gedanke, eine ſolche Frage ſcheint mir aber ohnehin in diefem Pjalme, der durchaus das vollfte Vertrauen zu Jahve athmet, wenig am Plage; infonderheit ftimmt fie weber zu B. 7ff., noch zu V. 14 und 17; ganz ungehörig aber feheint fie mir zwiſchen V. 19 und ®. 22. Zum mindeften fehr Hart endlich ift die Conſtruction des Verbums "ar mit dem Accufatio, die bei der Texteslesart zu ftatuiren wäre; ſonſt wird. beregtes Verbum ausſchließlich mit einer Präpofition (dx oder dy) conftruirt, Die 48*

644 Schrader

gewöhnliche Verweiſung auf die Conſtruction von ma mit dem At⸗ cuſativ (Pf. 5, 5) ſcheint uns nicht hinreichend, jenen Ausnahme: fall zu erklären, da einerfeits bei den Verbis des Wohnens, Weilens, Sihaufpaltens der Accufativ als Acc. loei ſchon an fid eher er⸗ träglich, anderſeits jene accufativifche Verbindung bei dem angejo- genen Verbo auch fonft fi findet, während Hier diefelbe etwas durchaus Singuläres fein würde. Ein Tertfehler dürfte vorliegen. Wir fehlagen vor, das > als d zu dem folgenden Worte zu ziehen und unter Vertauſchung von x und m zu lefen ): Anm gap "ann pr »op boy an „Dürfen ſich verbünden fie, die verbergn frevle Abfiht; Unheil finnen wider Recht?“ Beide Halbverfe zu ſammen würden etwa den Gedanken geben: „Dürfen fich verbünde fie, die im Geheimen Unheil finnen wider Recht?“ Gegen wen? fagt der folgende 21. Vers. Diefer wäre dann wohl am einfachſien als Fortfegung der Frage zu faſſen = „Dürfen fie fich zufammen rotten wider das Leben des Gerechten“ u. f. w.; doch würde auh pofitive Ausfage am Plage fein; zu vgl. fteht nach Form un Inhalt B. 3—T. Welches der letzte Grund der Textverderbrij war: ob die Verlefung des » in > (vgl. 2Sam. 22, 28 um Ewald zu Pf. 18, 28) oder die Verwerhfelung von m und x (ogl. die Anmerkung), wird fi ſchwer entfcheiden laffen. Jeden falls aber wohl hat das eine Verſehen das andere erft im Gefolge gehabt (fiehe oben). Zu dem Gebrauche von mo> in ber hier er forderlichen Bedeutung vgl. Spr. 10, 18; zum Gedanken Pf. 5, 10.

Wir haben im Vorhergehenden lauter Fälle erörtert, im denen das Tertgebrechen faft Tediglich durch ein bloßes Verſehen des A ſchreibers entftanden war. Es kann nun aber aud der Fall ein- treten, daß in dem Manufcripte, das der Abjchreiber vor fich hatt, ein oder mehrere Wörter Hinter einander entweder gänzlich verlöſcht waren, oder aber folches wenigftens biß zu dem Grade, daß nur

a) Ständen der vom Terte gebotenen Lesart IM nicht bie oben aus: führten Bedenken entgegen, fo wurde es noch näher liegen, einfach Re (Part. Kal) zu leſen; im dieſem Falle Hätten wir im hebräiſchen Tert genau diefelbe Verwechſelung, welche den LXX bei Spr. 12, 23 begegueit, wo diefe umgefehrt urfprüngliches 1}, beziehungsweiſe NRD, vielmehr NEE laſen (fiehe Hitzig zu der Stelle).

zur Tertkritik dee Pſalmen. 645

noch einzelne Buchſtaben oder Buchitabenrefte zu erfennen waren, die dann nach befter Meinung gedeutet und zu Wörtern ergänzt wurden. Einen ſolchen Fall haben wir Pf. 71, 3b. Was zur nächſt die erften drei Verſe diejes Pfalmes im Allgemeinen betrifft, fo find diefelben anerkanntermaßen nichts weiter denn eine und zwar wörtliche Reproduction von Pf. 31, 2—4 a. Die Abweichungen haben fichtlich feine andere Bedeutung als diejenige von Varianten (wie etwa zwiſchen Pf. 18 und 2 Sam. 22). Nur an einer Stelle ift diefe Abweichung bedeutender, und hat man deshalb mehrfach hier Anftand genommen, fie für eine bloße Variante zu erklären; man meinte vielmehr, daß dort die Verſchiedenheit des Textes eine mehr oder weniger urfprüngliche,. von dem Dichter des 71. Pſalmes felber Herrührende fei. Die Stelle findet fich in dem zweiten Gliede des dritten Verſes, wo wir nämlich ftatt des: myh mu »b mim wind nimsp np „fei mir ein Schutzfelſen, eine Felſen- burg, mic, zu retten“ des 31. Pfalmes vielmehr leſen: »b nm pure ng yon tab jyp mu „ſei mir ein Wohnſtatt- felfen, Hineinzutreten immerfort, befohlen Habend, mich zu retten“. Hier alfo meinte man, fei der Dichter mit Bewußtſein von dem ihm vorſchwebenden Texte des 31. Pfalmes abgewichen, und hier ginge unfer Palm nicht auf den 31ſten zurüd. Allein Jeder fühlt bier das Ungelenke und zubem Abgeblaßte des ganzen Ausdruds. Sofort wird Zeder Anftoß nehmen an dem „Wohnftattfelfen“. Denn einen Felfen wählt ja Niemand zum Wohnorte; berfelbe ift ihm vielmehr ein Zufluchtsort, dorthin vor Feinden ſich zu retten. Hervorzuheben fteht jomit bei dem Felſen, daß er diefen Schu gewährt, daß er ftatt einer Burg, ftatt einer Feſtung ift, daß er. ift ein nyo 3; nur diefes kann fomit auch unfer Dichter wie ber ältere Pf. 31 gefchrieben haben. . Sodann geht man ja nicht in einen Felſen Hinein (40), jondern man fteigt auf einen folgen, vettet fih auf ihn; davon ift offenbar die Vergleihung Gottes mit einem Felfen Hergenommen; in einen Felſen wie ein niedres Thier verfriecht fi der Schuldbewußte, befallen vom Schrecken Gottes (Jeſ. 2, 10). Und num gar das apwhnb mns! Schon rein äußerlich ordnet fich der ganze Ausfpruch möglichft ungeſchickt in das Saßgefüge ein. Sodann aber: was foll diefe Ausfage, daß

6846 Schrader

Gott geboten habe, den Dichter zu retten, Rettung ihm alſo zu⸗ geſagt habe, hier, wo der Dichter um Rettung erſt fleht? Etwas Urſprungliches kann dieſes doch wohl nimmermehr fein | (vgl. auch Ewald, Hitzig, Hupfeld zu der Stelle). Der befproden Text unferes Pfalmes wird vielmehr nichts anderes fein als ein aus einem mit dem von Pf. 31, 3 identifchen Wortgefüge, ver: derbter. Und Hierfür, meinen wir, haben wir ben Beweis fogır noch in den Händen, in ber Ueberfegung nämlich der LXX. Zu vörberft geben fie V. 3a wieder durch: yevod nos sis Ber Önegaorıor;v, genau fo, wie fie Pf. 31, a überfegen. Si laſen ſomit fiher in ihrem Texte noch: myg sb ftatt pyo. 9 B. b weiden fie zunächft im Wortausdrude von ihrer Ueberſetzung von Pf. 31, 3b ab, zum beutlichften Zeichen, daß fie nicht etwa einfach ihre eigene frühere Weberfegung reproducirt haben. Sit bieten Hier num aber: al eis zomov Öxugöv Tod Owaaı ne. D. Higig, der im Uebrigen unſere Anficht von der Stelle theilt, meint *): die fege im Hebräifchen ein 'ın mAsao ma ftatt msn 2 wie der 31. Pfalm bietet, voraus. Nun wird allerdings Dan. 11,15 msn ıy von den LXX durch moAsıs Oxugds wiedergegeben; Jer. 48, 41 aber wird durch dxvewpera gerade das im 31. Pfalm ung entgegentretende mmyo ausgedrüdt. Es ſcheint fomit, ftatt mmso nı2, wie Pf. 31, 3 bietet, als urfprünglicen, den LAN vorgelegen gewefenen Text nıas20 MD zu poftuliren, fein genür gender Grund vorhanden (vgl. aud Ewald, Die Dichter der a. B.'s II, 3. Ausg, ©. 311). Wir gelangen fomit zu dem Nefultate, die beſprochenen Worte unferes Textes find wirklich nichti anderes als (Higig a. a. DO.) „Auffriſchung des vergilbten und verwiſchten Grundtertes“: mmso mob nyo. Veranſchaulichen wir uns ſolches noch etwas näher, indem wir die beiden Texte noch etwas mehr im Einzelnen vergleichen und zu diefem Zwecke dieſelben unter einander ftellen. Es Tautet:

$. 71, 3b: mus Ton mob pyo Pſ. 31, 3b: mas on ob nyD

a) Siehe defien Pfalmen, neue Ausgabe IL, 107.

zur Tertkeitit der Palmen. 7

Wir begegnen Hier zuvörderſt an beiden Stellen im Wefentlichen denfelben Confonanten mit Ausnahme von zwei in Pf. 71 nen hinzugefommenen, nämlid eines x in ma und eines » in mon; außerdem findet ſich Pf. 71 ein 3 aus 1 verborben, ſowie zweimal (in 002 und in nns) » und », wie fo oft, vertaufcht. Ferner be» gegnet uns im Wefentlichen diefelbe Reihenfolge der Eonfonan- tn; jedoch nicht überall: in dem legten Worte des Textes "von ®. 31 fand eine Umftellung der Laute ns in ı37 ftatt. Mit dulfe diefer Umſtellung fesbarer, Ergänzung‘halb lesbarer (7 und 1) md Hinzufügung ganz neuer Zeichen (x und ,) ftellte ſich ein Ab» hreiber aus feinem verderbten Exemplare unfern Text in Pf. 71 yr>). Daß er den urfprünglichen verfehlte, daran war wohl ornehmlic, der allerdings eigenthümliche Ausdrud ninso na Schuld, der ſich befanntlich im A. T. in diefer Weife fonft niemal® wieder Ändet. Auf fein-Twon ward der Abfchreiber geführt wohl durch »as im Pfalme ſelber mehrmals (®. 6. 14) erfcheinende Ton, vie mit Recht fhon Ewald a. a. O. vermuthet hat. Treten dir nummehr mit den gemachten kritiſchen Beobachtungen an eine indere Stelle im Pfalter heran, melche zu ben dunkelſten defjelben jehört: Pf. 89, 51. Diefelbe lautet jet im maforetifchen Texte: ap aasg por Masiy mau, nenn ve Sat. V. a iſt deutlich; sie Worte find zu überfegen: „Gedenke, o Herr, der Schmach Deiner Knechte.“ Was nun aber befagt V. b. c? Man über etzt wohl: „daß ich trage in meinem Buſen alle bie vielen Völker“, »der: „die ich trage in meinem Bufen, all der vielen Völker“, und ihnlich; alfein alle diefe Weberfegungen find ſichtlich nur gemadjt, um iberhaupt den Worten nothdürftig einen Sinn abzugewinnen; gram⸗ natifc rechtfertigen möchte fich feine einzige von ihnen lafjen. Wo väre wohl je der Infinitiv mit Suffie in diefer Weife in einem Relativfage gebraucht? wo der Genitiv oıny om 5> von dem re sierenden Nomen (nenn) in dieſer Weife durih einen ganzen Sag getrennt, von einem Nomen zudem, das felber bereits mit einem Benitiv verfehen?! Auch möchte zu bezweifeln ftehen, daß der

a) fo daß es felbft der Annahme, daß menigftens das MY eingeſchoben fei, zu der Hupfeld, der im Uebrigen eine ganz richtige Anficht von der Stelle Hat, ſich ſchüießlich Hinmeigt, nicht bedarf.

48 Schrader

Hebräer die Redensart pına nt fo gebrauchen konnte, wie Hier gefchehen fein würde; wo der Ausbrud fonft ſich findet (vgl. z. B 4Moſ. 11, 12. Jeſ. 40, 11), fteht derfelbe von der Tiebenden Sorgfalt, mit der Jemand etwas hegt und pflegt (Olshauſen), eine zugefügte Schmach hegt und pflegt aber nicht Jemand im Bufen, fondern fie ruhet einfach in demfelben, wie der Ummwile im Bufen des Thoren (Pred. Sal. 7, 9) *). Zu diefen Bedenken gefellen ſich noch andere. Unerhört ift gleich im A. T. die Zr bindung ony on 55 mit, dem Nomen vorausgeftelltem, mn Hinter 55. Ez. 31, 6 findet ſich das on) Hinter dem om du; das ift erträglich; die betreffenden Worte Haben im Deutfchen em einen Sinn wie: all’ die Völker, die vielen. Das Umgefehrte i unerhört (Higig, Hupfeld). Eine Voranftellung des Adjectivs on ift zudem überall nur dann gerechtfertigt, wenn auf bemfelben cn Nachdruck liegt; fo Pi. 32, 10. Spr. 31, 29. Neh. 9, %; zwiſchen 55 und dopy aber mitten hineingeftellt muß Dꝛ felhi verftändlich jedes Gewicht verlieren. Auffallend ift ferner dar plögliche Hervortreten der Perſönlichkeit des Dichters hier in diejem Zufammenhange, wo er jihtbar nur das Gefammtfchicjal di Volles im Auge Hat (Hupfeld) ; dies umfomehr, al in dem gana großen 51 Verſe umfaffenden Pfalme, vom Eingange abgeſehen diefelbe vollftändig zurlicktritt (daß V. 48, wie 51, Im jtatt m zu leſen, darf als ausgemacht gelten; ſiehe Ewald, Hitig, Hupfel, Olshauſen zu der Stelle). Sodann, wie höchſt unmahrfcheinid ift e8, daß der Werfajfer, der im folgenden Verſe ſich micht che unmittelbar hintereinander das Pronomen relat. zu fegen, ger hier bei Beginn der Periode und noch dazu in einem ſchon am fi möglichft unklaren Sage diefes Relativ follte nicht beigefügt hab? Ferner kann fi doch wohl das "wir in dieſem zweiten Sage dm Sinne nad nur auf ein nenn in ®. 51 beziehen; wie aber wur diefes möglich, wenn nicht ſchon ein ausdrüdlich auf jenes nor (8. 51a) bezogener Sag voraufging? Und wie endlich ftimm: diefe gezwungene und gewundene, grammatiſch Höchft zweifelhaft

a) In der mehrfach, zum Vergleich herangezogenen Stelle Ser. 15, 15 ft: gerade das hier Anftoß bietende Prri2.

zur Tertkritik der Pſalmen. 649

Ausdrucksweiſe zu der fonftigen überaus Haren und durchfichtigen Dictton, welche uns und zwar durchweg in diefem Pfalme entgegen- tritt? Wir follten meinen, wenn irgendwo ein Fehler im Texte fteett, fo hier (vgl. Olshauſen und Hupfeld zu der Stelle). D. Hitzig ſucht nun dadurch zu Helfen, daß er das b> bis auf das 5 tilgt umb diefes dem Drop 121 als Präpofition vorfegt. Dadurch würde allerdings das Nachklappen des Genitiv einigermaßen erträglich jemacht und zudem die abnorme Zufammenftellung 12) 5> befeitigt fin; es würden jedoch die übrigen beregten Schwierigkeiten bleiben. Auf den erften Blick anfprechend ift Hupfeld's Vorſchlag, durch Einfchiebung eines nern hinter dem b> die Schwierigkeit zu heben tgl. den Chald.). Allein es bleibt zuvörderſt, wie ſich auch d. Hupfeld nicht verſchwiegen Hat, die Unzuträglichkeit der Voran— kellung des 2; wir behalten nicht minder die gar nicht Hierher snfjende Redensart pına ira; wir behalten endlich die in diefem Zufammenhange ftörende erfte Perfon. Wefentlich das Gleiche fteht u erinnern gegen den Verfuh Böttcher's, den Anftoß, den die Stelle bietet, zu bejeitigen, nämlich durch Ergänzung des do zu inem neh? zu helfen (Neue exeg.-krit. Achrenlefe IL, 283). Alter- ings würde fih, da das ſubſtantiviſche na jet von 91 ab» jängig gemacht werden könnte, Verbindung mit dem Vorhergehenden erſtellen und aud) die folgenden Relativfäge nicht mehr in ber uft ſchweben. Allein es bleibt die in der Zeit der Entftehung des zſalmes, die jedenfalls von 586 an abwärts Liegt, ungerechtfertigte Hervorhebung der Vielheit der Iſrael bedrängenden Völker; enn daß die betreffenden Worte nicht den Sinn haben können: die Schmähung] Vieler ganzer Völfer! bedarf feiner Ausein- nderfegung.. Es bleibt nicht minder das unmotivirte Hervortreten er Perfönlichkeit des Dichters; es bfeibt endlich die hier unanges neffene Redeweiſe pıma wis. Es wird auf andere Weiſe dem Schaden abzuhelfen ftehen. Es fommt num aber gemäß dem Er» wterten vor Allem auf ein Vierfaches an: erftens die Abnormität ‚er Verbindung Dr 5> zu befeitigen; nicht minder zweitens das der gänzlich unpaſſende prri2 xws zu entfernen; ferner drittens den Anſtoß der erften Perfon zu Heben; endlich viertens Verbindung nit dem Vorhergehenden herzuftellen. Um zum Ziele zu gelangen,

6850 Schrader

erinnern wir uns, daß unſer Pſalm ſich im Ausdrucke mehrfach mit Pf. 74 berührt; vgl. V. 40 b mit 74, 7, ſowie den Anfang unferes Verſes mit 74, 22; derjelbe gibt fih nur als eine Er weiterung des zweiten Theiles (B. b) von 74, 22. Es fteht jo- mit für den zweiten Theil unferes Verſes im Allgemeinen das Gleiche zu erwarten. Dem 573 74, 22 entfpridt num ſofort 89, 51 das Spy; nicht minder dem b> dort das b> hier. Nahe liegt nunmehr die Bermuthung, dag in dem 27 au das mm des 74. Pſalmes ſtecken und der Pfalmift gefchrieben haben werk, Dmy Dt. Die Vermuthung, daß in unferm Texte urſprin lich ebenfalls ein rn do ftand, gewinnt an Wahrfcheinlichtel fofern diefer Ausdruck noch in einem anderen Pfalme, nämliq 102, 9, bei dem Verbum mn fich findet; ja zur Gewißheit dürfte diefelbe werden dadurch, daß in dem folgenden 52. Verſe unferes Pfalmes wie dort ein yarie won fo Hier ein zuge aD erfchallt. Wenn Pf. 74, 22 und 102, 9 bei fonftiger innigfter Berührung! im Ausdrud mit unferer Stelle beide Dale ein Dorn 52 ung ent gegentritt, fo wäre es denn doch gewiß feltfam, wenn gerade ar unferer Stelle, welche im Uebrigen größtmöglichite Fülle des Aue- druckes aufzeigt, diefer Begriff: „beftändig, immerfort“, nicht aus gedrct wäre. Und wenn von den ſechs Buchſtaben des on vier (Dvb5) mit vieren der Wortgruppe Dıyı 5> einfach ſich deden: die Entftehung eines 4 aus 7 durch DVerlöfchen des Tinten Geiter- ftriches unmittelbar einleuchtet; die Annahme der Ergänzung db 2 aus dem vorgefundenen » ober y ebenfall® Feine Schwierigkeit machen wird: fo glaube ich, dürfte wie fachlich, fo formell von gegen unfere Conjectur Gegründetes nicht einzuwenden ftehen. Wit num aber weiter? Zuvörderft leuchtet ein, daß das Gubftantie Doy durch ein Berbum müffe in den Zufammenhang eingeordnet gewefen fein, durch ein Verbum, zu welchem es fei es Suble, fei e8 Object war. Wir vergleichen abermals eine Stelle in dem mehrfach angezogenen 74. Palme, nämlich 74, 18. Hier finden wir in einem mit 91 beginnenden Verfe neben dem, dem ont; entjpredenden collectivifhen mn das Verbum mn, zu melden a8 Subject. Unfer Droy würde ſonach den Plural rn erfor: dern der fich ohne Schwierigkeit aus dem pin unſeres Tertet

zur Tertkeitif der Palmen. 651

, zftelfen läßt. Die beiden Jod find Reſte eines urfprünglichen av und Resch, und bie Verwechſelung von p und D nicht ftärter am diejenige von p und np 1&am. 22, 5 (LXX) oder aber bier ige von p und » 1b. 6, 34 (LXX). Hätten wir jegt die inormität an 5> befeitigt, nicht minder zu dem Swy das erbum Hergeftellt, fo eritbrigt nunmehr noch einzig, Verbindung t dem vorhergehenden Verſe zu erzielen, zugleich das Object zu m Berbum zu gewinnen. Beiden Erforderniffen wird entſprochen, mm wir unter Statuirung einer auch fonft häufigen Verwechſe— ng von m und 7, fowie unter Annahme einer ftattgehabten Ber- zung zweier Buchſtaben das vom Zerte gebotene nxtw herftellen urſprünglichem win, fo daß wir, indem wir in Bezug auf die firenden Buchſtaben > und » annehmen, daß es mit ihnen eine iche Bewandtniß haben werde, wie mit den Buchftaben x und > der oben beſprochenen Stelle Pf. 71, 3, als urfprünglichen ortfaut der verdorbenen Stelle gewinnen würden: yon Wie my Dr. Der ganze Schluß des .89. Pſalmes würde danach ſprünglich gefautet haben:

2. 51. Gedenke, o Herr, der Schmad Deiner Knechte,

mit ber immerfort ſchmähen die Nationen ; 8. 52. mit der ſchmähen Deine Feinde, Jahre, mit ber fie ſchmähen bie Ferſen Deines Gejalbten !

Gewiß ein des "großen erhabenen Liedes würdiger Schluß. :eimal kehrt derfelbe Gedanke wieder, ehe er völlig zum Abſchluſſe angt; aber immer ift die Wendung eine etwas andere und jedes⸗ l wird nod ein neues Moment hinzugebracht. Spricht V. 51 Schmad des Volkes, deren Jahve gedenfen möge, aus als eine ternde, fo bezeichnet V. 52 a die Schmäher des Volkes zugleich Feinde Jahve's; fo bringt endlich V. 52 b das Object nad), nit erſt da8 Ganze vollendend.

Blicken wir nochmals auf unfere Unterfuchung der Stelle Pf. 89,51 üd, fo fehen wir, daß es mit derfelben in kritiſcher Hinficht ſich au fo verhält, wie mit der Stelle Pſ. 71, 3. Das BVerhält- unſerer Tertesfesart zu dem, durch das von uns eingejchlagene fahren wieder hergeftelften urfprünglihen Wortgefüge ift genau Telbe, welches uns entgegentritt zwifchen Pf. 71, 3b und der

682 Schrader, zur Zertteitif der Pſalmen.

Driginafftelle Pf. 31, 3. Wie in Pf. 71, 3 der nur trümmet haft erhaltene Grundtert von dem Abfchreiber nach beftem Meine ergänzt wurde, fo aud derjenige von Pf. 89, 51. Augenfcheinlit lagen dem Abſchreiber an legterer Stelle vollfommen lesbar ni vor die Wörter 5> und Sopy; von ben drei anderen waren u noch einzelne Buchftaben lesbar, wie da8 m von eur (in wel das Dh] von om (in DO); das wir endlich vom ok (i NW); alle übrigen Zeichen waren mehr oder weniger verbli Indem nun ber Abfchreiber aus diefen Wort» und —— einen einigermaßen lesbaren Text ſich herzuſtellen verſuchte, es, vergleichen wir den ganz gleichen Fall Pſ. 71, 3, nicht se nehmen, daß er ben urfprünglichen verfehlte; kann es auf weiter auffallen, daß er, um einen erträglichen Sinn zu gewima zumal wenn ihm vielleicht das nom des vorhergehenden Lrril eine Stelle wie Ser. 15, 15 oder Pf. 79, 12 in's Gedäd tief, fein Bedenken trug, ganz wie wir e8 Pf. 71, 3 haoamn ſei es eine Verſetzung von Buchſtaben (wx in x) vorzunehne ſei es, für den Sinn ihm nothwendig erſcheinende Buchſich 6 und >) hinzuzufügen *). Fir den Iegteren Punkt darf id) ſchl lich andy nod auf die Stelle 2Sam. 22, 28: Dow by . doyrd verweiſen, wo die Verleſung des von der Paralleit Pi. 18, 28 gebotenen und unftreitig urfprünglichen Du: i pay ®) zur weiteren Folge hatte, daß der Abſchreiber die Prim fition dy einfügte und das Femininum mar in das Dasculind Don umänderte, fihtbar nur, um dem verderbten Texte wenigied eine Art von Sinn abzugewinnen.

3) Wir ſetzen zu noch deutlicherer Veranſchaulichung biefer Art der Entfetes unferer jegigen Terteslegart (b) aus der urfprünglichen (a) beide Ir: wie oben untereinander:

- a1 b. owy mm 53 ypına nm

1% a Dmy Dun 55 par Un b) Bgl. Ewald, Dichter d. U. B. (3. Ausg.) II, 60.

Linder, ber Unionsverſuch des Duräus in der Schweiz. 653

3

Der Unionsverfud des Duräus in der Schweiz in den Sahren 1654, 1655 1662. Bon Pfarrer Finder in Regoldswil (Bajelland).

Unter den verfchiedenen Uniorsverſuchen zwifchen dem Lutheranern d Reformirten nimmt, was vornehmlich die ſchweizeriſchen Kirchen rifft, derjenige des Duräus eine wichtige Stelle ein, fowohl in heficht der Art und Weife, deren er fich bediente, nämlich nicht f dem Hohen Streitvoffe eines Andreä, fondern mit fanfter Be— Mamfeit, mit einer Schmiegfamkeit und Gemandtheit, wie feiner ner Vorgänger fie aufzuweiſen vermochte. Ganz befonders ver- nt and die Beharrlichkeit hervorgehoben zu werden, welche bei diefem Zriedenswerfe an den Tag legte. Der Zeitraum, ı er diefen Verſuchen in der Schweiz widmete, umfaßt die ihre 1654— 1655, doch treffen wir denfelben im Jahre 1662 d 1666 wieder an, jedoch nur auf kurze Zeit. Er Hoffte Hier n fo eher Anklang zu finden, als die veformirte Schweiz von den fitifchen Bewegungen, welche damald Europa in großer Span- ng erhielten, unberührt geblieben war, glaubte auch durch die npfehlung des Protector Olivier Cromwell dafelbft einen feiten tand zu gewinnen und ahnte nicht von ferne, daß gerade fein :rhältniß zur Hinrichtung Karl's I. und zu Cromwell ihm die ößten Hinderniffe bereiten würde.

Diefer Unionsverfuch erinnert uns zugleich an diejenigen, welche : Erſcheinung de8 Duräus in der Schweiz unmittelbar voran= zjangen waren. Wir erwähnen den Verſuch des ©. Ealizt, der mmtliche. hriftliche Glaubensparteien auf die einfachen Grund» pen des apoftolifchen Symbolums zurüdführen wollte; alfein, ſo— it wir aus den Acten erfehen konnten, war derjelbe von ges gem Erfolg.

654 Linder

Später, im Jahre 1651, erfhien in Zitrich ein Abgeordneter der Königin Chriftina von Schweden mit dem Auftrag, bei den ſchweizeriſchen Kirchen die Union zu beginnen. Der Magiftra von dort empfahl diefe Angelegenheit dem Rath zu Baſel mit ie Bemerkung, daß der Beginn eines Unionsverſuches bei den jeher zerifchen Kirchen von Seite der erlauchten Königin denſelben j großer Ehre gereihe. Der Rath zu Bafel verlangt hierüber um dem Kirchenconvent ein Gutachten, welches fich jedoch fehr zurüd: haltend äußert. Darin heißt es: Eine folche Vereinigung fei zu wünfchen als zu hoffen; diefelbe fei ein Gefchäft, melde gleicher Zeit auch die reformirten Gemeinden Deutſchlands anpk, deren Gutachten einzuholen wäre. Mit den Tutherifchen fei wegen ihres ftreitfüchtigen Wefens nichts anzufangen, fi e8 müßte den Fürften und Obrigfeiten, welche der iſ Religion beipflichten, die Sache mitgetheilt und von ihnen eine ferenz angeſtellt werden. Zu einer wirklichen Vereinigung ſei keit Hoffnung vorhanden, da da Maulbronner Gefpräc (1564 die Mömpelgarder Disputation (1586), fowie diejenigen Thorn und Danzig, bei welcher legtern die reformirten ZI Togen zu nachgiebig gewefen, zu Nichts geführt Haben. Es mi darin auch des Schmidlin's Buch (Eoncordienformel, zu Wi berg im Jahre 1580 verfaßt) erwähnt, worin die Lutheraner Reformirten geradezu die Bruderſchaft aufgefündigt Hatten.

In demfelben, Gutachten wird fchon des Duräus ermähnt, im Jahre 1633 umfonft Zeit und Mühe aufgewendet und mi denn Haß und Spott geerntet habe.

Das Schreiben an die Königin von Schweden, das von a reformirten Ständen an fie abging, war zugleich ein Gratulatins fchreiben bei Antritt ihrer Regierung und enthielt nach ehrenoin Erwähnung ihres Waters Guſtav Adolph folgenden Wunjd: a möchte in der gefammten evangelijchen Chriftenheit vertramlict Weſen gepflanzet, fonderlich alles empfindliche Reden, Schrehta und Predigen geftillet ımd ein gutes Verftändniß ftabilirt und x Kirche gegen jo manche wiberwärtige Praktiken gefichert werden.

Daß nun auch in Bezug auf diejes Pacificationswert Duris mit der Königin von Schweben in näherer Verbindung ftand, fi

der Unionsverfucd; des Duräus in der Schweiz. 655

kannt, und wir möchten faft annehmen, fie Habe ihren Hofrath Relfer, der von Zürich ftammte, dahin abgefandt, um ihm ben Beg zu bereiten.

Indem wir num eine Gefchichte feines Unionsverfuches in der Schweiz folgen laſſen, legen wir hier eine Relation feines eigenen Tngebuches zu Grunde, welches enthält initium et progressum neorum in tota Helvetia tractatuum et praesertim illum um fratribus Basileensibus. Zu einer ſolchen Relation war ce durch ausgeftreute Gerüchte, welche den Bafeler Theologen Nach⸗ geil bringen konnten, veranlaßt. Daß wir da vorzüglich bei den Interhandlungen mit Bafel verweilen, Tann nicht befremden, indem erade an der Bedenklichfeit der Baſeler Theologen das Werk der Inion fcheiterte,. während von allen anderen veformirten Cantonen va noch Genf ausgenommen) zuftinmende Gutachten erfolgten.

Im Jahre 1654 den 15. Mai gelangte Duräus über Straß- urg nach Bafel, wo er aber incognito durchreiſte und nad) Zürich lte. Doafelbft übergab er dem Rath das ihm von Cromwell aus. eſtellte Ereditiv, worin er in den wohlwollendften Ausbrücen dem Ragiftrate empfohlen wurde ut illi omnibus humanitatis, micitiae et benevolentiee officis adsint, faveant et ipsi ıppeditent, quae viris bonis, doctis bonique publici studiosis ebentur.

Ein ähnliches Schreiben wurde ihm von der Orforder Univer« tät zur Empfehlung mitgegeben, worin zuerft der Danf gegen Gott 18gefprochen ift, daß er die englifche Kirche wie aus einem Feuer⸗ cand errettet habe. Die Pflicht der Dankbarkeit gebiete aber etwas ı tun, was ihm und den Brüdern zur Ehre gereiche. Nun habe Juräns aus freien Stüden ihnen feine Dienfte zu einem Unions—⸗ erfuch zwiſchen den Lutheranern und Neformirten angeboten und » werde er von ihnen empfohlen ut ei fidem adhibeant in 3 rebus, quae ad hunc scopum nostro nomine proponet et am isto consilio sua communicent.

Gegen diefe beiden Actenftüde wurde fpäter von den Bafeler :geologen ein Verdacht erhoben, da der ſchweizeriſchen Kirche darin it feiner Sylbe erwähnt wurde und überdies in denfelben das wöhnliche Inſiegel fehlte, "

656 Linder

Ueber feine Ankunft in Zurich meldet Antiftes Stucki an den jenigen zu Bafel, Duräus fei erſchienen cum praeclaro il, jam nobis cognito et ab omnibus bonis in Anglia denuo ap probato ampliore proposito ad eandem societatem nostris cum ecclesiis ineundam. Er hoffe um fo eher einen günftigm Erfolg feiner Bemühungen, als der Protector mit verſchiedenn Staaten futherifher und reformirter Eonfeffion im Bunde ftek, fo daß zum wenigften doch, was am meiften Noth thue, die gegr- feitige Toleranz könne erwirkt werden.

Wie fpäter in Bafel, fo verlangte er auch hier in Zürich ki Anlaß der Ueberreihung feines Creditivs, es möchten vom Rak etliche professores und theologi, fowie aud Diener des göttliäs Wortes, zu dem Behuf bezeichnet werden, um mit denfelben w Präliminarien zur. Bermittelung des Friedens feſtzuſetzen, jonk überhaupt feine Friedensvorfchläge mit ihnen zu befprechen.

Zu diefem Zwecke hatte Duräus drei von ihm verfaßte Schriften mitgebracht, von denen die erfte den Titel führt: scopus Ireni- eorum, bie zweite: de mediis ad scopum evangelicae univ- nis obtinendae requisitis, die dritte: de modo procedendi quo inter Evangelicos unio obtineri possit.

Die erftere enthält eine dringende Aufforderung am Lutherane‘ und Neformirte, ſich einander in Rückſicht der von Seite der Fi piften drohenden Gejahr die Hand zum Frieden zu bieten, wie der: aud in jo bedenflichen Zeiten die Gemeinden von Gottes Wort ur gewiefen feien, als Glieder Eines Leibes Freud und Leid miteinanda zu tragen, damit durch diefe Gemeinſchaft des Geiſtes der gu Ban in einander gefüget wachſe zu einem Heiligen Tempel in da Herrn. Am Schluſſe enthält diefe Schrift folgende ſchöne Stelk: Nunc obtestamur vos, ad quos hoc scriptum pervenie. quotquot estis ecclesiae Dei praepositi sive praecones site patroni, sive Doctores sive rectores politici vos inquau: omnes coram Christo, qui in illo die judicabit vivos et mor- tuos, obtestamur et per viscera Christianae caritatis, ® qua est publici status et communis aedificationis cura et sollicitudo, rogamus et oramus, ne velitis huic aratro ma num subtrahere aut qui vocati estis ad sanctam in regiv

der Unionsberſuch des Duräus in der Schweiz. 657

Dei communionem ad mundum respicere aut qui consilio ıdesse potestis, ilud muto et causam proditorio silentio de- inere, sed ut illud communicetis cum is, quorum opera le- time et ad alios fructuose propagari possit.

Das zweite Actenſtück, welches die zur Union führenden Mittel wfpricht, enthält zwei Theile, von welchen der erfte de fide, ber dere de caritatis praxi handelt.

In dem erjten Theile nennt er als Mittel, welches zur Fort Mlanzung des Glaubens von Gott ſelbſt geordnet ift, die nur nder Schrift geoffenbarte und von Irrtfum unver ehrt erhaltene Wahrheit. Heilswahrheit ift jedoch nur die- enige, welche in den Herzen der Menfchen wahren Gehorfam des Hanbens pflanzt und ohne welche fein folder denkbar ift. Jede Birhe Habe zwar ihr Bekenntniß, hiermit follten die gemeinfamen undamentalen Glaubensartifel zufammengeftellt und alle Belennt- iſſe mit den Symbolis der erften chriftlichen Kirche in völlige Iebereinftimmung gebracht werden. Daneben foll auch bei jedem Ylaubensartifel der vornehmften Pflichten als praftifcher Folgerungen ‚dacht werden. Um aber die Wahrheit vor Verfälſchung und erthum zu felgen, folfe eine Anleitung (methodus) ausgearbeitet verden, wie man die Heilige Schrift zu erflären hat, damit allem aenfchlichen Vorwitz in Auslegung derfelben gefteuert werde.

Der zweite Haupttheil de caritatis praxi enthält drei Unter- Ötheilungen: 1) wie eine concordia in Wahrheit an- uftellen fei; 2) wie der Friede nad erlangter con- sordia zu befeftigen, und 3) wie nad geſchloſſenem frieden die Schismata abzuſchaffen und zu befeitigen eien.

ALS Mittel zur Erreichung diefes Zwedes werden unter andern gegeben: Man folle jeder Kirche eine harmonia fidei, worin mit Auslaſſung aller adiaphora nur die Fundamentalartifel zufammen- jejtelft find, überreichen und ihre Zuftimmung zu- erlangen fuchen. Sollte von Seiten der Lutheraner gegen irgend einen Artikel Pro- ft erhoben werden, fo wäre diefe Sache dur Geſpräche und Disputationen nad dem Vorgang derjenigen zu Leipzig zu erledigen. Ferner fei eine Schrift abzufaffen, worin die Nothwendigkeit einer

Teof. Stad. Jahrg. 1868. 44

668 Linder

Vereinigung unter den evaugelijchen Gemeinden auf's gründlichfte dargethan umd zu erweiſen fei, daß Die, welche ſich zu einem Glauben befemen, aud die gleiche Affection gegen einander haben ſollen. Beiderſeits fei der Genuß des heiligen Abendmahls frei zu laffen, was durch „feine“ Correfpondenzfchreiben zu er reichen fei.

Zu Bezug auf den zweiten Puuft: wie der Friede zu befeftign fei, bemerft Duräus weiter, müßte der Gebrauch der verhaftn Namen Lutheraner und Calviniſten aufgehoben, die Clamanten m unrubigen Köpfe, fowie alle Die, welde Schmähſchriften ausge laſſen, zur Verantwortung gezogen werden. Es fei überhaupt ur die Sache als die Perfon anzufehen. Ueber ji allfällig erhebt ftreitige Punkte fei das Gutachten gelehrter Theologen einzuholn

Es folgen dann noch einige untergeordnete Punkte, wie j. von der gemeinen Erbauung (de communi aedificatione) oder von der Miffionsthätigfeit nach innen durch gegenfeitige fügı liche Vermahnung nad 1Theſſ. 5, 14; ferner von der Belek rung der Ungfäubigen ober die Miffionsthätigfeit nad) aufn, 3. B. nad Oftindien, New England; dabei foll auch der Juda und der Türken nicht vergefjen werden, ſowie der griechifchen Kirk, mit welcher legteren durch den englifchen Gefandten bei der „Dit manifchen Pforte“ eine Correfpondenz anzuftellen fei. And die tatholiſchen Papiften fol man trachten zur Erfenntniß der Wahr heit zu bringen, zumal da Gott doch an ihnen die Macht fein Gnade und der Menſchen Unvermöglichteit viel mehr als frük geoffenbart habe. Zuletzt folgen noch zwei Artikel von der Auf— hebung der Aergerniffe (de scandalorum abolitione), dır Vermahnung der Straffälligen nah Matth. 18 und überhar durch Aufftellung einer gemeinfamen Kirchenzucht; von der dr ſchirmung der Gemeinden vor Atheijten, Papiften, welche mit Tyrannei und Aberglauben die Gewiſſen beſchweren, und vor folät, welche Fundamentalfehler auf die Bahn bringen, welche den Ölauk: und Gehorfam in den Herzen ſchwächen.

. Endlich werden im dritten Actenſtück de modo procedendi sl unionem Evangelicorum obtinendam folgende Rathichläge ertfeik: Sollen ſämmtliche Schriften, welde über die Unionsſache geſchrichen

der Unionsverjuc des Duräus in der Schweiz. 659

vorden, gefammelt, die vornehmften Beweggründe zu einer Ver inigung zufammengeftellt und in Drud gegeben werden, Bei frü- eren Verſuchen diefer Art fei genau zu unterſuchen, welde Hin- ernifje einen günftigen Erfolg vereitelten und wie diefelben übers sunden werden können. Sodann hätten die Reformirten unter ſich ber ftreitige Punkte fogenannte Sensa auszuarbeiten, und nad) egenfeitiger Mittgeilung derfelben ſich zu verftändigen. Hierauf ätte man die Zuftimmung der Lutheraner einzuholen, was allerdings hwer, aber nicht unüberwindlich fei, wie es fi in den Jahren 636 und 1637 in Schweden zur Genüge bewiefen habe. Zu em Behuf, jowie um der Sache ein größeres Gewicht zu ver- haffen und von vornherein ftreitfüchtigen Lutherifchen Theologen hür und Thor zu fchlieen, fein Fürften nd Magiftrate futher ihen Gfaubensbefenntniffes zu gewinnen und anzugehen, unter orſitz ihrer Gefandten einen Convent von folden Theologen zu zanftalten, die einer Vereinigung nicht abgeneigt feien. Diefe itten dann über ſolche ftreitige Artikel zu berathen, welche zur ten Uebung der Gottfeligkeit und der chriſtlichen Liebe nothwen- 9 find. Sofern man darin zu einer Uebereinftimmung gelangt äre, hätte dann eine weitere Mittheilung an die Profefforen und heologen, fowie an die Kirchendiener zu gefchehen, um fie über re allfälligen Scerupel in diefem oder jenem Punkte zu befragen, orauf diefelhen aufs Neue in dem Convent beſprochen werden Iiten, bis auf diefe Weife eine gemiffe Verftändigung (consensus) $ Werk der Union abfdjliege. Nach Fejtftellung des consensus äre eine Störung deſſelben nad der Strenge des Geſetzes zu ftrafen.

Es ift vielleicht nicht unintereffant, neben den Hier erwähnten riedensvorſchlägen als Seiteuſtück die bei der Pacification der wwediſchen Kirche in Form von Thefen aufgeftellten Präliminarien 8 die Grundlage zu einer Vereinigung folgen zu laffen:

1) ut sit plenus in omnibus articulis fidei fundamentalibus

consensus; 2) ut errores, qui fundamentum evertunt, aut ad ejus ever- sionem tendunt, rejiciantur; 3) ut in ritibus et rebus adiaphoris sit mutua tolerantia: 44*

680 Linder

4) ut inter unitas partes candor observetur, ne errore

ambiguis loquendi formulis occultentur;

5) ut pace constituta nemini sit licitum rejectos error

defendere, excusare aut ulterius spargere;

6) ut ambitiosae et non necessariae disputationes utrin

que et logomachiae inhibeantur;

7) ut praeteritarum exprobrationum et injuriarum sit am

nestia ;

8) ut regimen ecclesiasticum secundum normas apostolitsi

constituatur.

Sollen wir uns über diefe Friedensvorfchläge ein Urtheil: lauben, fo fönnen wir nicht umhin, der offenen, redlichen 8: finnung des Durgus, welche diefelben wie ein goldener at durchzieht und die eben nicht allen nachgerühmt werden kann, welt: auf diefem fchmierigen Gebiet gearbeitet haben, unfere volle X: erfennung auszufprechen, müfjen aber doch auf den Mangel eind einheitlichen Zufammenhanges in denſelben fowohl nach ihrer the retiſchen (Aufftellung eines gemeinfamen Glaubensbekeuntniſſes) dk praftifchen Seite aufmerffam machen, und es darf daher nicht a fallen, wenn namentlich in Bezug auf letztere die Weitfchroeifigte in Anwendung der Mittel den bedächtlichen Baſeler Theolo;: keineswegs entgangen ift, wie wir bald fehen werden, und die Hef nung auf einen günftigen Erfolg vereitelte. Die Aufjtellung er harmonia confessionis fidei betreffend, ift die Bemerkung Herts (Herzog's Real» Encytlopädie) richtig, es ſchwebte dem Durit der Gedanke vor, „daß das Chriſtenthum nicht ſowohl eine Lehr als eine Xebensmittheilung fei, und daß Hinter den verjcieder. Sprachen fich doc zulegt ein gemeinſames Bewußtſein verber«

Am ſchicklichſten laffen wir Hier das bei Anlaß einer wüt- ren Erörterung diefer vorgejchlagenen Mittel von Meosheim ir Duräus gefällte Urtheil folgen: „Der Mann“, fagt ©

"zeichnete fid aus dur eine wahre Srömmigfeitur- befaß eine tiefe Gelehrſamkeit, aber weniger Einjit: in Beurtheilung der Zeitverhältniſſe.“ Aehnlich lau das Urtheil Shrödh’s (V, 201): „Der gutmüthige un fromme Mann kannte weder fein Zeitalter nod di

der Unlonsverſuch des Duräus in der Schweiz. 661

irhen genugjam, welde er miteinander verbinden ollte.“ Im Juni 1654 ſetzte Duräus den in Aarau verſammelten eſandten der reformirten Cantone feinen Zweck weitldufig aus— tander und, ſei es in wirklicher Hoffnung eines günftigen Erfolgs er um des Anfehens des Protector Cromwell willen, erhielt Zuſich erung ihrer Mitwirtung, se professoribus et eccle- ie ministris mandaturos, ut qua ratione opus tam prae- arum promoveri possit, in medium consulant, ipsos quo- ıe consilio et autoritate sua viri optimi conatibus non de- turos esse. Zugleich wurde ihm die Erlaubniß ertheilt zum eſuch der verfchiedenen reformirten Kirchen behufs einer näheren eſprechung über die Union. , ‚Bald nad) feiner Rückkehr nad) Zürich reifte er nad) Bern, wo ſowohl von Seite des Raths als der Geiſtlichkeit die freundlichfte nahme fand umd gaſtlich bewirthet wurde. Seine Friedens-⸗ rſchläge Hatten da fo ungetheilten Beifall erhalten, daß das von rofeffor Lüthard im Namen der Geiftlichkeit abgefaßte Judicium, alches wir fpäter mittheilen werden, in allen Theilen zuftimmend atete. Auf eine Einladung des Autiſtes Zwinger, nach Baſel zu kom— a, traf er in Begleitung des Pfarrer Hummel Anfangs Sep» uber 1654 dafelbft ein. Den 3. September überreichte er dem ürgermeifter fein Creditiv nebft einem ganz befonders an Bafel richteten Schreiber Cromwell's, fowie die ihm mitgegebenen offi- en Empfehlungsſchreiben der Oberftpfarrer zu Züri und Bern. ie fchriftliche Erklärung, welche Duräus, um die Bafeler feines glofen Zweckes zu verjichern, vor Beginn einer Unterhandlung aus⸗ ftellen hatte, lautet folgendermaßen: In pacis ecclesiasticae stu- 0 hoc tempore restaurando Johanni Duraeo propositum est: eo Opt. Max. juvante, ministros verbi pie doctos in ecelesiis theologos in scholis conscio cujusque loci magistratu adire imque iis de consiliis evangelicae veritatis conservandae : eoncordiae inter ecclesias propagandae agere: ut rebus mnibus ad evangelicorum pacem et schismatis abolitionem vectantibus, rite praeparatis communio sanctorum inter

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Protestantes efflorescat et ad mutuam fidelium aedificationen! constanter excolatur et ad aliorum conversionem propagetur. utque sub auspieiis supremi in quolibet loco magistratus. offensiones, quae cursum evangeli liberum hactenus impedi- verunt, e medio tollantur et communis evangelicorum causı adversus communes hostes communibus consiliis et studis spiritualibus defendatur et promoveatur: Atque hunc sibi et non alium scopum unice hic et alibi propositum esse, manus suae subscriptione coram Domino cordium scrutatore test tur Joh. Duraeus V. D. M.

Nachdem die Sache vorher in einer vorberathenden Sigung k. ſprochen worden, wurde ein allgemeiner Convent angeftellt, ü welchem auch Duräus beigezogen wurde. Zum Sprechen auje- fordert, begann derfelbe mit dem Entſchluß, den er gefaßt hak, fein ganzes Leben dem Pacificationswerke unter den Evangeliſchen zu widmen. In Schweden Habe er daffelbe angefangen, hernd) in Holland und Dänemark fortgejegt. In Folge der eingetretenen pofitifchen Bewegungen in Britannien Babe er es für feine Pflich gehalten dahin zurüczufehren und unter den ftreitenden Parteien den Frieden zu vermitteln. Nachdem dafelbjt zu einer ſolchen Ver mittefung eine ſichere Grundlage gelegt worden, habe er ſich wiedc nad) Belgien und Deutfchland begeben und dafelbft viele Gemei;t heit gefunden. in ganz befonderes Augenmerk habe er auf die ſchweizeriſchen Kirchen gerichtet, als welche zwijchen den gallijcer. franzöfifchen und deutfchen in der Mitte Liegen und gleichſam de: Centrum bilden. Seine Verſuche zu einer Union habe er über: bei den Reformirten begonnen, weil er bei ihnen am meiften Ir Hang gefunden habe. Ein Einverftändniß mit denfelben merke feinen Verſuchen bei den Lutheranern um fo größeren Nachdruc verſchaffen. Speciell die ſchweizeriſchen Kirchen betreffend, äußerte er ſich, halte er fie zur Mitwirkung in dem Pacificationswerte vo: andern für geeignet, weil er das Intereſſe derfelben wahrgenomme habe, das fie in Beilegung religiöfer Streitigleit an den Tag & legt hätten, was fid) namentlich auch bei den zerrütteten kirchliher Zuftänden in Britannien gezeigt habe (guod de rebus in Br- tannia afflictis et perturbatis restituendis eas prae ali:

ber Unionsverſuch des Diräus in ber Schweiz. 663

ollicitas observaveram), woraus mit Recht auf das Borhanden- ein einer ganz befonderen Geneigtheit für die Unionsfache gefcjloffen verden könne. Werner Hätten die ſchweizeriſchen Kirchen ftets die Rechtgläubigfeit durch Gottes Gnade bewahrt und trog der Ver⸗ Hiedenheit kirchlicher Gebräuche brüderliche Liebe gegeneinander ger bt. Endlich fein in deren Archiven viele Schriften enthalten, yelche zur Beilegung kirchlicher und religiöfer Streitigkeiten die eſte Anleitung geben künnten.

Diefe Relation veranlaßte Profeſſor Buxtorf zu der Bitte, der zerſammlung über den gegenwärtigen Zuftand der orthodoren Kirche 1 England Bericht zu erftatten, da man erft jüngft mod) von der aplichen Lage, in der fie ſich befinde, Kunde erhalten habe.

Duräus fuchte natürlich) diefelbe fo günftig als möglich darzu— kffen und rühmt, wie Vieles gejchehen fei ad ecclesiae non do conservationem sed etiam reformationem, de recto in rdine cultu, de disciplinae ecclesiasticae moderata autori- ate, wie die Commiſſarien ſich angelegen fein ließen, ungläubige nd Aergerniß ftiftende Leute vom Kirchendienft zu entfernen, da= nit die Kirche feften Beſtand gewinne.

Ohne befonderen Scharffinn zu befigen, fühlt man es ber anzen Relation ab, welche Mühe es Duräus koftete, der Ver— ammlıng über die Lage der englifchen orthodoren Kirche, ſowie ber fein fpecielles Verhältniß zum Protector befriedigende Auf- Hlüffe zu geben.

Im Weiteren wurde der Inhalt feiner Schriften de mediis d scopum ev. unionis obtin. requisitis und de modo pro- edendi bejproden. Er gab hierüber einige Erläuterungen und achte gemachte Einwendungen zu widerlegen. Den Schluß bil- eten einige Worte der Ermahnung, welche er an bie Berfamm- ag richtete.

Am 16. October wurde das Judicium der Bafeler Geiftlichteit em Duräus überreicht und zwar bei Anlaß eines Gaſtmahls, wo— at ihn diefelbe bemirthete, fo dag ihm zum aufmerkſamen Durch⸗ jen die Zeit mangefte, um den darin gemachten Einwürfen fo leich zu begegnen.

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Wir tHeilen nun den wefentlichen Inhalt diefes Judicium’s, das auch dem Rath in deutſcher Sprache überreicht wurde, hier mit und werden behufs einer näheren Vergleihung aud die von an: deren Cantonen ihm überfandten Judicia folgen Lafjen.

Was den Zwed des Herrn Duräus anbetrifft, fo finde man denfelben trefflih, Herrlich und gut, als welchen er bei ſig felbft gefaßt Hatte aus einem friedfertigen und Tiebreichen Herm. Belangend aber die Mittel finde man aud fie „an ſich felb: ften zwar gut und bedädtlid, aber von ziemlide Weitläufigkeit und. befonders wenn fie auf einmal in gem wärtiger Zeit follten practicirt werden“. Obwohl wenig Hoffen des Gelingens zu faſſen fei, fo ſolle man doch nicht die Hand un Pflug abziehen. Das Beſte jei wohl, wenn die Reformirten nt: ſich felbft eins würden; dann erft könnte man „allmählich u ftaffelweis“ aud mit den Lutheranern handeln. Wie in pol tifchen Fehden dem eigentlichen Frieden ein Waffenftillitand voran: gehe, fo möge es auch Hier geſchehen, daß man vorerft die Feim⸗ feligfeit und Schmähfucht einftelle. Es fei nicht gerathen, ein Schrift jegt ſchon in Druck ausgehen zu laſſen, befonders wen diefelbe nur von Schweizer Theologen abgefaßt würde; man könn da leicht den Zweck unterfchieben, man Habe die Lutherifchen Zürftn und Obrigfeiten wider ihre Prediger „verhegen“ wollen.

Hierauf verließ Duräus Bafel und gelangte den 20, Oktokr nah Schaffhauſen, wo er ein Schreiben an den Oberftpfarter Schalch richtete, worin er feine Angelegenheit ihm dringend empfahl. Gott Habe bei den Lutheranern, fo äugert er fich, ſchon folde Vor bereitungen getroffen, daß, wie ein nicht ganz unfruchtbares Erdreih bei günftiger Witterung nur noch des Pfluges bedarf, Hier mr die Anwendung feiner vorgeſchlagenen Mittel nöthig fei.

Er beſpricht die Anzeichen und Vorboten eines günftigen Erfolge näher und nennt eine Anzahl von ntherifchen, einer Union gr nicht abgeneigten Furſten. Dringend warnt er die Schaffauit Brüder, nicht in, den gleichen Irrthum zu fallen wie die Battle. Es fei durchaus nicht feine Meinung, alle Mittel auf einmal in Anwendung zu bringen, fondern er habe jie zufammengeftellt, un

der Unionsverſuch des Duräus in der Schweiz. 665

daraufhin ein Gutachten zu verlangen, inwiefern die vorgefchlagenen Mittel dem Zwecke entfprechend feien. Es ftehe ja Jedem frei, davon diejenigen auszumählen, zu deren Anwendung er von Gott am meiften begabt worden fei: non omnia simul et semel ad- hiberi, omnia tamen diversis in locis et temporibus, apud alios et alios homines, ab aliis et aliis simul forsan usurpari poterunt. Indem ferner die Schrift erft nad) allgemeiner gegen» feitiger Beſprechung herausgegeben werde, falle jene Bejorgniß ber Bafeler dahin.

Das hierauf abgefaßte Sutadten der Schaffhaufer Geiſtlichkeit, welches fehr pathetijch gehalten, beginnt vorerft mit einer Dank bezeugung gegen Gott, der in einer Zeit, wo es von Spaltungen, Anathemen wimmle, wo das Lutherthum wegen einiger falſchen Neinungen (propter quasdam falsarum opinionum fundamento superaedificatas stipulas) verdamme, verurtheile, unter den Aufpicien des Protector Englands den Friedensvermittler Duräus erweckt Habe, im den Herzen beider Parteien die erfaltete Liebe wieder zu entflammen und ben Triumph des Feindes (xaxod dei- uorog veusonOavrog Tols av Xgoriaviv dyagois) zu Schan- den zu machen. Die vorgefchlagenen Mittel ſeien, obgleih (ut per angusta ad augusta tendendum) ſchwer, dod möglich (possibilia), dabei pia et decentia, sanctam vocationem nostram et aptitudinem suam evidenter prae se ferentia. Nur müfje in günftiger Augenblick gewählt werden, um nicht den Streit über den Synkretismus durch eine voreilige Veröffentlichung einer Schrift auf's Neue zu erwecken.

Das Züriher Judieium, abgefaßt von Studius, anerkennt in zolfem Maße die Bemühungen des Duräus um den Kirchenfrieden, jelobt auch die Auswahl der Mittel, die alle auf diefen Zweck ger richtet feien, jo daß. fie wie Ringe an einer goldenen Kette in ein- ınder gefügt feien. Wie jedod feine gute Sache ohne fonderbare Mühe und Arbeit zumege gebracht würde, fo müſſe auch hier mit unverdroffenem Fleiß, Treue und Standhaftigkeit verfahren werden. Im Mebrigen fei ein günftiger Erfolg zu hoffen:

1) „weil die Reformirten und Lutheraner in den Reichsfrieden

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eingefehloffen und es daher unnöthig fei, weiter von der Augt- burgijchen Confeffion zu disputiren, ob nämlich die Reformirten aud zu diefer Societät gehören. Es werden Hinfort die Refor- mirten ihre Uebereinftimmung mit der Augsburgijchen Eonfeijion mit weniger Scrupel der Qutheraner treiben können: denn diefe (die Zutheraner) haben die Unfrigen jederzeit in Verdacht gehabt, alt wenn fie nicht aufrichtig handelten, fondern nur unter dem Bar wand der Augsburgifchen Konfeffion fuchten des Friedens im Reh zu genießen und das nicht aus Gyaden, fondern vermöge ie Gerechtigkeit, weil fie Augsburgiſche Confeſſions-Verwandte fein:

2) „weil in jegiger Zeit alle Evangelifchen außer dem Ritt durch ein gemeinfames Band zujammengefnüpft find, es fei da Band politiich oder geiftlih, oder beides zugleich. Durch ein p- fitifches Band feien die Engländer mit den Schweden verbunden, welches auch die Dänemärker herzlich wünſchen, dies trage viel ki zur Toleranz. Ein geiftliche® Band finde fich jetzt auch zwiſchen der englifchen, fchottifchen, niederläudiſchen, franzöfifchen und er genöffifchen Kirche, deren Bereinigung bekannt ſei“;

3) „weil die Qutheraner nod nie fo entzweit und zertrennt gr weſen als jet und daß das Haupt des einen ftreitigen Theile, Ealigt, gerade an dem Concordienwerk arbeite und untereinandt das Argument fürnehmlich treiben, daß Diejenigen, fo von Gott Angeficht Brüder find und Glieder der unſichtbaren Kirche, billige maßen zu einem fihtbaren corpus der Kirche Gottes erwachſen fallen‘:

4) „daß die politiei und großen Leut unter den Lutheranern di Ungelegenheit, fo aus dem zänfifchen Disputiren der Theologe. erwachjen, mehr und mehr zu Gemüthe ziehen.“

Das Berner Judieium, abgefaßt von Lüthard, Profeſſor, mit unterfehrieben von Venner, Dekan, anerkennt ebenfalls in hohem Maße die Zwemäßigfeit der vorgefchlagenen Mittel, „die mi foldem Scharfſinn erfunden und mit foldem Ber ftand disponirt feien, daß man nicht fehe, was fern. dazu möchte defiderirt werden, ob man die Sadıe oder die Berfonen anfehe, mit denen zu progzediren jei". Die Berner verſprechen ihre Mitwirkung in der Zuverſicht, di

der Unionsverfud des Duräus in der Schweiz. 667

Gott der Herr, der dem Abraham aus den Steinen Kinder erwedte, auch die Herzen Derer zu einigen wiſſen werde, welche er berufen hat von der Finfterniß zu feinem wunderbaren Lichte.

Am 14. November 1654 verließ Duräus in Begleitung bes Pfarrers Meyer und des Stadtſchreibers Stodar Schaffhaufen, „wo alles glüdlich abgelaufen war“, und-begab jich wieder nad Züri, um fid) mit den dortigen Theologen über fernere Schritte in diefer Angelegenheit zu berathen. . Auf den Rath der— jelben befuchte er nun auch die öftlihen Cantone St. Gallen und Graubünden, kehrte nah Zürich zurüd und eilte nach Bern, um von da aus auch nad Lauſanne und Genf zu reifen, was er wirf- lich ausführte. Ueber Bern fehreibt er: magno fuit mihi ad- jumento opera et prudentia senatus Bernensium, und in Yaufanne fand er an Pfarrer Melfet in Orou einen treuen Ge— hülfen, der ganz in feine Gedaufen einging.

Ueber diefe Rundreife in der Schweiz jpricht fi Duräus fol- gendermaßen aus: „Tres in Helvetia circuitus absolvi, primus füit quatuor civitatum praecipuarum, secundo orientales, tertio occidentales Cantonum confoederatos peragravi, de quibus hoc testari debeo, omnes quasi certatim et me et ne- gotium ipsum amplexos esse et quamvis maximus ubique erat quoad scopum inter omnes animorum consensus, atta- men si nulla accessisset ad consiliorum communicationem solieitatio, aut de successu desperabundi nihil unquam ten- tassent sed intra vota substitissent, aut si quid tentare voluissent, diversissimas vias iniissent.“ Ein folder Beſuch, fagt er weiter, fei unumgänglich notwendig gewefen, um in Bezug auf die Mittel zu einer Vereinigung ſich mit den veformirten Ges meinden zu verftändigen, bevor den Lutheranern Vorfchläge zu einem Vergleich gemacht werden könnten.

Wir haben nun noch das Genfer Judicium mitzutheilen, das wie kaum ein anderes die Schwierigkeiten betont und zur größten Vorſicht mahnt. Daffelbe ift im Jahre 1655 (9. Februar) ab- gefaßt worden und von Tronchin im Namen der reformirten Geift- (ichteit Genfs unterzeichnet. Sein weſentlicher Juhalt iſt folgender:

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So erwünſcht allerdings eine Bereinigung wäre, fo hätten dd | die Vorgänge in früheren Jahren dargethan, wie folche Verſuche oft noch größeren Zwiefpalt veranlagt hätten, jo daß man Gefahr Taufe, beide Seiten des Leibes Chrifti den feindlichen Schlägen der Papſtlichen preiszugeben. Man habe ganz bejonder® darauf zu achten, daß man nicht aus allzugroßem Eifer für eine Union der Wahrheit etwas entziehe, wodurch Andere wieder geärget würden. Nur wo die Wahrheit den Sieg erhalte, könne die wahr Liebe herrſchen (mit Anführung der Stelle Pi. 85, Geredtig keit und Friede werden ſich küſſen). Wie leicht könne man it da des Syufretismus ſchuldig machen, welche Sünde ebenfo ht anzufchlagen fei, als wie wenn Einer Chriftus mit Belial, dr Bundeslade mit dem Dagon der Philifter, die Braut Chriſti mit einer Ehebrecherin vereinigen mollte. Gott fei Dank, daß de Kirche bis dahin bewahrt worden fei; aber auch in Zufunft müft man bei der Wahrheit bleiben, als dem erften und vornehmftn Band, das die Gläubigen vereinige. Was die von Duräut vorgefchlagenen Mittel betreffe, jo müffe, bevor man zu derm Anwendung ſchreite, ein aligemeiner Waffenſtillſtand gebote werden, daß das gegenfeitige Schmähen und Läftern aufhöre, ſonſ würde fid) des Apofteld Wort Gal. 5, 15: „So ihr aber unter: einander beißet 2c.“ erfüllen, wovor ſchon Calvin gewarnt: ne igitur nobis eveniat quod denuntiat Paulus ut in vicen mordendo nos et lacerando consumamur, abstinendum potiu: & certamine quam ut communi ecclesiae jacturä vulnus augeatur. "

Schließlich erflehen fie dem Duräus den Segen Gottes un verfpredyen ihre Mitwirkung in feinem BPacificationswerfe.

Es war num unſchwer einzufehen und es ergibt ſich aud aut der Vergleichung der verfchiedenen Gutachten, daß das Bajeler Ju- dieium, weldes die Unzwedmäßigfeit der vorgefchlagenen Mitte. befonders wein fie auf einmal zur Anwendung fommen follten, rügte, dem gauzen Pacificationswerfe leicht hiuderlich werden Fon.

der Unionsverſuch des Dirräus in ber Schweiz. 669

Dies veranlaßte denn auch den Pfarrer Meyer, welcher Duräus auf feiner Aückreife von Schaffgaufen nach Zürich begleitete, ihm den Rath zu ertheilen, fih um ein Judicium commune, das von allen Kirchen der evangelifhen Gantone unterjchrieben würde, zu bewerben. Denfelben Wunſch äußerte zu gleicher Zeit Profeffor Luthard gegen Studi von Züri. In der That noch vor der Rüd- kehr des Duräus von St. Gallen hatte Jener bereits ein ſolches abgefaßt. Es führt den Titel: „„Judieium ecclesiarum et aca- demiarum : Helvetiae reformatorum de studio pacificatorio Venerandi et clarissimi D. Duraei“ und enthielt folgende Vor- ſchläge:.

1) daß alle Prediger und Theologen in ihren Predigten und übrigen Verrichtungen der Sitte ihrer frommen Vorfahren gemäß (piorum suorum decessorum more) ſich alfer bitteren Worte gegen Andersdenfende enthalten und das Bekenntniß der Wahrheit und die Einheit des Geiſtes im Bande des Friedens fefthalten ſollen;

2) daß fie auch alle benachbarten evangelifchen und befreundeten Staaten zu diefem Werke ermuntern follen, damit das gegenjeitige brüderliche Zutrauen unter den Gleichgeſinnten wachſe und ſich bes feſtige;

3) daß dies Friedenswerk der Fürbitte der evangeliſchen Kirchen empfohlen werde, und

4) daß auch in brieflichen Verbindungen mit anderen Kirchen Nichts folle verfänmt werden, mas zu diefem Heilfamen Gefchäfte erſprießlich fein könne.

Ebenfo wurde eine fogenannte Declaratio abgefaßt, welche von den weltlichen Behörden ausging und den Titel führt: „, Declaratio amplissinorum Helvetiae reformatae Magistratuum super negotio pacificatorio Rev. et clariss. D. Duraei.“

Sowohl das Judieium commune als die Declaratio wurde nun an den Rath zu Bafel gefandt mit der Bitte um die Unter- ſchrift der Declaratio und Empfehlung des odielum an den dortigen Kirchenconvent.

Während dieſer Unterhandlung war aber der bisherige Antiſtes bereits auf feinem Sterbebette, und für ihn führte nicht nur wäh—

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rend feiner Krankheit, fondern auch noch während eines mehr als einjährigen Interregnums Profefior Joh. Burtorf den Vorfig | im Rirchenrathe.

Bon ihm verlangte num der Rath ein Gutachten ſowohl über die Declaratio als das vorgejchlagene Judicium commune, deffen Unterfchrift er die Theologen Baſels nach dem Wunſch von Zürich bewegen follte. In dem erfteren tadeln fie den Ausdrud judieium unum imprimis omnium commune und

. verlangen, daß Nichts darin enthalten fein foll, was dem einen un dem anderen Ort präjudicirlih fein möchte und die ſchweizeriſte Kirche in diefem Geſchäft zu weit obligire. Sie würden ſich de ftreben, jederzeit gute Gorrefpondenz zu halten, wie der zweite Ar tilel verlange; follte aber der Sinn darin liegen, daß fie mit und neben Duräo bei Andern helfen und das Geſchäft als actores um mediatores anbringen, treiben und führen, fo fünnten fie ſich nicht dazu verftehen, auf einer Achjel mit ihm zu tragen.

Ju dem Judicium commune rügen fie die Worte piorum decessorum more, da bie Lutheraner fagen würden, das wär feitens der Neformirten nicht beobachtet worden. Wie man ein Judicium commune abfafjen könne ohne vorherige Befpredung und Uebereinkunft, wie weit man ſich in die Sache einlafjen wolle? Das Bafeler Judicium habe die vorgefchlagenen Mittel unpraci- cabel genannt und gezeigt, durch wen und bei wem und wie dat Wert follte angebracht werden; dies‘ alles werde in dem Judiciun commune verfchwiegen und eine Unterfchlagung ihres Particular- Judieium’s tönnten fie nicht dulden. Aehnlich fiel aud die Ant wort des Raths von Zürich aus: „Ob uns fehon viel lieber gr weſen wäre, D. Duräus hätte die Löblihen Orte damit verfchont, fo wolle man democh die Declaratio genehmigen, wenn diefelbe jo abgefaßt würde, daß weder die evangelifchen Orte noch deren Theologen zu weit engagirt werden. Man möge erwarten, wur andere reformirte Stände thun werden, und benachbarte evangelijct Staaten zur Förderung dieſes Werkes nur infoweit dispomiren, quoties ansa dabitur ad idem propositum suscipiendum. Dat Verſprechen endlich: postremo ut in correspondentia super hac

der Unionsverfuc) des Duräus in der Schweiz. 671

re cum aliis pacificis religiose procuranda, fovenda et propa- ganda nihil, quod a nobis proficisei possit, negligatur, follte man mit den Worten: „suo tempore et loco“ limitiren.

Am 20. Januar 1655 lief von Zürich ein neues Schreiben ein, worin die Anzeige enthalten war, dag Bern und Schaffhaufen die Annahme des gemeinfamen Judicium’s .erflärt hätten, und enthielt zugleich eine neue und dringendere Aufforderung an den Rath zu Bajel, dem Beitritt der dortigen Theologen zu erwirfen. Dabei wurden noch zehn Gründe in's Feld geführt, „warum die Herren Theologi zu Bafel jid von den übrigen Kirchen, ein sommune scriptum dem Herrn Duraso einzuhän- digen betreffend, nit jündern follen“, umd unter den— jelben ganz beſonders ein politijcher, auf welches Gebiet übrigens bie Züricher die Sache gern hinüberfpielten, nämlich quia ami- eitiam Anglorum omnibus honestis modis ambiendi et reti- nendi urgentes habemus causas, hoc imprimis tempore, quo nova Pontificiorrum Electorum et Principum et ipsius Cae- saris liga magis magisque percrebesecit.

Das von den Theologen neuerdings verlangte. Gutachten über ven Beitritt emthielt ungefähr diefelben Gründe und ſpricht das fernere Beharren bei ihrem Particular - Judieium aus. Herr Duräus, heißt es ferner darin, habe gefpürt, daß wir in unferem Indieium aus feinem gefaßten Geleis gefchritten, und er fuche uns ed) ein Univerfal- Judieium wieder darein zu leiten. In Bezug if jenen politifchen Grund äußern fie fi, der Name der enge iſchen Republik und Kirche könne der Sade mur-mehr „Ungunft“ ningen, beſonders bei den Fürften in Deutſchland, welche dem ıbgefebten Könige zugethan waren. Am Schluß erbieten. fie fi ur Abfaffung -eines Judicium commune, wie dafjelbe von Baſel Önnte unterfchrieben werden, und wirflih findet fi die Form !ines folchen vor, worin die Mängel der von Duräus vorgefchla- jenen Mittel gerügt und ganz befonder® betont wird, daß, che man ur Anwendung derjelben jchreiten fünne, ein allgemeiner Waffen- tillſtand (armistitium) erwirft werden follte.

Zum dritten Mal auf Zurichs Antrieb vom Rath angegangen,

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führte die Baſeler Geiftlichkeit, in deren Namen Joh. Bugtrf, in einem weitläufigen Schreiben eine noch freiere Sprade. Nich nur fette fie Zweifel in die Echtheit der von Duräus vorgelegten Creditive Cromwell's und ber englifchen Academie, fondern aus überhaupt in das praktifche Geſchick dieſes Mannes, der zur Für derung eines ſolchen Werkes nicht geeignet fei. Indem der Pr tector und ber Name der englischen Kirche Vielen verhaft fei un in der legteren, weil ohne eine felbftändige Gonfeffion, viel Cn- fufion und Verwirrung herrſche, fo fei es höchſt bedenklich, we dem Wunſche des Duräus ſich mit ihnen zu verbinden und ai: engfte zu vereinigen. Dieß Hieße mit ihnen auf einer Mi tragen. Wenn Zürich glaube, daß das Bafeler Judicium, de. wie fie fagen, dem Protector viel Maß und Ordnung gebe, in feicht offendiren könnte, fo fei dies ja gefchehen per modum ca- silii et suasionis. Der Schluß lautet folgendermaßen: „Bleik: alfo nochmalen beftändig und unveränderlich bei unferer gefaitt: und Euer Önaden neulich gegebenen Meinung, daß wir uns u dem gemeinen von Zurich überſchickten Judicio nicht verftehen fünner, in der unzweifelihen Hoffnung, Ener Gnaden werden unjere Ft fofution uns nicht alfeinig nicht verargen, fondern Ihnen auch gni- digſt belieben laſſen.“

Naheren Aufſchluß über dieſe gereizte Stimmung der Balelr Theologen gibt un der Umſtand, den und Duräus in feiner R- Tation mittheift, daß nämlich dieſes Anbringen der Züricher durö ihn veranlaßt worden fei, da ihm doch von Allem, was vorgin. Nichts befannt war. Erft nad) feiner Rücktehr von Bern wurk {hm jene gewechſelten Schreiben vorgelegt und er war nicht wer: erftaunt, daß, da man nicht über die Sache felbft (de unione) fondern nur de modo rei proponendae verjchiedemer Anfigt war. dieß der Anlaß zu einem Zerwürfniß zwifchen Zürich und Bat werden follte. Er juchte daher die Sache wieder beizulegen un erhielt auch wirkfich von Profeſſor Burtorf die beruhigende 3: fiherung mit den Worten: In praesenti tuo negotio hactens: sincere et bona conseientia versati sumus et porro versali- mur neque ex actionibus nostris aliter judicari vel sinistrae

der Unionsverſuch bes Diräus in der Sehweh · 673

inde (quasi negotio tuo minime faveremus) elici et praeter mentem nostram nobis injungi debent consequentiae etc.

Nach Empfang des von allen reformirten Kirchen der Schweiz (Bafel ausgenommen) unterfehriebenen Judicium commune reifte Duräus von Züri ab und kam am 28. Mai nah Bafel. Hier vurde ihm vom Magiftrat ein Gegencreditiv an Cromwell zugeftellt, snbei in Bezug auf ihn erfannt: „Solle mit den Theologieis geredet verden, Herrn Duraeum fo bald wie möglich abzufertigen; man ſoll ud das Koftgeld für ihm bezahlen, wo es nicht lange währt.“

Indeſſen wurde noch den 4. Juni ein Convent gehalten, zu velhem auch Duräus eingeladen wurde. Bei diefem Anlaß ver- angte er noch die Anficht der Bafeler über das Judicium com- une und eine Schrift mit dem Titel: De correspondentia re-. lgiosa inter ecclesias instituenda, zu erfahren. Die Antwort ourde theils in zuftimmendem, tHeils in ablehnendem Sinne ertheilt.

Schließlich erklärt Duräus feine Zufriedenheit mit dem Erfolg einer Arbeit in der Schweiz und warnt noch die Bafeler Geift- ihen auf's dringendfte, fie möchten fih von Vorurteilen frei thaften und Gerüchten, die feine Thätigfeit im eim ſchiefes Licht Ieffen, feinen Glauben ſchenken, indem fein Zweck kein politiſcher, andern eim rein theologiſcher fei und er von Niemand eine juſtimmung verlange, die derfelbe nicht mit gutem Gewiſſen geben inne. Auch bei den Sutheranern fei da8 in modo procedendi ine Regel, quod intra consultationis theologicae terminos ‚nis mea tractatio consistet nec unquam ad disputationem ertrahetur.

Hierauf verabfchiedete fih Duräus von Bafel und begab ſich ach Deutſchland, verfehen mit einem im Namen alfer evangelifchen Ite unterfchriebenen Empfehlungsfchreiben an den Ehurfürften von Irandenburg und der Pfalz, ſowie an den Landgrafen von Heſſen.

Es findet fi nun in den Acten eine von Duräus felbft ver- ste Relation über feine Unionsverfuche in Deutfchland und in en Niederlanden, die günftigen Erfolg hatten. Befriedigt kehrte t im Jahre 1657 nach England zurück, wo indefjen der im Jahre 658 erfolgte Tod Cromwell's und die darauf eingetretene Mer

Theol. Stud. Jahrg. 1868. 45

en Rinder

ſtauration auf einige Zeit feinen Beſtrebungen bebeutende Kinder: | niſſe bereitete. Er benußte indefien diefe Zeit, um mit den en liſchen Kirchen in Amerifa und Neu Englaud Hierauf bezüglide Berbindungen anzufnüpfen, und hat von ihnen eine „zu diefen Werke ſehr dienſtliche“ Antwort erhalten. Vom Nachfolge Cromwell's mit einem Empfehlungsfchreiben verfehen, veifte er in Jahre 1661 wieder nach Deutſchland, um nun fein Wert ad bei den Lutheranern zu beginnen. Erwähnung verdient das vm Duräus veranftaltete Geſpräch zwiſchen den Marburgijchen The logen einerſeits und lutheriſchen Tpeologen zu Rintern anderjäd, wobei allerdings auf Grund der Ausfcheibung der Fundamend: artilel von den Nebenlehren eine Art Vereinigung zu Stande fm

Bon Straßburg. aus, wo er mit dem Intherifchen Theolon D. Dannhauer einen. ſchweren Kampf zu beftehen hatte, wie dem überhaupt die Theologen diefer Stadt fi zu der lutheriſchen Em feffton befannten, reifte er wieder in die Schweiz und zwar nd Zürid, um, wie er fi in einem Schreiben an den dortigen Magiftrat ausdrüdte, das ganze Geſchäft in feinen Cd zu werfen und ihn zu bitten, daß felbiger mad) dem gemohun gottfeligen Eifer dafjelbe mit den übrigen evangeliſchen Stände und Orten beherzigen und ihr wohlweiſes Gutachten hierüber ite großgünftig ertheilen wollen mit geneigtem Anerbieten, mo derſehe fernere Information des vorhabenden wichtigen Gefchäftes halt begehrte, felbige mündlich abgeben zu wollen.

Hierauf richtete der Rath zu Zurich ein Schreiben an denjenige zu Bafel, worin cr meldete: Duräus habe feit 1655 in dem drie densgefchäft mit befanntem Eifer gearbeitet, er fei nun wieder be ihnen angelangt und fuche auf's Nene die Unterftügung der hoher Regierungen nad), die bei dem ginftigen Erfolg feiner Beftrebunge in Deutſchland um fo wünfchenswerther fei. Das Schreiben ſchlei mit dem Wunfhe: Der allmädtige Gott verleihe ji diefem Gefhäft feinen frugtbarlihen Beijtand un Segen!

In Bafel ſelbſt war indeffen dur die Wahl von Yulat Gernler an die oberfte Pfarrſtelle, der im Geiſte Buptorft

der Unionsverſuch des Duraus in der Schweiz. 675

fortfuhr, fi den Unionsverfuchen des Duräus zu wiberfegen, hierfür noch eine ungünftigere Wendung eingetreten.

In einem von den Theologen an den Rath eingegebenen Gut⸗ achten erklären fie, von dem vor acht Jahren überreichten Ju- dieium nicht abgehen zu Können; es follte in dem ganzen Werke allmählich und ftaffelmeife und auch nicht durch Theologen, ſon⸗ dern durch friedfertige Fürften gehandelt werden. Der bisherige Erfolg bei den Sutheranern fei nur ein fheinbarer, indem Duräus fih nur mit den theologis Calixtinis befproden habe, die aber den wahren Qutheranern ebenfo verhaßt feien als die Calviniſten. & Habe ja der Churfürft feinen Theologen zu Heidelberg jede Sonferenz mit Duräus unterfagt. Es feine endlih, als molle xrjelbe, weil er feinen andern Herrn mehr Habe, das ganze Ger fHäft in den Schooß der evangelifchen Stände werfen und fo an Men Orten im Namen und Autorität berfelben gleihfam als ihr Abgeordneter dafjelbe treiben und fortführen, was Höchft bebent- id fi.

Diefem gemäß antwortete der Rath nad) Züri, daß man ihm darüber. nichts weiter zumuthen möchte, indem man ſich mit diefem Geſchäft nicht mehr beladen werde.

Es wandte fih hierauf Duräus felbft an den Rath mit dem Vorſchlag, zur Vermeidung eines unnöthigen Hin- und Herreifens ın einem beftimmten Orte, als welchen er das Städtchen Brugg m Aargau bezeichnete, eine Verfammlung von Abgeordneten der wangeliſchen Cantone, die mit binlänglichen Inſtructionen verſehen ein müßten, abzuhalten und die Frage in Beratung zu ziehen, Das und in wie weit und auf welde Weife und Form man jefonnen wäre in dieſem Geſchäft zu handeln, damit man zu 'iner einmüthigen „Reſolution“ gelange. Auch Täßt er den Ge— Yanken durchblicken, daß man vielleicht diefe Vereinigung mit ben dutheranern nicht auf Grund der Wittenberger Concordienformel bewerfftelligen könne.

Die Antwort der Theologen an den Rath erfolgte in abfehnen- dem Sinne, indem man weder die Zwedmäßigfeit noch die Noth- wendigkeit einer folhen Conferenz einfehe, zu deren Beranftaltung

45*

676 Linder

überdied Duräus ohne irgend ein amtliches Creditiv weder einen ordinären noch ertraordinären Beruf Habe. „Es ift nämlich zu beforgen“, jo Tautet die Antwort weiter, „man wurd ſchwerlich in ſolch Berfamblung des Einen werden und fich einer fatten Meinung vergleichen können, dann man gefpürt, daß der Mann andere jhen eingenommen; wurd alsdann fpöttlic lauten, wenn man fügen müßt, man wäre zufammengelommen, die ganze evangelifche Kirk zu vergleichen, und der vier Orten Theologen hätten fich nicht vr: gleichen können. Wir haben aud um fo viel weniger Luft x diefer Eonferenz, weil, wann man fi einmal an diefen Mar laſſen wird, man fein und nimmer feheh wird; dann er den Brak Hat, daß er nicht gleich anfangs fagt, was er will, fondern k gehrt erftlih nur ein Geringes, und fo er das Hat, geht ar länger je weiter u. ſ. w.“

Zürich nahm den Gebanken des Duräus, auf Grund der For- mula concordiae Wittenbergensis mit den 2utheranern zu trat tiren, wieder auf und fehrieb deshalb an den Kath zu Bajel (dr Schreiben datirt vom 25. September 1662). Aber auch darf antworteten die Baſeler in ablehnendem Sinne, da der Unterjcit der beiden Confeffionen nicht in Ceremonien und Mitteldingen be ftehe, jondern auf wirklicher Contradiction in unterfchiebfichen Glau benspunften berufe. Wenn man einen Consensum in doctrin auf diefem Wege erzwingen wolle, da müßte jedweder Theil wr-

ſtummelt und ein gut Theil fallen gelaffen werden, oder man müft fih mit auf Schrauben gefegten Worten behelfen. Jeder mit feinen befonderen sensum behalten und Niemand ſollte zwei Feim unter einem Teppich verbergen wollen.

Dabei erinnern die Theologen Bafels an hiſtoriſche Thatſachen wir an die allzu große Nachgiebigkeit Martin Bucer’s im Sacramen: ‚Streit (1536) und an die Art und Weife, wie man vor 90 Jahr (1580) mit Hüffe diefer Formula unter Simon Sulzer, dam ligem Antiftes, da® Lutherthum in Bafel einführen wollte, fer am eine Aeußerung Calvin's (Schreiben Calvin's an Weitphal‘: „Die Lutheraner zeigen einen folchen Haß gegen die Reformirter. daß fie eher mit Papijten und Türken Bruderfdal!

ber Unionsverſuch des Duräus in ber Schweiz. 677

jalten würden, als daß fie mit jenen aud nur einen Waffen tillſtand eingehen würden“, und ebenfo an eine Aeußerung des An- iſtes Grynäus von Bafel: „Waffer und Feuer Laffe fi her vereinigen als Reformirte und Lutheraner.“

Schließlich bitten fie den Rath um die Mittheilung an Züri, nan möge fie von da aus nicht durch weiteres Anbringen in diefem ergeblichen und unfruchtbaren Geſchäft von ihren Berufsgeſchäften bhalten.

Allerdings bemerkten auch die Baſeler Theologen in eben erwähn- em Schreiben: Duräus gehe mit Bafel und Züri politiſch um, ndem es ihm am Ende nur um „ein Collect“ zu thun fe. Dar- ter, ſowie daß die Geiſtlichkeit fi mit der Angelegenheit gar icht befaffen wolle, beſchwerte ji Duräus in einem Tateinifch hgefaßten Schreiben (datirt vom 10. December 1662) beim Rath u Baſel: „Etiamsi in negotio irenico clerus vester nihil iequam agere velit.... me in Helvetiam venisse hoc fine, ıt solis helveticarum ecclesiarum sumptibus et auctoritate ıegotium cum Lutheranis tractaretur.‘“

Unterdeffen Hatte Duräus die Schweiz wieder verlaffen und die eformirten und *Iutherifchen Gemeinden in Deutfchland beſucht. don Neu-Hanau aus Mnüpfte er die Correſpondenz mit Profeffor Iuztorf aufs Neue am und beklagt ſich, daß das Gerücht, als 6 die Bafeler Theologen dem Friedenswerk gänzlich abgeneigt feien, !inen Beftrebungen großen Eintrag thue. Er habe oft Anftand enommen, das Werk weiter zu führen; doc lege ihm fein Ge— ide die Pflicht auf darin fortzufahren.

Ohne Zweifel war es der Wunſch, die völlige Zuftimmung der dafeler Theologen zu erhalten, welcher ihn zum dritten Dal (1666) 2 diefe Stadt führte. Obgleich er perfünlih in den dortigen fonvent eingeladen wurde und feine Sache warm vertheidigte, fo varen feine Bemühungen dennoch von fo geringem Erfolg, daß t fpäter ſich mit der Bitte an den Rath wenden mußte, ihm tliche Abgeordnete zu bezeichnen behufs einer näheren Verftän- igung in der Frage: quatenus concurrere velint cum ecclesis um helveticis, tum reformatis aliis in deliberationibus de

678 Linder

promovenda pace in genere et in specie de harmonia con- fessionum. Eine jolde Verftändigung fei um fo dringender ge: | boten, als dadurch allein die „Inconvenienzen“ beſeitigt werden, welche fi nach feiner Abreife aus der Schweiz erheben Könnten, befonder8 wenn er feine andere „Refolution“ erlangen tönne, als die ihm bisher mitgetheilt worden ſei.

So weit wir aus den Acten, namentlich aus einem Schrtiben des Bafeler Convents an die Züricher, entnehmen konnten, Hat diee Zufammenkunft nicht ftattgefunden und Duräus mußte unverrig teter Dinge Bafel wieder verlaffen.

Bon Meifenheim aus, wo er fich eine Zeit lang aufhielt, ride er ein neues Schreiben (datirt 10. Juni 1667) an den Kathy Baſel, worin er fi bitter über die zwei Doctoren Gernler m Zwinger beflagt, er Halte jie für untüchtig, an diefem Frieden wert zu arbeiten, fte hätten, wie ihm der Herzog zu Zweibrücu mitgetheilt, in feinem Lande, im Herzogthum Simmer, u anderswo die Gemüther präoccupirt; durch dieſe Zwei werde dr Frucht feiner vieljährigen Arbeit verloren gehen. Vernehmen wi: noch zum Schluffe, was Duräus über fie an den Prinz Bid Amadeus von Anhalt» Bernburg berichtete: .

„I y a deux docteurs en theologie à Bäle (Gernler a Zwinger), jeunes gens, qui ont. des opinions singulitre touchant la negotiation pacifique, qu’ils ont congues ! Popiniätret6 des Lutheriens acad&miques. Ils ont persusit au magistrat de leur r&publique, que l’aflaire est impe sible, d’autant que Vaccord des églises luth6riennes & des autres n’a jamais eu lieu en aucun endroit du mond. Ils emp&chent leur magistrat de concourir avec les autrs magistrats de la Suisse réformée, de vouloir autoriser leur minist®re en chaque Canton, de considerer l’harmonie ds confessions de la foi protestante, qui leur fut presentee une assemblöe de Deput6s à Bruck en Janvier 1666. (eu de’Zuric, de Berne et de Genève sont entiörement consentant à ma demande..... Peut-Etre ces docteurs s’estimentik infaillibles.... Une de mes dissertations aurait du &ir

der Unlonsverſuch bes Duraus in ber Schweiz. 679

imprimée & Bäle. Le docteur Wetstein y avait consenti »„mme doyen de la facult&, mais l’un de ceux-ci étant Recteur, supprima le livre de sa seule autorité, après ue plusieurs exemplaires en aveient deja &t& vendus. Le nagnifique Recteur ne voulait pas qu’un écrit contraire & ‚on opinion füt imprime... Cette r&publique (de Bäle) t Peglise sont deux gouvernements diff6rens, qui semblent itre en 6tat de crise, & cause des factions qui y sont. A moi peut-ötre le premier chef du Ministere, qui gouverne es autres ecelesiastiques à la baguette contribue quelque hose“ etc.

Beiläufig bemerfen wir, daß der bier angeführte D. Zwinger oahrſcheinlich der nachmalige Profeffor Zohannes Zwinger, ein Reffe Buztorf’s, war, welcher auch das Flagellum pontificiorum enannt wurde, eine Notiz, welde wir Heren Profeſſor Ha- enbach verdanfen.

Fragen wir num nad) den Motiven, welche die Bafeler Theo» ogen bemogen Haben mochten, diefen Unionsverfuch abzulehnen, jo ng allerdings, wie auch der erft angeführte Gelehrte meint, diefes nrte und von Mißtrauen geleitete Benehmen derfelben im Geifte es Zeitalters und findet darin feine Entfchuldigung. „Aber immer- in“, äußert ſich hierüber derfelbe, „bleibt es auffallend, dag noch m Jahre 1662, als Duräus noch nicht alle Hoffnung aufgegeben nben mochte, der fogenannte Syllabus controversiarum erſchien, md kaum kann man ſich des Verdacht erwehren, daß die Ver— affer deffelben, Buxtorf und Gernler, blos darum die Capitulation nit der Tutherifchen Kirche vermieden haben, weil fie ſchon da— nals im Stillen an dieſem Bollwerk arbeiteten, wodurch fie ſich m die Befeftigung des Baſel'ſchen Zions verdient zu machen laubten.“

Allein fragen wir weiter, was war denn wohl die Veranlaſſung ur Ausarbeitung dieſes Syllabus controversiarum, in welchem sie ftreitigen Lehrpunkte gegen alle befannteren Häretifer entweder ıffirmativ oder negativ erörtert werden? Ohne Zweifel waren 8 die bitteren Erfahrungen, welche Baſel unter Antiftes Simon

680 Linder, der Unionsverfuc; des Diräns in der Schweiz

Sulzer, der durch Transaction das Luthertfum einzuführen fuchte, gemacht Hatte, ſowie die öfteren bedauerlichen Eonflicte mit dem be- nachbarten Markgrafenland Baden, das dem Iutherifchen Belennt- niß Huldigte. Denn dag Bafel dem ferner gelegenen Zürich und Bern gegenüber in einer ausnahmsweiſen Stellung fich befand, wird Niemand leugnen.

Gedanken und Bemerkungen.

oran, Google

1.

Sargon nnd Salmanajfar. Bon

D. Ad. Riehm.

Als ich aus Anlaß meiner Vorleſungen über Jeſajas den Com— mentar des Herrn D. Delitzſch auf's Neue verglich, fiel mir (S. 236) die Bemerkung auf: „Es kann jegt als feſtſtehendes Er- xebniß der Dentmalforfchung gelten, daß Sargon der Nachfolger Salmanaſſar's war.“ In einer Note ift noch der Sag beigefügt: „Von Hoentificirung Sargon's mit Salmanafjar kann hiernach eine Rede mehr fein.“ Die Beftimmtheit, mit der diefe Angabe yemacht iſt, veranlaßt mich, meine durch die neueren Publicationen son Oppert und Rawlinfon in feiner Weife erjchütterte, ente zegengefeßte Anficht Hier kurz zu begründen.

Der Name des affyrifchen Könige Sargon kommt bekanntlich, außer der Stelle Jeſ. 20, 1, im A. T. nirgends vor, und eben- fowenig nennt ihn einer der alten Gejchichtfehreiber, welche uns son affyrifchen Königen Kunde geben. Dagegen wird fein feld- jerr Tartan, ben er gegen Asdod fandte, noch 2Kön. 18, 17 18 Feldherr Sanherib's erwähnt.

Es ift daher fehr begreiflich, daß die judiſche Ueberlieferung, die fie fon von Hieronymus und in dem Seder Olam, c. 23 ‘©. 64 ber Ausg. von Joh. Meyer, Amfterd. 1699) bezeugt,

684 Kichm

und von Raſchi, Aben Eſra (der jedoch zu dem Namen Sauerib’s vorfihtig ein ms in beifügt) und D. Kimchi vertreten ift, Sargon mit Sanherib (der nach Hieronymus fieben, nach Kimchi acht verſchiedene Namen geführt haben ſoll) identifcirte, und die Expedition gegen Asdod in das vierzehnte (oder auch in das zmöffte) Regierungsjahr Hiskia's verlegte. Diefe Annahme blieb bei dm älteren chriſtlichen Commentatoren die Herrfchende, und ift z. 8. noch durch Calvin, Grotins, Piscator, Jac. Usher (in den Ar- nales V. et N. T.), 3. 9. Midaelis u. A., zulegt von Keil (BB. d. Kön., ©. 461) vertreten. Daneben fam, wies ſcheint zuerft duch Marsham und Perizonius, die Anficht ai: Sargon fei vielmehr mit Aſſarhaddon zu identificiren, mofir namentlich geltend gemacht wurde, daß der Name diefes Königs u Tob. 1, 21 Zuysgdovög oder nad) anderer Resart Zaxegdır (Cod. Alex.) und in der ſyriſchen Ueberjegung Sarchedonsır laute. Für fie Haben fi 3. B. Clericus, Kalinsky (Vatieinis Chabacuci et Nachumi ete. Breslau 1748) und J. D. M chaelis entjchieden. Beide Anfichten find ſchon von Bitringe ausreichend widerlegt worden; dagegen begrimbet er die Annahmt, Sargon fei mit Salmanafjar identiſch, und die Expedition gegen Asdod falle in das zweite Jahr nach Eroberung Samariens, das fiebente Regierungsjahr Hisfia’s. Als feine Vorgänger nennt m Sanctius (Comm. in prophetas majores et minores Mog. et Lugd. 1615 et 1619) und Jungmann (Proph. Dan., Cassel 1681), und ihm ſchloß ſich namentlich Eichhorn, auch W. Hupfeld (De rebus Assyr., p. 51) an. Indeſſen ſchien es doc am nädjften je liegen, Sargon von den fonft genannten aſſyriſchen Königen zu unterſcheiden (was ſchon Aben Eſra ſich offen gehalten hatt; dann aber konnte er nicht der Vorgänger, fondern nur der Nadr folger Salmanaſſar's umd der Vorgänger Sanherib's fen, wie ſchon in den Annotations upon all the books of the 0. and N. T. (London 1657) von Gataker nachgewicſen. und von Seb. Schmibt (1693) am wahrfcheinlichften befunden wurde. Auch Vitringe erwähnt diefe Anficht als eine mögfiht, wendet aber ein, daß die Zwiſchenzeit zwiſchen Salmanafjar nd Sanherib gar zu kurz fei, und daß in der Stelle Tob. 1,15

Sargon und Salmanaffar. 685

Sanherib ausdrücklich als Sohn und Nachfolger Salmanafjar’s be zeichnet werde; daß der dort erwähnte Zvenerode oder Evenaoodg Salmanaffar ift, kann feinem Zweifel unterliegen *), und fo würde diefe Stelle in der That einen entfcheidenden Beweis für die Anficht Vitringa's abgeben, wenn dem Buche Tobi in Hiftorifhen Dingen eine gewichtige Autorität zufäme. Aber ſchon Vitringa hat mit Recht beigefügt: etsi pondus hujus auctoritatis non sit grave. Es iſt daher nicht zu verwundern, daß fi die Anficht Gataker's, troß diejer, zudem meift ignorirten Inftanz, feit Ende des vorigen Jahr⸗ hundert eines faft allgemeinen Beifalls erfreute (Hensler, Paulus, Gefenius, Winer, Rofenmülfer, Maurer, Higig, Umbreit, Hendewerk, Meier, Ewald, Knobel u. A.). Man nahm ziemlich allgemein an, dag Sargon einige Jahre lang in der Zeit zwifchen der Zerftörung Samariens und der Thronbefteigung Sanherib’8 regiert habe, etwa von 718—715 ober von 716—713.

Yu ein ganz neues Stadium ift die Verhandlung über dieſe Trage feit der Wiederaufdelung der Palaftruinen Ninive's und der wenigſtens theilweifen Entzifferung der zahlreichen dort gefundenen aſſhriſchen Keil» Infchriften getreten. Die Perfon des aſſyriſchen Königs Sargon trat in das helle Richt der Geſchichte. Er erwies fi) als der Vorgänger und Vater Sanherib’8 und als der Er- bauer des prachtvollen Balaftes von Khorsäbäd an der Nordoftede Ninive's; und zahlreiche Yufchriften diefes Palaftes verfprachen volfftändigen Aufſchluß über die Gedichte feiner Regierung. Aller- dings unterfiegen die bisherigen Entzifferungsverfuche im Einzelnen noch fehr gegründeten Bedenken. ALS gefichertes Ergebniß derfelben darf man aber, ohne in Leichtgläubigkeit zu verfallen, betrachten: daß der Name des Könige Sargana, Sargina oder Sar-kin (Sarkien) lautet, daß er ein Emporlömmling und Begründer einer

a) Wenn Jules Oppert in feiner mod) öfter zu erwähnenden Schrift: Les inscriptions assyriennes des Sargonides et les Fastes de Ninive, Versailles 1862, p. 9 in Enemefjar den Namen des Generale finden will, welcher den in Ninive anerfannten vehtmäßigen Nachfolger Sal- manaffar’s entthront, und als König den Namen Sargon angenommen Habe, fo iſt dies nur eine bon bem Teicht hingeworfenen und nicht gehörig erwogenen Behauptungen, deren in dieſem Buche mande vorkommen.

686 Richn

neuen Dynaſtie war, daß er (nicht 3 oder 4, fondern) minde- ftens 15 Jahre vegiert*) und im biefer Zeit viele kriegeriſche Expeditionen, befonders gegen Elam, Babylonien, Armenien, ©: vien, Philiftän und Aegypten unternommen hat, und daß er ſich namentlich auch der Gefangenführung der Sfraeliten und der Zer: ftörung Samirina's d. i. Samariens rühmt d). Gerade über das Verhältniß Sargon's zu Salmanajjar aber gaben die Ju ſchriften keinen Maren, ausdrüdlichen Aufſchluß; denn der Name Salmanaffar’s wurde als Königename in der Hier in Berndt kommenden Periode der aſſyriſchen Gefchichte auffallenderweile x den Juſchriften nirgends entdeckt. Man mar alfo in Bezug wi diefe Frage auf Folgerungen und Combinationen angewiejen. Ti fielen Anfangs fo aus, daß die Anficht Vitringa's wieder zu Ehen zu kommen ſchien. Schon Rawlinſon Hatte ſich dafür aut gefproden, daß Sargon und Salmanafjar ein und dieſelbe Perion fein müffe‘). Schr einleuchtend ift dann diefe Anfiht von Joh. Brandis begründet worden 9); umd auf ihm geftügt hal fie Marcus von Niebuhr Geſchichte Aſſur's und Babel, ©. 37. 129ff. 160) als „wohl faum einem Zweifel unterliegen" bezeichnet. „Nachdem“ fagt er „diefe Identität in älter und neuerer Zeit vielfach behauptet worden, kaun man bei dm jegigen Stande der Forſchung fie als ficher anfehen, bis die Jr ſchriften -Lefung das Gegentheil mit Gewißgeit ergibt.“ °) Dagegm

a) Nach Oppert zuerft 4 Jahre vor und dann 15 Jahre nad; feiner dl gemeinen Anerfennuug, von 721—702; vgl. a. a. O, ©. 1. 7. 18[. 0

b) Saft unbegreiflich ift, wie Knobel nod; im Fahre 1861 (im ber hit Auflage feines Commentars zu Jeſajas) von der Möglichkeit reden lu: daß PAD in Jeſ. 20, 1 durch irgend ein Abſchreiberverſehen ans j0* (Hof. 10, 14) entflanden fei. Sind ihm die Entzifferumgen der affyrifkt Infhriften unbekannt geblieben, oder Hat er denjelben allen snd je Glauben verſagt?

» c) Im dem Journal of the Asiatic Soc. XI, 2, p. 419 (vgl. Mg. Fi tung 1852, Nr. 105, Beil. ©. 1675, und Miündjerier Gelehrte Amee 1850, Nr. 83).

4) Joh. Brandis: Ueber den hiſtoriſchen Gewinn aus ber Entzifferung M aſſhriſchen Inſchriften (Berlin 1856), &. 48 ff. 58. ©) Schon vor Brandis Hatte ſich DO. Strauß (Nahumi Vaticinium [185

Sargon und Gelmanaffar. 687

at Jules Oppert wieder die Anfiht geltend gemacht, Sargon fei vielmehr für Salmanafjar’s Nachfolger zu Halten; und in augen fälliger Abhängigfeit von feiner in der ſchon angeführten Schrift enthaltenen Ausführung ift ihr auch Rawlinſon jegt beigetreten *). Es fragt fi nun, ob e8 Oppert gefungen ift, die für die Identi— tät Sargon's und Salmanaſſar's geltend gemachten Gründe zu entfräften? ob er Haltbare Gründe für feine Anficht beibringt? und ob diefe wirklich als „Ergebniß der Denkmalforſchung“ und zwar als ein „feitftehendes“ zu betrachten ift?

Es find vier Gründe für jene Identität geltend gemacht, bie wir als heſonders gewichtig hier näher in Betracht zu ziehen haben:

1) Als Vorgänger Sanherib's nennt das A. T., von Jeſ. 20,1 abgejehen, nur Salmanafjar, während die aſſyriſchen Infchriften Salmanaſſar gar nicht erwähnen, dagegen den Vorgänger und Vater Sanherib’8 immer Sargon nennen; beide Namen fcheinen alfo diefelbe Perfon zu bezeichnen. In Betreff diefes Punktes ift die Denkmalforſchung inzwifchen zu feinem anderen, auch nur einigermaßen zuverläjfigen Ergebniß gelangt. Allerdings fanden die Afgriologen mehrere Könige, welde den Namen Salmanaſſar führen; allein fie gehören ſämmtlich früheren Perioden der aſſy— tiſchen Geſchichte and). Dagegen ift ein. Salmanafjar, der von 726— 721 regiert hätte (nach Rawlinfon der vierte, nach Oppert ver fünfte diefes Namens), auch jet in den Inſchriften noch nicht autdedt worden. Zwar will Oppert (a. a. O., ©. 9) in einem Ramen, der ſich nach dem fechzehnten Namen Tiglatpileſar's findet, nd den Rawlinſon zmweifelnd Bil-kas-bilussar (08, Salmanafjar

p- LV, No. 6) dafür ausgeſprochen. Auch M. Dunder und neuerdings Keil (Bibl. Comm. über die Bücher der Könige [1865], S. 305) haben ſich zu diefer Anficht befannt.

a) George Rawlinson: The five great Monarchies of the ancient eastern world, vol. II (London 1864), p. 401 qq. 406 sqq.

b) Nach Ramlinfon regierte Galmanaffar I. von 1290-1270, Salına- naffar IT., dem die Iſraeliten unter Jahua d. i. Ichu, dem Sohn Khumris d. i. Omri's, Tribut entrichtet haben (a. a. D., S. 364f.) von 859—824, Salmanaffar UI. von 781770. Dppert bezeichnet jenen Sale manaffar II. als den III. und läßt ihm von 899870 vegieren, Salma- nafjer IV. aber von 822—814 (a. a. O., S. 6 u. 15f.).

688 Richm

erwähnt finden; aber er gewinnt diefes Nefultat nur durh du Annahme, daß die betreffende Keilgruppe eine ideographiſche, fein , phonetifche fei, d. b. auf einem Wege, ber zwar bei der Cntzifie: rung der Eigennamen, wie es ſcheint, Öfter eingejchlagen mern muß, der aber aud der Wilffiie am meiften Spielraum Täßt, un wenn andere Belege fehlen nur zu den unfiherften un unzuverläffigften Ergebniffen führt *). Es wird daher diefer Eır dedung fein höherer Werih zugeftanden werben Können ala dr: jenigen, welche früher de Saulcy gemacht zu haben glaubte, da den Namen Salmanaffar ald Beinamen Sargon’s gefune haben wollte. Jedenfalls ift fie nicht geeignet, jenen erften Gm für die Identität Sargon's und Salmanaſſar's zu entfräften. 2) Derfelbe gewinnt aber erft durch den zweiten fein vol Gewicht. Nach den Inſchriften Hat Sargon mindeftens 15 Jah fang regiert. Nun hat nad 2 Rdn. 18, 10ff. (vgl. 17, 5f! Salmanaffar im vierten Jahre Hiskia's Samaria zu belagern b- gonnen, und im fechften Jahre Hiskia's wurde die Stadt erobert; in fein vierzehntes Jahr fällt aber nach 2Kön. 18, 13 die Ex dition Sanherib’8 gegen Juda und Jeruſalem. Sehen wir nın auch vorläufig davon ab, ob Salmanafjar felbft Samaria aut erobert hat, und bringen wir auch nicht in Rechnung, daß das vier: zehnte Jahr Hiskia's ſchon das dritte Sauherib's ift, jebenfalt fehlt zwifden dem Anfang der Belagerung Samariens und dr Expedition Sanherib's die Zeit, um eine 15 jährige Regierung Sargon’s unterzubringen; es muß alfo Sargon und Salmanajjar identiſch, und jenes der von dem Könige felbft geführte Nam, dieſes dagegen der Name, unter welchem er den Juden gemeiniglih befannt war, gewejen fein. Hält man die gerade bier nicht dem geringften kritiſchen Verdacht unterliegende biblifche Chronologie fit, fo ſcheint diefe Folgerung unausweichlich zu fein. Wie Hilft ih nun Oppert? Nach ihm hat Salmanaffar V. von 726-1, Sargon von 721 702 und Sanherib von 702— 680 regien Im diefer tiefen Herabriidung des Regierungsanfanges Sanferiis folgt er Hinds, indem er ſich mit diefem darauf ftügt, daß ah

a) Bgl. Brandis a. a. O., ©. 26ff.

Sargon uud Salmanaffar. 689

vom Zeugniffe ber Inſchriften Sauherib ſchon auf feinem erften jeldzuge Belib als König in Babylonien eingefegt, diefer aber nad) em ptolemäifchen Kanon von 702—699 regiert hat ). Nach der ibfifchen Chronologie zog aber Sanherib ſchon im vierzehnten Jahre Ji8fia’8 gegen biefen, d. i. im Jahre 711; er müßte alfo ſchon 13 den Thron beftiegen haben. Oppert verfhmäht nun das rüber verfuchte bedenkliche Auskunftsmittel ®) einer Berichtigung er biblifchen Chronologie durch Reduction der (55) Regierungs- ‚re Manaſſe's (2 Kön. 21, 1), will jene vielmehr als richtig ftgehalten wiſſen. Dagegen will er fi durch die Annahme fen: es falle zwar die Erkrankung und Wiedergenefung Hiskia's ad die Geſandtſchaft Merodach-Baladans in das vierzehnte jahr Hiskia's (vgl. 2Kön. 20, 6), die Expedition Sanherib's agegen erft in fein neunundzwanzigftes, d. i. fein letztes Regie⸗ ungsjahr, und demgemäß Hätten auch die Eapitel Jeſ. 38 u. 39 je Stelle urfprünglich vor Jeſ. 36 u. 37 gehabt (a. a. D., 5. 10 Anm.), alfo auf 2Rön. 20, 1—19 vor 2Kon. 18, 13 819, 37. Gewiß ein Kühner Gewoltſtreich! und dabei fo Leicht usgeführt, als ob er ganz unverfänglich wäre! Aber wer außer dawlinſon, der auch Hier der Autorität Oppert's fich beugt und ar ftatt des neunundzwanzigften Regierungsjahres Hiskia's das tbenundzwanzigfte vorzieht (a. a. D., ©. 434) wird fich das tonologifche Datum in 2Rön. 18, 13 Jeſ. 36, 1 fo leicht⸗ n wegcorrigiren lafjen? Bedurften diefe Behauptungen überhaupt ner Widerlegung, fo wäre auf 2Kön. 20,6 Jeſ. 38, 6 nzuweiſen, wonach bie dem Franken Hiskia gegebene Verheißung h anf’® unzweidentigfte auch auf die Jeruſalem von bem Heere anherib's drohende Gefahr bezog. Hält man die Annahme, 8 Sanherib erft 702 den Thron beftiegen hat, duch die Com— ination der den Regierungsantritt Belib's auf das Jahr 702 tirenden Angabe des ptolemäifchen Kanons und der Juſchriften- bricht, dag Sanherib ſchon auf feiner erften Expedition Belib

*) Auch Brandis (a. a. D., ©. 44—47) tam nad) Hinds, aber unab- hängig von ihm, zu dieſem Ergebuiß. Bol. auch ©. 73 f.

d) Niebuhr: Kleine Schriften I, 208 Anm. Brandis a. a. D, ©. 46.

Theol. Stud. Jahrg. 1868, J 46

60 Richm

als König Babyloniens eingefett Habe, für geficherter als die and drücklichen und miteinander in vollem Einklang ftehenden dhrone| logiſchen Daten der Bibel, jo bleibt in der That fein anderer Aus: weg möglich als die Reduction der Negierungsjahre Manaſſel Wir können num bier die Frage unentſchieden Laffen, ob diefefk wirffich vorzunehmen ift *); denn aud wenn Sanherib erſt 70, und Hiskia, deffen vierzehntes Jahr mit dem dritten Sanheribs aufammenfällt, demzufolge erft 713 den Thron beftiegen Hätte, I würde damit daran gar nichts geändert, daß Salmanafjar in vierten Jahre Hiskia's die Belagerung Samaria's begann (dr nad) diefer Berechnung inf Jahre 710), und Sanherib in Hieiit vierzehntem Jahre feine Expedition gegen Juda und Serujdm unternahm (alfo nach diefer Berechnung im Jahre 699), und Ki fomit zwifden beiden für eine mindeftens 15jährige Regie Sargon's die Zeit fehlt. Darum eben Haben ſich Oppert mil Rawlinſon zu jenem halsbrecheriſchen Auskunftsmittel entfchlofe. Es ift alfo keineswegs ein Ergebniß der Denkmalforſchung, ſonden ein an dem biblifchen Bericht verübter kritiſcher Gewaltftreid,

a) Kann man fih zu ihr nicht entſchließen, und hält man demgemäß das Jr] 713 als das Jahr der Thronbefteigung Sanherib's feft, fo Bleibt nik) übrig, als entweber das durch ben Ptolemätfchen Kanon bargebotene Datz] für den Regierungsanteitt Belib’s oder die Richtigkeit ber Entzifferung ke Inſchriftennachricht vorerft noch in Frage zu ſtellen. Letztere ift allerup von den verſchiedenſten Seiten her (auch ſchon von Brandis) anerkı: und daß der Feldzug Sanherib's nad; Babylonien, in welchem Met Baladan befiegt und Belib eingeſetzt worden fein foll, im dem Anfang r Regierung Sanherib’s fällt, ſcheint dadurch gefichert, daf feine anf eir? Thoncylinder ftehenden Annalen mit dem Bericht über diefe Epedic beginnen. Auch ſcheint es fich dadurch zu beflätigen, daß ihn mt feiner dritten Erpedition gegen Syrien, iu welcher der Conflict mit fit: eine Epifode bildet, die vierte wieder nach Babylonien führte, wo er X abtrünnig gewordenen Belib gefangen nahm, und feinen Sohn Afımaz (Aſſarhaddon) zum Bicekönig machte; denn diefe Infchriftennachrichten fir men auffallend überein mit den Nachrichten des Berofus und mit derit gabe des Ptolemätfchen Kanon, daß Belib 3 Jahre regierte und da ır ihn Aparanadios oder Aparranadifos (morin man längft unter Bergleide: des Osnappar in Eſra 4, 10 eine andere Namensform für Aſſathadeet erfannt, oder geradezu Affaranabinos emendirt hat). folgte.

Sargon und Salmanaffar. 6A

mittelft deſſen fie diefes Argument für die Identität Sargon’s und Salmanaffar’8 entfräften wollen.

3) Der dritte Grund für diefelbe ift: Nach den bibliſchen Nach- rihten Hat Salmanafjar Samaria belagert und erobert; und auf den Inſchriften des Palaftes von Khorsäbäd rühmt ſich Sargon, Samirina erobert und das Beth-Khumri (Haus Omri's) in die Gefangenſchaft geführt zu Haben. Oppert will num beiden Nachrichten durch die Annahme gerecht werden: Salmanafjar habe Merdings die Belagerung Samariens begonnen, fei aber vor Sa— naria geftorben, worauf fein in Ninive anerfannter legitimer Nach⸗ olger *) durch den Tob. 1, 15 genannten General Enemefjar ent- front worden ſei, welcher als König den Namen Sargon ange» vmmen Habe; diefer erft habe Samaria erobert, und fei 4 Jahre uch der Ufurpation ber Herrſchaft als König allgemein anerkannt vorden (a. a. O., ©. 8f. 19f.). Ganz ähnlich nimmt jegt ud Rawlinſon (a. a. O., ©. 404ff.) an, dag Salmanafjar die Belagerung Samariens zu feinem glüclichen Ende geführt Habe, md daß feine längere Abweſenheit von der Hauptftadt, welche diefe Anternehmung, fowie die gleichzeitige gegen Tyrus, mit ſich brachte, erhängnißvoll für ihn geworden jei, indem Sargon fie zur Ufur- ntion des Thrones benußte; diefer habe dann in feinem erften tegierungsjahre Samaria erobert. Es ift num aber immer in äußerft bedenfliche® Verfahren: wenn ein und dafjelbe Ereigniß ı zwei verfchiedenen Quellen berichtet ift, um einer Differenz n einem einzelnen Punkte (hier die verfchiedene Angabe des fiprifchen Königenamens) willen durch Kombination eine dritte, on beiden urkundlichen Nachrichten verfchiedene Darftellung des zerlaufs der Begebenheiten Herzuftellen, und diefe für die gejchicht- he auszugeben; jedenfalls iſt nad) den fonft gültigen Grundfägen a) Er foll nad) Oppert (S. 7) Ninip- Fluya geheißen haben. Wie wenig

verläßlich diefe Angabe fein Tann, vermag auch der Laie in der Keilfchrifte

entzifferung zu ermefjen, wem er bedenkt, daß die ganze Gefdjichte von dem vor Samaria erfolgten Tode Salmanaſſar's zugeftandenermaßen nicht aus den Iufchriften erhoben if, fondern auf bloßer Kombination beruht, ja daß aud nur eine Erwähnung dieſes Salmanafjar in den Inſchriften

änferft zweifelfaft if. 46*

92 Richm

kritiſcher Geſchichtsforſchung in einem ſolchen Falle die Annapme | bei weitem vorzuziehen, daß die nur einen einzelnen Puntt bettef- fende Differenz auf eine Verſchiedenheit nicht im dem geſchichtlichen Tatfächlichkeiten, fondern nur der Ueberfieferung zurückzuführn ift. Wir könnten in unferm Falle nur dann anders urteilen, wenn auch ber altteftamentliche Bericht irgend eime fichere Epır ‚davon enthielte, daß die Eroberung Samariens nicht ſchon Sıl- manaſſar, fondern erft feinem Nachfolger gelang. In der Tyt will Oppert eine ſolche gefunden haben. Sie foll darin beftee, daß zwar Salmanafjar in 2Rön. 18, 9 ausdrücklich genamt ft als Belagerer Samariens, dag es aber dann in B. 10 mir Heißt: „und fie nahmen e8 ein* (Tiahn), womit die Eroberm wicht ihm, fondern feinem Heere zugefchriehen werde, wie denn auh in B. 11 die. Gefangenführung der Bewohner des Zehnftämme eich nur überhaupt dem König von Affyrien, nicht Salmanajlır insbefondere zugejdhrieben wird. Herr D. Delitzſch erkennt di Bemerkung ald eine mohlgegründete an. Allein, wenn man anf) zugeben mag, daß in ihr eine Möglichkeit aufgezeigt ift, ohne mir den bibfifchen Nachrichten in Wiberfpruch zu treten, die Oppertic Combination zu vollziehen, Beweistraft kann ihr in feiner Weit augeftanden werden. Wir mollen fein befonderes Bericht darf legen, daß es nur die überlieferte Ausſprache des ort addon iſt, auf weiche Oppert fi ftügt, und daß man ebenjo gut ayabn ausſprechen könnte. Aber offenbar wird von ihm aus dem fo natürlichen und leicht ſich darbietenden Subjectöwechfel eine ve zu weit gehende Folgerung gezogen, zumal ein wirklicher Gegenja zwiſchen Salmanaffar und feinem Heere durchaus nicht amgedente ift, und ein Subjectswechjel ganz gleicher Art auch anberwärt vorfommt (vgl. Yof. 10, 34f. 36f. 2 Chron. 22, 9, aud 4 Moſ 21, 32). Vollends unhaltbar erſcheint aber die Annahme, ienes „fie nahmen ein“ folle amdenten, daß Salmanaffar ©: marien nicht mehr jelbft erobert habe, wenn man die Parafleljti: 2 Kön. 17, 1—6 vergleicht, wo keinerlei derartige Andeutung j: finden, vielmehr einem und bemfelben affyrifchen Könige die drer jährige Belagerung und die Eroberung zugejchrieben ift (8. 5 u. 6 vgl. V. 3, wo derfelbe Salmanafjar genannt ift). Des Cr

Sargon und Sclmanaffar. 698

ige, worauf fich die Auſicht Oppert's wirklich ftügen, und was nan gegen obiges drittes Argument für die‘ Identität Sargon’s md Salmanaſſar's geltend machen kann, ift die Angabe, daB nad) en Infchriften Sargon ſchon auf feinem erften Feldzuge Sa- naria eingenommen zu Haben fi rühme (Oppert a. a. O., 5.8.19; Rawlinfon a. a. O., ©. 406). Allein es ift fehr u bezweifeln, daß wir hier ein gefichertes und „feitftehendes Er⸗ tniß der Denkmalforſchung“ vor und Haben. Denn alle Angaben ber die Inſchriften, welche dle Wände des Palaftes Sargon’s als kläuterung zu den Basreliefs bedecken, ftimmen darin mit ein- nder überein, daß im denfelben zuerft über einen Feldzug des önige gegen Elam berichtet ift, deſſen fiegreiger Ausgang auch t Unterwerfung der Chaldäer Herbeiführte*). Da erſcheint es mn ſchwer glaublih, daf der Zug gegen Samarien und die Ein- ahme der Stadt ebenfalls ſchon dem erften Feldzug zugehören foll. ad.der Zweifel an der Nichtigkeit diefer Angabe wird noch da> ach verftärkt, daß ſowohl nach Oppert (S. 23) ald nad) Raw- nfon (S. 410) Samaria wieder erſcheint unter den Verbündeten ahubid's oder Zlubid’s, des Könige von Hamath, gegen welchen jargon feinen zweiten Feldzug unternommen, und den er in einer ichlacht bei Khar-khar (nah Rawlinfon: eine von den Städten, e den Namen Arver trugen) befiegt haben foll. Ich kann iger nicht umhin, auch diefen Grund für die Identität Sargon’s id Salmanaſſar's als noch unwiderlegt anzufehen.

4). Eine Beftätigung derſelben fand man endlich auch noch darin, nach Menander (bei Jos. Antt. IX, 14, 2) Salmanafjar’s fte Expedition gegen Phönicien, welde die Unterwerfung aller pnicifchen Städte, mit Ausnahme von Infeltyrus, Herbeiführte, ch eine Sendung Salmanafjar’s zu den Kittiern, die fich gegen n tprifchen König Eluläus empört hatten, und von diefem wieder ıterworfen worden waren, vorbereitet wurde ®), zufammengehalten

3) Bol. Brandis, ©. 51; Oppert ſelbſt ©. 19 u. 21; Rawlinfon, ©. 409f.

b) Das ni zovrovs neuyas it ſchwerlich von einer krieteriſchen Expedition nad Cypern zu verſtehen (Brandis, ©. 58; Niebuhr, ©. 161;

694 Riehm

mit dem Umftaud, daß auf dem Boden des alten Kittion ein je] in Berfin befindliche Standbild Sargoms mit einer langer Inſchrift gefunden worden ift. Da fein Zweifel darüber iſt, dies Standbild wirklich Sargon darftellt, und da Salmanafjar de einzige aſſhriſche König ift, von welchem eine Verbindung mit ba Kittiern oder eine Expedition dahin gemeldet wird, fo ſcheint aller dings die Identificirung beider auch durch diefes merkwürdige du fammentreffen empfohlen. Bon größerer Wichtigkeit aber ift, vi die kurze Regierungszeit, welche Oppeft und Rawlinſon Salmandir| laffen, nicht ausreicht, um darin die beiden von Menander ernik- ten phönicifchen Expeditionen deſſelben unterzubringen; denn mi dem glänzenden Seefieg der Inſeltyrier wurden diefe 5 Jahre Im durch aſſhriſche Wachtpoften verhindert, fi aus dem Fluſſe (Leontt‘ und den Wafferleitungen Trinkwaſſer zu holen; die Regierungsyit Salmanafjar's aber ſoll im Ganzen nur 5—6 Jahre (726-721) gedauert haben. Rawlinſon (S. 405 f.) legt ſich nun bie Sahı fo zurecht: Salmanaſſar's zweite phönicifhe Expedition falle u diefelbe Zeit wie die Unternehmung gegen Samaria, und die 5jll- tige Abfperrung der Infeltyrier vom Seftlande habe fich, wie die Belagerung Samariens, noch bis in das zweite oder dritte Jahr, feines Nachfolgers erſtreckt. Das Standbild Sargon’s aber erft viel fpäter, im Jahre 708 oder 707, in welchem die Cpprier diefem Könige Huldigungsgaben gefandt hätten, dahin verbradt und dort aufgeftelft worden (S. 420f.). Indeſſen, von anderem al: gefehen, weder in dem Berichte Menander's, noch in dem. mat Joſephus beifügt, findet fi irgend eine Spur, die darauf hir deutete, daß inzwifchen ein Herrfcherwechfel ftattgefunden hatte; mt daher Hat Oppert gewiß wohl daran gethan, einen anderen Ey

Delitzſch zu Icfaj., ©. 266); denn zu einer folden wäre eine it: erfordeefid) gewefen, an der es den Alſyrern fehlte, weshalb fie ihnen ut bei der Unternehmung gegen Inſeltyrus von den übrigen Phönicern 5 ſtellt werden mußte. Man Hat vielmehr an eine Gefandtfcaft zu dere welche bie Kittier wieber aufwiegeln, ihnen gegen Anerkennung ber afrilte Hoheit den Schutz des affgrifcgen Königs anbieten und ein Einperfläntit zu gemeinfamen Operationen gegen Eluläus herſtellen follte. Die Ems dation Rawlinſon's (S. 405) dml voöror ift nicht Hinveidhend motiist *

Sargon und Salmanafar. 695

zur Löfung der Schwierigkeit einzufchlagen. Nad ihm (S. 19) hat nicht Salmanaffar, fordern Sargon die Expedition gegen Inſel⸗ tyrus unternommen, und der Anfang jener Sjährigen Abfperrung der Tyrier vom Lande fällt in die Zeit nad) der Eroberung Sa— mariens und an das Ende feines oben erwähnten ‚gegen den König von Hamath gerichteten zweiten Feldzuges. Außerdem erwähnt er für da6 Jahr 708 einen befonderen Feldzug Sargon’s (feinen dreigehnten) gegen Eypern. In der That nennt Menander in feinem Berichte den afjyrifchen König nicht mit Namen; denn den Namen Zeluavaodg vor d z@v Acoveiwv Baaıksds hat Zoe ſeph Scaliger in den von ihm als Anhang feiner Schrift De emen- datione temporum (Genf 1629) herausgegebenen Veterum Grae- rum fragmenta selecta nur aus der lateinifchen Ueberfegung Rufin’s in den griechifchen Text Herübergenommen; und wie wenig Rufin in folhen Dingen verläßlich ift, ift aus feinem millfürlichen Berfahren mit dem Texte des Eufebius bekanut genug *); mit Recht ft darum jener Name in die Ausgaben der Werke des Joſephus ht aufgenommen worden ®). Der Bericht Menander’s, für ſich

3) In Fl. Josephi Opera quaedam Ruffino presbytero interprete etc. (Basileae 1524), p. 279 lautet die Stelle: „contra quos denuo Salma- nasar Assyriorum rex insurgens cunctam Phoenicem invasit“; und Sealiger felbft bemerft (a. a. D., ©. 46): „Nomen Salmanasari quod & Graeco aberat, huc ex fuga retraximus indice Ruffino.“ Ohne Zweifel iR ſowohl Rufin als Scaliger zur Einfügung des Namens durch die Worte des Joſephus zo de övoue Tovzov zod Busıkdwg dv Tois Tugiwv deysios dvay&ygancaı beftimmt worden, da diefelben fih auf ö ov 4oavgiav Baoıeds im vorhergehenden Sätzchen zu beziehen ſcheinen, und daher eine Erwähnung des Namens des aſſhriſchen Königs erwarten laſſen. Indeſſen läßt der angeſchloſſene erläuternde Satz Eorgarevag yap Eni Tigov Buoılsüovrog atois Eioviatov (Rufin: Hylyseus oder He- lisaeus) und der Anfang des Eitats aus Menander: Kal EAovicios övo- wa EBaoldevoev Ern rolaxovre EE Teinen Zweifel darüber, daß jener Schein nur auf der nachläffigen Ausdrucksweiſe des Joſephns beruht, und daß jene Worte auf den Namen nicht des aſſyriſchen, fondern des tyriſchen Königs, zu deffen Seit die Expedition ſtattfand, zu beziehen find.

b) Er fehlt nicht nur in der Ausgabe Imman. Befter’s (1855), fondern auch in der nad) der Haverlamp’ichen und angefertigten von Ober⸗ tür (1782),

896 Riehm

allein betrachtet, kann alſo mit gleichem Rechte auf Salmanaſſar oder Sargon als Nachfolger deſſelben bezogen werben. Anderer | ſeits aber fteht feft, daß Joſephus nicht ander® wußte, als daß es Salmanajfar, der Belagerer und Eroberer Samariens, war, welder jene phönicifhen Expebitionen ausführte; und er kaun daher in dem Werke Menander’s Nichts gefunden haben, was ihn auf die An nahme hätte führen können, daß noch ein anderer König zwiſchen Salmanafjar und Sanherib den affyrifhen Thron eingenommen habe, und daß der Bericht Menander’s von ihm handle. Und jo erfcheint die Annahme, daß Menander von dem Nachfolger Sa manafjar’8 Sargon rede, und der damit ftatuirte Widerfpnd zwiſchen Menander und Joſephus als eine bloße Hypotheſe, da wenn man nicht ſchon zuvor von der Verſchiedenheit Salm naſſar's und Sargon's überzeugt iſt jede Begründung fehlt, und die nicht gerade wahrſcheinlich ift. Jedenfalls aber Hat hir Oppert felbft anerkannt, daß wenigftens der Salmanaffar des Joſephus, foweit es ſich um die phönieifchen Expeditionen Handelt, ein bloßer Doppelgänger Sargon's ift; und im Mebrigen hat er unfer viertes Argument wieder nicht durch Er- gebniffe der Denkmalforfchung, fondern nur durch jene unbewicſene Annahme, daß Joſephus was Menander von Sargon beridtek, irrtümlich auf Salmanaffar bezogen Habe, zu entkräften gefudt. Die Frage, ob das Standbild Salmanafjar- Sargon’s ſchon bi Gelegenheit feiner phönicifchen Expeditionen nad; Eypern verbradt worden ift, oder erft fpäter aus Aulaß einer in fein dreizehntt Regierungsjahr fallenden zweiten Berührung mit den Cypriern fönnen wir unerörtert laffen, da fie fir umfere Unterſuchung fein wefentliche Bedeutung hat.

Als Reſultat unferer Prüfung dürfen wir nunmehr hinftellen: die Anficht, daß Salmanaffar und Sargon zwei verfchiedene Namen eines und defjelben afiyrifchen Königs find, ift durch die Denkmal: forſchung noch keineswegs widerlegt; zur Entkräftung der gemid tigen Gründe, auf welche fie ſich ftügt, ift überhaupt nut ein Ergebniß der Dentmalforfchung geltend gemacht worden, daß nämlid Sargon fi rühmt, jhon in feinem erften Negierungsjahre ©: marien erobert zu. haben, ein. Ergebniß, das aber noch ziemlih

Sargon und Salmanafjar. 697

zweifelhaft erfcheint; ſonſt find ihnen mar unfichere und zum Theil ganz unwahrfcheinliche Combinationen und unbewiefene Hypotheſen, md ein an dem altteftamentfichen Texte verübter kritiſcher Gewalt- ftreich entgegengeftellt worden. Man wird demnad die Identität Sargon’s und Salmanaffar’s noch immer als weitaus am wahrs igeinfichften feftzuhalten haben, bis die Denkmalforſchung das Gegen- teil in zuoerläffigerer Weife, als es bis jet der Fall ift, er⸗ viefen Hat*). Es wäre ja auch in der That fehr auffallend und

a) Das noch weitverbreitete Mißtrauen gegen bie Exgebniffe der Inſchriften - entzifferung ift jedenfalls theilweiſe nur allzu gerechtfertigt. Wir Haben Gelegenheit gehabt zu fehen, was 3. B. Oppert dem Glauben feiner Leſer zumuthet. Ein anderes Pröbchen feiner Leicht hingeworfenen Behauptungen mag Hier noch beildufig Erwähnung finden. In den Infchriften Sanherib's lommt ein Stabtname vor, der Amgarron gelefen wird, und im dem are dere Affyriologen, wie Ratofinfon und Hinds (in Heidenheim's Deutſcher Bierteljahresſchrift für engliſch- theologiſche Forſchuug, 1862, Nr. II, ©. 889), eine Bezeichnung ber Philifterflabt Efcon erkeunen. Oppert (&. 40) behauptet dagegen: es fei vielinehe das in ef. 10, 28 (n. 1 Sam. 14, 2) erwähnte Migron. Dabei macht es ihm feinen Serupel, daß Migron eine Meine judäiſche Stabt auf der Route von Ai nad Milhmaſch war, während feinen eigenen Angaben zufolge in den Infchriften San- herib's ein König von Amgarron (dev von beffen Bewohnern als affy- riſcher Schütfing an Hiskia ausgeliefert, dann aber auf Sanherib's Ber- langen Tosgelaffen und von biefem' wieder eingejegt worden fein foll) er- währt, und daß Amgarron einmal zwiſchen Asdod und Gaza und ein anderes Mal nad Gaza und Askalon und vor Byblus und Aradus genannt ift (vgl. Oppert, ©. 44. 45. 58). Wer mit derartigen Behauptungen vor feine Leſer tritt, und fi ihnen im dem, was fie con- troliren Tönen, fo wenig bewährt, der darf ſich nicht wundern, wenn fie alle Mittheilungen, deren Eontrofirung ihnen nicht möglich ift, nur mit der mißtrauiſchſten Vorficht aufnehmen. Auch in fprachlicher Beziehung erweden die Angaben Oppert’s vielfad; gar wenig Vertrauen. Wenn er 3 3. (©. 8) den Namen Sar- Kin durch roi de fait (the established king, wie Rawlinſon fich ausbrüdt, {. S. 408 u. 88) ertlärt, und wenn wir dabei Binfichtfich der Sylbe Kin einfach auf den hebräif—en Stamm YO verwiefen werden, fo macht dies den Eindrud eines bloßen Einfalls, der vor dem von Brandis (S. 58), daß der Name „Herr des Gartens” (19) bedeute, nicht viel voraus hat, nicht aber den Eindrud eines Ergeb- niffes fofider Sprachforihung. Aehnlic verhält es fi mit anderen Na- menserflärungen, 3.8. Esar-chaddon, Assur-ach-jiddin = Affur Hat

698 Kichm, Sargon und Selmanaflar.

taum begreiflih, wenn Sargon, der fo viele fiegreidhe Kriege im Oſten und Welten geführt und die Macht des aſſhyriſchen Welt: reich® auf ihren Höhepunkt gebracht, ja der Samaria erobert und zerftört und die Bewohner des Zehnftämmereihs in die Gefangen ſchaft geführt Hat, in der altteftamentlihen Weberlieferung nur die vereinzelte Spur in Jeſ. 20, 1 zurüctgelaffen hätte, und im Uebrigm ganz durch feinen nur kurze Zeit regierenden und viel unbedenten deren Vorgänger Salmanaffar verdunfelt worden fein ſollte. Du gegen Hat es gar nichts Unwahrſcheinliches, daß der große Erobern von den Iſraeliten gewöhnlich Salmanaffar genannt wurde, obſchu er felbft feinen ſolchen Beinamen geführt zu Haben ſcheint *). Ude den Namen eines Königs der Aſſyrer, dieſes yrouı ap YpRı c. ya pas vie au konnte leicht ſchon bei der erften Kunde vm ihm vermöge einer Verwechſelung oder eines Mißverftändnifies (er möglicherweife in Nachwirkung der Erinnerung an den Galme naffar, welchem Zehn Tribut entrichtet) eine irrthümliche Angabe unter den Iſraeliten ſich verbreiten, und dann auch, wenn der Küng dem ifraelitiihen Volke einmal unter diefem Namen befannt wat, “in der gewöhnfichen Ueberfieferung fid behaupten; dagegen erſchen es faft unmöglich, daß diefe einen tief in die Geſchichte Ziruls verflochtenen Mann von der Bedeutung Sargon’s fo gut ald gan ignorirt haben follte.

einen Bruder geſchenkt u. dgl. (Zeitfchr. d. D. M. ©. X, 290) Ih term man num fieht, daß andere Aſſyriologen, wie Rawlinſon, folde &r fälle unbejehen hinnehmen und nachſprechen, fo kann man gerechte Bedenle gegen ihre Methode in der Erforſchung der aſſyriſchen Sprache und de Verdachi, daß manche Ucbereinftimmung in den Ergebniffen auf conventiond getvordenen, aber darum keineswegs ſicheren Annahmen berugen, wicht tücdrängen. Wann wirb endlich ein vorfichtiger und zuverläffiger Forkt ſich finden, der die bisherigen Entzifferungsverfuche der aſſyriſchen Infchrfes einer gründlichen Teitifchen Reviſion unterwirft, nachdem es Brandis ki einem bfoßen Anlauf dazu hat bemenben laffen ?

a) So muß mau urtheilen, theils weil bisher unter den Beinamen Sarg der Name Salmanaffar nicht gefunden worden ift, theils weil berebe Ir Königen der früheren Zeit als eigentlicher Name, wicht als Beinamt, vor lommt.

Märder, über die Zahl 666 in Offb. 13, 18. 699 2.

Ueber die Zahl 666 in Offenbarung 13, 18.

bon

Profeffor J. WMärdier in Meiningen.

Es ift durd) die neueren Forſchungen außer Zweifel geftellt, dag das Thier in Offb. 13, 1, von welchem der größte Theil von Cap. 13 und ein großer von Cap. 17 handelt, das römische Weltreich bedeute. Die vom Schriftfteller felbft in 17, 9—12 gegebene Erflärung, daß die fieben Köpfe des Thieres fieben Berge (ie fieben Hügel Roms), aber auch fieben Könige bedeuten, von denen fünf (Auguftus bis Nero) gefallen feien, der eine (Veſpaſian) gegenwärtig fei und der noch übrige (fiebente) erft kommen werde,‘ bei welcher Zählung Galba, Otho, Vitellius als zu kurze Zeit tegierend weggelaſſen, gleich darauf aber in der Erffärung ber zehn Hörner berückſichtigt find, bezeichnen zu genau das römiſche Kaifer- reich, als daß man irgend eine andere Deutung zulafien dürfte. Die Deutung der zehn Hörner (17, 12) auf die volle Zehnzahl der Kaiſer, von denen drei nur fehr kurze Zeit regieren (dEovaiav ös Baoskeis ulav ügav Aaußavovos) hat wegen des Wortes vurrw, das aus od rranveg corrumpirt ift, Widerfprud erfahren, welcher durch genannte Emendation fich fofort löft, indem nun zu den Worten: „fie empfangen auf eine Stunde die Macht wie Könige“, als Subject od od Aaßovses Bavıkslav aus Baoıkslav oo navıes Zaßov dem Sinne nad, heranszunehmen ift.

Wäre nun die Deutung auf die erften zehn Kaifer Roms noch irgend einem Zweifel unterworfen, fo müßte derfelbe dadurch be— feitigt werden, daß bie Anfangebuchftaben der Namen jener zehn Kaiſer als Zahlzeichen betrachtet und zuſammenaddirt die in 13, 18 aufgeftelfte ‚geheimnißvolle Zahl 666 geben. Hierbei ift jedoch zu bemerken, daß der zehnte noch zufünftige Kaifer, auch wenn Jo— hannes an Titus dabei dachte, nicht mit einem Namen bezeichnet werben durfte, ſondern als der Zehnte (d dexaros) gedacht und mit dem Zeichen der Zahl 10, mit einem « angedeutet wird,

700 Märder

Die Rechnung ift folgende:

Oxraßıavös. . ... 70 Tißsgos . . . - 300 Teiog . —— 3 Kievdiog = 20 Neoav . = 5 Telßa = 3 ’odur . . = 70 OviteAhiog . = 70 Ovsonauıwmis .... = 70 ö dexasog .i/= 10

x” = 666

So ſchön dieſes paßt, fo ift doch noch nicht ganz dadurch a: geflärt, was in der Stelle 13, 17 als der Name des Zhierr (10 ovone ou Imelov) zu denken ſei. Jedenfalls muß die Name für Rom harakteriftifch fein. Der römiſche Uebermuth und zugleich die ungeheure Größe des römischen Reichs werben jehr pafjend durch das Wort Syxos bezeichnet, welches fomohl „Hoffart“ als auch eine. „große Maſſe“ (moles) bedeuten kann. Das fp- cifiſch Romiſche wird bekanntlich oft durch das Hauptkfeibungsftid der Römer, die Toga, fymbolifirt, jo daß togatus geradezu „Römer“ bedeutet. Das Wort toga ohne Weiteres in's Griechiſche alt zoyn aufzunehmen, würde den Schriftftellern des N. T.'s, wem fie in die Lage gefommen wären, die. Toga nennen zu müſſen, ebeı- fowenig Scrupel verurfacht haben wie die Aufnahme der Wörtr rgaıtaigıov, xevruglov, oovdagsov unb anderer. Hiernach il es nicht unwahrſcheinlich, daß das Wort Oyxozoyıov „Hoffärtigs Toga- Ungeheuer“ , welches aus den ‘oben aufgeführten zehn Bud: ftaben: 0, 7, y, x, v, y, 0, 0, 0, ı, die als Zahlzeichen betradirt bie Zahl 666 zur Summe geben, zufammengefegt ift, als Namt des Thieres gedacht werden muß. Dann ift fowohl jenes Bart 0 övona zod Srglov (13, 17), als auch die Zahl 666 oa Yuög Tod Övönerog adrod. ne

Außer der nachgewiefenen Deutung auf das römifche Weltreih gibt unfer Schriftfteller von dem Imglov noch eine andere Er Märung, ebenfo wie er in 17, 9—12 die fieben Köpfe des Zhirt doppelt deutet, erſtens auf die fieben Hügel Roms, zweitens ehr aud) auf die fieben Kaiſer, bie, wenn man Galba, Otho, Bieliet

über die Zahl 668 is Offb. 13, 18. 701

übergeht, die erften waren. Nach 17, 11 nämlich ſoll der auf die fieben Kaifer zunächſt folgende, alfo der achte Kaifer, das Thier felbft fein, wa® nur fo verftanden werben fann, daß alfes von dem Thier ausgefagte Schlechte fich in diefem Kaifer comceentrire. Wahr ſcheinlich ift nicht mit Düfterdied, dem übrigens in ber Hauptfache jedenfalls Recht gegeben werden muß, Domitian als Derjenige anzufehen, welchen unfer Berfaffer ſich als jenen Achten dachte, ſon⸗ dern man kann (mit Ewald, de Wette u. A.) Riemanden als Nero dafür Halten, der, wie z. B. Tacitus (Histor. II, 8) berichtet (ungefähr vom Sabre 69 an), längere Beit hindurch als noch lebend und feine Wiederfunft zum Throne vorbereitend von Dielen gefürchtet wurde. Was gegen die Deutung auf Nero von Düfterdied, der bie jene Befürchtung betreffenden Stellen felbft auffühet, geltend gemacht wird, daß man dem Apokalyptiker einen folhen Aberglauben, Nero werde aus der Unterwelt als Antichrift wieder herauf kommen, nicht zutrauen dürfe, ift zwar an ſich ganz richtig, aber nichts gegen die Annahme bemeifend, daß Johannes mit unzähligen Anderen der Meinung wor, Nero fei nicht tobt, fondern ftrebe im Verborgenen wieder nad) dem zümijchen Raiferthron. Das Gelingen diefes Stre- bens konnte dann dichterifch fehr wohl als ein Herauffteigen des Thieres aus der Unterwelt (17, 8) bezeichnet werden, weil nur ber als Kaifer Herrfchende Nero mit dem Thiere ibentifteirt wird, von dem es heißt: 99 zei odx Zorı xab wagsorm. Das nv und regsoraı nämlich gehen auf feine vergangene und feine zukünftige Herrfchaft, das odx Farı aber auf fein gegenwärtiges, nad) Johannes' Meinung im Verborgenen, aber nicht in der Unterwelt, geführtes Leben. Duſterdieck räumt felbft ein, daß das zum Tode verwunbete, aber wieber geheifte Haupt (13, 3) kein anderes als das fünfte, welches Nero bedeutet, fein Tann, ſo daß mit jenem Bilde die ger nannte Befürchtung von Nero's noch fortdauerndem Erdenleben deutlich genug bezeichnet ift. Entſcheidend aber für die Deutung auf Nero find die Worte (17, 11): 10 Imglov, 6 17V xl ovx Zar, xal aurög dydoös Eorı zal &x z@v End Eorı, worin das dop- pelte xai eine innige Beziehung des Umſtandes, er fei der Achte, zu dem Umftande, er gehöre zu den Sieben, anzeigt, welche beiden Umftände feheinbar in Widerſpruch ftehen, aber ſich dadurch vers einigen, daß der Fünfte nochmals, und zwar als der Achte, zur

702 Märder, über die Zahl 666 in Offb. 18, 18.

Regierung kommt. Duſterdieck muß bei feiner Deutung auf Do- mitian &x cv ned ori erklären: „er hat feine Herkunft aus

den Sieben“ (als Sohn Veſpaſian's), was, wenn man auch von |

der Sonderbarkeit des Ausdruds („er ſtammt von den Sieben“, ftatt „von Einem der Sieben“) abfehen wollte, Hier doch ein völlig müffiger Zufat fein würbe.

Iſt nun Nero als römischer Kaifer das Thier felbft, fo fragt es fih, ob aud dann noch bie Zahl 666 als 6 dgıdpuös zoi svöpearos avroũ angejehen werden könne. Nimmt man den voll: ftändigen Namen Nero's: KAaddsos Negwv Kaivag Jonas; 4g00005 Tegwavızds, fo kann man mit Hilfe von Abkürzungen wie fie bei Inſchriften ſich häufig finden, ebenfalls die Zahl 666 heraus bringen, auf folgende Weife:

K. Cauũdioc) . x 20

N. (ee) . .. - v 50

KR. (aloag) . x 20 [4 4

6 70

Hope. (1wvö). . . \W—= 40

(= 10

. 7 = 300

4. (000005). . = 4

. Y-3

Teen. (avıxös) . { e u 100

= 40

xE —= 666

Will man das hebräifche Alphabet zu Hülfe nehmen, fo gik op. 1773 (vgl. Holgmann, Judenthum und Chriſtenthum, ©. 707) eine fchöne Zöfung. Doc paßt diefelbe nur auf Cap. 17, nidt auf Cap. 13, wo die Zahl 666 aufgeftellt wird. Denn Bier er: ſcheint Nero noch gar nicht als das Thier, fondern nur ale dat eine Haupt des Thieres, für deffen Namen eine nähere Beziehung auf das römiſche Weltreich hier unerläßlich ift.

Necenfionen.

1.

Lie. Aug. Kloftermann, Das Markusevangelium nad feinem Quelfenwerthe für bie evangefifche Gefchichte. Göt- fingen. Vandenhoeck und Ruprecht's Verlag. 1867.

Zum erften Male, feit die neuere Evangelienkritit dem Markus- wangelium wieder eine fo hohe Bedeutung beizufegen begonnen Bat, erhalten wir in dem bier zu befprechenden Buche eine eingehende Bearbeitung dieſes Evangeliums, wie fie nachgerade ein dringendes Bedürfniß geworden war. Eine forgfältige Analyfe defjelben, welche dem Zwecke der ganzen Gompofition und der Bedeutung jedes Ein- zelnen in ihr mit eindringendem Scharffinn nachgeht und dabei die Bunkte aufzufpüren fucht, an welchen ſich das Verhältniß des Ver⸗ faſſers zu feinen mündfichen und ſchriftlichen Quellen verräth, bildet den überwiegenden Haupttheil de8 Buches. Dabei geht daſſelbe aber vielfach felbft in exegetifche und textkritiſche Details ein, und da der Verfaffer einmal hierin viel mehr gethan Hat, als fein nächfter Zwed erforderte, fo Hätten wir nur gewünfcht, er wäre nod einen Schritt weiter gegangen und hätte eine fortlaufende Er- Härung des Evangeliums in feine Unterfuchung verflochten, die nun auch über Alles, was zum Verftändniß deſſelben gehört, die nöthige Auskunft gäbe. Wir hätten dies umfomehr gewünfcht, als feine Exegefe vielfach ebenfo große phifofogifche Sorgfalt wie feinen hermeneutiſchen Tact berräth und das Verſtändniß unferes Evans geliums ohne Zweifel weſentlich gefördert Hat. Das ſchließt freilich nicht aus, daß diefelbe fich auch oft und nicht blos wo die Durch⸗

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führung der eigenthümfichen Anfchauungen des Berfaffers über da Plan des Evangeliums ihn dazu verleitete, in Künfteleien verim oder, von dogmatiſchen Vorurtheilen befangen, ſich Gewaltfamtit erlaubt, die mit feiner fonftigen Akribie in ſeltſamem Contıi ſtehen.

Fur den erſten Vorwurf verweiſen wir beiſpielsweiſe auf ie Erklärung von 4, 10ff. (S. 85ff.) Nur von feiner kritiſta Anfhauung aus, wonach aud Hier Mattgäus benutzt fein Id (S. 368), tonnte der Verfaſſer darauf kommen, die Frage hr Zünger auch bei Markus darauf zu beziehen, was die Parakl überhaupt wollen und wozu fie taugen; denn fo gewiß es da Evangeliften allerdings vor Allem auf die allgemeine Erklär Jeſu über „das jonderliche Verhältnig, in welchem feine Jünge zu ihm Hinfichtlich der Erfenntniß ftehen“, anfommt, fo folgt deh daraus keineswegs, daß er, der mach der lebendigen münbfice Meberfieferumg erzählt, diefe Erklärung, welche Jeſus der Antwort auf die Frage nad) dem Sinn der Parabeln vorausſchickt, bereit, wie ber erfte Evangelift, durch eine entjprechende Frage der Jünger ausdrücklich provocirt fein läßt. Wie künſtlich aber deutet der Ber: fafler dann das Myſterium des Gottesreiches mittelit eines angeb fihen genitivus epexegeticus von dem Geheimniß, in meldet gehüllt das Gottesreich in feiner Perſon erfcheint, und weldes ihnen unmittelbar verrathen ift, weil fie in Jeſu den gottgefandten An- fänger des Gottesreiches erfannt haben, während doch der Zufn- menhang lediglich auf das Geheimniß führt, in welches feine Gleich nißrede das Wefen des Gottesreiches verhüllt hat. Warum jolm ferner die of Z&w die außerhalb des Gottesreiches Befindkicen fein, da ja nad) 4, 10 die od rsgi aueov wirklich einen Kreis um ihr bilden, außerhalb defjen die Volfsmenge, die ihm nicht in die Ein famteit folgt, ftehen bleibt? Wenn aber nun &v ragapolais si nevra ylveras überfegt wird: „das Gottesreich wird ihnen in jeder Hinficht zu Räthſeln“, fo fträubt fich doc dagegen jeder geſunde exegetifche Tact. Freilich ſoll se ravra, als Subject gefaßt, or nähere Beftimmung widerfinnig fein; aber es ift doch Hier mt, wie unzäpfig oft, der Fall, daß das allgemeine z= marse uf dem Context feine nähere Beftimmung empfängt, die hier auf alt

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von Ehrifto zum Wolfe über das Wefen des Gottesreiches Geredete geht. Freilich. foll ylvsras als „wird mitgetheilt“ zu faſſen uns möglich fein; aber wenn das, was einem zu Theil wird, einem b nagaßokais d.h. in einer bejonderen Lehrweife zu Theil wird, fo verfteht fich ja von felbft, daß es ſich Hier nur um ein Zutheil- werden durch Ichrhafte Mittheilung handelt. Die gewichtpolle Bor⸗ anftellung des Mvossjgsov erklärt ſich aber bei der gangbaren Aufr faffung ebenfogut, da es den Gegenfag bildet zu feiner Ber hüllung in Gfeichniffen, und feine Abſcheidung von dem Genitiv bedarf einer Erklärung überhaupt nur bei der unnatürlichen Aufe faffung deffelben als gen. epexegeticus. Was hilft es nachzu⸗ weifen, daß za ndvsa für xard ra navra und ylyvsodaı: dv In der angenommenen Bedeutung ftehen könne, da eben hier das hatürfiche Subject des Satzes erſt fünftlich verworfen werden muß, um ein anderes zu erzeugen, das im Parallelfag gar nicht in Sub» jeetsſtellung auftritt, und nagaßokais anders genommen werden muß, als e8 eben 4, 2 da war? Seit wann aber heißt denn zaga- Polo „Räthfel“ fchlechthin, oder wie kommt es zu diefem Ginne in einem Zufammenhange, in welchem mragaßolat überall die von Chriſto geſprochenen Gleichnißreden find? Dies ift nämlich ohne Zweifel aud 4, 13 der Fall, wo der Verfaſſer wieder gegen. die richtige Meyer’fche Erklärung ganz unnöthige Schwierigkeiten erhebt. Wenn Markus Jeſum die einzige Parabelerflärung, die er bei ihm gibt, Hier nicht nur dadurch motiviven läßt, daß die Jünger die einzige bisher gefprochene Parabel nicht verftehen, ſondern dadurch, daß fie überhaupt alle feine Parabelreden felbftändig zu verftehen noch nicht im Stande find, fo ift das bei ihm umfoweniger auffallend, da er bereits 4, 10 angedeutet hat, daß diefelben ihn in diefer Weiſe überhaupt, wenn er in Parabeln geredet, nad) ihrem Sinne fragten, und Tegt den Jüngern keineswegs „ein Verlangen nach dem Ver- ftändniß aller möglichen Parabeln bei“.

Aber auch für unfern zweiten Vorwurf müffen wir ein fchla- gendes Beiſpiel beibringen. In der Analyfe der großen Parufie- rede ift über die Tendenz und den Gedankengang derſelben viel Treffliches beigebracht; aber um fo jchärfer müffen wir die Art derurtheilen, wie fich der Verfaffer mit dem ſchwierigſten Paſſus

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derfelben (Mark. 13, 14ff.) abfindet (S. 251ff.). Wir wollu nicht über die Auffaſſung des Adelvyue wis Fommösens vom perſönlichen Antichrift rechten, obmohl wir diefelbe für eine hoöcht unglüdfiche Halten; wir fragen nur, wie der Verfaſſer es möglie gemacht hat, diefer Auffaffung die Erklärung des Folgenden anı- poffen. Da ſoll mın die Flucht, die Jeſus fordert, nichts andered fein als das Mittel, wodurd man -fich der von dem Antichrift gr forderten Anbetung entzieht. Aber wie Tann Bier an eine fymbe: liſche Bedeutung des Yedysıw gedacht werden, wo die Landihet Judäa und das ferne Gebirge ausdrücklich als Ausgangs m Endpunft der Flucht genannt werben, wo das Hinabſteigen it Haus und das Umfehren vom Ader als Verzögerungen der Find, wo Schwangerfhaft und Mutterpflichten als Erſchwerniſſe derichn genannt find? Mit Recht wundert ſich der Verfaffer, dag 13, 18, wo er völlig unnatürlic ‚nicht da8 Ysuyew, ſondern das Auftreten des Antichrift als Subject denkt, der Bitte um Abwendung einer Flucht zur Winterszeit nicht durch einen parallelen Sa der Chr rafter der Bildlichkeit gefichert werde. Aber wenn auch der Pu rallelfag aus Matth. 24, 20 daftände, jo ift doch die Streng der Sabbathobjervang ebenſo eine mwirfliche Behinderung einer wirt lichen Flucht, wie die Winterfäfte, und die bildliche Umdeutung dt Sabbaths mindeftens ebenfo unnatürlich. Der Verfaſſer freilic findet in V. 15. 16 Andeutungen, wodurch wenigſtens der bih⸗ Tiche Charakter von B. 14 gefichert werde; aber worin folte diefe wohl Liegen? Offenbar verwechſelt er die Eigenthümlidkt der Rede, wonach die Schnelligkeit der Flucht in popufär plaftiice Weife dur Züge illuftrirt wird, welche, an fich felbft willlürle gewählt, mur ſoweit Geltung haben, als fie eben jenen Charaftt der Flucht veranfhaulichen follen, mit demi bildlichen Charakter Mr Rede. Und doc; beweift gerade die Wahl folder Züge, daß di Flucht, um deren Schnelligkeit es ſich Handelt, feine Bifdfice jr kann, weil es zwedwidrig wäre, die Flucht vor der Verfeitung zur Sünde in einer Weife zu illuftriren, welche deutlich auf wirfide Flucht hinweiſt. Kaun nur durch eine fo contertwidrige Umbdeutun die Beziehung des Adekvyue wis Eenuuoews gerettet werden, I ift fie eben augenſcheinlich unhaltbar. Der Verfaſſer, der jehr wohl

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rtannt hat, daß das zaöre in 13, 29 nad) der ganzen Anlage er Rede nur auf die mit dem Eintreten des Adelvyua =. Fonu. erbundenen Creigniffe gehen kann, hat eben darum die Kataftrophe ı Judäa in die Erfcheinung des Antichrift umgedeutet, um die jerbindung der Parufie mit jener zu entfernen und hier die escha- Hogifche Perſpective des zweiten Theſſalonicherbriefes hineinzu⸗ "gefiren. Diefer Annahme zu Liebe muß dann jchließlich die yerca dm (13, 30) nicht die gegenwärtige Generation, fondern das deichlecht fein, welches das adra ysvoneva erlebt. Bei dem derfuch, diefe Erklärung zu rechtfertigen, überficht der Verfaſſer ar, da, wenn im Unterjdiede von dem Gefchlecht, -zu welchem kfus redet, eines gemeint fein ſollte, das einer unbeftimmten Zus ft angehört, dieſes eben nur yevec. Exeivn heißen könnte, daß ber eim foßcher Unterfchied überall gar nicht gemacht fein kann, eil Jeſus feine Zuhörer als Diejenigen anredet, welche Gelegenheit aben werden, das Gleichniß vom Feigenbaum anzuwenden, und daß ei feiner Erklärung das Tadsa navra, deſſen Erleben der yaveı den zugefagt wird, unterſchieden werden muß von dem zadza, durch fen Erleben fie (B. 29) charakterifirt wird, während doc) jenes nur 28 13, 29 erwähnte raör« jelbft mit allem, was nad der ortigen Ausficht die unmittelbare Folge fein wird, bezeichnen kann. Es kann aber unfere Abficht nicht fein, die Exegefe unferes Buches m Einzelnen einer Kriti zu unterziehen. Es kommt uns vor em darauf an, zu fragen, wieweit Zwed und Plan des Markus- dangeliums hier zu einem richtigen Verſtändniß gebracht find. Daß er Verfaſſer demfelben mit unermüdliher Sorgfalt und einem Anen Spürfinn in alfen Eden und Winkeln des Evangeliums nad- eforſcht hat, bleibt das große Verdienft deffelben, das dadurch nicht eſchmälert werden faun, wenn wir feine Auffafjung im Großen md Ganzen wie in vielem Einzelnen als zu künſtlich verwerfen tüffen. Ihm ift begegnet,. was Leider jo oft gefchieht, daß, wenn aan zu ſcharf auf einen Punkt hinfieht, es allmählich vor den Augen zu. flimmern beginnt, und man die tanzenden Bilder des egenftandes, die das Ange erzeugt Hat, nicht mehr von dem ein- aden Gegeuſtande ſelbſt unterfheiden kann. Der Berfaffer hat zu⸗ Nee Abficht gefucht, um die wahre Abficht des Verfaffers zu finden,

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amd darum feine oft geiftollen und finmigen Reflexionen über die Erzählungen des Evangeliften mit den Gedanken des Leiteren jelbit verwechſelt. Aber darum hat er doch vieles ſcharf gejehen um aud wo er nicht richtig gefehen, doc vielfach die richtigen Mo mente aufgebedt, welche zur Entfcheidung der Frage’ nad) dem Plan des Evangeliums beitragen. können. Da die etwas ermüdene, umfaſſende Wiederholungen erfordernde Methode, nach welcher kr Berfaſſer bie Lefer die ganze Unterfuchung mitmachen läßt, zum ber Berfauf derfelben vielfach von exegetifchen, tert» und quela kritiſchen Unterfuchungen und oft fehr weit ausfchweifenden fr flegionen des Verfaſſers durchbrochen wird, nur ſchwer zu cm Gefammtbilde von feinen Rejultsten gelangen läßt, fo glauben nt unfern Sefern einen Dienft zu leiften, wenn wir unfere Keitit fe Auffafjung von Zwei und Plan des Evangeliums am eine hr Darftellung derjelben anknüpfen.

Indem der Berfaffer unzweifelgaft richtig 1, 1 vom dem di genden abtrennt, faßt er doch diefe Worte nicht als Bezeichnut davon, daß Hier die in der folgenden Schrift enthaltene frohe Bor ſchaft von Jeſu Chriſto als dem Gottesfohne beginnt, fondern als Ueberfhrift des ganzen Werkes, welche deſſen Inhalt als den gr ſchichtlichen Urſprung der in der Gegenwart des Verfaſſers wirt famen evangeliſchen Botſchaft von Eprifto dem Gottesfohne dark: terifiren und damit als Zweck defjelben anzeigen fol, vorzufühte, was das Wachsthum des Evangeliums zu feiner jegigen Geſul als einer Öffentlichen Macht in der Welt hervorgebracht Hat. Die Geſichtspunkt ift nun freifid weit genug, um dem ganzen Ju: des Evangeliums ihm zu unterftellen. Man braucht eben nur da Anhalt der apoftolifhen Botſchaft in den Bli zu faſſen, der ht natürlich Alles, was unfer Evangelium von Chrifto erzäfft, mi einfließen muß, fo ift eine Beziehung aller einzelnen Abſchuin zu ihm leicht Herzuftellen. Dann aber ijt mit jener Charakterifirun feines Inhalts gar nichts Eigenthümliches ausgeſagt, was nicht auf in der einfachſten Faſſung der Ueberfchrift, wonach das Wert felht das Evangelium vom Gottesfohue ift, lage. Soll dies der del fein, wie des Verfaſſers eigentliche Meinung ift, jo muß nicht ir wohl an den Juhalt der Botſchaft als vielmehr an das Borkı

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denfein derſelben gedacht werden, und da unfer Evangelium aller» dings in befonderem Sinne ein Füngerevangelium genannt werden faın, das von der Auswahl, Ausrüftung, Ausbildung und Auss fendung der Jünger viel zu erzählen weiß, jo läßt ſich Hier Manches aufweifen, was mit der apoftolifchen Verfündigung als ſolcher in Verbindung gebracht werden fann; aber um diejen Gefichtspunkt durch das ganze Evangelium durchzuführen, muß der Verfaſſer theils vielem ‚Einzelnen auf's fünftlichjte eine Beziehung darauf aufzwingen, theils benfelben immer wieder mit jenem ganz andern bertaufchen, ohne daß er jelbjt den mefentlichen Unterſchied beider fih Mar gemacht. zu Haben ſcheint. Nur durch ein ſolches Quid- proquo vermag der Verfaſſer gleich die Einleitung des Evangt⸗ ums, die von Johannes dem Täufer handelt, mit dem angeblichen Grundgedanken der Schrift in Beziehung zu fegen; denn jo Mar es ift, daß alles hier Erzählte nur auf das Auftreten des Gottes⸗ ſohnes vorbereitend Hinweift, jo wenig hat es mit der apoftolifchen Verkündigung von ihm direct etwas zu thun.

Daß 1, 14—45 und 2, 1 bis 3, 6 bie beiden erſten Haupt⸗ abſchnitte des Evangeliums bilden, daß der erſte ein Bild der un. gehemmten, ihm raſch 'eine unerörte Popularität gewinnenden Wirk famfeit Chrifti, und der zweite ein Bild der beginnenden umd raſch ſich fteigeruden Oppofition der religiöjen Leiter des Volfes gibt, hat Kloſtermaun rihtig erfaunt und vielfach treffend nachgewiefen. Aber ſchon die Behauptung, daß der erfte Abſchnitt zeige, wie die Öffentliche Verkündigung Jeſu ſich ausgenommen Habe im: Gegen- fag zu der des Täufer (S. 30), läßt ſich nicht begründen, und gar nicht zu begreifen .ift, wie dadurch Anfang und Urfprung der evangelifchen Verkündigung als einer öffentlichen Macht dar geftelit werden fol. Höchjftend läßt fich darauf Hinweifen, daß die Erzählung mit der Berufung der erften Apoftel begiunt; aber ger rade dies läßt ſich doc bei der Vorgusfegung Moftermann’s über die Quelle des petrinifchen Markus fehr viel einfacher erklären, und wenn er nachher wiederholt nachweiſt, daß die Erzählung hervor- hebe, was die Jünger in der Nachfolge Jeſu erlebt Haben (S. 25.28), fo fallt diefer Gefishtspunft Thon beim fetten Stüde ganz fort (1, 4045) und die Sache jelbft erflärt ſich ja ohne jede fchrifte

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ftellerifche Yutention einfach genug daraus, daß der Evangelift Hier großentheild aus den Erinnerungen des Augenzeugen berichtet. Wenn Mlloftermann aber andererfeitS überall die Lehrthätigkeit Jeſu zur Hauptſache zu machen ſucht und die Heifthätigkeit als eine ihm faft nur abgenöthigte erjcheinen Täßt, um die Botſchaft Jeſu als Anfang der apoftofifcen in den Mittelpunkt zu ftellen, fo ift das dog durchaus unberedhtigt einem Abſchnitt gegenüber, der drei Heilung ausführlich erzählt, zahlreiche andere fummarifch berichtet und (1,39) ausdrüdlid die Thätigfeit Jeſu zwiſchen Lehren und Heilen theil Bollends aber der richtig gefaßte Gefihtspunft, unter melden k Erzählungen des zweiten Abſchnitts zufammengeorbnet find, hat de fichtlich mit dem angeblichen Grundgedanken des Evangeliums gır nichts zu thun; denn wenn bie mannichfaltigen Selbftzeugniffe Jeſu die hier zufammengeftellt find, zeigen follen, auf welchen Urfprun die apoftolifche Verkündigung zurüdgeht (S. 64), fo läßt fid das ja von Allem, was irgend ein Evangelium von Thaten oder Worten Jeſu mittheilt, fagen. Was hat es aber überhaupt für einen Sinn, in der Zufammenftellung diefer Selbſtzeugniſſe einen ſolchen leiten⸗ den Gedanfenfaden nachzumeifen, wie der Verfafier S. 59 thut? Hat denn der Evangelift diefe Ausſprüche erfunden? Oder hat er nicht vielmehr eine Reihe ihm überlieferter Vorfälle zufammengeftellt, in denen fi, wie Kloftermann jelbft treffend nachweiſt, die Sti- gerung ber Feindfeligfeit gegen ihn kundgibt? Dann aber waren ja die bei diefen Gelegenheiten provocirten Selbftzeugniffe Jeſu ihn gegeben und das etwaige durch geiftreiche Combinationen gefunden BVerhältniß derfelben hat jedenfalls mit feiner ſchriftſtelleriſchen In⸗ tention nicht® zu thun. Zu welcher unnatürlihen Künſtlichkeit win aber diefe einfache Schriftftelferei hinaufgefchraubt, wenn num nad ©. 64—65 das legte Stüd des erften Abſchnitis den Webergum zu den Selbftzeugniffen des zweiten bilden und was dort (1, 43) über die Stimmung Jeſu gejagt, dem Hier (3, 5) Gefagten abſichtsvoll entſprechen ſoll!

Den dritten Hauptabſchnitt begrenzt Kloſtermann mit 6, 13. Nach einer Einleitung, welche zeigt, in welcher Umgebung die Jünger Jeſum vorfanden, als fie zu Apofteln beftellt wurden (3, 7-12), wird dieſe Beſtellung ſelbſt erzühlt und was fie num in feiner Gr

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neinfhaft von Verkennung und Läfterung feiner Perſon erfahren, vogegen er ihnen fein Zeugniß über ſich felbft und über ihr Ver⸗ altniß zu ihmen gibt (3, 13—35). Wir rechten nicht über die uch des Verfaſſers Gründe ficher nicht motivirte Auseinanders eifung von 3, 20. 21 und 3, 31. Aber wenn diefer Abfchnitt Artfih den Zweck hätte, die beginnende Ausbildung der zu Apofteln erufenen Jünger darzuftelfen, fo müßte zunächft die Vertheidigungs- te Jeſu an fie und nicht an die Schriftgelehrten (3, 23) gerichtet iin und der Ausfpruch im legten Stück müßte über fie, nicht aber ber die Jüngerſchaft im weiteren Sinne (3, 32. 34) ergehen. In demfelben unklaren Doppelfinn der Bezeihnung uasnzat jchei- rt des Verfaſſers Auffaffung von der Parabelrede im vierten Ca⸗ itel. Er urgirt das Zdıos wadmzei 4, 34 (S. 98), behauptet um aber doch, daf dajjelbe auf 3, 34. 35 zurückweiſe, wo nicht m den Apofteln, fondern von den gläubigen Anhängern Jeſu berhanpt die Rede ift. Wenn nun die Sprüde 4, 11—25 mit tüdficht auf das Werden der evangelifchen Verkündigung zufammen- ftellt jein follen, fo fagt ja 4, 10 ausdrüdlich, daß fie nicht zu n Zwölfen allein, fondern zu Allen, die fich lernbegierig um ihn harten, gefprochen find. Dann aber kann auch das ganze vierte apitel nicht unter den durch die Apoftelernennung indicirten Ge⸗ Htepunft geftellt fein, fofern es ſich nicht um eine ſonderliche kfehrung der zu feinen bleibenden Genojjen erwählten Jünger 5. 121), fondern um bie tiefere Belehrung aller Gläubigen im egenfage zu dem für dieſe Belehrung unempfänglichen Volke han⸗ lt. Eher könnte man mit dem Berfaffer (S. 97) in der Zus inmenftellung der drei Parabeln, die ja wahrſcheinlich theilweife 1 Wert des Evangeliften ift, eine Daritellung der Begründung, 8 Wachsthums und Zieles des Evangeliums finden. Aber wenn tarkus Jeſum felbft den Samen im erften Gleichniß vom Wort t Verkündigung deuten läßt (4, 14), wer gibt uns ein Recht, " Samen des zweiten und das Senflorn des dritten ebenfalls f das Evangelium zu beziehen, während diefelben doch 4, 26. 30 sbrücfich auf das Gottesreich bezogen werden und der Gedanfe, B „das Gottesreich als Evangelium beginne“, diefe willfürliche mdeutung nur ſchwach verkleidet?

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Die Stüde 4, 35 bie 5, 43 werden nun unter den Ge— fichtepunft der Selbftoffenbarungen der munderbaren Heilandt- macht Jeſu geftellt; zugleich aber foll gezeigt werden, wie ii Erleben diefer Wunder die Apoftel für ihren Beruf der Berti digung Jeſu ausgerüftet habe (S. 121). Es zeigt fih abe au bier jofort, daß diejer Geſichtspunkt nicht amsreicht; dem wenn der Berfaffer S. 122 bemerkt, fie folten für dieim Beruf erzogen werden, fowohl was die Art und Weife, ala md den Inhalt der Verkündigung betrifft, fo liegt am Tage, daß ni legterem nur wieber der Geſichtspunlt verſchoben wird, ſofern ki Evangelium dann nicht mehr die Ereigniffe als Vorbereitungen d die apoftolifche Verkündigung, fondern die Ereigniffe wie fie dene halt derjelben und darum auch jeder Evangelienfchrift bilden, du: ftellt. Sehen wir aber die Behandlung der einzelnen hier zujan mengejtellten Erzählungen an, jo ift ihnen doch oft der vermeintlih ihre Zufammenftellung leitende Geſichtspunkt nur ſehr Künftih aufgezwungen. Gewiß follte die Stillung des Seejturms die Gl benszuverficht der Jünger zu dem gekommenen Errettet jtärke: aber nicht, weil fie „auf den ihnen von Jeſu gewiefenen Berufe wegen“ waren (S. 101), wurden fie gerettet, fondern meil fi Jeſum bei ſich hatten. Damit fällt aber jede Beziehung der &r ſchichte auf den fünftigen Apoftelberuf. Wie bier „die toben, den Menfchen unbezwinglich fcheinenden Fluthen“, fo ſteht im in genden Stüd „der tobende, von Menfchen unbezwungene Krul Jeſu gegenüber" (S. 103). Was follen eigentlich folde & flegionen, deren ſich unzählige in unferem Buche finden? je Markus die Stüde um diefes Parallelismus willen zuſamm geftellt? Unmöglich; denn der Verfaſſer felbft gibt ja ganz ann Motive igrer Zufammenftellung au. „Oder hat Markus desfalb it Unbezähmbarfeit des Tollen fo ausführlich gefchildert? Aber mt haben doch wahrlich fein Recht, unferm Cvangeliften folge Et Tereien aufzubürden, zumal dieſelben zufegt auf einem Wortipi beruhen, das zunächſt nur unfere Redeweiſe darbietet. Das & eigniß in Gadara felbft aber foll lehren, wie ſich die Yünger ul Widerftand gegen das den Menſchen gebrachte Heil gefaht made und darum fich begnügen ſollen, Einzelne zu gewinnen, welche di

das Markusevangel, nad) feinem Quellenwerthe f. d. evang. Geſch. 715

Runde vom Heil im Schwange erhalten (S. 112). Ohne Zweifel kann fie das lehren, fo gut wie Alles, was Jeſus thut oder erfährt, für die Nachfolger in feinem Werk vorbildlich ift. Aber ben darum handelt es ſich, ob der Verfaffer diefe einzelne Geſchichte unter dieſen Gejichtspunft geftellt hat, und dafür hat der Verfaffer auch nicht den leifeften Beweis beigebracht. Und geſetzt, fie ſollte es wirklich lehren, jo erhellt do immer nicht, warum der Evan- pelift gerade zwei Gejchichten zufammenftellt, von denen die eine Zuverficht auf Gott, die andere felbftverlengnende Genügfamteit die Yünger lehren follte. Hat aber die Zujammenftellung der Ge— ſchichten andere Motive, dann fällt eben jeder Grund fort, die Ausräftung für den Apoſtelberuf als den leitenden Gefichtspunft dieſes Abſchnitts anzufehen. Die beiden folgenden Gejchichten vom blutflüffigen Weibe und von Jairus' Töchterlein haben freilich mit den beiden vorigen das gemein, daß hier alle menfchliche Hülfe zu Ende ift; aber wenn fie die Jünger lehren. jollen, als was fie Jeſum dem Glauben verheißen follen, dann befagen fie eben nichts mehr und nichts weniger, als was alle Verkündigung von Jeſu felbftverftändlich beſagt, d. h. aber fie geben über den eigenthüm lichen Zweck unferes Evangeliums feine Auskunft. Die Verwerfung deſu in Nazareth, die den Jüngern ein Typus jein fol von der Berwerfung bes Evangeliums feitens der Juden (S. 126), leitet van ſchließlich über zu der Probeausfendung der Zünger (6, 6—13), nit welcher diefelben wirklich Genoſſen feines Werkes wurden und mn das zuerft von Jeſu allein begonnene Werk durch fie volle wacht wird. Damit ift denn das erfte Buch des Evangeliums veichloffen, fofern damit gezeigt ift, was Jeſus mit jeinem bis⸗ jerigen Wirken erreicht Hat (S. 132). Wenn diefe „erfte“ Aus-⸗ endung, wie Kloftermann fagt, weil er, gewiß mit Unrecht, an⸗ ımmt, daß derjelben noch mehrere gefolgt feien, für unſere Evans yeliften eine fo ganz befondere Bedeutung hätte, dann wäre freilich ‚riefen, daß der Evangelift den Urjprung der apoſtoliſchen Predigt vejonders hervorheben wollte; aber jenes ift doch eben nicht erwiefen. luch die andern Synoptiker erzählen die Ausfendung, Lukas ſogar mei, Matthäus gibt die Ausfendungsrede ‚viel umfafjender, und üchts ſpricht dafür, daß Hier ein fo bedeutungsvoller Abfchnitt des

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Evangeliums vorliegt, als die Eiutheilung, welche der Verjaſſet von feinem Gefichtspunfte aus gemacht hat. Der Beweis dafür, daß dies der Geſichtspunkt des Evangeliften fei, dreht ſich aljo im Cirtel. Wir glauben daher behaupten zu können, dag der erfie Theil de Evangeliums weder die von Kloftermann vorgeſchlagen Auffafjung der Ueberfchrift rechtfertigt, noch daß er aus ihr die Zufammenftellung der drei Hauptabfchnitte diejes Theils und in- befondere der einzelnen Stüde des dritten in einer anſprechenden Weiſe erflärt hat.

Wie nun das erfte Buch des Evangeliums durd die Schilder der Wirkjamteit des Täufers, fo wird das zweite Durch die um Lebensende des Täufers eingeleitet, umd nun fucht der Berfaf darzuthun, wie Alles, was vom Tode und Begräbniß des Täufer erzählt wird, in einem theilweife antithetifhen Parallelismus zu dem Tode und Begräbniß Chrifti fteht, worauf es alſo als auf den Höhepunkt des zweiten Buches hinweiſt (S. 137. 138). Dit Barallelifirung ift aber nicht etwa ein flüchtiger Einfall, fie fer in der Analyfe der Leidensgeſchichte mehrfach fehr ausführlich wieder und wird mit Nachdruck betont als der eigentliche Schlüffel zum BVerftändnig des zweiten Buches. Trogdem können mir diefe geilt- reihe Spielerei nur für eine dem nüchternen ſchlichten Charakter neuteftamentlicher Geſchichtsſchreibung durchaus fremdartige halten; hätte fie irgend einen Grund in den fchriftftellerifchen Jutentionn der Evangeliften, fo würde fie nur die Gefchichtlichkeit deſſelben auf's hüchfte gefährden; es wäre kaum glaublich, daß bei ir Durchführung folder Parallelen die Geſchichte nicht ihnen zu Lich zurecht gemad)t wäre. Aber wo gibt denn der Evangelift die Leiji Andeutung, daß er eine ſolche Parallele beabfichtigt? Etwa dadurt, daß Jeſus 9, 12. 13 jagt, auch fein Borläufer habe nad ir Schrift Teiden müffen, wie er felbft es werde? So meint Kfoftr- mann wirflih S. 188. Aber ift denn damit gejagt, daß Beider Leiden in einem ſolchen Barallelismus jtehen werden? Ober de durch, daß er diefe Erzählung an die Spitze feines zweiten Bude ftellt? Aber unfer Verfaffer hat ja das zweite Bud nur hir beginnen laſſen, um dieje Erzählung als Einfeitung deffelben zu gewinnen ; denn daß von hier an ſich alles auf den Tod Jeſu zur

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ſpitzt, kann man ja ‚durchaus nicht fagen, da vor ber erften Todes- meiffagung (8, 31) noch nichts auf denfelben Hindentet. Ya, da der ganze Abſchnitt 6, 14—29 zwifchen die Ausfendung ber Junger and ihre Rücklehr eingefchaltet ift, alfo für jede natürliche Betrach⸗ tung in der Erzählung unferes Evangeliften eine Epiſode bildet, fo ift e8 ganz undenkbar, daß er mit diefer ein zweites Buch ber ginnen und fomit Ausfendung und Rückkehr der Jünger in ver- fhiedenen „Büchern“ erzählen follte. Endlich ift auch das Ende des Täufers nicht einmal nad) Kloftermann’s Einteilung wirklich die Einfeitung des zweiten Buches. Ihr geht (6, 14—16) eine Erzählung von den verfchiedenen Urteilen über Jeſum vorauf, welche nach S. 136 den Evangeliften erft veranlagt, den Tod des Täufer zu erzählen, und welche nach S. 135 die Einleitung bildet pn dem folgenden Abjchnitte, der Jeſum als Gegenftand befonderer Aufmerffamkeit und als ein Räthſel, an deſſen Auflöfung jeder acht ganz Abgeftumpfte ſich den Kopf zerbrach, vorführen will. Wir erinnern uns nicht, diefen Gefihtspunft im Folgenden irgend ingehend durchgeführt gefunden zu haben, und können das nicht bes auern, da er uns in’ der That als ein ziemlich unfruchtbarer fein. Dagegen werden nun die drei folgenden Abſchnitte 6, 30 bis 7, 37) unter den Geſichtspunlt geſtellt, daß die hier er- äfften Greigniffe bebeutfam find für den fünftigen Beruf der Kpoftel (S. 163). Um diefen Geſichtspunkt durchzuführen, greift er Berfaffer zu einer Allegorifirung der bier erzählten Wunder- eſchichten, die wir wieder nur prineipiell für durchaus unzuläffig tffären tönnen. Daraus, daß die Speifungsgefchichte ſich an die Rüdfehr der Jünger anfchließt, was ja dod feinen Grund lediglich a der gefchichtlichen Situation hat, daraus, daß die Sünger bei er Austheilung der Speifen mithelfen müffen, was doch in ber Ratur der Sache liegt, kann unmöglich gefolgert werden, daß dieſe Speifung eine Beziehung auf den fünftigen Beruf der Jünger hat. Richt einmal aus dem Sammeln der Broden kann dies folgen, umal die Beziehung derfelben darauf, daß ihre felbftverlengnende dienftleiftung gegen die Menge für fie felbft einen überfließenden Segen abwerfe (S. 141), doch nur eine ſehr gefünftelte ift. Voll- nd8 aber die Deutung des Seewandels auf die Wiederfunft Chrifti,

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deren die Jünger im Kampf mit der Welt in Geduld und Glauben zu warten haben (S. 144), ziemt ſich wohl im Zufammenhang der Strauß'ſchen Wundererflärungen, hier ift fie durchaus unmot virt und unbegründet. Bon dem Abfchnitt 6, 55—56 gefteht der Berfaffer felbft, daß derfelbe im diefem Zufammenhange verhältuij⸗ mäßig undurchſichtig bleibt. Der Streit über das Händewaicen (7, 1-32) im zweiten Abſchnitt foll zeigen, daß die Junger eine Gemeinde bilden werben, deren auf dem Glauben an Jeſum be ruhende Heiligkeit und Lebensſitte fie in directen Gegenſatz zu dar nicht gläubigen Iſrael ftellen und feiner Anfeindung ausſetzen nid (S. 163). ber wenn nun der erfte Abfchnitt fie „Macht m Weſen der ihnen anvertrauten Botfchaft“ Kennen lehrte und x zweite „Orund und Ziel des von ihnen zu begründenden Gemeint Tebens“ (S. 155), fo find das doch wieder zwei fo ganz heier- gene Dinge, daß durch die gemeinfame Beziehung auf die Belehrung der Jünger die Zufammenordnung diefer Abſchnitte noch keineswent erffärt wird. Das zeigt fi) am Marften daraus, daß der folgenk Abſchnitt (7, 2437) nun wieder den Geſichtspunkt der fünftign Yüngermiffion aufnimmt, welcher doch jedenfalls eine unmittelbar Verbindung mit dem erften nach der Deutung des Verfaſſers vid näher legen würde. Wenn Hier die Gefchichte von der Cananderu als eine Weiffagung auf die Vereitihaft der Heiden zum Glauben gefaßt wird (S. 159), fo könnte man fich das noch allenfalls gr falfen laſſen; aber wenn dann ber geheilte Taubftumme ein Bib des ftumpffinnigen ifraelitifchen Volles fein und das Verfahren mi ihm die Nothwendigfeit der langen Wirkſamkeit Jeſu unter ind abbilden fol (S. 161), die Einzefne aus ihm zu Zeugen des fit befähigt (S. 162), fo hat das wieder für Jeden, der die Tu Rellung des Markus fur geſchichtlich Hält, gar feinen Sinn, un daß Markus diefe Ereigniffe um diefer ihrer Bedeutung willen zu fammengeftellt hat, ift wahrlich dadurch nicht erwiefen, daß man in feine durchaus objective Darftellungsweife fubjective Nefleyionen hineinträgt, von denen er nichts andeutet. Dagegen hat der Ber faffer treffend gezeigt, wie die Erzählungen 8, 1—21 mar jur fammengeftellt find, um das ftrenge Urtheil Jeſu über die Berftänd- nißſchwäche der Jünger (8, 17. 18) zu motiviren (S. 170. 1,

das Markusevangel. nad) feinem Quellenwerthe f. d. evang. Gef. 719

nd mern dies Urtheil ſich von ſelbſt als die höchſte Steigerung er Urtheile 6, 52; 7, 18 darſtellt, fo thut fich Hier doch ein iel einfacherer Gefihtspunft für die Zufammenordnung dieſer Ab⸗ hnitte auf, den Kloſtermann (S. 163) nur nachträglich an den on ihm hauptſächlich verfolgten angefügt hat. Wenn er aber nun ie Heilung des Blinden (8,-22—26) als fymbolifhen Ausdrud m Art, wie Jeſus feine Jünger zum vollen Verjtändniß bringt, Märt (S. 173), fo iſt dies ein ebenfo willkürliches Allegorifiren, ie wir es ir diefem Theile des Buches wiederholt tadeln mußten, MD die gefünftelte Darftellung der folgenden Geſchichte als einer Muftration dazu (S. 176) kann dafjelbe wahrlich nicht empfehlen. Ueber die Bedeutung des Abſchnitts 8, 27 bis 9, 29 im dem Iganismus uuſeres Evangeliums Tann kaum ein’ Zweifel fein. Ar falſch müffen wir es nur erflären, wenn nad ©. 186 in em Petrus = Bekenntniß den Jungern die Erkenntniß aufgeht, daß kius der Ehrift fei, und bei ber Verflärung, daß Jeſus der Sohn dettes jei, da beides bei Markus ohne Zweifel ſynonyme Bezeih- ungen des Meffins find, was der Verfaſſer zu 3, 11. (S. 68) a Grunde felbft zugibt, und wenn Kloftermann der Heilung des pileptiſchen (S. 195) allegorifirend eine Beziehung auf die zu» mftigen Schickſale der Junger gibt. Selbft bei diefer Deutung ver zeigt ſich Har genug, daß diefe Erzählung nicht erft von Markus fr angereiht fein kann, da fie immer unter den Gefichtspunft, tter welchem er die beiden vorigen fo geflifjentlich (9, 2) verband, ht paßt. Sofern in jenen den Süngern eine neue -Erfenntniß Ütgetheift wird, mag man immerhin die vorigen Abſchnitte, in nen die Verftändnißfchwäche der Junger getadelt wird, als eine orbereitung darauf anfehen (S. 315). Aber um mit Mloftere ann (S. 317) den Abfchnitt 6, 30—56 als das fpecielle Pen« nt zu unferm anzufehen, dazu bietet doc wahrlich die Aehnlichteit n 6, 14—16 und 8, 27. 28 feinen genügenden Grund. Selbft & feiner völlig unzuläffigen Deutung bietet jener Abſchnitt noch neswegs ein von ben Jüngern unverftandenes Räthſel dar, das n den Offenbarungen bier fein Licht empfängt, oder zum minr ten nicht mehr und nicht weniger als Alles, was auf den künfe en Dienft der Apoftel de erhößten Herrn hinweiſen foll. Hbch⸗

720 Kloßermaun

ſtens könnte man die in die Geſchichte vom Seewaudeln, wie von Epileptiſchen Hineingetragene Beziehung auf die Parufie ld Au- logon anführen. Noch weniger entſprechen ſich die Abſchn 7, 1—23 und 9, 30 bis 10, 31. Daß bier Gefpräche über u Verhalten der Chriften untereinander, über Ehe, Kinder und nd: lichen Befig unter einem fachlichen Geſichtspunkt zufanmengitlt find, ift Mar; der Gedanke aber, daß Jeſus der Gründer un Ge ſetzgeber eines neuen Iſtael ift (S. 317), Liegt darum fo ma darin, wie er 7, 1—23 die unverftandene Borausfegung vr. Der ganze angebliche Parallelismus der Abjcpnitte feheitert ar daran, daß nun 7, 24 bis 8, 26 das Pendant der Leidensgeft fein fol, die von 10, 32 an wefentlid ununterbrochen for | fol. Glaubt man einmal an jolde Künfteleien der ebangelita Schriftſteller, die einen derartigen Parallelismus der einzelnen I ſchnitte zweier Haupttheile hervorbriugen könnten, fo muthe mu ihnen wenigftens nicht noch das Ungeſchick zu, einem Abſchuitt vor 40 Berfen ein Pendant von 6*/s Tangen Capiteln zu geben. Kr aber überall die Reibensgefchichte den Gedanken in's Licht fegen il daß die Verkündigung von dem Gelreuzigten bei den Heiden leidır Eingang finden wird als bei den Juden, daß die Jüuger fid ver pharifäifcher Selbſtgerechtigleit und heibnifcher Unſittlichleit fri erhalten follen und in der Gemeinfchaft mit dem erhöhten Sit alfer Sorge überhoben fein dürfen (S. 317), das geftehe ic, uh bei den fühnften Combinationen, an die unfer Verfaſſer und g- wohnt hat, nicht zu begreifen.

Es ift ſehr bezeichnend für feine verfehlte Auffafjung des rs gebanfens unferes Evangeliums, wenn Kloſtermann, der font Anordnung des zweiten Buches durch Zertheilung in kurze ükt fichtliche Abſchnitte anſchaulich macht, deren 6, 14 bis 10, 31 ai weniger wie fünf enthält, alles Uebrige in einen Abſchnitt zum menfaffen muß, den er nur mit dem Beginn von Gap. 14 me in zwei Hälften theilt. Bier, wo der geſchichtliche Pragmatismt der Darftellung auf der Hand Tiegt, läßt ſich natürlich der Cr fihtspunft, dag nur Solches dargeftelft werden foll, was das Wahr tum des Evangeliums zu einer öffentlichen Macht herbeigefühtt Hat (S. 14), unmöglich mehr durchführen. Der Verfaffer md

das Martusevangel. nad) ſeinem Quellenwerthe f. d. enang. Geſch. 721

auch nur noch ſchuchterne Verſuche dazu. Den ergiebigſten Boden

dafür fand er noch bei der Verfluchung des Feigenbaumes, wo .

wirklich einmal eine Handlung Jeſu unzweifelhaft ſymboliſche Ber xutung hat. Aber daraus zu folgern, daß das folgende Wort Jeſu über das Gebet fich auf die Wieberherftellung Iſraels bezieht, velche die Jünger dur das unabläffige Glaubensgebet der barm- wrzigen Liebe herbeiführen follen, das ift doch um fo feltjamer, 8 der Berfaffer (©. 229) felbft naiver Weife gefteht, daß Markus ieſen urfprünglihen (?) Sinn der Rede Jeſu einigermaßen ver- vifht hat. In Wahrheit hat er ihn, wenn er wirklich vorhanden väre, dadurch völlig ausgejchloffen, daß er dieſe Worte Jeſu zur Intwort auf die Verwunderung des Petrus über das Verdorren es von ihm verfluchten Zeigenbaumes gemacht hat. Ebenſpwenig ann natürlich der wiederholte Hinweis darauf, daß die Jünger in en legten Schickſalen Jeſu feine Weiffagungen ſich erfülfen oder in en begleitenden Worten Jeſu ihre heilsgeſchichtliche Bedeutung fi tſchließen fahen (S. 314) beweifen, daß diefelben mit Bezug auf ie Begründung der apoftolifchen Predigt erzählt find. Wenn aber er Verfaſſer endlich, nachdem er die Unechtheit des Schluffes andig nachgewiefen, feine Vermuthungen über den intendirten Schluß usſpricht (S. 315. 318. 320), fo find diefelben eben erft aus ner Auffaffung des Grundgedankens abgeleitet, und künnen alfo he für diefen nichts bemeifen.

Zufegt verbreitet fich ber Verfaſſer über das Verhältniß der beiden Jucher, in welche er das Evangelium getheilt Hat, und von denen 28 erfte die Vorbereitung des zweiten bilden foll. Weil der Evan- ft den Anfang und Urfprung der evangelifchen Botſchaft als ner Öffentlichen Macht aufzeigen will, darum bildet im erften huch die Apoftelwahl, im zweiten die Erkenntniß Jeſu als des hrift und Gottesfohnes den Höhepunkt, barum ift in beiden das uftreten und das Ende des Täufers der Anfang, die Ausfendung er Junger das Ende, darum ift die Erfenntniß des heilebedin- mden Werthes Jeſu im erften nur in Jeſu eignem Bewußtſein Irhanden, während fie im zweiten dem Bewußtſein der Junger ngepflanzt wird (S. 320). Auf wie ſchwachen Füßen die ganze intheilung in diefe zwei Bücher und die Annahme der Höhenpunfte Theol. Stud. Jahrg. 1868. 48

722 B Kloftermann

in denfelben fteht, glauben wir gezeigt zu Haben, daß aber die @r ſchichte Jeſu von feiner Selbftbezeugung zu immer vollerer Ar eignung derfelben durch die Jünger fortfchreiten muß, liegt fo ſch in der Natur der Sache, daß daraus ein Präjudiz für die Bar nahme auf die künftige Verkündigung derfelben wahrlich nicht mt: lehnt werden kann. Wir müjfen demnach leider geftehen, daß kr BVerfaffer den richtigen Gefihtspunft für die Compofition uns Evangeliums nicht erfaßt und daß er, durch feine ſinnvollen, abe wilfürlihen Combinationen irregeleitet, die Eigenthümlichkeit ir felben nicht aufgehellt, fondern vielfach in ein faljches, ja für geſchichtlichen Charakter ſchwer gefährdendes Licht gefegt Hat. de Berfaffer hat zu viel gewollt und daher was er wollte nicht errti. Das Markusevangelium ift ohne Zmeifel ein planvoll angelegte BWert;”aber nur in dem Sinne, daß es feinen Stoff nad) eins leitenden Hauptgefichtspunften gruppirt. Aber weder ift «& ei fo prämebitirte, in allen Details kunſtvoll arrangirte Schöpfung, wie der Verfaſſer es ſich denkt, noch läßt ſich aus diefen Hau gefichtspunften alfein die Aufnahme, Anordnung und Darftellung alt: Einzelnen erklären. Letzteres hat der Verfaffer wohl erkannt, ab ohne fich dadurch zu der Selbftbefcheidung führen zu Laffen, weide der Aufweifung eines einheitlichen ſchriftſtelleriſchen Plans die redtm Grenzen ftedt. Nur in diefem Sinne wird fich eine einfade m natürliche Auffaffung von dem Plane unferes Evangeliums ur mitteln laſſen, und hier wird vor Allem die auch von dem Kr faffer wohl erfannte Bedingtheit der ganzen Compoſition durch d dem Govangeliften vorliegenden Quellen in Rechnung zu ziehen ie Sp gewiß die Quellenfritif von einer unbefangenen Analyie # Evangeliums für ſich wird ausgehen müfjen, fo gemiß wird x: auch ihr Nefultat wieder zum abſchließenden Urtheil über die Ca pofition des Ganzen mitwirken müſſen. Es iſt daher nicht mer; gethan, daß der Verfaffer die einzelnen Andeutungen, die er bei de Analyfe gibt, nicht gleich bis zum Abſchluß des Eritifchen Urthere verfolgt, fondern dies einer abgefonderten Betrachtung vork: haften Hat. .

Der andere Hauptzweck unferes Buches ift nun, aus den dur: die Analyfe gewonnenen Anhaltspunlten das Urtheil über den Ur

das Markusevangel. nad; feinem Onellenwerthe f. d. evang. Geh. 723

prung und die Quellen des Evangeliums feftzuftellen. Die zweite lbtheilung ift dem Nachweis gewidmet, daß wir in ihm den Markus es Bapias vor und haben. Wir erhalten hier eine fehr ausführ- ie Erörterung des papianifchen Zeugnifjes, das der Verfaffer mit Jahn auf den Apoftel Johannes zurückführt. Nach ihm ift Markus ben durch dies Schreiben feines Evangeliums der Hermeneut des zetrus geworben und hat darum Einzelnes nicht genau nach der rflihen Zeitordnung erzähft, weil er, der felbft fein Jünger bes jeren geweſen war, es fo erzählte, wie Petrus zum praftifchen Jedürfnig es dargeftellt Hatte und wie er es nad dem Tode des jetrus im treuem Gedächtniß aufbewahrte. Es fann nicht unfere fit fein, über alles Einzelne in diefer Auffaffung uns auszus wehen. Nur Eines hat und gewundert, daß die ſchon wieberhoft ellend gemachte, noch neuerdings von Steig (Theol. Stud. u. "it. 1868, I) vertretene Anficht, wonach der zweite Theil diefes jugnifjes von odre ya Nxovos an nicht mehr ein Wort feines jeugen, fondern eine gelehrte Reflexion des Papias felbft ft, nicht inmaf befprochen wird, während dieſelbe doch das Ganze in ein st anderes Licht ftelt. Damit hängt denn die Frage zufammen, »elche Tags gemeint ſei. Iſt die zweite Hälfte eine Reflexion es Papias, wie mir vollfommen feftfteht, fo fann darüber fein . weifel fein, daß diefer wenigftens an die Ordnung im hebrätfchen Natthäus dachte, da er ja mit dem ox Woneg Ovvrakıw av veraxoy rrosodusvog Aoylov fo deutlich wie möglich auf die poſtoliſche avvradıs c@v Aoylov, von der er ſelbſt berichtet, inweift. Iſt nun des Papias Zeuge wirklich der Apoftel Jo— annes, fo fünnte derfelbe ja allerdings an die wirkliche Zeitordnung dacht Haben. Aber die Erörterungen von Steig (a. a. DO.) werden en Verfaſſer vielleicht überzeugt haben, daß die Unterfudungen om Zahn hierüber doc noch feineswegs fo „abſchließend“ find, die der etwas fühne Ausdrud des Freundes es barftellt. So Ange diefe Frage nicht wirklich „außer Zweifel“ geftellt ift, müffen dir dabei ftehen bfeiben, daß bei der za&ıs nicht am die wirkliche Reis jenfolge der Ausfprüche und Ereigniffe gedacht fein könne, die nur in Augenzeuge und auch diefer doch nur fehr theifweife vergleichen onnte, fondern nur die Reihenfolge derfelben in der Schrift eines 48%

724 Kloftermann

Augenzeugen und als eine ſolche fonnte mit Markus nur der apo- ſtoliſche Matthäus in Vergleich geftellt werden. Dagegen ſtimmen wir Moftermann volllommen bei, daß das Zeugniß des Papier auf unfern Markus bezogen werben fann und muß, und wenn auf die Vermuthung, bag Markus felbft der 14, 51. 52 auftreten Füngling ift, und mehr nod) bie andere, daß Jeſus in feinem Eltern Haufe das Paſſah gehalten hatte, mit etwas zu großer Sicerhi aus der Erzählungsweije unferes Evangeliften gefolgert wird, jo bleibt doch jene wenigftens immer eine fehr wahrſcheinliche.

Mit feinem Sinn und großem Geſchick Hat der Verfaffer ki der Analyje des Evangeliums alle diejenigen Punkte in's Lidz itellen gefucht, in welchen ſich Spuren augenzeugenfchaftlicher Kur in unferm Evangelium zeigen, und in&befondere folche, die mi Petrus als feinen Gewährsmann führen. Manches dürfte er di freilich überfhägt haben, was für Solche, die unfere Borausfegun über den Urfprung des Marfusevangeliums nicht theilen, wenig Beweiskraft hat. Ich will ganz abfehen von folchen Fällen, wo erft die Anfchauung von der Bedeutung des Einzelnen, die dr Verfaſſer fih nach jeiner Anficht von dem Plan des Ganzen ger bildet hat, die Entfcheidung gibt; denn Hier bewegt fich der Beweie eigentlich im Cirkel, fofern ja die Anfhauung über den Plan un Urfprung des Evangeliums in gleicher Weife erft aus der Analyie gewonnen werden joll. Man kann dem Verfaſſer zugeftehen, da nur ein Augenzeuge ‘auf den Gedanken konnte, daß ber geheilt Blinde (Mark. 8) jein und der übrigen Jünger Bild fein folt (©. 174); aber daß das Heilverfahren Jeſu im diefem Falle wir lich ſolche ſymboliſche Bedeutung Hatte, das hat ber Verfaſſer er aus feiner Auffafjung von der Bedeutung diefer Gejchichte im Or- ganismus des Evangeliums erſchloſſen. Wenn wirklich der Evan gelift (3, 7—35) nur Solches hat erzählen wollen, was die br rufenen Apoftel in ihrem Zufammenfein mit Yefu erlebt habe, fo ift es freilich wahrſcheinlich, daß er diefes aus dem Munde ein derfelben gehört hat (S. 69. 81); aber daß jener Abſchnitt wirt: lich unter diefen Gefichtspunft geftellt fei, haben wir oben aus dem Eonterte ſelbſt beftreiten müfjen. Indeß aud) abgefehen von dieſen Fällen, find die Spuren augenzeugenfchaftliher Kunde, welde vr

das Markusevangel. nad) feinem Duellenwerthe f. d. evang. Geſch. 725

Berfafjer gefunden Haben will, doch oft fehr ſubjectiv und oft ſehr ünſtlich ausgedacht. Warum foll ſich denn 6, 52 ganz wie ein Sefbftbefenntniß eines der Zwölfe ausnehmen (S. 144) und nicht infah eine Reflexion des Evangeliften jein? Wie es fih auch nit der etwas Fünftlichen Deutung des raganogsdccdau die 2, 23

&. 52) verhält, immer ift es doch fehr gewagt, zu behaupten, fo nur Einer erzählen konnte, dem die Situation ganz genau or Augen ftand (S. 53. 55). Ganz unerweislich aber ift es, ab der Erzähler (7, 25—27) feinen Standpunft in der Seele er Begleiter Jeſu nimmt (S. 157), denn daß die Nationalität es Weibes erſt berichtet wird, wo es zum Verftändniß der Antwort Jeſu auf die Bitte des Weibes notwendig ift, bemerkt ja der Ber- affer richtig felbft, und das 7, 25 vorangefchidte dxodoace ift ine Reflerion des Erzähfers, die, wenn derfelbe wirklich von dem usgegangen wäre, was die Begleiter Jeſu zunächſt fahen, eben- als erft Hätte nachgebracht werden müffen. Ueberfünftlich aber ift- ie Art, wie 9, 14ff. aus dem Gange der Erzählung erſchloſſen erden ſoll, daß fie von Einem Herrührt, der mit Jeſu dom Berge erablam (S. 189), da derſelbe ja gar fein Anderer fein konnte, sen der Evangelift, der eben die Gefchichte Jeſu erzählt, feine irzählung nicht auf's Ungefchiettefte unterbrechen wollte, um Dinge orauszunehmen, die fofort ans dem Laufe des Greignifjes von ft klar werden mußten.

Ueberhanpt aber fucht der BVerfaffer durch, feine Analyſe eine dorftellung von der Gebundenheit des Evangeliſten an die münd- ihe Erzählung des Petrus zu. begründen, die ich unmöglich für atürlich Halten kann. So foll Petrus. nad) ©. 32 erzählt haben: Bir gingen in unfer Haus“ und darum der Evangelift, der das kdouzv in 7AFov umfegte, uerd Taxcoßov zei Ioavvov hinzu efügt Haben, um bemerflich zu machen, daß das „wir“ nicht wie 08 in Zluwvog xal Avdgeov umgefegte „unfer“ den Jakobus "d Johannes ausſchließe (1, 29). Aber was war denn natür- Ger, als daß der Evangelift den Pluralis 7AIov, den nad) der Ingabe der Cigenthümer des Hauſes Jeder zunächft auf Jeſus nd die beiden erftberufenen Jünger beziehen mußte, nun auch durch as nera auf das andere Brüderpaar ausdehnt? Wo ift hier

726 Koftermann

auch mır das Leifefte Motiv für jene fünftliche Annahme vorhanden, die fi ja dadurd von felbft aufhebt, daß fein Leſer wiffen fon, er Habe ein „unfer“ in die Namen Zlumvos xai "Avdgsou ın gefegt? Ebenfo foll der Gang der Erzählung 3, 14—16 vr verftändlich fein, wenn Petrus erzählt hätte: „und er beftellte us Zwölf und gab mir den Namen Petrus“, wo denn ber Evangelit nur rouc dudexe für „uns“ und Zuwvı für „mir“ fit (S. 72). Aber durch diefe Vermuthung wird ja die Schwierigkit der Stelle um nichts verringert; denn dieſe Fiegt nicht darin, da die Wahl des Simon nicht ausdrücklich erwähnt wird, weldeis nad dem Zufammenhange für Jeden von felbft verftand, jone daß der Erzäßfer (B. 17) fortfährt, als Hätte er fie erzählt u knüpfe nun die Namen der anderen außer ihm Erwählten an, ud das bfeibt eine eben ſolche Ungenauigfeit, wenn wir die Erzählung mit Kloftermann in die Rede des Petrus zurück überſetzen. Chr: fowenig bedarf es bdiefer Annahme, um die Stelle 9, 38ff. ji erffären. Daß die Erzählung an dem Punkte anhebt, wo Feſu in dieſelbe eingreift, erffärt fi wie oben beim Herabfommen von Berge einfach daraus, daß eben feine Gefchichte erzählt wird, un wenn Petrus vorausfegen konnte, die Hörer würden fein „mir verſtehen, wann e8 die Jünger allein und wann es Jeſum u: die Jünger bezeichnete (S. 198), fo ift gar nicht abzufehen, warım nicht Markus feinen Sefern bei feinem „fie“ ebenfoviel Verſiand zugetraut haben fol. Geradefo verhält ſich's endlich mit ie Stelle 10, 32, wo nur noch das Sonderbare ftattfindet, daß dr Berfaffer zur Erklärung des ſchwierigen of dxoAovsoünres, N er für urfprünglich Hält, den Petrus fagen läßt: „die ung de folgten“ (S. 218), umd dabei überfieht, daß dann bei der Un fegung in die dritte Perfon gefagt fein müßte ol axoAovsoire avrois, was aber eben nicht dafteht. Was foll man fid akt überhaupt für eine Vorftellung von der Selbftändigfeit eines Schrin ſtellers machen, der fih anerfanntermaßen durch prononeirte ftilifiitt Eigenthümfichfeit auszeichnet und der nun fic darauf verlegt, = folchen Minutien ſich an den Wortlaut feines Zeugen zu bintn? Wie kann man meinen, daß Papias oder fein Gewähremann, ni: er die Sorgfalt des Markus rühmt, mit der er feine Erinnerung?

das Markusevangel. nad; feinem Quellenwerthe f. d. evang. Geſch. 727

ın die Vorträge des Petrus wiedergegeben habe, an folche Silben- techereien gedacht haben folfte? (S. 341.) Ebenfowenig aber folgt ws dem papianifchen Zeugniß, daß Alles, wodurch im Markus- vangelium den Worten Chrifti eine allgemeinere Faffung oder eine rbaufiche Wendung und praftifche Anwendung gegeben wird, bie ie urſprunglich nicht Hatten, bereits von Petrus herrühren muß, veil Markus aus feinen Lehrvorträgen dieſe Neben her hatte. Benn man nad) ©. 34 die Anwendung des Wortes über die Ches cheidung (10, 12), oder die praftifche Erläuterung des Wortes vom Reichthum (10, 24), oder die Schlußanwendung der efchator ogiſchen Rede (13, 37), oder die Faſſung der Weiffagung (9, 1) vereitd auf Petrus zurücführen will, fo läßt fich freilich nichts vofür, aber auch wenig dagegen anführen; aber wenn man nun gar olche. Zufäge, wie da8 era diwyuav (10, 30), Evexev vod æyysMov (10,29; 8, 35), Exzıoev 6 Fedg (13, 19), oder rs EEsAekaro (13, 20), die Erweiterung des Eitats 11, 17 oder »n8 Xosozod Eore in 9, 41 bereitd auf Petrus zurückführen foll, jo fett das eine fflanifche Abhängigkeit des Markus von der münd« chen Weberlieferung des Augenzeugen, deren ftereotype Form (©. 325) doch eine bloße Hypotheſe ift, voraus, welche ben, grelfften Contraſt bildet zu der weitgehenden fchriftftellerifchen Freiheit, deren fich der Evangeliſt gegenüber der fchriftfichen Weberlieferung eines Augen- yeugen, die er außerdem benutzt, nachweislich bedient Hat. Nun ſcheint aber unfer Verfaſſer noch weiter zu gehen. Er fcheint auch die einzelnen Erzähfungsreihen, in welchen die Ereigniffe, abweichend von ihrer wirklichen Folge, nad; beftimmten fachlichen Gefichtspunften zufanmengeordnet find (S. 340), theilweife wenigitens auf die Reihenfolge, in der fie Petrus in feinen Lehrvorträgen gelegentlich mittheifte, zurüdzuführen und beruft ſich auch hierfür auf das Zeug- niß de8 Papias (S. 334). Aber wenn diefes ‘den Mangel an tags bei Markus daraus erklärt, daß derfelbe die Thaten und Reden de8 Herrn nur von Petrus gelegentlich und daher nicht in ihrer rechten za&&es mittheilen gehört habe, fo fagt er doch damit keineswegs, daß er num diefe Ereigniffe in der Reihenfolge gegeben habe, in der ſie Petrus gelegentlich mittheilte. Es fteht eben nicht da, daß er Einiges fo niederſchtieb, wie er es durch Anhören „ge-

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lernt hatte“, wobei man allenfalls zugleich am die Reihenfolge denten könnte, die er fich abfichtlich eingeprägt Hatte, fondern, wie er es im Gedächtniß Hatte, und da dies fein Gedächtniß nır auf gelegentliche Anführungen des Petrus zurücging, jo konnte c den Ereigniſſen nicht die rechte za@&ıs geben. Nur um die on safe, aber nit um den Urfprung ber bei Markus vorliegenden rcixis handelt es ſich ja in der Stelle des Papias. Aber ud abgefehen von diefer falſchen Begründung ift jene Annahme völiy unverträglih mit dem fchriftftellerifchen Charakter umferes Evan geliums. Ye mehr unfer Verfaſſer die Planmäßigkeit deſſela überfhägt Hat, um jo unbegreifficher iſt es, wie er durch Annahme einer folgen Abhängigkeit von dem Wortlaut und ſehn der Berfnüpfungsweife der Petruserzählungen jede freie fchriftftelt: tifche Bewegung, welde doch die Grundbedingung einer wohldurd: dachten Eompofition ift, lahm Legen konnte.

Nun aber geht der Verfafjer noch einen Schritt weiter, und da: mit fommen wir auf den dritten Hauptpunft, der in feinem Bude behandelt wird. Nachdem er nämlich bereits in der Analyfe des Evangeliums immer wieder die Spuren nachzuweiſen geſucht hat, daß unfer Evangelium auch eine ſchriftliche Quelle vorausjege, ge: Tangt er in der dritten Abtheilung zu dem Refultat, daß baffelbe im Großen und Ganzen an unfer gegenwärtiges Matthäusean: gelium in der Afoluthie und Auswahl der Erzählungen fich anfhlic. Wie nun bei diefer doppelten Abhängigkeit noch von einem felh: ftändigen Plan, ja überhaupt noch von einer fchriftftellerifchen Eigen: thümfichkeit feines Evangeliums die Rede fein foll, das geftche ih nicht zu begreifen, wenn man nicht unfer Evangelium zu einen wahren fchriftftelferifchen Kunftftüd machen will. Wenn ber Ber faffer ſich auf mich dafür beruft, daß eine folche Abhängigkeit um einer fhriftlihen Quelle mit den Ausfagen des Papiaszeugniftt wohl vereinbar fei (S. 343) und wenn er meint, die Vorftellung von dem fchriftlichen Evangelium, das Markus bereits bemußt hat, in der von mir eingefchlagenen Richtung fortgebildet zu hahm (S. 381), fo muß id) nad) beiden Seiten Hin gegen alle El: darität mit der Anfhauung des Verfaffers mich verwahren. Nein Vorſtellung von der dur Markus bereits benugten ſchriftüchen

das Martubevangel. nad; feinem Quellenwerthe f. d. evang. Gef. 729

uelfe ift nicht nur graduell, fondern fpecififch von der unſeres herfaſſers verſchieden. Eben weil ich mir das ältefte Evangelium ach der Befchreibung des Papias als eine reine Stofffammlung, . 5. als eine noch zu feiner pragmatifchen Darftellung verbundene vrakıs von Sprüden, Reden und kurzen Erzählungen, die ſich ieiſt um einzelne Worte des Herrn drehen, denke, Halte id; es für” iöglich, daß Markus, obwohl er ſich in einzelnen Erzählungen an en in ihr gegebenen Typus anfchloß und einzelne Worte, die er on dorther kannte, in feiner Darftellung verwerthete, dennad auf drund der mündlichen apoſtoliſchen Ueberlieferung den im Wefent- den felbjtändigen erften Verſuch eines Bildes der meſſianiſchen Birffamfeit Jeſu geben und dabei fo viel Neues aus eigener Er- merung an die Erzählungen des Petrus Hinzubringen fonnte, daß Japia8 ober fein Gewähremann nur die Iegtere Seite an feinem wangelium in's Auge faßte. Mit einer fo faft durchgängigen Ab- ängigfeit von Matthäus, wie fie Kloftermann annimmt, vermag h weber bie Tradition über feinen petrinifchen Urfprung noch die hriftftellerifche EigentHümlichkeit unferes Evangeliums zu vereinigen. da ich aber durch die angebliche Fortbildung meiner Anficht in ner Richtung, welche den Hauptgewinn der neueren Evangelien» tif, die evident erwiefene Urfprünglicfeit des Markus gegenüber nferm Matthäus, wieder aufgibt, da8 Moment der Wahrheit ı der gegentheiligen Anficht, die unferm Matthäus die Urfprüng- chleit vindicirt, welches ich gegen Holtzmann und Weizfäder geltend ı machen verſucht Habe, auf's ſchlimmſte gefährdet ſehe, jo muß ) mir erlauben, auf diefen Punkt etwas ausführlicher einzugehen, n zu zeigen, wie unhaltbar die Gründe find, welche ‘der Verfaſſer r feine Anficht beigebracht hat. Ich Tann dies umfomehr, meil tfelbe fi in der That überwiegend an Eingelpeiten gehalten hat. tatt bei der Analyje des Evangeliums Schritt für Schritt fein erhältniß zu Matthäus in den Bli zu fafjen, wird erft nach⸗ ägli an einzelnen Stellen die angebliche Priorität des Matthäus ıhrfcheinlich gemacht und daraus dann ſchlechtweg über ganze große oſchnitte abgeurtheilt, während ein Buch, das mit folder Sorg- it in die Detailerklärung des Markus eingeht, diefe kritiſche An- ht auch in alfen Details durchführen mußte. Daß e8 nicht ſchwer

730 Mloftermann

iſt, ſelbſt wo die Abhängigkeit eines Shriftftellers von dem andırı evident iſt, diefe oder jene Stelle aufzufinden, die fich mit einigm Scharfſinn leicht fo beleuchten Täßt, daß fie file das Gegentheilz fprechen jcheint, wird Feder willen, der ſich mit diefen Unterfudurg: befchäftigt hat. Das Zmwingende für das kritiſche Urtheil liegt hr gerade in der Continuität, mit welcher fich die Indicien für ir beftimmte Anfhauung aneinanderreihen, bis fie zuletzt zur ungerei- baren Kette werben, und wenn ber Verfaſſer ſich in einen jo it gehenden Widerſpruch zur Markushypotheſe ſetzen wollte, jo hit man von einem fo fleißigen Durchforſcher und fo feinen Beobatr unferes Evangeliums wohl erwarten können, daß er ung Ct für Schritt die Probe für fein Reſultat vorlege.

Wenn irgendwo die Urfprünglichfeit des Markus evident ift, ir ift es im der Leidensgeſchichte (Cap. 14—16). Daß hier aud de Grenze liegt, über die ich nach meiner fritifhen Grundanfidt rt Hinausfomme, ift ebenfo Mar. Es kann wohl eine Erzählung wit die Salbung in Bethanien in der apoftolifhen Quelle geſtande haben, aber die Zeidensgefchichte, die fich nur in fortlaufender Cr: zähfung darjtellen ließ, Tann die Sammlung der Aöyız, von der Papias erzählt, unmöglich enthalten haben. Darum hat Kiofter: mann recht daran gethan, hier gleich feinen Hebel anzufegen, um die Markushypotheſe aus den Angeln zu Heben (S. 3453. Er beginnt damit, daß Markus gegen feinen fonftigen Gebrat von 14, 1 an über die legten Tage Jeſu in zufammenhänge: fortfaufender Erzählung berichtet, und Tann das nur daraus erklärt: daß er eine ſolche bei Matthäus vorfand. Aber er überficht, de Markus doch wenigftene 1, 21—38 über den erften Tag in & pernaum ebenfo in fortlaufender Erzählung berichtet und daß ch: die Leidensgefchichte in anderer Weife gar nicht erzählt werden konar Wir übergehen die Salbungsgeſchichte, von der ich allerdings glaukt. daß fie bereits in der apoftofifchen Quelle ftand; aber wenn I Verfaſſer ohne Beweis behauptet, daß das zo evayyehior rad: (Matth. 26, 13) urfprünglich fei, jo Hätte er wenigftene mei: entgegengefegten Bemerkungen in dieſen Blättern (1861, ©. 53) berüdjichtigen fönnen. Erſt bei dem Abſchnitte 14, 18-21 ir der BVerfaffer mit feinem Beweife ein. Hier foll nun das elz

das Markusevangel. nad} feinem Quellenwerthe f. d. evang. Geſch. 781

:5v dedexe (14, 20) eingeſchoben fein, um das Mißverftändniß ıbzuwehren, als fei mit Matth. 26, 23 der Verräther direct be— eichnet. Aber dies ift fein Mißverftändnig, fondern wegen des Aoriſt d Zußayes das einzig mögliche Verftändniß, das durch B. 25 als unzweifelhaft richtig beftätigt wird. Dann aber fpringt m die Augen, daß der Bericht, welcher die indirecte Bezeichnung 8 Verräthers in die directe verwandelt und die unglaubliche freche Frage des Judas jammt der direct bejahenden Antwort Chrifti hinzufügt, der ſecundäre ift. Wenn der Verfaffer hier wie ſchon 5.272 behauptet, die Verbindung dur uev ds (8.21) komme jonft bei Markus nicht vor, fo ift dies, auch abgefehen von 1, 8, aach 12, 5; 14, 38 einfach unrihtig *). Bei der Gethfenanefcene (14, 32—42) fommt der Berfaffer darauf hinaus, daß die voraus“ gefchiefte Indirecte Formulirung des Gebetsinhalts (V. 35) von Markus aus Matt. 26, 39 entlehnt ift, um dem bildlichen Auss drude (B. 36) feine Erflärung zu fihern und der Angabe der Worte beim zweiten Gebet ſich zu überheben, wo er denn lediglich Matth. 26, 44 anticipivte, und dag nun 14, 36 die doppelte Bitte in eine einzige zufammengezogen iftd). Die Sache Tiegt aber viel- mehr fo, daß, wenn Markus nur zum erften Mal überhaupt Ges betsworte mittheilt, beim zweiten Male nur hervorhebt, daß Jeſus

2) Dagegen bat Kloſtermann nicht erwähnt, daß fi Matth. 26, 22—24 Thon durch die Hinzufügung von apedge, ei, xugıe (das er für aus- gelaſſen von Markus hält, der e8 doch 7, 28 aus der apoſtoliſchen Duelle aufnahm), dmoxgudels, ip yeige, ovrög ne nagadasoeı, durch Berän- derung des ungewöhnlichen eis 208” eis in eis Exwarog, durch die Yufe nahme des dem Stil des Markus eigenthümlichen Feterro, zaAov Tv, und x&9s, das fiebenmal bei Markus und nur dreimal bei Matthäus in parallefen Stellen ſteht, als ber fecunbäre Text kundgibt.

b) Wenn Koftermann Hewvorfebt, dah das row avrv Adyov einuv (14, 39) aus Matthäus fein müffe, weil d «vrds bei Markus nicht vorlommt, fo hat ev unerwähnt gelaffen, daß d adros mit einem Subftantiv aud bei Matthäus nur in der Parallele fi findet, während fonft noch viermal das neutriſche 76 auro für ſich vorkommt. Dagegen ift das wiederholte ndAıv und das 7oav c. partie. ganz im Stil des Markus, das EAdav flatt Unosrgeyas bei Matth. 26, 43 Conformation nad; V. 40 und das Tore-ngös Tods uudmras V. 45 Zufa zum Markustert.

72 Mıtcmazı

Arche gebemet, 2 das Deore Merl ze; wem dem Gebete Ghrifi iferz, Rue am cd ce jr ec ebe Berftümmelung eins Ber: wäre, iz wedem dert obersarte ausdrũcllich erzät waree, deẽ Auzeger dem um freibemter Bericht nichts näher In, ts fir der ieiher arsygelremer Witten Gebeisact die Wort "aus Morf. 14, 39 ja werwender ırı2 am deren Stelfe beim zweiten Gehetzon mız Barız ’eger, welhe dm Ausörud der Ergebung der bei Mırkas MAea in der erker Bicze Img, noch ſteigerten, jı- mal dam der Ausazınf der Irma Werte im Baterunfer (6, 10 io gee: Set ĩchiea 26, 42°. Im Aolge deifem mußte dann ke amt Martas ertlehntz wirterhelte eier durch Ex devregor m #2 roirer wech riber Yet werden Dagegen fan Mit. 4, 36 gar eidt als Zuicmmerjiefeng der beiden Bitten bei Mu— thans auigefaft werden, da Ne der zweiten eigenthümliche Br: meinung der Möglichkeit des mageideir, weldye die Ergebung ft: gert, bei Murfns gır nicht bermdiichtigt wird. Wie foll ferner de Analogie von Marf. 9, 23; 10, 27 beweilen, daß 14, 36 nidt der uriprünglice Wortlam der Bitte vorfiegt? Natürlich Tonne an fich der Berfaiier dieien ihm gelänjigen Ausbrud ebenjogut dem Anedrud feiner Quelle jubftitwiren, wie ihn felbftändig ſchrei bend gebrauchen. Allein wenn jelbit Ausleger wie de Wette un Berk diefe Berufung anf die göttliche Allmacht unpafjend fanden, jo dürfte dieje Faijung als die ihwierigere wohl nad) alfen kritiſche Grundiägen uriprüngficher fein, als das & duwaror Eur, vi dem ſecundãren Evangeliften ſich ohnehin ame Mark. 14, 35 dardet Daß aber, wie Moftermann meint, die Verwandlung von magei Ice in mageveyzs ben heidenchriftlichen Lejern den Gedanken ı: ein umperjönliches Fatum entfernen follte, ift doch eine Außerft ge fuchte Bermuthung, während nad) unferer Anſchauung das mwagel Yeiv fich ebenfalls ans 14, 35 dem erften Goaugeliften dar. Endlich bemerfen wir noch, daß 26, 39 nur mit Weglaffung des dem Markus eignen aramätjchen Ausdruds Gott reireg angeredet wir? (vgl. Tiſchendorf ed. 8), während 26, 42, wo der Evangelift eb: ftändig ſchreibt, mareg mov ſteht. Aber auch die Vermuthun, daß 14, 35 den bildlihen Ausdrud in B. 36 verftändfic macen wolle, fällt zufommen, wenn man beachtet, daß ber Enangeit

das Markusevangel. nad} feinem Quellenwerthe f. d. evang. Geh. 788

0, 38. 39 diefen Ausbrud feiner Erklärung bebirftig achtet, viel- iehr umgelehrt einen noch viel dumkferen, den er daneben ftellt, inen Lefern zu verjtehen zumuthet. Und ift denn nicht das ab» lute 7 Sge an fid einer Erklärung noch ungleich bedürftiger als 18 einfache Bild vom worngor? Wer die umftändlihe Erzäh— ingsweiſe des Markus kennt, wird fich an diefer vorausgeſchickten Mmhaltsangabe nicht ftoßen, zumal nad Kloſtermaun's treffender jemerfung die Imperfecta zeigen, daß es fich hier um die Angabe ines andauernden Gebets handelt. Dagegen fpricht auch Hier der _ nfachſte kritiſche Grundfag dafür, daß die nun ſcheinbar tauto- ıgifchen Verſe (®. 35. 36) in Matth. 26, 39 zufammengezogen meben und nicht die einfache Darftellung hier zu jener ſchwer⸗ ilfigeren erweitert. Ebenſo wird wahrlich eher das ſchwierige reyeı (14, 41) vom erften Evangeliften weggelafjen, als die tede vom zweiten „um ihre Kuappheit gebracht fein“. Dagegen t 68 Mar, daß das nur relativ zu nehmende 7Ase» im erften vangelium richtig durch 7yyıxev erläutert und darum das Zdov 3r diefes Wort gefetst ift, weil dafjelbe doch fonft auf etwas un. ittelbar Gegenwärtiges hinzuweiſen pflegt, während nicht abzufehen t, wie nach Kloftermann die Einfhaltung des arexeı die Um— lung diefes Wortes motiviren follte. Daß die Erläuterung zei ix ndessar sl anoxgısücıw air@. (14, 40 vgl. 9, 6) ebenfo m Markus zugefegt wie vom erften Evangeliften weggelaſſen fein am, ift zuzugeben; aber darum eben können folde Momente an h nichts entfcheiden *).

Auffallend dürftig find die Yudicien, aus welchen Kloſtermann der Berhaftungsfcene die Urſprünglichkeit des Matthäus erſchließt. uch Hier geht der Verfafjer über alle gegentheiligen Indicien gl. nur Matt. 26, 50a. 52—54) mit Stillſchweigen hinweg id Hält fich ausfchlichlih an 14, 44. 45—50. Die Darftellung ð Markus nun hat Moftermann ſelbſt (S. 279) fo treffend er-

a) Wir Haben uns abſichtlich auf die von Kloſtermann in Betracht gezogenen Momente diefer Geſchichte beichränkt; fonft wäre gerade an der Einfeitung 14, 32—84 und an den Verſen 14, 37. 38 am leichteſten darzuthun, daß Hier Markus den uefprünglichen Tert Hat.

734 Kloftermann

fäutert, daß wir nichts Hinzuzufegen müßten; nur über feine Be: wunderung über das 6 rragadıdods adrov (B.44, vgl. ©. 28 müſſen wir uns billig verwundern, da es ja doch völlig natürid war, daß, nachdem V. 43 nur der Name des Judas genannt, a nun als fein Ueberlieferer charakterifirt wird, da eben die Art, m er dieſes megadıdövan zu vollziehen verfprochen Hatte, etzihl werden fol. Wir bedürfen darum wahrlich der Annahme, da c es aus Matth. 26, 48 entlehnt Hat, nicht, und wenn der ek Evangelift die nachträgliche Bemerkung über das verabredete Zeite in eine an Ort und Stelle gejchehende Verabredung verwandelt ki, fo liegt ja der Grund Har genug daran, daß er für das ofnta dem Markus eigenthümlihe zul eusewg rrgoseAdcr feine % fnüpfung fand in dem Plusquamperfectum des B. 44, wenn ı nit das für den Stil des Marfus ebenjo charakteriftifche wie fr feinen Stil unerhörte &AIy nrgogeAdav aufnehmen wollte. Bir tönnen alfo auch bier nicht den Markustert für eine Verbeſſerum des Matthäus halten, zumal ja das Ompweiov bei diefem ſichtlit eine Erflärung des felteneren odoanuor ift. - Während aber ki Matth. 26, 56b für jede einfache Tertvergleihung das zore oi nasmral ein erklärender Zufag des erften Evangelijten ift, ſuct uns Kloftermann einzureden, dad nednzat fei von Markus mg gelaffen und ravres an’8 Ende geftellt, um die folgende Geſchitu vom veavloxos anzubnüpfen. Es liegt aber auf ‚der Hand, di diefer Jüngling, der erft nah B. 52 floh, als man ihn greila wollte, gar nicht in die zr&vres, deren Flucht bereit eine abx ſchloſſene Thatſache der Vergangenheit war (bemerke den Yon: Epvyov) eingeſchloſſen fein Tann.

Aus der ganzen übrigen Leidensgefchichte erwähnt der Verfaſſer u noch einige vereinzelte Momente. Daß der zweite Evangelift Matt 27, 3—10. 52. 53. 62—66 an fic) übergehen konnte, wie ber erit Mark. 14, 13—15. 51. 52; 15, 21 überging, wollen wir zugeben, obwohl es durch die Rüdjicht auf Heidenchriſten, die Moftermann gi tend macht, durchaus nicht erklärt ift, und ihr viel bedeutungavollt Inhalt eigentlich feinen Vergleich mit den im erften Evangelium über: gangenen Marfusnotizen duldet, wie denn auch die Zahl der bei Markt fehfenden Zufäge des erften Evangeliums ſich noch ſehr beträdtit

das Markusevangel. nach feinem Quellenwerthe f. d. evang. Geſch. 785

vermehren läßt. Wenn Kloſtermann Mark. 14, 30. 68. 72 für ine Berichtigung des Matthäus hält, fo wird die umgefehrte An⸗ icht, wonach der erſte Evangelijt die in der Ueberlieferung gangbar ewordene einfachere Faſſung des Wortes fubftituirt, die ja felbft ‚08 Fohannesevangelium beibehielt, immer die weit wahrfcheinlichere leiben. Eine der Scenen, wo die Urſprünglichkeit des Markus ım heliften in die Augen fpringt, weil nur aus ihr der Hergang virklich verſtändlich wird, ift die Scene mit Barrabus, wo 8 erfte Evangelium mit feinen Zufägen in 27, 19. 24. 25, nit feiner von vornherein dem Volke proponirten Alternative und einen bis in's Einzelnfte nachweisbaren Tertänderungen feine Abs längigfeit Schritt für Schritt verrät. Ueber alles diefes geht dloſtermann mit Stillfhweigen hinweg, indem er den „eigenthlims- ihen Charakter“ des Markusberichts aus der Bedeutung dieſes Stüds im Organismus des Evangeliums, d. h. aus dem von ihm Nneingelegten Parallelismus mit der Herodiasgejchichte, erklärt ‘©. 291), und begnügt ſich damit zu bemerken, daß Mart. 15, 8 18 undeutlihe Ovvnyusvov avcov (Matth. 27, 17) verftändfich nahe und die Beſchreibung des Barrabas (V. 7) bereits auf den Hegenſatz zwifchen ihm und Jeſus reflectire. Don letzterem kann iber gerade bei Marlus, wo in der ganzen Verhandlung nirgends d wie im erſten Evangelium Jeſus und Barrabas ſich gegenüber— wftelft werden, nicht die Rede ſein und daß das Volk die Initiative griff (Mark. 15, 8), konnte aud) der feinfte Exeget aus dem ‚undeutlihen“ ovryyu. auzwv nicht Herauslefen. Schließlich ber uhigt fi Kloftermann damit, daß jedenfalls das bei der Analyfe erklärt gebliebene eAdup (15, 19) nur dur) Matth. 27, 29. 30. eine Erklärung finde. Aber wenn der Berfaffer es (S. 292) fo uuffällig findet, daß xdAawos nud nicht beßdos als Werkzeug »es Schlagens genannt werde, fo ift doch dazu gar fein Grund vorhanden, da ja aud) 15, 36 die Soldaten ein Rohr in der Hand jaben, und daß. e8 der erjte Evangelift gewejen ift, der dies Rohr em Heiland als Scepter in die Hand geben läßt, um den fpöttijchen Konigsaufputz zu vollenden, dafür ſpricht dod) wohl deutlich genug, daß er die rogyuga zur gAruds xoxxivn, den dxawivos ard- yavos zum Kranz aus Dornen näher beftimmt, das end emjv

736 Mofermann j

zegahsjr erlänternd Hinzugefügt, bie Rede ausdrüdlich als Br: Trans Garakterifirt und, um die Mißhandlung von der Beript tumg zu fondern, die jpöttifch-huldigende Kniebeugung voraufgenm: men hat. Daß die Bezeichnung der @Aln Maple (Matth. 27,61; 28, 1) im Bergleich mit der bei Markus (15, 47; 16, 1) nik urfprünglic erſcheint, gibt Mloftermann ſelbſt zu; aber wen m daneben fein Wort darüber fagt, wie er der fo durch und durt fecundären Darftellung Matth. 28, 1—8 die Urjprünglichkeit gegn- über von Mark. 16, 1—8 vindieiren will, fo erinnert das dh faft an das Wort vom Mückenſeigen und Kameeleverfchluden. In der That, wenn diefes die einzigen Indicien find gegen k Urfprüngfidjteit der Leidensgefchichte bei Markus, mit welder di Markushypotheſe fteht und fällt, dann glauben wir gezeigt zu han, daß fie von Kloſtermaun nicht erfcüttert ift. Und wenn felbit in diefem Abſchnitt Markus auf die Erzählung des Matthäus fo dur: gängig Rückſicht nehmen fol, daß er „im Ganzen meift bis auft Wort mit dem entſprechenden Terte des Matthäus übereinftimmt‘, dann ift doch Mar, daß die von Moftermann angenommene Ab: bhängigteit des Markus von Matthäus jede Zurücführung feine Evangeliums auf die unmittelbare petrinifche Weberlieferung aut ſchließt. Denn daß ein Schriftfteller, der die Leidensgefchichte ve | Herrn von einem Augenzeugen hatte erzählen hören, fid in if Darftellung ganz einer jchriftlichen Quelle ſollte angeſchloſſen un mit Ausnahme einiger unmotivirten Auslaffungen ſich faft nur ai einige ftiliftifche Aenderungen, die dazu nicht immer glücklich au fielen, follte verlegt haben, das müſſen wir eben einfach für ıw mögfich erffären. Iſt aber auch nur fir die Leidensgeſchichte da umgefehrte Verhältniß conftatirt, fo kann natürlich von einer hängigfeit des Markus von unferm erften Evangelium ober einm ihm im Wejentfichen gleihen Urmatthäus nicht mehr die Rebe fe. Der BVerfafjer betrachtet fodann rückwärtsſchreitend den Abjchnitt Mark. 10, 32 bis 13, 37 (©. 349— 353). Daß hier in da Langen eſchatologiſchen Rede und auch in den fonftigen Redeſtücen die apoftofifche Quelle benugt ift, Habe auch ich zu erweiſen geſucht wenn ich auch keineswegs unfern jegigen Matthäustert für identid damit Halte und mir alfo die Beweisführungen Kloſtermann's vielfad

"das Markusevangel. nach feinem Ouellenwerthe f. d. evang. Gef). 737

ct aneignen farm. Allein Mloftermann fucht zu beweifen, daß ie ganze Zufammenftellung diefer letzten Reden und Geipräde in nferm Matthäusevangelium bereits dem Markus vorlag und hat och dafür nur den Grund, daß eine Bufammenftellung diefer Streitreden von der Anlage feines Buches (wie fie nämlich Kloſter⸗ nann falfch, d. h. einem von ihm aufgeftellten Gefichtspunfte gemäß, er auf ſolche Abfchnitte, wie Cap. 11—13, gar nicht paßt, beftimmt at) weit abliege, und daß 12,1. 38 auf eine ausführlichere Meder ammlung hinweift, aus welcher Markus fchöpft, woraus ja aber urchaus nicht folgt, daß unfer Matthäus diefe Nedefammlung dar *), zumal der Verfafjer felbft gefteht, die Eriftenz von Matth. 25 a der Duelle des Markus nicht nachweiſen zu können (S. 380).

a) Wenn der Berfaffer noch Mark. 12, 85 Hinzufügt, fo gehört das gar nicht hierher, da wir mwenigftens nirgends einen größeren Zuſammenhang nade weifen Lönnen, in welchen dies Wort Iefu uriprünglich Gineingehörte; denn ber Zufammenhang bei Matthäus ift ja ganz derſelbe wie bei Markus, nur daß im erften Evangelium noch kunſtvoller mit dieſer Gegenfrage Chriſti der Uebergang von feiner Defenfive zur Offenfive in Cap. 28 ger macht wird. Daß N loftermann Mark. 11, 11—25 für eine Correctur der Zeitfolge bei Matthäus und das ausführlichere Citat Mark. 11, 17 für das fecunbäre ausgibt, Tann bie gerade in ber Einzugsgeſchichte fo zahlreichen Iudieien von dem fecunbären Charakter unferes erſten Evan- geliums, über bie er alle mit Stillſchweigen fortgeht, nicht entkcäften. Charalteriſtiſch ift aber die Art, wie er am ausführfichfien bei Mark. 10, 46 verweilt, um bier gleich am Anfange des Abſchnitts feinen ſecundären Charakter zu conflatiren. Er bat nämlich ſchon S. 821 darauf aufmerl · fam gemadit, da ze) z0V nadıraiv avtod xai öykou Ixavod fi ganz wie eine glofſematiſche Erweiterung eines anderen Textes ausnehme, und fucht diefen nun in Matth. 20, 29 nachzuweiſen. Allein Hier erhebt ber Berfaffer doch wieder ganz unnöthige Schwierigleiten, die nur die. Tendenz Haben können, fein kritiſches Reſultat vorzubereiten. Wer in aller Welt Tann, wenn er die Markuserzählung unbefangen Tief, daran nur den mine deften Anſtoß nehmen? Feſus ift mit feinen Jüngern von Peräa (10, 1) nad) Ierujalem aufgebrogen (10, 32). Ste lommen üher Ierigo, und da nun bei der Blindenheilung, die beim Auszuge aus Jericho vorkommt, ſowohl die weitere Umgebung Jeſu (V. 48) als die nähere (®. 49) han- delnd aufteitt, fo wird ®. 46 ausbrüdlich hervorgehoben, daß Jeſus bei diefem Auszuge von den Jüngern und außerdem von viel Volks begleitet war. Im der That aber kann Matth. 20, 29 gar nicht der Tert fein,

Deol. Stud, Jahrg. 1868.

758 Mofermanz

Achnſich ſteht es mm mit dem Abſchnitte 9, 30 bu 10, 3 (S. 353—356), wo ebenfalls nur von Koftermann's Kafhanıy . über den Pla des Markus aus die Zufammenfteffung der Wide dei ihm wicht. urfprüngfich erfiheint. Im Einzelnen müffen wir d auf’S beftimmtefte in Abrede ftellen, daß Mark. 9, 3841 in Zufammenhang von Mutth. 18, 5. 6 unterbricht, da mir in kn Fahrbb. f. d. TH. 1864, ©. 100 machgemiefen haben, daß diſe Zufanmnenhang auf einer Umdeutung des Spruches von dem Anı gern der Kleiner in der apoſtoliſchen Quelle beruft; ebenfo, Ki Mark. 10,1 aus Matth. 19, 1. 2 entlehnt ift, wo erft bunt Hlnzufügeng des Abſchieds von Galilda der Schein entfteht, # beginne Hier die fehte Feſtreife, wo das ſchwierige mregmr si "Togd. nur aus Markus verſtändlich wird und das Lehren ind Heilen umgeſetzt wird, weil im Folgeuden wohl eine Bliudenheilung aber feine Bolfsrede berichtet wirb; und endlich daß die Being tung der Darftellung in Mart. 10, 10. 1 (©. 208) irgend dm degen die Urfprünglichteit des Markıs beweifen Tann.

Es kann nicht unfere Abficht fein, das kritiſche Kaiforinemment de Verfaſſers Punkt für Punkt mit unferer Antikritik zu begleiten Daſſelbe gründet ſich immer wieder auf die Reſultate, die er übt den Organismus des Markusevangeliums gewonnen, zur haben met, und. wie unficher diefe Grundlage fei, Haben wit nachgewieſen. & häft ſich ferner immer wieder an Einzelheiten und übergeft ir widerfpredjenden Indicien mit Stillſchweigen. Daß in vielen I fchnitten Markus einen fecundären Tert Bat, geben wir zn, che nicht weil er unfern Matthäus benußt Hat, fonders weil er ie Tert der apoſtoliſchen Quelle freier wiedergibt als der erſte koc⸗ geliſt. Wenn ſich der Verfaſſer dabei vielfach auf Andentune

in den jene Worte gloſſematiſch eingeſchoben find, da dort drmger Akvam aray fcht umd der Sykos ebenfalls erwahnt Mt. Elm mi über dem feinen Kenner des Sprachgebraucht bei Marks erſt dar m inneen, daß Srmogeveodes tn der Erzähfung ſechennul Ber Mach, kr Matthäus dagegen nur Hier und 8, 5 in eintr Puruüleifteiie vorfut and daß das dem erſten Evangelium etgenthinnticht rpedAoudyeer uirt &y%ol noMot nut ler durch ben Singutar erſedt iſt Der utſe geil: Haft atıt Markus entichnt-exicheint?

das Markusevang. nad; kimem Ouellacderthe f. d. enang. Geſch. TBB

wu, Deich in biefen Bluttern (18681) gegeden habe, diuß ch daran rriunern, daß ich vickes davon ia den Siheblchern won 865, S. 300 ausdrücklich retoittich habe. Wuhhrend der Ver⸗ fer meint, bie von mir eingeſchlagene Richtuug in der Abgrenzung 38 Befprängfkhen und Sehunbänen bei Marlus zu verfelgm (S. 3813, ak mich dielmehr die eindtingendert Deräilferfcimg gelehrt, ‚ba 8 nothwwendig fei, Die Urſpruuglichteit des Markus noch Höher zu rrau lagen, abe ich es Anfangs meinte thun zu Büren. Hier Wit Rh uber die Einzelunterſuchnng dft mm durch ein fa wanfaffen- 78 Gingehen in alle Details zum Abſchluß bringen, daß ed mr nögtip wäre, im dem Bier wir geftmttethe Deine die Mſultate erſelbeu gegen Mioftermann ze echärten. Dies gilt insbtlondere on beim Abſchnitte 6, 14 bis 9, 29 (©. 856-363). Ich wi arum nur bring hiaweiſen, wie vollig wergekfich der Verfehſer ich bemuht, die fur die Urfpelluglichttet des Marks in der Kine auptangeheſchichte bes Tänferö beigebradykei Indielen zu entlsäften. 38 bleibst durchaus unnaiſirtich, dah Markus, um feine dar paldfi ienſijchen Verhaltniſſen ferner ftehenden Böfer nicht zu verwirren, Im Hoerodes colftant Aweskeik; genimt haben folk, bm. erſt durch Nefe Bezeichmmg eine Berwirrung ewftehen lonnie. Wenn Dagegen ie evfte Evamnyeliſt, win Verwechſelungen zu verhüten, dan Herodes W var occexne einfiheie, jo hatie er sd auch 14, 9 aeikeit, wenn * von einer andern Durſtellung wiebtfngin ſchrieb, da Das an⸗ xbliche Beftreben, der popaaren Bezeichaungsweite ſich at bedienen, bei ihm eben nuch 14, 3 vom dem Streben nach Gennuigleit aber· wegen wurde, Rum kommt aber hinze, daß gerade in dieſem Veeſe Lonyoeca nicht mir einen ſcheinbaren·, ſondern einon witi⸗ lichen Wiberſpruch mit B. 5 bifbet, det ben eineza ſelbetündig Arte beuden Shijtſtelier ſchlechthin unerkiäufidz iſt und Daß das de vobc Ovrarazısvoos bei Ihm unmotdirt iſt, währrud es bei Monte in 6, 21 bereits vorbeveitet wor. An fh if es gattzt Kıh mügtid, daß amd: ein ſetundürer Schrijtſteller eine derardige Ungenamigkeit. erft omtfeunte, aber daß er dam ſchon den Ausdruc ol awerassındvos in ®. 22 snticipist Haben ſollie, ift um jo umvabefdjeinikcher, «it derſelbt bi Watchäas Mur noch 9, AO vor · Werict, we er cenfallu aus Markus untlehns ift. 4.

710 Klofermanı

Endlich beſpricht der Berfaffer den Abſchnitt 1, 158 6,8 (S. 364—378), wo felbjt nad) Mloftermann von einer Benni der zufommenhängenden Matthäusdarftellung gar nicht mehr k Nide fein kann, wohl aber davon, daf einzelne Erzählungen or Deden bei Markus einen bereits ſchriftlich figirten Typus vous Tegen. Aber daß der Evangelift diefelben nicht aus unferm Dat thaus Hat, dafür bürgt am entfchiedenften, daß gerade in ben pi matijchen Ginleitungen ſich überall der erfte Evangelift von Markt abhängig zeigt. Moftermann beftreitet das freilich z. B. bei Dat, 13, 1.2, aber mit welden Gründen? Schon ©. 82 hat er behaum, die gefliffentliche Hervorhebung des Gegenfages von Ialaoca m 75 (Dart. 4, 1) nehme fi ganz fo aus, als wolle Markus cm minder genauen Erzählungstypus zuredhtftellen. Aber woher? di denn nicht dieſe Situationsmaferei ganz in dem wohlbelannten Ch rafter des Diartus? Nun aber fol diefe Correctur nad) ©. 368 Ki bei Matthaus mögliche Mißverftändniß ausſchließen, als ob ledigſit das xadnadas und Eornxevar Jeſum und die Volksmenge gegen überftelle und das rAorov ein auf's Land gezogener Kahn fi. Daß aber der Artikel vor rAoiov fid) nur bei Markus aus 3,9| erffärt, alſo im erften Evangelium aus ihm herübergenommen il! daß das auffalfende räs 6 öxAos nad) dem eben dagemejen, | dem Matthäus eigenthümlichen 6xAos zroAAof nur aus Dart | herrühren fan, daß die Wiederholung des za I7aIas nad di Irro (Matth. 13, 1) fi nur aus Markus erklärt, hat Koftr mann nicht beachtet und da der Gegenfag des dr rör alyıalir (Matth. 13, 2) jedem .verftändigen Leſer andentete, daß der KıF nit and) am Ufer ftehend gedacht war, fo ift das vermeintikt Mißverftändnig, dem Markus Hier vorgebeugt Haben fol, er müſſige Erfindung des Kritilers. Dafjelbe gilt von der Einfeitm | der Erzähfung Marl. 3, 1. 2. Kloſtermann Hat freilich [de | ©. 60 behauptet, hier werde voransgefegt, daß der Vorfall u bemfelben Sabbath, wie der vorige ftattfand; aber diefe Unterftellung äft wieder nur gemacht, um (S. 371) num finden zu Lönnen, di | diefe Vorausfegung aus Matth. 12, 9 entlehnt ift. Der Berfaflt überficht dabei, daß Mark. 2, 24 das Zdorzes, welches ber ef Goangelift zufegt, fehlt, alfo die Verhandlung iiber die Cabal:

das Markusevangel, nad} feinem Quellenwerthe f. d. evang. Geſch. 741

bferdanz der Juünger gar nicht ausdrücklich anf den Tag geſetzt ft, an mweldem der vermeintliche Sabbathbruch der Jünger ſtatt⸗ ſefunden Hat, daß Mark. 3, 1 aber nad) der allgemeinen Bemer⸗ ung 1, 21 als felbjtverftändfich vorausgeſetzt ift, daß, wenn Jeſus n bie Synagoge ging, es am Sabbath geſchah (U. 2), und endlich, das Subject zu magseigovv (8. 2) bei Markus um fo tichter als befannt vorausgefeßt werden Konnte, als er im dieſem anzen Abfchnitt lauter Verhandlungen mit der Jeſu feindfeligen Ippofition erzählt. Iſt aber meine in diefen Blättern (1861, S. 77) eäußerte Bermuthung über das avröv (Matth. 12, 9) nicht Halte ar, wie Kloftermann meint, fo ift dies nur um fo gewiffer ein Beweis, daß der erfte Evangelift dadurch, wie durd das ihn fo läufige weraßes &xsidev, die Darftellung des Markus näher eftimmt hat. Se mehr aber die Zufammenftellung der einzelnen Irzählungen in biefem Abſchnitt durch den von Kloſtermann felbit tfannten Plan des Markus bedingt ift, um fo unwahrſcheinlicher ft e8, daß er diefe Stücke bereits in einem ſchriftlichen Evangelium heifweife verbunden vorfand (S. 374).

Wir müffen nad} alfe Diefem den vergleichenden Abſchnitt, welcher as Verhäftniß des Markus zu unferm Matthäus feſtſtellen foll, ür die ſchwächſte Parthie unferes Buches erklären, nicht etwa nur veil wir mit feinen Refultaten durchaus nicht übereinftimmen können, onbern weil die Unterfuhung hier fo deſultoriſch und, felbft wen nan im Einzelnen mit dem Verfaſſer übereinftimmen könnte, fo venig erfchöpfend geführt wird, daß es und nicht wundern kann, venn derfelbe endlich doc über das Verhältniß der beiden erften Foangelien .nicht zum völligen Abſchluß kommt (S. 381). Wir Önnen es nicht billigen, daß der Verfaſſer ſchließlich eine felbftäns ige Analyfe auch der anderen Evangelien vor der Quellenunter⸗ uchung empfiehlt. Es ift das vielfach doch nur Schein, da, wie bir aus manchen Beifpielen gefehen haben, die Benterfungen des Berfaffer8 bei der Analyfe mehr als einmal fihtlih von der In⸗ ention geleitet find, für feine fpätere Quelfenkritif Anhaltspunkte zu geiinnen, und felbft für feinen Zwed würde fi Vieles in einem ngleich gewinnenderen Lichte dargeftellt Haben, wenn er die Quclfens prüfung in die Analyfe verflochten hätte. Da wir nun aud) dem

Guimmidtung des Zmjemmenhonges cine bleibende Bedeutung bil, Fb wenn ihr wetürfich wicht in allem Einzelnen beipfühen au. Mit großer Spannung jchen wir der verſprocheren Ih des Berfajferb über den Lutas entgegen, bei der wir eine unlih größere Uebereinftiimmung mit igren Reſultaten erwarten ira,

i Unteaſachang des Sulas im dazu Güßern wird, 28 gm

gelingt, fi fermch und materiell eatmas auchr von der cigenthiu- lichen, ivat ihrer Drigimaliti und Feinheit einen ahefangs Behendbmo der Goangefisn wicht eben ‚gänftigen Gnfrrannite Suterpreiationseiie heci 38 machen.

D. 8. Weiß

Sad, Geſchite der Predigt. 748

2.

Beſchichte der Predigt in ber deutſchen enangelifchen Kirche von Mooheim bis auf bie letzten Jahre von Schleiermacher und Menken. Bon D. Carl Heinrich Sat, Heidelberg, Carl Winter’s Univerfitätsbuchandlung. 1866. VI und 384 SS.

Die Zeit der Herrſchaft des Nationalismus hält Heute nicht Teicht Jemand für eine Wlüthezeit im Leben unferer beutfchen Kirche. Im Gegentheit, die hohe Meinung, welche fie felbft von ſich Hatte, iſt ſchon vor geraumer Zeit mit einer ziemlich allgemein verbrei⸗ teten Geringihägung vertaufcht worden. Das Schiboleth ihres Selbſtruhms „Aufklärung“ ift in dem Munde von Taufenden jetzt geradezu ein Schlagwort der Verfpottung, mit dem fi die Vor⸗ ftellung des Seiten und ZTrivialen, des Mittelmäßigen und Obers fläglichen, des Langweiligen und Abgeftandenen verknüpft. Das heutige Intereſſe an der Zeit der Aufllärung ift beinahe ganz ein pathologiſches. Die meiften unter den jett lebenden. Theofogen bürften bie Hauptwerfe des Rationalismus kaum anders als aus abgeleiteten Quellen kennen, wie Literaturfreunde unfere vorclaſſiſche Literatur, die Bodmer und U; und Ramler, ja felbft Klopſtock ſchon, .nur. aus der Literaturgefchichte zu Fennen pflegen, ‚im Alle gemeinen nicht unrichtig, aber doc mangelhaft umd ohne eigenes Urtheil. Auch von der Predigt des rationaliftifchen Zeitafters find unter unferen Predigern, Candidaten und Theologie-Studirenden Borftellungen verbreitet, die im Großen und Ganzen zutreffend fein mögen. Uber es werden ſchon Wenige fein, die auch nur eine Predigt von Röhr, felbft von Reinhard, oder gar weiter thinauf von Spalding gelefen haben. Eine gerechte Würdigung kann dabei ſchwerlich beftehen. Die achſelzuckende Kritit über einft ger feierte Ranzelgrößen mag ſehr entfchieden auftreten, aber es fehlt bie geſchichtliche Wahrheit und Billigkeit. Ein wahres, gerechtes,

lennen, empfehlen möchten, in ausgezeichnetem Maße geeignet,

Der ehrwürbige Maum, der die theologiſche, imfonberfeit di Predigerwelt damit beſcheult, hat die Stille feines Lebensabend feit Jahren darauf verwandt. Daß fein Buch die Frucht Längen, mit Liebe gepflegter Studien ift, bezeugt es felbft durch rm reichen, durchweg aus den urſprunglichen Quellen geſchöpften Ithil wie durch feine abgerundete gefällige Form, die mehr Spuren k Jagendfriſche als der dem Alter eigenthümlichen Schwerbemegliätt: an fich trägt. Wer auf dem Gebiete, dem das Buch angefön, fi umgefehen Hat, weiß außerdem von mancherlei Vorarbeiten dei Herrn VBerfaffers, die feit Fahren theils in dieſer Zeitfehrift, teilt in Herzog's Real-Encyelopäbie, theils in eigenen Eleineren Schriften an’s Licht getreten find. Denn jene feine comparative Eharakterifit Schleiermacher's und Albertini's, deren ſich die äfteren Lefer de „Studien und Lritifen“ nod gern erinnern, die Auffäge über dit Bäter feiner Familie, Spalding, Auguft und Friedrich Sad, jeht die Heine Monographie Über Saurin find fo zu fagen Prodmien zu diefer Gefchichte der Predigt von Mosheim bis Schleiermahe, die das Teiften, was gute Brodmien leiſten ſollen, fie ſchaffen kin, welche attenti, dociles, benevoli find.

Der Herr Verfaſſer leitet feine Arbeit (©. 1-9) mit einer kurzen Darlegung der Grundſutze ein, von welchen ex babei mt gegangen ift. Sie haben ihre Wurzel in feiner weife bemefjma Faſſung des Begriffs der Predigt und der eben fo hohen als & ſcheidenen Würdigung ihres Werthes, worüber er ſich befondens af ©. 4 u. 6 treffend ausfpridt. Wer mit diefen, wie uns dirk, evangefifch Maren und proteftantifch keuſchen Beftimmungen ibt die Bedeutung der Predigt übereinftimmt, wird im allem Weſen lichen auch die aufgeftellten Grundfäge anerkennen. Der Berfafft iſt ihnen in feiner Gefchichte durchweg treu geblieben. Der Ju Halt der Predigt, ob dem göttlichen Worte im der Schrift mt nommen und in Gemäßheit des Glaubens der wahren Kirde bi

Sefclite ber Brebigt. 25

derrn ftehend oder nicht, das ift ihm überall das Erſte. Das Zweite das Maß von Weisheit und Kunſt in Anwendung des Prebigtftoffes auf. den kirchlichen Zeitpunkt und die Bebürfniffe der demeinde. Das Dritte die fprahlihe Behandlung. Das ierte die von der gefchilderten Predigerthätigfeit ansgegangene Birfung. Mit einer kurzen Motivirung der Begrenzung ber Aufgabe auf den etwa humdertjährigen Zeitraum von 1730—1830 Mosheim’s Blüthezeit bis zum Tode Menken's und Schleiermacher's), vie der Theilung deffelben in die beiden Perioden bis und feit Ende des erften Jahrzehents des 19. Jahrhunderts ſchließen die inleitenden Bemerkungen.

Die Predigtgefhichte des 18. Jahrhunderts bis in ven Anfang des 19ten nimmt emtfprechend dem ungleich größeren Umfange dieſer Periode etwa zwei Drittel des Buches ein S. 10—261). Vorausgeſchickt wird eine kurze allgemeine Cha⸗ :afterzeichnung der Predigt diefer Periode, und zwar bezeichnet der Berfaffer als das ihren Höhepunkt belebende Princip das echt Braftifche, nämlich das (allmählich freilich degenerirende) Beſtreben, den Inhalt des Evangeliums -in feiner Bedeutung für Gefinnung und Handfungsweife der Chriften zu entfalten. Er gliedert biefe Periode in drei Zeiträume, für deren Grenzen er felbft eine gewiſſe Beweglichkeit in Anfprud nimmt: der erfte (1740 bis c. 1785, nad; der Inhaltsangabe aber 1730—1770) umfaßt die älteren praftifhen Supernaturafiften, die unerfehüttert am Grunde ber bibfifchen Offenbarung und den Grundlagen des evangeliſchen Bekenntniſſes feſthaltend, bemüht find, den Tauſchungen des Ortho- doxismus und Verirrungen des Pietismus mit dem ganzen Ernft ber Wahrheit und der ganzen Kraft der Liebe entgegenzutreten. Den Uebergang zu diefem Zeitraum bezeichnet der Berliner Propft, Reinbed; feine Hauptrepräfentanten find Mosheim, Auguft Sad, Eramer, Yerufalem, Spalding, denen noch bei gezählt werden der Biihof Fr. Sam. Gottfr. Sad, Abrah. Teller, Sturm. Eine kurzere Erwähnung finden an diefer Stelle noch Joh. Eb. Silberſchlag, Joh. Ad. Schlegel, Gottfr. Le umd wieder ausführlicher der Schweizer Joh. Tobler. Den zweiten Zeitraum (etwa 1785—1795, nad der In⸗

2) Sad

Yaktsangehe aber 1770—1790) zepräfentiven die Prediger, weht durch tremeres Anſchließen an das Schriftwort der ſchu auhebenden Trockenheit in der Predigt abzuhelfen ſuchen: Herder, Lavater, Oetinger, Joh. Jak. Heß, im derm Mitte ud Zoh. Ludw. Ewald, der in Proſa und Poeſie nufererdeuih fruchtbare ascetiſche Schriftfteller, aufgenommen ft. Der britte Zeitraum endlich, die beiden Decennien der Wende des 18. ud 19. Zahrhunderts umfaffend, wirb als der Zeitraum der mh und mehr in eudamonuiſtiſchen und pelagianiſchen Madionakisud Übergegenden Morafpredigt bezeichnet. Seine bedeutendſten Br präfentanten find: Zollitofer, Henke, Marezoft, Ammn, eben denen noch Häfeli, Roſenmuͤller, Bartels, Beilledter, A aufgezählt werben. Als eine wohlthuende Exfchrimug in beim, den Kern der Schriftfehre bis zu einem gewiffen Grabe yangıkr ben Zeitalter wird der Nürnberger Zoh. Gottfr. Schöner g nannt, der jenen Kern einfach feſthält und ihn zugleich ganz peetiid zu machen weiß. In toferem Anflug werben dann uch de Wittenberger €. 8. Nitzſch und die Berliner Pröpfte Ribbel amd Hanftein genammt und kurz charalteriſirt. Als Geikenjiid zu den Moxalpredigern erfahren demmächſt noch die Natuapre diger, welde Töllner’s „bewegliche Bitte an alle ewangelifge Lehrer“ erfüllten, eine befondere Darſtelluug. Der Frankfuc Moſche, der Halberftädter Kerenner yad der ſchon genaur Ewald werden als Repräſentauten der Naturpredigt aufgeflfrt Den Schluß der Predigtgeſchichte dieſes Zeitraumes wie die ganzen erften Periode bildet die wieder ausführlichere Schilder des ehrwürbigen, ſchon beu Uebergang zu einer neuen, wurdwallaa Predigtbahn bezeichnenden Reinhard.

Bei ber zweiten Periode wird, wie hei ihrem geringen Wr fange (kaum ein Vierteljahrhundert) natürlich ift, von einer ne texen Zeittgeilung abgeſtauden. Die Guiederung iſt eine fmhüh perſonliche. Die Repräfentanten der vorgehmften Probigtrichtuuge ‚werben ‚Gier meiſt paarweiſe vorgeführt, was zu intereffanten cur Harativen Charakteriſtiken Veranlaſſung gibt. Zur eubeldun ber tief ‚perabgelommenen Predigt im enangefifchen Deutichland vu die philoſanhiſche Gmtiwickung (her Kriticigmuß sd die gti

Geſchichte der Predigt. 7

philoſophie ) ebenfowenig bei wie die gleichzeitige Romantik; bie Erneuerung des religiöfen Geiſtes durch bie romantiſche Schule war ‚mehr Schein als Wefen, und ging an ber Predigt vorlber. Ungleich, wirkſamer war die durch die mächtige Hand Gottes ver⸗ mittelſt vationaler Leiden berbeigeführte Sehnſucht nad Hülfe im Seelen · und Sittenleben, von wicht geringer Bedeutung auch die Wiedereröffnung des Verkehrs zwifchen Deutfchland und England nach dem Befreiungskriege. Aber den wirklichen Anfang diefer Neubelebung brachte das, vorfehungsvoll durch göttliche Gnade und Weisheit geordnete, gleichzeitige Auftreten zweier fo epochemachenden Prediger mie Schleiermaher und Menken zu Stande (&. 262815); Neben diefen beiden, mit Vorliebe in treffenden Zügen geſchilderten, Koryphäen treten zunächft, als fie ergänzend, tesp. ihnen entgegengeſetzt, Schleiermacher’8 Yugendfreund Alber- tini, die aus Terſtengen's Samen hervorgegangenen Ber giſchen Brepiger, und befonders Daniel Krummader af (©. 316— 329). Es folgen als Urheber neuer Anregungen in Nord und Suddeutſchland Elaus Harms und Ludwig Hof- acker, auch Me zuerſt jeder für fich, und dann comparativ charaf- kuiftet (&. 829-346). Sodann unter der Ueberfärift „Mediek wirlung ber literäriſchen Gultur des Zeitalter und bes Beſtre⸗ bens, die Pradigt men zu beleben“: Dräfele und Theremin (8. 347366). Mit vielfsgender Kürze wird noch auf fünf Seiten des ſich, reagirend gegen die neue Wendung in der Ent⸗ wicklung der Predigt, nodmals. aufraffenden Nationalismus des geſunden Menſchenverſtandes gedocht; unſer Verfaſſer begnügt ſich damit, einen einzigen honnletiſchen Vertreter deſſelben, Röhr, vor⸗ anflgen. und jchließt dann feine Homiletenxeihe mit den beiden,

@) Wie richtig dies Im Betreff der Woentitätephiloſophie iſt, beweiſen bie ans Tores Sqhult Geronrgegangenem Prebigten 43. 9. von Joh. Schulſze, eipyig KOM), welde. von poetiſcher MHfit durchweht find, und Weligion sa Opmärhesraltation erfheinen Iafien, Die im gatholiciemus mehr ale ins Broteſtantismus ihre Rechnung finde. Vergleiche die fehr intereffanten Berneikumgen Dyſchirner's (Briefe, veranlaßt durch Reinhard's Geftänbniffe, S..47--08) über dat Barhaltniß dieſer Pilofephie zur Predigt. Ihm "habe feine mehr verſprochen und weniger gehalten.

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in die Gegenwart hineinreichenden, großen Theologen, Immannel Nigih und Tholuck. Auf weitere kritiſch- geſchichtliche Dar ſtellung der noch im Werden begriffenen Prebigtzuftände verzichtet er, fügt aber auf den Testen Blättern feines Buches noch beachten werthe, von einem mit der Pragis und Theorie, der Kritik un Geſchichte der Predigt fo vertrauten Manne zwiefach germ gehärt Andentungen und Weifungen Hinzu, die ihm aus der Wanderum durch das Predigtgebiet feit Mosheim refultiren. Durch diefe legten Blätter geht ein befonders wohlthuender Hauch milder Begeifterung. Der Lefer bekommt den Eindrud: der diefe Winke ertheilt, bus achtet, von ftiller Warte aus, die Bewegungen in der Kirche jene Zeit mit Iebendigfter Herzenstheilnahme, aber mit freiem Bft, den er fi durch die fefte Richtung auf die von dem Herrn de Kirche geſteckten Ziele ungetrübt erhält. Wir Heben von fein homiletiſchen Schlußwinfen nur zwei hervor, deren Bedeutung für die Gegenwart fein Kundiger unterfehägen wird, ben einen: Haupt zweck der Predigt ift die Weiterbauung ber Kirche, nicht die Ber friedigung der Welt der Gebildeten, dem anderen: man Hüte fich vor dem Wahne, duch ausfhließlihe Behauptung des menfhlihen Wefens in Chriſto den Charakter und da8 Werk des göttlichen Meifters am beften zu begreifen. Wohin diefe Bemerkungen zielen, ift ebenfo erkennbar als beachtenswerth daß die Quelle, aus der fie fliegen, einer Beimifhung von Bil: dungsfeindfchaft oder von fteif confervativem Dogmatismus under dachtig ift.

Zur Ergänzung unſeres Berichts über die Anlage des Sad’ide Buches fei nur noch bemerft, daß der Charakteriftit der einzeln Homileten kurze biographifche Notizen vorausgeſchickt und Probe ihrer Predigtweiſe beigegeben find, letztere bei dem Predigern ber älteren Zeit reichlicher, bei den neueren ſparſamer. Wie dieſe Un gleichheit nur angemeſſen erſcheinen Tann, fo muß die Auswahl der Broben für eine im Allgemeinen fehr glückliche gehalten werben. Sie war gewiß nicht Leicht, diefe Sammlung von Lefefrüchten a einer umfangreichen Lectüre, von der wir dem Herrn Verfafler a gern glauben, daß fie auch nicht durchweg anziehend war. Die

Geſchichte der Predigt. 2)

erbauliche Wirkung. diefer Proben wollen wir nicht ganz in Ab⸗ rede ftellen, ſchlagen fie indeffen nicht fehr hoch an, da nur felten ein Leſer diejer Predigtgejchichte als folcher in einer dafür gerade empfänglichen Stimmung fein wird; wohl aber wird das erreicht, daß der Lefer einigermaßen in den Stand gefegt wird, ſich felbft an der Kritit zu betheiligen. Was die Eharafterifti der einzelnen Homileten betrifft, fo ift vor Allem die große Schwierigkeit ber Aufgabe in Anfchlag zu bringen. Verkennen wird diefe Keiner, der jemals bemüht geweſen ift, unter nahe verwandten gleichzeitigen Geiftesproductionen eines und beffelben Stoffgebietes, und zumal eines fo beftimmt begrenzten, vergleichungsweife auch formell fo gebundenen, wie das der Predigt, fich der dennoch unterfcheidenden Eigenthümlichfeiten noch anders als blos im Gefühl bemußt zu werben. Nach unferm Dafürkalten ift die Aufgabe durch den in Uebung gefchärften Blick unferes homiletifchen Kritikers, und feine feine Beobachtungsgabe hier im Großen und Ganzen vortrefflic gelöft; es find comerete, farbige, neben und gegen einander Stellung nehmende Geftalten, welche diefer Prediger - Bortraitmaler zeichnet. Unahnlich dem Original haben wir, fo weit wir urtheilen können, keines gefunden. Ueber einen und den anderen Zug wird es frei ftehen, hie und da zu rechten. Unparteilichfeit und Gerechtigkeit des Urtheil® wird nirgend vermißt. Seinen reformirten Stand« punft macht D. Sad faum in einer anderen Form geltend, als in der einer gerechten Freude daran, daß zu der Auswahl bedeuten» derer und epochemachender Prediger der gefhilderten Zeit ein in der That nicht Heines Contingent von feiner Kirche geftellt ift. Die Thatſache ift zu augenfälig, um verfannt oder für zufällig erklärt werben zu können. Sie zeigt fich nicht durd die ganze Geſchichte der evangelichen Kirche hindurch, fondern nur feit dem Berfall der Predigt nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Unfer Verfaſſer deutet einige Male gelegentlich an, daß in ber teformirten Kirche das kirchliche Gemeindebewußtſein nie fo eingefchlafen iſt als in der lutheriſchen. Er weiſt damit ohne Frage auf eine der wejentfichften Grundlagen gedeihlicher Predigt Hin. Außerdem erinnert er, 3. B. bei Reinhard, an den unnatiir«

Li} B KIT 3

lichen Peritopenpwang. Daß derfelbe, bid zu eimterit Verbet um ben Oberhefprediger in Dresden, von den herkömmſichen Eangein abzuweichen, ausgedehnt, wohl verlummernd wirken bönme, wirkt müffe, wird auch wicht im Abrede zu ſtellen fein. Doch mar in BVorübergehen, und wo die Gelegenheit es mit ſich bringt, gehn D. Sad ſolcher comfejfionellen Befonderkeiten Hönsileiphet Art. Ein Punkt, wo wir uns nit durchuus in Tiebertinftiaum mit dem Herra Verfaſſer finden, ift fein Urttell über die halb oder ganzratiomafiftifche Predigt. Wusgehemb wor ein berechtigten, auch aufererſeits ſchon anerfannten, apologetiſchen 9 terefe für Homileten wie Spalding u. A., die fange geung m verfannt al gefammt, ungebührlich in den Winkel, wenn nik uoch übler placirt worden find, nimmt D. Sad diefeiben md unferm Dofürgalten gegen die vulgare Mißachtung zu viek in Gäu Bas er (S. 2). kommen ſieha, „Die geredhtere und theilnehmerden Beurteilung“, if} in gewiflen reifen unſerer Zeitgenoſſen, weihe für „NRettungen* eine leidenſchaftliche Vorliebe Haben, ſo ſehr ſchea da (fängt bie nenefte Kirchengeſchichteſchrelbung doch ſchon an, fih für den Berliner Allgenteinen Bibliothefe Nicolai zw ertointen), daß bereits vor allzu großer Gerechtigkeit zu warnen am ber Zeh zu fein ſcheint. So meinen wir, das Urtheil (S. 13) über „de älteren praftifchen Superuturaliften“ werde limitirt werden mlffen Seldft von Spalding tragen wir Bedenken, ein utterfchäittechcet Feſthalten an dem Grumde ber bibliſchen Offenbarung und ba Grundlehren des edauheliſchen Vekenntniſſes zu präbiciren. Cem fieht der Mann fehr würdig auf dem Poften feinte Zeit; mi Wärme, mit Begeifterung und im Segen die damals hast ang: focgtenen Wahrheiten der natürlichen Religion, umd mit ihnen ex wat Stüd Chriſtenthum vertheibigend. Seine perſonliche Eier haftigleit und Liebenswürdigleit, dieſer vebliche WBorfehungglink, dies fromme Gottoertrauen, diefet tiefe ſitiliche Eruſt, bieſe herr Ge Anhanglichteit an Jeſu, welche er und feine Genoſſen in fd uud Anderen Gegen und pflegen, find Hoher Auerleunung wei; ja ruhrend und befchäsmend iſt die Treue und Cewifjinpaftigft, mit der diefe Männer als Chriſten und Prebiger ihr Pt ne

Geſchichte Ber Predigt. [23

waltet Haben, aber jenes grumdfägliche Anffichberngenfaffen ſolcher für unpraktiſch und nicht nutzbur erflärten, Barum von der Predigt außgefchkofferten Lehren, wie Trinität, die beiden Naturen in Chriſto, Genugthuung, fa ſelbſt der Fundamentallehre won der Rechtfertigung durch der Glauben ohne bie Werke kann nicht mehr umerfehütters fies Fefthalten am evangelifchen Belenntnig genannt werden. Bar die Predigt, welche am diefen Grundfehren unerfchütterlich feſthtett, damaks großenthells vetknöchert und verſteinert, fo wun dern wir ans Meinen Augenblick, wenn die damalige Zeit vum der Spaldingſchen Prebigt ben Eindruck ber Frifche und des Lebens empfing, daran eine Freude Hatte wie am neuentdeckter Wahrkeit, und davor wie trech lang eingeathmeter Kellerluft den Geruch eines grunen Feldes einfog, ja mir nehmen nitht Anftend, fie fubjetio ala einen Fortſchritt zu bezeichnen; aber Männer wie Ernefti um Herder erhoben duch eben darum Widerfprinh gegen bie Spafdting’- fen Grundſätze, weil fie darin das Gegentheil von unerfchilttertem Veftgalten am evangeliſchen Bekenntniß fahen. Noch mehr hätte bei Ferufalem der Eorfliet zwiſchen Chriftentkum und natur tier Refigion, den er zu überwinden außer Stande wur (je möchten wir die uwerſöhnten Elemente lieber bezeichnen, al® mit D. Sack af S. 56 „Verftandesstldung und Gefirhleteben, die nicht wahr haft Eins geworden"), mach unferem Dafitchaften anerkannt werden ſollen. Befonders aber ftoßen wir umd an Abraham Telter’s Einreihung unter die „Älteren praktiſchen Supernaturuliſten“. Wir nehmen bed Herrn Verfaſſers eigene Schilderung diefes auf &. 366 mit Zollikofer zuſammen als Bahnbrecher der rationaliftiſchen Pre digt angefehenen Urhebers des, man darf doc, wohl ſagen, berüch tigten Wörterbuches über das N. T. gegen dad Recht jenes Platzes in Anfpruch. Daß Teller in der Predigt nicht gegen die Kirchen⸗ Ihre polemiſirt Habe (S. 98), Tantı nicht hoch angefehlagen werden. Das war üͤberhaupt nicht Ste Meife der chrenhafteren, zumal in Höheren Kechenümtern flehenden Prebiger der Bolt; ſolches Ware gehen verbot die hochgehaltene prudentia pastoralis. Wenn von Derder hervorgeheen wird, daß er einmal ſchonungelofer gegen den Orthodoxismus in der Predigt auferat, fa iſt za bedenlen, daß

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er damals 27 Jahre alt war. Die Nachbarſchaft, in melde Tel mit Predigern wie Sturm und Tobler gebracht ift, zeigt recht ea tant die große, dem Verfaſſer natürlich durchaus nicht unbekanm Differenz zwiſchen Teller und diefen wirffihen Supernaturalifte. Für die Erinnerung an den heute in Deutfchland wohl fehe fremd gewordenen Tobler, ben treuherzigen ſchweizeriſchen Prediger un ascetiſchen Schriftfteller, der aber unferes Wiſſens nicht 1719 in Züri, fondern 1732 zu St. Margarethen im Rheinthal geborm iſt, fei beifäufig dem Herrn Verfaſſer Dank gefagt. Und da wir Tobler hier mit Sturm fo zufammengeftelft fehen, fo möge erlaubt fein, einen in der Zeit einigermaßen überrafchenden Zu confeſſloneller Feindſchaft zwifchen Beiden anzuführen. Beide lic gleichzeitig Erbauungsſchriften für Communicanten ausgehen. Stum findet in der Vorrede zur zweiten Auflage der feinigen: „Heilig Betrachtungen eines Communicanten“ angemeffen zu bemerfs: „Sch Tann bei diefer Gelegenheit nicht umhin, einer Schrift Er wähnung zu thun, welche beinahe zu gleicher Zeit mit meinen Be trachtungen an das Licht getreten: Ehriftliches Nachdenken, auf ver nünftigen und. andächtigen Gebrauch des heiligen Abendmahls gu richtet. 2. Abh. Zürich 1763 +). Blos die Liebe zu dem Glauben, den zu befennen ich fo glücklich bin, bewegt mich, dag ich mein Leſer erſuche, ſich nicht durch das verborgene Gift der focinianifgen Irrthümer, welche in diefen wenigen Bogen enthalten find, ver führen zu laſſen. Meine Schrift ift diefen Betrachtungen gan unähnlih, und ich freue mi, daß ich dies mit Wahrheit foge Kann. Der barmherzige Gott verhüte dies Unglüd bei mir, di ich nicht ein Läſterer feines Namens und feiner Geheimniffe, os ein heimlicher Verächter feiner Heiligen Sacramente werde.“ Doch es werde und vergönnt, unfere obigen kritiſchen Br merkungen wieder aufzunehmen. · In der Beurtheilung der „Hrif: Tihen Moralprediger“ feines dritten Zeitraumes zeigt de verehrte Herr Verfaſſer und zu viel Gunft, und gegenüber de

a) In Tobler's ſammtlichen Ebenaugelqritten Garich 1776) fieht fr = weiten Bande, ©. 79—160.

Geſchichte der Predigt. 758

leeren Nüglichkeits« und der abgefchmadten Naturpredigt zu viel Glimpf und Schonung. Es fei ferne, den Veillodter's und Marezoll's das Brädicat „hriftlih“ im jedem Sinne abzuſprechen; fie mögen es fogar in einem volleren Sinne tragen, als in dem, ben fie felbft G- B. Marezoll in feiner Schrift von der Beftimmung des Kanzelredners, wo er die Frage: was ift Hriftlich? des Breiteren beantwortet) damit verbinden. Aber fo gefliffentlich ihnen verliehen, tie etwas ihnen unterſcheidend und eigenthümlich Zugehöriges, ober doch in vorzüglichem Mage Gebührendes, Hat das Prädicat etwas Srrefeitendes. In welcher Losgeriſſenheit von den hriftlichen Lebens« wurzeln die „Tugend“ bei Marezoll auftritt, Hebt unfer Herr Ver⸗ faffer felbft hervor. Es fei uns geftattet, auf feine beiden An- dachtsbucher, bie hier wohl ben Predigten gleichgeftellt werden birfen, u verweifen. Das eine unter dem ftolzen Titel „Das Chriſten- tum ohne Geſchichte und Einkleidung, ein Andachtsbuch für nach⸗ denfende Chriften“, fehrieb er als 24jühriger junger Menfch, freilich anonym; das andere „Andachtsbuch für das weibliche Gefchlecht, vorzüglich für den aufgeflärten Theil deſſelben“ ein Jahr fpäter. In der Vorrede zu jenem, das er in bie vier Abfchnitte getheilt bat: von Gott, von der Vorfehung, von der Verehrung Gottes dur die Tugend und von der Unfterblichleit, meint er, „daß ben» fende Ehriften, die fich doch immer mehr an das Geiftige, Unver- änderliche und Praktiſche beim Chriftentfum halten, ganz vorzüglich folhe Schriften nöthig haben, wo fie die Hauptwahrheiten der Mer figion, welche keinem Zweifel und keinen Streitigkeiten unterworfen find, worüber ſich alle Parteien vereinigt haben, und welche un⸗ mittelbar zur Tugend, zur Ruhe des Herzens, zur Volllom- menheit und Gfücfeligkeit hinwirlen, von Gefchichte, Meinungen und Einffeidung ununterbrochen vorgetragen finden“. Darin ift doch Bewußtfein des Widerfpruhs mit dem wirklichen Chriſtenthum nicht zu verfennen. Denn das wirkliche Chriftens thum ift ja wohl unter der Gefchichte und Einkleidung zu verftehen. Der Tebendige Ehriftus, defien Wort: „ohne mich Könnt ihr nichts tun“, feine Junger fort und fort als gültig erfennen, ift das Mittel, der Aufenthalt und das Hemmniß, mit defien Umgehung Theol. Stud. Jahrg. 1868, 60

Tu DIT

der junge Marezoll bie denlenden Chriften unmittelbar zur Tugend u. f. w. führen wird. Man fage nicht, das fei die Nr eines unreifen Junglings. Nein, dies grüne Holz hat, ala a bürrer wurde, dem lebendigen Chriftus, der Geſchichte fein Lebens, Leidens und Sterbens feinen anderen Platz gemäßrt. Dice Anmaoßlickeit und Selbftzufriedenheit, mit welcher dieſer jngendlict Candidat fi aufmacht, für nachdenkende Chriften und für den anf gelärten Theil des weiblichen Geſchlechts Andachtsbücher zu wr fertigen, um ein bisher unbefriedigte® Bedürfniß der Dienfhkit damit zu erfüllen, ift ein hervortretender unangenehmer Family im Angeficht des damaligen Rationalismus.

Wenn wir nun ſchon diefe Moralpredigt als Verirrung fcärfe bezeichnet gewünfcht hätten, fo vermifjen wir nach mehr ftrenge Worte des Tadels, ja des Zornes gegenüber jener tiefften Ens fremdung der Predigt von ihrer durch unjern verehrten Verfaſſer bei jeder ſich darbietenden Gelegenheit tremlich feitgehaktenen Anl gabe, wie fie auf dem Gebiete der Natur- unp Nützlichkeits⸗ predigt erfchredend zu Tage tritt. Den vollen Eindund von der Tiefe des ſeit der Reformation beifpiellofen Verfalls der Predigt, aus welchen bie Hand des Herrn durch feine erwählten Werke, Schleiermacher, Menken und die Anderen, unfere evangeliſche Kirk auferftehen ließ, empfängt der Lejer aus D. Sach's Bude vicht Wir erkennen die edle Gefinnung, das feine Pietätsgefühl du theuren Verfaffers gern an, momit er das Gebiet, defien Greyn er berührt hat (S. 241), fchleunigft verläßt, es weder für be lehrend noch erfreulich erachtend, von Solchen zu reden, die fd noch weiter bis zu Vorträgen über Blatternunpfung verlgren. & wiß, es gibt in geſchichtlichen Darſtellungen eine verwerfliche Ba Hiebe für die parties honteuses des beſchriebenen Gebiets, m gleihdar dem Wohfgefallen an der chronique geapdaleuse ia gemeinen Leben. Gin evangelijcher Geſchichtſchreiber der Prag unferer Kirche, ber ſich zur Aufgabe ſetzte, dieſe pndenda bericht mit behaglicher Ausführlichkeit aufzudecken, wärdg uns ſcheiuu etwas dem Vergehen Ham's Verwandtes zu thun. Aber in Mr Geſchichtſchreihung muß doch auch das Unerfreulichſte deine Eid

Geſchichtz des Predigt. FOR

Reben, menn ap im der eichichte einngl wirllich feine Ftelle hatte: Kemen fie bo mit pichten fa vereinzelt vor, jene Predigten au Befrderuug der, landwirthſchoftlichen Wehlfohrt u. dol., wurden ſſe doch nicht guwa vom den, Wortirerg. der Zeit perhorregeirt. In dem Han fo wemhaften Predigexn, mie Zeller und Laöfflar, bennmsgegehsuen Megen Magazin für Prediger finden ſich ſolche Wrehigten wir „nom munprüchligen Waden! aber „pie auz #8 für cum Tagelbhuer iff, wenn ex mehr ala gine Arbeit yerrichten hama“ u. ſ. m, mid yon dem exſten Redacteur dieſes Magaziva Bad. Gottl. Beyer, erſchien sin Ichsanug VPyedigten üher Gegenſtunde aug bes Natur nah den eygngeliſchen VPerikoyen. z. B em auften heiligen Pfingſitoge „Über die Luft“, am Trinitatiefeſte übe das Nicademusenangefiug: „pas Windee, am seien Gpuntang nach Triwitatig gelegenklich ded reichen Mose und armen Yazarıg

vom Feuer“, om zweiten Sonutag un Triritatzz ni Grund

des Enangeliums nom großen Abendmahl, wie ſchr Gott auf digſer Erde gefargt habe, daB fein Gas well wende“, am dreinhnten Sannjage nach Trivitatis „dag Del und Wein zwei wichtige Ger ſchenle der Vatue Selen“, am dreiundzugnaäigſten Senntage nach Trinitatie vach dem Bindgrofihenenangelune „vom Gelde“, am vierundzwamiaſter Corsage nach Tyzivitstjg auf Bexaplaſſung her Grweclung non Yairk Türbtrafein „nam Schlgfe“. Abgewandten Nugefichts folgen tatalen Banferut qufdecken, um hama ben durch Gottas Guahe ſich wieder hehenden Wohlſtand her Predit yir Darftektung zu bringen, ſcheinn, um im Bilde weiter au gehen, mit den Mietöt her beſſeren Naahsſohne mohl uarrinher.

Ein andeser Punkt, bei des uns sin paax Gegenhexerkungen wergäunk fein mögen, iſt hie won dem Garn Barfakler feiner Ger ſchichte zu Grunde gelsgte Pexjodiſirung. sn ſchon die Grundtgeitung in mei ſa ungleiche Parinhen von achtzig Id Han monde Jahren nichts Sefäliges kat, und wir nersichen wurden, deren drea aufaußellen, nämlich sine des noch vorherrſ zendan Subernaturalismusß hig @. 1775, hie zweite des hart⸗ [Senden Rationaliomus bis 4, 1810, hie dritt, der Na⸗ beichung der Predigs bis 6, 1884, jo tneffen unisre Bedenlen

09°

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doch vorzugsweiſe jene fpecieflere Zheilung ber erften Periode ne bie drei Zeiträume bis 1770 (die älteren praftifchen Supernati- fiften), bis 1790 (die Schriftbegriffe hervorhebende Prediger), i 1810 (Morafprediger u. ſ. w.). Im Wirffichfeit find ſich ih Richtungen nämlich fo zeiträumfich nicht gefolgt. Am wenigen ift des in jeiner Qualität als Zwiſchenjeit · fo ftarf betonte Jr zehend von 17801790 ein Zeitraum bibfifcherer Predigt, wir # nad) diefer Theilung unfehlbar erjcheinen muß. Die vornehuin Repräfentanten dieſer „Zwifchenzeit”, Lavater, Herder, 3. J. hi find ebenfogut Zeitgenoffen der Teller, Sturm u. j. w., aldas der Zollilofer, Rofenmüller u. f. w., während fie bier jenuy folgen, dieſen voranzugehen feheinen. Die beiden zwiſchen Here bis Lavater und Heß eingefchalteten Ewald und Detinger halten wit dort theils fachlich, theils zeitlich nicht an ihrem Plage. Bon if fann unmöglich gejagt werden (S. 160), daß fie ſich an Lavak und Herder angefchloffen Haben. Nah unferm Dafürhalten it Ewald pafjender mit Sturm zufammen zu ftellen; feine Nat predigten charafterifiren ihn. Der alte Detinger gehört ar entfchieden in den vorigen Zeitraum, perührt er doch faum mit dem Ende feines Lebens den Anfang diefer „Bwifchenperiok'. Auch die Geſellſchaft, in der wir ihn auftreten laſſen würden, wirk eine ganz andere fein. Welche? erlauben wir uns fpäter furz a: zudeuten. Auch für Zollikofer wünfchten wir eine andere Stlk; trogdem was von feiner unterſcheidenden Eigenthümlichkeit gefag wird, erfcheint er doch von feiner natürlichen (Zeit- und Gefinmung:‘ Genoffenfchaft zeiträumlich getrennt. Daß er fpecielfere ethiſte Themen behandelt, macht feinen großen Unterfchied, und aud Tee liebte ſehr fpecielle Themen. Neben bdiefem dürfte Zollifofer = paffendften ſtehen; er it ihm durch feine Anficht von der Bikl und ihrer Transponirungsbedürftigkeit aus dem Hebräifchen in dat Germanifche (wie unfer Verfaffer auch S. 189 Hervorhebt) nk verwandt, wenn auch vednerifch ungleich mehr begabt, ja unter Alt: diefer Zeit Mosheim an Clafficität der Rede am nächſten ſteher theilweife vieleicht ihm übertveffend, ein Redner, von dem Gem fagte: „er empfand tief und fah kalt aus“, der Jeinem Aubitoriem

Geſchichte der Prebigt. 787

amer. imponirte, auch wenn er, wie in den Tegten vier Jahren ines Lebens ausnahmslos *), feine alten Predigten wiederholte. Ohne Frage wird fir die nähere Gruppirung bei folder Ge» Hichtsdarftellung die Subjectivität ihr Recht behalten, und uns mmt es nicht in den Sinn, hierfür Maßgebendes aufftellen zu sollen. Aber was wir nach dem eben Angedeuteten hier für In—⸗ onvenienzen nad) diefer Seite halten, ließe fich vielleicht durch eine nder& gegliederte Periodifirung vermeiden. Wir würden innerhalb er drei von und vorgefchlagenen Perioden auf eine weitere Zeit» ntheilung zu derzichten für zweckmäßig Haften, und in der erften jeriode (1740 bis c. 1775) unterfcheiden: a. Epigonen der Or- jodoxie (wenige bedeutende Nepräfentanten, aber doch von Leipzig nd Tübingen aus fi contingentirend: Erneſti, Morus, Storr); " Epigonen des Pietismus (Phil. Srefenius und die Würtemberger Steinhofer, Carl Friedr. Hartmann, Carl Heinr. Rieger, Flattich, Nagnus Friedr. Roos und bie Theofophen Oetinger und J. 8. zricker); c. Reaction gegen dieſe abfterbenden Richtungen, und Beftreben, die Predigt dem Bebürfnig der Gegenwart anzupaffen, nit Feſthaltung des evangefifchen Bekenntniſſes (Mosheim, Cramer, Ing. Sad u. A.); d. Ueberwiegen de reagirenden Elementes, der Jeitbildung, mit beginnender Indifferenz gegen das evangelifche Befenntniß, die mehr und mehr dem Preisgeben deſſelben fich nähert Spalding u. 4. Teller, Zollitofer); e. Singuläre Geſchmacks- ichtungen, tie die fentimentale Predigt im Young’fchen Geſchmack. Die beiden erften Richtungen unter a. und b. in feine Gefchichte ufzunehmen, Tag nicht im Plane des Herrn Verfaffers (vgl. Vor⸗ de, ©. V); aber es ift nicht zu verfennen, daß ihre Darftellung ücht blos in eine Prebigtgefchichte des Jahrhunderts von Mosheim 38 Schleiermacher hineingehört, fondern ohne diefelbe der Lefer eicht den unrichtigen Eindrud empfängt, ald wenn diefe älteren homiletiſchen Strombetten mit Mosheim’s Auftreten fofort verfiecht

a) Dies berichtet ein enthufiaſtiſcher Verehrer Zollikofer's, der ihn gerade in biefer Zeit regelmäßig hörte, in einer Meinen, übrigens höchſt unbeden- tenden, Schrift: „Gejchichte meiner Bildung zum Prediger”. Suizbach 1820.

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waren. Hier Be d. erhält nm auch Ortinger feine Yitige Su lung Ad Geſellſchaft. Damit wird denn auch Sibbeitfäähb, m un namhaften Domcleien der mit Moshelm anthebenden Bildes: limte, anf welche D. Sal es eigentlich faft ausſchließtich abyrfia, auffalleud arm Ft, mehr auf den Plan yebradht.

. Bötdudzufchideh wurden wir fir anhenteſſen Halten ein fen: marifehe Darftellung des Predigtzuftandes, den Mocheim vorfen Bequuem ließe ſich ſolche an Reinbeck, den theslogiſchen Wolfe, hit welchem and D. Süd den Uebergang ans der alten Zi die mit Mosheim auflommende neue dezeichnet, eben dein dt 3.3. Rambach zu nemmen, vom jenem erkennbat derſchan doch durch verftändigen Gebranch der Wolf'fchen Phitefppäk ft die Predigt verwandt, anſchließen. Auch bie Atigfich piehfftt Berdtonang Hot 7. April 1739, deren unſet Verfafſer Etwühnun het, ohne Höfer auf fit einzugeheit, iſt fehr brauchdar yet Chr ralieriſtit fire die Vrebigtiweiſt, die damals gang und gabe wi. Ste dringt auf logtſche Ortung, präcpen Ausdruck, paffende mb ohne Auwelldung von BIbeeieh, Enthaltung won bitktelt gwishen Redensarten und üllegeriſchen Ausdrucken. Sch ftachtbar Meike dazi verglichen wetben Be Verbrdnung daB dur furſilich ſuchfiſchen Oberebuſtſiorinms vorm 16. Noventher 174, needed Getenlheil einſchürft, ſich des Phil bſ ophirens mi ber Rangel zu euthalten, uad die verwandte, geharniſchee Inſtrurin far Schleswig⸗ Holftein, welche bie unnkgen Berbeistään in der Predigt vetbietet und die bittiſche Begrundung drin utenplehtt. Man ficht: bas alſo wat um die Zeit des Auftren Moehenns Wer hetrſchende homtetiſche Gegraſcch, wicht mehr Ef Die reif Where (Lelpziger) und die piriſtſe Gaͤlleſche) Predigt, ſondern bie ſozenununte phildſophiſche und ir fozenanutte bibliſche Predigt, fee in trottene unfruchthure Dein fwatronsfucht werfäutenb, vicfe ent Eento Bla Bihelſpruchen der ſtellend, ſalbadernd ohne Gedankenzucht, beide an Gefegmadiefiks miteinander wetteifernd. In ſehr bezeichnender Webereinftimmm damit fermulirt denn auch der Göttinger Philolog Gesner das fe mitetiſch Reformatoriſche im Moeheim fo: „Uebekur illi matt

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in melius coneionandi ratio, illa media et utrinque redactä, hine ab ipsa corradendi sine more modoque, quidquid cohvenit vel non convenit, intemperantia; hine a sicco ilo et exsangui genere demonstrandi, cujus operä, quae apparebant omnibus, fiunt obscura, et quae indubia erant, convelluntur, illa, inguam, quae sine spinis dialecti- corum vim omnem demonstrationis et amplius quiddam, nempe persuasionem in animis hominum exserit“., Man fah deshalb in Mosheint, der die Predigt, im Unterfchiede von jenen beiden Richtungen, der einen fo gut wie ber anderen, wieder unter dem Tünftlerifchen Gefichtspunfte faßte, ganz beſonders aud den Wieberfyerfteller des guten Gefhmads, als melden ihn z. B. Gellert preift.

Die zweite Periode von 1775—1810 würden wir etwa im diefe Abſchnitte zerfallen laffen: a. Fortſchreiten der DVerfümmerung des edangeliſchen Kerns in der Predigt (Marezoll, Veillorter u. A.); b. Negirung deſſelben, tieffter Predigtftand (die leere Moral und Nutzlichteitspredigty; c. Reaction gegen die herrſchende Strömung, theils vom evangelifchen, theils vom äfthetifchen Standpunkte. auß (Herder, Lavater, Reinhard); d. Nachwirkung älterer homiletiſcher Ricgtungen (Schöner, H. Haſenkamp u. A.).

Für die dritte Perlode von 1810—1834 hätten wir erhebliche Defiderien in Betreff der Gruppivung nicht. Freundlicher Ermä- gung anheimgeben möchten wir die Frage, ob die Zufammen- ftellung von EI. Harms und 2. Hofader als Ermedungs- prebiger („Evangeliften“) eine ganz zutrefferide ift. Im Hofader’- ſchen Sinne ſcheint uns CL. Harms fein Erweckungsprediger zu fein; ihm fehft durchaus die methodiftifche Ader. Viel mehr fordert ans Dräfele und El. Harms zu einer Zufammenftellung auf; beide find fehr original, beide arbeiten fih aus einem gemäßigten und gemuthvollen NAutionalismms heraus, wenn auch jener viel langſamer; beide find geiftreich, meitherzig, ſprachgewandt. Was Dräfete betrifft, fo Hätten wir eine ftrenger durchgeführte Son- derung feiner früßeren und fpäteren Zeit gewünfdt. Die mehr als wunderliche Licenz von Bibelterten eigenfter, von Luther feltfam

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mauthwillig abweichender, Ucberfegung gehört ganz der früheren Zeit an. Als pofitifcher Prediger fähen wir ihn gern mit Schleiermader in Paralfele, die freilich fehr zu Gunften diefes ausfallen würk. Der feinere Tact, die größere Befonnenheit, die maßvollere Leiden ſchaftsloſigkeit, das reiner bemahrte Gepräge der religibſen, kr kirchlichen Rede, der Predigt find auf Schleiermacher's Seite. Bir ftimmen D. Sad mit Freuden bei, der diefe Schleiermacher'ſchen Predigten „großartige“ nennt. a, fie waren ein wirffamer Facır in der Gefcichte der Zeit, wir wagen zu behaupten; Berlins gi ftige Phyfiognomie in jenen Tagen würde ohne Schleiermahet Predigten eine andere gewefen fein; fie find ung ein immermik rendes Mufter, das wir heute wieder ſowohl Denen vorhalte, die auf der Kanzel tactlos politifiren, als auch Denen, die Tategos riſch fagen, die Predigt habe ein für alle Mal mit Politik niht zu ſchaffen. Der Unglimpf, welden Dräſeke am Abend fein Lebens erfuhr, thut auch uns weh; aber erfuhr er ihn ohne Pro vocation von feiner Seite? Dräfele war überhaupt eine provo- eirende Erſcheinung; Neigung, Bewunderung, ſchwärmeriſche Glori⸗ fication, aber auch Berftimmung, Verdroffenheit, ſtarke Abneigung provocirend. Seine Perſon trat ebenfo gewaltig hervor. Uns - ft. fein bedeutender geiftlicher Nebner vorgefommen, der fo vice angehende Prediger, namentlich wifjenfchaftlih weniger tüchtige, zur Nachahmung reizte. Sie ſahen durch Dräfele’s Predigten augen bliclich eclatante Eindrüce hervorgebracht, und leiteten dieſe aus dem Augenfälligften an ihnen, der ftomatifchen und ſomatiſchen Begabung und ihrer Verwendung Seitens des großen Redners db; diefe Begabung bei ſich jelbft entdeckend, oder fo gut es ging m weckend, meinten fie Achnliches zu vermögen; fie irrten ſich übe den Sig der eminenten Predigerbegabung bei dem Meifter, und ihre Nachahmungsverſuche fielen Häglih aus. El. Harms anlangend, fei und vergönnt zu bemerken, dag wir ihn im Ganzen günftiger anfehen, als unfer Verfaffer ihn anzufehen ſcheint. Bir konnen auch nicht zugeben, daß es beſonders ſchwer jei, das Eigen thumliche feiner Predigten darzuftellen und ihm gerecht zu bear: theilen. Wir meinen, das gerechte Urtheil über ihm wird das fen,

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Geſchichte der Predigt. 781

weiches ihn extra legem ſtellt und ihm in feiner Originalität, zu der auch das Paradore gehört, fein eigenes Recht läßt. Harms hat wirffich ein Privilegium, mit feinem Maß gemeflen zu werden. Bon feinem merhwirdigen Auffage: „Mit Zungen reden, lieben Brüder“ unter dem Motto aus Plinius „nec sum contentus eloquentia saeculi nostri“ (Stud. u. Krit. 1833), ift bei einer Darftellung des Predigers EI. Harms nicht wohl abzufehen; er ift die Incarnation der dort aufgeftellten Säge. Unfer Herr Ber- faffer gedenkt des Auffages nicht, wie er grundfäglic die Theo» tie der Predigt von feinem Buche ausgefchloffen Hat. Er verzeihe uns, wenn ums feine Motivirung diefer Ausichliegung, die er aber zu unferer Freude, und daß wir fo fagen Genugthuung, factifch keineswegs durchführt, nicht überzeugt Hat. Wie der ger nannte Auffag von CI. Harms nebft dem bezüglichen Theile feiner Baftoraltheologie zur homiletifchen Charakteriftil diefes originellen Zungenrebner8 das Ihre beizuftenern im Stande ift, jo auch The⸗ temin’® „Beredtfamfeit eine Tugend“ für die Charakteriftil diefes, antike, franzöfifche und deutfche Redeeigenthümlichkeiten in fich eini- genden Prediger. Die Predigten ftatt aus ihnen felbft, nad den Theorieen der Prediger zu beurtheilen (S. 358), wäre darum nod nicht die Pflicht des kritiſchen Gefchichtfchreibers, der auch die Pre⸗ digttheorie grundſätzlich in feine Darftellung aufnähme. Die geringe Zahl vorzüglicher theoretifcher Werke Homiletifchen Inhalts in dem befchriebenen Zeitraum (S. IV) ſcheint uns aud fein ftichhaftiges Motiv für ihre Nichtberüdfichtigung. Nehmen wir übrigens zu den genannten die bezüglichen Spalding'ſchen, Herder'ſchen, Reinhardt’ ſchen, Schott'ſchen, Schleiermacher'ſchen Schriften Hinzu, fo ift ihre Zahl auch fo-gering nicht, und die Fluth von „Anweifungen zur geiftlichen Beredtſamkeit“ in Rofenmüller’fcher und Ammon'ſcher Manier enthält gerade fo viel Vorzügliches als die entſprechenden Leiſtungen auf bem Gebiete der Predigt. Die durd; Röhr ver tretene jrationaliftifche Predigt führt unſer Verfaſſer als Reaction gegen bie mit dem zweiten Jahrzehend auftretende evans geliſch neubelebte Predigt ein. Iſt es nicht naturgemäßer, fie ale Vortfegung des breiten Prebigtftroms der vergangenen Zeit anzu»

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fegen? Milerbings tritt, je mehr die bibliſch· und kirchſcc · guch Prebigtrichtung erftarft, and die rationafiftifde polemiſch anf; dr jur Reachion feine jinfenden Sräfte famtmeind fchen wir ben ih ganz in bie Defenfive gerathenen Rationalienmd erft in fpätm Zeit, feit 1840, auf den Plan treten. Schon äußerlich gikt Nöhr als Erbe des Teller - Löffler - Antnien’fchen Nationales m erfehnen, indem er ihr Prebigermagazin fertfegt. Der Ratiencin mus fühlte fi damals noch entidjieden im Poffeß, und wir mim, va ſich eher die Predigt Tholuck's u. A. als Reaction gegen Kr talionaliftiſche bezeichnen laffe. Seiner Löblihen Weiſe ttm, k den minder erfreulichen Partieen in der Geſchichte der Prebitt ui breite Vollſtandigkeit zu verzichten, nennt ber Herr Verfaſſer, vi ſchon erwähnt, Röhr allein als Vertreter diefer ſpateren ratiom - uuſtiſchen Predigt. Wenn nur dieſer Lakonismus manchen Leſer anf tzier nicht zu der Meinung verleitet, der Weimar'ſche Genitel- fuperintendent habe im dritten Decenmbm unferes Jahrhumdern eine gar vereinfattte Stellung eingenommen. BVielleicht erwattet Mancher in einer Geſchichte der Predigt, die bis in das Wirte Decennium unferes Jahthunderts hineinteicht, doch eineh Namen wie Schmalz u. A. Ucberhaupt, werm Verfaſſer auch feht Fakt hat (S. 7), Mic bie bedeutenderen Männer auf dem Gebitte der Vredigt zur Darftellung bringen zu wollen, und fein Gier bechech tetes Maß anf allgemeine Zuſtimmung zu rechnen Hätte, fo vet⸗ amiffen wir dennoch manchen Namen. So erſcheint uns die Ucher gehung Zinzen dorf's durd die Bemerfangen S. 316 nid gerechtfertigt; wenn vor Albertini nicht bezweifelt wirb, dag er af die Predigt außerhatb Herrnhut's eingewirkt babe, fo iſt dies m Zingendorf noch viel weniger zu bezweifeln. Welche wunderden Gewalt Haben feine Berliner Heben in weiten Kreiſen audgeikt, als fie gehalten wurden. Anftatt des Kitchenhiftorilers Kertle, von dem eine einzige Caſualrede vorjuliegen Füheint, hätten wir eh ertwartet, Prediger wie Tzſchirner, Löffler, Rlefeder Joh. Frieder. Krauſe zu begegnen. Die ©. 329 Auf gezählten hätten wir gern an ihrem Orte eitgerdiht gefehen, ſo den trefflichen, auch ſchon menig mehr gekaunten Daniel Mäslin

Geiätäte der Predigt. vos

neben Reinhard, Eylert und Ehrenberg nem Kanften und Ribbeck, Ooßbach atben feltten Lehtet Schlelermacher, Rudel⸗ bach und Stier nah dem Abſchnitt, Neue Anregungen“.

Ja wir geheft, was die freilich ſchwer zu begrenzende, und wir funmren ganz bei, fehe ſubjertive Forderung der Volfftänigfelt anbetrifft, noch eitten Schritt weiter, und möchten für die Geſchichte der Predigt außer ber in gedruckten Predigtſammlungen vorliegenden Literatur noch weitere Quellen in Anſpruch nehmen. Eine Geſchichte des Drama's ſetzt fi zufammen aus der vorliegenden drammatifchen Literatur, und doch wird auch fie über die Bücherwelt hinausgehenb, um die tHentralifche Aufführung, um die Aufnahme beim Publikam fich zu kummern haben. Eine Gefchichte des Kirchen⸗ ledes, um lit näher liegendes Beiſpiel zu wählen, wird geichtpft aus dert Hin und Her verbreiteten Liederſammlungen, doch wirb auch fie der muhſamen Unterſuchung fich nicht entichlagen können, das blos In den Buchern Deponirte von dem tm Herzen der Gemeinde Lebenden, das in den Beſitz Aller Uebergegangere von dem zu feiner Zeit und in feinen beſchrunkten Raumgrenzen Blühenden zu fordert. Mit der. Prebigt aber ift es noch etwas Beſonderes. Daß fie noch eine andere Bubfichtion erfährt als bie des Lebetrdigen Vortrags in der Getmeinde, iſt ihr nicht weſentlich. Im Ganzen ift wohl darauf zu rechnen, daß die Prebigt der Meifter in ber Yonitetifjen Lunft, ober Derer, die ihrer Zeit dafiir galten, ben Weg in He Preſſe findet. Unkehren freilich darf man den Say ja nicht. Andererfeits wer keunt nit eine und bie andere bedeut⸗ ſame, telch geſegnkte, Ptedigerwitkſamkeit, von deren homiletiſchen Lelftüngen, ſei es wegen ihrer, fo zu ſagen, ſtegereiflichen Beſchaf- fenhelt, ſei es burch die Beſcheibenheit ihrer Urheber, oder wegen der Stille aid Verbotgenheit ihres Schauplatzes, oder ans welchen urſachen ſonſt wenig wber nichts über die guttesdienftftche Stinbe und Aber die Setlen der Höret Hmaus firirt wird. (Aus after Zeit erintaen wit an Calbin, der wahrlich viel und wefflich geprodigt Bat, won deſſen tauſtnden Ptedigten aber wenig gebruckt iſt; aub ſpatetet Zeit om Whitefiels und Wesley!) Melk ein Meint und zufalliger Theil der geſummten Wrebigt if doch, was als homile

16 Sae

tijche Literatut gedruckt, wenn and maſſenhaft, vorliegt. bot

quod non est in actis, non est in mundo. Sehr wohl. Rır

daß wir die gedrudten Predigten nicht für die einzigen Acten erfen-

nen. Bifitefionsrecefje und ähnliche Urkunden in Synodal- und Eon:

fiftoriafarcjiven wer fie fich zugänglid machen Fönnte mühten manchen Quellenbeitrag zur Predigtgefchichte Tiefern. Nicht weniger die Special- und Rocal-Rirchengefchichte, Flugfchriften, Briefe, Tage⸗ büder, Biographieen von Predigern. Sollte die Ausbeute aus dieſen Quellen nicht erheblich fein, um die Bilderreihe der großen Humi- leten mit ganz neuen Namen zu bereichern, fo erweifen fie ih

vielleicht um fo ausgiebiger für eine vollftändigere, allfeitige, g- ſchichtlich treue und farbenreiche Charakteriftit von predigtgefchiht- lien Zeiträumen, von homiletiſch eigenthümlichen Kreifen. Auch in diefem Jutereſſe ift die Heutige regfame Thätigfeit auf dem bie- graphiſchen Gebiete, namentlich der quellenmäßigen Predigerbiogro- phieen, wie fie Ledderhoſe, Ehmann u. 9. neuerlich geliefert haben, mit Freuden zu begrüßen. So ift beifpielsweife da8 von Ehmann (Tübingen 1864) gezeichnete Lebensbild des württembergifchen Pre digers Joh. Ludw. Fricker (f 1766) fehr viel mehr als bios das Lebensbild diefes einen Mannes; es bietet überrafchend viel und intereffantes Material zur Charakteriftit der fpäteren pietiftifchen Predigt vornehmlich Schwabens, aber auch des unteren Rheinlandes Homiletifche Fragen von fundamentalfter Bedeutung werden dort zwifchen Fricker und feinen Freunden in einer Weife verhandelt, welche geeignet ift, das im Allgemeinen ſchwerlich mit Unrecht un⸗ günftige Urtheil über diefe fpätere pietiftifche Predigt nicht unbe trächtlih, und zwar zu ihren Gunften, zu mobificiren. Wir nr nigften® find überrafcht worden durch das Maß von homiletiſcher Kritit, das diefe in der Literatur meiften® ungenannten, frommen Prediger üben, und wie fie ſich das Brauchbare in den Zeittendenzen, 3 B. aus der Wolf'ſchen Philofophie, zu Nute gemacht haben Und felbft bei Homileten, von benen eine Binlängliche Zahl gedrudter Predigten vorliegt, würden neben biefen weitere Hülfsquellen zur Bervollftändigung ihres Charakterbildes möglicht zu fuchen fein, Ueber die immerhin erft in zweiter Linie wichtig,

Geſchichte der Predigt. 768

darum boch nicht unweſentliche Seite an der Predigt, den Vortrag, über die Aufnahme, welche fie fanden, fagen uns ohnehin die ge— drudten -Predigten nichts. Wir denken an Herder. Nach den jehe- undzwanzig Predigten, welche von ihm in feinen fämmtlichen Werten vorliegen, hat unfer Verfaſſer uns ein Bild von ihm als Homi- feten entworfen, dem es an Leben, und wie wir meinen auch an Wahrheit nicht fehlt. Wir geben namentlich auch darin dem Ber- faffer Recht, daß er die ſchroffe Differenz, welche von Manden zwiſchen Herder's früherem und fpäterem veligiöfen Standpunfte gefunden wird, mildert (vgl. au H. Erdmann, Herder als Religionsphiloſoph, 1866), wiewohl ein Aermerwerden an religiöfen Gehaft uns doch übrig zu bleiben fcheint, ebenfo wie bei Jeruſalem, Zollikofer, Häfeli, während, harakteriftifch genug, in der fpäteren Periode an Predigern wie Dräfele, Harms, Schleiermader und vielen Anderen das erfreulichere Gegentheil fich zeigt. Aber, da aus Weimar fo gut wie nichts gebrucktes Homiletifhes von Herder dem Herrn Verfaſſer vorlag (fiehe indeſſen die homiletiſche Zeit- ſchrift „Die Predigt der Gegenwart“ 1864, welde ihren Lauf mit einer homiletifchen Reliquie von Herder, einer Predigt aus der früheften Weimarer Zeit, 1777, eröffnet Hat), fo haben wir eigent ich nur ein Yugendbild des Predigers Herder. Ueber den Ein druck, den Herder’8 Predigten hervorbrachten, jagt D. Sad (S. 168): „Viele feiner Zuhörer wird er aus dem Schlummer herfümmlicher Anfihten, aus der Lauheit ihres religiöfen Gefühls herausgeriffen haben." Gewiß ift das mit Fug und Recht anzunehmen. Aber wie Hoch erwünſcht wären darüber gefchichtliche Zeugniffe. Ein paar Andeutungen dazu gibt ein Nachwort zu jener „homiletifchen Reliquie“ (Predigt der Gegenwart, 1864, ©. 10ff.). Es fieht im Uebrigen fo aus, als Habe Herder in Weimar, zulegt wenigftens, weder viel noch gern gepredigt. In ben foeben veröffentlichten (Grenzboten 1867, Nr. 21) Briefen Hagt Herder’s Wittwe un mittelbar nach feinem überrafchend eingetretenen Tode gegen Garlieb Merkel, daß ihr feliger Mann in Actenarbeiten (alfo wohl vor- nehmlich Eonfiftorialpräfidiums » Gefchäften) untergegangen fei. Sein Sinn ftand damals ganz nad literariſcher dichteriſcher Tätigkeit.

TER J Ratht

Die Wittwe ſchreibt 16. Januar 1804: Bit viel au gute Gedanlen wollte er noch ansführen und mußte kei X heiten und Eindrücen, die nicht für feise jortfühleuhe Seele warm, zu Orumbe gegen! wenn ich daran denle, fo ‚bricht mir dad. Gm, Ach, daß in Deutſchland nicht ein, ein Fürſt mar, der ihm ie Hand reichte, und ihn dem Hohen Beruf feinen Geiftes won Herzen, allein zu Ieben, erhielt!“ Wie anders Schleiermacher, dan ji Vredigerberuf fo viel Befriedigung gewährte!

Indeffen mit diefen geringeu Audeutungen hrechen wir ah. Bir Saben den fir eime kriiſche Anzeige der Sodſchen Cefchiiit ir Predigt nus zugewiefenen Raum wohl mehe als. erfüllt. Das dr terefje am der treffichen Arbeit, für welche wir mit Bielen dapfı find, hat uns meiter geführt, als wir un worgefeit hatten. K zweifeln nicht, daß fie, abgeſehen nom ihrem unmittelbar helskerng Inhalt, anregeud wirken und verwanhte Studien fürdem wir Bär unfere auſpruchslos und wet Herzlichen Rejpect gegem den had: verehrten Herrn Verfaſſer gemachten Vemerkungen hitten wir wa wohlwollende Aufnahme.

Profefjr D. ©. Enid.

8.

N. Rothe, Theolagiſche Ethil. 2. Auflage. Wi berg 1867. Band J. u. H.

Nur die beiden erften Bände der neuen Auflage ſeines smfany reichen Werkes hat der Berfaffer ſelbſt nach beforgen Können; willen in der Arbeit an der erneuten Darftellung der Ergebniffe feines Denkens, die er felbft im ber Vorrede als „eine Art vom mil ſchaftlichem Teftoment* bezeichnete, ift her treffliche Dann vor u genommen worden, viel zu frühe fir Theologie und Kirche, meiden gerade jegt Männer, mie er, hochnöthig mären, bie, ihren Gian-

theoloxſche Ct. m

must außer und über ben einzelnen kampfenden Parteien wihlend, or Anderen zu Briedenswittleen berufen find. Eines ſolchen Mannes wiſſenſchaftliches Teftament muß ber ganzen theologiſcheu Belt theuer und merth fein; denn gu da, wo man nicht unmit elbar ihm folgen kann, bietet das Werk der fruchtbaren Anxegungen enug und eröffnet die träßtliche Ausſicht auf veue MWahnen then ogiſcher Wiſſerſchaft, dir über die ausgefohrenen Geleiſe der alten barteien igenbmie hinauszuführen verſprechen.

Da es möglich: unfere Aufgabe fein Tan, dem ganzen reichtu Inhalt dieſer zwei Bande hier darzuftelfen, umſoweniger als der⸗ isthe hen Leſern der erſten Auflage ſchon ber Hauptjache nach her anut it, fa beſchränken wir uns darauf, einige Hauptpuukte und befonbers auch ſolche, in welchen die zwgite Auflage vom dem erſten abweicht, zu beſprechen. Zwar wird fi, jeder Leſer, der an biefe zweite Auflage mit der. Erwartung berantvitt, in ihr etwas we⸗ jentlich Anderes zu finden als in ber erſten, eutſchieden enttäufcht finden. Mt in doch das farwale Princip, die Methode der inseufatipen Conſtruetion, ganz das gleiche geblichen. Es foU ganz uur „wit Begriffen gerechnet werben"; „das Denken ichließt, fo lange es ſpeculirt, fein Auge nach außen ſchlechthin und ſchaut nur in ſich ſelbſt hinein, es folgt nur der dioleltiſchen Mir thigung, wit welcher jeder Begriff ans ſeiner eigenen Fruchtbarkeit wieder nene gebiert“. Auf den Einwand, der Rothe van yerſchie⸗ denen Seiten gemacht wurde, daß ein Denken, welches nicht anf bie Wirklichkeit vefleetirt, eben auch nur Unwirkliches, Lere Him- gefpinfte produeire, entgegnet er, daß die Meflexion auf die Wirl⸗ lichteit nachträglich freilich zur Speswfation hinzufommen müſſe, als Bropbe, ob letztere richtig couſtruirt habe, nur dürfe ſie wicht in die Urheit des Speeulirens ſelbſt ſich eiamifcgen; damit ift freilich jener Einwand nicht erledigt, dem es handelt ſich eben darum, oh ein rein aprioriſches fpontaues Produciren des wenſchlichen Deulens uͤbexhaupt möglich ſei, ob #8 wicht vielmehr zu feiner Thatigkeit ſelbſt ſchon ber Wechfelwirkung mit ber gegebenen Wirklichkeit ſchlecht bin bedürftig fer; und wenn der Verfaſſer auf die Wirklichkeit feiner Spanifation als: deu ſchlagendtten Beweis für hie Möglich

768 Rothe

lelt de8 Speculirens Hinweift, fo wäre eben bie Frage, ob mit die Begriffe, die vorgeblih „aus der eigenen Fruchtbarkeit ds reinen Begriffs heransgeboren“ fein follen, im Wahrheit nur A ftractionen aus der Erfahrungswelt find, die dem unfruchtbar fir fenden Denken als Wechfelbälge untergefehoben und dann von ihm als eigene Erzeugniffe anerfannt und ausgegeben werden. Weitn hin gibt der Verfaſſer auch das zu, daß man nicht mit leerm Kopf zur Speculation hinzutreten dürfe, fondern möglichft viel vn der Welt ſchon müffe in fein Bewußtſein aufgenommen he Allein was ſoll diefe Erfüllung des Bewußtſeins mit conere Inhalt nugen, wenn dann doch der Ausgangspunkt des fpeculati Denkens nichts anderes fein darf ald „der Act des reinen Di zumächft nur nad; feiner formalen Seite; das menſchliche Beni fein in feiner abfolnten Reinheit, nad) vollftändiger Abftraction u jedem beftimmten Inhalt, die reine Bewußtfeinsfunction‘ ? Cm fequent ift dies zwar vom Standpunkt des apriorif—hen Specufiri aus; wir erinnern daran, daß der confequentefte Idealiſt, 9.6 Fichte, eben auch von dieſem reinen Bewußtſeinsact, Ich ausging; aber er konnte von da eben auch nie zur wirklichen tommen! Doppelt fatal aber wird dieſer leere Ausgangspunlt ft für eine theologiſche Speculation. Diefe beftimmt der Bd foffer im Unterfchied von der philofopgifchen Speculation fo: I das Zchgefühl unmittelbar zugleich Gottesgefühl ift, fo hat N Urtatfache des reinen Denkens zwei Seiten: einerfeits ift fie Bel siehung bes Ichbewußtſeins, andererfeits des Gottesbewußtjein nach jener Seite ift fie Ausgangspunkt der philofophifchen, nal dieſer der theologiſchen Speculation; und zwar ftehen fich kit Ausgangspunfte an unmittelbarer Gewißheit ganz gleich, denn „Du Ichbewußtſein ift wenigftens innerhalb der Theologie, mit Vorausſetzung der unmittelbar frommen Erfahrung als Gotti bewußtſein ebenfo unmittelbar feiner felbft gewiß wie als rei Ichbewußtſein“. Wir find nun am wenigften gemeint, zu beftreit daß der Ausgangspunkt bes theologif—hen Denkens das if fromme Selbſtbewußtſein fein müfle; aber das leugnen wir, diefes chriſtlich fromme Selbftbewußtfein identiſch fei mit der

theologifche Ethik. 269

thatſache des reinen Denkens, mit der reinen (rein formalen) Be— wußtfeinsfunction nach volfftändiger Abftraction von jeden beſtimm⸗ ten Inhalt. Es ift je vielmehr eine fehr conerete Beſtimmtheit des Selbftbewußtfeins, eine innere Erfahrungsthatſache, die, weit entfernt, an die.Spige einer apriorifchen Eonftruction geftellt werden zu dürfen, vielmehr wie jede Erfahrungsthatfache durch Wahrneh- mung und Reflerion (nämlich auf das eigene und fremde fromme Selbftbewußtfein) erfannt werden muß. Damit hängt dann aber auch zufammen, daß das Gottesbewußtfein keineswegs, wie, Rothe will, dem Selbftbewußtfein in der Art coordinirt ift, daß von ihm eine der philofophifchen parallel Laufende theologiſche Speculation ausgehen Lönnte; das ottesbewußtfein it vielmehr nur eine (wenn auch centrale) Beftimmtheit am Selbſtbewußtſein und ſonach lann fich die theologische Speculation zur philofophifhen, die es mit dem Selbftbewußtfein überhaupt und nah allen feinen Beftimmtheiten zu thun hat, nur verhalten wie der Theil zum Ganzen, nämlich wie die Neligionsphilofophie zum Syſtem der Philoſophie. Wir können uns hiefür fogar auf eine Aeußerung ‚Rothe’s ſelber berufen; er fagt einmal (II, 172 Anm.), Gott fünne ebenfomenig für das erfennende Handeln des Menfchen un- ‚mittelbares Object fein als für fein bildendes Handeln; die fo ‚genannte „unmittelbare Erfenntniß Gottes“ fei nur „ein denfendes “Erkennen von ſolchen pſychiſchen Vorgängen in uns, welche Wir- kungen unmittelbar Gottes felbft in unſerer Seele find“ ; alfo ift das Gottesbewußtfein zunächſt ein pfycifcher Vorgang in uns, der “andern pſychiſchen Vorgängen coordinirt, dem Selbftbewußtfein aber, das alle diefe verjchiedenen Vorgänge in feiner punktuellen Einheit h mfammenfaßt, notwendig fubordinirt ift. Daraus würde ſich dann "auch, eine von der Rothe'ſchen Speculation wefentlich verſchiedene Methode ergeben: ift das Gottesbewußtfein zunächft eine pfycifche Wirkung Gotteg in uns, fo ift und zunächſt offenbar nicht Gottes Weſen an fi), fondern eben nur feine Gotteswirfung in ung ger geben; nur diefe ift das unmittelbar gemiffe; von ihr nur muß nach dem Schluß von der Wirkung auf die bewirkende Urſache erft auf Gottes Weſen zurüdgefchloffen werden und jo ift alfo der Dhedl. Stud. Jahrg. 1888. 5

770 Rothe

Gottesbegriff als wiſſenſchaftlicher, d. H. bie Erkenntniß des git lichen Wefens Reſultat, aber nicht Vorausfegung und Ausgam- punkt, aus dem ſich das Syſtem mit logifcher Sicherheit herum fpinnen ließe. B

Gehen wir mun auf da8 Materiale feiner Speeulation ein, Io ift e8 zunächſt der Gottesbegriff felbft, was zu beachten if. Wie in der erften Auflage, fo wird auch jet wieder das abjkıt Sein, ald reines, beftimmungslofes, ſich felbft verber genes Wefen, bloße Indifferenz oder Potenz des beftium ten Seins als das Promotore in Gott bezeichnet; nur ift es mt unmittelbar aus dem Begriff des „Abfoluten“ gewonnen, form mittelft eines Heinen Ummegs, der ala Verbeſſerung bezeitn werden muß. Nicht unmittelbar im Begriff des Abfoluten fat der des beftimmungslofen Seins (mie es nad) der erften Auflag ſchien), jondern e8 liegt darin vielmehr der des fchlechthin Durd- ſichſelbſtbeſtimmtſeins, eausa sui. Trefflich wird Hierbei ausgeführt, wie der jedenfalls unvermeibliche Begriff eines urfpräng fichen, durch ſich felbft feienden Seins nur dem Vollkommenen und nicht dem Unvolitommenen als Prädicat zukommen fönne, da dat Nichtvollkommene in irgend einer Beziehung durch Anderes caufırt fein mußte. Nun aber wird ans dem Begriff causa sul in Schelling'ſcher Weife weiter argumentirt, daß er ebenfomohl dr Nichtjein als ein Sein, ebenfowohl eine Möglichteit als eine Wit Tichfeit in Gott fege, und zwar fo, daß der Caufalität naf dit Möglichkeit oder das bloße beftimmungslofe Sein als der Wirth: feit voransgehend zu denfen fei. Während num in der erften Alf lage aus diefem göttlichen Wefen fich zuerft die göttliche Mut entwidelt Hatte und diefe durch Goncentration in ſich felbft die Pr fönfichfeit als das abjchließende Moment des göttlichen Selbfrr- wirffichungsproceffes aus ſich herausſetzte, jo ſoll jetzt die gättliht Perſonlichteit ausdrücklich das Erjte im actuellen Sein Gottes fi und foll dem meiteren Verlauf des Sichauffchliegens des göttfih Weſens als das treibende und Richtung gebende Princip vorftehe: näher aljo ſoll die göttliche Natur nicht die canjale Baſis für # Perfönlickeit, fondern das von der Perfönlichfeit im göttlihe

theologiſche Ethit. am

Befen gefegte Product fein. Was damit beabfichtigt wird, iſt Harz: 8 fol .der bei der früheren Darftellung naheliegende Schein ver- nieden werden, als ob die Perfönlichkeit und mit ihr die freie Selbftbeftimmung Gottes abhängig, bedingt und beſchränkt fei durch ine ihr vorausgefegte Natur, als ob die perfünfiche Freiheit in Hott eine unperfönlihe Naturnotäwendigfeit über ſich Hätte, wie Zeus das Fatum über fich hat. Die Abficht diefer Neuerung wäre jewiß loblich; das Mißliche daran ift nur, daß uns damit diefer Selbſtverwirklichungsproceß Gottes vollends rein undenkbar wird‘ orher Hatte er doch wenigftens die genaue Analogie des Werdens ver endlichen Perfönlichkeit aus ihrer Naturbafis Heraus für ſich; eat aber was follen wir uns dabei denfen, wenn göttlicher Berftand und Wille, und zwar in ihrer Einheit als Perfönlichkeit, . plötzlich, man weiß nicht wie, hervorbreden aus dem verborgenen und fehlechthin beftimmungslofen göttlichen Wefen, jenem reinen Sein Nichts, „in welchem fie zugleich mit allem andern Sein verfehloffen wären?“ Genetifch erklärt ift hiermit die göttliche Per⸗ fönfichkeit wahrhaftig nicht; warum alfo nicht lieber diefelbe einfach boftuliren und auf alle Erflärung als auf ein Ding der Unmög- lichkeit ſchlechtweg verzichten? Zudem kommt DVerfafjer mit diefer Schein-Deduction der göttlichen Perſönlichkeit in mißlihen Conflict mit feinen eigenen Vorausfegungen, wonach nicht das Unvollkom⸗ mene das Urſprüngliche und Grund des Vollfommenen, fonbern umgelehrt diefes der Grund von jenem fein muß; was aber iſt volffommener als die Perfönlichkeit und was unvolllommener als ein beftimmungslofes Wejen?

Ein weiterer Hauptpunft ift die Weltfhöpfung. Es war ein Hauptoorwurf gegen die frühere Rothe'ſche Darftellung derfelben, daß fie nicht ein freier Act des göttlichen Willens, fondern ein für Gott naturnothwendiger Proceß fei, fofern Gott unmittelbar mit feinem Ich auch fein Nichtich deuten und fegen mußte, nämlich als die reine Materie, welche er ſonach uranfänglich als unvermeidliche Schrante feines Ich ſich gegenüber Hatte. Dadurch ſchien ſowohl die göttficge Freiheit dev Welt gegenüber beſchränkt, als auch feine Abſolutheit durch einen dualiſtiſchen Gegenſatz aufgehoben. Rothe

dr

73 Rothe

gibt die Berechtigung diefer Vorwurfe gegenüber feiner frühere | Darftellung zu und fucht ihnen nun dadurd) die Spitze abzubredk,

daß er unterfcheidet zwifchen dem göttlichen Denken und Gera

feines Nichtih. Erfteres war zwar nothwendig mit dem Denken und Segen des ch gegeben, nicht aber auch letzteres; daß Gott das von ihm Hothwendig gedachte Nichtih auch fette, war ein Act feiner freien Selbftbeftimmung, die feinen phyſiſchen Zwang, wohl aber allerdings moralifche Nothwendigkeit in ſich ſchloß, fofern Gott das an ſich Vernünftige vermöge feiner eigenen moraliide Vollkommenheit nicht unterlaffen kann; e8 war die Nothwenbigkit

der Liebe, vermöge welcher Gott nicht anders konnte als fein Nidih fegen, um es fofort in feiner reinen Gegenfäglichkeit aufzuhche und zum alter ego feiner Selbft zu erheben. Und eben dies Let tere iſt's, worin die eigentliche Schöpferthätigfeit Gottes beftck, die wir aber fo wenig als einen einmaligen vergangenen Act denfen dürfen, daß fie vielmehr eine jet noch nicht vollendete, fondern in fucceffivem Fortſchritt durch alle Zeiten der Menſchheitsentwiclung hindurchgehende ift, die erft mit der fchließlichen Vergeiftigung der Menschheit ihr Ziel gefunden Haben wird. Aber auch mit dieſer relativen Vollendung fteht fie nicht ftill; nur eine ihrer Sphärn ift damit adgefchloffen; aber da die hiermit erreichte Volllommen⸗ heit im Verhältniß zur göttlichen Abfofutgeit immer noch umvol- tommen bleibt, fo geht die Schöpferthätigkeit über fie hinaus zu einer höheren Weltftufe, einer neuen Sphäre creatürlichen Dafeint und nad) deren Vollendung wieder zu einer neuen und fo fort in infinitum; immer reicher wird die Welt der Geifter, immer Ice diger und mannichfaltiger ihre Wechfelbeziehungen unter einande, immer völliger ihre Gemeinſchaft mit Gott, der in diefer creatär fichen Geifterwelt ſich felbft, jein anderes Ich findet und fomit ein immer reicheres kosmiſches Sein durch feine Einwohnung in den Geſchöpfen erreiht. Das find gewiß große und höchſt frudjtbere Gedanken! Wie lebendig geftaltet fich Hier die Beziehung Gott zur Welt in jedem Augenblict ihrer zeitlichen Entwidlung! ®& einfach fügt ſich in diefen Gedankenzuſammenhang die Lehre m der göttlichen Offenbarung ein, die Hier ganz wie vom felbft fd

theologiſche Ethil. m

ergibt als ein organiſches Glied in der ununterbrochenen Kette und in dem woohlgeordneten Laufe göttlicher Schöpfungsthätigkeiten; während fie nad der gewöhnlichen dogmatifchen Anſchauung fo ab» rupt, wie ein deus ex mathina, auftritt und fo wunderlic hinter der abgefchloffenen Schöpfung nachhinkt, daß fie faft nothwendig den Eindruc macht, als ob der Meifter feine anfänglich überhudelte und daher unſolide Arbeit durch nachträgliches Flickwerk wieder ausbeffertel Und dann die Theodicee, mit welcher freilich die ges wöhnliche Dogmatif durd ihre Lehre vom Fluch Gottes über die Erde nach dem Sündenfall jo überaus leicht fertig zu werden glaubt, die aber ernftlich denfenden Männern fo gewaltige Schwierigkeiten bietet, daß z. B. ein Denfer wie Loge an ihr verzweifelt, wie einfach geftaltet fie fich hier bei der Vorausſetzung, daß eben Alles noch erft im Werden, noch erft „in proviſoriſchem Zuftand“ ſich befindet, daher unmöglich ſchon fo fein fann, wie es feiner Idee nach fein fol!

Endlich die Lehre von der enblofen Reihe der Weltfphären, durch welche die Schöpferthätigfeit in infinitum fortgeht, welche groß- artige Berfpective öffnet fie dem ahnenden Blick in's Jenſeits! Wie erhellt, belebt und bereichert fie jenes Gebiet, das in der ger wöhnfichen Dogmatik unter der Rubrik: „ewiges Leben“ durch feine öde Leere uns mehr erſchreckt als beruhigt! Diefe Vorteile fcheinen mir jo gewichtig, daß ich um ihretmwillen mich faft entfchließen könnte, mit bebenklichen Punkten, die damit zufammenhängen, mic, zu ver= fühnen, vorausgeſetzt, daß fie wirklich mit jenen Vortheilen unzer⸗ trennlich im Zufammenhang ftünden, was doch noch fehr in Frage ftehen dürfte. Als unparteiiſcher Beurtheiler darf ich dies Bedenk⸗ ie nicht ganz mit Stillſchweigen übergehen. Es Tiegt hauptſäch- lich in der Lehre von der Materie in ihrem Verhäftnig zu Gott, die fomohl von Logifch-metaphufifcher als von theologisch-dogma- tifher Seite aus anfechtbar ift. In erfterer Beziehung ift Rothe felber ehrlich genug, die Schwierigkeit zu erwähnen, wenn er bie Frage ſich aufwirft: ob denn das Nichtich Gottes als ein contra= dietorifcher Gegenfag. gegen ihn, d. h. als reines Nichtfein und Nichtsſein, Überhaupt fegbar fei? Cr entgegnet ziemlich kurz: „was

77a "Rothe

Gedanke ift, ob auch rein negativer, ift auch fegbar“. Aber in dem Gedanken des Nichts liegt ja eben bie Negation des Geſct feins, d. 5. Dafeins, Wirklichſeins; wie fann man nus alſo pr muthen, das gedachte Nicht» Dafein doch zugleich als dafeiend zu denken? Dies ift nicht etwa blos unvorftellbar, fondern es ift als einfacher logiſcher Widerjpruch undenkbar; was aber an fich undeat- bar ift, das kann jich auch nicht durch den Titel eines göttlichen Thuns legitimiren. Es will uns feinen, als ob hier dem Ber faffer das befannte Quidproquo begegnet wäre, das im fpealr tiven Syftemen fo häufig vorkommt, dag nämlich eine Togifhelk ftraction in Gedanken hypoſtaſirt und diefe rein nur Logifche He ftafe dann ohne weiteres als metaphyfiiche Realität und Subiten, ausgegeben wird, welche Urſache realer Wirkungen fein könnte. ſoll hier die reine Materie, d. h. das geſetzte (Logifch = Hypoftafik) Nichts, die fubftantielle Baſis abgeben, aus welcher umd unter derm Bermittlung fofort Gott die Gefchöpfe Hervorbilde; und zwar ein Baſis von fo reeller Subftantiefität, von fo fpröder Widerſtande⸗ kraft ift dies reine Nichts mun auf einmal geworden, daß Gott nır ganz allmählich feinen Widerftaud zerfegen und aufheben kann, daß von ihm alles Defecte in der gejhöpflichen Welt, was ſich al Uebel fühlbar macht, Herftammt, daß es im perfünlichen Leben fih ſelbſt affirmiren und dadurd aus einem blos contradietorifchen zu einem conträren Gegenſatz gegen Gott geftalten kann, daß endlih bei der Vollendung der irdiſchen Welt dies zähe Element als Schladt, als caput mortuum zurücbfeibt, um fofort als materia prims der nächſten Weltiphäre verwendet zu werden! Und hier find wi zugleich auch auf die Punkte gekommen, gegen welche die theoir gifchen Bedenken ſich erheben. Die Anklage auf Dualismus juht nun zwar Rothe dadurch zu entkräften, daß er geltend macht, die Materie fei ja ihrerfeits amd fehon Geſchöpf Gottes umd jur (dies nach der neueren Darftellung) Geſchöpf feiner unbedinge freim Selbftbeftimmung. Allein jo ganz im felben Sinn, wie fr anderen Geſchöpfe, kann denn doc die Materie nicht. wohl Gefhi - Gottes heißen ; ſchon Deswegen nicht, weil nach Rothe diefe ak, fowie auch die Welt im Ganzen, ale Eompler der einzelnen Ge

theologiſche Ethil. 776 ſchöpfe, einen Anfang haben und überhaupt dem göttlichen Schaffen die Zeitlichkeit weſentlich zukommt, die Materie dagegen, als Einheit von Raum und Zeit, nicht felbft zeitlich gefhaffen ift, fondern an- fangslos. Dies fheint nun faum anders zu benfen als fo, daß vor dem Anfang der eigentlich ſchöpferiſchen, d. h. geſchöpfebildenden, organifirenden Thätigkeit Gottes eine Zeit war, und zwar eine anfangslofe, aljo a parte ante unendliche Zeit, in welcher es außer Gott reine Materie gab. Bedenken wir num, daß die reine Materie der ſchlechthinige Gegenſatz gegen Gott ift, fo dürfte die Confequenz kaum abzumehren fein, daß Gott eine a parte ante unendliche Zeit hindurch dualiſtiſch befchränft war. Doc ginge das vielleicht noch an, wenn der unaufgehobene Gegenjag blos a parte ante beftünde; dann könnte die Abfolutheit Gottes dadurch gemahre erſcheinen, daß er ja felbft die Macht wäre, um bie felbitgefegtt Schranke fchlieglich wieder aufzuheben; der Zweckgedanke der end- lichen Wiederherftellung würde über die anfängliche Beſchränkung der Abfolutheit hinmwegheffen. Aber das Mißliche ift, daß auch. a parte post der Gegenjag unaufgehoben bleibt, ſofern auf jeder Creationsſtufe die Materie als irrationaler Reſt zurück bleibt, mit welchem Gott die alte Arbeit aufs Neue beginnen muß. Dem gegenüber dürfte die Anklage auf Dualismus doc auf ihrem Rechte beftehen. Uber wie? hängt denn nun nicht diefe Unüberwindlichkeit der Materie mit dem oben gerühmten Gedanken einer endlojen Reihe von Weltfphären und endlos fortgehender göttlicher Schöpfer» thätigfeit ungertrennlich, wie Grund und Folge, zuſammen? Nach Rothe ſcheint dem allerdings fo zu fein, denn er fagt ausdrücklich ($ 457, Anm.), daß jede fpätere Einzelfphäre der Schöpfung an dem zurücgebliebenen Niederfchlag der ihr zunächft vorhergegangenen ihren Keim habe, durch den fie mit jener in organiſchem Zufam- menhang ftehe, und nur fo bleibe die Continuität des Welt undurd- löchert, welche durch den Begriff der Schöpfung, als einer von Gott verurſachten Entwidlung der Creatur aus fich felbft heraus, gefordert werde. Ich geftehe, daß ich mich durch diefe Argumen- tation nicht überzeugt fühle. Die Continuität der Schöpfungsftufen ſollte durch ‚die zurücgebliebene reine Materie, in welcher gar feine

776 Rothe

Präformation der fpäteren Geſchöpfe liegt, fonbern bie bloße di. ftracte Möglichkeit, die noch rein bejtimmungslofe Potenz für du göttliche Formiren berfelben, befjer und ficherer gewahrt fein a durch den idealen Zufammenhang ber göttlichen Schöpfungside, in welcher doch nothiwendig die einzelnen Weltftufen wie Glieder cms in fich einheitlichen Syftems zufammenbefaßt und von Emigfeit her auf einander geordnet fein mülfen? Und menn die Gontinuität nicht blos im idealen Schöpfungsplan, fondern auch in der gefhägfe lichen Welt irgendwie gewahrt fein foll: ift dies micht ſchou ir durch gegeben, daß ja nach Rothe felbft die vollendeten Geifter fie früheren Weltfphäre bei der weiteren göttlichen Schöpferthätigtet irgendwie beteiligt find, daß aljo der Verlauf einer fpäteren Wet ftufe nicht ohne den mitwirkenden Einfluß aller früheren fich vol. zieht, ihr Reſultat aber jedesmal einmündet in die allumfaſſende Gemeinfchaft des ganzen bis dahin gewordenen Geiſterreichs? Oder würde e8 am Ende ohne das immer zurücbleibende Reſiduum von unbezwungener Materie an Stoff zu neuen Bildungen fehlm? Bei Rothe fieht es allerdings fo aus; wir aber werden die Ga— rantie für das Nieftilleftehen der fchaffenden Lebendigkeit Gottes lieber in feiner eigenen unerfchöpffichen Lebensfülle als in einer ihm gegenüber unbezwingfihen Widerftandsfraft der Materie ſuchen Demnad dürfte die geiftreiche Eſchatologie Rothe's doch nicht ger radezu ſolidariſch ftehen oder fallen mit feiner Lehre von der Materie. Und dafjelbe wird auch der Fall fein bei den andern Worzügen, die feiner Schöpfungsfehre nachzurühmen find. Jene Succeffivität des göttlichen Schaffens, welche ein fo lebendiges Verhältniß Gottt zur Welt begründet, welche die Theodicee fomohl als die Lehre om der Offenbarung fo wefentlich begünftigt, ift bei Rothe allerdingt bafirt auf die fpröde Natur des Arbeitsmaterials, auf welches Gott einwirkt, der Materie; allein ſchwerlich ift dies bie einzige denkbar Borausfegung zur Begründung eines fucceffiven Schaffens. Die kann ja feinen Grund ebenfogut wie in dem zu bearbeitenden Br ‚terial auch in dem zu bewirfenden Zweck haben; der Zweck x göttlichen Schaffens find zugeftandenermaßen die creatürlichen Geifte: diefe aber können ihrem Begriff nach, als freie ſich felbft beftimmen«

' theologiſche Ethil. 7

Weſen, nicht mit einem Schlag in's fertige Dafein geſetzt werben, ſondern nur ihre Anlage kann gejchaffen werden, bie Verwirklichung derſelben aber muß ihnen felbft überlaſſen bleiben, und dazu bebarf es der Zeit, und zwar nicht blos eines kurzen Zeitraums, fondern der ganzen langen Gefchichte der Gattung; befteht nun aber voll» ends das ganze Geifterreich aus verjchiedenen Gattungen und Stufen von Geiftwefen, fo ift damit fhon gegeben, daß die auf diefen Zwed gerichtete göttliche Schöpfungsthätigkeit als eine fucceffive, nie abgefchloffene, daher als eine nie rein volllommene, fondern immer nur für ihre jeweilige Stufe, fonah relativ, volltom« mene gedacht werben darf. Hiermit ift, wie mir ſcheint, auf teleologiſchem Wege einfacher und ungefährlicher dieſelbe Schöpfungs- Tehre deducirt, welche Rothe aͤtiologiſch durch feine Lehre von der Materie begründet.

Daffelbe, was für Gott der Gegenftand feines fuccefftiven Schaffens ft, die Aufhebung der Materie in ihrem Gegenſatz zur Berfönlich- feit ober Aneignung der Materie an die Perfönlichkeit, Vergeiftigung der Materie, daffelbe bildet auch die fittlihe Aufgabe für die Thätigfeit der creatürlichen Perfönlichkeiten. Man Hatte auch hier- gegen einen ähnlichen Vorwurf erhoben wie gegen die Rothe'ſche Schöpfungslehre: wie diefe mehr ein phyſiſch-nothwendiger als ein ethiſch⸗ freier Act Gottes zu fein fchien, fo machte man auch gegen den Begriff des Sittlichen als „Zueignung der materiellen Natur an bie menfchliche Perfönlichkeit“ geltend, daß damit nur das natürs liche Thun des Menfchen befchrieben, nicht aber feiner freien Selbſt⸗ beftimmung in der dee des fittlich Guten ein Geje vorgehalten fei. Und bis auf einen gewiffen Grad gibt Rothe auch Hier die Berechtigung diefes Vorwurfs zu und fucht nun den Mangel zu verbeffern durd die Unterfheidung des Sittlihen vom Moralifhen. Die moralifche Aufgabe ift die: ſich schlechthin ſelbſt, nämlich als Perſönlichkeit und fomit auf perfönliche Weife, zu beftimmen, oder: in alfen Functionen fi denkend und wollend zu verhalten; das aufgegebene moraliſche Gut ift demnach „der Menſch in feiner abfoluten Selbftmacht oder Auterufie, die fchlecht- hin vollendete irdifche Perfon“. Dies ift mun aber zunächſt eine

778 Rothe

bloße Formbeſtimmtheit des menſchlichen Handelns, wobei vom Object noch ganz abgejehen ift, die deswegen auch durchaus leer ü und fomit ein Materialprincip zur Ergänzung bedarf. Und dieit lann nur genommen werden aus den Objecten, auf welche fich das menfchliche Handeln richtet; es find die zwei Verhältniſſe ds Menſchen zur irdifchen Natur und zu Gott, aus welchen ſich die zwei Seiten des Handelns ergeben: erftens das fittliche und zwei tens das religiöfe; beide find unter ſich coordinirt, aber dem gene: riſchen Begriff des Moraliſchen (d. h. Freiheitlichen, durch Selh- beſtimmung Gewordenen) ſubordinirt; fie bilden den conenm Inhalt, ohne welchen es zu feinem wirklichen Handeln fün; das Moralifche aber bildet die nothwendige Form, ohme meld das Handeln fein freies, alſo auch wieder fein eigentliches Han dein wäre. Durd die Voranftellung des „Moralifchen“ ift es erreicht, daß das ſpecifiſch Ethiſche in feinem Unterfchiede vom blos Natürlichen ausdrüdlic gewahrt ift. Manche werden freilich aud wieder in diefer Beftimmung der moralifchen Aufgabe und des moralifchen Guts den wahren Begriff des fittlich Guten ale eine Geſetzes für das Handeln vermiffen. Ich geftehe, ihnen nicht bei⸗ ftimmen zu können; das ſittliche Gefeg muß ja doc gewiß im Menschen jelbft liegen, und was kann es dann anders fein als eben der eigene Begriff des Menſchen, das, was ihn zum Menjchen macht? und dies ift ja doc wohl eben nichts anderes als feine Berfönlichkeit? Daß in dem richtig gefaßten Begriff derfelben auf ſchon das richtige Verhältniß zur materiellen Natur, zur menfd- lichen Gattung und zu Gott mitgefeßt ift, dafür wird die pſyche logiſche Subftruction der Ethik ſchon ſorgen; wie denn aud bi Rothe mit dem normalen Verhalten: des Menschen zu ſich felbit als Perſonlichteit die Normalität des Verhaltens zur Natur und zu Gott unzertrennlich zufammenhängt. Daß von dem Berhäktuis zu Gott nicht unmittelbar auszugehen fei, fondern die Morafität zumächft auf die Idee des Menſchen und erſt von diefer ans mit telbar auf die Idee Gottes zu bafiren ſei, das „gehört“ allerding „mit zu der unveräußerlichen Errungenfchaft ber gegenwärtige Bildung“. Zu kurz kommt darum das veligiöje Verhältniß doch

entogifäe Chi. 7”

keineswegs; denn vermöge des Verhältniffes der creatürlichen zur göttlichen Perſonlichkeit (als das Abbild zum Urbild) kann der Menſch, wie Rothe trefflich ausführt, feine eigene Perſönlichkeit nur durch Hingabe an die göttliche volllommen verwirklichen, fo daß fie ihrer eigenen Idee wirklich und materialiter entſpricht. Die Aute- - zufie der Selbftbeftimmung, welche moralifche Aufgabe ift, wider» fpricht alfo ber Abhängigkeit von Gott jo wenig, daß fie vielmehr nur zu Stande fommt mittelft des Sichvongottbeſtimmenlaſſens. Gewiß wird der proteftantifche Theologe diefe Beftimmungen über das Verhältniß des Religiöfen zum Moralifchen nur billigen können. Mißlicher fteht e6 aber um das Berhältniß bes Religiöſen zum Sittliden (im engeren Sinn aneignendes Handeln auf die Natur). Zwar darin hat Rothe freilich Recht, daß es ein religiöfes Handeln rein als foldhes nur in abstraeto gebe, in Wirklichkeit aber nur mit und an dem fittlichen Handeln, nämlich als fittliche Behandlung (Bearbeitung) der Welt, welche das einzige Object eines Handelns fein kann, mit Beziehung auf den refigiöfen Zwed, nämlich auf die Zueignung der Welt an Gott oder auf das Reich Gottes in der Welt. Allein, wenn num daraus weiter ge- folgert wird, daß die Frömmigkeit nirgends ſonſtwo wahrhaft da fei als in der Sittlichleit, nämlich in dem concreten fittlichen Arbeiten an der Welt, dag nur in diefem der Gebanfe der Gemeins ſchaft mit Gott zum Dafein komme, daß es fein anderes Gott lieben gebe als die unbedingt Bingebungsvolle Arbeit am fittlichen Zwed, fo ift diefes Alles entfchieden chief und beruft augenfcheins lich auf einer Verwechſelung des frommen Handelns mit der Fröm⸗ migfeit ſelber; die Frömmigkeit geht ja aber nicht auf im religiöfen Handeln (im praftifchen fo wenig al8 im theoretiſchen), fondern ift etwas Befonderes für fi), das jenem zwar zu Grunde Tiegt und in jenem ſich äußern muß, das aber doch auch eine eigenthüm⸗ liche LebenstHätigkeit für ſich ift und darum auch in eigentHlimlichen Erfgeinungen fich bethätigen darf und muß, nämlich im Cultus, und das einen eigenthümlichen Kreis gemeinſchaftlicher Bethätigung fi bilden darf und behalten muß, nämlich die Kirche. Die nicht . mit Unrecht viel angefochtene Lehre vom Aufgehen der Kirche im

oo Rothe, Ieslogiide Ei.

Staat und des Cultus in allgemein fittlicher Gefelligkeit und Kt beruht zuletzt auf der Nichtunterfcheidung der Frömmigkeit von refigiöfen Handeln; und biefe Nichtunterſcheidung war frühe nahegelegt dadurch, daß Rothe das Ethifche nur auf das aneignenk Behandeln der Natur befchränfte; nun er aber im Begriff da „Moralifchen“ einen tieferen, innerlicheren Begriff des Ethik aufgeftellt und dieſem das fittlihe Handeln ausdrücklich fubordinit hat, wäre es, wie mir ſcheint, nur confequent geweſen, auch fir die reine Frömmigkeit einen ihr eigenthümlich zugehörigen Orts Geiſtesleben abzuſtecken und damit den anjtößigften Punkt des guy Syſtems zu befeitigen.

O. Bfleiberer.

Smbalt des Sohrgange 1868. 7

Inhalt des erften Heftes. D

Abhandlungen. ö Seite 1. Köflin, Calvin's Institutio nad Form und Inhalt (1. Artitel). 7 2. Steig, des Papias von Hierapolis „Auslegung der Reden des Herrn“ nach ihren Quellen ꝛcc. 68 3. Hollenberg, Bonaventura als Dogmatiter .. 86 Gedanken und Bemerkungen. 1. Rüetfchi, exegetiſche Bemerkungen zu den Spruchen Salomo's.. 188 2. Laurent, ber Pluralis maiestaticus in-den Theffalonicherbriefen . 160 NRecenfionen. -1. Baur, Borlefungen über die chriſtliche Dogmengeſchichte; rec. von Möller . 22 Eee 169 2. Riehm, D. Herrmann Hupfeld, und Hupfeld, die Prime. sr, heransg. v. Riehm); Selbftanzeige von Riehm . . . 184 3. Haud, theologiſcher Jahresbericht; rec. von Ebrard. . . . . 195

Inhalt des zweiten Heftes.

Abhandlungen. 1. Riggenbad, über bie Rechtfertigung durch den Glauben . . . 201 2. Groos, über den Begriff der zeig bei Johannes. . . . . . 244 3. Wahl, über die Seeleulehre Meifter Edhart'8 . . 2. ..... 273 Gedanken und Bemerkungen. 1. Röohricht, zur johanneiſchen Logoslehte . 2. 2 000 u 299 Necenfionen. 1. Gaab, der Hirte des Hermas; vec. von Zahn. » 2.2.“ 319

»

. Graf, die geſchichtlichen Bücher des Alten Feftamentes; rec. von Riehm 350

8. Tischendorf,-Appendix codicum celeberrimorum Sinaitici Va-

ticani Alexandrini ete.; rec. von Laurent. ©. ......... 380 Miscellen.

Programm der Haager Gefellfchaft zur Berebigung der chriſtlichen Re- Baion für das Sub 1867 2 2 0 0 ne 386

762 Inhalt dee Zehegeugs 1888.

Iuhalt des dritten Heftes.

Abhandlungen. Saite . Beyihlag, Feſtrede am fünfzigjährigen Gtiftungstage der evange- liſchen Un . o 2 200 . 397 2. Köftlin, Calvin’s Institutio nach Form und Infalt; 2 Letter . 410 8. Steig, die Tradition von der Wirffamfeit des Apoſteis vehamna in

Epheſus* 481 Gedanken und Bemerkungen. 1. Burk, nochmals über Sal. 2,6. . © 2 > 2020 527 " NRecenfionen. 1. Böhmer, Beanziscn Hernandez und Frai Franzisco Ortiz; rec. von Wilkens— 537 2. Ehrenfeuchter, aus dem Nachlaß von Ernfl Bit; m von Mahlhäußer 2 2 22er 2. 562 Inhalt des vierten Heftes. Abhandlungen. 1. Plitt, über die Lehrweiſe der böhmiſchen Brüder ı. . » . . . 881 2. Schrader, zur Tegtkeitit dee Pjalmen. . . » 0.» 3..Cinder, der Uniousverſuch des Duräus in der Schweiz 1654-1662 6 Gedanken und Bemerkungen. 1. Riehm, über Sargon und Salmanaffat . » » » » - a 6868 2. Märder, über die Zahl 666 in Offb. 18, 18 . LE) Necenfionen. 1. Klofermann, das Markusevangelium nad feinem Duellenwerthe . für die evangelifche Gef ichte; vec. vom Weib - 2. +.» 706 2. Sad, Geſchichte der Predigt in der deutſchen evangelifhen Kicche 2c.; ve. von Eofad . on. FE ee 718 3. Rothe, theologiſche Ethik; rec. von O. Rfleiderer . . 0... 766

verthes· Buchdruckerri in Gotha.

Im gleichen Berlage ift erſchienen:;

Die Jugendjahre des Prinzen Albert von Sachſen⸗

Coburg: Gotha, Prinzgemahls der Königin von Eng- fand. Unter Anleitung J. Maj. der Königin Victoria zuſammengeſtellt von General-Lieutenant Hon. Charles Grey. Autorifirte Ueberfegung. . - gehefet Daffelbe gebunden . ZTrümpelmann, Aug., Die romiſche Frage vom m ürchüich— nationalen Standpunfte. Zweiter Abdruck Tüllner, Dr. G., Zur Arbeiter- und Dienftboten- Frage. ‚Ein hriftl. Wegweiſer f. Arbeitgeber u, Arbeitnehmer NB. 100 Exemplare diefer Schrift, in feften Pappdedel ge- bunden, liefere ich an Vereine 2c. für fieben Thaler. Tholud, Dr. A., Das Alte Teftament im Neuen. 6. Aufl. Otto, Fr., Das Abendmahlsopfer der alten Kirche Unvergängliche, Das, in den Beziehungen zwifchen Religion und Philoſophie Pa Pe RE Fr Schulz, Dr. ©;, Die Union. Eine gefcichtliche und dog« matifche Unterfuchung . . Zahn, F. M., Ein Gang durch Die heilige Geſchichte 53 Betraditungen über die Hauptfectionen des Filder Bibelfalenders .

Bobemann, Ir. W., Die Verbreitung qhriſtüicher Schriften,

infonderheit die chriſtliche Cofportage ein —9 Bedurfniß der Gegenwart . . . . ..

10

4% Brandt, M. G. W.: Carl Daniel Zuftus an Pre zu Nomnenweier. 2. Aufl... . . ui Daſſelbe, mit Photographie. . . 2 Ooſterʒee, Dr. 3. J., Zum Kampf und Frieden. Vier academiſche Vorträge und fünfzig Aphorismen. Aus

dem Holländif—en von F. Meyeringh. . . . .— 16 Chriſtern, Dr. Wilh., Verſuch einer pragmatifchen Si

dungs- und Entwiclungsgefhichte der Evangelin . 16 Gremer, Dr. H., Biblifch -theologifches Wörterbuch der

neuteftamentlichen Gräcität . . . 3 -

Gildemeiſter, Dr. €. H., Joh. Georg Hamann's, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 5 Bände 10 28 Hupfelb, Dr. H., Die Pfalmen. 2. Auflage, herausgegeben von Dr. €. Riehm. 1. und 2. Band. . . 4 Aloſtermaun, Dr. A., Die Hoffnung fünftiger Erloſung aus dem Todeszuſtande bei den Frommen des Alten Teſtaments... 1 Negiſter der Theolog. Studien "und Rritifen über die abe: \ gänge 1858/1867. . . . 16 Die früheren Regifter über 1828/1887, "Tasgyısar, 1848/1857 find ebenfalls noch zu haben.

Unter der Preffe befinden fi:

. » Polenz, Dr. G., Der franzöfifhe Calvinismus. 5. Band. Winter, Die Eiftercienfer des norböftlichen Deutſchlands bis zum \ Auftreten der Bettelorden. Lehmann, Dr. Joh., Die clementinifhen Schriften mit befonderer NRücficht auf ihr literarifches Verhältniß. Krauß, Dr. A., Die Lehre von der Offenbarung, ein Beitrag zur Philoſophie des Chriſtenthums. Gars, Dr. 3., Geſchichte von Polen. 3. Band als Staaten geihichte. 35. Lieferung. Zahn, Dr. Th., Der Hirte des Hermas.

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