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Theologiſche Studienmn und Kritiken.

Eine Zeitſchrift für das geſammte Gebiet der Theologie, in Verbindung mit | D. Siefeler, D. Lüde und D. Nitzſch,

herausgegeben

D. €, ullmann und D. F. W. C. umbreit, Profefforen an der Univerfität zu Heidelberg.

1847. Zwanzigſter Jahrgang. Erler Band. Samburg,

bei Friedrich Perthes. 4 8471.

Theologiſche Studien und Kritiken.

Eine Zeitſchrift für das gefammte Gebiet der Theologie, in Verbindung mit

D. Giefeler, D. Lüde und D. Ritzſch,

berandgegeben

D. &. ullmann und D. F. ®. C. Umbreit, Profefforen an der Univerfität zu Heidelberg. -

Hamburg, bei Friedrich Perthes. 18 4 T.

Snbalt des JSahrgangd 1847.

Erſtes Heft.

Yhandlungen. Seite

1. Schoeberlein, über das Verhältniß der perſoͤnlichen Ge⸗

meinſchaft mit Chriſto zur Erleuchtung, Rechtfer⸗ tigung und Heiligung. 7—

2. Bee, über die Pradeſttnation i 3. Tiſchen dorf, Nachricht vom vaticanifchen Bibelcoder, Mit einem Zacfimile in Stindtud . . . 19

Gedanken und Bemerfungen. 1. ulimann, theologiſche Aphorismen. (Zugleich Selbſtan⸗ zeige der Schrift: die Sünblofigkeit Jeſu.) . 155 2. Grimm, über das Goangelium und den erflen Brief bes Johannes als Werke eines Befflrs . . . 171 3. Ahelis, über die Bedeutung des Wort up . . 187

Recenfionen, 3. Umbreit, praktiſcher Sommenter über die Be beö alten Bundes. (Gelbflanzgeige.) - - . 209 2. Kliefoth, Theorie des Sultus der evangelifhhen Kirche; 240

3. Eübemann, über das Weſen bes proteflantifchen Gultus; | > Shrenfeudter 263

u Sahalt.

Zweites Heft.

——

Abhandlungen. Seite 1. Krönlein, Amalrich von Bena und David von Dinant 271 2. Bed, über die Prädeflinatin -. . . ..31

Gedanken und Bemerkungen.

1. Braune, die @ünden ber Wiedergeborenen - . 4371 2. Ruppredt, die Parabel von den Arbeitern im Beinberge . 396

Recenfion en, be Wette, das des Rn von Kirchliches. euͤcke, über die Nichtannahme des koͤnigsberger Deputirten D. Rupp auf ber berliner General⸗Verſammlung des’

QBuftoosXbolphvereine - . 0.2.0.4 Ullmann, ein Wort über benfelben Begenftand ee 5

Drittes Heft.

Abhandlungen 1. Ritter, über den Begriff une der a Philoſophie. 557 2. Ebrard, Mbukadnezeeeeeee 644

Gedanken und Bemerkunger. 1. Umbreit, ſieben Blicke in das erſte Kapitel der 701 2. Steffenſen, über Matth. 18, 45. und 6. . . 718 Necenfionen. 1. v. Baur, ber Begriff dee Philoſophie ec.; ver.

von Ritter 557 2. Rothe, theologiſche Ethik; rec. von Schweizer . . 735 3, Der deutſche Proteftantismus ; rec. von Schentet . . 723

4. Reber, Felix Hemmerlin; rec, von Herzog. ; . 808

1.

Jahalt. | 27 Biertes Heft.

Abhandlungen. Seite

Wieſeler, der Kanon bes neuen nen von Mu⸗ ratori . i e A . 815

Dressler, übe Jeſaja 17. 18. . ; 0.0. 857

BGedanten und Bemerlungen.

Dietlein, die Bedeutung ber Tantifchen Poitofopbie I die neuere Theologie . ä —— 889

Hofmann, altteflamentiihe Gtellen un. Stute ; . 916

Recenſionen.

Schweizer, bie Glaubenslehre der evangeliſch⸗reformir⸗ ten Kirche; rec. von Schnedenburger. . 7 Sartorius, die Lehre von der heiligen Liebe; rec. von

Schoeberlein. 9884 Mapte, bie natürliche Theologie des Raimundus von Ga:

bunde; zer. von Holberg . : g . 1028 Kirchliches.

Diedrich, iſt der Rationalismus me eine Kirche zu

bilden? ® ® > . ® . 1057

Abh andlungen.

Cheol. Stud. Fahre. 1847, 1

1.

Ueber dad Verhaͤltniß der perfönlichen Gemeinichaft mit Chrifto zur

Erleuchtung, Rechtfertigung und Heiligung. Von

Schöberlein, Repetenten in Erlangen.

um a

E. Tönmte Hberfläffig erſcheinen, über Rechtfertigung und Heiligunig und die dahin einfchlagenden Punkte noch etwas fagen, und thöricht, denfelben neue, zu richtigerer Einſicht leitende Seiten abgewinnen zu wollen, nachbem feit drei Sahrhunderten dieſer Begenftand mehr als irgend ein anderer Aller Bemüther befchäftigt hat und von allen denkenden, dem Firchlichen Intereſſe zugewandten Geiſtern im Unterfuchung genommen worden if. Allerdings iſt auch der Gegenfat in diefen Punkten nach allen feinen Seiten fo beleuchtet und bis gu feinen letzten Eonfeqnen» zen verfolgt worden, daß darin kaum ein neuer wiſſen⸗ ſchaftlicher Kortfchritt zu erwarten if. Nicht aber fo ridächtlih der Einheit, welche über dieſem Gegenfate

Waltet. 1 *

8 Schaseslce

Es ift natürlich, daß bie Kirche eine Wahrheit, welche fie einem tiefgewurzelten Irrthum in dem heißen Sehnen nad) Licht und Friede und unter den mühevollſten Kämpfen abgerungen hat, mit aller Liebe, Sorgfalt und Energie vorerft fefthalte, umgrenzge, weiter audführe, tiefer zu

begründen ſuche. Eben im Lichte dieſes Gegenſatzes muß ihr der neue Schaß doppelt lieb und werth, heilig und unveräußerlich erfcheinen. GEſs iſt diefe Treue des Feſt⸗ baltens für fie fogar nothwendig. Sie würbe Gefahr laufen, von der Wahrheit felbft fich zu verlieren, wenn fie, bevor fie des Gegenſatzes in feiner ganzen Schärfe fi Mar bewußt geworden, auf Bermittelung denken wollte. Erf wenn id erfaunt und dem Gegner nachgewielen habe, auf welche gefährliche Abwege uud in welche ver, derbliche Mißpräuche die Conſequenz feines Syſtems ihn führe, darf ich ihm zugeben, daß von einem höhern Stand» punkt aus feine Richtung eine relative Wahrheit und Berechtigung habe. Ich muß erſt gefichert im Eignen ſeyn, um mich frei urtheilend darüber ſtellen zu können; doch dann fol ich's auch. Weiß ich mich jenen Irrthümern gegenüber auch noch fo fehr im Rechte, fo darf ich doch nicht undeadstet laſſen, daß eben dieſe gegenfäßliche Stel- Inng, in welche ich durch die Belämpfung jener Irrthümer genöthigt worden, auch mich in eine gewifle Einfsitigleit könne gebracht und daran gehindert haben, den vollen Ausbdruck für die Wahrheit zu finden. Und dieß ſoll mich beitimmen,, aus dem unmittelbar gegebenen Gegenſatze heraduszutreten unb nach der Einheit zu fuchen, die beiden Gegenſaͤtzen ald erbaltende Lebenskraft inwohnt unb, während fie mein theuer errungened® Kleinod mir nur noch ſicherer bewahrt, mich doch zugleich auch unbefangen uud weitherzig genug macht, dem Beſitze des Gegners eine gerechtere Anerkennung zu Theil werden zu laſſen.

In jener Bezichung hat die Kirsche ihre Aufgabe ger löſt. Sie bat. die Fefleln des Gefetesdienfted, unter

ib.d. Verhaͤltniß der panflal. @emeinfp.mit Chriſto ec. 9

weihen die Seelen im Mittelalter gehalten waren, zer, brochen und das Evangeliun mit feiner Freiheit der Kin⸗ ber Gottes wieder unter und aufgerichtet, Sie hat den Renſchen des falichen Scheine feiner Gerechtigkeit eutklei⸗ bet und anf Ehrifti Gerechtigkeit gewiefen, die allein wor Gott gilt and durch kein Werk werbient, fondern nur als freied Guadengeſchenk durch den Glauben kann em⸗ pfaugen werben. Sie hat dargethan, wie ohne Recht⸗ fertigung eine wahre Helligung flattfinben Töne, wie aber ber rechtfertigende Blaube nothwendig auch gute Werke fchaffe, ja wie er eben die rechte, geiunde Quelle aller Heiligung fey.

Nachdem aber nufere Kirche fo jenen Irrthum ber fatholifchen überwunden hat, fol fie aus den Gegenfatze felb auch heranstreten und bie Wahrheit in der Einheit und Zotalität ihrer Momente zu erfaſſen fuchen. Denn unfer Blick darf nicht in der Bergangenheit befangen Bleiben; er fol anf Grund der Forderungen der Gegen, wart (und fürwahr die mannichfachen neuen Bewegungen derfelben mahnen dringend genug, an der alten Form wicht Heinlich zu halten) zugleich in Die Zukunft borbrin gen, welche und and den vielen Begenfägen zur urfprüngs lichen, nun aber in ihrem verborgenen Reichthum erkann⸗ ten Einheit wieber zu führen verheißt.

Zur Löfung diefer hohen Aufgabe fol andy bie fol⸗ gende Abhandlung einen geringen Beitrag liefern =).

) Da biefe Abhandlung eigentlich nur der andere Theil der im zweiten Quartalheft 1845 vom Verf. gelieferten „über die chriſt⸗ lie Berföhnungsichre” if, To möge man es entfchulbigen, wenn er von Manchem, was beiden gleijerweife zur Grundlage bient und dort bereits eingehender behandelt iſt, bier bloße Umriffe gibt und hinfſichttich der weitern Ausführung und Begruͤndung

auf jene Arbeit zuchdweiß.

10 Schöberlein

Der Menſch ik als Perſonlichkeit gefchaffen. Dar- in liegt ein Doppeltes: Selbfäheit und Gemeinſchaft.

IR ſchon deim Individnum überhaupt die Selbſt⸗ erhaltung Grundgeſetz des Lebens, ſo noch viel mehr bei dem perſoͤnlichen Indivibunm, weichem eine eigene, ſelbſt⸗ Ränbige, ewig währende Aufgabe geſtellt ift. Der Menſch iR durchaus mit Raturnothwenbigkeit an fich gebunden, nud felbft wenn er gegen fich wüthet, ebenfe als wenn er fi aus Liebe verleugnet, ift es dennoch im letzten Grunde, obwohl im entgegengefegter Weife, fein eignes Selbſt, dem er lebt. | Zudem Gott aber den Menſchen als ein fein ſelbſt bewußtes und feiner ſelbſt mächtiged Weſen nach feinem Bilde ſchuf, und fo, fein eigned Wefen ihm mittheilend, in Gemeinfhaft wit ihm trat, hat er in feinem Thun bes zeugt, daß der Zug nach Gemeinfchaft das eigenfle Weſen der Perfönlichkeit fey. Unter dem Einfluffe derfelben fin bet ſich der Meufh fchon vor, wenn er zum Selbſt⸗ bewußtfeyn erwacht und zur Selbſtbeſtimmung fich erhe- ben will; denn feinem Selbſtbewußtſeyn if das Gottes⸗ bewußtfeyn eingeboren, and bie ganze vorangehende Ent⸗ widelung feines natürlichen umd perfönlichen Lebens iſt nur unter ber Pflege Anderer gebichen. Für fie trägt er aber auch die eigentliche Beſtimmung im fich, Inden feine anerfchaffene Bottess Ebenbildlichkeit ih eben anf bad Einswerden mit feinem Urbilde und mit Allen, wels chen die gleiche Ebenbilblichkeit aufgeprägt ift, hinweiſt. Died fpricht fi deutlich genug in feinem Bebürfnig aus, an einer Auctorität fich zn halten und felbft gegen Andere fle zu üben, geiftige Anregung und Nahrung von Anbern zu empfangen and aus dem eignen Schatze An- dern wieder mitzutheilen.

Wie die Berbindung von Gentrifugals und Gentris petalfraft bie Welttörper in ewiger Bewegung hält, fo find Selbftheit und Gemeinſchaft die beiden Hebel des

&6.d. Berhältn. ber perſoͤnl. Gemeinſch. mit Ehriſtorc. 11

yerfönlichen Lebens =). Sie bedingen ſich gegenfeitig, fie erſtarken und leiden mit und durch einander. Wenn jebe Gele wahrhaft dem eignen Beten lebt, fo fördert fie dadurch auch das Geſammtwohl, wie der Dichter ſchön fagt: wenn die Rofe ſelbſt fich ſchmuckt, ſchmückt fie auch deu Barten.” Und Niemand Tan binmwieberum befler fein eignes wahres Wohl begründen, ald wenn er das bes Ganzen fchafft und fucht, dagegen ein fitten» unb charakterls ſer Menſch auch ein unbrauchbares Glied bes Ganzen ift, und, wer Andern eine Grube gräbt, ſelbſt bineinfällt.

a) Dan pflegt fonft als primären Begenfap (und Begenfag iſt die Beringung alles Lebens) den von Natur und Bei gu nehmen. Mein dieſer erhält feine nähere Beſtimmung erft von jenen. Beil nämlidy der Menſch Sreatur if, fo muͤſſen bie Verhaͤltniſſe innerhalb feiner felbft bedingt ſeyn durch fein Verhaͤltniß nad oben. Natur und Geiſt aber iſt ein Begenfag Innerhalb‘ der Verföntichkeit ſelbſt, während die Beziehung nad; Oben in dem Gegenfage von Selbſtheit und Gemeinschaft befaßt if. Beſtimmt Fi der Menſch für bie Gemeinfhaft mit Bott, dem Grunde feines MWefens, in welchem alfo auch feine Beſtimmung ruht, fo bleiben bie Segenfäge von Natur und Geift in Harmonie und vollenden fidy in berfelben bis zur vollen Durdybringuflg und Durchklärung ber Ratur vom Geiſte (wie uns foldyes in ber yaeumatifchen Leiblichleit bes Himmels 1 Kor. 15, verheißenift), fo dag bie Natur vom Geifte die volle Macht und Freiheit und der Geiſt von ber Natur bie beftimmte, individuelle Korm zur Geibftoffenbarung empfängt, Sucht aber der Menſch im Wider: fprudde mit feiner Beſtimmung feine Selbfiheit ſtatt der Bemein- Ayaft Gottes, fo erzeugt dieß auch innerhalb der Perföntichkeit - feib eine Störung, woburd Natur und Geiſt ſelbſtiſch gegen einander werben und in Feindſchaft treten, Der Geiſt in feiner Gelbfibethätigung geräth in falfche Spiritualität, daß er mit Beradytung unb Umgehung feiner NRaturbafis ſich unmittelbar ſelbſt verwirklichen will. Und die Natur geräth durch ihre Los⸗ ldſung vom Geiſte in bie Grflarrung der Materialität, in wel cher jept noch die Leiblichkeit gebunden liegt. Hochmuth und Sinnlichkeit, teufliſches und thieriſches Weſen ſind die beiden Pole menſchlicher Suͤnde.

o

12 8saqhoberlein

Wiewohl fie aber beibe ſich gegenfeitig bedingen und gemeinſam das perſoönliche Leben auſerbauen, fo haben fie doch eine verſchiedene Bedeutung für daſſelbe, und das bewußte, freie Ich ſoll andy zu beiben eine verſchiedene Stellung einnehmen. Auf der rechten oder verkehrten Stellung beider zu einander beruht die Geſundheit ober Krankhaftigleit der perfönlichen Entwidelung, beruft das Wohl und Wehe bed Gemeinlebens. Sich felbft zu Leben, iR Naturnothwendigkeit; wicht fo, einem Anbern zn leben. Zwar bedarf der Menſchh, um das eigene Bebürfuiß zu befriedigen, auch des Andern, und inſofern it auch Die Dflege der. Gemeinfchaft Sache der Natur; allein um in biefer nicht Die eigne Befriedigung zu fuchen, ſondern die des Andern, dazu vermag bie bloße Natur fich nicht zu erheben, dazu bedarf es freier Entfchließung ber Perfön- lichkeit, und ed beginnt hiermit eigentlidy erſt bad wahre Leben berfelben. Jenes iſt Vorausſetzung, Grundlage für dieſes, dieſes Beſtimmung von jenem. Die Selbſt⸗ heit iſt die Wurzel des perſönlichen Lebens, bie Gemein⸗ ſchaft Krone und Blüthe deſſelben. Wie nun die Wurzel zwar vorhanden und nothwendig, aber vor den Augen verbergen if, fo fell die Selbſtheit zwar bewahrt bleiben, aber nicht als Motiv in's Bewußtſeyn des Meufchen treten. Im Bewußtfeyn lebe der Sim für Andere und für das Ganze, der Drang nad; Bemeinfchaft um des Audern willen. Der Drang nach Gelbfibefriedigung darin iſt nur gut, fo lange er, in feiner natürlichen Latenz verfchloffen, filler Wächter über die Smtegrität des eig⸗ nen Lebens bleibt, nicht Reiter und Beherricher ber Lebens» bewegungen wird. Daß aber, wer nach feiner Beſtim⸗ mung ringt, doch auch das findet, worauf diefelbe ruht, wiewohl er's zumächft nicht fucht, das liegt in der von Bott gefeßten Harmonie von Grund und Ziel, von Anlage und Beſtimmung. Gott Ienkt zwar den Menfchen durch die verborgene Macht der Naturnothwendigkeit, und Die

1.3. Verhältniß der perföml, Gemeinfeh.mitGpriflosc. 13

Erhühelt iR das Band, wodurch er ben Menfchen in jan Hand hat und ihn, ihm ſelbſt unbewußt, zu jebem Ciciien leitet. Denn der Menſch würde, ba ein Wefen ia sicht ſelbſt wahrhaft kann aufheben wollen, allerdings vu göttlichen Zuge nicht folgen, wenn er wicht zugleich send fühlte, daB er auf biefem Wege zur wahren Einheit wit ſich ſelbſt, zu Heil und Frieden gelange. Ber wenn ber Menſch fein Selb um fein felbft willen fnht, fo verliert er ſich ſelbſt; dagegen wenn er ſich iR werkmgnend Andern um ihrer willen Jebt, fo ge wit ex ſich felbft, weil allein aus ber Gemeinſchaft mit Inden die wahre Freiheit und Erfüllung bed eiguen Veſens erwachſt (Matth. 16, 25.). Das eben if das Gchrimniß der Liebe, des höchſten Gemeinſchaftslebens, deß Rethwendigkeit und Freiheit, Einfalt und Klugheit wir Eins werden, daß fie zwar ganz und gar nicht anders fan, als fie thut, doch aber mit vollem Bewußt⸗ Immusd Freiheit es that, und daß fie, alle die mächtig Wrmden Interefien des eignen natürlichen Selbſts u de Uebermacht der Selbſthingabe verleugnend, boch AR in verborgenen Grunde des Gemuͤths von ihr zwar ſeahntes uub mit heiliger Gewalt fie faflendes, aber kaehneg6 zu dewußtem Zwecke erhobenes höhered Leben ihtes eignen Selbſts in dem Andern findet.

Beil nun die Dahingabe in die Gemeinfchaft bie Sudbetiumung der Perföntichkeit iſt, ſo wurzelt fie ad im innerſten Grunde derſelben. Wollen wir dieſen erſten Grund mit einem Namen bezeichnen, fo wählen wir am beften das Wort: „Bemüth” a). Gemüth iſt

———

) Gewuͤth iſt nicht mit Gefuͤhl zu verwechſeln. Während in je⸗ nem Attivitaͤt und Yaffivität Eins find, ſpricht dieſes nur die paſſive Geite des perföntichen Lebens aus. Go find Buße, Glaube und Liebe Aeußerungen bes Gemuͤths, Friede und Selig⸗ keit Zußände des Gefuͤhls.

14 SGchoͤberlein

dad eigentliche Organ für perſoͤnliche Gemeinſchaft im Menfhen Dean hat diefem Worte wiffenfchaftlichen Werth abfprechen wollen. Aber mit Unrecht, ba das Weſen des Gemuͤths und fein Berhältniß zu den andern Kräften fi beitimmt ausfprehen und begrenzen Täßt. In ihm hat der Menſch nämlich die Unmittelbarkeit und Innerlichkeit feined Lebens, in welcher Receptivität und Spontaneität fi begegnen uud die übrigen Kräfte in ungetrennter Einheit befchloffen liegen und wirkfam find, die Erkenntniß in der Form der Idee, bie dem Gemäthe inwohnt uud vorfehwebt, der Wille in ber Form bes Berlangens, davon ed bewegt wird.

Diefed Gemeinfchafteleben ded Gemüths, wie es deßhalb das Erfte iſt, was fi im Menfchen zu regen beginnt, iſt zugleich das Höchſte, in welchem die Thaͤtig⸗ Seit aller andern Bermögen fich wieder zufammenfchließt, Begiunend in reiner NReceptivität, wächſt es hinan bie zur höchſten Spontaneität. Das Kind hängt mit feinem Her zen an der Mutter, umd erhebt ſich mit demſelben fehnend

nach oben, bevor ed noch Aber mütterliche und göttliche

Liebe nachgedacht ober derſelben burch eignes Thun fich wäürbig au machen befchloffen "hat. Und doc gibt es auch kein höheres Ziel felbftändiger Entwidelnug und feine edlere Frucht männlicher Charalterreife, als daß der Menſch mit klarem Sinne und mit der ungetheilten Kraft feines inneren Lebens Gott und denen liebend che, unter welchen ihm fein Beruf zugewieſen iſt.

Eben hierin aber, baß diefe perfönliche Gemeinſchaft das: Erfte und Letzte, das Umfaſſendſte im menfchlichen Leben ift, ift zugleich begründet, daß auf ihr die Thätig⸗ feit und Aeußerung aller einzelnen Seiten deſſelben ruht, von ihr die wahre Bildung bderfelben ausgeht. Wohl Kegt in der Perfönlichkeit ſelbſt Allee bereitö al& leben» dige Anlage, und alle Bildung und Erziehung iſt im, Grunde nur eine Entfaltung des dem Menfchen Einge⸗

&

ib.d.Berhältniß der perſoͤnl. Gemeinſch. mit Ehriſto ꝛc. 15

beram, begleitet von ber Tilgung ber durch die Gäünbe diefem Keime eingeimpften Unlauterkeit und Verkehrtheit. Alein wie follte dieſe Lebenskraft ihrer verborgenen Tiefe entlockt und geläutert werden, wenn nicht durch das in» nige Zuſammenſchließen mit gereifteren, überlegenexen Pers fönlichleiten! Lernt nicht vertranend und liebend nur dad Kind vom Lehrer? Bilde und färkt es nicht feine moralifche Kraft durch bewuudernbes Anfchauen ebler Sharaktere? Ein Lernen ohne Demuth und Liebe bages gen it äußerlich, hohl und unfruchtbar. Und ein grumbs fügliches Handeln nad dem bloßen Geſetze läßt Halt und vermag zu freudiger Begeifterung nicht fortzureißen. Ia, die wahre Erfenntniß, was iſt fie anders, als ein lieben⸗ des Eingehen in den Geil, der dieſelben Gedanken vorgedacht bat (vergl, bie ſprachliche Identität von Er⸗ kemen und dem Liebesact des Zeugens), and das Thun ded Guten, was anders, ald eine freudige Berehrung ni Willend, aud den das Gute ſtammt? Denu das Zufalige und Geſtaltloſe kann ber Menſch nicht erfeunen, fondern das nur, worin der Geift eined Erkennenden fein Befen andgeprägt hat, und dieſes eigentlich, nicht die leere Korm und die fchwere Materie, fonbern ber Geiſt, der beides belebt und nach feiner Eigenthümlich keit geflaltet, iſt's, was das Object meines Erkennens bildet. Den deßhalb ein innerer Zug der Verwandtfchaft nicht mit diefem Geifte verbindet, der wird auch deſſen Werke

nicht verfiehen, und andererſeits Ichrt die Erfahrung auf _

dem Gebiete ber Wiffenfchaft leider unr zu überzengend, daß ber Berfiand allezeit das findet und beweiſt, wonach das Herz verlangt (1 Joh. 4, 8.), Ebenſo wenn id) etwas wii, folge ich im Grunde nur einemandern, hinter dem Ges genftande liegenden Willen, weicher den meinigen durch ben Begenftand anzuziehen und für fidhzu gewinnen fucht. Und es it auch hier das, was ich will und fuche, nicht das Object klbR, fondern das Wefen bes perfönlichen Geiftes, weicher

16 Schoͤberlein

ans der Eigenthümlichkeit des Objects mich anſpricht. Das her kommt es denn, daß bad Eeben des Gemüths, daß der innerfte Brund der Perfönlichleit vom Erkennen und Wollen rüdwirtender Weiſe aud; wieder beſtimmt und gebils det wird. Alle wahre Weisheit nämlich macht demüthig und frei son bem Eignen; und je mehr zwei Seelen in ihre wachfen, defto enger vwerfchmelzen fie durch fie mit einau⸗ der, während die falſche Weisheit durch Hochmuth ent⸗ zweit. Deßgleichen je lauterer und energifcher zwei See⸗ len nach bemfelben hohen Ziele fireben, befto flärker zie⸗ hen fie fi an, delle umauflödlicher wird ihr Bund; und jede wahre Tugend bes Einzelnen dient, die organifche Einheit des Banzen gu befefligen und zu vollenden. Mas bier von der intellectunellen und moras liſchen Seite des menfchlichen Lebens gif, gilt audh von der juridiſchen. Auch das Recht ruht ganz auf Gemeinfchaft, das natürliche anf ber natärlich gefebten, dad höhere anf. der freien Bemeinfchaft der Liebeseini⸗ gung. So hat das Kind rechtlichen Anſpruch an das Bermögen des Baterd, und ben im gleichen Lande Ges bornen kommt gleiches Heimathsrecht in demfelben zu, weil die natürliche Geburt das Kind mit bem Bater, die Landesgenoſſen unter fi zu Einem Ganzen verbindet. Doc iſt dieß nur das rein Außere Recht, nur bie allges meine Rechtögrundlage, auf welcher ein freies, höheres Recht fich aufbanen fol. Es wirb nämlich die Stellung eined Kindes in der Familie um fo intenfiver und wahs rer, feine rechtliche Stellung darin, daß ich fo ſage, im⸗ mer rechtlicher, je mehr es in freier, voller Kindeshin⸗ gabe mit den Eltern innerlich zuſammenwächſt, wie es denn auch die Ruckwirkung davon, ober, um es jnridifch ausdsubräden, die Vergeltung dafür in dem erhöhten Ge⸗ meinfchaftsgefühl unbefchräntten gegenfeitigen Austauſches inne wird. In bderfelben Weife begründet fi ein Bür⸗ ger durch bie Berbienfte, die er fih um das Gemeinwe⸗ fen erwirbt, einen immer höhern Rechtsanſpruch in ſei⸗

uͤb. d. Verhaͤltniß der perfönl, Gemeinſch. mit Ehriftoac, 17 .

ner Stadt, wenn auch derfelbe nicht in feiten äußern Bes wiliguugen ihm zuerkannt wird, fondern nur in dem Bewußtſeyn feiner Mitbürger unter der Korm allger meiner Hochachtung und Dankbarkeit lebt. Immer, wie mein natũrliches Eintreten in ein Ganzes und meine natürliche Stellung in bemfelben eine entfprechende Rüdwirkung deffelben auf mich zur Folge hat, bie mein Recht ift, fo verarfacht meine freie, innerlichere Hingabe an baffelbe eine freie, innerlichere Rüdbeziehung deffelben auf mich, die eine. Berinnerlichung, Erhöhung und Vollendung dee Rechtsverhältniſſes zu nennen ift a), Im NRechtöverhält- niffe nun ſteht der Menſch auch gu Gott, und zwar maß er deffelben,, weil feine Eriftenz in Gott durchaus grüns det, anf nothwendige und fletige Weife in feinem Ber wußtſeyn inne werden. Dieß gefchieht im Gewilfen, dem perfönlihen Organe für das Rechtsverhältniß der Ereas ine zu Gott. Auch bier nun iſt die Stellung des Ger wiſſens zum Ich von ber Gemeinfchaft abhängig, welche weiihen dem Menfchen und Gott befieht. Bon den eins zelnen Urtheilen des Gewiſſens ift nämlich feine Grund» Rimmung wohl zu unterfcheiden. Jene beziehen ſich bloß auf die einzelnen Willensäußerungen, diefe aber auf die Örundfielung der ganzen Perfönlichleit zu Gott. ft der Menſch im innerfien Grunde feines Weſens, im Ge» müthe, von Bott gefchieden, fo nimmt auch das Zeugniß bed Gewiffend die Form der Scheidung im „du fol” an. Dagegen, wenn der Menfch mit feinem Gemüthe (im landen) ſich Gott wieder ergeben hat, fo maltet binfort ins Gewiſſen (natürlich auf Grund göttlicher Vers föhnung, die eben der Glaube ergreift) wieder das Zeug: niß des Verföhntfeyus, ob auch in Bezug auf die einzel» nen widergöttlihen Regungen der fündigen Natur die obige Form bed Zeugnifles fich noch geltend mache.

2) Vergl. des Berf- Abh. üb. die chriſti. Werföhnungsiehre, Stud,

u, Krit. 1845. D. 2. ©. 805 ff. Tyeol, Stud. Jahrg. 1847, 2

18 Schöberlein

Daß aber die perfönliche Gemeinſchaft eben nach bies fen drei Seiten: der intellectuellen, moralifchen und juris difchen, ihren Einfluß übe, hat feinen Grund im Weſen der Berfönlichkeit felbft. Denn wenn baffelbe in Selbſt⸗ bewußtfeyn und Gelbfibeflimmung beftcht, womit bie "Bermögen der Bernunft und bes Willens gefebt ſind, fo muß dem lesteren, weil er als creatürliche in bem göttlichen fein Geſetz hat, ein anderes Bermögen entfprechen, welches ihm über bie Gottgemäßheit oder Gottwidrigkeit feiner Selbſtbeſtimmung Zeuguiß gibt dad Gewiſſen. Diefe drei aber ruhen nothwenbig auf einem vierten, in welchem die Perfönlichleit ihrem eignen, felbRändigen innern Lebensfchaß befitt, und von wo aus mithin ſich auch den andern erfi wolled, warmes Leben mittheilt. Diefes if das Gemüth, das Vermögen für verfönliche Gemeinſchaft a).

So ergibt ſich aus ber bisherigen Darfiellung, daß die Grundbeſtimmung des Menfchen, von welder alle übrigen Lebensbewegungen und Berhältniffe erfi ihren wahren Gehalt und Werth empfangen, perfünliche Ge⸗ meinſchaft fey.

Es leuchtet ein, daß der Menſch diefe Gemein» fhaft vor Allem mit Gott vollziehen müſſe, in defs fen Urperfönlichkeit feine creatürlich⸗ abbildliche Perſön⸗

a) Auch die h. Schrift faßt das Werbältniß von Erkenntniß, Wille und Gewiffen zum Gemüthe in der gleihen Weife auf, wenn fie, wie den Willen, fo bie Gedanken (Pf. 14, 1. Roͤm. 1, 21. 2 Kor. 4, 6.) aus der xagdle kommen läßt und auch das Zeug⸗ niß des Gewiflens in diefeibe fept (Koͤm. 2, 15. Hebr. 10, 22. 1 30h. 8, 19—21.). Zwar entfpricht xegdla nicht ganz unferm Worte Gemüth dieſes birgt auch das Moment bes veög in fi) —, aber die Sprache des Alterthums bat eben dafür Teinen voßbezeichnenden Ausdrud, weil erſt im beutfchen Wolke die wahre Innerlichkeit und im Shriftenthume die wahre Einheit bes geifligen und natürlichen Lebens zur Verwirklichung kommt.

ib. d. Verhaͤltniß der perſoͤnl. Gemeinſch. mit Chriſto ꝛc. 19

lichlkeit wurzelt. Bon ba geht fie dann naturgemäß auf ak creatärliche Perfönlichkeit, welcher das gleiche goͤtt⸗ lie Bild aufgeprägt it, über. . Dieß finden wir aufs dentlichſte ausgeſprochen, wenn Sefus ald Summe bes Geſezes, darin ja bie ewige Lebendorbnung ber göttli« den Delguomie dem Sünder wieder zum Bewußtſeyn gebracht wird, die Gottes⸗ nnd Nächfienliebe hinftellt. Diefe vollkommenſte, b. bh. eben fo freie, als natlrlich begründete, eben fo den innerften Lebenstern der Perſön⸗ lichleit, al& bie äußerften Grenzen des natürlichen Lebens befafiende Gemeinſchaft bildet das Leben des Reiches Gottes, für welches der Menſch von Ewigkeit die Bes ſtimmung hat. > Durd die Sünde löfte fich ber Menſch vom Reiche Gottes ab. Er verkehrte die Principiew feines Weſens. Statt ber Gemeinfchaft trat die Selbftheit als Zwed und Ziel in den Sinn feines Gemüths, und die Selbitfucht erhob ſich an der Stelle der Liebe zum Principe. feines debens, wovon Daun die Zerrättung feines Leiblichen und geifigen Weſens und die Knechtfchaft unter Sinnlichkeit und Belt bloße, wiewohl nothwendige, Folge war. Zwar ruht das Bebärfuiß ber Liebe noch im tiefften Grunde umferer fündigen Natur und ift im Leben des Gott ent- fremdeten Menfchen ebenfo noch die Mutter der edelften Erfcheinungen, als fie zugleid den Punkt bildet, an wels dem die Gnade aunüpft, wenn fie ihn für fein Heil ges win nen will a). Aber fie wirkt da nur ald Macht der

a) Berf. Tann der Anficht nicht beipflichten, daß ber Heft bes goͤtt⸗ lichen Gbenbilbes (ober die noch gebliebene Erfcheinungss und Rirkungsweife des Geiftes) nur im Gewiflen zu ſuchen und alfo die Antnüpfung der Bnabe. auf dieſes zu befchränten fey. Da bie freie Gemeinſchaft des Menſchen mit Bott. auf abfoluter Abhängigkeit zuht, fo ift das Organ, in welchem ſich biefes Ver: hältnig nach feiner objectiven Form Tundgibt, das Gewiſſen

nämlich, allerdings bie Bafis für jebe weitere Offenbarung Got⸗ 2.

20 Schöberlein

Sehnfucht, nicht als freie Kraft (wie dieß Claudius im feinen Briefen an Andres bei der Unterfcheidung von „gut“ und „edel? fchön ausfpriht), und das alldurdhs dringende und berrfchende Motiv des perfönlichen Lebens bleibt fey es mehr unter der Form des oft fublimften, auf eigne Kraft trauenden und eignen DBerdienftes ſich rühmenden Tugendſtolzes oder unter ber niedern Form der Genuß» und Habfucht der Egoismnd. Noths wendiger Weife theilt fi) die im Grunde der Perſönlich⸗ feit, im Gemüthe, eingetretene Störung auch den übrigen Vermögen des perfönlichen Lebens, Vernunft, Wille und Gewiſſen, mit. Der Menfh kann Gottes Weſen unb Detonomie hinfort nimmer verfichen, weil er Alles im eignen Lichte ſchaut. Der Wille it gefuechtet unter das Geſetz der fleifchlichen Begier, fo daß er dem Gefebe Gottes nimmer zu folgen vermag. Und das Gewiflen hört nit auf, in dem währenden Gefühle des Bedürf⸗ niffes nach Berföhnung und in den einzelnen Anklagen die eingetretene Scheidung von Bett ihm vorzuhalten und als feine Schuld ihm anzurechnen,

Soll nun der Menſch aus diefem Elende der Sünde erlöſt werden, fo kann es nicht anders gefchehen, als daß

tes im Menſchen. Aber au in ber fubjectiven Geite bes menſchlichen Lebens läßt fi) das Walten des Geiftes beim na» türlihen Menfchen noch fpüren und ein Zug feiner Ebenbild- lichkeit erfennen, da ja nicht bloß der Vernunft die Idee ewiger Wahrheit, fondern auch dem Willen das Verlangen nach Frei: beit und dem Gemüthe Ahnung und Gehnen nach göttlidyer Liebe noch einwohnt (Röm. 7, 18—24.). Da der Menſch zur Sünde verführt worden ift, nicht in ſich felbft urfprünglich und mit bewußtem , gottfeinblichen Vorſatze fie erzeugt hat, fo Tann es nicht anders feyn, als daß feine Beſtimmung zur Gottesge⸗ meinſchaft auch in dieſer lehtern Weife nach dem Kalle fidy noch ausſpreche. Und es geſchieht alfo die Antnüpfung der Gnade nicht bloß an jenes objective Zeugniß der Abhängigkeit, fondern auch an diefen fübjectiven Zug nach Semeinfchaft im Eon ar dgazog.

ib.d, Verhaͤltniß der perfönl. Gemeiaſch. mit Chriſto ꝛc. 21

die perfönliche Gemeinſchaft zwiſchen Gott und Menſch wieder hergeftellt wird. Daß.dieß vom Menfchen nicht ausgehen Tönne, liegt am Tage. Iſt überhaupt keine Ges neinſchaft Des Menfchen mit Gott möglich ohne voraus» gehende Gemeinfchaft Gottes mit dem Menfchen dieß liegt im Berhältniffe der Greatur zum Schöpfer —, wie viel weniger nach eingetretenem Riffe !

Der Berfafler hat in feiner Abhandlung über bie Berföhnung gezeigt, daß die Menfchwerbung des Soh⸗ ned Gottes nicht als bloßes Mittel für den Zwed der Berfähnung aufzufaffen fey, fondern daß file vielmehr ihre ummittelbarfte, innerfie und vollfte Bedeutung darin babe, nuendliche Selbfloffenbarung der göttlichen Liebe für die fündige Menfchheit in zeitlicher, an allen Kolgen der Sünde perfönlich theilnehmenden und mit all ihrem Leben dem Sünder ſich mittheilenden Selbfthingabe zu feyn, daß fie aber ald folche, der Natur der Liebe ges maß, zugleich nad drei Seiten, als Licht, Necht und Kraft, wirfe: den Einblid in die Tiefen göttlichen We⸗ end uud Lebens ihm wieder eröffnend, eine freie, ver: föhnte Stelinng zu Bott ihm begründend und die Durch⸗ Bringung des eignen Weſens mit göttlichen —— wirkſam ihm darbietend.

Aufgabe dieſer Abhandlung iſt es zu zeigen, Daß, wie dort die Begründung des Heils durch die perfönliche Lebens, und Leidensgemeinfchaft des Sohs ned Gotted mit dem Menfchen, fo hier die Aneignung des Heils burch die perfönliche Lebends und Leidensge⸗ meinfchaft ded Menfchen mit dem menfchgewordenen Sohne Gottes gefchehe, und in derfelben die Erleuch- tung, Rechtfertigung und Heiligung als integrirende Mo⸗ mente gleiherweife befchloffen liegen.

In der Perfon Chrifti begegnen ſich zwei Lebens⸗ bemegungen, eine von oben nach unten und eine von uns ten nach oben. Indem Gott im Liebeöbrange nach Ger

22 Schöberlein

meinfchaft mit feinem entfremdeten Ebenbilbe fo weit ging, wie es die abſolute Liebe kann, die Natur bee Menfchen felbft anzunehmen, als menfchliche Perfönlichs feit bienieden gu leben und alled Leib bis in den Tod mit uns gefchichtlich zu erfahren, fo {ft Chriſtus bie per: fönlich erfchienene, dem Menfchen fich opfernde Liebe Gottes, die perfönlich mit der Menfchheit geeinigte Gott» : beit. Indem Chriſtus aber auch mit wirklichem menfchli- chen Bewußtſeyn und Willen, als der Menſch zur’ ZEoyiv in den göttlichen Liebesrathſchluß einging, in Liebesge⸗ horfam gegen feinen Bater hienieden wirkte und alles Leid bis in den Tod freiwillig erbuldete, fo ift er das perfönlich fidh Bott dargebende Liebesopfer des Men: fhen, die perfönlich mit Gott geeinigte Menfchheit. Bott it in ihm Menfch, der Menſch in ihm vergottet. Chris ſtus ii fomit der Angelpunft aller Gottesge—⸗ meinfchaft. Gott gibt ſich und nicht anders ale in ihm, aber in ihm gibt er fih und auch ganz; fo können auch wir und Gott nicht anders wahrhaft ergeben, als in Lebensgemeinfchaft mit Ehrifte, durch fie aber können wir auch völlig mit ihm Eins werben als feine Kinder.

Dieſes Berhälmiß ift, wie in oben genannter Abhand⸗ Iung ausführlicher bargethan worden, näher betrachtet, ein bereitö ewig begründete. Im Sohne nämlih hat Gott die Welt fchon gefhaffen. In ihm mit dem Men: fchen, als uxoddeos, perſönlich Eine zu werben, und burch den Menfchen, ald pxpdxocuos, mit feiner ganzen Schöpfung in Gemeinfchaft zu treten, war der Rath fei- ner Liebe, die der Weltfchöpfung Grund ift (1 Petr. 1, 20. Eph. 1, 4.). Und da die ewige Idee des Zeitlichen nicht bloß ein in abflractem Vorſatze zeitlich Vorangehen⸗ des, fondern der reale Lebensgrund beffelben ift, fo if der Sohn Gottes (durch feine in ideeller Wirklichkeit ewige Wenfchwerdung) in Ewigkeit bereitd der sgwröro- xos wie zig xriaeng Überhaupt, fo ded Menfchen insebe⸗

ib.d. Berhaͤltniß Der perfönl, Gemeinſch. mit Chriſto ꝛc. 23

ſerdere, das Urbild ber Menſchheit, in welchem dieſelbe au ih ſchon den Grund ihrer Exiſtenz und das Ziel ih⸗ vr Entwidelung bat. Dadurch aber, daß anf Grund bed ewigen Liebesrathſchluſſes die Menfchwerbung auch jeitlih im der durch die eingetretene Sünde bediugten leidensvollen Weiſe verwirklicht worden, ift Chriſtus nun auch für unfere zeitliche, aus dem Tode ins Leben über, führende Entwidelung der zomröroxog iv zoAMoig ddskpoig Ri, 8, 29.) und der Mittelpunkt der irbifchen Bes fhidte geworden, anf welchen alle vorauögehende Lebens⸗ bewegung hinzielt und von wo aus alle nachfolgende ausgeht.

Ale wahre religiöfe Entwidelung ift alfo durchaus au die Bemeinfchaft mit feiner Perfon geknüpft.

Wie aber alle Macht des Gedankens und der That fh durch den Geiſt vermittelt, welcher diefelben erzeugt dat, in ihnen als Princip fortlebt und ale ſolches auf fremde Perfönlichleiten wirkt, indem er das verwandte Ledendprincip in ihnen entweder ſtärkt, oder erſt erweckt, fo iR ed auch bei der in Chriſto geoffenbarten Liebe Got⸗ tee. Derſelbe h. Beift, durch welchen der Sohn Gottes Menſch geworben (Luk. 1, 35.) und mit welchem er in femer Menfchheit für die Ausrichtung feines Werkes ohne Maß gefalbt worden, ift durch die Vollendung feines Werkes zugleich dad Lebensprincip für bie erlöfle Ge⸗ meinde geworben, deren Haupt Ehrifius ift, und gießt, von ibm andgehend, die in ihm erfchienene Liebe Gottes in bie Herzen der Menſchen aus (Joh. 16, 14, Nöm. 5, 5.). Wie nun die Liebe überhaupt fchöpferifch ift, fo ift fie es vor Allem. indem fie in den innern Grund einer Ders fönfichkeit ſich einſenkt, erweckt fie das gleiche Liebedies ben. Einen natürlichen Antnüpfungspunft aber hat fie m dem ber creatürlichen Perfönlichkeit eingebornen Ders mögen ber Gottesgemeinſchaft oder, wenn wir noch ties fer gehen wollen, in dem bem Menſchen (dadurch, daß er

24 Schöberlein

im Sohne von Ewigfeit ber zuvorverſehen und in ihm nach dem Bilde Gottes gefchaffen iſt) von Natur keimlich immanenten Bilde ded Sohnes Gottes. Indem der Sohn Gottes nun anf Grund feiner zeitlichen Menfchwerdung mit feiner ganzen andringenden Liebesmacht ‘dem Herzen des fündigen Menfchen zum Heile ſich barbietet, fo wird das durch die Sünde erlofchene, wiewohl nicht getilgte Bermögen der Gottesgemeinſchaft, das im falfchen Lichte des eignen Selbſts erblichene Bild Gottes in uns wieber erwedt; und, ebenfo libermocht von biefer Liebe, die fein tiefſtes, ſtäärkſtes Schnen flillt, ale frei ihr fols gend, bie feiner ganzen Gegenliebe werth ift (1 Joh. 4, 19.), ergibt fi) der Menfch in dem inuerften Grunde feines Gemüths Chriſto, feinem Heilande, zur unbeding- ten Gemeinfchaft ded Lebens hin. Dieß ift der Weg des Heils für den Sünder a).

Diefe Gemeinfchaft bat ebenfo ihre Stufenent- wideluug, wie die Gemeinfhaft Gottes mit der füns digen Menfchheit. Der Berf. hat hinfichtlich dieſer letz⸗ teren in ber obenerwähnten Abhandlung gezeigt, daß die Liebe Gottes in ihrer erften Bewegung gegen den Sünder als Zorn ſich offenbare, welchen der Menſch in feinem perföns lichen und natürlichen Leben als Leiden (nach juriflifcher Faſſung jened ald Schuld, dieſes als Strafe) inne werde. Ohne nämlich noch ihre mitfühlende und mitlebende Theil⸗ nahme an dem Sünder herauszukehren, zeigt fie fich dies fem erft, wie fie von feiner Sünde in ihrem göttlichen Mefen, fo wie ed in fich ift, berührt wird, und tritt mit

a) Die nähere Beſtimmung dieſes Verhältniffes zwifchen menſchli⸗

dem unb göttlidhem Wirken bei der Belehrung liegt außer dem Bereiche diefer Abhandlung. Uebrigens ergibt fidy bie Einheit der reinen, alles menfchliche Verdienſt ausfchließenden Priorität göttlichen und der wirklichen Freiheit menſchlichen Thuns am einleucdhtendften eben aus dem Weſen der Gemeinſchaft und ih⸗ rer oben bargeftellten Beziehung zur Selbſtheit.

ib.d. Verhaͤltniß Der perfönl. Gemeinfch. mit Chriſto ꝛc. 25

ke iunern Harmonie feiner Selbftentzweiung, mit ihrer dem Gefchöpfe zu wunbedingter Anctorität beftehenden Serlichleit feiner Unwürdigkeit entgegen. Die umfaflende Seeihaung für Diefe dem Sünder gegenüber das eigne Echt dewahrende Stellung der Perfönlichleit Gottes ift: Heiligleit welche in ihrer activen, ſich ale ſolche dem Simder nadı dem Maße feiner freien Selbfbeftimmung mittheilenden Selbftbeziehung zur Gerechtigkeit wird. Das Mittel ihrer Offenbarung ift das Geſetz, welches nicht bioß in feiner vereinzelten gefchichtlichen Erfcheinung, als Berichrift für Die einzelnen Lebensverhältniffe der Mens fen gefaßt werden darf, fondern nmfaffender: ald Aus⸗ drad der in Gott ruhenden Idee menfchlichen Weſens, als geoffenbartes, dem Sünder zur Norm vorgehaltenes Urbild feines Lebens, weldhem Fluch und Segen ald Correlat, nämlich als Hinweifung auf die an diefer ihrer ewigen bee unverrüdt und energifch auch feithaltenden Heiligkeit Gottes beigefügt ift.

Bon diefer eriten Stufe ihrer Selbfimittheilung fchreis

tet die ficbe aber zur zweiten, höheren, vwolleren, zu ber dur Theilnahme vermittelten weiter. In ihrem unends lichen Drange, das durch thren Zorn dem Menfchen bereis tete innere und äußere Leiden felbft auch mit ihm zu tras gen, erniedrigt fie fi bid zur Annahme der menfchlichen KRatur und bietet fih auf Grund diefer ihrer Barmber; äigfeit (die nach juriftifcher Faſſung als flellvertretende Verſöhnung fi darftellt) mit ihrer ganzen Lebensfülle dem Menfchen ald Gnade (nach ihrer juriftifchen Seite: Verführung) zur Aneignung dar. Dieß gefchieht im Evans gelinm, dem vom heil, Geifte getragenen Worte von der in Chriſto perfönlich erfchienenen Gnade Gottes.

Beides, Gefeb und Evangelium, find alfo zwei Of⸗

fsbarungsmeifen derfelben Liebe. Sie folgen fih, weil der Sünder die Totalität ihres Weſens nicht mit Einems Bale zu faffen vermag, fonbern der Erziehung für ihr

26 Schoͤberlein

Verſtaͤndniß und ihre Aneignung bedarf, in der Geſchichte der Menfchheit und des Einzelnen als Stufenentwicke⸗ Inngen, die wir in der Folge des alten und neuen Teſta⸗ mented erkennen. In jenem herrfcht bad Geſetz, Der zadayayds auf Ehriftum, und es muß fo lange herrfchen, ald die Liebe in ihrer Gnadenfülle noch nicht offenbar geworben, ob auch immerhin einzelne Gnadenoffenbarun⸗ gen in ber Form der Berheißung voransgehen mögen. Iſt aber die Gnade zur vollen Erfheinung gefommen, fo wird fie damit auch die herrfchende Macht, und das Geſetz, durchleuchtet vom Wefen der Gnade und zu hör berer Zinheit mis ihr aufgenommen, verliert feine ſelb⸗ Rändige Stellung und dient der Gnade nur zur Offen» barang ihres Lebens, ale Nichtfchnur für die Begnadigten. Doch ift diefe Aufeinanderfolge Feine ausfchließende, da die Liebe Gottes, fo viel an ihr if, vom Anfang an mit ihrer ganzen Fülle dem ‚Sünder zugewandt ift und, wenn fie audh die Momente derfelben nur in einem Nacheinan⸗ ber vor unfern blöden Augen und verfehrten Herzen aus» einander legen fann, body auch dba fhon von Anfang an das Endziel im Auge bat. Vielmehr gehen, mit Beibes

* haltung jenes fpecififchen Unkerſchiedes des alten und nennen Teftamented, Beleg und Evangelinm fletig Hand in Hand und wachen gemeinſam an Klarheit und Tiefe ber Offenbarung. So finden wir das Evangelium bereite unmittelbar nach dem Sundenfalle im Protevangelium, und burd das ganze alte Teflament zieht ed fh im immer heller werdenden Lichte hindurch bie zur Erſchei⸗ nung des Heiles felbfl. Ebenſo aber tritt auch im Geſetz erft die Korberung bed bloßen Werks noch in den Vor⸗ dergrund, der geiftliche, tiefere -Gehalt hingegen ift nur hie und da angedeutet. Denn wie hätte der Menfch den vbllen Einblid in die Tiefe feines Berberbens ertragen können, fo lange das Heil noch verdedt, noch in bloße Berheißung gelleivet war! Mit der zunehmenden Macht,

ab.d. Berhältniß ber perſoͤnl. Gemeinſch. mit Ehriſto ꝛc. 27

Aarheit und Geiſtigkeit der Verheißung aber in ber Zeit ver Prophetie nimmt auch die Enthüllung ber höheren, gefigen Forderung bed Geſetzes zu. Und als in Ghrifto aadlih die Berheißung erfüllt ward, fo kam in ihm, weil in der Liebe, deren perfönliche Erfcheinung er ift, Gerech⸗ hiefeit und Guade gleichermaßen inbegriffen find, and bad Befep zur Erfüllung, und zwar nicht allein in Tras gung ſeines Fluches, fondern zugleih in volllommener Ofenbdarung feiner Forderung durch Wort und That Ya fo fehr durchdringen fich in ihm beide Momente ber liche, daß er das Weltgericht, die energifchte Offenbarung der göttlichen Gerechtigkeit, eben dann halten wird, wenn ach dad Reich der Gnade zur vollen Erfcheinung feiner. dertlichkeit durch ihn Tommen fol. Und in alle Ewigkeit wird er das Gefetz der Blänbigen, nur nicht in gebieten» vr und firafernder Weile, fondern als heilleuchtendes Urdild und ale felige, im inneren Grunde bed Herzens unigende Liebesgewalt bleiben, fo daß dann auch in dan, wie in ihm, Geſetz und Evangelium Eins gewor-

e mb alle Momente ber Liebe zur Erfüllung gekom⸗

un fund a).

Bon dem Maße und der Weife dieſer Liebeömittheis Ing Bette an den Menfchen it nun das Maß und bie Beife der Bemeinfchaft abhängig, in welche der Menſch zit Gott treten Tann.

Bir können aber im Gemeinfchaftöleben ‚der Mens (den überhaupt zwei Stufen unterfcheiden. Die erfte ift Vie, daß ich, iadem ich zu einer Perfönlichkeit in Bezie⸗

u) Man entfchulbige, daß der Verf. hier bei der Rüdverweifung anf die Gedanken der erfien Abhandlung ſich fo ausführlich auf eine dort nicht gegebene Expoſition von ber geſchichtlichen Offen« berung bes Geſetzes und Evangeliums einläßt. Gr thut es, weil fie hier erft ihre volle Bebeutung gewinnt, wo fie auf bie Gtufenentwidelung der Bemeinfchaft des Suͤnders mit Gott im Einzel» und Gefammtiehen ihr Licht wirft.

28 Schöberlein

bung trete, fie, ohne noch einem befondern Zuge Der Berwandtfchaft zu folgen, nur erſt fo nehme, wie fie für ſich ift, und auch in diefem Maße nur mich ihr mittheile. Ich laſſe fie noch außer mir, und indem ich die Gemein⸗ fhaft mit ihr vollziehe, gebe ich mich (und das Meine) ihr nur in dem Maße bin, als fie nach ihrem individuellen Werth und nad ihrer Stellung zur Gemeinfhaft (und innerhalb diefer wieder fpeciell zu mir) diefe Hingabe auf Grund der Gemeinfchaftsordnung in Anfpruch zu nehm en hat. Wir bezeichnen bdiefe Stufe mit dem Ausdruck: Achtung (die innere Seite der Gerechtigkeit), welche deßhalb den Grundpfeiler alled Gemeinlebend bilder. Eine zweite, höhere Stufe aber wirb dadurch vermittelt, daß ih an dem Perſon⸗ und Natnrieben ded Andern ſelbſt auch Theil nehme und ed in das meinige herein- ziehe. Dieſes Theilnehmen, diefe Theilnahme und Herein⸗ nahme ift (was bei der Achtung nicht in dieſer Weife der Fall ift) wefentlich bedingt durch innere Verwandt⸗ fchaft, fey ed allgemeine oder befondere, wie auch Die Art und das Maß derfelben von der Art und dem Grade diefer Verwandtſchaft abhängt 0). Dadurch mache ich mich dem Andern erfi homogen, und es ift nun einehöhere, vollfommene Selbfimittheilung möglih, die wir mie: Liebe bezeichnen. Mit dieſer durch Theilnahme vermie- telten Selbftmittheilung ift wahrhafte perfönlihde Eini⸗ gung eingetreten unb die höchfle Form ber Gemeinſchaft erreicht. Diefe beiden Stufen der Semeinfchaft begegnen ung nun auch in dee Gemeinfchaft ded Sünders mit Gott. Wenn Gott nur erſt in unmittelbarer Weife Dem Menfchen fich mittheilt, d. b. wenn er dad Weſen feiner

a) Anders ift z. B. die Kindes⸗, anders die Freundes⸗, die eheliche Liebe ꝛc. So darf und foll auch die Intenfität der Liebeshinga be verfchieben feyn je nach Anziehung der Individualität ıc.

ib.d. Berhältniß ber perfönl, Gemeinſch. mit Ehrifto sc. 29

Prrfönlichkeit ihn erſt nur fo, wie es in felbftändiger Birde dem Menfchen gegenüberficht, erfahren läßt, fo uf fh auch der Menfch erſt nur in feiner nadten kelbtheit Gott gegenüber fühlen. Die Gemeinfchaft bes iht noch auf der Stufe der bloßen Achtung. Wie Gott diefelbe gegen den Sünder darin vollzieht, daß er fein reied Thum nicht ignorirt noch. aufhebt, fondern ale fols br anerfennt, daß er ihm gibt, was er verdient, daß er die Schuld und Strafe feiner Sünde durchs Geſetz ihn fühlen läßt, daß er gerecht gegen ihm iſt, ebenfo ton nun auch Der Menfch bie Gemeinfchaft mit Bott ur in der Weiſe vollziehen, daß auch er ald Sünder geht it (man wolle biefen Ausdrud nicht mißdeuten), af er nämlich in ehrfurchtövoller, bußfertiger Schen (welhe etwas nicht bloß Aufgedrungenes if, wie das Empfinden der Schuld und das Leiden der Strafe, fons dern bereitd ein Act freier Gemeinfchaft) wegen feines Inderfams vor Gott fich demüthigt, anklagt und flraft, me Gott die Ehre gibt, die ihm dem Heiligen vom kiner gebührt.

Dieß ifE die Buße, die aus dem Geſetzekommt, y daſelbe nun alts ober neuteftamentlich, ja das pers inlihe Geſetz im Vorbilde Ehrifi ſelbſt. Sie läßt den Renſchen noch außer Bott fiehen, in ihr waltet noch leue diebesmacht. Ja fie verfeßt den Menfchen vielmehr in die troſtloſeſte Losgeriffenheit, indem er nun nicht bloß von Bott gefchieden fteht, mit welchem ihn nur noch das alzeneinſte Nechtöverhältuig und zwar das der Straf zerechtigkeit verbindet, fondern gefchieden auch von feinem "zum lieben Sch, von welchem ex fich im Geifte feines Lillens losgeſagt hat. Damit nämlich, daß der Menſch a Unglauben (Gen, 3.) aus der Gemeinſchaft Gottes ſich bie, hat er, wie eben abnormer Glaube an ſich ſelbſt (dechmuth) mit Unglauben an Gott allezeit Hand in Hand “ft, zugleich angefangen, den Quell geſunder Entwides

30 i Schoͤberlein

lung in ſich ſelbſt zu ſuchen. Dieſes falſche Vertranen auf eigne Einſicht, Kraft und Würdigkeit (falſche Theilnahme an ſich ſelbſt) reißt die Geſetzesbuße dem Menſchen aus dem Herzen, und im Gedränge ber Angſt und Furcht erwacht ber durch die Gcheinbefriedigung der Sünde in Schlummer gewiegte, doch nicht getilgte Eu dvägmaog (Roͤm. 7, 22.) d. i., abſtract gefaßt, das im Innerften Grunde des Menfchen eingeboren ruhende Bedürfniß nach Botteögemeinfchaft, und drängt fich hervor und firedt ſich nach‘ oben aus, um den eignen Mangel aus ber göttlichen Liebesfülle zu ergänzen._- Denn fo völlig ifolirt kaun der Menfch nicht bleiben: die Selbflaufgabe muß zur Gelb hingabe fortfchreiten. So drängt die Geſetzes⸗ buße deu Menfchen von felbft auf eine zweite, höhere Stufe der Gemeiuſchaft vorwärts,

Doh Tann er auf diefe nur dadurch ſich erheben, daß auch hier wieder die goͤttliche Liebe, auf einer höhe⸗ sen Stufe ihrer Selbſtmittheilung, ihm zuvor» und ent⸗ gegenfommt. Indemn er aber diefer göttlichen Liebe nun begegnet, findet er fie gleichfalls über feine Sünde be- trübt, ja er flieht, wie fie in geitlich-perfönlicher Wirklich, feit den auf derfelben Iaftenden Fluch felbft auf ſich ges nommen und, geBleibet in unfer eigen Fleiſch, bis in ben Tod getragen hat. Diefer unendliche Widerfpruch gött⸗ licher Liebe mit feiner Selbſtſucht beſchämt, dieſe bitterfte Folge feiner Sünde erfchüttert ihn. Und er trägt nun nicht bloß darüber Leid, die göttliche Majeſtät verlebt, fondern zugleich, die göttliche Liebe ind Leid gezogen zu haben, Während er aber fo einerfeits jeßt erſt die ganze Größe feiner Schuld vor Bott erkennen lernt und dadurch noch mächtiger denn vorher ſich getrieben: fühlt, von feinem verkehrten Selbſt, durch welches all dieſes Leis den verurſacht worden, fich zu löfen, fo verliert doch anbererfeitö feine Buße, indem fie deu theilnchmenden Liebesſchmerz Gottes in den eignen Schmerz; aufnimmt,

ib. d.Berhältniß Der perſoͤnl. Gemeinſch. mit Ghrifto x. 31

den Charakter der Losgerifienheit von Gott und nimmt du de Bemeiufchaft, ob auch zunächſt nur ber Leideus⸗ genciaſchaft, mit ihm an. Go wird ber Sünder von ber söttihen Liebe dadurch, daß fie, den Zorn in Barmbers ziglen verfchlingend, and bem Gedenſatze gegen ihn her» and und in Gemeinſchaft wirklicher Hingabe mit ihm über: getreten iſt, ſelbſt aud aus dem Gegenfatze gegen, fie her⸗ and uud in die Bemeinfchaft wirklicher Hingabe mit ihm eingefährt. Und es iſt fomit die wahre, aus dem Evan, gelium fomımende Buße, welche allein eine währenbe Grundlage des neuen lebend zu bilden vermag, wie über: danpt eine Betrübniß über die Betrübung der göttlichen kiede, fo anf ihrer höchſten Stufe ein Liebesleiden der Seele mit Ehrifto, in welddem das ganze gött⸗ lie Erbarmen gefchichtlich offenbar geworben.

Doch iſt dieß eine noch fehr unvolllommene Theil⸗ nahme an dem Liebeleben Gottes. Die Seele hat bier war erſt das ans bem Leben Gottes in bad ihrige aufs geusumen, was Gott nach feiner Liebe aus ihrem Leben sorher a das felnige aufgenommen hatte, nämlich das #36 der Sünde quellenbe Leiden. Gott hat ſich aber in de Gemeinfchaft ihres Lebens nur dbahingegeben, um benfeiben dad feinige einzupflangen, ihre Schuld nur ges tragen, um ihr feine Gnade fchenten, ihr Elend nur mits gelitten, um feine Seligkeit ihr mittheilen zu können. Peine Theilnahme an Bott wird alfo dadurch erft eine . volfowimene, daß ich nicht bloß das Spiegelbild meines lebend im göttlichen, fondern daß ich Gottes eignes Leben ſelbſt auch in das meinige herübtr⸗ und aufnehme.

Natürlich trägt nun diefe Theilnahme des Menfchen eu Leben Gottes einen andern Charakter, als wir's bei - Kr Theilnahme Gottes an unferm Leben geſehen haben a). & iR aberhanpt in jeder Gemeinfchaft die Art und Weiſe

) Bergl, Verſohaungelehre, ©. 294-296,

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derſelben von ber verſchiedenen Stellung der Perſoͤnlich⸗ keiten innerhalb der Gemeinſchaft bedingt. Wohl iſt es immer ein Act ber Demuth, eine Selbfidemüthigung gegen und zu dem Andern, die ich in der Theilnahme an ihm übe. Aber es ift ein Andere, wenn ich ale der Stärkere an der Schwäche, und ein Anderes, wenn ich als der Schwächere an der Stärke bed Andern Theil nehme, fie in mein inueres und äußeres Leben aufnehmend. Jenes begegnet uns in ben verfchiebeuen Stufen ber Herab» laſſung der Eltern gu dem Kinde von der leiblichen Pflege an bie zum Mitgefühle mit feiner Sündenfchuld, dieſes in den verfchiedenen Stufen vertrauensvoller Ueberlaflung des Kindes an die Eltern bid zum Blanben an ihre ver, gebende Liebe. In noch höherem Maße muß diefer Unter: fchied heraustreten, wenn das Verhältniß von Haupt und Glied fi zu dem von Schöpfer und Geſchoöpf ſteigert, vollends aber, wenn die Schwäche bed Geſchöpfs fogar in Sünde und Leid übergegangen if. Haben wir nun bei Bott feine Theilnabme an unferm Leben ale Barm⸗ herzigfeit erfannt, fo ſtellt fich unfere Theilnahme an Gottes Leben ald Glaube dar,

Unfere Beziehung zu Gott ruht durchaus auf Glau⸗ ben. Denn da Gott der Schöpfer und Grund unferd gefammten Wefend it, fo kann unfer perfönliches Leben fi) gar nicht entwideln, wenigfiens feiner Beſtimmung gemäß fich nicht entwideln, wenn wir nicht mit voller Hingabe unſers Gemüths Gottes Leben in das unfrige hereinziehen. Aus diefem Grunde ift und der Glaube in der Form eines unmittelbaren Willens und bebürftigen Berlangene nach oben bereits eingeboren. Doch bildet er als ſolcher nur die Bafls für eine freie Selbſtbezie⸗ hung des Menfchen. Denn der Glaube ift, wiewohl allerdings Gottes Werk in und denn ohne thatkräaͤfti⸗ ges, unfer Inneres neubelebendes Einſenken ber göttlichen Liebe in unfer Herz durch den heiligen Geiſt würden wir

i.d, Verhaͤltniß Der perfönl, Bemeinfch. mit Chriſto ꝛc. 33

ninwermehr der Gnade glauben koͤnnen, fo doch zu» gleich auch Freie, felbfleigene That des Menfchen, welcher, vor der eigenen Ohnmacht im Innern überführt, all fein keben hinfort nur ans Bott fchöpfen will, Und wiederum er nicht bloß Sache einer einzelnen Seite im menſch⸗ lichen Weſen, wie des bloßen Verftandes und der Ueber⸗ jengung, d. h. nicht ein bloßes Fürwahrhalten göttlicher (Held s) Wahrheit, wozu die fatholifche Kirche, indem fie dad Heil des Einzelnen von feiner Gemeinſchaft mit der Kirche, ftatt von der mit Ehrifto, abhängig macht, verleitet wird und dann allerdings zu einer Ergänzung deſſelben durch Werke ſich genöthigt flieht, fondern ber Glaube if, wie unfere Kirche, wenn fie Erfenntniß, Bei⸗ fall und Zuverfiht feine Theile nennt, richtig erkannt hat, eine Sache der innerfien Perfönlichleit, des Ges müths, in welchem bie übrigen Seelenfräfte, wie oben gezeigt worden, fämmtlich- al& in ihrem lebendigen Grunde wurzeln. Eben deßhalb aber kann ed auch dem Glauben, wrä Sleiched wieder Gleiches ſucht, noch nicht genügen,

BET eine einzelne Seite des Weſens Gottes zu fallen, wie

feine Macht oder Weisheit, fondern er ift nur dann ein wahrer, Iebenbiger, wenn er in Gottes Herz einbringt, wenn er das innerfte Weſen Gottes, wenn er feine Liebe faßt. Der Blaube ift ein eingehendes, in fih fangendes Hinnehmen der Liebe Gottes ins Gemüth. Wie der Abfall des Menfchen damit begonnen hat, daß er in Mißglauben Gott Lieblofigkeit, Verkur⸗ sung der eignen Perfönlichleit (Ben. 3, 5. 6.) zutraute, fo tritt Die Wiedereinigung mit Gott damit ein, daß er tm alle Liebe zutraut und die Erfüllung der eignen Pers ſinlichkeit aus ihm nimmt. So finden wir den Glauben hen im alten Teftament ald Lebendelement der From⸗ zen, weil dad Erbarmen der göttlichen Liebe, unmittelbar 14 dem Sändenfall eintretend nnd das unendliche Ders daten zurücdhaltend, aud im alten Teftamente bereitg

Cheol, Srud, Fahre. 187. £ ö

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36 Schöberlein

Doch hat auch diefe höhere Selbfimittheilung, gleich wie wir's bei der Theilnahme, durch welche fie vermittelt wird, gefehen haben, erfi einen Gegenfaß zu überwinden, der durch die Sünde hereingelommen if. Wie nämlich die Sünde in falfcher Theilnahme ihr Wefen hat, indem der Menſch die Befriedigung feiner perfönlichen Bedürf⸗ niffe aus fich felbft, flate aus Gott, fchöpfen zu Fönnen meint und wirklich fchöpft, fo befteht fie auch in falfcher Selbftmittheilung, indem er, ftatt Gott zu leben, ſich felbit lebt, Und wie die wahre Theilnahme an Gott im Glau⸗ ben nicht andere möglich wird, ald baß der Menſch in Buße von dem falfchen Glauben an fi felbft fich los⸗ mache, fo auch die Selbftmittheilung an Gott nicht ans bers, ald daß er das falfche Sichfelbftleben in der Selbfl- verleugnung aufgebe, Gleichwie aber die Buße den innerften Grund des Herzens nicht umzuwandeln vers mag, fo lange der Menfch noch unter dem Gefete, noch allein, losgeriffen von Gott und Gott bloß gegenüber fteht, fondern erft durch die gliedfiche Leidensgemeinſchaft mit dem für unfere Sünde leidenden Haupte Chriftus zu einer lebendigen, innerlihen und ummwanbelnden wird, “fo ift ed auch bei der Selbftverlengnung Wohl findet fi bereitd im alten Teflamente eine Art Belehrung, eine Abkehr von fich ſelbſt und Zukehr zu Gott, welche im Berhältniffe zur damaligen Stufe der Liebesoffenbarung Gottes an die Menfchheit eine relative Vollkommenheit bei den Gläubigen haben konnte. Aber fo lange Gott noch nicht in .felbfiaufopfernder Hingabe fein ganzes Herz gegen die Menfchen eröffnet hatte, konnte auch der Menſch noch nicht im innerften Grunde des Herzens von fidh ſelbſt frei werden. Denn da Selbfimittheilung das wefentliche Leben des Herzens ift, und es ohne diefelbe nicht einen Augenblid verharren kann, fo muß audy bie Berleugnung feiner felbft, wenn fie eine wahre feyn fol, zugleich den Charakter der Gemeinſchaft an ſich nehmen. Dieß ge

ib.d. Verhaͤltniß ber perſoͤnl. Gemeinſch. mit Ehriftoac. 37

(hieht, wie bei ber Buße, durch bie Gemeinfhaft mit Chrifo. Wie wir jene ein Liebesleiden der Seele mit Erle genannt haben, fo ift’d auch bei der wahren Selbſtverleugnung. Sie ift, was die heilige Schrift nennt: ein Sterben, ein Begrabenwerden mit Chriſto. Während ih in der Buße jenes Liebedleiden Ehrifti theile, in wels dem er meine Sünde fih hat zu Herzen dringen und ihren Fluch über ſich ergehen laſſen, fo in der Selbſt⸗ verlengnung (Matth. 16, 24.) dasjenige, vermöge deſſen er, das in der Berfuchung, welche auch an feinem wahr, haft menſchlichen Selbſt eine reelle Möglichkeit der An⸗ mäpfung hatte, fi ihm entgegendrängende Cigenleben jurüchveifend,, zugleich feine mit unferer Schuld belabene Derfönlichkeit in jede Schmach und feine ganze, mit den Folgen unferer Sünde behaftete Natur (adp&) in jedes Leiden, ja in den Tod felbft dahingab (Röm. 6, 10. 19er. 3, 18. Röm. 8, 3). So fterbe ich in meiner Semeinfchaft mit ihm mir felbft, d. h. meinem falfchen, won Sort losgeriſſenen Selbft, dem Kleifche ab.

Aber dieſe Gemeinfchaft des Sterbens führt noth- werdig zur Gemeinſchaft feiner Auferftiehung (Röm. 6, . 4-11.) und feines ebene. Wie Chriftus die a&oE in den Zod gab, Damit das wahre Leben in ihm, das zvsüue, jur Erfheinung fomme, fo fterben auch wir in ber Ges meinihaft Ehrifti und felbft nur ab, damit in ihr unfer wahres Selbft aus dem Zode, dem Scheinleben der Sünde - erfiehbe und dad zveüun in und herrfchend werde (Nom. 6, 5.). Da wir aber nun ald Bild Gottes zu feiner voll⸗ fommenen Gemeinfchaft gefchaffen find, fo lebt unfer Ich dann eben erft wahrhaft, wenn es in diefer fteht. Dieß gefchieht nun durch die Liebedeinigung mit Chrifto, dem menfchgemordenen Sohne Gotted. Und fo ift die Eini- gung der Liebe mit Ehrifto, welchem nun des Sünders ganzes Herz gehört und fein ganzer innerer Menſch

un

38 Schöberlein

lebt (2 Kor. 5, 15.), bie lebte, höchſte ee ber Gemein⸗ fchaft mit Gott a).

Aus diefer Entwidelung erhellt, daß Weg des Heils für den Sünder kein anderer ſey, als den

ganzen irdiſchen Kampfes, und Siegeslauf

Chriſti durch Tod und Auferfiehung hindurd vermögedervolllommenen Selbfthingabe des

inwendigen Menfchen an ihn ihm nachzulei⸗

den und nachzuleben, und daß mithin die unio mystica nicht bloß Schlußpunft, fondern zugleich Aus⸗ gangspunft und währendes, fort und fort wachſendes Moment im ordo salutis fey, in welchem alle übrigen Zäftände chriftlichen Lebens nur einzelne Seiten und Ers fheinungsweifen bilden. Bußfertiger Slaube und felbfiverleugnende Liebe find ihre zwei Grund» feiten. Wie alled Leben der Gemeinfchaft im gegens feitigen Nehmen und Geben befteht, fo auch hier. Im Glauben nimmt die Seele alle Liebesfülle aus Gott, um in ber Liebe ſich Gott ganz wiederzugeben. Und wie Gott in feiner Barmherzigkeit gegen den Sünder fidh berabneigt und herabläßt, fo fehr, daß er felbfi deflen Natur annimmt, fo ift auch der Glaube, worin ja der Menſch bekennt, daß ihm felbft Alles fehle, in Gott aber Alles für ihn liege, der Act der tieffien Demuth gegen Gott. Dagegen gibt es Feine herrlichere Stufe der Er:

um - ——

a) Hier, wo wir von ber Gemeinſchaft bes Menſchen mit Gott reden, nennen wir nur bie höchfte Stufe berfelben‘ Liebe, weil im Gemüthe des Menſchen ein wirkliches Auseinander und Nach: einander jener Stufen flattfinbet. Anberö bei der Gemeinfchaft Gottes mit dem Wenfchen, weil Bott gegen jeden Menſchen in jedem Momente ganz Liebe ift und nur um des Menfchen felbft willen in feiner Gelbftmittheilung ſich befchräntt; bei ihm ift auch die niebrigere Stufe Ausfluß ber Liebe ſelbſt. Darauf beruht der Unterfchieb des Gebrauchs vom Wort „Liebe” in diefer und der genannten früheren Abhandlung,

*

üb.d. Berhältniß der perfönt. Semeinfch. mit Chriſto ꝛc. 39

babenheit für den Menſchen, ald wenn er (wiewohl er allerdings nichts zu geben vermag, ald was er felbft erft von Sort empfangen bat), Bott gegenüber fogar ale Gchender erfcheint, fid ihm in der Liebe gibt mit feiner ganzen Perfönlichkeit. Beide Seiten ftehen in innigiter BVechſelwirkung. Der Blaube if das Erfte. Ohne ihn {iR keine Gemeinſchaft mit Ehrifto, mit ihm aber ift fie wirklich bereit au da, fo daß dur ihn der Menſch Ades hat, was Ghrifti if. Aber die Liebe ift die noth» wendige andere Seite deſſelben, die nicht ausbleiben kann, wo er wirklich Sache ded Gemüths, alfo der innerfien _ Gefammtperfönlichkeit, nicht bloß des Verſtandes oder formellen Willens ift. Ja fie kann fo wenig außbleiben, daß fie ihm vielmehr, wie wir gefehen haben, keimlich ſchon inne liegt. Deßmwegen, wie die Liebe aus dem Stauden fort und fort ihr Leben nimmt, fo Eräftigt, ver⸗ inmerlicht und befefligt fih auch der Glaube durch Die Liebe, bis er endlich, wenn alle Stadien irdifcher Ent⸗ widelung durchlaufen find, als befondere Vorfiufe vers ſchwindet und, da jenfeits mit der relativen Kerne Got⸗ ted auch feine Unfichtbarleit, Die des Glaubens Gegen⸗ Rand ift cHebr. 11, 1.), für den Menfchen aufhört, als wirkliches Schauen in der höchſten Stufe der Gemein: fhaft, der Liebe, völlig aufgeht (1 Kor. 13). In gleis der Weife aber bedingen fid auch auf beiden Stufen, bed Blaubend und der Liebe, die negative und bie poſi⸗ tive Seite. Der Glaube fann nie der Buße (der evan⸗ gelifchen , nicht der gefeßlichen, über welche, als bloße Borbereitungemacht, ber Bläubige vielmehr hinauskom⸗ men kann und foll) ermangeln, wie die Liebe immer mit Gelbfiverleugnung wird verbunden bleiben, fo lange die angeborne Selbftfucht im Menfchen nicht völlig getilgt iſt. Dagegen muß die Buße allezeit in ben bie Gnade ergreis fenden Glauben übergehen und die Selbflverleugnung aus der Liebe fich erfüllen, wenn ber Menſch im Leibe ſich

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32 Schöberlein

berfelben von ber verfchiedenen Stellung der Perſoöͤnlich⸗ keiten innerhalb der Bemeinfchaft bedingt, Wohl ift es immer ein Act der Demuth, eine Selbfidemüthigung gegen unb zu dem Andern, die ich in der Theilnahme an ihm übe. Aber es ift ein .Andered, wenn ich als der Stärfere an der Schwäche, und ein Anderes, wenn ich ald der Schwächere an der Stärfe des Andern Theil nehme, fle in mein inneres und äußeres Leben aufnehmend. Jenes begegnet und in ben verfchiedeuen Stufen der Herab- lafjung der Eltern zu dem Rinde von der leiblichen Pflege an bis zum Mitgefühle mit feiner Sündenfchuld, dieſes in den verfchiebenen Stufen vertrauensvoller Ueberlaffung des Kindes an die Eltern bis zum Glauben an ihre ver» gebeude Liebe. In noch höherem Maße muß biefer Unter: fchied heraustreten, wenn das Berhältniß von Haupt und Glied fi zu dem von Schöpfer und Geſchoͤpf fleigert, vollends aber, wenn die Schwäche bed Geſchoöpfs fogar ‚in Sünde und Leid übergegangen if. Haben wir nun bei Bott feine Theilnahme an unferm Leben ald Barm⸗ herzigkeit erkannt, fo ſtellt fich unfere Theilnahme an Gottes Leben als Glaube dar.

Unſere Beziehung zu Gott ruht durchaus auf Stan ben. Denn dba Gott der Schöpfer und Grund unfers gefammten Wefens ift, fo kann unfer perfünliches Leben fih gar nicht entwideln, wenigſtens feiner Beſtimmung gemäß fi nicht entwideln, wenn wir nicht mit voller Hingabe unferd Gemüths Gottes Leben in das unfrige hereinziehen. Aus diefem Grunde ift und der Glaube in der Form eines unmittelbaren Wiſſens und bedürftigen Berlangend uach oben bereits eingeboren. Doch bildet er als folcher nur die Baſis für eine freie Selbſtbezie⸗ bung des Menfchen. Denn der Blaube ift, wiewohl allerdings Gottes Werk in und denn ohne thatkräftis ges, unfer Inneres neubelebendes Einfenten der göttlichen Liebe in unfer Herz durch den heiligen Geift würden wir

uͤb. d. Verhaͤltniß ber perſoͤnl. Gemeinſch. mit Chriſto ꝛc. 33

nimmermehr der Gnade glauben können, fo doch zu» gleich auch freie, felbfleigene That des Menſchen, welcher, von der eigenen Ohnmacht im Innern überführt, al fein Leben binfort nur aus Bott fchöpfen will, Und wiederum iR er nicht bloß Sache einer einzelnen Seite im menſch⸗ lihen Weſen, wie des bloßen Verſtandes und ber Ueber⸗ jengung, d. h. nicht ein bloße Fürwahrhalten göttlicher (Held ») Wahrheit, wozu die Fatholifche Kirche, indem fie dad Heil des Einzelnen von feiner Bemeinfchaft mit der Kirche, flatt von der mit Ehrifto, abhängig macht, verleitet wird und dann allerbings zu einer Ergänzung beffelben durch Werke fich genöthigt flieht, fondern der Glaube ift, wie unfere Kirche, wenn fie Erfenntniß, Bei⸗ fall und Zuverficht feine Theile nennt, richtig erfannt bat, eine Sache der innerſten Perfönlichleit, des Ger müthd, in welchem die übrigen Seelenkräfte, wie oben gezeigt worden, fämmtlich- als in ihrem lebendigen Grunde wurzels. Eben deßhalb aber kann ed auch dem Slauben, weil Gleiches wieder Gleiches fucht, noch nicht genügen, nur eine einzelne Seite des Weſens Gottes zu fallen, wie feine Macht oder Weisheit, fondern er ift nur dann ein wahrer , lebendiger, wenn er in Gottes Herz einbringt, wenn er das innerfie Wefen Gottes, wenn er feine Liebe faßt. Der Blaube if ein eingehendes, in fid

faugende® Hinnehmen der Liebe Gottes ing Gemüth. Wie der Abfall ded Menfchen damit begonnen hat, daß er in Mißglauben Gott Lieblofigkeit, Verkur⸗ jung der eignen Perfönlichkeit (Gen. 3, 5. 6.) zutraute, fo tritt die Wiedereinigung mit Gott damit ein, daß er ihm alle Liebe zutraut und die Erfüllung der eignen Pers fönlichFeit aus ihm nimmt. So finden wir den Glauben ſchon im alten Teftament ald Lebenselement der From⸗ men, weil dad Erbarmen der göttlichen Liebe, unmittelbar nah dem Sündenfall eintretenb und das unendliche Der» derben zurüdhaltend, auch im alten Teftamente bereits

Theol, Sud, Jahrg. 1847. #8

34 Schöberlein

in finfenmweife bellerem Lichte nnd wachſender Kraft fidı offenbarte. Auch dort hatte der Fromme fein Leben darin, daß er, das Bertrauen auf eigne Weisheit, Kraft und Wurdigkeit aufgebend, in die jededmalige, feiner gefchicht- lichen Stufe entfprechende göttliche Liebesoffenbarung einging (vgl. die Erempel ded Glanbens im 11. Kap. des Hebräerbriefed). Rur ift, während hienach der Glaube, als Lebensbewegung bes innern Menfchen gefaßt, im alten Xeftamente allerdings nicht andrer Art ift, als im ‚neuen, und auch dort ſchon den Weg bildet, aus dem Geſetzesſchrecken in Gott fih zu finden, bie Offenbarung der Liebe Gottes in Ehrifto, in welchem bie bloße Ver⸗ heißung zur Erfüllung geworden, und fomit auch ihre Wirkung auf dad Gemüth ded Menfchen doch eine fo fpecififh nene, daB ber Größte bes alten Teſtamentes immerbia noch Heiner ift, al& der Kleinſte im Reiche Got: ted. Denn dadurch erfi, daß Gott ſich ganz, mit feiner ungetheilten Liebesfüle an den Wenfchen hingegeben hat, kann der Menſch auch Gott ganz erfaffen und alles Be⸗ bürfniß für fein geifliged Reben aus ihm hinnehmen; dadurch erſt, daB Gott in der Menfchwerbung perfönlich mit dem Menfchen in Gemeinfchaft getreten ift, kaun auch der Menfh, von dem aus GChrifto ausgehenden hei⸗ ligen Geifte im innerftien Grunde feiner Perfönlichkeit er» griffen, wahrhaft und ganz in perfönliche Einigung mit Gott treten. So ift der wahre, lebendige hrif lihe Slaube ein Liebesleben der Seele mit Ehrifto, zwarnurnod in Form ber Neceptivität, aber doch, da ja dad Berwandte nur vom Verwandten ergriffen werden kann und bie Energie ded Verwandt, ſchaftszuges zu Gott ſelbſt ſchon Liebesregung ift, ein wirkliches Liebesleben a). Wie ich in der Buße an bem

a) In dem an ſich völlig berechtigten Streben, menſchliches Ver: dienft gänzlich auszufchließen, bat bie ältere Dogmatik diefe

uͤb. d. Verhaͤltniß ber perſoͤnl. Gemeinſch. mit Chriſto ꝛc. 35

far mich übernommenen Leiden Ehriſti Theil nehme, fo im Glauben an feinem für mich errungenen Leben ea). Dort geht die Liebe Ehrifti in Korm des Schmerzes, bier in Form der Freude in meine Seele ein. Buße und Glaube als theilnehmende Seite in ber Gemeinſchaft des Sünderd mit Gott bilden aber nur die Berfinfe für eine höhere Selbftmittheilung. Denn went dad Ich dem Ich, hier fpeciell die Seele Gott durch Theilnahme, Inſichnahme feines Lebens ſich ihm verwandt, oder vielmehr ihre urfprüngliche Verwandtfchaft mit ihm wieder lebendig gemacht hat, wie Fr. v. Baaber trefs fend fagt: „Der Glaube öffnet, feßt in Rapport, macht einer fremden Perfönlichkeit theilbaftig” —, fo liegt nun fein Hemmniß mehr zwifchen inne. Und fle vermag mun Gott nicht mehr bloß das zu geben, was ihm auf Grund feiner individuellen Würde und feiner Stellung im Gans: zen der Gemeinfhaft gebührt, wobei fie aber fonft noch gauz im ihrer felbfifchen Abgefchloffenheit gegen ihn ver- harrte, fondern fie kann ſich ihm nun mit ihrem innerften Leben zum Opfer und Eigenthume geben, ſich m ungetheils sem Maße mit ihm einigen.

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Immanenz des Liebesmomentes im Glauben nicht genug aner⸗ kannt. Von neuern evangeliſchen Theologen aber iſt es geſche⸗ hen; vergl. J. Müller (Lehre von der Bünde. J. S. 115.): „Auch der Glaube im eigenthümlich chriſtlichen, namentlich pauliniſchen Sinne des Wortes muß als ein Moment im Begriffe der Liebe zu Gott erlannt werden; benn es iſt ein &icherfchließen bes Gemüthe für bie - zuporfommende göttliche Liebe und Gnade weidyes ja ſelbſt offenbar eine Weiſe der Liebe zu Gott ift.” Nitz ſch (Syſtem, S. 283.): „Im Glauben Fann ein gewiffes Eles ment ber Liebe, nämlid Wahrhaftigkeit, Demuth, Verlangen und Selbftverleugnung nicht fehlen.” So nennt audy Schleier- macher den Glauben eine Sache ber anfchauen wollenden Liebe, a) Damit ift nicht gemeint, daß ber Glaube das Leiden Iefu- nicht andy zu feinem Objecte habe, Aber im Glauben lebt ber Menſch nicht das Leiden im Leiden nach, ſondern die erloͤſende Macht, welche darin für ihn liegt. er

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36 Schöberlein

Doch hat auch diefe höhere Selbftmittheilung, gleich wie wir’ bei der Theilnahme, durch welche fie vermittelt wird, gefehen haben, erft einen Gegenfag zu überwinden, der durch die Sünde hereingefommen if. Wie nämlich die Sünde in falfcher Theilnahme ihr Weſen hat, indem ber Menfch die Befriedigung feiner perfönlichen Bebürfs niffe aus fich felbft, ftatt aus Gott, fchöpfen zu können meint und wirklich fchöpft, fo befteht fie auch in falfcher Selbftmittheilung, indem er, ftatt Gott zu leben, ſich ſelbſt lebt. Und wie die wahre Theilnahme an Gott im Glau⸗ ben nicht anders möglidy wird, ald daß der Menſch in Buße von dem falfhen Glauben an fich felbit fich los⸗ mache, fo auch die Selbftmittheilung an Gott nicht ans» dere, als daß er das falfche Sichfelbftleben in der Selb ſt⸗ verleugnung aufgebe, Gleichwie aber Die Buße den innerftien Grund des Herzens nicht umzuwandeln vers mag, fo lange der Menfch noch unter Dem Gefeße, noch allein, losgeriffen von Gott und Gott bloß gegenüber flieht, fondern erft durch die gliedliche Leidendgemeinfchaft mit dem für unfere Sünde leidenden Haupte Ehriftus zu einer lebendigen, innerlichen und umwandelnden wird, "fo ift ed auch bei der Gelbfiverleugnung. Wohl findet fi) bereitd im alten Teſtamente eine Art Belehrung, eine Abkehr von fich ſelbſt und Zukehr zu Gott, welche im Berhältniffe zur damaligen Stufe der Liebesoffenbarung Gottes an die Menfchheit eine relative Vollkommenheit bei den Gläubigen haben konnte. Aber fo lange Gott noch nicht in .felbftaufopfernder Hingabe fein ganzes Herz gegen die Menſchen eröffnet hatte, konnte auch der Menſch noch nicht im innerften Grunde des Herzens von fidh ſelbſt frei werden. Denn da Selbfimittheilung das wefentliche Leben des Herzens it, und es ohne bielelbe nicht einen Augenblid verharren kann, fo muß auch bie Berlengnung feiner felbft, wenn fie eine wahre feyn fol, zugleich ben ECharafter der Gemeinfhaft an fich nehmen. - Dieß ges

6. d. Verhältniß der perfönl, Gemeinſch. mit Ehriftosc. 37

fhieht, wie bei der Buße, durch die Gemeinfchaft mit Chriſto. Wie wir jene ein Liebesleiden der Seele mit Ehrifto genannt haben, fo ift’d auch bei der wahren Gelbftverleugnung. Sie ift, was, die heilige Schrift nennt: ein Sterben, ein Begrabenwerben mit Chrifte. Während ich in der Buße jenes Liebesleiden Ehrifti theile, in wels dem er meine Bünde fi hat zu Herzen dringen und ihren Fluch über ſich ergehen laffen, fo in der Selbſt⸗ verlengnung (Matth. 16, 24.) dasjenige, vermöge deſſen er, das in der Verſuchung, weldye auch an feinem wahrs haft menfchlidhen Selbft eine reelle Moͤglichkeit der Ans knüpfung hatte, fich ihm entgegendrängende Kigenleben zurückweiſend, zugleich feine mit unferer Schuld deladene Derfönlicykeit in jede Schmach und feine ganze, mit ben Folgen unferer Sünde behaftete Natur (adpE) in jedes Leiden, ja in den Tod felbft dahingab (Röm. 6, 10. 1 Betr. 3, 18. Röm. 8, 3). So fterbe ih in meiner Semeinfhaft mit ihm mir ſelbſt, d. h. meinem falfchen, von Gott losgeriſſenen Selbft, dem Kleifche ab.

Aber dieſe Gemeinfchaft des Sterbens führt noth- wendig zur Gemeinfchaft feiner Auferficehung (Rom. 6, . 4—11,) und feines Lebens. Wie Chriftus die odgE in den Zod gab, damit das wahre Leben in ihm, das mvsüug, zur Erfcheinung fomme, fo flerben auch wir in der Ge meinfchaft Ehrifti ung felbft nur ab, damit in ihr unfer wahres Selbft ausdem Tode, dem Scheinleben der Sünbe - erfiehe und dad zveüue in ung herrfchend werde (Nöm. 6, 5.). Da wir aber nun ald Bild Gottes zu feiner voll Fommenen Gemeinſchaft gefchaffen find, fo lebt unfer Ich dann eben erft wahrhaft, wenn es in diefer ſteht. Dieß sefhieht nun durch die Liebeseinigung mit Chrifto, dem umfchgewordenen Sohne Gottes. Und fo if die Eini- gung der Liebe mit Ehrifto, welchem nun bes Sünders ganzed Herz gehört und fein ganzer innerer Menſch

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lebt (2 Kor. 5, 15.), bie lebte, hödhite Pie ber Gemein⸗ ſchaft mit Gott a).

Aus diefer Entwidelung erhellt, daß der Weg des Heils für den Sünder kein anderer ſey, als den ganzen irdiſchen Kampfes» und Siegeslauf Chriſti durch Tod und Auferftehung hindurd vermögedervolllommenen Selbfihingabe des inwendigen Menfhen an ihn ihm nadhzuleis den und nadhzuleben, und daß mithin die unio mystica nicht bloß Schlußpunft, fondern zugleich Aus⸗ gangepunft und währendes, fort und fort wachfendes Moment im ordo salutis fey, in welchem alle übrigen Zuͤſtaͤnde chriftlichen Lebens nur einzelne Seiten und Er⸗ fheinungsweifen bilden. Bußfertiger Glaube und felbftverleugnende Liebe find ihre zwei Grund⸗ feiten. Wie alled Leben der Gemeinfchaft im gegen⸗ feitigen Nehmen und Geben befteht, fo auch bier. Im Glauben nimmt bie Seele alle Xiebesfülle aus Gott, um in der Liebe fih Gott ganz wiederzugeben. Und wie Gott in feiner Barmherzigkeit gegen den Sünder ſich berabneigt und bherabläßt, fo fehr, daß er felbft deflen Natur annimmt, fo ift auch der Glaube, worin ja der Menſch bekennt, daß ihm ſelbſt Alles fehle, in Gott aber Alles für ihn liege, der Act der tiefften Demuth gegen Gott, Dagegen gibt es Feine herrlichere Stufe der Er:

a) Hier, wo wir von ber Gemeinfchaft bes Menſchen mit Gott reden, nennen wir nur bie höchfte Stufe berfelben Liebe, weil im Gemüthe bes Menfchen ein wirkliches Auseinander und Nach: einander jener Stufen flattfindet. Anders bei der Gemeinfchaft Gottes mit bem Menſchen, weil Bott gegen jeden Menfchen in jedem Momente ganz Liebe ift und nur um bes Menfchen felbft willen in feiner Gelbftmittheilung ſich befchräntt: bei ihm ift auch die niedrigere Stufe Ausfluß der Liebe felbfl. Darauf beruht der Unterfchied des Gebrauchs vom Wort „‚Liebe” in diefer und der genannten früheren Abhandlung.

ub.d. Berhältniß ber perſoͤnl. Gemeinſch. mit Chriſto ꝛc. 39

habenheit für den Menſchen, ald wenn er (wiewohl er allerdings nichts zu geben vermag, als was er felbft erft von Bort empfangen bat), Bott gegenüber fogar ale Gebender erfcheint, ſich ihm in der Liebe gibt mit feiner ganzen Perfönlichkeit. Beide Seiten ſtehen in innigfter Wechſelwirkung. Der Glaube if das Erfie. Ohne ihn if feine Gemeinſchaft mit Ehrifto, mit ihm aber ift fie wirklich bereit6 auch da, fo daß durch ihn der Menfch Alles hat, was Chriſti if. Aber die Liebe it bie noth⸗ wendige andere Seite deſſelben, die nicht ausbleiben kann, wo er wirklich Sache ded Gemuths, alfo der innerften _ Gefammtperfönlichkeit, nicht bloß des Verſtandes ober formellen Willens if. Ja fie kann fo wenig ausbleiben, daß fie ihm vielmehr, wie wir gefehen haben, Feimlich ſchon inne liegt. Deßwegen, wie bie Liebe aus dem Slauben fort und fort ihr Leben nimmt, fo Eräftigt, ver⸗ immerlicht und befefligt ſich auch der Blaube durch bie Liebe, bis er enblich, wenn alle Stadien irdifcher Ent» widelung durchlaufen find, ald befondere Vorftufe vers ſchondet und, da jenfeits mit der relativen Kerne Bots tes auch feine lnfichtbarkeit, die des Glaubens Gegen, Ran» iſt (Hebr. 11, 1.), für den Menfchen aufhört, ale wirkliches Schauen in der höchften Stufe der Gemein: fhaft, der Liebe, völlig aufgeht (1 Kor. 13.). In gleis her Weife aber bedingen ſich anch auf beiden Stufen, des Blaubend und ber Liebe, die negative und die poſi⸗ tive Seite. Der Glaube kann nie der Buße (der evan⸗ gelifchen , nicht der gefeßlicdhen, über welche, als bloße Berbereitungsmacht, der Gläubige vielmehr hinauskom⸗ men kann und fol) ermangeln, wie die Liebe immer mit Gelbfiverleugnung wird verbunden bleiben, fo lange die ageborne Selbfifucht im Menfchen nicht völlig getilgt ift. Dagegen muß die Buße allezeit in ben die Gnade ergrei⸗ fenden Glauben übergehen und die Selbfiverleugunng and der Liebe ſich erfüllen, wenn ber Menſch im Eeide ſich

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nicht aufreiben ſoll. Ze mehr jedoch die Seele an Glanben und Liebe wächſt, deſto mehr gewinnt die Buße und Selbſtverleugnung an Innerlichkeit, Freiheit und Tiefe. Und fo geht die Buße immer mehr in der kindlichen Zus verfiht ded Glaubens und die Selbfiverleugnung in ber reinen Macht der Liebe auf, bid endlich mit der völligen Zilgung ber Sünde und ihrer Kolgen im ewigen Leben die unio mystica in unbefchränfter Seligfeit und Herr lichkeit mit Gott beftehen wird.

Durch diefe Lebendgemeinfchaft des Sünders mit Gott in Chriſto, welche, mit dem Glanben hienieben bes ginnend, jenſeits zum volllommenen Schauen Gottes fi vollendet, iſt offenbar eine dDurchgreifende Veränderung, eine völlige Umwandlung und Neubilbung geſetzt. Deun im Gegenfage gegen ein früheres Eavro Erw ift ein Hsa fnv eingetreten, Die Selbfiheit, welche durdy die Sünde aus ihrer gottgewollten Latenz hervorgetreten und baburdh, daß fie Zwed und Ziel dem Menſchen geworden, in gott« widrige Selbfifucht umgefchlagen war, ift durch Buße und Gelbfiverleugnung wieder in ihre dienende Stellung zurüdgedrängt und dagegen durch Glaube und Liebe die Gemeinfchaft, und zwar nicht die Gemeinfchaft mit irgend einer einzelnen creatürlichen Perfönlichkeit, fondern mit dem Lebendgrund und Urbilde des eignen Lebens, von welchem aus auch alle andern Berhältniffe des Gemein, lebens ihre normale Stellung erhalteu, als beherrfchendes Motiv wieder zu ihrem urfprünglichen Rechte erhoben worden, Auch ift dieß nicht in einer einzelnen, etwa entlegenen Seite des perfönlichen Lebens gefchehen, fon» dern in feinem concreten Mittelpunfte, dem Gemüthe, in welchem jede die Fülle der Perfönlichkeit begründende Lebensbewegung ein», und jede der Perfönlichkeit wahr⸗ haft eigene Rebensbewegung aus: und beſtimmend auf die übrigen Bermögen derfelben übergeht (Röm, 5, 5. Apoſtelg. 16, 14, vergl. mit Eph. 4, 23.). So ift die Lebens⸗

ab.d. Verhaͤltniß der perſoͤnl. Gemeinſch. mit Chriſto ꝛc. 41

gemeinſchaft mit Ehriſto ein duewdtcasda, zöv zaladv &do0xov unb Zvödcacdas vöv viov, fit die Wiederher⸗ Relung der durch die Sände verlornen Bottedebenbilds lihteit, welche ja, während wir ihre fnbftantiele Seite (unverlierbared Ebenbild) in der Perfönlichkeit erkannt haben , nach ihrer habituellen (verloreues Ebenbild) in der allfeitigen Lebensgemeinfchaft mit Bott nach Herz, Geiſt und Sinn befieht; der Menfch iſt dvaxamvouusvos zur’ eixbva vo xılaavrog adrdv, iſt eine nam welaıs ges worden. Die heilige Schrift nehnt dieſe völlige Um: wandinng: Wiedergeburt; als freie That des Men, fchen gefaßt, iſt's Belehrung. Das fiete Wachsthum dieſes gegen die Bergangenheit abgefchloffenen, gegen bie Zutunft aber in finfenweifer Eutwidelung begriffenen Zufandes (vergl. die Yorifte xrıodevr« und Ivsducachs in Eph. 4, 24. Gal. 3, 27. mit 2 Kor. 4, 16.) bezeichnet fe mit: Erneuerung a). Die perfönlihe Gemeinfhaft mit Ehrifto, vollzogen im Gentralvermögen der Perfönlichkeit, im Gemüth, offenbart num ihre Kraft auch in den Abrigen Vermögen derſelben. Wir haben ihrer oben drei erfannt: Vernunft, Gewiſſen und Wille. Es fteht mithin die geiftig » intellecs tnele, inridifche und moralifche Entwidelung des Men⸗ ſchen unter dem belebenden Einflufle der Bemeinfchaft mit Ehriko und ift in jener nur fo viel hriftlihe Wahr» beit, ald Diefe darin lebt und waltet. Wenn die göttlichg Liebe, indem fie, Menſch werbend, die Lebens» und Leis _

a) Es ift bier nicht der Ort, darzuthun, wie dieſe geiftige unio mit Ehriſto zugleich von einer leiblichen begleitet ifl, die mit ber Biedergeburt beginnt und mit der Erneuerung wädft, bis fie in jenen Leben ſich vollendet. Darauf fey nur nebenbei hingewiefen, dafs für biefe leibliche Einigung bie Sacramente ihre Bedeutung haben, bie Taufe für ihren Beginn in ber Wiedergeburt, das Abendmahl für ihre Bortfegung in der Erneuerung.

42 Schoͤberlein

densgemeiuſchaft mit dem fündigen Menſchen vollzieht, als Offenbarung, Verſöhnung und Erlöſung zugleich in die Welt tritt; um die dreifache Wirkung ber Sünde: Berfinfterung, Schuld und Kucchtichaft, principiell aufzuheben, d. h. wenn Chriſtus der (Rechter) Weg, die Wahrheit und das Leben für die Welt ift, fo muß er auch dem einzelnen Sünder, wenn berfelbe, die in ibm erfchienene göttlihe Gnade in fein Herz fafiend, perfön: lich mit ihm fi einige, Licht, Recht und Kraft, d. h. Princip der Erleuhtung, Rechtfertigung und Heiligung zugleich (1 Kor. 1, 30.) werden. Ohne aber in diefer Gemeinfchaft mit Ehrifto zu ftehen, befindet ſich der Menſch noch in Finſterniß, Schuld und Kucchtfchaft der Sünde. -

Was die erfte diefer drei Wirkungen, nämlich bie auf die Erfenntniß, anlangt, fo Tann man fagen, daß fchon von der allgemeinen Offenbarung Gottes in der Natur eine wahre, lebendige Erkenntniß nicht möglich fey ohne tiefered Leben ded Gemüths. Denn in allem GSefchaffenen waltet ein Liebesgefeß: in der Blüthe und Frucht des Baumes, im Zuge bed Steins nad) der Erbe, im Umfhwunge der Erde um die Sonne. Und wer bie Macht und das Gefeß der Liebe nicht darin erkennt, der mag wohl ein formelles Willen von der Erfcheinung har ben, aber Einſicht in das eigentliche Leben und Weſen der Dinge hat er nicht. Diefe befißt der Dichter, welcher im Raufchen ded Windes durch die Blätter des Baumes eine geheime Sprache und eine Freude oder Trauer ber Natur vernimmt, viel mehr als der Chemiker und Phy⸗ fiter, weldyer bloß von Stoffen und tobten Gefeßen weiß, Diefed allgemeine Gefeh, daß dad Verwandte nur vom Berwandten könne erfannt werden, gilt in ungleich höhes rem Maße noch von der Erkenntniß menfchlicher Sünde und göttlicher Gnade. Daß dem Gottlofen für das Weſen beider die Augen verfchloffen find, daB and) der, welcher

üb, d. Verhältniß der perfönl. Gemeinſch. mit Chriſto ıc. 43

bloß die Stimme des Gewiſſens und die Auctorität des Geſetzes kennt, nur den formellen Widerfpruc in ber Gände fieht, nicht ihr inuered Verderben von Glaubens⸗ und Lieblofigkeit, nnd in der göttlichen Liebe nur bie Majeftät ihres Rechts, nicht die Demuth ihres Erbar⸗ mens, bedarf feines Beweifed, Aber auch wenn Jemand Durch das Wort ded Evangeliums Über die göttliche Heils⸗ öfonomie belehrt worden ift, jedoch dieß Heil nicht andh für fidy im Herzen ergriffen hat, fo fehlt ihm zwar nicht jenes Map der Einfiht, welches ihn bewegen fünnte und folte, der Sünde abzufagen und der Gnade Gottes fidh zu ergeben, allein erft wenn er mit gläubigem Liebes⸗ fune Chriſto in fein Leiden nachgegangen und felbft dar, über betrübt geworden, die göttliche Liebe bis in ben Tod gebracht zu haben, lernt er die ganze Tiefe der Schuld und das eigentlichſte Wefen der Sünde erfennen. Defgleichen bleibt ihm bei aller möglichen theoretifchen Kenntniß das innere Leben und die volle Herrlichkeit der göttlichen Liebe fo lange verborgen, ald er nicht Diefer Liebe ſich felbft ergeben und ihre felige Macht am eignen Herzen erfahren bat wie denn auch die heilige Schrift die Erleuchtung als eine Sache des Herzens auffaßt (2 Kor. 4, 6.) und unter Zulyvodıs ein auf Erfahrung rubendes Erkennen verfteht. Sa, wenn der Sohn Bots ted, in welchem Gott, gleichwie er in ihm die ewige Lies beöoffendarung feiner ſelbſt hat, fo auch den ganzen Rathſchluß feiner Liebes offenbarung an die Menfchheit durh Schöpfung und Erlöfung von Ewigkeit gefaßt und in derzeit verwirklicht hat, vermöge unferes Glaubens in yerfönlihe Gemeinfchaft mit uns tritt und dadurch auch ir den inneriten Grund unferes gefammten Geiſteslebens als felbftmitcheilendes Princip eintritt, fo muß und in anferm Geifte dadurch nicht bloß die lebendige Erkennt⸗ niß des Heils aufgehen, fondern es ift und damit zugleich dad Princip aller wahren Erkenntniß Gottes und fein."

44 Schoͤberlein

Dffenbarung in der Ereatur überhaupt gegeben. Als Bott den Menfchen nach feinem. Bilde fchuf, hat er ihm die ganze Welt feiner eignen ewigen Ideen, wenn zwar nur in creatürlicher Abbildlichkeit, fo doch in lebendiger Geifteswahrheit eingepflanzt, die aus ihrer erft noch keim⸗ lichen Eriftenz cwie fie ja jede Idee hat) zu immer helles rer Entfaltung übergehen follte, je tiefer durch die wach: fende Freiheit und Innigkeit des Liebesumganges mit Gott das Geiſtesleben Gottes in das ded Menfchen eins gehen konnte. Nachdem nun durch die Sünde hierin eine Hemmung, ja Berfehrung und Zerrättung eingetreten ifl, wird jenes urfprängliche Verhältniß auch durch denfelben Sohn, in und zu welchem wir gefchaffen find, wieder hergeſtellt, und je inniger wir und mit ihm durch den heil. Geift, der das Werk Chriſti und perfönlich eigen macht, verbinden, befto heller geht in Kraft dieſes Got⸗ teögeiftes (I Kor. 2, 20.) unferem Geifte die ganze, im Sohne offenbare Tiefe göttlichen Weſens nnd göttlicher Delonomie auf (Eph. 3, 16—19.). Gleicherweiſe thut fih die perfönliche Bemeinfchaft mit Ehrifto auch im Ges wiffen fund, indem durch fie nämlih die rechtliche Stellung des Menfchen zu Gott eine andere wird.

Im erftien Momente der Liebedbewegung Gottes ges gen den Sünder kann diefer, wie oben gezeigt worden, ‚da die göttliche Liebe jeder Liebesbewegung bed ‘Mens fhen zuvorkommen muß, nur paſſiv fich verhalten. Er er; fährt Schuld und Strafe ohne, ja wider feinen Willen. Die einzige Wirkung davon im Gemüthe des Sünderd fann die feyn, daß er biefe abfolute Auctorität der Stel» lung Gottes gegen ihn anerfenne, fein Unrecht beflage und dem Gerichte Gottes fi unterwerfe, daß er Gott Recht gebe. Dieß ift der Standpunft des Geſetzes, dieß das Nechtsverhältniß der burch Theilnahme noch nicht vermittelten Gemeinfchaft des Sünderd mit Gott.

Aber Die göttliche Liebe will ihn zu einem höheren,

ib. d. Verhaͤltniß der perſonl. Gemeinfch. mit Chriſto ꝛc. 45

volleren, freieren Rechte leiten. Dieß kann nur geſchehen durch das Betreten der höheren Gemeinſchaftsſtufe, die und in Chriſto eröffnet iſt. Yu ihm, dem perſoͤnlich er⸗ fhimenen Gnadenrechte Gottes (er. 23, 6. 2 Kor. 5, 21.) muß der Sünder Theil nehmen, wenn er felbft zu wahs rem Rechte vor Gott gelangen wil. Gleichwie im menfchlichen Staate alled. Recht auf der natürlichen Ges burt (und der von ba bedingten Entwidelung bes natlirs lichen Lebens) ruht, fo im Reiche Gottes auf der Mies dergeburt (und der von da ausgehenden Entwidelung des geiftlihen Lebens). Es möchte auffallen, wenn nun gefagt wird, daß auch hier noch der Menfch die Strafe für feine Sünde trage. Doch aber iſt es, recht verflans den, alfo. Denn wenn die Theiluahme an Ehrifto fich nicht anders vollziehen kann, ald durch Theilnahme au feinem Liebesfchmerz über unfere Sünde, d. h. nicht ans» ders ale in der Buße, was ift diefe, da jenes Leiden Ehriki, juriſtiſch betrachtet, das Aufſichnehmen unferer Squld und Strafe if, anders, ald das Erleiden nnferer Sündenſchuld und Strafe in der Korm eines Mitleidens mit Shrifio! Sa, hier erft kommt die Strafe zu ihrer wahren Erfüllung. Denn wenn dad Weſen derfelben barin beſteht, daß für eine wider dad Geſetz des Gemein⸗ iebend verurfachte Störung dem fchuldigen Bliede dies felbe vom Haupte in rüdwirkend empfindlicher Weife zur Erfahrung gebracht, d. h. ihm ein entfprechendes Aequi⸗ valent des Leidens (als rechtliche Reaction bed Gemein, lebens) auferlegt werde, fo finden wir dieſes wahrhaft anögleihende Aequivalent für Die Sünde eben erfi in der Buße. Da nämlih die Sünde nicht bloß Außere That, ſendern aus dem Herzen gekommen ift, fo Tann äußeres, es ſey geiſtiges oder leibliches, Leiden nicht genügen: die rechte Strafe muß im innerften Grunde der Seele rrütten werden. Und da die Sünde ihrem eigentlichften Veſen nach eine Losreißung von der göttlichen Liebe if,

46 Schöberlein

fo muß das Herz auch beflagen, nicht bloß überhaupt Unrecht gethan, fondern insbefonbere diefe Liebe beträbt zu haben. Selbfi extenfio wird die Strafe burch bie Buße volftändiger, da der Schmerz im Mitleiden mit Ehrifto die Sünde des ganzen Geſchlechts, für welche Ehriſtus gelitten, mit befaßt und die Sünde bes Einzel. nen doch nur im Berhältniffe zur Sefannntfünde ihre volle Würdigung erhält. Aber freilich iſt dieß nicht Strafe im gewöhnlichen Sinne des Worted. Denn während im äußerlichen Staatöverbande die Freiheit der Uebernahme bei der Strafe gleichgültig ift, iſt fle bei der wahren Ge⸗ meinfchaft nothwendig, weil fie, die Perfönlichkeiten im innerften Lebendgrunde ded Ich verbindend, ganz auf Freiheit ruht. Hier kann mithin die verurfachte Störung anr bann für aufgehoben, dad Recht des Gemeinlebens sur dann für befriedigt erachtet, dem Sünder nur dann wieder eine verföhnte Stellung zu Bott in feinem Reiche zu Theil werden, wenn er in freiem Schmerze gleichſam ſelbſt fi firafend, von feiner Sünde ſich wieder losſagt. Und ruht in der wahren Gemeinfchaft alles Recht fo fehr anf gegenfeitiger Theilnahme, daß, wenn Gott dem Süns der Strafe zuwendet, er felbft an fich diefe Strafe mit erleidet, wie Sönnte da der Sünder zu göttlihem Rechte wieder gelangen, wenn er nicht andy an dem Strafleiden dev göttlichen Liebe Theil nähme! So ehrt alfo Schuld and Strafe allerdings auch hier wieder, doc auf einer höheren Stufe ihrer Erfcheinung: ald Sache freier Lies beötheinahme, mithin im Vergleiche mit unferen irbifchen Berhältuiffen in uneigentlihem Sinne, fo daß, vom ges wöhnlichen Standpunkte aus angefehen, die Zurechnung von Schuld und Strafe vielmehr gerabezu zu verneinen iſt. Und im gleichen Sinne iſt ed auch zu verfichen, wenn ber Buße eine abbüßende, verdienftliche Kraft für dad Reich Gottes zugefchrieben wird, da vielmehr im

ab.d. Verhaͤltniß der perfönt. Gemeinſch. mit Ghriflosc. 47

Berhälmmiffe zur gewöhnlichen Bedeutung bes Wortes „Verdienſt“ hier Alles auf lauter Gnade ruht =).

Doc iſt dieß nur die eine Rechtsſeite in ber Liebes⸗ theilnahme des Chriſten an Chriſto. Der Chriſt nimmt, wie oben gezeigt worben, nicht bloß am Leidenskampfe, fondern auch am Siege feines Hellandes, nimmt, wie im Schmerz, fo in Freude an ihm Theil. Iſt nun in juri⸗ Rifcher Faſſung fein Leiden eine Strafe an unferer Statt und fein ſiegreiches Hervorgehen and dem Leiden die Berföhnnng für uns (Röm. 4, 25.), fo wird, wenn wir in der Buße feine Strafe in nnfer Leben herübernehmen, burh den Glauben, feine Berföhnnng unfer. In ber Buße iſt's noch bloße Theilnahme an feinem Leiden ale ſolchem, im Glauben erfi empfangen wir bie Gnaden⸗ fraft, die für und darin liegt. Wie die Gerechtigkeit ber göttlichen Liebe auf ihrer höchſten Entfaltungeftufe eine Guadengerechtigkeit ift b), fo die höchſte Gerechtigkeit des Menſchen eine Glaubensgerechtigkeit. Durch den Glau⸗ den haben, ja find wir (2Kor. 5, 21.) in dem Geliebten, auf welchem Gottes Wohlgefallen ruht, die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt; ohne Glanben aber ift keine Recht⸗ fertigung des Sünders, keine Vergebung der Süns deu. So fchließen ſich Strafe (im höheren Sinne) und Vergebung nicht aus, fondern bedingen fich vielmehr ger genfeitig ; und wie jede Vergebung, der nicht Strafe vor⸗ ausgeht oder begleitend folgt, eine abflracte und willkür⸗ liche if, fo entſpricht die Strafe dagegen nur dann ihrer

a) Man wird biefer Darflellung nicht, ben Vorwurf machen wollen, daß mit Worten geſpielt werde. Vielmehr ift es von hoher wiffenfchaftlidher Bebeutung, zu erfennen, wie im Organismus bes Reiches Gottes Bein Moment einer tieferen Stufe auf einer höheren geradezu aufgehoben, fondern vielmehr in Kraft ber Liebe zu höherer Wahrheit erhoben werde. Rur fo kann bas Weſen und Leben ber Liebe und bes Reiches Gottes tiefer erfaßt werben.

b) Bergi. Abhandlung bes Verf. über bie Verföhnung, S. 307.

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48 . Schöberlein

Bedeutung, wenn fie (wie fie deßhalb in ihrer remunerar torifhen Macht zugleich pädagogifch wirkt) die bloße Borfiufe für die Bergebung bildet, wie Göſchel treffend fagt: „Strafen und doch nicht vergeben, wäre ein Ans faug ohne fein Ende” a).

Aus dem Gefagten erhellt übrigens, daß bie Rechts fertigung nicht, wie die ältere evangelifche Dogmatik auf Grund äußerlihsjuriftifcher, and Deiftifche ftreifender Bor» fiellungen will, außer dem Menſchen, bloß in Gott vor, gehe. Wohl iſt's ein wirklich juridifcher Act; aber, weil Chriſtus felbft Cnicht bloß fein Außeres Werk) das ges offenbarte Gnadenrecht, die wefentlihe Gerechtigkeit für den Sünder ift, und Chriſtus burdy den Glauben in wahr⸗ haft perſönliche Einigung mit uns tritt, ein Act, welcher in ung felbft vollzogen wird (2 Kor. 5, 21, Röm. 8, 16. Hebr, 10, 22), wie Jak. Böhme fchön fagt: „Niemand fann die Sünde vergeben, als Chriſtus im Menfchen b); wo alfo Chriftus im Menfchen lebt, da ift die Abfolu- tion” (Bnadenw. 13, 11), und an einer anberen Stelle: „Chriſtus felbft iſt die zugerechnete Gnade” (Gnadenw. 10, 37.). Doch iſt hiermit nicht dad Innewerden jenes Actes im Gefühle gemeint. Denn damit würde, wie un⸗ fere Kirche richtig erfannt hat, ber Friede der Seele auf den ſchwankendſten Boden gebaut, weil nicht nur übers haupt das Gefühlsleben etwas Wechſelndes ift, fondern Gott ſelbſt mit weiſem Bedachte dem Menfchen das füße Gefühl des Kriedens bisweilen entzieht, um feinen Glaus ben dadurch von Selbftfucht und Sinnlichkeit zu reinigen und fefter zu gründen, Gonbern indem dad Gemüth mit aufrichtigem Sinne Ehriftum faßt, der unfere Gerechtig⸗

a) Vergl. Goͤſchel's zerſtreute Blätter (S. 480.), welchen ber Verf. auch für diefe Abhandlung mandye Anregung verdankt. b) „Chriftus in uns” iſt bier offenbar nicht gleichbebeutend mit Heiligung.

ib.d. Verhaͤltniß ber BR Gemeinſch. mit Chriſto ꝛc. 49

keit iſt, ſo tritt dieſe Gerechtigkeit nicht bloß ee tive, foubern zugleich inhaesive als eine Verſohnungs⸗ macht wirklich and in unfer Gewiffen ein, und ba bie Seele ſich darüber wohl gewiß werden kaun, ob fie ed mit ihrem Glauben anfrichtig meine oder nicht, fo ber bauptet unfere Kirche mit Recht, daß der Menſch auch feined Heild gewiß werden koͤnne, ob diefe ‚Sewißheit and für Zeiten jeder felgen Empfindung entlleidet feyn follte. Aber rechtfertigen kann hiernach freilich auch nur der Iebendige Glaube, welcher, auf einem Bedürfniſſe nach Liebe ruhend, felbft ein Ausſtrecken des inneren Menfchen sad der göttlichen Liebe if. Dagegen wo der Menſch das bloße But cd. h. die Entledigung von Gewiſſensangſt) auf jedem Wege will, und nicht zugleich bie göttliche kiebe felbft, welche darin ſich zu uns niederneigt wie wenn ber Anßerlichstirchliche Broteftant in ſchlecht⸗juridi⸗ (her (nach Schleiermacher : magifcher) Weife Chriſti Ver⸗ denkt auf ſich Übertragen will, oder der Außerlich-firdys lie Katholik die Vergebung von der Kraft der Gnaden⸗ mittel ex opere operato erwartet : da ift die Rechtfertis gang bloße Täufchung, weil der vermeinte Glaube nicht Sache des Gemuths ik, fondern bloßes Kürwahrhalten and fleifchliches Wollen, d. h. Aberglaube.

Die perföuliche Gemeinfchaft Ehrifi erweilt ſich aber endlich auch als ſittliche Macht, fie ik das Princip aller wahren Heiligung.

Iſt allfeitige Lebendgemeinfchaft ded Menfchen mit Gott Beſtimmung ded Menfchen, fo befteht feine wahre Gittlichleit, da Sittlichleit nichts Anderes iſt als bewuß⸗ tes, freied Ringen nach der eigenen Beſtimmung, darin, daß er, dieſe Gemeinfchaft frei wählend, alle Berhältniffe feines inneren und äußeren Lebens in diefelbe aufnehme. Dur die Selbfifucht der Sünde ift er aus dieſer Ger weinihaft heraudgetreten. Offenbar kann er nun dadurch oh nicht zur wahren Sittlichkeit Be werben,

Tyeol, Stud. Jabrs. aan

50 Schbberlein

daß ihm im Geſetze bie göttliche Liebesheerlichkeit bloß gegenübertritt. Auf diefem Wege kann fie wohl die ihm eingeborene Idee feines Weſens, deren Verwirklichung eben feine Beſtimmung ift, zu voller Klarheit erheben, nicht aber fie and ihrer gegenfäglichen Stellung, bie fle im Gewiffen unter der Korm der Korberung einnimmt, in feinen perfünlichen Lebensmittelpunkt als immanente Kraft überführen. Dieß maß aber gefcheben; denn ber ethifche Wille ruht durchaus auf dem Gemüthe. Für fic allein kann er bloß abftracte Geſetzlichkeit leiften; aber die wirkliche Dahingabe des eigenen Ich an die Beſtim⸗ mung, bie wirkliche Erfüllung fittlichen Thund mit inne vem, felbfteigenen Lebensgehalte empfängt der Wille erft and dem Gemüthe. Wahre Gittlichkeit ift alfo nur da⸗ durch möglich, daß die göttliche Liebe, weiche als abfoln- tes @emeinfchaftsleben, wie wir ed in der Dreisperfönlichen Gelbftoffenbarung Gottes und in feiner Offenbarung nadı außen eriennen, bad Princip alles Guten ift, fi zur Bemeinfchaft ihm barbiete und in fein Gemüth eingebe. Wie num diefe göttliche Riebe in der ewigen Menſchwer⸗ bung des Sohnes, abgefehen felbR von ber Sünde, dad Urbild ift, in umd zu welchem der Menſch gefchaffen und an weichem zu ſittlicher Entwickelung und Vollendung fich zu erheben ded Menfchen Beitimmung von Ewigkeit if, fo it auch die perfönlihe Erfheinung des Gohnes im Fleiſche das Urbild, und vermöge feiner Einwohnung Im Gemüthe bed Menfchen durch den h. Geift das urkräftige Priucip aller fittlihen Erhebung bed Menfchen aus der in der Zeit zwifchen eingetretenen Sünde zum Leben in Gott. Alle wahre Sittlichkeit, ale Heiligung bed Sünders ift ein Geftaltgewinnen Ehriftt in uns (Gal. 4, 19.), eine iunere Berklärung in fein Bild, In der Buß⸗ gemeinfchaft mit ihm ſtößt der Shader die Selbſtſucht von fi ab, Rirbt dem Kleifche und mie ihm der Welt, in ber GBlanbensgemeinfchaft aber ziehe er Chriſti Leben

üb.d. Verhättniß der perſoͤnl. Gemeinſch. mit Chr iſto ꝛc. 51

in fein Gemäth, das ein Leben in Gott ifl. &o wird der Menſch in Ehrifto frei, wie ja Freiheit in dem Dop⸗ pelten befieht,, dem Losſeyn von bem der Idee des eig- am Weſens Feindlichen und dem Verbundenfeyn mit bem, in deſſen Bemeinfchaft Die Beftimmung des Menfchen ruht (Rom. 6, 22; 8, 2.) und durch bie Freiheit von ber Sünde frei zugleidh von der knechtenden Macht des Ges ſetzes, dem Gorrelate bed Sundendienſtes, wiewohl nur alfo, daß ed, da feine volle Herrlichkeit in Chriſto pers fönlih wohnt, durch deſſen Einwohnung im Menſchen ſelbſt das Leben feines Ich geworden ift (Bal. 2, 19. 20. Röm. 3, 31; 7, 4.)

Indem nun aber auf diefe Weiſe die perfönliche Ges meinfchaft mit Chrifto dem Sünder alled Heil vermittelt, fo gefchieht dieß durch ihre beiden Seiten in verſchiede⸗ ner Weiſe. Wie wir gefehen haben, befteht fie in Recep⸗ tisität unb Nctivität, in Nehmen und Beben, in bußfer- tigen Glauben und felbfiverleugnender Liebe. Anders vermittelt ums nun das Heil ber Glanbe, anders bie Liebe. Die erfie Bedingung ift, daß ich Chriſtum im mich aufnehme. Dieß gefchieht durch ben Glauben. Faſſe ich ihn aber im Blanben, fo babe ich ihn auch wirklich unb babe ihn ganz; denu feine Perfönlichkeit kann ſich nicht theilen, und mit ihe ift die ganze in ihr befchloffene Gna⸗ benfüle mein eigen: ich werbe ein wirkliches Glied des Reiches Gottes, ein Erbe aller Güter defielben. So be: darf 5 zum Heile alfo zunächft nur bed Glaubens; durch ihn empfange ih Alles, was mich aus den Banden ber Ehnde reißt: der Glaube erleuchtet mich, weil er mir die Offenbarung des innerſten Weſens Gottes, feiner ewigen Liebedgebanten in Chriſto, er rechtfertigt mich, wei er mir die durch die Hingabe göttliher Liebe in das Ledesleiden der fündigen Menfchheit :geftiftete Berführ ung in Ehrifto, er heiligt mich endlich, weil er mir die durch das Herciutreten urbildlicher Liebesherrlichkeit in

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das dem Sünbdendienfte verfallene Menfchenleben geſche⸗ bene Erlöfung in Ehrifto wahrhaft zueignet. Aber was der Blaube empfangen hat, das fegt die Liebe nun in Bewegung, Thätigfeit und Hebung und befeftigt ed fo im perfönlichen Leben, Selbſt in der Erleuchtung laffen fich beide Momente unterfcheiben.. Dat der Sünder durd den Glauben einen Einblid in bie göttliche Liebesweisheit empfangen, fo erweilt er ſich das, durch nun als felbft auch weife und ebenbärtig geworben der göttlichen Liebesweisheit, daß er fein innerfied Ich mit Berleugnung feines bisherigen falfchen Selbſts ganz Shrifto zum Liebedopfer hingibt, und je mehr er in ber Lauterkeit und Kraft dieſer Hingabe wächſt, defto heller und durchfchauender werden die Augen feines Beilles für die Tiefen der göttlichen Liebe.

Ebenſo begegnen und beibe Momente in den rechtli⸗ hen Beziehungen des neuen Lebens. WWährenb die Buße zum Strafleiden Chriſti, welches fle ihm nachlebt, mehr receptio fich verhält, erfcheint die Seele in der Selbſt⸗ verlengnung (ber negativen Seite der Liebe) felbfithätiger, indem fie alles Kreuz des Lebens, welches fie nicht, wie der natürliche Menſch pflegt, ald Strafe, wodurch fle von Gott gefchieden wäre, fondern vielmehr als einen Weg und ein Zeugniß innigerer Gemeinfchaft mit Chrifte anfteht, mit willigem Sinne auf ſich nimmt, um fich ihm,

der fich für fie zuerſt geopfert hat, als wohlgefälliges Opfer wieber entgegenzugeben und fo am eignen Kleifche fein Leiden für die Gemeinde (gewiffermagen) zu ergäns, zen (Kol. 1, 24.). Und ebenfo: ob auch der Menfd) durch den Glauben die Rechtfertigung von feinen Sünden oder (pofitio gefaßt) die Kindfchaft erlangt, fo erhebt ſich diefe Kindfchaft doch erſt dadurch zu freubiger Energie und freier Regfamteit, daß die Seele zugleich auch liebend an Chriſto hängt. Am deutlichiten treten dieſe beiden Seiten der Ser

ib.d. Berhältniß der perfönl. Gemeinſch. mit Ehrifto sc. 53

wenfhaft mie Ehriſto, der Empfang des Heild nämlich in bußfertigen Glauben und die Bethätigung deflelben in der felbfiverleugnenden Liebe, nach ihrem Llnterfchiebe aneinander bei der Heiligung. Wenn nämlich die Buße id von dem falfchen Selbſt, weil es wider Gott ift, erft sur abwendet, fo befämpft die Selbfiverleugnung daſſelbe wun wirflich geradezu, bad Kleifch fammt ben Lüften und Begierden Freuzigend, Und bie Liebe nützt eifrigen, freu⸗ bigen Sinnes die Snadenkräfte, die fie durch den Glauben empfangen hat, um das gefammte innere Leben durch den Gehorſam Chriſti zu heiligen und in allen Berhältniffen bes änferen Lebens feinen Ramen zu verherrlichen.

Haben wir bdeßhalb oben gefehen, daß der Sünder im Glanben Gottes Liebe faffe, um felbft auch in Liebe fih Gott wieder entgegenzugeben, fo gilt dieß gleichers weife audy von den Gaben, welche ber Liebe Frucht find: der Glaube nimmt alle Gaben aus Ehrifto, um in ber Liebe ich mit allen Gaben Ehrifto wieder zu geben. Im Slauden demüthigt fih die Seele vor Gott wegen ber Finſterniß, Schuld und Knechtichaft ihred Sündenlebend, kicht, Friede und Kraft dagegen aud dem Brunnen des Heils ſchöpfend; in der Liebe aber erhebt fie fich wieder zn ihm, fich freuend, iu Kraft ber empfangenen Gnade feinem Bilde nun auch ähnlich werden zu dürfen in Er- kenntniß Gottes, in Freudigkeit der Kindfchaft und in Reinheit ded Sinned und Wandels. Die Liebe ift alfo, wie an fih, fo auch rückſichtlich der Gnadengaben die Rete Bewährung bed Glaubens, der Glaube aber die ftete Duelle der Liebe, und beide bleiben nur kräftig zu unun⸗ terbreochener Heilsvermittelung durch biefe ihre lebendige Bechfelbeziehung.

Diefe in der yerfönlichen Gemeinfchaft mit Ehrifto dem Gläubigen gefchentte Gnade der Erleuchtung, Recht» fertigung und Heiligung ift nun eine eben fo in ges Biffem Sinne vollendete, als andererfetts in

54 Schöberlein

ftetem Wachsthume begriffene. Dem Principenad iſt nach allen diefen drei Seiten durch den Glauben ein Reued geſetzt. Aus der Herrfchaft des Weſens diefer Welt ift der Menſch genommen, ein Glied ded Reiches Gottes ift er geworben nad allen Beziehungen feines Lebend: va doyaia napnidev, IdoV, yEyove xaıvd vd dvra. Jedoch das Neugefehte bat im Menſchen auch feine hiftorifche Entwidelung. Er kann nicht mit Einemmale die ganze Fülle des göttlichen Liebewefend faflen Nur nad) und nach wächlt der Glaube tiefer in die Dffenbarungen Got: tes hinein, nur allmählich reinigt ſich und erftarft bie Liebe des Gläubigen an der täglich neuen Treue Ehrifti. Aber je tiefer der Glaube in Chriftum fich fenft, deſto mehr holt er Schäße aus ihm, in Fiebeshingabe damit zu wuchern; und je treuer er dieſes thut, defto fähiger wird er, noch mehr zu holen, fo daß er wächſt von Stufe zu Stufe bis zur Vollendung des ewigen Lebens,

Dieg muß nach den drei Seiten: der intellectuellen, juridifchen und ethifchen, gleicherweife der Kal feyn.

Der Glaube verfeßt den Geiſt mitten ins Herz Got: tes hinein, daraus alle feine Dffenbarungsgebanten ent quollen find. Da bat der Menſch den rechten Stand» punkt für jede geiftliche Erfenntniß. Chriftus ift pas Bin’ beglied von Zeit und Ewigkeit, er ift ber Erfigeborene vor aller Creatur, in dem Alles gefchaffen ift, der Angel punkt und Mittelpunkt der irdifchen Geſchichte. Wer ihn erkennt und in wen fein Geiſt Iebt, dem ift mithin das Dieffeits und Jenfeits aufgefchloffen, der hat den Schlüſ⸗ fel zum Verftändniffe der ganzen Natur und Geſchichte.

Aber freilich Iöft fi der Geiſt nur langfam von den vielen eingefogenen Irrthümern, nur mit vieler Mühe trägt er das Licht des Evangeliums in die mannichfachen Gebiete des Willens über, und nach noch fo viel herben und freudigen Erfahrungen lernt er doch nie aus in dem Berftändniffe des innigen Berflochtenfeyns von Majeſtaͤt

üb. d. Berhältniß der perſoͤal. Gemeinſch. mit Ehriftozc. 55

und Demush, von Heiligkeit und Gnade In ber göttlichen liebe, Weniger geneigt if man, die Einheit pringspieller Abgeſchloſſenheit md gefchichtlichen Wachsſthums bei der jarivifchen Seite zugugeben. Aber beides hat auch hier feine Wahrheit. Indem der Menſch durch den Blauben Ehriſto einverleibt it, auf welchem Gottes Wohlgefallen rubt, ruht daſſelbe auch auf ihn. Die Verſoͤhnung If wahrhaft fein eigen, er bat ein» für allemal eine Gott geeinigtsrechtliche Stellung, er. if} gerechtfertigt por Gott, Und diefer Stand Der Rechtfertigung währt fo lange in objectiver Wirklichkeit und Gultigkeit, als Chriſtus im innerſten Lebensgrunde der Perfänlichkeit wohnt, ob auch der Blänbige dabei noch vielen Sünden unterliege und bie nub da, felbft längere Zeit, zum freudigen Bewußt⸗ ſeyn diefer Rechtfertigung fich nicht erheben könne (Nom. 8, 26. 27.). Iſt aber auf diefe Weife die Rechtfertigung allerdings ein abgefchloflener Act und währender Zukand, fo in doch andererjeitd auch Entfaltung und Wachsſthum dieſes Rechsöverhältuiffes nicht zu verkennen. Es wärg zämlih Abſtraetion und ein Zeichen, Daß die Berföhnnug nur mit deu Verſtande, nicht mit dem Gemüthe erfaßt werden, wollte Jeiand über alle Sünden feines weiteren Lebens, von Denen er übereilt wird, auf Grund der eins, mal erlangten Rechtfertigung forglod wegiehen. Son⸗ dern es liegt iu der Natur menfchlidher Lebensentwicke⸗ ung, daß ein Chriſt die empfangene Berfühnungegnade nun auch anf jedes Schuldverhältnig, in weldem.er ficht oder von Neuem wieder tritt, übertrage und für bie einzelnen Sünden, die er begeht, beſonders wieder Sergebung von Gott erbitte. Die Anklagen Biber biefels ben heben zwar das Grundverhältniß des Berfühntfeyns nicht auf, dienen Demjelben vielmehr zum einzelnen Her» vertreten ind Bewußtſeyn, aber barin eben erweift fich de Berföhnung erfi ale ein lebendiges But und wahres

56 &chöberlein

Eigenthum, dadurch befeftigt fie fich zugleich immer tiefer in der Seele, daß er ſich diefelbe jenen Anklagen gegen» über auch wirklich für jede einzelne Lebensbeziehung zu Harem, freudigen Bewußtfeyn bringt. Und wiewohl er auch für verborgene Fehler Verzeihnug fich erbitten kann ( Pſ. 19, 13.), fo wird doch fein Herz eben dadurch erſt, baß er es thut, auch über dieſe wahrhaft berubiät! Die Rechtfertigung, in welcher das Schuldverhältniß der Per⸗ fon als folcher ind Auge gefaßt ift, wird befhalb in ber h. Schrift als ein einmaliger Act bargeftellt, dagegen bie Vergebung, in weldyer die Beziehung auf die einzelnen - Sünden vortritt, als ein fich wieberholender. Und zwar ift nicht biefe etwa als bloßer Vorgang im Menfchen ans zufehen, während jene zugleich ober ausſchließlich in Gott zu feten wäre, fondern beide find beides zugleich, ba vor Gotted Augen nicht bloß der Anfang des neuen Lebens und mit ihm der Eintritt in das neue Rechtsverhältniß, fondern auch jede Verinnerlichung und Bertiefung deflels - ben offen liegt und für feine Selbfihingabe an den Mens fchen, welche diefer im Gemüthe und Gewiſſen inne wird, beftimmend wirkten muß. Was aber von der negativen Seite gilt, gilt auch von der pofltiven, der Kindfchaft. Der Menſch wird durd den Glauben wirklich ein Kind Gottes (Sal, 3, 36.), wie foldhes ihm der h. Geiſt in feinem Geifte bezeugt, aber nicht gibt Gott dem Gläubis gen fogleich alle feine Rechte in die Hand, wiewohl fie ihm in Chrifto alle hinterlegt find; nur nad und nadh empfängt er fie, und zwar nad dem Maße feiner Ge meinfchaft mit Ehrifto. Je mehr die Seele bloß Befrei⸗ ung vom Uebel der Sünde fucht, bloß die Laſt der Schuld und die Schreden der ewigen Strafe lod werben will, deſto mehr mit Knechtlichem it noch das Kinbesverhälts ni gemengt. Aber mit um fo freierer, innigerer Kraft

die Seele in bußfertigem Glauben an Chriſtum fi an⸗

fchließt, deſto tiefer und feliger wird ihr Friebe; je reis

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üb.d. Verhaͤltniß der perfönt. Gemeinſch. mit Ehrifto ꝛc. 57

ner unb brünfliger fie ihren Heiland lieben lernt,’ deflo freier wird ihre Stellung als Kind in feinem Hanſe,

deſo tranter wird ihr Umgang mit ihm, deſto allfeitiger -

erat fie ihre Kindesrechte erkennen und gebrauchen,- nnd fe wählt fie womit jedoch dad fchwanktende Gefühl davon nicht zu verwechfeln it im Genuffe ihrer Rechte hienieden, bis fle jenfeitd das volle Erbe empfängt (Rim. 8, 23.). Auch bei der Hriligung endlich begegnet und diefelbe Deppeiheit des Berhältniffed. Die Allmählichkeit ihrer Entwidelung liegt vor Augen. Aber aud in principiels ler Bollendung fteht fie da. Hat nämlich Ehriftus dem Türken diefer Welt fein Reich abgenommen, fo ift audı die Seele, die fich ihm ergeben,. der Hetuggpaft der Sünde für immer entnommen, fo daß fie wohl nody Sünde bat, weil diefelbe zu tief ihr ganzes geiftiges und leibliches Weſen durchdrungen hat, als daß fie mit Einemmale gar; könnte getilgt werden, aber daß fie dieſelbe nimmer that (vergl. 1 Joh, 1, 8. mit 3, 9.), daß nicht fie es iR, welche die Sünde thut, fondern das Fleifch, das ihr sch auklebt. Das Herz, von weldhem alle Lebensbewe⸗ gang ausgeht, ift durch Chriſti Einwohnung neu und ges heiligt; und da er, wie er ihr Überhaupt nichts vorents halt, fo auch mit feiner ganzen Lebendtraft ſich ihr zu geben bereit if, damit fie zu jedem, auch dem ſchwerſten Kampfe dadurch ſich flärke, fo ift fie de6 Sieges fich ger wis und flieht in Hoffnung alle ihre Keinde gefchlagen, wiewohl ihr erf in feinem himmlifchen Reiche die vos fonmene freiheit von Sünde und Kampf zu Theil wer: den wird (1 Joh. 5, 4. 5.). Und fo flieht auch Bott fie a Chriſto als eine geheiligte an, wie er fie als eine ges rechte in ihm fieht, weil Chrifti Kraft ebenfo für unfere Schwachheit eingetreten als feine Gerechtigkeit für unfere Ungerechtigkeit.

58 Schöberlein

So gilt alfo dad allgemeine Geſet bed Lebens, daß im lebendigen Keime bereits das ganze Gewächs vorge⸗ bildet und fertig liege, und doch nur in allmählicher Weiſe zur Eutwickelung und Vollendung fomme, auch von ber Erleuchtung, Rechtfertigung nud Heiligung, als den drei integrirenden Offenbarungs » und Wirkungsweifen der unio mystica, bei welcher wir bag gleiche Geſetz "erfannt haben.

Iſt nun, wie gezeigt. werben, mit ber Nengeburt dee Gemuͤths, des perfönlichen Lebenscentrums, auch Die Neu: geburt der drei darin wurzelnden Urundvermögen, ber Bernunft, des Gewiſſens und Willens, geſetzt, theilt ſich Chriſtus, indem er als die perſoͤnlich erfchienene Liebe Gottes gegen ie fündige Menſchheit ind Gemüth zu bleibendem Innewohnen ſich einſenkt, zugleich der Ver⸗ nanft als die Offenbarung in der Erleuchtung, dem Ge⸗ wiffen als .die VBerfühnung in der Rechtfertigung, dem ‚Willen und durd ihn der ganzen leiblich » geiftigen Natur ale die Erlöfung in der Heiligung mit, und hält dieſe göttlich s intellectuelle, inribifche und ethifche Entwidelung des Sunders mit der myftifchen, mit welcher fie gleicher zeit aus dem Einen neuen Keime aufgeht, gleichen Schritt, fo leuchtet ein, wie keines von dieſen dreien feine letzte urfählidhe Begrändung in dem andern habe, fon bern jedes berfelben in dem Einen Höheren: ber unio mystica. Es if irrig, zu fagen, der Glaube allein rechtfertige nicht, fondern der Blanbe in Verbindung mil den Werfen, wie die tatholifche Kirche will. Nein, der Glaube rechtfertigt allein, und zwar wieberum, nicht weil er Drincip ber Heiligung ift, fo daß doch die Rechtferti⸗ gung wieder von ber Heiligung abhängig gemacht wärd® fondern er rechtfertigt, ‘weil er Chriſtum, das perfönliche Gnadenreht für den Sünder, faßt und in den Leben‘: grund der Perfönlichleit zu wefentlicher Einwohnung auf nimmt. Die gleihe Bewandtniß hat ed damit, went

ib. d. Berhältniß der perſonl. Gemeinfch. mit Ehriſto ꝛc. 59

won dem Blanben wegen ber ihn immanenten Liebe, die us Geſetzes Erfüllung fen, vechtfertigende Kraft zus, färeibt. Aferbings iſt im Glauben ein Liebeleben cin Fern der Theilnahme an Ehrifto), wie oben gezeigt wors den; ohne dieſes wäre er nicht Sache ded Gemüths, Des ioo dvdgmnos, und würde alfo Ehrifti und feiner Gnade sicht wefentlich theilhaftig werden können. Wein nur weil das eiebesmoment im Glauben dieſe Bedeutung hat, iſt die Rechtfertigung darauf zu beziehen, nicht weil die Liebe der Keim der Heiligung if. Ja wenn ein Menſch durch Kraft der Gemeinfchaft Ehrifti noch fo fehr wihr in Liebe und Heiligung, fo wirb doch nie Diefe Heiligung irgend Grund der Rechtfertigung, fondern immer zur Chriſtus, die Berfühnung für unfere Sünde Denn Sergebung Tann nie verdient werden, fle ift durchaus freie Liebesthat. Beruht nicht auch am Ende, genau bes trahtet, dad Abhängigmadhen der Vergebung von der Yiligung anf bloßer Täufchung, da die nachfolgende Neigung ohne Bezug zur früheren Sünde ficht, und weil fe doch nicht mehr thut ale geboten ift, dieſe nicht gut sahen fan; wenn man fie aber ald opus supererogati- sum and infofern als Aequivalent für die frühere Sünde betrachtet, die Bergebnng aufhört, Vergebung zu feyn? Kur Empfänglichfeit des Herzens {ft Bedingung von Seite des Sünders. Andererfeits iſt ed aber auch irrig, den Glauben bloß als Organ der Rechtfertigung umb, am jeden Schein von Berdienft auszuſchließen, vielleicht fogar bloß als formelle That der Seele, nicht als Lebens⸗ bewegung der innerften Perſönlichkeit zu faffen. Ein fols hr Glaube wäre bloßer Schein und hätte feine Kraft der Rechtfertigung. Man darf zwiſchen Glaube, welcher shtfertigt, und zwifchen Glaube, welcher heiligt, nicht Kheiden; fondern in demfelben Glauben, welcher recht fertigt, liegt auch die Kraft der Heiligung, und biefe ift nicht als bloße Folge der Mechtfertigimg zu betrachten,

. 60 Schöberlein

wie von ber Altern Dogmatik zu gefchehen pflegt. Der legte Grund der Heiligung ift der, daß Chriftus, der da heilig iff und heiligt, das principielle Leben des Sünder geworben if, und fie ift nur deßhalb ohne Nechtfertigung nicht zu denken, weil fie aus Chriſto quillt, ber für bie Seele zugleich Fürft des Friedens if. Bon der Erleuch⸗ tung gilt daffelbe Verhältniß. Ale Erleuchtung, Recht⸗ fertigung und Heiligung hat nur fo viel chriftliche Wahr⸗ heit, als unio mystica in ihr ift, und aller Wachsthum in denſelben nur fo viel geiſtlichen Werth, als die unio mystica im Gemüthe dadurch erhöht wird, weßhalb fid Chriſtus aucd auf jeder Stufe geiflihen Wachsthums, wie fchon in der der Wiedergeburt voraudgehenden Ber rufung, nicht an ein einzelnes Organ der Perfönlichkeit als folched, fondern durch daffelbe an den innerften Grund der Perfönlichkeit, and Gemüth, zu gläubiger @inigung mit ihr wendet. Alles ift für uns nur Chriſtus, weichen die Seele im Glauben ergreift, und Chriftus, im Glau⸗ ben ergriffen, wirft zugleich zum Helle unferer ganzen Derfönlichkei.

Steht aber nun hiernach auch die gleichbered: tigte und gleichzeitige Immanenz der Erleuch⸗ tung, Rechtfertigung und Seiligung in der unio mystica fer, fo fchließt dieß dennoch die gegenfeitige Wed» felbegiehung und Wechſelwirkung diefer drei nicht aus, fondern vielmehr ein, da in einem geiftigen Orga nismus, wie bed Menfchen Perfönlichkeit ift, keine Seite des Lebend gegen die andere fich abjchliegen kann, wenn das Ganze nicht leiden fol.

Es kann feiner diefer Momente fehlen ohne daß auch die andern aufhörten, wahren geiftlichen Charakter zu haben. Bloße Rechtfertigung ohne Kraft der Heili⸗ gung ift eine Selbfitäufchung; denn Chriſtus will ſich nicht bloß ftüchwelfe dem Glauben geben. Wer in einer Sünde mit Bewußtſeyn und Willen verharrt, erflärt damit, daß

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aAb. d. Werhältniß der perfönl. Gemeinſch. mit Shrifto:c. 61

er die Gemeinſchaft Ehrifti, dem jebe Sünde ein Greuel it, noch nicht wahrhaft auf biefelbe bezogen habe; fo taun er audy die Kraft feines Berdienfted zur Vergebung sicht anf diefelbe beziehen. Ebenſo iſt auch jene Heili⸗ gung feine evangelifche, fondern bloß gefeßlicdher Gehor⸗ fam oder natürliche Beflerung, die ohne irgend welche begleitende oder vorangegangene Erfahrung ber Kind» (haft ihr Werk treibt, Denn die Liebe ift die Seele der wahren Seiligung ;:die Liebe aber empfängt nur von bem Kindesverhältniß ihre Innerlichkeit, Freiheit und Wahr⸗ beit, und fomit auch ihren wahren gefeßerfüllenden Werth. Wie aber auf diefe Weife das Borhanbenfeyn des einen Prüfftein für die Wirklichkeit des andern ift, fo dient auch die gefunde Pflege eines jeden dem andern zur Stärkung und Befeſtigung. Ge mehr ein Menſch, die Schuld feiner Sünde anblidend, in ihrer völligen Bergebung fih felig fühlt, mit deſto fregdigerer Kraft wird Der Wille dem Sündendienſt entfagen und Chrifto ‚wlieb leben. Und je aufrichtiger und entfchiedener er an feiner Heiligung arbeitet, defto feſter kann der Trof ber Gnade im Herzen haften, mit deſto innigerem Zutrauen wird er das Angeficht feines Gottes fuchen. Deßgleichen muß Die wachfende Eiuficht in den Liebedreihthum Got - ted die Seele ermuntern, immer anhaltender und eifriger Zriede und Kraft aus demfelben zu fchöpfen, und umge⸗ kehrt. Zwar ift ed in der ben individuellen Liuterfchieb in ſich befaffenden und heiligenden Ordnung des Reiches Gottes begründet, daß die Einen mehr im Anfchauen ber unendlichen Liebesweishelt Gottes, bie Andern mehr in dem feligen Gefühle himmlifchen Friedens und wieber Undere in dem Kampfe für die alfeitige Durchbildung des Reiches Gottes in dem Kreife der fie umgebenden Belt leben, ohne daß darum die Wahrheit und Geſundheit ihred geiftlidhen Lebens dadurch beeinträchtigt wärbe. Aber fo weit hierzu nicht bie von Gott geſetzte Individua⸗

..& Schöberlein

Iktät leitet unb berechtigt, wirb, je mehr die eine Seite auf Koften der andern ſich ausbildet und gegen biefelbe fi, verfchließt, deſto mehr jene kräufeln, deſto langfamer fortfchreiten und am Ende der Gefahr völligen Erfterbens erliegen. Dagegen je mehr ein Menſch der gegenfeitigen Wechſelwirkung diefer Grundfeiten des perfönlichen Lebens Raum gibt und Diefelben mit göttlichem Gnadengehalte ſich erfüllen läßt, einen deſto gefunderen Berlauf wird fein geiftliched Leben nehmen.

Außer diefer Gegen» und Wechfelfeitigkeit derſelben untereinander läßt fi aber auch eiue naturgemäße Folge berfelben nacheinander, eine anf Innern Geſetzen subende Entwidelung berfelben audeinander erfennen. Doch find dieſe Gefege nicht ſowohl dogmatiſcher als pfychologifcher Art. Dogmatiſch wichtig iſt nur dieß, daß ohne perfönliche Lebensgemeinſchaft mit Ehriſto nach kei⸗ ner Seite hin dem Menſchen Heil werden fönne, dieſelbe aber, wenn fie eingetreten, nach allen Seiten hin audı wirkfam ſich äußere, nub baß jeder Empfang von Wahr⸗ heit, Friede und heiliger Kraft nicht Werk und Verdienſt des Menſchen fey, fondern Onadengabe Gottes in Chriſto durch ben heiligen Geiſt, obwohl jeder Empfang won ber nicht: bloß natürlich gegründeten, fondern auch burdı felbfteigue freie Ueberlaffung bedingten Empfänglichkeit und jeder neue Wachſsthum von der treuen Nutzung und Pflege der vorher empfangenen Gnadenkraͤfte abhängt.

Ba biefen Belegen des perfönlichen Lebens gehört, daß fich demfelben Alles durch die Ertenutuiß vermittele. Es Tanıı mithin das Herz weder den Krieden der Ber föhnung empfangen, noch zur Heiligung ſich kräftig erhe⸗ ben, wenn es nicht erſt durch dem heiligen Geift die in Ehrifto erfchteneue Gnade erfaunt hat. Ferner will ſich das Herz, da die Stellung nach oben bei der Ereatur für ihre Stelung nach innen bebingend ift, feiner Ver⸗ föhuung mit Gott, welchem es ſich nun zur Bemeinfchaft

üb.d. Berhältniß der perfänl. Gemeinſch. mit Chriſtore. 63

ergeben, erſt gewiß werden, um mit ungehemmter, frenbi« ger Kraft den Willen Gottes am eignen Weſen zu voll ziehen. So lange der Menfch ſich noch im Zwielpalte mit feinem Bott und Heren fühlt, ift dem unter dem Einfluſſe des Gewiflens ſtehenden Willen die Kraft gebrochen; fo lange er ſich noch nicht für angenommen betrachten darf, taun der Glanbe nicht zur freien, Eindlichen Liebe erſtar⸗ fen, aus welcher jedes gottgefällige Thuu quellen muß. Es geht infofern, als pſychologiſcher Borgang betrachtet, die Rechtfertigung der Heiligung, die Erleuchtung der Rechtfertigung naturgemäß voran. Und die evangelifche Lehre ift und bleibt deßhalb für dieſes Nacheinander ber geitlichen Lebendentwidiung (ordo salutis) der richtigfle, allgemeingültige Ausdrud.

Doch if fürd Erfte mit Berweifung auf das oben Gefagte zu bemerken, daß dieſe Aufeinanderfolge Fein urfächliched Bebingtfeyn des einen vom andern in fidh ſchließt, daß wir alfo eben fo wenig deßhalb geheiligt werden, weil wir gerechtfertigt find, ale wir die Rechts fertigung empfangen, ‘weil wir erleuchtet find; fondern jedes derfelben behält feinen urfächlichen Grund in ber perfönlichen Gemeinfchaft mit Chriſto. Wenn aber doch, wie die Erfahrung lehrt, die Gewißheit der Nechtfertis gung für die Seele Beweggrund zur Heiligung wird, fo iR dDieß eben bloß Beweggrund, fo wenig aber ein obs jectiv⸗ urſachliches Verhaͤltniß, ald man baflelbe in der entgegengeſetzten Erfahrung wird finden wollen, baß ein Menſch Vergebung für eine Sünde nur dann ſich zueig⸗ nen fönne, wenn er mit ernſtem Willen ihr zn entfagen fig entfchloffen hat.

Zum Undern aber gilt, daB ungeachtet diefer Auf- tinanderfolge doch bie Wiedergeburt nicht mit einem dies fer drei Zuftänbe allein eintrete, fo daß die andern ent weder rein vorausgehen oder erft nachfolgen könnten, fondern jeder dieſer Znftände erhält feinen eigentlich

64 Schöberlein rege evangelifchen Werth eben erft dadurch, daß er ache der Wiedergeburt, alfo auch in Verbindung mit den andern vorhanden if. Man darf nämlich erfilich mit biefen Brunbfeiten der Wiedergeburt nicht die vorans⸗ gehenden Stadien, welche jede bat, verwechſeln. So kann eine gewiffe Erkenntniß des Heild vorausgehen, aber zur Erlenchtung wird fie erft durch perfönliche Heilserfah⸗ zung. Deßgleichen ift der hoffende Hinblid auf Verſoͤh⸗ nung noch nicht die Nechtiertigung ſelbſt. Wenn nun ſolche Erkenntniß noch, Fein Friedegefühl in die "Seele bringt, oder and manchem die Seele durchziehenden Friede- gefühle noch feine Frucht der Heiligung erwächſt, fo folgt daraus nicht, daß Erleuchtung ohne Rechtfertigung oder Rechtfertigung ohne Heiligung beftehen und dieß etwa mit der Zeit erſt ald Folge eintreten könne, ba jenes dloß vorausgehende Stadien der Erleuchtung und Rechts fertigung find, wicht dieſe ſelbſt. Umgekehrt wenn ein : duch Gotted Wort bewirkter Anlauf zur Beſſerung wie ja die Treue im Geringen allezeit "die Empfänglichs feit für höhere Gaben zum Segen hat ber Seele zum Eintritt in die Wiedergeburt, mit welcher Gottes Friebe in fie einlehrt, Bahn bricht, fo darf man daraus nicht fließen, daß die Rechtfertigung eine Folge der Heilis guug fey, da jene fittliche Erhebung des Herzens noch nicht Heiligung felbft geweien,

Sodann aber, felbft wenn bie Wiedergeburt einge⸗ treten, muß doch, obwohl ber wiebergebärende @laube ‚in Bernunft, Gewiflen und Willen zugleich einen neuen, geifilihen Keim fett, berfelbe nicht überall zugleich wirk⸗ fam ſich zeigen, fondern es ift vielmehr natürliche Ord⸗ nung, daß der eine nach dem andern ſich entfalte. Und ‚ee kann fomit der eine dieſer Zuftände auf ben andern ſich ſtützen, ohne daß dieſer bereits beſtimmt und deutlich ind Bewußtſeyn getreten wäre, fo wie auch umgekehrt ber eine den andern als nothwendige Kolge in fich bergen

üb, d. Berhaͤltniß ber perfönl. ſemeinſch mit Ehriſto ꝛc. 65

kann, ohne daß dieſer unmittelbar ſchon zu ausgeprägter Erfheinung kommen müßte.

Benden wir dieß nun anf die oben angegebene na⸗ turgemäße Folge biefer Zukände an, fo ift allerbings fetzubalten, daB die Erleuchtung nur dann diefe wirklich ſey, wenn fie wirkliche Ergreifung der Gnade durch den Blauben in fich fchließt, und daß die Heiligung, ob fie auh vom Willen erfi auf Grund des verfühnten Gewiſ⸗ fend in Vollzug geſetzt wird, doch ihm ſchon vom Mo⸗ mente der SHeilderfahrung an als neue Lebensmacht ins wohne, Andererfoitö aber ift auch anzuerkennen, daß, wiewohl mit ber Rechtfertigung zugleich die Erleuchtung und Heiligung im Menfchen gefegt find, der Menſch doch bie rechtfertigende Gnade nur ergreife, infofern er burch Kraft des heil. Geiſtes fein Heil in ihr erkennt, und daß er zur heiligenden Liebe nur ſich erhebe, infofern Der Bei Gottes feinem Beifte Zeugniß gegeben, daß ex durch Chriftum ein Kind Gottes fey.

Haben wir aber bis jebt, wo wir vom Ergreifen der Buade redeten, vorzüglich die Verföhnung im Auge ges babt, fo daß die jinridifche Geite ale ber Hebel für die beiden andern erfchien, fo dürfen wir und doch nicht vers bergen, daß das gläubige Gemüth vorzugsweife und zus nachſt auch andere Seiten der göttlichen Gnade faflen föune, obne daß der Charakter chriftlicher Wiedergeburt dadurch aufgehoben würde Wie nämlich der Cine im Befühle feines Sündenelendes bie verfinfternde und ver, biendende oder die Enechtende und verwüſtende Madıt dere Sünde mit tieferem Schmerze bellagt, während ein Anderer, davon weniger berührt, nur unter der Laſt des Schuldgefühls fenfzt, jenes aber nur dann ben chriſtli⸗ den Bußcharakter verlöre, wenn er nicht zugleich mit beflagte, durch eigene Schwib und mit Berfchuldung ges gen Bott, den Herrn feines Lebende, darein verfunfen zu fyn, fo it es auch beim Ergreifen der mann Richt Cheol, Stud, Jahrg. 1847,

66 Sqhoöberlein

iſt's dann bloß Wiedergeburt, wenn die Seele dafür wer Allem dankt, daß fie, der Schuldenlaſt entlebigt, wieber freien Zugang zu ihrem binrmlifchen Vater habe. Es Tann auch bieß die Geele mit vorwiegender Freude er⸗ füllen, daß in Ehrifte ihr alle Raͤthſel göttlichen Waltens im eigenen und allgemeinen Leben gelöf find, ober daß fie, ans dem Sündendienſte nun endlich befreit, ihrem Herrn in reiner Liebe dienen könne. Und in biefem Falle wird das beftimmte Bewußtſeyn der Rechtfertigung der Seele erſt in Folge ihrer fittlichen Umwandlung auf gehen, fo daß jene von biefer abhängig erfcheint. Doch tft andh bier das reine Borausgehen der Heiligung vor der Rechtfertigung im Bewußtſeyn eine ZTänfchmg. Denn in der Freude über die zu gottgefäligem Wandel empfangerre Gnadenkraft Liegt bereits das Gefühl ber Berfähnung, und gwar nicht bloß ald Sache der Hoff nung, fordern auch des wirflichen Glaubens, - da ſolche Freude nur in einer zu Gott nimmer im Knechts⸗, fon dern bereits im Kindesverhältniffe ſtehenden Seele Plat haben kann. Mithin geht auch hier, wiewohl weniger offenbar, die Rechtfertigung der Heiligung im Bewußt feyn voran. Und nur dann würde die Heiligung ihre richtige Stellung und ihren chriklichen Werth verlieren, wenn fie nicht aus der freien Liebe eined an die Grade Gottes Hläubigen Gemüthed erwüchfe, fondern ein Menſch fi die Gerechtigkeit vor Sort durch eigene Kraft wirt lich verdienen wollte. Ebenfo würde aber auch die Rechts fertigung dhriftticher Wahrheit und fomit der Kraft zur Heiligung entbehren, wenn ein Menſch, bloß froh, der quölenden Gewiſſensanklage entledige zu ſeyn, ſich's wei⸗ ter gar nicht kümmern ließe, ob er die göttliche Liebe, durch deren Selbftentänßernng ihm diefe Gnade zu Theil geworden, durch fortgefetted Sundenleben betrübe oder nicht. Solche Glaubensgerechtigkeit iſt wicht beffer, ale jene Werfgerechtigfeit, in welche fie auch von felbft un.

üb. d.Berhältniß ber pexfönl, Gemeinſch. mit Chriſto ꝛc. 67

tee der Form des Buchſtabendienſtes überfchlägt, wenn fie nicht geradezu zur Henckelei und Zügellofigfeit führt. Somit herrſcht alfo, innerhalb jener oben aufgeſtell⸗

ten Grundgeſetze, auch bier auf dem geiftlihen, wie auf jedes höheren Lebensgebiete die größte Mannic fals tigfeit der Entwidelung. Ihren guten Grund aber hat biefelbe in ber göttlichen Orbuung, nach weis her Jeder hienieden nicht bloß in befoudere änßere Ber» bältmifie geſtelt und auf befondere Weiſe durchs Leben geführe wird, fondern Jeder auch eine deſtimmte Indivi⸗ bualität feiner Perfünlichkeit angeboren empfängt, die er sicht bloß nicht ablegen kann, fondern die er vielmehr zum zei deren Anfbau des Ganzen bewahren und in reiner Weiſe zur Entfaltang bringen fol. Für diefe Mannichfaltige feit geiftlicher Entwidelung finden wir die deutlichfie Bes Rätigung in der h. Schrift. Ein Beweis dafür liegt ſchon darin, daß zur Bezeichnung bed Grundcharalter6 ber evangeliſchen Verkündigung bald die eine, bald die anbere

Brite von den heiligen Schriftftellern gewählt wird, wie

.S. 1 Tine. 2,4. die Erleuchtung, Eph. 6,15. die Recht⸗

fertigung ꝛc., und daß jebt diefe von jener, dann jene

von diefer abhängig erfcheint, wie 3. B. Tal, 2, 24; 1 Joh. 3, 7. die Helligung ald Bebingung ber Rechtferti⸗ gung, Röm. 6, 15.19. Hebr.9, 14. die Rechtfertigung ald Voransſetzung der Helligung dargeſtellt wird. Aber and die ganze Prarid ber Apoftel legt ein Zengniß dafür ab. Denn je nach den geſchichtlichen Zuftänden ober indivi⸗ duellen Berhältniffen, welche diefelben eben vor ſich hats ten, Iaffen fie bald die eine, bald die andere Seite in den Berdergrund treten. Weil die Inden das Hell auf eis zene Erfülung des Geſetzes gründen wollten, ſah ſich Pasins genöthigt, ihnen die Rechtfertigung allein durch a Glauben aufs fchärffte entgegenzuhalten. Dagegen wußte Jakobus, wo man einem Blanben, der nicht im Ormüthe wurzelt und. fomit fih auch im Leben nicht als

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68 | Schöberlein

heiligende Kraft erweift (von einem ſolchen in fich feld todten Slauben weiß Paulus in feinen Briefen gar nicht) rechtfertigende Kraft zufchreiben wollte, die Rechtferti⸗ gung an die Bebingniß ber Heiligung knüpfen. Mit der gleichen Berechtigung traten deßhalb aud die Neformas toren dem in der Fatholifchen Kirche eingeriffenen Geſetzes⸗ und Werkdienſte mit ber paulinifchen Lehre von der Rechtfer⸗ tigung burch den Glauben entgegen, und umgekehrt ift ges genüber jedem Mißbrauche diefer Lehre das Dringen auf Heiligung am Orte, So follte auch jeder Prediger und Seelforger noch immer die gleiche apoftolifche Weisheit üben. Endlich aber, abgefehen von diefer Außeren Ber, anlaffung, ift auch die Individualität der Apoftel felbft ‚welche fich in den verfchiedenen Entwidelungsftadien der Kirche und in den verfchiedenen Eonfefflonen wieder: fpiegelt von großem Einfluſſe geweien. Paulus und Jakobus treten hier Cinnerhalb der dhriftlichen Wahrheit). am weiteiten auseinander. Der die innere Ordnung ber ‚göttlichen Heilsökonomie mit bialektifher Schärfe zer legende Berftand des Paulus mußte die Rechtfertigung von jebem Berbienfte menfchlihen Werkes und der Hei ligung überhaupt aufs beftimmtefe getrennt halten, fo daß diefe gleihfam ald Frucht aus jener erwächſt. Der praftifhe Sinn eined Jakobnsé dagegen ſucht vor Allem die Frucht bes neuen inneren Lebens im äußeren und Iäßt fo die Rechtfertigung vom äußeren Werke abhängig erfheinen. Bei Petrus ſteht dieſe praktiſche Richtung noch mehr in ihrer Verbindung mit dem inneren Leben. Der contemplatio » fpeculative Geift eines Johannes aber ſchaut alle dieſe Unterfchiede in ihrer höheren Einheit. Nechtfertigung und Heiligung treten bei ihm ungetrennt auf, wie 3. 3. das „Heiligen” in Joh. 17. beide Begriffe in ſich zu vereinigen fcheint. „Erkenntniß“ ift ihm ber Ausdrud für perfönliche Lebensgemeinfchaft mit Chrifto, wie ja bei diefer auch ein inneres ‚Schauen flattfindet,

üb. d. Berhältniß der perfönl. Gemeinſch. mit Ehrifto sc. 69

welches bis zu jenem höchften Punkte wählt, daß wir ihn fchauen werden, wie er ift (1 30h. 3, 2,). Und gleich» wie er, wenn er bad Berhältniß der Gläubigen zu Chrifto _ und umgekehrt bezeichnen will, am liebſten Bilder von mpftifcher Bereinigung wählt, wie vom Neben am Wein, ftode, vom Brode und Wafler des Lebens ꝛc., fo it auch in feinen Briefen und in den legten Reden Jeſu, zumal im hohenpriefterlichen Gebete, das „Er in und” und „Wir in ihm” die Grundvorftellung, die ihn leitet.

Bon ihm, dem Lieblingsjünger ded Herren, dem alle übrigen überlebenden Apoftel, muß deßhalb auch eine chriſtliche MWiffenfchaft, welche nicht innerhalb der hiftoris fen Gegenfäte verbleiben will, fondern über ihnen bie böhere Einheit fucht, die Wahrheit erkennen lernen: daß die perſönliche Gemeinfhaft des Sünders mit Ehrifto in derſelben Weiſe augfchließlicher Quell für Beginn und jeg⸗ lihen Wahsthum der Erleuhtung, Rechtfertigung und Heligung ſey, als die perfönliche Gemeinfhaft Gottes mit der fündigen Menfchheit in dem oagE Zyevero bed idyos Dffenbarung, Berfühnung und Erlöfung als intes grirende Momente in fid, fchließt.

70 Bed

2,

Ueber bie Praͤdeſtination.

Die auguſtiniſche, calviniſche und lutheriſche Lehre aus den Quellen dargeſtellt und mit beſonderer Ruͤckſicht auf Schleiermaher's Ermählungslehre comparativ beurtheilt

von

© Bed, |

epetenten am theol. Stifte zu Tübingen a).

—“

Die Prädeſtinationslehre iſt, wie bekannt, im Refor⸗ mationszeitalter ein Hauptgegenſtand der Controverſe geworden, ſo daß ſchon dieſe Thatſache den engen Zu⸗

ſammenhang dieſer Lehre mit den Grundideen der Re⸗

formation nicht in Zweifel laſſen kann. Man hat zwar ſchon geſagt b), die Reformation, wie ſie aus den ge⸗ meingültigen Bekenntniſſen ſpreche, gehe nicht von den göttlichen Eigenſchaften aus, um aus ihrer inoraliſchen Zweiheit und! nothwendigen Offenbarung Schöpfung und Kal, Heil und Verdammniß zu conftruiren, bie Refor⸗ mation gehe von der Thatfache der Rechtfertigung durch

a) Der Aufſatz ift geichrieben, als ber Herr Berfaffer noch Stabt: vicar in Kirchheim u. Ted war, b) Ritzſch gegen Möhler, Befonderer Abdruck aus biefer Zeitfchrift, 1. ;

über die Praͤdeſtination. 71

den Glauben aus und fey fo in biefem Entwidelunge- gauge fogar gemöthigt geweien, ſich gegen den Leber, ung ind conſtructive Syſtem zu verwahren, welches 4 ihr nur in polemiſchem Eutwidelungsgange als Acci⸗ bed angehängt habe. Hiermit wirb denn offenbar bie calviniſche Präbdeftinationdiehre denn fie iſt das con⸗ Aractive Syſtem ald etwas Späteres unb Demeigent- hen Mittelpunkte ber Reformation Fremdes begeichnet, da fie gewagt, dad Weſen Gottes zu confiruiren und kise Offenbarung in der Welt der Nothwendigkeit zu asterwerfen. Siergegen aber ſteht fchon bad, daß Nies wand häufiger, Niemand firenger, ald eben Calvin, ges gen die menfchliche Aumaßung eifert, die Gott Geſetze verkhreiben wolle, unb daß Luther felbit am Anfange, wie befannt ift und wie wir unten geuaner finden wer⸗ den, mit härtefter Gonfequenz fich gegen Erasmus elfe doch wohl im SInterefle der Neformation auf vn Grunde der nachmals calvinifchen Principien ges Ytıs hat. Bei genauerem Zufehen kann es auch Keis um entgehen, daß, was der Myſticismus ind Ertrem sieben hat, gerade bie sola fides drängt, ſich in Gert zu verfenten und in feiner Abfolucheit aufzugeben, daß die Rechtfertigung, weldye den Ausgangspunkt der Reformation bildet, in natürlicher Entwickelung auf das Berhälmig zwifchen Gott und Menfchen zurädführt, daß da institia, qua Deus iustos facit, auf die andere ſich änden muß, qua ipse iustns est. Wir fommen fomit dech auf das Wefen Bottes hinaus, fobald wir nur Die lutheriſche Lehre in ihrem Grunde verfiehen wollen, und hen damit einen gemeinfamen Berührungspunft mit Lalvin. Auf der andern Seite aber iR es einmal That» ſache, daß Calvin fo gut als Luther auf bem Boden der karift ſtehen will und daß im dieſer Lehre gerade beide 4 anf das Wort der Schrift berufen. Wenn fomit

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beide aus dem Einen und ſelben Quelle rein und lauter ſich herleiten wollen, ſo mag zwar darüber geſtritten wer⸗ den, welcher Lehre mehr Recht zukomme, aber als un⸗ zweifelhaft wird zuzugeben feyn, daß auch dann die an- dere, felbft eregetifch, nicht unberecdhtigt, daß auch fie ein nothwendigeds Moment und fein zufäliges Accidens in der Eintwidelung feyn müfle So werden wir alfo auf eine genetifche Betrachtung ber Sache hingemwiefen. Das Berhältniß beider ‘Theorien wird nur durch hiftorifche Zurüdführung auf ihre gemeinfame Grundlage in Das rechte Licht zu feßen feyn. Diefe Grundlage aber ift, wie man weiß, die auguftinifche Theorie; von dieſer bar ben wir auszugehen und und fomit zunächft in unferem biftorifchen Theile mit den Theorien Auguſtin's, Calvin's und der Iutherifchen Kirche zu befchäftigen.

Erfter, hiſtoriſcher Theil. 1. Auguſtin a).

Die auguftinifche Prädeftination hat den erften Sün⸗ benfall und den Stand der Sünpdhaftigkfeit zu ihrer Vor⸗ ausfegung, von woher erft die menſchliche Freiheit und bie damit zufammenhängende Präbdeftination zum rechten Verftändniffe gebracht werden kann. Wir haben fomit die drei Punkte zu erwägen: 1) Sündenfall, 2) Leben in der Sünde, 3) Prädeftination.

Mit Pelagius ift Auguftin einverflanden in dem Ans fangspunfte, daß der Menſch am Anfange gut aus der

a) Ich benugte bie Ausgabe Paris 1651. Die Schrift de civitate Dei, welche Baur in ber Dreieinigkeit und Menſchwerdung be ſonders -berüdfichtigt bat, Tonnte ich bier nicht benugen und muß darum auf Baur’s Darflellung am gedachten Orte ver weifen,

über die Präbdeftination. 73

Hand bed Gchöpfers hervorgegangen ſey, fehler» und tadelloe. Aber das iſt im Wefentlichen doch auch nad Yelagiud der Menfch jetzt nicht mehr. Der Grab und die Art diefer Alteration ift ed nun eben, worauf es ans fommt, und ihre Auffaffung wird zunächſt motivirt durch Angabe des Grunded, warum der Menfch nicht gut ger blieben, fondern in die Sünde verfallen fey. Der Süm denfall ift der Gegenfland von Auguſtin's Unterfus hung befonders in der Schrift de gratia et correptione, e. 10. Hier ift die Einwendung aufgeſtellt: „Hatte der Menfh in jener Vollkommenheit (rectitudo), in der er fehlerlos gefchaffen war (factus), auch die Beharrlichkeit, fo mußte er zweifellos darin auch beharren; hat er aber bebarrt, fo bat er doch wohl nicht gefündige, noch jene Vollkommenheit und mit ihr Gott verlaffen. Daß er aber nun wirklich gefündigt und das Gute verlaffen hat, bas zeigt die Erfahrung. Alſo hatte er auch nicht die Be: barrlichkeit in jenem Gut; hatte er fie nicht, fo hat er fie auch nicht erhalten; erhielt er fle nicht, wie fann fein Rihtveharren Sünde feyn, da das Beharren ihm doch sicht zu Theil geworden it?” Auf diefe Einwendung gibt nun Auguftin die Antwort: „Gott, der Herr aller Dinge, der Alles fehr gut gefchaffen hat, fah freilich vor» aus, dag aus dem Guten auch Böfed hervorgehen werbe (mala ex bonis exoritura esse), aber. er wußte auch, baß es feiner allmächtigen Güte angemeflener fey, auch aus dem Böfen Gutes hervorzubringen, als das Böfe nicht suzulaffen, und darnum hat er der Engel und Menfchen Leben fo georbnet, darin zuerſt and Licht zu bringen, was ihr freier Wille vermöge, und fobann, was feiner Gnade Segen und feiner Gerechtigkeit Urtheil im Stande fu.” Es werden alfo hier fihtlicdh für den Sündenfall zwei Momente ftatuirt, die potentissima bonitas Gottes und der Engel und Menſchen liberum arbitrium, Sn welches Berhältniß werden nun aber beide zu einander

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gefekt? „Der Menfch iſt gemacht mit freiem Willen und, wenn auch mit feinem Lünftigen Falle unbelanunt, doch darum felig, weil er die Möglichkeit, nicht zu fterben und nicht elend zu werben, in-feiner Hand fühlte Hätte er in diefem volllommenen und fehleriofen Zuflande durch feine Freiheit beharren wollen, fo hätte er gewiß ale Lohn feines Bleibens (merito hulus permaasionis) auch bie Fülle von Geligfeit erlangt, bie auch Die heiligen En» gel zu Seligen macht, das if, daß der Fall fürder eine Unmöglichkeit geworden wäre. Er bat aber burd feine Freiheit Gott verlaffen und: darum Gottes gerechtes Ge⸗ sicht erfahren.” Vgl. Kap. 12: „Dem Adam ift die Wahl gelaffen worden zu beharren; Gott hat freilich vorher. gewußt, was er nurecht thun würde, er hat es vorher: gewußt, aber ihn nicht Dazu gezwungen (praesciente, sed tamen non cogente) Bo iR denn alfo der Sündenfall eine That dermenichlichen Freiheit, vollbracht contra Dei voluntatem, sednon praeter cam.” Diefe Freiheit wird fo ausdrücklich hervorgehoben, daß Auguſtin hier von ber pelagianifchen Seite nur gar wenig entfernt iſt Kap. 11: „Bott wollte ihn nicht ohne feine Gnade laflen, aber er bat fie in feiner Zreiheit verlaflen. Hätte er diefen Beis ftand nicht durch feine Schuld verfcherzt, fo wäre er im⸗ mer gut. Über er hat verlaffen und warb verlaflen. Er fonnte bleiben, wenn er wollte, weil es ihm nicht an der Unterflüßung fehlte, durch welche er konnte und ohne weiche er nicht beharrlich da6 Gute behalten konute, das es wollte. Aber er wollte nicht bleiben, und fo iſt es gewiß feine Schuld, da ed auch fein Verdienſt gewefen wäre, wenu er hätte bleiben wollen.” Hiermit ift von der göttlichen Seite nichts übrig gelaffen, ale ein adiu- torium, das der Menich durch feinen Willen wollen ober nicht wollen Tann. Die Kreiheit Eonnte diefed adistorlum erhalten, bie Freiheit konnte es verfcherzen, und fie hat es verfcherzt.

uber die Präbeflination. 75

Run aber fährt Anguſtin fort in der eben angeführten Stelle: „Hätte diefe Stüte einem Menfchen oder Engel gefehlt, fo wäre, weil ihr Weſen auch mit ihrem Willen ohne Gottes Schug doch nicht zur Beharrlichkeit geichafr fin war, ber Fall gewiß nicht ihre Schuld; denn bann hätte bie Stüge gefehlt, ohne welche, zu bleiben, eine Unmoͤg⸗ lichkeit war.” Gonad war ber Menſch vom göttlichen adietorium , von dem er fich doch follte losreißen können, abhängig unb wiederum war es body nicht fo mit ſei⸗ nem Herzen verwachfen, daß er die wahre Freiheit ges habt hätte, weiter nicht zu fallen. Diefen Gegenfag nun fuht Auguſtin durch die linterfcheibung einer gratis prima etsecunda auözugleichen. Kap.IL: Talequippe erat adiatorium, quod desereret, cum vellet, et in quo permane- ret, si vellet, non quo fieret, ut vellet. Bas iſt nun aber mit diefer Unterfcheidung gewonnen? Hiernach it ja ber erfe Menſch mit einem fo ſchwachen Verſtande und fo unfräfs tiger Willensfreiheit ausgeſtattet (ignarus sdhue faturi sei easus erat”), daß ihm auf der anderen Seite keine wirflihe Freiheit übrig bleiben kann, bie ihn getrieben hätte, dad adiutoriom divinum zu verlaffen. Wußte er doch nicht, daß er deſſelben veriuftig gehen könne! Wa: sum nun bat ihm Gott in biefer Beziehung das Wiſſen nicht verlichen? Es bleibt Fein anderer Ausweg, ale die erfie Antwort, daß fo des Menfchen Kal mit Rüdficht auf die Erlöfung geordnet geweſen fey.

Iſt aber fon Adam nicht mit wirklicher Willens⸗ freiheit zur Sünde gekommen, fo bleibt noch weniger jetzt für die Menfchen eine Freiheit, mit der fie die Erb: fünde aufuchmen könnten. Hier fommt der Hauptfchler des auguftinifchen Syſtems zu Tage: während feine Ten» den; immer iſt, Gnade und Freiheit zu verbinden, wirb vielmehr in der That immer die zweite von ber erfien, die menſchliche Seite von ber göttlichen verfchlungen. Vahrend er bie Anthropologie einführt in bie Dogmen⸗ e

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gefchichte, kommt er vom theologifchen Standpunkte nicht hinweg. Denn will man’ fit auch an feine infralapfaris fhe Seite halten, fo bleibt doch die ungeheure Schwies rigfeit, daß der Wille vor dem Falle frei gewefen und nach dem Falle aufgehoben ſeyn fol, daß fomit eine ein⸗ zige That des freien Willens feine Freiheit vernichtet. Denn was hilft uns eine Freiheit Adam’d, wenn doch, ob er nicht beharren will, von feinem Willen abhängig gemacht wird, der damals noch fo frei war, Gutes oder Böfes zu wollen? Was hilft ung eine folhe Freiheit, wenn wir im nämlichen Zufammenhange zu lefen befoms men (Kap. 11,): nunc autem, quibus deesthocadiutorium, iam poena peccati est. Eine Strafe für die Sünde, eine Strafe für und, da wir nicht aus eigener Schuld gefüns bigt haben ? Anguftin antwortet (Kap. 6.): Wennman nicht wiebergeboren ift, fo {ft die Hauptfache nicht zu überfehen, daß Gott den Menfhen am Anfange der Schöpfung volls fommen gefchaffen hat und bei Gott keine Ungerechtig⸗ keit it; darum iſt die erfte Schlechtigkeit, welche den Un: gehorfam gegen Gott zur Folge hat, vom Menfchen, weil er aus der Bollfommenheit, in der ihn Gott von Anfang gefchaffen hat, durch feinen böfen Willen herausgefallen und fchlecht geworden ift. Oder iſt die Schlecdhtigfeit am

Menſchen etwa deßwegen nicht zu tabeln, weil er, der

Einzelne, fie nicht eigen, fondern mit Allen gemein hat? Vielmehr verdient Tadel auch am Einzelnen, was Alle haben. Wenn von der Schlechtigkeit Keiner frei ift, folgt nicht, daß fie Einem deßwegen nicht zufomme; jene Erb- fünden heißen darum fremd, weil ein Jeder fie von feis nen Eltern mitbefommt, aber mit gutem Grunde heißen fie auch die unfrigen, weil „in jenem Einen Alle. geſün⸗ digt haben.” Es ift dieß der Punkt, wo die auguftinifche Eregefe von Röm. 5, 12, eingreift, die aber darum nicht unmittelbar beweifen fann, weil wir eregetifch und grams matifch durchaus fein Recht haben, das ip’ mit dv iden⸗

über bie Praͤdeſtination. 77

fh gu nehmen, womit denn bie Nothwendigkeit der Ber ziehung bed H ald Mascul. auf Adam wegfallen muß. Echen wir alfo hiervon ab, was ift denn der Grund ber Errfünde in und? Bleiben wir bei der oben gewonnes an Anſicht fliehen, daß auch bei Auguftin der Sündenfall ein georbneter fey, fo muß nothwendig auch in den Ein» sinn der Zuftand der Erbfünde als ein potentieller ger ordnet ſeyn.

Die Frage ift aber nun näher, wie wir nah Aus gukin dieſen Zuftand der Erbfünde aufzufaffen haben, oder in genauerem Zufammenbange mit unfeter Frage, welhe Freiheit er dem Menſchen eben in dem Reiche und chen der Sünde noch zufchreibt. Hier gibt wiederum die indeß befprochene Stelle Kap. 11. entfcheidenden Auf- (dluß: liberum arbitrium ad malum sufficit, ıd bonum nihil est, nisi adiuvetur omnipotenti bono, Vil man nun aber einwenden (Kap. 1.), das ſey kein freier Rilke, der fih nur nach einer Seite neigen könne, fo ber Kater Auguſtin, wir haben die Kreiheit zu Beidem, zu Gum und Böſem, sed in. malo faciendo liber est quisque istiiae servusque peccati. Dieß wird dann weiter ausge⸗ führt de gratis et lib. arb. c.15: „Immer ift unfer Wille ei, aber nicht immer if unfer Wille gut. Entweber ift a frei von Gerechtigkeit und ein Knecht der. Sünde, dann ift er böfe, oder er ift frei von der Sünde.” Frei aber von der Gerechtigkeit, das ift offenbar gerade fo il, ald frei von der wahren freiheit, mit anderen Berten, nicht frei, fondern, wie er felbft fagt, servum peecato. In dem Stande alfo, in welchen durch Adam’d Gündenfall das ganze Menfcyengefchlecht gebracht wor⸗ a iR, herrſcht keine Freiheit, ſondern allein Knechtſchaft vr Sünde, Nichte defto weniger wirb in demfelben Buche . Rap.1.2,) eine Freiheit ſtatuirt, vermöge der Jeder fich feine Eindezurechnet, und Doch fürchtet Auguſtin wieder (Kap. 4., 2 einem guten Leben und frommen Wandel, welche ben

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ewigen Lohn verdienen, bleibe Fein Raum mehr für gra- tia et adiutorium Dei. Solche Stellen und beſonders der Ausbrud adiutorium zeigen zur Genüge, daß, fobald er ſich eine Freiheit nady beiden Seiten deuten will, er ims mer in die pelagianifche Vorſtellungsweiſe verfällt. Vgl. de dono perseverantiae 6. voluntate sus quemque Dei esse desertorem, ut merito deseratur a Deo. Und doch faun wieder unter den Sünden keine Freiheit feyn! So if bie Freiheit, wo fie hervortreten will, immer die pelagianis fehe und wird baber immer wieder von ber Knechtſchaft der Gnade abforbirt: was eine Hand gibt, nimmt die andere wieder. Es ift ein Schwanten nach beiden Sei⸗ ten, das endlich immer wieder nicht in der Witte, fondern in einem audfchließenden Begenfage zur Ruhe kommt.

Die Menſchen alfo haben die wahre Freiheit nicht und find der Sünde unterthan, fo daß fie ſelbſt ſich nicht frei machen können. Hier greift nun die Prädeftina- tion ind Syſtem ein, nad der Bott vermöge feiner Barmherzigkeit ihre Befreiung geordnet hat, Diefer Ber griff iſt zuerſt im Allgemeinen und nach feinem Berbält: niffe zur praescientis und gratia aufzufaffen.

Zwifchen gratia und praedestinatio if nämlicdy allein ber Uinterfchieb, quod praedestinatio est gratiae praeparetio, gratia vero iam ipsa donatio. Das Verhältniß zur Präfcien; aber wird fo beſtimmt: „Das Borherverfehen it nicht ohne Borberfehen, aber umgelchrt das Borberfehen kann ohne Borberverfehen feyn. Durch dad Borherfehu. weiß Gott, was er felbft thun will, worherfehen kaun er andı dad, was er felbft wicht thut, wie 3. B. alte Sünden. Darum ift dad Borherverfehen Gottes im Buten die Bor- bereitung der Gnade, bie Gnade aber fchon die Wirkung der Borherverfehung.” De dono persev. 6: nihil fit, nisi quod aut ipse facit, aut fieri ipse permittit. Haeo per- missio ad pruescientiam tantum Dei pertinet. Aber auf der andern Seite in sun quae falli mutarigue non potest

über die Praͤdeſtination. 79

preesciestia opera sus future disponere, id ommino, nee dind quieguam praedestinatio est. In diefer Definition fr hanptſaͤchlich zwei Momente enthalten: 1) Die Prä⸗ vefination erſtreckt fih nur auf das, was Bott feibft dat; das aber kann nur Gutes feyn, Es gibt nur eine Mädeflination, die ded Guten als eine praeparatio gratiae. 2) Die Prädeftination wirb unterfchieden von der per- missie, von einen Vorherwiſſen deffen, was durch Andere geſchieht. Hiernach muß es alfo Subjecte geben, welche siht in burchgängiger Paffvität zu Gott ftehen, ed nf Handlungen von Menfchen geben, auf weiche Bott nur ine wittelbare Einwirkung ausübt. Hieraus ergeben fich für die weitere Unterfachung zwei Theile: 1) In welcher Irt erfiredt fich die Prädeftination auf die Enten, wenn ft gratiae praeparatio ift, in welcher Art wirb bie gratia vorbereitet und ausgeführt? Wirkfamfeit der Onade. 2) Die Präbdeftination geht nur auf die Guten: die Exi⸗ ka des Böfen wird aber durch bie Wirklichkeit und du Gewiſſen bewiefen: wie verhält fich nun hierzu, wie mm Böfen uud zum Uebel die Prädeſtination? Be⸗ Mistung der Guade. Alfo

h Birtfamtleit ber Prädeflination und der Gnade im Berhältniffe zu den Guten, oder genauer zu den Erwählten. Die Hauptfielle hierüber ift don. persev. 21: „Bir behaupten, der Anfang im Glauben und das Ber herren darin bis zum Ende it Gottes Gabe” Hier werden denn bie zwei Klippen ded Pelagianismus and vehliich bezeidmiet: „Gagen wir, von uns ſey der Anfang des Glaubens, fo daß wir damit bie übrigen Gottesgaben verdienen, fo fchließen bie Pelagianer, gratium Dei secun- tem merita nostra dari; umgekehrt fagen wir, dad Bes ken fey von und und nicht von Bott, fo antworten k, dann haben wir von un® auch des Glaubens An» fung, wie fein Ende. Denn fie fchließen, weit mehr noch züfen wir von und ben Anfang des Blaubens haben,

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wenn das Beharren bis zum Ende von uns ſey, denn Vollenden ſey etwas Größeres, als Anfangen, und ſo iſt wiederum ihr Schluß, gratiam secundum merita nostra dari.”

Was alfo Auguftin den nachmaligen Ausläufern des Pelagianiemus, dem Semipelagianismus und Synergis⸗ mus, entgegenhält, das iſt die durchgängige Berneis nung berpelagianifchen Tendenz, gratiam secundum merits nostra dari, secundum merite homines praede- stinari. Dieß ift der Grundgedanke befien, was man ge wöhnlich mit dem Namen des auguftinifhen Syſtems bezeichnet, bieß der innerftie Mittelpunkt feiner ganzen Theologie, dieß das Thema, das in allen Tonarten wie derkehrt, dieß der. Nerv feiner Polemil. So wird es denn auch jeßt nach den zwei oben angegebenen Seiten des Pelagianismud gefehrt, nach initiam et finis fidei. Das Eine betrifft die vocatio electorum, das Andere die perseverantis, und zwijchen beide hinein ſchiebt fidy das opus conversionis.

a) In erfter Beziehung die Berufung if alſo ber Streitpunkt der, non secundum merita ante- cedentia, oder, wie die Pelagianer auswichen, secun- dum prseviss futurs praedestinari electos. Den fchlas gendften Beweis hiefür nimmt Yuguftin (praed. sanct. 15.) aus der Perfon Ehrifti ald bes einzigen Mittlers her: „Dieß zu feyn, hat denn das die menfchliche Ratur in Chriſto durch irgend ein vorangehended Verdienſt ber Werke und des Glaubens erwerben können? Und doch ift er gerade das Vorbild des ganzen Befchlechtd. Denn diefelde Gnade madıt von Anfang des Glaubens an einen jeden Menfchen zum Chriften, diefelbe, welche jenen Mens fhen von feinem Anfänge zu Chriftus gemacht; aus dem⸗ ſelben Einen Geifte fommt des Menfchen Wiedergeburt und Chriſti Geburt, Wie er, der Eine, zum Haupt, fo ‚find wir Biele zu feinen Gliedern vorherverfehen.”

über die Präbeflination. 81

Das eigentlich Perfonbildende,, um einen fchleiermacher- (den Ausdruck zu gebrauchen, ift alfo im Menfchen, wie in Chriſtus, die göttliche Gnade, und wie in Chrifto bie beden Raturen zur Einheit verbunden find, To bleibt auch Be durch Präbeftination gewonnene Einheit Gottes und des Erwählten unauflöslih. Es ift daher bafjelbe Bes därfuiß der Erköfung, welches in Ehrifto wie im Ein, ieluen dad Perfonbildende der göttlichen Gnade anerkennt, Praed, sauet. 11: „Wenn der Apoflel 1 Kor. 10. fagt: darum aus dem Glauben, daß nadı der Gnade die Ver⸗ heifung feft fey, fo muß ich mich wundern, wie bie Meu⸗ (ken Ach ihrer Gchwachheit lieber als der Stärke der söttlihen Berheißung anvertrauen wollen. Aber der Wille Getted über uns felbft IR uns zu ungewiß! Was thus? dein Wille über Dich felbft ift Dir gewifler ? Du fürdye hf nicht dad Wort: wer da meint zu flehen, der fehe ml zu, daß er nicht falle? Wenn alfo beide ſchwach id, varum will benn der Menſch nicht lieber dem flärs ke, ald dem fchwächeren feinen Glauben, feine Hoffe ° my feine Liede aubefehlen?” So wenig aber die ante- ‘eieatia merita die Guade der Präpeftination verdienen fine, die durch die vocatio an die Erwählten gelangt, jo wenig können es auch die pelagianifchen merita prae- a feterı. Das Hauptargument gegen fie nimmt Aus guſtin aus der Kindertanfe: denn wenn Gott bie kleinen Finder der Taufe würdigt, die doch bald flerben follen, lo if fehr Leiche zu ſehen, daß die zukünftigen Verbienfte, Beide nicht zukunftig find, ohne Zweifel auch gar keine fd (fatura, quse non sunt futura, procul dubio nulla “at werite), praed. sanct, 11.

b) Geht nun fchon die Berufung ganz und allein wihlieptih von der göttlichen Seite aus, fo fann auch aBerfeder Belehrung bie menſchliche Thätigfeit kam Raum für irgend einen Auſpruch gewinnen: wer⸗ ka die merita futura abgewiefen, fo fann von merite

Test, Stud, Jahrg. 1847, 6

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praesentia noch weniger die Rede ſeyn. Vielmehr ift im Merle der Belehrung bie Gnade allein wirkfam. Died zeigt Auguftin nach der zweifachen Seite des Wiſſens und des Willens, nnd hier tritt die gratia praeveni- ene an ihre Stelle. Nach ber praktiſchen Seite näus lich fagt er (dom. persev. 16): „Was den Willen betrifft, fo kommt die Gnade auch dem Glauben zuvor. Sonſt, wenn der Glaube zuvortommt, fo kommt ohne Zweifel auch der Wille zuvor, weil Glaube ohne Wille nicht ſeyn kann. Kommt aber die Gnade dem Glauben zuvor, fo kommt fie, weil dem Willen, gewiß auch bem Gehorfam zuvor” (vgl. de gratia et lib. arb. 6, 14. 17.), So werde bed Menfchen Herz ein ſteinernes geheißen; dieß koͤnne aber nichts Anderes bezeichnen, als den härteſten und ge gen Gott durchaus unbeugfamen Willen, denn wo der Wille vorangeht, ift fchon kein fieinern Herz mehr (don. perser. 13.). Nach der anderen, theoretifchen Seite nimmt er (praed. sanct. 2,) die Stelle 2 Kor. 3, 5. zum Ausgangspunkte und fagt: „Wer fieht nicht, ˖daß das Denfen vor dem Glauben kommt? Niemand glaubt ja etwas ohme den Bedanten, es fey zu glauben. Wenn auch jäh, wenn auch noch fo ſchnell dem Willen des Glaubens einige Gedanken voranfliegen, und ber fo bald folgt, daß er nur als der innigft verbundene Begleiter anftritt, fo muß doch Alles, was man glaubt, im Gefolge des Denkens geglaubt werden, ja felbit dad Glauben if nichts Anderes, als mit Beifall denfen. Wir find aber ja nicht tüchtig, etwas zu denken, als von und felber, alfo auch nicht zu glauben, was Religion und Krömmig- keit angeht; fondern, daß wir zureichen, ift von Gott. Der Menfd aber will zwar dieſen fo ganz deutlichen Zeug» niffen nicht widerſtreben, aber doch will er feinen Blau: ben von ſich haben, fo fchließt er mit Gott einen Ver⸗ trag, worin er ſich einen Theil des Glaubens zueignet und ihm einen Theil laffen will, ia, was noch unver»

über bie Praͤdeſtination. 83

(dämter if, ben erften nimmt er ſich, den folgenden gibt a Gott, und in dem, was er als gemeinfam behauptet, . mat er ih zum Erſten und Bott zum Lebten.” Mit (ihen Haren Ausfprächen fcheinen zwar andere in Wi⸗ tafpradh zu treten, z. 3. grat. et lib. arb. 4: victoria, ga peecatum vincitur, nihil aliud est, nisi donum Dei, in so certamine adiuvantis liberum arbitrium. 5: nec gratla Dei sola, nec ipse homo solus, sed gratia Dei cum le, Praed. sanct. 3: nostrum est credere et velle, il- ins autem dare credentibus et volentibus facultatem bene sandi per spiritum sancium, per quem caritas diffunditur a cordibus mostris. Stellen, in welchen Auguflin theils um Gemipelagianismnd, theild dem offenen Pelagianier 26 in die Arme zu fallen fcheint, Doch gerade in der letten feßt er hinzu: verum est quidem, sed eadem regu- k et utramque ipsius est, quia ipse praeparat voluntatem, 4 utrumgae nostrum, quis non fit sine volentibus nobis, Nersach ſcheint denn freilich Doch irgend eine Bedingung m; verlangt werden zu müflen. Aber Augnſtin will det kineöwegs zugeben, und body fagt er (praed. sanct. N): Darum erhalten wir diefe Gebote und werben auf fe ald Gottes Befchente bingewiefen, daß wir erfennent, fued et nos ea facimus, et Deus facit, ut illa faciamus, Bolen wir daher Beides vereinigen, fo füme es gerade krauf au, was {ft Dad quod nos facimus, quod nos ha- mu? Die Antwort wäre nad; der kurz zuvor anges führten Stelle das velle. Darunter ift aber dann nicht "end eine beſtimmte Willensbeſtimmung zu verfichen, Imdern die allgemeine Möglichkeit des Wollens, daß et "6 non fit sine volentibus mobis; dieſe allgemeine Moͤg⸗ Aleit des Willens iſt aber zugleich: von Gott; das Be, mitfeyn, unfere vernünftige Natur, durch bie wir une m Ihieren und Steinen unterfcheiden, die ift ald Be⸗ Nuyung der Wirffamfeit der Gnade vorauögefegt, aber Mi nicht vom ums, fondern von Gott, Go if das 6*

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Herz, das eben fo gut fleinern feyn kann, als fleifchern, diefe ganz allgemeine Möglichkeit dee Willensbeftimmuns gen vorausgeſetzt, ald bad Medium, per quod et in quo Deus operatur vocatione sua secundum propositum, Praed. sanct. 8: „Die Gnade, die im Verborgenen durch Gottes Güte den menfchlichen Herzen mitgetheilt wird, wird von einem Herzen zurüdgewiefen. Vielmehr, wenn der Bater innen fich hören läßt und Ichrt, zum Sohne zu kommen, fo nimmt er das fleinerne Herz und gibt das fleifcherne.” Daher wird denn hier gerade die Wirkſamkeit der Gnade aufs höchfte gefpannt, denn „gewöhnlich iſt es zwar feine Art, wenn von außen das Wort kommt, von innen die Herzen zu rühren” (Kap. 6.), aber (grat. et corrept. 5.) „Gott macht bie, welche er will, auch ohne vorangegan: genen Tadel, d. i. andy ohne die gewöhnlichen Mittel zu Bekehrten.“ Die beftimmte Willensrichtung kommt fonadı allein von Bott, der an unferem Herzen, dieſer allgemeinen Potenz ded Willens, ein Subſtrat feiner Wirkſamkeit ge ſchaffen hat: grat. et lib. arb. 17: ut velimus, sine nobis operatur, cum autem volumus, et sic volamus, ut faciamus, nobiscum cooperatur. Jedoch vermögen wir’ ohne feine Wirkung oder Mitwirkung in guten Werken der Gott feligteit nichts, und die Berufung, welche zu Ermählten macht, hat den Sinn: erwählt wirb man nicht, weil man glaubt, ſondern damit man glaube (non qui eliguntur, quis crediderunt, sed qui eliguntur, ut credant), oh. 15, 16.

c) Hat das Bisherige dem Semipelagianismus ent- gegengearbeitet, fo wird nun dem Synergismus entge- gengetreten durch die Entwidelung der Präbeflination zum donum perseverantiae. Zuvor handelte es ſich von dem Anfange, jeßt von dem Ende des Glaubens. Beide find zufammengehalten nur durch die göttliche ope- ratio (corrept. et grat. 7.). Die Erwählten find zweifelsohne auch berufen, aber nicht die Berufenen darum auch ſchon erwählt. Daher don. persev. 1: „Unter perseverantia ver-

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Rebe ih das Beharren bei Ehrifto bis zum Ende, und diefe Beharrlichkeit hat weit mehr ein Gläubiger von Eis um Sabre nnd darunter, wenn er bie zu feinem Tode getreulich gelebt hat, als der von vielen Jahren, wenn er kurze Zeit vor feinem Tode von Gott abgefallen ift.” Kap. 6: „IR aber die Beharrlichfeit gefchentt, fo wird anch bi6 zum Ende beharrst. Daher: wer durch Gottes Gna⸗ denfülle von der angeborenen Berdammniß auserfchen iſt, dem wird ohne Zweifel andy die Predigt ded Evanges linms verfchafft, und, wenn er hört, glaubt und beharrt er bid zum Ende, und wenn er in ber Irre geht, wird er durch Züchtigung gebeflert, ja Einige ehren ohne Züch⸗ tigung von Menfchen anf den rechten Weg zurüd, Ans dere, wenn die Gnade ihnen zu Theil geworben, werden in beliebigem Alter den Gefahren bdiefed Lebens durch ſchlennigen Tod entriffen.” Kap. 93): „Denn wer durch die aflweife Fügung göttlicher Vorſehung vorhergefehen, werfehen, berufen, gerechtfertigt, herrlich gemadt (Rom. 8.) iR, der ift, ich fage nicht vor feiner Wiedergeburt, fondern fchon vor feiner Geburt ein Kind Gottes und kaun durchaus nicht umlommen, und bei ihm wirkt @ott fo fehr Alled zum Guten, daß, wenn er auch vom rech- ten Wege abkommt, ſelbſt bas ihm zum Gegen gereichen muß, weil er jest demüthiger und erfahrener geworben iR.” Andere freilich gibt ed, welche auch von Gott ber rufen find, aber wieder abfallen und fomit zeigen, daß das donum perseverantiae ihnen nidyt geworden. Bei ber nen wiederholt fich denu bderfelbe Kal, wie oben beim

&) Quicungue enim in Dei providentissima dispositione praesciti, praedestinati, vocati, iustihcati, glorihcati sunt, non dico, etiam nondum renati, sed etiam nondum nati, filii Dei sunt et omnino perire non possunt, atque iis cooperatur Deus in bovum usque adeo omnia, ut etiam, si qui eorum exorbi- tant, etiam hoc ipsis faciat proficere in bonum, quia hamilio- res redeunt atque doctiores.

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Sünbenfalle Adam's. Man follte nämlich meinen, fic ha: ben dad donum nicht, alfo haben fie ed entweder nicht befommen, dann find fie ohne Schuld, ober fie haben es nicht behalten, dann ift Gottes Wille nicht erfüllt. Dem; ungeachtet wirb Beides bejaht: 1) ihre Schuld in der eben angeführten Stelle: der Tadel trifft fie mit Recht, weit fie in den guten Leben, das fie hatten, nicht beharr⸗ ten. Sie haben durch ihren Willen ihre gutes Leben in ein böfes verwandelt, und wenn die Züchtigung fie nicht beffert, fie vielmehr bie zum Tode im Verderben behar- ren, fo find fie auch Gottes ewiger Berdammniß werth. Sie find aber zweifeldohne auch in ber Zeit, wo fie gut und fromm leben, nicht unter die Zahl der Erwählten zu rechnen, Vielmehr es gibt Kinder Gottes, welche ed noch nicht für und und doch fchon fir Gott find, und wieder gibt ed Andere, weldye wegen der zeitweile erhaltenen Gnade Kinder Gottes heißen bei und und nicht bei Gott (vgl. don. persev. 8.). Aber diefe (Kap. 13.) find entlaffen nach ihrem freien Willen, fie hatten bad Befchent der Beharrlichleit nicht erhalten, durch ein gerechted und ge» heimes Gottedurtheil. Denn wiewohl fie dur ihren freien Willen abgefallen find, fo wird doch 2) Gottes Ordnung und Wille erreicht. Daß kein Erwählter in diefer Sterblichkeit naſeweis (altius sapere) werde und fi) in der Zahl der Verordneten vorausfeße, fo ift, weil das verborgen bleiben muß, fehr zu glauben, daß Einige von den Kindern bed Berderbens, ohne Die Gnadengabe ber Beharrlichkeit bie zum Ende, anfangen, im Glauben zu leben, und eine Zeitlang wirklich gläubig und gerecht leben, nachher aber fallen und fo aus diefem Leben, ehe fie diefed Glück wieder gefunden, weggeriffen werden.

Aber woher die filii perditionis, war doch bisher nur von gratis und praeparatio gratiae bie Rede! Das führt auf den weitern Punkt der auguftinifchen Prädeſtina⸗ tionslehre:

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2) die Beſchränkung, Partienlarität ber Gnade. Ans der oben von Anguſtin angeführten Defis nition ber Prädekination Folgt freilich unmittelbar nur Eiue Präpdefination, die praedestinatio eleetorum, welche jngleich praeparatio gratiae if, Aber eben, daß ſich Die Prädeflination mit ‘den electi befonderd zn thun macht, fließt auch die Eonfequenz in fich, daß, mit wen ed Die Prädeflination nicht zu thun hat, ber auch fein eloetus iſt. Aus der urfprünglich einfachen PYrädeftination hebt ſich fomit hier eine Zweiheit herand; wenn wir andy nicht fagen können, die Berworfenen feyen zum Berderben präbeflinirt, fo doch, fie find es nicht zum Guten. Die Berwerfung wäre fo dem Principe nach nichts Dofltives, fondern nur eine Privation. Daher ſetzt Auguſtin den Grund diefed Mangeld in den Menfchen (praed. sanct. 5.), amd zwar nicht fowohl in eine befondere Schuld des Ein- seinen, ale in die Mangelhaftigkeit der durch den Fall alterirten menfhlihen Natur. Sie if dad Allen Srmeinfanıe, aber die Prädeflination hebt aus ber Mafle Einige hervor, und zwar nur Einige. „Wir haben Alles vom großen Gott, der, wiewohl wir Alle Eine Natur har ben, uns von ben Audern ausdgefondert hat. Alfo die Audern läßt Gott eben, wie fie find, an und aber ger ſchieht durch die Prädeflination etwas Befonderes, denn die Gnade if das, was bie Unten von den Böen aus⸗ fondert, nichts, was Guten und Böfen gemeinfam wäre, Mag daher die Gnade and) der Natur zufommen, ver, möge der wir vernünftige Wefen und von den Thieren uuterfchieden find, ber Natur, welche unter ben Menfchen felbR die Schönen von den Häßlichen, die Geiſtreichen von den Langfamen unterfcheidet, mag der Natur ſelbſt bie Möglichkeit des Glaubens zukommen, folgt daraus bean der wirkliche Glaube? Nicht Alle haben Glauben, während Alle Glauben haben können. Die Natur alfo, weihe und bie Möglichkeit des Glaubens gibt, macht

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feinen Unuterfchied unter deu Menſchen, aber ber wirkliche Glaube macht einen Unterfchied zwifchen Gläubigen und Ungläubigen.” Was alfo der Menfch von Natur bat, das iſt, wie wir oben gefehen haben, uur bie ganz alls gemeine Möglichkeit der Willensbeſtimmungen, fo hier bie reine, abfiracte Möglichkeit des Glaubens, welche aber zur Wirklichkeit zu erheben nicht in des Menfchen Macht liegt, Kap. 8: „Der Glaube iſt durchaus von Bott. Wie wir alfo in aller Unbefangenheit von einem Schulmeifter, der in einer Stadt allein ift, fagen, er fey für Alle Schulmeifter, nicht weil Alle lernen, fondern weil Alle nur bei ihm lernen, fo lehrt Gott Alle zu Chriſtus kom⸗ men, nicht weil Alle fommen, fondern weilNiemand ohne ihn kommt. Wer glaubt, wenn die Predigt von außen an fein Ohr tönt, der hört und lernt inwendig vom Bas ter, wer aber nicht glaubt, hört von außen und nicht von innen.” Don. persev 14: „Es if Har, daß Einige in ihrem Geile von Natur bie Gotteögabe der Erkenniniß haben, bie fie zum Glauben treibt, wenn fie ihrer Anlage gemäß Worte hören oder Zeichen fehen, und doch, wenn fie nach dem höheren Richterfpruche Got» tes durch die Gnade der Verordnung nicht aus ber Maſſe des Verderbens audgefondert find, fo kommen ihnen feine göttlichen Worte und Thaten zu Hülfe, durch Die fie glauben Sönnten, wenn fie foldhe hören oder ſehen würden.” Go ift denn allerdings die Berwerfung eine nen-discretio, nur etwas Privatives, nur ein Belaffen im alten Zuflande, in der massa perditionis. Die Ungläu: bigen find keine Sudividuen, fie find nur in der Maſſe: aber und dieß ift der Punkt, wo die Prädeftinationg- lehre nun weiter gehen mn, wie fomnıt ed, daß aus diefer Mafle Einzelne hervorgerufen werden und doch nur Einzelne?

In der Mafle fann der Grund nicht liegen, denn fie ift ungetheilt gleich, alfo muß die Privation, wiedie Her»

über die Präbdeflination. 89

ausſtelang von Bott felber herrähren. Allerdings if eine lniverfalität der Erlöfung vertündbigt (1 Timoth. 2,4.), aber diefe ift ja nicht wirklich ba, daher kaun nad Ssguflin (corrept, et grat. 16.) omnes homines nur bedens is, quia omne genus hominum in praedestinatis sit. Die Usiverfalität iR nur potentiell, wie die possibllites cre- dendi, aber actuell ift nur die Particularität und bad sah Gottes Willen. Diefen Widerſpruch fucht Auguflin auf eine zweifache Art audzugleichen, die allerdings, in die Conſequenz verfolgt, ſich gegenfeitig nur widerfpre: den Tann. 1) Der Eine Grund ift das Verhältniß der göttlihen Gnade und Gerechtigkeit Ccor- rept. et grat. 10.). Bliden wir anf das ganze Menfchenges ſchlecht, fo erfahren fie das gerechte Bericht Gottes, von Adam's wegen. Darum, würde auch Keiner befreit, fo kömte doch Riemand das gerechte Gericht Gottes tadeln. Daß alfo im Bergleiche zu den Umkommenden Wenige, au ſich aber Viele befreit werden, ift Önadenfache, Daß fe aber nicht Allen zu Theil wird, braucht den Glaͤubi⸗ gen nicht zu irren, der da glaubt, daß von Einem Ale in die zweifellos gerechtefte Verdammniß gerathen, fo da Gott kein gerechter Tadel träfe, auch wenn Keiner befreit würbe, woraus hervorgeht, wie eine große Gnade 6 iR, Daß Biele befreit werden und an den Einen, die nicht befreit werden, zu feben iſt, was ein Jeder vers diente.” Daher (praed. sanct. 6.) hören Biele dad Wort der Wahrheit, aber die Einen glauben, die Andern wis berireben. Die wollen alfo glauben, die nicht! Wer wollte bad lenguen? Aber wenn den Einen der Wille von Bott anbereitet wird, den Andern nicht, fo zeigt fich Getted Barmherzigkeit und Bericht, Barmherzigkeit in der Ermwählung, weldye auf das Gericht Gottes gefolgt #, das Gericht Gottes gegen die Uebrigen, welche ver: dlendet find; und doch haben jene, weil fie wollten, ges Haute: Barmherzigkeit und Bericht wurden alfo ag dem

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Willen ſelbſt geibt.” Dieß fcheine num freilich ber Büte Gottes, in welcher beide Eigenfchaften eins feyn mäflen, zu wiberfprechen. Allein (don. persev. 11. 12.) benus est Deus in beaeflcio certorum, iustas in supplicio cete- rorum, et bonus in omnibus, quoniem bonum est, cum debitum redditur, et iustus iu omnibus, quoniam iustum est, si bonum sine ouiusquam fraude donatur. Nam sine utlie bonis meritia datur regaum, quibus datur, et sine ullis malis meritis non datur, quibus non da- tur. Kap.8. bei Bergleihung von (Matth. 20.) dem Gleich⸗ niffe von den Arbeitern im Weinberge: „So war gegen die Einen feine Gnadenfülle, daß fie gegen die Andern feine Ungerechtigkeit il; wer befreit wird, verehre die Gnade; wer nicht befreit wird, erfenne die Schuld. Denn mögen auch bei dem Ermählten fogenannte eigene Ber: dienfte vorhergehen, fo -hat er fie Doch in der Negel mit dem, deſſen ſich Bott nicht erbarmt, gemein (tamen sunt cum eo, cuius Deus non miseretur, ple- rumque communia). In ben angefirichenen Stellen it des Anguſtin Anficht befonderd unzweideutig ausge⸗ drückt. An fi find Alle einander gleich in der masse perditionie. Auch ihr Verdienſt oder Nichtverbienft if gleich. Aber die Prädeflination macht einen Unterſchied: certos discernit, liberat, iis dat, eorum miseretur; ceteros non discernit, non liberat, ils non dat, eorum non misere- tar. Im Letzten zeigt ſich die reine Gerechtigkeit, im Er⸗ fien die reine Gnade. Hier nun freilich erheben fich zwei Fragen: einmal, warum denn müſſen Gnade und Gerech⸗ tigkeit getrennt ſich offenbaren? Dieß fleht dem Auguftin ald Grundfag feft, wenn er fidh auch einmal (de. civitate Dei 22, 1,5 fiehe bei Baur, Trinität 1, 929.) die Mühe nimmt, bieß aus der beflimmten Zahl von Engeln, unter denen die Gefallenen ergänzt werden müflen, zu deduci⸗ ren. Die zweite Frage aber, die von ben Präamiſſen Augußin’s felbft ausgeht, ift die: gefegt auch, Gnade und

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Gerechtigkeit müflen getrennt operiren, welches if denn . ver Grund für die Praxis der Unterfcheidung, der Maps ſab, nah welchem Gott bei der Ausfonberung oder Kihtandfonderung zu Werke gebt? Diefe Yrage, die ſich smittelbar aus dem Syſteme erhebt, muß beantwortet werden, und bier hat nun Auguflin neben dem Berhälts niſſ der göttlichen Gnade und Gerechtigkeit einen tieferen Grund bereit in der 2. Antwort, nämlich dem verbors genen Rathfchluffe Gottes. „Da fage ich nichte auf die Frage, warum? weil ich befenne, keine Antwort is finden. Fragſt Du wieder, warum? Weil in Diefer Cache wie Gottes Zorn gerecht, feine Barmherzigkeit greß, fo feine Gerichte unerforfchlich find.” Diefed uns aferfäliche Gericht Gottes iſt denn an gar vielen Stels lea (vgl. corrept. et grat. 5. 8. praed. sanct. 6, 8, 14. don. peruer. 8. 9. 11.) Die ultima ratio geblieben. Zwei mögen oh bier fliehen (don. persev. 14.): „Soweit er es der Nihe werth hält, feine Gerichte zu offenbaren, wollen wo danken, fo weit, file zu verbergen, wollen wir nicht wen feinen Rathfchluß murren, fonbern auch das uns fir dad SHeilfamfte achten.” Die allgemeine Norm des göttlihen Weſens wird aber alfo aufgeftellt (grat. et lib. ab. 22,): „Bott mag Böfes mit Gutem vergelten, weil er gut ik, und Gutes mit Guten, weil er gut und ger sch if, Nur Gutes wird er mit Böſem nicht vergelten, weil ernicht ungerechtift.” Es ift nunaber unfchwer einzufes ben, daß die beiden von Auguſtin für Die Nothwendigkeit einer particularen Gnade angefiihrten Gründe einander aufheben. I der tiefſte Grund die Unbegreiflichleit Gottes, fo fann man auch nichts von feinem Weſen wiflen, alfo insbefons re nichts von der nothwendigen Beboppeltheit und Ge⸗ thelltheit feines Willens in Gnade und Gericht. Umge⸗ Ihrt, hat man Bnade und Gericht ald zwei nothmendige Ienfernugen des göttlichen Willens confiruirt, fo muß Anm im Syſteme aud eine Einheit zu Grunde gelegt

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werden; dieß aber kann nicht die Unbegreiflichkeit Gottes ſeyn, ein Grund, der vielmehr fein Grund ift, fonbern eine Vorausſetzung. 2

Als ein Beweis, daß der Widerfpruch nur ſtatuirt, nicht in einer Spitze gelöft ift, erhebt fi nun aber die weitere Frage: Dad Gericht, wenn auch nur eine privatio, fegt immer doch das Böfe voraus. Woher nun, da der Wille Gottes der letzte Orund if, woher dad Böfe in feinem Anfange und Beltande? Wie-fann Gotted Ge» rechtigfeit fich darin zeigen, daß er dem Böfen, dad doch eben Gegenftand feiner ftrafenden Gerechtigkeit iſt, durch fein Gericht Beſtand gibt, daß er ed durch die Guade nicht aufbebt? Es ift dieß die fchwierige Frage von dem Verhältniffe der Prädeſtination zudem Bö⸗ fen, deren Löfung Auguftiin noch unternehmen muß. Aber and, hier kann ihm die Antwort nicht fchwer wer⸗ den, denn, wenn auch mit Einfchiebung von Mittelglies dern, langt er doch wieder bei der abfoluten Vorausſe⸗ «ung eines alternum Dei decretum, eined uubegreiflichen göttlichen Willensbefchlufled an. Und zwar in folgender Weife: 1) Gott kann nicht Urheber des Böfen feyn, ſon⸗ bern bie @inzelnen fallen durch ihren Willen, aber Gott hat ihren Fall vorausgeſehen (corrept. et grat. 7.). 2) Aber der menfchliche Wille wird fchon wieder vernichs tet (grat. etlib arb. 20.). „Es ift klar, daß nicht bloß der gute Wille der Menſchen, weldye Bott aus Böfen zu Bus ten macht und zu guten Handlungen, fo wie zum ewigen Leben lenkt, fondern auch ber, weldyer die Ereatur der Welt bewahrt (quae conservant seculi cresturam), fo in Gottes Hand fteht, daß er fie, wohin und wann er will, binneigt, fey es zu einigen Butthaten, fey es zu Strafen gegen Dritte, wie er es für gut findet, nadı feinem ver- borgenften, aber zweifellos gerechteften Urtheile.” Hier tft nun freilich noch davon die Rede, daß die voluntates

. Ipsae conservent seculi creaturam; wenn alfo and, gleich

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die Creatur unfreiwillig über fie gelommen wäre, jo find fe es doch noch, die mit eigenem Willen darin bleiben, ud wenn fie nun in ber Sündhaftigkeit beharren, fo ſeht Anguftin bei: wir finden auch, daß einige Sünden Strafen anderer Sünden find. Aber woher nun wies ber diefe Sünden? 3) (Corrept. et grat. 20.) „Gott wirft, was er will, in den Menfchenhergen, fey’s durch Beiſtand, fey’S durch Bericht, fo daß auch Durch die ers fült werden muß, was feine Hände und Rathſchlüſſe verordnet haben.” Alſo fcheinen auch die Böfen und dad Böfe unter die Prädeftination zu fallen. 4) Da erhebt ih aber nun Die obige Lnterfcheidung von permissio und maedestinatio: „In der Böfen Macht flieht zu fünbigen; daß fie aber im Sündigen durch ihre Boshelt das oder jenes bewirken, ift nicht im ihrer Hand, fondern in ber Hand Gottes, Der die Finſterniß vertheilt und orbnet, fo daß auch durch das, was fle gegen Botted Willen thum, nichts als Gottes Wille erfüllt wird.” Wir hätten fomit Kifunkte zu unterfcheiden: 1) die praevisio, vermöge wels her Gott die Höfen Thaten vorausfieht; 2) die Lenkung des Ben zum Guten und zur Ordnung, ordinatio; 3) die &duratio, weiche das Böfe zur Strafe des Böfen ſetzt.

Nun aber kommt Alles darauf an, wie fich bie prae- sie zur menfchlichen Freiheit ftellen fol, Gott foll die freien Handlungen der Menſchen vorausfehen; wenn bie einzelnen, fo auch diefelben im Ganzen: alfo die gefammte Tatwidelung eined Willens fällt unter das göttlihe priescire, eine folche Entwidelung aber hat eine innere Rethwendigkeit des Berlaufs, diefe muß alfo Gott auch verherwiſſen. Warum nun, wenn fie böfe ſeyn wird, wird fie von der Gerechtigkeit Gottes zum voraus zus segeben? Gnade aber fann doch das auch nicht feyn, nas durch ein zeitliche® Leben hindurch zum ewigen Tobe fibrt, „Bott wählt, welche er will,” wirb und bier Algeguet, denn durch ihren eigenen Willen hätten fie

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Heil und Gnade nie erlangen können, fie waren ja zwar frei im Sinne bed aeguilibriam arbitrii, aber moraliſch unfrei, servi peccati. So find aber Alle, und geſetzt, fie ‚haben die Gnade nicht gewollt, fo war ja das nur ber Lauf der Natur, der eine durch Sünde verborbene Frei heit zur Sünde treibt. Anders kann fie ja nicht, wenn fie nicht von Bott unterffübt wird; warum alfo wurde fie von Bott nicht unterſtützt? Iustissimo iudieio! lautet die Antwort, Sey's fo! aber im Menfchen felbft liegt ja fein Grund, der ihn von Anderem unterſchiede. Wir find alfo als auf die wahre Urſache wieder auf den verbor- genen Rathſchluß Gottes zurüdgetrieben. Doc zuvor noch Eine! Corrept. et gratia 10: lapsum Deus sic ordine- vit, ut prias ostenderet, quid posset hominum liberum ar- bitriam, deinde quid posset suae gratiae beneflcium. Die Sünde muß alfo im Sinne Gottes, der die Schatten ver» theilt (dividentis tenebras), vorangehen, um bie Gnade in helleres Licht zu ſetzen. Fällt fo nicht auf Gott ber Schein: Laffet und Sünde thun, auf daß Die Gnade defto mächtiger werbe? Denn hat Gott vorausgewußt, daß die menfchlidhe Freiheit nichtd kann, und hat er den Men: then doch in die Lage gefeht, von feiner Kreiheit Ger brauch machen zu follen, fo kann die inteflectuelle und moralifche, die mittelbare Urheberſchaft nur anf Gott zus rüdfalen. Wie aber das mit dem Weſen Gottes verein. bar, das liegt eben im verborgenen Rathſchluſſe Gottes begraben, und der iſt denn der Schlußftein, welchen das Syſtem ſich ſelbſt gefegt hat. Offenbar aber wäre es weit zweddienlicher gewefen, benfelben, wie er eine Bor: ausſetzung ift, zur Borausfegung, flatt zum Schluſſe des Syſtems zu machen. So hätte wenigftens die Halbheit unterbleiben müflen, welche wir bei Auguftin noch bemer⸗ ten, nnd welche einerfeite in dem ſchwankenden Begriffe ber Freiheit hervortritt, die einmal pelagianifch, das an» dere Mal als Linfreiheit gedacht wird, anbererfeitd zwi⸗

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ihen Infra⸗ uud Supralapſarismus nicht entfcheidet und fo in deu Mittelbegriffen der Zulafinng, permissio and praevisio, die legte Erklärung nur verfudht =).

1. Calvin. Diefe Mängel und Halbheiten des auguftinifchen Syſtems hat nun eben Galoin zu vermeiden geftrebt, in; dem er ein Princip voranftellte und mit feier, eifer

2) Unter den Verhandlungen bes Mittelalters ſey nur des gott» ſchalkeſchen Streites mit Wenigem erwähnt. Die Son» fequenz einer doppelten Präbeftination wurde bald auf augu⸗ ſtiniſchem Boden gezogen in ber Schrift des ungenannten Berfaſſers, Praedestinatus. (Muͤnſcher, Dogmengefchichte 1, 415.). Auch fpäter, während ſich die Kirche auf die andere Seite, zum Gemipelagianismus, binneigte, hatten Beda unb Als kuin, befonders aber Iſidor von Sevilla (Münfdyer 2, 121.) die doppelte Präbeftination feflgehalten: gemina praedestinatio sive electorum ad reguiem, sive reproborum ad mortem. Dieß war aun eben der weſentliche Inhalt der gottſchalk'ſchen Lehre (Binfcyer 2, 122.), propter praescita certissima ipsoram pro- pris fatura mala merita praedestinasse in mortem merito sem- piternam, nur daßer fi (vgl. Strauß, Blaubenslehre 2, 248,) mit den praescita mala merita auf den unmittelbaren augus ſtiniſchen Standpunkt zurüdzuziehen fuchte, wohin audy der fols gende Unterfchteb gehört: (iis) perennem merito praedestinasti mortem et eos dem similiter praedestinasti ad eam: quia ni- mirum sine causa et ipsis praedestinasses mortis aeternae poenam, nisi et ipsos praedestinasses ad eam. Gottfchalf wurde verdammt, ein Opfer, wie neuere Geſchichtſchreiber fagen, nicht fowohl des Semipelagianismus, als der Politik. Beine Anfit rief übrigens eine Maſſe Gegenſchriften hervor , woruns ter aud) die von Scotus Erigena, aus ber wefentliche Ideen bei Schleiermacher wieberlehren und beren ausführliche Dars Rellung fiehe bei Baur, Dreieinigkeit und Menſchwerdung 11, 2365-344. Der Grundgedanke war: es gibt überhaupt gar keine (befondere) Yräveftination: praedestinando voluit, volendo prae- destiaarit. Dieſe Anficht fand jedoch nicht weniger Siderſpruch, als die, gegen welche fie gerichtet wer,

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ner Eonfequenz durchführt. Eben das absolutum Dei.de- cretum iſt, was wir bei Anguftin vermißten, für ihn ber Ausgaugspunkt; freilich hat er gegen bie Härten feiner Conſequenz als letzte Zuflucht nur den unbegreiflichen Willen Gottes, aber dieſer ſteht nicht, wie bei Auguſtin, iſolirt, ſondern im Zuſammenhange mit dem Principe, indem er ſich von einem einzelnen verborgenen Willens⸗ acte Gottes zu dem abſoluten Weſen Gottes an ſich er⸗ hebt und dieſes zum Mittelpunkte ſeiner Theorie macht. Angufiin’d Lehre hat ihren Ausgangspunft im zeitlichen Acte des Sündenfalld ald einem Markſtein in der Ent widelung der menfchlichen Kreiheit. Aber Calvin geht ius außerzeitlihe Seyn Gottes zurüd, Die Grundlage der auguftinifchen Theorie ift die menfchliche Erbfände, bie der calvinifchen die Lrfreiheit Gottes. Hieraus geben fogleich die wichtigften Momente ihrer Differenz hervor. 1) Es handelt fich hier nicht fowohl um dad Bers haltniß des heiligen Gottes zum fünbigen Menfchen, ale in der hödhften Spige um das Verhältniß des abfoluten Geiſtes zur endlichen Creatur. 2) Die Prädeftination tritt nicht erft nad) dem Falle ein, um einen Theil der Men⸗ fhen zum Heile zurüdguführen, fondern bie Präbdeftina- tion erftredt fi von Uranfang auf das ganze menfchliche Geſchlecht und die ganze Idee feiner Entwidelung; da⸗ rum ift fie eine zweifache, eine zum Leben und eine zum "Tode. Aus dem abfoluten Weſen Gottes folgt nämlich zunächft die Abfolutheit feines Willens, und weil Zufäl« ligleit eine Unfreiheit it, fo handelt es fich alfo um die innere Freiheit nnd die eben wegen biefer Freiheit noth⸗ wendige Geltung des göttlihen Willens.

1) Der göttlihe Wille in feiner Abfolute heit und Nothwendigfeit. Die Sachlage bezeichnet Calvin in der defensio contra calumnies Alb. Pighii (ed. Gallasius 1552) p. 281. alfo, indem er fidh der Meinung feiner Gegner gegenüberflelt: „daß Bott in unwandels

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varemı Rathſchluſſe ohne Unterſchied Alle zum Heile ges ſchaffen habe. Aber, da er Adam's Abfall vorausgeſehen,

Io habe er, ums nichts deſto weniger die Erwählung ſtark

ud feſt zu machen, ein Mittel angewandt, bas Allen ges

menfom ſeyn ſollte. So fen in Ehriftus gegründet die trwählung ded ganzen Menfchengefchlechts, daß Niemand srioren werde, der nicht durch feine eigene Halöftarrig- leit ich aus dem Buche des Lebens ſtreiche. Wieder aber, de Bett vorausſah, daß Einige bis zum Ende in Boss» heit and Beradktung der Gnade beharren werden, fo habe er durch dieſes Vorausſehen fie ausgefchloffen, wenn fie uht weile werden. Ja um dentlich zu zeigen, baß bie. merisie Gottes der Freiheit nicht im Wege flehe, neh⸗ ara die Gegner dDieargutia auf, ale hätte Gott, was ihm om Anfang bekaunt, nicht vorausgeſehen als zufünftig, Iadern ald gegenwärtig, kraft eines intuitiven Wiffens.” Diefer gegnerifchen Meinung gegenüber entwidelt nun Gin die feinige kurz in folgender Stelle des der Prä⸗ Veiaation befonderd gewibmeten Consensus Genevensis u Infelben Ausgabe des Gallafine) ©) p. 907: „Bott habe Anfang, da noch der Menfch in Unfchuld lebte, bie 3ahuft befchloffen, und wähle jebt aus ber verborbenen Bafe die, welche er erwählt.” Man wandte Mn ein, at ſolcher ewiger Rathfchluß Gottes habe etwas Schauer: ie, als ein graufamer Act der Tyrannei. Dagegen behanptet er in ber Art des Duns Scotus feine wefentliche Ierseruäuftigkeit und Gerechtigkeit in der Institutio

i religlonis (ed. Tholuck.) 3, 23: „Gottes Wille Rfo ſehr Maßſtab der höchſten Gerechtigkeit, daß, was

mil, nur allein wegen feined Willens für gerecht zu

) De aeterna Dei praedestinatione, qua in salutem alios ex hu- ainibus elegit, alios suo exitio religuit, item de providentia, ga res humanas gubernat. Der Iepte Zufag iſt für Galvin's heerie charakteriſtiſch.

Stud. Jahrg. 1847, 7

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halten if; fragt man alfo: warum thut der Herr alfo? fo muß man antworten: weil er gewollt hat; fragt man weiter, warum er gewollt hat, fo will man etwas wiſſen, dad über Gottes Willen hoch erhaben hinaus liege, und das gibt es nicht. Doch bringen wir darum nicht bie Erdichtung auf von der abfoluten Wacht, vielmehr be baupten wir nur, fie fey der Vernnuft keine Rechenſchaft fehuldig, wir ſeyen die Richter nicht.” Calvin werwahrt fi) zwar hier ausdrüdlicd; gegen dad commentum alwolatse potentiae, aber nad) dem Zuſammenhange gilt die Verwah⸗ rung nur der Macht einer ſchrankenloſen, nicht überver: nünftigen, fondern unvernünftigen WBilllür. Dagegen ‘erhebt fih eben Calvin von dem Begriffe der abfolaten Erhabenheit und Gerechtigkeit Gotted auf jede Art gegen die Begriffe bloßer Zulaffung und Vorher fehbung. „Da der Wille Gottes weit über alle Ber nunft erhoben uud mit feiner Macht im Zuſammenhang tft, fo ift der Begriff der Zulaſſung, mit dem man ge wöhnlich Gottes Sache führen will, nur eine gar zu frivole und eitle Erdidtuug. Denn (Cons. Genev, 900.) die Langmuth iſt mis Der AUmacht vielmehr in Verbin dung zu feßen, fo daß Gott wicht bloß zulaͤßt, fonbern, was geflhitht, durch feine Kraft lenkt.” „Bon Borfehung fann nur Die Rede feyn, nicht ale ob 936.) Bott mäßig drein ſchaute aufbas, was in ber Welt gefchteht, fondern, fo, daß er die vom ihm gefchaffene Welt regiert; im der Art iR er nicht bloß dee Werkmeiſter eines Aug eublicks, fondern der ewige Regent, die Borfehang bezieht ſich ebenfo auf die Augen, wie anf bie Hände” So fireitet Calvin im Intereſſe der Immanenz gegen jede Trans⸗ ſceudenz einer bloß beiftifchen Lenkung, wie einer theifti- fchen Zulafiung.

Damit hat er aber auch die Löfung des Räthſels übernommen, welches auf jeber immaneuten Weltbetrach⸗ tung mit befonderem Nachdrucke ruht, der Frage: wie

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daun mit ſolcher Nothwendigkeit die menſchliche Kreis heit deſtehen? Er unterfcheidet in dieſer Beziehung wilden Nothwendigkeit und Zwang, necessitas und coactio. heit. IH, 2, 7: „„Sreier Wille wird dem Menfchen nur ageſchrieben, nicht weil er die Wahl zwifchen Gnt und dis gleich frei hat, fondern weil er das Böfe mit Wil: kn that, umd nicht mit Zwang. Eine treffliche Freiheit fürwahr, wenn der Menfch, der nicht zur Sünde gezwun⸗ gen iR, mit freiem Willen fich hergibt, den Willen in die Feſſeln der Sünde fchlagen zu laſſen.“ Solche Freiheit lang aber keineswegs die ‚göttliche Nothwendigkeit aufs hen (II, 23, 6.); denn auch dem Böfen, das er vorher» iah, fonnte Gott begegnen, wenn er wollte; da er es aber siht gethan, fo hat er mit beftimmtem Rathſchluſſe Die Renſchen gefchaffen, daß fie fih auf Erben alfo beneh⸗ ne. I, 4, 3: Es heißt allerdings gar oft, Bott habe den Menfchen verfiodt und verblendet; natürlidy ba nach kitziehnng feine® Lichte nur Finſterniß und Blindheit ihn bleibt, da durch Wegnahme feines Geiſtes unfere Sam ju Stein verhärten, da es mit dem Anfhören fei⸗ m denkung nur ſchief geht, fo heißt ed mit Recht, er serhlende, verſtocke, fälle die, denen er das Vermoͤgen zu khen, zu gehorchen, recht zu thun entzieht. Wie fo die nenſchliche Freiheit mit Gottes Regierung zufammens kfleht, davon tft das befte Beifpiel der erde Sünden fall MI, 23, 7: Unlengbar hat Gott vorausgeſehen, weihen Ausgang der Menfch nehmen werde, ehe er ihn Maf, und hat es darum vorausgefehen, weil er es in ſeinem Rathſchluſſe fo geordnet hatte. 8: Der erfte Menfch 8 gefallen, weil es der Herr fo für gut gehalten hatte, (dit homo Dei providentia sic ordinente, rd suo vitio cadit. Durch feine eigene Bosheit hat A die vom Herrn empfangene Natur mit fich ind Ver⸗ krden geriffen. Dieß wird weiter (Consens. Gener. 904.) It vermittelt: Der Menſch war bei ber erften Schöpfung 7*

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in einen foldyen Stand gefeßt worben, daß er durch feir nen freiwilligen Fall felbft der Grund feines Verderbens wurde, und doch war es im wunberbaren Rathſchluſſe Gottes fo geordnet gewefen, daß biefer freiwillige Sturz für das ganze Menfchengefchleht und alle Nachkommen Adam’s ein Gegenſtand der Demüthigung würde, Denn auch, wenn ed Gott fo für gut gehalten, läßt ſich darum doch nicht fagen, der Menfch habe fich nicht freiwillig ind Berderben geſtürzt, er, der doch fonft eine gute Ratur erhalten und nach Bottes Bild gefchaffen war, reis heit ift alfo hier nur Freiheit von äußerem Zwange und, wie Calvin befiimmt erflärt, fehr zu unterfcheiden von der inuern Willensfreiheit, welche aus ſich die Wahl zwis fchen Gut und Bös vollzieht.

St aber fo Alles durch den realen Willen Gottes georbnet und auf diefen zurüdzuführen, fo fcheint Calvin der Gonfequenz nicht entgehen zu können, daß ber Urs fprung des Böfen auch in Gott zu feßen fey. Hier ift nun 1) die nädıfle Entgegnung aus dem Borangehen, den zu entnehmen, daß Gottes Wille die Zurechnung des Einzelnen nicht aufbebt. IE, 1, 6: Die Natur ift von Gott gut gerichtet, aber von Adam verfchlimmert. Cons. Gener. 932: Adam mag procefliren, wie er will, er fev durch die Reize der ihm von Gott verliehenen Frau ber firidt worden, inwendig wird ſich Doch das töbtliche Gift des Unglaubens, inwendig Ehrgeiz, der fchlechtefte Rath: geber, inwendig die teuflifcdye Geißel der Kecheit vorfin⸗ den. Es iſt demnach (945.) zwiſchen einer entfernten und nächſten Urſache zn unterfcheiden, und wenn auch das Böfe von Bott geordnet ift, fo fagt doch Jedem fein Gewiffen, daß er die Schuld feiner Sünde trägt (915: ad reatum satis superque voluntarius transgressus sufficit), und man hat durchaus feinen Grund CI, 18, 4.), bei Gott praeceptum und voluntas identifch zu nehmen, Aber Bie: led heißt ja von Gott georbuet und wirb von den Pros

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pheten geweiffagt, was doch den Geboten Gottes entges gen iſ! 2) Damit fommen wir auf die objective Brite der Frage und Calvin gibt eine doppelte Antwort: ı) Inst. I, 18,2: Der Menfch, von Bott getrieben, treibt glei ſelbſt. Darum aber gibt es keinen Widerſpruch zad feine Beränderung in Gottes Willen, oder eine Vers kelung, als wollte er nicht, was er doch will; vielmehr der Wille iſt in ihm Eins und einfach, aber und erfcheint ea mannichfaltig, weil wir mit unferem fchwachen Mens ſchenverſtande nicht faffen können, wie eins und daffelbe anf verfchiedene Weiſe in Gotted Wollen und Nichtwol⸗ in könne begründet feyn. H, 4, 2: „Daſſelbe Wert ift, wie wir fehen, Gott, dem Satan und dem Menfchen zus sefhrieben. Aber die Berfchiedenheit in Zweck und Art saht, daß hier ohne Schuld Gottes Gerechtigkeit her» verlenchtet und bes Satan und des Menfchen Bosheit um Borwurfe fich verräth.” Der Sinn diefer Argumens tatien if} offenbar diefer: Bei jeder einzelnen Handlung Keine doppelte Betrachtungsweife zu unterfcheiden, die erihliche und bie göttliche. Was nun aber fo für die aılne Handlung gilt, das muß b) auch von der ges hunten Entwiclelung behauptet werben. Consens. Gener. 6: „Ein Fürſt wird Lob finden, der in gerechtem uud ichtmäßigem Kriege Gewalt, Raub und Plünderung von einem Gebiete fern hält. Indeſſen wird er viele Soldas im bewaffuen, welche, blutdürſtig und zu jeder Art von Atehheit aufgelegt, gewiß fein Lob verdienen. Ober. hei andere Heere fchlagen ſich; flieht man bei dem Feld⸗ herrn, der den Befehl in der Schlacht führt, auf feine tchte Geſinnung, fo muß man ihn, ift er auch ein Sterbs her, doch freifprechen, während man die Krieger vers mt, die, Menfchen zu würgen, um nichtöwürdigen - kehn ihre Hände hergeben. Gott aber, weil er durch ka Satan wirkt, will man das Lob der Gerechtigkeit atziehen. So iſt's freilich, daß Nebel, welche die Erbe

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ausbünftet, ber Sonne Blanz verdunkeln, fo daß er wicht bis zu den Augen der Menfchen hindurchdringt. Dennod bleibt die Sonne nichts deſto weniger Teuchtend; fo Felt des Menſchen Eitelfeit viele Dünfte in den Weg, bie deu Aublick der göttlichen Billigkeit hindern, während biefe felbft ungelegt bie alte bleibt.” Bleiben wir bei dieſen Gleichniſſen fiehen, fo ift der Hauptnuterfchieb zwifchen Gott und dem angenommenen Feldheren der, daß dieſer möglicherweife fiegreiche Feinde mit ihrer Macht ſich gegenüber hat, Gottes Allmacht aber ihren Rathſchluß durchführen kann, wie Calvin felbft fagt (939.): inserdam vel sine mediis, vel contra media Deus agit. Der Kürft ifl an gewifle Brenzen feiner Macht und an die Schranken der Nothwendigkeit gebunden. Gott könnte fomit dad Böfe verhindern, der Fürft nicht, Gott Fönnte es ver hindern, wenn ed nothwendig wäre, aber dieß ift das Entfcheidende für göttliche Betrachtung ift das Böſe nur vapor, nur vanum hominum figmentum. 947: „Wie it’ denn möglich, daß Gott ſich ewig gleich und auch in feir ner Schattirung mwandelbar feyn fol und doch etwas ans ders will, ald was er öffentlich zeigt? ‚Antwort: das iſt fein Wunder, wenn Bott im Geſpräche mit Menfchen ſich an ihr kleines Mäßlein Cmodula) anbequemt. Es if wahr, er will baffelbe, wie die Verbrecher und Verworfe⸗ nen, aber in verfchiedener Art. So ift jeßt feilzuhalten, was den Scheine nach verfchieben, fey doch in gleicher Art Gegenftand feines Wollend.” Hierin liegt ausgefpro- chen: 1) Bott will das Böfe, aber nicht al& Boͤſes; 2) was und, humano modalo, als böfe erfcheint, tft ed, nach gött⸗ lichem Maße gemeffen, divino modo, nicht. Für die abs folute Betrachtung ift das Böſe nur ein Dunft und Re bel, und Calvin nimmt gern (940.) des Auguſtin Meinung an, wenn fie auch Vielen als Spikfindigkeit erfcheinen möge, quodsi Deum spectes , in malo nihil esse positivum. Denn, wie er felbft fagt (942.), die Hauptfache, aufwelde

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Alles hinauskommt, ik, wenn gleich die Dienfchen wie wilde Thiere ausſchlagen, fo werden fie doch durch ben geheimen Zügel alfo gelenft, daß fie nicht einmal. einen Finger bewegen können, außer im Dienfte der göttlichen Hoheit. | 2) Die Brädeflination in ihrer zweifachen Erweifung. Hier ind wir deun wieder bei dem Bes griffe angelangt, von dem wir andgegangen find. Die Abfolntheit des göttlichen Willens ift das Einzige unb Alles iſt nur da ad exequendam Dei maiestatem. Gie ift der Grundbegriff, auf den alle Fäden zurückführen, der Mittelpuntt, von dem die ganze Betrachtung ausgeht, und damit bad PBrincip der Präbdeftination. 902: Wenn gleich Bott Niemandes bedarf, fo ift ed doch ein thörichter Schluß, er habe keine Rüdficht auf ſich gehabt, den Mens ſchen zu feinem Ruhme zu fchaffen, umd diefer Ehre hat - ex feine Geſchöpfe gewürdigt, "daß er ihnen den ausge: zeichneten Stempel feines Ruhms aufgedrüdt hat. Calvin seht fo nicht auf einen Punkt in der Zeit zurück, wie ber adamitiſchhe Suͤndenfall, ſondern anf die Schöpfung felbft, und betrachtet das außerzeitliche, das abfolute Berhälts niß des Schöpfers zum Geſchspfe. Wird nun Diefes metas phyſiſche Verhaͤltniß genauer entwidelt, fo kommt ber Unterfchted zur Sprache zwifchen praescientia und praedestinatio, weldhen Auguſtin vorangeftellt, in welchem fi aber eine merkwürdige Differenz Calvin's von ihm offenbart. Das gibt auch er zu, daß Präfcienz ein weiterer Begriff it, ald Prädeftination. Wenn aber Angufin die Präfcienz auf ale Menfchen fich erfireden ließ, Ente und Böfe, und die Präbdeftination auf die Er⸗ wählten befchräntt, fo dehnt Calvin bie Präfcienz auf die ganze Welt aus in ihrer Geſammtheit und die Prädeſti⸗ Miien bezieht er anf alle einzelnen Menfchen. Der Maß hab ik fo ein metaphyflfcher, das Verhältuiß des End⸗ lien zum Abfolnten, der Belt zu Gott, nicht der morar

104 Bed Lifche, nicht das Berhältnig des Sündlichen zum Heiligen und Gerechten. Ä

Ueber dieled Berhältnig von Präfcienz und Präde⸗ flination it nämlih die Hauptfiele 111, 21, 5: Wird Gott Borhermwiffen zugefchrieben, fo heißt das, Alles fey immer geweſen und müfle immer bleiben unter feinen Augen, fo daß für feine Kenntniß keine Bergangenheit oder Zufunft gelte, fondern Alles gegenwärtig fey und zwar in der Art, Daß er nicht bloß eine Einbildung nach Ideen hat, wie und die Dinge vorſchweben, die wir im Gedächtniſſe haben, fondern daß er fie gleichfam vor fich wahrhaftig anfchaut und erblickt, und dieſes Vorherwiſſen ift auf den gefammten Umfang der Welt und anf alle Gefchöpfe ausgedehnt. Verordnung, Prädeltination, heißt Gottes ewiger Rathfchluß, vermöge deſſen er bei fi, befchloffen hat, was mit einem jeden Menfchen ger fchehen fol; denn nicht gleich ift die Beflimmung, zu der Alle gefhaffen werden, fondern ben Einen wird ewiges Leben, den Andern ewige Verdammniß vorausbeflimmt, Daher fagen wir, je nachdem Einer zu einem Ziele ge- fchaffen ift, er fey zum Leben, oder zum Tode prädeftis nirt. Alſo die Prädeftination erfiredt ſich auf Ale und jeden Einzelnen unter den DMenfchen: aber diefe verhalten fich ja entgegengefegt zum göttlichen Gebots» willen. Alfo find fie auch entgegengefeßt prädeftinirt. 11,21, 7. wird diefe zweifache Prädeftination alfo begründet: „Sagen wir, im ewigen und unabänderlicdhen Rathſchluſſe Gottes fey einmal feſtgeſtellt, wen er eins mal zur Seligkeit aufnehmen, wen er wieder dem Ber: berben weihen wolle, fo fagen wir, diefer Rathſchluß fey in Beziehung auf die Ermwählten in Gottes gnädiger Barmherzigkeit gegründet, ohne eine Rädficht auf menfch- liche Würdigkeit, denen aber, die er dem Berderben weiht, werde der Zugang zum ewigen Leben abgefchnitten nach gerechtem und untabeligem, aber unfaßlichem Urtheile

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über die Präbeftination. 105

(hreprehensibili, sedineomprehensibili iudicio).”” Man wen» det ein: aber es find ja doch Alle berufen! Dagegen tritt bie Unterfcheidung einer fpeciellen und allgemeis sen Berufung an ihre Stelle. Cons. Genev. 907: Bemeinfam wird Beiden Gottes Wort angeboten, daß, wer innerlich nicht gelehret wird, nur unentfchuldbar werde. Man macht gewöhnlich die Linterfcheidung, dem Vermögen nach fey das Evangelium heilbringend für Alle, nicht nach der Wirkung (potentia, non effectu), aber der Kuoten wird auf die Art nicht gelöft, weil wir immer wieder darauf zurüdgetrieben werben, ob Allen gleiches Bermögen ded Glaubens gegeben werde, Aber ber Geift, der une die Geheimniſſe des himmliſchen Reichs geoffen- bart bat, ift auch ein Geiſt der Kindfchaft, die Kindfchaft aber aus Gnaden, alfo wird auch der Geiſt der Kinds fhaft and Gnaden gewährt. Nun aber zeigt die Erfahs rung, daß er nicht Allen zukömmt, alfo ift ein befonderes Geſchenk der Glaube, durch welchen die Erwählung feft wird. Aber 1 Timoth. 2, 4! Dagegen 910: „Wie will er, daß fie zur Erfenntniß feiner Wahrheit kommen? Beides alfo ift verbunden. Nun frage ich, ob Gottes Bile von der Welt Anfang derfelbe geblieben oder nicht. Denn will er Allen feine Wahrheit befannt werden laſ⸗ fen, warum hat er fein Geſetz nicht den Heiden geoffens ' bart?” 929: „Warum hat er nicht Allen ohne Unterfchied von Aufang der Welt das Evangelium zu verfünbigen beihloffen? Auh Römer 5, 12. kann nichts für bie Univerfalität der Gnade beweifen.” 931: „Paulus fagt sur, der Fluch fey der Gnade nicht glei, weil diefe überfchwenglich fey. Wenn aber auf beiden Seiten bie Zahl der Menfchen in Betracht fommt, fo kann Chriftus sicht mehr retten, ald Adam verborben bat; alfo kommt Ianli Glaube in Gefahr, wenn nicht gleich eine neue Belt heraufſteigt.“ Alfo nur qualitativ fol die Gnade in Vergleich kommen mit der Sünde. Man könnte zwar

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fagen: ift fie qualitativ überfchwenglicher ald Die Sünde, go wirb Fe auch quantitatio nicht zurückbleiben. Einen ähnlichen Einwand macht ſich Calvin felbit (HI, 23, 11.). Wenn er Alle fchuldig trifft, fo fol er Alle gleich ſtrafen; wenn Alle unfchuldig, fo fol er von Allen die Strenge des Urtheils fern halten; denn wie Alle von Adam in die Sünde gezogen find, fo ift EChriſtus für Alle der Ur heber des Heild. Dagegen aber hat er zu erwidern: „Man handelt gerabe fo mit Gott, wie wenn ihm Barm⸗ - herzigleit verboten würde, oder ald würde er, wenn er barmherzig feyn will, gezwungen, im Ganzen aufs Ges sicht zu verzichten; ber Herr kann Gnade geben, wem . er will, weil er barmherzig iſt, aber nicht Allen, weil er gerecht if.” Gomit if hier, wie bei Auguſtin, die Ge: trenntheit der Prädeftination aus der moralifchen Zweis beit des göttlichen Willens deducirt. Aber in der ſyſte⸗ matifchen Begründung Galvin’d erheben ſich gegen biefe wichtige Einwendungen. Woher weiß Calvin von diefer moralifchen Zweiheit des göttlichen, abfoluten Willens? 1) Die Erfahrung zeigt ed! Aber a) muß denn dieſe Erfahrung jetzt fchon eine in ſich abgefchloffene feyn?, iſt ed nicht möglich, baß, wie das Geſetz nur für die Juden gegeben war und dem das Evangelium folgte, welches für alle Menfchen beſtimmt ift, fo nun diefer Beſtimmung auch irgendwo noch die Erfüllung nachfolgt? b) kann Diefe Erfahrung nicht anch ein Schein ber menfchlichen Betrachtung feyn, nnd wenn für Gott dad Böfe nicht ift, fol die Strafe des Böfen, der Tod, ewig, d.h. alfo doch für die göttliche Betrachtung feyn? Doch diefe Zweiheit tft 2) in dem abfoluten Willen Gottes, in dem aeternum decretum, in dem überzeitlichen Rathſchluſſe! Sollte aber nicht gerabe in ber Liebergeitlichkeit des abfoluten Gottes fidy nicht jede Zweiheit auflöfen, follte wicht bier gerade der Kanon gelten: quod unum et simplex in eo est, nobis multiplex apparet?

über bie Praͤbeſtination. 107

Diefen Einwendungen kann nur auf anthropologis (chem Wege entgegengetreten werben, wo allein bie Er» fahrung begründet werben Tann. Wollen wir daher bie caleinifche Prädeflinationsiehre in ihrer ganzen Beben: tung kennen und würdigen lernen, fo muß ale letzter Punkt noch hinzutreten zu dem Überzeitlihen Rathſchluſſe das zeit liche Wirken Gottes.

3) Die Wirkſamkeit der Gnade Zwei Mor mente find bier zu unterfcheiden: a) ber Menſch vor der Gnade Erbfünde und Freiheit müflen bier gur Sprache Iommen; b) der Menſch und bie Gnade, Betrachtet man den Menfhen vor der Önade, fo muß ganz nach dem Bewußtſeyn Der Zeit und den Ideen der Reformation die Erbfünde voranfichen. II, 1,8: Die angeborne Erb fünde it eine Schlechtigleit und Verderbniß menfchlicher Ratur nach allen Theiten, welche fürd erfte bed Zorns Gottes ſchuldig macht, daun aber Werke in und hervor, bringt, welche die Schrift (Gal. 5, 19.) dem Kleifche zu⸗ ſchreibt. II, 2, 12: Nach Augufiin waren bie natürlichen Baden im Meunſchen durch die Sünde verberbt, der über, ratirlichen wurde er beranbt. Darum aber ift der Menich xiht zu ewiger Blindheit verbammt, fo daß keinerlei Art von Erkenntniß zurücgeblieben wäre, denu den Menſchen⸗ geſchlecht iſt eine Art Schnfuht nach Wahrheit eingepflanzt; ed muß ihm deßwegen eine Erkenntniß im irdiſchen Dingen zugefprocden, in himmlifhen Dingen abgefprochen werben. Auf diefelde Weife, wenn wir dem Bien berücdfichtigen, fo folgt aus der natürlichen Ans lage des Menfchen zur Gefelligkeit, daß allgemeine kindrücke einer gewiffen bürgerlihden Eh barkeit nnd Ordnung im Menfchenherzen find, Beide Seiten, Verdorbenheit und Empfänglichleit (desiderium verüstis, naturales impressiones), faßt Calvin zufammen (,2,19.) mit Beziehung auf den Menfchen im Gleichnifle vom barmherzigen Samariter : Der Menſch ift nun balbr

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tobt (semivivas) geworden unb unzweifelhaft fleht bie Wahrheit feft, daß des Menfchen Geflunung fo von Got. tes Gerechtigkeit entfremder ift, daß er alles Gottlofe, Verkehrte, Abfcheuliche, Unreine, Frevelhafte in Gedanken empfängt, begehrt und unternimmt: das Herz ift von der Sünde Gift ganz angeftedt.

Nach dem Allen kann für moralifche Freiheit wohl fein Raum gefunden werden. Denn (IL, 2, 1.) wenn wir auf eigne Fauſt fireiten ſollen, was gefchieht Anderes, ale daß wir und an einem Rohrſtab erheben, der bald zuſammenbricht, um und zu Fall zu bringen? Und doc werben unfere Kräfte noch zu hoch geehrt, wenu wir fie einem Rohrfiabe vergleichen; Dunft und Raud ill, was davon die eitlen Menſchen fchwagen. II, 3, 5: Simpliciter velle hominis est, male autem velle corruptae naturse, bene velle gratise.. So wäre es am beften, wenn man den Namen der Freiheit ganz abfchaffte; fol er aber noch bes ſtehen, jo Tann er nicht anders gelten, als in dem fchon oben angegebenen Sinne (Il, 2,7 unb 8.) Quia mala volun- tate agit, non coactione. Eben durch diefe Freiheit aber iſt ber Menſch 3BeAddovAog peccati. Zur Befreiung davon bat er die Gnade nöthig, und aus feiner eignen Kraft kann er auch nicht eine Kleinigkeit dazu beitragen. Biel» ‚mehr (II, 3, 1.) was nicht geiftig it im Menfchen, beißt in diefer Beziehung fleifhlihd. Wir haben aber nichts vom Geifte ald durd; die Wiedergeburt, Fleiſch alfo ift, was wir von Natur haben.

Hiernach ift denn fogleich auch b) das Berhältuiß von Menfh und Gnade im Werke der Wiedergeburt bes flimmt. Das allein Thätige kann nur die Gnade feyn. Doh kann fie auch Hier nicht ald Zwang von außen, sicht als coaetio wirken, denn der Wille ift ja immer frei von äußerem Zwange, vielmehr Cons. Genev. 942: „Ebenfo werden bie innern Bewegungen von Gotted Hand res giert, wie er bie äußern Handlungen lenkt, und Gott

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würde feine Befchläffe nicht durch der Menfchen Hand ausrichten, wenn er tw ihren Herzen nicht dad Wollen felbft wirkte, welches dem Werke vorhergeht.“ Die gratia irresistibilis, wie fie gewöhnlich den Galviniften zugefchrie- ben wird, ift demnach nicht fo gu verftehen, daß Bott bie Menſchen wider Willen fortfioße, vielmehr wendet er innere Mittel an, ut fiant volentes ex nolentibus. Iſt aber den Erwählten die prädeſtinirte Gnade mitgetheilt, dann (UL, 21,7.) it ihnen das Heil fo zugetheilt, daß die Gewiß⸗ heit des Erfolgs nicht unentfchleden oder zweifelhaft feyn kaun. II, 24, 5: Da Ehriſtus uns von Ewigkeit her vom Vater verordnet iſt, fo haben wir ein hinlänglich feſtes und deutliches Zengniß darüber, daß wir im Buche des lebens ſtehen, wenn wir mit Chriſto Gemeinfhaft haben, und wenn wir ſolche Zuverficht gewonnen haben, dann bürfen wir uns auch an die folgenden Zeichen, die das Bert und anbietet, halten.

Faſſen wir demnach dad Nefultat der ganzen Ent- widelung in kurzen Sägen sufammen, fo find es bie: ehne Gnade vermag der Menſch durchaus nichts; iſt fe ihm gegeben, dann ift er mit abfoluter Gewißheit in iht gegründet, aber daß fie gegeben wird, hängt ganz alein ab vom ewigen, actuellen, wirkfamen Rathfchluffe Gottes und feiner hocherhabenen Herrlichkeit, die dem Einen dad Reben, dem Andern ben Tod zugetheilt hat.

1. Zutherifhe Lehre

Eben mit dieſer ‚nitiesima Dei maiestas iſt die angufli- niſche Theorie in ihrer Sonfequenz entwidelt, und in dies kr Beziehung if Calvin's Syſtem ald die Ausbildung des auzuſtiniſchen zu betrachten. Aber wir hatten auf der andern Seite bei Auguflin eine praevisio, eine permissio, Zulaffung, gefunden, und auf diefer Seite nun flellt ſich uns ebenfalls als eine Conſequenz ded auguftinifchen Syſtens die Intherifche Lehre entgegen, um bei allem

110 Bd

Beſtehen auf ihrem gemeinfamen Grunde, der Erbſunde, der menfchlichen Freiheit ein Recht zu vindiciren. Um jedoch den innern Bang, weichen die Entwidelung genom⸗ men, zu durchſchanen und ben treibenden Hebel des Fortfchritts zu erkennen, ift ed nothwendig, daß wir die Intherifche Lehre nicht fogleich betrachten, wie fe als fir in den Spmbolen niedergelegt il, fondern daß wir auf die erften Keime surüdigehen, um die Metamorphofe vers folgen zn können,

A. Uebergang. Euther und Melanchthon.

Mir meinen bier gunächft die urfprüngfichen Anſich⸗ ten von Luther and Melanchthon. Luther fland ber Tanntlich anfangs auf dem nämlichen Standpunkte, wie fpäter Balvin, in feinem liber de servo arbitrie =). Er geht in Ddiefer Schrift von der göttlihen Altssacht ale höchftem Principe aus, negirt dadurch die Freiheit ımd beftimmt die Yrädeftination. Wir haben alfe die drei Momente: 1) bie göttliche Almacht, 2) die moralifche Frei heit, SI die Präpdeftination, zu betrachten.

Die göttliche Allmacht beftimmt er num theild an ſich, tbeild in ihrem Berhältniffe zum yerfoniftcirten MWiderparte Gottes, zum Satan, 1) An fick, fagt'er (S. 204.), folgt aus dem Zugeſtaͤndniſſe des Vorherwiffens ‚und der Allmadıt mit einer von Natur ummwiderlegbären Eonfequenz, daß wir durch und felbft weder gefchaffen find, noch leben, noch etwas thun, fondern allein durch feine Almadıt, Wenn er aber und als ſolche voraus⸗ gewußt hat, als ſolche jetzt fchafft, bewegt und regiert, was kann man fid dann noch denken, das m uns frei wäre, ob ed fo oder anderd gefchähe, als er voraus. ehe hat und jet wirft: Gottes Vorauswiffen und

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a) Ad Erasmum. Die wittenberger Ausgabe von 1526 liegt den folgenden Citaten zu Grunde.

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Almadht iſt alſo unferer Freiheit ſchnurſtracks entgegen. Entweder wird fih Gott trügen im feinen Vorherwiſſen uud irren in feinem Handeln, oder werben wir getrieben und treiben nach feinem Vorauswiſſen uud Triebe. Got⸗ ted Allmacht heißt bei mir nicht die, die Vieles nicht thut, was fie than Tann, fonbern bie wirkliche, actuale, weiche sädtig wirft Alles in Allen. Ebenſo kennt er leine uns wirffause oder ruhende Präfcienz. Pag. 23: Gott weiß nichts anf zufällige LBeife vorher, fondern in feinem unwandel⸗ baren und ewigen unträglichen Willen fieht er vorher, befchließt und handelt er. Gottes Wille fol unwandel⸗ bar ſeyn, aber feine Präfcienz nicht. Glaubſt denn du, daf er gegeu feinen Willen vorauswife oder im Un⸗ wiflenheit wolle? Si volens praescit, aeternn est etimmobilis, quia natura, voluntas; si prae- sciens vwalt, asterna est et immobilis, quia hatura, scientis. Alſo Almacht, Willen und Willen m in Gott durchans nicht von einander zu trennen, er chen baburch der Abfolute, Daß er Alles abfolmt durch ſein actuales Willen und Wollen beftimmt: es -gibt in Gett feine solätaria praesclentia, fein iſolirtes Willen, und fine potentielle Macht, fondern fein Wille ik productiv und fhöpferifch, feine Wacht eine actuale, IM fo bie Abſelatheit aufs höchſte gefaßt, fo tritt ihr auch der Gegenfag um fo fchärfer entgegen, in der Goncentration des Endlichen und Sündlihen. 2) im Satan, 40, 55: „Unferm großen Bott ſtellt ſich ber Gott der Welt uud unferer Zeit entgegen, als der zweite Herr im Reiche der Dinge. Denn fichen wir unter dem Gotte biefer Welt, je werden wir ohne Werk und Geiſt Gottes gefaugen halten unter feinen Willen; kommt aber der Stärfere u führt nus als feine Beute davon, fo werben wir Diederum deffen Knechte ſeyn.“ Hier iſt denn freilich der Satan inärmior gegen ben fortier zu nennen, doch iſt er in eigner Perſon, in einer freien und mit Bott gleichen

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Herrſchaft dargeftellt, fo daß er mit Gott Krieg führen Tann. Er fteht alfo Bott als das andere Princip entge⸗ gen. Dieß zeigt noch klarer das unmittelbar Kelgende: „Des Menfchen Wille ſteht in der Mitte zwifchen beiden, wie ein Lafttbier oder Zugvieh Ciumentum); reitet Gott, fo will und geht er, wohin Gott will; reitet der Satan, will und geht er nach dem Satan, und es liegt nicht in feiner Freiheit, zu welchem Reiter er laufen, welchen er fuchen fol, fondern die Reiter felb reiten ſich Aber ſei⸗ . nen Beſitz nnd feine Herrfchaftl.” Go fleht denn der : Satan hier ald zur Zeit gleichberechtigted Princip Gott gegenüber, im ihm ift die Freiheit der Welt concentrirt. Wie aber das mit der Abfolutheit Gottes und der be haupteten actualen Allmacht zu vereinigen fey, das kann erft weiter unten Mar werden, wo Luther bei ber Präs beftination die Bedentung des Böfen zu erllären hat. So viel zeigt fih fchon bier, der Satan iſt mit aller Macht doch der Unterliegende, der Ueberwundene ober zu Ueberwindende.

Aber auch fo viel ift ſchon klar, daß in dieſem Syſteme von menfchlicher Freiheit nicht die Rebe feyn kann, wenn der Menfch nur ein Laftthier ift, das fich entweder von Gott oder vom Satan muß reiten laffen, Luther hat daher hier nur die Aufgabe, fi mit den gewöhn⸗ lihen Borftelungen von moralifcher Freiheit aus ein⸗ anderzufeten. 58: „Kreier Wille ift ein burchans gött« licher Name und kann Keinem zulommen, als allein der göttlichen Majeſtät; fie fann und thut Alles, was fie wild, im Himmel und auf Erden, Der freie Wille im Menfchen aber, gibt man ihm auch eine nicht bloß unbe, beutende, fondern eine englifche, ja, wenn man kann, eine durchaus göttliche Macht, er ift doch ohne Gotted Gnade durchaus unwirkfam, oder eigentlich Feine Macht.” Eras⸗ mus hatte dreierlei Meinungen aufgezählt, die dem freien Willen entgegen wären. Da fagt num Luther (107.), eine

über die Präbeflination. 113

könne härter erfcheinen, ale bie andere, aber in der Haupts ſache tommen doch alle auf Eind hinans. Hart, doch bei⸗ falöwerth erfcheint Dir die Meinung, daß der Menſch ohne befondere Gaade das Gute nicht könne wollen, anfangen, vorwärt® bringen, vollenden; der gibft Du deßwegen Deinen Beifall, weil fie wenigftend dem Menfchen ein Etreben und den Aufang laffe, wenn fie gleich nichts Abrig laſſe, was er feiner Kraft zufchreiben dürfte. Härter er⸗ ſcheint Dir Die Anficht, der freie Wille in und habe nur bie Madıt zu fündigen, allein die Gnade wirfe in nnd bas Gute; am härteften ift Dir die Behauptung, die Freiheit iey ein leerer Name, vielmehr Gott allein wirkte in uns wie Gutes, fo Böfes, und reine Nothwendigfeit fey in Allem, was gefchehe. Aber (110) ich möchte wien, was denn jenes Streben, jener Anſatz feyn fol, den die erfie Meinung übrig laffe. Out kann das Streben, gut der Anfag ohne Gnade nicht ſeyn: alfo gibt ed nur em böfed Streben, einen böfen Anſatz. Daher find bie rim der Abhandlung anfgeftellten Aufichten für mich EI eine einzige und nicht weiter. Steht feit, Daß ber Wille de Freiheit verloren hat, zur Kuechtfchaft der Sünde ges mungen iſt und nichts Gutes wollen kann, fo kann ich wir and diefen Worten nichts Anderes zurecht legen, ale daß die Freiheit ein leerer Schall für etwas ift, wovon bie Sache verloren if, eine verlorene Freiheit aber heißt nach une Grammatik Feine Freiheit, Daffelbe zeigt auch die Eregefe von Joh. 1, 5. (gab ihnen Macht, Gottes Kinder zu werden) (5. 165.), und dieſe Stelle ift ein Hammer wider ale Freiheit, wie faſt das ganze Evangelium Johannis: ke homo merese passive habet, neo facit quippiam, wdfit totus. Erasmus hatte weiter bie Freiheit das dar zu halten gefucht, die untern Seelenvermögen ſeyen alerdings von der Sünde verderbt, aber die höheren feyen unveriegt geblieben. Dagegen antwortet Euther (251.): IR das Höchſte im Menfchen nicht gottlos, verloren und Tieol, Stud, Jabra. 1847, 8

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verbammt, fonbern allein das Fleiſch, d. i. Die gröbern und niedern Begehrungen, wie wollen wir und denn Chris find ale nufern Erlöfer deuten? Sollen wir fortan Ehriftus den Erlöfer weunen, nicht des ganzen Menfchen, fonbern nur feines geringften Theild, den Menſchen aber fei nen eignen Erlöfer im edleren Theile? So bringt dad Dogma von dem vorzüglicheren Theile im Menfchen dahin, den Menfchen über Teufel und Chriſtus zu erheben, d. h. ihn zum Gott der Götter und zum Herrn der Herrn zu machen. ber hier erhebt fi ber gewichtigfte Ein⸗ wand: wie kann Freiheit eine Illuſion ſeyn, wenn Bott felbft in ner heiligen Schrift fig mis Ermaknungen, Gebo⸗ ten und Berheißuugen doch an den freien Willen der Men fchen wende? Da zieht Luther gewandterweife ben Semipelagianiomus feines Gegners in fein Sntereffe, weun er antwortet (128.), es komme biemit nur berand, baß ent weder deu freie Wie aBein von ſich ſelbſt Alles könne, was ihm gefagt und geboten wird, oder bie Gebote um- ſonſt, kücherlich und unzeitig fenen. Das Erſte konnte der Semipelagianiemus nicht zugeben, alfo bliebe doch nur dad Andere. SA das nun bloß zer’ Avdgmzov gefagt, fo geht Luther weiter auf die Prineipien und weift (117.) Ein- wendungen ab mit dem Grunde: haee sunt argumemte ra- tiouin humanae und die Gebote Gottes haben keinen andern AZmar (124.), quam homini ostendi, quid debest, nen quid possit a). Solche Bebote ud (118.3 ein Spiel, wie Eltern mis ihren Kindern ſpielen. Hier Liegt die Geneſts ber Sehre von einem zweifachen Willen Gottes, der fig ge: radezu entgegengefeßt ift, dem offenbaren und ver borgenen Willen Gottes, eine Lehre, welche bes - Tanntlich der Nero für diefe ganze Entwidelung de serve arbitrio if. 118: „Wie oft fpielen Eltern mit ihren Göb-

. a) Ef. Augustiu. grat. et lib, arb. 16: ideo iubet aliqua, quas nos . Possumus, ut noyerimus, quae ab eo petere debemas.

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neu, wenn fie fie zu ſich kommen ober das und das thun heißen, nur darum, um zu zeigen, wie fie 26 nicht fünnen und die Hand des Baterd darum angehen mäflen.” Die Einwendung bagegen liegt auf der Hand: den Kindern wirb es aber nicht als Schuld angerechnet, wenn fie nicht fommen, weil fie nicht kommen können, Aber wieder kommt Luther, nachdem er die Freiheit and metaphyſiſchen uud moralifchen Gründen beftritten, auf Gottes abfolutes Bollen und Wiſſen hinaus, das höher fey, denn alles Menfchenwiflen, daher demfelben unbegreiflich und vers borgen, 141: „Sofern ſich Gott verbirgt nnd von und nicht gefannt feyn will, geht das une nichts au; deun bier gilt wahrhaftig das Wort: was über uns geht, geht und nichts an. Gott ift alſo in feiner Majeſtät und feinem Beien zu belaflen, denn fo haben wir nichts mit ihm zu verhandeln, und fo wii er auch nicht mit fich verhandelt ſehen, fondern fo weit er ſich angethan und kundgethan in ſeinem Worte, das er und gegeben, haben wir mit ihm zu verhandeln, was feine Zierde und fein Ruhm if.” 13: „zweierlei Dinge find Gott und fein Wort, gerade wie Schöpfer und Gefchöpf zweierlei And. Freilich (151.) wird bie Bernunft nafeweid und ſchwatzhaft, wie fie ift, fagen, dad fey eine ſchön erfonnene Ausfluht, daß wir, fo oft . ums Brände ind Gedräuge bringen, auf feine furchtbare Najekät und zurückziehen und den Gegner, wenn er bes ſchwerlich ift, zum Schweigen verweifen. Aber es ift nicht unfere Erdichtung, fondern wir fagen da ein Gebot, das ia der Schrift felbft ſteht und beſtätigt if.” Kann aber eine größere Inconſequenz geben, als aus der Schrift, in der nach der anfänglich voraugegangenen GEntwidelnng Ales deutlich gefagt feyn ſoll, den Sau heraudzuzichen, daß die im Worte Gottes geoffenbarten Gebote anf einen ver; bergenen Willen Gottes zurückweiſen? etwas Ungereimte⸗ 186, als ans einzelnen Steffen, die mit allem Ernfte ergrifs fen werden, beweifen wollen, daß eine ganze Reihe, daß 8 *

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die Durchhingehenben Ermahnungen bed Geſetzes, daß bie beflimmten Zufagen der Gnade nur eitel Schein und Spiel feygen? Mit welchem Namen foll eine Sonfequenz benannt werden, die, weil fie die Univerfalität der Gnade nicht aus der Schrift entfernen und doch eben fo wenig mit ihrer gefpannten Anficht von der göttlichen Abfolutheit vereinis gen kann, auf einen verborgenen Willen Gottes zurüds fommt, der dem geoffenbarten geradezu entgegen if? Welche Bürgfchaft iſt deun dann gegeben, daß es Gott mit - feiner Offenbarung in irgend etwas Ernſt feyn könne, Ernft ſeyn müffe? Nach dem einen will Gott, daß allen Menfchen geholfen werde, nad dem andern nur Kinigen das Leben, Audern bie Verdammniß geben. In der Schrift ſelbſt aber ift kein Anzeichen, welcher diefer Willen den Borzug verdiene; alfo muß die menſchliche Bernunft in leßter Inftanz doch entfcheiden, welches denn nur der rechte, der wahre Wille Gottes fey. Die Vernunft entfcheider, d. h. eben jene nafeweife, vorlaute, unwiffende Menfchens vernunft entfcheidet, was der Abfolutheit Gottes gemäß fey. Und doch muß fie von Anfang vor der Abfolutheit Gottes ſchweigen. Da ift offenbar ber Punkt, wo ed mit dem Denken aus ift und die Gedanken Einem flille ftehen. Das ift ja (52.) des Glaubens höchſte Stufe, an deſſen Gnade zu glauben, der fo Wenige errettet, fo Viele ver: damımt, zu glauben an deſſen Gerechtigfeit, der durch ſei⸗ nen Willen mit Nothwendigkeit und verbammlich macht, "fo daß er ih an den Qualen der Elenden zu freuen und mehr ded Haſſes als der Liebe werth zu feyn fcheint,

Aber Eine Frage läßt ſich doch nicht abweifen: woher fommt denn dieſe Entgegenfegung im göttlichen Willen, woher denn die Prädeflination, die zu Tod oder zu Les ben von Ewigkeit entfcheidet, woher das Böfe, das den Tod zur Folge haben muß, woher der abfolute Ges genfas? Hier fällt die Antwort verfchieden aus, je nach: dem entweder „abfolut” oder „Segenfag” premirt wird;

über die Praͤdeſtination. 117

in jenem Falle wird die eigentliche Realität ded Böfen negirt, in diefem wirb ein phyfifcher Dualismus aufges ftellt, der nahe an Manichäismus fireift und den Flacius fpäter nicht Rärker betonen konnte. 1) Wir nehmen suerft die manihäifche Seite, welche dad Böfe zur Subſtanz der Natur zu machen fcheint, 187: „Was von der Ereatur im Gottlofen und im Satan iſt, ift ald Ges fhöpf und Werk Gottes feiner Allmacht und Lenkung ges trade fo nnterthan, wie alle andern Geſchöpfe. Er wirkt aber in ihnen fo, wie fle find und wie er fie vorfindet, dv. i. weil fie verkehrt und böfe find und doch durch die Bewegung der göttlichen Allmacht fortgeriffen werben, fo thun fie auch nur Verkehrtes und Böſes.“ Das quales Ali sunt et quales invenit wird nun aber fogleich weiter erflärt: „Wie wenn ein Reiter ein Pferd mit zwei oder drei Füßen treibt, fo treibt er es fo, wie das Pferd ift, d. h. das Pferd geht fchlecht. Da fiehft Du, daß Böfes geichieht, DaB aber Bott doch nicht das Böfe thun kann, wenn er auch Böſes durdy Böfe vollführt, darum, weil er, felbft gut, Böfed nicht thun kann, aber fchlechte Berkzeuge gebraucht. Der Fehler liegt alfo in ben Werkzeugen, bie Gott nicht unthätig feyn läßt, gerabe wie wenn der Zimmermann mit einem fügenartigen und gesähnten Beile fchlecht fpaltet.” Woher kommt denn aber die Schlechtigfeit der. Menſchen? doch nicht aus ih⸗ rer Selbftbeftimmung, denn fie find ja nur Werkzeuge? woher find die Werkzeuge fchlecht, warum gebraucht fe Gott in folcher Befchaffenheit, warum ändert er fie nicht und macht aus fchlechten nicht gute? Denn vor fchlechte Werkzeuge gebraucht und doch einerfeits ihre Schlechtigkeit kennt, andererfeitd ihnen davon helfen löunte, der iſt doch gewiß felbft ſchuld an ber fchlechten Arbeit. Das kann aber bei Gott nicht fein! er ift ja get. Affe, müflen wir rückwärts fchließen, muß eine der Prämiffen falſch feyn: entweder kennt er ihre Schlechtig⸗

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keit nicht, aber er ift ja allwiffend, oder er kann fie nicht ändern. Damit wird aber Gottes Almacht auf: gehoben, und der Gegenſatz volllommen zu einem princis piellen, rein phyſiſchen Dualidmud. Das zeigt fih am deutlichſten (163,), wo Luther beweifen will, unfere Thaten feyen die unfrigen, wenn fie gleid; mera necessitate ge: ſchehen. Da heißt es denn: „Wenn, was unfer heißt, auch unfer Werk it, fo haben wir auch die Augen uns ſelbſt gemacht, die Hände, bie Küße find nnfer Wert, es müßten benn nur Augen, Hände, Füße nicht unfer heis Ben.” Die Entgegnung wäre hier wieder Mar: bei Au⸗ gen, Rafen u. f. w. fagt man nicht facere, fondern ha- bere. Bei den opera aber heißt ed facere, und das weit zurück auf ein velle. Diefer Linterfihied fol nun aber eben nicht gelten, vielmehr follen unfere Werke zu unfe: rem Wefen gehören, wie die natürlichen Gliedmaßen und natürlichen Sinne. Gerade, wie wenn das Pferd nur drei Füße bat, fo ift das freilich ein böfes Ding, aber es if einmal feine Natur, oder, wenn dad Beil mehr einer Säge gleicht mit feinen Scharten, wer könnte vernänftis gerweife dem Beile gram feyn? Wollte man fagen, es gehöre zum Begriffe, zur Natur, zum Weſen eiues Beils, fcharf und nicht fügenartig zu feyn, und eins, das ſchlecht fehneide, fey eben darım ein Widerfpruch gegen feine Idee; fo ſey nun eben auch des Menfchen Natur nicht die ideelle, wie fie aus bed Schoͤpfers Hand hervorging, fo if das Alles ganz recht, nur müſſen wir und über eine Frage dann Belehrung ausbitten, woher nämlich diefe Alterirung und Berfchlimmerung, diefer Widerfpruch gegen die Idee ſtamme. Das gerade ift der letzte Grund, nm den es fich handelt. 2) Die Freiheit kann diefer nicht feyn, denn. fie ift, wie oben gezeigt, durch Die actuale Macht Gottes aufgehoben; Gottes wirkfamer Wille wie der nicht, denn Bott iſt gus und heilig. Alſo die zwei Örlinde finden nicht Matt. Run ift entweber die Folge,

über die Präbeflination. 119

bie verfehlimmerte Natur, oder fie ir wicht. Iſt fie, dann muß ein anderer Grund für fie eriftiren, und ba wäre allerdings nadı dem Übigen der Satan ganz in der Gtelle, dann aber iſt nicht abzufehen, wie Luther den Manichäismus vermeiden follte. Es bleibt alfo nur die andere Folgerung: Die Folge iſt nicht, weil fie keinen Grand dat. Das Böfe iſt nicht, es hat Feine Realität, es if das non ens. Und das ift die Anficht, Vie durch den verborgenen Willen Gottes offenbar verlangt iſt und die kLuther ſelbſt einmal ausdrädlich vertritt (186): multa sidentur Deo et sunt bona valde, quae nobis rideutur et sunt pessima.

Radı ad dem läßt fih gewiß nicht fagen, Luther habe nraufänglich, alfo gerade wie er vom Jatereſſe der Res formation innigft erfaßt war, eine mildere Prüdeſtina⸗ tionsanficht gehabt, als Balvin. Vielmehr ift fein Reſultat sch härter, fein Princip aber das gleiche. Bon dent abfolnten Wiffen und Willen Gottes aus, daB und zum größeren Theile unerlennbar und verborgen ift, nimmt er feinen Standpunkt, um die menfchliche Kreiheit mit meta» phyfifen Gründen aufzuheben, Denfelben Weg fchlägt Melauchthon in der erfien und zweiten Ausgabe der - loei 2) ein. Nach dem Bemelfe, daß bie Freiheit nur noch im Fleifchlichen übrig fey, fährt er fort (c. VIL. Fol.9.): Endlich nimmt dem Menfchen die Freiheit die göttliche Prädeftination; denn Alles erfolgt nach der göttlichen Brädeflination, die iußeren Werle, wie bie inneren Ger danken in allen Geſchöpfen. Wie alfo? in der Welt fol ed Beine Zufälligfeit geben! Nichts ift Zufall, nichts Uns gefähr. Alles erfolgt mit Nothwendigkeit, fo lehrt bie Schrift: nihili eommentum est dogma schola- sticum de libero arbitrio. |

Aber in Melanchthon eben haben wir auch ben Wende⸗

a) Ich citire aus ber ſtraßburger Ausgabe von 1528.

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punkt der lutheriſchen Lehre und den Anfang der weite ren Entwidelung. Wurde, wie bei Calvin und Luther, das abfolute Wefen Gottes fo gefpannt, fo war es uns möglich, das Böfe befriedigend zu erflären. Jede Erfläs rung mußte entweder dem religiöfen Intereſſe für Die Heiligfeit Gottes, oder dem religiöfen und fpeculativen zugleich für die Bedeutung des Böſen widerfireiten. Dies fed Bewußtſeyn war für Melanchthon, wie er nicht der Mann der zähen Gonfequenz war, entfcheidend, eine Bermittelung zwifhen Prädefination und Freiheit anzubahnen, und dieg erflärt er felbft geradezu in den fpätern Ausgaben (1536 ift der locus de causa peccati aufgenommen): „Darum ift die Zufäligfeit zu halten, daß wir Gott nicht zum Urheber oder zur Urs fache des Böfen machen, und die Freiheit it ein Gefchent Gottes, oder die Ordnung im Willen.” Hiernach hat er felbft denn in den fpätern Ausgaben, der augeburger von 1536 und der leipziger von 1556, die Grundzüge der künftigen Kirchenlehre gezeichnet 3). An die theoretifche

a) So in ber lehtgenannten, leipziger Ausgabe: locus de causa peccati et contingentia 69: sunt causae peccati voluntas dia- boli et voluntas hominum, quae avertunt libere se sua sponte a Deo, nec volente, nec approbante illam aversionem, et hae- serunt vagantes extra ordinem in obiectis. 74: aliter deter- minat Deus ea quae vult, aliter illa quae non vult, aliter quae a sola ipsius voluntate pendent, aliter quae partim ipse facit, partim voluntas humana, 82: sic agit Deus cum voluntate, sustentans et adiuvans ordine agentem, sed non iuvans ruentem contra ordinem, etsi eam sustentat. Sodann de libero arbitrio 93: hic concurrunt tres causae bo- na6 actionis, verbum Dei, spiritus sanctus et humana voluntas assentiens, nec repugnans verbo Dei. 96: cum promissio sit nniversalis, nec sint in Deo duae contradictoriae volunta- tes, necesse est in nobis esse aliquam discriminis causam. Endlich de praedestinatione 552: causam reproba- tionis certum est hanc esse, videlicet peccatum in hominibus.

Diefelbe Zendenz fpricht ſich auch aus bei Che mnig (examen conci-

über die Präbeflination. 121

Clanſel, Bott möchte ſonſt Urheber des Böfen werben, ſchloß ſich nämlich fogleich auch die praftifch wichtige an, Gott nit zum Urheber, zum abfolntn Grunde einer ewigen Berbammniß zu machen und dadurch die menfchs lihe Zurehuung zu zerfiören. Diefe Klippe der Prädes Rinationslehre hat die Kirchenlehre zu umgehen ſich die Aufgabe gefege und dieß durch Einführung einer Art von Zreibeit zu erreichen gefucht. So find wir denn bei der

B. Lutherifhen Kirchenlehre

über die Prädeſtination felbft angefommen. Um aber ben Erfolg ihres Bermittelungsverfuches zwifchen Prädeflis nation und Freiheit richtig beurtheilen zu können, müflen wir und zuvor in die betreffende Stelle bed Syſtems verfeßen. Dazu ift nothwendig, auf die allgemeinen kirch⸗ lichen Grundbegriffe über das Berhältniß von Gott und Menfch zurückzugeben. Diefe ftellen fich von felbft unter deu zwei Geſichts punkten dar. 1) Der Menſch vor der Be: kehrung; 2) Der Menfch in der Belehrung, und hierauf Bird dann folgen 3) die Lehre von der Präbdeftination, dran engen Zufammenhbang mit dem Borangehenden Melauchthon bezeichnet hat in dem Kanon: non alia causa praedestinstionis, quam iustiflcationis quaerenda est (AUg8s burger Ausgabe, de praedestinatione),

Bei der Betrachtung des Menfhen vor der de kehrung muß bad Verhältniß von Erbfünde und Freis

li Tridentini. Frankfurt 1590. Tom. }. de libero arbitrio p. %0.): Qauando spiritus sanctus per verbum coepit naturam sa- bare, accensa aliyua scintilla efhcaciae et facultatis spiritualis, liget renovatio non statim sit perfecta et ubsoluta, Lunc’ tamen sec mens, nec voluntas est otiosa, sed habent aligunos novos motus, quos etiam debeut exercere medi- tando, orando, conando, luctando. .. Sed ad spirituales actio- nes in nobis mens et voluntas ex naturalibus suis viri- bus effective nihil conferunt,

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beit im natürlichen Weufchen anseinanbergefeht werben. Der Menfc if, von diefem Zugeſtändniſſe müſſen wir audgehen, nach der Formula Goncordise p. 612 a) andy vor der Belehrung eine creatura ratienalis und nad Ger⸗ hard (loci theologlci. Jena 1615. Tom. II.) de Ilb. arbitr. 32. non voluntate homo, sed voluntatis sanitaie privatus est. Bernunft und Wille ſind alfo dem Menſchen nicht abhau⸗ ben. gefommen, fomit auch die Kreibeit nicht, vielmehr fagt Die Apol. Confess. VIII. ausdrüdlid: habet humana voluntas libertatem in operibus et rebns deligendis, quas ratio per se comprehendit, potest aliquo modo efficere iustitiam civilem seu iustitiem operum, potest loqui de Deo, exhibere Deo certum cultum, externo opere obedire magistratibus, parentibus, ... in opere externo eligendo potest continere manus a caede, ab adulterio, a furto. Cum reliqus sit in natura hominis ratio et Judicium de .rebus sensni subiectis, reliquus est etiam delectus earum rerum, et libertas et facultas efficiendae iustitiae ci- vilis, quamquam tauta est vis concupiscentiae, ut mialis affectibus saepius obtemperent homines, quam recto iu- dicio. Hier ift denn die einflußreiche Unterfiheidung im Begriffe der Freiheit fchon gegeben (vgl. Conf. Aug. XVII.) : die eine iſt quoad externa, iustitia civilis, Freiheit in äußeren. Dingen, bürgerliche Gerechtigkeit. Diefe it dem Menſchen noch jegt immer eigen. Aber etwas Anderes iſt die Freiheit im wahrhaft fittlichen, religiöfen, inners lichen Sinne, ober die libertas in rebus spiritua- libus et divinis. Form, Conc. 656—660: hominis non renati intellectus, cor et voluntas ex proprüs naturalibus viribas nihil potest intelligere, credere, amplecti, cogitare, velle, inchoare, perficere, sgere, operari aut cooperari, sed homo est ad bonum prorsus corruptus et mortuus, ita ut in hominis natura post lepsum ante regenerstionem

a) In ber Ausgabe ber ſymboliſchen Buͤcher von Haſe 1887.

über die Präbdeflination. 123

ne scintillula quidem spiritualinn rerum religus manserit aut restet, quibus ille ex se in gratiam Dei se reparare, aut oblatam gratiam epprehendere aut eiws gratise capax per se esse possit, aut se ad gratiem applicare, aut ıccommodare, aut virikus suis propriis allquid ad convereio- nem suam vel ex tota vel ex dimidia vel minine parte oonferre, agere, operari vel cooperari possit. Was aber die intellectuelle Seite betrifft, fo hat zwar ber zatürliche Berfiand des Menfchen ein Fünkchen übrig von der Kenutniß, daß ein Bott fey, aber doch ift die Ber, annft fo nnwiffend, biind und verkehrt, daß, wenn audı die geiftreichften nud gelehrteſten Männer in dieſer Welt das Evangelium vom Sohne Gottes, von der göttlichen Berheißung, vom ewigen Deile leſen und hören, fie dafs felbe doch nicht and eigenen Kräften fafen, verfichen, glanden nnd als wahr anerkennen können. Und, um Beide, das praktiſche und theoretifche Berderben, zufams nenzufaſſen, in feinem Willen iſt der Menſch durch bie &rtfände fo elendiglich verkehrt, vom Bifte der Sünde argeſteckt und verdborben, ut ex ingenio suo ei ne- (ura totus sit malus, Deo rebellis et inimicus, et ad omnis, quae Deus odit, nimium sit potens, vivus et efficaz,

Wie aber fol nun eine Anknüpfung Gottes an folche Natur möglich feyn? Hat der Menſch ſolches Berderben

in fih, wie Tann er denn Gottes Gnade auch nur aufs

uchmen? Wie iſt 2) dee Menfch in der Belehrung su denfen? Hierauf. hat die Form. Conc, 20— 11. zu ants worten: „Die Predigt und das Hören bed Wortes Gots tes ſind Die Werkzeuge des h. Geiſtes, mit weichen und darh welche er wirken, die Menfchen zu Gott befehren md in ihnen das Wollen und Bollbringen fchaffen will. Diefed Wort Botted kann ber auch noch nicht befehrte Menſch, auch der Unwiedergeborene mit feinen äußeren Ohren hören und leſen. Denn in folchen Dingen hat er

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audı nach dem Kalle eine Art’ von freiem Willen.” Mar unter 1) eine Freiheit in äußerlichen Dingen zugeftanden, ſo it nun bier das zweite Zugeſtändniß a) auch in geifl- lichen Dingen eine äußerliche $reiheit, Habet enim lo- comotivam potentism: darum fann er die Äußeren Slieder regieren, in die öffentlichen Berfammlungen der Kirche gehen, das Wort Gottes hören oder nicht hören, und durch dieſe Verkündigung und Betrachtung des Evans geliums wird ein Füntchen von Glauben in feinem Her⸗ zen entzlindet. Diefed Locomotivvermögen gibt aber feine fittliche Zurechnung, vielmehr (662.) non aliquid ex se effi- cit active aut efficaci habilitate, aptitudine aut capacitate, sed capacitste tentum passive Dei gratiam in se acelpit. Run aber folgt b) body eine Bermahrung gegen ein fogenanntes Mißverſtändniß von Luther’ Ausſpruch, daß der Menfch in der Bekehrung ſich pure passive vers halte: er meint damit gewiß nicht, daß die Belehrung ohne das Wort Gottes gefchehe, fondern er wollte dag, des Menfchen Belehrung fey nicht nur theilweife, ſondern durchaus ganz ein werkthätiges Geſchenk und ein Wert allein des heiligen Geiſtes. Dieß gefchieht jedoch nicht in der Art, wie wenn eine Bildfänle aus Stein geformt oder ein Siegel in Wachs gedrucdt wird, wo dad Wache feine Empfindung, feine Kenntniß und keinen Willen hat. Hier Inüpft fidy nämlich ein drittes Zugeſtändniß an die Freiheit an, wenn auch nur ein negatives:. fie kann wis derfichen: gratia resistibilis. 672: Deus hominem non cogit, und kurz zuvor: hac ratione dici potest, homi- sem esse lapidem aut truncum. Sed tamen ad conrversio- ncm suam prorsus nihil conferre potert et hac in parte multo deterior est lapide.et trunco, quia re- pugnat verbo et voluntati Dei.

Wir fehen, beide Seiten follen zu ihrem Rechte kom: men; der Freiheit werden ber Reihe nach bie drei Zuges ſtändniſſe der iustitie civilis, locomotiva potestas und gra-

über die Praͤdeſtination. 123

tia resistibilis gemacht. Andererſeito aber iſt doch ber Menſch mere passivus und die Gnade thut Alles. Dieß ſind die zwei weſentlichen Momente, durch welche nun an 3) die kirchliche Lehre von der Praädeſtination beſtiumt wird und welche bei ihrer zweifachen Seite, Erwählung und Verwerfung, bie conſtitutive Rorm ab» geben. Es fol nämlich zugleich im Interefle der menſch⸗ lihen Zreiheit und der göttlichen Heiligkeit die von Ans gufiin gemachte Linterfcheidung zwifchen Präſtienz und Prädekination erneuert werden, Dieß gefchieht zunächſt in Beziehung auf

ı) die Ermwählung. Form. Conc. 798: Gottes Boranswiffen und Vorherſehen, vermöge deſſen er Alles, the es gefchieht, vorfieht und voraus weiß, behnt fidh auf alle Befchöpfe, gute und böfe, aud. Gottes ewige Erwählung oder Berorbnung zum Seile (welche Begriffe in der Schrift promiscue gebraucht werben nach Gerhard's Inteinanderfegung de elect. et reprob, 28.) geht nicht zus geh auf Gute und Böfe, fondern unr auf die Söhne Shıme, welche zur Erlangung bed ewigen Lebens erwählt und verordnet find, ehe der Welt Grund gelegt war. 0: Sein ewiger Rathſchluß ift, Alle, welche wahrhaft Buße thun und Chriftum in wahrem Glauben ergreifen, u rehtfertigen, in Gnaden und ald Kinder und Erben des ewigen Lebens aufzunehmen. Die Präpdeftination hat üsbefondere die Aufgabe, alles Berdienft auszu⸗ Idließen. F. €. 821: Falſch ik ed und dem Worte Gottes widerſprechend, daß nicht bloß die göttliche darnherzigkeit und das einzige allerheiligfte Verdienft khriti, fondern auch etwas in uud (aliquid in nobis) Ur⸗ fühe der göttlichen Erwählung ſey. Eben fo falfch aber Mr, dag die Erwählung nur im abfolnten Rathſchluſſe Gones feſtgeſtellt ſey, vielmehr iſt fie gegründet in prae- 'isione fidel atque intuitu Christi per fidem appre- bendendi. Dabei aber hat der Glaube doch fein Ber

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bienft, fondern (Gerhard 172.) wie wir in der Rechtfertis gung gerechtfertigt werden durch ben Glauben, wo alle Kraft der Rechtfertigung und genommen if, fo werden wir erwählt durch den voraudgefehenen Glauben gra- tuita electione, non tamen absolute.

Geſchieht aber die Ermählung inteitu Christi, fo ent⸗ fieht confequenterweife bie Frage: da, Ehrifli Verdienſt univerſell if, it auch die Ermählung eine univerfelle oder nicht? Die Kirchenlehre antwortet bejahend (804.), daß nicht bloß Die Prebigt der Buße, fondern auch bie Verheißung ded Evangeliums umiverfal ſey, d. b. alle

WMenſchen angehe, 805. und diefe Berufung Gottes, ver»

möge der burc dad Wort das Evangelium angeboten wird, halten wir nicht für erheuchelt und verftellt, fon» bern wir wollen ald gewiß aneriennen, daß Bott durch diefe Berufung feinen Willen offenbare, wie er nämlich in denen, die er alfo beruft, durch dad Wort wirtfam fey wolle, daß fie erleuchtet, belehrt und gerettet wer⸗ den. 807: Daß aber Biele berufen und Wenige ausder- wählt find, davon iſt der Grund nicht die göttliche He: enfung, welche durch dad Wort gefchieht, denn das hieße Bott entgegengeſetzten Willen andichten, ald ob der, ber die ewige Wahrheit ift, ſich widerſprechen könnte oder Andered redete, ald er im Herzen behält. Denn dad wäre (Gerh. 71.) nidytd Anderes, ale Gott die ſchlimmſte Art von Heuchelei zumuthen. Aber, diefe Einwendung macht Gerhard ſelbſt (25.), wenn Bott im Ernfie Alle gerettet wien wollte, fo würden fie doch auch gerettet werden! Er antwortet (75.) mit der Unterſcheidung von absoluta und simplex Dei voluntas. Deun (118.) das Ver⸗ dienſt Chrifti iſt univerfal, wenn man ed an fi, ohne die Beziehung anf feine Aneiguung betrachtet, aber feine Aneignung und fein wirkliche Genuß wird durch den Haß der Menfchen, die die geordneten Mittel verachten, particular (codio heminum redditur perticularis).

über die Präbeflination. 127

b) So find wir deun zur andern Geite, zur Ders werfung, binübergetreten, und da giltfomit als 1) erfie Beſtiumung: die Schuld liegt im Meufchen. Denn, führt Gerhard fort, mit Irenäud zu reden, hört bad Licht siht auf wegen derer, die fich felbft geblendet haben, jondern jenes bleibt, wie es ift, aber die Berblendeten bleiben durch ihre Schnid in der Finfterniß, und fo (18.) wird das Wort Gottes, das an ſich ein Wort des Les ben ik, ex nocidente für Einige ein Geruch ded Todes mm Tode. Ja ſelbſt in ihrer Verdammung tritt die Unis verfalltät der Guade au ben Tag (111.): wenn fie das ram verdammt werden, weil fie nicht glauben au bes Sohn Gottes, fo folgt, daß auch auf fie das Leiden und Sterben Ehrifti einen Bezug hat, Sonſt könnten fie ja als Begächter deſſen nicht verdammt werden, was nad Gottes Rathſchluſſe fe gar micht angeht. Daraud ergibt ſich deun (Conf. Aug. XL): quod, tametei Deus ereat et conser- ılnalurass, tamen causa peccati est voluntaa malorum, quao aaadinvante Doo avertit se a Deo. F. C. 806: Br, durch das Wort berufen, dieſes verfchmäht und dem h. Beifte wiberfizebt und verftodt in der Halsſtar⸗ rigleit beharrt, den hat Gert zu verftoden, zu verfchmär bea und der ewigen Verdammniß zu übergeben befchlofs fm, wie Gerhard fagt (30.), veluntate sun &zouivy neu indielarta. Es wird nämlih an biefer Stelle 2) unter- ſchieden voluntas antecedens UND comsequens. Denn (Gerhard 79.) bei der volantas antecodens fommen in Vetracht die Mittel zur Geligleit, wie fie von Seiten Getted geordnet find und Allen angeboten werden. Bei der roluntas conseqguens aber kommen biefelben Mittel in Betracht, nur fo wie fie von den Menſchen angenom- wen oder vernachläffigt werben. Diefe Unterfcheidung ift eine allerdings erft von Gerhard beflimmt gemachte, aber cher dem Geifte des Syſtems entfprechende, wenn wir vergleichen 3. B. solid. declar. 818. Der Bater will

128 Bed, über die Präbeftination.

Joh. 6, 44. Niemanden ziehen ohne Mittel, aber er ge braucht als ordentliche Mittel und Werkzeuge fein Wort und die Sacramente. Was aber die Unterfcheidung eis gentlich befagen will, gibt Gerhard felbft deutlich zu er⸗ tennen (159.): der Rathſchluß Gottes ift ein ewiger und in Einem ganz einfachen Acte hat Bott von Ewigkeit Alled voraudgewußt, wir aber haben die Ordnung zu betrachten, welche die Schrift in Anbequemung (ovyxara- Belvovoc) an unfere Schwachheit befchreibt. Hiernach iſt nämlich 3) der Begriff Der voluntas consequens offenbar ‚nur eine Accommodation an ben menfdhlichen Verftand, in Wahrheit aber niche wirklich in Bott, vielmehr gründet ſich zuletzt doch die Verwerfung in dem abfolnten Rathſchluſſe Gottes, der (Gerh. 17.) intuitu finalis impotentlae atque incredulitatis, quam praescivit Deus ab aeterno, von Ewigkeit feſtſteht.

Se ift denn Gottes ewiger Ratbfchluß zugleich ein abfoluter und ein bedingter. Um Gottes Heiligkeit zu rets ten, werden 1) der Freiheit nacheinander folgende Zuge fändniffe gemacht: Freiheit im Aenßerlichen, im Geiſtli⸗ chen äußerliche Freiheit, Entäußerung der Gnade, ober justitia civilis, locomotiva potestas und gratia resistibilis; 2) werden in Gott flatuirt eine praevisio fidei und bie Zweiheit einer voluntas antecedens et consequens,, simplex et absoluta. Aus Beiden zufammen folgt: 3) die Erlöfung, an fich univerfal, wird ex accidente particular. Wie aber dieſes Anfich und diefes Fürfich im höheren Aus und Fürs: fi) zufammengehe, darüber bleiben wir im Dunteln |

(Der zweite, Eritifche Theil folgt im nächften Hefte.) |

i

Zifchendorf, der vaticanifche Bibelcoder. 1729

. 3 Nachricht

vom vaticaniſchen Bibelcoder*) Von Prof. D. Tiſchendorf.

En Kritiker des neuteſtamentlichen Textes, ber nach Rom füme und nicht Alles daran ſetzte, ben berühmten vaticanifchen Bibelcoder zu benugen, der wärbe ſich an feinem Berufe verfündigen. Sind auch die Urtheile über feinen Werth nicht .einig, fo wird boch die Anficht wenig Widerſpruch erleiden, daß bderfelbe nebft feinen beiden MWahlverwaudten, dem Codex Ephraemi und dem Codex Alexandrinns , zur Feſtſtellung des urfprünglichen Apoſtel⸗ terteß wichtiger ift ald die Hunderte der Handfchriften, die nach dem zehnten Jahrhunderte verfaßt worden find. Allein trotz Diefer Wichtigkeit ſteht es außer allem Zweifel, daß die bisher von ihm genommenen Bergleichungen fehr mangelhaft geblieben find, Diefe Mangelhaftigkeit iR neuerdings am meiften durch diejenigen Arbeiten über den neuteftamentlichen Text hervorgetreten, ‚die den va⸗ ticauiſchen Eoder zu ihrer Hauptſtuͤtze machten.

Der Zugang zu der geheimnißvollen Urkunde war wir daher bei meinem viermonatlichen Aufenthalte zu Re in Jahre 1843 eine Hauptaufgabe. War diefer Zu: ung auch fchwierig, fo blieb-er doch nicht unerreichbar, wich vorzugsweife den befonderen Verwendungen eine® diq feine Wilfenfchaftlichkeit hochberühmten Gliedes des Hklichen -Fürftenhaufes zu verdanken habe. Von ben

2) Mit einer lithographirten Tafel Barfimile, Theol, Gtud. Jahrg. 1847,

130 Tiſchendorf

Reſultaten, die mir eine wiederholte mehrſtündige Ein⸗ ſicht des Codexr gewährte, habe ich Freunden in Deutſch⸗ land ſofort durch die allg. Kirchenzeitung Nr. 116. vom 25. Juli 1843 Nachricht gegeben a). Aber Alles, was mir theild durch die eigenen Augen, theild durch die mir fchrift- lich gemachten Mittheilungen des Carbiuald Mai, theils durch die Benutzung der neuerdings ganz überfehenen parifer Vergleihung von den igenthümlichleiten bes Coder befannt geworden iſt, glaube ich den Freunden der neuteftamentlihen Tertkritit um fo weniger noch länger vorenthalten zu dürfen, da vieled Unrichtige in den kritiſchen Sammlungen dadurch berichtigt, vieles Schwanfende entſchieden, vieled Neue bem Alten hinzu⸗ gefügt wird,

Der Mittheilung der Lesarten fchidle ich einige Pas läographifche Bemerkungen voraus. Bekanntlich hat Nies mand mit fo viel Sachkenntniß und fo angelegentlih das Alter der vaticaniſchen Handfchrift unterfucht, als Leonhard Hug. eine Commeutatie de antiquitate codicis Vati- cuni 1810 iſt aber längf vergriffen und fehr felten ges worden; deßhalb ift die Notiz nicht überflüffig, daß Hug die Handfchrift damals benutzte, als fie mit anderen Klei⸗ nobien der Baticaua in die yarifer Gefangenfchaft ge⸗ rathen war. Bei einem fpätern Beſuche in Rom hat Hug leider umfonft den Eoder nur zu fehen- gewünſcht, wie mir der nun heimgegangene Greis im Januar 1843 felbſt erzählt hat. Den Anfichten Hug's über das Alter der voticanifchen Handfchrift ſtehen aber gegenüber die Unfichten des gelehrten Dünen Andreas Bird), der Durch

a) Es Fam dadurch nothwendig in Wegfall, was ich zu Pfingften deſſelben Jahres von Rom aus über meine am 10. Maͤrz ges nommene Einfidt bes Coder in die Stubien und Kritiken geſchrie⸗ ben hatte. Da mein Auffas erſt im Jahrgange 1844 feine Stelle fand, fo hätte die den Coder betreffende Notiz füglich entfernt werben follen,

der vaticanifihe Bibelcober. 131

feine Bergleichung zuerft über den Tert der Handfchrift ein volleres Licht verbreitete,

So weit mich nun meine eigene Prufung zu einem Urtheile berechtigt, muß ich Hug gegen Birch beipflichten, und namentlich vor Allem darin, daß Accente und Spi⸗ rims keineswegs von der erften Hand ſtammen. Aller⸗ dings fchließe ich dabei nicht aus, daß etwaige vereinzelte Spiritus und noch mehr der zu einer gewiflen Diärefis dienende Apoſtroph urfprünglich feyn mögen, was eine’ durchgängige fachvertrante Prüfung vielleicht noch zur Eutfheidung bringen kann. Doch Iäßt fidy beides nur in derfelben Weiſe annehmen, wie es fih in andern ural⸗ tm Docnmenten vorfinbet, wo ebenfalls von der Accen⸗ tmation noch Feine Spur vorliegt, aber dennoch biöwellen ein Spiritus aus befondern leicht erfichtlichen Gründen, fo wie nicht felten Der genannte Apoftroph fteht. Deffen erinnere ih mich z. B. von dem borgianifchen Pragmenten der Propaganda and dem fünften Jahrh., aus denen ich uns ter Anderem o oyAod aufgezeichnet habe, fo wie von dem älteten der beiden wiener Dioskorides, wohl and dem vierten Jahrh. Im letzteren ſah ich beſonders häufig, und zwar noch häufiger als im Codex Friderico- Augustanus zu keipzig, jenen biäretifchen Apoftroph, wie in Gvgıy’yao. Zur Streitfeage iſt ferner die Interpunction im vatica⸗ niſchen Goder geworden. Zu Hanpturhebern hat dieſelbe ebenfalls die fpätern Hände gehabt; vereinzelte Anfänge lagen jedoch ohne Zweifel fchon von der erften Dand vor, In meinem eigenen Facfimile von den zwei Stellen, bie ver Corrector unberührt gelaffen (fiehe die lithographirte Zefel), findet fich zweimal ein Punkt. Der Codex Priterico - Augustamus dient hierin zum beften Auffchluffe, dech une in denjenigen Terteöftreden, die ohne den fpä- ia Gorrector geblieben find. Da fehlt nämlich der Puntt mehrere Eolumnen hindurch gänzlich, während er ander» wärtd vereinzelt ſteht, und zwar befonder6 da, wo eine

9” :

132 | TZiſchendorf

Treunuugsangabe der Wörter, wie bei zuſammeunſtoßen⸗ den Nominibus propriis, fehr erwünfcht zu feyn fchien.

Bon Abbreviaturen kömmt im vaticanifchen Coder, außer den allgewöhnlichen , fehr wahrfcheinlich auch eine für xos vor; vielleicht auch noch einzelne andere. Sch felbft habe daranf nicht hinlänglidy geachtet und bezweifle, daß die früheren Beobachtungen vollftändig gewefen flud. Auch im älteften fchon genannten wiener Dioskorides ſtehen bisweilen xus und ra abbrevirt.

Was die Schriftzüge betrifft, fo freue ich mich fehr, durch die Veröffentlichung meiner Facſimiles eine richtige Anficht, und zwar bie erfte richtige, gelehrten Augen da⸗ von gewähren zu können. Blanchini's Facſimile ift keines⸗ wegs fehr fchlecht, aber e6 kann nur zur Veranſchaulichung der von fpäterer Hand überzogenen und fomit vernnſtal⸗ teten Schriftzüge dienen. Hug hatte mit richtigem Blicke zwei von den fehr wenigen Stellen ausgewählt, die, da fie aus Berfehen doppelt gefchrieben waren, vom Cor⸗ rector gemißbilligt wurden und deßhalb ohne Auffrifchung blieben. Nur diefe Stellen laffen die urſprüngliche Schrift bes Coder beurtheilen. Allein wenige Buchflaben find ohne eine wefentlihe Entſtellung in Hug's Facſimile wiebergegeben worden, So ift durchgängig falſch die pas Läographifch wichtige Form ded a; ferner durften in den Buchftaben &, 6, r, y die Endpunkte oder Endhaäkchen nicht fehlen; auch if die Form von o, und x fo gut wie verfehlt. Dieß Alles wird ſich vollkommen aus einer Zufanmenftellung meiner Rachzeichnung von Rom. 4, 4, mit der Hug's von derfelben Stelle ergeben. Ich babe nicht nöthig zu verfichern, daß ich meines Theile auf jede Linie und jedes Häkchen forgfältigft geachtet habe.

Im Allgemeinen ift nun der Schriftcharafter im va⸗ ticanifchen Eoder ohne Zweifel dem höchften Alterthume zugehörig; mit einziger Ausnahme ded Codex Friderico- Augustanus (vergl. meine Prolegomena dazu) übertrifft ihn

ber vaticanifche Bibelcodex. 133

an Alterthümlichteit Feine einzige der mir befannten gries chiſchen Pergamenthandfchriften. Mehrere herculanenfifche Dapyrus, wie ſchon Hug hervorgehoben, ftehen, zumal mit Hinzunahme der Abwefenheit aller Anfangsbuchftaben und mit Rüdfiht auf die fonftige Gefammteinrichtung, in naher Berwandtfchaft zu ihm. (Auch darüber vergl. die Prolegg. des Codex Friderico- Augustanus.) Alles zu» fanmengenommen, kann ich nur der Anficht feyn, daß der- felde um die Witte des vierten Jahrh. verfaßt feyn möchte, wofür Hung mit Necht noch befondere geltend gemacht hat die gänzliche Abwefenheit der ammonifchen Sectionen, die Eigenthümlichkeit der Unterfchriften, fo wie die der Rapiteleintheilung in der Apoftelgefchichte und in den Brie⸗ fen, die Stellung des Hebräerbriefö und endlich den Ans fang des Briefes an die Ephefer, wo die Worte ev ayccon nr am Rande und nit im Texte fliehen.

Nur über den leuten Punkt geftatte ich mir noch eis nige Worte, da ich darin ganz gegen Hug’s Anficht ftims men muß. Wäre ev eyeon von der erftien Hand felber anf dem Rande nachgetragen worden, fo hätte Hug dars auf mit Unrecht ein fo großed Gewicht bei der Alters⸗ bekimmung des Goder gelegt. Denn dann ließe fih am einfachſten annehmen, daß der Schreiber den Zufaß in feinem Borbilde nicht gefunden, aber ald gewöhnlich oder gar als weſentlich in feiner Abfchrift fofort nachgetragen hate. Allein Hug's Angabe, dieſe Worte feyen pari ele- gastia et assiduitate ac reliqua pars operis, sed charactere pullo exiliori, gefchrieben, muß ich entfchieden in Abrebe ſtellen. Augen, die der Paläographie fundig find, werben von ſelber dieſes Refultat aus meinem Kacfimile gewinnen. sh füge aber dazu noch folgende Erläuterung, Der ganze Charakter diefer Buchftaben iſt ein wefentlich an- derer als der der Tertesfchrift. In der Korm de s ift die fogenansite gefchmälerte Uncialfchrift unverkennbar; aber auch bei der Heinften Schrift am Ende einer Zeile

134 diſchendorf

findet ſich in den aͤlteſten Handſchriften niemals dieſe ber fpäteren Zeit angebörige Schmälerung *). Selbft anf den codex Ephraemi und den codex Alexandrinus leidet bieß feine volle Anwendung, ber die zahlreichſten Belege bier tet der codex Friderico- Augustanus; fie liegen in meiner durchgängig facfimilirten Ausgabe deſſelben Iedermann vor Augen. Was ferner die übrigen Buchſtaben außer s anlangt, fo enthalten fie ſämmtlich fichtliche Abweichun: gen von ber Schrift des Terted, Dad p in der Note bitte ich mit dem in Rom. 4, 4. auf dem Facfimile zu vergleichen. Die flarte Linie in v iſt gerade da, wo bie Terteöfchrift durchgängig eine feine Linie hat. Die Buch⸗ ftaben 0 und o entbehren aller Feinheit der urſprüng⸗ lichen Schrift.

Auc liegt ein Analogon von den Schriftzügen dies fer Note im Eoder vor. Apg. 14, 21. namlich fchrieb die erſte Hand uad'nrsvon”; die fpätere corrigirte daraus udmrevoavrss. Hier treffen in dem fpätern Zufage: vraa, befonders die Buchflaben s und s volllommen mit den⸗ felden Buchftaben in sv syeon zufammen.

Dazu kömmt noch, was von Gewicht iſt, Daß die Tinte der Note gänzlich mit den aufgefrifchten Stellen überein» flimmt, obfchon fie offenbar ohne Auffrifchung geblieben if.

Somit hoffe ich, meine Behauptung, daß ev zysco durchaus nicht von ber erſten Hand bed Coder ftammt, Har bewiefen zu haben.

Do ich gehe zum Tritifchen Apparate für bie va⸗ ticanifche Handfchrift über. Die beiden Vergleichungen berfelben, bie eine von Andreas Birch, die andere nach Thomas Bentley benannt, find längft befannt unb viels fach benußt worden, Birch machte die erſte Mittheilung feiner Bergleihung in feiner Ausgabe der vier Evange⸗

a) Siehe daruͤber melnen „neuen Beitrag zur neuteſtamentlichen Textkritik“, Stud, u, Krit. 1844. Heft 2.

der vaticanifche Bibelcodex. 135

lien von Jahre 1786; genaner aber und umfänglicher war eine zweite in feinen Variae lectiones zu ber Apoſt el⸗ gefchichte und den Briefen vom Jahre 1796, fo wie zu ben Evangelien vom Jahre 18601, Die nach Bentley benannte Collation wurde zum Zwede ber von Richard Bentley beabfichtigten Ausgabe des R. T. und zwar meiftentheils von der Hand eines Stalieners gefertigt. Bon Richard Bentley kam fie an den Geiftlichen Thomas Bentley unb von ihm erhielt fie Woide, ber Herausgeber des Coder Alexandrinus, der fie au& dem Novum Testamentum Graece, Argentorati apud Wolfium Cephalaeum 1524, in die orforber Ausgabe von 1675 übertrug, So wurde fie dann, zu⸗ gleich mit Berädfichtigung jener ftraßburger Ausgabe, in der Appendix ad editionem Ni Ti e cod. mr. Alexan- drino im Jahre 1799 von. Heinr, Kord veröffentlicht. Beide Vergleihungen nun, die birch’fche und bie bentley'ſche, ergänzen fich gegenfeitig; doch if im Gans jen die letztere reichhaltiger, Freilich fagt Birch: Leeti- ones Lucae et lohannis ex schedis Bentleli exsoriptas amice eam nobis communicarvit Illustrissimus et Doctissimus Woide, wonach es fcheinen kann, Bird; habe den Coder in ben beiden Evangelien gar nicht angefeben. Ju der That macht Lachmann in feiner größern Ausgabe (Prolegg. XXII.) diefe Kolgerung ohne Rückhalt: Tantum afuit, fagt er, at hie certe (Birdy) librum omnium longe antiquissimum samma et eura et fide excuteret, ut evangelia Lucae et lehannis ne inspexerit quidem, sed Woidii schedas descri- bere satis esse duzxerit. Allein diefe Kolgerung möchte leicht ein zu raſches Urtheil feyn. Denn nachdrücklich ſprechen dagegen die da und dort in den Bergleichungen beider Evangelien bei Bird und Bentley vorliegenden Differenzen. Sch hebe davon nur einige hervor, wäh⸗ rend andere im nachftehenden Apparate ihre Erwähnung finden. Luk. 2, 37. fehlt axo vor Tov ısgov nur bei Birch; 6,36. fehlt ovv nach Iıvscds nur bei Birch; 8, 40. ſteht

136 Tiſchendorf

bei Bentley: Eytvero sv ds pro Eytusro de ev, während es bei Birch heißt, daß Eysvsro fehle und dann zv ro Ös fiehe; 22,30. hat xgivovrss Bentley nadı Yuilac, Birdy nach sogani; 24,34. hat Bentley: o %o ovras nyEgQn, und Bird): ouroo nyepön 0 x0 8); 24,49, hat nur Birch Die Variante staroorsilm für axosssiin. Wollte man demohngeachtet dabei fiehen bleiben, daß Birch in den Evv. Euc. uud Joh. den Eober nicht einmal angefehen babe, fo müßte auf eine auffällige Mangelhaftigkeit in ber Herausgabe ber bentley’fchen Bergleichung bei Kord geichloflen werben.

Zu biefen beiden Bergleichungen kommt aber noch eine britte, Die zwar früher al& die beiden andern unter nommen, aber, fo viel ich weiß, erft von Scholz für den textkritiſchen Apparat beuntzt worben if. Sie befindet ſich in ber königl. Bibliothek zu Paris ale Ar. 53. der griechifchen Supplemente. Eine Beilage, bezeichnet: Par- ticola di Lettera del M. R. P. B. Giulio di Sta. Anastasia al P. B. Henrico di S. Giuseppe, vom 11, Nov. 1669 by, beweilt, daß Giulio di Sta. Anastasis der Verfaſſer der Bergleihung if. Auf dem erſten Blatte derfelben hat eine neuere Hand bemerkt: Cette Ecriture est peut-&tre de Leon Allatius, eine Bermuthung, die wohl irrig iſt; denn in Rom wurde mir von dem gelehrten und fehr ehrenwerthen Monfignore Molza die Auskunft ertheilt, Daß unter jenem Giulio di Ste. Anastasie der Der: faffer der berühmten bibliotheca Rabbinice, ehemals Cuſtos

a) Beides führt auch Lachmann im Apparate zu ber Eitelle on, aber in ben Prolegg. fagt er: „non debuimus dubitare; delenda sunt ille, 0 xugsos ovzaa nyegdn BR” Diele berichtigende Nach⸗ richt bat nämlich darin ihren Grund, daß das Facfimile Blan- chini's gerabe biefe Stelle darſtellt. Da natürlich Eonnte kein Zweifel übrig bleiben.

b) &. meinen Auffag in ben Studien 1842. Heft 2: „Zur Kritik bes neuen Zeftanente”, ©. 510. |

der vaticanifche Wibelcober. 137

der Baticana, Bartolocci, zu verfteben fey. Anus dieſer Bergleihung fagt Scholz daß er mehrere von Birch aus⸗ gelaffene Barianten ergänzt habe Ci. feine bibliſch⸗kritiſche Refe, ©. 35.). Dieß fagt er mit Recht; bagegen hat er aber auch fehr Bieled unbeachtet gelafien uud Anderes wieder geradezu falich angegeben, fo bag Lachmann wohl Grund hatte, in feiner Ausgabe von den Lesarten, bie Scholz angegeben, gar feinen Gebrauch zu machen. (Aus Ratt defjen mußte freilich Die parifer Quelle ſelbſt benutzt werden.)

Allerdings ift nun dieſe Bergleichung Bartolocci's, der birch’fchen und der fogenannten benticy’fchen gegen, über, überaus mangelhaft; auch ift ihr Gebrauch durch deu Mangel der Berdangabe erfchwert. Dennoch ift dag, was ich daraus jur Ergänzung ber beiden erftern gefchöpft babe a), keineswegs unbedeutend und ich eile, es im Nach» Rehenden mitzutheilen, zugleich mit dem, was idy theils mit eigenen Augen im Eoder gelefen, theild vom Cardi⸗ nal Mei fchriftlich erfahren habe,

Matth. 4, 23, lie der Codex nach Bartolocci zus zegımyev ev 0An ın yalılaıa. So aud) EoberC ... Bent» ley und nach ihm Lachmann geben an: xaus zegınysv oAn in yalıkasa.

Matth. 7, 13. nach Bart. useAdere. Alfo richtig Bird, ; falfh Btl. uasAder:.

Matth. 7, 14. nadı Mai orı orsvn a prima, Orevn

a) Zrog ber gewonnenen Ausbeute Tann ich noch Einzelnes übers fehen haben, dba ich keine vollftändige Abfchrift nahm und mir die nöthigen Hälfsmittel zur genauen Zufammenftellung mit Bird) und Bentley nit zur Hand waren. Mein früherer, von Paris aus eingefandter Beitrag „Zur Kritik des R. T.“, Stu bien, Jahrg, 1842. Heft 2., hat zu meiner Freude den petersburger Geiſtlichen D. von Muralt veranlaßt, fid) eine volllommene Abfchrift ber pariſer Vergleichung fertigen zu laffen, um bavon in einer eigenen Ausgabe bed R, T. Gebrauch zu machen.

138 TZiſchenborf |

a secunde manu. Alſo richtig Bird. Bti. war unflar und unrichtig, inbem er angab, der Eoder habe 'Orl di arenı. Das 'Orl enthält natürlich die Lesart der erften und zu- gleich Die der zweiten Hand; nur war bei der leßtern das O zu tilgen ®), ds aber follte zur nächſtfolgenden Rote gezogen werden, wo zu fagen war, baß der Geber nicht zpodeyers Ös, fondern wposszsrs hat. |

Matth. 11,16. nach Bart, z000pmvevvrz ToIG ErEgoLG, wie auch die Codd. CDZ haben. (Rahm. gibt falfch von C rous sraıpoıs an, obſchon bereitd Wetſtein das Rich⸗ tige referirt hatte.) Alſo richtig Birch; irrig Btl. und nach ihm Lachm.

Matth. 11, 23, nad Bart. vpodnan, wie Birch; nicht vyodaen, wie Btl.

Matth. 12,36, nadı Bart. Acanoouoiv; fo auch Goder C. Lachm. Auinamdıy, e silentio Bch. et Btl. b).

Matth. 13, 9, nach Bart. fehlt axovar, wie ed im Soder B auch 13, 43. fehlt. An unferer ‚Stelle ſtimmt Cober L mit B überein.

Matth. 14, 34, nach Bart. yerunsager. Das gedrudte Collationgeremplar hatte yeruncagsd; darnm bleibt bier fein Zweifel übrig. Gegen Birch“s ysvunaagss hatte Btl. yernoagsd, weßhalb Lahm. unentfchieden blieb.

Matth. 16, 6. nach Bart. fehlt æuroio nach sımev. Btl. und Birch ſchweigen.

Matth. 17, 24. Mai beflätigte bie Lesart Der recepta

ÖLöpaxke.

a) Merkwürbiger Weife hat audy ber ehemals ingolfäbter und jetzt mündhener Uncialcober, genannt evangeliorum X, an dieſer Stelle biefelbe Doppellesart. Er fchreibt nämlich örl. Finden ſich in ihm nody andere ähnliche Beziehungen zum Vaticanus, fo ift feine Ableitung vom letztern ungweifelbaft.

b) Ich glaube, von diefem Zufage an allen betreffenden Stellen um fo weniger abfehen zu dürfen, da Lachmann niemals angegeben bat, ob er ein ausbrüdliches Beugniß der Lesart befigt ober nicht,

ber vaticanifche Bibelcober. 139

Matth. 17, 25. nach Bart. zus sidovrn. Go auch esd. 1., ähnlich cod. 33. und evangeliariom 27. Richtig (don Birch ; falfch Bel. und mit ihm Lachm. was sıseAdovra.

Matth. 18, 19. nah Mai und Bart, zalım av. Richtig Br Birch; falfch Bl. und mit ihm Lachm. am ohne zaAın

Matth. 21, 46. nad Bart. ı Er 80 Xp0pnenV, wie anh D nnd L und Drigenes. (Ich babe es in meinen drei Editionen in ben Tert genommen.) Lach. e silentio Bch. et Btl. sx&ön.

Matth. 23, 37. Mai beftätigte die recipirte Lesart KEOXTELVOUGR,

Matth, 24, 48. nach Bart. uov o xvosoc, wie fchon' Bir und nach ihm Lachm. Falſch Bel. uov xuotos.

Mark. 2, 1. nadı Bart. xaı sed» aim, wie auch D und L. Dagegen haben Birch und Bil, fo wie Ladım. ze eanädev mal. Ich vermuthe, daß im Goder eine Eorrectur und alfo eine doppelte Ledart vorliegt. Ebenſo möchte fich’8 mit

Mark, 2, 5. verhalten, wo gegen Birch's und Bent» ley’6 Angabe, apızııas sov, Bart. referirt aysswras dor, wie auch cod. A und andere lefen. Deßgleichen mit

Markt. 3,7. Hier gibt Bart. an: 7xoAovdndeav, was wit cod. C und anderen zufammenftimmt, während Birch und Btl. 7koAovdnder berichten.

Mark. 3, 31. nad Bart. ornxovrsc, wie eod. ©. Richtig Birch; irrig Bel. sornxowsee. Lachm. entfchieb ſich nicht.

Markt. 4, 38. nach Bart. sysıgovdıw, Lachm. e si- katio Bch. et Bil. disysigovaıv.

Mark. 7, 4. nach Bart. ansp sAaßov. Bel. referirt Haßov für das recipirte zageiaßov, ohne das vorher⸗ gehende & zu berühren,

Mark. 8, 6. nadı Bart. zagayysiicı, wonach Bent⸗ Iey’d zagayysiss zu berichtigen iſt.

140 | TZiſchendorf

Mark. 9, 38. nach Bart. sp avrm o ımavvad, omisso : Asyav. Andy Cod. C läßt Asyaov weg. Alſo wohl falle kachm. e silentio Bch. et Bil.

Mark. 14, 7. nad Bart. avroıs zavrors. Auch C und D haben avroıs. Danadı möchte Lachmann's aurovo ein Irrthum feyn, obfchon Bentley avrovs zavzors aus- drüdlich anführt.

Mark. 14, 43. nad Bart. fehlt av fo gut wie in allen älteften Hanbfchriften. Ueberſehen von Bird und Bentley; doch z0g Lahm. av in Zweifel.

Marl, 14, 46. nad) Bart. exsfalev ae yugas aurm. avın haben audy D und L. (Ich nahm's in den Tert.) Cod. C hat avrov, A hat avrmv = avrov. Demnad; möchte ich ſowohl Bentley’ sr avrm, dem Lachm. folgt, ale auch Birch's sw avrov für irrig halten a).

Luk. 1, 78. nah Bart. zwıaxaderas für sxscxeryaro. Alfo richtig Birch und nad ihm Lachm.; falfh Bel. EREOKEDETON.

kuk. 2, 38. nach Bart. ausn 7 ooa, wie auch ADL. Darum wohl irrig Bel,, dem Lachm. folgt, obſchon er zn avın apa ausdrücklich anführt.

a) Ich wieberhole hier noch, was ich ſchon in meinem „bibliſch⸗kri⸗ tifhen Sendfchreiben”, allgem. Kirchenz. 1843. Nr. 116., vom Schlufſe bes Ev. Marci berichtet babe. eyoßovsroyag mit ber Unterfchrift ara gagxov flieht auf der zweiten Solumne und war ein wenig unterhalb ber Mitte berfelben, Darauf wirb die dritte Solumne ganz leer gelaffen und das Evang. Euch erft auf der neuen Seite begonnen, während body anderwärts immer mit der naͤchſtfolgenden Columne ſogleich bas neue Buch beginnt. Dieb geichieht 3. B. zu Enbe bes Evang. Zuc., das auf ber zweiten Golumne ſchließt; benn ſchon mit ber dritten Columne beainnt das Go. Joh. Beim Ev. Marci ſcheint mir nun ger fagt zu feyn: bis hieher ſchrieb Markus, aber dem Evangelium fehlt fein Schluß; vielleicht ſchon mit Rüdfiht auf erfundene Schlußzuſaͤte, wie fie z. B. im codex L vom Evangelium feldft noch gefonbert vorliegen. ,

der vaticaniſche Bibelcober. 141

£ul 5, 6. nadı Bart. disoonooero, wie ſchon Btl. gegen bad disoonoos bei Birch und Scholz hatte,

euf, 5, 9. nach Bart. ızdvov mv avveiaßov. Bil, und Birch fagen nur, daß das T der recepta im Goder fehle. ; | E

tut. 6, 7. nad Bart. wa EVEMGLY xærnyoot⸗ (wie ih in den Tert genommen). Lachm. ſchloß e silentio Beh. et Bil, zernyogiav.

Lak, 7, 41. Mai beflätigt ansdrücklich esmperksrer gegen das muthmaßliche zosopassrar.

eul. 8, 3. nadı Bart. dınxovovv avroıs. E silentio Bch. et Bti. ſchloß Lachm. dumxovovv arm.

euf. 8,12, nach Bart. exovdavres, wie auch Eos der L und andere. Lachm. e silentio Bch, et Bil. o: RXOVOVEEO.

ent. s, N. nach Bart. oux evsducaro mcriov, wie auch Coder L a) und einige Minusfelcodices, die regelmäßig mit Coder B zufammenftimmen (Nr, 3. 131. 157,), Demnad falſch Bel. und Birch, obfchon fie svsdıdvaxsro ansdrüd. lich berichten.

Eu. 9, 62. nad Bart, fehlt aurov nach nv 100, wie auch Origenes und andere Zeugen haben. Birch und BtL fchweigen davon.

ent. 10, 15. nach Bart. sus rov edov, wie auch L lobſchon Scholz nichts Davon weiß) und andere verwandte Zengen, Bird) und Bil. berichten nichts,

tuf. 10, 42. nach Bart. auıne, wie auch CDL. tadın. e silentio Beh. et Btl, ax œurno.

uf, 11, 29. nach Bart. eye, wie auch AL cich

2) Jerthuͤmlich geben Scholz und GSriesbach's editio tertin an, &os ber L Iefe own avadıd, (d.i. evedıövoxero), während auch Wet⸗ Rein faͤlſchlich euarıow ovx evadvanro referiert hatte, Nur bie Symbolae Griesbach's enthalten bereits das Richtige.

142 Tiſchendorf

nahm's in den Text)... kachw. e silentio Boh. et Bil. exiente.

tut, 11, 50. nadı Bart. suesyvusvor, wie audh die Codd. 33, und 69., beide mit B fehr verwandt. E silentio Bch. et Btl. Lachm. exyuvvousvorv.

Luk. 12,4. Mai beflätidt ausdrücklich axoxreworron.

Luft, 12,11. nad) Bart, uegspunonse, wie auch LAX, Drigened und andere Zeugen. (Ich nahm's in den Text.)

. Bir und Bl. notiren uspuundars, was Lachm. mit Necht in Zweifel zog =).

£nf. 12, 25. nad Bart. znzvv ohne sva, wie auch D nebft anderen Zeugen, und wie ich in den Tert genoms men. Schon Bird; hatte dieſe Lesart, während BEL. aus⸗ brüclic, va referirte. Lachm. iſt Btil. gefolgt.

Luk. 12, 33. nach eigener Anficht Baillavaa. Die gleihe Schreibart ſteht jedenfalld auch in deu andern Stellen bei Lukas.

Euf, 12,36. wach eigener Anſicht avadven für avarvdsı. Ueberfehen von Birch und Bel.

Luk. 14, 12, Bart, beftätigt, wenn auch indireet, Birch's Referat; anders Btl. Der Coder lieft alfo xaı yayıncaz avrazodoua 004, nicht xaı aysanodoua 60: Yyeyırar.

Luf. 16, 9, nad Bart. und auch Mai orav exlsıın (Mai fagt noch, daß die zweite Hand sxkıam corrigirt hat), Danach iſt axlsıunss bei Birch und Bil. zu be richtigen. |

®) Eigenthuͤmlich verhält fidy’s mit Luk. 12, 15. Birch fagt ausbrüd- lich, daß für „avrov prius“ alfo für dad aurounady fon, im cod. B avro fiehe. Mit Griesbach, Schulz und Scholz bin ich ihm gefolgt. Bentley hingegen bat nur, nachdem er zaone für no seferirt bat: ausm für aurovu. Daraus erklärt fidy der Wider: fprud, den De Wette in feinem Commentare zu biefer Stelle pay-98. (1846.) anführt. Leicht möglich iſt's Freilich, daß Birch nur vermutbungsweife das ihm von Woide mitgetheilte avın auf has erfie ausen bezogen bat.

ber vaticanifche Bibelcodex. 143

Lu. 19, 15. nach Bart. dsdoxus, wie Bil. und nad ihm Lachs. richtig angegeben haben. Falſch Birch, dem Schulz in Griesbach's ed. tert, und ich in meinen Aus⸗ gaben folgte: dsdmxen.

£ul. 19,15. nach eigner Anfidht ci deszgayuareugavro, wie auch DL und Origened. Lachm. zıo dıszgayue- sevoovzo, wie es bei Bil. (und Birch) den Schein hatte,

Euf. 20, 27. nach Bart. surgwrav, wie auch einige mit B verwandte Minuskelcodd. E silentio Beh. et Bil. tahı. zungwenderv.

Luk. 22, 7. n sd für ev n sd. So au DL, uud ih nahm's in den Tert. Lachm. e silentio Beh, et Bil, vn m. ,

Lu, 22, 66. nach Bart. aunyayov; ebenfo D, Dris genes u.a. Zeugen. Lachm. e silentio Bch, et Btl. aunyayorv.

Yoh.1, 18. nach Bart. OAsos für vos. Diefelbe übers aus merfwärdige Ledart haben nicht nur ced. L, eod. 33. und zwei Verſionen, fondern auch Origenes (zweimal), Irenäus (einmal), Arins (bei Epiphanind und Athana⸗ ſius) und mehrere andere der älteften Zeugen.“ . Rahm. e silentio Beh. et Bil. referirt vıoo.

Joh. 5, 10. Mai beftätigt Die Uebereinſtimmung mit der recepta: ovx sbsarıv ohne aa; fo wie and

Soh. 3, 35. ayallsacdınvas, nicht ayakdsadıwar.

oh. 6, 24. nach Bart. wiosa. ziosagıa gab Lachm. and eigener Vermuthung an; denn Woide fagt p. 58. in der Appendix: „wiosagie. Sic Editio; an Ms. nescio.”

oh. 6, 40. nadı Bart. zo Beinpa Tov zargod kon für 70 HeAnpe tov zamyavros us, wie auch CDLT %03. Lachm. fchloß e silentio Boh. et Bil. bie recepta.

oh. 6, 42, nad Bart. zas vuv Asyaı ori. Ueber chen von Birch und Btl., daher Lachm. zus vuv Asyıs ovros ori.

Seh. 6, 58. nach Bart. fehlt co perum, was ich auf

ß

144 - Zifchendorf

die Autorität der mit B verwandten Zeugen aus bem Texte entfernte, Ueberfehen von Birch und Btil.

Soh. 8, 52. Havaroy ov un Demonen für ov un ya- oa Davarov. Bil. hatte Havarov ov un Osconon und ihm hatte e8 Birch nachgefchrieben. Lachm. richtig Havarov.

Joh. 8, 54. Mai beflätigt die recipirte Lesart: or Osos vamv soxiv.

Joh. 8, 69. nach Bart. fehlen die Worte A Bun HEdOV avımv xaı Kapınyev ovrad, die ich bereits in meinen Andgaben aus dem Terte entfernt habe, was gleichfalls Lachmann in feiner größern Ausgabe that, und Btl. ſchweigen.

Joh. 9, 10. nad Mat evemzönden. Lachm. e silentio Bch. et Bil. avsoydnoav.

Joh. 11, 21. Bart. ausdrüdlich: cs 76 ade pro xvpi£ & n0 omö8.

Joh. 12, 7. nach Bart. rnonos. Bird und Btl. res feriren enonen.

oh. 12, 25, nach Bart, axoAivsı. Lachm. zweifelte an der Nichtigkeit des Referats bei Birch und Btl. awodven

Joh. 12, 40. nach Mai sacouas. Lahm. e silentio Bch. et Btl. sacmuaı.

oh. 16, 23, nach Bart. und auch Mai: Asyc vum av ri aınöncs ohne ori. Birch hatte ausbrüdlich berich⸗ tet: oTı av ı pro orı oda av, und ihm ift Lachm. gefolgt. Btl. fagt nur: av ri pro 00« av.

Joh. 16, 27. zapa rov zargos sinidov. So haben auch C"DLX ıc. Kalfch alfo Bird und Bel. und nad ihnen Lachm.: zapa zarpos sEnidov. Irrthümlich refe⸗ . riet Lachm., gegen bie Autorität feines Gewährsmannee Wetſtein, daß anch C den Artikel zov nicht habe,

Joh. 17, 15. nach Bart. fol ıv@ rnendss avrovs Ex Tov xoduov für wa TnpndnG avrovs 8x Tov zovngov ftehen.

Joh. 19, 12. nach Bart, exgauyasav für sugaLov

ber vaticanifche Bibelcober. 145

Ebenfo D (die urfprünglihe Hand fehlt jeboch hier) und mehrere häufig mit B ſtimmende Minnskelcodd. Darum wohl irrig Btl. (und Birch): sugavyaforv.

Joh. 19, 29. nach Bart, uscruv ofove. Alfo wohl falſch assrov zov ofovo bei Btl. und Birch.

Joh. 19, 29. nad Bart, vooaxw, nicht wie Btl., dem Lachım, folgte, vonze.

Apg. 2, 31. nadı Bart. ours 7 dag& avrov, wie auch ACD n. a. 3. für ovös ıc, Birch und Bel, fchweigen,

Apg. 2, 43, nach eigener Anficht syeıyero ds zuon. Birch fchweigt, uud Bentley’s Nachricht bezieht fich aller Wahrſcheinlichkeit nach auf das folgende syıvsro.

Apg. 7, 26. nach eigener Auficht avvnädadsen. Irrig Birch cuumAlacev und Bil, duvniascev.

Apg. 7, 47. nach eigener Anficht ouxodoundes, von weiter Hand corrigirt mxodounsev. Die Vernachläſſi⸗ gung dee Augments in oscodoungev, die in nnferer Stelle auh Eoder D hat, wies ich in verſchiedenen Stellen bes Codex Ephraemi nach. Siehe Prolegg. p. 21.

Apg. 7, 51. nach eigener Anficht arsgırumsor xagdıaa, wie auch Birch hatte. Falſch Btl. awegıru. xagdıav.

Apg. 11, 3. nach Bart, orı sianAdsv und xuı Ovvs- Yayıy avroıc. So berichtet and Bird; (nur fehreibt er wide); Bil. hingegen behält mit Unrecht ausdrücklich die retepta ssconAdee bei und verſchweigt Guvepayer.

Apg. 11, 20. nadı Bart. zAdovsso für suasAdovres, wie viele andere ber älteften Zeugen. Nichte davon bei dirch und Bil, :

Apg. 11, 22, nach eigener Anficht fehlt dısAdEem gänz- id, So hatte auch Birch angegeben, auch Bartolocci, Dagegen beanfpruchte viele Wahrfcheinlichkeit die Nach⸗ ht Bentley's, bie dssAdzw nicht vor, fondern nach zu0 Arioxuas fichen ließ,

Apg. 11, 23. nad) eigener Anficht Betätigung ber recepta zum Joker.

Tyeol, Stud. Jahrg. 1847. 10

146 Ziſchendorf

Apg. 13, 42. nach Bart. nEıovv Anindnva. Alſo richtig Virch gegen Btl., der nkov Anindnvas angibt.

Apg. 16, 13. Mai beflätigt die Lesart, die Durch ihre Keblerhaftigleit Berbacht erregte: ov svonfopsy 2006- gun EiVal. |

Apg. 16, 17. duch Mai Beflätigung ber recepta: arayysiAovdıy vv odovV.

Apg. 17, 13. nach eigener Anficht 0 ovv ayvaovvres suosßsrs rouro £y@ für ou ouv @yy. 5U0. Tovzov ey. Birch batte nichts gefehen uud Btl. nur covro für vovrov.

Apg. 20, 28. nach eigener Auficht muß ich die Lesart der recepta beflätigen: zyv suuindıev rova) Osou. Dieß hatte auch Birch aufangs angegeben in Variae lectiones ad textum act. app. 1798. p. 49., aber zwei Jahre fpäter in den Prolegg. zu Var. leett. ad text. apocalyps. 1800. p- XXXIX. macht er feine Angabe nicht nur zweifelhaft, fons dern fchließt auch mit den Worten: Cuinam vero, an ty- pographo an mihi, culps sit tribuende, quod Vat. 1200. h. L irrepserit, omnino me lstet; sed delendum esse ex supra dietis apparet. Scholz, der den Coder B für die zecepta anführt, hatte Birch's Note nicht gelefen; denn Die pas rifer Vergleichung enthält nichts über die Stelle, und an einen Schluß e silentio faun Riemand bei derfelben denken.

Apg. 20, 33. nach eigener Auficht zu beftätigen 7 ggvasov. Birch hatte nicht® dagegen berichtet; bei Btl. konnte es zweifelhaft feyn, ob der Eoder 7 Jouoiou oder xaı Zgudıov babe. Daher ift, fo viel ich weiß, Lachmann's Ledart, wie fie bei ihm ſowohl im Texte ald auch in der Appen- dir fteht: xovasov (ohne 7 unb ohne xaı), von aller Au⸗ torität entblößt. | Apg. 23, 7. nad) Bart, swsweos aracıc. Alfo rich⸗

tig Btl.; falſch Bch.: sos.

a) Aus Verſehen fehlt dieſer Artikel in meinem „bibliſch⸗kritiſchen Sendſchreiben ꝛc.“

ber vaticaniiche Bibelcober. 147

Apg. 26, 12, nad, Mai zrirgoans ry6 Tov apyızpsov. Alfo hatten Bch. und Bel. Recht, die nur dad zuge ber recepta fehlen ließen. Scholz, dem ich folgte, da cod. A 8.0.3. feine Angabe wahrfcheinlich machten, hat die irrige Angabe wohl ans ber Luft gegriffen; wenigftens habe ich nichts aus der parifer Dergleichung angemerkt.

Apg. 26, 32. Mai beftätigt die recepta: swensxinto.

Apg. 27, 14. nach eigener Anficht: erfle Hand evoa- zlov, zweite: zuvouxivudov. Go fon richtig Birch, während Btl. theild unklar, theild irrig war, Scholz und nad ihm meine leipz. Ausg.: zugoxävdov B**.

Apg.27, 19. nach eigener Anficht sguudav für sppıyar; doch hat Die zweite Hand das letztere gefeßt.

Apg. 27, 29. nach eigener Auſicht sugovso von erfier Hand; corrigirt it zuyovro. Auch cod. C m. a. Iefen EvIOVEO,

Apg. 28, 13. nad Bart. odev wegısiovrse für odev xtomAMovtss.

Jak. 1, 26. nach Bart, un yaAnvov. Diefe Angabe möchte richtiger ſeyn als Birch's zarıav und Bentley's xalıyıov.

Jak. 2, 5. nad Bart, ro nosum für Tov xoduov Tov- sov. Mangelhaft waren bie Angaben Birch's und Bent, ley's; Bil: „rw xosum (sic) zovrov”; Birch fagt nur, daß sovsov fehlt.

Sal. 4, 13. nach eigener Anficht: wogsvoonusde und 20:n60u8v , ſo Wie zuzopsvoousde und xeodndonev. Alfo hatte Birch and Verfehen gerade bad Begentheil aus drück⸗ lich angeführt, nämlich zogsvamusda, Komemusv, Eumo- Wende, zsgdncnuev. Bei Bti. blieb die Lesart ungewiß.

at. 5, 11, nadı Bart. vxouswavrao für vxouevov- td, Ueberſehen von Birch und Bil.

1 Petr. 5, 8. nad) Bart. Entov xaranızıv für Imrov wa zazanın. Btl. hatte nur die Differenz xarazısıv ver

10 *

148 _ riſchendorf

ferirt; aber ſchon Bch. hatte das Richtige; une haben es die Editoren des N. T. überfehen oder vermeintlich ver⸗ beffert. Griesbach und Scholz berichten: B rıyd& zaramısiv.

2 Petr. 2, 4. nadı Bart. rngovpsvovs für Ternonus- vous. Birch hatte rernonusvovs (Bil. nichts); aber Gries⸗ bad: procul dubio rygovusvovs ap. Birch. legendum est.

1Joh. 1, 5. nach Bart. apyslız für sxayyslıa. Weber fehen von Bird und Btl.

1 30h. 3, 4. nad) eigener Anfidht: 7 vor auaprız fehlt keineswegs. Auf Grund der zweifelhaften Faſſung der bentley’fchen Bergleichung glaubte Lachm., daß fehle, und

entfernte es ſogar aus dem Texte. | Röm, 1, 27. durch Mat Beflätigung der recepta: OKOLMG TE X. Nom. 3, 22. nach eigner Anficht dıx zioremo gaıcrov für dia zıor. i0 Av. Richtig Btl.; Bch. cu. mit ihm Griesb., Scholz; u. 9.) hatte angegeben, daß ıncov zaucrov fehle.

Röm, 3, 26. nach Mai zgo0 zuv evöcıkım für zg00 ev- ösıtiv. Ueberfehen von Bird, und Bti,

Röm. 4, 9. nad) Bart. eAoyısön für or sAoyıcdn. Bentley’6 Bergleihung :: eAoyısan.

Rom. 8, 2. nad) Bart. sAsudsgmss os für sAsudsg. us. Falſch Bil, es fehle us; aber richtig Birch.

Röm. 9, 12, und 9, 26, nach Mai a prima m. £90597; a secunda m. 39070n7. Darüber nichte bei Birch und Bil.

Nom. 14, 8. durch Mai Beflätigung der recepta: zav Ts azodvn6xmpsv bis.

Röm. 15, 31. nadı Bart. zu 7 dmgoyopıa fürs 20 ıva ndıaxovın. Daß ıva fehlt, haben Birch und Bel. üÜberfehen.

1Kor. 1,28. Mai beftätigt Die recepta: zu za un ovra.

1 Kor. 2, 13. nach Bart. aAA v dudaxrn zvsuuaroo, Diele Ledart, wenn fie anders gegründet ift, hat weiter feine Zeugen für ſich.

. 18or.9, 23. durch Mai Beflätigung der recepta: vaaomıato. Alſo irrig Wetſtein, Griesbach, Scholz.

R

der vaticanifdye Bibelcober. 139

1 Kor. 11, 15. nach Bart. ansdrücklich bie recepta: ösdoras aurn. 18or, 13, 3. durch Mai Betätigung der recepta: ov- dw opelovpen, 1Kor. 14,7. nadı Bart. diasroAnv pdoyyov. Se audı Bird richtig; Bel. hingegen dıaor. rovpdoyyov, was ihm infolge Lachm. in den Tert genommen. 1 Kor. 14, 16, suAoyno, wie auch Birch, nicht suAoysso, wie Btl. 2 Kor. 1,13. nach Bart. 7 « avayıyaonsıs für Al 7 a avayıvodxers. Ueberſehen von Birch und Btl. 2 Kor. 3, 6. Mat beftätigt Die recepta axoxreıveı. 2Kor. 4, 5. Mat beftätigt gleihfalld ara zgıarov m00UV xvotov. | 2 Kor. 5, 5. nad) eigener Anfiht o dove für 0 zus dovs. So richtig Bil.; nach Bird; follte nur dova da ſtehen. 2 Kor. 6, 15. nach eigener Anficht Perso für Beiar, was alfo Bir, Bil. und Bart. überfehen haben. 2 Kor. 11,3. nach Bart. xaı 70 ayvornroo, wie Birch; nicht, wie Btl., xas 776 ayıornrod. 2 Kor. 11,25. nach Mai sgaßdıchnv für sgoaßdıchnv. Gal. 3, 23. nadı Bart. svyrisıousvon. Danadı alfo iu corrigiren Birch's GuyxAssousvos und Bentley's cuylsio- Bevor. : Ephef. 1, 1. nach eigener Anſicht: rois ovaıv, omisso mpeon, von erftier Hand. Die zweite Hand trug auf dem Rande ben Beiſatz nady (fiche oben). Ephef. 1, 20. nach eigener Anficht: sv rosa ovpavord, wie Bti., nicht &v TOO ougavıoıs, wie Birch. - Philipp. 1, 25. nadı Bart. xaı zapausvo für zaı Gun- Zaızvoo, ũbereinſtimmend mit allen andern Älteften Codd. Philipp, 2, 3. nah Mat ift Bentley’s Angabe richtig: ade xara wevodoksev. Birch hatte: undev xara xevodok. Koloſſ. 1, 20. nad Bart. fehlt d: auzov nad, rov Kaygov aurov, Ueberfehen von Bird, und Bil.

150 Tiſchendorf

Koloſſ. 2,7. Mai beſtätigt die recepta: spıoaevovrss EV œurn EV ESVYaQLOTIE.

1 Theflal. 1, 5. Mai beftätigt gleichfalls die recepta: sytunon 210 vun, | 1 Thefl. 3, 3. nach Mai vo undsva savscdu: für vo

undeva dawveodas,. Unbeadhtet von Beh. und Btl.

1 Theffal. 4, 9. nach eigener Anficht zıyomev, wie Btl., nicht eyouev, wie Bird.

Hebr.2,1. nadı Bart. zepaepvmusv, wie auch. die Codb. AD und andere. |

Hebr. 2, 8. nach eigener Anficht fehlt auvrm nach uxo- rakaı. So richtig Btl.; nach Bird (und Scholz) fehlte avım nach ogmuEV.

Hebr. 4, 2. nach Bart. um ovyxsxspadusvovd. Alſo richtig Birch, falfch Btl.: un ouxxcxocusvous.

Hebr. 4, 15. nach eigener Anficht zu beflätigen zexaı- oqcousvov.

Hebr. 8, 6. durch Mai Beſtätigung der recepta: re- TEUFEV Asırovgyiao.

In dieſem Berzeichniffe neuer Ledarten habe ich nur Diejenigen Differenzen zwiſchen Birch und der bentley’fchen Eollation berädfichtigt, die einer wirklichen Berichtigung bedürftig waren, während ich von denen abfah, die darin beftehen, daß der eine den andern offenbar vervollftänbdigt. Für folche Fälle bietet die parifer Vergleihung noch an vielen Stellen eine Beftätigung bald von Birch, bald von Bentley. So 53.8. Apg. 21, 22,, wo das nadı axovcovraı fehlende yag nur von Birch angegeben wird; 1 Petr. 5,2,, wo nur Btl. bie Weglaffung des smsaxomovvrss bezeugt ; Sud, 5,, wo Bird) richtig orı ındovs für ori 0 xuvoroo ans gibt, während Btl, nur ındovs für xugsoo aufgezeichnet hat. Hicher gehört auch Markt. 12, 20., wo Bartolocci Ösvrega avın für xaı Ösursga ouoıa advın genau bemerft bat, was ſich aud) bereit aus Birch's Referat ergibt,

der vaticaniſche Bibelcoder. 151

während Btl. nur ſagt, daß ouore fehlt. Bei meiner Aus gabe in der ed. Lipa.: „devssga ds aury”, war ich Schni; in feiner ed. tert. Griesbach's und Scholz gefolgt.

Zuletzt muß ich aber audy einige Angaben Bartolocci’s aufzählen, wo ich fehr in Zweifel bin, ob berfelbe die rihtige Lesart ded Coder ntedergefchrieben hat. "Mögen Andere auders urtheilen; der fichere Auffchluß darüber faun nicht mehr ferne ſeyn. Matth. 20,17. ſoll nella ds avaßaıyaıy o ındovo a) fliehen; Mart. 3, 15. fol nur 9z- paxsvsıv Tao vodovo, aber nicht auch das folgende zu fehlen; Mark. 11, 13. fol fehlen ; Luk. 9, 5. ſoll es heißen: azorıvaodezrs, wogegen anorıvaocers bei Btl. und Birch; Lul.12, 15. vro für axo; Lul. 21, 12. exayousvovs; Joh. 6,15, avexagpmasv; Apg. 5, 4. fol ıaxwß gänzlich fehlen; Apg. 17, 5. ſoll's heißen zapayaysıv für ayayan; Apg, 20,16. xexgıxs yap; 1 Petr. 3,13. IMoOGsi yeynade; LKor. 9, 15. syw ra 0v xe7E. ovdsv ovrav; Eph. 4, 9. orı us arrow zus nuov. In diefelbe Kategorie gehört vielleicht auch Joh. 17, 15. ıva rnonosio KUTOVG Ex TOV X00uov, was ich ſchon oben angeführt habe, und Matth. 13, 36. wo wenn ich recht gelefen 0: uadımaı Asyovreo fiehen fol. -

Radıträglich glaube ich noch eine Erläuterung zu den Facſimiles geben zu müflen.

Die erften drei Zeilen, Röm. 4, 4.5., fo wie bie fols genden vier, 3 Kor. 3, 15. 16., find von fpäterer Hand unberührt geblieben. Die Hafen zu Anfang und zu Ende jeder Zeile find fpäterer Zufaß ; fle dienen dazu, die Worte als überflüſſig zu bezeichnen und zu mißbilligen. In ber

a) Bird) und Bentley laflen den Artikel vor ıunsova weg. Gries⸗ bad Hatte (mit welcher Autorität?) uellov ds 0 ındova ava- Baer. Schulz ſetzte in Parenthefe dazu bie Angabe Birdy’s und Bentley's; nichts beflo weniger ſchreibt Scholz ohne Weis teres wie Griesbach,

152 Xifchendorf, ber vaticanifche Wibelcoder.

vierten Zeile ber zweiten Stelle beginnt mit xc bereite der aufgefrifchte nud accentuirte Tert. - Das aı-über ze- ousosicas ift von der Hanb eines Correctors.

Das Wort pompmovs, das gleichfalld von fpäterer Hand unberührt geblieben ift, gehört zur Unterfchrift des Nömerbriefd: zg00 gmumsovo.

Die lebte Stelle, zwei Zeilen vom Anfange des Ephes ferbriefö,, ftellt die dem Texte widerfahrene Auffrifchung und weitere Bearbeitung vor Augen.

Gedanken und Bemerkungen.

1.

Sheologiihe Aphboriämen

von

Ullmann).

Aus Beranlaffung einer neuen Auflage der Abhandlung, weidhe vor bereitd zwei Decennien diefe Zeitfchrift eröffs nete, der apologetifchen Betrachtung Über die Sündlo⸗ figfeit Jeſu, hat, ſich mir das Bedürfniß aufgebrängt, den vierten Abfchnitt, welcher die Folgerungen aus den drei erften enthält, einer ganz neuen Bearbeitung zu uns terwerfen. Ich hege nicht nur die Hoffnung, daß bie Schrift dadurch überhaupt wirb gewonnen haben, ſon⸗ dern ich glaube ſogar, fle hat erft jest ihren richtigen, den Grundlagen entfprechenden Abfchluß erhalten. Meine Hanptabficht in der neuen Bearbeitung des Abſchnittes geht dahin: zu zeigen, wie in Chrifto, dem Sündlos- Heiligen, und nur in ihm, Die Bedingungen gegeben

a) Zugleich Selbftanzeige der Schrift: die Sünblofigkeit Iefu, Eine apologetifche Betrachtung von D. C. Ullmann, Fünfte, zum Zheil neu bearbeitete Auflage. Hamburg, bei Friedrich Pers tes 1846.

156 Ullmann

find, unter denen ſich die volllommene Religion verwirk⸗ lichen Tonnte, wie er aus dem innerſten Weſen feiner Derfönlichleit heraus der Stifter der wahren, für die ganze Menfchheit beſtimmten Religion wurde und wer- den mußte. Und zwar habe ich dieß woruchmlich unter vier Geſichtspunkten nachgewiefen: inwiefern nämlid Chriſtus in feiner heiligen Perfönlichleit es war und if, der 1) Gott vollfländig offenbart und den Menfchen nahe bringt; der 2) die Menſchen vollftändig mit Gott vers föhnt, zur vollen Lebendgemeinfhaft mit Gott führt; der 3) unter den Menfchen felbft die ihrer höchſten Be: flimmung entfprechende und wahrhaft allgemeine Einis gung, die eigentliche Menfchengemeinfchaft berftellt, und ber 4) für diefe Semeinfchaft, fowohl im Ganzen, ale in ihren einzelnen Mitgliedern, ein ewiges, im immer höherer Vollendung ſich verflärendes Leben verbürgt. Zudem ich mir nun erlaube, die beiden letzteren Hanpt⸗ flüde das eine von Ehrifto ald bem Stifter der wahrhaft menfhlihen Gemeinfhaft, das ans dere von Chriſto ald dem Bürgen bed ewigen Lebens mit den erforderlich fcheinenden Berändernns gen hier mitzutheilen, gebe ich mich ber Hoffnung bin, ee werde diefe Mittheilung für manche Lefer ein Anlaß werden, diefe Stüde in dem organifchen Zufammenhange, in welchem meine Schrift ſelbſt fie darbietet, kennen zu lernen und auch das Uebrige, mit dem fie dort in Ber: bindung fliehen, einer näheren Betrachtung und Prüfung zu würbigen. j

Der Menſch wird das, was er feyn foll, vernünftige Derföntichkeit, zunächft weſentlich durch zweierlei: erftlich dadurch, daß er ſich in fich felbft zufammenfaßt, ſich ale Diefen beftimmten weiß und fühle, und von dem Mittel: punkte des eigenen Seyns aus will und handelt; zwei⸗

theologifche Aphorismen. 157

tens dadurch, daß er fich zugleich auf Andere bezieht, von dieſen auf fidy wirken läßt und mit ihnen ein Wech⸗ felverhältniß eingeht. Zwifchen diefen Polen dewegt ſich das Leben ale ein menfchliched. Und zwar tritt und ins» befondere die Beziehung bed Menfchen auf Andere feines Gleichen ald etwas fo Nothwendiges entgegen, daß man fagen mn: nur unter diefer Bedingung wird der Menſch m Menfchen; als Einzelner und einzeln Bleibender ift er ſchlechthin nicht zu denken; nur im Berhältniffe zu An, . deren, die meufchlich auf ihn wirken und auf bie er eben, fo zurädwirtt, können die Gaben und Kräfte, bie in ihn gelegt find, fich entfalten unb bethätigen, kann der Bes griff des Menfchen fich lebendig verwirklichen. So if der Menſch unveränßerlich auf Gemeinſchaft angelegt, und dieß macht fich eben fo geltend bei der Bildung, bie er empfängt, ald bei dem, was er felbf feinen Umge⸗ bungen und der Welt ald Stempel feined Geiftes aufzu⸗ prägen fucht, in feinem ganzen Werben und Wirken, SA nun der Menfch, ale folcher, zur Gemeinſchaft beſtimmt, fo muß ed auch eine rein und wahrhaft menſch⸗ lihe Gemeinfchaft geben, d. h. eine ſolche, zu welcher Feder von uns nicht dadurch, daß er einem befonberen Berufe ober Lebenskreiſe angehört, fonbern einfach das duch, daß er Meufch if, einen Beruf hat. Gehört es aber zugleich zum Seyn des Menfchen im höheren Sinne, daß er in einem Berbältnifle zu Gott ehe, und mn dann nothwendig von biefem Berhältnifle aus, als dem hoͤchſten, fein ganzes Leben Beſtimmung, Richtung und Drdunng erhalten: fo werben wir auch bie wahre Men- (hengemeinfchaft nicht anders denken können, denn als “ie von dem Verhältniſſe des Menfchen zu Bott aus a Stande gelommene und georbnete, mithin ale eine religiös» füttliche. Und von folder Gemeinfhaft behaupten wir, daß fie nur von dem Sündlos⸗ Seiligen zu iften war, in ihm aber auch noth>

158 Ullmann

wendig den fhöpferifhen Örund ihres Ent» ſtehens fand.

Gemeinſchaftbildend find zwar allerdings alle menſch⸗ lichen Thätigleiten und näheren Berwandtichaftsbezie: hungen, indem fie ein gegenfeitiged Geben und Rehmen, ein Handeln und Hervorbringen der Einen, ein auf ſich wirden laflen und Aneignen der Anderen, ein Zufammens fhließen des Bleihartigen und ein Ausſcheiden des Un⸗ gleichartigen vorausfegen. So erzeugen fi die Ge meinfchaften der Kunft und Wiffenfchaft, der bürgerliche, RRaatlihe und nationale Verein. Allein diefe Gemein⸗ fchaften, fo groß und bedeutfam fie feyn mögen, haben doch immer ihre beſtimmt bemeflenen Schranten und da: durch etwas Partisnlares: die Gemeinfchaft der Kunſt und der Wiffenfchaft verwirklicht fih nur im Kreiſe Der dafür, productiv oder receptin, befouderd Ausgeflatteten und Gebildeten; ber bürgerliche Verein hat feine engen örtlichen Grenzen, der ſtaalliche und nationale die zwar weiteren, aber doch immer ganz beftimmt fich geltend machenden bed eigenthümlichen Vollslebens. Nun aber ftellt ſich auch der Menfchheit an fich eine Aufgabe, die für alle ihre Mitglieder, welchen Geſchlechte und Volke, weis dyer Stufe der Begabung und Bildung fie auch angehö⸗ zen mögen, wejentlich diefelbe ift, die reine und allge- meine Menfchheitsaufgabe, das heißt, die ber richtigen Stellung des Menfchen zu Bott und ded Menfchen zum Menfchen oder die des veligiössfittlichen Lebens, in dem ſich das Ebenbild Gottes im Meufchen, die göttliche Idee des Menfchen verwirklicht; und da das religiössfittliche Leben zugleih ein ſolches iR, welches feiner innerften Natur nach zur Gemeinſchaft drängt und als ein iſolir⸗ ted entweder gar nicht ober nur in verfümmerten und krankhaften Erſcheinungen exiſtirt, fo erzeugt fih auf dieſem Gebiete, aber auch wur auf ihm, nothwendig Die Zerderung, daB eine Bemeinfchaft zu Stande komme,

theologiſche Aphorismen. 159

weiche ohne die Schranken, bie dad Künftlerifche und Bifeufchaftlihe, das Politifche und Volksthümliche feis ser inneren Befchaffenheit zufolge ſetzt, alles Menfchliche umfaffe, alle ihre Mitglieder in das rechte Verhältniß zu Gert und in das wahrhaft menfchliche zu einander bringe, die fonfigen Gegenſütze wieder ausgleiche und fo bie „ee der Allgemeinheit, welche mit der Gottverwandt⸗ (haft und wefentlihen Gleichartigkeit der menfchlichen Ratar gegeben ift, ins Leben einführe. Diefe Gemein, ihaft, weil fie die Menfchen im innerlichſten Grunde iſtes Wefens, in der Wurzel ihres Urſprungs aus Bott und durch das hierin liegende Band vertnäpft, wird dann geeignet ſeyn, für jede andere Gemeinſchaft erſt den schten Rebendgrund zu legen, ihr den tieferen, wahrhaft emigenden Geiſt und die höhere menfchenwürbige Weihe zitzutheilen und Das, was fonft die Menfchen naturges naß fcheidet, nicht zu einem feindfelig Trennenden wer; ven zn laſſen, ſondern unter den richtigen Geſichtspunkt des Fureinanderbeſtimmtſeyns, der gegenfeitigen Ergäns mag und Förderung zu bringen; denn won biefem Staub» tie aus erfcheint die Menfchheit ale ein großes, gott» geordnetes Ganze, in welchem die einzelnen Theile die Sbeutung baden, Glieder zu feyn, unddie einzelnen Ga⸗ den und Thätigkeiten nur darauf gerichtet ſeyn Fönnen, das Ganze zu fördern und durch ihre Berfchiedenheit und Iniehungsweife Gegenfätliczkeit die wahrhaft lebensvolle Einheit, die große geiftige Weltharmonie herv orzubringen. Cine Gemeinſchaft dieſer vollkommenſten Art Fonnte nicht atßchen, fo lange das Höchſte und Allgemeinfte, das dittlich⸗ Meufchliche, mit Geringerem und Befonderem vermiſcht und dadurch ſelbſt herabgeſetzt, in die Stel⸗ ang einer gewiſſen Befonderheit, in einen Particularis⸗ und gebracht war. Solche Vermiſchung findet ftatt, wo die Religion wicht rein als folche zum Borfcheine kommt, ſendern mit anberen Elementen und Gebieten dergeſtalt

160 Ullmann

in Berbindung gebracht wird, daß fie unr vermittelſt biefer oder im unlödbaren Zufammenhange mit ihnen fi Eundgibt und wirkt. So war es in ber vorchriſtli⸗ hen und fo tft ed noch in der außerchriftlihen Welt. Da nehmen wir wahr, daß die Religion, vermengt wit Naturkunde und Speculation, zu einer heiligen Phyft oder Metaphyſik wird und dann in der Regel eine prie fterliche ober philoſophiſche Geheimlehre mit ſich führt; oder baß fie ſich vorzugsweife in der Kunfifchönheit of fenbart und ‚dann, flatt das Leben als fittliche Kraft zu beherrjchen,, in einen geiftigfinnlichen Genuß umfchlägt; vornehmlich aber finden wir fie mit dem Bürgerlichen, Nationalen und Politifchen in genauefte Verbindung ge: fest, und zwar in der zwiefachen Art ber Bermifchung, deren eine die jAdifche, die andere bie römifche genannt werben Tann, d. h. entweder fo, daß von dem Religioͤſen and das Politifche beftimmt wird, woraus die Theokra⸗ tie, oder vom Politifchen aus das Religiöfe, woraus die Staatereligion entſteht. In allen diefen Erſcheinungs⸗ formen if die Religion und mit ihr das Sittliche an ein Anderes, Fremdes gebunden, und weil Alled anßer ihr ein Begrenzted und Beſonderes tft, fo wird fie dadurch felbft befchräntt und particnlariftiifch, eben damit aber auch mehr eine Urfache von Gcheidungen und Trennun gen in der Menfchheit, als eine Brundlage umfafjender Einigung. In der That konnte der Grund zu einer wahren, allgemein » menfchlichen Bemeiufchaft nur gelegt werden, wenn das Religiös, Sittliche, vermittelft deflen fie allein denkbar ift, unvermifcht mit jedem anderen Ele mente, rein and vollfländig auf fein eigenſtes Gebiet zu- rüdgeführt und darin der Punkt gefunden wurde, von dem aus, wie von einem archimedifchen, freibewegendb auf ben ganzen Umkreis des menfchlichen Seyns gewirkt werden konnte. Dieß aber war wieber nur zu bewerl; Religen durch eine Perfönlichkeit, deren ganze und un

theologifche Aphorismen. 161

getheilte Lebendaufgabe ed war, den Menfchen in feiner vollommen entiprechenden Stellung fowohl zu Gott, ald zur Menfchheit, alfo in der vollen Lebens⸗ und Leis beigemeinfchaft mit Gott und den Menfchen, rein, leben, dig, für Alle verftändlich und ergreifend, aber auch un, vermengt mit allem Anderen, ohne Beimifchung nationaler oder fonft fremdartiger Beftandtheile zur Anfchauung zu bringen, und von welcher diefe Aufgabe wirklich auch ganz gelöft wurde. Eine ſolche Perfönlichkeit haben wir in Sefn, dem Sündlos: Heiligen. Er hat, abgefehen von allem dem, was er that und was freilich auch nicht fehr len durfte, die höchſte Bedeutung fchon durch dad, was er if, Die Manifeftation des volllommen gefunden Ber, halteus des Menfchen zu Gott und des Menfchen zu den Menſchen, und wie er das Leben Gottes in menfchlicher Geſtalt offenbart und die Menfchheit in göttlicher Ver⸗ Närang darftellt, fo tft er, Gottheit und Menfchheit eini⸗ gend, zugleich der fchöpferifche Einigungspunkt für bie Menſchen unter fich geworben.

Jeſns hatte fchlechthin Feine andere Aufgabe und feine Erſcheinung hatte feinen anderen Sinn, ald das rechte VLerhaͤltniß zwifchen Bott und ber Menfchheit herzuftels Im uud das Göttliche im Menfchen zum klaren und vol- len Ausdruck zu bringen; fein ganzes Seyn und Wirken it ein unvermiſcht veligiöfes und fittliches; in ihm und durch ihm iſt die Religion ganz und ungetheilt auf ihr tigenſtes Gebiet zurückgeführt: fie kann von da aus in feier Weife Kunſt nnd Wiffenfchaft erzeugen, fie kann das bürgerliche und Bölferleben von innen heraus durchs Ringen, der Gefebgebung und Politik einen höheren Geift mlößen; aber fie ift das Alles nicht unmittelbar, ſon⸗ dern weſentlich iſt fie nur fie felbft und will auch zunächſt nichts Anderes, als fich felbft. Genau unterfcheidet Sefus dad, was Gottes, von dem, was bed Kaiſers ift; fein Reich ift nicht von diefer Welt, fein BE ift nur

Toeol, Sud, Jahrg, 1847,

162 Ullmann

dad der Wahrheit, und. mit einem Liebeögeifte, der bie dahin noch in keines Menfchen Herz; gekommen war, durchbricht er, ohne dabei die göttlihe Ordnung zu ver: legen, ale Schranken der Kamilie, des Geſchlechts und der Rationalität und umfaßt zuerft, lebend und fterbend mit fchledhthin ungetheiltem Gemüthe, Alles, was Menſch heißt. Durch alles dieß war er, aber auch nur er, fähig, der Stifter eines an feine Grenzen des Raumes und der Zeit gebundenen Gottesreichs, der Stifter der alle Mens fhen zur Einigung rufenden Religion zu werden, und, infofern wir nur die religiöfe Gemeinfchaft Kirche nen⸗ nen, welche, unvermifcht mit allem Fremdartigen, nichts feyn will, als religiöfe Gemeinfchaft, aber auch wolle Selbfläudigkeit in ihrer Sphäre anfpridt, haben wir auch nur in Ehrifto den Kirchenuftifter im eminenten Sinne anzuerfennen. Aus diefem Bewußtſeyn heraus fpricht er das große Wort: Kommet her zu mir, Alle, die ihr müh⸗ felig und beladen feyd; aus diefem Bewußtſeyn heraus - will er, daß Alle mit ihm und in ihm eing werden, wie er es ift mit dem Bater und fagt, eben daraus werde die Welt den Slauben fchöpfen können, daß Gott ihn ger fandt habe; aus dieſem Bewußtſeyn heran fchaut er fos gar fehon die ganze Menfchheit ald eine Heerde uns, ter ihm, dem eiuen Hirten.

Es liegt offenbar auch in der Natur der Sache, ebenfowohl daß nur in einer heiligen und gottgeeinigten Perfönlichkeit eine folche Gemeinſchaft zu Stande kom⸗ men fonnte, als daß ‚fie in ihr zu Stande fommen mußte. Nur in ihr konnte fie zu Stande fommen. Denn, wenn überbanpt jede lebendige organifche Gemeinfhaft einen Mittelpunkt bedarf, fo kann eine Vereinigung perfönticher Geifter nicht einen abftracten, fondern nur einen perfön- lichen Mittelpunkt haben. Bon der Perfönlichkelt aber, die diefen Mittelpunft zu bilden allein im Stande if, werden wir fordern müflen, daß fie ben Geiſt, der in

theologifche Aphorismen. 163

ber Gemeinfchaft Ieben fol, auf das reine und voll tommenfte ausbrüde und eine ſtets frifche, unerfchöpfliche Duelle deffelden ſey. Und da ed ſich hier, wenn die Berbindung eine lebendige und fefte, eine wirklich orga⸗ niſche feyn fol, um die innigfte Vereinigung, gleich der des Gliedes mit dem Haupte, handelt, fo wird dad Haupt nur eine Perfönlichkeit von höchſter Vollkommenheit und Reinheit feyn können, weil nur an eine foldhe, nicht aber an einen fündigen Menfchen, fich Alle dergeftalt hingeben Tonnen, daß fie ſich vom feinem Geiſte und Leben durch⸗ dringen laffen und feinen Willen zum Gefeße ihres Dar ſeyns machen. Und dieß eben finden wir in Ehrifto, in deſſen Leben fich alles das vollitändig ausdrückt, worauf eine würdige Gemeinfchaft der Menſchen fich dauernd sränden kann, befien Geift und Liebe eine Quelle if, aus welcher Alle jchöpfen können, ohne fie je auszufchöpfen, und der in feiner heiligen Reinheit ein Gegenfland der unbedingteften Hingabe für Alle nicht nur feyn kann, fon- dern auch ſeyn will und muß. In ihm und durch ihn mußte aber eben darum auch diefe Gemeinfchaft ſich ver: wirflihen. Denn wenn freilid; die Menfchen unvollkom⸗ men und fündhaft, wie fie find, ſich nicht unmittelbar und aus fich felbft heraus auf eine gründliche und dau⸗ ernde Weiſe vereinigen, fondern den wahren Einigunge«- punkt nur in einem Höheren und die vollfländige, ewige - Einigung nur in dem Höchften finden können, weiches fie über ihr eigenes Ich emporhebt und fie, indem es fie mit ih verfuiipft, zugleich unter einander innig und fefl ver- bindet: fo wird boch auch, fobald ein ſolches Höchſte und Seilige die Gemüther wirklich ergriffen und burchdrungen hat, Die Einigung gar nicht ausbleiben können, weil in dem Wahren, Heiligen und Böttlichen, wenn ed im Leben auftritt, eine magnetifche Kraft liegt, welche die Geifter and ihrer Iſolirung heranszieht und mit einem zwar uns

fihtbaren, aber andy ungerreißbaren Bande zuſammen⸗ 11*

164 Ulmann

fließt. Diefer geiftige Magnet, diefe unendliche Anzies hungskraft ift nun in die Menfchheit bineingefegt in der Derfon des Göttlichen und Keinen, der fi in heiliger Liebe für und dahin gegeben hat: von ihm muß Seder, der dafür empfänglich- ift, ergriffen werden, und indem nun Chriſtus vermittelft des Glaubens, den er wedt, die Em⸗ pfänglichen in fein Leben hineinzieht und mit fich einigt, durch ſich aber zugleich mit Gott, einigt er fle nothwen⸗ dig auch unter ſich felbft, und zwar durch die vollfom: menfte und dauerhaftefte Art der Vereinigung; denn es ift eine folche, die ſich im Höchften vollzieht, bei der fchon durch die ganze Art, wie fie zu Stande kommt, der Menſch über fich felbfl emporgehoben und das, was fonft die wahre Liebesgemeinfchaft hindert, die Selbftfucht, im Keime ertöbtet wird, Dieß Alles gilt freilich zunächſt nur von der Bereinigung der von Ehrifto in lebendigem Glaus ben Ergriffenen; aber diefe follen wieder feyn das Salz der Erde und der Sauerteig, der allmählich die Maffe durchdringt. Durch ihre Gemeinfchaft wird eine höhere Bereinigung der Menfchheit überhaupt angebahnt, oder vielmehr ihre Gemeinſchaft hat die Beſtimmung, fich zur allgemein menfchlichen zu erweitern, Allerdings vereinigt zunächſt nur den Gläubigen mit-dem Gläubigen der in beiden lebende Ehriftus mit feiner Liebe und heiligenden Macht; allein darin liegt der Anfang, der erfte lebend volle Keim, aus dem dann das mächtige Gewächſe des menfchheitumfaffenden Gottesreiches ſich entfalten fol. Derſelbe Ehriftus, der zu feinen Apofteln fagt: wer euch aufnimmt, nimmt mid, auf fagt auch: wer diefer Ge ringften einen mit einem Trunke Waflers erquickt, der bat ed mir gethan; und wer die Kranken, Gefangenen, Dürftigen auffucht, der fucht mich auf. Hiermit deutet er an, daß in jedem Menfchen, wenn auch nur im wei⸗ teren Sinne, etwas von ihm lebe, weil in jedem dad Bild Gottes liegt, welches in feine Reinheit herzuftellen er ges

theologifhe Aphorismen. - 165

kommen war, weil jeder ein menfchlicher Bruder nud Naͤchſter il. Wir müſſen alfo, ſobald wir den Heiligen Gottes wirklich in uns haben, in jedem Menfchen etwas von ihm erbliden, in jedem Nothleidenden, Mühfeligen uud Beladenen einen Solchen, aus dem der Menfchenfohn und gleihfam felbft anfleht, in jedem geiſtlich Armen einen Solcdyen, zu dem der Friedefürft mit feinem himmli⸗ hen Reiche gebracht werden, felbft in jedem Trogigen und Stolzen einen Solchen, der noch unter das fanfte Joch bed Gottesſohnes gebeugt werden "fol. So liegt ia der Perfon Ehrifli, des Heiligen, eine ans innerer Rothwendigkeit heraus wirkende Bereinigungsfraft, die zuerſt freilich Die, welche lebendig von ihm ergriffen find, infammenbringt, dann aber auch diefe zur Gemeinfchaft nit allem MRenfchlichen überhaupt treibt, weil Allen aus - dem Geiſte und der Liebe Ehrifti heraus geholfen, eben dadırdy aber zuletzt auch das Ziel erreicht werben foll, daß Ale in feine nähere Gemeinfchaft, in die des Gottes⸗ reiches, als Die wahrhaft und allgemein menfchlidhe, hins eingezogen werben. Wo wäre etwas Achnliches zu fin» den? Keinem der größeften Weifen, Gefeßgeber und Staatengründer vor Chriſto fam ed auch nur in den Sinn, einen Berein zu fliften, der die ganze Menfchheit umfaffen foflte; und wenn ed auch einem in den Sinn gekommen wäre, wer fonnte diefen Gedanken ausführen? Rur der Heilige Gottes konnte ed, weil in ihm bie wirt, liche Einigungsfraft lag, weil in feiner Perfon das Reich Gottes fchon enthalten war und fih aus ihm nur zu etfalten brauchte. Und wenn wir nun in dieſem Zus ſanmenhauge Ehriftum ben Mittelpunkt der Weltgefchichte nennen, fo gefchieht ed nicht bloß in dem idealeren Sinne, nach welchem das frühere Geiftesieben ein Hinftreben auf in, das fpätere ein Beſtimmtſeyn durch ihn erkennen läßt und er fo den Angelpunft der höheren Menfchheitd« entwidelung bildet, fondern es geſchieht in dem höchſte,

166 Ullmann

realen Sime, wonad er ber wirkliche Einigungspunkt, die fchöpferifche Lebensmitte der Menfchheit ift, das pul⸗ firende Herz und ber befeelende Lebensgeift, vermöge deſſen erſt die Menfchheit als ein höheres Ganze fidh organifirt. Auch erfcheint ed gerade in dieſem Zufam- menhange gewiß ebenfo bedentfam als tiefbegründet, wenn Ehriftud darauf, daß er die Menfchen duch Einigung mit fich felbft und mit Gott unter fich einigt, den Glau⸗ ben gründet, Gott habe ihn gefanbt, weil nur vermöge göttlicher Sendung ein folches Werk, das denkbar höchfte, zu vollbringen war. | *

In dieſer durch Chriſtum gebildeten Gemeinfchaft erhält nun auch Jeder, der ihr lebendig angehört, bie Gewißheit, daß er an derfelben nicht ein vorüber: gehendes Glied fey, fondern daß er in Chrifto Das Leben befige, das aus Bott fammt, das unvergänglidhe, ewige, und auch dafür liegt eine Bürgfhaft in der fündlodsheiligen Perſön— lichteit Chriſti. Wenn nämlich von irgend einer Per⸗ fönlichkeit, fo fann und muß man von diefer fagen: «6 iſt ſchlechthin undenkbar, daß ſie der Zerfiörung durch ben Tod hätte preidgegeben feyn können; wielmehr tritt und in ihr die Gewißhelt des ewigen Lebens, ja das ewige Leben felbft auf eine fo unmittelbare und anfchaus liche Weife entgegen, daß wir in dem Worte des Apos fteld, Chriſtus habe Leben und unſterbliches Weſen ans Licht gebracht, den naturgemäßeften Ausdruck der Sache finden müflen. Schon von dem vollendeten flttlichen Kunftwerfe, das ſich und menfchlicherweife in der Pers fönlichteit Jeſu darftellt, können wir nicht annehmen, Die ewige Weisheit werde gewollt haben, daß es durch Deu Tod gertrlimmert werde; und wenn man fonft aus der im irdifchen Leben ftetd unvolllommenen Realifirung der

theologifche Aphorismen. . 167

fittlichen Ledensaufgabe des Menfchen, zuſammengehalten wit dem ihm iunewohnenden Triebe nach Vollendung, auf einen jenfeitigen Zuſtand fchließt, in dem diefer Trieb auch zu feinem Ziele gelangen müfle, alfo in dem Unbe⸗ friedigenden, Fragmentarifchen des jetzigen Daſeyns eine Hinweifung "findet auf ein mothwendig einmal zu Stande fommended Ganzes, fo können wir bier mit größerem Rechte den umgekehrten Schluß machen: gerade weil ein befriedigended Ganzes zu Stande gefommen, weil das Vollendete erreicht it und ſich in einer, Die reinite geiſtige kebensfülle in fich fchließenden Perfönlichkeit verwirklicht bat, it um fo weniger der Gedanke zuläffig, dieſe Pers fönlichkeit in der hbarmonifchen Ganzheit ihrer Bollen- dung Föune der Auflöfung und Zerflörung anheimgefallen ſeyn. Nehmen wir aber noch hinzu, daß vermöge ber fündlofen Reinheit diefe Perfönlichkeit auch in der innigs Ren Gemeinfchaft mit Gott Rand und aufs vollftändigfte vom göttlichen Geifte durchdrungen war, fo wird eine feihe Möglichkeit noch vwiel weiter hinaudgerüdt, ja fie geht geradezu in Unmöglichkeit über, weil das Göttliche an fi, das Ewiglebendige if. Bermögen wir uns ſchon kberhaupt eine perfönliche ewige Liebe nicht vorzuftellen, welche Weſen nach ihrem Bilde gefhaffen hätte, um fie de Vernichtung zu überlaffen, und verbürgt und ſchon überhaupt das Berhältniß der gottbewußten und gott- tiebenden Perfönlichkeit zu einem Bott, der die Liebe und das Leben ift, die perfönliche Kortdauer: fo fleigert fich natürlich dieſe Gewißheit aufs höchfte bei einer Perfüns lihfeit, welche in einer fo ungetheilten &emeinfchaft mit Sert fand, daß fie fagen kannte: Ich und der Bater fund eins; und wer ſich denken könnte, Jeſus habe mit den Worten: Bater, in beine Hände befehle ich meinen Bein! fein Leben für immer in die leeren Lüfte aus⸗ schaucht, der weiß ſchon nichte von dem rechten, leben, digen Geifte, aber vollends nichtd vou dem lebendigen

168 Ullmann

Gott und von der Lebenskraft bed Gekreuzigten. In der That find Chriſtus und Vernichtung zwei Dinge, die wir im Bewußtfeyn gar nicht zufammenfaflen Tönnen, die fich gegenfeitig ausfchließen. Entweder war Chriſtus ein ſchlechthin Anderer, als der er im urfprünglichen chriſt⸗ lihen Glauben lebte dann aber bleibt das ganze Chriftenthum unerklärt oder, wenn bad urſprüngliche Bild Chriſti Wahrheit hat, fo war er aud der in fid felbft und ewig Lebendige. Und zwar erfcheint und ger rade in ihm das ewige Leben nicht als ein erft —* ges, ſondern weſeutlich als ein ſchon gegenwärtiges, nicht als bloße Hoffnung, ſondern als unmittelbare Gewißheit. Sein ganzes Seyn iſt von dem Gedanken und den Kräfs ten der Ewigkeit getragen, fein ganzes Wefen vom Himm- lifchen durchdrungen; es if die volle Wahrheit und Wirklichkeit einer höhern Welt, die uns in ihm entgegen leuchtet, und wie er in feinem ganzen Leben Gott offen: bart, fo offenbart er eben damit auch die Ewigkeit. Fafr fen wir nun aber dieß mit dem früher Gefagten richtig zufammen, fo werben wir es auch weiter ald etwas ganz Natürliches zu betrachten haben, daß diefe Perfönlichkeit, welche fchon im irdifchen Daſeyn den Höhes und Mittels punkt menfhlicher Entwidelung bildet und fi ung ale das einigende Herz und Haupt der Menfchheit bewährt, nach ihrer vollen Verklärung durch Leiden und Tob, und nachdem auch für fie die Schranken des Srdifchen gefals fen, in einem höheren Dafeyn eine Stelle einnimmt, vers möge beren fie, über alles Menfchliche erhaben, body für die ganze höhere Entwidelung der Menfchheit von ber wirffamften Bebentung und das ſtets geiftesfräftige, le bendig fich bethätigende Haupt an dem großen Leibe der Durch fie gebildeten und in —— MWachsthume begriffenen Gemeiuſchaft iſt. Aus allem dieſem folgt nun aber u etwas fehr Entfcheidendes in Betreff derer, die durch ben Glauben

theologifhe Aphorismen. 169

(ebendig mit biefer Perfänlichkeit verbunden find. Trug nämlich Chriſtus feinem innerften Wefen nach das ewige Leben in fih, und ift der Glaube wirklich die Aneignung feines Geiſtes uud Lebens, die Hineinbildung feines We⸗ ſens in das unfrige, fo ergibt fidh von felbft, daß auch die mit ihm in wahre Lebensgemeinfchaft Getretenen deffelben unvergänglicyen Lebens theilhaftig find. In bies fem Sinne fagt er auch felbfi: ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten; und: ich will, daß, wo ich bin, auch die feyen, die du mir gegeben haft. Das letztere Wort it befonders bebeutfam. Zwifchen Chriftus und denen, die ihm wahrhaft angehören, findet eine fo innige Einis gung flat, daß er nicht zu denken ift ohne fie, fie nicht ohne ihn: er ift der Weinſtock, fie find die Neben, er das Haupt, fie die Glieder. Iſt nun Chriftus der Ewig⸗ lebende, fo find ed auch die ihm innerlichft @inverleibten ; iR dad Haupt ein ewig herrfchendes, fo fann ed auch die Glieder nicht verlieren, die es fidy einmal angeeignet bat. Zwar man könnte fagen: dad Haupt erhält immer nene Glieder, auch wenn ihm die alten dahin fchwinden, wie dem Baume im Frühlinge neue Blätter wachen, wenn er im Herbfie die alten verloren hat. Aber wie übers haupt auf dem geifligen Gebiete die Naturanalogieen nicht in ihrem ganzen Umfange anzuwenden find, fo zeigt fih dieß bier ald befonderd unpaflend, Schon ein himm⸗ liſches Haupt mit lauter bloß irdifchen Sliedern find zwei Dinge, die fich nicht zufammenreimen ; vollends aber ein ewig lebendes Haupt mit Gliedern, die immer wieder abfaßlen und vernichtet werden, {ft ein wahres Unding. So wenig man ben Begriff eines Tebendigen perfünlichen Gottes vollziehen Tann zufammen mit ber Borftelung von einem ewigen Dahinfchwinden der von ihm hervorgerus fenen menfchlichen Perfönlichkeiten, fo daß er als der einzig Lebendige über dem großen Keichenfelde der Menſch⸗ beit Ründe, eben fo wenig iſt der Glaube an einen wirt

170 Ullmann, theologifche Aphorismen.

lich Iebendigen Chriſtus vereinbar mit der Borftellung von dem ewigen Abiterben feiner Glieder; und wie man dort mit dem Glanben an perfönliche Fortdauer anch ben Glauben an den perfönlichen Gott, der die Liebe ift, aufs geben und fich der pantheiftifchen Lehre von einem zwi⸗ fhen Geburt und Tod raftlod wechfelnden Allleben in die Arme werfen muß: fo muß auch hier der ewig leben, dige Ehriftus fich erft in einen bloß dagewefenen, aber auch bis auf die gefchichtlichen Nachwirfungen gänzlich vorübergegangenen, alfo in einen im augfchließlichen und ganz depotenzirten Sinne hiftorifchen, verwandelt haben, ehe man bdiefelbe Bergänglichleit von feinen Gläubigen behaupten kann. Rein: entweder müffen wir mit ben Gläubigen auch Ehriftum der Vernichtung anheimfallend denken, oder, wenn wir dieß nicht vermögen, mit diefem auch jene ewig lebend; denn ie Lebeniögeftalt, die Chris ftud einmal in und gewonnen hat, kann eben fo wenig vergeben, al& er felbft; und wenn Ghriftus in der That des vollen Lebens aus Gott theilhaftig war, fo theilt ſich in ihm und durch ihn auch und das göttliche Leben mit; auch wir werden, wie ed die Schrift ausdrüdt, Theil: nehmer an der göttlichen Natur, auch in und wird dad göttliche Bild hergeftellt, und es ift ebenfo von ung, wie von ihm zu fagen, daß dieß Alles, was wir zufammen- faffen in dem Begriffe der gottdurchdrungenen und gott⸗ geeinigten Perfönlichkeit, nicht zerflört werden kann, weil ed feiner Natur nach ewig iſt. Daffelbe aber, was von den lebendigen Gliedern Ehrifti im Einzelnen gilt, dag gilt natürlich auch von feinem Leibe, der fich, ſtets wach⸗ fend, aus diefen Gliedern bildet und in ihnen entfaltet. Auch das Gottesreih, dad wir in feiner irdifchen Er- fheinung Kirche, Gemeinſchaft der Gläubigen, nennen, {ft nur zu denken als ein im höheren Dafeyn ſich voll fländig verflärendes, ale ein ewig fich vollendendes, an feinem lebendigen Haupte ſtets wachſendes.

Grimm, üb. d. Evangel. u. den erften Briefd. Joh. ꝛc. 171

2. Ueber das

Evangelium und den erflen Brief ded Johannes ald Werke Eined und deflelben Verfaſſers.

Bon

D. ®Bilibald Grimm, erbentlichem Honorarprofeſſor ber Theologie zu Jena.

Das Evangelium und der erfte Brief des Johannes ſtinmen bekanntlich fo fehr in Inhalt und Form über; “in, daß die Identität des Verfaſſers der beiden Schrif⸗ ten feither al& gweifellofe und entfchiebene Thatfache ges gelten, und Daher Anerfennung wie Beltreitung des apofolifch » johanneifchen Urfprunge immer auf beide Shriften fi bezogen hat. Ganz einfam landen Sam. Bettlieb Lange a) und der leipziger Theolog und Milofoph Weiße b) mit ihren Anfichten, indem jener ve Echtheit ded Evangeliums annahm, die des Briefes über begweifelte, während dieſer den apoftolifchen Ur⸗ Frung des Briefes zugeftand, den des Evangeliums aber, wenigſtens in Bezug auf deſſen erzählende Abfchnitte, leug⸗ tt, Dagegen hat neuerdings der tübinger Theolog daur und feine Schule unter den in unferem neuteflas arntlihen Kanon den Namen des Johannes tragenden

ı) Die Schriften des Johannes überfegt und erklärt (Reuſtrelitz und Beimar 1795-1797. 3 Bbe.). 3. Thl. ©. 4 ff.

b) Die evangeliſche Geſchichte kritiſch und philofophifch bearbeitet (Reipjig 1838). I. Bd. ©. 97.

172 Grimm

Schriften nur die Apofalypfe dem Apoftel diefed Namens vindicirt, dad Evangelium und die Briefe dagegen nicht nur demfelben abgefprochen, fondern auch ausdrüdlic verfchiedene Verfaſſer derfelben angenommen und den im Evangelium und dem erften Briefe niedergelegten Lehr. begriff für die unter dem reactionären Einflufle des Pan: linismus entfiandene helleniftifch »idealiftifche Verklärung des judens chriftlichen Realismus der Apokalypſe erklärt, dergeftalt, daß der erfte johanneifche Brief und das vierte Evangelium zwei verfchiedene Entwidelungsftadien jenes helleniſtiſch⸗ chriftlichen Idealismus in Kleinaſien darftel len follen. Schon ftlin, beffen „Rehrbegriff des Evan; geliumd und der Briefe des Sohannes und die verwand⸗ ten neuteftamentlichen Lehrbegriffe” (Berlin 1843) be Panntlich eine getreue Reproduction von Baur's Anſich⸗ ten über Inhalt und Charakter ber neuteflamentlichen Lehrbegriffe enthält, machte (S. 276 ff.) hinfichtlich ber Eichatologie zwifchen dem Evangelium und erften Briefe eine Scheidung, welche einen Jeden, der bie Discretiond fchleier zu lüften wußte, in welche der Berfaffer feine Anfichten über Urfprung und Abfaffungezeit der einzelnen neuteftamentlichen Schriften einzuhüllen für rathfam befun: den hatte, feinen Augenblid in Zweifel laffen konnte, daß bier die Meinung von zwei verfchiebenen Verfaffern im Hintergrunde lag. Diefe Meinung fprach auch wirklich bald darauf der Meifter der Schule a) offen und unum wunden aus, ohne aber für diefelbe einen anderen Grund anzuführen, als die Behauptung, daß ber Verfaffer des erften Briefed in Kap. 5, 6. Bönp und alum nicht im

a) Sn der Abhandlung: „Ueber die Gompofition und den Charakter bes johanneifhen Evangeliums.” In Zeller’s theologiſchen Sahrbücern. 8. Bd, (1844). 4. Heft. &. 666. Cine von mit verfaßte ausführliche Kritik diefer umfangreichen Abhandlung wird naͤchſtens in der neuen jena’fchen Eitteraturgeitung erſcheinen.

56.0. Evangelium umd den erflen Brief des Joh. ic. 173

Sinne ded Evangeliums (Kap. 19, 34.) gebrauche. Hoͤch⸗ iihR befremden muß ed, daß man gerade in demienigen Werke, welches die rüdhaltlofefte, detaillierte Eonftruction ver banr’fchen Theorie Über die Entmwidelung des Chris Renthums in ben zwei erftien Sahrhunderten und die Ein⸗ staung der litterarifchen Erzeugnifle jener Zeit, darunter andı der meiften neuteflamentlihen Schriften, in jenen vermeintlichen Entwidelungsgang enthält, id; meine Shwegler’8 „Nachapoſtoliſches Zeitalter in den Haupts. uementen feiner Entwidelung” (2 Bde. Tübingen 1846), sine Erörterung von Inhalt, Urfprung und Zwed der den Ramen des Johannes tragenden Briefe und folglich auch des Verhältniſſes des erften dieſer Briefe zum vier⸗ ten Evangelium vergebens ſucht. Dagegen hat ſich über den letzten Punkt ausführlicher, wenn auch keineswegs efhöpfend, der geiſtvollſte und gelehrteſte unter Baures Schulern, Herr D. Zeller, verbreitet a), Derſelbe bes jihnet die gewöhnliche Annahme ber Identität des Bers tafferö der beiden Schriften ald eine höchft prefäre, Die Ichulichleit in Sprache und Gedanken fey unlengbar, Inne aber aud Rahahmnng zu erklären feyn. „Auch vr zweite und dritte Brief des Johannes“, führt Herr Zeller fort, „haben viel Zohanneifches, und die unechten varlinifchen Briefe treffen mit den echten in Bielem zu, kmmen. Auch unter den platonifchen Werken befinden 6 mandhe, die nicht durchaus unplatonifch ausfehen und dech fchwerlich für echt platonifch zu halten find. Eu⸗ denus fchreibt um Weniges anders, ald Ariftoteles, ad Fichte’ 8 Kritik ift fo ganz in Kant's Geiſte, dag k nah ihrem Erfcheinen allgemein für ein Werk bes köteren gehalten wurde,” Nun die Gefchichte der hiſto⸗

%) Inder Abhandlung : „Die äußeren Zeugniffe über das Dafeyn und den Urfprung des vierten Evangelium”, in ben genannten Jahr⸗ büdern, 4, Bd. (1845). 4. Heft. S. 588 f.

174 SGrimm

riſchen Kritik auf dem Gebiete ber bibliſchen wie profanen

Litteratur lehrt allerdings, daß die Entfcheibung Über Echtheit und Unechtheit oft fehr fchwer if; und bie Wiſſenſchaft hätte fich in folchen Fällen wohl öfter, als es gefchehen ift, mit einem befcheidenen non liquet begnüs gem follen. Aber im Allgemeinen. läßt ſich Doch ein Kanon aufftellen, nämlid, der, daß, wenn bie Zahl der Abwei⸗ chungen in Sprade und Gedanken einer in Rebe fichen den Schrift das Berhältniß der Berwanbdtichaft über wiegt, wenn die Differenzen gar zu grell find, wenn fid wohl gar Mifverftändniffe von Ausdrüden und Geban ten der anerlannt echten Schriften desjenigen Berfaflerd, dem die zweifelhafte Schrift angehören will, finden, alsdaun aflerbinge voller Grund zum Verdachte der Rachahmung vorliegt. Iſt aber dad Berhältniß der Abweichung nar gering und läßt ſich daffelbe aus der Berfchiebenheit der Gemüthskimmung, der änßeren Umgebung, der Abfaf fungszeit, des Zwecks, oder aus veränderter Denkweile Eines und deſſelben Verfaflers hinreichend erklären, laſ⸗ fen ſich die anfcheinenden Differenzen ausgleichen, ale verſchiedene Schattirungen einer und berfelben Idee auf- faflen, oder auf verfchiedene Geſichtspunkte zurückführen, aus denen Ein und derfelbe Schrififteller die Sache ber trachten konnte, ſo würde, vorausgefeßt, daß keine Auße ren Gründe entgegenfiehen, die Folgerung der Unecht⸗ heit höchſt übereilt feyn. Wir wiflen nicht, nady welchem Maßſtabe Herr Zeller.in Feſtſtellung des Unterfchiedes von echten, zweifelhaften und unechten platonifchen Schrif ten verfährt. Sollte e& aber derfelbe feyn, nach welchem die baur’fche Schule in ihrer Beurtheilung der paulie nifhen Briefe zu Werke geht (wovon noch Einiges am Schluſſe diefer Abhandlung), dann freilich verliert Die biftorifche Kritik allen Halt und Boden. Aber mit Recht ift dieſes höchſt willkürliche und hyperffeptifche Berfah: ren ſchon mehrfach als kritiſcher Vandalismus bezeichnet

üb. d. Evangelium und dem erſten Brief des Joh.ꝛc. 175

worden. Was aber dad von Herren Zeller urgirte Berhältuiß der fichte’fchen Kritik der Offenbarung zu Kaurd Schriften betrifft, fo urtheilen Sachkundige ans ders. Ein mit Kant’s und Fichte’ & fchriftftellerifchen GFigenthämlichkeiten gleich fehr vertrauter Philofoph vers fcherte wir kürzlich, die Abweichung der fichte’fchen Kritik von Kants Schriften in Sprache und Darftellung ud bin und wieder auch in ben Gebanfen fey fo bedeu⸗ tend uud fo nnverlennbar, daß er die Aufnahme bed Verkes als Fant’fches Erzengniß fih nur aus der Gleichheit feines Titels „Kritif”, fo wie des Formates, Papiere, Drudes und Berlegerd mit Kant's Schriften wu erflären wiſſe. Um endlich unferer vorliegenden Frage süher zu kommen, fo ftehen der zweite und dritte johan⸗ neiſche Brief hinfichtlich der fprachlichen und einiger ans deren Eigenthümlichkeiten doch augenfcheiulidy in einem gan; auderen Berbältniffe zu dem vierten Evangelium, ald der erfte Brief, und felbft in diefen ihren Eigenthüm⸗ lichleiten möchte ich noch Leinen. zureichenden Grund fin» ven, fie den Berfafler ded Evangeliums abzufprechen. Doch Herr Zeller behauptet auch bedeutende Diffe vengen zwifchen dem erflen Briefe und dem Evangelium des Johannes ; er will fich jedoch anf das Dogmatifche beſchränken. Wir hoffen, er wird fich auf die nach fei: ır Meinung grellſten und augenfälligften Differenzen kihräntt haben. Gr bemerkt aber Folgendes: höchſt enffalend fey der Linterfchied beider Schriften in der kehre vom zufünftigen Bericht und vom heiligen Geifte. „Ler Brief redet (Rap. 2,18. 28. 3,2.) ausbrüdlich von er dsyden ago und einem zukünftigen Yavagndizwas &hriki umd keunt Namen und Begriff des dvrigguoros. Das Evangelium fpricht nicht bloß nirgends mit-diefer dchimmtheit von der äußeren Parufle und dem Welt, mde, fondern es löſt auch jene (Kap, 14, 3. 18 f. 23. I6, 16. 22.) deutlich genug in die Idee der inneren Pa⸗

176 Srimm

rufle durch ben heiligen Geift auf. Eben dieſes war aber dem Briefe nicht möglich, weil er die dem Evangelium eigenthämliche Beſtimmung bed Geiſtes ald eined Principe fortgehender Entwidelung, die Idee des Paraflet, nicht bat. Der Parafler it ihm Chriſtus (Kap. 2, 1.), den Geift kennt er noch nicht ale den dAlos zagdxäntos (Ev. 14, 16.), fondern erſt ald das zoisua (Kap. 2, 20. 27.), eine Betrachtungsweife, die, dem älteren Jubenchris ftenthbum geläufig e), dem vierten Evangelium abgeht. Damit hängt auch die Verfchiedenheit der Darftelung in

Joh. 19, 34. und 1 Joh. 5, 6. zufammen. Denn wäh

rend es in der erfteren Gtelle bad zuvsüue felbft ift, das als lebendiges Waller vom flerbenden Chriftus aus⸗ ftrömt, während ed alfo diefelbe Idee des Geiſtes, als des mit dem Tode Ehriſti von ihm ausgehenden Stell⸗ vertreters feiner perfönlichen Gegenwart, andfpricht, wie Joh. 16, T. u. and. St., fo erfcheint in dem Briefe Der Geiſt in dem äußerlichen Verhältniffe zu Chriſtus, daß er durch Taufe und Abendmahl von feiner Meflianität Zeugniß gibt. Diefe. Differenzen weifen darauf bin, daß ber Brief einer früheren dogmatifchen Entwidelungsform angehört, ale dad Evangelium, mag er nun von dem» felden ſalſo wird bier doch die Identität des Verfaſſers

a) Zur Grhärtung biefer Behauptung beruft fi Beller auf Schwegler's nadapoftolifches Zeitalter, I. Band. S. 104., wo aus den Stellen Apoftelgefch. 4, 27. (Inooſsc, d Ayıos mais Heov, 69 Exgıoe) und 10, 38. C’Insoug ov Eygıoe d Haöc avev- parı dylp nal duvaues) und aus bem Ausfpruche Trypho's bei Iustin. Dial. c. Tryph. c. 49, über bie chriftologifche Anficht ber Ebioniten (xal 2uol utv doxovcım ol Adyayrıs rüganor yeyovivaı avröv xal xar' duloyiv nezgieha: xai Xgıoror yeyovivaı zıdavoregov Alysım' ul ydg nuelg mdvreg Tor Xgıoröv üvdgnnon EE ardganns wgoadoxuper yarıacadar xal rön ’Hilav zoo as audrov 2IMovra, gefolgert wird, bie Be⸗ zeichnung der Ausrüftung mit bem heiligen Geifte durch zeiecdn: fey dem Ebionitismus eigenthuͤmlich gewefen.

üb, d. Evangelium und den erflen Brief des Joh. ꝛc. 177

wit dem bed Evangelinms ald möglich gefett!) oder einem anderen Berfafler wirklich früher gefchrieben, oder mag er dem Evangeliſten von einen Solchen nachgebildet wors den ſeyn, der fich feine eigenthümlichen Anfchaunngen nicht ganz anzueiguen vermochte” -

Ih traute meinen Augen kaum, im Borfichenben Dinge zu Differenzen geftempelt zu fehen, die vor dem mbefangenen Blide durchaus nicht als folche beftchen, ıder die fi Doch augenbliclich ausgleichen laffen. Nur ver Brief fol von einer Zoyden ge fprechen. Aber das Eyangelium kennt ja, was ganz daffelbe befagt, die Jayden iaige (Rap. 6,39. 40, 44. 54.); es hat bie Lehre von eier Inlihen Erwedung ber Todten und einem über fie zu baltenden Berichte durch Ehriſtum; vgl. Die eben angeführ: im Stellen und Rap, 5,28 f., welche Stellen Herr Zeller eh nicht etwa mit dem neueflen proteftantifchen Aus⸗ ga, Baumgarten» Erufinus, allegorifch erklären nid, So Etwas follte bei dem heutigen Stande der Eregefe nicht muche vorfommen. IR aber die orthobore Indlegung der genannten Stellen richtig, fo ift in ihnen direct auch. Die Borftelung von der fihtbaren Wieders haft Jeſu enthalten, denn ohne biefe Wiederkunft wäre uf dem Standpunkte des Urchriftenthums jene Erweckung vr Zodten und das über fie zu haltende Gericht nicht kaldar, Dat auch der Evangelift nichts über die Zeits sähe diefer Ereigniffe bemerkt, fo folgt daraus doch nicht, uf die Vorſtellung ihm fremd gewefen fey a). Gefegt da, der Evangelift hätte die fichtbare Wiederkunft Jeſu ht fo unmittelbar nahe gedacht, wie der Brieffteller, fo nirde das noch fein frigenter Beweis gegen bie Iden⸗

) Befonnener: äußert fih Köftlin a. a. D. S. 276: Im Evan⸗ gelium finde fich Leine Spur, daß das Ende der Dinge in der nähen Zukunft erwartet. würde, aber aud) „kein beſtimmter Beweis vom Gegentheile.” K

eol. Stud. Jahrg. 1847, 12

178 Grimm

kität des Berfafferd ber beiden Schriften ſeyn; berfelbe fönnte ia, wer weiß unter was für Einfläfen, feine Au⸗ ſicht geändert haben, wie manche Theologen, freilich mit großem Unrechte, vom Apoftel Paulus angenommen has ben, er rücke in feinen fpäteren Briefen bie ſichtbare Pa⸗ rufle des Herrn in weitere und unbeſtimmte Zeitferne hinand. Die Berkellung von einer doppelten Wieder⸗ kunft des Herrn aber, der fichtbaren und unſichtharen, der inneren und äußeren, enthält eben fo wenig- einen Widerſpruch als die Borfiellung von einer boppelten Lee, derjenigen, bie ſchon jet ummittelbar durch den Glauben an den Erlöfer vermittelt wird, und jener, bie den Gläu⸗ bigen er zur Zeit der Parufie zu Theil werben fol, oder von einer doppelten aplsıg, der inneren, jenem Pro: cefle der Sichtung zwiſchen Guten und Böfen, ben bas Evangelium gleih von feinem Eintritt in die Welt au vollzieht (Kap. 3, 18 ff. u. öft.), und dem abfchließenden änßeren Bericht am Ende der Tage (Kap. 5, 28 f.). Es hat ja auch Paulus, wenn auch nicht den AuUsdruck, ſo boch den Begriff der unfihtbaren Wiederfunft Jeſu in feiner Vorſtellung einer unfihtbaren Gegenwart Chriſti in den Bemütheru uud Herzen ber Gläubigen, Des Agsorög iv Haiv, und ber Wirkſamkeit des heiligen Gei⸗ fted in ihmen neben der Borfieluug von der fihtbaren Paruſie. Mit dieſer letzteren Borkellung hing aber nad jüdiſchem und ucchriftlichem Lehrbegriffe der Begriff Des Antichrifte fo eng zufammen, daß ed grenzenlofe Kühn; beit verraten würde, wenn man die Kenntmiß beflelben dem Evangeliften abfprechen wollte. Nirgends wäre eine argumentatio e silentio gemagter ald hier, da ſich Feine dringende und zwingende Beranlaffung zur Erwähnung des Antichriftd im Evangelium nachweifen läßt. Ohne» dieß iſt der Begriff des Antichriſts im erften johanneiſchen Briefe fo geiflig gehalten, daß es faſt fcheinen möchte, als habe fich ber Berfaffer denfelben gar wicht, wie Der

üb, d. Evangelium und den erflen Brief des Joh. ac. 179

Npofalgptifee oder wie der Apoftel Paulus im zweiten Briefe an die Cheffalonicher, als perfönliches Wefen, fondern tbeell, als die Spitze und als das Eollectioum ver dem Ehriſtenthume feindlichen Beflrebungen und Micte gebacht, gerade fo wie bei Johannes ber correlate Begriff ded Satan in ähnlicher Schwebe gehalten if wwifhen der Vorſtellung einer fabftantiellen oder perſoͤn⸗ lichen und einer bloß principielen Macht.

Eine andere Berfchiebenheit zwifchen dem Evangelium uud dem erfien Briefe liegt nach Heren Zeller’s Be hanptung in der Lehre beider Schriften vom heiligen Geiſte. Uber im Evangelium konnte ja der Geiſt ber. Natur der Sade nad erft für die Zukunft verheißen verden, für die Zeit feit dem Hingange des Herrn zum Bater. Nach dem Briefe foll er ſich in der Zeit der Eutfheidung als dasjenige Princip bewähren, als wel⸗ ches ihn im Evangelium ber Herr den Seinen verheißen batte, als dad Princip ber Wahrheit, folglich auch ber krlenutniß des wahrhaft Ehriſtlichen im Gegenſatze zur Frrlehre (Kap. 2, 20. 27). Was waltet da für ein Viderſpruch ob? Ob aber Jeſus und mit ihm ber Evans gelit den heiligen Geiſt ald Princip einer (doch wohl as Unendlihe?) fortgehenden Entwidelung, ohne heffaung anf irgend einen Abſchluß in der chriflichen krkenntniß, fich gebacht habe, läßt ſich durchane nicht mweifen und möchte mehr ald zweifelhaft feyn, Hätte Ha aber auch der Evangelift in diefer Eigenfchaft ge- ht, fe folgt daraus noch nicht, daß er ihn auch im Briefe Von diefer Seite habe darftellen müſſen. Es wäre Def ebenfalls eine ganz umberechtigte argumentatio e si- kstio, da der Briefſteller doch wohl fchwerlich eine er» Ihöpfende Entwidelung der Idee des heiligen Geiftes geben wollte, Rein unbegreiflich ift e& aber, wie Herr 3eller den Ausbrud supdsimzos als ſolchen ald Ber wihnung jenes Principes der fortgehenden Entwidelung

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faſſen und darin einen grellen Gegenſatz zur Bezeichnung bes heiligen Geiſtes als zoicne finden konnte. Beides find ja bildliche Ausdrücke. Mit zagdsinrog wird nach jetzt allgemein recipirter Erklaͤrung der heilige Geiſt ale (unfichtbarer geiftiger) Beiftand, mittel! zoiöpe aber ale Ausräftung und Befähigung Derer ber zeichnet, Denen er verliehen wird (nach 2 Sam. 16,13.). Keiner von beiden Ausdräden begeichnet an ſich ſchon eine einzelne beftimmte Function bes heiligen Geiſtes an den Seelen der Gläubigen. Statt „ber Bater wird endı ben Paraflet verleihen” (Evang. 14,16.) hätte der Evan gelift unbefchabet des Sinnes auch fagen können: „bet Bater wird euch mit bem heiligen Geifte falben”; und fkatt „ihr habt das zoisun” (1 Br. 2, 20.), ober „das zoisun lehrt euch” hätte der Briefſteller auch fagen koͤn⸗ nen: „ihr habt den Paralleten”, oder „ber Parakiet lehrt euh.” Grundfalfch ift aud die Behauptung, bie bild- lichen Ausbräde zoisur und xolsıv vom heiligen Geile und von der Ausrüſtung mit bemfelben feyen nur ben Indenchriſten eigenthümlich gewefen, denn 3 Kor. 1, 26. findet ſich yolsıv in demfelden Sinne Vgl. Meyer zu d. St.

Endlich fol noch zwifchen Evgl. 19,34. und 1 Brief 5,6, eine fchroffe Differenz ſtattfinden. In Erflärung ber leßteren Stelle weiht Hr. Zeller von Baur ab, in dem er Wolf's, Carpzov's mn. A, Erklärung de alu vom Abendmahle wieder aufnimmt, welche, ale längft verfchollen, um fo weniger einer ernenten Widerlegung bedarf, ald Hr. Zeller auch nicht die leifefte Miene! zu einer erneuten Begründung berfelben gemacht hat. Dar gegen unterliegt die jetzt immer gangbarer a) werdende Err

a) Unter ben neueflen Auslegern hat fi nur Baumgarten:

Srufius Ctheologifhe Auslegung ber johanneifchen Schriften,

ab, d. Evangelium unb den erſten Brief des Joh. ꝛc. 181

Härung, Jeſus fey ale Mefflas erfchienen und habe ſich als folcher bewährt durch bie in der Taufe und in feis sem Tode gefliftete Berföhnung, und ber h. Geiſt gebe die innere Gewißheit der Berfühuung, wohl kaum noch einem Zweifel, wie fie denn auch von Baur angenoms men werben iR. Dagegen tritt Hr, Zeller feinem Lehr see und Meiſter iu Erklärung von Evang. 19, 34. unbes dingt bei. Zum befieren Berfländniffe ded von Hr. Zel⸗ let Sefagten bemerken wir, daß nach Baur’s a) Anficht ver Evangeliſt in 19, 34. die Erfüllung der in Kap. 7, 38f. sügetbeilten Berheißung, Die durch den Tod des Herrn keingte Auſsſtrömung des heiligen Geiſtes, berichten will; dad heraudfließende Waller fol Symbol des heiligen Geiſtes, das Blut Symbol ded Todes Jeſu, die erzählte degebenheit aber reined Phantaflegebilde des Evangeliften ya. Gegen dieſe abfonderliche Erklärung erheben ſich aber die verfchiedenften Bedenken, Erſtens. Als Erfülr lung der Berheißung Chrifti in Kap. 7, 38 f. kann der Coangeift die „Sache fchon darum nicht haben barftellen nolen, weil dort dad Subject der Blanbende, in unferer Stelle dagegen der ſterbende Chriſtus if. Hätte er fie

2. Band. ©. 259.) für die Erklärung bes Hdag von der an Je⸗ ſut durch Johannes vollzgogenen Taufe entſchieden. Aber außer demjenigen, was ſchon Lüde (Bommentar über die Schriften des Johannes, S. 288.) und de Wette (ereg. Handb. zu Joh. 6. 266.) bemerkt haben, ftreitet gegen diefe Auslegung, daß von einer Begebenheit, wie die bei der Taufe Jeſu vorgefallene, bie sur buch ein hiſtoriſches Zeugniß, dasjenige Johannes des Ziufers, verbürgt war (Evang. 1, 82.), ſchwerlich gefagt wer- ben konnte, fie werbe durch den heiligen Geiſt bezeugt. Nur in eigenen inneren Erfahrungen vernimmt man Stimme und Zeugs niß des heiligen Geiſtes. So vergewiffert derfelbe die Glaͤu⸗ bigen auch nach Roͤm. 8, 16. f. Bal. 4, 6,, vergl. Röm. 5, 5., iſtet durch ben verföhnenden Tod Jeſu vermittelten VBerhältnifs ftö der Kindſchaft zu Bott.

i) Ju 3eller’s theol. Jahrb. 1844, &. 164 ff, und biefelbe Aufı feflung der Stelle bei Köftlin a, a. O. &, 207,

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aber auch abs folche haben darſtellen wollen, fo würde er wohl, sach der Analogie von Kap. 18, 9. zu fehließen, gefagt haben: xal sbdug 3EnAdov zorastol Ödarog &x vis wesllag adroö, va zAngmdi 6Abyos, Ov zizev. Zweitene. Die Erwähnung des Blutes wäre unnöthig, ja flörend geweien. Denn wenn das Wafler aus dem getödter ten Leibe floß, fo war damit von felbft ber Gedanke ver finnbildet, daß die Ausflrömung des Geiftes aus ber Derfon Jeſu durch deren Tod bedingt fey. Run aber wird das Blnt fogar zuerſt genanıt. Drittens. Wenn auch fonft der Geiſt und bad Geiftige unter dem Bilde eines Fluidums und bei Joh. 7,99. befkimmter unter bem Bilde des Waflers, fowie die Mittheilung bes Geiſtes anter dem Bilde einer Ausgießung oder Ausſtrömung oder einer Tränkung (zorigeode: zvsunarı, LXX. zu Ic. 29, 10. 1 Kor. 12, 13.) bargeftellt wird, fo wird bod nirgends das Wafler fo geradezu, ohne alle nähere Be ftimmung, ftatt des Geiſtes genannt. Wohl aber ift dal: felbe im Ev. Joh. 3, 5. geradezu Symbol der Taufe. So fehwierig nun aud die Stelle 19, 34. ift, burdı Baur’s Erklärung wird die Dunkelheit nicht verfcheucht. Es gehoͤrt eine fehr kühne Phantafle und ein flarfer Muth dazu, das Alles darin zu finden, was Baur hir: einlegt. Dem durch y&p vermittelten Zufammenhange des 36. Berfed unit dem Borhergehbenden zufolge lag zwar für den Evangeliften das Hauptmoment in dem Nichtzer brechen der Beine Jeſu und im Lanzenftiche fchon ale folchem, weil nach feiner Anficht beide Thatfachen im A. T. geweiflagt, folglich Merkmale der Meffinnität Jeſu war ren, Gleichwohl kann ihm das aus der geöffneten Seite Jeſu herausfließende Waffer und Blut nichts Gleichgül⸗ tiged gewefen feyn, wie Baumgarten» Erufius meint, denn fonft Hätte er fich mit der einfachen Erwäh⸗ nung des LanzenftichE begnügen können, ohne der Fluida zu gedenken. Daß er, wie man gemwöhnlid annimmt,

üb. d. Eoangelium unb den erflen Brief bes Joh. x. 183

rue anatomische und phyſtiologiſche Conftatirung ber Wirklichkeit des Todes Jeſu habe geben wollen, ift durch⸗ and unwahrfeheinlich, da in damaliger Zeit von ben Geg⸗ sera ded Chriſtenthums wohl bie Auferſtehung ef, nie» wald aber die Bohflänbigleit feines Todes geleugnet oder zweifelt wurde. Sonach bleibt allerdings nur die An⸗ sehe übrig, daß die Erinnerung des Evangeliſten =) um typologifchen Intereſſe beherrfcht geweſen fey, daß a in Bint und Wafler eine ſymboliſche Bedentung ge» legt habe. Es fragt ſich nur, welche? Daß es die von Saur angenommene unmöglich geweien feyn kann, has ben wir gefehen. Wie dunkel auch bie Stelle 1 Br. 5,6. iR, fie iſt Doch jedenfalls klarer, als die unfere. Was legt folglich näher, als biefelbe, in Gemäßheit des bes launten bermeneutifchen Srumbfaßes, bie dunkeln Stellen ed den klareren zu erklären, zur Aufbellung der unfes sch zu benugen, folglich nach dem Borgange ded Apol« linaris b), mit einigen Neueren, wie Weiße c), Sfrörer, Hafe, Blunt uud Wafler ald Symbole der

2) Denn als Augenzeugen unb als ben Apeftel Johannes fegen wir ven Berfafler voraus. Das Herausfließen von Wafler und But entzieht ſich Teineswegs fo fehr ber Borftellung, wie die Gegner des Evangeliums behaupten, fobald man fich nur die Sache in bervon Gfroͤrer (das Heiligthum und bie Wahrheit, ©. 335 ff.) oder Hafe (Leben Jeſu, S. 206. 8. Aufl.) vorgefchlagenen Auf- feffung denkt,

b) In dem befannten Fragmente bei Ruuth, Beliquiae sacrae 1. p. 151: das aus ber geftochenen Seite berausgefloffene Blut und Baffer fenen die beiden zudagsın geweien.

c) Evangel. Geſchichte, II. &. 829 ff. vergl. 1. S. 100 ff., nur daß Weiße die Stelle bes Briefs in ganz abfonberlidyer Deus tung als polemiſche Beziehung auf Gerinth foßt und aus einem Mifverfländniffe derfelben Seitens des von ihm angenommenen PMeudeiohannes bie Entftehung der Erzaͤhlung in Kap, 19, 34 ff. ju erfläcen fucht, auch alge faͤlſchlich zunädıft ale Symbol bes beitigen Abenbmahls, fomit nur mittelbar des Gühnopfertobes cuffaßt.

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durch Chriſtum geftifteten Berföhnung anfzufaflen, fo daß folglich jebe anfcheinende Differenz mit 1 Br.5, 6. beſei⸗ tigt wird? Mag eine ſolche typifche Deutung auch gegen unferen Gefchmad ſeyn, fie war nicht gegen ben Des Evangeliſten, ber ja auch in Kap. 9, T. feine Neigung beurfundet, in äußere Erfcheinungen typifche Beziehun⸗ gen anf bie Thatfachen ber Erlöfung zu legen. Taufe und Tod Sefn werden, aber audy in den zur Erflärung der beiden johanneifchen Ausſprüche noch nicht benutzten Stellen (Eph.5,25f. a), Hebr. 10, 22.) b) ale die beiden * Sühnungsmittel zufammen genannt, fowieinl Kor. 1, 13. ald die beiden Mittel, durch welche Ehriftuß die Gläͤubi⸗ gen als fein Eigenthum fich erworben habe. Daß in ber Stelle des Evangeliums das Blut, in ber bed Briefs da⸗ gegen das Wafler zuerſt genannt wird, kaun doch ſchwer⸗ lich ald Widerſpruch angefehen werben. Die Boraufs Relung des Waflerd war in der Briefftelle durch den Cwahrfcheinlich eine Beziehung auf Johannes ben Täufer enthaltenden) fleigernden Gegenſatz: odx dv ra Ddası ndvor, dir iv co Ddarı xal vo wveuuer, bedingt, Das Waffer fonnte aber auch voraufgeftellt werden, weil die Taufe das erfle äußere Moment in der Mittheilung und Aneig- nung des chriftlichen Heiles iſt; das Blut Dagegen, weil es fich in der Stelle des Evangeliums zunächſt vom Tode

a) Bel, Harle zu d. St.

b) Daß die Worte: ddhnrrıausro: Tag nagdlag amo ouwsönceng zovngüs, nicht die fittliche Beſſerung, fondern die Entfündigung durch den Opfertob Jeſu bezeichnen, unterliegt jegt Teinem Zwei⸗ fel mehr. al. Kap. 9, 18 f. 12, 24. Zu den Stellen, wo Taufe und Tod Jeſu als Sühnungemittel zufammengeftellt wer: ben, würbe au 1 Kor, 6, 11. gehören, wenn bie Deutung jysachee von der Weihe durch Suͤhnung (wie. Eph. 5, 26. Hebr. 9, 13.) völlig gefichert wäre. Aber aysabschus bezeichnet anderwärts auch bie fittliche Läuterung burdy Gottes heiligen Geiſt (1 Petr, 1, 2, vergl. 1 Theff. 5, 23.), fo daß ſich etwas Beflimmtes nicht wohl ausmachen läßt.

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4b. d. Evangelium und den erſten Brief des Joh. ꝛc. 185

Gefn handelte, oder weil der Verföhnnngstod bie objer, tive Bedingung des Segens der chriſtlichen Taufe iſt, oder auch, weil beim Herausfließen die Quantität des Olnted die des Waſſers Überwog. Ob dagegen dem Ber faffer zugleich auch der Gedanke an die Weihung der mefatfchen Religiomsanftalt durch Wafler und Blut cHebr. 9,19. 3 Moſ. 24, 5 f.) vorſchwebte, wie dieß Baum» garten:Erufius in Bezug auf die Stelle des Briefe behauptet, möchte mehr als zweifelhaft feyn, da Zohan» nes die beiden Neligionsanftalten fonft nirgends unter den in anderen neuteſtamentl. Schriften gangbaren Ger fhtöpuuft zweier Bündniffe mit Gott ftellt =).

Aus Vorſtehendem fieht man, daß Here Zeller in ver Scheidung des Evangeliums vom erften Briefe bee Johannes hinfichtlich ihres Urfprunge und Berfaflers san; nach denſelben willfürlichen Grundfägen verfahren iſt, welhe Banr und feine Schüler in der Kritik der panlinifchen Briefe befolgt haben, nuter denen fie bes lanntlich nur die Briefe an bie Römer, Galater und Jos rinther als völlig zweifellos panlinifche Werke anerken⸗ an, während fie die fämmtlichen übrigen Briefe eben [ viel verfchiebenen Berfaflern vindiciren, von denen jes der wieder ein befonderes Stadium der Entwidelung und Beiterbildung des urfprünglichen pauliniſchen Lehrbe⸗ griffs repräfentiren fol. Wollte aber die Schule confes quent ſeyn, fo müßte fie noch weiter gehen und auch uns ir den vier unangetaftet gelaffenen Briefen eine gleiche Sihtung vornehmen, fo daß zulegt vielleicht nur ein ein» nger als wirkliches Erzeugniß des Apofteld übrig bliebe. Bir wollen für dieſen Behuf nur auf einige Erſcheinun⸗ gm aufmerkſam machen, wie fie fich uns ohne weiteres Suchen eben barbieten, Im Briefe an die Galater wirb

a) Kuh 2 Moſ. 29, A. 21. kommen Waſſer und Blut als heilige Reinigungs» und Weihungsmittel nebeneinander vor,

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der leiblichen Auferfichung ber Menfchen und ber ſicht⸗ baren Wiederkunft Jeſn mit keinem Worte gedacht. Im Br. an die Römer (8, 39 ff.) huldigt der Verfaſſer der Borftellung von einer Verklärung der fihtbaren Schöpfung zur Zeit ber Parufie des Geren, während er 1 Kor. 15, wo er doch feine efhatologifchen Vorſtellungen ausführ⸗ licher entwidelt, davon ſchweigt. In NRöm.8, 11. wird der den Ehriften mitgetheilte heilige Geiſt zugleich ale phyſiſches, ben Leib durchdringendes und zu deſſen Auf erwedung und DBerllärung befähigendes Princip darge ftellt, worauf de Wette, Tholud u. 9, die Mei⸗ nung gegründet haben, Paulus denfe ſich die Auferwe dung als einen Proceß allmählicher Verklärung des Leibes von innen heraus, während nad) 1 Kor. 15, 52. die Auferwedung in einem Nu durch den Allmachtöruf Gottes erfolgen fol. Nah Bal. 3, 29. tft in der Gew meinfchaft mit Chrifius auch der Unterfchieb zwifchen Mann und Weib aufgehoben, während 1 Kor. 11, 3. bie Unterordnung des Weibed unter den Mann gelehrt wird. Es würbe und auch gar nicht fchwer falten, fprachliche Differenzen in den vier unangetaftet gelaflenen Briefen nachguwelfen, doch reicht für vorliegenden beſchränkten Zwei das in fachliher Beziehung Beigebrachte vollfons men aus.

Es wird alfo wohl auch in Zufunft dabei fein Ber wenden haben, dag Evangelium und erfter Brief dee Sohanned, mögen fie nun edyt und apoftolifch ſeyn ober nicht, ald Werke Eines und deflelben Verfaſſers gelten. Es kann fcheinen, als ſey vorftichende Widerlegung Zel ler’s kein beſonderes Verdienſt, und Hr. Zeller felber habe fie und gar zu leicht gemacht. Wir geben dieß zu, namentlid) das Zweite. Aber bei der Keckheit und Zur verfichtlichleit, mit welcher Baur und feine Schüler ihre Hypotheſen ald unumftößliche Refultate anzupreifen wil: fen, kann es nicht unintereffant feyn, in detaillirtem Ein

üb. b. Evangelium und ben erften Brief des Joh. zc. 187

gehen au einem recht eclatanten Beifpiele die Leichtfertig- fit ud Willkür diefer in weiteren Kreifen noch gar nicht binläuglich gefaunten und verfkandenen, geſchweige denn richtig gerwärdigten Kritik in ein recht helles Licht zu Rellen. Uebrigens if Referent am wenigfien gemeint, die vielfachen wiffenfchaftlichen Verdienſte Baur’s im Abrede zu ſtellen oder fchmälern zu wollen; man fan diefe mit Dank anerfennen, ohne damit die vielen Irr⸗ ange und unwiſſenſchaftlichen Auswächfe feines Principe der freien Forſchung gut zu heißen.

%

3.

Berfud,

die Bedeutung bes Wortes Up aus der Gefdichte der göttlichen Offenbarung zu beflimmen.

Son Paſtor Achelis in Groͤpelingen.

Su dem Jahre, ba der König Uſia ſtarb, ſahe ich den Herrn fißen auf einem fehr hohen und erhabenen ibrone und feine Schleppen fülleten den Tempel. Ges taphim fanden über ihm, ein jeder hatte ſechs Flügel; nit zween deckte er fein Angeficht und mit zween deckte er feine Füße und mit zween flog er. Und einer rief im anderen: heilig, heilig, heilig ift der Herr Zebaoth, die ganze Erde tft feiner Herrlichkeit voll. Und es ers bebeten die Grundfeſte der Schwellen und ber Tempel ward voll Ranched, Und ich ſprach: wehe mir, ich ver«

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ber leiblichen Auferfichung der Menfchen und ber ſicht⸗ baren Wiederkunft Jeſn mit keinem Worte gedacht. Im Br. an die Römer (8, 19 ff.) huldigt der Berfafler der Borftelung von einer Verklärung der fihtbaren Schöpfung zur Zeit ber Parufle ded Herren, während er 1 Kor. 15, wo er doch feine efchatologifchen Vorſtellungen ausführ⸗ licher entwidelt, davon ſchweigt. In Rom. 8,11. wird der den Chriften mitgetheilte heilige Geiſt zugleich ale phyſiſches, den Leib burchdringendes und zu beffen Auf» erwedung und Verklärung befähigended Princip darge⸗ fteßlt, worauf de Wette, Tholud u. 9. die Meir nung gegründet haben, Paulus denke ſich die Auferwer dung als einen Proceh allmählicher Berklärnng Des Leibed von innen heraus, während nad 1 Kor. 15, 52. die Auferwedung in einem Ru durch den Allmachtöruf Gottes erfolgen fol. Nah Gal. 3, 29. iſt in der Ge meinfchaft mit Chrifius auch der Unterfchieb zwifchen Mann und Weib aufgehoben, während 1 Kor. 11,3. die Unterordnung des Weibes unter den Mann gelehrt wird. Es wärbe und auch gar nicht fchwer fallen, fpradjliche Differenzen in ben vier unangetaftet gelaflenen Briefen nachzuweifen, doch reiche für vorliegenden befchräuften Zwei das in fachlicher Beziehung Beigebrachte vollkom⸗ men aus. Ä

Es wird alfo wohl auch in Zukunft dabei fein Bes wenden haben, daß Evangelium und erſter Brief des Sohanned, mögen fie nun echt und apoftolifch feyn oder nicht, ald Werke Eines und deſſelben Verfafferd gelten. Es kann fcheinen, ald ſey vorftehende Widerlegung 3 el- Ler’$ kein befonderes Verdienſt, und Hr. Zeller felber habe fie und gar zu leicht gemacht. Wir geben dieß zu, namentlich das Zweite. Aber bei der Keckheit und Zus verfichtlichkeit, mit welcher Baur und feine Schüler ihre Hppothefen ald unumfößliche Refultate anzupreifen wii: fen, kann es nicht unintereflant feyn, in detaillirtem Eins

üb. d. Evangelium und den erſten Brief des Joh. ꝛc. 187

gehen an einem recht eclatanten Beifpiele die Leichtfertigs feit und Willlür dieſer in weiteren Kreifen noch gar nicht binlänglich gefaunten und verſtandenen, gefdyweige denn richtig gewärdigten Kritit in ein recht helles Licht zu Relten. Uebrigens if Referent am wenigften gemeint, die vielfachen wiflenfchaftlichen Berbienfte Baur’s in Abrede zu ſtellen oder fchmälern zu wollen; man kamm diefe mit Dank anertennen, ohne damit die vielen Irr⸗ gaͤnge nud unwiffenfchaftlichen Answächfe feines Principe der freien Forſchung gut zu heißen.

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3.

Berfud, die Bebeutung des Wortes 7 aus der Geſchichte der göttlichen Offenbarung zu beflimmen.

Bon Paſtor Achelis in Groͤpelingen.

Sn dem Jahre, da der König Ufia ſtarb, ſahe ich dm Herrn fißen auf einem fehr hohen und erhabenen Throne und feine Schleppen fülleten den Tempel, Ges taphim fanden Über ihm, ein jeder hatte ſechs Flügel; mit zween deckte er fein Angeſicht und mit zween dedte er feine Füße und mit zween flog er. Und einer rief sum anderen: heilig, heilig, heilig ift der Herr Zebaoth, die ganze Erbe ift feiner Herrlichfeit vol. Und es er: bebeten die Grundfeſte der Schwellen und der Tempel ward voll Rauches. Und ich ſprach: wehe mir, ich vers

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188 Achelis

gehe, denn ich bin ein Menſch unreiner Lippen und wohne unter einem Bolle von unreinen Lippen, Denn meine Au: gen haben den König, den Herrn Zebaoth gefehen. Und es flog zu mir her einer der Seraphim und in feiner Dand eine glühende Kohle; mit der Zange nahm er fie vom Altar und berührete meinen Mund und fprady: fiehe, diefe berührete deine Lippen und fo ift deine Miffethat weggenommen und beine Sünde verfähnet.

Eine file, in fich große Offenbarung, wo der Tem pel zu Serufalem in dem Glanze ber Herrlichkeit Gottes erfcheint, wo der Herr einmal ben Himmel zerreißt unb feinen Snechten offenbart, wie einft die ganze Erde voll werben wirb feiner Herrlichkeit. In fih ſtill und groß ift diefe Offenbarung; Jeſaias fchauet den Herren nicht, wie 1000 mal1000 ihm dienen, 10,000 mal 10,000 vor ihm fiehen, er fieht nur die Seraphim; der Prophet fchanet Seine furdhtbaren äußeren Zeichen, wie einft vernommen wurden, da der Herr ſich auf dem Berge Sinai offen» barte, er hört nur den Lobgefang nnd doch bie Grund» fefte des Tempels erbeben, das Hand wird vol Rauch, der Knecht des Heren ift erfchüttert in allen Tiefen feines Weſens, er fühlt fich feiner Unreinigleit wegen wie dem Tode verfallen, Aber der Altar bes Herrn fteht da, mit einer glühenden Kohle defjelben wird des Propheten Lippe berührt, und er ift gereinigt, Furcht und Todesangkt ift von ihm genommen, wie angehaucdht, ja erfüllt mit neuer Lebenskraft, ſteht er freudig, getroft, felig da in feinem Gott; ald die Stimme tönt: wen fol ich fenden? Tann er freudig antworten: fiehe, bier bin ich, fende mid.

Männer, die alfo gewürdigt wurden, den Deren zu fhanen, in fo nahe Lebensgemeiufchaft mit Jehova zu treten, die hatten aus unmittelbarer Anfchauung und Les benderfahrung, was fie und nun als ein Zeugniß im Worte darlegen. Das Zeugniß it da, Gott fey Dank, es ift auch lebendig nnd kräftig. Uber je höher und tie-

über die Bedeutung des Wortes Up. 189

fer eine Lehre ik, deſto weniger läßt fie fih ganz in Buchſtaben faflen; es ift noch etwas ba in oder über dem Buchſtaben, der eigentliche Lebensodem; der muß empfunden werben, der muß unfer Innerfied als ein Handy bed Lebens berühren, fonft haben wir nur bie Hülle, die Form.

Achnlih, wenn ein großer Eomponift ein Werk ge fchrieben hat, fo fieht der, welcher feines Geiftes, feiner Fähigkeit ift, nicht nur die einzelnen Noten, fondern den Lebenshauch, der die Noten verbindet, der Zauber ber Harmonie, der fie trägt, wird von ihm empfunden, er». fannt; wer aber nicht fähig ift, den Geiſt des Compo⸗ niſten zu faflen, ber mag bie Noten einzeln lefen, er mag fogar einzelne Säbe mühfam produciren, ber eigentliche Gehalt des Werkes hat gute Ruhe,

Wir armen Menfchen find nun grob irbifche Natu⸗ ten, nicht wie zarte Saiten, bie von dem leifeften Hauche des göttlichen Geiſtes in Schwung geſetzt werden, nicht fo dis ponirt, daß wir, wo ein Wort des großen Poeten (zomeis) aller wahren und ewigen Harmonie und zum keſen gegeben wird, gleich in und mit bem Worte die ganze Fülle bes Lebens vernehmen könnten; es bleibt une fo leiht ein Wort, das wir buchftabiren, ein Rotenfaß, den wir nacdflümpern, es will fi und nicht ale Leben, nicht ald Harmonie himmlifcher Töne entfalten !

Darum hat fi) aber der Herr, unfer Bott, nicht fo ſehr in Lehre, ald in Gefchichte, nicht fo fehr in Wort u Buchſtabe, als in Thatfachen offenbart. Freilich Rt ım6 danun ein gefchriebened Zeugniß der großen Tha⸗ im Gottes gegeben, aber Gottes Weſen, Gottes Rath in Gefchichte, in Thatfachen dargelegt, dann iſt die Of⸗ fenbarung nicht zu vergleichen einer Muſik, in Roten ges fat, die und zum Lefen bargereicht wird, foudern wie hören das große Halleluja, wie es in mächtigen, ergreis fenden Orgeltönen an unfer Ohr und Herz fchlägt.

0 Achelis

Es ſollte viel mehr berückſichtigt werden, wie Gott gehandelt, wie er in der Geſchichte ſich feinem Volke of⸗ fenbart hat, wenn wir bad Weſen, die Eigenſchaften Got⸗ tes verfichen wollen. Rad langem Suchen, deu Be⸗ griff der Heiligkeit Gottes zu beftimmen, ſchien mie von der Gefchichte göttlicher Offenbarung aus ein helles Licht auf die Bedeutung dieſes Wortes zu fallen.

Es wurde früher der Begriff: Heiligkeit Sotted, von dem die Bedeutungen dieſes Wortes in anderer Bezie⸗ hung abzuleiten find, gefaßt ale innere Reinheit, Abges fchloffemheit gegen alled Sündige, Unreine, oder als die Eigenfchaft, nach welcher Gott himmelhoch über alle Bes ſchoͤpfe erhaben iſt. |

Quenstedt: summa in Deo puritas, munditiem et pu- ritatem debitam exigens a creaturis. Storr: quateäue na- tarse propter virtutes, quibus excellent, mague aestimatae, at comparantur ad Deum, omnes nihili sunt, divina natura vecstur saneta, hoc est, seiuncta ab omnibus allis et in- comparabilis sive eius sanctimonia spectatur, sive iustitie, sive potentia, eive alla quaeque perfeotio.

Buddaeus: quando Deus se ipsum amore purissime amere concipitur, ut simul ab omni imperfectione remotus, secretus, separatus censsatur, amor ille vocatur sanctitas. 7,94. Bengel wid; zuerft von diefer Begrifföbeflimmung ab ; wir wiffen aus feinem Briefwechſel, wie gewiſſenhaft, ja fehüchtern er dabei zu Werke ging. Illa autem praedicata, quae simul sumta conceptum Dei quidditatem exhauriunt, omaia uno nomiae VhTn contineri censeo, quo pacto hoc ipsum vocabulum, ubi Deo tribuitur, eingulariesimo utigue et foecundissimo pollere oportet siguificatu. De Deo ita- que, ubi scripturs nomen illud Um enunciat, statuo non denotare solam puritatem voluntatis, sed quidquid de Deo eognoscitur et quidquid insuper de illo, si se uberlus re- velare velit, oegnosci pessit, adeo ut voecabulum Sp ex impositione divine vere sit inexhaustae significationis. G.

über die Bedeutung bes Wortes dm. 191

Menten fagt inder Anleitung: „die Heiligkeit Gottes heißt nicht nur und uicht fo fehr die ganze unerreichbare Boll» fommenheit und Herrlichkeit Gotted, worin er über alle Bortrefflichkeit aller Gefchöpfe unendlich erhaben ift, ſon⸗ dern vielmehr wird dadurch Gottes herablaflende Gnade, Östtes ſich felbft erniedrigende Liebe ausgebrüdt. Hei⸗ ligleit Gottes bezeichnet in der Schrift den eigentlichen Charakter Gottes, den eigenthämlichen Charakter der göttlichen Liebe, ed drüdt die Demuth Gottes und die Selbfterntedrigung Gottes in Liebe aus.” Nach dem erfien Sage wäre in dem Worte „heilig,” won Bott ges brancht, noch mehr als bloß das Eine, die herablaflende Liebe Gottes, aber nad; dem folgenden Satze und der weitern Ausführung fcheint Menken doch allein die her- ablaffende Liebe Gottes darunter zu verftehen.

Menken bahnt, wie mir deucht, den Weg zum redh> tm Berfländniffe des Wortes, indem er fo recht deutlich und beſtimmt auf die Thatſachen hinweift, bei denen ſich Gott der Heilige nennt, fofern nämlich, als er ſich in Serael offenbart hat; er erinnert an die Gefchichte, wo fih Gott zuerſt bezeichnet als herrlich in Heiligkeit, da er nämlich Jorael erlöft, die Feinde vertilgt hat. Aber. ih glande, wir haben noch eine feftere und breitere hir ſtoriſche Baſis, auf welcher die Bedeutung des Wortes „heilig“ in der Schrift ruht; noch viel lebendiger iſt uns die Offenbarung der Heiligkeit Gottes in die Geſchichte verwebt.— Das Wort „heilig, Heiligkeit, heiligen” kommt in den Büchern Mofis, mit Ausnahme des Einen Aus⸗ druckes: Bott heiligte den Sabbath, gar nicht eher vor, als bis Die Offenbarung Gottes anden Saas nen Abraham's beginnt, ald bis der Herran- bebt, dieſes Geſchlecht zu feinem Eigenthume zu machen.

Es begegnet uns dieſes Wort, welches ſpäter der

192 Achelis

Träger wird aller Bezeichnungen des Verhältniſſes Ger hova's zu feinem Volke und des Volkes zu Jehova, in dem erſten Buche Moſis ganz und gar nicht (ed verſteht ſich von ſelbſt, daß Gen. 38, 21. hier nicht herge⸗ hört), ja ſolche Verhältniſſe, die ſpäter mit dieſem Worte regelmäßig bezeichnet werden, werden in anderer Weiſe audgedrüdt, Wenn ed zu Jakob's Zeitheißt (Ben. 35, 2.): reiniget ench und ändert euere Kleider, fo heißt es fpäter immer: heiliget end und ändert euere Kleider, heiliget euch unb reiniget euch (Ex. 19,10. und 14. 3of.3, 5. 7, 13. Lev. 16, 19. Rum. 11, 18. 1 Sam, 16,5. Sobald aber der Herr fein Werk unter Abraham’d Saamen beginnt, fobald er erfcheint ald der Bott, der den Saamen Abrar ham's fich zum Gigenthume erwählt bat, tritt dieſes Wort ein. Er. 3, 5., ald der Herr dem Moſes erfcheint, heißt ed: der Ort, darauf du fleheft, ift ein heiliges Land; es wird dieſes Wort von dem neuen Berhältniffe Israels zu Bott gebraudyt: heilige mir die Erſtgeburt (Er. 13, 2.). Diefed Wort tritt aber ganz marlirt, ganz in feiner Fülle, mit weldyer es fpäter dominirt, in dem Lobgefange Moſis nach ber Errettung Israels anf.

Der Lobgefang theilt ſich augenſcheinlich in Drei Theile: B.1—6. ift allgemeines Lob Gottes wegen des Geſchehenen, B.6—11. Schilderung ber That Gottes gegen bie Feinde, B,11—18. Schilderung des Berhältniffes Gottes gegen 36 rael. Der Anfang biefer zwei letzten Abfchnitte ift ganz gleihmäßig und doch wieder markiert verſchieden; B. 6. beginnt m>2 yın mm ya. Vers 11 beginnt: mm era en Sum nms m. Sehova hat ſich verherrlicht gegen die Keinde in Macht, gegen Israel in Heiligkeit. Wenn auch vom eilften Berfe an nody wohl gedacht wird deſſen, wad der Herr an den Feinden gethan bat, fo ift bier doch Alles in beftimmter Beziehung anf Israels Er: rettung bargefielt, ia ed wird gleich hier als das Ziel aller Wohlthaten Gottes genannt: der Herr wird fein

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über die Bedeutung bes Wortes CP. | 193

Voll pflanzen auf dem Berge feined Erbes, dem Orte, ben er zur Wohnung feiner Herrlichkeit erwählt hat, bas Heiigthum, das feine Hände bereitet haben. Es ift fehr gu beachten, daß hier, wo zuerft von der Heiligkeit Gottes die Rede ift, bei dem großen Acte: Jehova har an Volk mitten aus einem Volke gerettet, zugleich bie Bohnung feiner Heiligkeit, das Heiligthum ſelbſt genannt wird.

Gegen ben Begriff der Heiligkeit Gottes, der Erhas bene, Unermeßliche, der von allem Unreinen Gefchiebene, ſcheint die gefchichtliche Einführung des Wortes fchon zu ſprechen; dann müßte vielmehr Gott, der fich auf dem Sinai offenbart, der Heilige heißen, und biefe Stätte feis ne Offenbarung müßte der Ort, die Wohnung feiner Heiligkeit genannt werben. Indeß wird nie von Mofes der ih auf dem Sinai Offenbarende der Heilige ges aannt, nur einmal (Habak. 3, 3.) heißt es in der ganzen Schrift: der Heilige fam vom Gebirge Paran, welches wahrfcheinlich eine Schilderung der Geſetzgebung enthält; der Sinai wird nie in der Schrift der heilige genannt, es fey deun, daß Pf. 68, 18. fo zu nehmen wäre, wie kuther überfegt bat. Aber der Ort, wo Sehova ſich nun fort und fort unter Israel offenbaren will, die Wohnung ſeines Namens, die heißt das Heiligthum, fie ift die Stätte feiner Herrlichkeit.

Die Schrift felbft erklärt, weßhalb diefe Stätte das heiligthum genannt wird, weil nämlich Jehova bafelbft vehnen will. Mit dieſem Worte wird der Abfchnitt, wider von der Stiftöhütte handelt, eingeleitet. Er. 25,8: kt ſollen mir ein Heiligthum machen, daß Ich unter ihnen xohne, und noch deutlicher am Schlufle diefed Abſchnit⸗ tes (Er. 29, 45.): dafelbft will ich den Kindern Israel bes kannt werben und ed wird geheiligt werben durch meine Herrlichkeit. Und ich will die Hütte des Stifted und den Altar heiligen und Aaron und feine Söhne mir zu Prier

Theol. Stud. Jahrg. 1847. 13 _

1% Achelis

ſtern weihen, und will unter den Kinbern Israel wohnen nnd ihr Bott ſeyn. Und ſſe ſollen wiſ⸗ fen, daß ich ſey der Herr, ihr Gott, der ſie aus Urs gypten führte, daß th unter ihnen wohne, Sch der Herr, ihr Gott. Ebenſo redet der Prophet He fetiel von diefer biftorifchen Baſis aus Aber bie gufünf tige Offenbarung Gottes (37, 26—28.): ich will unit ihnen einen Bund bed Friedens machen, der fol ein ewiger Bund feyn mit ihnen, und will fie erhalten und mehren and mein Hetligthum fol nuter ihnen ſeyn ewiglich. Und ich will unter ihnen wohnen und wif ihre Gott ſeyn und fie ſolen mein Volk ſeyn, daB auch die Heiden follen er: fahren, daß ih der Herr bin, ber Sörael Heilig macht, wenn mein Heiligthum ewiglich umter ihnen feyawirb. Es iſt das Wohnen Gottes unter JIérael, was bie Hütte zum Deitigthume macht, Das Wohnen Gottes unter Js⸗ rael oder, wenn es noch Türger ansgebrädt wird, Jehova inter ihnen (Num. 11, 20, 14, 14. und 42. Deut. 6, 15. Joſuna 3, 10.) iſt der Vorzug Israels vor allen Völkern, infofern iR Israel ein Eigenthum Gottes, und Infofern nennt fi der Herr: ich bin Jehova, der euch heiliget. @r. 31, 18, ev. 20, 8. 21, 8. und an vielen anderen Stellen ſteht, ſtatt des fonftüblichen „ihr ſollt dieſes oder das thun, denn ich bin der Herr, euer Gott”, „ich Bin ber Herr, der euch heiliget,’”’ beides flieht coordinirt Lew, 20, 7-8: darum heiliget euch ımd feyb heilig, denn ich bin der Herr, ener Gott. Und halter meine Sabungen aub tyut fie, denn ich bin ber Herr, der euch heilige. Wie es unter Israel identifch galt: Jehova wohnet unter ung und wir follen heilig feyn, erheiit aus den Worden ber Unfrährer: ihre machet ed zu wiel, beim die ganze Ge⸗ meinde ift, fie alle find heilig und der Herr IR miter ih⸗ nen (Rum. 16, 3.). |

- &o, viel fcheint unwiderſprechlich gewiß, der Herr ift der Heilige in Israel, fofern er amter Israel eine Woh⸗

über bie Bedeutung bes Wortes Up. 195

zung ſich erwählt bat, Diefed Wohnen war aber bie äußere, fymbolifche Hülle des inneren, wahrbaftigen Ber» haͤltniſſes; es war freilich zugleich die typiſche Darſtel⸗ lung des zutünftigen..

Wäre ed nun Har, Bott iſt der Heilige, fofern er ſich Irael nähert, fofern er ſich in der Hätte bes Stif⸗ td offenbart, fo fragt fih weiter: wie bat Gott ſich denn bier offenbart?

Da. möchte uun freilich Maucher antworten: Jehova iR der Heilige in bem Sinne, fofern er bort im Dun⸗ fein wohnt, fofern Jsrael ausgefchloflen ik von feiner Gemeinſchaft, ber Hobepriefter nur im Amte nahen darf, and dan Doch als einer, der ed nicht werth tft, der es gewiſſermaßen nicht thut; denn er darf nur hineintreten mit dem Blute der Berföhnung für die eigne Sünde, er mmß mit dem Rauche des Räuchwerkes wie mit eimer Wolfe das Heiligthum verhüllen, damit er den Gnaden⸗ ſtuhl wicht fehe und ſterbe (Rev. 16,13.); man wirb daran erinnern, vom Heiligthume ging das verderbende Feuer ans, welches Nadab und Abichu verzehrte; ed war der eigentliche Schaf des Heiligthums, weldyer einft geſchaut wurde, die Lade des Bundes, und ed traf Israel eine große Plage, daB Israel ſprach: wer kann fliehen vor ſolchem heiligen Bott? Alles diefed möchte angeführt werden ald Beweis, Bott ift der Heilige als der, welcher abgefchleffen if von allem Unreinen, ein verzehrendes Feuer dem Sünder.

Aber diefer Schluß wäre doch voreilig, Wie? war denn dieſe Dffenbarung Gotted in der Gtiftöhätte bie gmwöhnliche, alttägliche, ging immer Berderben und Plage im der Wohnung Gottes aus, ober war das Tägliche derſöhnen, Helle, Friede⸗, Xrofigeben? War eb ägentlich” der Zweck der Gtiftöhütte und der Bundeslade, verzehrendes Feuer zu ſeyn, ober bewies fich der, der hier wohnt, nur fo an denen, bie feine Site muthwillig

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196 Achelis

verachteten? Wie? offenbarte ſich Bott hier als ber, welcher abgeſchloſſen iſt von aller Gemeinſchaft mit den Sündern, ein verzehrendes Feuer dem Unreinen, oder war vielmehr der ganze Dienft im Heiligthum, dazu eingefeßt, zu offenbaren, wie der Sünder mit Gott könne verföhnt, der Unreine gereinigt, der Berlorene gerettet werden?! Iſt nicht der ganze Gottesdienfi in der Hätte eine ſym⸗ bolifch = typifche Darſtellung, wie ber Menfch, der Erbe der Sünde und des Todes, mit Gott, dem Lebendigen, der Quelle des Lichtes und des Lebend, konne wieder in Berbindang und Gemeinfchaft gebracht werden? Frei lich, ed wird auch in der Hütte die negative Seite dar geitelt, daß ohne Berfühnung, ohne Mittheilung von Heil, Licht und Leben der Menfch ewig muß ausgefchlof: fen feyn von Gottes Rähe und Gemeinfchaft, aber die negative Seite wird doch nur dargeſtellt, damit die poſi⸗ tive, wie der Sünder verfühnt, gereinigt, geheiligt wer den Bönne, offenbar werde. Und man follte denken, die Wohnung Gottes, die gerade das Pofitive, die Verſöh—⸗ nung der Sünder, den Weg zur Gemeinfhaft Gottes, darfiellen fol, habe von ber Negation ihren Ramen; Heiligthum heiße die Stätte, wo Gott wohnt, wohin Niemand kommen kann, wovon alle fündige Menfchheit ausgefchloffen it; Jehova heiße der Heilige als ber, welcher hoch erhaben ift Über alles Menfchliche!

Wir müflen weiter bedenken, was vom Heiligthum ausging, wie fi) Gott, der Heilige, vom Heiligthum aus offenbart. Die Wohnung Gottes war die Stätte bed Zengnifjed und des Bundes, wie fie oft ausdrücklich genannt wird, fie war die Stätte der Nähe, der Mits theilung Gottes. In die Hütte ging Moſes, wenn er den Herren wollte fragen (Rum. 7,89.); die Bundeslade wird bezeichnet ald der Drt, von welchem Bott ihnen zeugen wolle (Er. 25, 22. 29. 42. Num. 17, 7.); die Hütte dee Stifte it der Ort, wo man das Augeficht Gottes ſuchen

über die Bedeutung des Wortes Üpr. 197

and ſiaden fol; Berföhnung, Reinigung, Aufnehmen in den Bund iſt die Bedeutung, der Zwed der Hütte und ibred Dienſtes; die Hütte des Stiftes ift der Ort, wo die Herrlichkeit des Herrn ericheint, bald in Onaden⸗ mähe, wie bei dem erſten Opfer, welches mit Feuer vom Himmel verzehrt wurde, wo alles Bolt frohlockend nieders Kel (fev. 9, 23—24.), bald erfcheint die Herrlichkeit des Herrn ald Zeuge und Richter wider ein ungehorfames Bolt (Rum. 14, 10—16. 19. 35.). In allen diefen Öffen- barungen aber bewies ſich Jehova ald der Ruhm Js⸗ raeld, daß felbft die Heiden mußten bekennen, welches große Volk ift, zu dem die Götter alfo nahe fich thun, als Jehova, unfer Gott, fo oft wir ihn anrufen (Deut. 4, 7.). Und fo möchte ih fagen: Gott ift der Heilige, wie er fi in Israel offenbart. Es läßt ſich aber diefe große Dffendarung fchwerlid in Ein Wort, in Einen Sa faflen, ed läßt fidh alfo auch der Begriff fchwerlich deſiniren; feine Grenzen find dad ganze Wert Gottes unter Israel. Der linterfchied von Bengel wäre dann: Heiligkeit Gottes bezeichnet nicht quidditas Dei, den abäs anaten Begriff Gotted an fich, fondern was Gott feinem Bolfe von fih offenbart hat. Freilihd war bie Hauptiumme des Thund Gotted Gnade und Erbarmen, Kommen als Heiland feines Volkes, aber dieſes war doch nicht das Einzige feines Kommend und Thun; darum kann auch nicht gefagt werben: . Heiligkeit ift feine kerablaflende Liebe. Es faßt unfer Begriff nicht die ganze Fülle des Wortes; ed würde fonft Israel nicht io ſich ausdrücken: wer kann fliehen vor folchem heiligen dort, und noch weniger Sofua: ihr könnet Gott nicht bienen, denn er ift ein heiliger Gott und ein eifriger Gott, der euere Miffethat nicht fchonen wird, Es bedarf hier wohl faum der Bemerkung, daß diefes Wort nicht den Begriff der Heiligkeit in fich fchließen müfle, abge» ſchloſſen feyn gegen alled Sündliche; hat Sofua doch ges fagt: ich und mein Haus wir wollen dem Herrn dienen,

198 Achelis

Freilich, weil Jehova der Heilige unter Jsrael iR, der Lebendige, der Nahe, der fich Mittheilende, daher muß in dem Menfchen, welchem er fich naht, ein fols cher Sinn feyn, der Gott aufnehmen kann; Jsrael mn ein Bolt ſeyn, das ſich feinem Bott ergibt, fonft ift das Kommen, die Nähe des Herrn fchredlich verberbend,

Diefer Bedeutung des Wortes Heiligkeit gemäß fin- den wir nun in ben Gebeten Israels den Namen der Heiligkeit Gottes ale etwas gar Frohes, Tröftliches und Seliged, worin ſich Alles concentrirt, was Israel von feinem Gott zu Ioben und zu preifen hat. So lefen wir 1 Sam. 2, 12: mein Herz iſt fröhlich in dem Herrn, mein Horn ift erhöhet in dem Herrn, mein Mund hat fi weit aufgethan wider meine Feinde, denn ich freue mid; deines Heild. Es ift Niemand heilig denn Der Herr; außer bir if Keiner und ift fein Hort ald unfer Gott. Pfalm 33, 20—21: unfere Seele harret auf ben

Herrn; er ift unfere Hülfe und Schild, Denn unfer Herz

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freuet ſich ſeiner und wir trauen auf ſeinen heiligen Na⸗ men. Pſalm 63, 526: ſinget Gott, lobſinget feinem Namen, machet Bahn dem, der in der Wüſte einhergehet, er heißet Herr, und freuet euch vor ihm. Der ein Vater

iſt der Waiſen, ein Richter der Wittwen, er iſt Gott in

feiner heiligen Wohnung. Pſalm 11, 22: fo danke ich dir auch mit Pfalterfpiel für beine Treue, mein Gott, ich Lobfinge dir auf der Harfen, du Heiliger in Israel. Pfalm 77, 14—16: Gott, dein Weg ift in Heiligkeit; wo

iſt ein fo mächtiger Gott, ald du biſt? Du bift der Gott,

der Wunder thut; bu haft deine Macht bewiefen unter den Völkern. Du haft dein Volk erlöfet mit deinem Arm, die Kinder Jakob und Joſeph. Pſalm 89, 16-19: wohl dem Bolfe, das jauchzen kann; Herr, fie werben über deinem Namen täglich fröhlich feyn und in deiner Gerech⸗ tigkeit herrlich feyn. Denn bu bift der Ruhm ihrer Stärfe und durch deine Gnade wirft du unfer Horn erhöhen.

über die Vebeutung des Wortes Up. 199

Denn der Herr if unfer Schild und der. Heilige in Js⸗ rael unfer König. Pfalm 103, 1—3: lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ift deu Namen feiner Hei⸗ ligleit, lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, wad.er Dir Gutes gethan hat; der dir alle beine Sün⸗ deu vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein leben vom Verderben erlöfet, der dich Frönet mit Gnade und Barmherzigkeit. Der Prophet Jeſaias, der Evans gelift des alten Teſtaments, gebraucht wohl nicht zuerft, aber mit bemerfungswerther Beftändigkeit den Ausdrud: der Heilige im Jérael, und er gebraucht denfelben fo, daß er allen Ruhm, allen Troft, alles Heil Seraeld in diefem Namen zufammenfaßt. Gef. 1, 4: o wehe des fündigen - Bolled, des Volkes won großer Miflethat, des boshaftis gen Saamend, der fhäblichen Kinder, die den Herren verlaflen, den Heiligen in Israel läftern, weichen zurüd. 12, 1-6: zu derfelben Zeit wirft du fagen: ich danke dir, Her, daß du zornig bift geweien über mich und dein Zorn fi gewendet bat und tröften mid. Siehe, Gott iR mein Heil, ich bin fiher und fürchte mid) nicht; denn Gett, der Herr, it meine Stärke und mein Pfalm und men Heil. Ihr werdet mit Freuden Wafler ſchöpfen aus dem Heilbrunnen und werdet fägen zu berfelben Zeit: baufet dem Herrn, prediget fein Thun, verfündiget, wie fin Name fo hoch it. Lobſinget dem Herren, denn er hat fich herrlich bewiefen; ſolches fey fand in allem Lande; jauchze und rühme, bu Einwohnerin zu Zion, denn ber Heilige Israels ift groß bei bir. 29, 18—19: und die’ Elenden werben wieder Freude haben am Herrn und bie Armen unter den Menfchen fröhlich feyn in dem Heilis sen Geraeld. 41, 14: fo fürchte bich nicht, du Würm⸗ lin Zalob, du armer Haufe Jsraels, ich helfe bir, (pricht der Herr, bein Erlöfer, der Heilige in Jsrael. #8, 17-18: fo fpricht der Herr, bein Erlöfer, der Hei⸗ lige in Iſsrael: ichbinder Herr, dein Gott, der dich Ich»

200 Achelis

ret, was nuͤtzlich iſt, und leitet: dich auf dem Wege, den du geheſt. O daß du auf meine Gebote merkteſt, ſo würde dein Friede ſeyn wie ein Waſſerſtrom und deine Gerechtigkeit wie Meereswellen. 49, T—8: fo ſpricht Jehova, Israels Erlöſer, ſein Heiliger, zu dem, deſſen Leben verachtet iſt, der dem Volke Abſchen einflößt, zum Knechte der Tyraunen: Könige werben ſehen und aufs ftehen, Fürften, bie werden niederfallen um Jehova's wils len, der treu ift, des Heiligen in Israel willen, der dich erwählete. So fpricht Jehova: zur Zeit der Gnade ers höre ich dich, u. f. w. Wahrlich Sehova ift der Heilige in Israel, weil er fich unter ihnen zu erfennen, zu erfah⸗ ren gibt, weil von ihm Licht, Heil‘, Leben audgeht auf fein Bolt, -— Daß aber hier nicht buchftäblich auf Die Wohnung, die Hütte, den Tempel verwiefen wird, dad hat feinen Grund in der ganzen prophetifchen Aufchaus ungöweife, in welcher ja des Tempels, des Dienſtes darin ſo ſelten gedacht wird. So bezeugt der Herr ja auch ſelbſt durch dieſen ſeinen Propheten: alſo ſpricht der Hohe und Erhabene, der ewiglich wohnet, des Na⸗ men heilig iſt: die Höhe und das Heiligthum bewohne ich in den Zerſchlagenen und Geiſtgedemüthigten, um zu beleben den Geiſt der Gedemüthigten, zu beleben das Herz der Zerſchlagenen. Und ſo hat Jeſaias ſelbſt den Heiligen Israels erfahren. Sa vor ihm, dem Nahen, Lebendigen, fühlt der Prophet feine ganze Unmwürbdigfeir, aber Gott offenbart fih als der, welder verföhnt, hei⸗ ligt, fo daß alle Furcht überwunden ift in der Lebens; gemeinfchaft mit dem Herrn.

Nach ber Bedeutung des Wortes „Heiligkeitꝰ, von Gott gebraucht, modificirt ſich die Bedeutung dieſes Wortes, wenn ed von Menſchen oder Sachen gebraucht wird. Das Wort „heilig, heiligen” ift dad Präbicat, durch welches das befondere Verhältniß Israels zu feinem Gott dars geftelt wird, (Er. 19, 6. 22, 31. 28, 2 und 4. 29, 6.

über die Bedeutung bes Wortes ip. 201

20, 35. Si, 14—15. 39, 30. 40, 9 und 18. ev. 10, 10, 11, 44-45. 19, 2. 20, 26. 21,6—8. n. ſ. w.) Man be kimmt gewöhnlich den Begriff fo: heiligen heißt abfon- dern von aller Berührung des Gemeinen, Irdifchen; man führt dafür Gtellen an wie Leo. 20, 26: darum follt ihr mir heilig feyn, denn ich, ber Herr, bin heilig, der each abgefondert hat von den Bölkern, daß ihr mein wäret. Es liegt allerbinge der Begriff des Abfonderne in diefem Worte, aber dieſes ift nur die Regation; bad . Dofitive ift, wie die eben angeführte Stelle ausdrücklich fagt: ihr ſollt mein ſeyn. Wäre Jehova ein Gedankenbild, wäre feine Erkennt⸗ zig und fein Dienft etwas von Menfchen Erdachtes, Er⸗ fandenes, dann könnte das dem Heren Heiligen nichts Anderes feyn, als ein Abfondern, Ausfcheiden, alfo etwas, was der Menfch thut; nun ift aber Jehova der Lebens dige, er wohnet unter Jsrael, er naher fic feinem Volke, er theilt fich mit; daher ift das Heiligen noch etwas ganz Anderes, ed it das Aufnehmen in feine Gemeinichaft, es it Theilhaftigwerden feines Lichtes und feines Lebens, So wird Dean auch viel öfterer gefagt: ich bin der Herr, der each heiliget, oder: id, bin ber Herr, euer Bott, ober: ich wohne unter ench, als es heißt: ſondert euch ab von ben Völkern. Go gleich bei dem Staatsgrundgeſetze (Er. 19, 4-6,): ihr habt gefehen, was id) den Aegyptern gethan habe, und wie ich euch getragen habe auf Ablersflügeln und habe cah zu mir gebracht. Werber ihr nun meiner Stimme zgehorchen nnd meinen Bund halten, fo folt ihr mein Eis genthum ſeyn vor allen Böltern, denn bie ganze Erbe ift sein. Und ſollt mir ein Königreich von Prieftern und ein beiliged Volk ſeyn. Lev. 11, 44— 45: denn ich bin der Herr, euer Gott, darum follt ihr euch heiligen, daß ihr beilig feyd, denn ich bin heilig. Und follt euere Seelen uiht verunreinigen an irgend einem Priechenden Thiere, dad anf Erden ſchleicht. Denn ich bin der Herr, ber euch

202 Achelis

ans Aegypten geführet hat, daß ich ener Bott ſey; Darm ſollt ihr heilig feyn, denn ich bin heilig. Lev. 19, 2.20, T—8, 22,32. Rum. 15,40. 16,57. Deut. 7,6. 28, 9-10, Deut. 236, 11-19.

Sp wird es audı parallel geſtellt, Bott heiligen nud ihn als den Raben, Wahrbaftigen, ald den Trof und Helfer Israels erkennen. Rum. 20,12: Darum, daß ihr nicht gehorfams gewefen feyb; darum, daß ihr mir nicht geglaubet habt, meinen Namen zu heiligen vor den Kindern Serael, folt ihre das Bell nicht in das Land bringeh. .

Wir wollen übrigens nicht lengnen, daß Orrp wit feinen Ableitungen zuweilen in weiterem Sinne gebraucht wird, überhaupt nur zu etwas abſondern; die äußerften Ausläns fer wären dan myıp, TR und Wınn (Gef. 16, 12.). Gchen wir etwas tiefer ein auf das Verbältuiß ber Delonomie des alten Teflamentö zu der des neuen Teſtaments, fo er» klaͤrt ſich andder Bedeutung ded Wortes „heilig” eine fonft fehr auffallende Exrfcheinung in dem Gebrauche diefed Wor⸗ ted, So oft und beflinnmt nämlich dem Volke Jsrael ges fagt wird: ihr ſollt ein heiliged Bolt ſeyn dem Heren, ihr follt heilige Leute feyn vor dem Herrn, fo felten kömmt dies ſes Prädicat von dem Volke oder von einem Einzelnen aus dem Volke in der Geſchichte vor, fo daß nun das Bolf oder die einzelne. Perſon in einem Zeitpuntte des gefchichts lihen Berlanfes als heilig bezeichnet würde. Das Wort „beilig” fteht freilich fehr oft in der Intherifchen Ueberſetzung ber Pſalmen, e6 findet fich aber im Hebräifchen dann immer, mit Ausnahme von Palm 16, 3. 34, 10. 89, 6—- 8. das Bert ron, Im neuen Teſtament ift dagegen die Heiligen, die Geheiligten, die ganz gewöhnliche Bezeich⸗ nung der Ghriften; fie werden fo angerebet, es wird vor» ausgeſetzt, fie find bie Heiligen (Röm. 1, 7. 8, 27. 12,13. "18, 25. 26. 81, 16, 2.15. Epheſ. 1, 1.15.18. 2, 19. 3, 8, 18, 4,12, 5,3, 6, 18. u. f. w.). 3a ed war bie Offenbarung

über die Bedeutung des Wortes vom. 203

Gottes in Jorael ein Kommen and Wohnen deö Herrn, ein Mittheilen, und doch blieb diefe Offenbarung Schatten und Bild, und der Weg ind Heiligthum war nod, nicht geoffenbart. Ehriftus aber tft der Hohepriefler der zu» fünftigen Güter, durch Ehriftum haben wir Freudigkeit und Zugang in dad Heilige. Im Ehrifto ift die Gnade und Wahrheit geworden, das Leben, das ewig ift, if erfchies nen, und fo werden denn mit Recht, Die Ehrifto angehös ten, die Heiligen genannt.

Mit der aufgeftellten Bedeutung des Wortes „heilig” von Menfchen oder Sachen gebraudt: mit Gott in Ges - meinfchaft getreten, feines Lichtes uud Lebens theilhaftig, ſtimmt auch ber Gebrauch dieſes Wortes, wenn bie Eugel heilig genannt werden (Matth. 25, 31. Luk. 9, 26.) nnd befonderd, wenn der Beilt Gottes, wie er den Menfchen gegeben, wie er in Ehrifto Aber alles Kleifch iſt ausgegoſ⸗ ſen, immer der heilige Geiſt genaunt wird.

Eine auffallende Erſcheinung im Gebrauche des Wor⸗ tes „beilig”” iſt noch folgende: fo oft dieſes Wort im alten Tetamente von Jehova gebrandht wird, fo felten kömmt daffelbe im neuen Teflamente von Gott gebrandt vor. Mit Ausnahme von 1 Petr. 1, 16., wo eine Stelle des alten Teftaments citirt wird, und Joh. 17, 7. und Offenb. 4,8, finder es ſich nicht im nenen Teftamente. Statt ber Bezeichnung Sehova, der Heilige Israels, welche Alles in ſich ſchließt, was Gott feinem Volke offenbart hatte, hat dad Volk des neuen Bundes den großen, lieblichen Nas men: Gott, der Bater unferes Herrn Jeſu Chriſti; dieſer Rame iſt rraprı des neuen Teftaments. Jeſaias, der Evans geliſt des alten Teſtaments, der vor allen Anderen zu itugen hatte von der Gnade und Wahrheit, die in Ehrifto werden follte, fah den Herrn fiten auf einem fehr hohen und erhabenen Throne und hörte den Gefang der Sera⸗ phim: heilig, heilig, heilig, if ber Herr Zebaoth, die ganze Erde iſt feiner Herrlichleit vol, und Johannes, der

204 Achelis

Prophet des neuen Teſtaments, dem Jeſus Chriſtus die Offenbarung kund machte, die er von ſeinem Vater em⸗ pfangen hatte, ſah ein ähnliches Geſicht und hörte daſ⸗ ſelbe zaisdyıov. „Danach ſahe ich und ſiehe, eine „Thür ward aufgethan im Himmel und die erfte Stimme, „die ich gehöret hatte mit mir reden ald eine Pofaune, „die fprach: fteig’ herauf, ich will Dir zeigen, was nad „dieſem gefchehen wird. Und alfobald war ich im Geifte. „Und fiehe, ein Stuhl ward gefeßt im Himmel und auf „dem Stuhl faß einer. Und der da faß, war gleih ans „zufehen ald der Stein Jaspis und Sardis, und ein „Regenbogen war um den Stuhl, gleich anzufehen wie „ein Smaragd. Und um den Stuhl waren 24 Stühle „und auf den Stühlen faßen 24 Neltefte, mit weißen „Kleidern angethan, und hatten auf ihren Häuptern güls „dene Kronen. Und von dem Stuhle gingen aus Blitze, „Donner und Stimmen und fieben Kadeln mit Feuer „brannten vor dem Stuhle, welches find die fieben Geis „ter Gottes. Und vor dem Stuhle war ein gläfern „Meer, gleidy dem Kryftall, und mitten im Stuhl und um „den Stuhl vier Lebendige voll Augen vorne und hinten. „Und das erfle Lebendige war gleich einem Löwen und „das andere Lebendige war gleich einem Kalbe und das „dritte hatte ein Angeficht wie ein Menſch und das vierte „Lebendige gleich einem fliegenden Adler. Uud ein jeg- „liches der Lebendigen hatte ſechs Flügel umber und waren s,inwendig vol Augen und hatten Feine Ruhe Tag und „Racht und fprachen: heilig, heilig, heilig-ift Gott, der Herr, „der Allmächtige, der da war und der da iſt und der da „kömmt. Und die vier Lebendigen gaben Preis und Ehre „und Dank dem, ber aufdem Stuhle faß, der da febet von „Ewigkeit zu Ewigfeit, und fielen nieder die 24 Aelteften „dor dem, derauf dem Stuhle faß, und beteten an den, der „da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, und warfen ihre Kro⸗ „nen vor den Stuhl und fprachen: Herr, du bift würdig

N

über die Bedeutung des Wortes Dr. 205

„zu schmen Preis und Ehre und Kraft; denu du haft „ale Dinge gefchaffen und durch deinen Willen haben „fie das Wefen und find gefchaffen” Gott ericheint bier als der, um deſſen Thron her ber Bogen der Gnade gefeßt if, Menfchentinder find die Nächſten um feinen Thron; die 24 Xelteften find offenbar Menfchen und fie haben Kronen auf ihren Hänptern, fie fiten auf Stübs in. Freilich ale das heilig, heilig, heilig erſchallet, iſt der Sefrönten Wort und Geberde dad Zeugniß der tief, Ren Demnth; aber die Offenbarung Gotted an ſich, ber Herr, der allmädıtige Gott, getragen von ben vier fer beudigen, umgeben von den 24 Aelteſten, ift Zeugniß von dem, der ſich nahet, ber in Gemeinfchaft getreten it, der aus feiner Lichtess und Lebensfülle mitgetheilt und fündige Menfchenkinder zu Erfilingen feiner Creatu⸗ ren gemacht hat. Biel mehr tritt diefed noch im fol» genden Kapitel, welches den zweiten Act diefed Geſich⸗ ted enthält, hervor. Das Lamm Gottes erfcheint mitten im Stuhle, wie ed erwürgt war; es nimmt das verſie⸗ gelte Buch, nun fingen die vier Lebendigen, die 24 Nels teftem das neue Lied: „du bift würdig zu nehmen das „Buch und aufzuthun feine Siegel, denn bu bilt erwürs „get uud haft und unfgen Bott erfauft mit deinen Blute „aus allerlei Geſchlecht und Zungen und Boll nnd Heis „den und haft und unferm Gott zu Königen und Prie⸗ „tern gemacht und wir werben Könige feyn auf Erben.” Da der Herr fein Werk an dem Saamen Abraham's⸗ ahebt, indem er es zu feinem Eigenthum erlauft, tritt dad Wort „‚heilig”, von Gott gebraucht, in die Bes ſhichte ein; wie ſich Bott feinem Volke naht in der hätte, fo heißt er der Heilige, die Stätte feiner Offen» barang trägt den Ramen Heiligthum; der Prophet, wels her vor allen der Bote des zukünftigen Heiles ift, ſchaut den Herrn, hört das Loblied der Seraphim, fchildert Bott ald den Heiligen in Israel; Jsrael fol ein heilig

206 Achelis, über die Bebeutung bes Wortes yup-

Volt ſeyn feinem Gott, beun Gott wohnet unter ihnen; als der Schatten vergangen, das wahre Wefen erfchie: nen it, da werben die Glieder des neuen Bundes bie Heiligen; Johannes, der Prophet des neuen Teſtaments, fhaut den Herrn als den Heiligen, er iſt getragen von ben Lebendigen, umgeben von ben 24 Aeltefien, Mens fchentinder Hund die Nächften au feinem Throne und all Greatur Gottes lobt ihn und das Lamm. Iſt da nicht die Heiligkeit Gottes in das ganze Wert Gottes verfloch⸗ ten und zwar ald ber Träger bed Ganzen? TR da midt die Heiligkeit Gottes die Sonne, und feine Güte, Treue, Gerechtigkeit nur bie eingelnen Strahlen?

Und gewiß bie heilige Gefchichte ift der Commentar su den Worten der göttlichen Offenbarung; was Gott von feinem Weſen bezeugt, wird uns erft verſtändlich, wenn es als Thatfache in bie Sefchichte tritt, wie es erft dann heißt: Gott ift geoffenbart im Kleifche, als der Eingeorne des Baterd, der Glanz feiner Herrlichkeit unb das Ebenbild feines Wefene, als eine geſchichtliche Derfon umter den Menſchen gewandelt hat.

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Kecenfionen

1:

Praftifcher Gommentar über die Propheten des alten Bundes mit eregetifchen und Pritifchen Anmerkungen von D. Kriedrih Wilhelm Earl Umbreit, Hamburg, bei Friedrich Perthes. 4 Bände, 1. Bd. Jeſaja 1842; 2, verb. und verm. Auflage 1846; 2. Bd. Jeremia 18425 3. Bd. Hefefiel 1843; 4. Bd. die Meinen Propheten 1844—1846 in 2 heilen,

2 diefer Commentar, dem ber Verf. nach mannich⸗ faltigen Borftudien fünf Sahre feines Lebens gewidmet, vollendet vorliegt, flieht fidy der Untergeichnete diefes Mal befonder® veranlaßt, von dem Mechte der Herausgeber dieſer Zeitfchrift, darin ihre Bücher felbft zur Anzeige zu bringen, wie diefes auch Nitzſch, Ullmann u. 9. bisweilen gethan, Gebrauch zu machen. Die theologis Iden Studien und Kritilen beginnen mit der Er⸗ (heinung gegenwärtigen Heftes ihren zwanzigften dahrgang. Da nun obiger Sommentar nad) dem theolos giſchen Charakter, der ihm eingeprägt ift, ber Richtung dieſer Zeitſchrift nicht zufällig angehört, fondern aus ihrem Geifte und Weſen recht eigentlich herausgewachfen iR,wie diefes auch bie Worte in der Vorrede (S. VIIL) iu erkennen geben, wo ed heißt: „Toll ich sucht meinen Theol. Sud, Jahrg. 1847,

210 Umbreit -

bogmatifchen Standpunkt bezeichnen, fo mag man ihn ben der theologifchen Studien und Kritifen vorläufig nennen”, fo wirb man ed nicht unpaffend finden, wenn ber Unter⸗ zeichnete als Mitherausgeber dieſes Journales und Ber: faſſer eines Werkes, das nicht bloß theologiſche Studien und Kritiken aufweiſt, ſondern in ſeiner beſondern Weiſe die theologiſchen Studien und Kritiken zu repräfentiren behauptet, dieſes Heft mit einer Selbſtanzeige derge⸗ ftalt bevorwortet, daß er nur daran erinnert, wie bad Anfehen feines Sommentares über die Propheten in Wirf- lichleit jenem voraus ‚gezeichneten Staubpunfte auf dem Grunde der theologifchen Studien und Kritiken ent fprehe. Dazu wird es nöthig feyn, jenen Grund von Neuem zu befichtigen und einen Rädblid auf die Eutfte- hung gegenwärtiger Zeitfchrift zu werfen, bie nun wohl die Probe glüdlich beftanden, daß fie Feine planlofe, ſon⸗ bern in der Entwidelung der neuen Theologie dieſes Sahrhunderts eine nothwendige geweien. Einige ſubjec⸗ tive Belenntniffe in Bezug auf das Verhältniß der beis ben Rebactoren der Zeitfchrift, weil fie Urfprung und Richtung derfelden erklären, wird man geflatten müſſen.

Die innere Geſchichte der Freundſchaft ber beiden Redactoren gehört nicht vor dad Publicum, obgleich ohne ihren reinsmenfchlichen Urfprung, der zunächſt gar nicht in einem gleichen theologifchen Syſteme bedingt war, die ‚theologifchen Studien und Kritifen ſchwerlich da feyn würden, wenigfiend gewiß nicht fo, wie fie jegt vorliegen. Als ich, von Göttingen nach Heidelberg berufen, im Herbfie 1830 mit Ullmann, der damals gerabe feine alademifche Laufbahn begommen, zufammentraf und feine erſte perfönliche Belanntfchaft machte, fand ih ihn mit der Ausarbeitung feiner Schrift, die Unechtieit des zweiten Briefes Petri zu erweifen, befchäftigt; ich brachte ihm meine eben frifch gedsudte Erklärung bed heben

prolt. Gommentar Ab. d. Propheten d. alt, Bund. ze. 211

kiedes mit. Wer mit oberflächlichem Blide die Außens feite der fchriftfielerifchen Erſtlingsverſuche der beiden Freunde betrachtet haben würde der linterzeichnete

hatte kurz vorher fchon deu Prediger Salomo für unecht

erllaͤrt —, möchte fchwerlich die „Sündlofigfeit Jeſu“ und „den Knecht Gottes“ im erften Hefte der Studien 1828 verausgefagt haben. Aber innerlich fah ed body andere und, Beide Freunde waren zwar als Kritifer von Eiſch⸗ beru in die litterärifche Welt eingeführt und ermunternd begrüßt worden, aber die negirende Kritik hatte in ihrem Herzen feine Wurzel. Ullmann hatte fchon feinen Bes ruf, mit ſelbſtforſchendem Blicke in die Quellen ber chriſt⸗ lien Kirhengefchichte zu dringen, in fi erfannt, und beſonders Neander trat ihm ale Führer entgegen. Als Zögling der heidelberger Univerfität hatte er bei Ere u⸗ jer den Tieffinn der Deutung der Symbole der Religios - am der alten Welt eingefogen, zu den Füßen von Daub Ehrfurcht vor dem Ernfte und der Macht der theologis ſchen Speculation gelernt und fich von dem milden Lichte der heiligen Myſtik des einzigen Abegg durchſtrahlen fen; in Schwarz war ihm das Bild eined demüthig⸗ frommen, befcheidenen Theologen und Menfchen vor Augen getreten. Aber unfer Freund hatte auch in Tüs bagen Audirt und dort den wohlgefügten Bau der eher: un Schugmauer um ben alten Supernaturalismus zu kenndern Belegenheit gehabt; der Srundfiein des Sy⸗ kemed, der firenge Infpirationsbegriff der Concordien⸗ formel mit feiner nnabweisbaren petitio principli, war ijn freilich fchon damals verbächtig geworden; während r dort theologifche Vorleſungen hörte, las er doch Shleiermacher, und ald er 1819 fich einen Sommer in Berlin anfhielt und diefem außerordentlihen Manne nahe kam, feine Predigten und Borlefungen hörte, dabei an Reanders wahrhaft neuem Leben, an feinem innigs Rommen und doch freien Sinne fich erquidte und mit .14 *

212 Umbreit

de Wette, dem eifrigen Lehrer mit dem „reinen und herrlichen Wahrheitsfinne und dem ernften und firengen theologifchen Charakter”, wie feinen Eollegen Schleier, macer in der Debication feines Lukas gezeichnet, ein feftes Freundfchaftsband knüpfte, da war der Bruch mit dem alten Supernaturaliömus unvermeidlich gefchehen. Sn demfelben Sonmer lebte der, welcher ein Jahr darauf fein Goflege und Freund werben follte, in Wien, wohin ihn bie Liebe zur perfifchen Litteratur und der unwiderftehlihde Drang nach der perfünlichen Belannts fchaft ihres geiftoollften Befördererds, von Hammer’s, des Verfaſſers „der fchönen Nebekünfte der Perfer” "ges trieben; er fchwelgte in dem Blüthendufte feiner beleben, den und belehrenden Freundfchaft, fchrieb auf der K. 8. Hofbibliothet einen Adfchnitt aus Mirchond's Ge fchichtswert ab, ſtudirte Menin ski's türkiſche Gram⸗ matik unter Leitung eines Armeniers und widmete die freien Stunden der reichen Natur und Kunſt der herr⸗ lichen Kaiſerſtadt. Von theologiſchen Studien und Kri⸗ tiken war damals nicht die Rede, ſondern von Hafis und Sadi, von Firdufi und Dſchami, aber ohne Theologie war er dennoch nicht; feine erfte eregetifche Schrift, die Ueberfegung und Erklärung des Predigers Salomo’d, die er zwar druden ließ, um ein Buch her» auszugeben, aber aus innerer Nöthigung feines Gemüthes verfaßte, war bereits erfchienen, und der Grundton jenes Buches: „Alles ifteitel unter der Sonne”, womit alle Theologie anfangen muß, wenn fie die Sonne nicht vers göttern fol, fondern über fie in den Himmel der Hinrmel hinaufdringen will, tönte ihm nie lebendiger, als in jener Zeit, wo ihn das Getöfe der großen Welt ummogte, wie er fich denn auch nie wieder fo proteftantifch sfti erbaute wie in jener Keinen Kirche, zu der Fein Glockengeläute rief. Will man ihn aber über fein bamaliges theologis ſches Glaubensbekenntniß eraminiren, fo bekennt er offen,

prakt. Sommentar üb. d. Propheten d. alt.Bund.ıc. 213

daß er von Göttingen den eihhorn’fchen Rationalis- mus mitgenommen, ohne daß fidy derfelbe aber in ihm confequent vollzogen gehabt hätte; er lag ihm im Kopfe, aber nicht im Herzen, dad einen lebendigen Gott nicht entbehren Fonnte und Wunder fuchte, wenn fie der Kopf beftreiten und wegleugnen wollte, Pſychologiſch merk würdig mag ed aber feyn, daß er diefed Syſtem, das eigentlih die Frömmigkeit an ihn gebradt, die Pietät gegen feinen berühmten Lehrer und väterlichen Freund, den liebendwürdigen Greis mit dem grauen Haupte, der faltenlofen Stirne und dem Elaren, harmlos blauen Auge, and das fchon in feiner Vaterftadt Gotha, wo es ihm zn: erſt'in der fchärfften und ehrwürdigſten Perfönlichkeit, in töffler, überwältigend entgegengetreten, gegen feinen berühmter Nachfolger D. Bretfchneider, als er bei ihm das Sandidateneramen beftand, rückhaltslos darlegte, während immer ein gewiffer Widerfpruch dagegen fich in feinem Geheimften und Innerſten regte. In diefem Zwies fpalte Teuschtete ihm auf dem Gebiete der Theologie ein Stern des Troſtes, der ihm in ber Verbindung der oriens talifchen und theologifchen Studien ein Leitftern wurbe; ed war Herder, der nie genug zu fchäßende und viels verfannte. Wenn er ihn lad, vergaß er die Wörter Ras tionalismus und Supernaturalidmud, die befonderd feit dem Harmfifchen Chefenftreit einem immer in die Oh⸗ ten gelten. Sah er auch in ihm den Gegenſatz nicht fcharf geang gelöft, und zerfloß ihm der unausweichbare Streit in einem orientalifchen Dufte, fo fah er doch zu einem Himmel vol heiliger Poefle empor und fchaute den Regen: bogen ber Berföhnung in fieben heiligen Karben glänzen. Als er von Wien nach Göttingen zurüdgefehrt war, trieb er vorzugsweiſe orientalifche Studien, ließ fein hohes Lieb draden und hielt in zwei Semeftern Borlefungen über bie falomonifhen Schriften und den Sefaja. In dieſem letz⸗ ten Sahre, wo er in Göttingen lebte, wurde er Durch einen

2114 Umbreit

ſeiner lauterſten und edelſten Freunde, der nicht Theolog, ſondern Juriſt war, aber von einem religisſen Tieffinn und Ernfte, wie er felten gefunden wird, Einen, von dem das Wort von Paten gilt, das fih auf Schubert bezieht: „Einen wahren Zrommen fand ih” feinen Namen nenne ich nicht geradezu, weil er ed nicht gerne fehen würde, aber er fleht im dritten Hefte der Studien des vorigen Jahrgangs gedrudt in die romantifche Schule zuerft eingeführt, da er den Namen Tiek in den Borlefungen von Bouterwek, bie er wegen ihrer feinen Abrundung fonft gerne befuchte, nicht ein einziges Mal hatte nennen hören. In dem mpflifhen Helldun, tel der grünen Waldeinſamkeit wollten ihm nun vollſends die weißen Wände des rationafiftifchen Lehrgebäudes nicht mehr gefallen, und er ward durch Die Poefle mehr in die Tiefe getrieben. Diefe Stimmung war auch für fein Leben entfcheidend, daß er den göttinger Wal, wo er in einem bereitö geficherten akademiſchen Berhältniffe die Erholungsgänge nadı der Arbeit behaglich hätte forts feten Tönnen, mit dem heidelberger Schlofle vertaufchte, das ihn, von einem romantifchen Lichte umlenchtet, uns wiberftehlich anzog, ald der Ruf nach der fchönften Unis verfität Deutſchlands an ihn erging. In diefer inneren Verfaffung langte er an dem Örte feitter neuen Beſtim⸗ mung an.-Er hatte für das erfle Semefter vorzugsweife Iinguiftifhe Borlefungen angekündigt; ale ibm aber Schloffer auf einem Spaziergange in feiner Weife zurief: „damit können Sie hier nichts ausrichten”, ents ſchloß er ſich noch nachträglich, nachdem dad Semeſter fhon begonnen, den Propheten Sefaja zu erflärem. Diefe äußere Anregung war entfcheidendb für feine innere beftimmtere Erfaffung der biblifch = orientalifchen, infonder; heit eregetifchen Richtung. Es wurde ihm bald Mar, daß der reine Drientalift, der den Weg von Kofegarten, Freitag u. 9. wählen wolle, den Koran eigentlich

prakt. Gommentar üb.d. Peopheten d. alt. Bund. ꝛtc. 215

mehr leſen mühe, als bas alte und neue Teſtament und dazu batte er zuviel Sinn für die Theologie, ber beſonders im Umgange mit feinem bald gefundenen Freuude genährt wurde. Als wir und fanden, flanden wir im Ganzen anf einem gleichen Standpunkte theologifcher Entwidelung und Betradytung ber Gegenwart. Er mochte, wenn man fo will, etwas fupernaturaliftifcher gefinnt feun, bei mir machten fi noch mehr zasionaliftifche Ele⸗ mente geltend, aber wir förderten und gegenfeitig und vertrugen und gut, weil wir nicht mit Worten flritten, fondern und gegenfeitig ind Herz fehen ließen. Darin aber waren wir einö, daß und weber Reinhard nod Nöhr helfen könne, obfchon wir auch darin uns voll⸗ fonmen verftanden, daß man: jede die wiflfenfchaftliche Sonfequenz perfoniftcirende Perſonlichkeit in ihrer Ehren⸗ haftigkeit müſſe gewähren laſſen, wie dieſe Geſinnung auch Ullmann bei einem ſpätern wichtigen und unan⸗ genehmen Vorfall in Halle, kurz nach ſeiner Berufung dahin, freimüthig und praktiſch bewieſen, und wie wir ihn kennen, können wir verſichern, daß er auch jetzt noch die damals veröffentlichte Schrift zum Schutze ber Ras tionaliſten auf dem Lehrfiuhle nicht verleugnet. Bir gingen indeflen unfern ruhigen Bang; er arbeitete ſtill au feinem Gregor von Nazianz, fein Freund verfenfte ih ganz in den Hiob. Indeſſen bewegte und Doch der voffifhscreuzerfche Streit gewaltig, benz er war uns yon dem philologifchen Gebiet auf das theologifche gerückt, Da erfhien Schleier mach er's Dogmatik bald darauf und fie brachte auch auf und beide eine Epoche wahende Wirkung hervor, die fortbauerte und fpäter vorzüglich zur Begründung der theologifchen Studien und Kritifen beitrug. Zwar hatten wir die Madıt bes gewaltigen Redners „über die Religion” fchon lebendig erfahren, aber bier num erſchien erft der religiöfe Geiſt m feinem ganzen und vollen ſpeciſiſch⸗chriſtlichen, ſchar⸗

»

216 Umbreit

fen Gepräge, und doch war und ein weiter, heller Raum gegönnt, des Vaters Haus mit vielen Wohnungen ; Peine Schuls und Kirchenformel that und in den Bann. Man hätte meinen ſollen, Schleiermacder, ben man Hers dern als dem Oſten wie den Welten in oberflädhlicher Betrachtung entgegenzufegen pflegt, hätte gerade auf mich, der ich vom Driente hergefommen und den Ber- faffer des „Geiſtes der hebräifchen Poefle” mit außer» ordentlicher Liebe umfaßte, Feine befondere Einwirkung äußern können, aber ed war nicht alfo. „Gottes ift der Orient und Gottes iſt der Dccident”, heißt es im Koran, und ih nahm Flügel der Morgenröthe und weilte am äußerfien Welten. Wie Herder und Schleiermader zufammengehören, wenn von dem Anfange und ber Zus fRandebringung einer neuen Theologie die Rede, die fidy weder von der Symboltheologie, noch von der Schul» philofophie die Norm will geben laſſen und body ihre chriſtliche Glaäubigkeit und poſitive Kirchlichkeit behauptet, darüber hat einft ſchon Lücke in feiner Hermeneutik (S. 75.) ein eben fo wahres ald ſchönes Wort gefagt. Die Ueberzeugung, daß fih eine folde Theologie, wie fie Herder prophetifch vorhergefehen und angebahnt, in Schleiermadher und Neander in die Erfüllung ges treten, auf dem gefammten Gebiete der hriftlichen Wiſſen⸗ fhaft in weiteren Kreifen immer mehr Geltung vers fhaffen müffe und einem dringend gefühlten Bebürfniffe beſonders des jüngeren und anwachſenden Geſchlechtes entgegenfomme, hatte ſich eben auf das lebhaftefte in ung gefleigert, ale der nun fellge Friedrich Perthed, ein Mann von feltenen Eigenfchaften, fromm von Herzen und Far von Blid, dem ich von früher her innigft bes freundet war und in den Herbfiferien 1825 in meiher Baterftadt Gotha, wohin er fi von Hamburg zurüds gezogen, einen Beſuch machte, mir den Antrag zur Her: ausgabe einer theologifchen Zeitfchrift, die er verlegen

prakt. Gommentar üb, d. Propheten d. alt. Bund. ꝛc. 217

wolle, ſtellte. Bei meiner Rückkehr nach Heidelberg ſetzte ich fogleich meinen Freund davon in Kenntniß, und wir befchloffen, den fchon früher öfter® befprochenen Plan, eine - theologifche Zeitfchrift gemeinfchaftlich herauszugeben, num in Ausführung zu bringen a). Aber dennoch trat wieder

a) Nach jener mündlichen Beſprechung erhielt ih von Perthes einen Brief vom 7. December 1825, ber den würbigen und bochverbienten Verleger der theol. Studien ſchoͤn charakteriſirt. Einige Hauptftellen ſey mir erlaubt bier mitzutheilen.

„Oft habe ich mich in diefer Zeit Ihrer erinnert, ba aus mebreren Gegenden des Vaterlandes mir verfciebine Kunde kam über bie immer fidy verflärkenden veligiöfen Regungen und Gtrebungen.”

„Mehr wie ie fcheint erfprießlich, daß ein Mittelpunft fich bilde, wo fi in Eröffnungen durch fromme, ernfte Gemüther die Zeichen bed Waltens goͤttlichen Geiftes in und durch den Zeitgeift fammeln, und hinwiederum durch Öffentliche Mittheilung ih weiter verbreiten.”

„Religion und Theologie dürfen nicht getrennt Teyn, das religiöfe Gefühl nicht von der Erkenntniß, der Glaube nicht von ber Wiſſenſchaft. Wer Drang zur Heiligung befigt, das Licht des Blaubens bat, der erkennt Gott. im Stillhalten

will ein folcher aber fein Licht nicht unter dem Gcheffel halten, fo muß er vermögen, es leuchten zu laflen in Klarheit der Gedanken und in echtem unb vollen Wiſſen. Wo alfo fi fammeln fol, was in ber Zeit zur Ausbreitung bes Reis ches Gottes gefhieht, da muß zur gebiegenen Weitermittheis Iung echte theologiiche Wiffenfchaft ihren Sig haben. Dieß ers fordert biefe unfere Zeit.”

„Die Gintheilung einer ſolchen Beitichrift ſcheint ſich von felbft anzugeben in Abhandlungen Krititen unb Anzeigen KRadyrichten.”

„Anonymität wäre webennbei ben Abhandlungen, Kritifen noch Rachrichten zu geftatten. Wer in bdiefer Zeit nicht den Muth bat, zur Ehre des Herren fich preiszugeben, ober nicht vers mag, durch den Eifer die Liebe durchdringen zu laflen, her bleibe von biefem Plage.”

„Parteiwefen fey verbannt; bie Worte: „wer nit wider mich ift, der ift für mid!” und: „habt Balz bei eud, und habt Frieden unter einander” Iheinen mir Alles auszufagen.”

218 breit

eine Berzögerung von einem ganzen Sabre ein, und erſt ale im Herbſte 1826 mid Perthes bei einer abermalis gen perfönlichen Inſammenkunft mit ibm von Neuem ermuntert batte, fchritten wir and Werl. Wir traten barüber mit gielchgefinnten Freunden in Bonn in Ber- bindung =), hatten im Frühling 1827 eine Zuſammen⸗ Bunft in Rüdesheim mit Lücke und Nitzſch und ſetzten daſelbſt Zweck und Titel der zu begründenden Zeitfchrift fe. Wie wenig wir im Sinne hatten, eine erciufive Richtung zu verfolgen, und wie wir im Geiſte des Mei⸗ ſters zu verfahren gedachten, ber einen Ruhm barein feste, Feine Schule im befchränkten Sinne gegründet zu baben, geht fchlagend daraus hervor, baß wir aud Gtefeler, der wahrhaftig kein Schleiermacherianer war, aber ein hiſtoriſch⸗ grünblicher Forſcher und unbefangen» tächtiger Theolog, zur Mitherausgabe aufforderten, was er auch freundlich annahm, ohne fi vor der Partei zu fürchten, die ihm zu fich rechnete. Dieſes ifl die Ent-

„Freilich bebarf ein Unternehmen, wie ich es meine, fehr umfidhtige Vorbereitung, und nichts darf übereilt werben, aber gewiß if’ dazu an ber Zeit, Es würde zur Redaction mehr wie eines Mannes bebürfen. NRugbar würde ich in mehr wie eines Hinſicht ſeyn können, da meine Stellung mir das Wer: trauen vieler wohlgefinnten Männer erworben bat.”

a) Als dieſe Verhandlungen mit ben Breunden in Bonn bereits angelnüpft waren, wäre ich aus ganz eigenthümlichen Gründen dem Unternehmen faft abtrünnig geworden. Aber Ullmann und die Bonner bielten mid fefl. Den Ausfchlag gab ein Brief von Lüde vom 8. März 1827, in bem mein Freund und eins fliger Lehrer in Göttingen (1815) fchreibt: „wir Tönnen Sie wegen bes altteftamentlidhen Faches nidht entbehren. Gerade Ihre Richtung darin entſpricht der Idee ber Zeitſchrift. Ich denke, wir geben uns Oſtern, in dem letzten Theile der Oſter⸗ ferien, ein Rendezwous am Rhein ober in Frankfurt und berathen die GSache genauer. Mündliche Verhandlung wird Sie dann noch mehr uͤberzeugen, daß wir Sie nicht entbehren koͤnnen und nicht Loslaffen dürfen.”

pralt. Gommentar üb. d. Propheten d. alt. Bund. 2c. 219

fiehungögefchichte ber theologifchen Studien und Kritiken, bei deren Darfielung, wenn fie eine innere und lebendige feyn foßlte, die Auselnauberfegung ber perfönlichen Ver⸗ hältniffe der beiden befreundeten Herausgeber unvermeids ih war, weil ans ihrem befonderen theologifchen Bil dungegange und ihrer inmigften Befreundung die Zeit, fchrift, fo “wie fie geworden, ſich nur erflären läßt,

Wir bringen dad vom 1. Juni 1827 datirte, von tüde abgefaßte und von fämmtlichen Herausgebern uns terfchriebene Ankündigungsprogramm denen, bie es vers geſſen haben, und denen, die noch gar nicht Fenuen, biermis im @rinnernng. Der Borfchlag ded gewählten Titels der Zeitfehrift ging von Ullmann ans, und es fhmebten ihm dabei die ehemaligen heidelberger Stu» dien von Danb und Erenzer vor, bie noch jeßt eis sen guten und ſchönen Klang in der Litteratur biefes Jahrhunderts haben.

„Diefe Zeitfchrift hat Seinen anderen Zwed, als theils der wohrhaft wiflenfchaftlichen Forſchung, theils ber als lein darauf beruhenden Kritil zu einem neuen Werkzeug und Förderungsmittel zn dienen. Die Herausgeber tragen feine Schen, fih zu dem einfachen biblifchen Ehri- Renthume zu befennen, daß fie daffelbe für das wahrhafs tige Wort und Heil Gottes halten. Allein eben deßhalb, weil fie in dem Evangelium dad Wort der ewigen Wahrs heit ſelbſt anerkennen, find fie feſt überzeugt, daß daſſelbe ald Licht und Leben zugleich nicht weniger unfere Er⸗ kenntniß und Wiffenfhaft, als unfern Glanben in Ans ſpruch nimmt, nnd bag, fo wenig es eine wahrhaft chrif- lie Theologie ohne chriftlihen Glauben geben kann, m fo fehr eine die edle Bottesgabe der Vernunft und Biffenfchaft verachtende Theologie ein Unding ift. Viel⸗ mehr halten wir dafür, daß zumal in der evangelifchen Kirche, welche nicht weniger durch freie Wiſſenſchaft ale Iebendigen Glauben geboren ift und befteht, alles wahre

220 Umbreit

Gedeihen der Theologie davon abhängt, daß fich Glaube und Wiſſen in ihr befreunden und einander Burchbringen, daß aber das wiflenfchaftliche Element nur in dem Maße fähig iſt, fich mit dem religiöfen innig zu verbinden, iu weichem ed, von allen äußeren Keffeln unabhängig, nur bem freien Gefete der Wahrheit gehorcht, nichts weni: ger fürchtet, ald die Höhen und Tiefen der Erfenntuiß, wenn auch durch Zweifel ber Weg dahin führen follte, nichts fo fehr aber fcheuet und flieht, ald auf der einen Seite die Knechtſchaft bed Buchftabend und aller falfchen Autorität, und auf der anderen die Ungebundenheit und Geſetzloſigkeit des ſchwärmeriſchen Geifted.”

„Durch dieſes offene Belenntnig glauben die Heraus⸗ geber ihr Unternehmen überhaupt bei allen denen recht⸗ fertigen zu können, weldye mit ihnen der Meinung find, daß es in Reiner Zeit, am wenigften aber in der unfrigen, der wahren Bermittelungen zu viele geben könne. Es mangelt in unferer Kirche nicht an theologifchen Zeitfchrifr ten, und faft müßten wir den Borwurf fürchten, daß wir die große Zahl derfelben unnüßer Weife vermehren: allein, wenn es auch jetzt felbft an folchen theologifchen Zeitfchriften nicht fehlt, welche mit der unfrigen im Als gemeinen denfelben Zwed haben, fo glauben wir doch, in ber und befaunt gewordenen Stimmung befreundeter Theologen Grund zu der Hoffnung zu finden, daß unfe rer Zeitfchrift, befonderd wegen mancher ihrer Eigenthüm⸗ lichfeiten neben den übrigen noch ein befcheidener Plat werde aufbehalten feyn.”

„Unfere Zeitfchrift will Feiner der geltenden‘ Parteien angehören, noch weniger darauf ausgehen, eine neue zu bilden. Vielmehr will fie, obgleich nicht ohne beftimmte Farbe und Charakter, vor allen Dingen beftrebt feyn, unter den Parteiungen der Zeit den freien Standpunkt zu gewin nen, worauf ed möglich ift, das Gute und Wahre der verfchiebenen Richtungen der neueren Theologie aufzu⸗

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prakt. Gommentar üb. d. Propheten. alt. Bund. ꝛc. 221

finden und zur Anerkenntniß zu bringen; ihr höchſtes Ziel und ihr innigfter Wunſch iſt, gleich weit entfernt von eflettifcher Berwirrung des Berfchiedenen, wie von ber Eitelleit willkürlicher Bermittelung, duch treues Kefthals ten an dem pofitiven Grunde in der heiligen Schrift, durch freie und gewiflenhafte, fo biftorifhe wie philo- fophifche Korfchung, fo wie durch Ansübung einer Kritik, welche unparteitfch eben fo befcheiden und demüthig, ale muthig und ernft dad Wahre und Gute, wo es ſich auch finde, anzuerfennen und zu benuten weiß, immer mehr Vereinigungspunfte unter den Streitenden audzumitteln, wodurch es der evangelifchen Kirche möglich wird, ber wahren lebendigen Einheit ihrer Theologie immer mehr beongt und froh zu werben. In Beziehung auf diefe offenherzige Darlegung des Zweded und Eharafterd uns ferer Zeitfchrift tragen wir fein Bedenken, alle diejenigen Theologen unferer Kirche zum Beitritte einzuladen, welche bei freiefter Mannichfaltigkeit ber Gaben und Anfichten fi in jenem theologifchen Brundbelenntniffe mit uns gerne vereinigen.”

Daß diefe Ankündigung der neuen Zeitfchrift befchets den gewefen und ohne vieled Geräufch und Gepolter in die Deffenslichkeit getreten, hätte ihr auch der Feind nicht abfprechen Fünnen, und daß das darin aufgeftellte Glan⸗ bensbekenntniß kein Pünftlich 'gemachtes, fondern ein in Vielee Herzen lebendiged war, dad bewies fogleich die rege Theilnahme der fich zu Beiträgen erbietenden älteren und jüngeren Theologen. Es wurden zwar hie und da die befannten Borwürfe von „Lnentfchiedenheit”, dienun, wie fie leer in fich waren, auch im Leeren verhallt find, vernommen, aber bie Zeitfchrift, die vor Allem Inder Wahrs beit wurzelte, trat frifch und frei in das Leben hinaus und bewies fehr bald, daß fie wohl wiſſe, Entfchiedenheit in behaupten, wo ed darauf ankomme, ihr Princip zu bethätigen: Glauben nicht ohne Wiffenfchaft, und Wifs

222 Umpbreit

fenfehaft nicht ohne Glauben, und, wie Schleiermar her eint Ullmann zugerufen, Studien nicht ohne Kris tiken, und Kritilen nicht ohne Studien, Schon in den erften Jahrgängen glänzten die Namen der berühmteften Theologen verfciebener Richtung, wenn diefe nur nicht in dem Wahne befangen waren, daß nur im Ertreme die Manrheit liege, aber befonderd das heranftrebende jün- gere Geſchlecht begrüßte Die neu geöffnete Bahn, fi aus⸗ zufprechen, zu verfuchen und zu bilden, mit freudiger und thätiger Theilnahme. Ja, das iſt ed vor Allem, was ben theologifchen Studien und Kritiken ihr Leben gefriftet und ihnen von Jahr zu Jahr eine immer ausgebehntere Ver⸗ dreitung gefichert, während anbere Zeitfchriften rechts und links bald wieder verfchwunben, wie fie gefommen, daß fie die alte Bundeslade nicht wieber neu machen, aber auch den neuen Tempel nicht in die Luft bauen wol» len und, in dem lebendig - biblifchen Glauben wurzeind und in dem Lichte der freien Wiſſenſchaft wachfend, fich einen jugendlidhen Charakter bie dahin bewahrt has ben, indem fie, immerfort in der Entwidelung begriffen, bad Endziel der neuen Theologie, die noch Feine fertige IR, redlich nnd aufrihtig ſuchen. So wuchs denn unfere Pflanze, begoffen von dem Gegen ded Himmels, gemährt von ben Kräften gläubiger Wiſſenſchaft in ihrer unverfiegbaren Fülle, gebeihlid empor und ward zu eis nem ſtarken, reich verzweigten Baume zwanzigjährigen Alters, der den Stürmen der Zeit bis jetzt getropt und noch nicht das Anfehen bat, daß er verborren werbe. Indem ‚der Unterzeichnete die günftige Gelegenheit ergriffen, an Geift und Weſen der theologifchen Studien und Krititen von Reuem zu erinnern, und dabei feinen eis genen Bildungsgang, der in die Gefchichte berfelben vers flochten, offen zu verzeichnen veranlaßt war, hat er den Beurtheilern feined Werfed über Die Propheten den Maßſtab in die Hand geben wollen, nach dem fie nur

prakt. Sommentar üb. d. Prophetend. alt. Bund. ıc. 223

alein gerecht und wahre über ihn richten können. Ge weit ihm Kritifen feines Commentared zur Kenutuiß ger tommen, hat er feine Urſache, fich Aber Ungerechtigkeit oder wohl gar Aber Boswilligkeit der Recenſenten zu bes ſchweren. Er tft ja überdieß fchon über die Jahre, we einen angehenden Schriftfteller, der fich erſt fein Lebeus⸗ verhältuiß zu gründen und feine wiflenfchaftliche Stellung in erobern hat, eine NRecenfion glüdlich oder unglücklich machen kounte, laͤngſt hinaus. Im Begentheile, man hat mit ermunternder Freundlichkeit dad Werk gleich beim Anfange feines Erfcheinend begrüßt und dem Verfafler Muth gegeben, es zu vollenden. indem er dieſes fagt, wird es nothwendig feyn, zu bemerken, daß er bei dem angefirengteften Bemühen, fich felbii kennen zu lernen, am wenigften die Eitelkeit in fich gefunden; er if dazu in ſtolz. Aber enträften kann ihn jeder ungerecdhte Tadel, ſey er gegen Andere, oder gegen ihn ſelbſt gerichtet, fo wie ihm das umgekehrte Urtheil das Gefühl einer hör beren Freude gibt. Daher nenut er hier befonderd zwei Ramen, die bei zwei von einem ganz verfchiebenen theologi⸗ hen Standpunkte ausgehenden Kritiken ehrenwerth unter, zeichnet ſind, Deligfh und Reuß, mit aufrichtigem Danke. Beide gründlich gebildete uud ernft forfchende Männer haben nicht von dem Berfafler geforbert, was er nicht leiſten wollte und konnte, fonbern fein Werk aus ſich ſelbſt kritiſch confiruirt, wodurch feine Tugenden und Fehler in ihrer wothwendigen Zufammengehörigkeit in das iht der gerechten Benrtheilung treten. Eine ſolche Res fon iſt freilich eine Kunft, eine fittliche und eine äſthe⸗ the; fie beruht auf ber Babe der Gelbfientäußeruug a Wahrheit und Liebe, wie fie einft Goethe in der Mußerrecenfion über die Gedichte von Voß bewiefen, Aber ein öffentliches Wort, das in der evangelifchen Kir, denzeitung den Commentar über bie Propheten gerichtet, möge um des Gegenſatzes und ber Sache willen hier ges

224 Umbreit

nauer befprochen werden, beſonders aber auch ans dem Grunde, weil ſich daran der aufgeftellte Sag, daß der Commentar aud dem Geifte der theologifchen Stw bien und Krititen hervorgegangen, in dem entſcheidend⸗

ſten concreten Kalle am einleuchtendften wird bewahrhei⸗ ten laſſen. Der Unterzeichnete wird diefes um fo cher thun dürfen, da, wer jene Beurtheilung gelefen, niht wird fagen können, daß der BVerfafler Lirfache gehabt, ſich perfönlich verlegt zu fühlen, denn er wird mit An Rand und Würde behandelt und ihm fogar das Lob zw gefprochen, „daß durch benfelben ein heilfamer Anftoß gegeben worden, welcher wohl geeignet gewefen, Manden . anf die arge Verwahrlofung des eigentlich theologifchen Elementes in der altteftamentlichen Exegeſe aufmerkfam zu machen.” Auch gehört er nicht zu den Gchreiern ded Tages, die die evangelifche Kirchenzeitung ald den theo Iogifhen Sündenbod, der in die Wüſte gefchickt werben müffe, zu ſchelten nicht aufhören, fondern er erkennt ihre Nothwendigkeit und ihren Werth in der Krifis unferer Zeit mit Freuden an, aber er kann deßhalb den Heraus geber nicht wie den Naſi im Tempel Heſekiel's be trachten. Der Unterzeichnete bat nie feine perfönliche Belanntfchaft gemacht und fleht auch in keiner brieflichen Berührung mit ihm, aber er erlaubt fich im Namen Bir ler, die ihn wahrlich nidht verbammen, aber auch gegen feine Fehler nicht blind find, den anfrichtig gemeinten Rath zu geben, das Beimort evangelifch recht genau anzufehen. So ift es jebenfalld nicht evangelifch, wenn der Recenfent am Schlufle aueruft: „möchte ed doch dem vgrehrten Verfafler unter Gottes Beiſtand immer mehr gelingen, frei zu werben von ben Feffeln des Zeit« geiftes!” Der Herausgeber ber evangelifchen Kirchen. zeitung liebt fonft Feine hohlen Redensarten und faßt bie Dinge und Berhältniffe fharf ins Auge. Was nennt er im Beſtimmteſten Zeitgeift in feiner Zeitung?

pralt. Sommentar üb. d. Propheten d. alt. Bund. ꝛc. 225

Doch wohl atheiftifched und pantheiftifches Belüfte, Re⸗ habikitation bed Fleiſches. Iſt davon in der Auslegung der Propheten nur irgend etwas zu verfpiren? Sm Gegentheile hätte der Necenfent mit Gerechtigkeit her⸗ vorkehren follen, daß in dem praltifchen Theile des Commentares der Berfafler feine Gelegenheit habe vor» übergehen laſſen, jenem Zeitgeifte mit Wacht entgegenzu⸗ treten, uns Den perfönlich sheiligen Gott, ber als Geiſt richtet alles Fleiſch und ein verzehrendes Feuer dem uns bußfertigen Sünder, aber ein befeligenbes Licht bem, der fih mit wahrer Reue befchrt, mit den Worten der Pros pheten wie mit eigenen in die Herzen bineinzubonnern. Und betrachten wir vor Allem unfere Ehriftologie: gibt fie etwa den jübifchen Meſſias, den weltlichen Kürften, den _ Helden des Krieges? Steige nicht mittelft der einfach, ken Erklärung des Tertes das himmlifche Bild des Fürs ken ded Friedens empor, des Gottesfohnes und Men- ſchenſohnes, deß Name Wunder, Rather, Gottheld, ewis ger Bater, der ein ſtets ſich mehrendes Reich der Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe gründet, das in unvergänglicher Herrlichkeit alle Bölker der Erde in ſich verſammelt? Und ift dieſer Sohn und Herr nicht auch Knecht Gottes, ſchuldlos leidend anftatt der Schuldigen und fein Leben bahingebend für die Sünder, rechtfertigend durch feine Gerechtigkeit Biele und erlöfend durch feinen Tod? IR diefer König and Jeſſe's Stamm, das Panier, nady dem die Heiden fragen, geboren nah Micha in dem Meinem Bethlehem, der Sproffe, der nah Saharja am und demüthig auf einem Eſel nach Ierufalem reitet, Hfhon er die Doppeltrone des Königthums und Hohen» prieſterthums trägt, und, von feinem Volke durchbohrt, dann aber unter dem bitterften Chränen der Rene bes trauert, feine Herrfchaft beginnt, vor der die Welt der widerfpenftigen Heiden in Ohnmacht niederfintt iſt diefer Meffias nicht Ehriſtus Jeſus? ae biftoe Toeol, Stud. Jahrg, 1847,

226 Umbei

wifch,e Chriſtus und habe: idh wich wicht. gegen die voetiſch⸗ pro phetiſ;e Shealifirung. auf das entichieheniie ausgeſprochen ? Hier kaun alfa der Anslegen uuuglic, „is den Feſſeln des Zeitgeiſtes“ Kegen. Die anugeliidhe Kirch erzeitung wuß alfo damit etwas Anderes weinen, was, auch nicht ſchwer zu ſinden iſt. Sie ſieht das Trug⸗ licht ohne; Zweifel: anf. dem Wege, mie der Ausleger zu jenem theelegifchen, und chriſtologiſchen Ergebniſſe ge komman iſt, in ſeiner wiſſenſchaftlichen Bexfahruugewaite; bier wittert fie: Ratianalismus. Was biegt mie as dem Ramen?-— Borläufig zugegeben, der Berfaffer den Chri⸗ Bolsgie,. deren Bedeutung. ex ſtets hochgeſchaͤtzt, wenn er ih, auch. gegem ihr, Grundprincip erftänen. mußte, wäre 3% dem Rogmatiich-cziflichen Refultate, in: dem mir beide eined fürd, anf ſunernaturaliſtiſchem Wege, des Verfaſſer des preftiſchen Gnmwmentares. üben die Propheten:auf war tionaliſtiſchem Wege, gelangt, ſollte man. fich darüber nicht eher freuen, ſtatt, darüber zu ſchelten, ſtuüͤnde deun nicht dieſes Refultat, quf daſ cin ja dach eigentlich ar. As Kimmt, deſto feſter, fo nacht. zur. Veſchämung cha des „Beitgeiflen” aber des Rationalismus, der üben bie Kinft, zwifchen dem alten: und neuen Teflumeute nicht inanötänsnt, weiß er: in jewem nun, einen meitlichen Meſ⸗ Bas und. keinen. leibenben Exlöfer füsdet; und in biefem bany ih wundern muß, wie Jeſus von Nazareth; zu, die⸗ fem. letzteren Begriffe gelangt. fen? Aber der. Weg, den der Unterzeichnete gegangen, iſt auch gay. nicht ber desſs Nationalismus, fo menig es fich dieſes Mutens fchär men würde, ben praktiſch⸗ tüchtige Ehriſten, die man an ihren Früchten, exfennt, getragen und woch tragen. Der Rationaliſt betrachtet die. Weiffagung als. eine Folge, um es recht fchlicht und einfach zu fagen, der Begeiſterung des. Seele; dena Gott if nach ber Eonfequenz feines Sy⸗ ſtems trandmundban, und was ber: Prophet Geiſt Bostes nennt, iſt nur ein. durch bie, Idee non Gott: geſteigertes,

prakt, Gommentar üb.d. Propheten d. alt. Bunb.ıc. 227

poetiſch erregtes Selbſtbewußtſeyn; bie Propheten find ehrwürdige Sittenichrer und Poeten. Aber das ik der Standpunkt bed Eommentares nicht, auch nicht der Schrift über den Knecht Gottes, wo fich ber Berfafler ber dies fen Punkt ſchon beſtimmt andgefprochen. Er braucht das Wort Begeifterung, weil es vielfach in der Welt als eine falſche Manze eurfirt, überhaupt nicht gerne, und wo es in feinen Propheten vorkommen mag, iſt ed entweber im emem anderen Sinne zu nehmen, ober e6 if dem Ver⸗ faſſer aus Anbequenung und Gewähnung entſchlüpft. Die Propheten find freilich Begeiſterte, oder, wie er lie: ber, um Mißverſtand zu vermeiden, fidyausbrüden möchte, Begeiftete, aber nicht durch und ans fich felbft, fon» dern wahrhaft, nicht in orientalifcher Redeweiſe, und wirklich Durch den Belt Botted. Aber der Geiſt Gottes, ber ſich ihnen mittheilt, erfaßt Me nicht dergeftalt, Daß er ihr individuelles Seld ſtbewußtſeyn gänzlich auslsſchte uud fie, fo zu ſagen, magiſch nöthigte, die feruften Dinge und zufälligften Ereigniffe zu wahrfagen, was bie Bes banptung der Ghrifiologie Hengfienberg’s if, ſon⸗ dern er ſchleßt Mich naturgemäß an die Denkgeſetze und Deufoperation der Schauenden an; bad Mebernatürliche, nit Schleiermacer zu reden, muß auch bier ein Ras türliches werden. Deßhalb finb wir weit entfernt, bie Seher, wie fie mit Recht genannt werben, an bie Logtt des refleetirenden Denkens zu feſſeln; in der Verbindung des Geiſtes Gottes mit dem Geiſte ber Propheten liegt ein mergrundliches Geheimniß, eine myſtiſche Tiefe, Die mmusfchöpfbar if. Aber da wir bei der Beurtheilung dieſes Punkted an die gegebenen Weiſſagungen gewielen ad, fo babe ich auch nidyt Eine finden koͤnnen, welche die PReiffagung zur Borherfagung im Sinne der heng⸗ ſtenbergiſchen Chriſtolsgie machte, und ich ſtimme über dad Berhäktwiß. ven Weiffagung und Vorherfagung im Wefenttichen mit Niufch im Spyſteme der chriſtlichen Lehre 15 *

228 Umbreit :

(5.9.9.5. Anfl.). Immer erfcheinen die Propheten, we fie in die Ferne blicken und hiftorifche Dinge verkünden, an die gefchichtlichen Bedingungen ber Gegenwart ger bunden, deren Horizont fie nicht gewaltfam durch⸗ brechen. Selbft die Verkündigung bed Meſſias bebarf in dem ganzen Bollgehalte, ber ihr eigen, ber ge fhichtlichen Entwickelung. Doc. was fireiten wir über biefen Punkt mit dem Berfafler der „Ehriftologie” 1829 —1835, da er jeßt feld befennt, „wie er damals nod wenig felbftändig in die Tiefen des A. T. eingedrungen”, nnd beim 22, Pfalme, in dem er nicht mehr eine directe und ausfchließliche Beziehung auf CEhriſtum, und nicht einmal eine typifchsmeffianifche Weiffaguug, fondern nur die ideale Perfon des Gerechten findet, ſich alfo erklärt: „denn wie David fein Bewußtſeyn zu dem feines Stam⸗ med erweitern Tonnte, dieß läßt fi [ehr gut den⸗ fen, nicht aber, ohne Störung des Seelenle⸗ bens, ein Ueberſchwanken von der eigenen Perſönlichkeit zu einer anderen.” Vgl. Sommentar über die Pſalmen, B.2.1843. 6.7, u. 8. Ebenſo heißt ed (S.323.) bei Pf. 49: „die in ber älteren Zeit fehr verbreitete direct meſſia⸗ nifche Erklärung des Pf. hat. in der Anführung von 2. 79, in Hebr. 10, 5 ff, nur ein fhwached Fundament, und Behauptungen, wie die im Anfange feiner Laufbahn von dem Verf. felbft aufgeſtellte: „ed ift keinem Zweifel unterworfen, daß derjenige, welcher die göttliche Auctor rität des Briefes an Die Hebräer anerkennt, ſich für die meflianifche Erklaͤrung entfcheiden muß,” verlieren bei ger wonnener tieferer Einficht in die Art und Weife, wie das N. X. und namentlich der Brief an die Hebräer die Aus⸗ prüche des A. X. handhabt, alle Bebentung.” Go wäre beun Herr D. Heugfienberg als Gommen tator der Pfalmen auf einen Standpunkt gekommen, auf bem ihm die Auctorität des Briefes an die Hebräer bei ber Erklärung bes 9. T. nichts gilt, ein Bekenntniß,

prakt. Gommentar üb. d. Propheten d. alt. Bund. ꝛc. 229

das bei der fpftematifchen Eonfequenz bed Berfaflers viel fagen wii und wenn er fidy auf den früheren Stand: punlt der Chriſtologie zuräd verfegt, fo muß der alte Nenſch feinen neuen „in den Feſſeln des Zeitgeifted” fehen. Aber wir fagen vielmehr: er hat ſich jeßt von ben Feſſeln des Zeitgeiftes, wo er die Ehriftologie ſchrieb, losgemacht, d. i. von den Fefleln ber dogmatifchen Vor⸗ ausſetzung und Befangenheit, und athmet freier, nicht „in den Feſſeln des Zeitgeiſtes,“ fonbern in der frifchen Les bendluft „Des Geiſtes der Zeit,” d. i. der fortfchreitenden, undefangen forfchenden Wiſſenſchaft. Aber irren wir nicht, ſo galt jener Vorwurf auch weniger der Auslegung der Propheten, als vielmehr der Kritik, bie der Gommens tater Abt, und hier flimmt er zu viel mit @efeniug, Hipig, Ewald u. A.; denn er behauptet noch immer, If. 40-66. ſey unecht. Bei biefer Behauptung muß er freilich auch jetzt noch beharren, und wahrlich nicht aus bogmatifchens Bornrtheile gegen dogmatiſches Vorurtheil, fondern ans kritiſcher Bewiffenhaftigkeit, und id; meine, Gewiſſenhaftigkeit müfle man vor Allem vom Chriften und Theologen fordern und, wenn man fie bei ihm finder, achten. Ans demfelben Grunde, wird man bemerken, ers fürt er mit Hengflenberg den zweiten Theil des Saharja für echt, und gewiß auch nicht aus dogma⸗ them Borurtheile, wie die Anslegung dieſes Propheten iigen wird. Geſetzt aber, Jeſ. 40-66. wäre doch echt, fo würde ich das mit Freuden, wenn man mid; über« zeugte, öffentlich anerfennen und meinen Irrthum einge, ſtehen; doch bis jetzt bin ich noch nicht überzeugt. Heng⸗ Renberg ſollte fi aber eher freuen, wenn ihm jebt ver Beweis der Unechtheit jenes Stückes geliefert würde; un wenn er confequent feyn will, fo muß er zugeben, „dag es ſich Doch auch nicht gut denken laſſe, wie Sefaja ohne Störung des Seelenlebens den Cyrus habe Fön» um gen Babel ziehen ſehen.“ Sollten diefe Erörte

230 Umbreit _

eungen, die aus Feiner Gereistheit gegen den hochge⸗ ſchätzten Herausgeber der evangeliſchen Kirchenzeitung gekommen, ihm gegenüber Aberflüffige geweſen ſeyn, nun fo muß er den gemachten Vorwurf auf ſich ſitzen laſſen und fich mit Männern tröften, beren ewige Berbieufte nur blinder Eifer fchmälern kann. Schleiermacher iſt dann auch „in den Feſſeln des Zeitgeifted” bie zu feinem Tode geblieben, aber er if in ihnen als frommer Chrift felig entichlafen. Aber dad, worauf ed nnd hier allein anlam, tft aus jenen Erörterungen hervorgegangen, baß der nene Eommentar über die Propheten aus ber Richtung der Theologie heruorgegangen, welche „bie theo⸗ logiſchen Studien und Kritilen” ind Leben gerufen, bie fi in dem Grundbelenntniffe bis diefen Tag behauptet haben: „treues Feſthalten an dem pofitiven Grunde ber heiligen Schrift, freie und gewiffenhafte, fo hiſtoriſche wie philoſophiſche Forſchung, Ausübung einer Kritif, welche unparteiifch eben fo befcheiden und demäthig, ale mu thig und ernft dad Wahre und Gute, wo es ſich aud finde, anzuerkennen und zu benntzen weiß.” Diefe feitige Anerfennung des Wahren und Guten, von wo es auch herfomme, ohne lnterfchied der Namen und Richtungen, meint der Verfaſſer befonbers in den eregetifchen und kris tifchen Anmerkungen zn ben Gommentare bewiefen zu haben. Es hat die Art und Weife feiner Befprechung mit anderen Auslegern und Krititern ihm aber eine Rüge in einer Zeitfchrift zugezogen, deren Herausgeber ihm ber freunder ift und der andy ans ber unfrigen Gelegenheit gehabt, zu erfahren, wie fehr er ihn zu fchägen wife; er meint Tholuck's Titterärifchen Anzeiger. Dort wird ihm in einer ausführlichen, geiftreichen Recenfion feines Sommentard Belomplimentirung ber verfchiedenen Gelehr⸗ ten vorgeworfen und bie Ermahnung gegeben, den Schein bed „lob' du mich, fo Lob? ich Dich,” ferne zu halten. Die fed Wort hat den Untergeichneten wehe gethan, weil es

prakt. Gommentar üb. d. Propletend. alt. Bund. ıc. 234

doch wenigſtens ach ben Sheikh einer ſſttlichen Auklage enthaft, und da v6 en Öffentliche WoA md nach dem innerfien nnd betigfien Bewußtfenn des Berf. unbegräms det iſt, fo kaun er eine öffentliche Erwiberung nicht zus radhalten, er will ed Aber mit dem Sengniffe eines Aus deren thun, zu dem er bis jett gar Tein yerfönlidhes Verhaͤltniß hat, der ihn aber gründlich erkannt; er meint eine Stelle in ber Recenfion von Delitz ſch in der berlis ner Zeitfchrift, auf Die er die Lefer getroſt verweiſen darf. Was kann wohlthuender ſeyn, Ald von eifteie Nanne, den man hoch achtet, verſtunden zu werben, nenn mau von einem anderen, wicht minder gefchäßten, ik ſei⸗ nen Innerfien Mefen gänzlich mißverſtanden wörben! Aber auch in wiſſenfſchaftlicher Beziehung hat es beit Verf. wehlgethen, von Delitz ſch in einem Hauptpunkre richtig anfgefaßt worden zu ſeyn; er betrifft das mehrfach falſch ges dentete Beiwort praktiſch,“ womit der Fommentar in ſeiner Eigenthimköckeit auf dem Titel bezeichnet wird. „Un bie Ue⸗ derſegung des prophetiſchen Textes ſchließt ſich eine zuſam⸗ menhähgende, den Sinn deſſelben entrofende Paraphraſe; die praktiſchen Bemerkangen, mit denen dieſe durchwebt iſt, zeigen, daß die prophetiſchen Schriften in Umbreit's Augen nicht bloß Denkmale des Alterthums ſind, Die man mittelſt les bendiger Bergegenwärtigung der Zeit ihres Entſtehens gu ent⸗ fern bat, ſondern zugleich ein ewig gültiges, nie vers ſſegendes Wort Gottes, weiches er in das Leben ber Gegenwart einzuführen und auf das innere Reben jedes Einzelnen anzuwenden bemüht tft.” Diefed Wort möge uud als Text zu einer weiteren Erötterung bieten.

* Der Titel bed Buches wurde gemacht, ald es des worden war, wie ed gleich ins erſten Theile fich gibr; m der That geworden“; denn die befondere Weiſe der megetifchen Behandlung der Propheten warb nicht ge facht und kluglich andgefonnen, fondern fle drang fich dem Verſaſſer nach dem Eindrucke, den die Propheten aufihn

232 Ambreit

ansübten, von ſelbſt auf; fie war ein unmittelbares Erzeng⸗

niß der vollen Hingebung inihren hohen und erhebenden Geiſt. Indem nun biefer Iebendige Beift mitber ergreifenden Gewalt „feiner ewigen Wahrheitden Ansleger erfüllte, blieb ihm freis lich dad Wort. ded Propheten nicht als ein fremdes -branpen fieben, ed warb ihm vielmehr ein inwendiges, das zu einer Auslegung trieb, die von der Einigung zeugte und fih in der Bezeugung diefer Durchbrungenheit frei ges ben und gewähren ließ. So warb ihm der hebräifche Tert das gerade Gegentheil von einer Infchrift des Al⸗ terthums, etwa -einer phönicifchen, die man erllärt. Ale ihm nun die Auslegung, wie von ſelbſt entſtanden, in Dies fer Geſtalt vor Augen lag und er fie reflectirend betrach⸗ tete, ward er der lieberzeugung, daß fie bei ihrer Ver⸗ öffentlihung nügen könne, um befonderd jüngere, em⸗ Yfängliche, noch vorurtheilöfreie Gemüther mit deu altem Propheten, die vor dem Lärme der neuen ſchwer zu Worte kommen Lönnen, zu befreunden. Aber wie follte er den Sommentar' nennen und unter welchem Titel ind Publi⸗ cum einführen? Das Kind mußte doch einen Ramen has ben. Bloß philologifchskritifch war der Kommentar nicht, obfhon er aus einer felbitändigen philologifchen For⸗ fchung. hervorgegangen und jahrelange linguiftifche Bes fchäftigung mit dem altteftamentlihen Grundterte voraus⸗ feßte; nicht die Hülle und Form des Worte war Gegen⸗ fand. der Behandlung, fonbern der darin enthaltende Ge» danke, aber auch diefer nicht in ber gewöhnlichen Weiſe ber Erklärung, wie etwa in dem Commentare von Ger

fenius über Jeſaja, daß der Commentator feine Auf⸗

gabe gelöft, wenn er den Sinn deutlich gemacht, wobei es ibm gleichgültig, ob er ihm eine Wahrheit. fey, fondern

ed ſprach fich der lebendigſte Autheil an der felbft erfah⸗

renen Wahrheit bed Gedankens aus, und der unanfhalte

bare Drang, ihn in das volle Richt feiner ewigen. Gültigkeit zu Rellen. Wie folte der Verf. nun diefe. Ei⸗

proit, Sommentarüb.d. Prophetend. alt. Bund, ıc. 233

genfchaft des Commentars bezeichnen? Theologiſch? Aber auch der vorberrfchend philologifche Sommentarüber bie Propheten wird fi) des Anfpruche nicht begeben, daß er doch auch immer eintheologifcher fey, nicht minder and einem theelogifchen Intereſſe entfianden nnd. der Theolo⸗ gie dienen wolle. Aber vorzugsweiſe theologifcd? So etwas läßt fih doch auf kein Titelblatt ſetzen. Bibliſch? Aber auch biblifch if jeder, obſchon dieſe Bezeichnung dem einen mehr eignet, ald dem andesen, je sahdem der Verf. die Auslegung in ihrer Bewahrheitung nehr and ber Quelle der ganzen heiligen Schrift, ald ans fih feld ober and einem Anderen, etwa aus Plato oder Arikoteles, oder aus Spinoza oder aus Kant, over aus Schelling ober aus Hegel fchöpft; immer

iR jedech auch Diefed Beiwort der Befchaffenheit dem Miß⸗

verſtaͤndniſſe ausgeſetzt, wie esfih au bei DIchaufen’s bibliſchem Commentar ein gezeigt. Dogmatifch? Das iR nun aber der gegenwärtige Commentar am allerwenig» Ren; denn er ſtellt gar Seine Dogmatifchen Reflerionen am

ad iR nicht bemüht, feine Ergebniffe an irgend ein Doge

natiſches Syſtem anzufnäpfen und feinen Einklang mit im nachzuweiſen; er gibt nur unmittelbar die lebendige Dogmatit der Propheten, ohne fie mit einem fpftematis (den Auge zu betrachten und fie in Beziehung zur dog» natiſchen Wiffenfchaft zu feben; ja nicht einmal zum Sys kur der nenteflamentlichen Lehre, obfchon ihm anzufpü- m, daß er won keinem Juden gefchrieben, fondern von

einem Ehriſten aus heiligfter Meberzeugung und von einem

Ihtologen, der ſich das Wort gemerkt: „ich bin nicht ges Immen, das Geſetz und die Propheten anfzulöfen, fon dern zu erfüllen.” Aber er mifcht keine Reflerionen ein, wie feinden verdienſtlichen Werken von Delisfch, Hofmann m Dehler am Orte find. Auch in diefer Beziehung dat Cutſtehung und Beſtimmung des Commentars die evans Kühe Kirchenzeitung weniger richtig, Deligfch dage⸗

n

234 Umbreit

gen viel richtiger gefaßt. Et hiſch? Diefe Beuen⸗ nung würde wenigſtens paflender als die vorher genannte . ſeyn, da die Fttlichserwedende Kraft der prophetifchen Mede beſonders und mehr hervorgekehrt M; aber eb if doch nicht bloß die Weisheit der Propheten ind Licht ge ſtellt, ſondern auch ihr Anfang, die Furcht Gottes, fühl. dar gemacht, und nicht bloß das ‚ihr follt Heilig werden,” fonbern au dad „Ich bin heilig” wird laut genug ver» nommen. Go wäre auch biefe Benennung wenigſtens eine einfertige geweſen. Kirchlich? Allerdings, wenn man ben Begriff der Kirche im Gegenſatze zur ums lebendigen theologiſchen Wiffenfchaftlichleit faßt, der ſich gegenwärtig immer mehr verliert. Der Commentar weiß fih im Eintlange mit dem Kläffigwerben des dibliſchen Glaubens in der chriftlichen Kirche, er ift aus der leden⸗ bigen Gemeinſchaft des Verfaſſers mit feiner Kirche herr vorgegangen nnd knupft Mich in wiffenfchaftlicher Leben⸗ digkeit an das kirchliche Bewußtfeyn erregend und förberad an, fo daß er auch in diefer Beziehung den Zuſammen⸗ haug mit der Theologie der Studien nad Kritifen beur⸗ under, bie befonderd von Schleiermacher und Ne⸗ ander den Anſtoß empfangen, Aber kirchlich durfte er ihn nicht nennen, wenn er nicht Anfloß erregen wollte bei Golden, denen er nach ihrem ſtreng⸗kirchlichen Begriffe eben nicht kärchlich if. Run denn erbaulih? Der Commentar ift aus dem Blanben gefloffen und mag Den Gtauben vielleicht bauen helfen; aber erbanlich zu ſeyn, da⸗ rauf iſt er in dem ganzen Tone nicht berechnet, und eine im Ansdrucke wohlgemeinte Berechnung liegt immer in ber Schrift, die Jemand zur Erbauung fchreibt, Aber po⸗ pulär? Infofern populär dem Gelehrten gegenüber gefeßt wird, erfchiene diefe Bezeichnung für die Korm bes Commentares gerechtfertigt; denn bie Auslegung entfaltet ſich rein für fi, ohne alle Berührung mit ber Gelehrſam⸗ Beit, und ift gar nicht bemüht, ſich als eine ans gelchrter

prakt. Commentar üb. d. Propheten b.alt. Bund. ꝛc. 235

Forſchung entfprumgene anszuweiſen. In dieſer Hinſicht id ſie für deu Gebrauch der Laien wohl geeignet, tndem ih unter dieſen nicht bloß die Nichtgeiſtlichen, ſondern auch die Ungelehrten unter den Nichtgeiſtlichen verſtehe. Aber die Laien als Ungelehrte theilen ſich wieder in Ge⸗ bildete und Ungebildete, und für bie letzteren eignet ſich der Ton und Ausdruck des Bortrags anf feinen Kal; im Begentheile, Der Bortrag if fo befchaffen, daß er ſelbſt sicht allen denen, die ſich zu den Gebtibeten rechnen, menden mag, und ed iſt nicht zu erwarten, daß er fi uuter den Gebildeten überhaupt Popularität verfchaffen werde. Biele werben namentlich am der ortentalifdy bild» len Dorfielluugeweife, die freilich Teine gefuchte, ſoudern eme dem Verf. gebotene und natürliche war, Unftoß neh» men, Ueberdieß erfcheint der Eommentar mit einer ges Ihrtswißfenfchaftlichen Grundlage unter dem Terte fo zus ſanmengewachſen, daß diejenigen, welche ſich den Com⸗ mentar nach dem Anshäugeſchilde populaͤr“ verſchrieben, wider ihren Willen und Nutzen die unbrauchbare Hälfte bitten mit in Kauf nehmen müſſen. Und fo wäre auch dieſe Bezeichnung eine mindeſtens täufchende gerwefen. So fand der Verf. bei dieſer angeſtellten Ueberlegung kein Vort, das ſeinem Commentare nach Sinn und Weſen vielen, um feine Befchaffenheit zu bezeichnen, vollkom⸗ um angemeffen gewefen wäre. Der Rath lag nahe, bie Ienleiter der theologifchen Begriffe ganz zu verlaffen md den Eommentar einen poetifchen zu nennen; denn die Propheten feyen ja doch nur Poeten unb der Verf. rahme fi ja, anf dem Wege Herder’s fortgegangen in ſeyn; er habe überdieß von früherher nur fchon als ttviel Poeſie in das alte Teftament hineingetragen, und er ſey art im Idealiſiren und Herberifiren; oder, da er ja das hohe Lied einft äfthetifch erklärt, fo könne er, wenn ihm poetiſch nicht anftändig und vieleicht aumaßlich uißeine, dafür jenes Beiwort auf den Titel fegen. „Aber

236 . Umbreit

die Propheten ſind ihrem Weſen nach keine Poeten, wenn ſie auch in der Form der Poeſie geredet haben, foubern die älteſten praktiſchen Theologen im Dienſte des Einen lebendigen und heiligen Gottes, nnd ale ſolche möchte ich ihre ermenertes Studium gerade den jüngften Berkündigern des göttlichen Wortes befonders empfohlen haben” (Borr. S. VII). Alſo praktiſch fchien mir das rechte und einzig mögliche Beiwort der Befchaffenheit für mei- nen Commentar, das ſich mir auch unmittelbar ohne alle Res flexion, die ich erft jet anftelle, von felbft anfbrang; denn wie die Propheten praktifch find, fo iſt es anch ihre Anslegung. Sie geben eine adgezogene Weisheit der Schule und kommen nicht and einer folchen her, ſondern fie find im Leben gebildet, ftehen im Leben und greifen handelnd mit den Thaten des Icebendigen Wortes ins Les ben ein. Ihr Ausleger aber betrachtet fie nicht bloß, ers Härt und beutet fie, bewundert fie höchſtens, ſondern er einigt fich mit ihnen und redet ans ihnen. Praftifch fteht dem Theoretifchen entgegen, aber eben nur in der prakti⸗ fhen Yeußerung und Entwidelung; denn es feht das Zheoretifche gewöhnlich voraus, oder wenn ed genialifch- praftifch oder unmittelbar thätigs praltifch hervortritt, wendet ed fich fpäter zur theoretifchen Betrachtung; es . findet in der Regel zwifchen Beidem eine Wechfelbegiehung Ratt. Im theologifchen Bereiche wird praktiſch bisweilen mit homiletiſch vermengt, und diefed würde für un» feren Commentar wieder gar nicht paflen; benn um Dres bigtterte and ben Propheten heransfinden zu lernen und ans einzelnen Stellen unmittelbaren Gewinn für die Kan⸗ zel zu ziehen, dazn if er auch nicht gefchrieben, fo wenig er an die Homilien des Ehryfoltomus erinnert. Auch Das Zehnifhfördernde wird öfters mit dem Praktiſchen verwechfelt; in diefem Sinne iſt der Commentar gerade das umgelehrte Ding von einem praftifhen. Er erfparı dem, der ihn bennbt, keine Mühe und Arbeit, daß er

prakt. Gommentar üb.d. Propheten d. alt. Bund. ıc. 237

Zrivialttäten abhanbelte, die fihon hundertmal gefagt find, einen Andıng and belannten Schriften gäbe, bie Wörterbücher von Geſenius nnd Winer ercerpirte, oder bei jeder grammatifchen Form Geſen ius nnd Ewald eitirte u. dgl., fondern er will namentlich auch den angehenden Eregeten nöthigen, felbft thätig zu ſeyn; und fo ift er denn freilich auch auf dem wiffenfchaftlichen Gebiete wieder praktifch, gerade dadurch, daß er dem Sraktifchen, wie es leider mit dem Unwiſſenſchaftlichen häufig identificirt wird, fcharf entgegentritt. Diefe Bes nerkung führt und zur Betrachtung ber unter dem Terte der Auslegung befindlichen eregetifchen und kritiſchen Ber rehungen einzelner, hefonders fchwieriger Stellen. Und in diefer Beziehung möchte der Commentar in feiner ei⸗ geathümlichen Form fich noch ganz befonderd praktiſch emweifen, weil er bem rein praftifchen Theologen zur Aus ſchannng bringt, wie er fich mit der Theorie der Willens (haft im Iufammenhange zu erhalten habe, den Theores tler aber erinnert, die Ergebniffe feiner wiffenfchaftlichen terihung an den lebendigen Geiſt der Kirche anzufuüpfen, Bad gerade unfere vorherrfchend praftifche Zeit zu vers langen fcheint. Nachdem ich meine Erklärung feſtgeſtellt, Wängte ed mich, auch andere Audleger zu vergleichen ud mich weit ihnen auseinander zu fegen, bald bie Beis kasung ded Einen oder Anderen bezeugend, bald den Virerfpruch beleuchtend, mit möglicher Selbftentäußes ang, weil ich lieber ganz meinen eigenen Weg gegangen, vie ed auch Ewald zu thun pflegt. „Aber gerade weil kur worzügliche Ausleger dieſen Weg gegangen, hielt 4 es hoch für nüglich, wenn befonders jüngere Ereges in auch im die neuefte Litteratur eingeführt nnd zunächſt in unfere Zeit geſtellt wurden, um etwa beiläufig Freude an dem Sinne zu: finden, den ich mir zuſprechen barf, in der Benriheilung verfchiebener Erklärungen gerecht, müde uud eifach zu verfahren” (Vorr. z. Heſekiel,

238 AUmbret

S. XIIL). Diefe Einfachheit wird mas ſowohl in der iri Kfchen Behaublung des Terted, in. der niederen, wie iu der: höheren, als auch in der eigentlichen Gregeſe wahr nehmen. Bor Allem habe ich die ſchlichte Wahrheit Bert im Sinne gehabt und ihren mir heiligen Getzote wielfed den Ruhm der Originalität zum Opfer gebracht, was bei

ber Gitelfeit und Sünphaftigkeit ber menfchlichen Natur

nicht ſo leicht iſt, als man deut: Ginfälle liebe ich in ber Geſellſchaft, aber wicht: am Gchreibepuite. Hätte ih

mic, von der Phamtafle, wie fie mie Gott gegeben, wols

len keiten laſſen, Hypotheſen zu fpinnen, Eonjecturen zu

machen und. fogenannte neue Erklarungen zu erſinden,

ed wäre: mir ein: Leichtes geweſen, bie gläugenbiken Rafe

ten auffteigen zu laffen und die alten, ehrwürdigen Pre :

phetengeftahten mit einem mobernen Beilkantfenen zu ums | fyielen, dad: die Augen hätte bienben ſollen. Ahber ber

deiftliche Theolog foR. andy anf: dem Gebiete der Ansle⸗

sung das erfte Gebot feined Meifterd: „entäußere dih

ſelbſt! ſtets vor Augen und im Herzen: haben. Daher

babe: ich: andy eime Erflärung, wenn fie ein Anderer

ſchon begründet, fo aufgefährt, ale hätte fie mir biefer erſt eingegeben, und es iſt wunderlich, wenn ein Recen⸗

ſent, ich weiß nicht wo, bemerkt, daß ich in ber Audle⸗ gung bes Jeſaja öfters Geſenins beitrete; „beitzete’?

Als wenn ich bie Grflärungen, wo diefes ber Fall, nicht ſelbſð Hätte finden Tünnen, wie ed. aber Überhaupt gar nicht fo ik, wenn man nicht einen oberflächlicyen Blick

in mein: Buch hineinwirft; denn ich fhimme vielleicht eben

fo oft mie. Ewald, aber auch olme von ihm abhänsis zn ſeyn. Wenn ich auf Die vielgeſuchte Priorität: erpicht wäre, fo. könnte ich in. einem auberen Sinne, ale ich es bier thne, erwähnen, daß id gweimatüber Jefaja Bor lefungen gehalten: und die Erflärung ber meiſten Stellen fhon fo feſtgeſetzt, wie fie jetzt gedruckt ſind, che der Commentar von Geſenind, ben ich 1882 im den hei

prakt, Gommentarjäb. d.Bienpbetend. alt. Bund. ıc. 23%

delberger Jahrbüchern ber Litteratur mit aller Anerken⸗ nung, aber freimüthig ausführlich befprochen, erfchienen war. Es follte ſich Einer einmal die geiftreiche Arbeit vornehmen, zuſammenzurechnen, wie viele Erklärungen, um nur in der neyeren Zeit fiehen zu bleiben, Roſen⸗ müller von Döderlein und Dathe, de Wette von Rofenmäller, Gefeniusvon de Wette u.f,w, angenommen! „lebexlieferung ift Gnade,” fagt Go e⸗ the, und felbft er wäre ohne Leffing und Winkels mann, Sophokles und Shafespeare beialler Ori⸗ ginalitär andy nicht dageweſen.

So hat denn unfer Sommentar Über die Propheten in diefer äußerlich von einander abgefonderten und doch innerlich wohl zufammengehörigen Form praktiſcher Aus⸗ legung und eregetifch-Britifcher Erklärung nach feiner Bes Rimmung bei der Veröffentlichung den befonderen Zwed, das religisäsfistliche uud theologiſch⸗wiſſenſchaftliche Ins tereſſe gleichmaͤßig in Anſpruch zu nehmen. Bott hat das Bert mit feinem Segen begleitet, und Ihm allein gebührt am Schinffe befielben mein Dank. Das, was gutan dem Werte, gehört dem GBeifte der Propheten, ber mich bes rubrte unb erhob, und das wird bleiben und Frucht tra⸗ gen; das, was fchledht daran, kommt allein auf Rechnung des Verfaſſers und wirb verwehen, wie die Spreu vor dem Winde. Die bald nöthig gewordene neue Auflage des Gommentared über. Sefaja, der: freilid; am meiſten von allen Propheten geleſen zu werden pflegt, beweiß, daß deu befolgte Plan. des Buches Fein verunglädker ges wen. Es find ſchon viele Gommentare geſchrioben wor⸗ des, und ed werben noch viele geſchrieben werden. aber jeder Ausleger: merke ſich das Wort des Apoſtels: „es iR Ein Geiſt, aber es gibs verſchiedene Gaben.“

F. W. Umbreit.

‚) Te Kiiefoth

2.

1. Theorie des Cultus ber evangelifchen Kirche. Bon D. Th. Kliefoth, Prediger zu Ludwigsluſt in Medienburg » Schwerin. Parchim und Ludwigs; luft, Berlag der binstorfffchen Hofbuchhandlung. 1844,

2, Ueber das Wefen des proteftantifchen Gultus. Eine theologifche Unterfuchung von D.&.Lüdemann, or dentl. Profeffor der Theologie. (Einladungefchrift zur dritten Secularfeier des Todestages Luther’s.)

„Ein Buch ift eine Pflanze, welde aus dem Boden ber Geſchichte hervorwächlt; und in dem Maße nur, als es diefes ift, wird ed einen Samen tragen, der in die Geſchichte zurückfällt.“ Schon in biefer Aeuferung, mit welcher dad unter Nr. 1. anguzeigende Buch ans fängt, liegt auögefprochen, daß daſſelbe einen innern, fütts lichen Entflehungsgrund hat, baß es ſich als ein dienen» des Blied in die Entwidelung der Wiffenfchaft, bier der Wiffenfchaft ded Cultus, bineinftelen will. Der Herr Verf. befriedigt, wie er erlärt, mit der Entwerfung feis ner Schrift zsunähft ein perfänliches Bebürfnig. Er fuchte fich felbft Mar zu machen, was er als Diener bes Cultus fey und thue. Weit entfernt, daß hierdurch eine unwiffenfchaftliche, fubjective Arbeit entftanden iſt, erfcheint diefer innere Drang die wiflenfchaftlihe Schärfe und Beltimmtheit vielmehr beförbernd, ja fchlechthin heraus» forderud. Denn wodurd fol fich der Einzelne über feine Stellung zu irgend einem Lebendgebiete ar werden, als dadurch, daß er das adäquateſte Willen deſſelben zu ges

Theorie des Gultus der evangelifchen Kirche, 241

winnen firebt, nur biefem Erfannten fein bisheriges Mei» nen, Schwanten, Zweifeln und unklares Thun unter: wirft? Diefelbe Befonnenheit, aus welcher nach der Seite der perfänfichen Beziehung das Buch entfproffen it, bewährt fich auch nach der Seite der fachlichen Be⸗ gründung. Der Berf. fragt fich nach ber gegenwärtigen Stellung bed Gegenftandes, den feine Schrift behandelt, Die Antwort ift (5.2): „Wie im Dogma, fo haben wir im Cultus ein theilweife Ausgelebtes hinter und; da6 Reue aber, welches wir im Cultus vor une haben, kann nicht ohne lebendigen Zufammenhang mit dem Alten feyn. Das Alte nen zu machen, iſt die Mifflon unferer Zeit, auch was den Gultus betrifft. Darum liegt für den Cultus Heil weder in dem ungefchichtlichen Wege eines überproteftantifchen Zurüddrängene auf die Schrift, noch in dem ebenfo ungefchichtlichen Wege einer Plane machenden Theorie. ALS Aufgabe der Zeit erfcheint, was ber ererbte Cultus ſey, nicht bloß gefchichtlich und nach feiner Heußerlich- keit, fondern nach feinem Weſen zu erkennen, die Lebens, mäcte, aus benen er erwuchs, die Gedanken, die er in einen Formen verwirklicht, Die Zwecke, die er in ihnen verfolge hat, begrifflich zu erfaffen” (S. 1—9.).

Die Schrift von D. Kliefoth Felt fid demnach eine ähnliche Aufgabe, wie fie Schleiermacdher für die Dogmatik ſich vorgegeichnet hat. Anknüpfung an das Ueberkommene, Begreifen deffelden und darin Borhers deutung auf die Fünftige Geftaltung, fey diefe eine völlige Aenderung der biöherigen oder nur eine Modification. einer andern Weife ergibt fich für D. Lüdemann die Aufgabe. Ihm iſt die proteftantifche Kirche in ihren Rformbeftrebungen ganz befonders auf ihren Cultus bins gewiefen. Sie darf nicht ruhen, bis hier ein befriedigen des Refultat gewonnen if (S. 7.) Es handelt ſich (6. 9.) vor allen Dingen um ein „klares und ficheres

Theol. Sud. Jahre. 1847, 16.

242 aliefoth

Bewußtſeyn der wahren Geſtalt des Cultus im Gegen⸗ ſatze zu ſeiner wir klichen. Ein Bild ihres Cultus muß der proteſtantiſchen Kirche vorſchweben, worin fe ihn rein und frei von feinen empirifchen Gebrechen und Mängeln, in feiner normalen Gehalt und damit in der polen Herr lichkeit und Schöne erbiidt, in der er die Sehnfucht der Gemüuther nach fih erwedt und das Ausgeſchloſſenſeyn von ihm als ein bittered, töbfendes Darben empfinden läßt.”

Wir haben hier, Klar ausgefprechen, die beiden mög. lichen Anffaffungen des Eultus, die gefchichtliche und die fperulative, ein Gegenſatz, der freilich das Element des Wiſſenſchaftlichen auch im erften Gliede keineswegs and» fchließt. Diefer Gegenfag liegt in der gefchichtlichen Ent⸗ widelung des Proteſtantismus felbft begründet. Er Liegt in dem Schwanten der Reformatoren über die Princi: pien des Cultus; Luther hatte befanntlich ein Bild des Cultus entworfen, deſſen Princip die Gemeinfchaft der Gläubigen war; er trug aber bad Bewußtſeyn in fi, zu einem folchen Eultus noch nicht die rechten Leute zu haben. Ihm geftaltete fih demnach für die Wirklichkeit der Sultuß nach zwei Seiten hin, nach der pädagogifhen und nach der hiftorifchen. Er wollte durch ben Cultus predigen und lehren, und zugleich mit möglicher Be⸗ wahrung der Weberlieferung dabei zu Werke gehen. Für die Gegenwart find nun zwei Behandlungsarten möglich: entweder man entwirft die Theorie des Eultus nach dem Mrincipe der prieflerlichen Gemeiube, oder man confruirt den Cultus, wie er ſich gefchichtlich hervorgebildet, in biefer Gonftruction fowohl kritiſch wie weiſſagend ver⸗ fahrend. Die erflere Berfahrungsart hat den Schein einer Repriftination, den Schein bed Katholifirene,, ob» wohl fie in der That eine Sache der Zufunft il und den Begriff des Katholifhen, ded Allgemeinen, nicht in den Klerus, fondern in die Gemeinde verlegt, Die zweite

Theorie des Eultus der evangelifchen Kirche. 243

Verfahrungsart trägt den Schein einer Beſchränktheit an fi, einer bloßen Technit und Anweiſung, obwohl fie in der That das Amt hat, gerade durch wiſſenſchaft⸗ liche Darſtellung den Befiß der Gegenwart in das klarſte Bewußtſeyn zu rufen und auf diefe wahrhaft organifche Weife die Zukunft herbeisuführen. Anf das beflimmtefte muß fi gegen etwaige Mißachtung der lebtern Methode eflärt werben, indem nur durch treue Bearbeitung in gefchichtlich = wiſſen ſchaftlichem Geiſte eine wahre Oriens tirung im Gebiete des Cultus zu Stande kommen kaun, indem in&befondere für die Praris vor Allem die richtige Benugung und Reinigung der vorhandenen Elemente ers Arebt werden muß.

Eine folche nicht dIoß treue, fondern zugleich auch Kharfe, mit Wenigem vielfagende, den Stoff mit beſtimm⸗ teſter Klarheit des Gedankens beherrfchende Darftelung bietet nnd D. Kliefoth in feiner Theorie des Eultus dar. Es ließ fich dieß von einem folhen Verfaſſer ers warten. Sein Stoff theilt fi ihm in den Begriff, in die Gliederung, in die Gonkruction des Cul⸗ nd, Deun er ficht zuerft, wie aus Chriſto basjenige Then feiner Gemeine entfpringt, welches ber Cultus beißt; er fragt weiter, wie und nach welchen Gefeben dieſes Thun ſich zu einer beſtimmten Mannichfaltigkeit einzelner Thätigkeiten differenziixt, endlich fucht er nach den Grundgedanken und Grundfäden, nach und an wels den diefe verfchiedenen Thätigfeiten fich zu dem organi- ſchen Ganzen, welches der Cultus if, verbinden (8. 11.). Der erſte Abſchnitt, der Begriff des Eultus, entwidelt ſih in der Unterfuchung, wie aus Ehriſto die Kirche, and der Kirche die Gemeinde, aus der Gemeinde ber Caltus wird. Die Kirche erfcheint fowohl als das Wert Ehrifi, der gefommen it, in der gottentfremdeten Welt dem Göttlichen wieder eine Stätte zu bereiten, als auch

als die Summe derer, welche mit der von Chrifto allein 16 *

244 ; Aliefoth

ihnen verlichenen Kraft an ihrer Reinigung und Heili⸗ gung felbfithätig arbeiten. Sie entfaltetihr Leben, indem die Glieder der Kirche Chriſtum darftellen, was aber zugleich ein von Chriſto Zeugen if ; je nachdem daffelbe auf die Welt oder auf die Gläubigen gerichtet ift, entiteht die miſſio⸗ nirende ober die bauende Thätigkeit der Kirche. Diefe Thätigkeit macht nun die Kirche zu einer gemeinfamen, und fo hört fie auf,. nur die atomiftifche Summe ihrer Glieder zu feyn, und wird, über deu Einzelnen fich erhe⸗ bend, die objective gefchichtliche Macht, welche ihre Er» fheinung in den Symbolen, Kirchengefegen, Kirchen» inftituten hat und mit bdiefen ihre einzelnen lieder be, berrfchend umfchließt. Doc hat die Kirche ihre Eriftenz nur in ihren einzelnen Gliedern; und damit, daß fie, um die Thätigkeit ihrer Glieder zu einer gemeinfamen zu machen, fich bie Geſtalt eines ethifchen Organismus gibt, tritt fie in die Erfcheinung und damit unter die Gefege biftorifcher Entwidelung und damit wieder in die Bedingt: heit durch Zeit und Raum. So entfteht die Gemeinde, Das Mittelglied zwifchen Kirche und Gemeiude ift Lan; deskirche; fie felbft aber, Die Gemeinde, ift ein Mittels glied zwifchen der Kirche und ihren einzelnen Gliedern. Die Thätigkeiten der Kirche wiederholen fi auch in ber Gemeinde; wie dort, ift auch bier eine Seite gegen die Welt gelehrt, die andere aus der Welt fidy herausnch- mend und ſich erbauend zum Tempel Ehrifti.” Die baus ende Thätigkeit einer Gemeinde, fo weit fie eine gemeinfame geworden, ift der Cultus. Dad ben Cultus bildende Thun ift zugleich ein Wert Ehrifi und ein Werk der Gemeinde; der Eultus ift nicht bloß von der Gemeinde be: fchaffte, fondern ebenfo fehr ander Gemeinde gefchehende Thätigkeit. Er erbaut fich aber immer auf deu Grunde bed Glaubens; der Unbekehrte ift von der Theilnahme am Eultud ausgefchloffen; auch dient diefer nicht Dazu, um ſich zu erbauen, fondern wechſelsweiſe Andere bauen

Theorie des Eultus ber evangelifchen Kirche. 245

and von Andern gebaut werben, iſt der Sinn bes Cultus (5. 15—52.).

Bir machen bier einen Halt. Unſchwer wird es ſich erkennen laſſen, daß nach der berührten Darſtellung das Veſen des Cultus vornehmlich von ſeiner ethiſchen Seite aufgefaßt iſt. Der Verf. legt das Hauptgewicht auf dad Thun, zerlegt und conſtruirt dieſes Thun, wie ed ald ein Thun der Gemeinfchaft erfcheint. Und zwar insbefondere nach jener Beziehung hin, inwiefern durch diefed Thun das Leben der Gemeinde ſich vollzieht und entfaltet, Diefe Behandlung greift durch das ganze Buch hindurch. Niemand wird leugnen, baß es eine durchaus berechtigte und nothwendige Behandlung iſt; Jedermann wird fi freien, daß diefe Seite ber Betrach» tung in vorliegender Schrift meiſterhaft durchgeführt wird, aber ebenfo wird gefagt werden müflen, daß hiers mit eben auch nur Eine Seite dargeftellt ift, daß die Betrachtung vom fpecififchen Standpunfte der Res ligion zurücktrit. Während mehr danach gefragt wird, wie die Thaͤtigkeit des Cultus durch die Adern des Gemeindeleibes hindurchdringt und deffen Gefundheit fürs dert, it Das Verhältniß der Gemeinde und der einzelnen betenden Seele zu Gott weniger Gegenftand der linters hung, als ihre Vorausfegung. Nach der Einen Seite tritt hierdurch freilich das fpecififh Chriftlidhe mehr hervor, indem unmittelbar von der Erfcheinung Shrifti ausgegangen wird; nach der andern Seite aber wird nicht hervorgehoben, welch ein allgemeines Be: dirfniß der Religion durch Chrifti Eintreten in die Ges fhihte erfüllt und wie der chriftliche Gultus hierdurch aiht bloß das Thun einer chriftlichen Gemeinde, fondern zugleich die Verwirklichung des Begriffes des Betens überhanpt iſt. Denn auf den Begriff des Betens ſtützt ſich doch zuletzt die Theorie des Cultus; das Beten iſt die Subſtanz des Cultus; es iſt die That der Religion,

246 Aliefoth

und der Cultus erſcheint als die ethiſche Organiſation dieſer That.

Bon dem Standpunkte des Religiöſen aus unternimmt D. Lüdemann die Betrachtung über dad Weſen bes chriſtlichen Cultus. Ausgehend von der allgemeinen Bor: ſtellung, „der proteftantifhe Cultus fey die nur im feierlichen Worte und Symbole ſich vollziehende, gemeint fame umd öffentliche, dem Bekenntniſſe der proteflantifchen Kirche entfprechende Darftellung der Neligion,” faßt er zunächſt das erfte Moment diefer Borftellung ins Auge und begreift den proteftantifchen Cultus als feierlich ſym⸗ bolifirende Darftelung der Religion. Er geht auf den Begriff der Religion zurüd und hebt hier gerade das Myftifche in diefem Begriffe hervor, die Anerfennung des Einen ewigen, abfoluten Seyns als bes abfolut Macht: und Werthooflen, eine Anerkennung, die nnr aus einem geheimnißvollen, innern Contacte, einer feelifchen Berüb- sung, einem plAnua äyıov ded Einen ewigen, abfoluten Seyns zu erflären ſey. Es ift dem Berf. gerade um den beſtimmten Linterfchied zwijchen dem Religiöfen und Sitt⸗ lichen zu thun, er weiſt nad, warum in der Religion das Bedürfniß liege, fich nicht allein im fittlihen kLebens⸗ zufammenhange, fondern in einer beftimmten Sultusgefalt su offenbaren. Während alfo Kliefoth von dem Bes griffe der Gemeinde ausgeht, nimmt Lüdemann feir nen Ausgangspunkt vom Begriffe der Religion, und, um dieß gleich vorauszunehmen, ed wird demnach Nie: mand wundern, wenn erfterer feine Beranlaflung findet, das Kunftelement innerhalb des Eultus befonders gu be- rüdfichtigen, während letzterer, wenn er fidy auch nicht näher auf die Betrachtung der Kunſtbeziehnngen einläßt, doch den Begriff des Symbolifchen, fo wie den ber Ans dacht ausführlicher behandelt. Auch hier, dünkt ed mich, liegt im Begriffe bes Gebetd das Zufammsenfchließende. Das Gebet reicht weiter, ald dad allgemeine religiöfe

Theorie des Gultus der Evangelifchen Kirche. 247

Gefühl; im Geber iſt dieſes ſchon zur beſtimuten That geworden, ohne feines eigenthümlichen Hauches bes saubt zu fegu. Dad Geber fließt, wo es in Mitte Mehrerer ſtattſindet, biefelben zu einer Einheit zuſam⸗ men, gleichwie ed, aus der einzelnen Seele ausftrömend, sicht minder eine Beziehung anf Alle hat; denn es if ja der in Allen identifche Lebendgrund, welcher fich in itm offenbart. Das Gebet fchafft alfo aus einer Mehrs beit immer eine Einheit, und zwar eine dur Individua⸗ lfrung belebte. Der Cultus iſt mithin allerdings nicht ein nur Sich⸗ erbauen des Einzelnen, aber auch nicht ein sur wechfelfeitig Aufeinanderwirken, fondern die Bezies bung des Thuns im Cultus auf jenes Eine, ewige, abfos Inte Seyn, wie fie fi im Gebete ausdrückt, hebt biefen Gegenſatz des einzelnen Selbft zu den Andern auf; indem cn Feder ſich felbft erbaut, erbaut er auch die Andern, In der That der Gemeinde fällt das Erbauen des Ein: seinen wie der Andern, der individuelle Genuß wie das wechfelfeitige Thun, das Aefthetifche wie das Teleologifche nfaumen. .

Der zweite Hauptabfchnitt in der Schrift D. Klier foth’ 8 behandelt die Gliederung des Cultus nad den drei Haupifragen: 1) wie die Rollen (?) der Thäs tigkeit unter den Einzelnen vertheilt werden follen; 2) was im Einzelnen geihan werden, und 3) wann und wo 8 gethan werden fol. Die Beantwortung diefer Fras gen gibt die Abſchnitte 1) von den im Cultus tätigen derfonen, von den Eolenten; 2) von den einfachen ven Cultus conjtituirenden Thätigfeiten, von den Ele, senten des Cultus; 3) von ber Bindung des Eultus an beflimmte Momente von Zeit und Ort bes Cultus.

In der Entwickelung dieſer Abſchnitte treffen wir auf eine Fülle der ſchaͤrfſten und förderndſten Sätze. Wo der Verf. hingreift, gibt er uns nicht allein in directer

248 Allieſoth

Beziehung auf den Cultus, ſoudern, ich möchte ſagen, noch viel mehr in Beziehung auf den Kreis der Discipli⸗ nen, die er bei feinen Erörterungen berührt, z. B. der Lehre von der Kirchenverfaflung, der Homiletik, die Übers ſichtlichſten und gehaltreichiten Winke.

Der Eultus entwidelt fih dem Berf, (S: 56.) aus der unbeflimmten Formlofigkeit, in welcher die zuſammen⸗ gefommene Gemeinde gemeinfam handelt, zum firirten Unterfcjiede des Gebend und Empfaugene Das rechte Verbhältniß, weldyes im Eultus fäümmtliche Glieder gegen einander haben follen, ift dag ber Wechſelwirkung; die Alteration deflelben bringt entweder das hierarchifche oder das demofratifche hervor (S.60.). Es wird nachgewiefen, inwiefern der Geiftliche ebeufomohl Diener der Gemeinde wie Diener Ehrifti il. Das rechte Berhältnig zwifchen dem Geiftlihen und der Gemeinde wird im Eultus und durch denfelben dadurch bargeftellt und erhalten, daß der Eultus in einem Wechfel der dreifachen Acte befteht, zus exit der Thätigfeiten, in welchen die ganze Gemeinde, den Geiftlichen mit eingefchloffen, als zufammen handelnd erfcheint, fodann derjenigen, in denen der Geiftlicdhe ale der Thätige gegenüber der empfangenden Gemeinde auf: tritt, und zuleßt derjenigen, in denen zwar der Geiftliche die Initiative hat, aber auch die Gemeinde. als die thä⸗ tige gegenüber dem empfangendben Geiftlichen erfcheint (S. 70.).

Diefer Gegenfak von Geben und Nehmen (Empfans gen) findet fih nun auch bei D. Lüdemann (©. 22.2. Und zwar, fehr bedeutungsvoll, auf der Baſis des Begrif; fed der Andacht. „Die Andacht vollzieht fich”, heißt ee daſelbſt, „theild weil in ihr, wie in allem innern und äußern Thun, fich die dem Menfchen wefentliche Einheit von Spontaneität und Receptivität geltend macht, theile weil ihre Grundelemente, als ſich beziehend auf das ab⸗ folut Macht» und Werthvolle, abfolute Bewunderung und

Theorie des Cultus der evangelifchen Kirche. 249

Genäge And wefentlich in einem Wechſel von Geben uud Rehmen, indem der Menich ebenſowohl dem, was er für Gott empfindet, Raum gibt, ald auch wiederum an Gott als feinem hödhften Gute ſich weiber.” Der Verf. gewinnt dadurch den Unterſchied von Vecherrlichung und Genuß Gottes, von Adoration und Sontemplation, refp. fecramentliher Sumption, Opfer und GSegnung, dienſt und Erbauung (S. 23. 24.). Es begegnet uns bier. daſſelbe, was ſchon REN als darakteriftifich für die beiden Darftellungen angedeutet iſt Derfelbe Proceß, der fich für Kliefoth innerhalb des Thuns der Gemeinde ergibt, ſtellt fich für Lüdes mann fchon im Wefen der Andacht felbit dar. Wir lernen hieraus, daß eine Anfhauung die andere nicht etwa aufhebe, fondern ergänge; wir fehen, wie eine Theorie. ded Enltus Iegtlich darauf hinandsgehen muß, nachzuweiſen, wie die innere Bewegung in der Andacht in dem Thun der Gemeinde ſich auspräge, wie die Dias letit der Andacht zur wechfelmirkenden Thätigkeit der Gemeinde werde. Auf den erften Anfchein' könnte man weinen, es würde hierdurch dem Geiftlichen durchaus eine hierarchiſche Stellung angewieſen, indem die Mo⸗ nente des Göttlichen, die in dem Proceſſe der Andacht vorfommen, natürlich in den Darſtellungskreis des Geift- ihen fallen. Auch ift nicht zu leugnen, daß aus der Iertennung der Wahrheit diefes Verlaufes, aus ber Hypoſtaſirung jener Momente des Göttlichen der heids he Charakter des Priefters. entfprungen ift, ein Chas talter, nach welchem der Priefter zugleich den Bott dars Relt, Aber aus dieſer Verirrung fchaut zugleich die innere Wahrheit heraus. Denn es darf ja nicht liber- den werden, daß jener Proceß der Andacht, die Be tührung des Gottesbewußtſeyns und Selbſtbewußtſeyns, innerhalb des Menſchen vorgeht, nicht als feine eigene willurliche That, fondern nach dem innewohnenden Zuge

250 Kliefoth

des religiöfen Lebens ſelbſt. Der Abdruck biefer Bewe⸗ gung der Andadıt, wie fie innerhalb des Menfchen ats Spontaneität und Receptivität ſich erweiſt, ift eben ber Enltus der Gemeinde, und fo wird die Gemeinde in ihrem eultusmäßigen Thun zu Einer großen Perfönlichkeit, Fra⸗ gen wir nun bier wieder nach dem Weſen des Gebets, fo treffen wir darin die Womente,. ded Gebens und Rehr mens verwirklicht. Der Betende gibt ih an Gott hin; er bringt fih dar, feine ganze Eriftenz tritt er an Gott ab, ebenfo aber empfängt er diefelbe wieder, erneuert, verklärt, gefördert; er eignet fich göttliche Lebenskraft an. Es iſt gewiß einfeitig, mit Ebrard (Berf. e. Lie turg. u. ſ. w. ©. 15. Anmerk.) dad Beten nur ale ein Nehmen aufzufaflen, wie es die entgegengefette Einfeitig- feit bleibt, das Beten nur als Dingabe und Opfer zn betrachten. Stellen wir nun den ganzen Gultus auf die Baſis des Gebets (freilich gegen Kliefoth, S.79.), fo ers geben ſich nnd als bie Endpunkte des Gultus, infofern er verwirklichte Darftellung ded Gebet iſt, die Hin gabe an Gott und das Empfangen von Gott; jene ansgedrüdt im Altardienfte (Lobpreifung Gottes, Sündenbefenntniß, Lection und Credo), diefes im Abends mahledienfte.

Dieß führt und weiter gu der Darftellung der Ele mente des Gultus, wie fie Kliefoth gibt. Als folche Elemente werden Bredigt, Sultushandlungen ımb Gebet angeführt, Es wird mit Recht als unrichtig er- Härt, dad Symbol oder die Kunft ald ein drittes ober vierte® Cultuselement neben die Predigt und die kirchliche Handlung fiellen zu wollen. Die Kunſt bezieht fich inner halb des Cultus nie anf den Stoff, immer auf die Form. Ausdrücklich aber verwahrt fich der Verf. (S. 79.) gegen ben Berfuch, biefe Dreiheit von Eultuselementen, Prebigt, Cultushandlung und Gebet, auf eine Einheit fo zurückzu⸗ führen, daß man eined derfelben als die Grundlage der

Theorie des Eultus der evangelifchen Kirche. 251

beiben anbern anfehen müßte, und kämpft befonders ges gen die Anficht, daß der ganze Cultus Gebet fey. Ehe wir anf diefe Anfchauungsweife mit einigen Worten ein⸗ gehen, überbliden wir den Inhalt dieſes Abſchnittes. Der Predigt gibt nach allen Seiten folgendes Bier- fache ihre Berimmtheit: „daß die chriftliche Wahrheit, wie ffe in der Gemeinde Geftalt gewonnen hat, der Ins halt der Predigt, daß die Gemeinde felbft die predigende, daß fie ſelbſt auch wieder die hörende ift, und daß fle fo thut mit der beftimmten Abficht, fich in Chriſto zu fürs dern und zu bauen” (S. 81.). Damit aber die Gemeinde ihr ſelbſtdarſtellendes Wort zu einem reinen Zeugniffe von Ehrito mache, bedarf fie eines Correctivs, an dem fie fih felber und ihre Predigt meile, und dieſes Gorreetiv hat fie an der heiligen Schrift. (S. 100.). Im Cultus fol indeffen nicht bloß die Schrift reden, denn alsdaun müßte man beim bloßen Borlefen biblifcher Abfchnitte fiehen bleiben, fondern die Gemeine foll reden ans fidh und von füch im Lichte der Schrift (S. 103.). So daß man ſagen kann: bei einer Predigt, bie ift, wie fie feyn fol, hat die Gemeine an der Entftchung und Vollführung der Predigt einen andern, aber eben fo vielen Antheil ald der Prediger, und je mehr biefer die Predigt zu einer Stimme aus der Gemeinde madıt, um fo mehr ift auch die Gemeinde an ihr und in ihr mitthätig (S. 104). Bas nun die Cultnshandlung betrifft, fo gibt ihr gleich⸗ falls ein Bierfaches ihre Beltimmtheit: „daß Ehriftus und fein Geift der Grund und Inhalt der Gultushandlung, daß die Gemeinde die fie übende und auch wieder der Gegenftand, an welchem fie geübt wird, und daß der Zweck derfelben das Erfüllen und Heiligen mit der Kraft des Herrn if” (S. 105.). Eultushandlungen können nur felhe Handlungen ſeyn, weldhe von der Gemeinde an Menſchen, welche ihre Glieder find, gefchehen, mit der beffimmten Abſicht, fie in Chriſto zu fördern (S. 107.).

‚252 Kliefoth

Das Brineip aber, nach welchem bie Gemeinde ans bem @efammtgebiete defien, was fie zur Pflege ihrer Glieder thut, Einzelnes ausfondert und als firirte Gemeindehand⸗ Iung in den GEultus aufnimmt, entfpringt aus der Be trachtung der Grundverhältniffe und Hauptwendepunkte des menfchlichen Lebens (S. 110.). Solche Hauptwendes punkte find: 1) die Geburt, 2) der Austritt aud der Kindheit und Heimath in die Welt, 3) die Schließung ber Ehe, 4) der Tod. Go ergeben fich die Eultushands Inngen der Taufe, Eonfirmation, Eopulation und Beerdis gung (S. 114.). Alle diefe Eultushandlungen find wefents lich fombolifche Handlungen (S. 116.), deren Unanges meflenheit und Bieldentigfeit freilich dazu treibt, an das Zeichen und dad Symbol die Kormel zu fnüpfen (S.118.). Wenn nun aber diefe Handlungen von der Gemeinde ausgehen, ſo kann fie, wegen der anllebenden Sünde, nicht ſicher feyn, ob diefelben Leiter der Kraft EChrifti oder nidyt vielmehr Leiter der ihr (der Gemeinde) noch anflebenden fündigen Trübungen feyn werden (S. 120.). Darum bedarf fie auch für die Sultushandlungen des Gorrectiveg, und biefed hat fie an den Sacramenten Der Taufe unb des Abendpmahles (S. 123.), an welche fie der Ergänzung wegen ihre eigenen @ultushandlungen anlehnt (S. 124,).

Als drittes Element im Eultus erfcheint das Gebet. Es liegt in der Natur hriftlichen Lebens, jede That zu beginnen mit einem Gotted Gnade durch Jeſum fuchens deu Bittgebet und fie zu fchließen mit einem Dank» gebete (8. 134), wozu noch eine dritte Art des Gebete tritt, das anbefehlende Gebet, welches das von Bott im Leben Gegebene ald Gabe Gottes aufnimmt und wies der in feine Hand zurüdlegt (S. 135.). Diefe drei Fors men des Gebetes erfcheinen auch im Cultus, ja der Euls tus kommt exit durch das SHinzutreten ded Gebet zu Predigt und Handlung vollſtändig zu feiner Idee (S. 136.).

Theorie bes Gultus der evangeliſchen Kirche, 253

Es liegt aber auch in der Natur der Sache, daß es fein Predigen und feine Eultushandlung ohne Gebet gibt. In den Kreis des anbefehlenden Gebets if nur das bineinzugichen, was wicht bloß das einzelne Gemeindeglied in feinen weltlichen Sonderintereffen, fondern zugleich bie ganze Gemeinde in ihren chriſtlich⸗ lirchlichen Beziehungen mit ergreift a).

Aus dem Gebete, das im Eultus öffentlich und laut wird, entwidelt fich der Gemeindegefang (S. 141.). Durch den Bemeindegefang iſt die Poefle, durch das Singen der Lieder, Gebete und Antiphonieen ift die Muſik dem Enl- tus Bieuftbar geworden (5.147.), wobei der’ Berf. auf dad firengfie gegen jeden Kunſtgenuß proteftirt. Die drage nach dem agendariſch Beftimmten wird im Ganzen zu Gunften des Firirten entfchieden (S. 144—147.) und ‚um Schluffe des Abſchnitts auf das Gebet des Herrn bingewiefen, welches, wie die Schrift für die Prebigt, das Sacrament für die Eultushandlung, fo für das Gebet , correctiv fey (5. 149,). Der Raum verbietet und, dem folgenden Abfchnitt über Zeit und Ort des Cultus näher u berühren; es fpricht ſich darin, namentlich wa® bie Arhitettur betrifft, ein fireug proteftantifcher Geiſt aus, „Im proteftantifchen Cultus gibt's wohl ein Predi⸗ gen von ben Dächern, aber nicht ein Prebigen durch die Dächer.” „Eine einzige Predigt und ein einziges Kir⸗ henlied Vol echt proteftantifcher Glaubenskraft ift ein beſtimmteres und ausdrucksvolleres und darum and Fräfe

ı) Der Berf. fagt: „Die Gemeinde bittet und dankt (in ihrem Fürbittengebete) zugleich auch für ſich. Sie bittet nicht blog für die Obrigkeit, fondern auch, daß fie ſich hriftlich gegen bie Obrig⸗ Leit Halten möge; fie bittet nicht bloß, daß Gott die Kranken erhalte, fondern daß er fie ihr erhalte; fie dankt nicht bloß für das bem Gebosenen geſchenkte Leben, fondern audy für bas ihr geſchenkte Glied. Und man kann es nur unrichtig nennen, wenn felb ft agendariſche Formulare das anbefehlende Gebet zu einem bloßen Zürgebete verengen.”

254 | aliefoth

tigeres Zeugniß von Chriſto, als ſelbſt ein cölner Dom” (S. 159.).

Was den eben bezeichneten Abfchnitt betrifft, fo erhe⸗ ben ſich gegen verfchiedene Auffaffungen in demfelben, wie und fcheint, nicht bedeutungsloſe Gegenreden. Zunächſt fragen wir, ob fich zwifchen den Hauptabtheilungen, die Kliefoth madt: „Bliederung des Eultus” und „Sons ſtruction deſſelben“, in der That ein trennender Unterfchied ergibt. Die Gliederung des Eultus hat ja nicht etwa nur die zerfireuten Glieder des Gultus aufzuzeigen, fonbern fie ift eben dadurch Sliederung, daß fie den Zufammen bang diefer Glieder erweiſt; nach diefer Seite füllt fie mit dem Begriffe der Conſtruction faſt zuſammen. Auch wird nicht gezeigt, warum die Elemente des Cultus nur Predigt, Cultushandlungen und Gebet find, ob dieß im den inneren Grunde der bauenden Thätigleit liege, Die den Cultus conflitmirt, oder in der firchlichen Sitte. Auch bier erfcheint und die Furcht des Berf., den Cultas aus dem Einen Grunde bed Gebets herzuleiten, ald die Ur⸗ fache diefes Mangels. Uud doc haben wir oben gefe ben, daß der Verf. durch die Natur der Sache gebrängt wird, dem Gebete eine fpecififche Bedeutung beizulegen; er fagt es ausdrädlich, daß der Cultus erft durch Das Hinzutreten des Gebets zu Predigt und Handlung voll: fändig zu feiner Idee komme ©. 141. ſtoßen wir anf den Sag: „im Gebete werben wir alle drei Formen bes Enltus Finden; Sefammtihätigkeit der Gemeinde und bes GBeiftlichen, Alleinthätigfeit des Geiftlichen Namens der Gemeinde und wechfelöweife Thätigkeit des Geiftlichen und der Gemeinde.” Alfo ſehen wir, wie auch ber Berf. die eigenthümliche, den ganzen Cultus durdhgreifende Stel: ling bes Gebets anerkennt, eine Stellung, die in diefer Weite weder Predigt noch die heiligen Handlungen theis len. Was, wenn wir nicht irren, den Verf. vorzugsweife abgehalten haben mag, das Gebet in diefer Weife zu bes handeln, ift, daß er feinen Grund fieht, wie bie übrigen

Theorie des Gultus der evangelifchen Kirche. 255

Theile bes Cultus aus dem Gebete hergeleitet werben können, namentlich weift er die Herleitung der Predigt and dem Gebete ab. In dieſem letzteren Punkte müflen wir dem Berf. allerdings Recht geben, und erflären bie Darstellung, die wir felbft in unferer Theorie des Eultus (©. 353 f.) gegeben haben, für einfeitig, zu foftematifch und ber Berichtigung bebärftig.

Des Berf. befchreibt die Predigt als vorzugsweiſe and der Gemeinde hervorgehend; die Bemeinde predige ſich felbfi Durd) den Mund des Geiſtlichen, wobei freilich nicht überſehen werden dürſe, daß, indem die Gemeinde auch die That Chriſti ſey, der predigende Geiſtliche zu⸗ gleich als Orgau Ehriſti erſcheine. Jede andere Auffaſ⸗ fung der Predigt ſieht der Verf. als eine miffionarifche an, nicht aber als eine cultusmäßige; die Prebigt, wenn Be nicht eine miffionarifche feyn ‚fol, hat nicht (nah ©. 82. 83.) won Ghrifto zu erzählen, fondern zu bezeugen, was die Gemeinde au Ghrifto hat. Zur Erörterung bie ſes Betreffs fcheinen nun vorzüglich zwei Punkte hervors gehoben werben zu müflen, einmal die Stellung der Pres digt zum Eultus überhaupt und fodann das Berhältniß des Miffkonarifchen und Eultusmäßigen zur Predigt. Bas den erfien Punkt betrifft, fo fireitet Die Anfchauung, weiche die Predigt aus dem Gebete herzuleiten verbietet, richt minder gegen jene Anficht, nach welcher die Predigt überhaupt als gleichartig in die Reihe der übrigen Caltus elemente gefeht wird, Mit ber Prebigt verhält es fihh auf eine eigene Weiſe. Wir fagen: aller Cultus bes ruht duf Offenbarung. Derienige Cultus wird nun, ges wäß dem allgemeinen Lebenögefege, nach welchem, was den Grund als Seele und Bewußtſeyn in ſich trägt, das Reiffte ii, der vollendetſte ſeyn, in welhem ber Grund an zum Bewußtſeyn geworden if. Daraus fließen ihm fortwährend Kräfte feiner Erhaltung zu; daran hat er die ſtete Norm feiner Erfcheinuug und Bildung. Diefen

!

256 Kliefoth

zum Bewußtſeyn gewordenen Grund hat der Cultus an feiner Predigt; die Predigt ruht auf der Offenbarung. des Wortes, fie ift Bezeugung, Darftelung, man kann es fagen, Fortfegung diefer Offenbarung ; fle gibt jedem Cul⸗ tus erft fein vollkommenes Recht der Eriftenz, fie ift die göttliche Legitimation beffelben. Indem fie im Cultus felbft erfcheint, vom Menfchenmunde mitten in der Ge meinde audgefprochen, erkennen wir bie Herablaffung dies fed ewigen Wortes in unfere Mitte, erfahren feine Im⸗ manenz voller Gnade und Mahrheit. Darum barf an dem Sinne des Iuther’fhen Wortes: „kein Gottes⸗ dienft ohne Predigt,” nichtd gemäkelt ober verändert wer: den, und wenn man in neuerer Zeit mit einer gewiflen Berachtung anf das fletige Prebigen im proteftantifchen Eultus hingeblickt hat, fo fol zwar nicht geleugnet wer den, daß befonders durch die Schuld ber Perfonen die ſes Predigen oft in ein fubjectived und fchales Gerede ausgeartet ift, ed foll ferner eben fo wenig in Abrede ge ftellt werden, daß nicht jeder Gotteödienft eine menſch⸗ liche Rede nöthig hat, aber darauf muß beftanden werben, Daß es Leinen Gottesdienft ohne Wort Gottes gibt, fey dieſes Wort Gottes entweder das einfach wiederholte, oder durch menſchliche Rede erweiterte" und ausgelegte Wort der Schrift. Hiermit hängt nun die zweite Frage nach der mifflonarifchen oder cultusmäßigen Stellung der Predigt auf das engſte zuſammen. Seitdem bie Homis letik mehr nach eigentlich theologifchen Principien behan⸗ beit wird, feitbem erft ift Diefe Alternative entfchiedener herr vorgetreten. Palmer gibt der Predigt vorwiegend eine cultusmäßige Unterlage, die neuefte Bearbeitung der Ho miletik von Ficker eine ausſchließlich miffionarifche. Aber es muß geſagt werden: iſt denn für die Predigt diefer Gegenſatz wirklich ein ſo ſtarrer? Die Predigt iſt Zeug⸗ niß von Chriſti Erſcheinung, yon Ehriſti Gnade und

Kraft, von Chriſti Reich. Dieſes Zeugniß wird ausge⸗

Theorie des Gultus der evangeliihen Kirche. 257

ſprochen gegenüber der Welt, damit diefe zum Reiche Gottes werde, in der gefammelten Gemeinde, damit diefe immer mehr wachfe in der Erfenntniß Chriſti, in dem Reihthume der Liebe, in der Ueberwindung der Welt. Es find diefelden Thatfachen ber ewigen Liebe, durch deren Verkündigung das ftarre Herz gebrochen, das ges brochene befefligt und weiter in feiner Erbauung geführt wird. Wir, die wir fchon in der Gemeinde ſtehen, haben doch jeden Tag von diefen Thatfachen zu leben. Die Miffionspredigt hat nicht weitläufige Gründe aufzuzaͤh⸗ in, wodurch der in die Sünde und ihr Elend verfunfene Menſch zur Ueberzeugung des dhriftlichen Glanbens her» übergeleitet werden fol, fondern fie hat das Wort der Gündenvergebung, die Offenbarung der göttlichen Gerech⸗ tigfeit und Gnade zu verfündigen, damit dadurch neues keben gezeugt werde, fie it Zeugniß. Die Cultus⸗ predigt verkündet auf der Borausfegung des Glaubens die nämlihen Thatfachen; fie bringt diefelben in Vers bindung mit unferem ganzen Lebenskreiſe; fie zeigt eines, theild Die Tiefe der Weisheit, die in diefen Thaten Gots tes liegt, anderntheils die Weite der Beziehung, welche diefe Thaten mit unferem fittlichen Zuſtande in allen feis um Verzweigungen haben. So ergibt fih denn aller dinge auf Grund der Einheit der Gubflanz eine Ber Ihiedenheit in der Form von Mifflonds und Eultuspres die. Diefe Berfchiedenheit drückt fich vor Allem in der Stellung Der Predigt aus innerhalb des Cultus felbft. Bir Haben hierüber ein intereffantes Zeugniß von Luther. In einer feiner Iiturgifchen Arbeiten äußert er, man wife im Grunde die Predigt dem eigentlichen Gottes⸗ diente vorangehen laſſen. Damit if die Mifffonspredigt gemeint. Indem nun in unferem gegenwärtigen Eultus die Predigt in der Mitte flieht, wird bezeugt, daß fie ſich ans Vorausſetzung bed Glaubens geftalte (wie ja auch nach urfprünglicher Anordnung ber Predigt das Eredo vor⸗ Theol. Sud, Jahrg. 1847, 17

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258 . Kliefoth

angeht), dauß fie dabei freilich nadı dem Bebärfniffe der Gemeinde ihre Berfündigung auöfpreche, da fie bean bald mehr dem miffionarifchen (erwedenden), bald mehr dem doctrinellen (banenden) Elemente ſich zuneigt. So wie die Offenbarung das Beten als innere Grundſtimmung bervortreibt, fo dad Wort Gottes dad Gebet ald äußeren Act; wie das Beten nicht bloß ein ſich Hingeben, ſondern auch ein Aneignen, ein Nehmen ift, fo bleibt der Gottes⸗ dienſt auch micht bei dem bloßen Geben im Altardienfle ſteheu, fondern ift weiterhin ein Nehmen, ein Aneignen, was ich im Sacramente vollzieht; zwifchen jened Geben und dieſes Nehmen ſtellt fich die Predigt in bie Mitte, gibt jenem Geben das Ziel, zeigt, woher und was zu nehmen. So werden Offenbarung und Yrömmigleit, in deren Ineinandergreifen die Religion befteht, im Eultus ausgedrüdt, der Gultus wird zur Darftelung der Relis gion in ihrer concreteften und reifſten Geſtalt. Gedenken wir hierbei des Satzes unſeres Berf., daß die Gemeinde und ihre Gultuöthat das Werk fowohl der Gemeinde, wie Chrifti ift, fo geftaltet fidh und diefer Satz nad uns ferer Auffaffung noch zu einer reicheren Entwidelung, indem wir fagen: dad Gebet, d. h. der Altarbienft, if wefentlich That der Gemeinde, die Predigt That Ehriſti, und im Abendmahle durchdringen fich beide Actionen, Aber eben mit der Stellung, die ber Verf. dem Abendmahle im Cultus gibt, können wir und nicht bes freunden. Es tritt als eine fünfte Cultushandlung zu den übrigen vier: Taufe, Sonfirmation, Copulation, Der gräbniß; dieſe Ießteren haben am ihm ihr Eorrectiv, Hierbei bleibt ed zu verwundern, daß dem Berf. bie Stel⸗ lung , in welche hierburd, die Taufe geräth, wicht aufge fallen if. Die Tanfe it nach der Fliefotb’ichen Auf: faffung fowohl Cultushandlung ald Sacrament; fie bat als Sultushandlung zugleich au ſich, ald an einem Sacra⸗ mente, ihr Eorrectiv. Uns ficht noch immer bie Ueber⸗

Theorie des Eultus ber evangelifchen Kirche, 239

zeugung fe, daß ſowohl durch die geſchichtliche Ents widelung bed Cultus, als durch feine theoretifche Ber handlung die Aufgabe fich herausſtelle, nachzuweiſen, ins wiefern in ber facramentalifchen Feier der Cultus fh vollende und weiche Stellung darum dieſes Sacra« mentalifche zum Gultus überhaupt einnehme Die Se gengrände Kliefoth's haben ung Diefe Ueberzengung nicht zu erfchättern vermocdht. Befonderd S. 168, ımd 169, finden wir nämlich die Polemik gegen bie Sinfügung des Abend⸗ mahls in den Organismus des Gotteödienfies, Wenn ed dafelbft heißt, diefe Einfügung könne nicht dadurch bes gründet werden, daß man fage, im Wbendmahle fhefle ſich die Idee der Gemeinfchaft am volllommenften bar, denn nicht das Abendmahl allein, fondern jeder Aet des Ent ms fen ſowohl ein Suchen und Werden ber Gemeinſchaft mit dem Herrn, ald auch eine That der Gemeinde und fomit eine Bethätigung ihrer Gemeinſchaft —ı fo ſcheint mir doch hierüber ein faft allgemeines Einverſtaͤndniß ans genommen werden zu können, daß bie Idee ber Gemein» {haft in keinem anderen Acte fo fpeeififch ſich ansdrücke, wie im Abendmahle, daß es der höchſte Ausdruck ber prieſterlichen Gemeinſchaft fey, die vollendetſte Darſtel⸗ lung des mit feinem Haupte gliedlich vereinigten Leibes. Darauf geht ja auch die bekannte Stelle des Korinthers briefes. Das Abendmahl als bloße Eultushanblung in die Reihe der Abrigen zu ftellen, wiberflreitet dem Bes grife ſowohhl des Abendmahls, ald auch der Cultushand⸗ Iang; denn, um nur von letzterer zu ſprechen, es ſoll ja nach der eigenen Definition des Berf. die Eultushand⸗ Ing eine That der ganzen Gemeinde an den Einzelnen fon; aber, wenn man auch noch fagen kann, die Ger meinde ift die prebigende, ift fie denn auch bie dad Sa⸗ crament reichende? Gefchieht dieſes nicht kraft ausdrück⸗ licher Einſetzung Chriſti? Findet nicht hier gerade die That Chriſti an der ganzen Gemeinde, die erwidernde 17 *

260 Kliefoth

That der Gemeinde an Chriſtum flatt? Der Grund, warum gegen den Zufammenhang bed Abenbmahles mit dem Gottesbienfte gekümpft wird, entiteht, wie auch der Verf. angibt, daraus, daß man fich in Beziehung auf Taufe wie auf Abenbmahl in Berlegenheit befindet, an weichen Ort biefe Sacramente gehören. Was nun bie Taufe betrifft, fo if. hierbei nicht zu vergeflen, daß ja die Eonfirmation mit der Taufe in ber engften Beziehung fiebt und die Beziehung der Taufe zu dem Gemeinde⸗ gottesdienfte ſich in der Conſirmationshandlung darſtellt. Bei dem Abendmahle wiederholt fich bie alte Frage, ob daſſelbe fonntäglih, oder nur zu einer beffimmten Zeit gefeiert werben folle. Die fonntägliche Feier iſt es ger wöhnlich, wodurch daſſelbe mehr nur ale ein Anhang an dem Gottesdienfte erfcheint, fo daß die Idee der Ger wieinfchaft zurüdtitt. Darum hat [hen Höfling in feiner „Sompofition des Gemeindegottesdienſtes“ Die teformirte Anordnung vorgezogen, das Abendmahl zu eis ner beftimmten, ferner auseinander liegenden Zeit, aber dann auch als dem ganzen und eigentlichen Gemeindegot⸗ tesdienft zu feiern. Hierbei ift aber nach dem Principe zu fragen, nach welchem jene Zeit beſtimmt wird, und bier fcheint es uns verfehlt, wenn, wie ed gewöhnlich zu gefchehen pflegt, ein nur äußeres, numerifches Berhälmiß, ſtatt ein inneres, im Organismus ded Cultus liegendeg, angenommen werben if. Sagt man nämlich, etwa alle vier Wochen folle dad Abendmahl ald Gemeindegottess bienft gefeiert werden, fo fragt man billig: in welchem Berhältniffe ſteht dieſer Line, gewählte Sonntag zu den anderen? Es ift ber Cyklus des Kirchenjahres, Der auch bier wieber maßgebend ift in feinem Berhältuiffe ber Felle zu den übrigen Sonntagen. Wir fagen: die Feſttage find auch Die Abendmahldtage, Die Bemeinbetage; am Feſttage offenbart ſich die ganze Fülle und der In» halt bed Gultus; hier findet: immer eine neue Darftels

Zheorie bes Gultus ber evangelifchen Kirche. 261

lung und Berlobung der Gemeinde flatt. Die übrigen Sonntage aber ſind die weiffagenden Borboten zu dem Felle, oder feine nachklingenden Töne; das Doctrinelle darf, ja foll hier vor dem Lyrifchen vorwiegen, es find die durch Erfenntniß fich vollziehenden Borbereitungen oder die in Erfenntniß fich ausfprechenden Dankfagungen für die Feſte. Das Abendmahl und feine Keier hängt dem⸗ nach mit der Stellung der Sonntage zu den Fefltagen zu» fanmen, Man flieht indeifen leicht, daß andere Unterfcheis dungen, 3. DB. die zwifchen unvollfländigem oder vollſtän⸗ digem, oder die zwifchen Prebigtgottesdienft und Abend» mahlgottesdienft in diefer Anordnung von feldft zu ihrem Rechte kommen. Uebrigen® hierauf möchten wir als auf einenwefentlichen Gewinn der Fltefoth’fhen Darftellung binmeifen, dag nämlich der Unterfchieb zwifchen Sacras ment und Benediction entfchiedener hervortritt. Benes diction ift That der Kirche, Sacrament That Ehrifti, Die Fathol. Kirche macht daher nach ihrem Begriffe der Kirhe auch Benedictionen zu Sacramenten, die proteſt. Kirche ſtellt die Benedictionen zu fehr zurüd.

Doch müflen wir eilen, den noch übrigen dritten Theil in kurzen Zügen vorzuführen. Er handelt von der Sonftruction des Sultus und zwar unter den Abfchnitten: Eultusr acte, Cultuscyklen und Eultus ald Sache der kandeskirche. Die Betrachtung der Eultusacte glier dert ih in die bed Gottesdienſtes und der kirch⸗ liden Handlungen Der Berf. zieht eine Scheis dungslinie zwifchen dem Gottesdienfte und den Firchlichen Handlungen und erklärt fih gegen dad Streben, diefe in den Gottesdienft hereinzuziehen. Daß er hierbei befons derd gegen die Verbindung von Gottesdienft und Abend» mahl polemifire, iſt fchon gefagt. Wir verweifen hierüber auf das vorhin Befprochene. Der Gottesdienft felbft zers fällt nach S. 173. in drei Gruppen, den Gebetsact vor der Predigt, den Predigtact und den Gebets⸗

22. Btiefoth

act nach der Prebigt. Die brei nothwendigen Stüde des Gebetsactes werden (&. 174.) vom Eingangs» liede, dem Gruſſe und Gegengruffe unddem bit- tenden Altargebete mit dem Amen ber Gemeine ges bildet, Die drei nothwendigen Stücke des Prebigtactes find die Predigt felbft nach ihren einzeluen Stücken und verbunden mit dem anbefehlenden Gebete [müßte bieß nicht eine befondere Reihe bilden, nicht zum Gebets⸗ acte nach der Predigt gehören ?] den Hauptliede vor und dem Berfe nach der Predigt (S. 177.). [IE aber das Umſchloſſenſeyn der Predigt durch Gefang ein bes fonderer Act?? Der Gebetsact nady der Predigt ſcheidet fih in dad dankende Altargebet, deu Gegen und das Ausgangslied (5. 179) Nun folgt die Dars ſtellung der Firdhlichen Handlungen (&,183—209.), die wir, abgefehen, was wir von der Stellung bed Abendmahle erinnerten, zu den ausgezeichnetftien und förberndften Partien ded Buches zählen. Wir führen bier nur die Bellimmungen an, die der Berf. für allen gleichmäßig zuflommend und für fie gültig erflärt: „Bei allen iſt ein breifaches Perfonale gegenwärtig, der Seiftliche, welcher Namens ber Sefammtgemeinde die Haudlung vers fieht, das oder die einzelnen Öemeindeglieder, an welchen fie verfehen wird, und das Zeugenperfonal, Der Ort ift entweder das chriftliche Haus, oder das Got⸗ tes haus (oder der Kirchhof): Das MWefentlihe in der Begehung tft die fombolifche Handlung mit der fie erpri- mirenden Formel. Um diefelbe legt ſich aber, um fle zu einer förmlicdhen Ceremonie, zu einem Cultusacte zu mas chen, herum erflend das Gebet, das als Bitt- und Danfs gebet den ganzen Act eröffnet und fließt, und billig nicht bloß ein vom Geiftlihen allein gefprochenee, fondern ein gemeinfamer Gefang if. Das zweite, bei allen Hinzu⸗ kommende if die Rede, welche, weil fie vorbereiten ſoll, nothwendig immer zwifchen das Eingangegebet und bie Handlung füllt” (5.184). Die Eultuscytlen nm:

Theorie deö Gultus der evangeliſchen Kirche. 263

fafen ben Eyklus bes Kirchenjahres, wobei der Unter⸗ fhied von Fefigetiesdienfi und Sonntagegottesdienft hers vortritt. Ausführlich und höchſt geiftwoll wird das Kir, denjahr entwidelt, wo nur (S. 220,) die Polemik ger gen die Anfchauung, daß die chriftlichen Kefte eine Ana⸗ Isgie zu dem natürlichen Tahreslaufe haben, zu fcharf Mund nicht ganz vor der gefchichtlichen Betrachtung bes ſteht. Schön aber iſt das Wort zum Schiuffe diefes Abs ſchnittes: Es mögen doch, ehe wir auf fie hören, bie Erfinder des Cultus des Genius erft etwas binftellen, in dem fo viel Genius iſt, ale in diefem Baue, den die Ge⸗ seinde Ehrifti fidy gegründet hat” (S. 231.)

Die Beziehung der Eonftruction des Eultus gu ber Betrachtung des Cyklus des Menfcheniebene tritt nicht scht Klar hervor, ift auch nadı der eigenen Aeußerung des Berf. fchon bei der Darftelung der kirchlichen Hands» Isngen vorgefommen. Den Schluß des Werkes bildet die Betrachtung des Eultus als Sache der Landeskirche, wobei dad Weſen des Gemeindeverbaudes ſowohl wie des Kirchenregimentes verhandelt wird, Abfchnitte, die, wenn fie vielleicht auch nicht firenge ober in folder Aus⸗ führlichkeit in die Theorie des Cultus gehören, doch ims merhin großes Intereſſe für die unter und noch fo wenig angebaute Theorie der Kirchenverfaffung zu erregen im Gtande find.

Die Wege ber Betradytung von D. Lüdemann mußten ſich der Natur ber Sache nach bald von jenen D. Kliefoth's trennen. Der erftere verfolgt anregend und feſſelnd feine Bahn, and der allgemeinen Borftellung des chriſtlichen Cultus bie einzelnen Momente hervorzus heben. Den erften Abfchnitt: der proteſt. Gultus ale feierlich fymbolificende Darftelung der Religion, haben wir ſchon kennen gelernt. Der zweite behandelt den pros - tefantifchen Eultus ald gemeinfame und öffent lide Darfkellung ber Religion. Es wird bas Behärfuig befchrieben, ans welchem biefe Gemeinſchaft

264 Luͤdemann

ſich bildet, gezeigt, wie die Religionsgemeinſchaft zur Religionsgefellfchaft wird, hierdurch die gemeinfame Ans dachtsübung zur öffentlichen. Subject und Object Diefer öffentlihen Andachtsübung ift die verfammelte Gemeinde. Das gottesdienftliche Handeln der Gemeinde ift nun ent: weber einfaches Zeugniß, oder Hinwendung auf ein be⸗ ſtimmtes Dbject. So ergibt ſich in Beziehung auf das Wort ald Darftelungsmittel der Unterfchied von dem Monvologifhen und Proslogifchen, das letztere entweder Gebet oder Anrede. Die verfammelte Bes meinde vollzieht ihre gottesdienftliche Handlung entweder in der Geftalt, daß fie, was in ihr lebt, fo, wie es in Allen lebt, zur Darſtellung bringt, oder fo, wie es in

einem Einzelnen lebt und ſich ‚geftaltet hat. Dieß gibt

»

den Gegenſatz bee Liturgiſchen und Homiletifchen (S. 3T.). Bir können nun unmöglich der weiteren Ausführung in Beziehung auf Gemeindegefang und Agende hier fol⸗ gen, da ein Auszug and der Darftelung Lüdemann’e

nicht wohl möglich if. Aufgefallen ift-und nur, daß der

Berf. nicht entfchiedener an dem Statarifhen und Firirs ten des Agenbdarifchen feftgehalten hat (S. 46. die Anm.). Die Nothwendigkeit diefes Firirten tritt ja gerade aus dem priefterlichen Eharakter der Gemeinde, aus dem in allen ihren Gliedern Identiſchen entfchieden hervor. Mit Recht aber hat der Verf. die Eriftenz der biblifchen Rec» tionen gewahrt. Zufammengefaßt erfcheint der Inhalt diefed Abfchnittes in den Worten: „In der Vereinigung bes liturgiſchen und homiletifchen Elements, welche fich im Gotteöbienfte fachgemäß nur fo geftalten fann, baß bad Liturgifche der terminus a quo und ad quem des ho» miletifchen bleibt und daher diefed in feine Mitte nimmt, gewinnt das religiöfe Gemeindeleben feine fittliche Geſtalt und fein wahres Gebeihen.” Der Schluß der Abhand⸗ lung betradjtet den Cultus ald dem Befenntniffe der proteft. Kirche entfprechende Darftelung ber Religion, wodurch der Cultus zu feiner Vollendung kömmt. Dog⸗

über dad Weſen des protefl. Cultus. 265

matifche Milde, ethifche Tiefe und äfthetifche Kenichheit werden als die Brundcharaktere bed proteft. Eultus hin, geſtellt.

Gewiß wird es nicht entgehen, welche Förderung durch diefe neuen Bearbeitungen für die Theorie bes Cal⸗ tus und, wir hoffen, auch für feine Prarid gewonnen ift. Aufs Neue ift ed Mar geworden, daß der Eultus nicht ein Aggregat einzelner Beitandtheile fey, Daß er einen Orgas nismnd darftelle, der ebenfo aus den tiefften religiöfen wie fittlichen Gründen herauswachſe. Aufs Neue ift das Bedärfniß hervorgetreten, die Befete diefes Organismus zu erforfchen, den Zufammenhang befielben zu erfennen. Es fehlt und nichts, aber wir haben es nicht in der rech⸗ tm Ordnung, wir fennen zum Theil unfere Schäte gar nicht, oder wir verflehen fie nicht zu behandeln. Auf dies fer Erfenntniß, auch der protefl. Cultus bedürfe eines aus der Ratur der Sache wie aus der Ueberlieferung der Sitte herandsgewachfenen Organismus, er fey aber aach fähig, einen folchen hervorzubringen, muß die Arbeit weiter geführt werden. Sie wird fich theoretifh vor⸗ uchmlich mit der Frage nach der Stellung ded Abend» mahld zum Gottesdienfte überhaupt, ſowie nach der noch fo fehr vernachläffigten Theorie des kirchlichen Ufus, und praftifch mit der reinen Herſtellung der vorhandenen Ele, mente, namentlich des Kirchengefanges, zu befchäftigen haben. Möchte bald die Zeit fommen, wo die Eine Kirche des gefammten evangelifchen Deutfchlande fich Eines Lie⸗ dverfchages, Einer Agende erfreuen darf! Wir wollen feine monotone Firirung, aber auch keine vereinzelnde Zerfplitterung; wir haben ja genug bittere Erfahrungen gemacht, um endlich einmal dad Geheimniß der Einheit in der Mannichfaltigkeit, der Mannichfaltigkeit in ber Ein» beit zu lernen und durch die That zu offenbaren!

D. Ehrenfeudter.

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Neander, Deufwärbigleiten aus der Geſchichte des hriftlichen Lebens. gr.8. 3. Aufl. 2.Bd. Thir. 3.14 Ser. 1. uud 2 Bd. Thlr. 3. 14 Sgr.

Helffrich, Ad., Spinoza und Leibnit oder das Wefen des Idealismus und des Realismus. gr,8. geh. 15 Gar.

An Neuigkeiten in letter Vergangenheit verſandten wir: ‚Dr. P. das Leben Johann Calvins, ein Zeng» nig für die Wahrheit. Mit dem Bildnig Calvins. gr. 8. geh. Cin einem Bande). Thlr. 2. 4 Sgr. Das fehr fchöne Bildniß Johann Galvin’d apart geben wir in 4. auf chinefifchem Papier ab für 16 Sgr.

Sillebraud, Dr. J., die deutſche Nationallitteratur feit Leffing bis auf die Gegenwart. ——— compl.

gr. 8. geh. hir. 6. 8 Sgr. Helffrich, Ad., die Metaphyfif als Grundwiſſenſchaft. gr. 8. geh. Thlr. 1.

Nüdert, Dr. Emil, Troja’s Urfprung, Blüthe, Unters gang und Wiedergeburt in Latium, gr. 8. geb. Thlr. 1, 24 Sgr.

Glaudins, M., Werke; auch unter dem Titel: „Asmus omnia secum sua portans,. oder fämmtliche ‘Werke des Wandebeder Boten.” DOrig.Audg. 7. wohlfeile Aufl. mit vielen Holzſchnitten und Kupferſtichen nah D. Ehodowiedi. 8 Thle, 16, geh. Thlr. 2. 10 Sgr. Die größere Ausgabe koſtet Thlr. 4. 25 Sgr.

Meier, ©. U., die Lehre von der Zrinität in ihrer biftorifchen Entwidelung. 2 Thle. gr.8. Chlr.2.25 Sgr. Vertbes, das deutfche Staatsleben vor der Revolution, gr. 8. Thlr. 2.

Adermann, Dr. ©., die Glaubensfätze von Chriſti Höflenfahrt und von der Auferfiehung des Fleiſches.

16, geb. 6 Sgr. Schwarz, Dr. Th., der evangeliſche Geiſt im Bunde wit der heiligen Schrift. kl. 8. geh. 15 Sgr.

Sartung, J. A., die Kehren der Alten über die Dichts kunſt. gr. 8. geh. Thir. 1. 10 Sgr.

y

Wait, Dr. Th., Grundlegung der Pſychologie. Nebſt einer Anwendung auf dad Seelenleben der Thiere, bes fonderd die Inſtincterſcheinungen. gr. 8. geheftet. Hamburg und Gotha. Fr. u, 3. Perthes. Thlr. 1.

Die Abſicht bes Verf. gebt in bem vorftehneben Buche haupt» faͤchlich dahin, bie philofophifche Speculation ber eracten Raturfor: ſchung fo ſehr als moͤglich anzunähern durch den Verſuch, die Pſy⸗ chologie, welche er als Grundlage aller anderen philoſophiſchen Dis⸗ ciplinen betrachtet, auf die Reſultate der neueren Phyſiologie zu gründen. Die beigefuͤgte Abhandlung über das Seelenleben ver Thiere fol an einem Beiſpiele die Anwendung ber im erſten Theile entwidelten Säge zeigen. -

Als einen der wichtigsten Beiträge zum Verständ- nisse der religiösen Fragen, welche die Gegenwart bewegen, empfehlen wir die so eben bei uns erschienene Samm- lung:

Religionsphilosophischer Schriften

von Johann Gottlieb Fichte. gr- & xeh. XXXVI. 580 Seiten. 24 Thlr.

Inhalt: Aphorismen über Religion und Deismus. Ver- such einer Kritik aller Offenbarung. Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung. Appellation an das Publicum gegen die Anklage des Atheismus. Gerichtliche Ver- antwortung gegen die Anklage des Atheismus. Rückerinnerun- gen, Antworten, Fragen (ungedruckt). Aus einem Privatschrei- ben. Die Anweisung zum seligen Leben, oder auch die Reli-

gionslehre. Berlin, 1. Juli 1846. Velt & Comp.

Bei ©. H. Reclam sen. in Leipzig ist soeben erschienen und durch alle Buch- und Kuasthandlungen zu beziehen: Das wohlgetroffene Bildniss des Königl. Kirchenrathse und ordent!. Prof. der Theologie zu Leipzig, Ritters etc.

Dr. Georg Bened. Winer. Gemalt von &. A. Hennig. Lith. von EB, Uber. Mit einem Facsimile. Preis 4 Thir., auf chin. Papier 4 Thlr.

Wir machen die vielen Verehrer dieses Gelehrten auf dieses schöne Bild noch besonders aufmerksam.

Erschienen ist: ; Thesaurus hymnologicus sive hymnorum, canticorum, se-

quentiarum circa annum MD. usitaterum collectio am- plissima. Carmine . collegit, apparatu critico ornavit, veterum interpretum notas selectas suasque adjecit Dr. H. 4. Daniel. Tom. Ill. cont.

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II. Carmina syriacae ecclesise curante Dr. L. Splieth. ill. Peralipomens ad tomum primum et secundum.

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Joh. Ambr. Barth in Leipzig.

um

Bei C.H. Reclam sen. in Leipzig ist soeben erschienen: Biblisches

Realwörterbuch zum Handgebrauch herausgegeben

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Dr. Georg Bened. Winer,

Königlichem Kirchenrath, Professor, Ritter u. s. w. Dritte achr verbesserte und vermehrte Auflage. Erster Band, 1stes Heft, die 12 ersten Bogen in gr. Lex.-8.

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Origenes. Eine Darſtellung ſeines Lebens und ſeiner Lehre

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Drigeneß, ber größte pfttofopsifge Kopf ber griechtſchen Kirche, der durch feine Schriften und Lebensichidfale auf die gefammte Theo logie der griechiſchen und felbft ber lateiniſchen Kirche Jahrhunderte hindurch eingewirkt und ohne deſſen genauere Bekanntſchaft bie chriſtliche Wiffenfchaft der erſten Jahrhunderte nicht zu verſtehen ift, bat in dem vorgenannten Werke eine würbige Bearbeitung gefunden. Mit ausgebreiteter Gelehrſamkeit, mit redlichem Fleiße und mit einer beifpiellofen confeffionellen Unbefangenheit hat Herr Profeflor Redepenning eine eben fo nüsliche als fchwierige Aufgabe geldſt. Sein Werk iſt unentbehrlih für Alle, welche fi ein gründlices Urtheil über die wiſſenſchaftlichen Zuftände der erften Jahrhunderte der Kirche verfhaffen wollen, und Tann mit Grunde Geiftlidyen und Sn Benben: aller Konfeffionen oder gelehrten Laien empfohlen werben,

Sacob Böhme's ſämmtliche Werke, herausgegeben von K. W. Schiebler. Scehfter Band, enthaltend: Psychologia vera; Psychologise supplementum, das um: gewandte Yuge; de incarnatione verbi; sex puncta theo- sophica; sex puncte mystica; mysterium pansophicum; de quatnor complexionibus; theoscopia; de testamentis Christi; Gefpräd, einer erleuchteten und unerienchteten Seele, theofophifhe Fragen; Tafeln von den drei Principien göttlicher Offenbarung; Schlüffel. Mit einer lithographirten Zafel. gr. 8. Thlr. 3. 6 Sor.

ift erfchienen und der 7. Banb, ber bas Ganze beichließt, unter der

2 e

Die früher herausgekommenen Bände Eoflen: _

1. Band: ber Weg zu Chrifto, 3 Ihlr, 2, Band: Auzora, Thlr. 14. 3. Band: die drei Principien göttlidhen We fen, Ipie. 13. 4. Band: vom dreifachen Leben des Menfchen; von der Geburt und Bezeichnung aller Weſen; von der Gnaben: wahl, hir. 23. 5. Band: Mysterium magnum, ober Erklaͤrung über das erſte Buch Mofes, hir. 84.

Joh. Ambr, Barth in Leipzig.

Sn der Palm' ſchen Verlagsbuchhandlung in Erlangen if fo eben erfchienen und in allen Buchhandlungen zu haben: Söfling, Dr. Joh. W. Fr., das Sakrament der

Taufe, nebft den anderen damit zufammen hängenden Akten der Suitiation. Dogmatifc, hiſtoriſch, liturgiſch dargeftell. 1. Lief. gr. 8. geb. Thir. 1. 5 Sgr. oder fl. 2.

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Bei 6. F. Winter, alabemifdie Berfangspendiung in Heidel⸗ berg, erfcheint: Schrbuch

Erziehung und des Unterrichts.

Handbuch für Eltern, 2 "Behter und Geiftliche

Dr. W. 3, s. Curtman, Director bes Schullehrers@&eminars zu Friedberg. Zünfte Auflage des Schwarz Eurtman’fchen Werte,

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Das Ga Be {in 6 ——— en je zwei einen Band bilden) et der iſt für jede Lieferung 12 Sgr., 42 fr. rbein., ober 35

Es find 2 Lieferungen bereits erſchienen, mithin dee etfle Band volftändig, und wird der Schluß des Buches bis Ende bes Jahres 1846 in den Händen der Oubfceribenten feyn.

Eines ber trefflichſten Bücher in unferer Literatur. Gefunde Infihten, klare, * Manne von Bildung verſtaͤndliche Darſtellung, große Vollſtaͤndigkeit; ſehr ſchoͤn gedruckt und außergewoͤhnlich wohl. feil; unſere Leſer werden es uns Dank wiſſen, fie darauf aufmerk⸗ ſam gemacht zu haben.

Ki Bei Bandenhoeck und Ruprecht in Böttingen find erw

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Vodemann, F. W., Sammlung liturg. Formulare aus aͤltern und Agenden. J. Abtheil. liturg. lungen. gr. 8. hlr. 1

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ſtehendem). 5 Sgr. auderlefene bibl. Erzählungen and dem el und neuen Teftamente. 3. Aufl. gr. 12. 5 Ser. Partiepreis für 24 Eremplare Thir. 3 diefelben mit Lehren. gr. 8. 10 Sgr. Partiepreis für 24 Eremplare Thlr. 6.

Meyer, H. A. W., Kommentar über des neue Teata- ment. 1. Abthl. 2. Heft. Markus und Lukas. Zweite umgearb. Aufl. gr. 8. Thir. 1. 10 Sgr.

Petri Siculä historia Manichaeorum seu Paulicianorum, ed. J. C. E. Gieseler. 4 maj. 23, Sgr.

In der Verlagsbuchhandlung von SG. W. Lesle in Darmfladt it erfchienen:

Jahrbücher speculative Philosophie

und die philosophische Bearbeitung der empirischen Wissenschaften. Herausgegeben

v Dr. Ludwig Noack. Erster Jahrgang. Erstes Heft. Preis für den ganzen Jahrgang 6 Thir. pr. C. oder fl. 10.

Die „Jahrbücher für fpeculative Philofophie‘, deren erftes Heft wir dem Yublitum übgrgeben, haben ſich einerfeits bie ſyſtematiſche Bearbeitung der philofophifcdhen Disciplinen, im firengen Sinne bes Wortes, andererfeits die philofophifche Durchdringung ber emypiriſchen Wiſſenſchaften zum Biel geſeßt. Zugleich werben die Jahrbuͤcher den welentlichen Intereffen der Gegenwart und dem durch die Wiffenfhaft organifch umaugeflaltenden Leben ihre Aufmerkſam⸗ keit zuwenden, um fo zur wechlelfeitigen Verfländigung und theil- weifen Berfühnung ber verfcyiebenen philoſophiſchen Standpunkte und Richtungen in der Gegenwart und zur geiftigen Durchdringung ber gegebenen Wirklichkeit, durch ein kraͤftiges Zuſammenwirken der jugendfrifyen und jugenbflarten philoſophiſchen Kräfte aus allen Ges genden unfres Vaterlandes, beizutragen. Zür biefen Zweck haben dem Unternehmen bis jest bereits etliche und fiebenzig Mitarbeiter ihre thätige Theilnahme zugefagt und Anbere ihre künftige Betheilis gung in Ausfidht geftellt.

Das erfte VierteljahrsHeft, weldhem die übrigen no im Laufe des Jahres 1846 nachfolgen werben, enthält außer Dem einleitenben Programm des Herausgebers: I. Abhandlungen: 1) Noad, die Idee der fpeculativen Religionswiſſenſchaft. 2) Neiff, über das Princip der Philofophie und die Idee des Syſtems der Willens beſtimmungen; 3) Sarriere, Macchiavelli; 4) Oppenheim, über das Welen des Staatsgefehes und die Schranken ber Gefeßgebung ; 5) Boigtländer, philofophiſche Betrachtungen. II. Krititen: 1) Bimmermann, Ghaleipeare’s Macbeth, von Hiede; 2) Adler, Michelet's Entwidelungsgefchichte der neueren Philoſophie; 3) Road, zur Kritit von Wirth's Analyfe bes religiöfen Grunbgefühls, 4) Micyelet, Georges Metaphyſik; 5) Foͤrſter, Miscelle über beutfche Philoſophie in England, Nachtrag zum einleitenden Vorworte des Herausgebers. |

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Be Joh. Auibr. Barth in Leipzig find erſchienen: Novum Testamentum coptice edidit Dr. M. @.Schwarize. Parsl. Quatuor Evangelia continens Vol. 1. unter dem Zitel:

Quatuor Evangelia in dialecto linguae copticae Mem- phitica perscripta ad Codd. Me. copticorum in regia bibliotheca Berolinensi adservatorum nee non libria Wil- kinsio emissi fidem edidit, emendavit, adnotationibus eriticis et grammaticie, variantibus lectionibus expositis ugue textu coptico cum graeco comparato instruxit Dr.

. @. Schwartze. Partis I. Vol. I. Evangelia Mat- ihaei et Marci continens. 4 maj. Thir. 3.

Schott, Dr. H. A., die Theorie der Berodsamkeit mit besonderer Anwendung auf die geistliche Beredsam- keit in ihrem ganzen Umfange dargestellt. Zweite nach dem Tode des Verf. besorgte und verbesserte Auflage. Dritten Theiles erste Abtheilung.

Auch unter bem Zitel:

die Theorie der rednerischen Anordnung mit besonderer Hinsicht auf geistliche Reden dargestellt und an Beispie- len erläutert. gr. 8. Thlr. 12.

Bon diefem mit vollem Nechte fo hoch geſchaͤgten Werke enthält: Band 1. die philosophische und religiüse Begründung der Rhetorik und Homiletik. 2. verbesserte A gr. 8. | r. 2. Band 2. die Theorie der rednerischen Erfindung , mit besonderer Hinsicht auf geistliche Reden dargestellt und an Beispielen erläutert. 2. verbesserte Auflage. er. 8. Thilr. 24. and wird deſſelben Berfaflers ; kurzer Entwurf einer Theorie der Beredsamkeit mit beson- derer Anwendung auf die geistliche Beredsamkeit. Zum Gebrauche für Vorlesungen. Zweite verb. und verm. Auflage. gr. 8. Thlr..1. hierdurch wieberholt angelegentlich empfohlen.

Bei Joh. Aug. Meißner in Hamburg iſt ſo eben erſchienen

und durch alle Buchbandfungen zu beziehen:

Nedslob, Dr. 8. G. M., Prof. ıc., Die altteſtament⸗ lichen Ramen der —— des wirklichen und ideas len Jsraelitenſtaats etymologifch betrachtet. gr. 8. de

Hamburg, im Anguſt 1846, 20 gGr. oder 25 Sgr.

Theol. Sud, Jahrg. 1847, 18

Aus dem Verlage von Herold u. Wahlſtab in Lüneburg if durch alle Buchhandlungen zu beziehen: :

Das

Predigtamt im Urchriitenthum.

Die Entwidelung bed Predigtamtes zur Zeit ber

Apoftel und apofloliichen Schäler, mit Rüdficht auf

dDeffen Beränderungen und weitere. Ausbils

dung, bargeftellt von Eduard Leopold, Paftor prim.,

Probſt und Snperintendent. 24 Bog. gr. 8. geh. Preis Thlr. 15 = fl. 2. 42 Pr. rhein.

An der Brodtmmaunn'ſchen Buchhandlung in Schaffhauſen find erſchienen und in allen Buchhandlungen der Schweiz zu haben:

Predigten über freie Texte. s V | Johann Seinrich Seer,

weilandb erftem Pfarrer in Glarus. Erfter Band, 2te Auflage, fl. 1. 30 fr. Zweiter Band ri 1. 30 Ir.

Die literarifchen Blätter für Homiletit und Afcetil, Mai 1845, Seite 14., fagen über diefe Predigten Folgendes:

„Es erregt ſchon ein günftiges Borurtheil, wenn, bei ben vor: waltenden materiellen Intereſſen ber jegigen Zeit, ascetiſche Betrady: tungen eine 2te Auflage erleben. Zum erftenmal erfthienen vorlies gende Predigten vor 14 Jahren, und ber Verfaſſer beftimmte feine Vorträge zunächft ber Mehrzahl feiner Gemeindeglieder, weldyen er ein fchriftliches Andenken gewähren wollte, da er, burdy anhaltende Körperleiden verhindert, fein Seelſorgeramt nieberlegte und nicht öffentlich wirken konnte.

Herr Heer hat nun durch die hier anzuzeigenden Kanzelvor⸗ träge ſich ſelbſt ein würbiges und ſchoͤnes Denkmal geſetzt. Seine Arbeiten verrathen ebenſo viel Bibel⸗ als Menſchenkenntniß, ebenſo viel Freimuth im Verhaͤltniß zur herrſchenden religiöfen Lauheit, als Geſchicklichkeit, diefelbe mit rechten Waffen anzugreifen, ebenfo viel Schmud der Sprache, als Popularität und Faßlichkeit. Auch die formelle Darftellung ift größtentheils den homiletifchen Anforderungen entfprecdyend ; nur bei einigen Dispofitionen ift bie Ankündigung ber Theile zu breit und unbeflimmt. Zu ben gelungenften Reben gebört die fünfte, oder die Predigt am hoben ober grünen Donnerſtage über Matth. 37, 50-54, welche das Thema behandelt: „Die Kraft des Zobes Jeſu“, und dieſe 1) als eine überzeugende, 2) als eine ver: föhnende, 3) als eine beflernde, 4) als eine Leben und Geligkeit wir: Tende, darftellt. Dahin rechnet Referent ferner die achte Predigt über Joh. 1, 52,, mit bem Hauptfage: „Der Chrift fleht mit dem

Himmel fchon auf Erben in fteter und naher Berbinbung;” benn 1) feiner Erkenntniß und feinem Glauben ift der Himmel enthullet, 2) in fein der Liebe geweihtes Herz ſenkt er fi mit Kraft und Frieden berab, 3) an jebem Drte, in jedem Augenblide ſteht er froh harrend an feinen Pforten. Die temporelle im Sten Theile war unnöthig, weil fie fchon im Thema angedeutet iſt, und weil auch bie übrigen angegebenen Punkte als immer fortgehend gedacht werben müflen. Noch erwähnt Referent bie eilfte Prebigt, welche nach Pf, 8, 4—7. ben as aufftellt: „Die rechte Betrachtung der Ratur ers bebt uns, indem fie uns dbemüthigt. Die Ratur bewirkt dieß 1) durch die Unermeßlichkeit, die in ihren Erſcheinungen, 2) durch die Gewalt, de in ihren Kräften, 3) burdy bie unmanbdelbare Harmonie, bie in isren Wirkungen fidy verkündiget und darftellt.” Diefe Rebe gefiel Referent in Anlage und Ausführung am meiften. Manches Andere, was noch gerügt werben könnte, übergeht Referent, da er mit Manen nit gern rechtet.

Im Ganzen enthält der vorliegende 1ſte Band 19 Reden, welde alle in ihrem Gehalte anfprechen , fo daB auch biefe 2te Auflage man» dem Semüthe zur Erhebung dienen wird,

Die typographiſche Ausſtattung iſt fchön.

r. .o.,..% .

Quellenwerk ded Proteſtantismus. Das Weſen des Proteſtantismus

dargeſtellt von

Daniel Schenkel,

Stadtpfarrer am Münfter, Lic. theol. In drei Bänden. Erfter Band, 1—3. Buch, Die theologifchen Fragen. Dreis fl. 4. 40 Ir. oder Thlr. 2. 18 Nor.

Seit dem Erſcheinen von Plan!’ 8 Geſchichte bes proteftantifchen dehrbegriffs hat Niemand den Verſuch gewagt, eine ähnliche umfaflenbe auf Quelleuftudten gegründete Arbeit zu liefern. Der Herr Vers faffer obigen Werkes barf daher ficher auf die Theilnahme und das Stadium ſowohl der Gelehrten als der Gebildeten beider Gonfeffionen rechnen, in fofern feine Arbeit einzig im ihrer Art dafteht, und ein ähnlicher, zumal fo umfaflender Verſuch einer Gelbftkritit deö Preteftentismus aus feinen Quellenfchriften noc gar nie gemacht Serden ift; ja er Tann auch aus dem Grunde auf das ungetheilte Intereffe des theologifchen Publikums zählen, weiler nicht vermeis nend (negativ), fonbern im ſchoͤnſten Sinne bes Wortes bejahend (pofitio) wirken will.

Durch die Ausdehnung bes Werkes bei dem maffenhaft zu über: windenden Stoffe wirh baflelbe ein Mepertorium für die mans uichfachen orthodsgen and häretifchen Geiftesrichtungen m 3 r der Heformation, woburdy es einen bleibenden Berth ſelbſt für die erhält, weiche mit den Refultaten bes ‚Herrn Vers faffers ſich nicht einverflanden erklären koͤnnen.

Der erſte Baud behandelt bie weſentlich theologifchen m des Proteftantismus: 1) von ber Kutorität der Schrift oder des goͤtt⸗ lichen Wortes; 2) von dee Perfon und dem Werke Ehrifli ; 3) von ben Sakramenten.

Der apa: Band umfaßt die anthropologiſchen Fragen, alle: von der Suͤnde, vom Slauben, von den guten Werten, und zwar eben: falls in kritiſch⸗ hiſtoriſcher Entwidlung aus den Quellenſchriften des Proteftantismus.

Der dritte Band wird ſich mit ben theanthropologifchen, d. h. mit den fpeziell firchlichen Bragen : von dem allgemeinen Prieſterthum, ber Kirchenverfaſſung und dem Cultus, befaffen.

Geographifch = hiftorifche Kirchen⸗Statiſtik

der katholiſchen Schweiz,

von einem katholiſchen Geiſtlichen. Preis fi. 3.

Jedem Staatsmanne, jedem Geiſtlichen, fo wie jedem Freund der Geſchichte und Statiftil follte obiges Werl, das eine Frucht lang» jähriger Gtubien und ber —— Prüfung iſt, unter jetzigen Zeitumſtaͤnden von hoͤchſtem Intereſſe ſeyn. Bis ſegt exiſtirt noch Fein Wert, das mit gleicher Genauigkeit und in gleicher Ausdehnung bie tichlichen Verhältniffe dee Schweiz darftellte. Als ein Werk, das bie äußern Rerbältnifle ber (hweigerifigen atbolifchen Kirche in Zahlen und flatiftifchen Angaben barfiellt, darf es mit Recht auf ben Beifall beider Konfeifionen zählen.

Iohann Paul’s ſevana

&rzieblebre. Eine Zufammenftelung der fchönften und wichtigen Stellen.

Zweite vermehrte Auflage. Preis 18 Er.

Drudfebhler &. 192, 3.70, u. I. Una Te. ©. 192, 3.8 v. u. I. rim ram main m.

Theologiſche Studien und Kritiken.

Eine Zeitſchrift für F

das geſammte Gebiet der Theologie, in Verbindung mit | D. Giefeler, D. Lüde und D. Nitzſch,

herausgegeben

von

D. €. ullmann und D. F. W. €. Umbreit,

Profefforen an ber Univerfität zu Heidelberg.

—— ——

Jahrgang 1847 zweites Heft. ö— Hamburg,

bei Friedrich Perthen. 18 471.

Abhandlungen

Theol, Stud, Jahrg. 1847. 19

1.

Amalrich von Bena und David von Dinant.

Ein in zur Gefchichte der mittelalterlichen Philofophie und Theologie.

Bon D. 3. 9. Krönlein,

HPrivatdocenten an der Univerfität Gießen.

J. Anfange des dreizehnten Jahrhunderts, als bereits die verſchiedenen gnoſtiſch manichäifchen und rationaliſtiſch reformatoriſchen Secten jenes Zeitalters eine weite Ver⸗ breitung über faſt die ganze chriſtliche Welt gewonnen hatten, wurde zu Paris unter dem Vorſitze des Erzbiſchofs von Sens ein ſcharfes Gericht Aber eine Ketzerſchule ge⸗ halten, welche die Anregungen zu den ſchweren Verirrun⸗ gen in Lehre und Leben, deren fie befchuldigt wurde, Durch Amalrich von Bena erhalten haben follte. Das tragifche Geſchick der Unglädlichen, ihr näherer oder fernerer Zus fammenhang mit den religiöfen und Firchlichen Bewegun⸗ gen der Zeit, ihr Verhältniß zu den Bemühungen ber damals zur höchſten Blüthe aufftrebenden mittelalterlichen Philofophie die gleichzeitigen Maßregeln gegen Jedes, 19*

272 Kroͤnlein

was moͤglicherweiſe zu ähnlichen Häreflen führen könnte: Alles dieß hat das Intereſſe der Kirchengefchichtfchreiber wie der Gefchichtfchreiber der Philofophie feit lange in dem Grade erregt, daß daraus eine reiche Litteratur über unfern Gegenftand erwachfen ift, deren innerer Gehalt freilich mit ihrer Weitläufigteit nicht in geradem Berhält niffe ſteht. Zunäaͤchſt find hier Eornerng =) und bie magdeburger Senturiatoren b) zu nennen, welde die häretifchen Säge aus den Chroniken und fcholaftifchen Werken bed Mittelalters zuſammenſtellten, fich aber we niger auf David von Dinant welcher von den fpätern Hiftorifern faft durchgehende mit Amalrich und den Amal⸗ ricanern iu die innigfte Verbindung gebracht wird —, ale auf die legteren einließen. So lüdenhaft auch diefe Samm⸗ Iungen find, die fich bei dem geringen Umfange der vor: handenen Materialien unſchwer hätten vervollfländigen laffen, und fo fehr fie aud der Kritik ermangeln, deren es um fo mehr beburft hätte, als auch bie Quellen fehr im Argen liegen, fo find doch die meiften fpätern Darſtel⸗ ler, unter denen befondere Jak. Thomafius c), Bud» deus d), Bruder eo), Eramer f), Tiedemannes), Tennemann hy) ımb die Verfaffer der franzöſiſchen Litteraturgefchicdte i) namhaft gemacht werden moͤ⸗ gen, im Ganzen nicht viel weiter gekommen. Zwar be

a) Chronic. Corner. ia Eccard. corp. hist. med. aer. Lips. 1598. I. 840. et 848.

b) Centur. Magd. cent. XIII. cap. 5. p. 558 segg. Bas. 1574.

c) Orig. hist. phil. u. A.

d) Analect. hist. phil. cap. 10. et 11. Aal. 1706.

e) Hist. crit. phil. III. p. 688 seqg. Lips. 1748.

f) Fortſetzung von Boſſuet's Ginleitung in die Geſch. d. Welt, VII. @. 10% 110, Leipz. 1786.

8) Geiſt der ſpecul. Philoſ. IV. S. 327 330. Marb. 1795.

bh) Geſchichte der Philoſ. VIII. Abth. I. ©, 821 ff.

7) Histoire lit. de France, XVT. p. 686 591.

Amalrich v. Bena u, David v. Dinant, 273 |

mähten fie fich theilweife, der Sache baburch eine höhere Bedeutung abzugewinnen, daß fie diefelbe alö eine ber auffallendften Erfcheinungen jener an zeligiösd kirchlichen Geſtaltungen fo reichen Beit, ober ald einen ganz eigens thümlichen Sproß_ der mittelalterlihen Philofophie, oder gar der philofophifchen Idee überhaupt aufzufaflen ſtreb⸗ ten; doch konnten derartige Deutungen natürlich nur fchief und ungenügend ausfallen, fo lange die elementare Ars beit nicht gründlicher vorgenommen war, Dazu bat im neuerer Zeit Engelhardt a) infofern eine Art Aufang gemacht, als er wenigſtens Die Quellen befler, wenn gleich immer noch nicht vollfiändig genug, audgefchrieben, ohne jedech David von Dinant zu berüdfichtigen.

Ss etwa war der Stand der Sadıe, ald ich vor mehreren Sahren den Begeuftand aufgriff und ihn auf dem Grunde der erforderlichen Quellenftudien in einer las teinifch gefchriebenen Abhandlung b) einer weiteren Bears beitung unterwarf. Da fie als afademifche Gelegenheits- Ihrift eine faft nur Iocale Verbreitung fand, fo würde dieß ſchon die gegenwärtige Wiederaufnahme defjelben rechtfertis gen, wenn nicht Überdieß noch zwei ſeitdem neu erjchienene Darkelungen mich im Beſondern dazu veranläßten, die von H. Ritter nämlich in dem fiebenten Theile feis er Befchichte der Dhilofophie c) und von @.U. Hahn in der vorliegenden Zeitfchrift 3. Der erftere hat unver» kennbar fchärfer gefehen, als die meiften feiner Vorgän⸗ ger, ohne jedoch überall die wöthige kritiſche Sorgfalt anzuwenden, abgefehen davon, daß auch er feine neuen

ı) Engelhardt, kirchengeſchichtl. Abhandlungen. Erlang. 1882. ©. 253 262.

b) De genaina Amalrici a Bena eiusque sectatorum ac Davidis de Dinanto doctrina. Giss. 1842,

c) Dder Geſch. ber Hriftl, Philof, III. &. 625 ff.

d) Zheolog. Studien und Keititen, Jahrg. 1846. I. Bd. I. Heft.

274 Krönlein

Materialien beigebracht und fich ohnehin nur in Kürze über unfere Aufgabe verbreitet hat. Bei Hahn, welder fi, übrigens bloß auf Amalrich und feine Schule einließ, finden wir, troß einem anzuerfennenden Gtreben nad) Gründlichkeit, die beregten Mängel in noch höherem Grade. Indem ich deßhalb meine vorfiehend erwähnte Abhandlung in den nachfolgenden Blättern ihrem wefentlichen Inhalte nach wiebergebe, mögen nur diejenigen Modiftcationen in Auffaffung und Behandlung eintreten, die mir in Folge der neueften Darftellungen, wie einer nochmaligen Durchar⸗ beitung des Stoffed nothwendig geworden zu ſeyn fchienen.—

Die nachftehenden Ausführungen fondern fich in drei Abfchnitte, fo zwar, daß zunächſt von den gefchichtlichen Verhaͤltniſſen der bezüglichen häretifchen Erfcheinung und dann von den in ihr gehegten Lehrmeinungen bie Rede feyn wird, woran fich endlich einige allgemeinere hiftorifche und Pritifche Betrachtungen zur Würdigung des Ganzen anreihen.

Aus dem Leben Amalrich’s a) wiffen wir nur fehr wenig. Rad; einer Angabe des Rigordus wurde er zu Bena in der Diöcefe Chartres geboren und Iebte ge gen Ende des zwölften und im Anfange bed dreizehnten Jahrhunderts zu Paris, wo er, eingetreten in den geiſt⸗ lichen Stand, Vorlefungen über Logik und andere Bil: fenfchaften der mittelalterlichen Schulbildung an der Uni

a) Die Zeitgenoffen und fpäteren GSchriftftellee nennen ihn Amel- ricus, Almaricus, Elmericus (Elmenicus), Amauricus und Amor- ricus. Da er jebod in dem parifer Synodalbeſchluſſe Amanricos und von den Franzoſen Amaury genannt wirb, fo heißt er ohne Zweifel Amalricus. Daß er ein Maure geweien und Ghrift ge worben fey, oder wenigftens aus einem maurifchen Geſchlecht abftamme, wie Grevier (hist. de !’ univers. de Par. p. 309.) meint, entbehrt aller hiſtoriſchen Beglaubigung.

Amalrich v. Bena u. David v. Dinant. 275

verität hielt. In der Kolge ganz zur Theologie überges gangen, erregte er durch feine audgebreitete Gelehrſam⸗ feit und die Schärfe feiner Dialektit Auffehen a) und ers warb fich fogar die Gunſt des Kronprinzen Ludwig b). Bie viel Schlimmes ihm auch von fpätern Schriftfiellern uachgefagt worden ift, fo Tiegt doch feine Thatfache vor, die feinen Charakter in einem nachtheiligen Lichte zeigte, Auch feine Rechtgläubigkeit fcheint erft Furz vor feinem: Tode in Frage gefommen zu feyn, ald er nämlich mit der Univerfltät über feine Behauptung, Jeder müßte glauben, er fey ein Glied Chriftt, in Streit ges rieth, welcher dahin führte, daß er fich perfünlich an den Papft wenden mußte. Innocenz Il. entfchied gegen ihn, und darauf hin wurde er, nach Paris zurüdgelehrt, von der Univerfität zum Widerrufe feiner Meinung gend, thigt. Er verftand fid; dazu, jedoch nicht aus Ueberzeus gung, und verfiel, wie man fagt, aus Scham und Ber druß, in eine fchwere Krankheit, an der er ſtarb. Aus⸗ geföhnt mit der Kirche, erhielt er ein ehrliches Grab in der Nähe ded Kloſters zum heil. Martin des champs c).

a) Fuit eo tempore Almaricus Curnotensis philosophis et catholi- cis quaestionibus singularis. Frasquet. chronograph. ap. Bul. hist. univ. Paris. tom. III. p-674. Paris. 1665. Eodem anno Almaricus Carnotensis litteris apprime eruditas cum apad Parisios non parvam doctrinae opinionem obtineret, cett. Rob. Gagain. rerum Gallicarum aunal. Francof. ad M.p.100.

b) Item sciendum, quod iste magister Amalricus fuit cum Domino Ludovico, primogenito Regis Francorum, quia credebatur vir esse bonae conversationis et opinionisillaesae. Chronic. Ano- nymi Laadan. Canon. bei Bouquet (Recueil des historiens des Gaules et de la France. Par. 1818). &, Hahn a. a. O. ©. 185.

ce) Fuit in eadem sacra facultate studens quidam clericus Amal- ricus nomine de territorio Carnotensi, villa, quae Bena dicitar, oriundas, qui, cum in arte logica peritus esset et scholas de arte illa et de aliis artibus liberalibus diu rexisset, transtulit se ad sacram paginam excolendam; semper tamen suum per se modumdocendi et discendi habnit et opinionem privatam et

276 Aroͤnlein

Da das päpftliche Urtheil nach Hurter im Jahre 1204 erfolgte, fo dürfte fein Tod in baffelbe oder in das fols gende Jahr zu feßen ſeyn. Er feheint nichts gefchries ben zu haben; wenigftens läßt ſich mit Sicherheit Feine Schrift namhaft machen, die er verfaßt hätte a). Zweifels ohne ftammte die Secte der Amalricaner von unferm Amalrich ab, wie auch immerhin das Ber bältnig geweſen feyn mag, in weldgem fie zu ihm fland. Schon die gefchichtlidhen Umftände würben diefe Behaup⸗ tung rechtfertigen, wenn fie von den Berichterſtattern auch nicht ausdrüdlich ausgeſprochen worden wäre b). Sie vers

iadieium quasi sectum et ab aliis separatum. Unde et in ipsa theulogia ausus est constanter asseverare, quod quilibet Chri- stianus teneatur credere, se esse membrum Christi cett. Cum igitur in hoc ei ab ommnibus oatholicis universaliter con- tradiceretur, de necessitate accessit ad summam pontihicem, qui, audita eius propositione et ‚universitatis scholarium con- tradictione, sententiavit contra ipsum. Rediit ergo Parisios et compellitur ab universitate confiteri ore, quod in contrariam praodictae opinioni suae sentiret; ore dico, quia corde nun- quam dissensit. Taedio ergo et indignatione affectus, ut dici- tur, aegrotavit, et lecto incambens decessit in brevi et sepul- tus est iuxta monasterium $. Martini de Campis. Rigord. bei F. Duchesn. hist. Francorum scriptor. V. p. 50.

a) Slaubwürdige Berichte erwähnen nirgends eine amalridy’fde Schrift, eben fo wenig das fogleidy anzuführende Decret ber parifer Provincialſynode, in welchem body andere mit ber Hi xefie in Beziehung gefegte Schriften namhaft gemacht und ver dammt werden. Nur Martinus Polonus und andere [p% tere Chroniften fchreiben Amalrich ein Bud unter dem Zitel „Pifion” zu. Wenn nun Engelhardt und nad ihm H. Ritter vermuthen,, daß diefes Buch kein anderes, als bas bes Job. Scotus Erigenazagl Yucsag (periphyseos ober periphyseon, i. e. de divisione naturae) fey, fo habe ich nur zu fagen, daß hierüber gar kein Zweifel obwalten kann, und daß offenbar bie Vermiſchung beflen, was Amalrich und was Scotus Grigena an⸗ geht, ſich ſogar bis auf biefen Buchtitel erftredt.

b) Magister Almenicus, qui praeglictae pravitatis Magister erat

Amaltih v. Bena u. David v. Dinant. 277

breitete fi; im kurzer Zeit über einige Diöcefen, zählte mehrere Beifkliche und Mönche in ihren Reihen und fand auch bei Frauen Auklang. Wie viel Wahrheit den ſchwe⸗ ren Anfchuldigungen , bie gegen das Leben umd die fitt- lichen Grundſätze der Häretifer von Beiten der Ehroni- Ren vorgebracht werden 3), zu Grunde Iiege, if nicht auszumachen; doch möchten vielleicht einzelne unter ihnen allerdings won Fanatismus und WANRTHTAUME Ertravaganz nicht frei zu fprechen ſeyn.

Die Secte blühte mehrere Jahre im PEN die fie, durch die Unklugheit eines ihrer Mitglieder entdeckt, vor Bericht gezogen und graufam unterdrädt wurde. &äs far von Heiſterbach, welcher in feinen miraculofen Geſchichten, die er wenige Jahre nach dem Ereigniffe fchrieb, hierüber umfländlich berichtet, erzählt, daß einft der Amal⸗ ricaner Wilhelm der Goldſchmidt zu Raoulvon Nemours gefommen fey, fich für einen Bottgefandten ausgegeben und ihm folgende Sätze vorgelegt habe: „ber Bater hat unter gewiffen Kornen gewirkt, nämlich unter denen des Geſetzes; ebenfo der Sohn unter gewiflen For, men, 3. B. in dem Bacramente des Altars, der Taufe,

Caesar. Heisterbac. hist. mem. Lib. V. cap. 22. s. f. Colon.

1591. Praedictum autem haeresisrcham Amalricnm, quia plane constitit sectam illam ab eo originem habuisse Rigord. l. Ce

a) Post mortem eius (Amalrici) surrexerunt quidam venenosa eius doctrina infecti, qui eo sabtilius plus quam oportet sapere sa- pientes, ad exsufflandum Christum et ad evacuandum N. T. sacramenta, novos et inauditos errores et inventiones diaboli- cas confinxerunt. Unde et stupra et adalteria et alias corporis volaptates in charitatis nomine committebent. Mulie- ribus, cum quibus peccabant, et simplicibus, quos decipiebant, impnnitatem peccati promittentes, Dominum tantammodo bof Burn et non instum praedicantes, Rigord. l. c. Unde et fornificationem et alia nefanda occulte sub charitatis specie deceptis simplicibus committebant. Frasquet. ap. Bul. 1. c.

278 Krönlein

und andern, Wie die Gefebesformen mit der Erfcheinung Ehrifti gefhwunden find, fo werden jett auch die For men fdywinden, in weichen der Sohn gewirkt hat, und bie Sacramente werden wegfallen, da fich nunmehr der heil. Geiſt deutlich denen offenbaren wird, in welchen er fid in» carnirt. Vorzugsweiſe wird er ſich Durch fieben Männer (von denen er felbfl einer zu feyn behauptete) ausſprechen.

Raoul, lifig und verfchlagen, wie er war «), ſtellte ſich von der Wahrheit diefer Sätze überzeugt, entlodte dem Goldfchmidte die Namen von vierzehn andern Amal⸗ ricanern und hinterbrachte Alles den Bifchofe von Paris, Peter von Remourd, von dem er fofort die. Weifung erhielt, die Sache näher audzufpüren. In Begleitung eis ned andern Geiftlichen durchwanderte er nun die Dice fen Paris, Langres, Troyes und Sens, wo ed ihm vermöge feiner Verfielungskünfte gelang, nicht nur Alles zu erfahren, was er wiffen wollte, fondern fi fos gar die Freundfchaft und das Bertrauen der Anhänger Amalrich's in dem Grade zu erwerben, daß fie ihn voll Rändig für fi gewonnen zu haben glaubten. Er eilte jedoch nach Paris zuräd und theilte dem Bifchofe ben ganzen Erfolg feiner Miffton mit. Diefer ließ alsbald, unterftüßt von dem königlichen Vicekanzler Warin, die Denuncirten feſtnehmen und gefangen nady Paris brin: gen, wo eine Synode unter dem Vorſitze des Erzbifchofe von Send, Peter von Sorbeil, zufammentrat, welche das Urtheil füllte, va Amalrich ercommunicirt, feine Gebeine aus dem Grabeherausgenommen und in ungeweihtem Boden verſcharrt, daß ferner dreizehn ſeiner Lehre ergebene Prieſter und Mönche, fo wie der genannte Wilhelm der Goldſchmidt degradirt, zehn von ihnen der

Bm 22 De u ve}

® 8a) Radulphus articulosus et astutus et vere catholicus. Ri- gord. a. a. O.

Amalrich v. Bena u. David v. Dinant. 279

weltlihen Macht überliefert und eznige anf Lebenszeit feſtgeſetzt werden ſollten a). Franen und minder Gravirte wurden gefchont b).

Der König Philipp I. Auguft, weicher zur Zeit

der Synode nicht zu Paris anweſend war, ließ nach feis ner Zurückkunft unverzüglich neun oder zehn von bem Berartheilten verbrennen. Bei der Erecution entftand ein beftigeö Unwetter, in welchem das Volk den Zorn felbft des Himmels über die Frevler erblidte c). Sie fand wahrs

a)

b) )

Decreta magistri Petri de Corbolio Senobensis archiepiscopi et aliorum episcoporum Parisiis congregatoram super haereti- eis comburendis et libris non catholicis penitus destruendis. Bei Marten. et Durand. Thes. nov. Tom. IV. p. 166. Cor- pus magistri Amaurici extrahatur a cimiterio et proiiciatur in terram non benedictam, et idem excommunicetur per omnes ecclesias totius provinciae. Bernardus, Gailelmus de Arria aurifaber,, Stephanus presbyter de veteri Corbolio, Stephanus presbyter de Cella, Iohannes presbyter de Oocines, magister Wilhelmus Pictaviensia, Dado. sacerdos, Dominicus de Trian- gulo, Odo et Elinans clerici de S. Glodoardo; isti degraden- tur, penitus seculari curise relinquendi. Urricus presbyter de Lauriaco et Petrus de S. Clodoardo, modo monachus 8. Dio- nysii, Guarinus presbyter de Corbolio, Stephanus clericus de- gradentur, perpetuo carceri mancipandi.

Mulieribus autem et aliis simplicibus, qui per maiores fuerant corrupti et decepti, pepercernunt. Rigord. a. a. O.

Quorum perfidia hoc ordine detecta est. Praedictus Wilhelmus aurifaber venit ad magistram Radulphum de Na- muntico, dicens se esse missum a Domino, et hos infidelitatie articulos ei proposuit: „pater sub quibusdam, formis operatus est in veteri testamento, scijlicet legalibus, et filius similiter sab quibusdam formis, ut in sacramento altaris, baptismatis et aliis. Sicat ceciderunt formae legales in primo Christi ad- ventu, ita nanc cadent omnes formue, quibus filius operatos est, et cessabuut sacramenta, quia persona spiritus sancti clare manifestabit se, in quibus incarnabitur,, et principaliter per septem viros loquetor (quorum unus ipse Wilhelmus erat). His auditis magister Radolphus interrogavit, si aliquos habe- ret socios, quibus ista fuissent revelata. Qui cum respondisset: habeo multos, supradictos viros nominans, perpendens immi-

280 _ Lroͤnlein

ſcheinlich im Jahre 1200 und zwar den 19. November ſtatt d).

nens pericalum ecclesiae, et se solam ad investigandam eorum nequitjam eosque convincendos non posse suflicere, ex qua- dam simulatione dicebat sibi esse revelatum a Spiritu sancto de quodam sacerdote, qui cum eo praedicare deberet sectam eorum. Et ut famam suam servaret illaesam, nuntiavit haec abbati sancti Viotoris et magistro Ruperto et fratri 'Thomae, cum quibus adiit episcopum Parisiensem et tres magistros le- gentes de theologia —. Qui territi valde iniunxerunut praedicto Radolpho in remissionem peccatorum suorum et al- teri sacerdoti, ut se fingerent esse de illorum consortio, do- nec scientias omnium audivissent et plenius omnes articulos incredulitatis sorum explorassent. Magister vero Rudolphus et sacerdos socius eius in executione huins laboris cum ’ipsis haereticis circuierunt episcopatum Parisiensem , Lingonensem, Trecensem et Archiepiscopatum Senonensem in tribus mensi- bus, et quam plurimos de eorum secta invenerunt. Ut itaque ipsi haeretici plene de ipso magistro Rudolpho confiderent, quandogue vulta elevato se spiritu in caelum raptum simula- bat et postea aliqua se vidisse dicebat, quae in conventi- culis eorum narrabat, et publice eorum fidem de die in diem se praedicaturum spopondit. Tandem reversi ad episcopum visa et audita enarraverunt, quo audito episcopus praedictus per provinciam pro eis misit, eo quod non essent“in civitate, excepto uno Bernardo. Qui cum essont in custodia episcopi, congregati sunt ad eoram examinationem.vicini episcopi et ma- gistri theologi, supposita sunt eis supradicta capite, quae qui- dam ex eis in praesentia omninm attestabantur, quidam vero, cum resilire vellent et se convinci viderent, cum caeteris sta- bant in eadem pertinacia neo negabant. Tanta audita perver- sitate, consilio episeoporum et theologorum ducti sunt in cam- pum et coram universo clero et populo degradati et in ad- ventu regis, qui tunc praesens non erat, exusti. Qui mente obstinata nullum ad interrogata dabant responsum , in quibus in ipso mortis articulo nullum perpendi poterat poenitentiae indicium. Qustuor ex eis fuerant examinati, sed non sunt eombusti, videlicet magister Guarinus, Ulricus sa- cerdos, Stephanus diaconus, qui perpetuo reolusi sunt carcere. Petrus vero prae timore monachus eflectys est. Magister Alme- nicus, Qui praedictae pravitatis magister erat, eiectus est de

Amalric) v. Bena u. David v. Dinant. 281

Die ölumenifche Lateranfynode vom Sahre 1215 vers dammte abermals die Lehre Amalrich's, ohne jedoch feine häretifchen Säte näher zu bezeichnen a). Dürfte man übri⸗ gend einzelnen Andeutungen fpäterer Schriftfteller (unter denen anch Berfon) Glauben ſchenken, fo hätten fich Ueber⸗ tete der amalrich’fchen Secte noch lange im Geheimen forterhalten.

Die pariſer Provincialſpynode verdammte überdieß

coemiterio et in campo sepultus. Sicque per Dei gra- tiam haeresis exorta excisa est. Caesar. Heist. Hist. illustr. mirac. p. 866 sqq. Colon. 1591. Ganz ähnlidy erzählt Rigor⸗ was den Hergang a. a. D.

d) Kigordus, welder gleichzeitig mit Amalrih zu Paris lebte, fo wie das Chronicon Antidiss, (vgl. Launoyus de varia Arist. ia academ. Paris. fortuna, p. 128.) fegen die Synode und bie Hinrihtung der Amalricaner ins Jahr 1209, Damit flimmt auch Caͤſar von Heiſterbach infofern übetein, als er erzählt, es fey von den Weiflagungen Wilhelm's des Bolbfchmibts inner⸗ halb dreizehn Jahren, d. h. bis zur Zeit, wo er fchrieb, nichts eingetroffen. Gr hat aber fein Buch im Jahre 1222 abgefaßt, wie aus einer Stelle deſſelben (X. c. 43) hervorgeht. In bem Synodaldecrete bei Martene und Durand ift bloß der Tag anges geben (XII. calondas Dec.), an welchem bie Hinrichtung der Unglädlichen erfolgte; am Bande fteht die Jahreszahl „1210” beigedruckt. Sie fcheint mir jebody eine bloße, nach vorftehenden Bemerkungen irrige Angabe der Herausgeber zu feyn. Auch ihre Bermuthung , daß ein anderes, dem erfteren beigedrucktes Decret des Königs „ad laicas potestates super modo captionis et reten- tionis elericoram’” fi) auf die Mmalricaner beziehe, entbehrt eben fo fehr der näheren Begründung, als die Anſicht der Ber: foffee ber histoire lit. francaise (XVI. &, 189 ff.), nad welcher die Synode vor Oſtern 1210 flattgefunden haben und. zwiſchen dem GSynobdalurtbeile und dem Tage der Hinrichtung eine Zwifchenzeit von mehreren Monaten verfloffen fegn fol.

a) Reprobamus etiam et damuamus perversissimum dogma impii Amalrici, cuius mentem sic pater mendacii excoecarvit, ut eins doctrina non tam haeretica censenda sit, quam insana, heißt das Urtheil der allgemeinen Synode. ©. Mansi Sacror. Conc, nov. et ampl. coll. Venet. 1778. XXI. 8. 982,

282 Srönlein

noch einige häretifche Schriften, unter denen fich auch eine von David von Dinant befand, weldhe in dem Synos dalbefchluffe „Quaternuli,” von Albertus Magnus an mehreren Stellen „tomi, h. e. de divisionibus,” genannt wird a), und ba ihr Ariftoteles ald die Quelle dieſer und ans derer möglicher Irrlehren erfchien, fo verbot fle zugleich dad Studium feiner naturphilofophifchen Schriften b).

a) Quaternuli magistri David de Dinant infra natale episcopo Pa- risiensi afferantur et comburantur, nec libri Aristotelis de na- turali philosophia nec commenta legantar Parisiis pablice vel secreto. Et hoc sub poena excommunicationis inhibemus. Apud quem invenientur quaternuli magistri David a natali domini in antea pro haeretico habebitar. A. a. O. Davon, daß auch das Buch Erigena’s de divisione naturae auf ber parifer Synode verdammt worben fey, leſen wir zwar nichts in dem Gyn» dalbeſchluſſe, aus dem bie eben angeführten Worte entnommen find, aber ver Papſt Honorius III. erzählt ausdruͤcklich in eis nem 1221 gefchriebenen Briefe, „archiepiscopum Senonensem (mel; der, wie bemerkt, die Synode pyäftbirte) in provinciali con- cilio iusto Dei indicio eum (Erigenam) reprobasse, und Hen⸗ ricus DOftienfis behauptet baffelbe. S. Gerson. de concordia metaph. cum log. Opp. IV. p. 826. Ed. Du Pin. Hagz. com. 1728. j

b) £aunojus behauptet (de var. Arist. fort. p. 130.), daß auf bie: fer Synode alle ariftotelifdhen Schriften verdammt worden feyen, und die Gefchichtfchreiber pflegen ihm dieß faft durchgehende bis auf den heutigen Tag nachzuſchreiben. Er ſtuͤtzt ſich biebei ein» zig auf die Autorität des Rigordus, welcher am meiften Blau ben verdiene, „quam $. Dionysii monachus esset et regis me- dicus Luteciae degeret, et, quae viderit, ipse monumentis con- siguaverit suis.” Aber Rigorbus ſpricht „de libellis solum quibusdam de (ab) Aristotele compositis, qui docerent meta- physicam,” unb fügt hinzu: „iussi sunt omnes comburi et sub poena excommunicationis cantum est in eodem concilio, ne quis eos de castero scribere et legere praesumeret, vel quo- cungae modo habere.”’ Rigordus behauptet bemnady keineswegs, das alle Schriften bes Ariftoteles verdammt worden ſeyen. Es ift übrigens nicht ſchwer zu beweifen, daß felbft feine Angaben nicht ganz zutreffen. Gäfar von Heiſterbach nämlich, fo wie Hugo, ber Kortfeger des Chronio Antidiss., erzählen, daß nur

Amalrid v. Bena u. David v. Dinant. 283

Ben David von Dinant behauptete man bis zum Er⸗ feinen meiner Abhandlung, und felbft noch Ritter widerfpridgt nicht entfchieden, er fey ebenfalls Ans bänger Amalrich's geweſen. Einen hiſtoriſchen

die „libri naturales oder de philosophia natarali” des Ariſto⸗ teles, unb zwar auf drei Jahre, verboten worben feyen, wels ches Legtere jedoch unrichtig fl. In bem in der unmittelbat vorhergehenden Rote mitgetheilten, Alles erklärenden Werte des Synodalbeſchluſſes, welcher bloß de philosophia natarali libro s et commenta des griechiſchen Philoſophen verurtheilt, if von ei’ ner Zeitangabe nicht die Rede. Daß ſich aber die Sache fo verhalte, erfehen wir zum Ueberfluß aus einem Schreiben des Papſtes Gregor IX, vom Jahre 1281, in welchem er, von biefer Gymobe ſprechend, gelegentlich erwähnt, es ſeyen durch biefelbe Ne axiſtoteliſchen Schriften „‚de naturali philosophia” verdammt worben. Sourbain kommt in feinem mit Recht geichägten Buche: recherches critiques sur l’age et sur l’origine des traductions latines d’Aristote (Pur. 1819), auf daſſelbe Reſultat hinaus, aus bemerkt er, daß damals die ganze Metaphyſik des Ariſtote⸗ les überhaupt noch nicht bekannt gewefen fey, fonbern nur ein. jelne Abſchnitte daraus, und daß auch nicht deffen ganze Raturs philofophie verdammt worben fey, ſondern nur einvon einem Zuben verfestigter Auszug aus berfelben, oder einige Abhanblungen des Avicenna und Algazel, weldye bamals als ariftotelifch ges golten hätten. S. ©. 214.

Bald darauf (1215) wurden nicht allein die naturphilos ſephiſchen, fondern auch bie metaphyfifchen Schriften des Urtfkoteles verboten, dagegen aber das Studium feiner „dia lektiſchen“ Ciogifhen) Schriften geboten, eine Maßregel, die der Gardinal Rob. Sourcon traf, welder vom Papfle’ den Auftrag hatte, die parifer Yiniverfität zu reorganiſiren. Gre⸗ gor IX, erneute biefe Anordnung, jedoch mit der Mobification, deß die durch den Gardinal verbotenen Schriften fo lange nicht gebraucht werben follten, „donec a suspicione haereseos liberati essent”.

Diefe und ähnliche Verbote hatten jedoch gerade die ent- gegengeſegte Wirkung; man las und fludierte die verpönten Buͤ⸗ cher um fo eifriger, bis endlich die Kirche die Sache ganz fal⸗ len ließ,

cheol. Sud. Jahrg. 1847, | 20

284 Krönlein

Grund hat man dafür nicht angegeben, und es liegt zu Tage, daß, da wir faum etwas Weiteres über feine Der: fönlichkeit wiffen, ala was in dem bereits mitgetheiften Synodaldecret enthalten ift, ein ſolcher auch nicht ange geben werden kann. Danadı war er.eben Magifter und hatte die genannte Schrift gefchrieben, Die gleichzeitige Verurtheilung berfelben mit den Amalricanern mochte zu der irrigen Vorausſetzung über feine angebliche Beziehung zu Amalrich, wie zu der fonft nicht näher begründeten Notiz bei Buläus a) Veranlaffung geweſen feyn, daß er im Anfange des 13. Jahrhunderts zu Paris Philofopbie und Theologie gelehrt habe. Wahrfcheinlid war er zur Zeitder mehrerwähnten Provincialſynode ſchon geſtorben.

Daß man auch keine innern Gründe für die Ab⸗ hängigkeit David's von Amalrich habe, wird die ſpätere Unterfuchung zeigen. Den fpärlichen Fragmenten gemäß, die und von Andern über feine Lehre mitgetheilt werden, war er ein kühner Dialeftifer, welcher fi für feine Zeit ungewöhnlidy in die ariftotelifche Philoſophie und in die alte Philofophie und Fitteratur überhaupt hineinftudiert hatte. Ebenfo möchte die Eigenthümlichfeit feiner Lehre zu der Annahme berechtigen, daß er eine für die Umftände ungemeine Unabhängigkeit Dee Eharafterd und der Ge⸗ finnung beſaß.

Auch David fcheint eine Säule begründet zu haben; fo nennt Albertud Magnus einen gewiffen Balduin, den er ausdrücklich als einen Anhänger des Dinanters Beacinet b).

m

a) Bul. hist. aniv. Paris, Ill. p. 678.

b) Alb. Magn. summ. theol. II. tract. 1. quasst, 4. eu 8. Rach einer andern, fpäter anzuführenden Stelle bei Alb, Magn. gab e& „quidam haeretici,“ welche biefelbe Dentweile verfolgten, wie David, Auch von Thomas von Aquin werden ‘„guidam mo- derni philosophi” als Anhänger david'ſcher Jrrthuͤmer bezeichnet, in sec. sent. lib. dist. 17. quaest. 1. art. 1. solut,

Amalrich v. Bena u, David v. Dinant, 285

Richt leicht dürfte fi ein ähnliches Beifpiel finden, wo an fich verfchiedene philofophifche Elemente fo fehr dur einander gewirrt würden, wie man folches bei als len frühern und noch bei den meiften jüngern Hiſtorikern gewahrt, welche diejenigen Häreflen, die gemeinfam durch die mehrerwähnte pariſer Provincialſynode verurtheilt worden find, darftellen. Selbft Engelhardt und Ritter, die forgfältigften unter ihnen, haben das Einzelne noch keineswegs fo recht als Unterfchiedliches erfannt und nad) Gebühr auseinander gehalten. Um dem Srrthume nicht nene Nahrung zu geben, foll in den nachfolgenden Ent: widelungen zunächft von der Lehre des Meiftere, dann von der feiner Schüler und endlich von der bavid’fchen Zheorie bie Rede feyn. Durch die möglichſt fcharfe Uns terfheidung der einzelnen Beitandtheile diefer allerdings in mehr ald einer Weife zufammengehörigen häretifchen Erfheinung wird natürlich die Einficht in das Verhälts niß, in weldyem fie zu einander felbft, wie zur wiflens (haftlihen und religiöfen Entwicdelung der Zeit ftehen, um fo richtiger vermittelt werden können.

a) Die Lehre Amalrih’e.

Die Berwirrung, welche ſich die Darfteller der amal⸗ tich' ſchen Lehre, und unter diefen noch Hahn fo gut wie die frühern, haben zu Schulden kommen laſſen, ift eine zweifache, indem fie nämlich

1) die Anfihten Amalrich's und feiner An-

bänger mit einaudber vermifchen, und, was hier von befonderer Bedeutung if,

2) feine Zehrmeinungen mit denendes Joh.

Scotus Erigena verwedfeln.

Dem erften Fehler kann nur dadurch begegnet werden, daß Amalrich nichts zugefchrieben wird, was ihm nicht fraft unwiderfprechlicher Zeugniffe zufommt, follte dieß

0 *

286 Krönlein

auch, wie es freilich der Fall feyn wird, auf ein Minis mum rebucirt werden müflen. Der andere aber fordert um fo mehr zur Vorſicht auf, ale die Gonfuflon ſchon in den Quellen ihren Sig hat.

Die Quellenfchriften über Amalrich’d mehr angebliche, als wirkliche Lehre find alle, fo weit fle und zugänglich find und den bisherigen Darftellungen zn Grunde liegen, fecundärer Art, indem fie, ſämmtlich nicht von Zeitgenof- fen des Häretiferd abgefaßt, auf früheren Mittheilungen beruhen. Dahin gehören einige Ehronifen und hiftorifche oder biographifche Werke, 3. B. von Martinusd Po: lonus a) (welder etwa hundert Jahre nad Amalric fehrieb), von Kranz Pipin b) und bem unbekann⸗ ten Biographen Innocenz III. bei Muratori co) u. A., befonders aber eine Stelle in der Abhandluhg Gerſon's (} 1429) ‚de concordia metaphyesicse cum logica” d), bie ſich ihrerfeitd wieder auf Martinus Polonus und auf Heinrih von Oſtia ſtützt. Heinrich von Oſtia iſt um ſo wichtiger, als er der Zeit nach Amalrich am nächſten ſteht und aus einer directen Quelle geſchoͤpft hat. Um ſo mehr muß ich bedauern, daß ich gerade ſeiner Schrift (welche, ſo viel ich weiß, Briefe über die päpſtlichen De⸗ cretalien enthält e)) trotz aller aufgewandten Mühe nicht habhaft werden konnte und mich deßhalb mit dem bes gnügen muß, was Gerfon und Tennemann (in feiner Ger fchichte der Philofophie) daraus mitcheilen. Dieß reicht jedoch vollfommen zu dem auch anderweit noch zu lägen

a) Mart. Polon. chronic., dem chronographiſchen Buche des Marianus Scotus beigebrudtt. Basil. 1569,

b) Chron. Patris Fruncisci Pipini, Bonor. ord. Praed., bei Maratorii rerum Ital. script. Mediol. 1723. IX.

c) Die betreffende Stelle in ber Biographie Innocenz IM. ift im Ganzen nur ein fehlerhafter Auszug aus Mart. Polon.

d) Op. omn. tom, IV. Edit. Du Pin. Hag. comit. 1728.

e) &, Fabricii bibl. Lat. med. aev. voc. Henric. a Segasio.

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Amalrich v. Bena u. David v. Dinant. 287

den Beweife zu, daß alle andern Oxellenfchriftfteller und nach ihnen die früher ſchon namhaft aufgeführten Hiflos rifer in einem argen Irrthum über Amalrich’d Lehre bes faugen find.

Die Sache verhält ſich nämlich fo, Heinrich von Oftia berichtet daß das Bud Erigena’d de divisione naturae dach Die parifer Theologen (auf der vielberegten Pros sincialfyrnode) wegen der Sjrrthümer verbammt worden ſey, weldye Amalrich aus bemfelben gefhöpft habe. Od o⸗ der Kanzler der parifer Univerfität, habe die einzelnen barerifchen Sätze aus dem Buche ausgezogen und vers dammt, uud von diefem Odo habe er felbit diefelben a). Diefe Säbe nun, welche hiernach ausdrüd lid Exrigena zugefhrieben werden, haben die fpäteren Schriftfieller aufgegriffen und bie aufdieneuefllezeitfür die verurtheiltenLehr⸗ neinangen Amalrih’sausgegeben. Daß fie aber. wirklich und zwar meiſtens wörtlich ausgeſchrie⸗

a) Impii Amalrici dogma istud colligitur in libro magistri Joannis Scoti, qui dicitur „periphysica i. e. de nalura,’” quem secutus est iste Amalricus, de quo hic loguimur. Sed et dictus loannes in eodem libro auctoritates cuiusdam Graeci, nomine Masimi, istrodacit. Jo quo libro, qui et per magistros damnatus fait Parisiis, multae haereses continentar (bie fofort aufgezählt wers den. Es find biefelben, welche in ben naͤchſten Roten folgen). Hesricas Ostiensis ad lib. I. tir. 1. cap. 2. decretalium de tri- nitate et ide catholica. $.reprobamus. Vgl, ZennemannGeld. d. Phil. a. a. O. Ponitur alius articulus de Theophano, et hic est contra Joannem Scotum in libro, qui dicitur „periphyson i. e. de natura,” contra quem scripsit Hugo „super coelesti hierarchia”, qui liber (Scoti), ut dicit Hostiensis, damnatas fait per magistros Parisienses propter alios errores, quos ab illo sumpsit dictus Amalricus.. Praedictus insuper Odo Tosculanus, qui fuerat cuncellarius Parisiensis, notaverat et damnaverat errores dicti libri, et ab hoc Odone dicit Ho- stiensis se praedictos errores accepisse. Gers, op. tom. IV.

p- 826.

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bene Stellen ans dem genannten Buchelrige na’s find, davon hätte ein einziger WBli in das letztere überzeugen können. Uebrigens beginnt die Berwechfelung fhon mit Martinus Polonus, welcher von den fraglichen Säten, die auch er mittheilt, zwar bemerkt, fie feyen and der. Schrift Erigena’s, fie aber nichts defto weniger alle auch Amalridy beilege. Woher er felbft fie hat, habe ich nicht ausfindig machen koͤnnen. Jedenfalls war wohl Heinrich von Oſtia feine Quelle nicht, denn er führt mehr Säbe auf, als diefer, und weicht in Ausdrud und Ans ordnung mehrfadh von ihm ab, fo weit nämlidy aus den Gitaten bei Gerfon und Tennemann zu erfehen if. Auch darüber finde ich Feine Andeutungen, woher die an: dern Ghroniften ihre Notizen haben.

So fümen wir ſchon vorläufig zu demRefultate, daß wir in dem, was bisher hauptſächlich ale Theorie Amals rich’& gegolten hat, nur einzelne, aus dem Zufammenhange geriffene Sätze Erigena’s zu fuchen hätten, über die wir geradezu mit Stilfhweigen hinweggehen Fönnten, wenn es nicht einerfeitö erlaubt wäre, Doch wieder einen ge wiffen mittelbaren Gebraudh von ihnen zu machen, und wenn ed andererfeitd nicht Darauf anfäme, die Rich⸗ tigkeit der eben entwidelten Sachlage noch weiter durch die Zufammenftellung der verurtheilten Kehrmeinungen mit den bezüglichen Terteöftellen aus dem Buche Erigena’s zu erhärten. Ich ftelle fie daher in diefer Weife in den Ro: ten neben einander und hebe bier nur hervor, daß fie die Identität®ottedund des Allsder Dinge»),

—— ——

a) Hierher kann man nachfolgende fünf Saͤtze zählen:

a) Quod omnia sunt Deus. Henuric. Ostiens. bei Tenne⸗ mann u. Gerfon a. a. DO. ©. Erig. dedic. ad Max. Schol. ita, ut et Deus omnia sit et omnia Deus sint. Vergl. De di- vis. nat. III. 17. und I, 74. Der gewöhnlichere Ausdrud Grige na's ift freilih: omnia sunt in Deo.

Amalrih v. Bena u. David v. Dinant. 289

fo wiedie mit dieſer (idealiſtiſch) pantheiftifchen Grundanficht zuſammenhängende Borfiellungvonderfchöpferifchen Selbfiverwirflihung der göttlihen Ideen») und von der Erfenntnißmöglichleit Got

b) Motum Deo dare non possum, cum in ipso sint omnia et cum ipse sit omnia. Henr. Ost. daf. ©. Erig. Mo- tam Deo dare non possum, quia solus immutabilis est, nec habet, quo, vel ad quid se moveat, cum in ipso sint oınnia, immo cam ipse sit omnia. De divis. nat. I, 74.

c) Non facile posse negari, creaturam et creatoremidem esse. Mart. Pol. p.211. ©. Erig. M. „Qnid, si creaturam creatori ad- ionxeris, ita at nil alind in ea intelligas, nisi ipsum, qui solus vere est ? nil enim extra ipsum vere essentiule dicitur, quia omnia, quae ab eo sunt, nil aliud sunt, in quantum sunt, nisi participatio ipsius, qui a se ipso solus per se ipsum sub- sisit. Num negabis creatorem et creaturam unum esse.” D. „Non facilenegarim, huic enim collectioni resistere videtur mihi ridiculosum.” De divis. nat. lib. II. c. 6.

d) Sicut alterius naturae non est Abraham, alterins Isaac, sed unins atque eiusdem, sic omnia esse unum et omnia esse Deam. Mart,. Polon. a, a, DO. S. Erigen. „Quid enim? numqguid duo nomina a se invicem sono, non sensu discre- pantia in ana eademque natura intelligi non valent,, cum Abra- bam et Isaac, patrem videlicet et filium, unam naturam signi- Gcare videamus ? Non enim alterius naturae nomen est Abra- ham, alterius Isaac, sed unius atque eiusdem.” De divis. nat. lib. I. c. 14.

e) Deum esse essentiam omnium Creaturarum et esse omnium. Martip. Polon. a. 0.0. ©. Grigen. „Fieri si qui- dem aestimatur in creaturis suis universaliter, dum in eis non solum intelligitur esse, sine quo esse non possunt, sed et eorum essentia est. Esse enim omnium est, superesse autem divinitatis, ut s. ait Dionysius.”’ De divis. nat. lib. I. cap. 73.

a) Secundus (error) est, quod primordiales causae, quae vocan- tur ideae, i. e, forma sen exemplar, creant et creantur. Henric. Ost. a. a. DO. Oder, wie Martinus Polonud a. a. DO, den Gedanken ausdsüdt: Almaricus asserit, ideas, quae sunt io mente divina, creare et creari, quum secundum Augustinum aihil visi aeternum atque incommutabile sit in mente divina,

290 ** Kroͤnlein

tes in ber Creatur e), ferner die eigenthümliche Mei⸗ nung Erigena’d von der Generation der Menſchen nnd ihrem gefhledhtlihen Verhältniß üben

haupt ald Folge dererfien Sünde db), nud endlich

Aus den zahlloſen Stellen bei Erigena, welche dieſen Gedanken ausſprechen, hebe ich nur folgende aus: universalis itaque ne- turae ea forma socunda enitet, quae creat et creatur, et non nisi in primordialibus causis rerum, ut-aestimo, intelli- genda est; ipsae primordiales rerum causae a Graecis „proto- typa”, h. e. primordialia exempla vel prourismata vocantur; item ideae quoque i. e. species vel forma cett. De dirvis, nat. II. c. 2. Martinus bat in dem Rachſatze „quum secun- dum cett.’” wahrſcheinlich bie in ber mittelalterlihen Philoſophie häufig eitirte Stelle aus der Schrift des heil. Xuguftinus de di- vers, quaestionib. lib. 88. quaest. 46. im @inne.

a) „Dixit, quod, sicut lux non videtar in se, sed in aöre, sic Deus

b)

nec ab angelo neque ab homine videbitur in se, sed tantum in creaturis.” Mart. Polon. a, a. O. Die Originaiftelle bei Grigena ift wohl folgende: „absente luce aör est obscurus, so- lis autem lumen per se subsistens nullo sensa corporeo com- prehenditur. Cum solare (solis) lumen aöre miscesatnr, tunc incipit apparere; ita vero, ut in se ipso sensibus sit incompre- hensibile, mixtum vero aeri, sensibus possit comprehendi.” Bol. dazu: „at per hoc intellige divinam essentiam per se in- comprensibilem esse, adiunctam vero intellectaali creaturae mirabili modo apparere, ita, ut ipsa divina, dico, essentia io sola creatara intellectaali videlicet appareat ,” ferner: „ut Deus, qui per se ipsum incomprehensibilis est, iu cres- tara guodammodo comprehendatur.” De divis. nat. lib. I. c. 10. Daß dieß auch von dem Schauen ber Engel gelte, wirb bort weiter ausbrüdlidy ausgeſprochen.

„Asseruit, quod, si homo non peccasset, in duplicem sexum partitus non fuisset nec generasset, sed eo modo, quo sancti angeli multiplicati sunt, multiplicati fuissent et homines. Et qaod post resurrectionem utriusque sexus adunabitur, sicut (at asserit) fuit prius in creatione. Et talem dixit Christus fuisse post resurrectionem.” Mart. Pol. a. a. DO. ferner: „Tertius (error) est, quod post consummationem secnli erit adupatio sexuum sive non erit distinctio sexus; quam aduna- tionem in Christo asserit incepisse.” Henr. Ost, a, a, D.

Amalrich v. Vena u. David v. Dinant. 291

die bereinfige Rückkehr aller Dinge in die untbeilbare und unwandelbare Einheit des göttlihen Seyns nnd Wefens betreffen a). Zu den Amalrich untergeichobenen biöher befannten Sägen füge ich bier darum zwei von mir nenanfgefundene binze, weil fie, wie bie meiften andern durch das Mes diam der gerfon’fchen Auffaffung hindurchgegangen, ihm gleichfalls nicht mit Sicherheit zugefchrieben werben dür⸗ fen. Nach ihnen hätte er gelehrt, daß der menſchliche GSeiſt, wenn er fih zur wahren Bernänftig- feit erhebe und von der kiebe zu Bott voll, fommen dDurchdrungen fey, in feine ewige, gött⸗

Bel. folgende Stellen bei Erigena: „Nam si primus homo non peccaret, naturae suae partitionem in duplicem sexum non pa- teretur, sed in primordialibas suis rationibus, in quibus ad imaginem Dei conditus est, immutabiliter permaneret; homo namque solummodo esset in simplicitate suae na- turae creatus eoque modo, quo saucti augeli multiplicati sunt istellectualibus numeris, multiplicaretur.”” De divis. nat. lib. ll. c. 6. p. 49. cf. ib. c. 9. „Quae divisio in Christo adupestionis sumpsit exordiam, qui in seipso humanae naturae restauretionis exemplum veraciter ostendit et futurae resur- rectionis similitudinem praestitit.” Ibid. lib. IT.c.6. „et quoniam post adunstionem hominis, h. e. duplicis sexus in pristinam naturae unitatem, in qua neque masculus neque ſoe- mine, sed simpliciter homo erat, confestim orbis terrarum adenatio ad paradisum seguitar.” Ibid. lib. II. c. 8.

a) Dixit etiam, quod ideo finis omuinm dicitar Deus, quia omnia reversura sunt in eum, ut in Deo immutabiliter quiescant et uaum iadividaum atgque incommutabile in eo permanebant. Martin. Pol. a. a. O. Bergl. Erig. quoniam vero nd eandem causam (omnium) omnia, quae ab eo procedunt, dum ad finem pervenient, reversura sunt, propteren finis omnium dicitar et neque creare, neque creari perhibetar. Nam post- quam in eam rerversa sunt omnia, nil ulterius ab ea per gene- rationem loco et tempore, generibus et formis procedet, quo- sam in ca omnia quieta sant et unam indiriduum atque in- commutabile manebunt.. De divis. nat. II, c. 2,

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lihe Idee zurückkehre und fogar bie göttliche Wefenheit felbft annehme, fo daß er keine Creatur mehr fey und Bott nicht mehr in der Creatur fhaue und liebe, fondern in Gott ſelbſt umgewandelt werde, in Folge beffen dann menſchliche und göttliche Erkenntniß und Liebe zuſammenfielen ).

Sind daher die vorſtehend citirten Stellen nicht als Ausſprüche Amalrich's ſeldſt anzuſehen, fo berich⸗ ten doch alle Gewährsmänner einſtimmig, daß er ſich in ſeiner Denkweiſe auf Erigena baſire, und es bleibt dem⸗ nach fo viel ſicher, daß fie eine der erigena'ſchen ähm lihe war. Es kann nun nicht darauf anfommen, wie das Syſtem Erigena’s überhaupt aufzufaffen ſey, wor: über befanntlich bi zur Zeit noch geftritten wird b),

a) Fuerunt enim qui dicerent spiritum rationalem , dam perfecto amore fertar inDeum, deficere penitus a se ac reverti in ideam propriam, quam habuit immutabiliter ac aeternaliter in Deo oe... Dicunt ergo, quod talis anima perdit so et esse suum et accipit verum esse divinam, sic, guod iam non est creatura, Dec per creaturam videt aut amat Deum, sed est ipse Deus, qui videtur et amatur. Hanc (insaniam) etiam nisus fuit pouere Almaricus haereticus ab ecclesia con- demnatus —. Gers. de myst. theol. specul. consid. 41. op. Tom. III. p. 8%. ac perinde segnitar, quod similitudo , adducta per qualemcungue doctorem de infusione guttae aquae in dolium vini fortissimi, ad unionem animae contemplautis cam Deo, tanquam sit omnimoda similitudo, re- pudianda ost prorsus, tanquam habens errorem, immo insa- niem Almarici condemaati, ponentis creaturam verti in Deum et in suum esse et principium ideale, sicut notat Hostiensis super illud oapitulum: „damnamus cett.’” Gers. op.tom.I. p. 80.

b) Man vgl. hierüber u, A. befonders bie Vorrebe zur Ausgabe ber Schrift de divis. nat. von &. B. Schlüter (Münfter 1838), wo bie hauptſaͤchlichen gegenfäglichen Anfichten Älterer und neue rer Gelehrten über das Syſtem Erigena's entwickelt und kritiſch beleuchtet werden, Berner: Staubenmaier, Job. Stot. Eri⸗

Amalrid) v. Bena u. David v. Dinant. 293

fondern vielmehr, wie Diejenigen es aufgefaßt haben, von denen feine wie Amalrich's kirchliche Berurtheilung ausge⸗ gangen if. Darüber aber gewährt und gerade die Her, vorhebung der als häretifch bezeichneten Säbe aus der Schrift de divisione naturae den nöthigen Aufichluß, denn ed it Fein Zweifel, daß fie darin (myſtiſch) idealiſtiſch pamtheiftifche Irrichren gefehen haben. In diefem Lichte muß ihnen nun wohl auch die religiöfe Anfchauung Amals rich's erfchienen ſeyn.

Daraus würde es ſich denn auch erklären, warum diejenige Behauptung, von welcher wir allein mit Sicher⸗ heit wiſſen, daß ſie von Amalrich ausgeſprochen worden if, für häretiſch gehalten werden konnte. Er lehrte näm⸗ lich, jeder Chriſt müſſe glauben, er ſey ein Glied Chriſti und könne nicht ſelig werden, wenn er daran nicht eben fo gut glaube, wie andie Gceburtund den Tod des Erlöferg,oder an andere wichtige Slaubensartilelea). Ja er dehnte nach dem Zeugniß eines Chroniften feine Anficht fo weit aus, daß er von Jedem zu glauben verlangte, er habe als Glied des Leibes Chriſti gemein fam mit ihm am Kreuze gelitten b). Hätte er der

gena und die Wiffenfchaft feiner Zeit. Frankf. 1834, u. beffen: die Philofophie des Ehriſtenthums od. Metaphyſik der heil. Schrift 1. ©. 536-593. ®ieß. 1840,

2) Unde et in ipsa theologia ausus est constanter asseverare, quod quilibet christianus teueatur credere, se esse membrum Christi nec alignem posse salvari, qui hoc non crederet; non minus, quam si non crederet Christum esse natum et passum, vel alios fidei articulos, inter quos articulos ipse hoc ipsum au- dacter audebat dicere annumerandum esse. Rigord. ap. Du- chesn. Tom. V. p. 50.

b) Amalricus palam docuit quosque chri- stianus membra Christi corporis esse et, dum a ludaeis Chri- stas pateretur, una cum ipso dolorem atque afflictiouem gpisse revera perpessus, Rob. Gaguin. rerum Gallicarum anırpeg. 100.

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an ſich apoflolifchen Lehre von der Kirche als Leib Ehrifi =) nicht eine frembdartige Bedeutung untergefchoben, fo würde er ficher deßhalb nicht angefochten und verurtheilt wor: den ſeyn. War aber dieß ber Fall, fo liegt die Annahme am nädhflen, daß er fie von dem Gtandpunfte einer ers ceffiven Immanenziehre aus deutete, fo daß man hierin eine Sonfundirung des göttlichen und menfchlichen Gei⸗ tes ſah, eine Annahme, die um fo wahrfcheinlicher wird, wenn man fid; von dem Geifte der Lehre feiner Anhänger auch nur den leifeften Rückſchluß auf den feiner eigenen erlanbt. Go würde es denn zugleich begreiflich, wie man feine Lehre kirchlicher Seite nicht bloß einfach ale häretifch verwarf, fondern fogar als eine „Insana” bezeich⸗ nen mochte, und es fände die obige, mehr auf hifkorifchen Gründen beruhende Bemerkung über feine wiflenfchaft- lihe Srundanfchauung auch von diefer Seite her wieder ihre Stüße.

Wie weit nun Amalrich feine Principien ausgeführt hat, ob er auch in andern Punkten merklich von dem or⸗ tbodoren Glauben abgewichen ift, ob über dad Ber hältniß feines Standpunktes zum poſitiv chriftlichen doch auch wieder ähnliche Gontroverfen möglich wären, wie über den feines Führers Erigena: darüber ift eine ber ſtimmte und zureichende Antwort aus dem einfachen Grunde uicht möglich, weil ed über den weitern Inhalt feiner Lehre ganz und gar an Mittheilungen fehlt, und wohl für immer fehlen wird; denn ich erlaube mir auf dem Grunde meiner Nachforſchungen die Behauptung, daß hier, über etwas wefentlich Neues und Zuverläffiges nicht mehr zu finden ift, wenn nicht etwa (was jedoch nicht einmal wahrfcheinlich if) in den Schriften Odo's, welche noch ungedruct in der vaticanifchen Bibliothek liegen follen b).

——

a) öm. 12, 4, 5. 1 Kor. 12. Eph. 14, 6. b) Ueber Odo (Tusculanus) vgl, Fabric. bibl. Lat. med. aer. V.

J

Amalrich v. Vena u, David v. Dinant. 295

Uebrigens fcheint er ſelbſt fonft nicht allzu fehr zum Aus⸗ Ihweifenden fortgegangen zu feyn. Wie hätte er doch zu feiner Zeit niht nur dem Geruche der Keberei bis kurz vor feinem Tode entgehen, fondern felbft zu hohem Ans ſehen gelangen können, wenn er z. B. den Pautheismus fo plump gelehrt hätte, wie er in den ihm untergefchobes nen Behauptungen liegt? Wenn Erigena in der Ent- widelung feiner fonft unftreitig großartigen Weltaufchan» ung Anfichten andgefprochen hat, die fidh nicht wohl mit der Kirchenlehre vereinigen laffen, fo mochte er dazu durch die neuplatonifche Grundlage veranlaßt worden feyn, von ber er ausging, ohne daß fogleich anzunehmen wäre, er. habe abfichtlich dem chriftlichen Glauben zu nahe treten wollen, denn für den Sachverfländigen braucht nicht erft bemerkt zu werden, daß aus den oben ange» führten Sitaten der fpecififhe Charakter feiner Lehre nicht su erfehen iſt. Vielleicht dürfte daſſelbe auch für Amals rich gelten.

Wie dem aber andy fey, fo glaube ich wenigſtens, die fchlimmen Nachreden über feine fittlihen Princi⸗ pien und Lehren um fo cher als unbegründet abweifen zu können, als fie bloß von fpätern Chroniſten vorge⸗ bracht werden, während bie früheren Berichterflatter ders artige Anfchuldigungen bloß gegen feine Auhänger ers beben =),

p. 466. unb Oudin. de script. eccles. III. p. 200. Lips. 1722. Aud) die Quellen, welche Hahn zuerft benust bat, find nicht primärer Art und enthalten kaum eine einzige, das Verſtaͤndniß der Sadye wirklich fördernde Notiz. | a) Fait eo tempore Almaricas Carnotensis philosophis et catho- licis quaestionibus aingularis, qui doctrina perversam confin- gens charitstem sic respondebat, quod id, quod alias pecce- tum, si in charitate fieret, peccatum non esset, unde et foraificationes et alia nefanda occulte sub charitatis specie deceptis simplicibus committebat. loaan. Frasquet. ap. Bul.

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b) Die Lehre der Amalricaner,

Daß die Lehre des Meifterd und der Schule wohl auseinander gehalten werden müſſen, ift oben ſchon bes merft worden. Mögen fie in noch fo naher Beziehung zu einander geitanden haben, fo müſſen wir an der Ver: fchiedenheit beider in fo weit feflhalten, ald es von Sei: ten der Quellen felbft gefchieht. Diefe aber, fo fehr fie auch darauf beftehen, daß die häretifhe Secte durch Amalrich bedingte worden fey, fprechen doch von den nachfolgend zu entwickelnden Anfichten als von Anfidys ten der Schule und nicht ihres Urhebers. Wohl wäre ed möglih, daß fie in den Vorträgen Amalrich’e nur die ihnen zufagenden Principien gefunden und fie dann auf ihre Weife weiter geführt und audgebeutet hätte.

Ueber ihre Härefien haben wir ziemlich nmfländliche Berichte. Außer den weitläufigen Erhibitionen bei Ris gordus und Cäſar von Heifterbach befigen wir noch ein Actenſtück, den fchon erwähnten Befchluß der parifer Provincialfynode nämlich =), in welchem ihre vorzüglichs ſten Lehrmeinungen einzeln aufgeführt werden. Dabei bleibt freilich die Mißlichkeit, daß alle dieſe Mittheilun- gen von gegnerifchen Theologen und Hiftoritern herſtam⸗ men, die, weit davon entfernt,nach dem wiffenfchaft-

hist. univers. Paris. Tom. III, pag. 674. Dixerat etiam (Almaricous), quod in charitate constitutis nullum peccatum imputabater, Unde aub tali specie pietatis eias sequaces omnem turpitudisem commatabant (committebant). Mart. Polon. chronic. p. 211. &igorbus und @äfar von Heiſterbach, weldye body die Sache beſſer Eannten, legen biefe Lehre ausdruͤcklich bloß den Schülern bei.

a) Sr findet ſich bei Martene (thesanr. anecdot. IV. f. 169) und führt den Titel: Hae aunt haereses, pro quibus quidam sacer- dotes et clerici Parisiis igue examinati et consumti sunt, quia vonta est in illis inignitas. Ex MS. Viconicasi. 1210,

Amalrih v. Bena u. David v. Dinanf. 297

lichen Berthe oder Unwerthe der verurtheilten Anfichten _ ju fragen, darin nur den Ausdrud eines erorbitant uns gläubigen und gottlofen Sinnes ſahen. Doc, haben wir auch feinen biftorifchen Grund, an der Wahrheit dee und einkimmig Ueberlieferten zu zweifeln, zumal aus einzels nen Spuren zu erhellen fcheint, daß es ficher Überfpannte Köpfe unter ihnen gab. ben fo mögen fie vielleicht auch vom fittlihen Verirrungen nicht ganz frei geblieben ſeyn, wie fie in verfchiedenen religiöfen Kreifen jener Zeit dänſig genug vorgelommen find. Nicht zu überſehen .ift jedoeh, Daß das officielle Document, der Synodalbe⸗ ſchluß, der Secte gerade in leßterer Beziehung nichts zur kaſt legt.

Dem allgemeinen Charakter nach ift die Theorie der Amalricaner pantheiftifch; doch verfolgten fie nad den und Gberfommenen Zeugniffen den Pantheißmus kei⸗ neswegs in rein philofophifchem, fondern vielmehr in praftifchem Intereſſe, d. h. nach gewiſſen hiſtoriſchen, dogmatiſchen und ethiſchen Beziehungen. Bon dem Glau⸗ ben ſich gänzlich losfagend, fuchten fie die Wahrheit auf dem Wege ded denkenden Bewußtſeyns a) und geftal- teten fo eine Art Rationaliömus auf pantheifti> der Grundlage, mittelft deffen fie die Hauptfäße der chriftlichen Dogmatif ausdeuteten oder wie Ris gordus fich ausdrückt ausleerten.

Daß es dabei auf eine gründliche Durchbildung des dantheismus nicht hinauslaufen konnte, iſt begreiflich, deßwegen wird denn auch der Satz: Alles iſt Eins, und was ift, it Bott b), weder näher begründet,

3) item semetipsos iam resuscitatos asserebant, fidem et spem ab eorum cordibus exciadebant, se soli scientiae mentientes sub- iacere. Decret, ap. Mart.

b) Omnia uoum, quia quidquid est est Deus, und darauf folgt: „uodo geidam eorum, nomine Bernardus, ausas est affirmare, se nec posse cremari incendio, nec alio torqueri supplicio, in

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noch beflimmter gefaßt. Nichte deſto weniger iR die idealiftifche Färbung ber ganzen Brundanfchauung nicht zn mißlennen. Abgefehen nämlich davon, daß fle, nach einer, freilich hiſtoriſch nicht allzn feſtſtehenden, Rotig bei Thomas von Aquin, in Gott das Formalprincip aller Dinge gefehen haben follen =), fo kundigt fich Die bezeich⸗ nete Richtung auch im ihren anderen Lehren au, 3. B, in der von der göttlichen Dreieinigleit. Das Dogma von der Dreieinigkeit, fagten fie, bedeute nichts Anderes, als drei DOffenbarungeformen und Stadien der Gottheit In der Geſchichte, und daranf hin feyen drei univerfalger ſchichtliche Perioden zu unterfcheiden. Die erfte fey Die Zeit der Herrfchaft des Baterd ohne den Sohn nud ohne den heil. Geiſt, die Zeit des alten Teſtaments, der Aeußerlichkeit des Geſetzes und der religidfen Inflitutionen. Sie habe gedauert bis zur Incaruation Des Sohnes, wo eine neue Ordnung der Dinge entkauden fey, in welder die meiften alten situellen Formen abgefhafft worden wären. Run aber ſey and die Periode des Sohnes su Ende und es beginne das Reich des heil. Geiftes, in welhem alle äußeren Bermitte: Iungsmomente zwifchen Gott und den Mens»

quantam erat, quia in eo, quod erat, se Deum dicebat. Tum Deus visibilibus iadutus erat instrumentis, quibus videri pote- rat a creaturis ot accidentibus corrumpi poterat eztrinsecus.” Deor. ap. Mart.

a) Alii dixerant Deum esse principium formale omnium, et haec dicitur faisse opinio Amalriauorum. Thom. Aquin. Summ. theol. 1. Quaest. 8. Art. 8. Wäre diefe Angabe zuverläffig ge nug, fo würben die Anhänger Amalrich's hierin, wie in mehre⸗ ven anderen Punkten, mit ben fpäteren Begharden überein: ſtimmen. Diele behaupteten ebenfalld: quod Deus sit formaliter omne, quod est. Mosheim de Beghardis et Beguinabas.

Amaltich v. Bena u. David v. Dinant. 299

(den wegfallen müßten, indem nunmehr das Serhältnig zwifchen ihnen ein rein innerli- ed und unmittelbares fey, Wie der Bater in Abraham und der Sohn in Maria incars niet worden fey, fo werde fortan bis ang Ende der Zeit der heil. Geiſt in einem Jeden incarnirta), und wirfe Alles in Allemb). Die Incarnation ber Gottheit bedeute aber nichts Anderes, als ihre Erfcheinung in fihtbaren Formen c), Ä = Wenn nun fo Alles in den Geiſt verlegt wird, fo leuchtet die ideatififche Tendenz der Sectenlehre von felbft aa, und darin befunder ſich wohl die erigena’fche und amalrich’fche Unterlage. Die weitern Parthien berfelben ſind meiſtens nur Ausdeutungen chriftlich dogmatifcher Lerſtelungen von dieſem Standpunkte aus. So lehrten fe, unter der Auferſtehung der Todten ſey

ı) Auctoritas s. sic loquitar: opera trinitatis inseparabilia. Hi e contra: pater a principio operatus est sine filio et spiritu s. usque ad eiusdem filii incarnationem. Item auctoritas: solus flias incarnatus. Hi e contra: pater in Abraham incarnatus, flias in Maria, spiritus s. in nobis quotidie incarnatur. De- eret. . c. Item filias usgue nunc operatus est, sed spiritaus s. ex hoc nunc usque ad mundi consummationem in- choat operari. ibid. Inter alios corum errores impudenter astruere nitebantur, quod potestas patris duravit, quamdiu vi- guit lex Mosaica. Et quia scriptum est: novis supervenienti- bus abiicientur vetera, postquam Christus venit, aboleverunt omnia T. V. sacramenta et viguit nova lex usque ad illud tempus. In hoc ergo tempore dicebant T. N. sacramenta fi- nem habere et tempus s. spiritus incepisse, quo dicebant con- fessionem, baptismum, eucharistiam et alia, sine quibus salus haberi non potest, locum de caetero non habere, sed unomqnemque tantum per gratiam spiritus a. interius sine actu aliquo exteriori inspiratam salvari posse, Rigord. I. c.

b) Ille (spiritus s.) operatur omnia in omnibus. Caes. H. |]. c.

e) Item: Glius incarnatus, id est visibili formae subiectus.. Deeret. 1. c.

Test. Stud. Jahrg. 1847. 21

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nur die unmittelbare Selbftoffenbarung des heil, Geiſtes im menfhliden Bemwußtfeyn zu verfiehen, die ſich anf deffen Incarnation im Menfhen gründe. Natürlich fahen fie ſich ſelbſt ald Auferſtandene ana), Mit dieſen Grundvoraus—⸗ ſetzungen hingen auch die beiden anderen Behauptungen zuſammen, daß Chriſtus nicht mehr Gott gewe— fen ſey, als irgend Einer aus ihnen b), und daß Gott ebenfowohl in Ovid geredet habe, als im heil. Auguftin co).

So wird es zugleich von felbit Mar, wie die Anhaͤn⸗ ger Amalrich’ö alle äußeren Beranftaltungen zur Vermitte⸗ Iung Gotted und der Menfchheit negiren mochten. Sie beriefen fich nämlich auf dad innere, unficktbare Band, durch welches fie mit dem heil. Geiſte verknüpft feyen, in Kolge defien fie die Sacramente und die religiöfen Gebräuche entweder ganz verwarfen, ober ihnen einen anderen Sinn unterfchoben d), Sie fagten confequent, daß Niemand, weldher in der Im manenz des heil. Geiſtes ſtehe, fündigen könne,

a) Item spiritus s. in eis incarnatus, ut dixerunt, eis omnia reve- labat et haec revelatio nihil aliud erat, quam mortuorum re- surrectio. Item semetipsos iam resuscitatos asserebant Decret. 1. c.

b) Item filius,incarnatus, i. e. visibili formae subiectus: nec aliter illum hominem esse Deum, quam unum ex eis cognoacere Yo- luerunt. Decret. 1. c. Unde concedebant, quod unusgaisgne eorum esset Christus et spiritus s. Caes. Heist. I. c. che: lich die WVegharden: „item credunt se esse Denm per naturam sine distinctione. Quod sint in eis omnes perfectiones diri- nae, ita quod dicunt se esse aeternos et in aeternitate.” Mos- heim, de Begh. p. 256,

c) Deum locutum esse in Ovidio sicut in Augustino. Caes. Heist.l.c-

d) Hoc siquidem errore decepti, corpus Christi ante verborum prolationem visibilibus panis accidentibus subesse conati sunt affırmare,

Quod sic exposuerunt: id, quod ibi fuerat prius formis visi-

Amalrih v. Bena u. David v, Dinant. 301

da dieſer ja Alles in Allem wirke a). Deßmegen leug⸗ neten fie auch bie Säünbenfchuld und behaupteten, Gott fey bloß gut und niht gerecht b).

Ihre weiteren ethifchen Ueberzeugungen anlangend, fo deuteten fie nach Caſar von Heifterbach die bezüglichen oberften Gegenfäte auf rein theoretifhe Berhältniffe, Himmel und Hölle, fo berichtet er, hätten fie für bloße Zuſtände des religiöfen Bewußtſeyns gehal- tn; Jeder nämlich hättenachihrer Anficht die bimmlifche Befeligung, welcher das wahre Öottesbewußtfeyn befiße, wer aber (deffels ben entbehre und alfo) eine Todfünde habe, trage die Hölle in fich, wie einen faulen Zahn im Munde —.c),

bilibas, prolatione verborum subesse ostenditar. Item de meritis praesumentes, gratiae derogantes mentiti sunt bono- rum baptismatis non egere parvulos ex eorum sangninibus pro- pagatos, si suae conditionis mulieribus carnali possent copula commisceri. Decret. I. c. Dicebant non aliter esse corpus Christi in pane altaris, quam in alio pane et in-qualibet re. Altaria sanctis statui et sacras imagines thurificari idololatriam esse dicebant; eos, qui ossa martyrum deoscula- bautor, subsannabant. Gaes. H. 1. c.

a) Si aliguis est in spiritu s., aiebant, et faciat foruifhicationem aut aliqua alia pollutione polluatur, non est ei peccatum, quia ille spiritas, qui est Deus, omnino separatus a carne non pot- est peccare et homo, qui nihil est, non potest peccare, quam dia ille spiritus, qui est Deus, est in co. Ille operatur omnia in omnibus. Caes. H. 1. c. Aehnlich die Begharden: quod homo magis tenetur sequi instinctum interiorem, quam verita- tem evangelii. Mosh. p. 258,

b) Dominum tantummmodo bonum et non iustum praedi- cantes. Rigord. |, c.

c) Negabant resurrectionem corporum, dicentes nihil esse para- disum neque infernum, sed qui haberet in se cognitionem Dei (quam habebant), haberet in se paradisnam; qui vero mortale peccatum, haberet infernum in se sicut dentem putridum in

ore. Caes, H. ]. c. 21”

302 Krönlein

Damit wäre denn Alles zuſammengeſtellt, was von dieſer für ihre Zeit eben fo verwegenen, als in fich felbkt rüdfichtölod confequenten Theorie in zerſtreuten Notizen auf und gefommen if. Nimmt man hinzu, daß bie Amal⸗ ricaner auch gegen die beflehenden kirchlichen Zuflände heftigen Tadel erhoben haben «), fo bedarf e& nach der bisherigen Darftelung kaum der befondern Erinnerung, daß die ganze Schule weſentlich auf dem Boden des res formatorifchen Strebens jener Zeit überhaupt ſteht, wel ches fich in ihren Anfichten infofern gleichſam wie in eir nem Brennpunkte fammelt, als fie wenigſtens den Anlauf zu einer principiellereun Kundamentirung berfelben genom: men zu haben fcheint.

c) Die Lehre David’d von Dinant.

Wenn die Amalricaner zu einem förmlichen Wider fpruche gegen das beſtehende religiöfe und kirchliche Sy⸗ ſtem fortgingen, fo trat David von Dinant in ein nicht minder feindliches Verhältniß dagegen, nur daß er nicht wie jene das dogmatifhe und praftifch kirchliche, fondern vielmehr das rein philofophifche, oder näher, das metaphyfifche und fpeculativ theo» logiſche Intereffe verfolgte Und zwar hat er diefe oppofltive Richtung mit einer Entfchiedenheit augzubilden gefucht, wie man fie wohl bei feinem anderen Philofopfen ded chriftlihen Mittelalterd wiederfindet. Leider ift von feinen eigenen Aufzeichnungen nichts auf und gekommen, und die fpärlichen Notizen: Anderer, meiftens ans einzel nen und zufammenhangslofen Argumentationen beftchend, reichen kaum zu, feine Weltanfhauung auch nur in ihren allgemeinften Beziehungen erkennen zu laffen, ob es mir gleich gelungen ift, durch Auffindung neuer Fragmente

a) Dicebat (dicebant) enim, quia Papa esset Antichristus, et Roma Babylon. Du Plessis (collect. Iudic.) 3. f. 180.

Amalrich v. Bena u, David v. Dinant. 303

die begüglichen Materialien um mehr ald um bad Doppelte ju vermehren.

Man findet die einzigen Mittheilungen über feine Lehre nur bei Albertus Magnus und Thomas von Aquin, welde in ihren weitläufigen Schriften, zumal in ihren Summen der Theologie und in ihren Commen⸗ taren zum Magifter Sententiarum, bie und da einzelne Anfichten des Häretikers vorgebracht haben, um fie zum Gegenftande ihrer Polemik zu machen. Da die firchlich angeordnete Einlieferung und Berbrennung feiner Schrift ın das Jünglingsalter Albert’d (geb. 1193) fiel, fo wäre ja fragen, woher biefer berühmte Theolog feine Kennts nid von der david'ſchen Philofophie hatte. Jedenfalls Reht feft, daß er mit einem Schüler des Dinanterd, Na⸗ mens Balduin, über eine der oberfien Schlußfolger rungen des Meifterd disputirte; die Vermuthung Liegt deßhalb nahe, daß er auf dem Wege der Disputation auch noch weitere Erfahrungen über die Lehre deflelben sachen fonnte, Wenn dagegen Tennemann meint, ed müßten wohl einzelne Eremplare des verurtheilten Buches der Vernichtung entgangen feyn und von bdiefen eines Albert vorgelegen haben, fo wäre an eine Stelle zu er» innern, in welcher der leßtere nad, einer längeren An⸗ führung david’fcher Sätze fagt: „et haec sunt fortiora, que de errore isto (d. h. von der Philofophie David’s) ad me pervenerunt a),“ woraus hervorgeht, daß, wenn sr auch fchriftliche Ueberbleibfel vor ſich hatte, dieſe nicht die ganze Schrift des Häretikers ſeyn konnten. Tho⸗ mad von Aquin hatte wohl Feine unmittelbare Quellen; die wenigen Kragmente nämlich, die man bei ihm findet und die nichts Neues enthalten, hat er zweifeldohne aus den Schriften feines Lehrerd Albert entnommen.

a) Summ. theol. part. I.

304 Krönlein

Aus allen uns erhaltenen Sägen drängt fidh offenbar als Mittels und Zielpunft der verurtheilten Lehre der Gedanke von der Identität alles Wirklichen im Abfoluten hervor. David iſt unerfchöpflich an Argus mentationen zur Begründung diefer Anficht, wobei er feinen ganzen Scharffinn und die ganze, ihm zu Gebote ftehende ſyllogiſtiſche Kunft und Gelehrſamkeit aufbietet.

Er unterſchied nach einigen Stellen die Dinge in brei Sattungen, in materielle oder körperliche, immaterielle oder fpirituelle, und göttliche oder, wie Thomas von Aquin die letzteren nennt, ewige, (von allem endlichen Dafeyn) getrennte Subftans zen. Für jede der drei Gattungen nahm er ein allger meines, untheilbares und einfaches Princip an, und führte fo die Sörperlichen Dinge auf die Materie (materia, 54n), die fpirituellen auf den Geiſt (spiritus, mens, voös) und bie göttlihen auf Gott zurück. Bei der Abftractheit nun, mit der er ben Begriff des Prin- cips felbft faßte, lag der Gedanke nahe, baß ben vor außgefegten Principien vermöge ihrer abfoluten Einfach⸗ heit Feinerlei unterfcheidende Charaktere zufommen Eönn- ten, und daß fie darum in ihrem Weſen daffelbe ſeyn müßten a). In anderen Stellen wiegt mehr eine Di»

nm.

a) Sunt quidam haeretici dicentes Deum et materiam primam et vods sive mentem idem esse. Quod sic probant: quaecungue sunt et nullam differentiam habent eadem sunt. Idem euim est, ut dicit Aristoteles 7. top., quod non differt differentia. Deus, sovg et materia prima sunt et nullam differentiam ha- beut, ergo. eadem sunt. Quod autem haec tria sint et plura principia rerum, ex hoc volebant probare, quod res sint tri- plices, scilicet materiales, spirituales et divinae nec ex uno principio proprio formabiles. Primum ergo principium forme- tionis materialium est materia, ut dicunt, et primum princi- pium formationis spiritualium, in quibus principium vitae cst, .dicunt, quod est sovg, sive mens. Dicunt enim, quod omnis, Quae sunt in uno genere, ex uno aliquo principio simplici for-

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ch oto miſche Unterfcheibung vor, indem bier ber ges tremten Subflanzen feine Erwähnung geſchieht und Gott gleichſam als die dem Materiellen und Geifligen zu

mantor, ut patet in omnibus generibus entis, sciliott substantia, guantitate, qualitate, et sic de aliis. Similiter divinum esse multiplex est, ut dicunt, et necesse est, quod ex aliquo uno formetur principio, et hoc dicunt esse Deum. Haec ergo Iria sunt simplicia prima, et si sunt simplicia, nullam differentiam kabent; quaecunque enim habent differentias, sunt composila. Et sic suam volunt probasse intentionem. Et in hoc errore fuit David de Dinanto. Albert. M. summ. part. J. tract. 6, quaest. 29. art. 2, Quoramdam antiquoram philosophorum er- ror fuit, „quod Deus esset de essentia omniam rerum.” Po- nebant enim omnia esse unum siimpliciter et non differre, nisi forte secundum sensum vel aestimationem, ut Parmenides dixit. Et illos etiam antiquos philosophos secuti sunt quidam mo- derni, ut David de Dinanto. Divisit enim rcs in tres partes, in corpora, anımas et substantias aeternas separatas. Et pri- mem indivisibile, ex quo constitunntur corpora, dixit „GAnv,” primum autem indivisibile, ex quo constituuntur animae, dixit „s009’”’ vel mentem, primum aatem indivisibile in substantiis aeternis dixit „Deum,’” et haec tria esse unum et idem, ex quo iteram consequitur esse omnia per essentiam unum. Thom. Aq.insecund. sentent. libr. dist. 17. quaest, 1. art. 1. solut. Man vergleiche damit folgende Stelle bei Albert. Magnus: Discipuloe autem eius quidam Balduinus nomine, contra me- ipsam disputans, talemlicet vijlem indaxit rationem: quod quee- cunque sunt et nullo modo differunt, sunt eadem. Deus et. materia et 90% sunt et nullo differunt, ergo eadem sunt. (Noög antem Graece, Latine sonat ‚„mens’”.) Et volebat, quod ita se huberet voog ad intellectum et intelligibilia, sicut se khabet YAn ad sensibilia. Qnod autem nullo modo difierant, sic nitebatar probure: quaecangue nullam diiferentiam habent, nullo modo differunt. Dicit, enim Aristoteles in VII. top. quod idem est, a quo non differt differentia. Simplicia autem prime nullam differentiam habent, quia, si differentiam habe- rent, composita essent, Deus, Un, vodg simplicia prima sunt; ergo nullam habent differentiam; ergo nullo modo differunt, et sic per consequens eadem sunt. Et hoc est propositum ipsias. Summ. theol. II. p. 63. cf. de caus. et proc. un. IV, 5. p. 556. b.

306 roͤnlein

Grunde liegende Einheit angeſehen wird. Und ſo wird es jetzt ſchon begreiflich, wie auch hier wieder der Satz zum Vorſcheine kommt, Alles ſey eins, und das Eine ſey Bott).

Mit dem letzten Satze hat natürlich David keine ihm eigenthümliche, ſondern nur eine allen ſonſt noch ſo verſchiedenen pantheiſtiſchen Syſtemen gemeinſame An⸗ ſicht ausgeſprochen, und da die nähere Bedeutung, die er bemfelben unterlegte, auch aus der vorangehenden Beweisführung nicht deutlih und vollfländig genug zu erfehen ift, fo hätten wir und noch nach weiteren Be bauptungen umzufehen, wollten wir den fpecififchen Cha: rakter feiner Lehre im Unterfhiebe von anderen Identi⸗ tätslehren kennen lernen. Freilich ift ed wegen ber Unde⸗ Rimmtheiten, Schwanfungen und Widerſprüche, denen man in ben wenigen und zufammenhangslofen Aeuße: rungen, die noch vorhanden find, begegnet, ungemein fchwierig, auch nur mit einiger Sicherheit zum inneren Berftändnifie der Sache vorzudringen,

Sogleich tritt ung die Behauptung Albert’3 entgegen, der Dinanter babe in Gott dag materielle Princip von Allem gefehen, und darauf hin hat man ihn im der Regel kurzweg in die Reihe der Materialiften ge ſtellt. Er fol nämlich gefagt haben, die materiellen Dinge wären aus der erften Materie, und die fpirituellen aus dem Geiſte gebildet, die erfie Materie und der Geift wären demnach die urfprünglichen bildbaren Prins cipien. Was aber in eine Mannichfaltigkeit von gleihartigen Dingen bildbar fey, dad nenne man nach eineh ariftotelifhen Grund, fage „Materie” oder wenigftend „materiels les Princip.” Dieſes vorausgefchidt, käme «6

a) Omnia esse unum, et hoc unum dizit esse Deum. Vergl. ein fpäter beigubringenbes Gitat,

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baranf an, ob bie erfte Materie und der Geiſt verſchie⸗ den wären ober nicht. Wären fie verfchieben, fo müßten fie ein gemeinfamee Drittes haben, von welchem die Berfchiedenheit ausginge, nnd biefed Gemeinfame wäre dann das zu dem Berfchiedenen Bilbbare und in» fofern die Materie deſſelben. In diefem Falle aber würde der erſten Materie eine Materie vorausgeſetzt, was (denn fo mochte er doch wohl die Sache angefehen babe»), da die leßtere doch wieder eine erfte Materie jue Borausfegung habe, zu einem Kortgange ins Un⸗ endliche führte. So bliebe denn nur die Annahme übrig,- daß die erfie Materie und der Geift im Weſen daſſelbe wären. Bermittelft derfelben Argumentation wird dann auch die Identität beider mit Gott nadhgewiefen a).

a) Alexander etiam in quodam libello, quem fecit de principio in- corporeae et corporeae substantiae, quem secutus est quidam David de Dinanto in libro, quem scripsit „„‚de tomis, h, e. de divisionibus’”’” dicit Deum esse principium materiale omniam. Quod probat sic: quia vodg, h. e. substantia ınentalis, primum formabile est in omnem substautiam incorpoream. Primum au- tem formabile in res alicuias generis primum materiale est ad illa; soUg ergo primum principium est ad omnes incorporeas sabstantias. Materia autem possibilis ad tres dimensiones pri- mum formabile est in omnes corporales substantias ; ergo est primom materiale ad illas. Quaero, si vovg et ınateria prima differunt an non? Si differunt, sub aliquo communi, a quo illa differentia egreditur, differunt, et illud commaune per diffe- rentias formabile est in utrumque. Quod autem unum forma- bile est in plura, materja est, vel ad minus principium mate- riale; propter quod in IX. primae philosophiae dicit philoso- phus, „„,qauod quaecungue sunt in geuere uno, eorum est materia una.”” Si ergo dicatur una/m) materiu(m) esse materiae primae et »00g, erit primae materiae materia, et hoc ibit in iehnitum. Relinquitur ergo, quod 909g et materia prima sunt idem. Similiter Deus et prima materia et vyoug aut dillerunt, aut non. Si differunt, oportet, quod sub aliquo communi, a quo differentiue illae exeuut, .differant, et sequitur ex hoc, quod illad commune genus sit ad illa, et quod hoc genus ma-

308 Rrönlein

Die waterialiftifche Deutung, bie bier ber Begriff des Abſoluten erfährt, beruht, wie man ſieht, darauf, dag eine gemeinfame Einheit des Berfchiebenen angenoms men und darin das bloße Object der Korm gefunden wird. Diefer Dentweife lagen offenbar gewiſſe Beſtim⸗ mungen bed Ariftoteled über die erſte Materie zu Grunde, ans denen David auch noch andere aufgriff, um feinen oberften Lehrfag zu erhärten. So madıt er 3. B. daranf aufinerffam, daß bei allem Entgegengefehten etwas ans genommen werben müfle, welches, felbft Feines der Ent: -gegengefeßten ſeyend, ober dem einen oder dem anderen von ihnen entgegengefeßt, als ihr gemeinfames Subſtrat anzufebhen fey. Da nun an der Mäterie und dem Geifte, oder an dem Leibe und der Seele die Gegenfäge des Ac⸗ tiven und Paffiven zum Borfcheine fämen, fo müßte auch eine neutrale Unterlage voraudgefegt werden, in weldyer fie zufammenfielen 9. Und außer Wriftoteled beruft er

terialis principii sit notitia ad ille, et quod primorum materia- lium sit materia, quod inconveniens est, sicat prios habitum est. Et ex hoc videtur relinqui, quod Deus et vovg et materia prima idem sunt, secandam id, quod sunt, quia quaecunque sunt et nulla differentia differunt, eadem sunt. Deus autemet voög et materia prima sunt et nulla differentia differunt, ut iam probatum est; ergo eadem sunt, dicente Aristotele in IX. top., quod idem est, a quo non differunt differentia. Summ. theol. ]. tract. 4. quaest. 20. membr. 2.

a) Omne passibile per contrarias formas est passibile etnon per subiectum, quod substat contrariis. Et hoc probatur per hoc, quod subiectum in passivis omnibus neutri contrariorum est contrarium. Anima et Öln passibilia sunt, sentire enim et in- telligere pati est. Inde procedunt sic: quod subiectum non est passibile nec activum; hoc ideo est, ut dicit philosophus, „‚quia in omnibus unum.”’ Anima et #4n sunt duo subiecta, actionem et passionem suscipieutia ; ergo propter hoc activa non sunt in invicem, quia in omnibus agentibus et patientibus sunt idem nullam habentia contrarietatem. Ergo iutellectus et #4n sunt idem in substantia. Alb. summ. theol, II. tract. 12. quaest. 72.

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fh auch noch auf mehrere andere Philoſophen bes Alters thumd, wobel ed faum der Bemerkung bedarf, daß bie bier zu Tage treiende Kenntniß der antiten Philofophie ih, vom Standpunkte unferer heutigen Einficht in die Geſchichte der Dhilofophie aus angefehen, freilih unzu⸗ länglich und unfeitifch genug ausnimmt a).

Scheint demnach unfer Metaphyſiker die abfolute Identität im materialiftifchen Sinne verftanden zu haben,

membr. 4. art. 2. Man vergleiche weiter: Secundo inducit (David), quod Aristoteles dicit in J. phys., qued antiqui phi- losophi dixerunt unum solum esse id quod est et illud esse iodivisibile et immobile, et hoc esse vn sive primam mate- sam. Unum autem, quod est indivisibile et immobile, dicit non posse conrenire, nisi Deo; et sic Deum et materiam pri- mam dicit esse idem. Tertio pro se inducit versus Orphei, in quibus, ut dicit, Deum universum esse affırmat; et cum con- stet universum esse in forma diversum et unum in materia, arguit, quod hoc non potest esse, nisi Deus et materia prima sint idem. Dicit etiam, quod ipsos versus Aristoteles inseruit cuidam libero sao, in quo sermonem facit de Deo. Daſ.

a) Deinde quaeritur de erroribus Epicureorum et maxime de anti- quo errore Anaximenis, qui nuper per quendam David de Di- nanto renovatus est, qui dixit Deum et materiam primam esse idem, inducens super hoc antiguum Anaximenem, qui dixit, omnia esse unum (ut dicit Aristot. ia I. prim. philos.) et hoc unum dixit esse Deum. Et illud unum David interpretatur esse matersam, eo quod nihil secundum eum verum est, nisi mate- ria; formas enim non dicit esse nisi secundum 'sensum. Ioducit etiam discipalum Anaximenis Democritum, qui compul- sus segui sensum duo dixit esse, unum scilicet secundum ratio- nem et alterum secundum sensum. Dicebat enim, qnod omnia, quae sunt unum, sunt indivisibile eo, quod, omni forma ablata a materia, substantia indivisibilis est. Indivisibile autem, in quo omnia fandantar et tenentur et quod in omnibus est, non esse nisi materiam primam, de qua dicit Plato, quod est sicut matricula concipiens omnia, Qquae in natura formata suut, et de qua Aristot. dicit in fine I. phys., quod est parens in totam naturam. Et hoc dixit esse Deum, qnia hoc, quod omnia tenet et in qao omnia fundantur, ut in esse permaneant, non potest esse nisi Deus. Daſ.

310 Krönlein

fo befißen wir doch zugleich wieder einige feiner Aeuße⸗ rungen, die entweder nichts davon enthalten, oder gar zu einer Art ivealiftifher Tendenz hinneigen. Man könnte dahin fchon eine Argumentation rechnen, der ich an verfchiedenen Orten begegnet bin, in welcher er, aber: mals zur Bewahrheitung feines Hauptfabes, feinen Aus⸗ gang von geiftigen Motiven und Beziehungen nimmt. Das Erkennen nämlich, fo raifonirt er bier, gebe nur in Kolge einer Affimilation des Berftandes zu dem zu er- fenuenden Gegenſtande vor fih. Die Affimilation aber ſey entweder accidenteller oder fubftantieller Art, Die erftere beftehe nämlich darin, daß der erken⸗ nende Geift die Korm von dem zu erfennenden Ge genftand abflrahirte, was natürlich nur bei ge: formten Gegenftänden (cd. h. bei denen, welche in das Bereich der endlichen Welt gehörten) angehe. Da nun Gott und die Materie als abfolute Einfachheiten der Form entbehrten und doch durch den Berftand erkannt würden, fo finde bier nicht Die accidentelle, ſondern Die fub- ftantielle Affimilation flat. Das Refultat jener fey eine bloße Berähnlihung ded Subjectiven und Objectiven, das Reſultat diefer dagegen die völlige Sdpentität, welche nur auf dem Grunde der vorauszufeßenden Iden⸗ tität des Weſens möglich ſey. Daraus folge dann die Einerleiheit von Geiſt, Materie und Gott in der Sub⸗ ftanz von felbft a).

a) „Intellectus intelligit Deum et Hin» sive materiam, sed ni- hil iutelligit intellectus, nisi per assimilationem ad ipsum; oportet igitur, quod assimilatio sit intellectus ad Deum et HAnr. Haec autem assimilatio vel est per identitatem vel per simpli- cem assimilationem, Sed non est per simplicem assimilatio- nem, quia assimilatio non fit, nisi per formam abstractam ab eo, quod intelligitur, YAn autem et Deus nullam habent for- mam. Si ergo intelliguntur, oportet, quod per identitatem, quam habent ad intellectum, intelligautur. Intelleotas igitur et

Amaltih v. Bena u. David v, Dinant. 311

Auf derſelben Dentoermittelung beruht ed wohl auch, wenn er ſich den ariftotelifchen Gedanken aneignet, daß das thatfächlich erfennende Subject und das wirkliche Erkennen und Wiflen mit feinem Gegenftande identifd) fey a). Ta, er fchließt fih gar denjenigen an, welche in Gott den „Weltgeift” b) (mens universi), oder auch bie „Weisheit und Bernunft ſehen, durch welche Alles hervorgebracht, geleitet, getragen und verfnüpft werde” c). Denn dieß fcheint Doch, minde⸗

sn et Deus idem sunt in substantia.” Alb. Summ. Il.tract. 42. quaest. 72. membr. 4. art. 2. Hanc argumentationem Alber- tus alibi ita refert: „intellectus intelligit Deum et 9477 ; Brgo oportet, quod habeat similitudinem cum Deo et #in, vel sit idem cam illis, quie nihil intelligit intellectus, nisi per con- iunctionem intelligibilis ad ipsum. Sed non sunt, nisi duo modi coniunctionis, scilicet accidentalis et substantialis. Acci- dentalis facit similitudinem, substantialis vero identitatem. Ergo necesse est, quod intellectus YAny et Deum altero istorum mo- dorum accipiat. Non autem accipit per similitudinem eorum, quia per similitadinem nihil intelligitur, nisi quod habet for- mam, quae potest abstrahi ab ipsa, sed talem formam non ha- bet Deus nec Jin. Ergo non hoc modo accipiuntur, ergo sccipiuntur per identitotem, et ita intellectas et Dens et v4n idem sunt.” Summ. de creaturis part. II. quaest. 5.art.2. Cf. Thom. Ag. in II, sentent, lib. dist. 17. quaest. 1. art. 1. no. 4.

a) Quod scientia secandum actum est res scita; und an einer an⸗ deren Stelle: Omnino autem intellectus et intelligens secun- dum actum est res intellecta. Daf.

b) Quinto inducit pro se Senecam sic dicentem: quid est Deus? et respondet: mens universi.. Quid est, quod vides totum? totam ubique est; opus suum in terra et extra replet; cuide- mam magnitudo sua redditur, quo nihil maius excogitari pot- est. Haec omnia intelligi vult de materia prima (?), et quod haec sit Deus (?). Daf.

e) Ad hoc etiam indacit versus quosdam, qui scripti leguntur in templo Palladis, apud eos, qui Palladem dixerunt esse Deam sapientiae. Per sapientiam autem et providentiam etomniaproducunturetregunturet continentur. Hoc autem dixerunt esse materiam-et Deum (?). Sensusautem

312 Kroͤnlein

ſtens geſagt, ſeltſam, daß er, wie Albert behauptet, unter dieſen Idealitäten wiederum nichts Anderes verftanden haben ſollte, als die erſte Materie.

So hätten wir denn in einigen Sätzen den Materia⸗ lismus, in anderen den objectiven Idealismus gefunden. Run fehlt ed auch nidht an Spuren, in welchen fi fo gar eine Dritte Rihtung vermuthen liege. Dahin gehört außer anderen mehr oder minder bedeutfanen Aen⸗ Berungen vornehmlich ein Fragment, in welchem in dem Begriffe des Abfoluten alle möglichen concreteren Beftimmungen, fogar die der Materie un, fin darf hinzufügen, des Geiſtes ausgetilgt wer dew, fo daß alfo nur die rein abftracte (logiſche) Subfiantialität ale ſolche übrig bleibt «).

versuum iste est: quod Pallas est quidquid fuit, quidquid est et quidquid erit, nec aliquis homo detexerit peplum, quo fa- cies eius velabatur. Dicit etiam, quod refert Plutarchus, quod vetustissimi philosophorum interpretati foerunt illud faisse dictum de Deo, qui peplo tectus est, quia omnes eum ignorant et omnes nihil sliud, quam ipsum vident. Peplum autem, quo ipse tectus est, videtur esse sensus, qui est in anima et forma, guae est in corpore, quibus Mobus circumscriptus, ab anıma et corpore apparet ipse Deus in propria sui natura. 'Quarto pro se inducit, quod longo tempore post (Aristotelem) Lucanus eosdem versus operi suo inseruit, dicens:

„Seimas et hoc melius nobis non inseret Hammon.

„Haeremas canctis saperis temploque tacente ;

„Nil agimus, nisi sponte Deum ... . Et post pauca:

„Estne®Dei sedes nisi terra, pontus et aër?

„lapiter est, quodcungue vides, quocunque moveris.” Daf.

a) „Quod etiam haec duo idem sint cum Deo, sic probat Darid: idem est, a quo non differt differentia, sicut dicit Aristoteles in VII. topicorum, et dat exemplam, quod punctum est principium continui et unitas principium discreti, et non differunt in eo, quod prima sunt, sed differunt in hoc, quod punctum hsbet positionem continui et unitas discreti ordinem. Si ergo abstra- hantur ab eis istae differeutiae (cum idem sit, a quo non differt

Amalrich v. Bena u. Davib v. Dinant. 313

Haben wir fonac drei verfchiebene Richtungen in der Lehre David's anzunehmen oder nur gegenfägliche Beſtimmungen, die fich doch wieder unter einander aus⸗ gleichen laffen? Gehen wir noch einmal auf den bereg- teu Materialismus zurüd, fo briugen Albertus Magnus und Thomas von Aquin fortwährend dagegen vor, daß die Materie ja doch nur die ftoffliche Vorausſetzung ber Form, oder genauer nad, einem arifotelifchen Auobrucke dad „primum patiene” oder „suscipiene” fey. Sie übers fehen jedoch, daß der Dinanter außer den negativen und abfiracten Prädicaten der Einfachheit, Unterfchiedlofigkeit, Neutralität, Untheilbarfeit und lnbeweglichleit gerade die von ihr ausſagt, daß fie fey dad „Bildbare” (formabile) und (ausdrüdlich) das erfte „Empfäng- lide” (primum suscipiens), Fällt alfo diefe Einrede

differentia), punctum et unitas erunt idem in substantia. A simili Deus et materia et intellectus sive mens sunt prima, unum qaodgue in ordine suo, et (sicut dicit) non differunt in eo, quod prime sunt (aliter esset idem principium convenientiae et differentiae), sod in hoc, quod Deus est primum efficiens et din primum suscipiens. Si ergo abstrahatur ab his diflerentiis, idom erunt.: Una ergo substantia est, quae est Deus, Hin et intelle- ctus.“ Daſ. Dean vergleihe damit folgende Gtellen: manifestum est igitur unam solam substantiam esse non tantum omuium corporum, sed etiam omnium animarum, et hanc nihil aliud esse, quam ipsum Deum, quia substantia, de qua sunt omnia corpora, dicitur 47, substantia vero, de qua sunt omnes animae, dicitur ratio vel mens. Manifestum est igitur Deum esse substantiam omnium corporum ei omnium animarum. Pa- tet igitar quod Deus et 84n et mens una sola substantia sunt. Daf. Und: In omnibus resolutionibus sic est, quod contingit de- venire ad unum simplicissimum, quod ulterius non resolritur, et in quo non differunt ea, quae resolvuntur. Sed constat, quod corporalia ad hoc deveniunt, quod in 9479 resolvuntar, spiritua- lia resolvuntur in mentem sive vods in Graeco; et si deducatur resolutio, non stabit nisi ia simplicissimo, et hoc non potest esse, nisi Deus. Cum ergo omnis resolutio stet in his tribus ut

in ultimis, oportet, quod haec tria sunt' unum in substantie. Daf,

314 Kroͤnlein

von ſelbſt weg, ſo bleibt doch der allgemeine Grund der⸗ ſelben inſofern ſtehen, als nicht abzuſehen iſt, wie denn, wenn ed nur ein Bildbares und Empfängliches gäbe, und nicht zugleich ein Bildendes und Kormgeben Des, welches ſich des erfteren bemächtigte, überbanpt etwas werben und feyn könnte. Dem Daß er etwa, den Eleaten ähnlich, felbft auf die Gefahr, zur Mannich⸗ faltigteit ded Wirklichen feinen Uebergang zu finden, feis nen Identitätsſtandpunkt habe ausbilden und fefthalten wollen, dem widerfpricht der ganze Charakter feiner Philoſophie, das wiſſenſchaftliche Intereffe, welches er verfolgte, und die ganze gefchichtliche ——— von der er ausging.

Müflen wir deßhalb ſchon vorausſetzen, er werde ſich noch nach weiteren Principien umgeſehen haben, um das Daſeyn zu erklären, fo findet dieſe Vorausſetzung ihre Betätigung in feinen eigenen Aeußerungen. So ſpricht er in den bereits angeführten Stellen von einem „Les bensprincipe, welhesdem Beiftigeneinwohne” (— spiritualia, in quibus principium vitae est), ja er ber zeichnet Gott geradezu mit dem ariftotelifchen Terminus des „erften Bewirfenden” "(primum efficiens). &o viel frheint alfo doch richtig, daß er die Begriffe der Bilbbar- feit oder Kormempfänglichkeit, wie der Lebenskraft und erſten Wirkſamkeit gleihmäßig ald Prädicate des Abfoluten angejehen habe, woraus dann von felbft folgen wärde, daß ihm wohl die Seßung bloß desk@inen oder bed Andern ale Subject nit als ſtatthaft erfhienen feygn fünnte Damit wären wir in bie jenige Sphäre der Betradhtung vorgefchritten, von wels cher aus allein, wie mir duͤnkt, die Antwort auf die oben geftellte Frage ertheilt werden muß.

Menn man bedenkt, wie unfer Metaphufiter nicht nur alle Hebel feiner Dialeftif in Bewegung febt, um bie Realität der Alleinheitsidee überhaupt zu

Amalri v. Bena u. David v. Dinant. 315

beweifen, fondern in feiner Speculation von ber leßteren fo fehr beberrfcht wirb, daß alle feine Argumentationen darauf gerichtet find, man vergleiche nur die jedes⸗ maligen Schlußfäbe oder lebten Urtheile berfelben —: fo verſteht es ſich von ſelbſt, daß er, wollte man nicht annehmen, er habe eine boppelte ober dreifache und ſich widerfprecheude Philofophie gelehrt, jede Vorſtellungs⸗ weife von ſich abgewiefen haben wird, die irgendwie auf ein Dualiftifche® hinausliefe. Solches wäre aber offenbar der Zall, wollte man z. B. in feinem „Bildbaren” eine qualitãtsloſe, corpusculare, träge Mafle fehen, an welche bad „erſte Thätige” von außen heramträte, ganz ab» gefehen davon, daß damit die Annahme des thätigen Principe infofern wieder überhaupt in Frage geſtellt würde, ald ja auch bie fpirituellen und fogar die gött⸗ lihen Dinge auf das bloße Bildbare zurüdgeführt werden. Ueberdieß kann fchon darum die plumpe Aufs faffung des Materiellen bei ihm nicht gut vermuthet wer⸗ den, weil er wefentlich von ariftotelifchen Beſtimmungen ausging, Die zwar von ben arabifchen und chriſtlichen Philoſophen des Mittelalters oft nicht zureichend erfannt und verfchieden anufgefaßt, kaum aber jemals zu einer, ihrem urfprünglicdhen Sinn fo ganz widerftrebenden Ber deutung verkehrt worden find.

So ſcheint deun nur die Annahme übrig zu bleiben, David habe allerdings bie oberfien Begenfäge des Wirk, Iihen in ber abflracten Einheit bed Abfoluten aufgeho⸗ ben, ihnen jedoch ihre relative Geltung in Abficht auf die mannichfachen, gewiflen von einander verfchiedenen Kreifen angehörigen Eriftenzen und Entwidelungen wohl vindicirt. Erinnert er doch ſelbſt an eine von Ariftotes led vorgebrachte Analogie. Das Aehnliche, fagt er, finde bei der Einheit und dem Punkte flatt; wie nämlich beide darin einerlei feyen, baß fie den Charakter bed Anfängs lihen überhaupt hätten, darin aber sinne, baß die

Theol. Stud, Jahrg. 1847,

316 - Keönlein

Einheit den Anfang des Didcreten, ber Punkt aber ben Anfang des Sontinnirlichen bilde, fo feyen Materie, Geiſt und Gott auh nur nad näheren concreten de zie hungen von einander verfdieden, inſofern aber identifch, ald man von den legteren abfehe.

Wenn es damit den Anfchein gewinnen könnte, ale habe unferm Philofophen Die Idee eines rein ſubſſtan⸗ tiellen Pantheismue vorgefhwebt, etwa wie fie mehrere Jahrhunderte nachher Spinoza (freilidh auf feine Weife) ausgeführt hat, fo ſtehen doch einer fol- hen Annahme, und dieß muß ih gegen meine eigene frühere Auffaffung bemerten, vor: nehmlich zwei Punkte entgegen. Einmal nämlich wird das Geiflige im Ganzen fo wenig in feiner wefenhaften Bedeutung hervorgehoben und zum Bellimmungsgrunde bes Wirklichen gemacht, das Materielle dagegen wicht bloß im Bereiche des Natürlichen,, fondern felbft des hör bern Daſeyns fo fehr ‚vorangefteft, daß bie david'ſche Grundanfhauung deßhalb unverkennbar einen naturas liſtiſchen Strich an fi trägt. . Dann aber erfcheint das Lebendige und Kraftthätige in einer Weile als herrfchendes Princip, daß man fich, wie gezeigt wor- den, zur Borausfegung berechtigt halten darf, David habe darin ein Urattribut aller Dinge gefunden. Und fo kaͤmen wir enblich zu ber Anficht, feine ganze Theorie Taufe auf eine Alleinslehre von recht eigent- lich naturaliſtiſch Dynamifher Färbung hin and, in welcher freilih der Nachweis der blos Ben abfoluten Jdentität alsſolcher vor Allem erſtrebt werde.

Wie er ſich nun anf dieſem Grunde und Boden das Verhältniß der letzten Principien im Nähern und Beſon⸗ dern gedacht, wie er ſodann von feinem Standpunkt aus die Wirklichkeit erlärt haben mag, ob er in der weiteren Entwidelung feiner Lehre doch wieder die höhere Digni⸗

Amaltih v. Bena u. David v. Dinant. 317

tät des Geiftigen hervorhob, wozu ihn gerade die ariſto⸗ telifche Philofophie forttreiben konnte, ja ob er nur über die bloße Grundlegung feines Syſtems hinausgelommen it: dieß Alles find Fragen, auf welche wegen bes Mangeld an Nachrichten nicht geantwortet werden fan. Vielleicht würbe er in den ung vorliegenden Mittheilun- gen feiner Gegner, deren Mängel unfchwer genug zu erkennen find, nicht einmal überall feine Grundgedanken wiederfinden =).

Um ſchließlich noch einnlal auf Amalrich und feine Schule zurückzukommen, fo braucht nach biefen Ausfüh- tungen kaum daran erinnert zu werden, daß David eine von ihnen durchaus unabhängige wiffenfchaftliche Stellung einnimmt. Während ſich Amalrich an Erigena anfchloß, ſo nahm der Dinanter feinen Ausgang möglichit von ber ariftotelifchen und antiken Philofophie and Literatur über» hanpt b); während jener mehr die myſtiſche Anfchaunug ur Dermittelung der Wahrheit angewendet zu haben

a) Zur Begründung dieſer Bemerkung hebe ich nur einiges Haupt⸗ fählihere hervor. Man begegnet bei Thomas von Aquin mehreren Stellen (7. B. contr. gent. J. c. 17.), in welchen in der Weife ber zuerſt angeführten Argumentation bie Identität Gottes und der erften Materie bewiefen wird, ohne-daß bes Gei- fies, als bes dritten Principe, auch nur Erwähnung geſchaͤhe. Gleichmaͤßig Hätte filh auch, mit Uebergehung der erſten Materie die bloße Identitaͤt Gottes und des Geiſtes zur Begründung bes GSpiritualismus beweifen laflen, Und Aehnliches wäre von einigen bereits angeführten Gitaten aus den Schriften Albert’s zu Tagen. Benn ferner von ber Materie gefagt wird, fie fey das „indivi- sibile, in quo omnia fundantur et tenentar et quod in omnibus est”, fo beißt es ähnlich von ber abfoluten Weisheit und Provi⸗ benz: „per quam omnia producantur et reguntur et conti- nentur.”

b) Wollte man an die Achnlichleit des Zitels der Schrift David’s „de tomis, h. e. de divisionibus,,” mit dem des erigena'ſchen Buches „de divisione naturae” denken, fo ift doch baraus nichts weiter zu folgern.

22°’

318 Krönlein

fcheint, fo bediente ſich dieſer überall der Syllogiſtik, und während der erftere vorzugsweife dogmatiſche Beziehungen im Auge gehabt zu haben fcheint, fo richtete der letztere feine ganze Aufmerkfamkeit auf die oberften Fragen der Metaphyſil and fpecnlativen Theologie. Durch den zuletzt hervorgeho⸗ benen Punkt, durdy die ganze Richtung feiner Philofophie und durch den wiffenfchaftlicyen Ernft überhaupt unterſchei⸗ det fih David danı auch von den Amalricanern, welde, außer der Ausbildung eines, wie ed fcheint, ganz ober flächlichen Pantheismus, hanptfählich die Dogmatik zu sationalifiren und die Kirche zu reformiren beftrebt wa. ven. Iſt auch das Ipentitätäftreben bei Allen ein gemein fames, fo geht doch auch dieſes fogleid wieder audein- ander, iufofern auf der einen Seite bad idealiſtiſche uud auf der andern das naturaliftifche Element vorwiegt.

Haben wir, wie früher fchon nachgewiefen, keinen bis orifhen Grund, David in perfönliche Verbindung zu Amalrich zu bringen, fo liegt alfo am Tage, daß ein folder auch aus ber Lehre ſelbſt nicht genommen werden kann >»).

III.

Es mag auffallend feyn, wenn man in der mitte: alterlihen Philofophie, deren Grund, Träger und Ends punft die chriftliche Idee war, einer häretifchen Erſchei⸗ ‚nung, wie bie vorfichend gezeichnete, begegnet, welche, ausgegangen von einer, wie es faſt fcheint, unbemußten und unbeabfichtigten Abweidhung von ber pofltiv religiö fen Weltanfchauung, bis zu einer entfchiedenen, Durch alle Mittel der Dialektif erfirebten Negation derfelben fort gefchritten ift, zumal wenn man bebenft, daß fle über dieß noch gerade in jene Zeit fiel, in welcher fich die

a) Einer einzigen Stelle bin ich bei einem unferer Bewährsmänner begegnet (Thom. Aq. Samm. I, quaest. 8. Art. 8.), im welcher David von Dinant und die Amalricaner zufammen erwähnt wer⸗ den, ohne daß fie jeboch in innern oder hiftorifchen Zuſammenhang unter fich felb gebracht würden,

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Amalrih v. Bena u. David v. Dinant. 319

Hierarchie unter Innocenz II. (reg, 1198—1216) zum Höhepunkte ihrer Macht emporfhwang und mit der graufamflen Strenge über die Reinerhaltung ber Kirchen» Ichre wachte. Und doc enthält fie nichts, was fich nicht aus dem Gange der wiflenfchaftlihen und religiöfen Ents widelnng, aus welcher fle herausgewachfen ift, zufammen» gehalten mit der äußern Rage der Dinge, erklären ließe, Bon Amalrich und feiner Schule leuchtet dieß, nach dem bereitd hierüber Befagten, unſchwer ein. Was den erfteren anlangt, fo ift ed mir freilich mehr gelungen, die Rebel zu zerftreuen, womit die fpätere Zeit ihn um⸗ geben, und dasjenige von ihm abzufcheiden, was nidht jweifellog auf ihn perfönlich bezogen werden barf, ale auf dem Grunde erheblicher neuer Thatſachen feinen Cha⸗ rakter und feine Lehre ausführlicher zu fchildern. Immer bin aber reichen die beigebrachten Züge zu, und mit einer gewiffen Sicherheit wenigftend im Allgemeinen die wiſſen⸗ (haftlihe Richtung erkennen zu laſſen, bie er auszubils den bemüht war. Sie war wohl eine myſtiſche nad Ärt der erigena’fchen, bie er fi zum Borbilde nahm a), wobei der häretifhe Einſchlag in der Erklärung eines dogmatifchen Punktes befonderd aufgefallen feyn mag. Dadurch dürfte fich feine religiöfe Betrachtungsweife wohl

a) Im zwölften Jahrhunderte finden ſich merkwürbigerweife Teine Spuren von einer Einwirkung der Schriften Joh. Scotus Griges na's, während fie im Anfange bes breizebnten fehr eifrig ſtudiert worden zu fein ſcheinen. Ausdruͤcklich nämlich fagt ber Papft Honorius 311. in einem Briefe vom Jahre 1225, der Biſchof von Paris habe ihm angezeigt: inventum esse quemdam librum, qui periphysis tituletur, tot scatentem vermibus haereticae pra- vitatis, ut in provinciali Senonensis archiepiscopas concilio iuato Dei iudicio eum reprobaverit; Aunc autem librum claustrales nonnullos et scholasticos viros studiose legere. Bruck. Ill. p. 690. Uebrigens haben wohl andere zweideutige Ericheinungen auf dem Gebiete der Wiffenfchaft jener Zeit, 5.8. die eines St mon von Zournay (T 1227) keine Beziehung zu Grigena.

30 . Krönlein

auch von der chriflichen Myſtik im. engeren Sinne, wie fie durch den heil. Bernhard und Hugo und Ri ‚hard von Gt. Bictor angebahnt und fpäter durd Bonaventura, Gerfon u. N. weiter. ausgeführt worden ift, unterfcheiden, und er wäre gleichfam ein neues Anfangsglied jener (feit Erigena unterbrochenen) Reihe von Myſtikern, bei welchen die an fich chriftliche Lehre von der Immanenz aller Dinge in Gott und Bots te in der Welt eine pantheifirende Deutung gewinnt, wie man fie zunächſt in mehr oder minder erceffiver Weife bei einigen Gecten ded 13. unb 14. Jahrhunderts, 3. B. bei den Beghbarden und den Brüdern und Schweſtern bes freien Geiſtes, in großartigerer aber unb mitunter felbit ſehr edler Durhbildung beidem Meifter Efhart, Ruysbroed, dem Berfafler der beutfchen Theologie und vielen Andern bie auf Jakob Böhme herab gewahrt.

Der Richtung wegen, welche die Schüler Amalrich's einfchlugen, und wegen der Art, wie fie diefelbe zu ver breiten fuchten, meint H. Ritter =) annehmen zu müſ⸗ fen, der Meifter habe wohl noch eine Geheimlehre ge: habt, deren er ſich zum efoterifchen Gebrauche bedient hätte. Es bedarf jedoch diefer Annahme nicht, um es möglich zu finden, daß eine Anzahl von Perſonen in einer fo fehr mit religiöfen Gährftoffen erfüllten und zum Ercentrifchen geneigten Zeit von feinem Standpunkte aus zu den oben gefdilderten Anfichten fortgehen konnte. War die Lehre Amalrich's eine der erigena’fchen ähnliche, fo durften fir nur mit Weglaſſung der theiftifchen Ele mente den pantheiflifchen Einſchlag einfeitig hervorkehren, etwa wie ed auch zu einem andern Zwede die yarifer Provincialfonode gethan hat, um eine zureichende Unterlage für den Fortbau zu haben, deu fie unternab:

a) Geſchichte ber Philof. VII. 625.

Amalrih v. Bena u. David v. Dinant. 321

men, Die Oppoſition gegen bie Kirche und ihre Lehre theilten fie ohnehin mit ben zahllofen Secten der dama⸗ ligen Zeit (Katharer, Pateriner, Albigenfer, Waldenfer u. 9.), die gerade um fo üppiger hervorzumuchern fchies zen, je mehr der Einfluß ber Hierarchie wuchs. Unter ihaen gibt es zugleich Einzelne, welche ſich einer ähn⸗ lihen rationaliftifchen Denkweiſe ergaben, ja «8 fehlt nicht an Spuren, welche beweifen, daß mitnnter in jenen häretifchen Kreifen der font bominirende guoſtiſch⸗mani⸗ häifhe Dualismus zu Gunſten einer pantheiftifchen Welt: onficht verworfen worden ift »). Anch zu andern ihrer Eehrmeinungen, fogar zu den auffallendſten, bieten fich Bergleichungspuntte aus der früheren Zeit b).

Ihr Standpunkt fcheint Übrigens kein wiflenfchaftlich befonder® durchgebildeter geweſen zu feyn, am wenigften der rein philofophifche Theil deſſelben. Nichts defto weniger ift er fchon infofern intereffant, ald er uns ein, zumal für jene Zeit überrafchended, Beifpiel gewährt, wie ih ber Pantheismus der chriftlich Dogmatifchen Vor⸗ ſtellungen bemächtigt, um fie mit felbftbewußter Feder Sewaltfamteit in fein Profruftesbett zu zwingen. Merk; wärbigerweife ließen fich fogar mancherlei Analogien zwiſchen einzelnen Anflichten unferer Häretifer und einer neneften Religiousphilofophie aufweifen, wobei ich nur an ihre Deutung dogmatifcher, ritueller und ethifcher Berhältniffe auf bloße Borgänge des Bewußtſeyns er» inneen will.

a) Giefeler, Lehrbuch der Kirchengefch. II. Abth. 2. (2. Aufl.) 556. ©. Rot.

b) Dabin gehört z. B. ihre Anficht von ben drei Weltaltern, worüber fi) in ähnlicher Weile der Abt Joachim von Kloris gegen Ende des zwölften Jahrhunderts in feinen apofalyptiich phanta⸗ ſtiſchen Prophetien ausgefprocden bat. S. der Abt Joachim und das ewige Evangelium in Engelhardi's kirchengeſchichtlichen Abhandlungen. Erlangen. 1832,

322 Kroͤnlein

In dem gleich unmittelbaren Rapporte zu den Zeit⸗ ſtrebungen wie die Amalricaner ſteht nun zwar David von Dinant nit, auch wollte er nicht reformirend und - geftaltend in derſelben Weiſe wie fle auf die Dogmatil oder gar auf die kirchlichen Verhältniſſe einwirken, un) dennoch ruht auch feine Anſchauungsweiſe auf einem Compiler von vorgefundenen wiffenfchaftlichen Beziehan⸗ gen. Schon der pantheiftifche Standpunkt überhaupt, und dieß gilt in anderer Weife auch für Amalrich und feine Schule —, war rüdficytlich der biöherigen Entwicke⸗ [ungen der Philofophie Fein fo unmöglicher, ale es auf den erften Blick feinen könnte Man durfte nur ges wiffe Ausläufe der frühern chriftlichen Speculation haupt ſächlich ins Auge faffen und das Unbeſtimmte, Schwan: fende und Zweibeutige derfelben mit Abfehen von den orthodoren Borausfegungen auf die rein logifche Beben tung und den bloßen Wortverftand zurüdführen, um in diejenige Sphäre gu gerathen, in welcher zumal unfer Dialektiler fi bewegte. So negirte fchon ber heil. Auguftin in der Idee Gottes alle qualitativen Beftim: mungen, erhob fie in ihrer Allgemeinheit über bie ganze Summe der untergeordneten Begriffe und gewann damit die Vorftellung einer ganz abftracten abfoluten Wefenheit (essentia, ober auch substantia, wie er fie denn doch auch nannte), bie er wieder mit der Totalität des Wirk, lichen in eine fo nahe Verbindung feßte, daß feine bezüg- lichen Aeußerungen eine vollftändig pantheiflifche Auffaffung zuließen, wenn man nicht wüßte, daß fle wenigſtens feiner Intendion zuwiberliefe 2). Seine Anfichten haben aber

a) Ut sic intelligamus Deum, si possumus, sine qualitate bonum, sine quantitate magnum, sine-intelligentia creatorem, sine situ praesentem, sine habitu omnia contineotem, sine loco ubique totum, sine tempore sempiternum, sine ulla sui mutatione ma-

tabilia facientem nihilque patientem. Quisquis Deum ita cogi-

Amalrih v. Bena u. David v. Dinant. 323

auf die mittelalterliche Philoſophie den bedeutendſten Einfluß geübt, wie man 3. B. den unten angeführten Stellen faſt überall begegnet. In einer ähnlich abftracti» von Weife faßte Anfelm von Canterbury die Got⸗ teöidee. Sie Iöft ſich ihm nad einigen Stellen faſt ge, radezn in das allgemeine Seyn oder den allge meinften, weiter niht beftimmbaren Begriffauf, gegenüber weldhem der relativen Wirklichkeit kaum eine ſeldſtſtändige Eriftenz zugeſprochen wird «). Und noch ſchärfer drückt ſich bei ähnlicher Anfhauung Abälard bie und da Über die allgemeine Subftantialität Gottes und ihres Berhältnifies zur Welt aus b). Auch Gilbert

tat, etsi nondum putest omuino invenire, quid sit, pie tamen cavet, quantum p@fest, aliquid de eo sentire, quod non sit. Est tamen sine dubitatione substantia vel, si melias hoc appellatur, essentia. De trinit. V. c. 1842. Deus est quaedem sub- stantia, nam quod nulla substantia est, nihil omnino est. In psalm. 68. (tom. VIII. p. 722. Bas. 1569.). ferner: scien- dum est, gaod Deus, immutabiliter semper in se ezistens, prae- sentialiter, potentialiter, essentialiter est in omni natura sive essentia sine sui delinitione, et in omni loco sine circumscri- ptione, et in omni tempore sine sui mutabilitate, et praeterea in sanctis spiritibus et animabus est excellentius per gratiam inhabi- taus. Epist. 57: substantialiter est Deus ubique diffusus. G. Ritter, Geſchichte der chriſti. Philoſ. 17. G. 272 ff.

a) Bei. bei. Monol, 8. und 18. 19. 28. Damit hängt audy fein ontologiicher Beweis für das Dafeyn Gottes aufs genauefte zus ſammen.

b) Patet divinam substantiam omnino indiridaam omninoque in- formem perseverare ; atque ideo eam recte perfectum summum- que bonnm dici et nulla alia re indigens, et sibi ipsi sufhiciens, omniaque a se ipso habens, nec ab alio quidpiam accipiens. Theol. christ. ap. Marten. thesaur. anecd. tom. V. col. 1264 seq. Haud absurde de his omnibus, quae efficere possumus, Deam potentem praedicamus et omnia, quao agimus, eius notontiae tribaimus, in quo vivimus, movemur et sumus quique omnia operatur in omnibus. ÜUtitur enim nobis ad efficiendum ea, quae vult, quasi instrumentis, et sio id quoque facere aliquo

324 Kroͤnlein

be la Porrée bob dadurch bie Idee Gottes aus dem Kreiſe aller andern Vorſtellungen heraus, daß er den lo⸗ giſchen Begriff des Seyns ohne Präbicate auf ihn über, trägt, womit er aufs innigfte die negative Beflimmung der abfoluten Einfachheit verknüpft a).

. Als dann Peter der Lombarde in feinen Mas gifter Sententiarum biefem dogmatifchen Coder der fpäteren Theologie diefelbe Betrachtungsweiſe vor, gebracht und durch theologifche Autoritäten geſtützt hatte, pflanzte fie fich in den Ausführungen feiner zahlloſen Er- klärer fort b). Daß fie ohnehin dem Realismus mit feis ner Derallgemeinerungstendenz befonberd zufagen mußte, obfhon fle ihm nicht allein angehört, mag nur beiläufig bemerft werden. Zulegt verdient noch der geiftreiche Alain von.Lille (Alauus ab iusulig) , ein Zeitgenofle

modo dioitur, quod nos facere facit, et posse omnia dicitur, quia sive per se sive per subiectam creaturam omnia, quae vult et quomodo vult, operatur. Ibid. col. 1351. Wenn v. Eou- fin (Oeuvres I. p. 192. Bruxell. 1840.) bemerkt, daß Amals sich und David Abälard gefolgt wären, fo Tann von einer Abs haͤngigkeit derfelben allerhoͤchſtens in der oben angebeuteten Weile die Rebe fegn.

a) So fagt er 2. B.: Id vern, quod est Deus, quod est, non mndo in se simplex est, sed etiam ab his, quae adesse sub- sistentibos solent, ita solitarium est, ut praeter id unum pro- prietate singulare,, dissimilitadine individuum, quo est, aliud aliquid,, quo esse intelligatur, prorsus non habet. In Boeth. I. p. 115%. Gott wird dann wie bei den Fruͤheren ossentia und uneigentlich auch substantia genannt. Won der essentia fagt Gilbert: Essentia est illa res, quae est ipsum esse, id est, quae non ab alio mutuat dictionem et ex qua est essc, id est, quae caeteris eandemquadam participatione extrinseca com- munscat. Daf. I. p. 1140.

b) Mag. sentent. I. dist. 8. und alle Erklärungen zu biefer Stelle. Hierher gehört ferner noch das ftehende Kapitel de simplicitate Dei in allen Summen ber Theologie jener Beit, S. u, a. bie von Wilhelm von Paris II, p. 867.

Amalrih v. Bena u. David v. Dinant. 825

Amalrich’d, Erwähnung, weicher in feinen unſern Gegen⸗ Rand betreffenden Marimen oft nahe genug an das Yantbeiftifche auſtreift ®).

SR es da unbegreiflic, wenn endlich ein Philofoph, ich bloß an die Sache felbit haltend und alle fonflige Rüdfiht, die ihm ungerechtfertigt vorkommen konnte, bei Seite ſchiebend, bei den abfiractiven Bellimmungen ale ſolchen fliehen blieb? Und dieß bildete ja den Angelpunkt in der Dialektik David's, daß er vor Allem auf bie Ans erfennung der oberftien, allgemeinften und nur negativ befimmbaren logiſchen Kategorie drang, in welcher alle andern als in ihrem Prädicate verſchwänden, und daß er demzufolge das Göttliche ale die oberfte, allgemeinfte und nur negativ beftimmbare Weſenheit feßte, in welcher alle untergeordneten Wefenheiten aufgingen. Alle einzelne Er» wäguugen, alle fyllogiftifchen Operationen, alle Ausſprüche alter Weifen, die er herbeizieht, betreffen, wie fchon früs ber erwähnt, zulegt fo fehr nur den Nachweis biefer Grundanficht, daß die näheren Beziehungen feiner Lehre gleichfam bloß beiläufig von ihm vorgebracht werben.

Bar fo die Totalanfhauung David's in der frühes ren chriſtlichen Philofophie ſchon vorbereitet, fo muß dafs felbe, wie auch H. Ritter bemerkt, falt noch mehr von den einzelnen Elementen gefagt werden, aus denen er fie

a) Deus est sphaera intelligibilis, cuius centrum ubique, circum- ferentia nusquam. Regul. (de sacra theulogia) 7. Deus est, cui quidlibet, quod est, est esse omne, quod est. Reg. 8. Solus Deus vere existit, id est simpliciter et immobiliter ens, cetera autem vere nou sunt, quiua nuuquam in eodem statu persistunt. Reg. 19. Sola forma informis est, qnia for- mae non est furma. Reg. 18. Omnes affhırmationes de Deo dictae incompactae, negationes vero verae. &elbft das est foll von Bott nicht eigentlich ausgefagt werben bürfen. Reg. 89, Vrgl. Ritter, Geld. der Phil. VII. &, 595.

326 Krönlein

conftruirt hat. „Die drei Principien ber neuern Platoni⸗ fer” (der platonifirenden Theologen des zwölften Jahr⸗ hunderts), fagt der eben genannte gründliche Geſchichts⸗ forfcher mit Recht, ‚Die Vorausſetzung, daß alles Beſon⸗ dere im Allgemeinen gegründet fey, die Anwendung der Begriffe von Form und Materie hierauf in der Weife, daß diele das Allgemeine, jene dad Beſoudere bezeichnen fol, alled dieß find Gedanken, die und fhon oft genug in Berlauf unferer Gefchichte begegnet find, Auch daß David von Dinant, weiter gehend als feine Vorgänger im Platonismus, nach dem linterfchiede zwifchen erfter Materie, Geiſt und Gott fragte, denfelben nach denfel» ben Grundſätzen wie alle übrigen Unterfchiebe behanbelt wiffen wollte und, ald er einfah, daß dieß nicht angehe, dieſen Unterſchied überhaupt verwarf, wird Feiner neu eingeführten Ueberlieferung zugefchrieben werben müflen ; Dazu liegt es zu natürlich in der Berfahrungsweife, wie fie damals in den logifchen Schulen herrfchte, und unter fcheidet den David von andern feiner Zeitgenoflen nnr dadurch, daß er bie logifchen Regeln auch auf Gott uud - die Übrigen Principien anwenden wollte, ohne durch die Lehre von der Ueberfchwenglichfeit diefer Dinge ſich zu» rückſchrecken zu laflen” =).

Rur darin kann ich Ritter nicht beiftimmen, daß er David wegen ‚ber angegebenen Motive und wegen der Verbindung, in welche er ihn mit den Amalricanern, „ſei⸗ nen Zeitgenoflen,” mit Joh. Scotus Erigena ſetzen möchte, überhaupt den Platonikern anzufcließen geneigt ift und ed geradezu in Abrede ftellt, daß Ariftoteleds oder die arabifche Philofophie feinen Pantheismus veranlaßt habe. Nach den bisherigen Auseinanderfegungen kann es mir nicht in den Sinn fommen, den Einfluß feiner platonis

a) Geſch. ber Phil, VII. ©. 631.

Amalrih v. Bena u. David v. Dinant. 327

firenden Borgänger auf fein Denken in Abrede ftellen zu wollen, wohl aber ſcheint mir die Nahrung, die er aus der arifkotelifchen Philofophie, und was damit zufammens hing, zog, keineswegs fo-gering angefchlagen werden zu dürfen, als Ritter meint, Beruft er fidh doch fortwähr rend anf Ariftoteled, und nicht bloß auf die Tängft ber kannten und benußten logifchen Schriften, fondern auch anf feine Metaphyſik und Phyſik! Dann adeptirt er vors zugsweiſe deflen techniſche Sprache (prima materia, ÖAn, sublectum , voüg, primum suscipiens, primum efficiens), und der materialiftifche Anfchein, den feine Lehre hat, dürfte vor Allem durch ariftotelifche Begriffsbeſtimmun⸗ gen veranlaßt worden feyn. Rechnet man noch hinzu, daß die parifer Synode die naturphilofophifchen Schrifs ten des Ariſtoteles höchſt wahrfcheinlich deßwegen verbor ten bat, weil fie in ihnen die Quelle ſeiner Keberei fand, fo it faum zu zweifeln, daß Nitter’d Meinung nnflatt- haft if. Vielmehr fheint er fich vorzugsweiſe an Ariftoteled gehalten zu haben, und damit wäre erder &rfte, welder diefer Autorität der fpäteren Scholaſtik in Grade gehuldigt hätte.

Was von ſeinem vermeintlichen —— mit Seotus Erigena zu. halten ſey, iſt oben ſchon erörtert worden. Der Grundcharakter der Syſteme beider if ein gleich fehr nach Inhalt wie nach der Methode vers ſchiedener, und ein biftorifches Band zwifchen ihnen fanı ohnehin nicht nachgewiefen werden,

Fragt man nun, auf welchem Wege David mit Aris Roteled bekannt geworben fey, fo koͤunte die arabiiche Philoſophie immerhin die Bermittelung übernommen ha⸗ ben. Gibt ja doch Ritter felbft die Möglichkeit feiner Belanutfchaft mit derfelben zu und bemerkt ausbrüdlich, daß das gleichzeitige Verbot eined gewiſſen Rauriting

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Hispanne anf arabifhen Einfluß gedeutet werben könnte a). Für meine Anficht fpricht zugleich der Um: ftand, baß er fi auf Auaximenes, Demokrit, Plutarch und Orpheus beruft, auf welche die arabtfchen Philos fophen oft zurüdgelommen find, obgleich er die geringen Notizen über die beiden erften auch Direct aus ben arifistelifchen Schriften haben konute. Wohl wäre es nicht unmöglich, daß er felbft durch mancherlei verwandte Elemente der arabifchen Ariftoteliter fich hätte beftimmen offen, 3. B. durch. die naturalikifche Richtung eines Avicemdron, den bald nad ihm Magnus fo häufig erwähnt. |

Bon dem Vorwurfe des Materiolismus hat fchon Jac. Thomafine unfern Philofophen dadurch zu reinis gen gefucht, daß er die Bermuthung ausſpricht, er fey im Ganzen berfelden Anſicht wie Amalrih und feine Schule geweien und habe ſich nur einer crafleren Aus: drucksweiſe bedient b). So wenig nun diefe Einrede aud zureicht, fo fehr muß doch darauf beftanden werden, daß es für den plumpen Materialidömus noch keineswegs ents ſcheidend ift, wenn ſich der Begriff des Materiellen in den erhaltenen Bruchftüden feines Syftemd etwas ftarf hervordrängt. Findet doch das Aehnliche auch bei ande: ren Philofophen des chrifilihen Mittelalters ftatt, ohne dag fie bed Materialismus beſchuldigt worden wären, z. B. bei dem unbelannten Berfafler ded aus dem zwölf ten Sahrhunderte ſtammenden Buches über die Battum _ gen und Arten (de generibus et speciebus), welches ohnehin noch manche andere Analogien zur Lehre Dar vid's bietet. Nichte defto weniger ift ed nicht zu mißfen-

a) Daf. ©. 632. b) &. Brucker. hist. crit. phil. III. p. 699. Freilich iſt Thomafius ſelbſt über unfere Haͤretiker nur ſchlecht beichrt.

Amalrich v. Bena u. David v. Dinant. 329

nen, daß die phyſiſche Auffaffung in feiner Specnlas tion dominirt, nur daß fle ſich, den früheren Erwägun: gen gemäß , doc wieder zu einer Art dynamifchen WVeltbetrachtung verflärt.

Das Unausgeführte, Zufammenhanglofe und Willlürs lihe in den Gedanken des Dinanterd und das Formali⸗ Kifhe und Unbehülfliche in feiner Methode liegt fo offen in Tage, daß es hier feiner weitern Kritik bedarf. Schon Albertus Magnus und Thomas von Aquin haben eins jeine Punkte auf das fcharffinnigfte gerügt. Ich kann es mir nicht verfagen, wenigſtens eine Bemerkung aus der Kritik des letzteren beraudgzuheben. Die david'ſche wie jede andere ähnliche Weltanfchauung, fagt der berühmte Theolog, beruhe auf einer falfchen Berobjrctivirung der rein logifchen Seite des Denkens; was nämlich in der Allgemeinheit bed Gedankens sufammenfalle, werde hier andy als in dem gegenftändlichen Weſen zufammenfallend ans gefehen, nnd da der allgemeinfte Begriff des prädicatlos fn Seyns afle andern unter fidh befafle, fo werde au eine allgemeinfte und qualitätsiofe Realität geſetzt, in weicher alle andern Realitäten aufgingen a).

In der That ift damit Grund und Urſprung aller

a) Horam omnium errorum et similium unum videtur esse prin- eipium et fundamentum, quo destructo nihil probabilitatis re- manet. Plures enim antigquorum ex intentionibus intellectis indicium rerum naturalium sumere volunt: unde quaecungue inreniuntar conrenire in aliqua intentione intellecta voluerunt, quod commanicarent in una re. Et inde ortus est error Par- menidis et Melissi, qui, videntes ens praedicari de omnibus, locuti sunt de ente, sicut de una quadam re, ostendentes ens esse unnm et non multa —. Ex hoc etiam deriva- tur opinio, quae dicit unam essentiam generis esse in omni- bus speciebas re, non tantam secundum rationem. Thom. Agq. in fl. sentent. lib. dist. XVII. quaest. 1. art. 1. solut.

330 Amalrich v. Vena m. David v. Dinant.

Alleinslehren, zugleich aber anch der Fleck genau bezeich⸗ net, wo zunächſt ber kritifche Hebel gegen fie eingeſetzt werben muß. In neuerer Zeit ift man befanntlich wieder auf diefen fhon damals vorgebrachten Gedanken von ver fchiedenen Seiten ber aufmerkſam geworden und hat bavon gegen die jüngeren Geftaltungen des Pantheismus die fruchtbarfte Eritifche Anwendung gemacht. Nirgendewo fieht man die Geneſis der fpeculativen

Bereinerleiung ber Dinge deutlicher bervortreten, als bei _

unferem Metaphyſiker, weldyer durch fortgefegtes Gene⸗

ralifiren, durch immer weiter getriebenes „Abftzahiren”

(abstrahere) und „Auflöfen” (solvere) auf jened „Aller

einfachfte” (simplicissimum) gelommen ift, welches er, |

nachdem er alle pofitiven und concreten Beflimmungen in ihm auögetilgt hatte, ald bie abfolute Wefenheit aller pofltiven und concreten Eriftenzen auſah.

Bei allen Mängeln feiner Philoſophie jedoch darf

nicht vergeflen werden, daß wir unfere Kenutniß uud anfer Urtheil über diefelbe doch nur auf theils fehr ger

zingfügige, theild ganz unkritifche Mittheilungen Auderer

gründen müſſen. Vielleicht würde die an ſich fchon fo

intereffante Geſtalt David's ungemein an Intereſſe ge

winnen, wenn wir weitläufigere und genauere Berichte über ihn hätten, oder wenn und gar feine eigenen Schrifs ten erhalten worden wären,

2.

Ueber die Praͤdeſtination.

Die auguftinifche, calviniſche und Jutherifche Lehre aus den Quellen dargeftellt und mit befonderer Rüdficht " Schleiermacher's Erwählungslcehre comparativ beurtheilt

: von C. Bed, Repetenten am theol. Stifte au Tübingen, (Schluß.)

Zweiter, kritiſcher Theil.

Nachdem wir die drei hauptſächlichſten Theorien ber Prädefination eine jede für fich in ihrem organifchen Zus ſammenhange darzuftellen verfudt haben, ift und jetzt die Aufgabe geftedt, fie in den Hauptmomenten der Frage nebeneinander zu fielen und fie nach dem, was fle ger wolt und was fie erreicht, vergleichend zu beurtheilen ein Gefchäft, bei welchem Schleiermacher durdy feine Er⸗ wählungsiehre und vielfach den Weg bezeichnet hat.

Um und nämlich zuerfi im Allgemeinen zu oriens tiren, ift ed nothwendig, daß wir und die Standpunkte and Principien zurückrufen und klar machen, auf welden jede dieſer Theorien ſich auferbauen will. Unſere Frage bat zwei Seiten, deren Bereinigung oder Gegenfag von entfcheidendem Einfluffe feyn muß, eine metaphyſiſche und eine ethifche, oder, wenn man lieber will, eine obs iettioe und fubjective, die theologifche und anthros pologifche. ine geht von oben herab, die andere

Theol. Stud, Jabra. 1847, 23

332 | Bed

von unten herauf; bie eine bewegt fich' um das ewige Weſen Gotted, die andere um bie zeitliche Natur des Menſchen. Nach der einen kommt die Präbeftination zur Betrachtung, wie fie im ewigen Rathſchluſſe Gottes feſt⸗ ſteht, nach der anderen, wie fie in der Menfchenwelt ſich realifirt. Es ift aber Mar, daß in der Idee beide Wege zufammenfühnen, einander entgegentommen müflen und nicht auseinander gehen, nicht einander wiberfprechen fönnen. Die Bereinigung beiber wäre ſomit das Problem der denfenden Vernunft. Run ift ed aber 1) der gewöhnlice Gang der Entwidelung des Begriffe, beide Momente,

die fich fpäter zu einem Gegenfage ausbilden wollen, in

verhüllter, unmittelbarer Einheit, in naiver Bereinigung erfcheinen zu laflen; es findet ſich eben hier, wenn gleid auch dad Eine oder Andere überwiegen mag, doch nod feine wirkliche Entgegenfegung, fo wenig, als eine wirt

liche Einheit, die fich erfi Dur den Gegenſatz vollziehen

fann. Diefe unmittelbare Einheit nun kommt im Spfieme Auguftin’s zur Darftellung Bei ihm fprin gen beide Betradhtungsweifen, die metaphyſiſche und die ethifche, in einander über, ohne daß fich eine gegen bie

andere beflimmt abfchließen lönnte. Sein Audgange punkt iſt die Allgemeinheit der Erbfünde, aus welder

die Nothwendigkeit der Gnade fidy ergibt: bier nimmt er feinen Standpunkt im Subjekte. Die Gnade aber, um wirklich als Gnade ſich zu zeigen, foll nicht allge, mein ſeyn: dieß führt auf die Entgegenfehuug ber Ge rechtigleit und Barmherzigkeit im göttlichen Wefen, eben damit auf die metaphyſiſche Unbegreiflicyleit Gottes, die er fo oft lobpreift, zurüd, alfo auf den entgegenges feßten, rein objectiven Standpunkt. Diefe Unbegreif- Iichleit Gottes aber ift hinwieberum von der Art, daß durch fie die ganze Entwidelung der Welt und des Men⸗ fhengefchlechts nothwendig bedingt feyn muß; biefe Ent widelung felbft aber wird nicht in der Nothwendigfeit

über die Praͤdeſtination. 333

ibred Weſens, fondern in der Zeitlichleit ihres Verlaufs betrachtet, fie muß irgend einen zeitlichen Anfangspunkt haben. Dies iſt der Sündenfall, und fo wird von der Gnade, die jet allen Menfchen nothwendig ift, zurüd- gegangen auf die Freiheit bed erften Menichen dieß wieder das fubiective Moment und doch in einer für und jenfeitigen, transfcenbenten,, rein äußerlichen, objectiven Form. So fliehen denn beide Seiten neben einander: bie unerforfchlichen Gerichte Gottes, die Alled befiimmen, und die Freiheit bed erfien Menfchen, deren eine That von entfcheidendem Einflufle auf die ganze Weltentwicke⸗ lung bleibt. Beide fliehen neben einander, fordern einans der, fpringen in einander Über, ohne in wahrer Verei⸗ nigung ihre Ruhe zu finden.

2) Salvin aber hält eben dad Eine Moment, das metaphyfiiche, das objective des Jinendlichen, feft, um von dieſem Principe and jenes andere, ethifche, fubiective, das des Endlichen, durchaus beftimmt werben zu laffen, und fo wird denn die Differenz, die auf der fubjectiven Seite der Ethik ſich ſindet, der Unterfchieb von gut und bö6, durch die abfolute Betrachtung ausgeglichen. Hier⸗ aus erflärt fi die in die Augen fpringende Differenz milden Auguftin und Calvin über den Sünben- fall. Diefer iſt bei Auguftin der Ausgangspunkt für das Verhaͤltniß von Gott und Menſch, bei Galvin nur ein Beifpiel von dem Berhältniffe der Freiheit zur göttlichen Ordnung. Bei Augufin fängt gerade mit dem Sünden: falle die Prädeftination erſt an, bei Calvin aber ift aud) diefer (chem durch die Prüdeflination geordnet. Aber ale eine Gomfequenz\ biefer einfeitig objectiven, diefer ſoge⸗ nannten abfoluten Betrachtungsweife fteflt fich der Mans gel heraus, daß das Moralifchböfe einmal nichtd Anderes ſeyn fol, ald eine Negation, das andere Mal aber eben ſoll feſtgehalten werden als ein dem Guten ewig gegen» überichender Gegenſatz, daß alfo ber abfolute Stand»

23 *

334 Bed

yunft, ber dad Ganze beherricht, bald zu viel, bald zu wenig premirt iſt.

3) Calvin nahm von Auguftin die Abfolutheit Got⸗ tes; die Intherifhe Lehre die Linterfcheibung von praescientia und praedestinatio. Sie ftellt ſich fo auf die fubjective, ethifche Seite der Freiheit. Schon ib: ren Ausdgangspunft hat fie mit Auguſtin gemein: es if die Erbfünde. Diefe ift die fubjective Erfahrung des chriſtlichen Bewußtſeyus. Alle Menfchen find in moras lifhem und geiftigem Tode gebanut, alle in elender Kuchhtichaft gehalten und können allein dad Leben gewin- nen von dem, der ber Urquell alled Lebens if. Daß aber nicht Allen dieſes Leben zu Theil geworden, ift all: gemeine fubjective Erfahrung. Darum wird deun jet der Schluß gezogen: die Schuld muß vom Bubjecte her rühren, das die Gnade nicht will. Iſt ed aber fo, fo muß es die Freiheit des Subjects gewefen feyn, denn fonft fiele ja der lirfprung des Böfen, bed Gegenſatzes in das Abſolute. Es ift, wie die obige Darftellung ge: zeigt hat, fichtbar, wie bie Kirchenlehre im Jutereſſe, den ethiſchen Unterfchieb ded Guten und Böſen fer und zugleidh vom heiligen Bott ferne zu halten, die menſch⸗ liche Kreiheit zu retten bemüht it, am fichtbarften eben in dem im erften Hefte zulegt angegebenen Punkte der gratie resistibilie. An diefem Punkte wird aber auch ihr Wider fprudy offenbar, daß fie auf ihrem ethifchen Boden eine Freiheit geben will, und es doch nur zu einer äußerli⸗ hen, d. h. zu gar Feiner Freiheit bringen fann. Dem eine Kreiheit, die nur nach einer Seite fid) neigen kann, ift Peine, und während zuerft mit ber Erbfünde allge meine Knechtfchaft. gelehrt ift, wird mit bem resistere eine Freiheit eingeführt, bie aber doch wieber feine if, fon dern Unfreiheit. So können Calvin und die Kir: chenlehre beide ihr Ziel nicht erreichen: ihre Conſe⸗ quenzen führen manchmal zuſammen, aber ihre entſchie⸗

über die Präbeftination. 335

dene Tendenz iſt gerade die entgegengefebte. Calvin will das Abfolnte, die Kirchenlehre die Freiheit zu ihrem Rechte bringen. Dan wende nicht ein, bie Kirchenlehre thue ja das im Intereſſe einer würdigen Vorſtellung von Gott. Denn das ift gerade dad Bezeichnende, wenn fie in Gott zurückgehen, fo hält Salvin das rein objective Moment des Unendlichen, die Allmacht, fell, die Kirchen: lehre aber will daß fubjective Moment, die Heiligkeit Gottes, vor Allem nicht verlieren. Das Intereſſe aber, welches fie Hierzu treibt, iſt einmal der ethifche Unterfchieb, welchen fie im Subjecte worfindet, und dann, fo wenig man ed auch mag Wort haben wollen, das Interefie der gläubis gen, wie ber menfchlichen Vernunft, die ſolchen Gegen⸗ fat in Gott felbft nicht als principiell zu firiren vermag. Puther hat auf calviniſchem Boden in der Schrift de servo arbitrio einen zweifachen Willen Gottes unterfchieden: den Nachdruck hat ber verborgene, der fih vom Sub» ircte abkehrt. Die Iutherifhen Theologen auf dem Bo⸗ den der Formula Concordise wiffen auch von einem dop⸗ pelten Willen Gottes: die Dauptbedeutung hat für fle der nachfolgende Wille, welcher fich dem Subjecte zukehrt.

Wir fehen fomit, ed handelt fich bei al dem in letz⸗ ter Inſtanz um dad Verhältniß des Endlichen und Uns endlichen, mit dem es zunächft Die Philofophie zu thun hat, und es mag daher erlaubt feyn, eine Parallele _ aus der Gefhihte Der Philofophie herbeizus ziehen, welche geeignet feyn bürfte, das Verhältniß der drei Prädeftinationglehren in ein’ Mares Licht zu feßen. Auguftin iſt auf dem Gebiete der Dogmengefcichte der Schöpfer der Anthropologie, ber fubjectiven Dogmen; auf dem Gebiete der Philofophie iſt der Vater der Subjecti- vitätsphilofophie Carteſius.

Wir vergleichen nun das ——— Spftem mit dem des Gartefiug, das calvinifhe mit

336 Bed

dem des Spinoza, das Iutherifhe Dogma mit dem Syſteme bes Leibnik.

Wieder Kundamentalfaß ber carteftianifchen Phl lofophie, in welchem das Priucip der neueren Philofophie auftrat, war: de omnibus est dubitandum, fo ift die ganze auguftinifche Anthropologie gegründet in ber Ber zweiflung an allem Berdienfte, im Zweifel an aller menſch⸗ lihen Kraft. Wie bei Carteſius als feſter Punkt aufge ftellt wird: cogito, ergo sum, fo bei Anguftin die Gewißr heit! credo, ergo sum electus, und wie bei Gartefind unmittelbar im Bewußtfeyn das Seyn liegt, fo liegt in der Prädeftination unmittelbar auch dad donum perseve- rantise. Ferner bei Garteflus ift die res cogitans nur eine Seite des Gegenfaßes; neben diefe tritt ald bad Zweite die res extensa, und boch gehört eigentlich nur bie erfte auch dem Wefen Gottes an. Achnlich ſtehen bei Auguſtin den Ermwählten gegenüber die Nichterwählten, zu denen fich eben Gott in feine weitere Beziehung ſetzt. Endlich, wie Gartefluß, um dad wirkliche Princip aller Wahrheit zu finden, von dem fubjectiven Standpunkte des Sch zu Gott überfpringt, der doch in fich Feine Tebendige Ber mittelung der Gegenfäße iſt, fo geht Auguflin von fei- nem ethifchen Boden auf den metaphyfifchen-über, auf dem das Höchfte gerade der verborgene Rathſchluß Got: tes bleibt. |

Die Aehnlichfeit des Calvin mit Spinoza fpringt in die Augen. Wie bei Spinoza nichts ift, al& die Sub⸗ fang Gottes, fo ift bei Calvin nichts, als Gott in feiner altissima maiestas; wie bei Spinoza an der Subftang zwei Accidentien hängen, fo hängen nach Calvin von höcdften Rathſchluſſe Gottes zwei Seiten der Prädeilination ab, die Ermwählten und Verworfenen. Endlich, wie Spinoza erſt ausdrüdlich die res cogitantes und extensae ale Die zwei Accidentien einander gegenübergeftellt hat, bie bei Carteſius noch nicht fo beſtimmt auseinander treten, fohat

über die Präbeflination. 337

erſt Calvin die Berwerfung, bie bei Auguftin nur als Kehrfeite der Präbeflination nebenher ging, zu der bes Rimmten zweiten Seite der Prädefination gemacht.

Die Freiheit, wie fie im Intherifchen Syfteme vers treten iſt, erinnert an da6 leibnitz'ſche Syſtem ber Monaden in ihrer freien Selbfibefiimmung. Ale Einzel: monaden aber fchanen auf Bott als die Centralmonas, von der fie Effnigurationen find: gerade fo geht im Ius therifchen Syſteme die Univerfalität der Gnade von Gott auf Alle aud. Aber nicht alle Monaden werden von Gott Iebendig bewegt, vielmehr find die einen dormitan- tes, in ſich felbft verfchloffen und gleihfam verhärtet: die Berworfenen der Kirchenlehre! Dort it präftabilirte Harmonie, hier praescieutia et praevisio fidei; die präs Rabilirte Harmonie aber ift nur von außen gefeßt, nach der jede Monade ſich in eigener Freiheit richtet: ähnlich it in der Kirchenlehre die Gnade von außen her gegeben, und die Menfchen können fie aufnehmen, oder unbewesgt an ihrer Stelle bleiben.

Gehen wir jeßt mit diefen allgemeinen Bemerkungen au das Befondere der comparativen Beurs thetlang und nehmen aus dem Bisherigen eben die durchgreifende Unterfcheidung der beiden Momente her; über, des metaphufifchen oder objectiven und bes fubjec- tion oder ethifchen, fo haben wir eben hiernach zwei Punkte der Unterfuchung: 1) die göttliche Saufalität; 2) die menſchliche Empfänglichleit. Bei dem erften handelt es fi um NRothwendigfeit ober Freiheit, bei bem zwei⸗ tan um Univerfalität ober Particularität der Gnade.

1) DObjective Seite: göttliche Banfalität, Noth-

wendigfeit oder Freiheit?

Diefe Frage muß hauptfächlich in drei Punkten zur Entfcheidung gebracht werden: 1) in dem beflimmten eins jenen factum ded Sündenfalls, wo alfo die Sünde erft einzugreifen anfängt, muß der Charakter ber göttlichen

338 Beck

Drduung beſonders Har fi erkennen laſſen. Nachden aber die Sünde da iſt, alſo eine Störung der anfängli⸗ dien Ordnung, handelt ed fid 2) überhanpt von dem Berbältniffe der göttlihen Berfehung und Vorherver⸗ fehbung und 3) um die Bedeutung des Böfen in ber götte lichen Weltordnung.

a) Leber den Sündenfall, um auf biefen jet noch näher, als früher bei ber allgemeinen Darfiellung des Syſtems möglih war, einzugeben, fagt Auguſtin in ber fchon oben theilweife angeführten claſſiſchen Stelle de grat. et corrept. 10: Quid de ipso primo homine sen- tiamus? Certe sine ullo vitio factus est rectus; eum enim peccasse et desertorem boni fuisse veritas ciamat; non ergo hshuit in illo bono perseverantiem, et si non habuit, utique non accepit. Quomiodo enim accepisset perseveran- tism et non perseverasset? porro si propterea uon hebuit, quia non accepit, quid ipse non perseverando peccavit? Neque enim dici potest, ideo non accepisse, quia non est discretus a masse perditionis gratiae largitate, nondum enim erat in genere humano haec perniciei massa, ante- quam peccasset, ex quo tracta est origo vitii. Quapropter saluberrime confiteamur Deum, qui creavit bona omnia valde et mala oritura esse praescivit et scivit magis ad susm potentissimsam bonitatem pertinere etiam de malis bons facere, quam mala esse non sinere, sic ordinasse hominum et angelorum vitam , ut in ea prius ostenderet, quid posset eorum libe- rum arbitrium, deinde quid posset suse gratise beneficium iustitiaeque iudicium. Hiermit ift nun ausdrücklich von einer ordinatio Gottes die Rede und zwar mit Beziehung auf den Sündenfal. Es ift nämlich Far, wenn Gott zeigen will, was des Menfchen Freiheit vermöge, fo if der Menfch allerdings feiner Freiheit überlaffen, aber es it zum Borans Mar, daß nichts damit herauskommen fann und nichts herauskommen darf, fol anders bie

über die Präbeflination. 339

göttliche Drbunng ihrem wrfpränglihen Plane getreu bleiben. Weiter aber: der Menfch kann mit feiner Kreis beit nichts ausrichten, alfo iſt er auch nicht eigentlich frei. Endlidy ift der Fall geordnet, damit ſich eben Got» ted Gnade und Gerechtigkeit ins Licht fegen kann, er ift alfo zugleidy georbnet mit dem Rathfchiuffe der Erlöfung, der doch, wie die Schrift fagt, von der Welt Grundle⸗ gung gefaßt il. Was faun nun Augufiin Dagegen haben, wenn wir aus dem Allen den Schluß ziehen wollen, ber Sündenfall fey demnach prädeſtinirt. Zunächſt offenbar richte. Aber hier fommt 2) Die praescientia herein: homo per liberum arbitrium Deum deseruit, Deo quidem praesciente, tamen nom ad. hoc cogente, Wenn et daher oben gefagt, zur Zeit bed Urſtandes nondum füisse jn genere humano perditionis massam, fo wird das weiter jegt erflärt durch die Unterfcheidung von ber prima etsecunda gratia (c.11.) undihrem adiutorium. 12: aliud est adiutorium, sine quo aliquod non fit, et aliud est, quo fit. Hätte der Menſch gewollt, fo hätte er eben bie prima gratia behalten, durch die er hätte beharren können, Aber quod noluit, de libero deacendit arbitrio, quod tunc ita li- beram erat, ut bene velle posset et male. Damit wird ofs fenbar der Pelagianismus, der nach dem Sündenfalle abs gefchnitten werben fol, vor demfelben eingeführt, und was nachher dem Menfchen abgefprochen wird, dem Ur⸗ menfchen zugefchrieben: war er doch fo frei, ut bene velle posset et male, und der Sündenfall wird ja gerade darum feine Schuld geheißen, weil er im entgegengefegten Falle die secunda gratia verdient hätte, qua fieret ut vellet a), &o wäre alfo hier gwifchen Auguftin und Pelagius nur

a) Accepisset illam merito huius permansionis beatitudinis ple- nitadinem, grat. et corrept. 10. und kurz zuvor: quia et non mori et non miserum fieri in sua potoestate esse sentie- Bat. 12: illi data est, cum qua est conditus voluntas libera, et eam fecit servare peccato,

340 Bed

der Unterfchied, daß das Berbienft des freien Willens vom Einen dem erften Menfhen, von Pelagiud aber allen Menfchen ohne linterfchieb zugefprochenwird. Wolte man aber fagen, der Urmenſch hätte die secunda gratis nur durch das ediutorinm ber prima erreicht, fo iR wicht abznfehen, was für ein Unterfchied denn noch feyn fol zwifchen dieſem adiutorium, das Adam von der Sc pfung her haben fol, und der pelagianifchen gratia cre- ans et concreate. Es bleibt alfo rein nichts übrig, ale zu fagen: vor dem Sündenfalle hat Anguſtin die Freiheit im vollen Sinne des pelagianiſchen liberum arbitrium, da® aequilibrium arbitrii behauptet. 3) Das hat man denn auch zugegeben, aber gerade hierin eine Inconſe⸗ auenz bed Syſtems gefunden, wiewohi als ein ſchönes Zeichen der Herzensgüte des Gründer, ber wenigſtens bier die Freiheit, die doch Bedingung alles fitrlichen Les bend und Zurechnens ſey, feſtgehalten habe. Sch glaube aber, man wird D. Baur a) alled Recht geben müflen, wenn er von einer Inconfequenz ba nichts finden zu kön⸗ nen gefleht, wo eben zwei einander biametraf entgegens gefeßte Betrachtungeweifen unmittelbar neben einander geftellt werden. Das eben gehört ja zum Eharafter des anguftinifchen Syftems, fo wie wir ihn oben auffaffen zu müflen geglaubt haben, daß die zwei Betrachtungs⸗ weifen neben einander fiehen und in einander Übergehen. Noch mehr! das aequilibrium arbitrii tft Dennoch im Sinne des Auguſtin und das macht einen beftimmten Unter⸗ fchied gegen Calvin nicht mit dem Wefen und der Ratur ded Menfchen an ſich unvereinbar, fondern nur, wie es eben jebt einmal nach dem Sündenfalle if. Die Freiheit wird dem Menfchen nicht als dem Enblichen, fondern als dem Sündlichen abgefprochen, nicht ſowohl aus metaphpfifchen, ale aus ethifchen Gründen. Geine

——

a) Gegenſat u. ſ. w., zweite Ausgabe, 130-187.

über die Präbeftination. 341

Unfreiheit geht nicht ans feinem Berhältutffe zum Welt⸗ ganzen, fondern aus feinem eigenen Innern, wenn man will, aud feinem Berhältniffe zum Menfchenganzen her⸗ vor; fie ift nicht eine Schwädje, eine Unvollkommenheit, fondern eine Knechtſchaft. Darum ift gerade die Freiheit ald aeguilibrium arbitrii in Adam nothwendige Forberung des Syſtems; und nut and ihr kann der reatus der Erb⸗ fünde für jeden Einzelnen genügend erklärt werden. Denn der Unterfchied zwifchen Adam und feinen Nach⸗ fommen liegt nicht in der Natur, fondern in ihrem vers Ihiedenen Zuflande Ale Menfchen haben Theil an dies fer freien Selbſtbeſtimmung a), eben durch bie Selbig» keit der Ratur, zu welcher alfo das aequilibrium eigentlich gehört —: nur iſt zwifchen ihnen und Adam der Unter⸗ ſchied, daß die Freiheit, die wir in Adam gehabt und verloren haben, für unſer Einzelbewußtſeyn eine trans⸗ ſcendente ift, gerade wie im Ganzen ber status integrita- is für das Bewußtſeyn der Gattung etwas Trangfeen, dented hat. Man darf darum dem Auguftin keine In⸗ confequenz zufchreiben, daß er den freien Willen hinge⸗ ſtellt hat ale ein voodusvov, daß über die yawwdusvar hin» aus and denfelben trangfcendent ift, fo wenig ald Kanten, weil er außer den Dingen ber Erfcheinung das Ding an ih poftulirt. Das iſt gerade fein Syftem: die zwei Betrachtungsweiſen gehören in feinem Sinne weſentlich infammen. Freilich aber, wie oben gefagt, iſt das andy iin Mangel, daß er fie, wie im verborgenen Willen Gottes, fo bier nur auf eine trangdfcendente Art zufams mengebracht hat, und diefer Punkt hat etwa biefelben Schwierigkeiten, wie in der neueren Naturphitofophie, wo eben die Bedeutung des Böſen erfannt werden foll, die trandfcendenten Gelbfibeftimmungen des Sch, durch

a) Peccaverunt in eo uno omnes, corrept. et grat. 6., und das be: fannte in lumbis Adamıi.

342. Beck

weiche die menſchliche Freiheit auf die Art gerettet wird, baß der Menſch vor feinem Bewußtſeyn fich ſelbſt grund» wefentlidh beftimmt haben fol a). Eine unbewußte Selbſt⸗ befiimmung aber (fl feine freie. linb doch war nach Aus gufin Adam futuri sul casus adhuc ignarus (corrept. etgrat. 10.) and wäre (ebendaſ.) erft hernach certissimus ge» worden! Durch einen Act feiner Freiheit alfo, die, weil feine bewußte, auch Beine wirkliche war, foll er fich feir ner Freiheit beraubt haben das iſt ein Widerfpruc, aber feine Inconfequenz !

Bei Calvin cvergl. Cons. Generv. 913. 916.) ift die claffifche Stelle Inst. 3, 23, B: Cadit homo Deipro- videntisa sic ordinante, sed euo vitio cadit. Hier fichen allerdings auch beide Momente unmittelbar neben einander und wir dürfen auch nach dem Geiſte des Syſtems nicht fogleich fagen, dad zweite Moment fey von dem erfienabforbirt. Aber wir bürfen eben fo wenig eine mechantfche Einheit beider annehmen, denn die Berfuchung kommt beim erſten Menſchen nicht von außen, fonderu hat ihren Grund in der Freiheit des Menfchen. Diefe eine, wefentliche Freiheit wird von Calvin dem Menſchen nicht abgefprocdhen, aber fie ift verfchieden von bem aus guftinifchen liberum arbitrium. Sie ift die Kreiheit von änferem Zwange. Cons. Gener: 933: causelur Adem, ut velit, se datae sibi a Deo mulieris illecebris esse dece- ptum, intustamen mortiferum infidelitatis vi- rus etc. Go fcheint denn mit Diefer Freiheit als innerer Selbſtbeſtimmung das Näthfel gelöft werden zu follen, aber es tft nicht zu überfehen, daß infidelitatis virus, cou- sultrix ambitio, diebolicum audaciae flagellum ſchon In Adam bei der Sünde vorausgefeßt worden, und fo konnte Calvin hierbei nicht fliehen bleiben. 3, 23, 7: quasi idem ile Deus, quem scriptura praedicat fatere, quaecanque

a) Siehe Bufap.

über die Praͤdeſtination. 343

rult, ambiguo fine eondiderit nobillssimam ex suie creatu- rie. Liberi arbitrii esse dicunt, ut fortunam sibi ipse Adam fingeret, Deum vero nihil destinssse, nisl ut pro merito eum traciaret, Tam frigidam commentum si re- epitur, abi erit iila Dei omnipotentia, qua secun- dam arcanum consilium, quod alinnde non pendet, omnia moderstur. Decretum quidem horribile, fateor, in- fitiari tamen nemo poterit, quin praesciverit Deus, quem exitum esset homo’ habiturus, antequam ipsum conderet, et ideo praesciverit, qula decreto suo sic ordinave- rat. So if denn zugleich einerfeitö der Sündenfall von Gott georbnet, andbererfeitd ber Menſch suo vitio gefallen. Wie beides zufammenhänge, das deutet von ferne Calvin anl, 15, 8: habebat Adam flexibilitatem ad utram- que partem, poesse non peccare et perseverare non ha- bebat. Diefe Aexibilites (unbeflimmte Möglichteit, zu unterfcheiden von aequilibrium, das ſchon eine gewefene Bewegung der Wage vorausſetzt) hatte Adam von Bott durch bie Schöpfung , fle gehört mithin zu feiner Ratur, und fie ift in diefer flexibilitas von Gott georbnet, welche dad posse non peccare nicht hat. Diefe flexibilitas aber iR zugleich vitium. Wie kann nun beides vereinigt wers den? Mir fcheint die einzige Bereinigung eben in dem metapbyfifchen, abfolnten Staudpuntte gefunden werben in Können, daß alled Enbliche mit einem Mangel behaf⸗ tet fey. Das aber wäre daun eben feine Schuld, daß es dem Mangel feiner Ratur gerne nachhängt.

b) Im Bisherigen war ſchon Implicite die Krage enthals ten, mitweldher wir uns jeßt noch ausdrädlich zu befchäftigen haben, über dad Berhältnig von Verſehen unb Borberfehen in Gott. Die caloinifche und auguſti⸗ niſche Anficht hierüber ift genau beſtimmt, aber die Iutherifche kehre, da fie Auguſtin nach feinen Andeutungen ſyſtema⸗ tiſch zu erweitern unternommen hat, bedarf einer weis teren Anseinanderfegung. Auguſtin hatte nämlich, wie

ZA Bei

er Gottes Rathſchluß und die Freiheit neben einander beftehen läßt, den Begriff der Zulaflung, permissio, und Den einer praescientia non praedestinans zugegeben: den. persev. 6: nihil ft, nial quod aut ipse facit, aut .ipse heri permittit, Und doch auf ber anderen Seite praed. samt. 20, fagt er: agit Deus quod vult in. cordibus. homisum vel sdiuvando vel iudicando. oorrept. et grat. 12: zubven- tum est iufirmiteti voluntatis humamae, ut divina gratla indeclinabiliter et inssperabiliter ageretur. ibid. 11: liberum arbiteiumn ad malum suffick, ad bonem autem nihil est, nisi adiuvetur ab omnipotenti bono.

Diefe Grundzüge hat ſich nun die lutheriſche Lehre ſyſtematiſch auseinanderzuſetzen, befonders in der Korm. Conc. die Aufgabe gemacht. Der Punkt, um ben es ſich einfach handelt, war, Best nicht zum auetor pec- oati werden zu laffen, wie dieß fogleich in der Con. Ay. art. II., vergl, witart. 2., an den Tag tritt. Dieß hat denn weites in der resistibilitas gratiae feinen bogme- chen Ausdrud gefunden. Hierdurch aber if im ber har nichts gewonnen. Denn und bieß haben wir jegt nachzuweifen, einmal if die Freiheit gu hoch ger hatt und dann wird fir eigentlich negirt. 1) Der Frei⸗ heit wird zu viel Recht eingeräumt. Denu bei ber Wahl des Böfen, wenn der Menfch der Gnade wider irebt, reluctatur, fteht er gerade auf eigenen Füßen, für das Gute aber bedarf es einer änßerlichen Unter ſtützung. Die erfle Freiheit iſt aber offenbar mehr ſitt⸗ Ude That, als die zweite. Weiter iR die ganze Natur des Menfchen vom Berderben fo ergriffen, daß (Ger: hard 189.) Alle ber göttlihen Gnade eutfremdet fcheinen. Es würde alfo confequent feyn, es müffen Alle re- lustari, und nicht, es können Einige widerſtreben. Offen⸗ bar haben die Gegner mit ihrer Einwendung nicht fo Unrecht (Gerh. 188.): Wenn die Urſache bee Derwerfung im Meufchen liegt, fo muß auch bie Urſache ber Ermäh-

über die Präbeftination. 345

lung in ihm liegen. Das Letzte iſt falfch, alſo auch bad Erſte. Gerh. entkräftet die Einwendung damit, daß er jagt, finalem impotentiam causam meritorism esse damna- tienis, oriri autem ex corruptae nostrae naturae vitio, geippe in qua nihil pater, nihil flios, nihil epiritus sanctus operetar. Damit ift man aber ind entgegengefette Ex» tem übergefprungen; benn 2) ed.findet eigentlih gar feine Freiheit Ratt, demnach auch Beine Möglichkeit, in ihr ben Urfprung des Böfen unterzubringen. Damit hatte Melanchthon freilich gang Recht 111, (96.): cum premissio sit universalis, mec sint in Deo duse contrarise voluatates, necesse est in nobis esse aliquam dis- criminie causam, cur Saul abliciatur, David eligatur. Dem aber wird von der Kircheniehre entfchieden wis der ſpro chen (Form. Conc. 821,). Oder, wenn Gerhard de lib. arb. III., ehe er von der Freiheit nach bem que- draplex status hominis anfängt, ein velle naturale aufftellt, als veluntati essentiale neque post lapsum amissum , Daß velle naturale aber offenbar nichtd Auderes feyn kann, als die volnutas ſelbſt, was kann gemeint feyn, als das reine Wollen, der Wille im formalen Sinne? Dieß hat kuther de serro arbitrio All. nicht mit Unrecht ein merum fgmentum dialeoticam genannt. Soll aber das velle na- tarale wirklich eine reale Bedeutung haben, fo kann es nichts Anderes feyn, ald dad aequilibrium arbitrii, bie ibertas rectitudinis, wie fie dem erſten Menfchen zuge⸗ (hrieben if. Aber dieſe wird den Menfchen nad dem ale abgeſprochen und fo kaun nichts Anderes übrig bleiven, als die libertas a iustitie. Wie weit aber biefer in der That ber Rame Freiheit gehöre, hat Luther de setvo arbitrio 105. auselnandergefegt: Si enim aliquis id ibi likerem euse diceret, quod sus virtute nonzisi iu alte- ram partem poseit, scilicet in malam, in alteram vero, nempe in boaam partem passit quidem, sed non sus virtute, imo ulterius duntaxat auxilio, possisetiam risum tenere, amice?

346 Bed

Nam sic lapidem aut truncum facile habere obtinebis liberum arbitrium, utqui et sursum et deorsum vergere potest, sed vi sua nonnisi deersum, alte- rius vero auxilio sursum. Daflelbe haben Calvin und Schleiermacher geltend gemacht. So Calvin (p. 900.): si hoc speciale electis, reliquos ad interitum aptatos esse, quia naturse suse relleti: certo exitio devoti sunt, vergl. II, 4, 3. 5, 3. Schleiermacher aber fagt: wenn Einer be ftimmt wiffe, einerfeitd, daß ohme feine Hilfe Jemand fiher in den Abgrund Hürze, andererfeitö, daß er heifen könnte, und wenn er nun doch nicht helfe, fo könne das nicht Anderes feyn, ald daß er deſſen Untergang gewollt babe, und fo könne denn das göttliche Vorherwiſſen kein müßiged, unthätiged, fondern nur ein wirkfames feyn, nicht die Zulaffung der Berwerfung, fondern die ae werfung felber.

c) IR aber fo, wenn der Menfch nur wie ein lapis oder truncus von der Gnade vorgefunden, wenn nicht einmal eine capacitas activa, fondern nur passiva, Feine Empfänglichkeit, fein desiderium als innere Ergänzung der Außerlichen locomotiva potestas, ald Autnüpfunge- punkt der Gnade zugegeben wird, die Freiheit in ber That aufgehoben, fo Eehrt die Frage mit ihrem ganzen Gewichte wieder, die noch nicht gelöft ift: wer ift denn nun auctor mali, welches die causa peccati, weldhe Br deutung hat das Böfe überhanptinder Welt entwidelung? Gchleiermacher faßt den Stand der Frage fo zufammen (Ermwählungslehre 467. «)): „Wenn einmal gefagt tft, alles Wirkliche müfle durch den fchafr fenden Willen Gottes gefebt feyn, und dann wiedernm, Gott dürfe nicht Urheber des Böfen feyn, fo ift Beides nur auf die eine Weiſe zu vereinigen, wenn man fagen

a) Schleiermachelr, ſaͤmmtliche Werke, Erſte Abth. zur Theologie. 2, Band.

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kann, daß in Beziehung anf Bott das Böfe gar nicht it. Diefe unvermeidliche Formel aber, man mag fiennn auflöfen, wie man will, und auf welche Art immer zu er: klären verfuchen, wie das Böfe für une fo feyn Fönne, daß ed weder durch Gott, noch für Gott iſt, indem näms li dasjenige daran, was wirklich ift, die frei wirkende, fittliche Kraft, nicht dasjenige ift, wovon Bott nicht Urs beber feyn kann, badjenige aber, wovon Gott nit Urs beber feyn könnte, nämlich das Begentheil des Suten, nicht wirklich ift, Doch aber die Nothwendigkeit der Er, löfung auf demjenigen, was davon wirklich ift, beruht, und diefe zugleich dasjenige, wovon Bott nicht Urheber feyn könnte, in dasjenige auflöſt, wovon er allein Ur⸗ heber feyn kann, nämlich in bad Gute: diefe Formel, fage ih, kann auf Feine Weife in die Differenz der calvinis hen und Intherifchen Lehre verflochten feyn und alfo uüflen die Auflöfung derfelben, wenn fie nur erft gefun⸗ den wird, auch beide Lehrmeinungen fich aneignen können.“ Die Löfung felb aber hat Schleiermacher felbR befannts ih im F. 81. der Glaubenslehre (S.451.) alfo verfucht, daß er, um neben der Freiheit die göttlihe Allmacht uns beihräntt und unverlürzt zu erhalten, behauptet, „bie Sünde, fofern fie nicht Fönne in göttliher Urſächlichkeit gegründet ſeyn, fey infofern auch nicht für Bott; fofern aber das Bewußtſeyn der Sünde zur Wahrheit unferes Dafeyns gehöre, alfo auch die Sünde wirklich fey, fey fie ald das die Eridfung nothwendig machende von Gott geordnet.” Berftchen wir die fchwierige Formel und ihre koͤſung (oder vielmehr Schürzung) durch zwei „Sofern” richtig, fo Tiegt darin: die Sünde ale rein Negatives iſt nicht für Gott, aber fie ift von Bott geordnet, ald noth» wendig ſeyend am und nothwendig führend zum Pofis tiven, An fich, abfolut betrachtet, iſt fie nur dad Nichts feun, das dem Seyn anhängt, aber zur Wahrheit unferes menfchlichen Weſens und Bewußtſeyns, de Begriff uns Theol, Stud, Jahrg. 1847,

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fered Geyas gehört eben bad Ineinander von Poſitien uud Negation a). Wir hätten alfo zweierlei zu unterfchei- den: 1) das Böfe als etwasrein Negatives, 2) die Säude ald Bermittelung ber Erlöfung.

Auf die enfte Seite, Die reine Negativität dee Böfen, ſtellt fich Calbin (Inst. 1, 18, 3.): Dei voluntas quum una et simplex in ipso sit, nebis multiplex apparel, qnis pro mentis nostrae imbecillitate, quomedo idem diverse mode nolit fieri et velit, uon capiemus. Der Grund aber, warım Bett dad Böfe will, ift eben, weil im Böfen zugleich etwas von Realität, etwas von Poſitivem iſt. 2) So iftnadı Anguſtin das Böfe nothwendig zur Bermitteluug bes Guten, nam nisi esset hoc bonum, ut essent et mala, nullo mode sine- rentnr ab omnipotenti Deo. Wollte man aber das Boͤſe zum Mittel der Erlöfung machen, fo wirb das von Schleiermacher getabelt, denn das hieße nur die göttliche Allmacht durch das Böſe befhränft ſeyn laſſen. Es ſcheint mir ſomit kein anderer Ausweg zu bleiben, als dem Böſen, wie ed nicht bloß etwas Negatives iſt, ſondern immer eine Poſition, wenn auch eine verkehrte, dem Böſen, ſage ich, eine poſitive Bedeutung in der abſoluten Weltentwickelung zuzugeſtehen: es iſt geordnet, wenn auch als ein immer nothwendig verſchwindendes, ſo doch als ein weſentliches Moment der Entwickelnng. Es ſcheint mir nicht zu genügen, was J. Müller b) wiederholt premirt und was in neuerer Zeit mannichfach behauptet wird, bas Böfe fey möglich, aber nicht nothr wendig, oder nothwendig fey feine Möglichkeit, aber nicht feine Wirklichkeit, als das wefentlich Grundloſe fey ed auch feiner Erflärung fähig. Denn dann müßte «6 ald das abſolut Grundlofe auch vom Abſoluten ſelbſt

a) Vergl. $. 48. Die Lebenshbemmungen find eben fo ſchlechthin von Gott abhängig, als die Lebensfoͤrderungen. b) Lehre von der Sünde, exfle Ausgabe, Band 1, 469-474.

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nicht zu erfennen feyn, vielmehr außer ihm ſtehen: eben im feiner Unerforſchlichkeit Hände es als abfolut Gott ge⸗ genäber, und wenn die Bernunft darauf nie verzichten kann, nady dem Weſen Gottes zu forfchen, und dem Ehriften die Ausſicht nicht verwehrt feyn darf auf den Geiſt, der alle Dinge erforfcht, felbft die Tiefen der Gott⸗ heit, fo wärde ja das Böfe, wenn es nicht foll zu er⸗ gründen feyn, in feiner Grundloſigkeit noch höher hinauf⸗ geftellt, ald der abfolnte Urgrund in Bott. Diefe Uner- grümdlichkeit des Böfen kann daher nicht, wie behauptet werden will, eine abfolute feyn, nicht an ſich, fondern tar eine relative für und Das Lebtere ift fie denn aller, dinge, denn noch immer ift der Grund des Böſen ein Problem des Wiffend, aber, wenn auch noch Problem, fo doch Problem, was es im anderen Falle vernünftiger» weife nicht feyn Bönnte! Da das Böſe bis jetzt immer in der Welt fortwirkt, fo muß in Gott felbft ein genil- gender und pofltiver Grund für feine Exiſtenz aufgefuns den werden Fönnen. Und da weiter dad Böfe alfo noths wendig durch feine Eriftenz anf die Entwidelung der Welt einwirft, fo muß ed umgekehrt auch in derfelben, als ein weſentliches Moment, gegründet feyn. J. Müller will war durchaus nur die Möglichkeit der Sünde, keines⸗ wegd irgend welche Nothwendigkeit berfelben ſtatuiren. Aber er gibt doch zu, daß „von einer Freiheit des Wils lens nur infofern die Rede feyn kann, ald er von Ans fang und vor feiner erftien That nicht fchon ein beftimmter, jendern ein ganz unbeftimmter ifl.” Weiter aber fagt a: „Es find Beſtimmungen für ihr da, aber in ihm können fie nur dadurch ſeyn, daß er durch Selbſt⸗ entſcheidung, aus urfprünglicher Nichtentfchiedenheit her⸗ austretend,, fie felbft annimmt. Daran ergibt ſich denn allerdings, daß es unzuläffig ift, dem Urmenſchen einen anerfchaffenen, pofitiv guten Willen beizulegen. Der Wille der perfönlichen Creatur kann von Anfang übers 24 *

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haupt weder gut noch böfe feyn, denn er Faun beides nur durch feine That werben. Anbererfeits if freilich der Wille nicht wirklich außer uud vor der That; dar zum verfleht es fidh, daß dieß wor aller That und Selbſt⸗ entfcheidung nicht als ein wirklicher Zuftand (vom Berf. angeftrichen), als eine erfte Stufe des bewußten perfönlichen Lebens vorangeſtellt werden darf” Es fol dieß aber auch nicht ein’ aequilibrium voluntatis ſeyn, denn dieß würde ſchon „eine Macht des Böfen im Men fchen, eine Sünde vor der Sünde vorausfegen. Eine folhe Macht aber hat von Anfang an nur das Gute” Der Wille ift fomit urfprünglich weder gut noch böfe, aber „vom Guten gelodt, zur Bereinigung mit ihm fols licitirt, Denn von Anfang an find in feinem Geifte die heiligen Mächte des Gottesbewußtſeyns und bes fittlichen Bewußtſeyns wirkffam und in der Negion feiner natürs lichen Individualität ift nichts, was diefen Mächten hem⸗ mend in den Weg träte; hier ift urfprünglich Mlles in ungeflörter, wenn gleich noch unentfalteter Harmonie; in zwiefpaltlofer Unfchuld und Unverdorbenheit, nicht voll⸗ fommen, aber rein und gut. Dennod hat der Wille gleich vom erften Momente des erwachten fittlichen Bewußtſeyns an die Macht, fich dem Gehorſam gegen die göttliche Norm zu entziehen und fich dadurch mit feir nem eigenen Weſen zu entzweien. Das freilich if ein trauriger Irrthum, der dem Geifte die wahre Bedeutung ber urfprünglichen Freiheit ganz verhüllen muß, daß ber erſte Gebrauch, den der Menſch von derfelben gemacht babe, die erfte Beſtimmung, die der Wille fich felbft ge, geben, Sünde hätte feyn müffen. Es iſt der plat⸗ tefte Pantheismus, der ſich vorftellt, daß der Menfch fid von dunkler Naturabhängigfeit und Paſſlvität nicht hätte emancipiren und feiner Selbfiheit nicht hätte inne werden können in der Gemeinfchaft mit Gott und im Gehorfam gegen feinen Willen, fondern nur im Ungehorfam und in

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der Losreißſung von Gott wodurch deun die Willkür und dad Böfe zur nothwendigen Vorausſetzung der wirk⸗ lichen Perfönlichkeit erhoben und die Alles ſich unterwer: fende und Alles durchdringende Bemeinfchaft mit Gott ju einer blinden Raturgewalt herabgefeßt wird.”

Bis hieher fomit nur die Möglichkeit des Böfen. Run aber weiter (471.): „„Diefe Uebereinftimmung konnte doch nur eine halbbewußte ſeyn, eine kindlich ums fhuldige Anfchließung an Gott ohne klares Bewußtſeyn von der Bedeutung ded Gehorſams im Gegenſatze gegen den Ungehorfam. Eben barum hatte fie auch noch nicht die Macht, den Willen in der Richtung auf dad Gute zu fihern und zu befefligen.” Hierzu fommt die Anmer: fung: „Um ſich Kraft ausftrömend, zur Nachfolge anres gend Anderen mitzutheilen und fie vor Abirrung und Kal bewahren zu können, muß fie (die Uebereinſtimmung bes Willens mit dem h. Willen Gottes) fich erft dem Gegen» fage gegenüber behauptet (Hebr.2, 18.5, 8. 9.) oder aus dem Gegenfate wieder hergeftellt haben (Zul. 22, 32.).” Weiter unten im Zerte: „Das bloße Bewußtfeyn eines Willensgeſetzes, wiewohl diefes Soll für den fhon geftörten Zuftand auch unmittelbar das Innewerden eines Auchanderskoͤnnens mit fich führt, reicht nicht hin für die unentzweite Unfchuld. Das Geſetz mußte ihm in der bes Rimmten Richtung einer Schranke entgegentreten, alde negative, verbietendes Geſetz, bamit die latente Selbſtheit offenbar würde und ſich felbft überwände und verleugnete ... im Gehorfam und durch den Gehor⸗ fam gegen das Verbot.” Daß aber (473,) „fich der Menſch für das Böſe entfchied, it nichts Geringes; es iſt ver⸗ fehlt, wie Marheineke thut, dieſe Freiheit als die ſchlechte zu bezeichnen. 434: „Es iſt die unermeßliche Energie und Ziefe des Selbſtſeyns in der Perfönlichkeit.”

Ih kann mich nicht Überzengen, daß mit dem letzten Abfage nichts weiter deducirt feyn fol, als eine pure

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Möglichkeit des. Bäfen. Die Unſchuld, dad wirb zugege⸗ ben, ift nur eine halbbewußte. Deßwegen ift eine Schrante nöthig, damit mit der objectiven Möglichkeit des Böſen zugleich auch das Bute ind. Bewußtfeyu, alfo aus bem „nicht wirklichen Zuftande” zur Wirklichkeit käme. Alfo die Nothwendigkeit eined Gegenſatzes, einer Regation Berf. feldft hat 472, „negatives, verbietenbes Sefeh” uns terftrihen iſt gegeben. Der Menſch ift au fih gut d. h. er iſt weder gut noch böfe, aber dad Gute ift doch zugleich der eigentliche Begriff feines Weſens. Dieß fol ihm zum Bewußtſeyn kommen. Dody, ohne Ich kein Du, ohne Du Bein Sch: ohne eine Seite des Gegenfabes Fein Bewußtfeyn der anderen. Uber bad Oute fol zum Be: wußtfeyn kommen, alfo muß auch die andere Seite des Gegenfates feyn. Die Möglichkeit! wird man ents gegnen, aber bad Gnte fol ja auch nicht bloß möglid, bleiben, es fol wirklich werden. Doc fol die Möglich- feit ded Gegentheild ja nur vorgeftellt werden in ber Idee, in dem negativen Geſetze. Das wahrhaft Gute wird fo, mit dem Geifte gegenüber geftellt in dem Geſetze, als Ueberwindung des Böſen. Denu das Gute ald Geſammt⸗ bild, als Idee kann noch nicht in den Geift fommen, fondern nur in einzelnen Beftimmungen. Diefe, heißt ed, müffen als negativ, als Berbote erfcheinen. Warum? ift nicht gefagt. Ich glaube, die Sache verhält fich fo. Das Gute ald Willensgeſetz, ald Idee iſt dem Geiſte noch nicht bewußt; ex kann ed nur in einzelnen Bekimmungen, alfo fucceffiv kennen lernen. So aber, wie fie nach und nach an ben Geift fommen, kann er fie noch nicht ale aus feinem eigenen Weſen hervorgegangen erfennen, fie er: feinen ihm als fremd, als negativ. Uud nicht nur er- ſcheinen fie ihm fo, fle find es ja auch wirflih. Das An und Für ſich des Geiſtes ift dem An fich eben fo auch eut- gegengefegt, als mit ihm eins. Jenes iſt ja das Bermittelte, dieſes das Vermittelte, Unmittelbare. Das Unmittelbare

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kann aber nur in ber Sphäre des Einzelnen erſcheinen Die einzelnen Beſtimmungen bed: Geiſtes nun bieß if der natürliche Berlauf, Böunen ihm nur als Beſchrünkungen des allgemeinen, erſt im der Ahnungsdämmerung begriffe- uen Wefens erfcheinen, in deuen er ſich noch wicht fine den Bann. Go weit ift dad Böfe ein formell ald nothwen⸗ dig auftretendes Montent.

Run aber hat der Geiſt den Anftoß zur Entfcheibung. Er fängt jetzt an, ſich ans fich felbft zu beftimmen. Aber jene Beſchränkungen waren ihm das Nichterfelbfi; fo wird das Rochnicht jegt unmittelbar zu einem Nichte mehr. Der zuvor erft äußere Gegenſatz des Geſetzes it jeßt zu einem inneru geworden. Denn fobald durch die Entfcheibung der Ratärlichkeit die ſittliche Entwickelung ald eine bewmußte begonnen, fobald das Einzelne ald ber ſtimmt ſich ſixirt hat, tritt uun bad Allgemeine dagegen im Bewußtſeyn auf, mit der jet exft wirklich geworde⸗ nen Sünde des Bewußtſeyns des Böfen (Gen: 3,5. Röm. 7, 7.). Diefe Entſcheidung ift allerdingd nichts Ges riuges. Es if: ja die Macht des Willens, der eben damit feine bewnßte Eutwidelung beginnt, aber fie ift doch ein Act der ſchlechten Freiheit; denn es ift ja eben fo noch eine formale Freiheit, Willkür, fie fteht noch entgegen dem wahren Weſen des Geiſtes. Es iſt Willkür des Einzelnen, in ſich ſelbſt ſo, wie er iſt, das Maß des Ge⸗ ſetzes ſinden zu wollen... Aber es iſt dieß zugleich der große Schritt zum Guten: lieber für etwas Böfed ent⸗ (heiden, als gar nie (Apok. 3,15.). Das’ ift freilich wahr, daß dieſes Böſe zuerft nur objectiv gegenkbertritt, ehe ee Inbjectiv wird; das iſt eben das Näthfelhafte des Ans fange, daß der erſte Schritt als nnumgänglich erfcheint md doch als Willkür, num auch ald Schub gewußt wied, indem eben bie Entfcheibung des unmtttelbaren Sch für das Einzelne, Natürliche erft dad Bewußtſeyn des Bahren und Allgemeinen hervarraft. Das Natürliche

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an ſich if fo niht Sünde, fonderu nur fofern es im Gegenfage gegen deu Geiſt fich behauptet. Es iſt Folge der Enblichkeit, daß beide auseinander treten müſſen, um durch ihre Einigung die wahre, reale Freiheit gu vermit- teln, aber gerade darum iſt ed auch zugurechnende Sünde, auf ihrer Entgegenfegung zu beharren. Daß der Menſch überhaupt ein Sünder fey, ift nothwendig bieß und nichts Anderes kann die Kirchenlehre von der Erbfünde befagen wollen —, aber dieß kann nie einen Grund ab» geben, ſich für eine einzelne Sünde, für einen beflimm- ten Act des Herzens oder der That, oder für eine Reihe folcher Acte zu entfcheiden, denn das Gewiſſen treibt ja eben, von der Sünde hinwegzutommen und fih im All⸗ gemeinen, im Geifte, in Gott zu willen: das Böfe tft nicht Natur, fondern Selbfibeflimmung.

Dieß wäre ein Verſuch, das Böfe ald nothwendig dufzuhebendes, aber doch wefentlihee Mo ment der Entwidelung zu faſſen. Man mag barüber denken, wie man will, fo fcheint mir doch im Allgemei- nen der Sat von biefer oder einer derartigen Bedeutung des Böfen nicht aufgegeben werden zu können, und es ſcheiut mir nothwendig, eben die beiden herausgehobenen Punkte in Eins zu faffen. IR es nicht ein nothwendig aufzubebendes Moment fo ift die Heiligkeit Gottes, ift ed nicht ein wefentliches fo ift die Alled beſtim⸗ mende Allmacht ded Abfoluten negirt, Nur fo endlich fcheint mir fich ein wahrer Begriffder Freiheit zu ergeben. Derfelbe ift von Auguftin (don. perser. 17.) und Calvin (inst. 2, 2,6.) angebeutet, wenn fie meinen, es fey feine Gefahr, ne sibi nimium sdimat homo, dum recupersn- dum in Deo discat, quod eibi deest. Bor Allem if feſt⸗ zuhalten, daß der Menſch nach Gottes Bild gefchaffen fey, d. h. ein.Abbild des göttlichen Geiſtes, feine wahre Natur der göttlichen verwandt: Belov yvovs Zouiv (Apg. 17.), Yelag YpUosag uiroya (2 Petr, vgl. Sal. 3, 9.)

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ber fabjective Geiſt mit dem obfectiven und mit bem abfolnten wahrhaft im innerften Grunde eind. So kann die menfchliche Natur nie durch und durch von der Erb⸗ fünde angefreffen werben, nie zur gänzlihen Abwendung umgewandelt feyn, vielmehr muß eben darum immer eine Sehnſucht zurüdbleiben nach dem, was die wahre, eigents liche Natur des Menfchen it, eine Empfänglichkeit für diefe nene Schöpfung, der Zug des Vaters zum Sohne. Diefe Beſtimmungen haben aber entfernt nicht bie Abſicht, ein menfchliche® Berdienft einzuführen, denn die Sehnfucht wird ja eben aus jener Natur geboren, welche fich Nies wand als fein Geſchenk und Werk zufchreiben kann, ohne durch die hoͤchſte Anmaßung fein fubjectived Ich über das abſolute und objective zu feten, oder, wem wollte ed einfallen, wenn ein Kranker fich nadı dem Arzte fehnt, ju fagen, Daß entweder feine frühere Gefundheit, oder feine erfehnte Geneſung damit als fein eigen Werk ber jihnet werde? Hieraus folgt aber weiter, wenn ber Menſch die Idee ded Allgemeinen in fich trägt, fo kann das Boͤſe nicht unergründlich feyn, denn das Boͤſe wider⸗ Arebt nicht einer Außerlich allein an ihn herfommenben Realität, fondern verfchrt eben die Ordnung der Idee, die er in fidh trägt, und firebt gegen fein eignes, wahr» haftiges Weſen. So muß denn diefer Widerfpruch, ber in feinen eignen Eingeweiden wüthet, entweder zur Ueber, windung treiben, oder durch feine eigne Widerſetzlichkeit iu runde gehen. Diefe Erhabenheit der Idee, die ba Alles beherrfcht, was fich gegen fle verfchließen und auf feiner Ichheit ſtehen will fie iſt die wahrhaft göttliche Ordnung; wer mit diefem Gotteswefen eins wird, wird wahrhaft frei; denn ererfaßt feine eigenfte Natur, weldje aus Gott und zu Bott ift.

Wir haben und der Eonfequenz nicht entziehen kön⸗ um, daß auch dem Böſen eine Stelle in der Entwidelnng der göttlichen Orbnung zufomme. Gehen wir von dem

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Böfen auf die Böfen über, fo entßeht num bie Frage, ob ihre Berwerfung im ewigen Rathſchluſſe Gottes ger gründet ſey oder nicht, Dieß iſt der zweite. Hauptpunkt unferer Kritik: Lniverfalttät oder Particularität der Bunde, ober, da wir und nadı dem Obigen jest auf bie fsbjectine Seite zu ftellen haben, die Frage: fünnen alle Menſchen zur Gnade gelangen oder nicht?

2. Subjective Seite: menfchlide Empfänglic; feit: Univerfalität oder Particularität der Erlöfung.

a) Für die reine Particnlarität fprachen fich, wie aus dem Biäherigen zur Genuge hervorgeht, entſchie⸗ den aus Auguflin und Calvin. Bon Auguflin mag baber bier nur eine Stelle fiehen (praed. sanct. 8.) : gratia ea, quae honos discernit a malis, non ea, quae communis est bonis et malis. Non enim omnium est fides, cnm fidem posse habere sit omnium (vergl. don. persev. 14.). Aber bei ihm iſt die Berwerfung nur eigentlich die andere Seite, bie. Kehrſeite der Erwählung, eben ein Nichtthun Gottes, etwas Privatived. Beſtimmt pofitive Bebentung hat fie, als das gerade Gegentheil der Ermählung in den Prä⸗ deftinationsrathfchlnß aufgenommen, bei Galvin. Cr meint, Dei providentiam, quum ad omnes promiscae ex- tendatur, quam maxime extenuari. Darum (Cons. Gen. 906.) non aliter omnibus praedestinata salus, quam ei in prima origine perstareut; non perstare autem divino consilio erat ordinatum ; itaque non ommibus praedestinata est salus, Die gewöhnliche Unterfheidung einer potentiellen und actualen Univerfalität des Evangeliumd wird von ihm verworfen: non enim, qualis eit Christi virtus, vel quid per se valeat, nunc quaeritur, sed quibus se fruendam perhibeat, und da fomme man am Ende auf die Frage zurüd, ob Allen gleiched Vermögen zu glauben gegeben: werbe, was einmal nach der Erfahrung. zu verneinen ſey. Sein Syſtem iſt fo coufequent durchgeführt bei Gerhard 54. qued

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über die Präbeflination. 357

Deus non tantum ad. damnationem, sed etiem ad causas damnationis praedestinaverit, quaecunque libuerit, m sus ebdoxig. Die Iutherifhe Lehre dagegen hat die Tendenz, diefe reine Particularität der Gnade von der Hand gu meifen durch die LUinterfcheidung von Präfcienz und Präs deftination, ober, nach ihrem Dogmatifchen Ausdrucke, von voluntas consequens und antecedens, Gegen die Haltbarkeit dieſes Unterfchiedes aber hat ſich haupt» ſächlich Schleiermacher (Erwählungslehre 441 ff.) mit Erfolg ausgefprochen. In Gott gebe es feinen Unters ſchied des Vorher und Nachher. Auch helfe die Begrüns, dung nichts, welche ben antecedens der Guade und den consequens ber Gerechtigkeit Gottes zufchreibe, denn das heiße den göttlichen Willen theilen, überdieß werden auch die Gläubigen nur erft durch den mittheilenden Willen Gottes felig, wie die Ungläubigen unfelig, fo daß alfo der beabfichtigende antecedens unwirkfam ſey. Sodann wäre auch die Befeligung ein Werk der göttlichen Ges techtigkeit zu nennen, als bie Erfüllung der Verheißungen, und nur bie Gerechtigkeit, nicht die Barmherzigkeit könnte die Gläubigen und Ungläubigen fcheiden. So wäre benn abermals der voramgehende Wille unwirkfam, und wenn ja body Borher und Nachher in Gott zufammenfalle, fo wäre das Unwirkſame identiſch mit dem Wirkfamen. Auch die weitere Unterfcheidung des göttlichen Gebotes ald eines Unwirkſamen und des göttlichen Willens ale des Wirkſamen führe zu nichts, denn das erſte, als uns wirkſam, fönnte eben gar nicht Gottes Wille feyn. Wollte man die Unterfcheibung begründen durch den Gegenfak ded Allgemeinen und Befondern und fagen, ber voran⸗ gehende Wille habe ben Menfchen ald Menfchen zum Ges genftande , der nachfolgende den Verworfenen ald Ders worfenen, fo wäre dagegen zu fagen: nichts geſchieht am Menfchen ald Menfchen allein, Allgemeines und Befons

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deres fällt eben in Gott zuſammen; verwirft er ben Ber: worfenen, fo begnadigt er den Gläubigen ald Gläubigen. Wollte aber ein halber Wille Gottes ſtatnirt werben, defien andere Hälfte das Wilfen wäre, dann ginge das Wiſſen Gottes über fein Hervorbringen und diefed wäre durch ein anger ihm Begebenes befchränft.

Daher meint Schleieemacher (Erwählungslichre 429.), „daß nicht alle Menfchen durch Ehriftum wiederhergeftellt : werden , fondern einige begnabigt werden, andere verlos ren gehen. Diefed nimmt die Iutherifche Kirche eben fo gut an als die calvinifhe. Ed kommt alfo nur baranf an, wie Bott berechnet hat. Wenn wir nun einmal von der verwirrenden Borftellung eines befondern göttlichen Nathichluffes in Bezug auf die einzelnen Menfchen ab- fehen und und nur an die unftreitig von Gott verorb» nete Art halten, wie das Evangelium verbreitet werden follte, und an die ebenfalls von ihm verordnete Art, wie vorher fichdie menfchl ichen Dinge geftaltet hatten, fo müffen wir wohl fagen, aus beiden zufammen, alfo aus dem göttlichen Rathſchluſſe folge nothwendig, dag nicht Ale, an welche dad Evangelium erging, ed annehmen konnten. Das Judenthum hätte nicht beftehen können ohne Eiferer, welche die übrige Mafle zufimmenhielten, und unter den Eiferern für eine unvolllommene Sache mußte ed auch falfche geben, Eben fo mußte unter den Heiden die gewaltige Mafle des Verderbens feyn, wenn einige ſich an ein fonft fo verachtetes Volk wie die Juden ans fchließen follten und fo das Ehriftenthum an das Heiden thum übergehen. Aber unter jener Maſſe mußten dann auch die Verächter des Chriftenthums feyn. Alfo fcheint bier der gute Erfolg nicht anders ald mit dem Mißerfolg auf der andern Seite zugleich berechnet zu feyn.” Go kommt denn auch die Kirchenlehre, wenn fich der Unter: fhied eines zweifachen Willens nicht halten läßt, fondern in Einen Rathſchluß der göttlichen Weltordnung auflöf,

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in ihrer Sonfequenz; mit Augufin und Calvin zufammen, daß, si reete rem intelligas, verbum Dei sit universale, spiritus autem sancti efficacia sit parti- ceularis,

b) Und doch ſprechen auf der andern Seite für bie Univerfalität der Gnade fo gewichtige Gründe! 1) eregetifche, welche Gerhard gründlich entwidelt hat: a) die Allgemeinheit des Verdienſtes Ehrifti: Röm. 5,8. Joh. 1, 29. 4, 42. 1 oh. 2, 2. Gal. 2, 9, Pf. 14, 2. 3. Rom. 3, 11. 12. 1 Kor, 18, 11, Röm. Al, 32, Gal. 3, 22. Luk. 19, 41; b) die Allgemeinheit der Bes rafung: Marl. 16, 15, Matth, 11, 38. Apſtg. 17, 30, züss zavrayod, Röm. 10, 18. Nach allen diefen Stellen fann kaum widerfprochen werden, daß eine einfältige Eregefe die Allgemeinheit der Gnade in der Schrift ans zuerfeunen nicht wohl werde umhin können. Hiezu kom⸗ men auch philofophifhe Gründe. Schleiermacer argumentirt in der Glaubenslehre ($.118.) alfo: Um die Ausichließung eines Theild von dem ewigen Reben zu begreifen, könne man entweder 1) das Zufammenfeyn von Gleichheit und Ungleichheit zwifchen uns und Andern sn rechtfertigen fuchen, oder 2) Gleichheit oder Ungleich⸗ beit für Schein erklären. Im erfien Kal koönne dieſes Zufammenfepn gegründet werben auf die a) urfprüngliche Einrihtung der menfchlichen Natur. Dann aber müßte diefe getadelt werden, was feinen Sinn hat, denn wäre fie nicht, fo wären auch wir Menſchen nit. Auch kann die Ungleichheit, welche durch die Dazwiſchenkunft Chrifti entfteht, nicht urfprünglich feyn, was vielmehr auf Pelagianismus führte. Oder b) die göttliche Heilsord⸗ nang. Dann liegt diefer eine fchlechthinnige Willeus⸗ befimmung zu Grunde, alfo Willkür. Hiemit werben die Andgefchloffenen ein Gegenftand des Mitgefühl und in unfere Seligkeit ſchleicht fich ein Gefühl der Unſelig⸗ kit ein. Sagt man, an den Einen müſſe Gott feine

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Gerechtigkeit, an den Andern feine Barmherzigkeit bewei⸗ fen, fo find die göttlichen Eigenschaften getheilt, während fie doch in einer und derfelben Beziehung ſich äußern müffen. Im zweiten Falle ift a) die Ungleichheit eben einmal in der Erfahrang des chriftlichen Bewaßtſeyns gegeben; b) die Gleichheit. aber wäre Schein in dem Falle, wenn es eine urfprüngliche Ungleichheit der menſch⸗ lihen Natur gäbe, dann aber würde ihre Einheit zerrifs fen und die Conſequenz des Manichäismus wäre nicht zu vermeiden. Das Refultat der ganzen Argumentation ift fomit, daß die Angfchließung vines Theild von dem ewigen Leben nicht zn begreifen feyn würde,

c) So fprechen für beibe Theile gewichtige und nicht zu verachtende Gründe, und doch find fie einander dias metral entgegengefett. Welcher Ausweg der Bermitt- Iung kann fih da noch darbieten? Kein anderer, glaube ich, ald der, welchen Schleiermacher durch die Einfüh⸗ rung bes Begriff der Entwidelung bezeichnet hat und den wir farz im logifhen Schluß ausdrücken kön⸗ nen: 1) Es follen Alle felig werden Univerfalität. 2) Aber es find dieß nicht Alle Particnlarität. Alſo 3) müffen fie ed noc werden können! Ju der That fcheint ſchon Calvin daran geftreift zu haben (910. und 929.). Die Particularität vertheidigt er hier durch Auf werfung der Frage, cur etiam ante Christum Deus legem suam non publicaverit et gentibus et cur non ommibus in- differenter praedicari evangelium ab initio mundi voluerit ? So Inst, 3, 21, 7: externa invitatio abrque interiorie gra- tise efficacia, quae ad homines redimendos valida est, me- dium est quiddam inter abiectionem totius generis humani et electionem exigui piorum numeri. Diefe Ent» widelung aber ift fo aufzufaſſen, daß im Anfang Allee eingefchloffen it und wieder ein jedes Glied der Ent- widelung auf den Anfang zurückweiſt. So muß denn der Rathſchluß Gottes nnd feine Realifirung in der Welt fich

über die Yrädeflination. 361

gegenfeitig fordern und befiiurmen; vergl. Auguſtin (prued. sanct, 5.) Christus in mundam venit, quum Deus fide eum ab hominibus acceptam iri praescivit, sed tum Christum per Adean acoeptum fri praevidit, quum tempus esset im- pleten ji. e. autem venisset tempus, quo eum in mundum mittere ab zeterno decreverat. Beide Momente, die prae- rise fides und Bas göttliche Wohlgefällen, fordern ſich nach Schleiermacherꝰs Glaubenslehre 6. 120. gegenfeitig. „Denn das erfte, einfeitig genommen, wlrbe den Blauben im Menfchen - unabhängig von Gott vorausfeßen: Pelagiar nienus. Das zweite erfcheint nur zu leicht ald ein aus» dradlihe® Beginftigen und Zurüdfeken. Alles Einzelne aber bedingt einander gegenfeitig und das Ganze in ſei⸗ sem ungetheilten Zufammenhang tft vermöge bed gött⸗ lichen Wohlgefallens, fo wie es if.” Ermählungdichre 44: „Stand wir einmal darüber einig, daß, damit die Belt vollſtaͤndig ſey, ancdı das menfchlige Geſchlecht da ſeyn mußte, fo können wir unmöglich mehr fagen, es ſey eine grundlofe Willkür, Daß Bott das menfchlidhe Bes ſchlecht, wenn gleich er vorausgefehen, daß ed fündigen and fallen werde, erſchaffen habe, da es ja nothwendig mit eingefhloffen if in die Eine Alles umfaflende That der Weltfchöpfung. ragen wir aber, warum Bott und gerade zu Menfchen gemacht und nicht zu Engeln, fo vergeffen wir nicht nur, baß wir eben fo gut fragen könn⸗ tea, warum nicht auch zu Thieren, ſondern wir fpielen an die Frage dahin, wo nichts mehr zu fragen ift, und fragen alfo, eigentlich gefagt, auch gar nicht: wenn wie nicht zu Menſchen erfchaffen wären, fo wären wir gar

sicht erfhaffen. Eben fo aber müflen wir auch fagen:

fol das menfchliche Geſchlecht volftändig ſeyn, fo müflen

auch für das Gute empfänglichere und unempfänglichere Menſchen von allen Abfkufungen neben einander

ſeyn; denn erfi and dem Zuſammenſeyn aller möglichen Compiieationen höherer und nieberer Bermögen und Ans

362 Bed

lagen und aus dem Borhandenfeyn aller möglihen Ent⸗ wickelungs⸗ unb Sättigungspuntte entiteht jene Bollftäns digkeit, in ber allein die Gattung befleht.” So ift (458.) „der fündige Menſch zwar in das allgemeine geiftliche Leben des menſchlichen Gefchlechte® aufgenommen, fofern ein ſolches beſteht, Perfonen aber im religiöfen Sinne find folche, weil es ihnen an der religiöfen Selbfibeftim- mung fehlt, noch nicht, fondern das werben fie erſt burch die Wiedergeburt ... Bor der Wiedergeburt aber find fie indgefammt den Wiebergebornen gegenüber bie massa , weil fie aud der Maffe noch nicht belebe find, nicht weil fie etwa niemals belebt würden. Diefe Bele⸗ bung nun vergleicht Schleiermacher (wie ſchon Melauch⸗ thon iu der Ausgabe von 1536) ald die zweite Schöpfung mit der erften. So muß fidh eben deßwegen auch bie geiflige Schöpfung auf bie ganze Menſchheit beziehen, ed war ja (476) „von Anfang an Gottes Gutdünken, nicht einzelnes Seyn und Leben zu erfchaffen, fondern eine Melt, und fo wirft auch der Geiſt Gottes als eine welt⸗ bildende Kraft und es wird durch ihn nicht einzelne, ordnungslos entfichendes, geiftiged Leben, ſondern bie geiftige Welt.” Bon denen daher, bie noch außerhalb der Semeinfchaft mit Ehrifto fiehen, miffen wir (Glaubens⸗ lehre 8. 119.) weiter nichts, als ihr dermaliged Berhälts niß zu Chriſto. In jeder Zeit find Biele berufen, Wenige anserwählt, werden mithin Einige von Gott überfehen oder übergangen. Gie find noch ohne geiflige Pers fönlichteit mitten in die Maffe des fündlihen Geſammt⸗ lebens verfentt, aber darum doch als in berfelben gött⸗ lihen Borherbeftimmung mit uns befaßt anzufehen.” Er⸗ wählungsichre 461: „Das Wahre ift fomit, daß man nur Einen göttlichen Rathſchluß annehmen kann, welder Alles umfaßt, nämlich den Rathſchluß Über die Orbnung, in welcher bie des geiftigen @inzellebens fähige Maſſe allmählich belebt wird,” oder Glaubenslehre $. 119: Es

über die Praͤdeſtination. 363

gidt Eine göttliche Vorherbeſtimmung, nad weiher aus ber Sefammtmaffe des menfchr lichen Geſchlechts die Geſammtheit der neuen Creatur hervorgerufen wird.

Nun aber iſt es Erfahrung, daß Einige außer der Gemeinfchaft mit Chriſto ſterben! Wie ſteht's hier mit dem göttlichen Rathſchluſſe? Es gibt hier nur drei moͤg⸗ liche Faͤle: 1) der Eintritt in Chriſti Gemeinſchaft iſt ihnen nicht mehr moͤglich, aber ſie ſind doch nur Ueber⸗ ſehene, nicht Verworfene ſo iſt das nur denkbar, ſo⸗ fern fie zugleich, weil keine geiſtige Perſönlichkeit, als niht daſeyend betrachtet werden. Dieß fcheint Schleiers macher's Anficht, und dann ift die Gefammtheit fo groß als die Befammtmaffe 2 Der Eintritt if ihnen verwehrt, dann find fie nach calvinifcher Lehre Berworfene und die Geſammtheit ift kleiner ale die Oefammtmaffe. 3) der Eintritt ſteht ihnen noch offen; dann wird die Gefammtheit gleich der Seſammtmaſſe.

Der erſte und zweite Fall, die ſchleiermacher'ſche und calvin'ſche Anſicht treffen in dem Erfolge zuſammen, daß Chriſtus nicht für Alle iſt, aber dieß ſcheint mir die Iden⸗ tität der Gattung aufzuheben und an der ſchleiermacher'⸗ ſhhen Anficht hängt überdieß der Grundſatz von der Ne⸗ gativität des Böfen und die Ertermination der Freiheit, wodurch der Menfch nur ald Ratureremplar der Gattung, nicht als individuelle flttliche Perfönlichleit in Rechnung genommen if. Kür den dritten Fall fpräche die Selbig- kit der Gattung, bie Bedeutung der Perfönlichkeit und die Agemeinheit des Verdienſtes Chriſti. Dazu aber wäre dann freilich nothwendiges Refultat die Mögliche fit einer weitern Kortentwidelung nach bem Tode, fo daß Ale allmählich in das Neich Gottes gefammelt wür⸗ den, ein Refultat, Das Calvin, als es Georgius gegen ihn vorbrachte (Cons. Giener. 882,), für eine ——— erklärte,

Tool, Stud. Jahrg. 1847.

364 Bed

das bie Kirche mit der dzoxarderasıg zavrav verwarf (conf. Aug. 17.) und dad bie mobernfpecnlative Abneigung gegen alle Transſeendenz und Eichatologie zu überwin⸗ den hätte, So bleibt denn nur übrig, den Schluß in das Dilemma sufammenzufaflen: Entweder unbedingter Particularismud ber Er wählung, oder Wiederbringung aller Dinge! Die Eutſcheidung kaun Keinem, je nach dem Kreife feiner Beltanfchauung, zweifelhaft ſeyn.

zufaß.

Dem Berf. if inzwifchen Gelegenheit geworben,. audı die zweite Auflage von J. Muller's „chriſt⸗ liher Lehre von ber Sünde, zwei Bände,” zu durchlefen; er bat fi aber dadurch nicht bewogen finden können, von feiner im Voraugegangenen entwidelten An fiht abzugeben. Denn was die zeitliche Erfcheinung des menfchlichen Weſens und Geſchlechtes betrifft, fo kommt Müller auch auf die NRothwendigkeit ber Süude und felbit bed erften Sündenfalls. Wenn er 5. B.I, 523. vom Urſtaude fagt:,, So begünfiigte und erbeichterte im Urſtand Alles die Folgſamkeit gegen ben oberen Zug der menfchlichen Natur und vor Allem gegen bie Antsiebe des Gottesbewußtſeyns und des göttlichen Ge⸗ ſetzes. Es bedurfte einer beſondern Verſuchung, um die Selbſtverkehrung, mit welcher der Wille auch in nuferen Stammelsern auf urfprüugliche Weife behaftet war, aus ihrer verſchloſſenen Tiefe hervorzulocken,“ fe fehe id nicht ein, wie, die zeitliche Entwidelung ind Auge gefaßt, diefe Anfiht von Supralapſarismus und von der Beftimmung des menfchlichen Weſens als einee am fich böfen ſich unterſcheiden fol, zumal Mäller (5236 fi.) im Sündenfall Gen. 3, nicht die Gutfichung, ſondern nur dad

über die Praͤdeſtination. 365

Hervorbrechen finden wil. Die wmefentliche Unterſchei⸗ dung iſt freilich Die außerzeitlihe Entfheibung der gefhaffenen Perſönlichkeit, woburdher (©. 486 ff.) die Bereinigung der. beiden Säge: „alle Men⸗ ſchen find Sünder” und „wo Sünde if, da iſt Schuld” bewerkſtelligen wid. Ich muß geftehn, daß ich in dieſer Anfiht nur ein neues Räthſel und keine Löfung zu fin, den vermag. Mir fcheint vielmehr, was auf der Bühne bed Weltdrama’s fich für den Berftand nicht löſen will, nur dadurch abgemacht, daß es hinter die Euliffen zus rüdgefchoben wird; denn noch ift ed meine Anficht, die ja auch Müller immer nur beftätigt, zur Freiheit gehöre Bewußtfeyn, eine unbewußte Freiheit fey Leine. Aber wenn wir von einem Freiheitdact fein Bewußtſeyn has ben, fo haben wir auch in demfelben Feines. Eine wer fentlihe Mopification der früheren Theorieen von einer intelligtblen That gibt Müller freilich darin, daß der Zus fand vor der zeitlichen Entfcheibung fein höherer, kein idealer feyn foll, wie 3. B. Schelling gewollt habe (204.). Aber eben hierin finde ich 1) den erften Anſtoß. Es ift nicht (207.) „die volle Wirklichkeit in biefer zeitlofen Exi⸗ Renz, fondern nur eine halbe” 205: „Dieſes ftille zeit loſe Schattenreich iſt gleichfam der Diutterfchooß, in dem die Embryonen aller perfönlichen Weſen befchloffen lie⸗ get” Wenn aber Müller (S. 95.) fagt, gegen die Ans nahme eines individuellen Sündenfalld bränge ſich die Frage anf, „ob ed denn überhaupt denkbar ift, daß in die ſchwache Hand des Kindes die höchſte Entſcheidung über die Geftalt des fittlichen Lebens gelegt wäre” und dieſe Annahme ald unmöglich verneint, fo muß ich befennen, daß mir die Sache nicht an Denkbarkeit gewon⸗ nen hat, wenn nun diefelbe Entſcheidung ftatt in die Hand eines Kindes in die „eines Embryonen” gelegt feyn folk. 2) Das Berhältniß diefer zeitlichen Entſcheidung zum Uebergang in bie Zeitlichfeit iſt nicht näher dargelegt, 25 *

366 Bed

darum aber eben die zeitlofe Entfcheidung in den Nim⸗ bus einer gewiffen Nebelhaftigkeit gehüllt. Es fcheint, aber man weiß ed nicht gewiß, daß, wenn die Entſchei⸗ dung eine zeitlofe feyn fol, etwa alle Menfchenfeelen zus fammen, die auf die Erbe kommen follen, auf einmal biefe Urthat vollbracht hätten, alfo dann offenbar vor aller Zeit. Kommen fie aber dann mit diefer Entſchei⸗ dung, etwa eben mit Adam, in die Zeit herab, oder bleis ben fie nun von ber geitlofen Urthat bis zum Cintritt in die Zeitlichkeit zeitlos, ober fällt die Urthat immer bei jedem Einzelnen gerade vor die Geburt? darüber fehlt uns alle Anfchanung. Und doch ift die Frage nicht ohne Intereſſe. Denn 3) benugt Müller (S. 500.) die Angelor und Dämonologie zu Bunften feiner Hypothefe. Damit eben fey die Freiheit gerettet; in der Urthat haben ſich nur Einige verfchuldet, Andere aber die Möglichleit bes Böfen abgewiefen und den Einklang mit Gott vorgezos gen. Diefed beweife eben, daß ben Borftellungen von Engeln und Teufeln etwas Reales zu Grunde liegen müfle. Auf den erften Anblick freilich fcheint bier zur Begründung der Angelologie etwas gewonnen, um fo mehr aber ift jedenfalls für bie Dämonologie verloren. Denn was follen dann Teufel feyn? Sol ihre verfchuidende Urthat etwa quantitativ ober qualitativ von der ber Menſchen verfchieden ſeyn, oder find nicht eben am Ende wir Menfchen allein die Teufel? Aber auch für bie Engel gibt ed noch eine Schwierigkeit. Unzählige Wefen derfelben Ordnung mit und follen ſich gegen das Böfe entfchieden haben, gerade auch folche, in denen fich „der Begriff des menjchlichen Geiſtes nach feinen Grundrich⸗ tungen realifirt.” Aber die empirifche Leiblichfeit mit ihrer Materialität, dad oüue zoixdv ift (503—507.) nicht ein Gefängniß für den Geift, fondern als die Raturbafie nothwendig zu unfrem Wefen gehörig. Sollen wir nun auch den Engeln oder den guten zeitlofen Menfchen

über bie Präbeflination. 367

auch ein ompa zoisov zufchreiben, wenigſtens für ben Anfang? Das kann freilich nicht ſeyn, denn der Anfang ald eine Zeit ift durch die Zeitlofigkeit ausgeſchloſſen. Damit it aber eben gefagt, daß das oma zoindv ald etwad in die Zeit Fallended nur und, die wir wirklich Menfchen find, angeht, die Audern aber find Daun eben bewegen feine wirklichen Menſchen, gehören auch nicht in unferem Gefchlechte, da die Zeitlichleit zur Wahrheit unfered empirifchen Weſens gehört. Die Butgebliebenen find alfo wefentlid von unferem Gefchlechte gefchieden, und wad zu unferem Gefchlechte gehört, das hat ſich durch feine Freiheit Alles zum Böfen entfchieden. Warum? Diefe Frage führt und geradezu auf den status Integer des gangen Probleme zurüd, wie es (S. 486.) beim Ans fang des vierten Kapiteld im vierten Buch durch Die jwei widerfprechenden Säße ausgebrädt if. Endlich aber, auch die überzeitliche Urthat zugegeben, gelten 4) für die Zeitlichkeit in gewifler Art doch wieder alle Ein wendungen, welche Wüller gegen die kantifche Theorie von &, 106, an macht. Er feht zwar und dieß ift eine zweite Mobiflcatiou feiner Theorie die Urthat nur ald Entfcheidung für die Möglichkeit des Böfen, nicht für das Böſe felbfl. Aber doch fagt er ©. 534: „wegen der uranfänglichen Selbftverfehrung des Willen iR anzunehmen, daß alle Nachkommen Adams an feiner Stelle bei hinreichend flarker Verfuchung gefündigt haben würden, wie er.” Das Böfe ift fomit jetzt jedenfalls nicht mehr bloß möglich, fondern in Adam ift es wirt, lih geworden ja, nad) den obigen Worten, in dem Menfchengefchleht auf Erden mußte es wirklich werben. SR nun das, fo läßt fich nicht einfehen, wo nach der Ur⸗ that noch eine Umkehr in der Zeit möglich feyn fol. Denn (5, 502.) „die Entwidlung fann Ihr eignes Princip nicht aufheben, die Grundrichtung, die ihr durch daſſelbe gege⸗

368 Be über bie Präbeftination.

ben ift, nicht in bie entgegengefebte ummwanbeln, ſondern alle ihre Bewegungen und Veränderungen aus ihr ſelbſt gefchehen in dieſer Grundrichtung. Die Befreiung des Menſchen it nur dadurd möglich, dag Bott fich feiner annimmt.” Sf, was Müller an Kant tabelt, die Umkehr vom boͤſen Leben nad folcher unzeitlichen Enutfcheibung nicht Doch abgefchuitten, ift nicht, wa6 Müller (S. 7-49.) ald nothwendig halten wollte, die formale Freiheit, hiemit doch wieder aufgehoben?

Gedanken und Bemerkungen.

1.

Die Sünden ber Wiedergeborenen.

Bon - &, Braune, Dfarrer in Zwethau,

Die Sünden der Wiedergeborenen ift ein Lehrſatz, bei dem entgegengefegte Anfichten und Urtheile nicht etwa bloß innerhalb der Lehrbücher bis in die neuefte Zeit ſich berausfteflen, fondern felbft innerhalb der fymbolifchen Bücher; das gefchieht mit Beziehung auf die heilige Schrift. Diefer Streitpunkt betrifft aber auch das Indis vidnellfte im Leben des Ehriften. Darin liegt, daß diefe Auseinanderfegung ein Recht hat, unter Vorausſetzung bed Begriffs der Sünde, ber gegen Wider, oder Undhrifts liches vor Allem zu firiren feyn würde, zunächſt und zus meiſt den Begriff der Wiedergeburt in feinen einzelnen Momenten recht Mar hinzuftellen. Das iſt ja offenbar, wenn- der Begriff der Wiedergeburt fo abgefchwächt und beruntergefegt wird, daß biefelbe mit Erweckung oder auch der Bekehrnng zufammenfiele, fo muß es fid mit den Sünden der Wiedergeborenen anders verhalten, als wenn die Wiedergeburt im Begriffe fo überfchaut würde und

372 Braune

| . fo überfchwenglich gefaßt, daß fie wäre bie Heiligung in ihrer möglichfien Bollendung innerhalb dieſes Lebens.

1) Das Wort „Wiebergeburt” gibt und die Schrift Matth. 19, 28. Tit. 3, 5. Souſt finder fi noch das Zeitwort zddıv ylvecdaı bei den LXX. Hiob 14, 14: id harre täglich, dieweil ich fireite, bie daß meine Verän⸗ derung fomme Oman ann), Die Ueberfeßung meint bie Fortfeßung des Lebens nach dem Tode, obgleidy der Grundtert davon nichts fagt. Die LXX. haben das Zeit⸗ wort in einem Sinne gebraucht, der ganz und gäbe war. Hefychius fagt: zaAıyysvsche vd du devrigov dvayavın- Hnvar N dvaxuvıodıvar. Bon den Pythagoreern ift be kannt, daß fie das Wort wadıyysvsce ald Bezeichnung der Seelenwanderung gebrauchten, und die Stoiker nanu⸗ ten die Erneuerung der Erbe im Frühlinge ziyw zegiodı- av zahıyysveclav vov ölav (Marc. Ant. XI, 1), Gicero, fo war das Wort geläufig, bezeichnet die Einfegung in feine Würden nach dem Erile hanc zaAıyysveciav nostram (ad Att, 6, 6.), ohne hinzuzuſetzen: wt ita dicam. Die Reuplatoniler wenben das Wort an, wo fie anf bie Wiederbelebung thierifcher Körper hinweifen (Longin.3, 4: be Davdrov zalıyyevecde). Joſephus (Ant. Il, 3,9.) redet von der zalıyyevscle vus waroldos nach dem Erile. Dazu füge id noch, daß Olympiodor (bei Coufin, journal des savans, 1834, p. 488) fagt: zalıpyevscia sig yvoadsaıs darıy 7 dvduvnas. Das Wort alfo iſt bei den Griechen fo haͤu⸗ fg gebraucht und fo frei angewendet, daß man über feine Grundbebentung gar nicht zweifelhaft feyn kann. Es gibt das Wort eine Veränderung zum Befleren an, freis lich innerhalb der finnlichen Erfcheiuung. Nur beim Aym⸗ piodor iſt ed, freilich in bildlichem Ausdrucke, auf geiſti⸗ ges Leben ausgedehnt. Aber das beſchränkt die Beden⸗ tung des Wortes innerhalb der chriftlichen Sprachweiſe, bie ja immer von der Denkweiſe und Denkungsart ab» hängig, ja fogar bedingt ift, durchaus nicht. Es kam

die Sünden ber Wiedergeborenen. 873

ber außerbibliihe Sprachgebrauh nur als Borrathes kammer angefehen werben, aus welcher der göttliche Geiſt, der iu der heilenifchen Bildung innerhalb bed römifchen Reiches durchbrach, die Gefäße entichnte, in welchen er feine Anfchauungen darreichte. Maaßſtab für den In⸗ halt, die Bedentung irgend eined Wortes innerhalb ber heiligen Schrift ift nur der biblifche, näher der neuteſta⸗ mentlihe Sprachgebrauch, der nur in äußerer, nicht in der inneren Anknüpfung an den außerbiblifchen gu begreis fen if. Das fpringet in die Augen, wenn man Woͤrter, wie oapk, zveöüne, Gen, Ddvaros und dergl. ihrem bibli« (hen Gehalte nach vergleicht mit dem Inhalte, den fle außer der biblifchen uud von diefer unabhängigen Denk⸗ und Sprechweife haben. Die Macht des Geiſtes Chrifti erweiſt fich auch hierin, daß er in die Wörter ber vor, Iommenden und ſchon vernommenen griechifchen Sprache | feine, die Welt verändernden Bedanten ergießen konnte; es it das bie Herrlichkeit feines Geiſtes, die auch hier, wie fie in Kana Waller in Wein, ein Altes, Natinliches in ein Reed, Geiſtliches verwandelte. Die neuteflamentliche Sprache ift eine wahre Palingenefle der heflenifchen. Darum hat man fich zur Begriffebeltimmung ber Biedergeburt auf das RN, T. zu befchränten. Bei Mats thaͤns ift ed Palingenefle des Mafrofoemusd, beim Paur Ind des Mikrokosmas. Es reden ja das N. T. wie von einem neuen Himmel und nener Erde, fo au von einem neuen Menfhen Warnm aber ift. nicht vielmehr dvaysvınaıs flatt zarıyysvecie genommen wor⸗ den? Jenes Wort deutet auf die Zengung, biefes auf die Geburt; jenes Wort hebt alfo die Vorbereitung und Vorausſetzung ber Beränderung, die dieſes bezeichnet, hervor, and hat noch gar keine Beziehung auf das Ein- greifen der Veränderung in dad Gange der Perfönlich- keit und die Geftaltung ihrer Berhältniffe, wie ed in dem Vorte zurıpysvsche gefchieht. Wie aber mag denn ein

37% Braune

und daffelbe Wort einmal auf bad Univerfum, das anbere Mal auf das Individuum bezogen werben können, unb noch dazu in Demfelben Sinne? Die Stelle Röm. 8. wo von der feufzenden Creatur gehandelt ift, gibt einen Auf⸗ ſchluß, und dann liegt es in der Tendenz des Chriſten⸗ thums, den Einzelnen nur im Ganzen ans uud aufzufaflen. Bom Grlöfer felbft iR Joh. 3. die Wiedergeburt dem Sinne nad genau geung beſtimmt, fo genan, daß man das Wort nicht ald eine nur bildliche Bezeichnung, die durch einen eigentlichen Ausdrud vertreten werben müßte, anzufeben hat. Wenn daher Panlus in ber zweiten Stelle Wiedergeburt und. Erneuerung verbindet, fo fol das zweite gewiß nicht nur ber eigentliche Ausdruck des erfte- ren als des bildlichen feyn; ud ift alfo nicht erplicatio zu faffen. In diefer Berbindung iſt gerade ein Fortfchritt von bem einen zu dem anderen Momente bed Begriffe, alfo gerade ein Linterfchied zwifchen beiden Ausdrücken gegeben. Aber welcher? Wiedergeburt ift wie jebe Ge burt ein Uebergang und zwar aus einem unfelbändigen, niederen, befchränuften Lebenskreiſe in einem freieren, höhe⸗ ren, weiteren; ein Uebergang, den man mehr erfährt, als ausführt. Die Wiedergeburt führt alfo in einen neuen Lebenstreid, der feine angemeſſene Lebensweife hat. Diefe ift aber nun nicht etwa nur äußerlich und graduell, ſondern innerlich und [pecififch eine andere geworden, fie tft nichteine Reparatur, Beine Verkleidung, auch nicht bloß eine Verbeſſe⸗ rung, fondern eine völlige Erneuerung, da bed Geiſtes Richtung und Haltung, feine Nahrung und feine Gründe von allen den im vorigen Leben nach väterlicher Weile ganz anders geworden find. Das Lebeneprincip ift nicht mehr bie Welt, fondern Bott ift es geworben. Nicht Berbeflerung, fondern Beränderung ift die Erneuerung ber Wiedergeburt. Palingenefie weiſt alfo auf die Form der Erneuerung, Erneuerung aber auf die Aufgabe ober Tendenz der Wiedergeburt, Ganz natürlich führt

über die Sünden ber Wiebergeborenen. 375 -

aber das Hauptwort auf das Zeitwort, die Stelle bei Paulns auf des Erlöferd Wort Joh. 3, 3. 5. zurüd. dvoadem if durchaus von oben her zu faflen; das verlangt der Ausdruck in dem anderen Berfes dx zveuuaros, der ald Erflärung fich gibt, der gemäß Johannes in ſei⸗ nem erften Briefe (3, 9.) des Meifterd Wort durch dx deoũ beftimmt. Daran ergibt fich als drittes Moment dee Begriffes der Wiedergeburt die Kraft, durch welche fie vollzogen wird. Daranf weil aud, went man der Er⸗ neuerung nachgeht und auf des Paulus Wort trifft: iſt Jemand in Chriſto, fo iſt er eine neue Creatur. Abs gefehen von dem dv Xoıara sivas, iſt ja einexamn xrlsıg aur möglich durch Botte Kraft. Natürlich, der Menſch erzengt und gebiert fi nicht ſelbſt, eben fo wenig als er ſich felber Schaffen fann. Das drängt aber auf ein Bierted, Denn obwohl der Menfch ohne feinen Willen bat von Bott gefchaffen oder geboren werden können, fo kann doch Gott ihn ohne oder gar wider feinen Willen niht eriöfen. Es muß alfo eine Bermittelung ber Wiedergeburt gedacht werden, welche eben fo geſchickt ift, die Kraft Gottes anf den zu ernenernden Menfchen wirs fen zu laffen, als fie abgewiefen werben fanı. Am nas türlichten wäre es innerhalb der Schrift und für unfere Anseinanderfeßung am bequemften, wenn gleich der Glanbe ausdrücklich ald diefe Bermittelung bezeichnet wäre. Daß. thut aber nun fo offenbar feine Stelle. Doch weilt der Er⸗ löfer ſelbſt (Joh. 3.) auf eine Vermittelung der durch Bots tes Kraft zu vollziehenden Wiedergeburt, indem er 2E Ddarog mit zvsdnerog verbindet. Man kann um fo weniger abgehalten werden, an die Taufe zu denken, je Marer Pauline mit feinem Aouroou zalıyyevscias zal dvannıvaseng darauf fich bezieht. Eben fo ſtark dringt 1 Petr. 1, 23. darauf, da die Chriſten wiedergeboren genannt werden, siht aus vergänglichem, fondern aus unvergänglichem Samen, nämlich dus dem lebendigen Worte Gottes, das

376 Braune

da ewiglich bleibet. In der Tanfe tritt ja das Wort zum Waſſer, ſchwebt gleichſam über demfelben, es zu heiligen. Das Wafler deutet darauf, der Menſch folle sacer, das Mort darauf, er folle sanctne werden. Das im Mens fchen lebendig gewordene Wort ift der lebendige Glaube, weicher nur innerhalb der Kirche ficher und kräftig ge beiht, mit dem Worte und Sacramente zugleich. Diefes, bad Sacrament, verbindet mittel des Worted mit dem Erlöfer, bildes eine Lebendgemeinfchaft mit ihm und Diefe ift der Ausdruck des Glaubens, deffen Weſen Aneignung it. Der Glaube aljo muß gelten ald die Bermistelung der Geburt des natürlichen Menſchen aus Gott.

Die Wiedergeburt ift nun der Wendepunkt im Leben des Chriſten denn bie Geburt febt die Zeugung voraus in welchem er der Ainnlichen Befchränftheit, der ohn⸗ mächtigen Vergänglichkeit, der fündlichen Weltlichkeit, wo: rin er als natürlicher Menfch gefangen war, woran er aber fchon Unluſt zu fühlen begann, ale werbender Ehrif, entichieden abfagt and eben fo entfchieden der Freiheit des Geiſtes, der Macht der Ewigkeit und der Heiligkeit Gottes ſich zuwendet; fie ift alfo ein Ereigniß, das zu Stande kommt, in dem Gott, das Urbild, in Chrifto, feinem Cbenbilde, den Menfchengeift, das Abbild, ans leuchtet und biefer in dieſem Lichte fich erhebt zu einem neuen Leben vor Gott und in Gott, Die Wiedergeburt umfaßt alfo Alles, was den Act vollendet, der in ber Belehrung vorbereitet, in der Heiligung aufgenommen wird, Der Wiedergeborene iſt nun nicht der in der Wie⸗ bergebart fich befindenbe; ift Doch der geborene Menſch auch nicht der in der Geburt fich Befindende, ſondern ber in dem Leben ſich befindet. Der Wiedergeborene ift alfo der in der Heiligung ſich Befindende. Daher hat Schleier, macher in feiner Blaubendicehre mit vollen Mechte von den Sünden der Wiedergeborenen unter dem Lehrftüde der Heiligung gehandelt, Rur das bleibt bei dem Wie

die Sünden der Wiedergeborenen. 877

dergeborenen al& unbeftimmt feſtzuhalten, wie weit er im Gebiete der Heiligung vorgebrungen if,

2) Um aber das Gebiet des Begriffes Wiedergeburt gehörig überfchauen umd nach Der gegebenen Defcription ein einfache Definition geben zu können, muß man auf feine Berwanbdten und lintergebenen innerhalb des N. T. das Augenmerf richten. Go wird fi dann auch am dentlichften nachweifen laffen, was innerhalb des Gebietes der Wiedergeburt und im Selbſtbewußtſeyn bes Wieder, geborenen vorkommt und vorkommen kann. Hierher ges hören Die folgenden Begriffe des N. 7. und cheiftlichen Lebens: Imssurgopf, pezdvorn, üysadpös, Lori, Örmelmeıg, zuerclkeyf;, vloßresla, xowmvia toü Agıosod und x. od zysögerog, auch sAijaıs, pwrıduös, zegızoun Tüg wugpölag,

Diefe Begriffe ſind nun in Beziehung mit dem Bes sriffe der Wiedergeburt zu ſetzen and haben danach ihre Stelle einzunehmen.

Mas vom hebräifchen Staudpunkte aus Insorgogpı, eourersio, dad heißt vom heilenifchen and usrdvoıa, resipiecentia, sspientia post fectum. Die ueravore. jüdifch befchrieben, iſt Diezugzoun vg xapdlag. Jene, Euıargopt, begeichnet Die Veränderung dee. bisherigen Lebens in Folge eines erfannten und anerfannten Outes, das als Ziel, dem wir nachfireben, vorgehalten wird. Das Leben iſt derWanbel; da ift das Leben in feiner Aeußerlichkeit gefaßt. Die perdvora bezeichnet Diefe Veränderung innerhalb des Selbſtbewußtſeyns in Folge reinerer Erkenntniß; da If das Leben die Geſinnung, alfo in feiner Innerlichleit ges faßt. Weide Begriffe ordnen ſich mit innerer Nothwen⸗ digfeis unter, finden in ihr erf ihre völlige Reinheit und Kräftigkeit, find alſo ald Boransfegungen derfelben ans zuſehen. Galvin fagt daher Cinst. III, 3, 9.): uno verbo poenitentiam interpretor regenerationem, nicht recht; es tft das eine Bermifchung, die in ber kurz zuvor gegebenen Definition der poenitentia (serdvose) recht Har hervor⸗

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teitt: est vera ad Deum vitae nostrae conversio, a sincero serioque timore profeeta, quae carnis nostrae veterisque hominie mortificatioue et epiritus vivißicatione constet; da meint man doch vielmehr die Erklärung ber Wiedergeburt su haben, welche nach der Vergangenheit hin mortificatie, nach Gegenwart und Zukunft vivificatio il, Die aolida declaratio (III, 16 ff.) wehrt mit Grünblichfeit der Ber wifchung diefer verwandten Begriffe und gibt an, wie regeneratio nicht bloß pro sanctificatione et removatione genommen, fondern auch mit conversio verwechfelt werde. Hatte ja doc ſchon die Apologie (V, 44. 46.) conversio und poenitentia, conversio und renovatio mit sea verbun: den. Hier gilt gewiß eben fo fehr, was Calvin in Ber zug auf epes und fides fagt: quanquam perpetuo inter se vinculo cohaerent, magis tamen coniungi volunt, quam comfundi (isst. III, 3, 5.). | Diefer Ausſpruch Calvin's ift feflzuhalten, wenn wir nun andie dıxaladss, instificatio, herantreten. Denn in der Apologie (II, 72) heißt es: instificari siguificat ex iniu- stis iustos effici seu regenerari. Die Rechtfertigung bes zeichnet doch nur ein Berhältniß des Gläubigen zu Bott, und zwar innerhalb des Urtheils in Bott. Das iſt das Gepräge des Bildes, aber dad Gepräge der Währung iſt die zaradiayr, die eben anch das Berhälmiß bes Bläubigen zu Gott bezeichnet, aber innerhalb des Selbſt⸗ bewußtfeyns in den Berföhnten. Die Wiedergeburt weift auf die neue Lebensform, die in unmittelbarer Folge je⸗ ned Verhältniſſes eingetreten if. Darum muß man Schleiermacher beiftimmen, ber ald die zwei Hauptſtücke der Aneignung des Helles in Chriſto die Wiedergeburt und Heiligung ſetzt. Jene benennt den Wendepunft, in welchem die Stetigkeit ded Alten aufhört und Die des Renen zu werben beginnt, diefe aber das Wadsthum der Stetigkeit des Neuen. Da ordnen fich ale wirkliche und natürliche Stufen des chriftlichen Lebens bie Buße, mit

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die Sünben dee Wiedergeborenen. 379

der Reue und. Sinnedänderung, und der Slanbe der Ber fehrung unter, und biefe mit ber gleichzeitigen Nechtfers tigung bildet dad Geſammtgebiet der Wiedergeburt. Der Wiedergeborene hat feinen Sinn geändert, ift befehrt, gerechtfertigt und verföhnt; dad, muß man fagen, find die Vorſtufen oder Vorbereitungen der fih vollziehenden Wiedergeburt.

Die viodscla ift ein Zuſtand, in den bad Ber hältniß des Gerechtfertigten zu Gott, wie ed bie Wieder, geburt, die Geburt aus Bott, geftaltet hat, verfegt; der aud Gott Geborene iſt Gottes Kind. Zunächft freilich beißen wir nur Gotte Kinder. Aber die Realität diefed Zuftandes drückt die zoıvmvla Tod Xgscroö und roũ zvsdparos and. Der Geiſt macht, daß wir rufen: lieber Vater! denn der Sohn Gottes lebt in uns. Diefe tebendgemeinfchaft, die innere Seite jenes Kindesvers hältniſſes als eines Standes, ift die Erfüllung der Kind⸗ (haft, und darım Fundament, Gpige oder Kern des Blaubens zu nennen. Denn führt der Glaube in die Gemeiufchaft mit dem Erlöfer, fo führt er in die Ge meinfchaft mit feiner Vollkommenheit und mit feiner Ses ligleit, Davon muß der Wiebergeborene doch einzelne Erfahrungen haben; zu einem ununterbrochenen Zufams menhange ift ed noch nicht gekommen, aber er findet fich doch mehr oder weniger dem fi annähernd.

Run iſt ed der aysadudg, der den Kortfchritt vom Üebergange an bezeichnet. Die Heiligung betrifft Gemüth mit dem Willen und deſſen Aeußerung in dem Leben. In Bezug auf die Erfenntnig if ed yoarıouds. Wie ih vor der Wiedergeburt Zmıorgopt und usrdvom zu einander verhalten, fo nach berfelben dyıaouds und Yarıopds, fo daß die Emsarpopn durch die Wiedergeburt zum dpaspös und peravom ebenfo zum poriopög ſich vollendet, Die fer it das in der Wiedergeburt und Heiligung zu gewinmende Beben; ed iſt Ziel und Weg in

Theol, Stud, Jahrg. 1847. 26

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Einem; anf ber gewonnenen, erlangten Eon, mit ihr fchreitet der Chriſt weiter zu ihr, in fi. Darum bat Chriſtus, der die Goy ift, auch won fich fagen koͤnnen, daß er fey Weg, Wahrheit und Leben, Das if aber intereſ⸗ font, daß das bei Johannes und Paulns fo häufige £5v in ber prägnanten Bedeutung meiſt mit ben Begriffen: wiedergeboren und geheiligt werden, fich\zufammenlegen läßt, und zwar fo, daß im Liv huf bie dritte Geburt im Tode bingewiefen wird, als auf dad Ereigniß, bas erſt in das völlig freie göttliche Leben einführt.

Der exfte Anfang if die sAndıs, vocatio. Tu ihe liegt ein Zwiefached : die Thätigfeit Gottes und die Empfäng⸗ lichkeit des Menſchen. Wie dieſes Doppelte im Anfange liegt, fo iſt es auch dad, was im Forigange auch immer wieder kommt, bis zu dem felgen Ende, wo der em pfängliche Geiſt des Menſchen als nicht zu fcheiden vom erlöfenden Geiſte Chriſti gedacht werden muß.

3) Noch einmal wollen wir Die beftimmmte Abgrenzung des Begriffes Wiedergeburt ausfenen. Denn es kaun ihr nur Vorſchub leiten, wenn wir nach dem biblifchen erft noch den kirchlichen Standpunkt einnehmen und von ba and bie ardo oder oecomomia salutis überſchauen. Die Grundzüge dazu gaben die Reformatoren ſelbſt und bie Symbole, Freilich waren neben der vocatio ihre Earbis nalbegriffe fides und iustificatio. Diefe wurden “or Allem jgergliebert neben dem ber camvrersio, Hierin nun Liegen die Stamina der erft fpäter auf Veraulaſſung der Pieti⸗ fen audgebildeten Heildordnung. Deren Bildner muß man proteftantifche GScholaftifer nennen. Dad verräth ihr Berl Quenſtedt, der am vollendeiften bie proteſtantiſche Dogmatik in ihrem fcholakifchen Schematiemus gibt, ordnet fo: vocalie, regeneratie, conversio, iustißestie, poenitentia, unio mystica, aanchicatie. Dawirb ikkuminstio, &e bei Luther (cat. min. II, 6.) durch ben Zufat suis de- nis und die Stellung zwiſchen voestio and sanckificatio

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viel reicher und tiefer gefaßt war, vor conversio gefeht, ohne der iustifientio zu gedenken; fie iſt dadurch um ihre fittliche Macht gebracht und in einfeitiger Beſchraͤnkung anf ben Verſtand gefaßt. Regeneratio und conversio, bie durch jene als ihre Spite vollendet wird und In die saneti- fiestio übergeht, Pommt da vor Austificatio zu fliehen, fo dag auch nicht einmal ber pelagianifhe Anftrich fehlt. Poenitentia ift nach ber Austificatio geftellt, was ohne Birfennung ber Momente de6 Begriffes Wiedergeburt gar nicht gefchehen feyn Tann. Ammon hat auf bie Ein» fachheit der Reformatoren zurüdgeführt; er fegt ale Helldordunng (summ.ed.IV.p.265.): ut vocati credemns, credentes coram deo insontes et iustl habeamur, iusti autem deelarati ad meiorem in dies vitae sanctitatem progrediamer. Die Berufung fommt an den, der außerhalb des Reiches Gottes che; im Glauben folgt er dem Rufe, tritt wit der Rechtfertigung Aber die Srenze und bie Heiligung if fein Wandern innerhalb bed göttlichen Reichsgebietes. Rur das iſt auffällig, daß bei der erften Station, wie fie bezeichnet tft, zunächſt die göttlihe Thätigkeit, bei der zweiten mit Ades Die menſchliche, dann wieder mit instiientio Gottes Urtheil und endlih wit der sanctifl- atio die durch Hulfe des göttlichen Geiſtes mögliche Thätigfeit des Menfchen in dem bezeichnenden Ausdrucke hervorgehoben iſt, alfo ein Wechfel herrfcht, und ein Ueberfpringen von Gott auf Menfch und von ihm wie, der anf Bott. Soll die Heildordnung beftimmt werden, jo it «6 nothwendig, fle entweder von der Thätigfeit Gottes oder von den Erfahrungen des Menfchen ans zu dezeichnen. Darum Tann man ficher mit Schleiermacher bei den zwei Stufen, der Wiedergeburt und Heiligung, wohl ſtehen bleiben, zumal die erfte gegliedert ift in Bes fehrung und Rechtfertigung, jene wieder in Buße und | Glauben, und die Buße in Neue und Ginnesänderung. Ganz gut bilder die Nechtfertigung den Uebergang zur B *

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Vollendung oder zum völligen Eintritteber Wiebergebnrt. Dabei aber, baß der Glaube einen Fortfchritt in der Ent⸗ widelung der Wiedergeburt, einen Entwidelungstnoten in den Wachsthume des Gläubigen bilden fol, faun id, mich nicht zufrieden geben. Soll der Glaube der ans dere Theil der Bekehrung feyn nach und neben der Buße, fo ift nicht6 dagegen zu fagen, fobald man mit Calvin (inst. IN, 3, 5.) den Glauben fo faßt, als fey feine summe, ut a nobis demigrantes ad deum convertamur. Jedoch gehört Diefe Befchreibung der erbaulihen Nede an, und: man bat ihn vielmehr mit der Apologie, in Uebereinftimmung mit Saloin (ebend. 2,8.), al$notitia, assensus, fiducia zu fafr fen. Dann aber erkennt man ihn nicht fowohl als ein Moment einer Station in der Heildorbnung, als viel mehr als die Baſis an, breit genug, bas ganze Ge: bäude des Heils zu umfaffen, aber auch tief genug, es zu tragen, bid ed in. der unio mystica und glorificatio ſich vollendet. Der Ausdruck Bafis, Fundament rechtfertigt fi durch Die biblifche Bezeichnung unferer Erlöfung ale einer Erbauung. Im Sinne fagt jener Ausdruck daffelbe, was die Concordienformel (S. 584.) in dem Gage aus⸗ fpridht: confitemur solam fidem esse illed medium et instrumentum, quo Christum salvatorem et ita in Christo iustitjam, quae coram iudicio dei consistere potest, appre- hendimus. Der Glaube ift die Bermittelung des Geis fted Chrifti und feines Heiles mit dem hülfsbebärftigen und des göttlichen Geiftes einpfänglichen Menſchengeiſte. Darin liegt nothwendig zweierlei, einmal, baß er eben Sache ift des ganzen Menfchen nach feinem intellectuellen wie nach feinem fittlichen Vermögen, und fodann, fo fehr er auch Sache des Menfchengeiftes iſt, doch in ſich haben muß als das Wefentliche die Beziehung auf dad Göttliche. Ohne jened aber entbehrte er der aneignenden Kraft in Bezug auf die Erlöfung, die weber bloß eine intellectuelle, noch eine bloß fittliche iR; wäre aber das

die Sünden ber Wicdergeborenen. 383

Andere nicht, fo fehlte der jeher Verbindung zum Grunde Hegeude innere Zug. Iſt aber der Glaube wefentlich eine Beziehung auf das Böttlidhe, das doch das recht eigent- lich Lebendige ift, fo muß man andy fagen, daß der Glaube eben fo fehr Botted, als des Menfchen Werk it, da Bett nicht ergriffen, ihm nicht gemaht werden kann, wenn. er nicht ergreift und fi naht. Das ftellt den Glauben ald die Bermittelung zwifchen Gott und Mens hen fell. Das if die Form feines Weſens. Das Mer fen des Glaubens aber ift Zuverfiht (Hebr. 11, 1.), nicht Uebergeugung, die nur innerhalb der Erfenntniß liegt, fondern eine gewifle Zuverficht, eine zweifellofe, verwe⸗ gene Gewißheit innerhalb des Selbſtbewußtſeyns, das von feiner Richtigkeit und Beichränttheit weiß, auf Grund der Ewigkeit und Unendlichkeit Gottes, zu deffen Bilde‘ ded Menfchen Geiſt gefchaffen iſt. Der Glaube ift alfo völige Gewißheit des perſonlichen Beiftes im Menfchen von dem Unendlichen, von Gott; ber Gläubige ift der in Gott erhobene und mit Gott erfüllte Menſch. Voll⸗ lommen ift Gott, aber nicht die Erkenntniß und Erfaſ⸗ fung Gottes im Menfchen. Darin liegt die Möglichkeit uud Nothwendigkeit der Vervolllommnung des Glaubens. Und dieſe Vervollkommnung liegt nicht ſowohl in der Ver⸗ Rärkung der Gewißheit bed Glaubens, der ja völlige Gewißheit ift, als vielmehr einmal in der Sicherung der ununterbrochenen Stetigleit innerhalb des den Störungen und Strömungen ded Lebens unterworfenen Selbfibes wußtſeyns, und zweitens in der Bewirtung. immer grös ßerer Neinheit und Wirkſamkeit des Gottesbewußtſeyns. Darin befiebt dad Wachsthum ded Glaubens, der, ob» wohl von Anfang an Glaube an das Göttliche, doch noch nicht Glaube an Bott in Chriſto if. So iſt der Glaube bleibende Baſis für Aneiguung des Held und wird immer mehr.

Der Blid in den Bang ber Heildorbuung weiſt uns Die Wirklichkeit dieſer Wahrheit. Der Meunſch if zuerſt der Berufene, mag der Ruf fo ober anders an ihn fommen. Der Ruf kommt von Bott, befien Worte eben fo fehr Thaten find, als feine Thaten Worte werben für den. Bläubigen, ber in feinem Glauben bie ſich Bett öffuende Empfänglichkeit hat. Dieſer Glaube If bei aller Gewißheit noch unbeftimmt in feinem Gehalte. Bon bie fee Uubeftimmtheit löſt ihn Die Annahme des Rufes. Im diefer Annahme nimmt er etwas Beſtimmtes an, das er auf fi wirken läßt. Die Werke der Schöpfung küunm ibm ein Ruf werben, und das Göttliche gilt ihn nun ale Schöpfer; ober bad Bewiflen vernimmt den Nuf, und das Göttliche wird nun als Befeggeber gefühlt; oder aus der Gefchichte ertönt der Ruf und das Gsttliche wird erfaßt ald der Herr; oder aus ber hei Ugen Schrift redet Bott zu dem Menfchen, und dad @öttlihe teitt als heiliger, erziehender Bater zu ihm. Leberwiegt hier im Glauben zunädhlt das Mer ment, das in der Kirchenlehre notitia bezeichnet iſt, fo iR doch eben, weil diefe motitie uur ein Moment des gewiß fen Glaubens if, eine fittlidde Bewegung Dabei, wie fie ein assensus und durch ihn als llchergang auch Aidaca if, Uad das um fo mehr, ba ber ganze Menſch, der denken wollende und bad Wollen denfende Gel, ber Geiſt des dad Denken und Wollen verbindenden Gemü⸗ thes, im Glauben angeregt if. Es kann nun ber Menſch nicht anders, ald eine Bergleichung feines Wandels mit dem Walten Gottes in der Natur und in der Gefchichte, nach dem Gewiſſen, der Stimme, und nach der Schrift, dem Worte Gottes, anzuftelen, Die Genauigkeit diefes Bergleiches if abhängig won dem burch bie Berufung mehr oder weniger beftimmten Olauben, von dem größe: ren oder geringeren Gewinn an Beflimmtheit in Folge des Rufes. Diefer Vergleich reflectirt auf das vergan

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gene Beben, auf das Ziel, das bisher verfolgt, auf die Thaten, die bisher vollbracht, auf die Motive, die bis⸗ ber geleitet, auf den Zuſtand des Gemüthes, der id biöher gebildes, auf deu Charakter, der ſich biöher ents widelt. Und je mehr Dad am deutlichſten redende Bots tedwort in ber Schrift, in dem lebendigen Worte, in Chriſtus, Map und Licht Darreicht, befto Deutlicher und befimmier wird Das Ergebniß. Weſentlich wird es darin beſtehen, daB gu dem Beifalle an dem erfaunten Gott Misfallen an dem eigenen Wefen, wie ed ift, tritt. Bei⸗ des zuſammen if die Reue, und indem fie wahr und kräftig if, muß fie ein euer feyn, bad die anf einem guten Grunde anfgefchichteten Stoppeln, Hen und Holz verzehrt, und in die Sinnesaͤnderung fchlägt nochwendig die Reue um, indem fie auf bad Bergangene ficht und and der Gegenwart fick dev berenende Glaube nach dem Zutünftigen ſtreckt. Beides, Rene und Ginnesänderung, machen die Buße and. Durch die Buße wird der Glaube in feiner fistlichen Beziehung eben fo ſehr verſtärkt, ale er darch Die Berufung in der intellestuellen Beſtimmtheit gefördert war. So weit if far, daß der Blaube noch nicht der eigentlich chriſtliche, der Blaube an Ehriftum iſt. Den fittlichen Proceß auch außerhalb bes Chriſten⸗ thuus vermittelt ach fo der Glanbe. Gben fo Mar if aber auch, daß der Glaube in feiner Gewißheit von dem unendlich Börtlichen neben dem Drängen nach größerer Beſtimmtheit, in Bezug anf ben Gegenſtand, gugleich das Drängen nach fittlidh geheiligter und intellectwell ers lenchteter Perfönlichleit hat. Darin liegt ald.ihm inhäs- rirend Die Beziehung anf folche Perſönlichkeit. Diefe iR und gegeben in Ehrifto, daher auch außerhalb ber chriſt⸗ lichen Gemeinfchaft fo viel Hinweife auf Ehriftus, ale Spuren des Glaubens ſich finden. Auf die bezeichnete Perföntichleit Dräugt num der durch die Berufung und Buße in feiner Unbeſtimmtheit anfgehobene und zur Ber

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ftimmtheit weiter geführte Glaube, der eben weſentlich auf Bildung ber wahren Perfönlichkeit ausgeht, der Per, fönlichkeit, die vor Bott gefällig if, Daher der Aufching an Ehrifind, das Ebenbild Gottes, den Menfchen, wie er ſeyn fol, den Urmenfchen, den Gottmenfchen; das innigfte Anfchmiegen an Chriſtus, ber lebendigſte Um» gang nnd Verkehr mit ihm. Da wird die Gewißheit bes Glaubens eine Gewißheit von Gott in Ehriſto, und Daß Gottes Wahrheit und Gnade in Ehrifto offenbar gewor⸗ den if. So geht der Glanbe mit dem, der ihn hat, in die Rechtfertigung und Berföhnung, und dur und mit diefen in die Wiedergeburt ein, mit ber ein neues Leben beginnt, das ſich in der Heiligung fortfegt und vollendet. Der Glaube bleibt die Vermittelung; er vermittelt Die Rechtfertigung und Verföhnung; er vermittelt die Wie⸗ dergeburt, er vermittelt die Heiligung. Cine Aenderung in feiner Gewißheit erfährt er nicht, aber wie fein Ge genftand beflimmter und näher -erfaßt wird, fo wird nun um ber allgegenwärtigen Allmacht der Liebe des heiligen Gottes in Ehrifto willen die Gewißheit des Glaubens im Menſchen vor lnterbrechungen bewahrt und der Den Glauben habende Geift vor Trübungen und Verſtimmun⸗ gen gefhüpt, fo daß gleichmäßig mit dem Objecte das Subject ded Glaubens völliger erfagewird. Darum kann man fagen, baß der Glaube felbft völliger wird, und daß er es nur wird durch die Stufen, auf die er erhebt, muß man dazu fegen. Darum if ber Slaube die Baſis, nicht aber eine Stufe des Hell, obgleich fi) nachwei⸗ fen läßt, daß ber durch die Buße gereinigte und bie Rechtfertigung vermittelnde Glaube ber eigentliche chrifts liche, der fellgmachende, der Glaube an Ehriftus gewor⸗ den feyn muß.

4) Run läßt ſich der Begriff der Wiedergeburt Mar und fcharf faffen. Sie ift der Act, den ber Ölande an den Erlöfer ald unmittelbare Folge der Rechtfertigung

über die Sünden der Wiedergeborenen. 387

und Berföhuung vollzieht, alſo ein Act des recht⸗ fertigenden Gottes und des verföhnten Menſchen, ein Sc, in welchem Ehriſtus entfchieden Princip bed neuen Lebens wird, alfo dad Princip der Sündloſigkeit if im Wiebergeborenen. Durch die Wiedergeburt geht ee ja zur Heiligung, fo wie ed aus der Rechtfertigung umd der Berföhnung in die Wiedergeburt ging. Diefe Stellung der Wiedergeburt macht die Stellung des Wiedergebore⸗ zen zur Sünde unzweiftihaft und weit darauf bin, daß ein fündlofes, heiliges ‚Princip in ibm mächtig umb ges fhäftig geworden ift. Allein die Wiedergeburt iſt feine neue Schöpfung. Die menfchliche Natur bleibst, bie bisherige . Geſtaltung des Lebens bleibt; wie die Beftimmtheit als Menſch, welche gar nicht weggefchafft wird und werden jol, fo danert auch bie fo und fo gewordene Beſtimmt⸗ heit des einzelnen Menſchen; diefe aber foll innerhalb je, ner eine andere, eine neue werden. Man kann mit Hin⸗ bit anf die Wiedergeburt die Berufung ald Zengung, die Belehrung ale die erſten Lebensregungen anufehen, fe daß Die Wiedergeburt die Vollendung des in Berufung und Belehrung Borbereiteten if. Darum ift ber Wieders geborene den alten, Menfchen los geworben, aber nicht die menfchliche Natut. Der alte Menſch if weſentlich Bezeichnung des unter der Herrichaft der Sinnlichkeit und unter der Macht der Bünde Stehenden. Diefe Herr, haft und Macht it gebrochen, und aus der Knechtſchaft der Sünde if eine Feindſchaft wider fie geworben durch die Wiedergeburt. Der Wiebergeborene, vorher Knecht der Sunde, feit der Berufung aber ein unwilliger Knecht, iR nun ein Diener der Gerechtigkeit geworden. Es tritt aber nicht der volkommene Dienk der Gerechtigkeit ein; diefe Vollkommenheit bewirkt erſt ber Fortſchritt in der Helligung. Der Dienft der Gerechtigkeit, intenfio noch nicht vollkommen, Tann bei dem Wiedergeboreuen aber auch noch nicht extenſiv fletig, im unnnterbrochenen Zus

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ſammenhauge ſeyn. Was jene Volllommenheit noch zus rũckhalt uud dieſe Stetigkeit noch unterbricht, iſt daſſelbe, die Nachwirkung jener gebrochenen, unterbrochenen Kuechtſchaft der Saͤude. Der Wiedergeborene fündigt alſo noch, aber im Dienfte der Gerechtigkeit. Das gibt ein Zwicfaches, das feRgehalten werben muß. Das Nochfündigen ſpricht aus, DaB die früheren Sünden fih wiederholen, alfe neue Reihen von Sünden nicht entichen, wiewobl bie alte Sünde den Anfang in neuen Richtungen verfuct, bei dem Heftigen im Zorne wider fehlende Brüder, beim Ehrgeigigen in geiſtlichem Hochmuthe, beim Zrägen in Sicherheit; und daß 06 im Diese der Gerechtigkeit ger ſchieht, macht Mar, daß der Wiedergeborene nicht als ſolcher, alſo nicht ald Diener der Sünde bie Sünbe thut, fie alfo eigentlich nicht thun wii, ſobald er fie alfo gethau, ſich ſchmerzlich berührt und ersegt fühlen wird.

Daher ſagt Sohannes (1. Br. 3,9.) mit Recht: za 6 yaysvunplnog ix od BEod apagrlav ol zasi, wei od Odvaseı dungrevsw, Ors da vo Bsod yeyivugsas. Damit zu vergleichen it, was Bere 6. gejagt if: zäs 6 dump- schvev oby Eagumev adrov, abös Eyymmıy absov. Aber Johannes gibt in beiden Berfen die tiefere Einheit für feine Behauptungen, indem er bad aivam ivadıa ald Ber dingung ſetzt. Se hat fchon Chriſtus gefagt (Ioh.15, 6): äkv mei vis uelon dv ipol, Eßirin Ein, og vo Ama, sei iinedväy nal auvdyovay avek wc eig zug Bdllove: zei zelsraı. Johannes, ber Apoſtel der Liebe, welche bleibt, wenn der Glanbe im Schauen aufgeht. und die Hoffnung zur Erfüllung wird, Rebt auf einem fo hohen idealen Standpuntte für feine religiöfe wie fittliche IBeltanfchau- ung, wie fein anderer Apoftel, Lind wie. hier Ansfprüche vorliegen, welche die Höhe feines idealen religiöfen Stand⸗ puuftes angeben, fo haben wir ein Maß für die. Höhe in Bezug anf feinen fittlichen Standpunkt in dem, daß

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er fagt: Wer feinen Bender haft, der if ein Todtſchla⸗ ger. Und boch zicht er das „Bleiben in Ehriſto“ ald Ber dingung herein, fo daß man bie Wahrheit Dex Idee, welche er gibt, durchaus nicht ald ig Widerfpruche mit der Wirklichkeit des Lebend fehen kann.

‚Can; anders tritt die Meinung ber Wiedertäuferis fhen auf, weiche auch behaupten, daß die Wiedergebors⸗ nen nicht zum Tode fündigen. Luther macht damit bes faunt (Art. Sehm. HL, 42,); er führt ihre Meinung au: Alle, die einmal den heiligen Geiſt ober Vergebung der Gäuden empfangen hätten und gläubig geworben wären, blieben doch, auch wenn fie fündigten, im Glauben uud ihnen ſchade die Sünde nicht. Daher ihr Gefchrei: thu, was du will; glaube nur; ed fchabet nichts; Der Blaube hebt alle Sünde auf, Goldye nennt er sootarıi uud insani komines, die er. zur Zeit des Banernkriegs kennen gelerut habe. Die Concordienformel nennt ſolche Behauptungen (sol. deei. IV, 81.) false et Episures opinio, ja pestilen-

tiecias persunsie. Hiermit ift ein Extrem gegeben, in dem Grundanſicht it, der Blänbige, der Wiedergeborene era

halte mit und im feinen Sunden doch das Heil und bie Geligkeit. Diefe ertreme Behauptung iR wie jedes Er⸗ trem, ift wie bei der Pendelſchwingung ein Außerfted, von m abs und zurüdgegangen werden muß. Das geichieht ganz einfady durch Die Formel, daB man fagt, der Wie⸗ dergebosene verkiere Glauben, Rechtfertigung und Gnade nicht trotz bee Sunde, zu Der er ja immer die Berges bung durch. Bußfertigkeit bringe,

Johannes faßt im Zuftaude des Wiedergeborenen bie Macht ded göttlichen Principe ind Auge, ohue das Ber» derbliche der Sünde zu überſehen; die Wiedertäufer aber überfehen es, da fie wonnetrunken fich im Aufchauen ber Herrlichkeit der Wiedergeburt verlieren. Der Apofel feht Die Sünde der Wiedergeborenen ale im Abnehmen, im Verſchwinden, nud faßt feine Behauptung vom Stande

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penslte bed Glaubens und des gewiffen Sieges aus. Das su bat er fein guted Recht. Man faßt barum das Res fultat bis hieher ficher und um fo lieber mit Auguſtin und Calvin, ale diefe eben auf Botted Wort fich, ihr Leben und ihre Lehre gründeten; ber leßtere fagt Cinst. BL, 3, 11.): Praestat hoc quidem deus, sues regenerando, at pecsati regnum in ipsis abolestur ; sed regnare tantum, non etiam habitare desinit.

So ift die Wiedergeburt, in Rüdficht auf dad Ber hältwiß des Wiedergeborenen zur Sünde, der Uebergang von ber Herrſchaft der Sinnlichkeit und der Macht der Sünde in den Dienft der Gerechtigkeit mit völliger Euts fchiedenheit des Geiſtes, eben. fo Har in der Erkenntniß als fer in. der Willensrichtung.

5) Wir mögen nun anknüpfen, wo wir wollen an dem chriftlichen Idealiomus des Johannes, oder an dem unſittlichen Fanatismus der Wiedertänfer, au ben Audfprüchen der größten Theologen bed Abendlandbes oder an. der Ansdeinanderfegung des Begriffes der Wie⸗ dergeburt, darüber ift fein Zweifel, bag Wiebergeborene noch fündigen. Das aber wird in Frage geftellt, ob fie durch ihre Sünde wieder aus der Gnade und Wahrheit der: Wiedergeburt fallen können.

Worauf weift die Schrift? Genau genommen, gibt ed. mehr als eine Stelle, die entfcheibeube Antwort gibt. Sm Briefe an die Hebräer ift einmal (10, 26.) die Rede von Solchen, weldye Sxovalmg auagrdvous:, nadıdem fie die Erkenntniß der Wahrheit empfangen hatten (pex& sd Aaßsiv chv iulyvacıw vg dA.). Sind die unter 1. und 2. gegebenen Stellungen uud Nuseinanderfegungen richtig, fo iR bier von Wiedergeborenen die Rede. Auch auf das Gleichniß von dem Menfchen, von dem ber böfe Geiſt ausgegangen ift, fo daß er ein olxog dssapmudvos und xexogunutvog und sgoAdtaw)(das ifl: bereit, den heiligen Geiſt aufzunehmen, nicht aber, wie Luther überſetzt: müs

die Sänden ber. Wiedergeborenen. 391

Big) genannt werben kann, kann man ſich beziehen. Frei⸗ lich in bed Erlsſers Beſtimmungen liegt nicht die Begeich- nung der Wiedergeburt ale vollzogen, nur alö der vor» bereiteten. Aber Petrus beftinnmt feines Meiſters Rebe dahin (2. Br, 2, 20.), da er auf Grund dieſes Gleich» niffed, wie Bibel erflärend, von Solchen redet, die wohl daopvyöwrss ck meddpera od xösuov find und zwar By inıyvaassı Tod xuglov jur zul aeijgog’ Indoü Xgıorod, und doch wieder äumiandwrss todroıg werden, fo daß fie befier av 6809 zig dinaoadvung gar wicht kennen gelernt hätten. Hier nun abgefehen von der Zxwlyvadız, beren Object freilich vom Petrus noch beflimmter augegeben if, als im Hebräerbriefe, fo daß man fieht, er meine bafs ſelbe, was wir oben mit dem Principe bed neuen Les bens von ber Wiedergeburt an bezeichnet hatten, fo it hier der Begriff dıxasosdvn wichtig, welche nur wirt lich it im Gerechtfertigten und Berföhnten, und von deren 6dös unr die Rebe feyu kann beim: Wiedergeborenen,

Bor Allem wichtig und entfcheidend iſt Hebr. 6, 46. Da find genannt Yarıadivrss, yavddısvor zus dmgsäs rüg dmiovgavlov, uiroyoı yerndivres avsduarog dylov, zaldv ysuodpsvor Dsod bnua Öuvadnsız cs ulAAovrog alöwog. Wenn hier nicht Wiedergeborene bezeichnet find, fo find ſie's nirgends. Und trog aller Präbdicate, die auf eine gefunde und gefegnete Wiedergeburt‘ hindeuten, wirb ans genommen, daß jene doch nicht etwa nur dunprdvovreg, fondern zagansodvrss werden Fönnten.

Dazu nehme ich noch die Gollectioftelle aus Paulus Briefen an den Timotheus: deflen wiarıs dvuzöagıros (II, 1, 5.) erfreut den Paulus; er nennt ihn fein yurjarov tixvov dv alarsı (I, 1, 2.) und erinnert ihn, dvafosvpsiv ydpıspa sod Beoü, das in ihm fey (II, 1, 6.). Diele Babe if ber heilige Geil. Timotheus gilt dem Paulus als Wiedergeborener, und dennoch bittet er beufelben, des Zengniffes von Jeſus ſich nicht zu ſchämen (II. 1,8.) und

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fi zu bewahren bie Zulage durch den heiligen Beift, ber in ihm wohne (ebend. 14.); er fchreibt ihm, daß Viele ab» treten würden vom Glauben cl, 4, 1.), und ermahut yäterlich andringend, ja feſt an ſtehen.

Die Möglidyleit, daß der Wiedergeborene nicht allein fhubige, fondern auch and dem Gnabenſtande heraus—⸗ falle, it innerhalb des neuen Teſtaments gefetzt. Wäre das nicht, fo wäre ed undenkbar, wie die Kirchenlehyrer dazu gelommen wären, peccatam mertale auch in ben renatio zu finden uud bie Sünde wider den heiligen Geiſt in homine adulte, regenito, setis illuminato (Duenftebt) au fegen. Noch weniger aber wäre denkbar, Daß bie Kirche zwifchen den Wieder⸗ und noch nicht Wiedergeborenen In Bezug auf Sacrament, Wort und Gebet keine Unter⸗ fchiede gefeßt haben follte. Die Taufe ik Sacrament des Ghriiwerdeng, das Abendmahl das bes Ehriibieis bend. Wiebergeborene Ehriften, bie zu jeder Glinde nothwenbig, ebemweil file Wiedergeborene find, Buße unb Bergebung bringen würden, könnten die vorbereitende Beichte nicht in demfelben Sinne gebrauchen als Unwie⸗ Dergeborene. Des Worted der Schrift zur Abllärung, Berförtung und Befekigung könnten fie eben fo wenig im demfelben Sinne als die noch nicht Wiedergeborenen bebürftig ſeyn, uud mit der fünften, fechöten und fieben- ten Bitte würde es ſich ebenfo verhalten. Der Glaube wärbe ja bei ihnen als ein perpetaum mobile wirfen und bei folcher Wirkſamkeit müßte es ein andered Bewußtfenn, ein anderes Berhältniß für die Wiedergeborenen geben, als die Kirche mit ihren Inflitntionen vorausſetzt. Schrift und Kirche ſetzen gleihmäßig die Möglichkeit nicht bloß der "Günde, fondern auch ber Todfüube ber Wiederge dorenen, oder ed wird nicht bloß der Kampf wider bie mehr und mehr verfchwindende Sünde in dem Wieder⸗ geborenen angenommen, fondern auch bie Möglichkeit der

Nieberlage. Diefe Möglichkeit aber wirb von Einigen

die Sünden bee Miedergeborenen. 393

für eine Unmöglichkeit bei dem wahrhaft Wiedergeborenen ober ald Beweis einer Täufchung in Bezug auf die Wie⸗ dergeburt feſtgehalten.

Worin fol das liegen, daß die Günbe ber Wieder⸗ gebogenen nicht von ber Art ſeyn ober werden könne, fo daß die Wiedergeburt wieder aufgehoben fey? Im dem Wiedergeborenen ober in ber Sünde? Iſt der letzte Grund Davon, daß der Wiebergeborene durch feine Sünde ben Guadenſtand verliert, in der Sünde gm fuchen, fo bat man nachzuſehen, wie. fi die Sünbe, bie Anßerlich oder innerlich ald That hierbei zu faffen iR, zu bem vers hält, der fie thut; denn auch ale Zuſtand ift fie, fohern fie nicht völlig überwunden, noch nicht todt, alfo leben⸗ big if, nicht ohne durchbrechende Thätigleit zu begrei⸗ fen. Daher der Proteſtantiosmus dem Kathelicidmus gegenüber , ber beflimmte Sünden als Todfünden nam⸗ baft macht, ertlärt, ſolches nicht zu vermögen, und er kann denn Anlagen, als fey das Beweis feiner linfitts lichfelt, ruhig entgeguen, daß darin vielmehr feine Mittliche Strenge, die Strenge inneser Gittlichleit ſich beweiſe, da ja fogar Unwahrheit, ganz abgefehen won ber Form, in weicher fie auftritt, Todſünde ſeyn kaun. Auf Das beſſere Wiffen und Gewiſſen fommt es an, gegen welches wit Bewußtfeyn gehandelt wird. Daher Tommi man, dad Gebiet der Sünde angefehen, auf die Behauptung von der Wleichheit der Sünde. Und wie das Wort wahr R: was wicht and dem Blauben kommt, it Sünde, fo iR wahr auch, bag Die Sünde nicht aus dem Glauben fommen könne. Die Sünde ift ale nicht aus dem Blaus ben, alſo auch wider den Glauben zu faflen. Denn wie der Glaube eine Sünde Aberwindende Macht if, fo iſt Bie Eünde eine den Glauben hindernde, vertilgende Gewalt, Eiehiuun das feſt, daß Wiedergeborene noch fündigen, fo wird, da in ihnen der Glaube an Chriſtud, dad Pringip der Gändlofigkeis, bebendig geworden HR, angenommen, Bo

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noch etwas im ihmen fey, das nicht Glaube it, vom Glan⸗ ben noch nicht ergriffen und überwunden if. So viel dem Glauben noch entgegenfteht, fo viel fehlt ihm noch. Der Kampf des Glaubens mit der Sünde iſt alfo im Wiedergeboreuen gefeht, und mit dem Kampfe auch bie Möglichkeit der Riederlage. Die einzelne Sünde if nur die Erfcheinung der Sundhaftigkeit, and es heißt nicht, daß fie nnd, fonbern daß wir ihr abfterben follen. Dafr ſelbe Ich, das den Glauben des Wiebergeborenen hat, bat auch dad Bewußtfeyn der Sündhaftigleit und thut die Sünde. Die Wahrfcheinlicyleit des Sieges mag anf dad Höchfte gefpannt werden, aber mit dem Kampfe ifl immer noch die Möglichkeit der Niederlage geſetzt. Wie eben in Bezug auf Sünde bie fatholifche Unterfcheidung abgewiefen werben mußte, fo gilt es auch, die Fatholifche Faſſung des Begriffes Wiedergeburt zu verwerfen. Die Katholiken fehen die Wiedergeburt ale eine übernatür- lihe Eingießung der göttlihen Gerechtigkeit an. Es heißt (coucil. Trid. ses. VI. cap. 7.): Iustificatie ılon est sola peccstorum remissio, ned et sanctißeatio et renovstio interioris hominis per veluntariam suseeptionem gratise et donorum: unde hemo ex iniusto fit insims etc. Die einzige formale Urſache ift institis del, qua nes justos facit, qua vere. iusti nominamur et sumus, iustitiem in nobis reoipientes. Wit ihnen flunmen hierin Quäler und Mennoniten überein. So aber wird die heilige Schrift, und das Leben wie das Selbfibewußtfeyn der Wieder⸗ geborenen Lügen geftraft. Es if keine rhetorifche Exagge⸗ ration, wenn Augnflin dem Hieronymus fchreibt (opp. Il, 166.): quis denique amicus nou fermidetur quasi futurus inimicus, si potuit inter Hieronymum et Ruflnum hoc quod plangimus exoririt O misers et miseranda conditie! O iafida in voluntatibus amicorum scientia praegentiem, ubi nulis est praescieutis futurorum! Sed quid hoc alteri de altero gemendum putem, quande nec ipse gaidem sibi homo

die Sänden der Wiebergeborenen. 395

notus est in posterum? Novit enim utcunque, vix forte, nunc qualis sit; qualis autem postes faturus sit, ignorat. Neben der Gewißheit, mie Bott verföähnt, vor ihm ges sechtfertigt zu ſeyn, iſt ab und zu Sorge um dad Heil, Gurt vor Ber Günbe, Ungewißheit und Gchwanfen. Uud wie iſt's denn, wenn die Wiebergeboruen zu ihren Sünden die Bergebung bringen? Doch nicht ohme dem Schmerz der Reue, in dem Doch bie Gewißheit der Ber» gebung noch nicht fofort mit enthalten ſeyn kann, ber fi nur in biefe verliert durch die Bermittelung des Erloͤſers und feined Wortes; denn hier id Ende des Geſetzes nnd ber Drohung und Grund deB Evangeliums und ber Verheißung. IR die Neue wahr, dann ift aber auch das Gefühl der Unwürdigkeit dabei, und es ift im Wieder, gebornen gleichfam eig Schrei, wie bei jenem Bläubigen: Herr, ich bin wiebergeboren , hilf mir zur Wiedergeburt! Er fühle, wie die Sünde, die gleihfam den Einfchlag des das neue Leben webenden Glaubens bilden möchte, manchen Faden zerreißt, der ind ewige Leben reicht, Sollte denn aber bad decretum iustificationis in deo mutabile ſeyn? Wie Gott die Wiedergeburt vorausfieht, fo auch den Berinf und die iirnenerung, wie's fommt, Die Wahr beit der Idee kommt dach in ber Wirklichkeit nur in Bruchtheilen vor, und mit ber Wirklichkeit des Menſchen, wie er iR, und ber Macht des Böfen muß man ed eben fo genau nehmen, ale man fi hüten muß, die Kraft Gottes und Macht Ehrifti in dem Wiebergeborenen unter den Begriff eine® perpetuam mobile zu ftellen, das immer noch nicht vealifirt if.

Als Reſultat möchte ich wohl in Schletermacher’s Sormel (der chriſtl. Glaube G. 111.): die Sünden derer im Staube der Heiligung bringen ihre Vergebung immer ſchon mit ſich und vermögen nicht bie göttlihe Gnade der Wiedergeburt aufzuheben, weil fie fhon immer ber

Theol, Stud, Jahrg. 1847. 27

396 Nupprecht

rampft werden bie Wahrheit der Idee ſinden, um der Wirklichkeit willen aber fo fagen, daß bei aller Wahr, fcheinlichteit des Sieges doc; bie Möglichkeit ber Nieder⸗ lage gefegt werden muß, und die Sünden ber Wieder geborenen den Gnadenflaud nicht aufheben, fofern fl ſofort befämpft werben.

2.

Die Parabel von den Arbeitern im Weinberge. Matth, 20, 1- 16. | Von j Sobaun Matthäus Nuppredt, Pfarrer zu Kroͤgelſtein in Bayern.

Su den ſchwierigſten Parabeln gehört wuflreitig Die Parabel von den Arbeitern im Weinberg, mad es hat dieſelbe fehr werfchiebenartige Deutungen erfähren, ohne daß jeboc ein befriebigended Reſultat erzielt worden wäre. Möge die nachfolgende Betrachtung derfelben ale ein Verſuch gelten, das Berkändnig der Parabel feinen Biele näher zu führen!

Es geht derfeiden das befannte Geſprüch Ehriſti mit dem reichen Süngling voraus, ber fich am Ende trans rig entfernte, weil er fi um ſeines Reichthums willen, der fein Herz gefeffelt hatte, nicht zur Nachfolge Ehriki entfchließen konnte, mit welcher die vollſtaͤndigſte Selbit- verleugnung und Verzichtleitung anf alle irdifchen Güter verbunden war. Diefem gegenüber richtete Petrus bie

die Parabel von den Arheiternim Weinberge. 397

Srage an den Heren: Giche, wir haben Nies verlaffen und And dir nacgefolgt: was wird und dafür? Die Autwort anf biefe Krage findet ih Kap. 10, 28. in fper ciellee Begichung auf die Apoftel, und V. 29, in Bezie⸗ tung auf Wille, welche ſich zur Gelbfiverleugnung und unbedingten Rachfolge Chrifti eutichließen können. Die Jünger Chriſti waren aber damald noch in einem Zu⸗ Rande großer Unvollkommenheit und konnten fehr leicht in die Gefahr ded Rück⸗ und Abfalld fommen, wie ſich davon ein Beifpiel Ich. 6, 66— 71, findet und wie Iſchariot wirklich fpäter von den Zmölfen ausſchied, ober 6 konnte bei ihrer Nachfolge wenigftend noch etwas fehr Unreined mit unterlaufen, wie die gleich (B. 20 ff.) fol- gende Unterredung mit den Kindern Zebebäi, fowie manche andere Stelle beweiſt, and ber hervorgeht, daß felbft Die Apoſtel immer an irbifche Herrlichkeit dachten, und wie endlich auch jene Frage bed Petrus nicht von Selbſt⸗ gefälligleie und Eigennutz frei gewefen zu ſeyn ſcheint. Daher ſetzte Chriſtus feiner Antwort die warnenben Worte bei: woAlol di Esovras zgW@ro: Eayaroı, xal Eayaroı zone. Was wollen diefe Worte fagen? Es beficht eine Anficht, nach welcher zoAlol die Bedeutung von „Rlle” haben fol, und dieß wirb damit gerechtfertigt, daß der Gegenſatz V. 30. ſchon allgemein heiße: Und die teten werden die Erften ſeya; daß V. 16. auch der 2. 20. ſch ein bar beichräntend ausgedrädte Sau allgemein gefaßt werde; daB im Gleichniß auch alle Erften die Resten werden; daß nah Wahl nodlol auh Alle heiße, wie Matth, 20, 28. 26, 28. Aber um mit dem Renten anzufangen diefe Auffaflung von zoAlol ift keineswegs ſprachlich zu rechtfertigen; denn nicht einmal ol xoaaoi heißt Alle (vgl. Winer’d Gr. 4. Aufl. S.96.), geſchweige das Wort ohne ben Artikel, Auch an den bes zeichneten Stellen behält es feine gewöhnliche Bedeutung : 97 *

398 Ruppredht

Biele, da ſich dort keineswegs eine Andentung findet, wie weit fi die Kraft des Erlöfungstedes Ehrifli ers firedden werde, und wollte man bieß angebentet finden, fo würde gerade an diefen Gtellen dem Worte feine ge: wöhnliche Bedeutung zu vindiciren feyn, ba ja keineswegs die verfühnende Kraft des Blutes Ehrifti ſich über Alle er- ſtreckt, fondern nur über die Gläubigen (Joh, 3, 16. Gal. 3, 21.). Ebenſo iſt auch an nnferer Stelle nicht von dem Quantum die Rede, fonbern bloß der Gegenſatz, der zwifchen den vielen Berufenen und wenigen Auder- wählten ftattfindet, zu berüdfichtigen. Was fobann Die Parabel betrifft, fo verfteht fich von ſelbſt, daß in derſel⸗ ben alle Erfien die Leiten werben, da ja nur ein Bei fpiel gegeben werben follte, wie die Erften die Legten nud die Lehten die Erften werben können, alfo von einer Ausnahme in der Sleichnigerzählung gar nicht die Rede zu feyn braucht, Daher iR auch der Ausfprud V. 16, keineswegs dem Sinne, ſondern nur deu Morten nad von B. 30. verfchieben, und iſt eben fo geſtellt, weil er fidy ganz eng an die Parabel aufchließt, in weicher bloß von folhen Erften die Rebe ift, welche wirklich die Letz⸗ ten mwurben, und umgefehrt. Es kann alfo der Siun von B, 16. nur ber feyn: So faun und wird es geſche⸗ hen, daß die Letzten, d. i. Solhe, welche gegen Andere als die Leuten betrachtet werden müſſen, Erſte feyn wer, den, nnd umgekehrt. Was endlich ben Gegenſatz oder das zweite Glied iu B. 30. betrifft, fo iſt Har, daß aus dem erften Gliede zoARol hinzugedacht werden muß, wie auch im Deutfchen, wenn wir fagen: Biele Erſte aber werden Letzte feyn, und Lebte Erſte. Und dieß iſt auch der einzig richtige Sinn diefer Worte, wie ſich auch aus der Bergleihung diefed Ausſpruchs bei Lukas (13, 30.) ergibt, eine Stelle, au welcher nach dem Gonterte noch mehr als hier der Ausſpruch im allgemeinen Sinue

bie Parabel von den Arbeitern im Weinberge. 399

zu erwarten wäre, und wo er bennoch in diefer Form Reht: zul I80B, slaiv Fayaroı,, ot Esovrzs zgwroı, xel clot zg@r0:, ol Edovras Eoyaroı, denn wenn auch bei Lukas biefer Ausſpruch bei anderer Gelegenheit gebraucht ift, fo flieht er doch in feinem andern Sinne, und dient daher fehr zur Erflärung des Sinnes, den diefe Worte an uns ferer Stelle haben. Dieß wird auch Mar, wenn wir bie Beziehung dieſer Worte an unferer Stelle ind Auge faffen. Es find nämlich diefelben mit deutlicher Bezie⸗ hung auf die Apoſtel gefprochen, welche ald die Erften in der Nachfolge Ehrifti erfcheinen, und fomit als dies jenigen, weldye das erfte Anrecht auf die ausgefprochenen Verheißungen hatten, und auf den Jüngling, der ja auch noch ſeine Liebe zum Neichthume verlieren und zur Theils nahme am Reiche Gottes gefchict werden konnte, fo daß er dann, wenn bieß wirklich gefchah, gegen die Apoftel als Einer der Zayaroı angefehen werden mußte, während er bei der Ertheilung des Lohnes unter die zpwroı fon men kounte =). Papt für diefe Beziehung der Worte auch noch die Bedeutung Alle für zoAol? Mit welchem Rechte man aber diefe Hoffnung in Beziehung auf ben

ı) Wimmer in feiner trefflihen Abhandlung über Matth. 19, 16-22. in den Stud. u. Arit. 3. 1845 H. I. fagt hierüber: „Infofern aber der Vorſchlag Jeſu auch in den Charakterfehlern des Jünglings Grund und Halt fand, mußte er einen Stachel in der Seele deſſelben zurüdtaffen, durch den feine bisherige Selbſt⸗ jufriedenbeit zerſtoͤrt und fo die Möglichkeit einer künftigen Eins nesänderung vorbereitet ward, daher ſich auch ber Züngling nicht, wie es fonft zu gefchehen pflegt, wenn fidh Jemand eben gegen bie Mahnung bes Buten für bas Beharren in feinen Fehlern entichieben bat, in @rbitterung und Haß ober mit Spott unb Hohn, fondern betrübt von Jeſu entfernt, ein fichtliches Zeichen, daß mit der Verwerfung bes Buten ber Kampf in feinem Innern noch Feines» wege geenbigt war.”

400 Rupprecht

reichen Jüngling unefprechen darf, wie wenig er troß feiner Liebe zum Reichthume dem Reiche Gottes ferne ftand, das beweift feine fihtlich ernft und redlich gemeinte Frage; das beweilt feine Traurigkeit, ald er eine Bedin⸗ gung hörte, deren Erfüllung zur Erreichung feines Wun⸗ fches ihm unmöglidh fchien; das liegt endlich in dem Ausdrude: Aydımdev adrdv, welchen wir von ber Stims mung Jeſu gegen diefen Süngling in der Paralleiftelle Marl. 10, 21. finden, fo wie in den Worten: xzapk di ed advra Övvord (B, 26.) advra, alſo auch die Herzen zu Ienfen, von den Banden, die fie gefangen halten, zu befreien und für das Himmelreich gu gewinnen.

An jene Worte der Warnung nun fchließt fidh deut: lih die Parabel ald Erläuterung an, wie aus dem ydo V. 1. (vgl. über die Bedeutung deſſelben Winer’s Gramm. 4. Aufl. $.57,4.6. 414. und ©. 417.) und aus den Schlußworten V. 16. obrooç Eayaroı hervorgeht; und indem wir an die nähere Erklärung des Inhalts ber Parabel im Einzelnen gehen, müflen wir und das Necht vorbehalten, die parabolifche Erzählung an und für fich ohne genaue Ausdentung der einzelnen Züge zu betrachten, wie dieß auch bei andern Parabeln, 3.8. bei der vom ungerechten Haußhalter, nöthig if.

Es wird und ein Hausvater vorgeftellt, welcher mit Tagesanbruch (&ua goal) ausging und um einen ber flimmten Lohn Arbeiter in feinen Weinberg miethete, Später ging er wieder zu verfchiebenen Tagedftunden aus, fand jedesmal Leute müßig fichen und fchidte fie auch in feinen Weinberg, jedoch bloß mit dem Verſpre⸗ chen, ihnen zu geben, was recht fey; denn dem ganzen Taglohn konnten fle ja nicht mehr erwarten, da fie nicht gleih am Morgen in die Arbeit eingetreten waren. Daß fie ohne Widerrede der Aufforderung folgten, beweilt, daß es ihnen darum zu thun war, Arbeit zu befommten

die Parabel von den Acheitern im Weinberge. 401

(Or obdsig Aus iscdaisaro) nnd baß fie Dem Worte bes Heren trauten und erkannten, daß fle keinen Anfprach auf den Taglohn zu machen hätten. Als der Keierabend kam, befahl der Herr des Weinberge, daß zuerſt biejenis gen ihren Lohn ausbezahlt erhielten, welche zuletzt in die Arbeit eingetreten waren, und ließ ihnen ben ganzen Zaglohn ansbezahlen. Da nun die Erfien an bie Reihe famen, welche den ganzen Tag gearbeitet, meinten fie, fie würden mehr empfangen, und murrten ber ben Handherren, da fie ſahen, daß fie auch nicht mehr em⸗ pfingen, als jene. Der Herr aber fagte ihnen, daß ihnen nicht Unrecht gefchehe, da fie ja den ausgemachten Lohn erhielten; überdieß flehe es ihm ja frei, fein Eigenthum zu verfchenten, wie er wolle, und er fey vielmehr für feine Güte zu preifen, als für ungerecht zu halten.

Der Hauptgedanke, der durch diefe Parabel verans fhaulicht werben fol, ift der, daß in Beziehung auf bie Theilnahme an den Gütern nnd Gegnungen des Hims melreihd vor Gott Fein Verdienſt gelte, fondern daß Alles, was an den Menſchen gefchieht, ein Werk ber freien Gnade Gottes fey,

Es werden nämlich bier die Menſchen nach ihrer Beziehung zum Reiche Gottes, und infofern fie für diefen ihren himmliſchen Herrn thätig oder unthätig find, dargeſtellt. Im erfteen Kalle hei» Ben fie Zpydraı iv cm duzsiamı, im audern Kalle sarürss tvrd dyopg apyol. Unter dem „Warkte” ift demnach nicht die Welt zu verfichen, da andy bie in weltlichen Dins gen fleißigſten und. eifrigften unter dieſe Mäßiggänger gehören können, fondern der Markt ift vielmehr nur im Allgemeinen Bezeichnung ded Orts, wo bie müßigen Leute berumfichen, und die Redensart iaravaı dv ij dyogd Gpyods ald Bezeichnung derer zu faffen, welche in Ber jiehung auf Das Himmelreich noch nichts gethau

402 Aupprecht

haben, noch von rein weltlichen Sefluuungen voll ſind, noch für rein weltliche Zwede leben, gegenüber den Ars beitern im Weinberg, d. i. denen, welche fich bereite dem Dienfte Gottes ergeben haben, bie eine göttlihe Gefln- nnng in fih tragen und fih auch in dem zeitlichen Bes eufögefchäften burch Diefelbe leiten laſſen, alfo in dem Sinne fi dem Himmelreihe zugewendet haben, der fich in Stellen ausgedrückt findet, wie Matth. 6, 10 11. 38. Phil. 3, 20. 1 Thefl. 5, 17.

Run zeigt fih die Gnade ſchon in der Berufung zur Arbeit im Weinberg. Zwar ift hier von einem gu- 08000da: der erften Arbeiter die Rebe; aber bie widers ſpricht diefer Annahme nicht. MicDodcdea: heißt: um Lohn miethen oder pachten. Wie geichah das? Der Hausherr bot den Leuten, die er fand, Arbeit an, uud verfprach ihnen einen befimmten Lohn dafür, welcher Antrag dann von denfelben angenommen wurde (Ovupunicag xri. B. 2.). Wir fehen fo in dieſem Ausdrud einen deutlichen Fin- gerzeig auf jene Frage des Petrus und deren Beautwor⸗ tung 8. 19, 27—29. Bir fagen nun zwar nicht: „bie erftberufenen Arbeiter find Die Apoftel”, denn im ſtreng⸗ fin Sinne wäre auf fie dad moddcacsdeus nidt ans wendbar gewefen; aber wohl behaupten wir, daß, durch jene Frage veranlaßt, der Herr ein Gleichnig wählte, von dem die Apoftel die Anwendung auf ſich maden konnten; denn fie hatten ja auf die Frage: Was wird und dafür? die Verheißung eines beſtimmten Lohues erhalten. Damit ſteht aber nicht in Widerfpruch, wenn wir fagen, daß bie Berufung der Apoftel felbft ein Gnadenwerk war, denn es hatte ja auch die Berheißung des Lohnes keinen Grüund in einem, weun anch erſt zu erwerbenden, Berdienfle, wie ber Ausgang der Parabel zeigt und wie was wir gleich al& weitere Anwendung des &EsAHsiv des Hausvaters ans geben können alle diejenigen befeunen, welche bie auf

die Parabel von den Arbeitern im Weinberge. 403

den heutigen Tag wahre Blieder bed Himmelreichs gewors den find, indem diefelben wohl wiſſen unb zugeben, Daß fie une durch Gottes Gunade geworben find, was fie ſiad (1 Kor. 15, 10. Job. 6, 44. 65. ıe.); und daß ihnen Bott feinen Lohn ſchuldig if, daß fie vielmehr nur ihrer urs fpränglichen Beftimmung gemäß Ichen, wenn fie „Arbeiter im Beinberg” find, und daß vielmehr fie foldhe Arbeit dem Herrn, ihrem Sort, ſchnldig find. Dieß tritt befonder® bei denen fiark hervor, welche unter die fpäter Berufenen gehören, denn Soldye müfjen ed ald eine beſon⸗ dere Gnade betrachten, daß fie nur noch gerufen wurden, und alfo noch einen Lohn erhalten follen, den fie um fo mehr der Gnade Gottes anheimftellen werden, je fpäter fie in die Arbeit im Weinberg eingetreten fiub, je länger fe ald „Müpiggäuger am Marfte geftanden” hatten, je weniger fie alfo im Stande find, fich ein Verdienſt zuzu⸗ meflen 5 iv 4 dlumov, den Suiv (B. 4). Wer find aber die fpäter Berufenen? oder mit andern Worten: was haben wir unter ber Bernfuug gu ben verſchiede⸗ nen Stunden au verfichen?

Dier müflen wir und gleich von vorn herein gegen jede Annahme alttefamentlicher Zeitperioben verwahren, da die Baaıkela row obgavav (B.1.) im nenen Teflanente nie und nirgends anders, als mit der Erfcheinung Chriſti anf Erden beginnend gedacht wird, und alle Gleichniſſe, welche ſich auf Diefelbe beziehen, von dem durch Chris Rum gegründeten Reich Gottes, nicht von ber Zeit der Borbereitung anf Daffelbe zu verfichen find. Sollen aber beſtimmte Zeitmomente für jede der genannten Tages⸗ Aunden angegeben werben, fo wird eine ſolche Angabe, fo lange wir bei der hiftorifchen Beziehung der Parabel bleis ben, nicht möglich ſeyn, fowdern wir werben vielmehr aus nehmen müſſen, daß zwar diefe Angabe beflinmter Gtuns den in ber parabolifchen Erzählung nothwendig fey, bei

404 Rupprecht

der Buwenbung aber aus im Algemeinen auf Die zwiſchen ben Beginn der Arbeit (agad) und das Ende Derfelben oder den Eiutritt der Lohnertheilung (dıblag Yyavonduns) fallende Zeit gebentes werde, ohne daß gerade eine gewiſſe Anzahl und beflimmte Zeitmomente angenommen werden müßsen, indem eben nur von foldyen Menſchen Die Rede fey, welche nicht fo frübzeitig als die Apoftel, fondern erft ſpätet fi dem Neiche Gottes zuwandten oder zuwenden würden. Und daß dann auf Solche das Wort des Herrn: 6 div I Olzasov, dcr Upiv anzuwenden ift, kann bloß in dem Begenfage zu jenem beftimmt ausgeſprochenen Lohne (K. 19, 28.) feinen Grund haben.

Es fragt fih aber, ob man überhaupt diefe hiſto⸗ riſche Beziehung beibehalten dürfſe. Thut mau dieß näms lich, fo entfliehen Schwierigkeiten, deren Löfung nicht wohl möglich feyn möchte. Jedenfalls muß dann die Zeit, in ber dad V. 8 ff, vorgeht, auf den jüngfien Tag bezogen werben. Hierbei entficht aber zunächft dad Bedenken, daB ja die Apoſtel nicht bie zum jüngften Tage in ihrer Wirkſamkeit ſtehen, fondern längſt fchon von ihrer Arbeit abgerufen find, was auch von jeder Gattung der fpäter Berufenen gilt, während doch nach der Parabel Alle bie zum Abend arbeiten. Sodann iſt gar nicht abzufeben, inwiefern ein Uinterfchied, wie ber in des Parabel an⸗ gebeutete, swifchen jenen erften und zwilchen fpäter le» benden Jüngern flattfinden könnte. Es muß alfo eine andere, als die rein hiftorifche Beziehung geſucht werben.

Da wirb nun einerfeitd angenommen a), „baß die frühere oder fpätere Berufung nur Rebenfache und Hülle einer darin verborgenen Wahrheit” fey, indem man „nicht fowohl den Außeren Linterfchieb einer längeren oder fürgeren Gemeinſchaft mit Jeſu, als vielmehr das lirtheil

a) So von Fisco, die Parabeln Jeſu.

die Parabel von den Arbeitern im Weinberge. 403

ber Menfchen über ſich felbft, Ihren Werth und ihre Ver⸗ dienklichkeit zu verfichen” habe, woraus Dann freilich wit - Rothwenbigkeit die oben beſprochene Bedeutung des z0Mol, für „Ale, folgen würde, da in denen, welde zuerft in den Weinherg eintraten, alfo am längſten ars beiteten, „der Mangel an Berteauen und Anſpruchloſig⸗ feit,”” in den zuletzt berufenen Arbeitern „bad Vorhanden⸗ ſeyn diefer Tugenden dargefiellt wäre. Aber abgefehen davon, daB dann die mittleren Stunden völlig müßig da ſtänden, werden auf diefe Weiſe diefe fo ſtark hervortre⸗ tenden Züge des Bildes gar zu fehr in den Hintergrund geheft und, man möchte faft fagen, verflüchtigt, ale daß man fich zu diefer Annahme ohne Zwang entfchließen könnte. Auch wird dann nöthig, „anch die Austheilung des Lohnes ſelbſt nur ale Hülle einer Wahrheit” zu bes trachten, und ed wäre diefelbe „und die dabei vorkom⸗ menden Reden nur Form, durch welche offenbar werben fol, welche Gefinnung dem Herrn des Weinbergs an feinen Arbeitern am meiſten gefällt, welche er vorzugs⸗ weife begnabdigt, und wie gerecht und gütig er dabei vers führt.” Wollen wir aber auch die Annahme einer folchen „Form' oder „Hülle einer Wahrheit” in Beziehnng auf die bei der Austheilung des Lohnes vorkommenden Reden gelten laſſen, fo ift doch ber Ausdruck dblag de yevonkung zu begeichnend und ſtark hervortretend, ale daß er bloße Ausmahlung der Erzählung feyn, und nicht eine Hindeutung auf einen beſtimmt eintretenden Zeit⸗ punkt enthalten foflte, fo wie wir auch die Austheilung des Lohnes nicht ald Hülle einer Wahrheit zu erkennen vermögen, fondern vielmehr darin die Hinweifung auf eine wirklich eintretende Thatfache fehen. IR doch auch in jener Berheißung (19, 28.), mit der unfere Parabel in fo enger Verbindung flieht, eine wirkliche Lohnerthei⸗ lung zugefagt und ein beflimmter Zeitpunkt angegeben,

28 Buppredht

und feibſt B. 29., wo die Worte: SInarovrauiaulove Adbsras, zu dem Lohne gehören können, ben „jede Thä- tigfeit für Gott in feinem Weinberg unmittelbar mit führt nnd den alle feine Knechte ſchon anf Erden ſchme⸗ den”, befonderd wenn man bie Barallele Marf. 10, 30. und uf, 18, 30. damit vergleicht, wo ausdrücklich dv zu suoc vovzo babei fieht, fehlt doch nicht die Hinweifung auf deu zu einem beſtimmten Zeitpunkt eintretenden Lohn in den Worten: xal form aldwıov zAnpovounias (vergl. die Yarall.: xal iv ro alämı koyontvo Gary aldwıov). Eben fo mißlich ift aubererfeitd die Annahme, daß hier die Berfchiedenheit ber Zeit angebeutet fey, in welcher die Berufung zur Gemeinichaft Ehriki an ganze Voͤlker ergebe, da hiervon bie fchon gemachte Bemerkung gilt, daß ia in diefem Kalle in der früheren oder fpäteren Bes rufung fein rund eines Borzugs oder einer Zurückſetzung läge, und auch offenbar nicht von gauzen Maſſen, fon dern von einzelnen Menſchen bier die Rede iſt; oder daß anf die Kindheit, die Tugend, das Mannes und bed Breis fenalter hingedeutet werde, denn wollte man auch ben Eintritt deffen, was von B. 8. angefagt ift, auf die Zeit des Todes beziehen, (was ja in diefem Falle gefchehen müßte, da hier auch ben verfchiebenen Stunden wieder ihre beftimmte Beziehung gegeben: ift), fo müßten ja noths wendig alle Berufenen das Greiſenalter erreichen, da fonft wieder eine große lingleichheit heraus kaͤme und nicht von den Erkkbernfenen gefagt werden lönnte, fie haben den ganz zen Tag, und ihnen gegenüber von den ketzten, fie haben nur eine Stunde gearbeitet!

Diefe Erflärungen alle laſſen fi fo wenig halten, als die rein hiftorifche Beziehung der Parabel. Wir wen- ben un® daher zu folgender Betrachtungsweife.

Petrus hatte gefagt: Wir haben Alles verlaffen und find dir nachgefolgt, d. h. wir haben bir aflen unjeren Beſitz aufgeopfert und unfer ganzes Leben dir geweiht:

die Yarabel von ben Arbeitern im Weinberge, 407

was wird und bafür? unb der Herr hatte ihm ſammt den Äbrigen Jüngern eine herrliche Belohnung zugefagt. Eine Hinweifung darauf haben wir bereitö im Aufauge unferer Parabel gefunden, Run fagt der Herr weiter: Andere kommen erſt fpät zu dieſem Entichlufle, erſt im der dritten, fechöten, nennten ober gar elften Stunde der Weltzeit? oder des Menfchenalterö? Nein, der Lkebenszeit! Denn wir verfiehen das nicht im ber eben - ah zurüdgewiefenen Weiſe von allgemein gültigen. Zeit befimmungen,, ſondern wir laflen für die verfchiebenen Zageöflunden nur eine relative Beſtimmung au, je nach der Lebensdauer der Einzelnen. Als Auhaltöpunkt dient und dabei die elfte Stunde, welche nad der damaligen jüdifhen Tageseintheilung bie nächſte vor ber lebten Stunde, alfo in Beziehung auf die Lebensdauer eine Menfchen die nächfle Zeit vor dem Tode it, fo baßalfo z. B. der befehrte Schädher am Kreuze unter die Glafle ber Arbeiter gehörte, welche bid zur elften Stunde mäßig am Markte geftanden hatten. Hieraus gebt freilich her⸗ vor, daß Riemand willen kann, auf weldhe Stunde der Zeiger feiner Lebensnuhr weifet; aber befto erwecklicher if eben für Seben diefe Bleichnißrede, da ja Niemand wife fen kann, ob nicht feine elfte Stunde fchon geichlagen hat, Auch iſt eine genaue Berechuung und Beſtimmung der übrigen Lebendftunden nicht nöthig, da Die genannten Stunden nur beifpielöweife angeführt And, indem eben fo gut die zweite, fünfte, flebente Stunde genannt ſeyn könnte, ohne daß der Sache dadurch Eintrag gefchehen wäre, Nur bei diefer- Annahme iſt es möglich, eine paſ⸗ fende Anwendung ber einzelnen Züge des Gleichniſſes zu finden, welche, weun fie auch feine genaue, bis ins Ein» jelne gehende Ausdentung zulaflen, doch gewiß ihre beſtiumte Bedeutung haben, Zwar fcheint bei biefer Auffaffung das Apa zgmi, welches offenbar eine hiſtoriſche

308 Kupprecht

Beſichung hat, nicht im dAs rechte Berhältwiß gu den Darauf folgenden verfchiedenen Stunden zu treten, wenn dieſe verfchiebene Momente der Kebendgeit bezeich- nen follen; «ber man bedenke nur Folgendes: Zuerſt mußte nothwendig mit der Erfcheinung Ehrifi dad Him⸗ melreich gefchichtlich im die Welt eintreten; nachdem es aber ba war, trat außer feinem gefchichtlichen Fort⸗ fehreiten auch gu jedem Einzelnen in Beziehung, ber ſich 4m zuwaudte, was in Den verfchiebenften Lebensperioden geicheben konnte. Ja wir ldanen fagen, feitbem das HSimmelreich in wie Welt eingetreten ift, bezwedt bie Dre digt des Evangeliums gerade, ed da und dort den Ein⸗ zelnen nahe zu beingen, welche dann als Einzelne ober durch befondere Guadenwirkung Gottes in größeren Maſ⸗ fen in den verſchiedenſten Tebensaltern fich demſelben zu: wenden. Nachdem nun Ehrikus, der auch ſchon Kap. 19, 29. neben den Apoſteln feine fpäteren Nachfolger ins Auge gefaßt hatte, im Blicke auf diejenigen, welche gleich bei der erfien möglichen. Anerbietung des Herrn Folge geleiſtet hatten (Kap. 19, 27.), und dem reihen Iünglinge gegenäber das öbsideiv äua om zri. des Hausherren aus⸗ geſprochen hat, führt er, an diefed Aue zgwl antuüpfend, die paraboliſche Erzählung dadurch weiter fort, baß er 4m Bhide auf den reichen Jungling und fpätere Nachfol⸗ ger auch Meätere Tagesſtunden erwähnt, ohne daß diefe eine weitere hiftorifche Beziehung zu haben brauchen, fon» dem fo, daß darin nur praktiſch anwendbare Winke für alle diejenigen enthalten find, an weiche auch noch ber Ruf zur Urbeit im. Weinberge ergehen würde, ber aber andy, wie e6 bei jenem reichen Jünglinge der Fall war, das erſte Mal und wohl audı öfter ohne Folge bleiben fann, in weldem Falle dann die Parabel nach die er: weiterte Anwendung zuläßt, daß der Ruf bes Herren audı m ein und daſſelbe Individuum wiederholt, zu verſchie⸗

die Parabel von ben Arbeitern im Weinberge. 408

denen Stunden (der Lebenszeit deö Gerufenen) ergehen fann, bie ihm endlich Folge geleitet wird, Diefe Auf⸗ faſſung der verfchiebenen Tagesſtunden wirb auch begün⸗ ſtigt durch Die Art, wie bie fpäter noch in den Weinberg Eingetretenen bezeichnet werben, indem er ſie £ararag ev vjj dyood deyods nemmt, was doch unmöglich von Sol⸗ chen gefagt werben kann, welche fpäter als bie Apoſtel lebten, wohl aber vom denen, die ſich erſt in ihren fpäteren Lebensjahren dem Reiche Botted zuwandten. Ein ſolcher Wechſel des Bebentung der Bilder einer Par rabel findet fich auch Kap.22. und Eut.14; denn Matth. 22, 10 €. und Ent. 14, 21 ff. verliert ſich fihtlich die hiſto⸗ tifhe Beziehung, welche in ben vorhergehenden Verſen unleugbar vorwaltet.

Es Bleibt nun noch die Frage übrig, ob bei Der praktiſchen Anwendung ber Parabel nicht auch das Ay 008 feine Stelle finde. Died kann allerdings gefchehen, wenn wir es nach der biöher befolgten Erflärungsweife von ber erſten Zeit des Lebend, der früheſten Kindheit verfichen. Wir werben es dann auf Solche beziehen mäf fen, welche etwa dem Samuel oder Johannes Dem Täus fer gleichen, die von Kind anf Diener des Herrn waren, der dem Timotheus, wenn man nach 2 Tim, 3, 14, 16. auf deſſen geifligen Zuftand, wie er von Kindheit an war, fchließen darf; oder, um aus der neuern Zeit Bei⸗ fpiele zu nennen, auf Beute, wie Zinzendorf und Gpener, von denen man fagt, daß fie nie aus der Taufgnade ge fallen feyen; oder auf Solche, welche fehr frühzeitig ſtar⸗ ben, aber fon von ihren früheften Kinberjahren an deutliche Beweiſe außerordentlicher Gnadenwirkungen an ihrem Geiſte und Derzen gegeben hatten, an weicher Art Beifpielen es nicht fehlt. Wollte man dabei bas uıchd- 6e6dm urgiren, fo’ tönnte die wohl in ähnlicher Weiſe, wie die Anwendung davon auf die Apoſtel ſchon

410 uppreiht .

gezeigt wurde auf die mit dem erſten Eintritte ins Himmelreich verbundenen Berheißungen bezogen werben, wie folche in dem Gacramente der Taufe liegen, während auf diejenigen, weldhe aus ber Taufgnade fielen und erft nachher, früher oder fpäter durch Buße und Glau⸗ beu wieder erneuert wurben, ber Ausdruck: 8 die Z Öl- zaov, dose Guiv feine paffende Anwendung fände. Wir wenden und nun zur Betrachtung des zweiten Theils der Parabel, der von der Lohnertheilung handelt. Wir haben bereitd die Worte oͤplag yavopkung anf bie Zeit des Todes bezogen, da ber Feierabend des Lebens eintritt, und unterflüpen dieſe Anficht noch mit 2 Tim. 4, 7. 8. Apot᷑. 14, 13. (dadovs), Enl. 16, 22 ff. 23, 43.; und fiher deutet audy die Stelle Matth. 25, 21. 23. 30. zu: nähft auf dieſen Zeitpunkt bin, was um fo glaublicher erfcheint, als dort bloß von dem, was die Einzelnen zu erwarten haben, die Rede if. Den bier erzählten Borgang auf den jüngken Tag zu verlegen, iR nicht nur durchans kein zwingender Grund vorhanden, fondern nach unferer biöherigen Betrachtung erfcheint diefe Ber ziehung auch nicht einmal ald angemeflen. Dieß erhellt noch mehr, wenu wir und der Frage zuwenden, ob bie erfigesnfenen Arbeiter nach der Darficlung V. 10 ff. ale vom Himmtelreiche ausgefchlofen betrachtet werden müfs fen. Diefe Frage erledigt fich von felbfi, wenn wir bes benten, daß hier von lauter wirklichen Arbeitern im Weinberge die Rede if, allo von Leuten, welche die Ver⸗ beißung eines Lohnes haben und ihn al6 Arbeiter auch empfangen müflen, während nur Diejenigen von jedem Antheile am Lohne ausgeſchloſſen bleiben können, welche bis zum „Ubend” mäßig am Markte fiehen dlei- ben. Es ik daher bier nur von einer Ertheilung des Lohnes die Rede, und feine Spur von einer Scheibung su finden, wie file am jungſten Tage eintreten wird. Auch

die Parabel von den. Arbeitern im Weinberge. 411

in Ösays (V. 13.) liegt dioſe Ausſchließung nicht, welches ſ. v. a. daögovcs vöv modöv aurav (Kap. 6, 2.) ſeyn Toll, wie fchon die Bergleichung mit B. 4, zeigt, wo bafleibe Wort in demfelben Sinne wie hier, bloß vom Weggehen, Sichentfernen, gebraucht wird. Eben fo Kap.16,23, und 4, 10., wo die Üble Nebenbedentung nicht im Worte liegt, fondern durch dalsn uow ausgedrüdt iſt. In Umayps liegt alfo hier bloß die Abweifung des Unzufriedenen.

Wenn nun aber nit von einer Ausſchließung von Himmelreiche die Rebe ift, fo fragt fih, was man. fidh bei önmeigso» zu denken habe, und wenn wirflich Seber feinen Lohn empfing, worin denn ber Unterſchied zwiſchen den Erften und Letzten lag. Ein dnvdosov war ohue Zweifel der damals gewöhnliche Tagelohn. Wir deuten nun diefe Münze fo wenig aus, als andere einzelne Züge der Parabel, welche wefentlich zum Ganzen ber Erzähr lung gehören, fondern finden bloß im Allgemeinen den Lohn dadurch angedeutet, und ſagen: fo wie in trdifchen Verhältniffen der Arbeiter nach der Arbeit feinen Lohn bekommt, fo hat auch der, welcher fein Leben dem Dienſte Gottes‘ weiht, die Berheißung eines Lohnes, wenn feine Arbeitözeit aus if. Und worin befteht derfeibe? Im Allgemeinen ift die Antwort fhon Kap. 19, 29. gegeben; wo al& dieſer Lohn das Erben bed ewigen Lebend ger nannt iſt; denn bad vorhergehende Sxarovraxiaciove imbsras, welches. nach Bergleichnng mit den Parall. mit Beziehung auf Das zeitliche Leben gefagt if, können wir niht dazu rechnen, da hier von dem Lohne die. Rebe it, der nad) vollendeter Arbeitszeit erft eintritt, Und diefen Lohn ſollen Ale, auch die Erfien, die zu Lege ten gemacht wurden, eshalten? Allerdings, weil fie Alle Arbeiter im Dienſte des Herrn waren; aber doch mit Unterfchied. Ein Uinterfhied in diefer Belohnung im ewigen Leben if fchon Kap. 19,28, 29. —— Ein

Theol. Stud, Jahrg. 1847,

e.»

412 Rupprecht

folcher findet fig auch an anberen Stellen. Man vergl. 3. B., wad Kap. 10, 41.42., Kap. 25,28. 29. gefagt iſt. So befonder® 1 Kor. 3, 14, 15. Hier heißt von dem Eis nen: noddv Ayyara, von dem Anderen: Insmdnissscs, adrög 05 sadııasru, obroo O wg dk wvodc. Es iſt Mar, baß B. 14. von einem befonberen Lohue die Rede ift, ben der Aubere verlieren wirb Cinmaodressar), während doc) beide mit einander gemein haben, baß fie dad ewige Leben haben ſollen (sodrceıras). Zwar könnte man ſa⸗ gen, diefer Lohn, ben der Erſte vor dem Anderen voraus bat, trete fchon in diefer Zeit ein; aber abgefehen Davon, daß dirfer Verluſt dem Anderen durch dem einigen Ge⸗ nuß des ewigen Lebens reichlich wieder erfegt wird, weiſt doch B.13. und der Ausbrud zavsi (B.14.) gar zu Deuts lich darauf bin, daß bier von einem Lohne die Rebe ift, Der wit dem jliugften Tage eintritt, deſſen Genug alfo ind ewige Leben fällt, Es mäflen Daher nothwendig bie jenfeitigen Zuſtände verfchiebene Stufen ober Grade ha; ben, oder wenn das nicht wäre, ſo müßte wenigſtens ein und derfelbe Zufand für die verfchiedenen Individuen ein verfchiedener feyn, je nad ihrer verfchiedenen geifigen Individualität. Doc erfcheint dieß Lebtere weniger an, nehmbar, ald das Erftere, da ja dann für die Einen der Genuß der Seligfeit ein unvollländiger, getrübter, alfo kein wirklicher Genuß der Seligleit wäre, während bei ber eriteren Annahme keinem Theile an feiner Seligkeit etwas abgeht, indem Jeder in feiner Sphäre volllommen felig feyn kann, Seder an feiner Stelle zur Berherrlichung bee Herren beitragen fann, ganz analog ber Berfchiebenheit ber Stände und Berufdarten in den bieffeitigen Berhält- niffen; denn Reid und Mißgunſt und Selbſterhebung fällt ja dort ganz weg, Liebe nnd Demuth befeelt Alle auf gleiche Weile. Auf eine Berfchiebenheit in den jenfeitigen Verhältuiffen deutet offenbar auch das bin, was wir ale

die Parabel von ben Arbeitern im Weinberge, 413

Aenßerung des Herrn gegen bie Söhne Zebebät (Matth. 20, 23.) und in ben Berheißungen Apok. Kap.2, und 3. leſen. Ja unferer Parabel if das freilich nicht mir Beſtimmt⸗ beit ausgefprochen, aber es if doc, angebeutet, indem die Letzten zuerft belohnt werden wodurch theile bie Bevorzugung berfelben, theild die Gnade ded Herrn deſto ſtärker und bentlicher hervorgehoben werben konnte, da hierdurch das darauf folgende Geſpräͤch veranlagt wird und indem fie gleichen vollen Taglohn mit den Erſten erhalten, welcher ihnen offenbar mehr war, ale den Anderen, wie fich bieß auch in ber Aeußerung umb Klage (B. 10-12.) ausprädt.

Fragen wir nadı dem Srunde, auf welchem biefe Zurädfegung ber zuerſt berufenen Arbeiter beruht, fo iſt derfelbe im ihrer Gemuthsbeſchaffenheit zu fnchen. Das eizev Ept abräv (B, 13.) weiſt dentlich auf die Frage des Petrus zuräd, welcher der Stimmführer für bie Abrigen Apoftel war, uud was wir bei der Betrachtung jener Frage ale Vermuthung andgefprochen haben, daß unter derfelben wohl Eigennu und Gelbfüberhebung, bem reihen ZJünglinge gegenüber, verborgen gewifen feyn mag, das wird hierdurch zur Gewißheit. Wie fchon bie Berufung zum Himmelseiche und bie Berheißung eines kohnes ein Werk der göttlichen Gnade it, fo auch bie Ertheilung des Lohne, Wie die Annahme der Berufung, diefelbe mag früher oder fpäter erfolgen, kein Berdienk begründet, fo ift and der Lohn Feine Belohnung eines Berdienfles, das man fi durch die Arbeit erworben hätte, fondern Gnadenlohn. Wie daher der Herr einen Kinderfinn als Bedingung der Thellnahme am Himmels reihe verlangt, fo wird Jeder, der fich demfelben zuge. wandt hat, deſto mehr Werth vor Bott haben, je Heiner er in feinen eigenen Augen geworben. Go exfcheint jene Frage des Petrus in einem ganz anderen Lichte, als daß,

2*

414 Rupprecht

mas dem Mofes zum Rode nacgefagt wird, wenn ed von ihm (Hebr. 11, 26.) heißt: dæéasat yüo eig rim pioßanodoclev, denn dort finden wir den reinen Dlid auf den Lohn, weicher den treuen Kucchten beö Herrn verheißen ift, gegenüber dem glängenden, aber eiteln und vergänglichen Lohne, welchen der Geuuß der Belt und Sünde bietet, während Petrus fich mit Selbfterbebung jenem reihen Sünglinge gegenüberfichte, der fidy noch nicht zu dem entfchließen konnte, was die Jünger längf gethban hatten... Das if es auch, was durd das Ges ſpräch des Hausvaterd mit den erfiberufenen Arbeitern dargeftellt werden fol, und ed wird nur noch ald Mo⸗ tiv dieſes Berfahrend angegeben, daß ja der Hausherr mit feinem Eigenthume nach freiem Belieben zu handeln das Recht habe, und als Folge, daß demnach vielmehr feine Blüte zu preifen fey, wenn er unverdiente Wohl⸗ thaten erweife, ald daß man gu benfelben fcheel fehen bürfe,

Nach diefer Darkkellung erhellt, daB man unter den murrenden Arbeitern (B.11.) nicht eigentlich Selbſtge⸗ rechte und Werkheilige zu verfiehen habe, da ja ſolche gar Seinen Lohn mehr zu erwarten haben ( .. .. modor ovx Eysrs zapd TO zarpL Uuhv ch Ev rois oügevoig und dxsyovdı röv ucddv auriv, Matth. 6, 1.2.5.16.). Es it vielmehr in diefer Darftellung bloß eine Warnung vor felblgerehten Gedanken enthalten; und fol len dieſe Arbeiter ja gewiffen Menfchen in der Wirklich feit entfprechen, fo find es vielmehr wahre, aber noch ſchwache, noch nicht bie zur völligen Demuth durchge⸗ drungene Chriften, wie die Apoftel damals waren (vgl. V. 20 ff. mit Mark. 10, 35 ff. 18, 1 ff. Luk. 22, 24 ff.). Somit finden wir in biefer Parabel eine Korderung ber Demuth und einen Preis der göttlichen Gnade.

Nun bleiben aber noch die Schlußworte: zoAlo! yap

bie Parabel von den Arbeitern im Weinberge. 415

sic, aAzol, dAlyos.öb Exiexrol zu betrachten übrig. a Diefen Worten fcheint auf den erften Blick eine Wis derlegung der bisherigen Erklärung zu liegen, benn fie fcheinen der Annahme, daß die erfibernfenen Arbeiter auh Theil am Himmelreiche haben, zu widerfprechen, Und wirklich kommen biefe Worte audı Kap. 22, 14. in dem Sinne vor, daß die dxdzxrol nur diejenigen find, die wirklich Theil haben, die Anderen aber, obgleich xAnzol, doch ausgeſchloſſen bleiben oder werden, Da aber bie‘ angegebenen Gründe hier die Annahme einer völligen Ausſchließung nicht zulaffen, fo bleibt nichts übrig, ale anzunehmen, daß dieſe Schlußworte eben nicht überall in einem und demſelben Sinne fiehen, fondern jedesmal nach dem Eontert erflärt werden müſſen a). Derfelbe Fall findet ja auch mit den Worten: zoAAol Esovraı zoeüror Eoyaros ara. ftatt, indem bei Luk. die Eayaroı im erften Gliede diejenigen find, melde aus den Heiden zur Ge: meinde Chriſti im Himmelreiche gefammelt werden, und im zweiten Gliede diejenigen, welche, urfprünglich dem Reihe Gotted angehörend, aus demfelben audgeftoßen werden (Uuds ÖE Exßailoutvovg Eo, B. 28.), weil ed dort der Bontert fo fordert. Demgemäß müffen wir auch in Beziehung anf die Schlußmorte fagen, daß nur dies jenigen unter den xAnroig als geradezu vom Himmelreiche ansgefchloffen betrachtet werben können, welche die Bes tafung ganz ausfchlagen, oder die nothwendige Bedingung nicht erfüllen, welche zur Theilnahme am Himmelreiche befähigt, wie beides Kap. 22. (V. 6f. u. V. IIf.) der Kal it, dergleichen aber in unferer Parabel nicht vorkoms

a) Bat. Bengel in Gnom. ad h. voc.: Videtur hocloco, ubi,pri- mum occurrit, non omnes sulvandos denotare, sed horum ez- cellentissimos.

416 Rupprecht, Die Parabel v. d. Arbeit, im Weinberge,

men. Wir könden daher biefe Worte nur fo verſtehen: Denn Viele find zwar berufen (und haben ber Berufung auch Folge geleiftet), aber unter biefen Berufenen find Wenige anderwählt, zoüros zu feyn (ſ. das letzte Glied der dieſen Schlußworten vorhergehenden Sentenz), weil ſich Wenige vermöge ihrer geiſtigen Beſchaffenheit dazu eignen, wodurch noch am Schluſſe der ganzen Rede je nen, den Apofteln zur Warnung gefagten Worten (Kap. 19, 30.) ein befonderer Fräftiger Nachdruck gegeben wird,

Recenfionen

1.

Das Wefen des dhriftlichen Glaubens vom Staudpunkte des Glaubens dargeftelt von W. M.L. de Wette, Doctor uud Profeffor der Theologie. Bafel, Schweig⸗ häufer’fche Buchhandlung, 1846.

Sa einer Zeit, bie dad nonum prematur in annum im⸗ mer mehr zu verlernen fcheint, in ber die Brofchürens litteratur zur Alles verichlingenden Sündfluth zu werben droht, aus eben diefem Grunde aber gediegene, zumal Ipftematifche Werke immer feltener werden, muß in der theologifchen Wiffenfchaft jedes Erzeugniß ernften Sleißes und gründlicher Beobachtung willfommen feyn. Berdanfen wir ein ſolches Überdieß noch einem Manne, dem die Wiffenfchaft fchon längft den Ehrenfranz um das Haupt gewunden, der nach den verfchiebenften Richtuns gen hin Bedeutendes und Treffliches geleiftet, der fein ganzes Leben ernfter Korfchung und nie raftender Thä⸗ tigfeit geweiht hat, dann haben wir in unferer Zeit ein doppelte Recht, daffelbe mit Freuden zu begrüßen. Dad Werk, dem wir diefe Anzeige widmen, fcheint und in vollem Maße einer folchen Begrüßung werth. Der Berfaffer deffelben hat einen allzu wohlbegrändeten theor logifhen Ruf, ale daß der Neid felbft ed wagen dürfte, denfelben anzutaften. Seit mehr als dreißig Jahren hat er auf den verfchiedenften Gebieten des theologifchen Wiſſens mit unermüdlichem Eifer geftrebt und gearbeitet.

420 De Bette

Als ein Mufter des Fleißes, ber Ausdauer und wiſſen⸗ ſchaftlichen Eraftes hat er uns Jüngeren vorangeleuchtet, und felb da, wo ihm nur Wenige gefolgt find, hat er vielfach angeregt und beiehrt. Beine Eritifchen und exe⸗ getifchen Urbeiten legen das rühmlichfte Zeugniß ab, wie er nie flille geflanden, fondern das docendo discimus ſich zum Lebendmotto gewählt hat. Eine Darlegung feiner ſyſtematiſchen Anfhauung vom Chriftenthume hatte er and feit längerer Zeit verſprochen; und wer follte nicht mit Bergnügen und Ausficht auf reiche Belehrung nad einem Werke greifen, das die Refultate dreißigjähriger Dentarbeit in fi faßt und gleihfam die Summe aller biöherigen Leitungen darftellt ?

Aber nicht nur, weil dad anzuzeigende Werk ben theolegifchen Lebensgang einer andgezeichneten Perfdus lichkeit gleihfam abfchließt, fondern noch mehr, weil es in die religiäfen Bewegungen der Zeit unmittelbar bins eingreift und *ben fo fehr dem kirchlichen Leben ale der theologifchen Wiſſenſchaft angehört, nimmt ed unfere volle Aufmerkſamkeit in Auſpruch. Es feheint überhaupt bie Zeit immer mehr hinter nnd zu liegen, weiche die Wiflenfchaft ale etwas Abgefondertes vom Le⸗ ben betrachtete nnd der einen bienen zu können glaubte, während man das andere kaum beachtete. Das theolo- gifche Wiſſen und das kirchliche Leben find ſich gewiſſer⸗ maßen gegenfeltig zum Bedürfniſſe geworben; bie Refultate der Wiſſenſchaft wollen von der Kirche aner- Saumt feyn; die Kirche will ſich ihrer Lebenswahrheiten immer mehr theologifch bewußt werben. Das vorliegende Werk dient in der That beiden Zweden. Ohne allen wiſſenſchaftlichen Apparas iſt ed im runde fireug willen fchaftlich gehalten und kann auch, der fchönen und flie⸗ Senden Darftellung ungeachtet, nur von wiſſenſchaftlichen Theologen ganz verfkanden nnd geuoſſen werden, ohne darum für gebildete Laien unzugänglich zu feyn. Geinem

bad Weſen des chriſtlichen Glaubens x. 421

oberfien Zwecke nach aber will ed ber Kirche dienen, oder noch genauer audgebrädt: ed will den Aufbau einer neuen. proteftantifchen Kirche mit herbeiführen helfen, mach weldyer die edelften Menfchen der Begenwart fich ſehnen. Seinem Brundcharafter nach gehört dieß Werk mithin jener Vermirtelnden theologifhen Richtung an, weiche, durch den modernen Ratioualiönnd und Or⸗ thodoxismus gleich unbefriedigt, wiflenfchaftliche Tiefe und kirchliche Frömmigkeit zuſammenzufaſſen firebt and weniger eine Partei als eine Befinnung repräſen⸗ tirt, Referent bekennt fidy gern als einen Geſinnungs⸗ verwandten, womit nicht gefagt ſeyn fol, daß er in als lem Einzelnen mit dem Berfaffer Abereinftimmt, fondern nur, daß er in der Brundrihtung mit ihm eins iſt und eine höhere Bermittelung zwiſchen den Anſchauungen der Wiffenfchaft und den Bedürfniffen der chriftlichen Froͤm⸗ migfeit für die unerläßlihe Bedingung einer fchöneren kirchlichen Zukunft hält.

Das vorliegende Wert hat demzufolge bei den relis giöfen und irreligiöfen Parteimännern unferer Tage auf wenig Gunſt zu hoffen. Es wird den einen nicht gläus big genug, nnd ben anderen viel zu gläubig feyn. Die einen werden fagen, es made dem Rationalismus ges fährlidhe Gonceffionen, die Anderen, es verrathe bie Wiffenfchaft an den Glauben. Entweder oder: if das Kofungswort der Parteimänner, und wer fich ihnen nicht. ganz verfanft, den wollen fie gar nicht,

Verſuchen wir ed zuerft, das Verhältniß dieſes Werkes zum Rationalismus mit deffen Nebenläufern, dem Pantheſsmus, Rihilismus u.f,w., darzuftellen. Der Berfaffer unterfcheidet mit Recht zwifchen dem „alten verflahenden” und dem „neuen auflöfenden Rationaliemud” (Vorwort), Zum erflieren hat er fein Verhältnis (F. 10.) ganz deutlich anseinandergefegt. Ins dem er Röhr nad Wegfcheider als feine Bewährsmänner

422 de Wette

nennt, bezeichnet er ihn als eine im beutfchen Volke fehr verbreitete dogmatiſche Dentweife, die weniger durch die neueren Richtungen Rberwunden, ale zum Stilſſchwei⸗ gen (9) und aus der Mode gebradit fey. Sehr gut wird dann ald Hauptfehler deffelben bemerklich gemadıt, daß er mit „anderwärtsd entlehnten Grnndſätzen und einer fhon abgefchloffenen Leberzeugung von dem, was Wahr⸗ beit fey, an das Ehriftenthum gehe.” Sagt jedoch ber Berfafler: die meiften anderen rationaliftifchen Irrthümer entfpringen aus einer einfeitigen, zu weit getriebenen Durch⸗ führung der natürlihen Anſicht: fo möchten wir umgelehrt fagen, biefe einfeitige natürliche Anficht ents fpringe aus jenem Hauptirrthume. Well der alte Ratios nalismus Natur und Vernunft zur primären, die Schrift zu einer bloß fecundären Offenbarungsquelle macht, fo muß daher die natürliche Anficht bei ihm vorherrſchen. Gegen die letztere Einfeitigkeit erflärt fich der Verfaſſer entfchieden, und er macht neben oder vielmehr über der matürlichen eine andere höhere übernatürliche Anficht geltend, die er die „gläubige” nennt. Darin ift er aber auch wieder gerecht gegen den alten Rationa⸗ lismus, daß er die natürliche Anficht nicht verwirft, ſon⸗ dern ihr ebenfalls ihre Berechtigung zuerfennt. „Beide Anfichten,” fagt er (S.61.), „müffen anerfaunt und audı der natürlichen im Bewußtfenn des Gläubigen eine Stelle gefichert werden, weil diefed mit dem übrigen Bewußt⸗ feyn in Einklang fliehen fol und unfer Geiſt auf beide Anfihten angewielen if.” Gewiß fehr richtig! Nur möch⸗ ten wir hier noch auf eine Schwierigkeit aufmerffam mar chen, welche der Rationalismne dem Berfafler entgegen halten wird. Wo fängt nämlich Die Übernatürliche Ans fiht an, und wo hört die natürliche auf? Und fönnen überhaupt fcharfe Grenzen zwifchen der einen und der anderen gegogen werden ? Haben wir den Berfafler rich, tig werftanden, fo läßt dDerfelbe Gegenſtand ſowohl die

das Wefen des chriftlihen Glaubens ꝛc. 423

natärliche,, ald die übernatürliche Anficht zu. Der Ratio» naliemus ift noch in der alten bualikifchen Weltanficht befangen, welche Gott und Welt zu Widerfprüchen macht. Da if dans das liebernatürliche der Widerfprud des Ratürlihen, und aus eben diefem Grunde unglaublich, Wenn ed and) der Ratioualidmud nicht gewagt hat, die Möglichkeit Übernatärliher Einwirkungen zu leugnen, fo ſucht er ſich doch anf jegliche Weiſe der Anerkennung, daß ed wirkliche gebe, zu entziehen. Es fcheint und ein großer Schritt zur Bermittelung zwifchen der alten und modernen Weltanficht gethan, wenn eingeflanden wird, daß „natärlich” und „übernatürlich” gar feine Wi⸗ desfprüche, fondern die Kormen bed Gegenſatzes find, unter dem alles Wirkliche zur Erfcheinung kommt. Denn ſtreuge genommen, reicht bie natürliche Betrachtungs⸗ weife nirgends aus, und nur der hausbadene Verftand, der jedes höheren Intereſſes entledigt it, kann ſich mit der Anficht begnügen, daß etwas. nach der hergebrachten Regel gefchehen fey. Der Berfafler bemerkt fehr fchön, „daß von jedem Punkte der Natur und deren natärlis her Betrachtung zur übernatürlichen Anfiht, von der Erfenntniß der Mittelurfachen zum Glauben an eine uns mittelbare göttliche Urſache aufgefliegen werden müſſe.“ Rihte kann ſich der religiöfen Betrachtung entziehen, airgends finden wir und durch Die bloß verfländige bes friedigt. Wir müſſen den Lefer felbft auf die Auseinan⸗ derfegung dieſer Anficht beim Verfaſſer verweilen; es fheint und aber wichtig, daß der Satz von der Identi⸗ tät des Ratürlichen und Uebernatürlichen recht gewürs. digt werde. Vielleicht hätte, da der Berfafler an einer - anderen Stelle noch anf den Deismus zu ſprechen kommt, die Berwandtfchaft deffelben mit dem alten Rationalids mus nachgewiefen werden können. Denn wenn and) die Rationaliften nicht „ale gefehichtlichen und kirchlichen Hälfsmittel und alle Gemeinſchaft verfhmähen,” wie dieß

424 be Bette

der Berfafler (S.373.) den Deiſten vorwirft, fo befchräns fen fie ſich doch gewöhnlich auf deu deikifchen Glauben „an Bott, Unfterblichkeit und ſittliche Bergeltung ,” und die große chriftliche Idee der Gemeinſchaft wird won ib» nen nicht gehörig anerlaunt. Das Abftraete, Leere, Un⸗ befriedigende, Egoiftifche der deiſtiſchen Weltanfiche if von dem Berfafler trefflich gezeichnet.

Wie aber der Berfafler ſich entichieden von dem al ten Rationalismus losſagt, fo erklärt er ſich eben fo ent» ſchieden gegen den „Nihilismus von Gtranß u. |. m.” (Borwort), gegen den modernen Rationalidmnd und die falfhe Zeitphilofophie. Der moderne theologifche Radicalismus betrachtet befauntlich die Religion als eine bloß untergeorbnete Stufe des Denkens, das ih mod nicht zu Begriffen erheben kann, fondern bei bloßen Vor⸗ fteßlungen ftehen bleibt. Gonfequenterweife muß biefe An» ſicht baranf dringen, daß die untere Stufe durch bie höhere allmählich verdrängt werde und bie Menſchen ſich in Philoſophen verwandeln. Denn wozu im Rebel ber Meligion herumtappen, wenn man e6 im Sonnenfdheine der Philoſophie fo gut haben kann? Es it gewiß fehr erfreulich, daß der Verfaſſer das vwielbefprochene Berhälts niß von Philoſophie und Religion ebenfalls einer Bes ſprechung unterwirft ($. 3.) und die Anſicht, daß „eine philoſophiſche Erkenntuiß und Lehre von Bott den Glau⸗ beu entbehrlich mache, oder höher fiche ald diefer ,” ver wirft. Nach dem Berfafler kann die Aufgabe der Philo⸗ fopbie Feine anbere ſeyn, ald das Begebene zur Haren Erkenntuiß uud zwar für den Verſtand zu bringen. Sudem fie mit dem Berftande für den Berflaud arbeis tet, erbebt fie ſich nicht Aber den Glauben, fondern res fleetirt nur über deufelben, ober hebt ihn iu das ver Rändige Bewußtfeyn hervor, Weit entfernt alfo, daß der Berfafler dem Glauben im Berhältnifie zum Denken eine untergeorduete Stufe anmiefe, weiſt er demſelben

daB Weſen des chriſtlichen Glaubens ıc. A425

‚vielmehr eine übergeordnete au. Im Glauben ift ber religiöfe Inhalt gegeben; der Glanbe ift das fchaffende und bauende Element, Die Philofophie dagegen zerſetzt und „vermeint;” denn, fagt ber Berfafler, „die phi⸗ loſophiſche Gotteslehre geht nicht nur nicht über den Glau⸗ ben hinaus, fondern erreiht ihn nicht einmal; beun ihre Erkenntniß il nur verneinend, falfche Bors Relungen abwehrend, die Wahrheit reinigend; bie Glau⸗ benserkenntuiß hingegen if beiahend, die Wahrheit ſelbſt einfhließend.” Mit Recht warnt jedoch der Berfafler vor dem Borurtheile, daß Die Philofophie nur anf verneinende Ergebniffe führe; aber er Aimmt darin vollommen mit den Reformatoren überein, daß, wenn Die Philoſophie die Grenzen ihres Wiſſens und Korfchend überfchreite und Alles mit dem Berflande ausdenken und umfaflen weil, daun ihre Wirkung eine gerftörende werbe, Der Verfaſſer fcheint and hiernach ber Philoſophie in relis giöſen Fragen eine bloß formale Bedeutung beisulegen und ihre Thätigleit ſtreug hierauf beſchränken zu wollen. Damit erklärt er aber ber modernen gottfchöpferifchen oder vielmehr geottvernichtenden Weltweisheit offen dem Krieg. Auch wird ihm kaum ein Philofoph irgend einer Richtung beipflichten wollen. Die Philefophie wird bie gegen einwenden: auf eine bloß formale Mirkſamkeit dem Glaubensinhalte gegenüber befchränft, würde fie alle Selbſtändigkeit verlieren und wieder zur Schleppträgerin der Theologie werben. Deun die moderne Philofophie ſucht ihren hoͤchſten Ruhm darin, bauend und fchaffend su ſeyn und fie zählt ihre Emancipation von ber Theo⸗ logie zu iheen gelungenften Waffenthaten.

Nichts deſto weniger beruht die Auſicht des Berfafs ferd auf Erfahrung. Die Xheslogie darf fih von der Dhilofophie nicht meiftern laffen, am allerwenigfien son der Philoſophie der Fleifchesemancipation und bed „Ef⸗ ſens, Trinkens und Badens.“ Diejenigen philofophifchen

426 be Mette

Anfchaunungen, welche Die neuere Zeit beherrfchen, find (mehr populär) beiftifcher oder (mehr mit wifjenichafts lichen Anſprüchen) pantheiftifcher Ratur. Beide find durchaus widerchriſtlich, weil fie nicht nur die Erfcheis nungsform des Ehriſtenthums aufheben, fondern auch die chriſtliche Geſinnung vernichten. Bon dem Pantkeidnnd fagt der Verf. fehr richtig (S. 374.), „daß er faſt gar feine Wurzeln mehr im Chriſtenthume habe und auf einer demfelben ganz entgegengefeßten Deuts uud Gefühle: weife beruhe.” Eben fo richtig ift feine Bemerkung, daß der Pantheismus fehr leicht zu einer gäuglichen firtlichen Zügellofigkeit führe, weil er alles perfönliche Bewußts feyn, aled Gemüthsleben durch feine auflöfende Dialektit zerftört.

Wir künnen ſchon hieraus entnehmen, daß der Ber fafler feinen Standbpunft im Ölauben felbf nehmen will, und dadurch ift auch ber Titel bed Buches, wos nadı das Wefen des chriſtlichen Glaubens vom Staundpunkte des Slaubens aus dargeftellt wers den fol, volllommen gerechtfertigt. Der Berfafler bat fi die Aufgabe geftellt, die fupranaturalififche Anſicht zu vertreten, ohne ihre Eiuſeitigkeiten und Befchräntt: beiten zu theilen; ber Glaube ift ihm Hauptfache, das Weſen der Religion; nur müſſen wir darüber einig ſeyn, was der Berfaffer unter Blauben verſteht.

Daß er mit dem Blauben nicht den Begriff der äl- teren Örthoborie und den neuern Orthodoxismus vers bindet: das läßt und fchon Die vermittelnde Richtung erratben, welcher der Berfaffer angehört. Schon im Borworte fpricht er fi gegen „den wieder ermachenden Scholaſticismus aus, welcher den glänbigen Gemüthern wieber alte, längit überwundene Menfchenfabungen und nufruchtbare Spihfindigfeiten aufbringen und den uufeli gen GSonfeffiondftreit von neuem anfachen wolle” Das bin gehört auch die Klage, „daß manche Prediger eifrige

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das Weſen des chriftlichen Glaubens ꝛc. 4727

und heftige Neugläubige ſeyen, bie das alte Lutherthum oder den alten Calvinismus wieder verfündigen” (S. 364.). Ueberdieß hat der Berfaffer das Bedürfniß gefühlt, feinen Glaubensbegriff gleich in ber Einleitung zu feinem Merke zu entwideln. Die Berirrungen anf dem Gebiete der Religton nach der orthodoren Seite hin liegen ihm namlich hanptfächlidh darin, „daß der Glanbe einfeitig ale Sache der Erkenntniß geltend gemadt, für das Gemüth und das fromme Leben in der Kirche dagegen unfruchtbar wurde.” Diefer Borwurf trifft unftreitig die alte Orthodorie in vollem Maße. Der Berfaffer ſetzt im Gegenfaße hiezu fehr einleuchtenb andeinander, daß der Glaube Herzensfrömmigkeit, Hingabe ded ganzen Menfchen mit Erkenntnis, Willen und Herz an Ehriftum, den Schöpfer des neuen Lebens, den Stifter des Reiches Gottes (8.7.), fey. Er zeigt fo fhön und wahr, wie der rechte Glaube im Herzen feinen Sig habe, eine Geſinnung und nicht bloß eine Erfenutniß fey (OS. 8), dag Ref. hiezu nur feine unbedingtefte Beiſtimmung ger ben fan. Dabei unterfcheidet der Berfaffer jedoch einen tbeoretifhen, einen praftifchen und einen ge ſchichtlichen landen. Ohne die Nichtigkeit ber Unters (heidung im Allgemeinen in Anſpruch nehmen zu wollen, ſchien e6 nnd dennoch, ale ob fie einigermaßen verwirs ten könnte. Nach der Definition des Berfaflerd muß der Glaube eigentlich immer ein „praktiſches Gefühl” feyn, und er felbf gibt zu, daß der gefchichtliche nichts Ander res al6 Die Bollendung des praftifhen Glau— bene fey. Die Anlage des Werkes brachte ed mit ſich, daß der Berfaffer vom Glauben fprechen mußte, che von den gefhichtlihden Heilsthatſachen die Rede ſeyn konnte, nnd mit bdiefer Anlage hängt auch jene Unterfcheidung zuſammen. Allein vom chriftliihen Glau⸗ ben Tann doch wohl das Bemwußtfeyn der gefchichtlichen Heldthatfachen nie. hinweggebacht werden, wenn nit Theol. Stud. Jahrg. 1847, 29

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zationaliftifche oder gar deiſtiſche Abwege zu beforgen ſeyn follen. Der chriftliche Glaube ruht auf der Heil thatfadhe der Erlöfung iu Chrifto, weßhalb uns auch die (S. 7.) gegebene Definition bed Glaubens die vollkommen entfprechende fcheint.

Bemerkenswerth ift, daß des Berfafler im gefchichte lien Glauben ‚einen idealen nnd einen realen Beftandtheil umterfcheidet, Der Berfaffer will damit fas gen, ed mühe dem, was als gefchichtlih wahr geglaubt wird, immer eine allgemein gültige Idee zum Örunde liegen, und daher mäfle etwas nicht ſowohl bars um Gegenftand des Glaubens werden, weil ed gejchehen, als weil es in ſich felbft wghr und heilbringend fen. Es liegt gewiß etwas fehr Richtiges in diefer Unterſcheidung. Dennoch fcheint dem Ref, hier einige Gefahr zu liegen, Die Bedeutung der gefchichtlihen Realität etmad zu vers kennen. Der Berfafler bat bieß felbft gefühlt, und jeder Strung dadurch vorgebeugt, daß er fagt, «6 würbe zum Heile nicht binreichen, wenn das, was das Evangelium über Gott und dad Berhältnig bes Menſchen zu ihm lehre, nur au und in fich wahr wäre; erfi dad gebe dem Blauben die Vollendung, daß in einem Dienfchen Die Einheit der Gottheit und Menfchheit wirflihe That face geweien fey. Rur möchten wir ed vorziehen, aus ftatt die idealiſtiſche Glaubensauſicht von der realiſtiſchen zu trennen, beide Unfichten zu vereinigen. Die evange liſche Geſchichte ik zugleich ideal and real; fie faun nie eined ohne das andere feyn. Das ift gerade das Geheimniß des Chriſtenthums, daß alle feine Ideen Thatſachen geworden find, und alle feine Thatfahen fih für den Blanben wieder in Ideen umfeten laffen.

Vielleicht könnte einiger Tadel dagegen erhoben wer» ben es ift dieß aber, wie fchon bemerkt, in ber Ans lage bed Werks begründet daß ber Begriff bes Glan—⸗

dad Wefen des chriſtlichen Glaubens x. 429

bens noch einmal im zweiten Abfchnitte des zweiten Haupttheiles befprochen wird (S. 385 ff.). Der Berf. unterfcheidet, wie oben den theoretifchen, praktifchen und gefchichtlichen landen, fo hier den Offenbarungsglauben, den Erlöfungsglauben und den Glauben an die Perfon Ehriſti. Auch hier Liegen fich vielleicht Zweifel erheben, ob Diefe Unterſcheidung nothwendig oder rathſam ſey. Kann man den Glauben ſchöner definiren als (S. 885.) „die gaͤnzliche Entfchiedenheit des innern Menſchen mit

Üebergeugung und Gefiunung für das göttliche Leben, wie ed im Ghrifto erfchienen if,” und liege in diefer Des ſinition nicht Eriöfungsglaube und Glaube an die Perfon Chriſti mit inbegriffen? Dabei möchte Ref. in Beziehung auf ben Glaubensbegriff des Verfaſſers befonders das auerfennend hervorheben, daß er die Liebe hinzunimmt. Im Berlaufe feiner Korfchungen über das Zeitalter der Reformation iſt es dem Berf, recht Mar geworden, daß der Proteftantisnus einen Mipgriff begangen hat, ale er die Begriffe ded Glaubens und der Liebe von einans der ausſchied und das Heil einfeitig von einem mit der kLiede in keiner nothwendigen Einheit. ſtehenden Glauben abhängig machte. Dadurch gewann eben jener falte Erfenntmißglaude die Oberhand, der die fromme Geſinnung and der Kirche allmählich verbrängte und die Reaction des Pietiomus zu einer Wohlthat machte. Der Berfaffer fagt trefflih von dem Glauben an die Perfon Jefn Ehriſti: „Dieſer perfänliche Glaube ift eigentlich erft der rechte Blaube, der üder alle Verſtandesbegriffe und ſomit andy Aber alle Zweifel erhaben ift; er iſt ganz Sache des Herzens, immer Entfchiedenheit, mächtiger Zug der Seele; er fliftet ein Iebendiges Lebensverhältniß, tnupft Geiſt an Geiſt, vermählt die Seele dem Bräutis gam. Erik eins mit der Liebe zu Jefu; denn bei aller Liede, auch der menfchlichen, ift das Bertrauen. Indem wir ihn als den Wahrhaften, den Reinen, dem,

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der die höchfte Liebe bewiefen hat, lieben, vertranen wir ihm auch, und unfer Vertrauen ift das hödhfte und ums bedingte, Glaube zu Bott felbft, weil wir die höchfle Liebe zu ihm haben und uns ihm ganz in Liebe binge- ben” (S. 395). Mit Freuden unterfchreiben wir ben Ausdruck, in den der Derf. feinen Glaubensbegriff zuletzt sufammenbdräugt ald „die vertrauensvolle, liebende, ans eignende Hingabe bed ganzen innern Menfchen an Ehri⸗ flum, den Wiederherfteller und zweiten Stifter der Menſch⸗ heit” (S. 396.).

Mit diefer Darftellung des Glaubensbegriffes hängt nun aber die Anficht des Berfafferd von der heiligen Schrift genau zufammen, zu welcher wir deßhalb über- gehen müflen. Iſt der Begriff des Blaubens einmal ent- widelt, fo kann man der Frage gar nicht entgehen, wos ber der Glaube denn entfpringe, worauf er ruhe. Daß ed gefchichtliche Heilsthatfachen find, auf welche der Glaube feigegründet ift, bat unfer Verf. bereits audges fprohen. Woher haben wir aber von dieſen Thatfachen Kenntniß? Die einfache Antwort auf diefe Frage lau tet: aus der h. Schrift. Infofern, fagt nun andy der Berf., könnte ed fheinen, „ald ob wir anfern gefchicht- lihen Slanben aus der Schrift zu fhöpfen hätten, wie die Rechtöfundigen die Geſchichte des römifchen oder eined audern Rechtes aus Geſchichtsbüchern fchöpfen” (S. 33.). Diefe Frage fteht aber wieder mit einer au dern in der genaueften Berbindung: ob wir in den Bür ern der h. Schrift (oder auch nur des N. T.) die Quelle der Blaubendwahrheiten, oder bloß den Ka non (eine Regel, Richtfchnur) für biefelden befiten. Nef. muß diefe Frage für eine änßer wichtige halten, und erlaubt fich, dem verehrten Verfafler gegenüber feine Anficht offen mitzutheilen, Mit vollem Nechte befämpft der Verf. eine Anfchauung von ber Bibel, die der. prote Rantifchen Grundanſicht und dem ganzen Geifte der Bi-

dad Weſen bes chrifilichen Blaubens c. 431

bei wiberfpricht, die unhaltbar geworben ift und nicht mehr herrfchend werden kann, wenn nicht alle Erfolge der Wiſſenſchaft ungefchehen gemacht werden können. Der Berf. nennt dieſelbe (S. 48.) „eine übertriebene und falfch gewendete Borfiellung vom göttlichen Anfehen der Bibel, welches, deutlich gedacht, darauf hinaus komme, daß wir nicht an Gott und Ehriſtum, fondern an bie Bibel zu glauben hätten” Daß es falſch ift, eine foldye abfiracte Autorität der Bibel für dad gläubige Bewußt⸗ feyn zwingend madyen zu wollen und auf etwas als uns trüglihe Wahrheit zu verpflichten, weil es in der Bibel ſteht: darüber ſollten fih die Gläubigen in uns ferer Zeit verfländigen können. Wir räumen alfo dem Verf. ein, daß nuſer Slaube „wicht auf den gefchriebenen Evangelien und deren unbedingter gefchichtlicher Glaub» wärdigfeit beruhen kann” (S. 34.), daß nicht einmal die vollkändige evangelifche Geſchichte Gegenſtand bes Glanbens ift (©. 35.), daß „auf Forſchung und Nachden⸗ fen beruhende Vorſtellungen von dem Berhältniffe einzels nen Natnurdinge zu einander nicht (unmittelbar) zur Glau⸗ benswahrheit gehören können” (S. 15.) Wir räumen ein, daß unfer Seelenheil keineswegs davon abhängig ift, wie ſich Die „bibliſchen Schriftfteller” das Himmels⸗ gewölbe mit darüber befindlihem Wafler u. f. w. vor» ſtellen. Wir find alfo in wefentlichen Dingen mit dem Berf. einig. Allein deffen ungeachtet fehen wir nicht ein, warum die Schrift nicht in gewiffem Sinne mit gollem Achte Duelle der Glaubenswahrheit heißen kann. Quelle fcheint uns nämlidh alles bad zu feyn, woraus ein Anderes für und abgeleitet wird, Der Verf. bemerkt ganz richtig, daß der ältefte Chriftenglaube auf münd⸗ licher Ueberlieferung beruht habe, vweiewohl die Einwirs fung des alten Teſtaments auf benfelben nicht gar zu Hein angefchlagen werden darf. Allein für uns if die mündliche Ueberliefernng zurücdgetreten, und der Protes

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ftantiömud hat der Tradition gar keine kanoniſche Auto rität zuerfannt. Wir haben wohl auch die mündliche Predigt des göttlichen Worted, den mündlichen Religiond- unterricht u. ſ. w., allein ber Prediger und Lehrer if barauf angewiefen, ben Inhalt feiner Mittheilungen aus der h. Schrift als and feiner Duelle gu fhöpfen.

Uebrigend glaube man ja nicht, der Berfafler, wenn er die Schrift nicht ald Quelle der Glaubenſwahrheit gelten laſſen will, wolle darum ihre Autorität herabſetzen. Er nennt die Kritik eined Strauß rückſichtslos, diejenige eined Bruno Bauer fredelhaft (S. 34.). Rur if er der Anficht und glanbt, hierin mit allen ihrer wahren Stel Iung bewußten Kirchenlehrern einig gu gehen, daß ber Schrift einzig und allein die Geltung einer Rorm, des Kanon, der Richtſchnur und Regel der Blaw benswahrheit zuerfaunt werden dürfe. Nach diefer Aus fiht wird der Glaube fhou als vorhanden vor ausgeſetzt, und nur gefordert, daß er nad der Schrift gemeflen, beurtheilt und nöthigenfalls berichtige werde (S. 50,). Mehr dürfe von nus nicht verlangt werben, ale „daß wir unfern Glauben dem Weſen und Geile nach mit den oberften Regeln und Grundſätzen der heil. Schrift in Einklang bringen, daß wir und den ehr: inhalt derfelben in freier und lebendiger Weiſe nad Maßgabe unferer Faſſungskraft und Dentart zu eigen machen.” Wir mäflen and bier dem Berfafler in einer Beziehung vollkommen Recht geben. Die heil. Schrift in der Weiſe zur Quelle der Glaubenswahrheit zu mar chen, daß man „über die Kluft ber Jahrhunderte hinweg⸗ fhreitet und die Lehre ber apeoftolifchen Zeit mit allen ihreu einzelnen Beftimmtheiten ſich aneignet“, iſt ein burchaud verwerflidged Beginnen. Es hieße das, den alten Irrthum Carlſtadt's und der von Luther fo derb gezüch⸗ tigten „Schwarmgeifter” vwieberholen. Allein und will foheinen, dieſer Irrthum ſey noch viel mehr da zu be

dad Weſen bes chriſtlichen Glaubens ꝛc. 433

fürchten, wo wan bie Schrift zum Kauon, als wo man fie zur Quelle ber Glaubenswahrheit macht. IR näms- lid Kanon fo viel ald Maß oder Richtfchnur nad muß alled Andere nad einem vorhandenen Maße gemeflen werben, fo kommt ed nur darauf an, ob man ed mit dem Maße genau oder ungenau nimmt Ju dem Bes griffe des Kanons liegt es gar nicht, daß man un. fern Ölanden nur dem Weſen und Geifte nad mit der h. Schrift in Eiuflang zu bringen ſuche. Es if leicht möglih, daB Jemand den Bucftaben der Schrift für kanoniſch hAft, und dann wehe dem Weſen und dem Geiftel Noch mehr: der Berfafler felbft gibt zu, daB in der h. Schrift ſowohl Kanonifches ale Nichtkanoniſches enthalten fey, und mithin iſt ed nicht einmal richtig, die Schrift Kanon zu nennen, indem viel⸗ mehr gefagt werden müßte, in der Schrift befinde fich der Kanon. Denn kann 3. B. das alte Teftament Richt ſchnur für nufern Slauben feyn?

Biel weniger Schwierigleiten find mit der Annahme verbunden, daß die Schrift Duelle des Glaubens fey. Denn es liegt nicht im Begriffe der Quelle, daß man fie ganz andfchöpfen muß, oder daß, mern das Waſſer trübe geworden feyn follle, es nicht gereinigt werden dürfte. Und wenn die Schrift nicht Quelle if, wo follte denn diefe Quelle fich finden? Die Tradition, wie ſchon ges fagt, bat unfere Kicche verworfen; unmittelbare Einge⸗ bangen gibt es nad, ihr auch nicht, und wo fidy Einzelne ſolcher rühmten, ind fie auch meiſt fehr zweideutigen Ur⸗ forungs gewefen. Wo fol unfer Blaube denn Rahrung finden, woraus fol er Kraft und Fülle ziehen, wenn nicht immer wieder aufs neue ans dem Worte Got⸗ tes, das nach dem Berf, (S. 357.) den Kanon bildet?

Und bier ſtimmen wir nun wieder mit dem DBerf. völig überein, wenn er, feinen früheren Satz, Daß die Schrift Kanon fey, näher befiimmend, dad Wort Gottes

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von der Schrift unterfcheibet.- Freilich unß auch bier verhütet werden, daß dieſe Uinterfcheidung nicht abſtract und fpröde vorgenommen werbe. Sie ift fo alt ale aus fere Kirche, und der genfer Katechismus hat fie ſchon (vergl. meine Schrift: das Wefen des Protehantismus, Bd, L ©. 132.). Allein nie haben unfere Theologen es fih recht Far gemacht, worin die Unterfcheidung beſt ehe und wie fie durchgeführt werden könne. Die Gchrift gleichfam auseinauderbrödeln und fagen: die ſes Stück it Wort Gottes, und jenes iſt's nicht u. f. w., ſchiene dem Referenten fchon deßhalb unzuläffig, weil bie Bibel ein Organismus If und man dem organifchen Leben fein Glied entziehen kann, ohne ihm Nachtheil zuzufügen. Entzieht mar ihm gar ein edles Blied, fo kann der Ber, Iuft Icbensgefährlich werden. Mef. ift der Anfiht, daß auf die echt reformatoriiche Anſchauung zurüdgegangen werden muß (ſ. die o. a. Schrift, Bd. I. ©. 225 f.), wonach Chriftud der Mittelpuntt und concrete Inhalt der Schrift ift und alled das Quelle des Glaubens (oder Kanon) für und feyn muß, worin fid) Chriſtus offenbart. Auch hierin treffen wir mit dem Derf. wieder auf ungefuchte, höchſt erfreulihe Weife zufammen, indem dad vierte Hauptflüd des erften Abfchnitted im zweiten Theile feines Werkes überfchrieben if: „Chriſtus in der heil. Schrift” (S. 355.) Allerdings hätten wir hier ges wünfdt, daß dieſer Ehriftus in der Schrift wo moͤglich bis ind Einzelne nachgewieſen werben wäre, Wir ſtim⸗ men mit dem Berf. auch darin überein, daß er eine Schriftausiegung nad) der „fogenannten Analogie des Glaubens“ (S. 56.), und nicht nach den fogenaunten Drincipien der Dernunft fordert, die bekanntlich am meis fien im Gebiete der Exegeſe ſchon viel Unvernünftiges zu Zage gefördert hat. Allein die Analogie des Glau⸗ bene ift noch ein fehr vager Begriff und von der ſub⸗ jectiven Anficht des Auslegers noch fehr abhängig. Da

dad Weſen des chrifllihen Glaubens ıc 435

der Verfaſſer nun auch, mach unferer Anſicht, im volls tommen richtigen Beſitze des Auslegungsprincipes unfes ser Kirche fidy befindet, fo hätten wir gewänfdht, berfelbe hätte ed ald das hriffologifche ausgeſprochen. Das mit wäre zugleich einem Mißverfländniffe geſteuert wors deu. Der Berf. fpricht irgendwo vom Fanonifchen Ins halte der Schrift fo (S. 50.), daß Unkundigere meinen könnten, «6 fey darunter nur ber Rehriuhalt der Schrift zu verfichen. Ehriſtus Dagegen iſt der Lebens inhalt der Schrift. Gerade darum ift und die Schrift auch Quelle für unfern Glauben, weil fie ihrem chriſto⸗ logiſchen Kerne nad) etwas ganz Auderes als Lehre, weil fie Geiſt, Leben, Kraft, Weisheit und Wahrheit Gottes if.

Die Frage nadı der Autorität der Schrift fann aber natürlich nicht vollſtändig beantwortet werben, ohne daß die Frage nach ihrer Infpiration mit in Betracht ges zogen wird, womit überhaupt das Berhältniß der Kritik zum Schriftinhalte im Zuſammenhange ſteht.

Der Verf. tadelt ed mit Recht am Rationaliömus, daß er bei der bloß natärlihen Anſicht von ber Schrift ſtehen geblieben ſey (S. 63.). Die Übernatürliche Anfiht anf Jeſum anzuwenden, werde uns nicht bloß der Glaube der Apoftel und die Kirchenlehre, fondern unfer eigened Gefühl mahnen. Allein in welchem Zur fommenhange ſtehen nun die Schriften der Apoflel, die Evangelien u. f. w. mit der übernatürlichen Anficht ? Bei Diefem Anlaffe haben wir und gefrent, die Entbedung iu machen, daß diefe Schriften dem Berf., ungeachtet feis ned Proteſtes dagegen, dennoch Quellen für den Glau⸗ ben find; denn er nennt fie unmittelbare Quellen des apoflolifchen Ehriftenthums, und weil Diefes die Ans eignung und Wiederherporbringung der Offenbarung ſey, mittelbare Quellen der Offenbarung ſelbſt

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(S. 357). Daß ber Berf, die alte Iufpirationsichre ganz bei Seite legt, müſſen wir volllommen billigen, Seit die reformirte Kirche in der formula consensus die Sinfpiration der hebräifchen Vocalzeichen als nnträglichen Blanubensfag für alle Zeiten feſtſtellte: welche Erſchutte⸗ rungen bat biefer Lehrfag erlitten! Was hat und ber Rationalismus von Infpiration noch übrig gelaffen ? Daher ift ſchon das Beltreben, deu Begriff nur irgend» wie wieder wahrhaft ins Leben zu rufen, ihm einige Gel⸗ tung‘ zu verfchaffen, auerfennenswerth. Der Berf. hat das redliche Beftreben, das zu thun, wenn ed ihm audı noch nicht vollfommen gelungen feyn follte. Allerdings ift in feinen Säpen ein gewifles Schwanken bemerklich; allein wer wollte auf einem Boden nicht ſchwanken, dem alle Stuben abgegraben worden find? Die Annahme, daß die nenteftamentlichen Schriftfteller (von den alt» teftamentlichen iſt gar nicht die Rede) beim Schreiben einen befondern Beiltand des h. Geiſtes erfahren und dadurch noch mehr als im Leben vor allem Irrthume bes wahrt worden feyen, fcheint er zu verwerfen. „Ge win” fo lautet fein Urthell „war ihre Geift beim Schreiben mehr gehoben und gefammelt als im andern Uugenbliden des Lebend.” Wenn aber der Berf. gleich beifügt: „Achnliche® erfahren wir fefbft. Der Au⸗ genblid, wo wir zu reden, zu fchreiben, zu haudeln has ben, erhebt und mehr, ald wir uns felbft zugetraut has ben; die Gewalt der Sache, bie wir vertreten, ergreift und erhebt und Über und ſelbſt. So fühlten ſich auch die neuteſtamentlichen Schriftfieller, wenn fie fchrieben, von der Gewalt der göttlihen Wahrheit mehr ergriffen und gehoben ale gewöhnlich” fo möchte fi doch das gläubige Gemüth hierdurch nicht ganz befriedigt fühlen. Das gläubige Gemüth fühlt fi gedrungen, nicht nur eine Steigerung ber gewöhnlichen Seelenträfte, fondern eine ganz andere Seelentraft in den biblifchen

dad Wefen bed chriflliden Glaubens ꝛc. 437

Schriftſtellern vorauszufegen, ein Vorherrſchen bed heili⸗ gen Geiſtes, wie dieß bei andern Menfchen nie mehr ber Fall war. Diefe ſpecifiſche Eigenthüämlichs keit des infpirirten Zuſtandes fcheint und von dem Berf. nicht genng berädfichtigt, und daher if die ſchwierige Frage burch feine, wenn auch noch fo trefflichen, Bemer⸗ fangen nicht zum Abfchinffe gefommen. Une ſcheint: es muß in dem infpirirten binlifchen Schriftfiellern allerbing® eine befondere Thätigleit des h. Geiſt es angenoms men werden, woburd fi allein Die ſpeeiſtſche Eigen⸗ thüämlichleit ihrer Schriften und ihre Tanonifche Autorität erklaͤrt.

Dagegen find wir mit dem Verf. ganz einverſtan⸗ den, daß durchg angige „Unfehlbarkeit” nicht ale eine Wirkung diefed Geiſtes vorausgeſezt werben kann, Die Infpiration kann nicht weiter audgebehnt werden, ale der religiöfe Inhalt der heiligen Schriften geht, und wir müſſen dem Kanon des Berf. Recht geben, baß, „je weis ter etwad von den Principien abfieht und in das Mittels bare, Abgeleitete, Angewendete, Befondere fällt, deſto mehr Recht und Grund vorhanben if, das frei prüfende Urtheil darüber ergeben zu laflen”, und daß, „was vol lenbs außer dem glänbig» fittlihen Bebiete Liegt wie Namen, Zahlen und andere Gebächtnißſachen, gerade wie bet andern Schriftſtellern angefehen und beurthetlt wer, den muß” (5. 358.) Nur fcheint und auch bier davor gewarnt werden zu müflen, daß man den Mittelpunkt nicht zu fehr einenge, die Peripherie nicht zu fehr aus⸗ dehne. Der Mittelpunkt der Schrift Jeſus Chriſtus dringt mie den feinften Strahlen feines Lichte auch bis nach der Peripherie, und nur in wenigen Fällen möchte von vorne herein ausgemacht werden fünuen, daß bier fin Zufammenhang mit dem gläubig sfittlichen Gebiete Ratthabe. Daß ed aber unterfhiedlihe Grabe und Stufen in der Inſpiration gebe, das haben ſchon

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bie Reformatoren, zumal Luther, anerkaunt, unb nur bie alte abfiracte und barum unmwahre Inſpirationslehre hat alle Theile der Bibel für gleich infpirirt erklären Fönnen. So wenig alle Theile eined Organismnd gleich wichtig, fo wenig find alle Theile der Bibel gleich infpirirt.

Bon hier aus fey nus vergöunt, noch einen Blid auf das Berhältnig zu werfen, welches. der Verf. zwiſchen altem und neuem Teflamente vorandfegt, Seiner Darftellung nach könnte ed leicht fcheinen, als ob er bie Snfpiration auf die Schriften des neuen Teſtamentes bes fhränfte. Doc räumt er ein, daß die altteftamentlichen Bücher in einem gewiffen Sinne kanoniſch feyen. Im neuen Teſtamente liege nämlich der Kanon, nad, welr chem wir bas alte Teſtament gu meſſen haben, unb das⸗ jentge fey in diefem kanoniſch, was dem Kanon des neuen Teſtaments entſpreche (S. 366.) Damit fcheint und jedoch die felbftändige Eigenthümlichkeit des alten Teſta⸗ mentes etwas zu fehr zurüdgefeßt; auch will und bedün⸗ fen, der Sag laſſe ſich nicht wohl Durchführen, daß bad nene Teſtament ber Kanon des alten Teſtamentes fey. Wir können uns wohl beufen, wie das vorangehende Urfprüngliche, 3. B. das apoflolifche Ehriftenthum, Kanon für alles Nachfolgende feyn kann. Der Höhepunkt einer Entwidelung ift Kanon für jeden künftigen Fortſchritt auf demfelben Gebiete. Wie aber die Fracht Kanon ſeyn konn für die Blüthe, ift weniger deutlich. Im alten Te ftamente fcheinen uns die Blüthen und Keime des neuen Teflamented. Es ift noch Alles umentwidelt, vorbildlich, Ahnung und Hoffnung. Ehriſtus ift noch verhält unter den Wollen des Eeremonialgefeges; ber Geiſt des Zorned ſcheint den Geiſt der Liebe gleihfam zu bannen. Das alte Teftament fcheint und, organifch gewärbigt, eine große gebeimnißvolle Weiffagung anf den, der da kommen follte, den Rath Gottes zu erfüllen. Sur

dad Weſen bes chrifllichen Glaubens ı. 439 i

fofern hält es den Vergleich mit ber Erfüllung auf Tel nem einzelnen Punkte aus, fo wenig bie Morgendämmes rung den Bergleich mit der vollen, Haren Mittagefonne aushält. Der bämmernde Morgen muß als etwas für fih betrachtet werben; er hat feine eigenthämliche jung: fräulihde Schönheit, Diefe moͤchten wir auch dem alten Teſtamente zuerfannt wien. Das Studium des alten Teſtamentes ift auch wie ein Wandeln im Frühroth bes Morgens; man ahnt dad Werden des Tages und bie Nengeburt einer Heildzufunft. Das Heil ift aber nirgends ſchon da, und das war ein Fehler und eine Uebertreibung der alten orthodoxen Schule, daß fie die fpecififche Eis genthämlichleit des alten Teſtamentes verfaunte und es mit dem neuen zufammenwarf. Wir bringen auf nichts Anderes, ale daß dieß Eigenthümliche anerfannt, in feiner organifchen Schönheit und feinem höheren Zufammens bange mit dem neuen Teflamente gewürdigt werde, Dars um möchten wir allerdings die Juſpirirtheit des alten Teſtamentes nicht auf die gleiche Stufe mit derjenigen des neuen Teſtamentes ftellen, wie ja auch die Morgens dämmierung nicht fo viel Licht von fi ſtrahlt als bie Mittagsſonne.

Mit der Frage nach der Antorität der Schrift über⸗ haupt iſt diejenige nach der Kritik unb Echtheit ihrer Bücher aufs Nächſte verwandt. Kein wiſſen⸗ fhaftlicher Theologe wird dem Gap des Berf. zu wider fprechen wagen, daß diefelben „mit ihrer Sprache umd ganzen übrigen äußern Geſtalt in das große Gebiet des Schriftſtellerthums und der alten Sprach» und Schrifts tunde (Philologie) fallen uud der Grammatik, Kritik und Auslegung unterworfen werben müflen” (S. 359.). Allein eben fo wenig verkennt der Berf., daß bie Bücher der h. Schrift nicht nur vom natürlich en Standpuufte and geprüft und ausgelegt werden können. Die große Berirrung des Rationalismus in Beziehung auf Exegefe

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und biftorifche Kritik beſteht in nichts Anderem, ale daß er diefe Bücher wie audere litterarifche Erzenguiffe ber handelte und fih bach Aber fie erheben zu dürfen meinte, anflatt fih in Diefelben zu vertiefen. Der Rationalismus hielt und Hält es noch für vernünftig, feinen Maßſtab an die h. Schriften mitzubringen und ihren Juhalt nad demfelben zurechtzulegen; wir halten ed für vernünftig, dieſen Mapftab aus den h. Schriften ſelbſt zu entnehmen und fie in dem Geiſte anszulegen, der ihnen eigenthümdlih if. Der Berf. fagt hierüber fehr ſchön und wahr: „Das allgemeine und zwar höchſte Gefet der Auslegung, daß jeder Schriftſteller aus ſich felbR und aus dem Beifte feines Volkes und feiner Zeit esttärt werden muß, bringt in feiner Anwendung auf Bie nenteſtamentliche Auslegung die Forderung mit fi, Daß der Undleger diefer Schriften ſich mit deren Berfaffern in geiflige Beziehung und Verwandtſchaft ſetze und fich durch innige Bekanntſchaft mit ihnen den Brit aueigne, in dem fie lebten und fchrieben” (S. 359.). Wir möchten und dabei erlauben, auf eine Regel ber Uudlegung aufs merkſam zu maden, bie vielleicht in den Morten des Berf. mit enthalten ift, aber andy verdient, noch deſon⸗ ders hervorgehoben zu werben. IE nämlich die Lieber, jeugung won der Jufpirirtheit der bibliſchen Schriften vor» handen, fo, fcheint uns, hat der Audleger vor Allem den Beik der Demuth nöthig. Auch der Ausleger vom Drofanfchriftitelern kaun diefen Geiſt nicht ganz entbeh⸗ zen, weil er fon leicht in oberſlaͤchliches Abſprechen vers fat. In viel höherem Maße bebarf jedoch des biblifche Undleger deſſelden. Deun er geht an die Auslegung von Shriften, bern Geil er ſich mit dem Herzen und ber Geſinuung zu unterwerfen hat, die er nicht nach Belieben - uud Willlar modeln darf, in Denen er bie höchſte mittel- bare Offenbarumgsquelie Gottes verehren fol, Wäre die Andlegung immer mit biefem bemüchigen Geiſte au die

das Wefen des chrifltichen Glaubens x. 441

heiligen Schriften heramgetreten, fo hätte bad Leben Jeſu eined Strauß und die Evangelienkritik eined Br. Bauer, von anderen Prodnucten eregetifcher Hoffart nicht zu ſpre⸗ chen, nie in Ber Art entfichen können, wie wir erlebt haben.

Was nun die Kritik der Echtheit der bibli fhen Schriften betrifft, fo behält auch hiex der Ver⸗ faffer mit vollem Rechte der Wiflenfchaft dad Recht ber - Prüfung vor. „Diefe Prüfung”, fagt ee (S. 360.), „iR ſchlechterdings nothwendig, wenn wir uns die Wahrheit der Geſchichte unſeres Glaubens und unferer Kirche ver» hen und und nicht einem blinden Ueberlieferungs⸗ glauben bingeben wollen.” Go wahr dieß ik und fo wenig Ref. die Kritik fchent oder fürchtet, fo glaubt er doch, daß bie Mefultate berfeiben eine Zeitlang in der evangelifhen Kirche überfhäßt worben find. Bis auf dieſen Augenblick iſt es nicht gelungen, von irgend. einem biblifchen Buche nachzuweiſen, daß es feiner Stelle in der Sammlung kanoniſcher Schriften nuwürdig fey; und weis den Eindruck würde das auf das chriftliche Bell hers vorbringen, wenn die Wifenfchaft der Kische zummthen wollte, auch nur das Eleinfte und unbebeutendfte diefer Bücher aus deu Kanon zu flreihen? Der Verf. ſieht das ſelbſt vollkommen Kar ein, und wir möchten die allzu fenrigen Verehrer der biblifchen Kritik um fo nachbrüds licher auf defien Urtheil verweifen , ald er mit Recht bet erke biblifche Kritiken unſerer Zeit genauut zu werden verbient ; ben keiner hat mit ber größten Schärfe und Feinheit des Urcheild eine folche Umficht und Befonnens heit verbunden, wie bieß beſonders in den leuten Ads gaben der bibkifchen Einleitungsfchriften des Verf. her» vortritt. Er fagt nämlich (S. 360 F.): „Wie and das Ergebniß der Mrisifchen linterfuchung Aber Berfafler und Entſtehnugszeit einer nenteflamentlichen Schrift ausfallen möge, immer bleibt ihr der Wersh einer Hervorbringung

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bed apoſtoliſchen Zeitalters und einer Darftellung des Ur⸗ chriſteuthums und der Befchichte beffelben; nur baß fie vieleicht der Dffenbarung nicht fo nahe zu ſtehen kommt al& nach der gewöhnlichen Anſicht. Keine diefer Schriften ift verwerflihh oder ihrer Stelle in der heil. Sammlung unwördig.” Dagegen möchten wir diejenigen einigermas Ben in Schuß nehmen, die eine gewifle Scheu oder Furcht vor den Anftrengungen haben, welche die Kritik in unferer Zeit macht, um ben neuteflamentlichen Schriften möglichf die Baſis ihrer gleichzeitigen Entſtehung mit ben Heils⸗ thatfachen felbft gu entziehen. Bor der Wahrheit haben wir und gewiß niemald zu fürdıten, aber vor der Ent fellung der Wahrheit. Und daß es für das chriſt⸗ liche Bewußtſeyn gleichgültig fey, ob die heiligen Schriften Producte der apoftolifhen Zeit ober des zweiten Jahr bunberts nach Ehrifto feyen, köunten wir niemald zugeben. Es ift fehr wahr, wenn der Verf. fügt, „der chriſtliche Glaube fey nicht, wie ber jüdifche, ein Schriftglaube, fondern ein Geifteöglanbe” (S. 300.. Der Berf. fühlt fih aber auch gebrungen, hinzuzuſetzen, der chriſtliche Blaube fey ein gefhidhtiiher Glaube, ber auf That fachen berube. Es kaun daher für die Eutſtehungögeſchichte unfered Blaubend nur von großem Werthe feyn, zu wiſ⸗ fen, daß diefelbe durch Augenzeugen ober gleichzeitige Nachrichten une verbürge ift, und jeder Ehrift ift bei der Unterfuchung über die Echtheit der biblifchen Schriften in diefem Sinne mit feinem Glauben betheiligt. Das Br ſtreben einer jungen theologifchen Schule, gerade biejeni« gen der neuteflamentlidyen Schriften, bie für die Glaub⸗ würdigkeit der evangelifchen Thatſachen von größter Wichtigkeit find, ale Producte des zweiten Jahrhunderte nachzuweifen, Tcheint und „anf dem Standpunkte bed Blaubens” ein nicht ungefährliched. Sollte ed dieſer Schule gelingen, mit ihren Anfichten durchzudringen, fo würde bie gefchichtliche Glaubwürdigkeit des Chriſtenthums ger

: dad Wefen des chrifllichen Glaubens ꝛc. 443

fhwädt, und diefe zn fchwächen, liegt auch in ihrer Ab⸗ fiht, Dadurch müßten ber Kirche wenigftend vorüber, gehende Berlegenheiten bereitet werben, Allerdings nur vorübergehende. Denn wir müflen dem Geiſte der Wahrs heit, der und von dem Herrn verheißen ift (Joh. 14, 26), vertrauen, und infofern die Befürchtungen der Ortho⸗ dorie einen Mangel an Glauben burchbliden laffen, find fie zu verwerfen. Jedoch möchten wir auch bier an uns fern Kanon von der dDemüthigen Scriftansiegung erinnern. Geit Jahrhunderten hat die Kirche die heiligen Schriften anerlannt; wir fagen nicht, dieß fey ein bins, läungliher Brund, um ſie auch ferner anzuerkennen, aber ein bonum praeludiclum muß eine ſolche Jahrhunderte lange Zuftimmung dennoch erweden, und würde dieß auch ſchon auf dem bloß juriftifchen Gebiete. Darum möchten wir auch den Glanben nicht unter jeder Bebins gung „biind” nenuen, ber in ber Firchlichen Ueberliefe⸗ rung einen Grund für bie Glaubwürdigkeit der biblifchen Schriften findet. Das chriftliche Bolt wird immer fo glauben, da man ed dem einfach Gläubigen nicht zus muthen Bann, biblifcher-Exeget und Kritiker zu werben. Und auf der anderen Seite hüte man ſich aud vor einer Hyperkritik, die eben fo blind, eben fo leidenfchaftlidh eingenommen für ihre angeblihen Refultate werben kann ald die Hyperpiftid. Wir glauben, and) im dieſer Bezie⸗ bung dem Berfaffer aus dem Herzen zu fprechen, ber ſelbſt am „Heften bewiefen hat," daß man Kritiker jeyn kann, ohne Hyperkritiker zu werben.

Die Antorität der Schrift wird aber in unferer Zeit nicht nur binfichtli der Außeru Glaubwürdigkeit in Anfpruch genommen; beinahe noch wichtiger möchten die Einwärfe feyn, welche man von Seiten ihrer innern Glaubwurdigkeit gegen fie- erhoben hat. Es muß unfere Theilnahme erweden, zu wiſſen, wie fich der vermittelnde Glaubensſtandpunkt des Berfaflerd auch in eieier Bezie⸗

Theol. Stud. Jahrg. 1847.

444 be Weite

hung geltenb macht. Befonderd die neuere Natur wiffenfhaft, nicht zwar in allen, aber in den meiften ihrer Bertreter, iſt in einen bedenklich fcheinenden Con» fliet mit der heiligen Schrift getreten. So tft z. B. bie Schöpfungsgeſchichte vielfach von der Naturwiflenfchaft angefochten worden, mwiewohl in neuerer Zeit die bibltfche Borftelluug wicher namhafte Bertheidiger gefunden hat, Der Berf. hält es für unnöthig, die Schöpfungsgefcdhichte zu einem Gegenflande der Apologetik zu machen. Denn,” fagt er (6. 87.), „Alles, was von diefer Art iſt, was die Berhältwiffe der Naturgegenkände zu einander, Die Weifſe, wie fie einander bedingen, ihre frühere oder fpätere Ent⸗ ſtehung bettifft, ſchlägt in die Naturwiſſenſchaft ein; and über Bas Wahre oder Falſche in diefem Gebiete entfcheidet allein bie au der Hand der Erfahrung gehende Forſchung.“ Aus die ſem Grunde fügt der Berf. im Weiteren: „Wir mifchen und in diefen Streit nicht, den das Intereffe bes Glaubens nichts angeht, ba ja diefer feiner Ra tur nad zwar an und mit Raturerfeuntnig zum Be wußtfenn Tommt, aber von dieſer ſelbſt verfchieden if.” Gewiß hat darin der Verf. Recht, daß der heil. Schrift Keller nicht den Zweck hat, Naturkunde zu Ichren, fondern die hohe und ewige Glaubendwahrheit zur Aufchauung beingen will, daß Gott der Schöpfer von Allem fey. Ber fonders damit aber berührt er einen wichtigen Puublt, wenn er bie Jugendlehrer davor warnt, den Zwiefpalt zwifchen dem Glauben und Willen gu pflanzen und zu nähren, inbem fie bad, was in die Naturkunde einfchlägt, als göttliche geoffenbarte Wahrheit geltend machten und dadurch ihre Zöglinge im Die Sefahr brädkten, einfk, wenn fie Naturwiſſenſchaften findierten,, an der h. Schrift irre zu werden. Nur könnte hierauf erwidert werden, daß biefer Zwiefpalt in unferer Zeit nichts Gemachtes, fon dern etwas Gewordenes ift und in noch tieferen Urſa⸗

das Weſen des chriftlichen Glaubens ꝛec. 445

hen begründet liegt. Allein immerhin iſt es bedenklich, wenn man den Gläubigen in unfeser Zeit allzu große kaſten aufbürdet, und felbft Männer wie Thierfch haben neulich warnen zu müfjen geglaubt, daß man die Bew pflichtang sum Glauben nicht allzuweit ausdehne. Wir lönnen und zwar einen Slauben denten, dem auch bie Schöpfungsgefchichte in der erzählten Form Glaubendr gegenftand geworden ift, und es wird fogar ſchwer hal ten, im Volke einen andern ald diefen Glauben zu pflaus gen. Für unsichtig muß es aber immerhin ‚gelten, wenn das Heil der Seele oder die Seligfeit von dem Glauben an Außere Naturereigniffe abhängig gemacht wirb, und fehr gut fagt der Berfaffer, „man koönne deu Phyſikern für ihre Erforſchung der Entftehung der Dinge, der Erde u. ſ. w. freien Lauf laſſen und doch den Glauben au den Schöpfer ungekränkt erhalten” (S. 89 ff.). Deunoch find wir aber der Anficht, daß die Naturwiſſenſchaften vom Standpunkte bed Glaubens aus eine audere Mes haubiung erfahren ald von demjenigen des Unglaubens aus. Auch möchten wir es der Theologie nicht gang ver⸗ denfen, wenn fie zu manchen Naturforfchern Fein unbe⸗ dingtes Zutrauen hat. Wer die Bibel von vorn herein für ein Erzeugniß des bloß menfchlichen und natürlidden Geile hält, wird ihre Ausſagen über die Natur und das Berhältnig derſelben zum Geifte weit geringfchäßiger bes urtheilen , ald wer fie ald ein Werk des göttlichen Geis ſtes kennen und verehren gelernt hat. Und das wirb leider eingefiauden werben müflen, daß fehr viele Natur⸗ forfcher fich Über die natürliche Anficht der Dinge nicht erheben und am allerwenigiten die {bee der göttlichen Immanenz, die unferem Berf. fo viel gilt, zu würdigen verliehen. Wenn wir daher die Refultate der Naturs wiffenfhaft nicht verbammen wollen, follten fie auch von der Bibel abweichen, fo wollen wir es doch sben fo wenig 80 *

46 de Bette

loben, daß die Raturforfchung im Allgemeinen religiös indifferent geworben ift.

Der Stanbpuntt des Glaubens fann aberdieß auf einem Punkte nicht ausweichen, mit dem mobernen Standpunfte der Naturwiſſenſchaften in Conflict zu kom⸗ men. Wir meinen dad Wunder. Lieber keinen Gegen⸗ ftaud ded Glaubens bar dad moderne Bemußtfeyn rück⸗ fihtelofer den Stab gebrochen, als über diefen, und man Fönnte in einem gewiflen Sinne fagen, bie gauze religiöfe Gtreitfrage komme im Grunde baranf hinaus, ob «6 Wunder gebe oder.nicht. Man erzählt von Mirabeam, er habe in feinem fiebenten Jahre, ald davon die Rebe war, ob Bott auch Diuge machen Lönue, bie ſich wider, fprechen, wie 3.8. einen Stod, der nur ein Eude hätte, gefragt, ob nicht ein under ein Stod mit einem Ende wäre. Go kindiſch wie von dem fiebenjährigen Mira, beau wird von dem modernen Standpunkte über das Wunder geurtheilt. Es ift fehr erfreulich, daß der Berf. dem modernen Bewunßtfeyn bier furchtlos entgegentritt, wo ed feine mächtigſte Waffe gefchmiebet zu haben glaubt. Neben dem gewöhnlichen Schaffen Gottes innerhalb der beitehenden Naturordnung nimmt er nämlich auch noch Fälle an, „wo wir theild durch die nnaureichende Kennts niß der Mittelurfahen, theild durch das Ungewöhnlidye und Außerordentliche einer Erfcheinung in der Natur und Gefchichte uns bewogen fühlen, mit Ausfchluß ober doch Befchränfung oder Befeitigung der uatürlichen Ans fiht und der nach ihr zu erfennenden oder vorauszu⸗ fegenden gewöhnlichen Mittelurfadhen, an Gottes freie Shöpferthätigkeit allein zu denken, ober eine anßerors deutliche menfchliche Geiſtes kraft als Urfache außerorbents licher Wirkungen anzufehen und das, was man Wunder nennt, zu glauben” (5. 90.) Allerdings beſchränkt der Derf. feine Anſicht dadurch, daß er dem Wunderglauben die Anerkennung feiner Allgemeingültigkeit verfagt nnd

dad Weſen des chriflliden Glaubens x. 447

als Regel fefthält, daß Gott fi der Mittelurfachen ber diene. Die einzige Art von Fällen, mo er Wunder ans nimmt, gehört ihm in die Gefchichte der Offenbarungen Gotted. Er nimmt alfo an, daß Ehriftus und die Apo⸗ fill Wunder gethan, oder vielmehr daß Gott dergleichen au ihnen, für fie und Durch fie gethan habe,

Es fcheint une der Berf. befonders darin den volls kommen richtigen Weg eingefchlagen zu haben, daß er von dem geiftigen Wunder ausgeht und hieran dem Sad knüpft, daß, wer die geifligen Wugber annehme, wegen des innigen Zufammenhanges zwifchen bem Geiſte und der Natur and zur Annahme von phyfifchen Wun⸗ dern geneigt ſeyn werde (S. 91.) Wir dürfen uns das Wunder niht anders als durch den Geiſt vermittelt Denken. Der gegründetfie Einwurf, den das moderne Bewußtfeyn gegen das Wunder madıt, bes ſteht darin, daß ed Gottes unwürdig fey, die gewöhn⸗ Iihe Naturordnung durch Wunder geftört, aufgehoben, flilgeftellt zu denken. Der Berf, verwirft auch, und mit vollem Rechte, diefen falfhen Wunderbegriff gänzlid. Er fagt hierüber: „Der Ausichluß von gewöhnlichen Raturs 3. B. Heilmitteln iſt noch Leine Störung der Naturords nung; die Auferwedung vom Tode kann, ohne einen ges wöhnlihen Scheintod anzunehmen, fo gedacht werden, daß in dem erflorbenen Organismus doch noch ein Les benskeim fchlummerte, der wieder angefacht wurbe u. f. w.“ Sp dent ſich der Berf. die Auferweckung Jeſu Chriſti als einen „höheren Lebensproceß“, mithin als etwas in höherer Weife Natürliches, den gewöhnlichen Naturvers lauf nicht Durchbrechendes, fondern Ermweiterndes, was im Zufammenhange mit der großen, durch und in Ehrifto gefchehenen geiftigen Bewegung und fittliheh Entmwidelung der Menfchheit zu denken fey (S. 92 ff.).

Damit hängt nun aber aufs genauefte bie Frage zaufammen, welche Bebeutung bem WBunderglauben auf

248 ri be Wette

dem Glaubensſtandpunkte des Berf. zukomme Man muß nun gefteben, daß diefe Bedeutung nicht hoch ans» gefchlagen wird; denn ber Verf. wünfcht, daß ber Wun⸗ derbeweis für die Göttlichkeit des Chriſtenthums von Der Apologetik jegt ganz aufgegeben werden möchte (S.30T.). „Er bat,” fagt er, „an fi wenig Werth, weil ber Wunderglaube wenig Werth hat; jegt aber, wo er eher dem Zweifel, ald der Empfänglichkeit begegnet, kann er gar nicht mehr fLattfinden. Was dem Zweifel bloßgeſtellt iſt, kann nicht zur Befeftigung des Glaubens dienen, welcher das Zweifellofefte von Allem feyn fo.” Der Berf. erinnert hierbei an die allerbinge nicht zu vers fennende Schwierigkeit, die philofophifchen Zweifel gegen die Möglichkeit der Wunder zu entfräften und die Glaub⸗ mwürdigfeit der evangelifchen Berichte bie ine Eine zelne hinein ficher zu ſtellen. „Und auf einen fo unſi⸗ hern Erfolg,’ vuft er aus, „wollt ihr ten Glanden gründen, deffen Werth und Kraft allein darin beficht, daß er das Gemüth feſt und ruhig macht?”

Man ſollte demnach meinen, der Verf, fpreche dem Wunderglauden für unfere Zeit alle Bedentung ab. Das tft aber nicht der Fall. Auch könnten wir allerdings den Sat bed Verf, daB, wad dem Zweifel bloß⸗ geftellt fey, nicht zur Befefigung des Glau⸗ bend dienen könne, nicht für zuläſſig halten, Die Zweifelfucht hat in unferen Tagen Leinen einzigen Glau⸗ bensſatz verfchont; fie bedroht dad ganze Ehriftenthum mit Vernichtung; was vor hundert Sahren noch für uns antaftbar galt, ift jebt Gegenſtand des Zweifels, ſelbſt bed Spotted geworden. And doch gründen taufend Ges mäüther den Krieden ihred Herzens, ihre geitliche und ewige Hoffnung darauf, und dad, wad Andere mit dem Zweifel benagt und aufgelök haben, ſteht ihnen fe wie die Berge Gottes. Es gehört zu dem merkwürdigen Gegenfaße, der unfere Zeit zerfpaltet, dog, während

dad Weſen des chrillihen Glaubens ı. 449

man den Einen durch Aufbrangen bed Munderglaubens noch den letzten Reſt ihres Chriſtenthums rauben, man den Audern durch Auflöfen des Wunderglaubene bie Voll⸗ traft ihrer chriſtlichen Ueberzeugung zerſtören würde. Dieſes Letztere darf man zumal vom „Standpunkte des Glaubens“ and nicht unbeachtet laſſen, und wir erken⸗ nen darin die Umſicht und edle Gewiſſenhaftigkeit des Verf. daß er ſelbſt ſagt: „Demungeachtet hat der Wun⸗ derglaube ſelbſt in nuſerer Zeit, für unſer Bolt und ſo⸗ gar für die Gebildeten und Denker nicht alle Bedeutung verloren, und anf die an letztere ges richtete Frage, ob fie wollten, daß die Evangelien eine Bunder enthielten, dürfen wir ficher eine verneinende Autwort erwarten. Mad wären das doch für heilige Urkunden, in denen Alles fo natürlich herginge, wie etwa in der Geſchichte Eatber’s?” (5. 308.).

Wir können ſchon aus letzterem Grunde mit dem Verf. nicht recht Übereinkimmen, daß der Wunderbeweis für unfere Zeit alles apologetifche Intexefle verloren habe, und und will fcheinen, mit dem Ausſpruche, daß zum Begriffe Heiliger Urkunden das Wunder gehöre, habe der Berf. felbft Die apologetifhe Bedeutung bee Wunders anerkannt. Bei manchen Zweiflern mag der Zweifel zunächſt aus dem Mahrheitöfinne entſprun⸗ gen ſeyn; bei fehr Bielen hat er einen weniger fitts lihen Urfprung. Warum geben fi die Gegner des Chriſteuthums fo viele Mühe, den Wunderbegriff aufgus iöfen und befonders die von Ghrifto erzählten Wunder ig Mythen zu verwandeln? Wenn ed fich hier nicht darum handelte, ein Bollwerk des Glaubens zu ſtürzen, würde man fo viele Mauerbrecher ber Dialektik in Ber wegung feßen? Der Berf. hat nadı unferem Dafürbals ten ganz das Richtige getroffen, wenn er ſich dahin aus⸗ fpriht, mit der Anflöfung des Wunderbegriffes in den heiligen Urkunden würde benfelben ber Charakter des

450 de Wette

Uebernatürlichen, Goͤttlichen, Geheimnißvollen entzogen, Es fagt und eine innere Stimme diejenige einer ex» leuchteten Bernunft —, daß neue Sottedoffenbarungen au die Menfchheit fih nicht an deu gewöhnlichen Naturver⸗ lauf anfchließen können, fondern über denſelben hinausgehen müffen. Rur wer überhaupt au feine außerordentliche @ottesoffenbarungen glaubt, wer Die natürliche Weltanfiht für die einzig mögliche hält, wer völlig auf alle religiöfe Weltbetrachtung verzichtet hat, wird auch das Wunder für unmöglich erklären Aus dDiefem Grunde fcheint dem Ref. die Frage nach ber Möglichkeit und Wirklichkeit ded Wunders eine ber wich⸗ tigften theologifchen Zeitfragen. Auf den Wunbderbegriff verzichten, fcheint ihm fo viel zu beißen, als auf eine übernatärliche Weltanficht verzichten.

Bon hier aus iſt die Beantwortung der Frage leicht, ob der Wunderbeweis auch für unfere Zeit noch ein apos logetifched Intereſſe habe. Dem Ref, nämlicd, fcheint er das apologetifche Intereſſe im höchſten Orade iu Anfpruch zu nehmen. Das Wunder muß gegen bie Angriffe des philofophifchen Zweifels vertheidbigt werben; dieſe Bers theidigung unterlaffen, hieße fo viel ald die Schwäche bed Wunderſtandpunktes eingeſtehen. Der Berf. madıt übrigens auf treffende Weiſe die Urſache bemerklich, was sum das philofophifche Zeitbewußtfeyn für den Wunder beweid unempfänglich if. „Der philofophifche Stand» punkt,” fagt er, „if nicht der gläubige, und ber Philes foph als folcher befinder ſich nicht in ber gläubigen Gefühlsſtimmung, welche zur Beantwortung der Wun⸗ derfrage erforderlich if” CS. 00.). Die Apologetik ſcheint Ref. hiernach zuallervörderſt die Aufgabe zu haben, dem Dhilofophen die Einfeitigkeit feines Standpunk⸗ ted nachzumeifen unb ihm begreiflich zu machen, daß ihm ald wahrem Philofopben auch die Pflicht obliegt, ſich auf den religiöfen Standpunkt zu verfegen und in

daB Weſen deö chriſtlichen Glaubens ꝛc. 451

dieſen hineinzugehen. Sind wir doch über die Vor⸗ Relung hinweg, daß die Philoſophie die Welt erſchaffe; ik es doch genug, wenn fie die ſeyende Welt nur bes greift und ihrer bewußt wird. Zum Begreifen und Bes wußtwerden gehört aber, daß man über die Dinge nicht abfpricht, nicht mit Borurtheilen an fie herantritt, fons dern mit Liebe fich in fie verfentt und mit dem inneren Sinne fie fih aneignet. Darf man der berrfchenden Philoſophie nachrähmen, daß fle das mit dem Wunder gethan hat? Oder ift fie nicht vielmehr die angeblich vorausfeßungelofe mit der Borandfegung an das Wun⸗ der gegaugen, daß daffelbe etwas Unmögliches ſey und darum um jeden Preis vernichtet werden müſſe? Gerade der Berf. fcheint nnd auch hier der Apolo⸗ getik die richtigen Fußtapfen vorgezeichnet zu haben, und weru er einerfeitd die Zwedmäßigleit ded Wunderbewei⸗ ſes für die Apologetif beftreitet, fo hat er fie anderer, ſeits durch die eigenen apologetiſchen Grundfäge, weiche er aufftellt, wieder beftend empfohlen. Er gebt sämlih davon aus, daß „die Offendarung der Erfcheis nung Jeſu Ehrifti ale des ſündloſen, untrüglichen, voll⸗ fommenen Menſchen dad erfte und Hauptwunder fey, von weichem alle anderen abhängen” (S.308.). Dabei,” fährt er fort, „„entfcheidet ed fi, wer mit uns hält, und wer nicht. Wer nicht an diefed Wunder glaubt, wit dem laſſen wir und gar nicht auf den Glauben an Zefa Bunder ein, fondern fuchen ihn allererfi wo möglich zu überzeugen, daß er an ihn felbft und feinen heiligen Eharakter glaube” Iſt es dem Apolos geten gelungen, bier feſten Pofto zu faflen, fo ift ed auch nicht mehr fo fchwierig, weiteres Terrain zu erobern, Ehe wir aber bie den Wunderbegriff ded Berf. bes teeffende Prüfung weiter fortfeßen, müffen wir und ums jehen, auf welchen Punkte wir angelangt find. Unſtrei⸗ tig hängt, von hier aus betrachtet, die Frage nach dem

452 ve Wette

Wunder mit einer höheren: nach der Perſon Ehriki überhaupt zufammen, amd es iſt unmöglich, die erſte ohne bie zweite zn erledigen. Es fragt ſich alfo, welchen Bes griff der Verf. mit Jeſu Perſon verbinde, In dieſer Beziehung mäflen wir eine Eigenthumlichkeit des Verf. darin finden, daßerSefu wahre und volle Menſch⸗ beit old den Hauptpunkt des ganzen chriftlichen Glaubens, die Bermittelung und Verwirklichung der höchſten Ideen darſtellt (S. 200.). Damit gibt ber Derf. felbft zu, daß die natürliche Anficht, die er font immer neben der übernatürlichen geltend macht, iu diefer Beziehung für den Glauben ſelbſt nothwendig, je ein Theil von ihm werde. Daß das wirkliche Menſch⸗ ſeyn Jeſu Ehrifi den Gnoftitern alter und neuer Zeit gegenüber mit aller Kraft geltend gemacht werden muß, darin hat der Berf. vollkommen Recht; in einem gewil: fen Sinne möchten wir ed fogar der katholiſchen Kirche ded Mittelalters zum Hauptvorwurfe machen, daß fie Ehriſtum nicht ald wirklichen Menfchen zu begreifen ver mochte und aus diefem Grunde allmählidy den geſchicht⸗ lichen Zuſammenhang mit dem apoftolifchen Chriſten⸗ thume verlor. Dagegen fcheint und aber der Begriff der Menſchheit Ehrifti dennoch zu dürftig uud wohl zur Abwehr des Gnoſticismus, aber nicht des Ebioni⸗ tismus in der Kicche geichidt. Das fühlt der Verf. ſelbſt, wenn er zugibt, daß Manche mit feinem Satze ſich widt zufrieden geben werden. Auch ift der Berf, keineswegs einer ebionitifchen Anſchauung von Ehrifti Perfon zugethan, indem er felbfi drei Punkte hervorhebt (die Erzeugung die Wunder und die Auferfiehung), in denen Ghriftus über die Natur, das Bermögen und Loos der Übrigen Sterblihen binausgehoben erfcheine (S. 902.) Diefe Anficht des Berf. von der reinen Menſchheit Chriſti hängt Übrigens damit zufanımen, Daß er im Chriſten⸗

das Weſen bes chriflichen Glaubens ꝛc. 453

thume überhaupt bie Brfcheinung ber reinen Menſch⸗ lichkeit erblicdt (S. 248.).

Wir verfemen die Gründe gar nicht, welde den Berf. auh vom Glaubenéſtandpunkte aus vermocht has ben, auf den Begriff der Menfchheit Ehriſti ein fo gros ßes Gewicht zu feßen. Es ift immer mehr Hinneigung in der Kirche vorhanden gewefen, die Menfchheit Ehriftt anf Koften feiner Gottheit zu verkleinern und zu ſchwä⸗ hen, ald umgekehrt, was am beften die lutherifche Lehre von der communicatio idiomatum beweift. In unferer Zeit verhält es fich aber andere. Der Glaube fehr Vie⸗ ler ift bis zu einem fehr dürftigen Ebionitismus abges ſchwächt, und es fehlt unferer Zeit an jenem Organe, das fih in die Tiefen der Gottheit zu verfenten weiß. Tiefem Schwacdglauben gegenüber haben die Starfgläus digen nicht Unrecht, wenn fie den Begriff der Gottheit Ehrifti betonen, fie haben aber darin nicht Recht, daß fie dieß gewöhnlich auf Unkoſten feiner Menfchheit thun. AS wahrer Menſch ift Jeſus Chriftus auch noch feine Duelle des Trofted und der Berföhnung für und, Der Troft liegt in dem Glauben, daß Gott Menfh geworden fey, nicht daß ein wahrer Menfch gewefen fey; Gott und nicht der Menſch bleibt das Subject der Erlöfung, der Menſch ift nur das Prädicat derfelben. Darum fcheint und der Ausdruck Gottmenſch das Wefen der Perfon Chriſti am treffendften zu bezeichnen, und daß der Verf, diefer Anfchauung gar nicht abgeneigt iR, beweift er am beften bamit, daß er die Berfähnung eldeine zugleich menfhlihe und göttlihe That ſchildert.

Dennoch ſcheint uns der Verf. den Begriff der Gottmenſchlichkeit Chriſti nicht in feiner ganzen Fälle entwickelt zu haben. Er hebt, wie bemerkt, drei Punkte and dem Leben Jeſu heraus, die über den na⸗ tärlihen und menfchlichen Standpunkt hinansgehen, Als

45& de Wette

Iein wir Tönnen doch kaum dafür halten, daß bie Mei⸗ nung des Berf. dahin gehe, nur in diefen drei Bezie⸗ bungen laſſe fih dad Leben und Weſen Ehrifti als ein gottmenfchliched nachweilen. Wir müſſen darin der Kir chenlehre vollfommen Recht geben, daß fie die Einheit Der Derfon durch alle Momente bindurchführen wollte, wenn fie anch mit ihrer Abficht an praftiihen Schwie rigfeiten gefcheitere if. Die ganze Perſoͤnlichkeit Chrifti fcheint uns ale eine gottmwenfchliche aner fannt werden zu müflen, worin fich allerdings eine ſpe⸗ cififche Verſchiedenheit feiner Perſon im Berhältnifle gu allen anderen, felbit zum erften Menfchen ergibt. Diefe it aber gerade durch feine übernatürliche Erzeugung ans gedentet und ruht mithin felbft auf einer phyfifchen Ba- fi. Die Auffaffung der Perfon Chrifti ald des wahren Menfchen erflärt fidh beim Verf, ohne Zweifel am beften aus feinem Urtheile über die Firchliche Lehre von den zwei Raturen, die er eine unbiblifche, untheologifche und unmiffenfchaftliche nennt (S. 329.). Gewiß ift diefe Rehre in ihrer alten fpröden Form durchans ver werflih und einer Umbildung bedbürftig; das Urtheil deö Derf. fcheint und aber dennoch etwas zu hart. Unmwils ſenſchaftlich ift fie, unbibliſch und nntheologifcdh aber nur ber Form, nicht dem Wefen nach. Wir verbinden mit dem Begriffe Natur die Borftelung eines wefenhaf ten Seynd; bie Natur eined Gegenftandes iſt das, wo⸗ durch er befteht und fi von anderen Gegenſtaͤnden uns terfcheidet. Die alte Theologie irrte darin, daß fie dad Weſen Gotted und das Weſen des Menfchen als etwas fich gegenfeltig Widerfprechendes faßte, dieſe zwei ver meinten Widerfprüche in die Einheit der Perfon Ghrifli aufammenfaßte, den Widerfpruch alfo durch einen Macht fpruch, aber nicht wiflenfchaftlich löſte (f. dad Welen des Proteftantidmus, a.a.D., S. 357.), Daswird aber ugegeben. werben möüflen, daß das Weſen Gottes und

dad Wefen des cheifllichen Glaubens x. 455

dad Weſen des Menfdien ja etwas Befondered, Eigen⸗ thümliches ift, und daß diefe beiden Befouderheiten in Chriſto fi harmoniſch zufammenfdloffen und eine Pers fönlichleit hervorbradjten, an welche auch nach des Berf. Anficht Feine andere menfchliche hinaufreicht. Der Berf. bat unbedingtes Recht, dagegen zu protefliren, daß Chris Rus Gott und Menfch geweſen fey, und fowohl wenn wir von einem Botte, als einem Menſchen Ehriftus reden, fo reben wir uneigentlich und müſſen und mit bem zwiug⸗ liſchen Lehrfage von der „Alloiofie” heifen, Im Begriffe des Gottmenfhen if die Weſenseigenthümlichkeit Botted und ded Menſchen als in einer höheren Einheit enthalten. Ä

Der Berf. Hat ſich die volle Aneignung des Begrifs fe6 der Gottmenſchlichkeit allerdings dadurch erfchwert, dag er Ehriftum nur in feiner gefchihtlichen Erſchei⸗ nung zu erfennen fuchte, Im Begriffe des Gottmenfchen liegt allerbings etwas, das über alle Geſchichte hinaus⸗ geht. Allein der Verf. fühlt fich auch felbft wieder ge, nöthigt, Den gefchichtlihen Boden zu verlaffen und fi zu einem Urbilde von Chriſto aufzufhwingen, das jenfeitö der Grenzen bloß gefchichtlidher Korfchung liegt. „Der gefchichtliche Glaube der Chriftenheit,” fagt er im diefer Beziehung, „hat fich nicht in dem engen gefchichte lihen Grenzen gehalten, und founte e6 feiner Ras tur nah als Blaube nicht, weil fein Gegenftand zugleich gefchichtlich und urbildlich it” (S. 323.) Und gerade über die Urbildlichkeit Chriſti fpricht fich der Verf. fehr fhön aus. „Das göttlihe Keben,” fagt er, „das. in feinem irdifchen Leben erfchienen, war durch feinen Tod nicht vernichtet, hatte fih vielmehr thatkräftig und fiegreih in ihm felbft und außer ihm durch Pflanzung des gleichen Lebens in der Menfchheit bewiefen, und tchrte nun zn feinem Urquelle, dem Bater, zurüd, aber nicht, um in biefen zurädzufließen und in anderer Weife

. 456 be Wette

wieber audgefirömt au werben (nach pauth eiſtiſcher Au⸗ ſicht) Der Endlichkeit und dem Kampfe diefer Erde entrüdt und zu Gott emporgehoben, entfaltet Chriſtus dort die ganze Sieges herrlichkeit; Die Herrfchaft, die ihm als Stifter und König ded Reiches Gottes gebührt und bie er hinieden noch nicht empfängt, indem bie Sei, nigen, und in ihnen feis Geift, noch mit der Welt gu fümpfen haben, fällt ibm in der urbiidlichen Ewigkeit ganz zu.” Allein fo ſchön dieß ik, fo beherzigenswerth pantheiſtiſcher Verflüchtigung gegenüber, fo befriedigt es dennoch das gläubige Gemüth nicht ganz. Der Verf. treunt das Geſchichtliche und das Urbildliche in Chriſto von einander; er will, daß man ſich vom Ge⸗ ſchichtlichen zum Urbildlichen er hebe (S. 329.) De Glaube will aber Beides zuſammenfaſſen, er wil Gott und Menfch zuſammen fchauen; und ed ſcheint und, man könnte hier wenigftend mit einigem Rechte an dem Berf, audfegen, daß er Gott nicht geuug Menid werden laffe. Das Geheimniß, daß Gott Menſch ge worden, ift freilich für unferen Verſtaud unergründlid, eine ungeheure Thatſache, vor der und dag Denken ver

geht. Der Berftand wird und muß immer fragen: „wie

konzte eine abfolute göttliche Perſönlichkeit, wie konnte Das ewige Wort, das durch die ganze Welt geht und fid; überall fort und fort außfpricht, in einem menſch⸗ lihen Leibe eingefchloffen feyn?” Nur ift zu be merken, daß die Kirche das Lebtere niemals behaupte hat. Höchſtens in der chriſtologiſchen Anſchauung der Brüdergemeinde finden ſich Spuren einer fo unver: nünftigen Vorſtellung. „Gott ift Menfch geworden,” und „Bott ik im Menfchen eingefchloflen ,” find grund verfchiebene Ausſagen, und bürfen ja nicht mit einander verwechfelt werben. Der Berf. it der Anficht, wenn bie Speculation Die urbildlihe Anficht von Chrifto weiter verfolgen wolle, fo müſſe fie einen anderen Weg, ale

das Wefen des chriſftlichen Glaubens ıc. 457

den ber Tirchlichen Lehre einfchlagen (G. 330.) Darin fheint und ber Verf. zu weit zu gehen. Die kirchliche Lehre bedarf der Umbildung; dad Prädicat „Menfch ges worden” ift von ihr nicht genug anerkannt; Ref. traut aber der kirchlichen Lehre, wenn fie fich felbft mehr bes greift, die Kraft gu, auch Anderen fid, begreiflicher zu mahen, und würde fie fo lange nicht aufgeben, ale fie ſich nicht völlig unfähig dazu gezeigt hat.

Jetzt erſt iſt es und möglich, unfer Schlußurtheil über den Wunderbegriff des Verf. abzugeben. Steht derfelbe nämlich mit dem Begriffe von der Perſon Chriſti in unzertrennlicher Berbindung, fo muß Ach auch die Sedeutung des Wunders nad, derjenigen der Perſon Chriſti richten. Wo noch die alte abfiracte Auſicht „won der Gottheit Ehrifti? herrſchend iR, da find auch die Bunder numittelbar göttliche Kraftwirfungen, vos einer Stillſtellung der gewöhnlichen Mittelurfacken bes gleitet. Wo dagegen bie mehr ebionitifche Anficht Geltung hat, werden die Wunder mehr als natürliche oder dem Ratärlichen verwandte Vorgänge aufgefaßt werden, Daß der Berf., um die Möglichkeit ded Wunder denkbar ju machen , nicht einfeitig auf Chrifti göttliche Natur zu, rüdgeht, tft gewiß yollkommen richtig; weniger können wir ed billigen, wenn er fagt: „Hat Chriſtus wirklich und wahrhaft Wunder gethan, fo hat erfie als Menſch gethan; deun das Wirkliche an ihm if eben menfchlih” (S. 309) Wir müſſen hierauf entgeg» zen, daß Bott wirklich in Ehrifto Menfd ger worden, daß alles Wirkliche in ihm mithin gott, meufchlic war. Und gerade darin, daß ber DBerf. einräumte, die Wunder ſtellen Chriſtum über bie Stufe des Ratürlichen hinaus, if von ihm fekbft ein Zeugniß abgelegt, Daß dad Wunder mehr als menfchlich ſey. Deßhalb fcheint uns der Begriff des Wunders auch et was zu eng, wenn berfelbe als „unmittelbare (menſch⸗

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lihe) Einwirkung der Geiles; und Willenskraft anf bie Ratur” gedacht wird (S. 800.). Die proteftantifche Theo» logie hat die Fortdauer des Wunders als eines kirchli⸗ hen Charisma geleugnet, weil fie in ihm mehr ale bloße Einwirkung des menfchlichen Geiſtes und Willens ſah. Wir müflen uns Bott im Wunder auf eine Weiſe gegen» wärtig denken, wie er in einer anderen Raturerfcheinung nicht gegenwärtig ift, und and ber Menfchheit Sein als kein, will und bedünfen, Iaflen fich feine Wunder nicht erklären.

Der Berf. unterfcheidet übrigend von der Möglichkeit _ und Nothwendigkeit der Wunder Jeſu deren Wirklich» Leit, und nimmt dem firaußifchen Skepticismus gegen Aber in dieſer Beziehung in der That einen gläubigen Standpunkt ein; denn er entfcheidet fich für diefe Wirk, lichkeit. Nur hält er die evangelifhen Wundererzählun⸗ gen theild für ungenau, und theild für übertrieben. Ei⸗ nen „befonnenen, gemäßigten Skepticismus“ will er aud dem „gläubigen Schriftforfcher” erlauben, und er fieht eine ungefunde, Mangel au Bildung uud Geiſtesfrei⸗ heit, fo wie an Liebe verrathende Empfindlichkeit darin, wenn viele Gläubige ſich hierdurch verlegt fühlen. Wir geben dem Berf. darin ganz Recht, daß Jemauden and der hriftlichen Gemeiuſchaft ausfchließen, weil er einen entfchiedenen Wunderglauben beſitzt und dem Skepticis⸗ mus hier einigen Ranm läßt, eben fo unverfländig ald lieblos wäre (S. 311.); wir halten aber dafür, daß bie Gegner des Wunderglaubens dieſe Liebloſigkeit, die wir nicht billigen wollen, einigermaßen felbft verfchuldet has ben. Sie haben mit roher Hand das glänbige Gefühl angetaftet, den hiftorifchen Sinn nicht einmal verfchont, den Glauben an alles Ueberuatürliche im Chriftenthume verhöhnt, dadurch gereist und eine gerechte Reaction hervorgerufen. Ueberhaupt, wer einmal an bad Wunder aller Wunder, an den im Kleifhe erſchienenen

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Gottmenfchen glaubt, dem wird ed gar nicht mehr fo ſchwer, die einzelnen Wundererzählungen mit gläubis gem Gemüthe zu erfaflen. Wie fchön und treffend fagt doch der Berf. ſelbſt, man dürfe nie vergeflen, daß das hiſtoriſche Intereſſe bier dem gläubigen untergeorbnet ſey; daß hier gar nicht dad Bedürfniß vorhanden, fich einer jeden einzelnen wunderbaren Thatfache als einer durch gefchichtliche Kritit genau geläuterten und geſicher⸗ ten bewußt zu werben; daß es dem glänubigen Chriften gar nicht daranf ankomme, genau zu wiſſen, wie es mit der Berwandlung des Waflers in Wein, mit ber Aufs erwelung des Lazarus eigentlich zugegangen; baß end» Ih die Betrachtung der WBundererzählungen in den an, daͤchtigen Berfammlungen der Ehriften feru von allem In⸗ tereſſe der gefchichtlihen Forfchung zu halten fey (S. 312.). Und warum ſollte der „gläubige Standpunkt?” bei einzel- nen Bundererzählungen fo ängftlich feyn, ba er bie Thats fahe der .Leiblichen Auferftehung für „gewiß und ans jweifelhaft” hält (S. 317.). Nur will und fcheinen, auch die Auferftehung Ehrifti, welche der Verf. mit der Him⸗ melfahrt zufammen als eins betrachtet, unb deren Schwierigkeit vom Fritifchen Standpunkte aus er gar siht verhehlt, würde als noch zweifellofer dem glänbis gen Gemüthe dargeftellt werden können, wenn der Ber geil der Bottmenfhlichleit Jeſu mit derfelden vers bunden würde. Denn infofern nur die göttliche Als wacht dabei wirfend gedacht, die Auferſtehnng mithin ale ein göttliche Allmachtswunder gefaßt wird wird fie für den menſchlichen Standpunkt nicht begreiflih. Dann wird fie ed erſt wenn die Perfönlichkeit Jeſu ale dei Sottmenfhen die Berwefung feiner leiblichen Hülle gar richt zuließ, wenn auch nach der leiblichen Raturfeite zwiſchen ihm und deu andern Menfchen eine fpectfifche Berfchiedenheit beftand,

Die Lehre von der Perſon Chriki führt me von *

Teol. Stud. Jahrg, 1847,

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auf des Verf. Anfichten von Chriſti Werke. Die letzte⸗ ren hängen aber aufs genauefte mit dem Begriffe zuſam⸗ men, den der Berf. von ber Sünde aufſtellt. Sünde und Erlöfung find Eorrelate und bedingen ſich gegenſei⸗ tig. Je mehr der Begriff der Sünde pelagianifch abges fchwächt wird, deſto mehr wirb auch ber Begriff der Ers löſung ſich ebionitifch verflächtigen; wirb der Begriff der Sünde in voller Kraft gefaßt, fo wird auch derjenige der Erlöfuug ein vollkräftiger ſeyn. Wir müſſen dem Berf. zuvörderſt Dad Zeuguiß geben, baß er es mit dem Begriffe dee Sünde ernft nimmt. Es thut dieß auch in unferer Zeit außerordentlih noth. Keine Lehre if vers derblicher, als daß der Menſch von Ratur gut fey; daß ihm nur Fehler und Schwachheiten anerzogen wer: den; daß die Hunft bier gleichfam das Werft der Natur verkümmele. Der Erfinder einer foldhen Lehre konnte nur ein Menfch feyn, ber, wie Rouffeau, flatt feine eigenen Kinder zu erziehen, fie ins Fiundelhans warf und dafür ans deren Leuten gute Rathfchlägeüber Erziehung und Bildung gab. Der Berf. ftellt die Lehre von der Erbfünde allerdings nicht in den Bordergrund, in Gemäßheit der Anlage feines Werkes, wonach er fi immer zuerfi an das Geſchichtliche und Wirfliche, alfo bier an die wirk⸗ liche Sünde hält. Allein er erkennt die Erbfünde an und geht infofern auch über die zwingli'ſche Anficht hinaus, die in neuerer Zeit einen geiftreichen Berfechter gefunden, ale er die Zurechenbarkeit der Erbfünde behauptet. Bir freuen und herzlich dieſes Refultates und gehen nur da ein mit dem Berf, nicht einig, daB er das Wefen der Erbfünde in einen „[fünbhaftsfinnlihen Hang” feßt, deſſen ein Feder fidh bewußt werde, der durch Ger wohnheit fidy verflärfe und in diefer Berftärfwg ſich fortpflanze (S. 195.). Ref. erinnert fih noch gar wohl der Zeit, is der es ihm vollkommen einleuchtete, daß die Sünde ein Prodact der Sinnlichkeit fey und ihren

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Urſprung in einer Privation geiſtiger Energie genommen babe, iu Folge welcher die Sinnlichkeit ſich eine unwür⸗ dige Herrichaft über das Beiftedleben angemaßt. Seit⸗ dem bat er ſich überzeugt, daß diefe Auficht zur Erfläs rang der Sünde nicht genügend ift und doch mehr oder weniger dem Beltreben, ben Begriff ber Sünde abzu⸗ ſchwäͤchen, ihre Eutſtehung verdaukt. Die Sinnlichkeit erfcheint naͤmlich bei der Sünde doch immer nur ale aeceſſoriſch. Eine Sünde, mit verftärkter Siunlichkeit ber gangen, iſt Träftiger, energifher, als weun bie finntihe Beimiſchung fehlt. Allen auch die Tugenden bedürfen, wenn fie Fräftig auftreten und durchgreifen ſol⸗ len, finnliher Beimiſchung. In dieſer Beziehung gilt jenes ſchöne Wort Haman's, daß bie Leibenfchaften das rum, weil fie Gefäße der Unehre ſeyen, nicht aufhören, Waffen der Maunheit zu ſeyn. Die Tugend und bad after, beide werben durch die Sinnlichkeit verſtärkt. Shen daraus folgt, daß die Wurzel der Sünde nicht in der Sinnlichkeit liegen Tann; ſonſt müßte eine Hands Inng um fo fündlicher feyn, je mehr ihr Sinnlichkeit bei⸗ gemifcht wäre. Das ift aber nicht im geringfien der Fall; es gibt einen Heiligen Zorn, der den Böfennie, derichmettert und ver ſich ohne gewaltige Mitwirkung finnlicher Elemente’ gar nicht denken läßt. Die Borftel- Iung, daß Sinnlichkeit Sünde fey, hat auch wirklich zu den abentenerlichften Borausfeßungen verleitet. Man hat ;. B. den Zorn, ben Eifer, bad Feuer, bie Wärme, die Begeilterung, Geelenzuftände, die ihre Kraft ſaͤmmtlich aus dem Boden der Sinnlichkeit ziehen, nicht mehr ale ſittlich wollen gelten laſſen und war auf dem Ziege, die Grundfäbe ded Stoicismus für die herrliche Moral bed Chriſtenthums einzutaufhen. Man bedenke ferner, daß diejenigen Sünden, bei welchen die Siunlichkeit die Hauptrolle übernimmt, wie 3. B. die Fleifhesfünden, nicht die argſten find, fondern erſt dann bie Argflen wer⸗ 8 &

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den, wenn ber raffinirte Berftand fie für feine Zwede auebentet. Aufgeregte Sinnlichkeit gilt fogar nicht ohne guten Grund bei dem weltlichen Richter für einen Milderungsgrund des Verbrechens. Wer mit Falten Blute einen wohlüberdachten Mord begeht und ihn mit klarer Berechnung ausführt, iſt ohne Zweifel weit firaf- barer, aldö wer in der Dite bed Streites ohne Ueberle⸗ gung in blinder Aufwallung einen Menfchen erichlägt. Des Berfafler halte es und demnach zu Gute, wenn wir der Kirchenlehre, die die Wurzel der Sünde in ben höheren Geiſtesvermögen dem Herzen, Verſtande und Willen auffucht, den Verzug vor feiner Auſicht geben. Das hauptfächlichite Moment für die letztere Ans» ſicht findet ſich allerdings im N. Teſt. felbit, in der pau⸗ Iinifchen Lehre vou der odpf. 3. Müller hat aber fehr . gut gezeigt, daß diefer pyanlinifche Ausdruck ſich an Haupt⸗ fielen mit der Bedeutung „Biunlichkeit” nicht vertrage (die hriftliche Lehre von der Sünde, neue Ausarbeitung, Bd. J. 8,380 ff.). Und warum follte denn Herz, Ber; ſtand und Wille beim Sündenfalle von der Bünde unberührt geblieben feyn? Geradèe unfere Zeit fcheint dem Ref. ein fprechendes Zeugniß dafür, daß die Sünde den Berfiand verborben hat. Man darf nur eine ober⸗ flähliche Kenntniß von ber Tageslitteratur, zumal von der Journaliſtik befiden, um einzufehen, daß der Ber fand ber große Sophiſt ift, der die Wahrheit in Lüge verkehrt. Nicht die Lügen, die in Aufwalluug und Leir beufchaft zu Papier geworfen werben, find bie ſchlimm⸗ ſten. Die fchlimmften find jene falten, berechneten, dos⸗ haften, wohlüberlegten, zu denen bie Sinnlichkeit gewiß ‚dad Wenigfte beiträge. So if gewiß auch der Wille durch die Bünde verkehrt. Der Verf. nimmt wohl eine „vielen Kindern angeborene Schwädhe des Willene” an, wir haben aber Gelegenheit zu erfahren, daß uufer angeborener Wide nicht nur ſchwach im Guten, fow

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bern oft auh ſtark im Böfen if, was fi fchon Durch den Eindifchen, manchmal bis zum lnerträglichen geſtei⸗ gerten Eigenfinn befätigt.

Im Uebrigen weicht auch hier die Anſicht des Berf. von der unfrigen nicht fo weit ab, daß nicht Verſtändi⸗ gung zu hoffen wäre. Der Berf, gibt felbft zu (S. 189.), daß und Bott als finnliche Geiſtesweſen gefchaffen habe, dag Sinnlichkeit an fih nicht Sünde fey. Da mit ift wenigſtens mittelbar zugegeben, daß die Sünde im Beifte ihren Sig haben müfle Das Abweichende des Berf. von unferer Anficht befteht nur darin, daß er ald das Fehlerhafte im Geifte eine bloße Schwäche vorausfegt, während wir an 'eine Verkehrtheit bes Geiſtes dur den Sünbdenfall glauben, Tritt aber der Verf. im: Grunde nicht felbft unferer Anficht bei, wenn er bei Anlaß der Bosheitsfäüände (S. 180.) fagt: „Bei der Bosheitsſünde fehen wir nicht bloß wie bei den biöherigen Sünden ben fittlichen Trieb vor dem finnlihen zurüdtreten oder fich abflumpfen, fondern fogar fih vertehren und in Gift verwans dein”? In der That fieht man nicht ein, wie man zur Erflärung diefer Sünden fidy mit der fogenannten pri⸗ vativen Anficht helfen will, da die Bosheit nicht Pris vatton, fondern Poſition im eminenteſten Sinne des Wortes if. Hier ift es und auch nicht recht klar gewors den, wie der Berf. „zuletzt Alles aus der Schwäche bee Willens”? erklären zu können glaubt. Damm müßten ja die willensfchwächften Charaktere gerade bie boshaftelten feyn, während fidy mit der Bosheit gewöhnlich eine aus Berordentlihe Kraft und Ansdauer des Willens vers bindet.

Wir möchten gegen die Anfiht, daß der Siß der Sünde in der Sinnlichkeit fey, endlich noch auf die biblis fhe Erzählung vom Sündenfalle felbft und berufen. In derfelben it wohl keine Spur davon zu finden, daß ber

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finnliche Trieb Irgendwie durch den Fall verkkärkt worden ſey. Schließt fich der Berf. doch ſelbſt an die Anficht von Kant und Sciller an, dag mit dem Sündenfale die Eultur, die ein Erzengniß der Berftandesdilbung und Willensentwidelung if, ihren Anfang genommen habe. Auch deutet fihon der „Baum der Erkenntuiß” daranf hin, daß der Berfland der Sünder war in Berbins dung mit dem Herzen und Willen, indem er werben wollte wie Gott und wiffen, was gut und böfe if a Mof. 3, 5). Daß die Luk nadı dem finnlidhen Gennffe des Apfels ald Quche des BSündenfalld angegeben werden wolle, wird wohl fein befonnener Ere get mehr behaupten. Der Anfang der Sünde If viel⸗ mehr der Inglanbe an Gott, bad Heraustreten and dem Gentrum der göttlichen Liebe, die Berirrung nach der Deripherie ber Selbfifuht, Schön nennt in diefer Ber ziehung der Berf. (5. 185.) den Unglauben „die legte und tieffte Quelle der Sünde” Bielleicht könnte man andı gegen die Annahme, daß der unbewußt unfchuidige us fand ber erften Menfchen vor dem Sündenfalle Fein fittlicher gewefen ſey (S.198.), einige Einfprache erheben. Diefe Annahme ſcheint nämlich die auch bei Zwingli vor fommende Borftelung in fich zu fchließen, daß Die Sünde nothwendig gewefen fey, gewillermaßen das einzig mögliche Eulturmittel der Menfchheit. Der Verf. ſelbſt aber macht den Sündenfall nicht als eine That der Noth⸗ wenbigfeit, fonbern der „‚fittlichen Wilfär” geltend (S. 197.). Auch fcheint ed dem Ref. eine Herabwürbigung Gottes zu feyn, wenn man den Menſchen aus feiner Hand als ein unbewußted Naturweſen hervorgehen läßt, welches das Gute ohne alle Freiheit that.

Kalfch iſt die poſitive Anſicht von der Sünte ge wi nur dans, wenn fie in Flacianismus anszuarten droht und die fittlihe Freiheit des Menſchen lengnet. Daß nach dem Falle gar nichts Gutes, nicht einmal

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die Empfaͤnglichkeit für das Gute, in ben Menſchen zu⸗ ruckgeblieben ſey, if eine gefährliche Uebertreibung. Der Sundenfall iſt eine Träbung und Verkehrung, nicht eine totale Berfinfterung und Vernichtung bes Gottesbewußt⸗ ſeyns im Menſchen, und die kirchliche Lehre bedarf in Diefer Beziehung gewiß einer zeitgemäßen Reviſion.

Erſt jebt, nachdem wir bed Berf. Anficht von dem Weſen der Sünde kennen, iſt ed uns möglich, feine Ans fihe vom Werte Jeſu und Har zu madhen Zu dem Werke Jeſn gehört ohne Zweifel feine ganze Lebens⸗ erfheinung. Durd; die treffliche Schrift Ullmann’ über die Sündloſigkeit Jeſu wurde das Wert bed Herrn zum erften Male auf umfaflende Weife unter dieſem weten Geſichtspunkte beleuchtet, indem es als die Erfcheinung eines volllommen reinen Lebens aufgefaßt wurde, Unfer Berf. hat fchon in feiner chriftlichen Sittenlehre die Schwierigkeiten geprüft, weldhe mit der Annahıne einer völligen Suündloſigkeit Jeſu verbunden find. Vom Standpunkte des Glaubens in biefem Werke brüdt er fih (was auch Ullmann in der fünften Auflage feiner Schrift anerfennt, &. 148.) jedenfalls entfchiedener und poftiver aus. Chriftus hatte, nach feiner Unſicht, nicht nur das reinfte und tieffle Bewußtfenn von ®ott, ſon⸗ dern auch das göttliche Reben felbft in ſich; die Einigung ber Menſchheit mit Bott erfannte er nicht nur, fondern vollzog fie auch wmirftiih in feinem Thun und Leiden (S. 259.). Er betrachtet daher das Wert Jeſu nicht als fein Wert, fondern ale das Wert Gottes, und ihn als den, mit welchem und in welchem ®ott war. Die Anertennung einer göttlichen Leitung und eines götts lichen Beiſtandes, fügt er bei, reiche jeboch nicht ang, fondern man möäfje in ihm eine inuerlihe Wirkſamkeit und Gegenwart Gottes annehmen (S. 260). In feinem Leben erkennt ex ferner eine vollfommene Reinheit von aller Selbftfircht oder eine vollkommene Selbſtverleug⸗ nung und Dingebung an den Dienft Gotted. „Auch ber

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Uebelwollendſte, fagt er, kann ihm nicht vorwerfen, daß er in dem, was er unternahm und trieb, etwas für ſich gewollt habe. Er ging über bie Erde wie ein höheres Wefen, das fie kaum mit den Füßen berührt” Daß id nirgends ein Flecken an feinem Charakter gezeigt, könnte und freilich noch nicht bewegen, an feine Sünblofigkeit zu glauben. „Aber,” fährt er fort, „zu jener Reinheit von aller nahweisbaren Sünde kommen noch die uns zweidentigſten Beweife einer Zartheit und Tiefe des ſitt⸗ lichen Gefühles, welche jede Unlauterkeit des Herzens ausſchließt. Es kann für denjenigen, der fid dem Eindrude, den fein Leben macht, ohne vors gefaßte Meinung bingibt, fein Zweifel feyn, DaB er der erhbabenfte Eharafter und die reinfte Seele it, weldhe die Geſchichte aufweik.” Mit allem Dem ift freilich die Unmöglichkeit zu fündigen für Jeſum nicht erwiefen. Und eine juriftifche oder mathematifche Gewißheit wird auch in diefem Punkte nie erhältlich ſeyn. „nen Einwurf,” fagt der Verf., „wie Einer, der durch die Geburt mit der fündigen Menfchheit zuſammenhing, babe ſchlechthin ſündlos, auch frei ven Erbfünde ſeyn können, vermögen wir nicht mit gefchichtlicdyhen Beweis, gründen abzufertigen. Hier gilt ed zu glanben und nicht zu vernünfteln” (5, 273.)

Diefe Anerkennung des gläubigen Staubpunttes und feines Bedürfniſſes iſt fehr ſchön. Rur-will und fheinen, daß fo lange dem Ölauben etwas zu viel zu- gemuthet werben dürfte, als die Sottmenfchlid keit Jeſu nicht ganz uud völlig auerfannt wird. Einen ſünd⸗ lofen Menſchen können wir und nicht denken; wir kön⸗ sen uud wohl entichließen,, an einen folchen gu glauben, allein der Zweifel, den niederzufchlagen nicht in unferer Wilkür fteht, wird unfern Glauben unaufhörlich ſtören. Den Gottmenfhen können wir und dagegen nicht anders als ſündlos denken; denn wie follte

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die Güude da mod, beſtehen können, wo das göttliche. Weſen mit dem wmenfchlichen wirklich und wahrhaftig eins geworden it}

Das Wert Jeſu Tann nur dann begriffen werben, wenn wir ihn ale den füändlofen Gottmenfhen gegenüber der fündigen Menfchheit denken. Der Berf. hat fich an die kirchliche Eintheilung von den brei Aemtern angefchloffen, nur mit dem Unterfchiede, daß er das königliche dem priefterlichen Amte voranftellt. Gerade das prophetifche Amt Chriſti befteht dem Verf. eigentlich in nichts Anderem ald dem Offenbaren der Sündlofigr keit. Chriſtus iſt darum nicht bloß Lehrer der Wahrheit, wie dieß anch die Propheten waren, fondern die Wahr» heit feloft (S. 284.). Die Darftelung dieſes prophetis fhen Amtes hat und beim Verf. befonderd angefprochen. Der vulgaire Rationaliömus, and) wie er in neueren Er, fcheinungen wieder auftaucht, ift darin weit überflügelt. Aber auch bier find wir der Anſicht: Ehriftus Fönne die Wahrheit nur dann feyn, wenn er Gottmenſch fey. Wie follte denn die Wahrheit in einem Menfchen, und wäre er auch der erhabenfte und reinfte, perſönlich geworben feyn?

Dagegen hat ed uns fcheinen wollen, ale ob das königliche Amt einigermaßen mit dem prophetifchen zu» fammenfiele. Es werden darin zwei Momente unters fhieden: erftend das negative der lLieberwindung der dem Willen Gottes widerfirebenden Sünde; zweitens das pofitive der vollen lebendigen Erfüllnug diefed Wil⸗ lens. „Beides, fagt der Berf., leiftete Jeſus nicht blog durch feine Lehre, fondern dadurch, baß er ein von Sünde seines heiliges Reben, wie er es forderte, ſelb ſt in fich darftellte, felb erfüllte, und Borbild ward” (©. 260.). Drüdte fih nun der Berf. ſchon bei Darftellung ded prophetifchen Amtes dahin aus, daß Ehriftus als Prophet nicht bloß Lehrer der Wahrheit, foudern die

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Wahrheit ſelbſt fey, fo flieht man nicht recht ein, wie er ſich als König von fih ald Propheten unterfcheiden fol, zählt der Berf. zu dem Föniglichen Amte den geheimen unmittelbaren Einfluß, dem ein großer, reiner Menſch durch das Ichendige Wort, durch Gefichtsausbrnd und Geber⸗ Den, durch feine ganze Erfcheinung auf Andere ansüben mußte: fo hat ed doch den Anfchein, ald ob das gerade zu der Ausübung des prophetifchen Amtes Jeſu gehörte. Dadurch, daß er lehrte, indem er Borbild war, und im Leben darftellte, was er im Bewußtſeyn hatte, vollbrachte er allerdings „durch die höchſte fittliche That uud dem thatkräftigen fittlichen Geift die Befreinng der Menſchheit von der Sclaverei der Sünde, die Entfeflelung des gebun⸗ denen Willens, die Aufhebnng der fleifchlihen Schwäche” (S. 289.),

Die Schwierigkeit, dad prophetifche vom königlichen Amte ſcharf und genau auszufondern, ift bei diefem Ans laffe dem Nef. wieder recht Mar geworden. Die Refors matoren wußten von biefer dreifachen Eintheilung noch nichts. Sie gingen bei Darftelung des Amtes Chriſti von der „leidenden Genugthuung” (satisfactio passive) aus, auf welche fie den weitaus meiften Nachdruck legten, und Daneben entwidelte ſich allmählich bie Lehre von ber „thuenden Genugthuung” (satisfactio activa), die wir bes Fanntlich in der Soncordienformel fchon ausgebildet trefs fen. Diefer Sintheilung würde Ref. um ihrer großen Einfachheit und Natürlichkeit willen den Vorzug geben. Was ihn noch weiter dazn beflimmen würde, will er fo: fort auseinanderfeben.

Die ganze Lehre von der Erlöfung bewegt fich um zwei Punkte: Sündenvergebung und Sünden tilgung. Wir tönnen uns die eine nicht ohne die an⸗ dere deufen. IR die Sünde getiigt, aber nicht vergeben, fo ift fie eben darum nicht wirklich getilgt; ift fle verge⸗ ben, aber nicht getilgt, fo iſt ie eben darum nicht wirk⸗

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lid vergeben. Run iſt aber gewiß die Gündenvergebung das Erfie, was dem Sünder in Chriſto von Geiten Gottes zu Theil wird, und es will und and die fem Grunde 'nicht völlig richtig fcheinen, daß das priekerlihe Amt Jeſn die leßte Stelle einnehmen ſolle. Das führt uns auf die fchwierige Frage von der Ger nugthnung überhaupt, von der Art und Weife, wie Ehri⸗ find an unferer Stelle für uns genug gethan, und mit Gott verföhnt und und Sändenvergebung ermwirkt habe. Diefe Frage ift einfach auf die Alternative zurückzufüh⸗ ren: ift Die flellvertretende Genngthunng Ehrifti bloß als ein fubjectiver Borgang im Menfchen oder als eine objective Thatſache in Gott felbft aufzufaffen. Der Berf. neigt ſich durchaus zur fubjectiven Auffaffung bin. „Das Sühnopfer Ehrifti”, fagt er, „iR für und nichte ohne den Glauben. Der Blaube ift das Ber föhnende; denn Berföhnung ift ja nichts, ale der durch das Bertrauen auf Gottes GOnade gewonnene ins nere Friebe” (S. 292.). „Demjenigen, der und den Weg der Wahrheit gezeigt hat, ja die Wahrheit felbft if, dem gerechteften, liebevollſen Menfchen, dem Gefandten, dem Sohne Gotted, der und Bott als den liebevollen Bater fennen gelehrt und ihn mit Vertrauen nm Sündenvergebung zu bitten gelehrt hat, glauben wir gern bie mit feinem Tode beflegelte Verficherung, daß Gott nicht will, daß die Welt verloren gehe, fondern felig werde” (S. 293.). Hier läßt nun aber der Verf, das priefterlihe Amt mehr oder weniger in bas konig⸗ liche übergehen. „Chriftue”, fagt er hier, „erlöfte und vom Uebel und Tode theild Dadurch, daß er deren Grund, Die Sünde, tilgte, theild dadurch, daß er im Leiden und im Tode felbft die göttliche Liebe "zur Erfcheinung _ und Verwirklichung brachte, theild endlich dadurch, daß er den Glauben an ein ewiged Leben in feinem Tode befiegelte und durch feine Auferfiehung nicht nur ſelbſt

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ale Sieger des Todes bewährt wurbe, fondern and den Glaͤubigen ald diefer Sieger erfchien und feine Auferftehungslehre bekräftigte.” Der Tod Iefu oder fein Sühnopfer fcheint und aber, wenn wir bei den brei Aemtern ſtehen bleiben wollen, aud ale Sühne gefaßt werden zu müffen, während die Darfielung des Berf. den Begriff der Sühne hier fo ziemlich audfchließt, das gegen denjenigen ded Sieges, der Erhebung über dem Tod ſtark hervorhebt. Der Tod fcheint hier mehr nur die fubjective Bedeutung zu haben, durch „Anfhaunng nud Erfahrung” die Menfchen zu belehren nnd au trös ften, weil dieß durch Worte und Begriffe weniger moͤg⸗ lich if (S. 295.).

Jedoch fpriht es der Verf., mit dem wir oft unvers hofft wieder gufammentreffen, noch felbft aus, daß der Verföhnungstod Jeſu wirtlich ein Sünd⸗ und Sühn⸗ opfer fey. Nur mit feinem Begriffe von „Sühne” möch- ten wir und nicht ganz einverfianden erflären. Erkennt⸗ niß der Sünde und Reue, d. h. Beflerung, zu weden, iſt nach ihm der Zwei des Sühnopferd. Diefen Zwed können wir aber nicht für den primären halten. Der eigentliche Zwed der Sühne war gewiß Audgleichung und Wiederherftelung der durch die Sünde verlegten Har⸗ monie bed Guten. In diefer Beziehung hat die anfels mifche Genugthnungslehre ihre unmiderleglihe Wahrs beit. Anfelm hat nur darin geirrt, daß er die Genug thuung in dad Gebiet eines gewöhnlichen Rechtshandels herabzieht und fo einen ünftlichen, aus der Procefiuas liſtik hergenommenen Rechtsfall aus ihr gemacht hat. Daß aber die beleidigte Gottheit wieder ausgeſöhnt wer⸗ den müſſe, das halten wir für die Grundlage aller Res ligion. Der Berf. fagt, Chrifti Büßen verföhne uns (S. 297.); nad ded Nef. Dafürhalten ik es aber Bott, der mit und verföhnt werden muß, uud Chriſti Tod ift demnach eine wirkliche Sühne, eine Ans⸗

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gleichung und Wiederherſtellung der durch die Sünde zers flörten Harmonie ded Guten in ber Welt. Immerhin geben wir dem Berf. gerne darin Recht, daß es falfch fey, die Berfühnung nur ale einen Vorgang in Gott begreifen zu wollen, wie es falfch if, anzunehmen, daß fie nur iu und mit dem Menfchen vorgebe. Biels mehr muß die Berföhuung fowohl in Gott als auch im Menfchen vorgeben, bie Sünde muß fowohl von Seiten Sotted vergeben, ald im Menfchen durch deu Glauben getilgt werden; und das kann, wie die kirch⸗ liche Lehre alleiu confequeut ansdeinanderfeht, nur durch einen E ottmenfchen geichehen.

Die Berföhbnung if ein Geheimniß, in dem für den menfhlihen Berfianb die göttliche Liebe mit der göttlichen Gerechtigkeit zu flreiten fcheint. Dieſes Ges heimniß fuchte Anfelm mit feiner Theorie gleichfam zu zergliedern, in feine Theile aufzulöfen; und es iſt ihm nicht gelungen. Warum follten wir dad Geheimniß nicht mit dem Glauben anerfennen, da es dody unferem innerſten Bedürfniſſe entfpricht Und wir müſſen es auch hier an dem Verf. wieder ehren, daß er die Ergeb⸗ niſſe feines ſubjectiven Denkens gern vor der großen, geheimnißvollen Thatſache der Erlöſung und Verſoͤhnung in Chriſto zurlicktreten läßt. Dieſe Demuth und Bes fcheibenheit an einem Manne, von dem D. Lücke mit Recht gejagt hat (götting. gel. Anzeigen vom 9. März 1846), daß er einer der vornehmfien Begründer der heu⸗ tigen Theologie ſey, hat etwas ungemein Wohlthuendes in fih und kann und nur mit der größten Achtung vor demfelben erfüllen. So bellagt er es felbft, daß in unfes rer Zeit, in welcher ber menfchliche Geiſt alle Gebiete des Lebens mit feiner burchleuchtenden und ordnenden Kraft zu durchdringen und fich Alles zu unterwerfen bes mäbt fep, die heilige Scheu vor dem Geheimnißvollen und Böttlichen immer mehr gefchwächt und dadurch dem

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Unglauben Borfchub gethan werbe, während biefe Ber ſtändigkeit zugleich dem irdifchen, weltlichen Sinne und der Selbſtſucht ſchmeichele und der uneigennüßigen Liebe für das Höhere feine Anregungen und Antriebe durch große Charaktere mehr zu Hülfe kommen (S. 396.). Be: fonderd fhön iM auch die Stelle, in welder der Berf. den Gemüthszuftand des Gläubigen fchildert. Und wie wahr ift es für unfere Zeit, daß nur Wenige den Frie⸗ den mit Gott in feinem vollen Sinne kennen, umd ihn wohl Niemand in feiner ganzen Bolllommenheit hat, Wir glauben aber, daß diefer Friede nur im hingebenben Glauben an den Gottmenſchen zu finden il, nnd zwar nicht nur in der ſubjectiven Aneigunng defielben, fondern in einer objectiven Bermittelung mit demfelben durch die Kirche.

Der Proteſtantismus hat ben Begriff der Kirche während feines erften Entwidelungsftabiumd aud natärs lichen Gründen zurüdgefest. Brit dem bisherigen Be: griffe der Kirche war er im Kampfe. Es galt damals, bad Recht der Subjectivität zu retten und auf dad uns mittelbare Gottesbewußtſeyn zurückzugehen; and dem Felſen Petri mußte die Ruthe mener Propheten wieder lebendige Quellen fchlagen. Seitdem hatte die Subjectiv vität fi eine Herrfchaft über alle Gebiete des Zeit lebens, zumal auch über ‘das religiäfe angemaßt, welde allen Autoritäten, und auch derjenigen. der Kirche, ein Ende zu machen drohte. Eine proteftantifche Kirche hat es überhaupt nie gegeben; denn die fogenannte „unficht- bare Kirche” iſt nur die Idee, nicht aber die Wirk: lichkeit der kirchlichen Gemeinſchaft. Das fühlten bie Reformatoren wohl, wenn fie fo ernſtlich Anfpruch dar auf machten, aus der wahren katholiſchen Kirche nientald ausgetreten zu ſeyn. Es ift aus diefem Grunde ein natärlicher und geſunder Trieb unferer Zeit, dab zeligiäfe Leben nach feinem Wiedererwachen auch kirchlich

das Weſen bes chrifllichen Glaubens cc. A473

ordnen und feſtſtellen zu wollen. Als Schleiermacher dem Gegenfap zwiſchen Katholiciömus und Proteſtantismus fo faßte (Dogmatik, Bd. I. S. 145.), daß erflerer das Berhältuiß des Einzelnen zu Chrifto abhängig mache von feinem Berhältnifie gur Kirche, letzterer dad Verhältniß des Einzelnen zur Kirche abhängig mache von feinem Berhältuiffe zu Ehrifto: fo bezeichnete er mit dieſer For⸗ mel nicht nur den Bortheil, fondern auch den Nachtbeil, in welchem der Proteſtantismus zum Katholicismus ſteht. Es ift fehr wahr, daß der Einzelne erfi dann ein wah⸗ zes und lebendiges Glied der Kirche iſt, wenn Chriſtus in ihm lebt; es wäre aber fehr falich, zu verfennen, daß nach bem gefchichtlichen, von Bott felbft geordneten Ders gange ber Einzelne zuerſt Glied der Kirche wird, che er zu Chriſtus fommt, und daß die Kirche daher gleichfam Die erziehende Muster ift, die ihre Kinder zu Ehrifto führt. Durch ſich felbk kann ja der Einzelne nicht zu Ehrifte fommen; an unmittelbare göttliche Eingebungen zu glau⸗ ben, verbietet uns die Erfahrung und das proteftantifche Bekeuntniß. Nur der Hyperproteflantiömus, wie er bes fonders im Rationalismus feinen Ausbrud fand, konnte darauf ausgehen, das Heil von der Bermittelung durch die Kirche ganz unabhängig zu machen, und es mußte in der Entwidelung des Proteſtantismus daher eine Zeit fommen, welche das Bedürfnig nach Sicherftelluug des Begriffes der Kirche außer allen Zweifel fegte und im möglichft Vielen zum Bewußtfeyn brachte,

Bon diefem Bebürfniffe ift auch unſer Verf. durch" derungen. Es muß uns wichtig feyn, noch die Stellung zu betrachten, welche er zu ben kirchlichen Verfaſſungs⸗ und Gultusfragen unferer Zeit einnimmt. Daß er die unmittelbare Geiſtesgemeinſchaft mit Ehriflo und den Ehriften für das höchſte Ziel und Ergebniß bes chriſt⸗ lichen Lebens hält, wollen wir gar nicht tadeln (©. 418.). Allein ex ſelbſt beiennt, daß im ſtreugſten Siune

474 | be Wette ö

feine ganz unmittelbare Gemeinſchaft flattfinde, weil dad Berhältmiß der Chriften unter fidy und zu Chriſto gefhichtlich vermittelt fey. Ja er geht felbft fo weit, ſich eines möhler’fchen Ausdrudes zu bedienen und die Berwirkiichung des chriftlichen Lebens in der Gemein fhaft eine zweite Menſchwerdung des ewigen Wortes Gottes zu nennen (5. 343.). Richtödeftoweniger fieht er jedoch in der Unterfcheibung zwifchen unficht- barer und fihtbarer Kirche eine der ſtärkſten Waffen des

Proteſtantiomus gegen den Katholicismus. Seine Gründe |

find: 1) der Grundſatz, daß die unmittelbare Gemein fchaft das wahre Ziel des Glaubenslebens nnd für einen jeden Ehriften die Möglichleit und das Recht vor

handen fey, zu ihr zu gelangen, fihere und vor der Au

maßung der rönifchen Hierarchie, vor der Annahme, es gebe keinen aubern Weg, zu Ehrifto zu gelangen, ale burd die Bermittelung der Priefter ;.2) geflatte er dem Gläu⸗ bigen, wo die Benußung des öffentlichen Gottesdienſtes nicht ohue Berlegung der Gewiflen gefchehen könne, oder wo ein evangelifcher Gottesdienſt gar nicht beftehe, auf die äußere Kirchengemeiufchaft zu verzichten und ſich auf den Troft, den das Bewußtſeyn der innern gewähre, zu befchränten; 3) fey er. ein Schußmittel gegen Schein

und Werkheiligkeit und todted Gewohnheitsweſen; 4)

liege in biefem Brundfage, der auch⸗ ſo ausgedrückt wer den fönne, Daß alle Formen unwefentlih feyen, das Heilmittel gegen alle in den kirchlichen Orgauismus eingedrungenen Berberbnifle, fo wie die Berpflichtung und Berechtigung zu einer nach Maßgabe ded Beduͤrf⸗ niffed von Zeit zu Zeit vorzunehmenden Reformation der firchlichen Kormen.

Niemand wirb befireiten, daß in biefen Sägen zu Gunften der „unfidhtbaren” Kirche fehr viel Treffendes und Ginleuchtendes enthalten if. Dennoch gehört Ref. zu denjenigen, welche ben Begriff einer „unfichtbaren

das Weſen bes chriftlihen Glaubens ꝛc. 475

Kirche für einen verfehlten halten und ber Anficht find, daß innerhalb des Proteſtantismus viel Mißbrauch mit bemfelben getrieben worden ifl. Sobald wir den äußern Organismus der Kirche, ihre Formen, Ginrichtungen, Beamten, Dienfiverrichtungen u. f. w., für unmwefentlich "erklären, fo pflanzen wir ben kirchlichen Indifferentismns und entbinden befonderd bie Gebildeten ihrer kirchlichen Pflichten, die gemäß ihrer focialen Stellung, ihren dogs matifchen Unfichten und ihrer Mtlichen Weltanfhauung theilweife fehr gern mit einer unfihtbaren Kirche und einem Gottesdienfte im reinen Geiſte fih begnügen. Was der Verf. zu 1) fagt, trifft nur die Geiftlichkeites kirche; wer wird aber diefe für die wahre fihtbare Kirche halten? Was der Verf. zu 2) fagt, ift nur auf feltene Ansnahmen anwendbar; aber auch dann kann der Haus⸗ gottesdbienft zu Hülfe kommen. Und follte denn ;u 3) nicht die befte Abhälfe gegen Schein» und Werkheiligkeit in einer lebendigen kirchlichen Gemeinfchaft liegen, die ihr Heil nie in tobten "Formen fuchen wird. Die äußern firchlichen Formen aber zu 4) für unweſent⸗ lich zu erflären, erfcheint und mehr als bebenflih. Es kann doc, nichts unmwefentlich feyn, was Chriſtus felbft angeordnet hat.

Freilich hängt das Urtheil hieräber ganz von ber Anficht über das Weſen des Gottesdienſtes ab. Gicht man den Gottesdienft nur als eine religiöfe Unter, weifung für die Zurücgebliebenen unter ben erwachfenen Ehriften an, für ein Surrogat deffen, was die Schule in der Jugend zu wenig geleiftet hat, fo ift ſich nicht zu verwundern, daß man hie und da an ein Schließen der Kirchen gedacht hat, zumal feit bie Emancipation der Volksſchule fo feurige Vertheidiger gefunden hat. Der Berf. if von dieſer Anfidyt weit entfernt, und er bat den Begriff der Predigt, die nun einmal den Mittelpunkt des proteftantifchen Gottesdienſtes bilder, u und ſchön

Theol. Stud, Jahrg, 1847,

476 de Wette

gefaßt, wenn er fie als „das leute, fruchtbarfte Ergebniß der Aneignung und Wiederhervorbringung ber Dffen- barung, dad Zeugniß des zur concreten, individuellen, Wahrheit gewordenen Glaubens und ale das Erweckungs⸗ mittel deffelben Glaubens für die Gemeinde, überbanpt als die Bläthe und Frucht des lebendigen Schriftverſtänd⸗ niſſes“ fchildert (S, 425.) Nur möchten wir bann bie Prediger nicht.ald Beämtete oder Diener der Be meinde (S. 420.) begsicdhnet wiffen, eine Bezeichnung, die nnd auch neben vielem trefflich Geſagten iu der Theo rie ded Cultus von Kliefoth mißfaflen hat. Der Pre diger fol, nach unferer Anficht, nie der Diener eines Menfchen oder irgend einer menſchlichen Gemeinſchaft werden; er fol ein Diener Ehrifti, des göttlichen Wor⸗ tes, ein Botfchafter an Ehrifti Statt feyn (2 Kor. 5, 20.). Es ift andy nicht richtig, daß der Prediger den Glauben feiner Gemeinde predigen folle, was man jeßt fo oft gewiſſen Tagesmeinungen zu lieb fordern will, Der Prediger foll Bad Evangelium, das Wort Gottes, den Glauben an Chriftum predigen, habe feine Gemeinde einen Glauben, was fie für einen wolle. Hat fie den rechten noch nicht, fo fol der Prediger denfelben in ihr auferbauen. Scheint der Verf. voraudzufeßen, daß „nur ber größte Theil der Ehriften” des Gottesdienſtes bedürfe, daß es alfo auch manche gebe, welche benfelben nit nöthig hätten (S. 420.), fo find wir auch hierin nicht ganz feiner Meinung. Für jeden lebendigen Ghriften, fey er hochgebildet oder ungebildet, muß der Bottesdienft ein Bedürfniß ſeyn aus eben dem Grunde, den ber Verf. fo unvergleichlich fchön bervorhebt: weil der Sottesdienft Die fortwäh—⸗ rende „Wiederhervorbringung der Offenbas rung” if. In der von Gott felbt angeordneten Er: fcheinungsform offenbart fich uns in demfelben das Ge heimnig der Eriöfung und Berfühnung. Im Gotteds Dienfte bekennen wir uns zu biefem Geheimniffe, eignen

$

bad Wefen des rifllihen Glaubens ꝛc. 477

uns baffelbe an, ſtimmen ein in die Lob» und Danklieder zum Preife des Heren. Manche Prediger erkennen freis lich in unferer Zeit ihre hohe Aufgabe noch nicht genug. Auch hierüber hat der Berf. Treffliches gefagt. „Unſere Prediger”, bemerkt er nämlich, „‚fInd entweder unbelebte Altgläubige, vder kraft: und charakterlofe Rationaliften oder zu eifrige nnd heftige NReugläubige, die das alte Eutherthum ober den alten Calvinismus wieder verkündi⸗ gen, oder Rationaliften einer neuern Art, die noch ſchlim⸗ mer ift ale die altes; aber erleuchtete Prediger, die fich den lebendigen Geift des Evangeliums angeeignet haben und mit aller Kraft ded wahren Glaubens und der Be geiſternug eine Buße predigen, wie wir fie nöthig haben, und wofär die Befleren aller Stände Empfänglichleit und guten Willen hätten, wenn ihnen nur ber Weg gezeigt wärde, und die zugleich mit ihrem Charakter und Wandel vorleuchteten foldyer gibt ed wenig” (S. 384). Allein die Chriſten follten bedenken, daß der Gottesdienſt noch andere Beftandtheile ald die Predigt hat, und daß nicht gerade ausgezeichnete, fondern nur ernfle, treue unb fromme Prediger und noch thun, deren ed doch an vie⸗ in Orten gibt.

Der Gotteödienft hat aber noch ganz andere Bes Randtheile als die Predigt, und das darf Niemand vers geffen, der fi um der ungenügenden Predigt willen von bemfelben dispenfirt glaubt. Wir kommen damit auf den ymbolifchen Charakter des Gottesbienfted zu fpre- hen. Raum wird in unferer Zeit mehr ein Urtheils⸗ fühiger beftreiten, daß der Proteſtantismus auf diefem Gediete zu viel zerſtört und zu wenig aufgebaut habe. Der Rationalismus mit feiner nüchternen, vernünftigen Religion hat der Eirchlichen Symbolik noch. den Todes ſtoß gegeben, un® hätte confequenterweife fo weit gehen mäflen, als die Wiedertäufer im Zeitalter der Reforma⸗ tion, die ihre Gottesdienfte im Freien abhielten. Lnfer

32 *

478 de Wette

Berf, zeigt auch in diefem Punkte, wie fche er wit der Zeit fortzufchreiten weiß und ihre religiäfen Bebürfnifie verfieht. „Es iR”, fagt er treffend, „nur aus der ein⸗ feitig dogmatifchen und verfländigen Richtung bed Protes ſtantismus erfläriich, daß nach Abthnu aller katholifchen, sum Theil allerdings verwerflichen Gebräuche, die ſich an die hohen Hefte aufchloffen, die Feier derfelben bie jegt auf die gewöhnlichen fonntäglich wieberlehrenden Formen bed Gebets und Geſangs befchränft geblieben fl. Ueberhaupt fehlt ed und an heiligen Ge⸗ bräuchen, indem die alten abgefchafft find und dem kirchlichen Leben burd das Liebergewicdht des Begrifs fes und Dentens bie Kraft, neue hervorzubringen, wer nigftend bis zur Stunde gelähmt ift” (S. 427 ff.). Mit vollem Rechte beklagt es der Berf., dag in der reformir⸗ ten Kirche der finnreich angelegte Cyklus bed Kirchen, jahres aufgegeben wurde, unddverlangt Wiederherfiellung deſſelben mit zwedmäßiger Berbeflerung. Sehr fhön bes mertt er: „Die drei hoben Feſte mit ber Leidenswoche Scheren in ihrer tieffinnigen, ewig jungen Symbolik jährs lich wieder, und bieten der SÖffentlihen Andacht einen unerfchöpflichen Reihthum von Anktnüpfungspuntten.” Es war natürlich, daß in der proteftantifchen Kirche das dogmatifche Intereffe mehr als billig vorherrſchte; dafs felbe fol auch von dem kirchlichen nicht verfchlungen werben, und in diefer Beziehung behält Schelliug in feiner vielbefprochenen Borrede zu Steffens nachgelaſſe⸗ nen Schriften Recht, daß es ein Unglück wäre, wenn ber Proteftantismus in erneuerten Verfaflungsformen Erfag für dogmatifche Weiterentwidelungen zu finden hoffte; allein gewiß iſt auch wahr, daß das dogmatiſche Denten feinen höchſten Ausdrud im kirchlichen Leben erhalten muß, fonft wirb da& Chriſtenthum aus einer Lebensgemeinfchaft eine Schule, oder zerfällt viel⸗ mehr in eine Anzahl von Schulen.

das Weſen des hrifllichen Glaubens x. 479

Unfere ganze Firchliche Symbolik befchräutt fich, wie der Berf. richtig angibt, auf-die beibehaltenen zwei Sa» cramente: bie Taufe und dad Abenpmahl. Ohne Zweifel wären auch diefe vom Proteſtantismus aufgegeben worden, wenn fle nicht biblifch fich hätten begründen laſ⸗ fen. Der Ansdruck GSacrament wird darum auch hente noch von Menfchen in Anfpruch genommen, die ihm vor⸗ werfen, daß er nicht biblifch fey. Der Verf, thut bieß nicht; er fcheint von dem Bedurfniſſe nach kirchlichen „Myfterien” durchdrungen, dergleihen alle Religionen hatten, und bie fhon darum eine Nothwendigkeit find, weil die Religion felpft der Ausdruck für bie ewigen, nus erflärlichen Geheimniſſe if. Dagegen muß man es aller» dinge mit ihm beflagen‘, daß innerhalb der proteflantis ſchen Kirche „eine zwiefpältige Theorie des Sacramentd, indbefondere des heil. Abendmahles aufgeftellt worden iR” (S. 428). Nur find wir darin nicht ganz feiner Meinung, daß er diefen Zwiefpalt nur aus „falfchem dogmatifchen Wiflenstrieb und der Sucht, Alles in haar⸗ fharf bekimmte Begriffe zu fallen” (S. 428.), herleiten will, Es if bier nicht der Ort, auf den tief principiellen Gegenfaß des lutheriſchen nnd reformirten Pros teſtantismus einzugehen; fo viel ift aber außer allem Zweifel, daB diefer Gegenſatz ans guten Gründen in der Lehre vom heil. Abendmahle am fchärfften hervorgetreten iR. Der Verf. felbit wirft Zwingli vor, daß er „das Zerglieberungsmefler etwas zu tief habe einfchneiden laſ⸗ fen”, nnd räumt von Luther ein, daß er „an dem gläus bigen Gefühle fegehalten habe, im Abenbmahle etwas Wirkliches und Wefenhaftes von Chriſto zu em⸗ pfangen.” Gewiß ging Luther darin zu weit, daß er die zwingli'ſche Anficht nicht mehr als eine chriftliche wollte gelten laffen und die brüäderlihe Gemeiufchaft mit den Neformirten wegen der Abweichung in der Sacraments⸗ lehre anfhob. Der Gegenſatz lag aber eben tiefer, Zwingli

280 de Wette

ließ fein Zerglieberungämefler nicht nur im ber Sacra⸗ mentslehre zu fehr einfchueiden, fonbern ging überhaupt von einer andern hriftologifhen Grundanfhanung aus, ald Luther. Ref. hat an einem andern Orte (We⸗ fen des Proteſtantismus, Bd. I. ©. 325 ff.) nachgewie⸗ fen, daß Zwingli die menſchliche Ratur Chriſti mit der göttlihen gar nicht ald eins zu denken vermochte und an feine rechte Menfhwerdung Gottes in Ehriſto glaubte. Sein Gottesbegriff blieb immer ein jenfeitiger, abftracter. Luther war dagegen in den umgelchrten Feh⸗ ler verfallen unb hatte die menfchliche Ratur Ehrifli im feiner göttlichen untergehen und verfchwinden laſſen (We⸗ fen des Proteſtantismus, Bd. I. ©. 313 ff.) Darum fiel es ihm micht fchwer, eine gegenwärtige Leiblichkeit Shrifti im Abendmahle anzunehmen, da ihm der (feinem Begriffe nach aufgehobene) Leib Chriſti überall war, wo Ehriftus feiner Gottheit nach. «lieber beide Neformatoren wird man milder urtheilen und ihren vermeintlichen Ei⸗ genfinn richtiger würdigen, wenn man bedenkt, daß fie von verfchiedenen theologifchen Brundanfchauungen aus⸗ gingen.

Nach unferer Anficht bedarf ſowohl das Intherifche ald das reformirte Dogma in der Abendmahlslehre der Umbildung. Den Fehler des Intherifchen Dogma deckt der Berf. richtig darin auf, daß Luther einen falfchen Begriff vom Leibe und Blute bed Herrn mitbrachte, das heißt, daß er die Reiblichleit, dad Seyn des Herrn (Matth. 26, 26.) für ein localesd nahm. Er überfab dad Symboliſche ded Abendmahled. Der Berf. fagt ganz wahr: „Gegenſtand und Inhalt der Aneignung if hier nicht ein Stoff oder eine Subftanz in ihrem Seyn oder Befiehen, wie der Leib Ehrifti an fich gedacht wird” (S. 433.). Dagegen flimmen wir mit dem Verf. nicht überein, wenn er ber Anficht zu ſeyn fcheint, Gegenſtand und Inhalt der Aneignung fey nicht etwas, das außer⸗

dad Weſen des chriſtlichen Glaubens x. 481

halb des Bläubigen fey. Was im Abenbmahle augeeid- net wird, ift etwas weientlih DO bjectives, etwas, das außerhalb des Genießenden if. Darin hatte Luther ges gen die Neformirten ganz recht. Hätten wir das Object bes Abendmahles {hen in und: fo fieht man nicht ein, warum wir zum Abendbmahle gehen follten. Den Glau⸗ ben, das fubjective Gefühl zum Adenbmahlsinhalte mas hen, ift irrig, und diefer Irrthum ift Schuld daran, daß viele Ehriften, welche wenigftend die Predigt noch befus den, fi vom Genuſſe des Abendmahls losgeſagt haben. Chriſtus der wirkliche gekreuzigte Chriſtus If dad Dbject des Abendmahles, und derfelbe ift und im Abendmahle auf eine Weife gegenwärtig, wie ſonſt nirgends. Diefe Gegenwart Chrifti in der fombolifchen Anfhauung und dem fymbolifchen Benuffe if das My⸗ Rerium des Abendmahles. Der Berf. gibt die

aunch wieder felbft zu, wenn er die ganze Abendmahls⸗

handlung einen chriftlichen Bemeinfchaftsact bilden läßt, „in weichem Ehriftus, unabhängig vom Blauben des Einzelnen, thatſachlich gegenwärtig ſey, jo daß auch der bloße Zufhauer fagen müßte, er ſey gegenwärtig” (S. 435.), Damit geht der Berf. fogar über den reformirten Standpunkt weit hinaus, ja er ſchließt fi dem entfchteden Iutherifchen an, wenn er nicht nur die Unwürdigen, fondern felbft die Uns gländigen daffelbe, was der Würbige und Gläubige, nur aber in einem ihm verderblichen Begenfage vermit⸗ telſt des Abendmahlsgenuſſes empfangen läßt. Denn das war befanntlih der nnerledigte Streitpuntt zwiſchen Butzer und Luther geblieben, daß ber erſtere nur zugeben wollte, die indigni, aber nicht die impii genöffen im Abend» mahle den Leib und das Blut ded Herrn. Zu hart end» lich fcheint uns das Urtheil des Verf. Aber bie Abend» mahldichre Galvin’d. Mit der „umfchriebenen” Perföns lichkeit Ehriſti im Himmel rettete er die perfönliche Selb⸗

482 de Wette

fländigkeit Ehriſti gegen bie Intherifche Ubiqwirätsichre, dagegen lehrte er die wirkliche und wefenhafte Ge genwart Ehrifti im Beifte, die er freilich für den Verſtand , nicht begreiflich machen Tonnte, Er nahm eine durch ben Geiſt vermittelte Einwirkung des Im Himmel befiudlichen Fleiſches Ehrifi an, und wollte damit die reformirte mit der Intherifchen Borftellung verföhnen, ein Beftreben, das wie jedenfalls ehren müflen.

Entfchieden müßten wir dem Verf. widerfprechen, wenn er in dem Sacramente der Taufe nur eine „Weihe der in die chriſtliche Gemeinſchaft Eintretenden” fehen wollte. Das iſt die alte zwingli'ſche Vorſtellung, die aber anch in der reformirten Kirche ziemlich allgemein aufge geben if. Ref. hat an einem andern Drte entwidelt, daß die Taufe ſchon den Neformatoren das Sacrament der Gündenvergebung war, mithin eine fymbolis ſche Bezeugung oder Befiegelung, daß im Tode Jeſu dem Täuflinge Gündenvergebung zugeſichert ſey. Faßt man die Taufe ald Sacrament der Wiedergeburt, wie dieß, beſonders durch die Stelle Tit. 3, 5. veranlaßt, Biele thun, fo hat man eine fchwere Stellung gegen die MWiedertänfer, welche die Taufe ald eine ſymboliſche Ber zeugung, daß ein Menſch wiedergeboren fey, geltend machen und darum anch erft dann ertheilen, wenn fie von ber flatthabenden Wiedergeburt des Täuflings überzeugt find. Bon bier aus läßt fih die Kinder taufe mit dem beften Willen nicht rechtfertigen, audger nommen mit der abentheuerlichen Annahme mehrerer Rer formatoren, daß der b. Geiſt die Wiedergeburt ſelbſt in nugebornen Kindern bewirken könne, wofür dad Beifpiel Johannis des Täufer angeführt wird. Der Berf., wel cher die Wiedergeburt ebenfalls für „‚den Begenftand und Gehalt des Taufacted” hält (S. 437.), fucht fidh dadurch zu helfen, daß er jene für etwas Fließendes, einer Ab fiufung und einem Gradverhältniffe Unterworfenes er

das Wefen des dyeiftlihen Glaubens x, 483

Härt, für etwas, das in der Taufhandlung nicht ſchlecht⸗ hin vollendet und abgefchloflen,, fondern auch nach ders felben noch fortgefegt und immer mehr zur Vollendung gebracht werben mäfle. Damit fchiene und aber der Bes griff der Wiedergeburt in den der Heiligung Üüberzugeben, and wir glauben, zwifchen einem wiedergebornen und einem unwiedergebornen Menfchen fey nicht nur ein flies Bender, fondern ein fefter Unterſchied, wenn fi aud sicht in jedem Menfchenleben der Anfangepunft der Bes fehrung genau und gleihfam mathematiſch nachweifen läßt. Alle diefe Schwierigkeiten löſen fi, fobald man die Taufe ald Gacrament der Sündenvergebung faßt, was auch ihr urfprünglicher Begriff war. Denn es läßt ſich aus dem neuen Teftamente durchaus nicht nachweifen, daß die Taufe nur Wiedergebornen ertheilt worden wäre, and der Verf. fagt in diefer Beziehung ganz richtig, bei manchem Täuflinge möge im apoftoliichen Zeitalter die (religiöfe) Seibfkthätigkeit nur erft in einem fehr ges tingen Grade vorhanden gewefen feyn (S. 431.). Jeder Menfch bedarf der Sündenvergebung; denn Gott will, dad alle Menfchen felig werden. Warum follte alfo dad Pfand derfelden unmändigen Kindern verweigert werden? Ihnen dagegen ein Pfand ihrer Wiedergeburt zu ertheilen, das fchien dem Ref. immer zum mindeften eine unbegräudete „Prolepfie.’ |

Unftreitig find nun auch noch bie Anfichten des Berf. über Kirchenverfaffung unferer befonderen Anfmerk⸗ famteit werth, nm fo mehr, als die Kirchenverfaflunges frage eine fogenannte Zeitfrage geworden ift. Wenn jebt Manche von einer freien Kirche fchmärmen und in beſter Abficht völlige Trennung der Kirche vom Gtaate herbeiwünſchen, fo ift der Verf. ein viel zu tiefer Deus ter, viel zu umfichtig und zu erfahren, ale daß er in dies ſen Wunfch einftimmen könnte. Er vertennt und verhehlt zwar Die Mängel unferer Staatöfirche nicht, die den Or⸗

438 be Wette

ganismus des kirchlichen Lebens in feiner Ausbilbung bemmte, bie Kirchenzucht abſchwächte und zuletzt aufläfte und bie Gelbfithätigkeit der Gemeinden lähmte; aber er verfennt eben fo wenig die „unendlich wichtigen Vor⸗ theileꝰ (S. 441.), die mit dem Beſtehen einer Staatskirche verbunden find. „Wenn das Ghriftenthum nichts als Sadıe der Einzelnen und der frei gewählten chriftlichen Befelfchaften wäre”, fagt er vollkommen richtig, „fo fände die Möglichkeit ftatt, daß ein großer Theil der Staates» bürgerichaft nicht chriftlich, entweder jüdifch, oder deiſtiſch, oder naturaliftifch wäre, daß fomit aller chriflihe Ger meingeift aufhörte und an defien Stelle der Ungeiſt der Selb » und Gewinnſucht träte”, Die Regierung würde ihren chriſtlichen Charakter verlieren und bald keine ans dern Grundfäge mehr. al& die der weltlichen Gerechtigkeit und des Nutzens haben, die Aufrechthaltung und Pflege einer wiflenfchaftlichen Theologie würbe ihr entriffen, und das chriflliche Leben möglicherweife der Unwiſſenheit, dem linverflande und Uberglauben preis gegeben. Die norbamerikanifchen kirchlichen Zuflände, die nur ein Uns wiflender für Rormalzuftände der Kirche halten Tann, und die Riemanden zuträglicher find ald der römifchen

Kirche, die einen feſten kirchlichen Organidmus bat und

mit dieſem die Seeten überwindet, legen das ſprechendſte Zeugniß für die Wahrheit des vom Berf. Sefagten ab. Dem Unglauben und dem kirchlichen Radicalismus wäre allerdings die Trennung der Kirche vom Staate fehr erwänfht. Das Lofungswort zur kirchlichen Auflöfung wäre damit gegeben. Die Kirche würbe ſich zwar audı in biefem Falle nicht gänzlich auflöfen, fondern nur nen gehalten, und der Staat müßte mit der Zeit auf biefe oder jene Weife mit der Kirche, die er nicht entbehren fann, wenn er nicht fein innerfted Lebendband zerſtören will, wieder ein neued Bündniß fchließen.

das Wefen bes chriftlichen Glaubens ꝛc. 485

- Bogu aber eine gefährliche, möglicherweife für ben Staat ſelbſt verderbliche Kriſe herbeiführen, wenn auf dem milden und verfländigen Wege der Reform viel Beflereö erreicht werben Tann? Der Berf. fchlägt zum diefem Ende die Repräfentatios oder Synodalverfafs fung vor, der für die Gemeinden Presbyterien zu Grunde liegen müßten. Die Preöbpterien hätten im Befonderen, die Spnoden im Ganzen das Kirchenregiment zu führen; die Geiſtlichen würden als diejenigen Mitglieder, weldhen die lebendigere Theilnahme und die befiere Ein⸗ fiht beimohnt, den Haupttheil der Kirchlichen Vertretung bilden; jedoch müßten auch Laien, welche durch ihren firchlichen Sinn und ihre Einfiht das Zutrauen des Bols kes befüßen, hinzugezogen werden, und bie Negierang mäßte in den Synoden durch Commiffarien vertreten ſeyn. Bir erfennen hierin allerdings die Grundzüge einer orgas nifcheren, Icbendigeren Kirchenverfaflung, die in ber refor⸗ mirten Kirche auch hie und da ſich ausgebilder vorfindet, während dagegen auf bie in Deutfchland und zum Theile felbR in der Schweiz an vielen Orten beftehende Gonfis Rorialverfaflung von dem Berf. gar feine Rüdficht ges nommen wird. Darand entfieht der Uebelſtand, daß, obs wehl der Verf. die Staatskirche beibehalten wünſcht, ex dennoch den Regierungen zu wenig Einfluß auf das Kirs henregiment einräumt. Eine zweckmäßige Verbindung bed Synodal⸗ und Eonfiftorialfpftems fchieue dem Ref. befons derö anzurathen; denn rein demokratiſche Formen fönnten der proteftantifchen Kirche diejenige Feſtigkeit nicht geben, weldyer fie zumal der römifchen Hierarchie gegen, über bedarf. Auch ift ed uns einigermaßen anfgefallen, daß der Berf. gar nicht in Betracht gezogen hat, ob bie Eyiffopaiverfaflung, welche Melanchthon fo gerne der deutſchen Kirche erhalten hätte, mit dem Principe dee Protefantismud unter gewiffen Boransfehungen nicht erträglich "wäre.

66 de Wette

Mit allem dem, gibt aber ber Verf. felbft zu, wäre die Kirche immer noch zu einer bloßen „Anftalt für hriftlihde Erziehung und Erbauung herabge funten” (S. 441.). Das fittlihsthätige Leben. bliebe fomit faR ganz vom Kirchenleben ausgeichloffen (S. 443.). Abhülfe hievon erwartet der Berf. allein vom chriſtlichen Bemeingeifte und in der freien Bethaͤtigung beffelben dar hriftliche Vereine. Damit ift nichts Anderes gefagt, ald daß die Staatskirche durch die freien Ber eine reformirt werden müſſe, was auch die feſte Leber jeugnug des Ref. iſt.

Es ift gewiß wahr, daß die Mitglieder foldyer freien Vereine die beften Ehriften find (S. 379.)5 aber in vieler Beziehung auch wahr, was der Berf. au ihnen ausſetzt, daß fie meiſtens zu engherzig find, zu viel Bor urtheile gegen die Wiffenfchaft haben , fidy die Offenbas zung nicht lebendig geung anzueignen vermögen (S. 380.). Auf der anderen Seite find aber viele weitherzigere Chri⸗ fen hieran ſelbſt Schuld, weil fie feinen Sinu und feine Theilnahme, nicht einmal ein Bedürfniß für das freie Gemeindeleben haben und gleich Pietismus und „DMuder zei” darin wittern. So weit als der Berf. würden wir jedoch nie gehen, welcher dad Predigen und die Wahl der Prediger den Conventikeln überlaflen und tim öffent lichen „Gottesdienfie” das darftellende ſymboliſche Ele⸗ ment dergeftalt zum Uebergewichte erheben würde, daß die regelmäßigen Andachtsübungen auf bibliſche Borle- fung, Gebet und Geſang befchränkt, die Predigt aber auf die hohen chriftlihen Feſte und befondere Bettage aufgefpart bliebe (S. 444). Wird jekt zu viel gepre digt, fo wollen wir wenigfiend nicht in das andere Gr, trem verfallen und zu wenig predigen, was gerade zu dem, vom Berf. fo fehr verwünfchten, änßerlichen Gere moniendienfte führen koͤnnte.

dad Weſen des chriſtlichen Glaubens x. 487

Daß ſich die Kirche einſt vollenden werde, das iR die große Weiſſagung des N. Te. Der Verf. ers wartet diefe Vollendung in der Zeit in einem neuen gros den Siege des chriftlichen Geiftes der Wahrheit und Ges techtigleit (ES. 449.) Wahrhaft vollender fidh die Kirche Chriſti aber erft in der Ewigkeit. Der Berf. hat an bie Stelle einer unperfönlichen Unfterblichkeitdichre, die ganz dem modernen, mit dem &lauben zerfallenen Bewußtfeyn angehört, wieder bie kirchliche Lehreder Auferfiehbung von ben Todten gefeht. Dagegen hat er alles vors wigige Grübeln darüber fern gehalten, wie der Proceß der Auferfiehung vor fich gehen werde, Auch die Frage, warum der einzelne Gläubige nicht fogleich nadı dem Tode zur Vollendung gelange, und welches ber Mittels zuſtand fey, den er durchzugehen babe, weiſt er ale ans Gelbſtſucht entfpringend zurück. „Es ift der Wille Gots tes ſelbſt,“ fagt er, „daß wir Über diefe Dinge in Uns wiffenheit bleiben follen. Linfer Erfenntnißvermögen ift fo eingerichtet, daB wir über Allee, was jenfeitd dieſes irdifchen endlichen Lebens liegt, nichts Gewiſſes und Bes Rinmtes wiſſen können” (©. 459.). Es ift auch pfychos logifh fehr wahr, was der Verf. noch fpäter bemerkt, daß diefe Unwiſſenheit wohlthuend für uus ſey. „Wäre uns ein Willen über diefe Dinge möglich, fo hörten fie auf, Begenflände des Glaubens und der Hoffnung zu fon, und dem Geiſte wäre das Geheimniß geranbt, defiem er bedarf, um feine höchfte Schwungfraft zu Üben” (8. 460.).

Der Berf. fchließt fein Werk ſelbſt mit einem Ges heimniffe, demjenigen der Dreieinigkeitslehre. Bir können nnd nad) dem Standpunkte des ganzen ers kes wohl vorftellen, daß er die Lehre von ber fogenanns km immanenten Dreieinigkeit verwirft und fich nur an die Dffenbarungsdreieinigkeit hält, welche auf die dreifache zur Erfcheinung gefommene Geoffenbartheit

488 be. Wette

Gottes ald des Vaters, des Sohnes unb des h. Geiſtes gurüdgeht. Die Abneigung gegen die immanente Drei einigteitöichre war fchon unter den Reformatoren, zumal den reformirten, fehr groß und Galvin hätte fich ſchwer⸗ lich jemals wieder zu ihr zurdgeflüchtet, nachdem er fie fhon völlig verlaffen hatte, wenn ihn nicht Servet durch feine Oppofltion vom Standpunkte des naturaliftifchen Mantheitmus aus erfchredt hätte. Dennoch iſt die im: manente Dreieinigfeitsichre nicht fo ganz verwerflich; denn wenn Unterfchiede aus dem göttlichen Weſen in der Geſchichte des Reiches Gottes hervortreten, fo müſſen dieſe Unterfchiede in dem göttlihen Weſen felbk ihren Grund haben. Das hat der Chriſt ald ein uner⸗ forfhlihdes Gcheimniß glänbig anzuerfen nen; „die fcholaftifche Speculation aber in das göttliche Weſen felbft hineinzuverfegen” (S. 492.), dazu fehlen dem Menfchen alle Bedingungen, nnd die Firchliche Lehre bedarf in diefer Beziehung heute noch der Neviflon, die von den Neformatoren an die Hand genommen, aber wieder aufgegeben wurde.

Mir können nun unfere Bemerkungen über das treff⸗ liche und inhaltreiche Werk des Verf. nicht fchließen, ohne noch einen Blick auf die ganze Anordnung und Eintheis Inng deflelben zu werfen. Daß wir dieß erft jeßt thun, hat darin feinen Grund, daß und der Stoff des Buches wichtiger ale die formelle Behandinng fchien, und bie leßtere erft dann recht verftanden werden fann, wenn ber Stoff felbft befanne if. Auch wird in der formellen dw handlung zumal eined dogmatifchen Syſtems immer eine gewiſſe Freiheit eingeräumt werben müffen, zumal in ei ner Zeit, die in den Brundprincipien fo fehr hin und her fhwantt. Im Allgemeinen hat der Berf. den von Schleier: macher zuerſt betretenen Weg eingefchlagen und nad Boranftellung einer Reihe von einleitenden Säßen, welche von der Ratur und Darſtellung ded Glaubens handeln, zuerft die urfprängliche, aber geflörte Einigung der

bad Weſen des chriſtlichen Glaubens ꝛc. 489

Menſchen mit Bott, dann in einem zweiten Theile bie durch Ehriſtus wieder hergeftellte Einigung der Mens fhen mit Bott behandelt. Diefe Anordnung bat ihre großen Bortheile, die ſich hier aufs Reue wieder beftätiget haben. Ihre großen Nachtheile hat fie aber auch. Diefe liegen darin, daß die ganze Dogmatif auf diefem Wege nicht genug objectiven Hintergrund hat, daß ſich die einzelnen Sätze aus dem fubjectiven chrifllichen Bewußt⸗ ſeyn gleichfam herandfpinnen, aber nicht auf ben großen gefchichtlichen Heilsthatfachen ruhen. Dem Ref. fcheint ed mißlich, vom Glanben reden, feinen Begriff entwidels u müffen, ebe nur vom Objecte bes Glaubens, vou Chrifto, irgeubwie die Rede feyn konnte. Und doch handelt die ganze Einleitung vom Begriffe des Glaubens. Diefe Anordnung führt aud den Nachtheil mit fidh, daß jmeimal vom Berf. ber Begriff des Glaubens entwis delt wird: einmal in der Einleitung, und dann wieder im erften Hauptflüde des zweiten Abſchnittes des zweiten Theile® bei der Lehre von der Heilsordnung. Leberhaupt ſcheint dem Ref. der dhriftlihe Glaube immer Dffenbas rungsglaube zu feyn, und diefer kann doch erft dann unvorgreiflich eutrwidelt werden, wenn bie Thatſachen der Offenbarung begründet find. Diefer Vorwurf trifft aber Schleiermacher zunächſt, und das ift auch ein Haupt⸗ grund, warum Ref. bei aller Verehrung wor dem herr, lichen Manne fich dennoch durch die fchleiermacher’fche Dogmatik nicht befriedigt fühlt.

Auch in Beziehung auf die Lehre von Gott ift der Berf. in Schleiermacher’d Kußftapfen getreten und hat die göstlihen Cigenfchaften von einander getrennt behandelt. Ref. hat die fchleiermacher’fche Gotteslehre immer für einen der fchwächften Punkte feined Syſtems gehalten. Wozu dieß Zerreißen und Zerpflüden des Eis nen, untheilbaren, ewigen Gottes bei Entwidelnng feines Begrifea? Der Begriff fol dad Weſen darfiellen, und wo es recht eigentlich zum Weſen gehört, ein unzertrenn⸗

490 be Weite

lihed Ganze zu feyn, da follte audy ber Begriff nicht trennen, Ref. hat bei Darftelung des Weſens des Pro⸗ teſtantismus unwilllürlih das Bedürfniß gefühlt, die Gotteslehre mit der Ehriftologie zu verbinden. "Nur in Ehrifto haben wir den wahren, lebendigen. Gott, der die Liebe

ſelbſt it. Gewiß ift Die Methode der alten Dogmatiler

eben fo verwerflich, die den locus de Deo der Ehriftologie ooranfchiden, ja gar an die Spite des Syſtems flellen.

Da befommen wir wohl abfiracte, fcholaftifche Formeln über das, was Bott nicht ift, aber Das, was Gott

it und dad macht doc fein Weſen aus hat und erft der Sohn Fund gethan: Bott if der Bater. Dahin gehört dann auch die Lehre vonder Dreieinigfeit, und nicht wohl an dad Ende des Syſtems, wohin

Schleiermacher diefelbe in einer Art von Verlegenheit ver: wiefen. zu haben fcheint, ba er fie fonfl nirgends unter

zubringen wußte.

Die Stellung, weldhe der Berf. der heiligen Schrift in feinem Syfteme einräumt, fcheint und eine

zu 'untergeorbnete zu feyn. Man hat biöher zwei Prin⸗

eipien des Proteflantiämud geltend gemacht: das foge

nannte formale und materiale. Unter dem erſteren verfiand man die heilige Schrift. Ref. iſt der Anficht,

daß es unrichtig iR, fo zu unterfcheiden, und daß ein

rein formales Princip ein Unding wäre. Allein wenn auch die Schrift fein Princip, fo it fie doc eine Macht im Proteftantismus, und ale folche iſt fie nicht mehr an- erkannt, wenn fie ihre Stellung im Syſteme unter dem Titel: „Ehriftus in der heiligen Schrift,” einzunehmen hat. Die Lehre von der heil, Schrift gehört, nad) ber Anfiht des Nef., vor die Lehre von Chriſto, weil wir zunächft aus der Schrift-von Chriſto wiflen.

Daß der Lehre von der Kirche im zweiten Abfchnitte des zweiten Theiles, wo von ber Aneignung bed Heild gehandelt wird, ihre Stelle angemwiefen wird, könnte

bad Wefen des chrifllichen Glaubens ꝛc. 491

ebenfalls in Anfpruch genommen werden. Damit wirb die Kirche als ein Gnaden⸗ oder Heildmittel betrachtet, Sollte fie aber auch im Sinne des Verf. nicht eine höhere Aufgabe zu löfen haben? Bezeichnet ber Verf. nicht felbft bie Gemeinfchaft als eine zweite Menſchwerdung Gottes? Und will fcheinen, die Lehre von der Kirche hätte zum nindeften einen eigenen Abfchnitt, wo nicht einen befons deren Theil bilden ſollen. Sie tft eigentlich bie Frucht des ganzen von Bott in Ehrifto befchloffenen und vollen, deten Heilswerkes die thatſächliche Erfcheinung Gottes anf Erben, die Verwirklichung feiner Offenbarung in der Menfchheit. Die Lehre von der Kirche bietet nach der Anſicht des Ref. für jede Dogmatif die geeignetften Schluß» punkte dar. Denn waß ift fchöner, ald mit dem Zubels rufe der trinmphirenden Kirche zu fchließen ?

Aller der Ausftellungen aber ungeachtet, zu denen fidy Ref. hie und da bewogen fühlte, trägt er kein Bedenken, biefes Merk für eine der [hönften und wid» tigften Jiterarifchen Zeiterfheinungen zu halten, Wer wollte auch in unferer Zeit eine Dogmas tik ſchreiben, in welcher nur zwei felbftändige Theologen durhaud einig gingen? Die dogmatifche Einförmigkeit gehört überhaupt nicht zum Wefen bed Proteflantigmus, und jeder Verſuch, eine foldye erzwingen zu wollen, müßte zum größten Nachtheile für unfere Kirche ausfal⸗ In; er würde nur eine‘ allgemeine Zerfplitterung in Sec, ten zur Folge haben, Unſere Zeit bedarf verfchiebener theologifcher Bauleute, aber auf dem Einen Grunde, aus ber dem Fein anderer gelegt werden kann (1 Kor. 3,11.) Rad; unferem Dafürbalten ift das Werk des Berf. auf diefen Einen Grund gebaut, und auch an Silber, Gold und Edelfteinen fehlt es nicht, die das Werk feldft fchmär den. Und wenn nichts Anderes daran wäre, als bad Gold der Wahrheitsliebe, fo wäre das fchon ger ung. Der Verf. will keiner Partei dienen, undD. Lüde

Theol. Stud, Jahrg. 1847, 83

492 de Wette, dad Wefen des chriſti. Glaubens xx.

hat darum mit Recht dem Buche das Prognoſtikon geſtellt, Daß es von Bielen rechte und links werde verworfen werden. Aber eben fo wahr if, daß es auch Vielen will tommen ſeyn muß und daß kein Unbefangener daffelbe, ohne neue Anregungen erhalten und den Berf. ſelbſt aufs neue achten gelernt gu haben, bei Seite legen wird. Nef. wird wenigftens die Stunden nie bereuen, die er auf ein grändbliches Studium dieſes Werkes verwende hat; denn für biejenigen, die nur einigen geiftreichen Schaum von den Büchern abfchöpfen wollen, ift es nicht gefchrieben. Wir fchließen mit dem herzlichſten Dante gegen den Berf. für den großen Dienft, ben er der Wil fenfhaft und der Kirche mit feinem Werke geleiftet hat. Möchten die Gleichgeſinnten nicht unter eines Menfchen Fahne, aber unter dem Paniere der chriftlihen Bahr: heitsliebe fich immer näher zufammenfchaaren, um einer fett dem wiebererwadhten ftabilen Scholafticidmus, an dererfeitd aber befonderd dem frivolen Sanschlottid mus zu wehren, der auf den Trümmern der Theologie und der Kirche die Religion einer Riebe aufrichten wi, Die nichtd glaubt, und eines Geiſtes, ber Fein, heiliger Geiſt if. Denn um zur wahren Bermittelung zu - gelangen, müflen die falfchen Gegenfäbe Abermunden werden, und daß das Wert ded Verf. einen außerordent⸗ ich wichtigen Beitrag zu dieſem fchönen Zwecke liefert, das werden ihm alle diejenigen danken, welche in unferer Zeit der Wahrheit, und nur diefer, zu dienen entſchloſ⸗ fen find. - Schenkel.

Ki rchliches

88*

Ueber die Nichtannahme des koͤnigsberger Deputirten, D. Rupp, auf der berliner ‚Generalverfammlung ded Guſtav⸗

7 Adolph = Vereins. Aus dem göttinger DeputistensBerichte mit Erweiterungen . von

D. Friedrich Lüde.

Audiatur et. altera pars!

Ich brauche nicht erſt zu fagen, daß ber Einbrud, den Die Dießjährige Hauptverfamminng auf mic gemacht hat, fehr verfchieden von dem nur erfreulichen: Eindrude ber göttinger und fluttgarter, ein höchſt betrüben⸗ der geweſen if. Gleich im Anfange leidenſchaftlicher Darteiftreit, wie ein Keuerbrand in eine ftille, harmloſe Friedenswohnung geworfen, ein Streit auf Leben und Tod des Bereind —, was kann Betrübenderes für ein Chriftenherz gedacht werden?

Indeſſen fehlte ed auch in der berliner Verſamm⸗ lung sicht an allem Bruude zur Freude und Hoffnung. Richt nur iſt manches einzelne Heilfame einftimmig dort beihloffen worden, fondern im Ganzen muß man auch bad fagen, daß die urfprünglichen Bande der Liebe, des Friedens und der Berfähnlichleit, worauf der Berein ger gründet ift, ſich dort noch ftärker und mächtiger gezeigt: haben, ald die eingebenngenen zeriörenden Mächte des Haderd. Mir iſt es fchon etwas Großes, daß der Ver⸗ ein die berliner Berfammlung überlebt hat und an bem böfen Zwiſte nicht gleich und gänzlich zr Grunde gegan⸗ gen it. Omen accipio.

496 Luͤcke

Was in dem geſchichtlichen Hergange der Zeit nach das Erſte war, die vorberathende Verſammlung am 7. September Abends und die hier in ſchlimmer Mitter⸗ nachtsſtunde beſchloſſene Abweiſung bes D. Rupp, iſt zugleich dasjenige, worauf jeder Freund des Vereins am meiſten geſpannt ſeyn wird, und es liegt in der Natur der Sache, daß mein Bericht bei dieſem Vorfalle am meiſten verweilen wird, zumal da die öffentlichen Ankla⸗ dei gegen bie, welche mie ich in dieſer Augelegenheit ger flimmt haben, mic, nöthigen, in die Sache genauer eins zugehen.

Als wir am 1. Sept. Nachmittags in dem eine halbe Stunde von Berlin beiegenen Luftorte Tivoli zur erften Begrüßung zuſammenkamen, Deputirte und übrige Mits glieder des Vereins, auch nengierige Zufchauer aller Art, war ed nicht bloß die brüdende Schwüle Des Tages, fondern weit mehr die bange Sorge für den Verein und die eventuelle Löfung der durch die Tageöblätter ſchon vielfach befprochenen und auch fchon zur Demonſtration gemachten vupp’fchen Frage, was bei aller Freude ded Wiederſehens und erſten Begegnens eine bange Miß⸗ ſtimmung und ein Unbehagen erzeugte, welchem ſich Rie⸗ mand entziehen konnte.

In dieſer unbehaglichen Spannung ging man an bemfelben Luftorte zur vorberathenden Sitzung in das dazu befltimmte Verſammlungszimmer, welches wohl für die allein berechtigte Verſammlung der Deputisten geräumig genug fchien, aber für die mit einfirömende Menge meiſt nengieriger Berliner weder Platz noch gefunde Luft hattet. Indeffen wurde bei allem Gedränge die Verſamulung von dem Vorſitzenden des Gentralvorftandes, Superinten benten D. Großmann, mit Gebet eröffnet. Aber auch das Gebet vermochtenicht, ber Berfammlung die nöthige Stille unb Weihe zu geben. Mit Mühe etrangen mehrere Des putirte ihren Sitz an dem Tifhe. Als die umfiehende

&b. die Nichtann. des Eönig6b. Dep. D. Rupp ıc. 897

Menge anfing, bie Ruhe ber Beratkung vielfach durch Zeihen und Worte des Beifalls uud Mißfallens zu ſtö⸗ sen, unb ed das Anfeben gewann, ale follte die Berfamms lang eine Art von tobender Vollsverſammlung werben, drangen mehrere Deputirte entfchieden darauf, daß der Saal von allen Richtdeputirten geräumt werden möge, was denn auch, aber ziemlich allmählich, gefchah, zum Berdruß Einiger, welche in dieſer heilfamen Ordnung einen bedauernswerthen Rückſchritt zur Unfreiheit und Unöffentlichfeit fanden.

Das Erſte in den vorberathenden Berfammliungen war, wie immer, die nach F. 25. der Statuten geordnete Prüs fang and Abnahme der Vollmachten der Deputirten von Seiten des Abgeorbnneten des Centralvorſtandes, des Sur perintendenten D. Großmann,

Als Diefer anf die Bollmadht des einen königsber— ger Abgeordneten, ded D. Rupp, kam, erllärte er, daß er biefelbe file fich weber annehmen noch zurückweiſen könne, daß, da fie von mehreren Seiten beanftandet worden fey, er ſich nach gefchehener Berathung mit dem Cen⸗ taloosftande für verpflichtet halte, die Krage darüber an die Generalverfammlung zu bringen. Er müſſe jedoch wünfcgen, daß, da vor Allem zuerft ber Borland ber biefjährigen Beneralverfammlung gewählt und biefe ſelbſt förmlich conftitnirt werden müſſe, D. Rupp fich einſtwei⸗ im feiner Vollmacht enthalten möge, bie zur beſchließen⸗ den Berfammlung am 9, Sept, au weldye dem D. Rupp ber Regreß freiftehe, und in welcher die gewiß ſehr (hwierige Frage ruhig und vollfländig erwogen und er⸗ ledigt werden könne.

Alein auf dieſen, wie mir fchien, billigen Wunfd wollten fi) D. Rupp und ſeine Freunde nicht einlaffen. Es bieß, auch wicht einmal die Wahl des Präͤſidiums könne in der Berfammiung rechtlicher Weife vorgenommen werden, fo lans ge die fegitimationen nicht in Orduung und vollendetfeyen.

498 Lüde

Nach laugem Hius und Herbisputiren, wobei man hie nnd da eine auch fonft fchon bemerkte Ciferfucht auf die Macht des Centralvorſtandes deutlich wahrnahm, ging man am Ende auf dad Berlangen ein, die Frage noch in bie fer vorberathenden Berfammlung zu enticheidben. Uns ftreitig aber :wäre ber Auffchub viel heilfamer gewefen, als die Beeilung einer Frage, welche mehr als bloß Aus Berlich: formeller Art war, und auf welche au biefem Abende die wenigften Deputirten und Die unbefangeniten gerade am wenigften vorbereitet genug waren. Bei ger ftattetem Auffchube hätte man ſich unterbeffen beffer mit einander berathen, unterrichten und verffändigen können, and eine ruhige Berathung an bem ftillen heiligen Orte der Kirche würde, was auch das Ergebniß geweſen wäre, die Gemüther lange nicht. fo aufgeregt haben. Auch hätte man ben großen Bortheil gehabt, bie Hauptver- fammlung nicht gleich mit einem feindfellgen Zwiefpalte anzufangen. Allein fo eifrig waren die Freunde Rupp’s auf rafche Entfcheidung, daß fie, als zue Wahl des Prä⸗ ſidiums der neuen Generalverſammlung gefchritten wers den follte und darüber Streit entftand, ob D. Rupp bei biefer Wahl ſchon mitſtimmen könne, nicht einmal dieſe augenblidliche Euthaltung ded D. Rupp von feinem De putirtenrechte einräumen wollten. Indeſſen half über dieſe geringere Schwierigkeit nady mehreren andern Vor⸗ ſchlaͤgen Geheimerath Kransnid von Berlin ſchnell hinweg durch den von ber Mehrheit und auch von D. Rupp augen bli@lich angenommenen Vorſchlag, das Präfibium möge, wie ſchon öfter geſchehen, durch Acclamation gewählt werden, und zwar vor Allem möge man zum Präffdenten den würbigen Dann wählen, der auf allen biäherigen Gene ralverfammiungen das Präfidium zu allgemeiner Zufrieden beit geführt habe. Nachdem hierauf Superintendent D. Großmann zum Präfidenten ausgerufen worben war, befiitumte man anf gleiche Weiſe zum Bicepräfldenten

db. d. Nichtann. des koͤnigsb. Dep. D. Rupp ıc. 499 .

den Geheimerath Krausnick, und eben fo wurben durch Acclamation auf den Borfchlag des Bräfibenten die Se⸗ cretaͤre des Praͤſidiums gewählt.

Hierauf begann die Erörterung der rupp'ſchen Voll⸗ macht. 7

An der äußern Korm wurde Fein Mangel befuuden. Was war alfo Bedenkliches daran?

Aid D. Rupp von feinem Hauptvereine zum Depus tirten gewählt wurde, war er gerade Mitglied ber allge meinen preußifchen Landeskirche, fein Mitabgeordneter dagegen, D. Wechfler, Mitglied der fogenannten freien Ges meinde in Königsberg, welche aud dem Nexus der preus filhen Landeskirche herausgetreten iſt. Zwiſchen der Wahl aber und der Ausfertigung der Vollmachten hatten beide ihre Stellungen zur Landeskirche vertaufcht. Wechſ⸗ ler war, weil, wie erzählt wurde, Rupp ale Hauptfüh⸗ ser der freien Gemeinde zu orthodor gefchienen, zur fans deöfirche, die ihm wohl am Eude freier bedünkte, zurück⸗ getreten, Rupp dagegen hatte fich förmlich, wie es laus tete, von der evangelifchen Kirche, vulgo Landeskirche, los⸗ gefagt und war geiftlicher Zunctionär, Prediger derjelben geworben.

Mar erft mit der vollzogenen Bollmadıt die Wahl förmlich vollendet, fo fchien es in. der Ordnung, ſich bei der Prüfung an die notorifchen kirchlichen Verhältniſſe ber beiden Deputirten zur Zeit der Ausſtellung ihrer Voll; macht zu halten. Und fo ift es feltfamer Weife ger fommen, was aber ganz in ber Ordnung war, daß, wäh» rend D. Wechſler's Vollmacht von Niemand beanftandet wurde, die des D. Rupp Anftand fand.

Es entftand nun eben die Frage: Kann D. Rupp als notoriſches Mitglied der freien Gemeinde, welcher ih mit Diefer von feiner evangelifchen Landeskirche förm⸗ lich losgeſagt hat, als rechtmäßiger Deputirter zur Ges neralverfamminng augefehen werben?

500 Luͤcke

Die evangeliſche Kirche Preußens hat weder den D. Rupp noch feine freie Gemeinde in einer Art von Ercommunicationdgewalt von ſich ausgeſtoßen, ſondern beide haben ſich in leidenſchaftlicher Aufregung gegen die beftehende kirchliche Ordnung von derſelben mehr losgeſagt, unb zwar in Folge von Streitigkeiten, im welden bie firdyliche Behörde wiederholt erlärt, daß fie eben nm die Aufrechthaltung der kirchlichen Ordnung wolle, daß fie öffentliche Berunglimpfung eines in der gefanmten Kirdye noch allgemein beftehenden öfumenifchen Symbolums von Selten des D. Rupp auf der Kanzel vor einermit dem Gegen ſtande nicht vertrauten und zur Erbauung verfammelten @e meinde, fo wie bie Damit verbundenen Angriffe auf ben chriſt⸗ lichen Charakter der beſtehenden evangelifchen Kirche wicht dulden tönne, daß ſie aber weit entfernt fey, Dem D. Rupp ir, gend einen Bekenntnißzwang anfzulegen, und außer dent fich-einmal Über das andere zu frieblicher Berkänbis gung erboten hatte, Die Gemeinde will eben als freie von allem geordneten Kirchenregimente unabhängig nud antono» mifch feyn in. Berfaflung und Lehre, eine indbependentis ſche Diffentergemeinde & l’Anglais, dabei aber nicht ohne den Aniprud und den Verſuch, ſich in ben übrigen evans gelifchen Kirchen Dentfchlande der preußifchen Landes tirche gegenüber Aubang und Anerfenmung zn verſchaf⸗ fen; was ihr aber bisher, außer bei einzelnen verwand⸗ ten Parteibimmen, nit gelungen if, felbft bei denen nicht, welche die Freiheit der Lehre und bie Entwidelnng einer freien Berfaflung der Kirche hoch anfchlagen, So lange diefe Gemeinde uud ihr Kührer Rupp die Princis pien der evangelifchen Kirche nicht gerabezu verleugnen, wird man fie zur evangelifchen Kirche im weiteſten Sinne rechnen Tönnen, aber doch nur ale eine Secte ober Separatiftengemeinde, und zwar als eine eben erſt lei⸗ denfchaftlich entfiehende, der ed zur Zeit noch an aller öffentlichen und förmlichen Anerkennung fehlt, und von

üb. d. Nichtann. d. koͤnigob. Dep. D. Rupp ıc. 501

der man gar nicht fagen Tann, wie fie fich in ihrer weis teren Entwickelung zur evangelifchen Kirche poſitiv vers halten und ſtellen werde. Schon verlautet, daß Rupp und feine Bemeinde das Gacrament der Taufe für be: ledig Halten; ein Zeihen, daß fie nicht eben auf dem beten Wege find, ſich mit der allgemeinen evangelifchen Kirche wieder organifch zu vereinigen. Hiernach wärde alfe die Frage beftimmter fo zu faflen feyn: Beruht der Buftav s Adolphverein auf der pofitiven, öffentlich aners tannten, zu Recht beftehenden evangelifchen Kirche Dentſchlands, fomit auf den georbneten Randesfirchen, in denen bie deutfche ewangelifche Kirche zur Zeit allein ihre hifkorifche Wirklichkeit hat, fo daß die Mitgliedfchaft des Vereins und die Deputationsfähigkeit darin durch die notorifhe Mitgliedfchaft geordneter öffentlicher Kir hen bedingt ift: ober umfaßt der Berein zu gleicher Bes rechtigung Alles, was fich felbit irgendwie zur ewanges liſchen Kirche in abstracto beliebig, mit Recht oder lin» recht rechnet, fomit auch alle Secten, weß Namens und welcher Art fie auch feyn mögen, fhwärmerifch behaups tende oder Falt leugneriſche, wenn fie nur aus der evangelifchen Kirche äußerlich hervorgegangen find, fagen, daß fie dazu gehören, und nicht gerade ſchon beſtimmt in die römifchlatholifche oder griechifchorthodore Kirche übergetreten find?

Eine Frage, welche an ih, beſonders aber in den gegenwärtigen religiöfen und kirchlichen Bährungen zu den fchwierigften Kragen der Zeit gehört und eine eigent- lihe Lebensfrage nicht bloß des Vereins, fondern der dabei fehr betheiligten Kicche iſt. Eine folche Frage for⸗ dert die forgfältigfte und gewiſſenhafteſte Erwägung von allen Seiten, und fann am wenigſten in tumnitnarifchen Parteiftreitigkeiten und im aufgewühlten Staube der Tas gesblätter und tobender Volksverſammlungen durch irs gend welches Zauberwort eined allgemeinen Begriffes,

502 | Lucke

weder durch das Zauberwort der Kirchlichkeit noch durch das Zauberwort der Freiheit und Gleichheit, geloͤſt wer⸗ den. Se ſchwieriger Die Frage gerade in praktiſcher Bezie⸗ hung ift, deſto mehr hätte es ſich geziemt, fie in gegenfeitiger Gerechtigkeit und Liebe gemeinfam zu ‚löfen. Aber kaum war die Frage entfchieden, ald man diejenigen , welde gegen Rupp geſtimmt, und doch wohl fo gut ihr Br wiffen haben, wie Andere, als zelotifche orthodoxe Glau⸗ bensrichter,, welche eben kein hriftliches Gewiſſen be; ben, zu verfchreien anfing. Es verdient in dieſer Bezie- bung gleich hier bemerkt zu werben, daß eben fo vice Rationaliſten als Snpranaturaliften gegen Rupp ent fchieden haben »). Wenn ohne Unterfchieb der theologi- fchen Richtungen, vornehmlih die erfahrenen Freunde ber kirchlichen Drbnung, zum Theile die zuhigften und milbeften Männer, entfchiebene Freunde freier theologi: fher und kirchlicher Entwidelung, die dafür zu ihrer Zeit und an ihrem Orte, wo Andere fchwiegen, ihren Mann geftanden, gegen Rupp flimmten, je nachbems fie ben

Fall der kirchlichen Ordnung für gefährlich hielten, fo

it es eine reine Wiberfpenftigkeit gegen das nuwider⸗

ftehliche Faetum und eine baare Berleumdung, wenn manbie

Enticheidung der Majorität als ein Glaubensgericht einer beſonderen theologifchen Partei ansfchreit.

Es wäre viel darum zu geben gewefen, wenn bie fritifche Lebensfrage gerade der berliner Berfammlung

hätte erfpart werbeu können, einmal, weil fie überhaupt -

a) Wenn unwiffende, ſich erhigende Beitungsfchreiber die ganze Majorität für einen fogenannten orthoboren Belotenhaufen halten, fo thun fie, was fie nicht laſſen koͤnnen; man iſt es nicht beffer gewohnt. Aber was foll man fagen, wenn felbft würbige und wiflende Männer, wie Prof. D. Theile, fih die ganze Ger ſchichte von vorn heraus nad) ben verbrauchten Kategorien (etwa aus Reinhardts Zeit) von Rationalismus und Guprana- turalismus zurecht ftellen ?

x

üb. d. Nichtann. d. Eönigeb. Dep. D. Rupp ıc, 503

daranf nicht vorbereitet unb infiruirt genug war, fo» dann aber und vornehmlich, weil bie gegenwärtige poli⸗ tifche und Eirchliche Aufregung in Preußen der Frage in Berlin eine Bedeutung und Beziehung gab, welde fie an fich nicht hat, und wodurch in die Verhandlung gleich von Anfong an eine leidenfchaftliche Bitterfeit gemifcht wurde, welche wie tödtendes Gift gewirkt hat. Es war, ald hätten die feindlichen Parteien nur auf die günftige Gelegenheit in dem freien Guſtav⸗Adolphvereine gewars tet, nm eine aucd für andere Verhältniſſe entſcheidende Schlacht zu fhlagen. j

Der Eentralvorftand ift einfichtig und vorfichtig genug gewefen, die Gefährlichkeit der Frage gerade für die berliner Berfammlung zu erfennen und zu würdigen.

Ald die erfie Kunde von Rupp's Wahl zum Depus tirten auf die Beneralverfamminng fich verbreitete, und zwar gleich mit deutlichen Dinweifungen in Zeitungen und Broſchüren auf die gegenwärtige kirchliche Krifis in Preußen, weldye in der bevorfiehenden Berfammlung ded Bereind aud ganz Deutfchland eine Entfcheidung zu Gunſten Rupp’d und feiner freien Gemeinde erhalten werbe, hatte ber Gentralvorftand ſich alfobald bemüht, - dad drohende Unheil abzuwenden. Er hatte an fein ordentliched Mitglied in Königsberg gefchrieben, um wo möglich entweder eine freiwillige Verzichtleiſtung des D.Rupp ober eine Abänderung der Wahl herbeizuführen. Allein die Briefe kamen zu ſpät. Rupp war bereitd nad Dentfchland abgereift und der königsberger Berein glaubte fi, wie zu erwarten war, nicht veranlaßt ober anfßer Stange, auf die Bitte des Eentralvorftandes einzugehen.

Noch wenige Tage vor jber berliner Verſammlung hatten indeß zwei Mitglieder ded Eentralvorftandes, der Hofprebiger Zimmermann aus Darmſtadt und Kirchen» rat) Schulz aus Wiesbaden, den D. Rupp auf der Reife anfgefucht, glücklich getroffen und ihn dringend gebeten,

504 | Laͤcke dem Vereine ben tödlichen Kampf zu erſparen. Aber vergebens. Am Tage der Verſammlung in Berlin hatte der Centralvorſtand, nachdem er mit Ausnahme wen. zwei Mitgliedern die Annahme Rupp’s für bedenklich, ia un: thunlich erllärt, biefen durch eine ehrende Depmsation von vier Mitgliedern befchidt, um ihn zum freiwilligen Rücktritte zu bewegen. Allein er befand auf feinem Rechte und foll erklärt haben, daß er fich berufen fühle, dem Vereine durch feinen Eintritt zu feiner wahren freiheit zu verhelfen. Gelbigen Tages am Nachmittage werfucte D. Zimmermann nochmals auf meine befondere Bitte, ein guted Wort bei D. Rupp einzulegen, auch in meinem Namen. Allein aud dieß gute Wort fand Feine gute Statt

Als die Debatte eröffnet wurde, dachte ich in fillen Kriedendgedanfen und wünfdhender Sorge für ben Berein, ed werde vielleicht nod möglich feyn, die Sache irgend wie zu umgeben oder uufchädlich zu befeitigen. Allein, ale und die Mittheilung gemacht wurde, daß ein Zweig nereiun des Lönigäberger Hauptvereind, ferner der mün⸗ ſterſche Hauptverein und eben fo ber Abgeorbuete des deſſauer Hauptvereins gegen die Rechtsbeſtaändigkeit der Wahl und die Aufnahme des D. Rupp als Deputirten Reclamationen eingereicht, die von Dem Gentralworflande doch nicht verſchwiegen oder befeisigt werben konnten, ba verfhwand für mich auch dieſe leute Friedens hoff⸗ nung. |

Gleichwohl verfuchte ich noch einmal, ale die Debatte fhon in vollem Gange war, mit D. Zimmermann und Kirchenrath Schulz ein gemeinfames Wort der iebe. Mir wendeten und noch einmal an den gegenwärtigen D. Rupp mit der dringendften Bitte, im Angefichte der gras Ben Gefahr, in der er ſelbſt den Verein ſchweben jeher auf fein formelle äußered Recht mit edler, ſchonender Liebe zu verzichten. Aber auch biefer letzte Verſuch

66. d. Nichtann. d. konigb. Dep. D. Rupp ıc. 505

mißlang , befonberd mit daburdh, daß ein Deputirter nes ben wir unfere dringende Bitte einen moraliichen Zwang nannte und ein anderer im heftigen Echo erflärte, er werde D. Rupp verachten, wenn er fein unveräußerliches Recht aufgebe, was denn freilich ein moralifcher Zwang anderer Art war. |

Sa, dachte ich, bie Liebe zwingt wohl, aber indem fie wahrhaft frei macht. Gewiß gibt es Fälle, wo das Recht unveräußerlich ift und die Gerechtigkeit feiner Liebe weichen darf. Aber war bier ein folder Kal? Wenn das innere wefentlie Recht, wie hier, einem edlen Bereine gegenüber mehr und weniger zweifelhaft ift, wenn man ferner mit feinem äußeren formellen Rechte ben Bruder Ans ſtoß gibt, da gilt nicht Fiat iustitia et pereat nundas! fondern nad 1 Kor. 8, 8 ff. allein die edelmüthig ents fagende Liebe. Diefe war in dem Augenblide die einzige Pflicht des D. Rupp gegen den Verein. Hätte er dieß erfaunt! Er hätte feinen echten evangelifchen Sinn nicht beffer bewähren koͤnnen, felbft wenn er den Muth oder Stofz gehabt hätte, diejenigen, weldhe an feiner Deputirtenmitglienfchaft Auftog nahmen, fchwache Bräs der zu nennen.

Die Würfel waren geworfen nnd die unvermeidbliche Frage mußte zur Entfcheibung gebracht werben.

Bei dem Mangel an Vorbereitung und Infirnction der meiften Deputirten wäre, um bie vorauszuſehende firliche Aufregung im beutfchen Volke zu vermeiden, viel leicht rathſam gewefen, wenn die Verſammlung eben wer gen mangelnder Inſtruction von Seiten der Hauptver⸗ eine fich fchlechthin für incompetent erklärt hätte, Wirk lich dachte ich während der Berathung einen Augenblid daran, allein ich erfanute auch augenblidlich die Unmäg» lichleit davon.

Bielleicht aber denkt noch jetzt Mancher fo, wenn er den gefchehenen Schaden befieht, uach dem alten Spruche,

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daß man klüger vom Rathhanfe herunter geht, als hinauf. Aber wenn auch die Kiugheit in höchſt eigner Derfon hinaufgegangen wäre, den Klugen will id fehen, der bei dem heftigen, wohlbedachten Drängen ber Gegenpartei auf Entfcheidung einem folchen ablehnenden oder anffchiebenden Borfchlage Eingang hätte verſchaf⸗ fen tönuen. Und in der That, recht überlegt, die Berfammlung hatte, einmal in die Frage gebrängt, nicht nur das Recht, fondern auch die Pflicht, zu ent ſcheiden, wie bei vielen anderen Fragen, worauf bie Deputirten auch nicht vorbereitet und infiruirt waren. Als der würbige Präfidentfeine Meinung für die Richt: annahme Rupp's in aller Ruhe und Milde barlegte, hob er unter anderen auch die Rüdficht auf die hohen Schuß» herren des Vereins hervor. Er meinte bamit ſämmtliche Regierungen, weldhe, wie er fagte, ben Verein unter ber Vorausſetzung, daß er die kirchlichen Ordnungen der Landeskirchen inne halten und in keiner Weiſe ſtören werde, beftätigt und unter ihren Schuß genommen. Mie viel Wahres darin auch liegen mag, was auch fpäterhin Bifchof Reander fehr klar entwidelte, wobei er auf die Bertragsverlebung aufmerkfan machte, welcher fih der Berein fchuldig mache, wenn er jeßt den Begriff der evangelifchen Kirche in einem anderen Sinne nehme, als in welchem bie paciscirenden Regierungen bei der Geſtattung des Bereind nach den vorgelegten Statuten benfelben ver: fanden hätten: fo muß id) ed doch bedauern, Daß dadurch eine Rädficht gleich in den Vordergrund trat, welche bei weiterer Erwägung der Folgen, aber nicht gleich in der erſten Erörteruug der Gründe ihre Recht hatte. Es entktand, wenn ich nicht irre, dadurch gleich eine Art von politis fcher Bezüglichkeit, welche freilich ber Frage fchon von ben Freunden Rupp's in den Zeitungen gegeben war, allerdings in einer ganz entgegengefehten Art, welde aber in jeder Weife der Berathung nadıtheilig wurde

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und wie ein Funke in daliegenden Zunder fiel. Dage⸗ gen muß ich zur Steuer ber Wahrheit erklären, daß ich meined Theils von irgend einer unmittelbaren oder mit- telbaren Einwirkung der prenßifchen Regierung, ober auch, wie man gefabelt hat, der koͤnigl. fächfifchen, auf bie Berfammiung auch nicht dad Mindeſte verfpürt habe. Eine ſolche Einwirkung wäre hoͤchſt unklug gewefen; fie wärbe gerade dad Gegentheil bewirkt haben. Was hat ten auch namentlich ausländifche Deputirte von ber preußis ſchen oder fächfifchen Regierung zır fürchten oder su hofs fen? Eben fo wenig hat irgend ein verfländiger ausläns diſcher Mann daran gebacht, er Werbe von ber eigenen Regierung übel augefehen werben, wenn er für D. Rupp Rimme. Man bat erzähle, daß in einen Lande, wo bie Furcht vor der Gefahr eines demagogifchen corpus evangelicorum ben Guſtav⸗Adolphverein länger gurüdhielt, bie für Rupp flimmenden Deputirten von ihrer kirchlichen Behörde ausdrucklich belobt feyen. Die Conſequenz ift zu bewundern. Aber ob wohl dieſelbe Belobung erfolgt wäre, wenn Rupp, ein firenger Oyperorthodor, mit jener Behörde in Zwift gelebt hätte? Wenn ferner ein preußis cher Geiſtlicher ſich in einem Zeitungsartikel Darauf etwas su Gute gethan hat, daß unter ben Gegnern Rupp's nadı Verhaͤltniß fehr wenig Preußen und die meilten Auslän⸗ der gemwefen, was foll man zu biefer verwirrten hochmü⸗ thigen Rede fagen? Sind wir Ausländer firchlich gebuns dener, unfreier, ald die Preußen? ur Parteiftreite ff es leider fehr gewöhnlich, den Geguern außerhalb der Sache und des Gewiſſens liegende Motive unterzulegen, aber es ift allegeit ungerecht und unedel. Darum will id) auch bei jedem Gegner gernein freied Gewiſſen vorausſetzen und mir nicht einreden laffen, was id) wohl gehört habe, bie nus vorgeworfene Furcht habe auf der anderen Seite gar fehr ihre Rolle gefpielt, freilich im anderer Weiſe. Über wenn neulich D. Rupp felber gefagt hat, er fey in Berlin nicht fowohl ber religiöfen Intoleranz, die doch noch Cheol, Sud. Jahrg. 17, 84

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etwas Religisſes geweſen wäre, als ber kirchlich⸗biplometi⸗ ſchen Theologie unterlegen, ſo ſollte er in ſeinen Buſen greifen und ſich erinnern, daß er unter lauter kirchlich und theor logifch s Diplomatifchen Demonſtrationen, freilich anderer Art, nach Berlin gegangen it. Gewiß, bad erkläre ich franf und frei, wäre 23 im höchſten Grade unedel, ja mpflt- lich gewefen, den leidenden und in wieler Beziehung fehr achtungswerthen D. Rupp feinem Kirchenregimente zu opfern, aber für eben fo unebel und nuſittlich muß ich balteu, den Guſtav⸗Adolphverein zu oflenen Demonfratier nen gegen irgend welche kirchliche Regierung zu mißbrauchen. Ich will jett Turz angeben, was mic in meinen Gewiſſen nach längerer reiflicher Weberlegung der ſchwie⸗ rigen Frage beRimmt hat, mit gegen D. Rupp’s Aufnahme su Rimmen. ben sur diefe meine perfönliche Ueberzen⸗ gung, nicht irgend welche Partei, habe ich zu verant- worten. Ich habe in der Kirche und Theologie nie einer Partei gedient unb werde es uie, Ich will ein freier Mann bleiben, auch im Vereine. Habe ich mit meinem Votum bie herrfchende Meinung meines befonderen Bereind nicht getroffen, ich kann es nicht ändern. Niemand kann und fol etwas wider fein Gewiſſen thun. Snßrnetionen für Die rupp’fche Frage babe ih vonz B ber fie mir zu geben gehabt hatte icht nicht verlangt, Die ganze felhaft und ee iſt unse A gen Fälle ausreichende, Inſt nehmen. Man hat bie & Deputirten, welche Rupp entfchieben Aber ich hat ald rechtſ Gewillen würbg

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ſolchen Auſpruch gemacht, aber bei aller Beſcheidenheit hat weine Ueberzeugung fo gut ein Recht gehört zu werden, als jebe audere.

Das Erſte, worauf man bei der rupp’fchen Angeles genheit kommen mußte, war die Frage, ob in den Sta⸗ tnten irgend etwad über bie rechtmäßige Mitgliebfchaft des Vereins nnd der Deputirtenverfammliung -insbefons dere beftimmt außgebrüdt fey, wonach man den gegens

: wärtigen Ball entfcheiben koͤnne.

Wenn ed F. 1. der Statuten heißt, der Berein fey

eine Bereinigung aller berienigen Glieder der evangelifchs

: proteftantifchen Kirche, welchen bie Noth ihrer proteftan= * tiihen Glaubensbrüder zu Herzen geht, fo Liegt darin, 3 ba der Berein auf der noterifchen Mitgliebfchaft der " ewangelifchen Kirche beruht. Wenn wohlwollende Katho⸗ ; lifen oder, wie Einige auch gefagt. haben, wohlthätige Sfraeliten dem Vereine Gaben geben, fo wird man fie hiernach ald Wohlthäter des Bereins betrachten müffen, : aber nicht als eigentliche Mitglieder deffelben. Man muß aber einräumen, daß in jenem Statnte der Begriff der wangelifchen Kirche im weiteften Sinne gefaßt ift, ohne ale nähere Beltimmungen. Nur das-fleht Jeder, Die liche, beftcehende evangelifche Kirche iſt gemeint, nicht | Zufunftöfirche. Vergleichen wir die Anlage Eintuten, nach welcher die Beſtimmung ber Die Bertheilung der Depntirten auf Berhältniffe der deutfchen evangelis Segrlinder ift, fo ſcheint auch hieraus Der Verein von Anfang an feinen eten und zu Recht befiehenden Dem entfpricht auch die bis⸗ Inbem verfelbe fi von Aus Siiebern der beftehenden grös örper gebilder und erhalten Fantifchen Secten bat er bis⸗ Ten und aufgenommen, keine

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Herrenhuter, keine Altlutheraner, geſchweige denn alt oder neugläubige Iſraeliten. Allein ich gebe zu, daß der Fall, daß ein Gectenftifter oder irgenb eine Secte in der evangelifchen Kirche zum Bereine tritt und auf volle Mitgliedfchaft Anſpruch macht, im $. nicht vorgejehen worden if. Dan hat auf ber frantfurter Generalver: fammlung auf eine beftimmtere Faſſung diefed $. in bier fer Beziehung angetragen. In feiner fugendlihen Un fhuld und Sorglofigfeit hat der Berein damals den Antrag abgelehnt. Wer aber die Zeichen ber Zeit recht “beobachtete, Tonnte fchon damals willen, daß das Ber witter der rupp’fchen Frage gleich mit dem Vereine herr aufzog.

Man hat gefagt, $. 2. beftimme in feiner unzertrenn⸗ lichen Berbindung mit F. 1. die kirchliche Mitgliedſchaft des Bereind mäher. Indeſſen ift hier unmittelbar bie Rede nur von ber wohlthätigen Wirkſamkeit des Bereind, und diefe wird befchränkt auf die firchenrechtlich beftehende, . wirkliche Iutherifche, reformirte und unirte Kirche, fo wie auf diejenigen Gemeinden, welche ihre Uebereinſtimmung mit der evangelifchen Kirche fonft glaubhaft nachweiſen. Wie unbeſtimmt auch dieſe glaubhafte Nachweiſung ger Iaffen feyn mag, fo viel geht aus allen bisherigen Ber einsverhandlungen über den Sinn und die Praris diefes 6. hervor, daß der Berein in keiner Weife willens ik, irgend welche die evangelifche Kirche zerſtückelnde und anflöfende Sectenrichtungen durch feine linterflügungen zu begünftigen. Dan ift deßhalb in Frankfurt anf der Generalverfammlung fogar bedenklich geweien, die Wal benfergemeinden zu unterfiügen. Davon ift man aller Dingd mit Recht zurückgekommen, da die Waldenfer ald ber durch ebled Martyrehum hiſtoriſch bewährte mittelalter: ihe Stamm und als die angeborene Schutzverwandt⸗ fchaft der evangelifchen Kirche anzufehen find. Als Aber in Stuttgart die Frage aufgeworfen wurde, ob man anch bie eben entfteheuden beutfchsfatholifchen Gemeinden unter

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flüben wolle, wurde diefe Frage, fo viel ich weiß, gang einftimmig verneint, weil nicht nur aller glaubhafte Nach⸗ weiß ihrer proteffantifchen Mitgliedfchaft fehle, fondern auch diefe Gemeinden und ihre Führer gar Feine Protes Ranten feyn wollen.

Stehen nunD. Rupp und feine freie Gemeinde anf ei: nem wefentlich anderen Standpunkte? Ich fage: Rupp und die freie Gemeinde. Beide find in der Frage unzers trennlih, wiewohl auf der Berfammlung vielfach vers füaht worden ift, D. Rupp eben als einzelnen Deputirten feined Vereins von feiner Beziehung zur freien Gemeinde zu trennen, ba der Berein ihn nicht als Mitglied biefer Gemeinde gefendet habe. Das fragte fich aber eben.

Aber betrachten wir D. Rupp einen Augenblid an und für ſich, ift er ein wirkliches Mitglieb der evangelis hen Kirche im Sinne ded Vereins ?

Er gehörte urfprünglich zur evangelifchen Kirche ald ordinirter Beiftlicher, aber nachdem er aus dem ges fhichtlichen Nexus feiner evangelifchen Landeskirche, die doch wohl eine wirfliche evangelifche Kirche ift, ausge⸗ Ihieden, zu Reiner anderen wirklichen, geordneten und anerfannten evangelifchen Kirche Übergetreten, auch von keiner folchen als ein ihr zugehöriges Blied öffentlich ans erkannt worben ift, fteht er doch handgreiflich zur Zeit außerhalb aller wirklichen Mitgliedfchaft der beſtehen⸗ den evangelifhen Kirhe. Er mag, und wenn daß Sinn haben fol, muß man fagen, er und feine Gemeinde mögen, wie es verlautete, die aflgemeine ewangelifche Kirche der Zukunft im Keime repräfentiren wollen, ih meines Theiles babe freilich andere Vorſtellungen von den Bildungsgefegen und Bedingungen der Zukunftskirche, als ih in D. Rupp's Theologie und Gemeinde finde, aber was hat der Guſtav⸗Adolphverein mit folchen plas tenifchen oder nichtplatonifchen,, immer aber phantaflifchen Kirchenidealen für die Zukunft zu thun? Sein Blick ift auf die wirklichen» Roth» und Leidensflände der wirk⸗

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lichen Kirche gerichtet. Wenn man aber fagt, der ſoge⸗ nannten unfichtbaren evangelifchen Kirche gehören doch D. Rupp undfeine Gemeinde gewiß an, fo will ich Das gern zw geben, ber man veriteht dieſen Begriff ſehr ſchlecht, wenn man daraus nicht augenblicklich bie nothwendigt Kolgerung gelten läßt, daß dann der Berein feine Mit: gliedfchaft über alle Kirchen bis an das Ende der Erd erfiredt. Gewiß hat er eine folche unfichtbare, ftille, ni» kodemusartige Mitgliebfchaft, wohl auch in der katholiſchen Kirche; aber ed handelt ſich hiervon ber fihtbaren, wirt lichen, offenbaren. Wird alfo dadurch zu viel bewiefen, fo weiß ein Jeder aus ber Logif, daß damit nichts be» wiefen if.

Kehren wir zu $. 2. der Statuten und feiner Der bindung mit $. 1. zurüd, fo folgt doch auf jeden Fall daraus, daß die volle Mitgliebfchaft des Vereins ß. 1. einen eben zu dem Anfpruche berechtigt, von dem Ber, eine für diejenige Kirche oder Gemeinde, der er ange hört, wenn fie leidet, Unterflüßung zu fordern, Diefem zwingenden Schiuffe wird fi Niemand entziehen koͤnnen, und D. Rupp wird ed am wenigfien wollen. Wie nun? Wurde Rupp ald voßberechtigter Deputirter in Berlin anerkannt, fo war es nicht bloß das unfruchtbare formelle Recht, was ihm ad hune actum gegeben wurde, ſondern die reale Eonfequenz für den Verein war unvermeidlich, jedem etwaigen, Durch die Roth und Bedrängniß der Geinigen motivirten Antrage auf linterftägung feiner freien Gemeinde zu willfahren. Was bedarfin einem ſolchen Kalle ber Verein weiter Zeugniß, oder der fonfligen glanbhaften Nachweifung, ſitzt doch das Haupt der nothleidenden Gemeinde ald volllom men berechtigter Deputirter mitten ia der Berfammlung ? Bei ber gegenwärtigen religiöfen Kriſis, insbeſondere beidım überhand nehmenden reizbaren Uebermuth und Leichtfiun, fi von dem beſtehenden FKirchenregimente bei irgend wel her Widerfeglichkeit gegen feine Ordnungen loszuſagen, und bei der pridelnden Eitelkeit Bieler, aus Bexanlaflung

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irgenb einer Zwoiſtigkeit mit der kirchlichen Behörde fchnell, wie Aber Nacht, freie Bollögemeinden, Kirchen, zu flifs tn, wenn auch enhemere, werben wir foldyer Fälle bald mehrere haben. Es wurden fogar in Berlin auf der Stelle welche in Ausſicht geſtellt. Und fo werben in natürlicher Eonfequenz des erſten Falles Feine padr Jahre vergehen, und der Guflan »Adolphverein wird ſich gens⸗ thigt ſehen, in feinen Unterſtützungsrollen zwei Elaffen von nothleidenden, bedrängten Gemeinden und Geiſtlichen su machen, einmal wie biöher, die Claſſe ſolcher Ge⸗ meinden, welde, von Katholiken bedrängt, ohne Schuld Roth leiden, fobann die Elaffe der fogenannten Diſſen⸗ ters oder freien Gemeinden, welche mitten im Schooße der evangelifhen Kirche, in Folge von irgend einer Wis derfeßtichkeit gegen die Kirchliche Orbnung, fich von ber esangelifchen Kirche dort oder hier für bebrängt halten. Unter den gegemwärtigen Eritifchen Verhältniſſen kann die Zahl folcher Bei dem Vereine Unterſtützung fuchenden proteftantifchen Diffentergemeinden mitten. in der Kirche fo wachſen, daß fle einen großen Theil unſerer Unter⸗ füyangögelder in Anfpruch nehmen und dabei das Näher⸗ recht mit Mecht geltend machen. Daß aber dann ber edle Berein feinem urfprünglichen innerften Weſen und Zwede nach gerftört iſt, leuchtet von felbft ein. Bisher anf Etdanung, Verbindung, organifche Ordnung der evan- gelifchen Kirche deutſcher Nation gerichtet, wie dazu ges Rifter, wird er fortan dazu dienen, aller Aberniäthigen Zerſtackelung and leichtfinnigen Auflöfnung ber Kirche Chor und Thür zu Öffnen. Und wie es denn nicht anders feyn fann, er wird uns fortan alle Jahre in feinen Gene⸗ talverfammiungen das widrige Schaufpiel geben, daß er, Ratt die Roth der wirklich ſchuldlos bedrängten Gemein⸗ den zu beforgen, fi vor Allem als ein Oberappellationds gericht oder auch als kirchliche Jury conſtituirt, vor weicher die unterdeflen vorgefommenen kirchlichen Scans dale Einzelner oder ganzer Haufen verhandelt werden,

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aber jede fogenanute freie Gemeinde, wenn fie es nur dahin zu bringen weiß, aus ihrer Mitte einen formell bevollmächtigten Deputisten eines Hauptvereins in bie Berfammlung zu bringen, im Voraus ficher iſt, gegen das geordnete Kirchenregiment Recht zu befommen. Bei den Berhandlungen darüber wird ed dann, ba es nicht an allem Widerfpruche fehlen wird, erft recht zu einem Glau⸗ bene» und Kebergerichte kommen, zu dem fchneliften und fchlimmften, welches nach einigen Stunden lebhafter Par⸗ teidebatte ohne alle Acten, ohne allen geordneten Pros ceß per maiora entfcheidet, verfieht ih, von vorn her: aus gegen die beſtehende Kiche zu Gunſten der verhei⸗ Bungsvollen Zukunft der Secten.

Wie, wäre das zu ſchwarz gefehen? Muthete man und doch in Berlin an, für Rupp darum zu entfcheiben, weil er von dem koͤnigsberger Gonfiftorium ungerecht ber han delt worden ſey. Mag feyn, antwortete ich, wiewohl noch neulich D. Kling in der jenaiſchen Litteraturzeitung in feiner Recenſion von Jakobſon's Schrift über Rupp ganz anders urtheilte, und Generalfuperintendent D. Bödel in Didenburg, ale ein erfahrener, befonnener Kirhenmann, fein Urtheil fuspendirt haben wollte, bid er die Acten fähe, wer hat und zum Oberappellationdgerichte Darüber ber let, welches ohne Acten aus freier Hand entſcheidet?

Bedenke id das eudlofe Unheil und Berberben, wel: ches jene unvermeidliche Conſequenz mit ſich führt, fo muß ich Gott bitten, daß er davor den Berein, die Kirche und unfere ohnehin fchon vielfach zerriffene Nation in Ouaben bewahren möge. Aber was hilft es, um diefe bewahrende Gnade gegen jene Conſequenz zu bitten, wenn man ben erſten Schritt gefchehen läßt und den Bere von feinem urfprünglidyen, allein ficheren Boden ber far tifchen firchlichen Ordnung losreißt und ihn unbarmherzig in den wirren religiöfen Parteiftreit der Gegenwart hinein ſtürzt. Das lodgelaffene Walzwerk wird ihn unwiderſteh⸗ lich zermalmen,

db, d. Nichtann. d. koͤnigob. Deput. D. Rupp ıc. #15

Aus dieſen Gründen babe ich nach Pflicht und Ges wien nnd ohne alle Furcht vor irgend Jemand gegen bie Annahme ded D. Rupp ſtimmen zu müflen geglaubt, und ich lebe fortwährend der feften Leberzeugung, daß bieß allein im wahren Beifte und Sinneder Statuten gehandelt it.

Die Abftimmung iſt ehrlich und ordentlich den Sta⸗ tuten gemäß gefchehen, wach vielflündiger, freiefter Der batte. Um fo mehr mußte man bie maßlofe Leiden, fhaftlichleit, um nicht mehr zu fagen, bewunbern, mit welcher ein Bertheidiger Rupp's die Entfcheidbung der Majorität augenblidlih für den Ausfpruc eines Kepergerichtd fchmähend erklärte Das böfe Wort bat ein noch nicht verhallendes, vielftimmiges Echo gefunden, Man hat es nachher fogar im geiftlichen Ornate von eis ner breslauer Kanzel hören müſſen, und Pafter Uhlich hatte gleich nach feiner Rückkehr nichts Eiligereö zu thun, ale feinen lieben Magdeburgern in der dortigen Zeitung zu verfändigen, daß in Berlin gegen Rupp ein Kebergericht gehbt worden fey. Das ift wohl fein Fanatismus, keine Verketzerung ?

Zur weiteren Rechtfertigung meiner Anficht gegen einige Einwürfe noch Kolgendes:

. 1) Bel der gegenwärtigen Reizbarteit des religiöfen Lebens in der beutfchen Nation, fowie bei der leider fehr verbreiteten und durch manche betrübende nulengbare Er⸗ iheinungen des kirchlichen Zelotiömns, auch unbebachte Mißgriffe, mehr und weniger mit Recht erregten Furcht vor Beichränfung und Beſchadigung der religiöfen Kreis beit und vor willfürliher Hemmung des lebendigen Forts ſchrittes in der Kirche, wiewohl oft meit mehr Ges ſpenſtiſch es, was man fich macht, als Wirkliches gefhrchtet wird, finde ich es erflärlich, daß die Ausfchließung des D. Rupp bei der erfien Nachricht auch bei vielen tedlihen und verfländigen Mäunern die Kurcht geweckt

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aber jede fogenaunte freie Gemeinde, wenn fie ed nur babin zu bringen weiß, aus ihrer Mitte einen formell bevollmächtigten Deputirten eined Hauptvereins in bie Berfammlung zu bringen, im Voraus fidher if, gegen das geordnete Kirchenregiment Recht zu befommen. Bei den Berhandlungen darüber wird ed dann, da es nicht an allem Widerfpruche fehlen wird, erft recht zu einem Blau» bens⸗ and FKebergerichte fommen, zu dem fchnellften und fchlimmften, welches nach einigen Stunden lebhafter Par⸗ teibebatte ohne alle Acten, ohne allen georbneten Pros eeß per maiora entfcheidet, verſteht fih, von vorn her: aus gegen die befiehende Kirche zu Gunſten ber verhei⸗ Bungsvollen Zukunft der Secten.

Wie, wäre das zu fchwarz gefehen? Muthete man und doch in Berlin an, für Rupp darum zu entfcheiden, weil er von dem koͤnigsberger Gonfiftorium ungerecht be bandeltwordenfey. Mag ſeyn, antwortete ich, wiewohl noch neulih D. Kling in der jenaiſchen Litteraturgeitung in feiner Recenfion von Jakobſon's Schrift über Rupp gan anders urtheilte, und Generalfuperintendent D. Bödel in Dldenburg, als ein erfahrener, befonnener Kirchenmann, fein Urtheil fuspendirt haben wollte, bie er die Acten fühe, wer hat und zum Oberappellationdgerichte darüber ber ſtellt, welches ohne Acten aus freier Hand entſcheidet?

Bedenke ich das endloſe Unheil und Berderben, wel ches jene unvermeidliche Conſequenz mit ſich führt, fo muß ich Sott bitten, daß er davor ben Verein, Die Kirche und unfere ohnehin fchon vielfach gerriffene Nation in Buaden bewahren möge, Aber was hilft ed, mm biefe bewahrende Gnade gegen jene Conſequenz zu bitten, wenn man den erfien Schritt gefchehen laͤßt und dem Berein von feinem urfprünglichen, allein ficheren Boden der far tifchen firchlichen Ordnung losreißt und ihn unbarmherzig in den wirren religiöfen Parteiftreit der Gegenwart hinein ſtürzt. Das Iodgelaflene Walzwerk wird ihn unwiderſteh⸗ li zermalmen.

db. d. Richtann. d. koͤnigob. Deput. D. Rupp zc. 515

Aus dieſen Gründen babe ih nach Pflicht und Ges wien und ohne alle Furcht vor irgend Jemand gegen bie Annahme des D. Rupp ſtimmen zu müflen geglaubt, .. und ich lebe fortwährend der feften Lebergeugung, daß dieß allein im wahren Beifte und Sinneder Statuten gehanbelt if.

Die Abftimmung iſt ehrlich und ordentlich den Sta⸗ tuten gemäß gefchehen, nach vielflündiger, freiefter Des batte. Um fo mehr mußte man die maßlofe Leidens, fhaftlichleit, um nidyt mehr zu fagen, bewundern, mit welcher ein Bertheidiger Rupp's die Entſcheidung der Majorität augenblidlih für den Ausfpruc eines Kepergerichtd fchmähend erklärte Das böfe Wort bat ein noch nicht verhallendes, vielſtimmiges Echo gefunden, Man hat ed nachher fogar im geiftlichen Ornate von eis ser breslauer Kanzel hören müflen, und Paſtor Uhlich hatte gleih nach feiner Rückkehr nichts Eiligeres zu thun, ale feinen lieben Magdeburgern in der dortigen Zeitung zu verfändigen, daß in Berlin gegen Rupp ein Kebergericht gehbt worden fey. Das ift wohl Fein BeHSUnNg, feine Verketzerung ?

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Zur weiteren Rechtfertigung meiner Anficht gegen ' einige Einwürfe noch Kolgendes:

. 1) Bei der gegenwärtigen Reizbarfeit des religiöfen kebens im der dentſchen Nation, fowie bei der leider ſehr verbreiteten und durch manche betrübende unlengbare Er⸗ ſcheiunngen des kirchlichen Zelotismus, auch unbebachte Mipgriffe, mehr und weniger mit Recht erregten Furcht vor Beichräufung und Befchädigung der religiöfen Frei⸗ beit und vor willfürlider Hemmung des lebendigen Forte ſchrittes in der Kirche, wiewohl oft meist mehr Bes ſpenſtiſches, was man fich macht, als Wirkliches gefürchtet wird, finde ich es erllärlich, daß die Ausfchließung des D. Rupp bei der erfien Nachricht auch bei vielen tedlihen und verfändigen Männern die Furcht geweckt

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dat, der in kirchlicher Freiheit und zar kirchlichen Freiheit geſtiſtete Berein werde fe länger je mehr zu allerlei Glanbens » und Bewiffensbefränfangen gemipbraudt werden. Nur das wilde Betergefchrei über die gelotifche Glaubendtyraunei auf Der berliner Verſammlung finde ich weder erklaͤrlich, noch entſchukvbbar. Haben die Berliner Tyrannei und Jelotismus geübt, die Schreien des Tages haben fie in der lideralſten Weiſe weit Aberhoft,

Mas aber jene Furcht der Berfländigen betrifft, über bie allein werth ift gu reden, fo kann fie eben bei Ber Rändigen doch nur fo lange anhalten, ale fie den Her, gang nnd bie rein praktiſche Lage der Dinge noch nicht keunen.

Das Protofol der Sitzung bezeugt, daß gerade bie Maforttät wiederholt die Geneigtheit der Gegner zu dogs matifchen @rörterungen und Cntfcheibungen iiber ben Glauben des D. Rupp abgewiefen. Während jene für D. Rupp ex tempore ein Glaubensbekenntniß formulirten, am zu Deweifen, daß er ein wahres Mitglied der evan⸗ geliſchen Kirche ſey, hat vie Meajorität ſich eiufach am das conſtatirte Factum gehalten, daß D. Nupp fi no» torifch förmlich vor feiner Behörde von ber evangelifchen Kirche, vulgo Landeskirche losgeſagt hat. Diefer factifche, Firdyenrechtlihe Standpunkte fiyert allein den Berein vor der tödtlichen Gefahr, eine Blaubensanatomie, ein thev⸗ logiſches Spruccollegium für Deutfchland gm werben, und zwar das fehlechtefte von der Welt, weldied and anterwelilen ohne alle Theologie uud Theologen über Theologie und Banden reſpondirt. Mauche Haben frei⸗ kich gemeint, auch bieſer factifche kirchenrechtliche Staud⸗ puntt enthalte noch zu viel Befchräntung der Freiheit; der Gentralvorftand fammt der Generalverfammiung hätte ſchlechthin jeden formell mangellos bevollmächtig⸗ ten Deputirten ohne Weiteres aufzunehmen; die kirchliche Mitgliebſchaft des Deputirten habe Ber Hanptverein allein and founerain zu verantworten. Aber abgefehen davon,

Ab. d. Richtann. des Fönigdb. Deput. D. Rupp ꝛc. 817

daß dann die ganze Bolmachtöpräfuug eine wichtige Form wird, fe würde eine foldye Damit ansgeſprochent Gonveraimität der Hauptvereine jedes innere organiſche Auſanmenwachfen des Bereind auch in anderer Begiehung unmöglich machen. Wäre bie evangelifche Kirche im ges fanden Zuftunde und jeder Hauptverein im vollen Ber: Kändaiß von dem Geiſte des eben erfl werdenden Bereind, fo möchte es feyn. Jetzt aber, we die Kirche von allerlei bedenktichen umd zerſtörenden Tendenzen und Krifen durch⸗ sogen if, fordert der gefunde, gefahrlofe Fortgang bes Bereins , daß das Gentrum und bie Repräfentatien bee Ganzen dad Reit haben, aud die erforderliche kirchliche Disgitedfchaft des Deputirten, wenn fie zweifelhaft if, gu yrüfen, d. h. eben nach der Noterieiät darüber gu ent⸗ fiheiden. D. Rupp erBlärte freilich, obgleich notoriſch aus der eoangelifchen Landeskirche angetreten, gehöre er doch noch wirklich zur evangelifchen Kirche. Meinte ſer Yamit die wirklich beſtehende, geordnete, und nicht bie ideale zulünftige oder unfidhtbare, wie ſollte dieſer fabtile Widerſpruch von der Verſammlung ohne tiefere theologi⸗ ſche oder dogmatiſche Unterſuchnng auders gelöſt werben, als dadurch, daß mau ſich an das objective notoriſche Faetum hielt? Oder ſoll man künftig auch jedem moder⸗ nen Humanitäts⸗Judenchriſten, der notoriſch die Taufe nicht empfangen hat, wenn er geſchickt wird, ohne Wei⸗ tere& glauben, er fey ein Glied der ewangelifchen Kirche, weil er es eben fagt und ein Berein ihn ſchickt?

3) Alein man hat nicht ohne Gchein gefagt, ber Berein habe durch Rupp's Ansſchließung fein ſchönſtes Privilegium, womit eu geboren ſey, aufgegeden, nämlich die allgemeine freie deutſche evangeliſche Kirche in ihrer Unabhängigfeit von den befchräntten Landes⸗, refp. Staats⸗, ja, wie Jemand im Zorne gefagt hat, Polizei⸗ tirchen zu repräfentiren.

Ein foiched Privileginm hat der Verein allerdings; daß ich es zu würdigen weiß, babe ich in meinem Berichte

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über die göttinger Generalverſammlung in den Studien uud Kritifeun dentlich ausgeſprochen. Bott gebe, daß er dieß Privilegiem treu bewahrt! Allein ich kann es nur fo verfichen, daß er die allgemeine, freie, aber reale Liebes⸗ und Wohlthätigkeitskirche in den wirklichen evangeli⸗ ſchen Landes; und Nationalkirchen barfielt. Wider Die recht⸗ Itchen Drbnungen der Lanbesliechen, die freilich Ihre firchliche Polizei haben müflen, wenn Ordnung ſeyn uud keine kirchliche Pöbelherrfchaft entfliehen foll, und die mit dem Gtaate nicht wie mit einem verabfchenten Heiden ober rein Indifferenten, fondern als mit dem lebendigen chriſtlichen Staate freundlich zuſammenleben mäflen, zur Zerfiörung ihrer inneren und äußeren Einheit und Banzheit, zur Auflöfung und Entmächtigung ihrer kirch⸗ lichen Yucteritäten, jene abflracte and, wie fie auch dialektiſch formulirt werden mag, auf den Winben und Wellen seitende allgemeine freie evangelifche Kirche dar» ſtellen zu wollen, ein foldyed Desorgantfationg, oder Zerrbildungspriotlegium ‚gegen die gefchidztlich beſtehende Kirche hat der Verein nie gehabt und Tann ed nie haben wollen, wenn er ſich nnd bie Kirche recht verſteht ud nicht ind Blaue oder Wilde bineinlebt.

Jenes edle Ziel ainer in den kirchlich organifieten kandeslirchen ich fage nicht Staatekirchen, ſich leben⸗ dig dDarfiellenden, aus ihnen organifdı erwachſenden allge⸗ meinen deutſchen Nationalkirche mit gehöriger, aber ges ordneter Freiheit, ohne Tyrannei gegen die berechtigten Eigenthümlichleiten der befonberen Lanbedtirhen, dieß Ziel kann nad meiner Auficht nur auf dem Wege einer treu und unverdroſſen fortarbeitenden Theologie, fo wie einer ruhigen, befonnenen Berfaffungsbilbung der Landes» firden nach einem gemeinfamen Typus in Predbpterien und Synoden erreicht werden. Einen anderen unmittel⸗ baren Weg fenne ich nicht. Der Guſtav⸗Adolphverein hat die ſe Beſtimmung unmittelbar nicht; er kann durch gegenfeitige: Berührung deu dentſchen Kirchen in

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einem gemeinfamen Liebeswerke mittelbar dazu beitragen, Aber, wenn er fich beikommen läßt, durch Begünftigung firhlicher Oppofitionen, endlofer Gectenftiftungen und jämmerticher Religionsmengereien feinerfeitd unmittelbar jur Erreichung jenes Zieled etwas beitragen zu wollen, fo it er irr und wire geworden und fpricht ſich in dem Augenblicke feiber das Todesurtheil. "

3) Ein ehrenwertherwürtemberger Deputirter, der für Rupp’9 Aufnahme geftimmt, aber in edelfter Weiſe das Ge⸗ wiffen Audersdenkender reſpectirt, hat gemeint, Rupp's Fall mit dem der jüngft entfiandenen freien fchottifchen Kirche Parallelifiven zu müflen, welche doch Jedermann für eine wahre wirkliche evangelifche anerkennen werbe. Aber wie ed immer bedenklich if, Audländifched unmittelbar auf Dentfched auzuwenden, fo darf man nur Sydow und Ead anfmerkſam Iefen, um den großen Linterfchieb zwiſchen der feetirerifchen Bewegnng der freien koöͤnigsberger Ge⸗ meinde nnd der nad) jahrhundertiangen Kampfe endlich erfolgten nnd im edelften Kirchenfiyl ausgeführten Katar ſtrophe in Schottland zu ertennen,

4) Jeder Freund des Friedens und bed Bereind muß über den in Berlin entfiandenen unfeligen Hader, der den Verein an den Grund des Abgrundes gebracht hat, den tiefften Schmerz empfinden, und ed wäre wünfchenes werth und ein guted Zeichen, wenn diefer Schmerz Durch ganz Deutfchland Tant und Öffentlich ansgefprochen würde, Aber wenn zugleich dabei gerichtet und geflagt wird, daß es der berliner Berfammlung an der wahren chrift- lihen Liebe nnd Kingheit gefehlt habe, und ihr vorge, worfen wird, daß fie nicht klug und liebevoll genng bei dem rein formellen VBollmachtörechte des D. Rupp fliehen geblieben fey, fo kaun ich biefen Borwurf, der doch am Ende vorzugsweife die Majorität trifft, wicht gelten laſ⸗ fen. Das gedrudte Protokoll ergibt deutlich, daß es auf der Berfammlung auch in ber Maforität weder an Klugheit noch an Liebe gefehlt hat, Wenn aber von der Gegenpar⸗

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tel ſcharf umb eutfchieben auf das echt beſtauden wird uud zwar nicht bloß auf das formelle Recht an fich, ſon⸗ den, weil, wer A fagt, auch B fagen muß, auf alle feine realen Gonfequengen, da bift keine ausweichende nnd bejeitigenbe Klugheit und Liche. Reine, baare Ger rechtigkeit wurde von D. Rupp gefordert, feine Büte und Liebe, Da half e6 auch nicht, nm der Liebe willen nad giebig das formelle äußere Recht zu gewähren und gegen alle realen Eonfequenzen hinterbrein zu protefiren. @imfolder Proter würde ben Zwiſt nur noch heftiger gemacht haben.

Der Prediger fpricht: Wer Wind ſäet, wirb Sturm ernten. Der tobende Gturm geht bereitd durch gaxı Dentſchlaud in der für den Verein zerſtörendſten Weile. Stärmifche Berfammlungen der Bereine, mit zum Theil eben erft ad hune sctum für den niedrigfien Beitrag ein getretenen auch wohl geworbenen Mitgliedern, welche bis dahin fein Ohr und Herz für den Berein hatten, decretiren ohne alle gemauere Kenntnißs des Bergange und der Sache a) mit mehr und weniger Majerität für Nupp's Aufnahme gegen ben Geutralvorftanb uud die berliner Majorität, und interpretiren die Statuten wit dem Minfpruche auf Unfehlbarkeit. Es war Schlimmes vorausznfehen, aber eine folche tumnituarifche Behandlung der ſchwierigen praftifchen Frage, einen ſolchen Sieg des leidenſchaftlichen Vornrtheils, der Unklarheit und Ver⸗ wirrung der Begriffe über Kirche und freie Vereine haben wohl nur Wenige vorausgefehen, nicht gu gedenken ber fehamlofen Entfteliuugen und Verhetzungen in ben Parteigeis tungen, weldye auch die ruhigſte, einfachſte Berichtigung der

s) Mir iſt glaubhaft erzählt worden don Mitgliebern eimer foldhen Berfammiung , weldge gemeint, man mäßte für Rupp ſeyn, ba er die Symbole verwerfe, und zwar mit Recht, benn bie Sym⸗ bole taugten nichts und feyen von ber preußifdyen Regierung gemacht. Allerdings der aͤußerſte populäre Refler ber Berwir⸗ zung! Aber bergleidken immt body mit,

'

üb. d. Richten. bes königab. Deput, D. Rupp ıc. 321

Angegriffenen nicht aufnehmen. Jndeſſen wird die Ber weguug in der einmal herrſchend gewardenen Richtung durch ganz Deutfchlaud gehen; die Ruhigen, Veſonnenen, die Kenner der Sache werden vorerfi in der Minorität bleiben, und die leider, troß aller Warnung, ſchon auf nachſtes Jahr angeſetzte barmfläbter Tagesſatzuug wird, wie ich fürchte, überwältigt von ber berrfchenden Volls⸗ seinung das berliner Majeritätsurtheil caſſiren. Was davon die Folge ſeyn wird? Zunächſt ein neuer Sturm durch die Kirche, aber ein folder, der deu Stamm bed Vereins aus den Wurzeln reißen wird, während der dießmalige mehr bärres freuhed Gezweig braufend bewegt. Ob dann weiterhin, wie in Ausficht geſtellt if, ein do ppelter Buftav« Adolphuerein ent⸗ Rechen wirb, ein confervativer und ein liberaler, ein schter und ein linfer, und dann vielleicht gar noch ein dritter in gerechter Mitte? Gott behüte! Gewiß aber R dieß, daß der Verein, wenn nicht noch zur rechten Zeit verföhnliche, vermittelnde, verkändigenbe Elemente chriſtlicher Weisheit und Liebe Das Mebergewicht erbalten, in Darmiladt zu Grabe getragen werben wird, zum ent ſetzlichſten Zeugniſſe won der unglaublichen Zerriffenheit unferer Kirche und zum Hohngelächter ihrer geborenen uuverföhnlichen Feinde,

Wer dat nun den Wind zu diefem zerſtoͤrenden Sturme geſäet? Doch gewiß nicht die zur Entſcheidung wie bei dem Haaren herbeigegogene berliner Verſammlung, insbeſondere die Maforität, welche nach ihrer Ueberzen⸗ gung deu Kal im Geiſte und Sinne ber Statuten des Vereins fo enticheiden zu müffen glaubte, fonbern die jenigen, welche unbefonnen und keck mit freweluder Hand den’ Feuerbrand in den Berein geworfen haben.

Schweigen auch noch jebt die Einfichtigen und Ges rechten, es wird eine Zeit kommen, wo der Nation und dem Vereine die Augen darüber aufgehen werben, auf weicher Seite die wahre Schuld liegt, Dan hört ſchon

922 Läcke, üb. d. Richtann. des D. Rupp ıc.

von Anträgen, welche den Muth haben, den Fönigeberger Berein und D. Rupp wenigfieus eben fo fehr in Anlage fand zu feßen, als den Gentralvorfand und bie Bene rafverfamminng, und jenen ald eigentlichen Streiturheber gur Berautwortäng zu ziehen. Aber bid Alle Klar in der Sache fehen und gerecht urtheilen und handeln wer den, wird es vielleicht ſchon zu fpät feyn, und man wird vielleicht fchon binnen Zahresfrift figen und weinen auf den üben Trümmern des Bereind. Gott aber fey Dant, daß nicht bloß die Furcht, fondern auch die Hoffnung , und der Blanbe ihr Vieleicht haben!

Was aber auch kommen möge, fey und bleibe nur jeder feiner Ueberzengung gewiß. Wie fehr ich and mit der meinigen in der Minorität ſeyn und bleiben mag, e& fol mich Feinen Angenblid irren. Mau muß mit fei- uer woblerwogenen Ueberzeugung auch ganz allein ftehen konnen vor Bott und feinem Gewiſſen. So lange indeffennod unbetheiligte und einfichtige Männer, freie, erfahrene, ges lehrte Theologen, wie D. de Wette, D. Gieſeler, D. Ullmann und D. Rothe u. N. anf meiner Seite fichen und fich dazn bekennen, kann ich andy menſchlicherweiſe getroft ſeyn und die weitere Entwidelung ruhig abwarten.

Der Berein ift von Anfang an, wohl in jeber groͤ⸗ Geren und Pleineren Berfammlung, in vielen herzlichen Gebeten der heiligen Obhut Gotted empfohlen worden. Gottes Segen iſt auch bis jetzt ſichtlich mit ihm geweſen. Hoffen wir alfo, daß der, welcher bie Winde zu feinen Boten und die Feuerflammen gu feinen Dienern macht, anch bdiefen Sturm und dieſe Feuerflamme nach feiner Weisheit gebrauchen werde nicht zur Zertrümmerung, ſondern zur Befeſtigung, Bewahrung und Rünterung des biöher von ihm gefegneten edlen Vereine.

Mit diefer getroften Hoffnung und biefer zuverfiht- lichen Bitte zu Bott fchließe ich diefen Bericht und biefe Rechtfertigung meines Votums.

Mitte Novembers 1846.

. Ein Wort über benfelben Gegenftand " von

D. C. Ullmann.

Mein theurer Freund Lüde hat gewünfcht, ich möchte feiner Erörterung ein begleitendes Wort beifügen. Nun haste ich mir allerdings über die Sache, fobalb fie zur öffentlichen Streitfrage geworden, meine Gebanfen ge bildet, ja großentheild aufgezeichnet; auch hatte ich mit meiner Anficht gegen Riemanden, der fie fenuen wollte, ein Hehl; aber zur öffentlichen Rede in diefer bald fo ſtürmiſch unb wild gewordenen Debatte verfpürte ich wenig Neigung. Da ich jeboch fehe, wie die waderften, mir befreundeten Männer aud dem Kreife ber berliner Majorisät mit jeder Art von Schmach überhäuft werden, will ich, obgleich perſönlich nicht entfernt betheiligt, kei⸗ nen Augenblid zögern, meine llebereinftimmung mit ihnen au vor Jedermann zu befennen und die Schmach, wo ed.nöthig wäre, mit ihnen zu theilen. Auch gibt mir viel« leicht meine Theiluchme am Guſtav⸗Adolphverein und mein Schmerz; über das Ereigniß, das ihn betroffen, ein Recht zur Rede; denn wie‘ich früher von demfelben viel Gutes gebofft habe auch für die Kirche im Ganzen, fo erfüllt weich jegt nicht etwa bie einzelne Thatſache, ſon⸗ dern der ganze Sompler deſſen, was ihr verurfachend voranging, was ihr jegt fchon gefolgt if und was noch weiter ale unvermeidlihe Wirkung aus ihr entfpringen zu müflen fheint, mit tiefer Beträbniß, und wenn Andere mit dem Gegenflande, als einer unvermeiblichen Krife, fo leicht fertig werden und ſich vieleicht u freuen,

Theol, Stud. Jahre. 1847,

524 Ulmenn

daß das gelommen ift, was doch nicht ausbleiben konnte, fo kann ich das nicht von mir rühmen, weil ich glaube, daß die Sache allerdings gar wohl zu vermeiden war. Indem ich alfo meiner Ueberzengung und meinem Schmerze Worte gebe, fey ed auch nur, um das dixi et galvarl animam geübt zu haben, will ich mich nicht ängftlich bes mühen, folche Geſichtspankte, die mein Freund ſchon bes rührt hat, die fidy mir aber auch ganz unabhängig von ihm dargeboten hatten, zu übergeben, fete aber zugleich das von ihm Ansgefprocdhene als befannt voraus und werde die Frage auch von anderen Seiten beleuchten.

Ich habe vor Tahren vom Guſtav⸗Adolphyvereine ges fagt, wenn er auch nicht einen eigenthämlichen Stand» punlt über den gewöhnlichen Parteien einnehme, fo ſtehe er doch auf neutralem Gebiete außerhalb der Parteien, und habe damals zugleih die Hoffnung ausgeſprochen, ed werde ſich die zunächlt Außerliche Berbiabung mehr und mehr zu einer lebendigen, innerlichen Gemeiufchaft vertiefen a). Das konnte auch eine Zeitlang als wahr gelten, Aber raſch, wie durch ein ploͤtzlich aufgeſtiegenes Gewitter, it ed anders geworben, Richt mehr and nar außerhalb der Parteien fteht der Verein, fondern er if mitten in ihren Kampf bineingeriffen, ja für Die nächſte Zeit ein Hauptgegeuftand des Parteihaders geworden. Nicht mehr iR auch nur mit einiger Wahrfcheintichkeit gu hoffen, die äußere Bereinigungsform werde ſich mehr und mehr mit innerem Einheitsgeiſte erfüllen, ſondern «6 droht vielmehr die hervorgetretene innere Veruneinigung, auch die äußere Bemeinfchaftöform auseinander zu fprengen.

Wie war dieß möglich? Aus dem natürlichen Ent wickelnugsgange des Vereins konnte es nicht kommen. Auf der letzten ſtuttgarter Verſammlung herrſchte mod

a) Stud. m, Krit. 1844, 2. &, 555 u. 554.

üb. d. Nichtann. bed koͤnigsb. Deput. D. Rupp ıc.. 525

der fchönfte Sinn der Einigung in dem gemeinfamen Lie, deszwecke; Geber, der ihr unbefangen beimohnte, empfing wohlthuende, ja erhebende Eindrücke; Bad Ganze war von einem chrißlichen, aber auch freien Sinne getragen; ed war da weber etwas Einengendes und Erclufives, noch trat eine Erfcheinung hervor, die den gefunden kirch⸗ lichen Geiſt hätte verlegen können; und obwohl Mäuner ber verfchiebenken Richtungen neben einander faßen: Rationaliften und Orthodore, Hegelianer und Pietiften fo zeigte fih doch nicht nur Peine Mißſtimmung, fondern man konnte auch keine Ahnung davon haben, daß man ſchon von der nächften Berfammlung nach Jahresfriſt fo niedergefchlagen, theilmeife fo erbittert nach Haufe gehen würde. Der Berein felbft in feiner naturgemäßen, freier; wählten Thätigfeit:gab dazu keinen Anlaß; diefer konnte ihm nur. von außen, nur mit einer gewiffen Gewaltfam: feit anfgedrungen werden.

Und fo war ed aud. Den Wählern des Fönigeber ger Vereins iſt es auf eine höchft betrübende Weife ges Iungen , in die berliner Berfammlung eine kirchliche Prin⸗ cipienfrage, welche mit den Intereſſen des Vereins fchlechts bin nichts zu thun hat, hineinzumwerfen und fle gu deren wenigſtens indirecter Löfung zu nöthigen. Dan kann ſich ſchwerlich enthalten zu glauben, daß dieß, wo nicht bei der Wahl, fo doch dei der Belaffung des D. Rupp als Deputirten beabfichtigt war. Oder follte D. Rupp in ganz harmlofer Weife, ohne Rüdficht auf feine eigen, thämliche kirchliche Stellung, bloß wegen feiner Berdienfte um den dortigen Provincialverein gefandt worden feyn ? Niemand wird ihm dieſe Berdienfte fchmälern wollen. Aber, wer erwägt, daß bie wirklichen Sntereffen des Ber, eine, fo weit fie auf Unterſtützung armer proteftantifcher Bemeinden gehen, gewiß nit untrennbar an bie Perfon des D. Rupp geknüpft waren, baß vielmehr diefelben von eines nicht geringen Zahl würdiger Männer vollfommen

8 e

526 J Ullmann

eben fo gut vertreten werben konnten; wer bie religiöfen und Kirchlichen Sympathien ber betreffenden Wählerfchaft in Anſchlag bringt; wer fid vor Allem erinnert, wie Mor nate lang vor der berliner Berfammiung in Brofdüren und Zeitungen zu lefen war, alle Welt fey nun auf bie Zufammenfunft des Guſtav⸗Adolphvereins gefpannt und gegen dieſes Intereſſe trete das für die Reichsſynode völlig in den Hintergrund nicht etwa, weil man be, gierig war zu fehen, was doc die Deputirten für ben eigentlichen Zwed des Vereins, die Unterflügung bebräng- ter Gemeinden, thun, fondern nurwegen ber einen Frage, wie fie fich gegen D. Rupp verhalten würden wer das Alles bedenkt, ber müßte felbft eine Harmloſigkeit der feltenftek Art befigen, wenn er glauben follte, die Sen⸗ dung Rupp's fey nur ein Act naiver Abſichtloſigkeit ges wefen und bloß im Hinblide auf die Wohlthätigfeites zwecke des Bereind gefchehen. Nein, Jedem mußte ſich eben fo unwillfürlich, al& unabweisbar der Gedanke aufe drängen: Rupp wurde ald Deputirter gewählt oder bod) beibehalten, nicht bloß ungeachtet, fondern weil er aus dem Verbande der Laudeskirche ausgetreten war, und der Guſtav⸗Adolphverein ſollte ihm die Anerkennung des Bürgerrechted in ber evangelifch » profeftantifchen Kirche zu Theil werben laffen, welche ex zur Zeit von dem kirch⸗ lichen oder weltlichen Regimente noch nicht hatte erlan gen können; das Ganze hatte den Charakter einer De monftration und der Guſtav⸗Adolphverein war dabei mehr Mittel, ald Zwei, Wollen wir aber auch, fo ent fhieden ſich jedem der Berhältniffe Kundigen diefer Ge⸗

danke nahe legt, ihm doch nicht fchlechthin Raum geben,

weil über die Abfichten zulegt nur Gott urtheilen kann, fo bleibt doch fo viel außer Zweifel: man mußte auch in Königsberg willen, daß die Sache ale eine De monftration genommen und daß damit ber Beneralver famminng in Berlin eine ſchwere Berlegenheit bereitet

*

üb. d. Nichtann. d. koͤnigsb. Deput. D. Rupp ıc. 527

werde; man fah, wenn man die Angen nicht abfichtlich verfhloß, die gefährliche Alternative, in die der Verein dadurch kommen werbe, voraus und wollte ihm biefelbe nicht erfparen.

Die Würde bed Vereins hätte nun allerdings gefor⸗ dert, ſich in ſolcher Weiſe als Mittel nicht gebrauchen zu laſſen und die Demonſtration, von wem ſie ihm auch zu⸗ gedacht ſeyn mochte, von ſich abzulehnen. Aber eben dieß machten die Berhältniffe wieder unmöglich a). Alle Ver⸗ ſuche, die Sache gütlich. beizulegen dadurch, daß man bie Wählerfchaft D. Rupp's beftimmte, dad Mandat zus rädzuzichen, oder ihn ſelbſt, freiwillig darauf zu verzich⸗ ten, waren vergeblich; fie fcheiterten theild an den Um⸗ fänden, theild an der unbeugfamen Entfchiebenheit, womit D. Rupp allen, auch den infländigften und feier, lichten Bitten gegenüber, auf feinem formellen Rechte befand, Und da nun auch fchon anbererfeitd Proteflar tionen gegen feine Befähigung zur Mitgliedfchaft einges laufen waren, fo konnte eine Eintfcheibung nicht umgan⸗ gen werden, nnd hierbei, weil dem Bereine, fey ed auch aur indirect, eine Firchliche Principienfrage anfgenöthigt war, mußte freilich ber innere Diffenfus zum Borfchein fommen, ber in ihm fchlummerte, der aber auf dem rich, tigen Wege der Thätigkeit für die wahren —— nie hervorgetreten ſeyn würde.

Es ſteht jedem Theilnehmenden frei, bie der Gene, ralsBerfammlung vorgelegte Frage auch feinerfeitd einer Prüfung zu unterwerfen. Bevor wir dieß thun, haben wir jedoch noch einige vorläufige Inſtanzen zu erlebigen.

a) Die PYräliminarien ber Sache, auf bie ich bier nicht im Ein⸗ zelnen eingebe, find ausführlich erörtert in dem vorläufigen Bes

richte über die 5. Hauptverfammlung von D. K. Großmann, den auch die Männer von ber entgegenftehenben Seite nidht un» gelefen Taflen ſollten. Ohnedieß gibt auch fon Lüde vieles bierher Gehoͤrige.

28 Ä Klmass

. Man bat erfilich bemerkt, das die Vollmachten yrd- fende Mitglied bed Centralvorſtandes bätte die Sache einfach gefchäftlich abthun follen und wärbe damit bie ganze Schwierigkeit befeitigt haben. D. Rupp war von einem berechtigten Vereine orbnungsmäßig gewählt und hatte feine richtig ausgefertigte Vollmacht; war diefe m Augenfchein genommen und fein formelles Recht feſtge⸗ fließt, fo hatte er ohne Weiteres Sig und Gtimme. Allein ich weiß nicht, was die Prüfung der Vollmachten heißen fol, wenn mas diefe auf das mechanifche Geſchaͤft der bloßen Befihtigung eines Papiers befchränft. Bei allen vertretenden Körperfchaften will die Präfung der Wahlen etwas Mehreres befagen. Sind bie Wahlcorpo« rationen nicht fchlechthin irrthumdfrei und das wird die Fönigäberger nicht von ſich behaupten wollen fo töunen fie auch einen Fehler im Materiellen der Wahl begeben; fie können auch einmal eine Perfon wählen, bie ihrer Befchaffenheit nach nicht wählbar war. Go in folchen Fällen die Generalverſammlung nichts Anderes feyn, ale eine paffive Waffe, die ſich von den fonveräs nen Einzelvereiuen unbedingt Jeden muß zuſenden laflen, ohne zuzufehen, ob er auch nur die Qualification zu eis nem Depntirten hat? Wein, wenn bie Prüfung der Bolmachten Sinn und Bedeutung haben fol, fo muß fie fih auch auf das Materielle der Wählbarkeit erfireden. Und im vorlisgenden Falle waren von vorne herein Zwei⸗ fel gegen diefe Wählbarkeit geltend gemacht warden. Das die Vollmachten prüfende Mitglied des Central⸗ vorftandes aber entſchied nicht für fich felbit, fonbern legte die Frage dem Gentralvorftande vor und biefer binwieberum ber ganzen Deputirten«Berfammlung: alles, wie es die Wichtigkeit bes Gegenſtandes forderte, in befter,, billigfter Ordnung.

Aber, bier fagt man bann zweitens: die Geueral⸗

üb. d. Nichtann. d. koͤnigsb. Dep. D. Rupp ıc. 529

Berfaumiung war zur Eutfcheibung ber Frage gar nicht competent, weil in den Statuten Feine Beſtimmung vor⸗ fommt, die fie ermächtigte, ſich über die Zulaſſung eines Deputirten beflimmend auszuſprechen. Das Lektere iſt richtig, allein darand folge nicht das Erftere. Denn wenn wan ſchon überhaupt ber General, Berfammlung das Recht nicht wird abfprechen können, über wichtige unb dringliche Fragen, auch wenn fie nicht ausdrücklich in den Statuten vorgefehen find, eine Entſcheidung zu geben, fo am wenigften in dieſem Falle. Kommt nämlich auch zunächſt nur dem dazu beflimmten Mitgliede bes Gentrals Berfiandes das Recht zu, die Vollmachten zu prüfen, fo ſollte doch Diefem bamit gewiß nicht die ſou⸗ veröne Gewalt gegeben werben, Deputirte, die er etwa nicht für gehörig legitimiert hält, nach bloßem felbfieiges nen Ermeflen von der Verſammlung auszufchließen, ſon⸗ dern er wird ber Natur der Sache gemäß dem Fall vor die ganze Berfammiung bringen. IR damit dann auch noch der Depntirte, deffen Legitimation beanftanbet wor« ben, einverftanden, fo kann die Sache vollends feinem Zweifel unterliegen. Und fo verhielt fi hier. Einer feitö war von dem Deputirten bed Gentrals Borkandbes nad von biefem in Befammtheit die Competenz der Ge nerals Berfamminug anerkannt, andererfeitd war von D. Rupp ſelbſt aufs Entfchiedenfie an dieſelbe appellirt worden: wie hätte fie ſich alfo nicht ermächtigt halten ſollen, eine Entfcheibung zu geben? „Und hätte fie dennoch, ohne in die Verhandlung der Sache felbfk einzugehen, fich für incompetent «erklärt, fo würde fie Ah mit rund dem Borwurfe ausgeſetzt haben, unter dem Borwande einer Incompetenzerflärung: feige und ſchwach ſich einer Pflihterfülung zu entziehen, flatt in Gemaͤßheit des von D. Rupp an fie gerichteten Berlans gend offen und muthig in eine Prüfung der Frage ein:

530 . Mlmann

zugehen und fie nach vechtlicher Ueberzeugung zu eut⸗ fcheiden” a).

Run aber die Streitfrage ſelbſt, worauf bezog biefe fh? Nun und nimmermehr anf den Blauben, die theos logifhe Denfart, bie Dogmatik Rupp’s, fonbern rein nnd allein auf feine Firchliche Stellung. Die perfönlichen Ueberzengungen Rupp's Tenne ich felbft nicht genau ger nug, um darüber ein anthentifches Urtheil zu haben; ader baran zweifle ich feinen Augenblid: der Theologe Rupp konnte unbedenklich im Guſtav⸗Adolphvereine ſei⸗ nen Platz einnehmen. Längft ſchon hatten in den Ber: fammlungen beflelben die verfchiedenften Richtungen ibre Stelle und e8 fiel Riemanden von ferne ein, auf biefem Sebiete den Keberrichter fpielen zu wollen. Auch jebt Sam es gar nicht darauf an, ob ein Mann mehr von der Denfart, als deren Bertreter D. Rupp gilt, in den Reiben faß, da ohnedieß viele Andere von berfelben Ges finnung da waren; und wenn fich das Bedenken hierauf bezogen hätte, fo wäre es ja wahrhaft kindiſch geweſen, and biefer- Reihe. gerade den D. Rupp, ben in feiner Richtung nicht einmal am weiteften Gehenden, herauszu⸗ greifen und die Uebrigen aufznfordern, mit über ihn zu Gericht zu fiten. Auch if nicht nur nichts in biefem Sinne geltend gemacht worden, fondern mau bat fid aufs ausdrädlichite gegen Motive der Art gewahrt, nar mentlich von Geiten berer, bie ich in ber Kürze bie Dofitisgefinnten nennen will. Alfo nichts von Glanbens⸗ gericht, fondern Löſung einer kirchlichen Frage, die ſich die BeneralsBerfammiung des Guſtav⸗Adolphvereins nicht felbft freiwillig anfgeweorfen hatte, fonbern bie

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a) Worte des frankfurter Deputirten, Schöff D. Harnier, de

" überhaupt diefe Sompetenzfrage fo volftändig erledigt, daß ich biee gaͤnzlich auf feine Erörterung verweiſe. S. Protokoll der frantf. Hauptverfammiung v. 4. Nov. 1846. ©. 7. u. 8.

!

6. d. Nichtann. des koͤnigeb. Deput. D. Rupp xc. 53T

ihr wider Willen und trotz Bit: Widerſtrebens aufger mungen war.

Die Frage felbft aber war einfach die: kann ei Sol⸗ cher, der eingeſtandenermaßen aus dem Verbande der zu Recht beſtehenden evangeliſchen Kirche, reſpective Lan⸗ desfirche ausgetreten und nicht in eine zur Zeit anch ger feßlich anerfannte evangelifchsproteftantifche Gemeinfchaft . eingetreten ift, vollberechtigteds Mitglied des Guſtav⸗ Adelphvereind und indbefondere Deputirter deſſelben auf feiner Beneral»Berfammiung feyn ?

Und auf diefe Frage muß auch ich in ruhiger and fiherer Ueberzeugaung mit nein antworten, ebenfowohl vermöge der Statuten, ald im Hinblide auf die ganze bisherige Stellung und Entwidelung des Vereins.

Was die Statuten betrifft, fo bezeichnet bekanntlich der erfte Paragraph ald zur Theilnahme am Bereine bes rechtigt: „Mitglieder der evangelifch » proteftantifchen Kirche, welche u. f. w.” Schon hierbei wird jeber lin» befangene‘, jeder durch die vorliegende Gtreitfrage nicht ſchon Beirrte, an die wirkliche, gegenwärtige, fihtbare und rechtmäßig befehende evangelifche Kirche denken, und es ift offenbar fophiftifch, wenn man fagt, daß um diefen realen Beftand zu bezeichnen, nicht der Singular „Kicche”, fondern der Plural „„Kirchen” hätte gebraucht werden müflen, weil die rechtlich beftehende evangelifche Kirche ſich nur in einer Mehrzahl von Kirchen darſtelle. Denn jeder Berfländige weiß ja doch, daß man auch die Summe biefer einzelnen Landedfirchen unter dem Ger fommtbegriffe der enangelifchen Kirche” zufammenfaßt, und ed wäre in der That fonberbar gewefen, wenn ber Guſtav⸗Adolphverein, ftatt fi dieſer ganz gangbaren, populären Anfchauung zu bedienen und dafür einen vol, lig unmißverfändlichen Ausdruck zu gebrandyen, gleidy in der erſten Zelle feiner Statuten an die Setheiltheit der evangelifchen Gemeinſchaft in Landeskirchen erinnert

532 Ullmann

und bamit gleichſam im erften Worte eine Parobdie auf fein Streben nach Einigung audgefprochen hätte. Wide tiger in der Einwurf, daß ber evangelifche Proteſtantis⸗ mus nicht in diefen rechtlich beſtehenden Bemeinfchaften aufgehe, fondern daß man unter evangeliſch⸗ proteſtanti⸗ ſcher Kirche auch etwas Allgemeineres verfiehen könne: deu ganzen Compiler der Parteien nämlich, die fich auch außerhalb der anerfannten Kirchen im Gegenſatze gegen die roͤmiſch⸗katholiſche oder griechifch » orthodoxe Kirche aus dem proteflantifchen Principe bereits entwickelt ha⸗ beu ober in Zufnuft noch vollſtändiger entwideln werben, alfo ben allgemeinen, idealen. Proteftantiämus, wohl auch die proteflantifche Kirche der Zukunft, Nun weiß freilich Jedermann, bag man in der Kirchengeichichte und auch fon vielfältig von einem Proteſtantismus in dieſen weiten, idealen, meinetwegeu auch propbetifchen inne foricht; aber ich denke, wenn man Statuten macht, alſo einen einfach praltifchen Zweck im Auge bat, fo wird san nicht einen fo ſchwebenden und zerfließeuden Bes eriff gu Grunde legen‘, fonbern einen ganz beſtimmten, klaren und wohl begremzten. Und daß man bieß in ber That beabfichtigte, geht noch weiter aus Folgendem bervor. |

Im zweiten Paragraphen beißt es zunächft: „Die Wirkſamkeit des Vereins umfaßt Iutherifche, reformirte und unirte Gemeinden.” Hier iſt doch deutlich genng von beflimmt abgegrenzten, rechtlich befiebenden Kirchen die Rede und zwar um fo ungweifelhafter, ald diefe Be ſtimmung aus Beranlaffung einer Discuſſion über bie Frage entiiand, ob auch die proteflantifhhen Gecten in den Bereich ber Bereinsthätigleit aufzunehmen feyen. Man glaubte, bei der pofltiven Bezeichnung der Sache (Istherifche, reformirte, unirte Gemeinden) Reben bleiben zu können, weil darin von felbft auch die negative (Aus⸗ ſchließung des Secten) gegeben fey. Allerdings bezieht ſich dieſe Beſtimmung direct nur auf das Object der Un⸗

üb. d. Nichtann. des koͤnigob. Dep. D. Rupp ıc, 533

terſtützung, nicht anf dad Gubject; ed wird damit Die Grenze für die zur Unterftägung berechtigten Gemeinden gezogen, nicht für die Befähigung zur Mitgliebſchaft am Vereine, Aber indireet if auch diefed darin enthalten, Denn wenn irgendwo, fo gilt Boch wohl hier der Schluß vom Geringeren auf dad Größere. Darf vom Bereine nur unterKüßt werden, wer zus Iuthertfchen, reformirten oder unirten Sonfeffion gehört, fo wird Doch wahrhafs tig anch nur einem Solchen das weit wichtigere Recht zu⸗ fommen können, bei ben-Berathungen und der Repräſen⸗ tation deſſelben eine entfcheidende Stimme zu haben; unb läßt man einen zur Intherifchen, veformirten oder unirten Kirche Ricdytgehörigen zur Repräfentation zu, fo ift nicht einzufehen, wie man vernünftiger und billiger Weife die Gemeinfhaft, der er angehört, von der Unterſtütung zurückweiſen kaun. Aus irgend welcher nichtkirchlichen Bemeinfchaft einen Deputirten annehmen, dieſe Gemein⸗ fhaft ſelbſt aber als Gegenſtand ber Liebeschätigkeit aus⸗ ſchließen, wäre nicht nur ein innerer Widerſpruch, fon» dern auch eine Inhumanität uud bieße mit ber einen Hand geben, was man mit der andern reichlich wieder nimmt. &o bedingt bier nach der pofltiven, wie nach der negativen Seite der Kreis derer, weldye Unterkügung empfangen, zugleich (mit Ausnahme ber fogenannten „Wohle thäter” des Bereind) den Kreis derer, weiche als vollbe⸗ rechtigte Mitglieder des Bereind diefelbe geben; und ale in Granffurt die Aufzählung derienigen, die an bem Berein als ſtimmberechtigte Mitglieder theilnehmen Tönnten, bes antragt wurde, unterblieb dieß laut der amtlichen Berichte über die zweite Danptverfammiung and dem runde, „weil für Sehen hinlänglich gefagt ift, weiches Bekennt⸗ niß die Unterkügenden haben, fobald angegeben ift, wel⸗ ches Belenutniß die zu ENSerRÜBEnDen Bemeinden haben müflen” a),

a) 8, Großmann vorläuf, Bericht, S. 12,

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Indeß die Beſchränkung anf Intherifche, veformirte und umirte Gemeinden if ja nicht abfolut; der zweite Paragraph läßt auch Solche gelten, „bie ihre Ueberein⸗ Rimmung mit der evangelifchen Kirche ſouſt glaubhaft nachweifen können.” Bekanntlich ift diefer Zufat mit be fonderer Beziehung auf die Waldenfer gemacht worden, und gewiß mit dem volleften Rechte hat man dieſe wahrhaft evaugelifchen Borläufer der Reformation, die natürlichen Schutzverwandten bed Proteſtantismus, bie zugleich mit der reformirten Kirche in der nlchiten Belenutniß- umb Lebendgemeinfchaft ftehen, in den Bereich der. Liebesthäs tigkeit des VBereined gezogen. Aber gerade, dag man mit befiimmter Beziehung auf fie eine Ausnahme machte, bes weil beutlih, daß man fi fonft um fo entfchiedener inuerhalb der kirchlichen Grenzen halten wollte. Exceptio üirmst regulem. Doch die Kormel: „die ihre lieber einftimmung mit der evangelifchen Kirche font glaubhaft nachweifen können“ Täßt in ihrer Allgemeinheit and noch Anberweitiged zu. Hier ift ein Punkt, der auch nod ferneren Anerfennungen Raum gibt und we auch die for genannte freie Bemeinde, welder D. Rupp angehört, Fuß faflen tönnte, zunächſt als Object ber Unterfiägung, baun, wenn man confequent feyn wollte, auch ale zur Ders einsthätigleit berechtigt. _E& füme darauf an, daß fie ihre Uebereinftimmnng mit der evangelifchen Kirche auf eine glaubhafte Weife nachwieſe. Aber diefe mußte fie doch offenbar, bevor eines ihrer Mitglieder ale Depu⸗ ‘tieter ded Guſtav⸗Adolphvereins erfcheinen konnte, ſchon glaubhaft nachgewiefen Haben. Oder erwirbt man eine Berechtigung fchon damit, daß man fie zu haben behanp- tet? Beginnt man die Nachweiſung eined Rechtes damit, daß man es ausübt und troß aller Widerrede auf beflen Ausübung beſteht? Und bei wem folte bie Nachweiſung ‚gefchehen? Bei der General, Berfammiung des Guſtav⸗ Adolphvereins? Aber war diefe über die Sache anch nur

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üb. d. Nichtann. des koͤnigsb. Deput. D. Rupp x. 535

fo infruire, um irgenb gründlich entfcheiden gu Fönnen? Und wenn fie es gewefen wäre, if fie ein kirchliches Anerkennungötribunal? Gicht man nit, daß man bem Berein, wenn man ihn dazu machen will, in äußere und innere Gonflicte flürgt, durch die. er unvermeidlich zu Grunde gehen muß? Endlich aber mußten Doch, wenn in irgend einem Berflande von glaubhafter Nachweiſung der Uebereinſtimmung mit ber enangelifchen Kirche die Rede feyn follte, dafür zureichende Beweismittel beige⸗ bracht werden. Es Tam auch hierbei wieder fchlechthin nicht auf die individuelle LUebergeugung bes D. Rupp, auf ihn als evangelifchen Ehriften oder Theologen, fon dern einzig und allein auf das Bekenntniß der Gemein, ſchaft au, deren Glied er ift. Dieſes Belenutnig beſteht laut öffentlichen Angaben nach feiner thetifchen Seite le⸗ diglich darin, „daß fie die heil. Schrift ald Grundlage ihres Glaubens an die Einheit Gottes anerkennt; daß fie in Derfelben die höchſten fittlihen Normen für ihr Berhältniß zu ihren Nebenmenſchen findet; daß fie bei der Erforfchung der Schrift das fortfchreitende fittliche und vernunftgemäße Bemwußtfeyn der Bemeinbe zum Grunde legt, und daß fie die Taufe und bad Abendmahl beibehält”” Darf ich mir nun unter denen, welche biefe Zeilen lefen, Solche denken, weldye mit der Reformatich und ihren Brundgebaufen, mit der evangelifchen Kirche und ihren Belenntniffen befannt find, fo würde ich diefe £efer in der That zu beleidigen glauben, wenn ich ihnen erſt ausführlich anfchaulich machen wollte, wie durch die, ſes Belenntniß, welches nicht ein Wort für die Perfon Chrifti hat, welches von Sünde und Erlöfung und von der ganzen chriftlichen Heildorbnung nichts weiß, weiches mit der unzmweidentigften und barum löblichen Dffenheit nichts Anderes ale den einfachen Deismus dar⸗ legt wie durch ein ſolches Belenntniß ein Beweid für Die liebereinfiimmung mit der evangelifchen Kirche ent fernt nicht gegeben feyn kann; mag man meinetwegen

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536 Ullmann

das Bekenutniß für das allervortrefflichſte, ja einzig rich tige halten, für übereinkimmend wit dem ber evangeli⸗ ſchen Kirche wird ed Niemand halten können, ber irgend objectiven Sinn hat, uud zwar braudt man babei gar wicht an bie formnlirten Bekenntniſſe unferer Kirche, fon: dern nar an bie Hauptpriucipien, an bie Weſensgrund⸗ lagen ber Reformation zu denken. Allein, könnte man fagen, diefe freie Gemeinde, gu der D. Rupp gehört, ik ia noch im Werden, fie faun ſich in ihrer Beweglichkeit dem Wefenbaften der evangelifchen Kirche ja auch am „ähern und innerlid wieder mehr mit ihr zuſammen⸗ wachſen. Gut. Sch fehe auch, daß die Zuſtände bdiefer freien Bemeinden noch embryonifche und in der Entwide kung begriffene find; aber eben weil fie dieß find, wolle sau fie auch nicht als fertige und volllommene behan⸗ deln. Kein Billiger wird fein Urtheil über eine ſolche Gemeinde ein, für allemal abfchließen. Aber fo lange die Bade noch fo umreif iR, noch fo ganz in den erften Gtadieu der Entwidelung fi befindet, muß mau es je denfalls voreilig und zudringlich finden, wenn von ba and Anſprüche erhoben werden, bie ſich mar auf bie ber veitd erwiefene und anerkannte Uebereinſtimmung mit ber evangelifhen Kirche gründen können, und wirb man das sin, daB ſich die Generals Berfamminng bed Guſtav⸗ Adolphoereins in ihrer MWajorltät diefen Anfprüchen wir Derfegt bat, nur eine natürliche Wahrung der Gtatuten des Vereins erkennen.

So verhält ſich die Sache meines Dafürhaltend nad dem Worte der Statuten. Noch mehr aber ſcheint wir die ganze Stellung und biöherige Entwidelung des Ber eines für das zu forechen, was wir behaupten.

Der Guſtav⸗Adolphoerein ik zwar nicht ein Firchlicher Berein im engeren Sinne des Wortes: er iſt nicht um mittelbar in den Zixchlichen Organismus eingefügt, legt nicht ein beſtimmtes kirchlich firirted Bekenutniß zu Grunde,

üb, d. Nichtann. d. koͤnigeb. Dep. D. Rupp ıc. 337

bewegt ſich nicht in Feten kirchlichen Formen und wird. nicht nothwendig von firchlich beamteten Männern geleis tet; er iſt vielmehr ein freier und vermöge der zahlrei- hen Laien, die er nicht bloß ald gebende, fondern auch als mithandelnde nnd leitende in ſich faßt, ein weſentlich vollöthämlicher Verein. Aber zugleich IfE er von Haus aus umd war biöher umbeſtritten ein folcher freier und vollöthämlicher Verein, der ſich in lebendiger und ver ttauensvoller Verknüpfung an die Kirche anſchloß, ber die Kirche gu feiner natürlichen Boransfeßung und Bas ſis hatte. Aus Liebe zur evangelifhen Kirche geboren und von ihr freudig begrüßt, wirkt er für ihre Zwede, Recht mit Dem Kicchenregimente und mit den Lehrern ber Kirche In fortwährender fördernder Beziehung, begicht die und da einen Theil feiner Mittel aus kirchlichen Coflecten, verfammelt ſich in evangelifchen Kirchen und geht, foweit feine Verſammlungen gottesdienftlich find, durchaus im die Formen bed evangeliſch⸗kirchlichen Enltus ein, genießt auch des von ihm machgefuchten Gchußes und der shätigen Theilnahme der Träger des ewangelis ſchen Kicchenregimentes und hat fich felbfk feine äußere Drganifation „auf dem Grunde der politifch « kirchlichen Eintheilung” a) gegeben; er if, mit einem Worte, eine freie Genoflenfchaft imerhalb der evangelifch-protekantis (hen Kirche nud auf deren natürlihem Grund und Bor den. Und bei allem dem ift nie die Rede geweien von idealer, unbeftimmt allgemeiner, werbeuder Kirche, four bern immer won der fchon gewordenen, wirklichen, ges genwärtigen; denn nur zu biefer paßte das Alled, was wir eben berührt haben. Läßtnun der Guſtav⸗Adolphverein ale vollberechtigte Mitglieder. und Repräfentanten Solche su, die ſich offen von dieſer wirklichen Kirche losgeſagt haben, fo gibt ex unzweifelhaft feine bisherige Baſis

a) $. 10, der Statuten und Beilage A.

538 uullmann

auf; er loͤſt das Band, das ihn, wenn auch nicht durch einen ausdrücklichen Pact, ſo doch thatfächlich, mit der Kirche verknüpft hatte, und adoptirt ein Priucip, ver möge deſſen er ſich außerhalb der Kirche ſetzt. Ich will nun keineswegs behaupten, daß nicht der Verein auch in dieſer außerkirchlichen Stellung, wenn ex ſich dabei nur einen guten chriſtlichen Geiſt zu bewahren vermoͤchte, noch ein chreuwerther und wohlthätig wirkender ſeyn könnte: gibt ed ja doch fehr wohlthätige und auch chrif- lich wohlthätige Bereine, die ganz von allem Kirchlichen abfehen und felbft den Gegenſatz des Katholiſchen und Protefantifchen ignoriren. Allein erſtlich wäre es doch ſonderbar, wenn ſich gerade ein für kirchliche Zwecke wir⸗ kender Verein grundſätzlich außerhalb der wirklichen Kirche ſetzen wollte; zweitens flünde eben in dieſem Falle fehr zu befärditen, daß das Außerkirchliche alsbald in das Widerkirchliche und ſelbſt Kirchenzerfiörerifche um⸗ ſchlüge, und drittens, was für und hier das Nachſte, wäre es daun nicht mehr der alte, der urfprängliche und bisherige Guſtav⸗Adolphverein, fondern ein principiell an, derer, der ſich auch eine neue Grundlage und Berfafr fung geben müßte. Und fo hat, dünkt mich, die berliner Majorität ganz aus dem Erhaltungstriebe bes Bisherigen gehandelt, wenn fie Die kirchlichen Grenzen wahrte, ins werbalb deren fich der Berein von Anfang an aufge baut hat.

Daſſelbe ergibt ſich and; noch von einer anderen Seite ber. Der Guſtav⸗Adolphverein hat fich verbunden zu einem Werte der Liebe an ben Genoflen nnferer Kirche; er will forgen für die, welche der Mittel des Firchlichen Lebend entbehren und deshalb in Gefahr find, der Kirche verlor ven zu gehen 0). Seinem Zwede gemäß wirkt er nicht zunähft und unmittelbar für den Glauben, fondern für

a) $. 1. ber Statuten.

üb, d. Nichtann. bes koͤnigob. Deput. D. Rupp ꝛc. 539

die iußerlichen Bebingungen des kirchlichen Lebens. Zwar ruht das gefunbe Wirken der chriftlichen Liebe auf dem Glauben ‚and fördert denfelben; und das hat auch beim Guſtav⸗Adolphvereine nicht gefehlt: im Glauben begonnen, hat er denfelben auch nach innen belebt. Aber fein eigents liches Thun ift doch nicht Auf das innere des Glau⸗ bend gerichtet, fondern er baut demfelben Kirchen und Schulen, er gibt ihm leibliche Mittel und überläßt es vertrauensvoll andern Kräften, das, was er nicht unmit⸗ telbar vermag, gu leiften, So ift er ein Inſtitut, „welches dem Gebiete der äußeren Kirchenorganifation angehört” =) und feine Stellung durchaus in der fichtbaren Kirche und deren voller Wirklichkeit einnimmt. Aus dem natürlis hen Gefühle diefer Stellung heraus hat er von Anfang on anf nähere Blaubenebeftimmungen verzichtet, und wo Berfuche gemacht wurden, den Verein zu einem beſtimm⸗ teren Bekenntniſſe binzubrängen, da find Diefelben von der Mehrheit feiner Bertreter mit einem, wie mir fcheint, durchaus richtigen Tacte zurldigewiefen worden. Damit aber hat der Verein zuverläfftg nicht ausfprechen wollen, daß er gegen das Bekenntniß fchlechthin indifferent ſey und in das völlig Allgemeine zerfließen wolle, fondern er hat zugleich ausdrücklich erflärt, ed genüge die Ber Rimmung, daß fich feine Thätigkeit auf die evangelifch- proteftantifche, d. h. Iutherifche, reformirte und unirte Kirche beziehe, daß er ſich alfo innerhalb der Grenzen derfelben halte. Je weniger nun der Verein und feis nem Charakter gemäß mit Recht ſich auf dad Dogma eingelaffen, je weniger er felbfi bei der Beftimmung des Kirhlihen das Bekenntniß hervorgehoben hat, deſto wich, tiger und nnerläßlicher ift es für ihn, will er nicht völlig charalterlos werden, daß er den kirchenrechtlichen

a) Ban vergleiche eine weitere, fcharffinnige Nachweiſung biefes Geſichtspunktes in der züricher Zeitſchrift: Zukunft der Kirche vom I5ñten Detober 1846.

640 Allmann

Standpunkt behaupte und anf bie äußere Abgrenzung der evangelischen Kirche das Gewicht lege, welches feine Statuten ‚fordern. Thut er dieß nicht, dans gerade wird er umausbleiblich in das verfallen, worüber man jet fo unermeßlich lärmt, in Glaubensrichterei. Denn alsdann wird er ſich nicht befchränten auf das äußere rechtliche Berhältuiß des Inbividunmd oder der Ge meinde zur Kirche, ſonders er wirb nothwendig das im, nere ind Auge faſſen müllen. Es fey denn, daß mau ſchlechthin und überall gar keine Grenze mehr anerken⸗ nen wolle, Aber baun wirb man, fo wie biefe Gemeinde» oder Sectenbildungen fortfchreiten, unerbittlich von Stufe zu Stufe weiter. gezogen werben: von denen, bie ned) kaufen, zu denen, die nicht mehr taufen, vom CEhriſten⸗ thume zum bloßen Menfchenthume, vom Deiömud zum Pantheismus und der Verein wird aufhören, nicht bloß em kirchlich begrenzter, fondern aud ein chrifts licher zu feyn, Will er aber doch irgendwo inne halten und Schranten giehen, dann eben wird er fid) auf Dog» ma und Speculation einlafen mäfen und zum Berichte. hof in Blaubendfachen werden. Denn es Sam „ar nicht fehlen, wenn fich die darmſtädter Verſammlung für Rupp audfpriht, daß weitere ähslicdhe und anch noch grellere Fälle vorkommen, and dann werden wir es orler ben, daß die General» Berfammlungen , ſtatt daß fie bie» her ein ewhebendes Zufammenfeyn in thätiger Liebe mar ren, zu ben unerquicklichſten Stätten theologifchen und phi⸗ logophifchen Haderd werden, und falls es dauun andı noch eine Majorität für irgend eine Audfcdliefung geben follte, fo wird diefe bei ihrer Zurücktunft von den öffent lihen Blättern mit deufelben Salven begrüßt werden, wie die jeßige berliner.

Alles dieß will man indeß nieberfchlagen, indem man den Unterfchied macht zwifchen Kirche und Landes» firhe: D. Rupp, fagt man, ift ausgetreten amd ber preu⸗ Bifchen Landeskirche, noch lieber Couſiſtoriallirche, aber

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&b. d. Nichtann. des koͤnigab. Deput. D. Rupp ıc. 541

nicht ans der Saugeliſch⸗ proteſtautiſchen Kirche an ſich. Das iſt jetzt das Meduſenhaupt, vor dem Alles erſtarren ſoll. Aber wenn ich mich nun, wie ein aus dem Traume Erwachender, nach der evangelifch:proteflantifchen Kirche umfehe, die nicht Landeskirche wäre, fo finde ich fle nicht. Deun entweder iſt das wieder ber allgemeine Proteftan- tismus, der in Firchlicher Beziehung etwas Zerfließendes it, oder, wenn ed bie wirkliche proteftantifche Kirche feyn fol, fo muß man fagen, daß biefe nahezır Überall nur in Landesfirchen zur Erfcheinung fommt und nur in bem feit der Neformation begründeten Berhältnifle zum Staate ihren realen Beſtand hat. Das Argument von dem Landeskirchen {ft nicht viel anders, ald wenn wie Jemand, ber fein Bürgerrecht nachweiſen follte, verficherte, er fey zwar nicht Bürger eines beffimmten Staates, wohl aber ded Staates an fih. Run will ich zwar hier gerne befennen, daß auch für mich diefe Landeskirchen im Verhältniſſe gu den gegenwärtigen Bedürfniſſen feine Ide⸗ ale der Vollkommenheit find und daß nach meiner Ueber⸗ jengung insbefonbere ihre Stellung zum weltlichen Res gimente einer -Berbefferung bedarf, auch bin ich herzlich gern bereit, nach meinen geringen Kräften dazu mitzus wirten, daß dieß auf ordentlichem Wege anders werde. Aber nur der Guftay » Abolphverein fcheint mir durchaus nicht der Ort, wo diefe Dinge audgefochten und ind Meine ges brasıt menden können und follen; der hat Anderes zu beforgen, und wenn wir ihn mit biefer Aufgabe verwirren wollen, fo werden wir der Kirche nichts nüßen und dem Bereine fhaden. Sch kann es indeß auch nicht verſtän⸗ dig und reblich finden, wenn man den Unkundigen jeßt einen fo großen Schred und Schauder vor bem Landes⸗ ticchenthume beizubringen fuccht, namentlidy in Betreff des Guftav » Adolphvereind. Denn, was dieſen betrifft, fo kann er gewiß auch innerhalb ber Landeskirchen feine ganze Kraft entwideln und feinen wahren Zweck aufs vollfländigfte 36*

542 - Ullmann -

erreichen und es wird gewiß feinem Kirchenregimente einfallen, ihn fammt der Kirche, auf bie er ſich ſtützt, Über Nacht zu einem andern machen zu wollen, ald der er felbft feyn will. Und was die kandeskirchen am ſich angeht, fo verbreitet fih ja gerade jeht immer allgemeis ner die Ueberzeugung, daß fie der Erneuerung und Be: lebung bedürfen, und die erleuchtetſten Kürften und Staats⸗ _ Ienter bieten felbft dazu Die Hand. Hat dieſes Streben glück⸗ liche Refultate, fo werden fie andy dem Guſtav⸗Abolphvereine zu gutefommen. Bill ſich aber ber Guſtav⸗Adolphverein un. mittelbar in dieſe Dinge mifchen und g. B. Fragen erledigen, die nur auf georbnetem kirchlichen Wege erledigt werben Föunen, fo wird man ihm einfach fagen, daß dieß nicht feines Amtes fey, und es wird ein Bortheil feyn, wenn er am Ende nur fich felbft gefchadet hat und nicht andy noch Anderem hinderlich geweien iſt.

Indeß der Würfel ift nun einmal gefallen. Der Guſtav⸗Adolphverein hat fich ber firchlichen Principienfrage nicht zu erwehren vermocht und eine Entfcheibung gegeben. Der fpaltende Keil if in den Verein hineingetrieben. Was erbitterte Keinde nicht beffer hätten ausfiunen kön⸗ nen, ift dem Bereine von übereifrigen Kreunden angethan worden, und bie Gegner werden fi Babe vergnäglid, die Hänbe reiben.

Und was iſt feit dem fatalen 7. nicht Alles geſchehen? Ich will nur einiges Hervorſtechende in allgemeinen Zügen berühren.

Erſtlich: die Frage, über die man in Berlin disca⸗ tirt hatte, ift eine unverkennbar fchwierige; fle kann nicht vollſtaͤndig durch den einfachen Wortlaut der Statuten entichieden werben, fie it von ber Urt, daß wir ger fiehen es gerne bei geſundem Berftand und reblichem Willen verſchiedene Ueberzefigungen möglich And. Unter denen, welche die Majorität bildeten, finben wir Ramen, die in ganz Deutſchland befaunt find und dem beſten

üb. d. Richtann, des konigab. Deput. D. Rupp ıc. 543

Klang haben, ſittlich ehrenhafte, felbfkäubige Männer, gebie- gene. Theologen, zum Theile um ben Guſtav⸗Adolphver⸗ ein insbeſondere hochverbient; fle hatten für ihr Votum Gründe; man konnte wiffen, daß fie nicht durch firenge Gymbolglänbigleit ober ſonſtige Parteifympathien bes ſtimmt wurden ; ber Act ber RichtanertennungRupp’6 wurbe von ihnen nicht mit Triumph, fondbern mit unverkennba⸗ rem Gchmerze vollzogen. Was wäre einer folchen Frage und folchen Männern gegenüber das fittlich Rechte ger weſen? Dffendar nur dieß: man hätte Davon auszuge⸗ ben gehabt, baß es für beiderlei Art zu votiren Gründe geben müſſe; man hätte eine tüchtige Widerlegung durch Gründe, aud) um bed Vereines willen eine Berftändigung anftreben müflen; man hätte dabei mit aller Scärfe verfahren mögen, aber man hätte auch Anſtand und fitt- lihe Würde behaupten follen. Es durfte auch erwartet werden, daß Unparteiiſche, felbfi von der Gegenſeite, ein Wort der Mißbilligung Über die unheilvolle königs⸗ berger Wahl fagen würden. Im einzelnen iſt dieß auch gefchehen und namentlich habe ich mich in diefem Sinne, obwohl ich mit dem Inhalte nicht einverfianden bin, am dem in .fo anftandsvofler Haltung durchgeführten Aufſatz in den Ergänzungsblättern ber allgemeinen Zeitung «) erfreut. Aber im Ganzen: wie hat man augefangen und bis heute fortgefahren? Mit Verbächtigung, Hohn und Schimpf, mit einer förmlich terrorificenden Bearbeitung der öffentlichen Meinung; diefelben Männer, die noch vor einem halben Jahre gepriefen worden, waren jetzt Dun« kelmaͤnner, Dfaffen und Muder, und wenn man einen Mann moralifch abthun wollte: was bedurfte man weir ter Zeugniß wider ihn, wenn er nur auch über Rupp das freus sige ihn! ansgerufen hatte? Dieß kann nicht zum Guten führen und wird auch dem Bereine keinen Gegen bringen.

Zweitens: die Sache war in Berlin durch Majoris

a) Rovemberbeft 1846.

Sa = Ulmamı

tät entfchiebeh Wörsen. Mochte dieſe Majorität nid nahe an Stimmengleichheit grenzen, es wat hoch immer eine Moforität. Nun gilt in allen Vereinigungen dieſer Art die Maforität als entfcheidend. IM man damit wicht zufrieden, fo hat man bei der nächſten ordnungsimäßigen Gelegenheit auf Entgegengefeßted-anguträgen, Hiet aber begann man fogleich mit Proteflätionen und Verwerfun⸗ gen; ja theilwelfe mit förlicher Widerſetzlichkteit; man ſchlug einen Weg ein, welcher, weiter verfolgt, alle Ord⸗ nung im Vereine auflöfen muß; und ich möchte einmal Hören, wenn die Maforität auf der andern Seite gene fen wäre und die kirchlich Geſinnten hätten fo proteſtirt, welches Gefchrei darüber erhoben worden wäre! Und wie ging es mit diefen Proteftadenen? Sie erfolgten, während doch nicht die geringfle Gefahr Keim Verzuge war, Halb über Kopf, che Protokolle und Berichte da waren, che man fich irgend gründlich unterrichtet Yaben Fonnte, nur frifh auf Sympathie und Autipathie bin: fie gefchahen zum Theile durch Mafjsritäten von Solchen, welche, Biäher ohne Sntereffe für die Sache des Vereines, nur für den Zweck des Mitſtimmens in Biefem befonde, ren Falle eingetreten waren: Wahrlich, wenn die Män: tter der berliner Majorität auf ihren damaligen Gieg nur mit Schmerz hinblicken Ponnten, fo iſt kaum andere zu denfen, als daB Manche aus der Minoritär Über den Sieg, der ihnen jetzt zu Theile und über die Art, wie er errungen wird, erfchreden müffen, und daß fie, auf eine gute Zahl der Gehülfen und Anrufer dieſes Sieges blickend, ſich des goeche’fchen Wortes erinnern: „ihr Beifall ſelbſt macht meinein Herzen bang”.

Drittens: man ift aber auch noch weiter 'gegamgen. Bereitd haben fihoh viele Zweig- und Haupwereine, weiche in ihret Majoritat gegen die Ausfchliegung Nitdp’s find, definitiv beſchloſſen, wie ihr Deputirter zur näch⸗ ſten General⸗Verſammlung ſtimmen ſolle. Dieß hat na türlich zur Folge, daß nur ſolche, die damit Ubereinſtim⸗

üb. bie Richtann. des Länigäb. Dep. D. Rupp ec. 545

men, das Mandat Überuchmen können. Da nun zur Zeit bie für Rupp ſtimmenden Zweig⸗ und Hauptvereine bie große Mehrheit bilden, fo wirb die nächſte Generals Berfammiung weit überwiegend. aud Männern von Dies fer Seite zuſammengeſetzt ſeyn. Died aber wirb ihr nicht une den Charakter der Einfeitigkeit aufprägen, fone bern es wird noch etwas anderes Bedenklicheres daraus estforingen. Gemmı befehen, werden nlmlich in Betreff ber Carbinalfrage, die dort verhandelt werden fol, nicht ſowohl Porſonen nah Darmfadt kommen, ale viels mehr nur JInſtruction, db. h. nicht Perfunen, die noch ſelbſtäͤadig handeln und fEimmen können, ſondern folche, bie ſchon gebunden find, nach einer vorher beſtimmten Richtung bin fich zu entfcheiden. Hiermit aber iſt die Dis cuſſion überfiäffig gemacht, alle Berkäntigung abge⸗ fchnisten, und bie Sache fchon im voraus fertie. Will man dieß nicht, will man der BerKkämdigung noch irgend einen Raum ılafen, fo muß man von den ZweigsDereinen zus Landeſ⸗Hauptverſammlang und won biefer zur liche ſten Generalverſammlung freie Deyutirte ſchicken, d. hi ſolche, vie nicht ſchon inſtructionsmäßig gebunden, fons derna, als Manner des Vertrauens, auf ihr beſtes Wiſſen wu Gewiſſen angewiefen find. Beharrt man dagegen anf: jenem andern Wege und geht auf demſelben fort, fo erhalten allerbings bie Einzeluvereine eine Bedeutung, wis fie Diefeibe dioher noch nicht gehabt, aber eine foldhe, wodurch die Bedeutung der Befammtheit, namentlich die der Haupt, und Gmeral: Berfammlungen verloren geht, anf welche man dann, wenigftens für wichtige Kragen, nicht mehr Menfdren, fondern nur Papiere zu ſenden brauchte. Bisrtend: als wor Fahren die Altlutheraner Fitchlich und politifch bebrängt waren, als fpäter die Ucheber Der freien Kirche in Schottland eine Trennung von der ſtaat⸗ lich legisimirten Kirche mit großartiger Hingebung mb Energie veizegen, als neuerlich eine refpectable Zahl von Geiſtlichen des Wanbtlandes der Ehre der Kirche und

6 ... Wim. u 2a

der Würde bes Prebigtantes ihre Stellen zum "Opfer brachte, ba war bie Theilnahme ber öffentlichen Meinuug, inöbefondere der Preffe, entmeber fehr mäßig,: ja geving, oder man gefiel ſich ſogar Darin, bieWebrängsen: umb: Die, weiche ich ihrer annahmen, wißliehig zu behandeln. Raum aber werben gegen einen Maan, der offentaubigeans der befiehenden .evaugelifchen Kirche ausgetreten if, ganz einfach die Statuten eines Vereines in Anwendung gebwadt, fo erhebt fih für ihn, wie für einen. ſchmer: Berlehten, ein braufenber Sture ber Thetlnahme. Weinen : wir an; es ſey ihm wirklich Unrecht geſchehen, er fey num feiner guten Ueberzengung willen verfolgt, fo haben wir dort wie bier uuſchuldig Bedraͤugte, kart: wie. bier für ihre Ueberzeugung Leidende.

Aber warum bat man nur Eifer für. den Einen und hatte ihn nicht auch fir bie Anderen 79. Ich glaube, bie Antwort ‚wird ſich wohl Jeder leicht geben können: jone wollten ein Mehr des Kirchlichen, dieſer will sein Werniger oder. Menigſtes; jene ſind mehr aber wwsuiger arthodor und opponiren von dem Grunde eines fehr hefkinkuten kirch liches Bekenutniſſes, dieſer opponirt gegen und Arch» liche Bekenntniß ſelbſt. Alſo die Sympachie der. öffent lichen Meinung iſt auf der Seite ber Oppofition: gegen Dad Kirchliche; dieſes hat für einen fehr großen Theil den Zeitr ges oſſen feine Bedeutung ſchlechthin verloren, und wo ein Konflict zwiſchen dem Kirchlichen uad der Oppofition dage⸗ gen enutſteht, da hat es die letztere von vorne hereingemauuen beider Maſſe derer, die im Yugenblide das.: Wort führen.

So ſteht eb, Aber wie fol cd werden: "

Bei der nächlten General-Berfemmiang- iu Davamfiadt iſt dad Doppelte möglich: der berliner Majoritätäbefcituf wird entweder beflätigt oder . umgeworfen; . biefeibe er⸗ klart ſich, auch wenn die Perfon des D. Napp Dabei gar nicht mehr in Frage läme, für das Princip entweder ber berliner Majorität oder. ber Minorität..

&b. d. Nichtann. d. koͤntgeb. Dep. D. Rupp ꝛc. BR

Der erſte Fall IR nach al ben Beftunungs » Maike Retiouen, die bereits hervorgetreten find, höchſt unwahr⸗ ſcheimich, ja faſt unmbglich; der zweite kann ſchon jet, wen nicht ganz Unvorhergefehenes dazwiſchen tritt, alß nahezu gewiß bewachtet werben. Tritt ber erſte Fall ein, fo darfte nsohl bein Zwetfel ſeya, daß Alle, die in der Richt zule ſſuug Rappio eine Verlehung der: proteßanti⸗ ſchen Freiheit fehen, Sofort and dam Vereine ſcheiden. Tritt der andere: Fall ein, fo werben, da 06 ſich hier am vie eutſcheidende Principienftage haudelt, die lirchlich Grflunten wentgſtens in den Berrinen ; wo bie Majori⸗ tät gegen⸗ fie iſt, ſich durch Lchergengung und Ehre ger wöthige ſehen,: jodenfalls vos den. Aemtern zurückzutre⸗ ten; dann wird dieſe Seite uuuerhältmigmäßig ‚gering vor praſendirt ſeyn und dieß wird ein, wenn auch allmähliche® Ablafſen derſelben vom Meveine zum Folge haben. Mag dad Eine oder bad: Andere geſchehen, ſo vüllt der Guſtav⸗ Ndoiphuwerein von ſeiner urſpruuglichen Ider ab; er: ver⸗ liert die innere Badentung, die er fürr die evangeliſche Kirche gehabt hat, eine Darſtellung ihrer Gemcinſambeit, ein verbindender Mittelpunkt für ihes verſchiedenen bs theiluugen und. Parteien, ein neutraled Grbiet Der Aunös herung, Berfiänbigung und Befreundung zu:feye. Ja er fchtägt, wie das in feichen Fällen immer geſchieht, ind gerade Begenthel um: er wird feld ein Stein bes Anſtoßes, eine Parteiſacht nud ein. Yruud moch ſchärferer Trennung deu Parteien. Aber freilich. wiirde in beiden Fällen die Art der Wirkung eine ſehr verfihiebene fepn.‘

Behielte Die berliner Majorität auch in Darmfant die Dberbaud, fo würde darüber darf man ſich nicht tauchen der: Berein bedentend zufammenfcrummpfen, feite Einnahme würbe Ach um ein Gutes verringern, feine äußeren Zwecke würden nicht mehr in dem Umfang erreicht werden: Eöunss. Dieß wird, wenn fid die ber⸗ linse Minorisdt is eine Darmfäbter Majerität verwan⸗ beit, nicht in dem Bude dar Gall ſeyn; ja ed: if Denk,

bar, darſelbe Parteleiſer, ber fich biäher in auderer Meiſe thaͤtig gezeigt: hat, in der nächkten Zeit Die Mitte nicht une erfebt, fondern mehr als aufet, welche durch das Uinsfcheiden ber Entgegengeſetzten etwa: in Wegfell kommen. ber, Ihe befseundeien Männer der hisherigan Minorität, glaubet nicht zu raſch au den Gewinmm, den Ihr Damit machet!

Ein zuhiger Meohlthatigkeits verein nähert ſich mid von aufloderndem Parteleifer, ſondern von ausbanenn: dem Aufopferungefinne. Die, weide zu einem ganz ber ſtimmten Zwecke Euch jcht beigetzeten find. werken deu Berein entweder wieder. verlaffen, went. Diefer Zweck ar reicht: it, ober, ‚wenn fie bleiben, fo wird das :nämlüuhe Jatereſſe, welches fie in den. Verein getrieben hat, fie auch treiben, in dem Vereine nach eier beftimmten Rich mug bin fort gu handeln; dieſes Jutereſſe bezieht fi aber nicht auf Die leidenden swungelifchen Brüder in der Ferne, ſondern auf die vreligisſen und kirchlichen Sertitfra⸗ gen in: der Nähe; und Ihr werdet fehen, wie bamit. das Ariucip. der Uaruhe, der Tageöbemegeung, ber Tinchlichen und fonfiigen Dppoſition mitten im ben Berein hineinge pſtanzt ik. Mehrere der biöher gehaltenen Berfamminns gen laſſen derctlich genug ertenuen, was daun gu erwat⸗ ton ſeyn wird. Und aunch in anderen Beziehung werden fi die Gonfequenzen unerbittlich vollgiehen und br Ben ein wird feinent Geſchicke nicht entgehen. Denn es iſt doch ſonnentlar: wenn Mitglieder einer amd der Kirche an getwetenen Bemeinfchaft Sie und Stimme im Beseine ha⸗ ben, fo kaun diefelbe Gemeinſchaft auch Auſpruch auf bie Unterſtühung ded Vereined machen; wenn man ihr dad Höhere geſtattet, fo kaun man ihr mis feinem vernünftigen Grund dus Beringere. verweigern. Run find aber ge rade.dirfe nen fich bildenden Gemeinfchaften von firchlichen Mitteln enıblößt, uud ed wäre som Wereine, fobald et ſich einme. auf jeum ideal proteſtautiſchen Gtandpnaft geftellt Hat, in der That hart, ihnen dieſe nicht gewaͤhren sis wollen. Auch melden Ad; ſolcher freien Gemeinden

ab. d. Nichtann. d. koͤrigob. Deput. D. Rupp ıc. 048

in machſter Zakunſt vorandflihtli noch manıhe zufeit menthun und zwar vor verſchiedenſter Art Unkerſtützt fie aber der Bertin, wie er conſequent nicht anders kann, fo it die Folge, daB derſelbe Verein, ber gefitftet war, um wieftich nothleidenden kirchlichen Gemeinden in las tholiſchen Ländern zu helfen, feime Mittel wenigſtens theilweiſe auf ſolche Gemeinſchaften verwendet, die ſich von der eigenen Kirche losreißen; daß derſelbe Verein, weicher für die ſorgen ſollte, „die in Gefahr find, der Kirche verloren zn gehen” «), für Solche forgt, weiche bie Kirche ſeldſt für verloren halten und fie in ihrer Grund lagen bekümpfen; mid einem Worte: v6 iR die Foige, daß der Verein ſich im fein eigenes Begentheil verkehrt.

Und was foR nun gefihehen? Die Sachen ſtehen fo, daß dieß fchwer zu fagen if. Meint man, die Geueral⸗ Verfanmlung ſolle ed fortan unbdedingt und he jeben Rückhalt ven Einzelvereinen überlaſſen, welcherlei Depu⸗ tirte ſie ſenden mögen, und es ſolle zut Legitimation bie formelle Richtigkeit der Vollmacht ımter allen Umſtünden genügen, ſo aumt man din Special⸗Vertinen eine Gew verainitaͤt ein, dit fortwährend das Ganze bedrohen muß, und erlennt ihnen eine Fehlloſigkeit zu, welche etwas rein Fingirtes iſt; denn allerdingo könnten anter den je digen Umfänden Wahlen getroffen werden, die ſich nach weniger rechtfertigen ließen, ale bie königsberger. Will man, die nüchſte Generals Berfauniung möge erflärm, unter evangeliſch⸗proteſtantiſcher Kitche 9. 1. fepen nicht die Landeskirchen gu verfiehen, ſondern ja eben diefed Sondern” wäre dann ſchwer zu fagen, and for mit wäre ber Verein wieder ganz ind Unbekimmte geſtellt and das Ganze wäre nar eine Interpretanion des Para⸗ graphen im: Sinme der berliner Minvritaͤt. Blaubt man dirß poſitiv dahin beſtimmen zu follen, der Verein möge Jeden für ein Mitglied der evangeliſch⸗proteſtantiſchen

a) Statuten F. 1.

(1 7 ‚Ullmeasn'

Kirche halten, der fich ſelbſt Dafür erklärt, (0 geſteht man, _ba$ es für das Gehören zur enangelifchen Kirche gar feine objertine Merkmale gebe, und wird allerdings fehr auffallenden Erklärungen entgegeugnufchen haben. Wünfcht man enblich, daß zwifchen der einfachen Mitgliebfchaft und der leitenden, repräſentativen Chätigkeit im Berein eis Unterihied gemacht und die Berechtiguug zu jener ohne Ausnahme jedem fi als Proteflanten Bebenden, die Berechtigung zu diefer nur ben Angehörigen der rechtlich beiiehenden Kirchen zuerkannt werde, fo wäre dieß eine -linterfcheibung, die auch erſt in die Statuten eingeführet werben müßte, und zugleich eine ſolche, bie doch eigentlich ber Natur des Bereind, der wefentlid gleichheitlichen Stellung aller feiner Mitglieder wider ſtrebte.

Ich weinestheils kaun nur recht nnd wünſchenswerth finden, daß der Verein feiner urſprünglichen Anlage und bis herigen Eutwickelung, fo. wie feinen vielleicht noch etwas genauer zu faſſenden Statuten getren bleibe und ſich ohne irgend welche abſchließende Engherzigkeit innerhalb der kirchenrechtlichen Greuzen halte; daß er bemgemäß sollen Raum habe für alle Parteien, die innerhalb Der Kirche fisd,, nicht aber für die, welche außerhalb derſelben find and erflärtermaßen außerhalb berfelben ſeyn wollen. Ich verhehle mir aber auch nicht, mit weichen Schwierigfeiten zur Zeit Diefer Grundſatz im Vereine zu fampfen haben wird‘, und welche Folgen fein Sieg haben dürfte. Darım bitte ich Euch, denen wirklich die Sache am Herjen liegt: beſinnet Euch, fo lange es Zeit ift! Ueberleget ernf, rnbig und liebevoll! Trotzet nicht auf Majoritäten, fon dern faflet den Verein ſeldſt, die evangelifche Kirche und Eure eigene verantwortungsvolle Stellung in diefer ern ften Zeit ins Auge! Vielleicht gibt es noch einen Rath, der heifen und zufammenhalten kann; wer ihn bringt, fol herzlich willkommen ſeyn.

Anzeige-Blatt.

Bei Friedrich Perthet von Hamburg Tommt in ben naͤch⸗ fen Tagen zur Verſendung: Keander, Dr. A., allgemeine Geſchichte der chriftlichen Religion und Kirche. Neue Aufl. Ar Bo. wodurch das Werk bis zum 10ten Bd. wieber volßändig zu haben iſt. Hierbei made ich nochmals darauf aufmerkfam :

CZ daß ber 1e und 2e Band ber neuen Auflage den gleichen Zeit⸗ raum wie I. 1. 2, 8. der alten Auflage, ebenfo ber Se u, 4e Band den gleiden wie 11. 1. 2. 3. enthält, fo daß * IT, oder 7. ber alten Auflage fi an ben 4en Band der neuen anfdhließt, und alfo ein 5r u. 6r Band gar nicht vorhanden

Berner iſt durch das Erſcheinen von

Umbreit, Dr., praftifcher über de Propheten des Alten Bundes. IV. 2. gr. 8 27,6 seite Wert vollſtaͤndig ee er halt des ganzen

Ir Band: Commentar zum Iefaiad . aut, un Sgr. zum. u 1 or.

er Abihl. 1te Hälfte. Hoſea, Soc" —*

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MH Mia, Nahum, Beat, Zephanja. 1 Sgr

de o Haggai, Sacharja, Des

Sgr Der Preis des ganzen Werkes iſt Thlr. 7. , Sgr.

Bei Friedrich und Andreas Perthes find erſchienen:

Geijer, Srik Guſtav, Auch ein Wort über die religiöfe Trage der Zeit. gr. 8°. gebeftet. 12 ar.

salarie füc die Archive Deutfchlands. Beſorgt von Be. Tr. Friedemann. 18 Heft. gr. 8°. geheftet. gr.

Bildniffe deutſcher Könige und Baier, von Karl dem Großen bi8 Marimiliaen, von Schneider u. So a 37 Portraits und 45 Bogen Fer gr. Lexikon Thlr. 4

Dieſes vaterländifche Wert ift jett vollfkändig erfchienen; jede

Buchhandlung hat geheftete und elegapt in Gallicot gebundene Crem⸗

plare vorräthig.

Bei Carl Winter in Heibelberg iſt erfchienen: Das

Leben Ielu

nah den Evangelien dargeftellt

von Dr. Zob. Veter Lange, Drofeflor in Züri. 18 Buch broſch. 2 FM. 30 Er. oder 14 Nithr. 13 Fl) 41 Shell 8 fl. 2%, 8 28 Id 8r [3 6 fl. u „Bi Af.0 ie Ro N) Zür die gelehrte und re Shriftenheit wird wohl Diefes fo eben erſchienene Werk das wichtiafte und bebeutfamfte fein, bas dies Jahr bringen duͤrfte. (Aus einer Recenſion.)

Preisermäßigung.

In Folge mehrfacher Xufforderung haben wir die Jahrgänge 845, 1844, 1845

er Chrifsterpe,

Taſchenbuch für chrißt. Eefex, herausgeg. von A. Esapp. Mit Kupferz, von dem bisherigen ERBEN von fl. 8. 42 ir. oder 5 Shlr. für unbeftimmte det uf . ». . u > 6», „32: m und jeden biefer Jahrgänge einzeln auf 1.

berabgeiegt und hoffen, dadurch die Anfchaffung diefer reidgpaltigen

. Bammiung geiſtooler Kufföge und Poefien zu erleichtern, weiche enthält:

Mehrere Biograpdien von G. 9. v. Schubert. Drei Gr: lungen von Dr. Chr. Barth. Monologen. Züge aus bem eben Ludwig Hofackers von X. ee und eine Reihe poeti⸗

ſcher zen profaifher Beitraͤge von €. Arndt, ©. Beder,

Biaromsly, A. Bräm, ©. A. Döring, E. Eyth, ziet B. A. 813140 C. B. Zug, a. Knapp, 3.

Kein P. Lange, Landfermann, W. Meinhold,

Fr. Notter, F. Piper, H. Pucht«, Bieter Strauß, BWap

ner von Laufenburg, H. R. Bullfchlägel unb mehreren

Ungenannten.

Univ.sBuchhanblung von Sarı Winter in Heidelberg.

Bei Bari Winter in Heibelberg IR exflgbenen:

Die Geſchichte der Welt vor und nach Chriftug,

mit RAückſicht auf bie Gutwidelung bes Lebens in Bieligion und Pos tif, Kunſt nad Wiffenfchaft, Handel und Induſtrie der welthifipri- Shen Böker. Kür das allgemeine Bilbungsbebürfaiß in vier Bänden dargeftellt

von Dr. Heinrih Dittmar.

Erfter Band. 40 Bogen gr. 8. 2 fl. 42 Er. ober 13 Rthlr. Zweiten Bandes erfte Lieferung, 2O Bogen, 1 fl. 21 Tr. oder I Mthlr,

Das vorliegende Merk bat ben Zweck, in mäßigem Umfang eine Dar: ſtelung ber Wellgeſchichte für ſolche Lefer zu liefern, melde vom Stanbpuntte ver hriftlliben eltanfhbauung aus u einer tieferen, aufammenbin: genden Kenntnif 14 gelangen münfden.

„Neben ber Meiſterſchaft über ben umfangreihen Stoff und feiner Ver: „drautheit nicht mur mit den alten ſondern auch mit ben neue: „Ren Forſchungen und Ergebniffen jtebt dem Verfaſſer auch ein Ädht Pünfkle: „EN Zalent ber Kudwahl, Anorbnung und @eftaltung bes Stoffs zu Gebot. „Gelne durchaus edle, gebildete Darftelungsmweife gibt durch ihre Einfadhheit „und Naturlichkelt dem Leſer ben Eindruck, ald wenn bie Sachen von Haus „auß Bar baldigen und fo unb nicht anders fein fönnten....... Werbaber ut Me ——— eine reichhaltjgere Schrift wüuſcht, als bie ewoͤhnlichen hrbücher fein konnen, dem müßten wir keine beffere anzura— „then, al& bie vorliegenbe u. f. wm.’ Kus einer Recenfion,

Wichtiges theologiſches Werk.

Bei Orell, Füssli und Comp. in Zürich ist so eben erschienen und durch slle Buchhandlungen zu beziehen :

Die Glaubenslehre

der

evangelisch-reformirten Kirche, daygestellt und aus den Quellen belegt von Dr. Alexander Schweizer

Zweiter Band, zweite Abtheilung, Das nun vollatändige Werk kostef geh. 7 Rthlr. 15 Ngr. oder 11 fl. 15 kr. rhein.

Eipe Dogmatik der reformirten Ganfession ist seit 100 Jah- ren nicht erschieuen, eine aus den Qnellen belegte gibt es noch gar nicht ia der theologischen Literater. Diese Lücke auszufüllen und die bedeutenden Schätze des reformirten Systems wieder zugänglich und verständlich für unsere Zeit zu machen, ist die Aufgabe dieses für Theologen und Stadiroade wichtigen Werkes.

» von X. ber Weed in N wien ÜB erfenen und In’oden Bucandlungen ju haben:

Sammfung fombolifäer Bäder der reformirten Kirche , beraudgegeben von Meß, Kirchenrath und erner. Pfarrer in Neuwied. Des dritten ober legten Bandes deine oder Schluß⸗Lieferung. geh. Preis > SE vr

tr. rhein

Diefe ‚Lieferung enthält:

Das Niederländiihe ———— Die Polniſchen Glaubensbekenntniſſe. Die Ungariſche Confeſſion. Außerdem einen nbang, welcher die Gorref ponbenz der evangeliſchen Städte in der Schweiz mit Dr. Lutber in Betreff der Wittenberger Concordia (Union) enthält.

Der 1e Band, die helvetifchen onl. neuen enthaltend , koſtet

DM Sgr. = 1 FL 12 &r. rh.

Der 2e Band, die ae SonieN ionen ailbaltend, koſtet

0 Sgr. = 2 Fl. 24 Kr. rh.

Des In Bandes 1e Eng enthält die Bekenntniſſe der engl. u. fchottifhen Kirchen à 10 Sgr. 36 Kr.

Des In Bandes ?e Lieferung enthält das Glaubensbekennt⸗ niß-der franzoͤſiſchen Kieche und den Teen ie en (Galvin’s) Katehismus Sgr. 3 Kr.

Das ganze Werk zuſammen genommen wird für 25 Thlr.

oder 43 Fl. abgegeben.

Ya der Riegel’fihen Buchhandlung (Heint und Stein) in .. de a am if fo eben erfchienen und durch alle Buchhandlungen su be; :

Thomas Arnold.

Aus feinen Briefen und aus Nachrichten feiner Freunde genen rei nach dem Engliſchen des A. P. Stanley, A. vonKarl Heintz, Hülfsprediger bei der Domlirde zu Berlin. (255 Bog.) ar. 8°. geb. 14 Thlr.

Das Bud gibt eine treue Darftellung von bem Leben eines Mannes , befien vielfache und bedeutende Leiftungen im Gebiete der Abeologie, und Geſchichte nicht bloß unter feinen Landé⸗ leuten, fondern felbfk unter den Deutichen die größte Aufmerffamteit erregten. Wenn überhaupt Biographien großer Männer geeignet find, zur NRacheiferung Anderer zu wirken, fo bürfte bie vorliegende befon-

bers dazu befiimmt fein, welche Herr Profeſſor Dr. Reanber in einer befonderen Broſchuͤre über bas Originalwerk „The life of Thomas Arnold by Stanley” jungen Theologen vorzugswelfe als ein in dieſer Beziehung hoͤchſt anregendes Werl empfiehlt. Die DOriginalsXusgabe dieles Buches wurde in Sngland mit fo großem Intereſſe entgegen genommen, daß in einem Zeitraum von zwei Jah⸗ zen bereits die Gte Auflage nöthig wurde. Da nun ber Herr LUebers feger bei der Bearbeitung namentlich bie deutſchen Verhältniffe be» südfidhtigt , fowie auch vieles Neue hinzugefügt hat (wozu ihm ein längerer Aufenthalt in England, fowie nähere Verbindungen mit Freunben und Schülern Arnold’s Gelegenheit gaben), fo glauben wir, zur Smpfehlung biefes Buches kaum noch binzufügen zu braus chen, baß zugleich audy der Preis ein bebeutenb ermäßigter ift, in⸗ * Er an den ſechſten Theil beträgt von dem Preife der englifchen usgabe.

Im Berlage von A. D. Geisler in Bremen tft erſchienen und in allen namhaften Buchhandlungen Deutſchlands vorräthig : Nagel, W. (teformirter Prediger zu St. Remberti_ in

Bremen), Erbauungsftunden. Zufammenflelung von Pres digten. gr. 8. geb. Thlr. Die beſte giebt wohl der Ruf des Verfaſſers und ber reihe Inhalt des Werkes, als: Die Predigt. Die Waffen⸗ räftung. Das neue Teftament. Die driftl. Gemeinde. Die Bernunft. Die Erlöfung. Die Berföhnung. Die Rechtfer⸗ tigung aus dem Blauben. Die Gnade Gottes in Shrifte. Der Ruhm der chriſtl. Gemeinde. Der Gruß des Paulus. Der Kern der Religion Jeſu. Der Friebe Gottes. Das Leiden ber Zugend. Web Geiftes Kinder? Eliaͤ oder Jeſu? Das Maaß der Lebensforge. Das Bater Unfer. Gprüde der WBergprebigt. Der Gottesdienft. Das Abendmahl. Weihnachten. Die Paffion. Der Weg zum Siege. Die Verläugnung des Petrus, unfere eigene Gerichte. Das Bild der Welt. Was wir hofs fen. Der Grund der Gemeinde. Der innere Menſch.

So eben erſchien in unferm Verlage:

Sünf Bücher Der Pſalmen. Auslegung und Verdeutſchung

von Br. Eäfar vou Lengerke. gr. 8°. 2 Bände. (51 Bogen.) Preis: Thlr. 3. 6 Ser. Königsberg, November 1846. | Verlagsbuchhandlung der Gebr. Bornträger.

Theol. Sud. Jahre. 1847. 8%

Am Berlageder Deder’ ſchen Geheimen Ober⸗Hofbuchdruckerel be ie ift fo eben erfchienen und in allen Buchhandlungen zu aben :

Berhbandlungen der evangel. General⸗Eynode zu Berlin 1846. Nebſt den Commifjions - Gutachten und vor⸗ bereitenden Denkſchriften.

(Amtlicher. Abdruck.) - 95 Bogen in body Royal Ato Format, im Umfchlag brofchirt. B ö 3 Thir. 2 ©gr. Fruͤher erfchien in demfelben Verlage:

Protokolle der im Jahre 1844 in den oͤſtlichen Provinzen der Preußifchen Monarchie abgebaltenen Provinzial Spnoden nebft den dazu gehörigen Beilagen. (Amts liher Abdrud.) 2 Hefte, 3 Zhlr. 10 Ser.

In der Kößling’fhen Buchhandlung in Leipzig

. ift fo eben erſchienen und in allen Buchhandlungen vorräthig:

Dietzſch, C. F. v., Dekan und GStiftöprediger in Deh⸗ ringen, PredigtsSfizzen. Ir, 3 Band. ?te ver beiferte Auflage. Ieder Band 2 Athlr.

Mit diefen eben in 2ter Auflage erſchienenen Bänden iſt dieſes Werk, beftehend in 6 Bänden, beren jeder einzeln abgegeben wird, wieder vollftändig zu haben.

Der Name bes würdigen Herrn ale ſpricht für ben Werth des Werkes felbfi, und wir find demnach jeder weitern An preifung überhoben.

Im Verlage von Joh. Aug. Meifsner in Hambarg er schien so eben:

Novum Testamentum graece, ad fidem codicis principis Vaticani edidt Kdnardus de Muralto. Editio minar. Gr. 16. Geb. 1 Thlr.

Dieser Text-Ausgabe folgt zu Ostern 1847 ein Commentar, zu dessen Bearbeitung dem Herrn Verfusser, kaiserl. Bibliothekar in St. Petersburg, die noch wenig benutzten und reiche Ausbeate gewährenden Schätze der Bibliotheken des russischen Reichs su Gebote standen.

Hamburg, im October 1846.

Im Verlag von ©, ©. in Stuttgart b erſchienen und m allen gart iſt ſo eben

Entwicklungsgelchichte | Der Zehre von der Perfon Chriſti

von den Klteften Zeiten bis auf die nenefte Dargeftellt von

Dr. J. A. Dorner. Zweite, ſtark vermehrte Xuflage in zwei Sheilen.

Erfter Theil Die Schre von der Perſon Chritti in den selten vier Jahrhunderten. 1129 unb XXX Seiten. gr. 8, Druck⸗Velinpapier. Preis biefes erſten Aheils in 8 Abtheilungen 54 Thlr. fl. 9. 24 Er, rhein.

Es wird wohl nur der vorftehenden einfachen Anzeige bedürfen, um auch der, lange erwarteten, zweiten Auflage eines jo bedeuten» den und anerkannten Werkes, in weldem die Fruͤchte einer tiefen und gewiffenhaften Forſchung über das wichtigfte Dogma niederge⸗ legt find, eine ungewoͤhnlich günftige Aufnahme zu fihern; die Ver: lagshandiumg hat nur noch zu bemerken, daß für die Käufer der en Auflage (1889), in weldyer die vier erfien Jahrhunderte nur kurz behandelt werden Eonnten, ber oben angekündigte Theil, mit einem befondern Zitel verfehen , aud) einzeln abgegeben wird,

In allen Buchhandlungen iſt zu Haben: Vom Leben und Wirken, von der Gefangennehmung, Verurtheilung und Verbrennung des Maͤrtyrers

Johannes Gufs. Eine aus Urkunden entnommene Darftellung.

(Auszug aus „,Iohaunes Huf,” vom Verfaffer des Armin.) Preis: 21 fr. = 6 Nor,

87 *

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Schriftgemäße Prebigtentwäürfe über Texte eines vollftändigen Kirchenjahres, Bearbeitet von drei befreundeten Geiftlichen, berauigegeben von Mobert Florey. Siebentes Baͤnd⸗ chen. 8. broch. 4 Zblr.

Die fo günftige Aufnahme ber bereits nad) zwei Jahren ihres

Erſcheinens in zweiter Auflage herausgegebenen erften ſechs Bändchen ber „Schriftgemäßen Prebigtentwürfe” veranlaßte den im Fache ber homiletiſchen Biteratur rühmlich befannten Berfaffer zur Bearbeitung von Entwürfen zu Prediaten in ber Abvents⸗ und Baftenzeit, on Buß: und Wochentagen. Es bilden demnach biefe „„Dirtenftimmen” ein Ganzes für fi, augleih aber auch den fiebenten Theil ber „Sihriftgemäßen Prebigtentwürfe”, unb es fol zur Wervolftändigung bes ganzen Werkchens nächſtes Jahr noch ein Bändchen Entwürfe zu Neujabre:, Erntefeft-, Kirchweihfeſt-⸗, Sylveſter⸗ und Schulpre⸗ digten erjdjeinen, mit welchem das Ganze geſchloſſen iſt. Ale die, welche bisher diefe Arbeiten recht zu würdigen und au benugen mußten, werden aud) in diefem Bändchen geiftige Anregung und Bes dantenfülle, verbunden mit Iebendigem Schriftglauben, finden und baffelbe nicht ohne Genuß aus ber Hand legen.

Bei ©. D. Bädeker in Eſſen iſt neu erfchienen und in allen Buchhandlungen gu haben:

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Von Karl Jürgens. Zweiter Band, Gr. 8 Geh. 2Thlr. 15 Ngr.

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Profefloren an der Univerfität zu Heidelberg.

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Hamburg,

bei Friedrich PYerthes, . 1847.

Theologiſche Studien und Kritiken.

Eine Zeitſchrift für das geſammte Gebiet der Theologie, in Verbindung mit D. Gieſeler, D. Luͤcke und D. Nitzſch,

herausgegeben

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D. ©. ullmann und D. F. W. ©. Umbreit,

Profeſſoren an der Univerfität zu Heidelberg.

Sahrgang 1847 drittes Heft. g

Hamburg, bei Friebrich Perthes. 1847.

v 02

..

Abhandlungen

Theol. Stud, Jahre, 1847, 38

—XR

1.

Zufäße zu meinen allgemeinen Betrachtungen über den Begriff und den Verlauf der chriftlichen Philoſophie.

"Bon HH Ritter.

(In Beziehung auf Prof, v. Baur’s Abhandl.: der Be⸗ griff der, chriftlihen Philofophie und die Hauptmomente ihrer Entwidelung mit Rückſicht auf Ritter’d Geſchichte der chriftlichen Philoſophie. 3, Artikel in Zeller’s theol. Jahrb. 1846. 1. n. 2. Heft.)

Die in der Ueberfchrift genannten allgemeinen Be: trachtungen haben vor 13 Jahren in diefer Zeitfchriftihre - Stelle gefunden. Sie wird auch wohl einigen Zufägen die Anfnahme nicht verfügen, welche mir nöthig fcheinen, nachdem andere Gelehrte gegen meine Auffaflung ber Sache Bedenken geäußert haben. Zuleut und am ausführ- lichſten ift die von Baur gefchehen,, deſſen Einwärfe ich _ daber auch ausdrücklich berüdfichtigen werbe.

I. Begriff der chriſtlichen Philofopbie.

Er vereinigt zwei Begriffe in fich, welche zu ben

ſchwierigſten gehören, den Begriff der Philofophie und

den Begriff des Chriftlihen. Es wäürbe mich nicht fehr

wundern, wenn gegen meine Ausſaͤgen über biefelben +

398 . der

Mandyed mit Grund fi einwenden ließe; beun, um eb furz zu fagen, der Wit aller Philofophen und aller Theolo⸗ gen hat ſich bis jet vergebens bemüht, fowie den einen, fo den andern zu erfchöpfen. Dieß fol uns num nicht davon abhalten, nach genauer Bellimmung berfelben zu fireben, und ich wurde es daher auch fehr gern annehmen, wenn und Baur einige gute Weifungen über fie geben Fönnte. Aber leider muß id von vorn herein geſtehen, baß feine Aenßerungen mir nicht einmal die Schwierig: feiten der Sache richtig zu würdigen fcheinen.

1. Den Begriff der Philofophie berührt er ausdrück⸗ lich gar nicht, Er fcheine zu meinen, daß, nachdem Hegel fein Syſtem der Philoſophie eutworfen habe, über ihn kein Zweifel feyn könnte. Sollte er von biefer Bor: audfegung ausgehen, fo hätte er fie nur ausſprechen folen, und ein Seder würde gewußt haben, daß es meiner Geſchichte der chriftlichen Philofophie, welche nach diefem Mapftabe nicht zugefchnitten if, wur übel ergehen könne, wenn fie nach ihm gerecht und befchnitten wer: den fol,

Nur einen Punkte im Begriffe der Philoſophie findet er doch nöthig näher zu beftimmen, nämlid, den Unter⸗ fhied zwiſchen Philofophie nnd Dogma Er hat von jeher mandherlei Schwierigkeiten für die Geſchichte der Philoſophie, befonderd aber der chriftlichen Philoſophie gemadt. Baur wirft mir im dieſer Beziehung vor, was id auch von anderer Geite nicht felten habe hören müſ⸗ fen, daß ih Gefchichte der Philofophie und Dogmenge: fchichte entweder gar nicht, ober doch nicht genug zu unterfheiben gewußt hätte, Um fich felbft von diefem Schler frei zu halten, geht er daranf aus, Dogma und Philoſophie und die Geſchichte beider begriffämäßig zu fondern,

Dad uun gurrfi die Borwärfe, welche mir hierüber gemacht werben find, im Allgemeinen betrifft, ſo muß

üb, d. Begriff w. d. Verlauf der chriſtl. Philofophie. 559

ih beienuen, daß fie von der einen Seite ſchwer abzu⸗ lehnen find, von der anderen Seite aber nur anf einer fehr naiven Boraudfeßung zu beruhen fcheinen.

Was dad Erſte betrifft, fo habe ich die Befchichte der Philofophie immer als einen Theil der Geſchichte der Wiffenfchaften und wefentlicd, auch der Litteratur bes handelt. Wie eng aber Wilfenfchaften umd Literatur mit Meinungen zufammenhängen und Dogmen, welche nicht wiflenfchaftliche Lehrfäge find, alfo auch bie reli- giöſen Dogmen, find Meinungen weiß ein Jeder. Daher habe ich auch vermeiden weber können noch wollen, die philefophifche Entwidelung mit den Dogmen, fey es ber alten, fey es der neuen Welt, in ihrer natürlichen Ber- bindung barzuftellen, nub mein Bemühen ift nur darauf gegangen, jene aus dieſen gleichſam beramszufchälen. Daß mir dieß immer gelungen wäre, daß ich nicht zus weilen ein Dogma für ein Philoſophem und ein Philo⸗ fophem für ein Dogma gehalten hätte, das möchte ich wohl von mir rühmen, aber, wie tollfühn ich auch wäre, ih vermag ed nicht. Ich denke, wir begnügen und das mit, unfer Moͤglichſtes zu thun und übrigens die Philo⸗ fophie in ihrer Berbindung mit dem Dogma zu zeigen, wie man benm auch nicht vermeiden fan, in die Staa⸗ tengefchichte die Geſchichte ber Kirche und umgekehrt zu verflechten.

Wie ſteht ed denn aber in biefer Beziehung mit der - Gefchichte der Dogmen? Gewiß ift es von ihrer Seite nicht eben leichter, die Örenzen zu bewahren, und eben daranf beruht die naive Vorausſetzung, Über welde ich zuweilen bei den erwähnten Vorwürfen zu lächeln mid) nicht habe enthalten können. Denn follte ihnen nicht die Vorſtellung zum Grunde liegen, daß bie theologiſche Wiffenfchaft, welche man Dogmengefchichte neunt, wiſ⸗ fenfchaftlih gauz feſt ſtaͤnde und ihre ficheen Grenzen hätte, bie Geſchichte des Philofophie aber nit? up

560 Ritter

ja, wir kennen ja wohl die vielen Lehr, unb Handbücher und die dogmengefchichtlihen Werke, in welchen ber fihere Beſtand diefer Wiſſenſchaft feit Jahren anerkannt worden ift, fo daß es mnter den Theologen für eine Ketzerei gelten würde, wenn man biefe Beftalt der Ger fchichte bezweifeln ‚wollte, und fo begierig bin ich nicht nad) ketzeriſchem Beruche, daß ich unternehmen möchte, dad gute Recht der Theologen, fie von anderen theologi- fhen Wilfenfchaften abzufoudern, zu beflreiten. Aber bie, welche anf die althergebradte Eintheilung der theologifchen Wiſſenſchaften gar zum ſicher ſich verlaflen, am über meine Neuerung, welche unter den Dogmatifern auch eine Philoſophie fucht, kurzweg den Stab zu bres hen, mögen mir nur erlauben zu fragen, ob wohl die religiöfen Meinungen oder Blaubendichren, welche man mit dem Namen der Dogmen vorzugsweiſe bezeichnet, von den philofophifchen Erkenntniffen, die unflreitig eine nahe Berwandtfchaft mit ihuen haben, immer fiher nnd ohne Kehl abzufcheiden feyn möchten. Haben fie nie mals von der Meinung gehört, daß alled Wahre im der hriftlichen Dogmatik nur eine verfappte Philoſophie fey? Richt einmal dad Recht des Altbergebrachten werden fie für fih in Anfpench nehmen können; denn die, welche wir jetzt Dogmatifer zu nennen pflegen, fie haben fih . wohl eben fo oft Philoſophen ald Theologen genannt.

Freilich wäre bie Unterfcheidung, welche wir ſchwer finden, für den Theil der Dogmengefhichte und der Ge fchichte der Philofophie, welcher hier befonders In Frage fommt, für die Befchichte der Kirchenväter uud des Mit: telalterd, nicht zu verfehlen, wenn bie Recht hätten, welche behaupter haben, es gebe in dieſen Zeitränmen gar keine Philofophie, fondern nur religiäfe Dreinungen, und ihnen ſtimmen auch einige, ich fage nicht alle, Aen⸗ Bernsigen Baur’ bei. Go wie Viele, welche den Geiſt der Scholaſtiker nicht zu begreifen vermocht haben, Magt

üb. d. Begriff u. d. Verlauf der chriſtl. Philofophie. 561

er über ihren geiftlofen Formalismus, welchen er als dem äußerten Brad_geifliger Knechtſchaft anfieht (S. 59.3; feitdem die griechifche Philoſophie aufgehört, meint er, habe die Productioität der Philofophie auf viele Jahr» hunderte der Gefchichte Leinen weitern Stoff geliefert, und der Strom ded immanenten, felbfländigen Denfene feine fich viele Jahrhunderte lang wie in eine bürre Sandwäfte verloren zu haben, bi gu ben Zeiten des Sartefind (S. 62.); erft zu diefen Zeiten fey die Philos fophie wieder in die ſelbſtändige Bahn ihrer Geſchichte eingetreten (S. 61.), ja, es fey nun erft ihre Aufgabe geworden, zur wahren chriftlichen Philoſophie zu wer, der (S. 64). Wenn wir diefen letzten Satz wörtlich deuten, wie wir nicht anders dürfen, fo würden wir fhliegen müſſen, Baur nehme an, bie auf Carteſius, oder, wie er fih auch ausdrüädt, wenn man wolle, bie zur Wiederherſtellung der Wiffenfchaften (©. 59.) fey feine wahre chriftliche Philofophie gewefen, und die vors bergehenden Sätze laffen nicht daran zweifeln, daß er auch feine unchriſtliche Philoſophie in diefen Zeiten ans uehme, mit. Ausnahme etwa der arabifchen, welche er ald eine bloße Nachwirkung und Nachbildung ber grier hifchen zu betrachten geneigt iſt (S. 53.)." Genug, nach biefen Aeußerungen ift ed faum zu bezweifeln, daß er in den Schriften der Kirchenväter und der Scholaftifer nur religisſe Meiungen, aber keine Philoſopheme finder. Andere feiner Aeußerungen fcheinen dagegen barauf hin» andzulaufen, daß jene Zeiten nur eine verfappte Philos fophie getrieben hätten, wie wenn er behauptet, bie Ge⸗ Ihichte der chriftlichen Philoſophie hätte daffelbe Gebiet, wie die Geſchichte der chriftlichen Theologie; beide hätten es mit demfelben Begenftande zu thun (©. 48. 64.). Aber eben dieß ift es, was ich befireiten muß. Nicht allein, weil ich in vielen Theologen nichts Merktwürbiges für die Geſchichte der Philofophie zu finden weiß, wie

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wir benn Baur eine Reihe foldher Männer vorgerechnet hat, welche von mir Üübergangen worden wären, obgleich fie in Seiner Geſchichte der chriſtlichen Dogmen fehlen dürften (S. 49.), fondern noch bei weiten mehr, weil ih ed, aufrichtig gefagt, faft unbegreiflich finde, wie Mäuner, welche die patriftifche und fcholaftifche Littera⸗ tur keunen uud zu ihnen gehört Baur, wenn aud nicht alle meine Gegner in diefem Punkte nur baran zweifeln können, daß in den Kirchenvätern und Scholar ftilern Dogmen und Philofopheme mit einander gemifcht and von uns zu unterfcheiben find. Sollte es vielleicht boch bewegen ſeyn, weil fie ihr Augenmer! von vorn berein auf bie theologifch wichtigen Sätze geſpaunt ha ben nnd darüber bie philsfophifc wichtigen Lehren über; fehen? Sollte es fogar gefchehen, daß fie, was bei dem großen Umfange diefer Litteratur fehr verzeihlich wäre, nur bie theologifch wichtigen Schriften Iefen, die philo⸗ fopbifch wichtigen aber nicht? Sonſt würde man dod wohl faum zu verfenuen im Stande feyn, daß z. B. die fruheſten Schriften des Auguſtinns faſt rein philofophifc find uud keineswegs nur erborgte Philoſopheme ausfüh⸗ ren. So iſt es auch mit auderen Schriften der patriſti⸗ ſchen Litteratur. Nun aber gar der ſcholaſtiſchen! Bon Baur habe ich in meiner Geſchichte der Philoſophie bes merken mäAflen, daß er auffallenderweife die Schrift des Gilbertus Porretauus de trinitate nicht zu kennen fcheine, Eben fie if faft ganz philofopbifh. Baur wundert fih auch, daß ich in meiner Auseinanderfegung der Lehre des Athanaſius mich „uicht einmal an bie das Trinitätd- dogma betreffenden Haupifchriften” deſſelben, fonbern „eigentlich nur” an bie beiden sufammengehörenden Bü⸗ cher contra gentes uud de incarnatione verbi gehalten habe. Wie Tönnte er fich darüber wundern, wenn er dieſe Schriften mit jenen reiflich verglichen hätte? Die letzte⸗ sen Schriften enthalten das philoſophiſche Syſtem des

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Athanaflus, wie lädenhaft ed auch feyn mochte; die er» teren find Hauptidhriften nur für die Theologie, nur vom theolsgifchen Standpunkte genommen. Es thut mir leid, ſolche Dinge bier berühren gu müflen; aber bei der befannten theologifchen Gelehrſamkeit meines Gegners, welche Audere für feine hiſtoriſchen Behauptungen leicht einnehmen könnte, muß ich ed wohl fagen, daß biefe und andere Proben derfelben Art mir einen Zweifel ers regt haben, ob er nicht auch, gleich vielen Anderen, in feinen Studien über Kirchenväter und Scholaftifer auf den gewöhnlichen Wegen theologifcher Leberlieferung gar zu unbeforgt einhergegangen feyn möchte, wobei es ihm denn freilich leicht begegnen konute, in ber Litteratur der Dogmatil nur auf den Heinften Theil ihrer Philoſophie zu floßen.

Doc; das möge. dahin geftellt feyn. Betrachten wir die Sache von einem allgemeiuneren Standpunkte. Meis nungen und Philoſophie pflegen viele gemeinfchaftliche Berührungspuntte zu haben; denn gewöhnlich geht die Wiſſenſchaft, ehe fie zur Reife gedeiht, durch die Stufe der Meinung hindurch, und nicht ganz mit Unrecht hat man gefagt, die Philofophie hätte die Aufgabe, bad, was in der allgemeinen Meinung ber Zeit liege, zum wiflenfchaftlichen Bewußtfeyn feiner Gründe zu erheben, Aber dennoch beden ſich die Gebiete der Meinungen und ber Philofophie nicht vöhig. Vielmehr die Meinung zus exit geht immer über die Wiffeufchaft hinaus, indem fie Manches ale richtig ahndet, was bie Wiffenfhaft noch nicht zu ergreifen vermag, Alsdann aber eignet auch bie Wiſſenſchaft Mandjes in ihren Erfindungen ſich an, was die Meinung weunigſtens in ihrer allgemein verbreiteten Geſtalt aufzunehmen nicht im Stande ik. Wenn wir num eine Gefchichte der religiöfen Meinungen eines Bols kes oder einer Zeit unternehmen, fo werben wir unftreis tig wicht Alles einzumilchen haben, was von ben wiſſen⸗

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fchaftlich @ebildeten in diefer Zeit oder dieſem Volke ger dacht worden if, fondern nur das iſt Gegenſtaud ber Dogmengefchicdhte, was in der allgemeinen Meinung wirt, fan geworden ifl. Bon diefer Regel it man in der Bes handlung ber chrifllihen Dogmengeſchichte gewöhnlich ausgegangen nnd wir werden feinen Grund haben, von {he abzuweichen, Daher find denn auch in den Zeiten der Kirchenväter und der Scholaftifer die Gefchichte der Dogmen und die Befchichte der Wiffenfchaften, beſonders aber der Philofophie von einander zu trennen, wenn anders in biefen Zeiten es wirklich eine Philofophie ge⸗ geben hat, welche die allgemeinen Meinungen der Kirche zu fichten und zu fichern unternehmen burfte. Hierzu habe ich in meiner Gefchichte der chriſtlichen Philofopbie zahlreiche Belege gegeben, welche namentli von Baur zu wenig gewürdigt worden find. Nur einige derfelben will ich anführen, da, Alles zu erfhöpfen, hier nicht Ranım fegn würde. Sollten wohl die Beweife für das Dafepn Gottes, welche Kirchenväter und Scholaftifer unabhängig vom Glauben und der Schrift geführt haben, der Dog. mengefchichte oder ber Befchichte der Philoſophie ange, hören ? Der ontologifche Beweis z. B., von Angufin ange: deutet, von Anfelm ausgeführt, wird in der Geſchichte ber Philoſophie, fo wie ihn Carteſius gebrancht, nicht zu Üdergeben feyn; warum follte er bei Kirchenvätern und Scholaſtikern nicht feine philofophifche Natur behanpten? Das cogito, ergo sum wird gewöhnlich in der Geſchichte der Philofophie, fo wie ed Carteſlus aufſtellt, als epoche⸗ machend angeführt; ich habe nachgewiefen, daß es ſchon Auguftin dem Zweifel entgegeniftellte und daß es feitdem nicht in Bergeffenheit gerathen if. Was haben bie Strei⸗ tigfeiten über die Trüglichfeit der Sinne, über bie Grenzen oder- die Unbefchränftheit des Verſtandes, über die Stufen, auf weldhen man fi zur Anfchauung Got» tes, d. h. zur Erkenntniß der Wahrheit erhebt, über bie

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Kräfte der Seele, über das Verhäliniß zwiſchen Vers hand und Willen, Fragen, welche in fehr fcharffinnigen Theorien von Kirchenvätern und Scholaftifern erörtert warden, mit der allgemeinen Meinung zu thun? Ober gehört vieleicht die Lehre von der Erziehung der Menſch⸗ beit, welche viele Neuere für eine Erfindung Leſſing's angefehen haben, in ihrer genaueren Ausführung, fie, in - weicher die erſten Verſuche zu einer Philofophie der Ge, (dichte gemacht worden find, der Dogmengefchicdte an? Gewiß die, welche mir vorwerfen, die Grenzen der Ges fhichte der Philofophie nicht bewahrt: zu haben, fie würs den noch weniger die Grenzen der Dogmengefchichte innes halten, wenn fie diefe Unterſuchungen ihr einverleiben woll⸗ ten. Ich darf doch wohl nicht daran erinnern, daß noch ein Unterfchied zwifchen Dogmengeichidte und zwifchen Geſchichte der Dogmatik ift, und daß diefe vwiel tiefer in die Gefchichte der Philofophie eingreifen muß, ale jene.

Aur einen Vorwand fehe ich, welchen meine Gegner gebrauchen könnten, wenn fie fo viele Lehren, die offen» bar philofophifches Charakters find, nicht der Geſchichte der Philofophie, fondern der Dogmengefchichte zueignen wollen, nämlich das abgenugte Gerede, daß die Philos lophie der Kirchenväter und Scholaftiter nur im ber Sclaverei des Kirchenglaubens und alfo nicht wahre Philofophie, d. h. freies Denken gewefen fey. Wird dies ſes Borurtheil gegen die Haren Thatfachen fich immer noch behaupten Tonnen? Auch Baur benußt es für feine Zwede und fucht mir fogar Widerfprüche nachzuweiſen, in welche ich gezathen wäre, weil ich jene Selaveret nicht hätte zugeben wollen. Ich mag die einzelnen Säge, welche zuir hierbei vorgerüdt werden, nicht ned; einmal durchſprechen. Möglich, daß ich jenem Vorurtheile zus weilen gu lebhaft widerfnroden habe. Um Borurtheile in fällen, braucht man derbe Schläge, Aber es kommt nicht auf einzelne Worte, fondern anf ihren Sinn im

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Zufammenhange an, Den werde ich auch jetzt noch ver treten koͤnnen. Keine Philofophie iſt ganz mabhängig von der Meinung. Man muß aber eine boppelte Abs hängigleit derſelben unterfcheiben. Die eine läßt fi von Jerthümern der Meinung fangen und darans lönmen zur Beſchraͤnktheiten, Einfeitigleiten der Philoſophie hervors gehen, weil Irrthümer dad Denten unfrei machen. Die andere dient der Philofophie zur Anleitung, zu der Bor- Rbung, ohne welche die Bernunft nicht zu ihrer Reife gelangen faun; fie macht den Philofophen nicht unfrei, fondern gibt ihm nur feine natürliche Richtung auf das Wahre und fpannt feine Aufmerkſamkeit auf die Erfin- dungen , weiche die Meinnng in voraus ahnden läßt; mit ihr iſt daher freied Denken und wahre Philoſophie vereinbar. Durch Die Erregung meiner Anfmerkſamkeit werde ich der Freiheit meines Denkens wicht beranbt,

eben fo wenig, als ich dadurch aufhöre, philoſophiſch zu denken, daß id einen guten Lchrer hatte, der mir die rechten Wege oder auch nur das rechte Ziel wies, Die erſte Art der Abhängigkeit hat der Philofophie der erſten chrifllichen Jahrhnuderte nicht gefehlt; daher iſt fie auch in vielen Stüden von Borurtheilen befangen gewefen; baß aber auch bie andere ihr zur Seite geflans den habe, davon geben die oben erwähnten Lehren ein Zeugniß, wenn wicht alle, fo doch einige, weiche fie weder ans der griechiichen Philofophie, noch aus dem allgemeis nen religiöfen Meinungen des chriktlichen Glanbens ent» nehmen Tonnte.

Doh Baur ſelbſt theilt bie gewöhnliche Meinung sicht, daß den erſten chriſtlichen Jahrhunderten alle Phi⸗ Iofophie gefehlt habe. Wiewohl es in Widerſpruch mit feiner oben vernommenen Aenßerung, daß erſt nach Wie⸗ derberftelung ber Wilfeufchaften die wahre chriftfiche Philoſophie beginne, zu fliehen ſcheint, nimmt er doch eine chriftliche Philoſophie andy in der Zeit der Kirchen-

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väter und der Scholaftiter an, follte ed auch eine falfche ſeyn. Rur fehe verborgen muß fie ihm zu liegen fcheir nen, denn nur durch eine Kolgerung verwidelter Art weiß er fie heranszubringen. Er befennt, was gewiß fehr zu billigen ift, daB durch das Chriſtenthum bie Dentweife der Menfchen im Allgemeinen nmgeändert wurde, und daß auch die Philofophie von ihm ergriffen werden mußte (S. 43.); nun finde fih aber vor der chriſtlichen Offenbarung fchon eine Philofophie und in der neueren Zeit wieder eine Philofophiez dieſe beiden Perioden ihrer Geſchichte könnten nicht Durch einen Ice ren Zwifchenraum unterbrochen feyn; nachdem einmal die Philofophie fich ergeben habe, könne fie dem Geifte nicht wieder verloren gehen; baher hätten wir auch iu den Zeiten bed Mittelalterd eine Philofophie anzuneh⸗ men, wenn gleich eine folche, welche fich felbft entäußert und in Religion verloren habe; die Philofophie fey da Religionsphilofophie geworden (S. 62.).

Man wird nicht verkennen, daß biefe Anficht von der Gefchichte der Philofophie dem hegel’fchen Schema entfpricht. Die Philofophie in ihrer Gefchichte muß den⸗ felben Gang gehen, weldyen dad Syſtem und der Geift ' durchzumachen haben. Nachdem fie aus ihrer abftracten Allgemeinheit herandgetreten, muß fie fich befondern oder entänßern und zulegt zu fich felbft in ihrer concreten Allgemeinheit zurückkommen.

Sehr fhwer würden biefe Analogien aa; zu begreis fen feyn. Wenn fie nur wahrer wären. Aber mit ihrer Anwendung flodt es überall, und wenn man mit Ges walt fie durchfeßen will, fommt man zu den unnatürlidy- ten Berrentungen. Baur’ Conftruction der chriftlichen Philofophie gibt davon ein nicht verächtliches Beiſpiel. Afo indem „der Geift fich feiner ſelbſt entäußert,” ges langt er in bie Periode der Religionsphilofophie. Baur führt dieß Thema noch recht erbanlich a indem er

Theol, Stud, Jahrg, 1847.

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bemerkt, wie der Geil in feiner Knechtsgeſtalt erſtarke, in Demuth und Zucht bed Glaubens feine Kräfte euer: gifcher fammile, um alsdann feine Bande, die er ſich ſelbſt angelegt, zerbrechen zu können (S. 62 f.). Das mögen recht fhöne Worte feyn, aber mit der hegel’fchen Philo⸗ fophie ſtiumen fie nicht; denn fie belehrt nnd, baß die Entäußerung des Geiſtes nicht die Religion, noch wenis ger bie Religionsphilofophie iR, fondern die Natur. Wenn der Geiſt zur Religion gelangt, iR er ſchon längſt wieber in fich gurücigefehrt ; wenn er feine Kräfte ge fammelt bat, ift er nicht mehr ander fi. Aber nun gar die Meligionsphilofephie, fie it doch mit der Re ligion nicht zu verwechſeln. Wer fie haben fol, muß die Logik, Phyfl und den größten Theil der Philos fophte des Geiſtes durchgemacht und fie nicht wieder vergeffen haben. Wie iR damit eine folche Knechtſchaft des GBeiftes zu vereinen, wie Baur fie im feiner patris ftifchen und fcholaflifhen Philoſophie annimmt? Ziehen wie auch ein wenig die Erfcheinungen jener Zeiten zu Nathe, fo werben wir wohl fagen mäflen, daß fie zu einer freien Entwickelung der Religionsphilofophie nichts weniger als reif waren. In der Metaphyſik, in ber Pſychologie bewegen fich ihre linterfuchungen; zwar haben fie ed auch mit der Religion zu thun, aber ſtecken viel gu tief in einer Form der chriſtlichen Religion, um ein | unparteiifches Urtheil Über das Allgemeine des CEhriſten⸗ thums, gefchweige anderer Formen ber Religion, zu ha ben. Im Abfchen gegen ben Götendienft konnten fie feine Bedeutung nicht würdigen. Bon der Religions: philofophie muß man aber doch wohl erwarten, daß fit in einer Form der Religion, und wenn ed and bie chriſtliche ſeyn ſollte, nicht völlig verfunten fey. Baur fcheint eine andere Anficht von der Religionsphilofophie zu haben, als Hegel nnd ich; wie es fcheint, verficht er umter diefem Ausbrude eine Philofophie, welche in Reli⸗

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sion fich verloren hat; aber fo gefaßt, hat feine Reli⸗ gionsphiloſophie mit dem, was biefen Namen verdient, nur noch den Namen gemein.

Gehen wir noch etwas genauer in Baur’s Annahme über das Berhältnig der Gefchichte ber Philoſophie zur Dogmengefchichte ein. Wir lefen darüber (6. 53.) Kolgenr des: „Sol fich der Begriff (der chriftlichen Philoſophie) in feiner felbftändigen Bebentung behanpten, fo muß zwar nicht ber quantitative Uuterfcyied- bed größern ober geringern Umfangs, aber der qualitatins bes Algemeis nen und Beſoudern gemacht werben. Die Philofophie hat ed mit dem Allgemeinen zu than als dem wefentlis hen Inhalte des Denkens; auch ihre ®efchichte muß da» her vor Allem diejenigen Momente hervorheben, in weils _ hen ber allgemeine Proceß des denkenden Geiftes fich entwidelt ; fle fragt wicht fowohl, was diefed oder jenes Individunum gedacht und gejagt, als wielmehe, wie in biefem oder jenem eine allgemeine Form des Bewnßtfeynd ihren Ausdruck gefunden Hat. Eben dieß mnß daher auch die Aufgabe der Geſchichte der chriftlichen Philofor phie ſeyn, ihr eigentliche Object koöͤnnen nur die allger meinen, Den zeitlichen Beräuderungen zum Grunde lie genden Denkbeſtimmungen ſeyn, während die Dogmen- gefchichte diefed Allgemeine zwar auch zu ihrem leitenden Geſichtspunkte machen muß, aber dabei noch bie beſon⸗ dere Aufgabe hat, den verfchiedenen Mobiftcationen des Dogma in ihrer fpeciellen gefchichtlichen Geſtaltung nadır -- ingehen.””

Bor allen Dingen müflen wir und verfidern, daß wir richtig gelefen haben. Freilich möchten ung einige Wendungen in den Unterfuchungen Baur’s irre machen, aber im Ganzen finden wir doch das hier Befchriebene beſtatigt. Baur will im den vorliegenden Abhanbluns gen die Geſchichte der chriſtlichen Philoſophie zur Leber, ht bringen; er I&ßt fich aber doch in viele Beſonder⸗

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heiten ein, welche er ber Dogmengefdjichte in den obigen Säben vorbehalten hat. Sogar über eine [ehr ſpecielle Stelle ded Gregor von Nyfin belehrt er mich, wofhr id ihm meinen Dank abflatte; über die angebliche Schrift des Abalarb de generibus et speciebus läßt er ſich herab Die Frage von Neuem als fraglich hinzuftellen, und man könnte ſolche Befonberheiten noch mehr anführen. Aber bierin iſt er wohl feiner Aufgabe nur nich ganz getren geblieben und, weil ex fhon lange als Dogmenhiſtoriker fi) bewährt hat, einmal wieder in feine alte Gewohnheit gefallen. Dieß werde ich ihm um fo weniger verargen, fe lieber ich ihm immer auf dem Felde befonberer Unter⸗ fucdhnngen begegnet bin und da Wanched von ihm ge lernt habe, je mehr er mir feinen eigenen Verdienſten zunahe zu treten fcheint, wenn er die befondern Unter⸗ ſuchungen auch über Individnen und individnelle Mei nungen mit Berachtung von fi weit (S. 49.). Dder ſollte er einige Befonderheiten ausuchmen, welche dod) der Geſchichte der Philofophie angehörten, während fie nur meiftend mit bem Allgemeinen zu thun hätte? Faſt möchte ed fa fcheinen, wenn wir feine oben audgefchriebenen Worte genauer erwägen. Wenn es da heißt, die Ge⸗ ſchichte der Philofophie müßte „vor Allem” diejenigen Mor mente hervorheben, in welchen ber allgemeine Proceß des denkenden Geiftes ſich entwidelt, fo dürfte man ver muthen, ed wäre die Meinung, daß fie doch wenigſtens nebenbei auch mit andern Momenten fidy befchäftigen dürfte, Wenn gefagt wird, bad „eigentliche? Object ber Geſchichte der chriftlihen Philoſophie Lönnten nur die allgemeinen Denkbeſtimmungen feyn, fo fcheint «6, als ſollten ihr zu ihrem nneigentlichen Objecte doch auch ber fondere Denkbeſtimmungen vorbehalten werben. Man könnte alfo vermuthen, in diefen ſchwankenden, unbeftimmten And drüden würden Hinterthliren offen gelaflen, ganz geeignet dazu, alle beliebige Befonderheiten , weldye man eben zur

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Hauptthür hinausgetrieben hatte, durch die Hinterthür in die Geſchichte ber Philofophie wieder hineinfchlüpfen zu laſſen.

- Doc alle diefe Zweifel über den Sinn der ange, führten Stelle verfchwinden gegen bie ſtarken Züge der Polemik, mit welcher Baur meine Weife, die Geſchichte der Philoſophie zu behandeln, angreift. Da ift nicht allein davon die Rede, daß ich über die vielen Einzelheiten ben Ueberblid verlöre (S. 72 f), und von dem Ungenü⸗ genden der Methode, die Gefchichte der Philofophie nur an ben einzelnen, der Reihe nach auftretenden Individuen darzufteflen, was nur zn unnäten Wiederholungen führe (S. 210.) , fondern Baur fcheut ſich fogar nicht, im heis ligen Eifer gegen meine Berfahrungsweife dieſes Lafter der Wiederholungen felbft auf fih zu nehmen und immer wieder Darüber zu Magen, daß ich fo gar viele Einzels heiten and unbedeutende Individuen in meiner Gefchichte der Philofophie aufführe. Je mehr diefe Geſchichte in dad Einzelne eingehe, um fo mehr gerathe fie in Gefahr, dad Allgemeine aus dem Auge zu verlieren. Welchen Berth könne es doch für eine Gefchichte der Philofos phie haben, die theologifchen Lehren und Vorftellungen eined Juſtin, Athenagoras, Theophilus, Tatian, Irenäus u. f, w. wiederzugeben? Nur die Wendepunfte der Ges fchichte follen berüdfichtigt werden (vergl. ©. 66; 72 ff. u. ſonſt).

Gewiß, wenn mich Baur tadelte, daß ich oft zu weitläufig geworden wäre, manches Fremdartige oder weniger zur Sache Gehörige eingemifht, daß ich das gegen die allgemeinen Geſichtspunkte für die Entfcheis dung der Sachen nicht heil genug hätte hervortreten laffen, ich würde den Tadel geduldig aufnehmen; ſolche Schwächen meiner Arbeit muß ich leider wohl zugeben und kann fie nur dadurch entfchuldigen, daß die Sachen, welche ich in den vier erken Bänden meiner Gefchichte der

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chriſtlichen Philoſophie behandelt habe, zu wenig, ua mentlich den Philofophen zu wenig befaunt find, daß es mir daher nöthig fchien, auch manche Außerlihe Berbälts niffe, unter welchen die Philofophie fich entwidelte, ge⸗ nauer audsuführen, als es der Gegenſtand an fidh er- heifchen wärbe. Uber die Klagen und Forderungen Baur’d gehen weiter; nach ihm fol die Geſchichte der Philoſophie des Befondern ſich entfchlagen und nur das Allgemeine der Sedantenentwidelung anführen. Gie ers innern mich an einen Recenfenten meiner Befchichte der alten Philoſophie, welder, auch and der hegel’fchen Schule hervorgegangen, vor Jahren an mich die Aufor⸗ derang ſtellte, ich hätte mit einem Worte oder in einem Sedanten angeben follen, was der Jnuhalt der folratis fhen Philofophie ſey. Wie vortrefflih wäre ed, wenn id} dergleichen vermöcte. Aber ich bin zu fchwadh. Warım mühen ſich doch jene göttergleihen Deuter, welche folhe Dinge fordern und unftreitig auch vermös gen, um die Schriften eined Menfchen, welcher fo wenig ihnen gleich zu thun vermag ?

Wie ich aber eben bin, kann ich nicht anders, ale Schirm mir fuchen gegen jene Sonne der allgemeinen Einficht, weiche mid wie ein concentrirted Licht nur blenden wärde. Und fo fey ed mir erlaubt, meine Mes thode gegen Baur’ Einwürfe zu vertheidigen, ale eine Methode, welche mir und meines Gleichen doch wohl erlaubt werden bürfte, wenn fie auch der allgemeinen Ein⸗ fiht meiner Gegner nicht gewachfen feyn ſollte. Baur alfo, muß ich bemerken, vermißt Lieberficht in meiner Geſchichte der chriftlichen Philofophie, und ich geſtehe, eine volfommene lieberficht noch nicht gewonnen zu haben. Aber ich meine auch, Daß mehr Weberficht in meiner Gefchichte it, ald Baur darin gefunden hat, denn zu meinem Leid⸗ weſen bat er fie an falfchem Drte geſucht. Er fucht danach in meinen Einleitungen zur Geſchichte der chrift-

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lichen Philoſophie Kberhanpt und im Befoubern der patrikis fhen und wittelalterlichen Philoſophie (vergl. befonbers 6.183), hat aber nicht bemerkt, daß ich diefe Einleitungen nur dazu beſtimmt habe, eine vorlänftge und äußere Lleberficht über die einzelnen Perioden meiner Gefchichte zu geben. So fchien es mir nöthig, weil ich den kleinern Theil, die Geſchichte der Philofophie, aus dem größern Ganzen der Geſchichte Überhaupt herandzuheben und babei mid) umsufehen hatte, weldye Stellung die Philofophie in der einen und der andern Periode behaupten mußte. Das find Borkberlegungen, welche noch nicht in dad unerfte ber Befchichte, welche ich behandeln wollte, eins führen follten ; von dieſem ſtehen wir in der Einleitung noch fern, wie jeder Lefer wohl von feibk fi fagen könnte. Es gehört nur zu den unnützen Weitfchweiftgleiten, von welchen meine Gefchichte der Philofophie fich nicht frei weiß, daß zuweilen ausdrüdlich bemerkt worden, in dies fen &inleitungen folle nur dad erörtert werden, was vorläufig und von außen her, d.h. von ben allgemeinen Berhältuiffen der Geſchichte aus, über ben Gang der Phi» Iofophie in einer beflimmten Periode fich vermuthen laſſe. Sol ich nun fagen, Baur, welcher für die Wiederho⸗ luugen und unnützen Weitläufigleiten meines Buches fo gute Augen gezeigt hat, hätte doch dieſe nicht fehen kön⸗ nen, oder er hätte fie nicht fehen wollen? Bewiß hat er fie nicht fehen fönnen. Denn gu widerfiumig ift ihm eine folche Methode erfchienen, wie ich fie beobadhte, ale daß er ich hätte vorflellen können, ein Anderer bielte fie für zwedmäßig und möchte fidh zu ihr bekennen. Mau febe fh nur in die Rage eined Mannes, der dad Ganze einer Gefchichte Üüberfieht, gleich beim Eingange berfelben, ohne nur in die Einzelheiten ihres Verlaufs ſich einge- laſſen zu haben, ob ſich der wohl wirb benten können, dag ein Anderer fo befchränft feyn werde, biefe @efchichte mit vieler Mühe erft von außen und gleichfam von Weis

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tem ſich zu betrachten, nur darum bemüht, einen Cinganz in fie zu finden? Wenn es fo mit Baur beichaffen KK, kann ich mid, eben nicht darüber wundern, daß er meine Methode für ungenügend hält. Er Tann nichts daraus lernen ; denn gleich, zu Anfang oder noch vor dem Ber ginne weiß er. Rur das wundert mich, daß er nid ber dacht hat, meine Methode möchte wohl nicht für ihn, fondern für eine ganz andere Art von Leuten berechnet ſeyn. Sol ed nicht auch ſolche kleine Leute geben, welche, ehe fie eine Sache begriffen haben, fih in fie bineinarbeiten müflen?

Sol es nnn wohl nod erlaubt feyu von meinem Standpunfte die Apologie meiner Methode gu unterneh: men? Ich denke mir Lefer, welche, wie ih, in bie Ges ſchichte der chriftlichen Philofophie mit Mühe eindringen möchten und nicht gleich von Anfang an den Begriff ih⸗ res allgemeinen Weſens durch irgend eine fanle Anfchau: ung befigen. Denen würde nur wenig damit geholfen feyn, wollte ich ihnen plößlich eine allgemeine Leberficht über dad Ganze geben, weldye fie nur auf guten Blaus ben annehmen könnten, fondern bei unferm gemeinfamen Wege würden wir nicht anders können, ald der gemeinen Methode uns bedienen, die befondern Thatſachen fo gut oder fo fchlecht, als fie die Ueberlieferung darbieten mag, zu unferm Ausgangspunkte zu nehmen und von ihnen aus dahin zu fireben, dad Allgemeine zur Ueberficht zu brin⸗ gen. Man kennt, denke ich, biefe Methode unter dem Ramen der Indnction ald die Berfahrungsweife, in wel: her alle gefchichtlihen Willenfchaften auferbaut werben, und ed wird ſich nun ermeſſen laffen, daß wir im diefer Methode zur allgemeinen Ueberficht erft dann gelangen föunen, wenn wir das Einzelne und Befondere fo forg- fältig als möglich erforfcht haben. Es wird mir ed daher Baur auch wohl nit ale Hartnädigfeit auslegen kön⸗ nen, wenn ich, feine andere Methode für die Geſchichte

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kenuend, es nur bebaure, daB ich wicht noch mehr Eins - jelbeiten, ale ſchon gefchehen ift, habe zufammenbringen können, um meiner Subuction die breitefte und ficherfle Grundlage zu geben. So gehen wir dem gefchichtlichen Fortſchritte der Sache nach, auf welche Berfahrungsweife ia an Baur (S. 49.) großen Werth legt; denu ges ſchichtlich entwidelt fih die Sache doch wohl nur, in» dem fie Einzelnes an Einzelnes reiht, von einer Zeit zu der andern übergeht und erſt zulegt eine ganze Periode zum Abſchluß und zur Ueberſicht bringt.

Aber freilich, ed hat etwas gar Niederſchlagendes, wenn man neben Andern in feiner befoudern Methode einherläuft, ohne im Stande zu feyn, mit ihnen fich zu verländigen, um wie viel mehr, wenn biefe ſich rühmen, eine viel beffere und leichtere Methode zu haben. Gar in gern möchte man auch derfelben theilbaftig werden. Laßt uns fehen, welche Hülfsmittel Baur zu unferer Verfländigung und darbietet. Wir ehren alfo zu feinen oben angeführten Sägen wieder zurüd. Freilich find fie und räthfelbaft; dad mußten wir erwarten; fo gut wie möglich muſſen wir ihnen beizufommen fuchen. Die Ge⸗ {dichte der chriftlichen Philofophie, hörtenwir fchon, und die Dogmengefchichte hätten es beide ganz mit demfelben Gegenftande zu thun (5. 48.), die erfte aber, lehren die obigen Säge, fol das Allgemeine dieſer gefchichtlichen Entwidelung zur Erfenntniß bringen, die andere ihre Bes fonderheiten auseinander legen. Alſo, ſchließen wir, beide verhalten ſich wie Allgemeines und Befondered zu einans der, Falſch geſchloſſen; Baur beichrt uns fogleich in unfern Säben, daß die Dogmengefchichte auch das Als gemeine zu ihren leitenden Gefichtöpuntte machen folle, Afo man würde annehmen müſſen, daß die Dogmenges ſchichte Alles in fich enthielte, was bie Gefchichte der Philofophie, nur noch Einiges mehr; daß diefe nur ein unaudgeführter Entwurf, jene dagegen eine forgfältig in

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allen Einzelheiten andgearbeitete Wiffenfchaft wäre. Aber: mals falfch geichloflen; denn damit will es wicht ſtimmen, daß mir herbe Bormürfe gemacht werben, der Geſchichte der Phllofophie nicht treu geblieben zu feyn, fondern aus der Dogmengefchichte allerlei fremdartiges Material her beigerafft zu haben. Das würde ja keineswegs zu tas bein ſeyn, daß id; bei der Skizze nicht ftehen geblieben wäre, fondern 'eine recht andführliche Geſchichte geliefert harte. Genug Baur will für die Gefchichte der Phile: fophie ein Allgemeines, weldes mit bem Befonbern fih nicht gemein macht, es vielmehr won fidy ausitößt wie eine Verunreinigung. Dad gewahren wir nidt minder, wenn wir Baur’d Worte beachten, baß die Gefchichte der Philofopbie zu ihrem eigentlichen Dbjecte- nur die allgemeirien Denfbefimmungen habe, welche ben zeitlichen Veränderungen der Dogmen zum Grunde liegen. Alſo Das Nicht» Zeitliche, den ewigen Proceß der Gedau⸗ ten ſollten wir in der Gefchichte der Philoſophie zur Erkenntniß bringen, gleichfam den einen innerſten Kern einer überfinnlichen, nicht gefchehenden Gefchichte, um welche fih das Zeitliche wie eine äußere Schale der Zufällig keiten aufeht und dad Wehen nicht fowohl offenbart ale verhält. Da nun aber diefer Kern auch zugleich das Allge⸗ meine feyu fol, dürfen wir nun wohl folgern, daß Baur ben wahren Grund des zeitlichen Verlaufs im Allgemei- nen erkennt? Noch eiumal fehen wir und getänfct. Benn Baur aus dem Allgemeinen die zeitlichen Erſchei⸗

. augen der Individnen ableiten wollte, fo wärbe er den Pla»

tonifern fidy anfchließen , welche die universalia ante res bes hanpteten. Aber eben biefen Standpuntt der frühern Scholaftiter bezeichnet er an vielen Stellen feiner Ab: handlung als einen untergeordneten.

Mir meinen Berfuchen zu veritehen bin ich zu Enbe. Man rechne nur nad, was in den wenigen Worten ber oben ausgefchriebenen Stelle enthalten if. Die Dos:

üb. d. Begriff u. d. Verlauf ber chriſtl. Philoſophie. 577

mengefchichte fol ed nur mit dem Befonbern, bie Ge⸗ fhichte der Philofophie nur mit dem Allgemeinen zu thun haben, ber es fol and die Geſchichte der Philos fophie nur zu ihrem eigentlichen Objecte dad Algen meine haben nnd nur vor Allem die allgemeinen Mos . mente des Denkproceſſes hervorheben und die Dogmens gefchichte dagegen foll aucd das Allgemeine gu ihrem lei» tenden Gefichtöpunfte machen und nur dabei auch auf das Befondere ihr Augenmerk richten, ohne doch das zn leiten, was von der Geſchichte der Philofophie gefor- dert wird. Hebt bier nicht ein Rur immer wieder bad andere auf? Bermehren die Befchränkungen, welche in dem Eigentlichen und in dem Bor Allem liegen, nicht noch die Berwirrung? Dat ed die Dogmengefchichte nur mit der Schale oder auch mit dem Kerne, Die Geſchichte der Philoſophie nur mit dem Kerne oder auch mit der Schale zu: thun, und wenn die eine oder wenn beide es mit beiden zu thun haben follen, warum fol nicht die eine die andere umfaffen, oder worin befteht ihr Uns terfchied ? |

Dod nein, wir woßen noch einen Berfuh gu deuten machen. Bielleicht ſollen die hin und her ſchwanken⸗ den Ausſagen nur andenten, daß auf die eine Seite ein . Mehr, anf die andere Seite ein Minder des Allgemeinen und bes Befondern falle. -Bergebend. Auch diefer Aus⸗ weg ift abgefchnitten. Gleich zu Anfange find wir be, Ichrt worden, es dürfe hier nicht der quantitative Un⸗ terfchieb des größern oder geringern Umfangs gemacht werden, auf den qualitativen Uinterfchteb bed Allgemeis nen und des Befondern komme es an.

Ein neues Räthfel. Aus welcher Logik, müflen wir fragen, hat Baur gelernt, daß der Unterſchied zwiſchen Algemeinem und Vefonderm nicht-auf dem quantitativen Unterfchiede zwifchen größerem und kleinerem Umfange ber Begriffe bernhe?

578 Ritter.

Vielleicht würde ich eine mildere Einfleiduug meiner Frage gewählt Haben, wenn nicht Baur felbft dazu auf forderte, ihn an bie Logik gu erinnern, indem er nict aufhört, auf feine Logik zu pochen, und die Gelegenheit herbeizieht, feiner Berachtung gegen das unlogifche Bers fahren Anderer Luft zu machen. Eine Stelle feiner Abs handlungen habe ich hierbei befonderd vor Augen, in welcher er „die befannten Darftellungen der: Kirchenhir Roriter” erwähnt (©. 81.), „welche in ihrem begriffsiofen Berfahren ed nicht einmal zu einer logifchen Slaffiftcirung der verfchiedenen Kormen der Gnoſis gebracht haben.”

Es ift eben ein halb erlannter logifcher Irrthum, welcher durch bie vagen Aeußerungen Baur’s über Ger fhichte der Philofophie und Dogmengeſchichte hindurch⸗ blidt, der Irrthum nämlich, daß man Allgemeines und Befonderes willenfchaftlich von einander fcheiden Fönne. Man follte meinen, dieſer verlodenden Meinung wäre nun fchon binlänglich durch fo manche philofophifce Lehre begegnet worden, wozu auch noch neuerlicd, bie Lehre Hegel's gekommen ift, daß nur durch die Beſon⸗ derung hindurch das Abflract » Allgemeine feinen wahren Gehalt gewinne und zum Goweret s Allgemeinen werde. Aber es ift wie ein Zauber, daß man immer. wieder zu dem Abfiract-Algemeinen fid) gezogen fühlt und bie gute Fährte zum GoncretsAllgemeinen und alfo auch zum Be⸗ fondern hinter fid) zurüdläßt. Daher flammen die Kla gen Aber die Ratur, welche in Aeußerlichleiten, in zufällige Einzelheiten fich verliere und den Begriff nicht feſtzuhal⸗ ten vermöge, über das Bedeutungsloſe der Erfiheinun gen, über den Wuſt der empirifchen Gelehrſamkeit, wel he nur Unnüged und Übgeflorbenes zu Tage bringe, ald wäre irgend etwas abgeflorben, irgend etwas unnütz oder ohne Bedeutung anßer nur in dem Wahne befien, welcher fein Fortleben und Kortwirken, feinen Nupen und feine Bedentung, weil er fie nicht zu durchblicken ver

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ab. d. Begriff u, d. Verlauf der chriſtl. Philoſophie. 579

mag, zu leugnen ſich vermißt. Bon ſolchen Klagen hat auch Hegel ſich nicht zurüdzubalten vermocht; was fols in wir und wundern, daß Baur in fie einſtimmt? Aber die vielen Beifpiele und das Anfehen berühmter Philoſo⸗ phen, welche er für feine nicht rühmliche Flucht vor bem Befondern anführen könnte, werden ihn doc nicht abhal⸗ ten dürfen einzugeftehen, daß es zur Aufgabe der Willens haft nicht minder gehört, das Befondere, ald das Allge⸗ meine, und beide in ihrer ungertrennlichen Verbindung u erfennen, da er hierzu nicht allein durch das Bedärf: niß empirifcher und befonderer Wilfenfchaften, fordern dur die Philofophie ſelbſt gezwungen wird, welche ihm, wie ed fcheint, unwillkürlich das Geſtaͤnduiß abnöthigt, daß fie des Befondern nicht entbehren kann und baß wir das Leberfinuliche und Ewige nicht mit dem Allge- meinen zu verwechfeln haben. Aber folche unfreiwillige Delenntuiffe bezeugen eben unr, daß wir von Baur, welcher ſie ablegen muß, wohl fchwerlich gu erwarten haben, er werde in klarer und unzweibentiger Rebe über den Begriff der Philofophie und ihrer Linterfchiebe, ſey ed vom chriftlichen, fey ed vom heidniſchen Dogma, und eine fichere Auskunft geben können.

2. Wenn einem chriklihen Theologen der Begriff der Philofophie auch nur in unbeflimmten Zügen vors ſchweben follte, fo wird er doch wohl über den Begriff des Ehriftlichen beffern Befcheid geben können. Ueber diefen erflärt fi Baur auch ausdrücklicher. Wir wollen fehen, was er darüber zu fagen weiß,

Er wirft mir zuerſt (CS. 36) vor, baß ich durch die Bevorwortung, es laſſe fich Fein völlig genügender Aus» drud finden, welcher den Geiſt des Chriſtenthums be⸗ jeichnete, gern der Aufgabe ausweichen möchte, über das Weſen des Chriſtenthums und feinen Unterfchied in ber Philofophie mich zu erklären. Wenn nun auch hierim fein genauer Ausdruck meines Gedankenganges in jener

580 Ritter

Bevorwortung liegt, fo muß ich Doch eingefichen, daß ic nicht eben vafch zu der Erflärnug über das Weſen oder den Geiſt bed Ehriftenthumd mid gewendet habe. Bid rafcher als ih iſt Baur, und lüme es bei foldhen Sachen anf einen fchnellen Entfchiuß nnd ein fchuellee Wort au, wie unbedenklich würde ich ihm das Felb räumen mäflen. So ſchnell if er (S. 80) mit feiner Erklärung fertig, das Ehriſtenthum fey wefentlih die abſolute Dffenbarung, weiches daranf beruhe, daß Gott ſelbſt Menfch gewer- den in ihm.

Sehr gut. über folten wir nicht hier ein glänzen des Beifpiel von jenen Formein haben, vor weichen ic, wie Baur hätte bemerfeu Tönnen, von vorn herein mid verwahrt. habe, als könnten fie genügen, den Geiſt des Ehriftenthums auszubräden? Ich meine vor jenen For- mein, weiche oft nur halb verkandene Worte an bie Stelle des Begriffe fegen, oder, wenn es hoch kommt, nm eine begel’fche Kormel zu leichterer Berflänbigung zu gebrauchen, für das GoncretsAllgemeine dad Abſtract⸗ Allgemeine geben, durchaus würdig jener Phitofophie, ‚weidye beim Aligemeinen Reben bleiben und das Beſon⸗ dere verfchmähen fol,

Daß die Erklärung Baur’d zu der zweiten Urt der For: mein gehöre, daran kaun Bein Zweifel feyn, wenn man bie Aufgabe fennt, an weiche ich nur mit ber Erinnerung ge gangen bin, daß fie nicht vollſtändig ſich Iöfen laſſe. Das Ehriftenthum ift eine Bberfinnlich waltende Macht, welche vor mehr ald achtzehn Jahrhunderten fich fühlbar zu machen begonnen und ſeitdem Religion, Sitten, Familien⸗ weien und Staat umgeflaltet, die Kirche gegründet, in Kun und Wiſſenſchaft einen neuen Geil gebracht hat. Baur ſeibſt ſagt, es habe dem Bewußtfeyn der Menſch⸗ beit einen eigenthümlichen Charakter gegeben und die Philoſophie nmgewandelt. Und die Bedeutung dieſes CEhriſtenthums follte in jenen abfiracten Formeln von ab⸗

üb. d. Begriff u. d. Verlauf der hriftl. Philoſophie. 581

foluter Offenbarung und vom Werden Gottes im Menſchen genügend ausgedrückt feyn? Nimmermehr. Dergleihen Ausdrüde mögen genügen, um eine vorläu⸗ fige Vorſtellung vom Ehriftenthume gu geben, das belebende Bewußtſeyn, bie Kraft feines Geiſtes theilen fie nicht mit.

Ich behanpte darum nicht, daß fie falſch wären. Es läßt ſich bei ihnen vielerlei denken; die Ausdrücke: abfolut, Offenbarung, Gott, Menfch, find bekannt, aber auch vieldentig; der Eine denkt fich dabei etwas Anderes als der Andere; es würde ſich viel darüber Rreiten lafr fen, wer ihre Bedeutung richtig und ob irgend einer fie vollſtändig gefaßt hätte. Aber daß fie und nicht far gen, wie das Chriſtenthum im Befondern gewirkt, was ed ald das wahrhaft Göttliche ins Menfchen hervorge⸗ bracht, wie es bie wahre Lehre entwidelt, das Leben umgefaltet habe, kann Niemand fich verbergen und das ber kann auch Niemand in diefen Formeln einen genüs genden, erfchöpfenden Ausdruck für dad Weſen bes Chriſtenthums zu befigen meinen, es müßte denn feyn, daß er das Befondere verachtete und am Abftract-Allges meinen fein volled Genuge fünde.

Ich fage auch nicht, daß folche Formeln unnüg wä⸗ ren. Bielmehr babe ich ſelbſt ähnliche Formeln aufge fncht, weil ich ihren methodifchen Werth und ihre Nothr wenbigfeit wohl begreife. Nur iſt mit ihnen immer nur der erſte Schritt zur Löfung der Aufgabe geſchehn, und was ich von der Unmöglichleit ihrer völligen Löfung gefagt habe, wird dadurdy nicht im Geringften erfchüttert. Denn was das Chriftenthum in feiner ganzen heilſamen Wirkſamkeit für die Menfchheit feyn fol, das, meine ich, iR bis jetzt zu Reiner Zeit und in feines Menfchen Seele offenbar geworden. Noch immer ift feine Heildorbnung in Streit gewefen mit den Mächten des Böfen und nur einen Theil defien, was es im Leben und in ber Wiffen» Ihaft vermödhte, hat es bisher und zeigen können, ein

582 Kitter

anderer Theil deffelben liegt noch verborgen in ber Zus kunft. In der Offenbarung ber befondern Zeiten wer: den wir Daher auch.erwarten müflen, daß fih uns allmäh: lich die ganze Bedeutung des Ehriſtenthums enthällen werde, vorläufig aber mögen wir und begnägen, in ab» firacten Formeln fo viel als möglich zuſammenzufaſſen, ale was der chriftliche Geift fi) und bisher offenbart hat.

Stellen wir aber ſolche Formeln auf, fo mögen wir wenigften® dafür forgen, daß fie richtig verſtanden wer den und nicht ber erſten von den oben bezeichneten Ar ten angehören, welche nur halb verftandene Worte an

die Stelle bes zu erflärenden Begriffs ſetzen. Wie leicht

gefchieht es nicht, daß tönende, aber dunkle Worte für Gedanken gelten follen, Kormeln, welche mehr der Leber: lieferung als eigenem freien Berfländnifle angehören, zur Erllärung von Begriffen dienen follen. Die Ger fchichte der Meinungen, der Dogmen weit davon unzäh: lige Beifpiele auf. Aber Baur wirb vor diefem Fehler fih gehütet haben, er, welcher in den Dogmen ber Kir⸗ chenväter und Scholaftifer nur eine Selaverei des Gei⸗ ſtes fieht und das Bilden und Erklären dieſer Dogmen nur mit der Arbeit der Penelope zu vergleichen weiß (S. 57). Wenn man nur nicht manchesmal ſchon gefehen hätte, daß die, welche gegen Abhängigkeit vom allgemein ver: breiteten Dogma waren, um fo fchmählicher in ben Baus den eined befondern Schuldogma lagen.

Mich natürlih muß eine Furcht befallen, daß es mit Baur fo beftellt feyn möchte, da er meben feinen Formeln die meinigen nicht anertennen will. Seiue Aub- drüde, daß Gott ſelbſt Menſch geworden und fo fid uns abfolut offenbart habe, fo nahe fle dem gewöhnlichen Dogma fiehen, fo fehr bedürfen fie auch einer näheren Erklärung. Für die philofophifche Verftändigung wenigſtens bieten fie wenig oder nichts dar. Daher mußte ich andere Ausdrüde an ihre Stelle fegen, wenn ich zeigen wollte,

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üb, d. Begriff u. d. Verlauf der chrifll. Philofophie. 583

was bie Philofophie durch dad Ehriftenthum gewonnen habe. Daß aber meine Kormeln nicht daſſelbe ausfagen wollten, was jene dogmatifchen Formeln, wenn fie richtig verftanden werben, davon müßte ich noch durch befiere Gründe überzeugt werden, ald Banr vorbringt.

Sn meinen Kormeln habe id an die Berbeißungen des Chriſtenthums mich gehalten, die Verheißungen dee ewigen Lebens oder der ewigen Seligfeit, und habe ansdrädlicdh hinzugeſetzt, daß in ihnen auch bie Bollens dung aller Dinge und die Befreiung von allem Uebel eingefchloffen ſey. Baur bagegen behauptet (S. 37.), dieg wären Beſtimmungen, welche zum Begriffe der Reli⸗ gion Aderhaupt gehörten und alfo das fpecififche Weſen dee Chriſtenthums nicht ausbrüden könnten. Abgeſehen da: von, daß in der abfoluten Offenbarung ja wohl liegen müßte, was in allen befondern Dffenbarungen liegt, möchte ed ihm auch ſchwer werden, zu beweifen, was er behaups tet. Denn es iſt ziemlich bekannt, daß manche Religionen von der Berheißung des zukünftigen Lebens faſt gar nichts wiffen, andere daſſelbe nur als ein zeitliche unb unvoll⸗ fommenes uns. hoffen lafien, noch andere ed nur mit der Aufhebung unferer Perfon, alfo nicht für und vers ſprechen. Nur das Ehriftenthum verheißt und, daß wir voffommen werben follen, wie unfer Bater im Himmel vollfommen ift, und dieß habe ich auch bisher für die Beben» tung ded Gates gehalten, daß es die abfolute oder voll, tommene Offenbarung fey, und ‚Daher geglaubt, daß meine Formel mit der von Baur aufgeftellten auf daffelbe hin- anslaufe, nur daß ich es für uunsthig hielt, die Bezie⸗

bung der cheifllichen Berheißung auf Ehriftus hinzuzu⸗ \

fügen, weil fie nur einen Eirkel in der Erklärung abger

ben würde. Sollte dagegen Baur in der vollfommenen

Offendarung nicht bie Verheißung des ewigen Lebens

und den Anfang feiner Verwirklichung, oder follte er in

ihr mehr, die Verwirklichung ſelbſt fchon ausgeführt Theol, Stud, Jahrg, 1847, 40

584 Slitter

finden, fo würbe ich im erften alle fagen müflen, daß ihm der Begriff der abfoluten Dffenbarung eine leere, unverflandene Kormel geblieben fey, im andern Falle, daß er einen falfchen Begriff von ihr habe.

Daß Irrthumer oder Unklarheiten über dieſen Punkt bei ihm obwalten, darin kann es mich nur beſtaätigen, daß er Aber bad Verhältniß ber chriſtlichen zur vorchriſt⸗ lichen Denkweiſe mancherlei Anßert, was zwar nicht neu, aber verworren und einfeitig ifl. lieber diefed Berkält niß muß man vor Allem ſich verkändigt haben, wenn man den Unterſchied zwiſchen chriftlicher und vorchriftli⸗ cher Philoſophie feſtſtellen wii,

in meiner Geſchichte der Philofophie habe ich andr einandergefeßt, warnm ich Auſtand genommen, bie Ph loſophie der alten Völker heidniſche Philoſophie zu nen, nen. Es beruht dieß weſentlich Darauf, daß die Philo⸗ ſophie zur heidniſchen Religion ein viel weniger inniges Verhaͤltniß hat, als zur chriktlichen, wie dieß Leicht bes greiftich ft, wenn man bedenkt, daß jene in den JIrrthü⸗ mern des Polgtheismus verſtrickt war, biefe Dagegen den wahren Gott und fein Verhältniß zur Welt keunen lehrte. Deßwegen ſtand die alte Philoſophie faſt beſtän⸗ "Dig in einem offenen oder verdeckten Streite mit dem Volkoglauben und entwidelte ſich auch erſt in ben Zeir ten, als der alte Glaube feine probuctioe Kraft, welche er in der Erfindung religiöfer Mythen bewiefen hatte au verlieren und damit fich aufgulöfen begann. Diefem | Drocefie der Auflöfung angehörig, hat die Philoſephie ſelbſt nicht wenig dazu beigetragen, ihn gu fördern, nad ift beßwegen auch von den Kirchenvätern als Zeugin der Wahrheit aufgernfen worden und wir dürfen fie mit Recht als eine der weltgeſchichtlichen Mächte betradıten, welche das Chriſtenthum vorbereiteten. Uber dennoch fleht fie nicht auf dem Standpunkte des Ehrikenthums, wel cher eben erſt durch eine innere Umkehr des Menſchen

üb, d. Begriff u. d. Verlauf der chriſtl. Philoſophie. 585

gewonnen werben kounte, fondern gehört nur den Ueber⸗ gängen aus der heidmifchen in die chriftliche Deutweife an, Daher durfte ich wohl fagen, baß fie noch befchränft fey durch Die religiöfen VBerurtheile des Alterthums, und es liegt hierin fein Widerſpruch, wie Baur (S. 34.) fagt, mit meiner Annahme, daß fie bemüht war, von jenen Borurtheilen ſich Iodzmarbeiten, und im Streite gegen bie: felben ſich entwickelte. Wenngleich die alten Philofophen den Polytheismus befämpftien und nur einen höchſten Gott zuliegen, fo waren fie doch nicht abgeneigt, Mittel: götter auzunehmen und nur ein vermittelte Verhältniß des Menfchen oder wenigſtens feines Körpers zu dem höchſten Gotte anzuerkeunen; wenngleich fie nicht mehr meinten, daß die Götter neidifch wären, fo wagten fie doch nicht zu behanpten, daß Gott in der Welt feine volle Herrlichkeit offenbart habe; -fie meinten wohl, er wäre allmächtig, aber doch nicht im Stande, ben UnvoRs tommenheiten der Welt abzuhelfen.

Auf alle diefe Punkte, fee ich num aber, legt Baur kein Gewicht; zum Theile beftreitet er fie fogar. In meis uen Bemerkungen über die Lehre des Arius habe ich audeinandergefeßt, daß fie wefentlich auf die Vorſtellungs⸗ weife ber alten Philoſophen zurüdgehe, welche annoh⸗ men, ber oberfie Bott, ein volllommenes Weſen, könne fih nicht verunreinigt haben mit ber Hervorbringung eines fo unvolllommenen Dinges, wie biefe finnliche Melt fey, und welche deswegen Bildung und Regierung ber finnlichen Welt niedern Göttern, Göttern zweiten Ranges, übertrugen. Baur fragt mich Dagegen (5.102.), welche Heiden fi zu dem Gedanken eines folchen ober Ren Gottes erhoben hätten, indem er dafür hält, daß diefe Idee und die daraus hervorgegangene Lehre der Alerandriner vom Adyog nur durch Vermittlung der alts teſtamentlichen Bottesidee entflanden wäre. Diefe Frage klingt mir in der That fjeltfam und räthfelhaft. Denn

40°

586 Ritter

id kann ed nicht Über mich gewinnen, meinem Geguer eine Unwiſſenheit zuzutrauen, welche gar gu fchälerhaft wäre, weil fie den Platon und bie ganze Reihe der Leh⸗ ren vergißt, welde, vow ihm in verfchiedener Geſtalt andgegangen, zwifchen den oberften Bott untere Götter oder die Ideenwelt, oder die Weltfeele, oder die Seelen ber Geſtirne eingefchoben haben, nm durch deren Bermitte, Inng die Welt bilden zu laffen. Kaum daß Banr biefe allbefannten Dinge im Eifer der Polemik einen Angen» blick vergefien haben follte, kann ich mir denken, und doch, wozu konnte allzu großer Eifer nicht verleiten? Denn fonft, ſollte man glauben, würde Baur doch wohl bemerft haben, daß die Lehre vom Adyog, wie fie Phi⸗ Ion vorteug, zwar ihre Anknüpfungspunkte auch im 4.8. fand, aber nicht miuder mit der fpätern Geſtaltung des Heidenthume, welche ben Polytheismus durch den oberfien Gott der Philofophie zu ergänzen fuchte, im Zur fammenhange ſtand.

Oder ſollte Baur vielleicht jenen oberſten Gott der Philoſophen für keinen rechten Gott zu halten ge⸗ neigt ſeyn ? Einige feiner Aeunßerungen könnten zu die⸗ fer verzweifelten Annahme verleiten, obwohl die chriſtli⸗ chen Lehrer der erften Jahrhunderte und felbft Paulus von einer folchen Uuterfcheibung des philofophifchen Bots te6 und des Gottes bes Ehriften nichts wiſſen. Gchon die Form feiner Frage, welche Heiden zu der Idee eines ſolchen oberften Botted fih erhoben hätten, Tönnte den Berdacht einer folchen Reigung erwecken. Noch mehr beftärtt in ihm die Aenßerung (S. 44 f.), daß erſt der lintergang des Außern Lebens, wie es in der alten Zeit geblüht hatte, zur Zurüdziehung des Geiſtes in ſich geführt und dadurch bie Wiedergeburt hervorgebracht habe im Umfchwunge and ber Subjectivität in das Ob⸗ jective, im Umfchwunge zur Objectioität ber abfolnten Gottesidee.

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üb. d. Begriff u. d. Verlauf der chriſtl. Philofophie. 587

Wir müflen etwas weiter ausholen, um dieſe Ans fiht Baur’s zu verfiehen und zu prüfen. Seiner Meis nung nach wäre es, wie er fich zuweilen ausdrädt (S. 64.), in der alten Philofophie nie zum eigentlichen Bruche zwiſchen Subject und Object, Geift und Natur gekom⸗ men; doch ift dieß freilich nur eine von den unklaren Darſtellungen feiner Gedanken, welchen wir oft begeg» nen; wie wir aus anderen feiner Aeußerungen fehen, wi er nur behaupten, zum Bruche zwifchen Geift und Natur wäre ed. wohl gefommen, aber nicht zur Bers föhnung zwiſchen beiden, welche nur dadurch hätte ge» wonnen werben können, daß bie Ratur dem Geifte uns terworfen worden; aber genug, auch bei diefem unei⸗ gentlichen Bruche hätten die alten Dhilofophen zur Idee Gottes als des abfoluten Geiſtes fich nie erheben ‚kön nen, vielmehr trüge ihre Lehre auch in ihrer reinften Geftalt immer noch den Charakter einer Naturphilofophie an ih (S. 66.). Deßwegen im Bewußtfeyn ihrer Un⸗ fähigkeit, den Gegenſatz zwifchen Geift und Natur zu übetwinden, wäre ihr zuleßt nichts übrig geblieben, als die Zurückziehung des Subjects in fich felbft, in feine alles Objective aufhebende, inhaltsleere Subjectivität, womit fie am Ziele bed von ihr durchlaufenen Weges gewefen fey (5. 64). Wenn wir ed nicht anderswoher ſchon wäßten, fo fönnten wir es (S. 43.) erfahren, daß mit diefem Ziele der griechifchen Philofophie der Step» ticismus gemeint ift, in deſſen Leugnung aller objectiven Erkenntniß Denken und Seyn, Subjectived und Objec⸗ tives gänzlich auselnandergefallen wären, womit die alte Philoſophie in der Subjectivität ihres Standpunftes sulegt in ſich felbft fich aufgelöft hätte. Zu unferm Trofte wird alddann noch hinzugefeßt, daß biefer Skepticismus, weicher nach ber gewöhnlichen Anficht nur der Verfall der griechifchen Philofophie gewefen wäre, vielmehr ale die Epoche einer neuen Form des Bewußtfeynd, ber Um⸗ ſchwung bes Geiſtes aus der Subjectivität bes Bewußt⸗

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ſeyns in die Dbjertivität des Seyns betrachtet werben müßte und daß aus dieſem geifligen Proceſſe das größte Refultat, das Ehriftenthum ſelbſt, hervorgegangen wäre,

Wir hoffen, Berzeihung zu erhalten für die allerdings nicht fehr erquidlichen Irrwege, Behauptungen und Leng nungen, durch weldhe wir unfere Lefer haben führen mäffen, wenn fie nun mit uns diefed erfreuliche Ender⸗ gebniß erreicht haben. Freilich Bruch und Nicht Brud von Subject und Object, von Geil und Natur, ‚Feine reine Geiftesphilofophie, fondern der Charakter einer Naturphilofophie, aber endlich Alles in Gubiectiwität, db. h. in Geiſt, aufgelöflt und dennoch nicht ben reinen Geiſt gewonnen, das find Winkelzüge, welche und wohl über Die Sicherheit unferer Bahn irre machen könnten; aber wer wird nicht folhe Dämmerungen ſich gefallen laffen, wenn er nur zuletzt durch das überrafchende Licht des Gedanfend, daß aus dem Skepticismus das Ehrir ftenthum hervorgegangen fey, fein Auge eranidt fieht?

Uns könnte die Frage einfallen, welcher Skepticis⸗ mus gemeint ſey, der pyrrhonifche, der neunfadenifche oder der erneuerte, für deffen Bollender Sertas Empi: ricus gilt; wahrfcheinlich meint Baus doch den lebte ren, auch hierin Hegel’d Anweifung folgend; auch ent halten wir und der Frage, wie er in diefem alle die Entftehung des Chriftentbums aus dem Gtepticidmus chronologifch rechtfertigen könne; der Fleine Anachronis⸗ mus von 200 Jahren würde in fo großen Rechnungen, wie er fie mit der Weltgefchichte abhält, kaum der Rebe werth ſeyn; er würde auch vielleicht irgendwie, den Step» ticismus verfrühend oder dad Chriſtenthum verfpätend, jene 200 Jahre eingurechnen wiflen; foridera nur Die Hanptfache macht und Sorge, ob der Skepticismus eine folche weltgefchichtliche Wichtigkeit behaupten könne, wie fie Baur ihm zuſchreibt.

Richt ohne Gewicht für die vorliegende Frage wird es feyn, daß der Skepticismus keineswegs zuerft im bem

üb. b, Begriff u. d. Berlauf der hriftl. Philofophie, 589

Seftalten, welche er zwei Jahrhunderte vor und zwei Jahrhunderte nach Ehriſti Geburt annahm, unter dem Griechen auftrat. Schon um ˖die Zeiten des Sokrates hatten die Sophiften einen ähnlichen, nur noch fiärler ausgeprägten Skepticismus verbreitet. Alſo war aud damals fchon ber Bruch zwilhen Subject und Object eingetreten, welchen Baur als das reiffte Ergebniß der alten Philofophie zu betrachten fcheint. Nach ihm hatten fi aber erft bie reifften Früchte der griechiichen Willen» (haft in der folratifhen Schule ergeben, weldje jenen Bruch nicht etwa voruchm überfah, fondern zu über: winden wußte, wir wollen nicht fagen ganz, aber doch theilweife. Man follte meinen, dieß wäre ein deutlicher Beweis, daß der Skepticismus nicht Die äußerſte Spitze befien gewefen, was die griechifche Philoſophie zu leiften wußte.

Freilich hatte der. Skepticismus der Sophiften nicht buchdringen können. Wie wichtig er auch für Die grier chiſche Befchichte feyn mag, eine welthiftorifche Bedeu⸗ tung im vollſten Sinne des Wortes wird man ihm doch kaum zugefichen können. Aber hat denn ber fpätere Skepticismus eine folche in Anfpruch zu nehmen? ift er durchgedrungen, auch nur in feiner Zeit? Bergeblich ſuche ich nach den Spuren, welche in der Gefchichte der menfchlihen Bildung darauf führen könnten. Durchge⸗ derungen in ihrer Zeit, herrfchende Dentweife geworden find die Lehren der Skeptiker weber vor, noch nad Chriſti Geburt. Die neueren Akademiker, fle haben nur eine därftige Entwidelung, eine fehr befchräntte Schule gehabt, über deren gänzlidhe Unbedeutendheit für das keben, über deren GSchulflügelei Polybins mit Recht Motte. Uber dennoch ift ihre Schule noch eine glän» sende gegen die Schule der eigentlichen Skeptiker zu nen» nen, welche fat Fein für das Allgemeine bedeutender Schriftkeller des Alterthums erwähnt. Es waren einige Aerzte, welche fich den Anfprüchen einer voreiligen Spe⸗

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ceulation in den Naturwiſſenſchaften entgegenfehten, welche hauptfächlich die empirifche Methode in ihrer Kunft ge gen den Dogmatismus anderer Aerzte zu vertheibigen fuchten und nebenbei auch die Hebungen ber praktiſchen Kunſt gegen die Theorien der Mathematik, der Gramma⸗ tik und ber übrigen fieben freien Künfte durch ihre Zwei, fel in Schuß nahmen; diefe belegt man wit dem Namen der fleptifchen Schule. Weber die Philofophen oder Ge: Iehrten der Griechen und der Römer, mit Ausnahme einiger Aerzte und derer, welche über bie philofophifchen Secten fchrieben, noch die chriſtlichen Theologen haben es für werth gehalten, ihrer groben Einwürfe gegen bie Wiffenichaft, weiche fie von Anderen meiſtens zufammen- Roppelten, nur Erwähnung zu thun. Wir würden von ihnen fo viel wie gar nichts wiffen, wenn nicht bie Schriften eined Arztes ihrer Secte von fehr befchränkten Gaben, des Sertud Empiricus, ſich erhalten hätten, weldye man zu der Zeit bewunderte, ald alle erträglide oder fchwer verfländliche Werte des Alterthums für Meifterwerke galten und als überdieß der Skepticismus befonder® beliebt war, und welche nun Hegel und Baur für den Gipfel der alten Weisheit, für ihr letztes und höchſtes Product, für ihren Außerften Fortſchritt halten.

Zu den Behauptungen diefer Art hat nur Die vers kehrte Anſicht führen können, daß in der Wilfenfchaft das Leute immer bad Beſte ſeyn müßte. Aber wollten wir dieſe Anficht auch gelten laffen und ein gewiſſes einfeitiged Recht dürfte fie wohl mit Beſchränkungen in Anfpruch nehmen —, fo würde dennoch die daraus ge zogene Beurtheilung bed Skepticismus für durchaus partelifch gelten müflen. Denn man läßt dabei die philo⸗ fophifchen Erzeugniffe, welche dem Skepticismus gleid: zeitig find, ganz unbeachtet. Man will Alles im einer Spige fehen, was nur in einer Kläche verläuft. Gleich⸗ zeitig den Sfeptifern waren die Vorläufer der Neu⸗Pla⸗ toniter, unter welchen Rumenius faft Alles befaß, was

üb, d. Begriff u. d. Verlauf der chriſtl. Philofophie. 39

fpäter dem Plotin zum Ruhme gerechnet wurde, Doc darf ich Baur gegenüber mich wohl nicht auf biefe Män: ner berufen; er wird fagen, wie bem Philen und ben Keu » Dlatonitern hätten fih auch ihnen jübifche und wohl gar chriſtliche Denkweiſen beigemifcht; nicht ganz mit Unrecht, obwohl ich meine, daß bie neuen Erzeug⸗ niffe, welche ihre Lehre brachte, noch immer bem gries hifchen Alterthume angehören. Doch um fireitiged Land fo lange ald möglich zu vermeiden, berufe ich mich lies ber anf den Stoiciömnd, welder vor und noch zwei Jahrhunderte nach Chriſti Geburt die herrfchende Lehre unter Griechen und Römern war, bie theologifchen Ideen bed Heidenthums umgeftaltete, andı der fpäteru Zeit in neuen Gedanken ſich anzupaflen wußte, zur Bertiefung des Geiſtes in ſich antrieb,' dem fittlichen Bewußtſeyn, fo wie eine allgemeinere Richtung, fo auch eine innigere Färbung gab, Biel ſtärker haben diefe ftoifchen Lehren auf die Borbereitung der Geifter für das Chriftenthum eingewirkt, als der bürftige Skepticismus; überall bes gegnet man ihnen, bei dem Philon, bei den Bnoflifern, bei den Kirchenvätern bid auf ben Origenes herab und ihn mit eingefchloffen, während über die fleptijchen Ge⸗ meinpläge bei allen diefen tiefes Schweigen ift.

Wenn man aber den Einfluß der Stoiter auf die Vorbereitung für die chriftliche Dentweife in Betracht sieht, fo ift es nicht allein eine negative, fondern auch.eine pofltive Einwirkung, was uns entgegenteitt. Und eben hierin beruht der Irrthum Baur's, daß er in der alten Dhilofophie nur eine negative Vorbereitung finden will. Aus feiner eigenen Auffaflungsweife fann man ihm dars thun, daß nicht minder pofitive Erregungen in ihr lagen.

Nicht mit Unrecht bemerkt er (S. 44.), baß Juden⸗ tbum und Heibenthum dem Particnlarismus huldigten und erft das Chriftenthum, indem es zur Univerfalität

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fi erhob, die abfointe Religion verbreitete, Aber es hätte ihm hierbei einfallen follen, daß ſchon ber Steifer Zeuon in fosmopolitifcher Beflunung vom Particularis⸗

mund ſich lodfagte, auf die gleichmäßig waltende, gerechte Herrſchaft eines Gottes über alle Völker dringend, und daß auf ihn Philon uud Plutarch in derſelben Geſinnung ſich fästen,

Wenn ferner Baur (5. 44.) fchildert, wie in der alten Welt and dem Lintergange des äußeren Lebens, aus der Bernidtung alles Rationalen und Individnellen, and der ganzen ungöttlichen, unflttlichen und vechtlofen Welt, wie fie bei Entftehnng ded Chriſtenthums gewefen ſeyn fol, der Geift immer mehr fich in ſich zurückgezogen babe, um burch biefe Berinnerlichung und Vertiefung in ſich ſelbſt fich zu verjüngen, fo hätte er allerdings wohl ben Skepticismus in feiner allgemeinften Bedeutung ale ein Ergebniß jenes verzweifelten Zuſtandes betrachten mögen, aber er hätte nicht vergeflen follen, daß bie por fitive Seite dieſer Zurüdziehung in fi am ſtärkſten und mit dem vollfien Bewußtſeyn von ben mweueren Gtoifern, einem Muſonius, einem Epiktet, einem Marc Aurel, and geſprochen worden ift.

Wie wenig aber jene Erflärungsweife aus der ne gativen Richtung der Skeptiker genüge, wirb man erſt recht gewahr, wenn man fragt, warum benn bie Ber: sweiflung der alten Welt, welche Baur fchildert, einge, treten fey. So völlig, wie er ed ausſpricht, war doch nicht alles Gute und Schöne vernichtet, ale das Chriſten⸗ thum zum Troſte der Welt erfchien, ſondern in feinen angeführten Säben ſind bie rebnerifchen Uebertreibun gen nicht gu verkennen. Noch blühten Fünfte, Willen: fchaften, Gemeinweſen; bas Privatrecht bildete fich erſt jest recht gründlich aus; im Genuſſe biefer Dinge hätte man ſich wohl bahinhalten könuen. Die Berzweiflung entipringt weniger aus bem Mangel, ale aus dem Be

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wußtfeyn eines bringenben, unabweislichen Bedürfuiſſes, weiches man nicht zu befriedigen weiß. Finden wir nun bei den Skeptikern ein foldyed Bewußtſeyn auch nur mit einiger Lebhaftigkeit ausgeſprochen? MWenigſtens beim Sertus Empiricus regt fih davon nichts. Vielmehr möchte er den Menfchen auf die dürftigkte praktiſche Be: friedigung feiner finnlichen Beduͤrfuiſſe befchränten, ihn überreden, damit zufrieden zu feyn, dag bie Erfcheinuns, gen ihm erinnernde Zeichen darbieten, an welchen er ſich halten Pünnte, um die Abhälfe der drohendften Uebel zu finden. Dagegen zeigen unter ben Philofophen dieſer Uebergangszeiten die Stoifer vornehmlich das Iebenbigfie Bewußtfeyn der geiftigen Bebürfuiffe, deren Befriedigung wir fuchen follen. Es ift ihr Ideal des Weifen, welches fie aufregt, diefed Weiſen, in weldhem man nicht mit Unrecht ein Borbild Ehrifii gefunden hat, wie es bie Meffiasidee bei den Juden war. Sie möchten dieß. Ideal verwirklichen , indem fie und an die Tiefen unſeres Geis fled erinnern, an den Gott in und verweilen, welcher über alle Schläge des Schickſals erhaben fey, in dem Bewußtfenn nnd dem Rathe der Borfehung lebe, Ges wiß, wenn feine Gehnfucht nach Ehriſto in der. Welt gewefen wäre, würbe Ehriſtus nicht in die Welt gekom⸗ men feyn; aber eine Sehnſucht nad ihm bat auch bie Heiden auf feine Ankunft vorbereitet.

Und nun find wir wieder bei dem Punkte angekom⸗ men, wo wir früher Baur's Behauptungen über die Gottloſigkeit der alten Melt haben fallen laſſen. Wir begreis fen es wohl, wie er die Meinung hegen kann, daß bie alte Philofopbie zu der Idee Gottes ſich nicht erhoben babe, wenn er ben höchften Gipfel ihrer Eutwidelung im Skepticismus erblidt. Er überfieht ihre poſitiven Ergebniſſe; nur anf das Negative, welches ihm die Bes dingung des dialektiſchen Fortſchreitens iſt, richtet er fein Auge, Sonſt würde er gefunden haben, daß dem

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heibnifchen Alterthume fo wie bie religiöfe Sehnſucht nad dem wahren Gott, fo aud der Gedanke an ihn nicht gefehlt habe, ja er würde noch mehr gefunden haben, daß nämlich anch die Hoffnung und der Glaube auf und an eine Offenbarung diefed Gottes in den Heiden vor; handen waren uud baß dieſe Regungen des göttlichen Triebes in der menfchlichen Seele nur immer lebendiger geworben, wie im Judenthume, fo im Heidenthume, bie fie ihre Befriedigung gefunden. Das ift der Funken der Gottheit, der auch in der Finfterniß leuchtet, der Game bed Adyos, ber osspouarındg Adyos, beffen Begriff die Kiechenväter von den Stoikern entnahmen.

In der That völlig kann and Baur biefen Zumten nicht verfennen. Er müht fich und winbet fich in dun⸗ Bein und gezwungenen Dhrafen, um die Behauptungen der Schule, an welche er glaubt, gegen feine beſſere Kenntniß der Thatfachen fiher zu fielen. Da läßt er fih (©. 45 f.) folgendermaßen vernehmen: „In ber un wittelbaren Einheit des Seyns und ded Denkens, des Dbjectd nnd Subject, die man mit Recht ale bie Unbefangenheit der griechiſchen Philofophie bezeichnet, verhielt fie fidy and; zur Idee Gottes nodj völlig voraud: feßungslod. Es war vor ihr ucch zu feiner ſolchen Trennung des Subjeetd und Objects gelommen, daß die dee Gottes dem Bewußtſeyn des Subjects gegenüber dad fchledhthin gegebene Object feyn Fonnte Was für bie chriſtliche Philoſophie das Erfte und unmittelbar Gr gebene ift, lag für bie griechifche immer erft am Enbe ihre Weges, wenn fie das Abfolute, auf das fie kam, um aus ihm als ihrem hödhften Principe die Einheit dei Denkens und des Seyns zu begreifen, nur ale Gott präbiciren konnte und ihm dadurch auch eine Beziehung anf das religiöfe Bewußtſeyn geben mußte.” Da erfahr sen wir denn zuleßt doch, daß wenigfiens am Ende ih- res Weges die griechifche Philofophie zur Idee Gottes

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fam oder, wie bieß bier ausgebrädt wird, das Abfor Inte als Bott begreifen founte and nicht, wie es früher fhien, ganz ohne den höchften Bott blieb. Zmweibeutig aber bleibt ed in diefer Ansfage, ob hier von ber gries chiſchen Philofophie Überhaupt oder von ben einzelnen Syfiemen berfelben die Rede iſt. Jenes anzunehmen, ſcheint gwar bie ganze Haltung ber Stelle zu rathen, weil fie von der gefchichtlichen Entwidelung der griechis hen Philofophie handelt; aber das eingefchobene Immer fheint doch eine mehrmalige Wiederholung deflelben Pro⸗ cefled vorauszufegen unb daher für die zweite Annahme u ſtimmen, und überdieß, wenn das Erfte gelten follte, mußte da Baur feine Behauptung, daß der Skepticismus das Ende der griechiſchen Philoſophie ſey, wicht wieder vergeflen haben? Jedoch welcher Annahme wir auch fols gen mögen, richtiger find dieſe Säge wohl, als die vor, ber befprochene Behauptung, baß die griedifche Philoſo⸗ phie zur Idee eines oberiten Gottes ſich gar nicht erho⸗ ben hätte, aber falfch find fie doch. Falfch iſt jene Meis nung, um zuerſt die erſte Auslegung zu berückſichtigen, von der linbefangenheit ber griechifchen Philofophie, in weldher von der unmittelbaren Einheit des Seyns und bed Denkens andgegangen worden fey, ohne Bruch bes Enbjectd und des DObjertd, wie fie denn auch fogleidh von Baur felbft befchräuft werden muß, indem er zwar einen Bruch beider angibt, aber doch keinen folchen Bruch, daß bie Idee Gottes dem Bewußtſeyn bed Sub⸗ iectd gegenüber das fehlechthin gegebene Object hätte feyn können, eine Befchräntung, welde doch nicht ausreicht, weil, wie die Skeptiker richtig bemerkt haben, Elemente des Zweifeld durch bie ganze griechifche Dhilofophie hins durchgehen. Falſch if nicht minder die Meinung, daß die griechifche Philoſophie zur Idee Gottes noch völlig vors ausſetzungslos fich verhalten habe. Davon kann Baur fih Überzeugen, wenn er die Proceffe Über den Atheis⸗

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mus der Philoſophen, wenn er bie Lehren bes Thales, ber Pythagoreer, des Herallit, ded Empebofles und wie vielen Anderer! überbenten, wenn er die Stellen des Ariſtoteles nachfehen wi, welche die philsſophiſchen Un⸗ terfuchungen bis anf die alten Theologen und Poeten surädführen. Er wird ans allen diefen Dingen, welde viel unummwundener ſich ausfprechen, als feine zweiden⸗ tigen Süße, abnehmen können, Daß ed nie eine Philo⸗ fophie gegeben bat, welche nicht mit theslogifchen Bor ansſetzungen zu fchaffen gehabt hätte. Gollte das ber Vorzug der hriftlichen Philoſophie feyn, was ſchen in den indifchen Lehren deutlich genug vorliegt? Raum mag ih unn noch Worte darum machen, daß die Behauptuns Banr’s and im Sinne der zweiten Auslegung falfch ſeyn würde. Denn wenn, wie gezeigt, die griedpifchen sicht anders als bie chriftlichen Philofophen von theologiſchen Boransfepungen ausgingen, fo hätten nur methobiice Nädfichten fie dazu beſtimmen können, wenn fie immer erft am Ende ihred Weges den Begriff Gottes aufge wiefen hätten; im Berborgenen würde er doch allem id» ven Philofophiren zum GOrnnde gelegen haben. Doch auch diefe Annahme IR unbegründet. Denn bie. Anorbuung der griedhifchen Syſteme, welche von ber kLogik zur Phy: ft und Ethik fortfchritten‘, ‚geftattet es nicht, ben Ges banken Gottes zu Ende ihrer Lchren zu fegen, ba er vielmehr in der Logik oder in der Phyſik feine Stelle ſin⸗ den mußte.

Das Bisherige wird hinlänglich gegeigt haben, wir wenig die Yielbentigen Aeunßerungen Baur's das Richtige treffen. Was an ihre Stelle zu ſetzen märe und wie Baur's Meinungen zur Wahrheit ſich verhalten, wollen wir noch kurz anzudeuten verfuchen. Weit gefehlt, dap in der alten Philofophie, welche der, alten Dentweife nur entfprehen fonnte, fein Bruch des Gubjectd mit dem Dbjecte Rattgefunden hätte, war berfsibe vielmehr ſchon

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im graneften Alterthume gefchehen unb von Anfang au in dee Philoſophie vorhanden und um fo fchärfer mußte er in ihr fi amsbräden, je mehr ihr die Verſoͤhnung bed Menfchen mit Bott und der Weir fehlte, und biefe ſollte ext das Ehriſtenthum bringen. Mit Gott und ber Welt fage ich, weil, ohme mit Bott ſich zu verfähnen, der Menfch mit ber Welt nimmermebr einig werden kann. In ihren Grfcheinungen herrfcht nmerbittlicher Streit, auf ihren tiefien Grand muß man zurädgehen, wenn man wit ihr in Frieden leben will. Wer aber mit Bott verſoͤhnt if, wird anch mit feinen Werken zufrieden ſeyn und wit der Welt, fogar wenn fie ihn anfeindet, in Frieden leben. Daher konnte erſt in der chriftlichen Philsſophie eine verfähnende Anſicht von allen weltlichen und göttlichen Dingen fi anebilben und ſelbſt in ihr konnte fie nicht fogleich in ficherer, ausgebildeter Geſtalt hervortreten, weil bie Anfichten ber alten Wiſſenſchaft noch lauge nach der Berbreitung bed Chriſtenthums anf. die wißfenfchaftlihe Denkweiſe ber Zeiten einen leitens den Einfluß ansübten. In ber alten Philoſophie dage⸗ gen war wohl eine Ahndung, aber doch wech nicht eins, mal eine Hoffunug des Friedens, viel weniger ein zu⸗ verfidktlicher Glanbe an bie Verſöhnung ber in der Welt Rreitenden Gegenſaͤtze. Jene Ahndung des Friedens jes doch muß man als ein wmefentliched Element ber alten Dentweife und ihrer Philoſophie anerkennen, weil auf ihr die Vorbereitung der Heiden auf das Chriſtenthum und ihre Empfänglickleit für bafjelbe beruht. In ihr bes wies ſich chen, daß im Gotzendienſte der göttliche Fun⸗ In im Dienfchen nur vwerfchättet, nicht erſtickt, nicht völs lig unwirkfam, vielmehr bemüht war, feine Umhüllung ju durchbrechen. Denn bie Gnade Gottes iſt auch im den Heiden noch lebendig. Die Arbeit des Geiſtes, weis her die Banden ded Heidenthums zu Durchbrechen bes mähs iſt, bewies fich nun eben in den Zeiten am maͤch⸗

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tigſten, welche ber Vorbereitung des Ehriſtenthums vor: hergeben. Das find Zeiten des Uebergangs, in. welchen wenig Glängendes oder aucd nur Abgerundeted voll⸗ bradıt wurde, troß ihrer nicht unfenchtbaren Uirbeit, in welchen bagegen die Klage über die Uebel ber Welt al, gemein und bitter war. Da fommt der menfchliche Geik oft zum Spotte Über Ach ſelbſt, ja nahe an die Ber zweiflung, und ein Zug ber Entfagung auf das Bee, - welche man als den Zwed der Bernunft erfennt, aber doc, nicht zu hoffen wagt, ift über diefe Zeiten verbreis tet. Auch der Steptieiömug, in welchem Banr den Brad erft gefchehen läßt, anftatt zu ſagen, er habe ihn nur ohne Hoffnung auf Berföhnung und ohne Ahndung des Be dürfniffes einer folchen ausgefprochen, iR ein Zengniß dieſer Zeiten, Baur durfte ihm ald einem ſolchen feine Bedeutung fichern , aber er mußte beßwegen nicht in bie Irrthümer verfallen, welde er über ihn andfprict. Diefe find hauptfächlih doppelter Art. Auf ber einen Seite beruhen fie darauf, daß Baur den Bruch zwifchen Denfen und Object bed Denkens, d. b. zwifchen dem Menfchen und der Welt, weldher durch die ganze alte Philoſophie hindurchging, erfi im Skepticismns fich voll: ziehen läßt; auf der anderen Seite haben fie ihren Grund darin, daß er nur eine negative Vorbereitung auf dad Chriſtenthum in der heidnifchen Philoſophie anerkennen will, weil fie nur im Skepticismus liege.

Man wird hieraus ermefien Tönnen, wie wenig bie Anſicht, welche Baur von ber alten Philofophie hat, bad Verhältnig derfelben zum Ghriftenthume zu beim men geeignet ift, und eben dadurch uuß ihm auch ein bedeutended Moment zur Schäbung bed Ehriftenthumd in feinem Berhältuiffe zur frühern Zeit entgehen. Der Bruch, von welchem wir reben, ift von Banr nicht gamj erichöpfend bezeichnet worden. Er kann im Allgemeinen als der Grund der Dentweife angefehen werden‘, welde

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wir Dualidmns nennen. Dualismus aber im weiteften Sinne des Wortes geht durch die ganze alterthümliche Borftellungsweife hindurch; felbft im Judenthume findet er fih, nur nicht in theoretifcher,, fondern iu praßtifcher Richtung ausgebildet; denn der Particularismus, von welchem ſchon oben die Rede war, ſetzt praktiſchen Duas lismus voraus; bei den Inden iſt der Begenfag zwiſchen dem Bolle Bette und den Heiden der Ausdruck biefes Dualismus. Wenn nun in der parfifchen Religion die Spitze des Dualismus zu fehen if, fo muß man bagegen anerfennen, daß der Polytheismus der Griechen. ſchon eine mildere Form defjelben darftellt, weil bie Spannung des Gegenſatzes fih fhwächt, fo wie er über mehrere Glieder vertheilt wird. Auf eine foldhe Milderung , ja auf Ueberwindung deſſelben ging auch die griechifche Wiffenfhaft aus. Denn der Wilfenfchaft ift ja über- haupt dad Dringen auf Einheit natürlich, und fo ift auch die griechifche Philofophie ſogleich auf Monotheis⸗ mus gerichtet. Nur ift dabei ein dualiftifche® Ueberbleib⸗ ſel, welches von der griechiſchen Philofophie nicht Übers wunben werden kann, obgleich fie in einem fortfchreitens den Beftreben if, ed möglichſt zu befeitigen. Dieß fehen wir befonders an ben Lehren der Alten von ber Materie. Wir müſſen bei der Beurtheilung derfelden Davon aus⸗ gehen, daß der Gedanke, weicher dem materialiftifchen Dualismus der Griechen zum Grunde liegt, eine Befeitis gung der Härten des urfpränglichen Dualismus anfirebt. Deun wenn diefer einen Kampf entgegengefeßter Prin⸗ tipien feßt, fo fpricht er die volle Gewalt der Entzweis ung aus; diefe aber war fchon gebrochen, als bie künſt⸗ lerifhe Seele der Griechen den Gegenſatz unter den Prineipien fo auffaßte, daß auf die. eine Seite die Fünfts lerifch bildende Kraft des Geiftes, auf die andere Seite nur noch eine leidende Materie zu fichen fam. Hier bas ben wir eben bad, was Baur fordert, daß se Geiſt als Theol. Stud. Jabrs. 1847,

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das herrſchende Princip ſich erweiſen ſoll, und wir ſehen dewilich, daß die griechiſche Philoſophie fortſchreitend dahin ſtrebte, Dem Geiſte mehr uud mehr die Herrfſchaft zu gewinnen: Wenn auf dem Wege ber äfthetifchen An⸗ ficht der Dinge, welcher die Griechen vorherrfchend zu- gewendet waren, die endliche Berföhuung ber Begeufäbe häatte gewonnen werden können, fo würden fie bie GSrie⸗ den wohl gewonnen haben. Denn immer höher flrigert fih ihr Ideal eined künſtleriſch dildenden Geiſtes, immer tiefer ſinkt ihnen die Macht ber Materie herab. Hierin haben Platon und Ariſtoteles das Wichtigſte gethan, in⸗ dem fie die Materie aller Qualität entlleideren,, fo daß fie ganz der bildenden Gewalt bed Geiſtes unterwer fen werden konnte. ie drangen dabei bid zu bem Ge, danken vor, dab bie Materie nur das Nicht⸗Seyende fey; d. 4. nur em Princip blieb ihnen in Wahrheit übrig, das andere Prineip, welches die Wrühern und bie ger meine Borftelung: vorausgeſetzt hatten, verſchwand ihnen : anter den Händen, indem fie meinten, Daß ed mir bie negative Seite an dem Werte Bottes, an dem Ban des Weltalls, in weichem er feinen kuünſtleriſchen Geil verfünder habe, bedeuten konate und dürfte. Die Gpw ren des Dnalismus merkt man biefer Lehre freiticd in ihrer Form noch at; vom Dualismus if fie hergelom men, daher ſetzt fie ſcheinbar zwei Principien; wem fl aber erfiänt, dad eine fey nur das Nichts Geyende, die Beraubung an den weltlichen Dingen, fo könnte man wohl glauben, der Inhalt der Lehre habe dieſe Form &bermältigt und die duagaliſtiſchen Meile zu eines bloßen Sache der Darfielung gemacht. ber fo iſt es bed nicht völlig. Wenn die Meinung berrfcht, die Werke Gottes müßten eine -Beraubung in ihrer materiellen Ro tur an ſich tragen, als Werke der Kunſt müßten fie doch unter dem Künftler bleiben, fie fländen daher unte einer deſchränkenden Nothwendigkeit, welche ihre Bol:

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kommenheit nicht zuließe, fo wird man hierin nodı eine Nachwirkung des Dualismus erfennen müſſen, wie felten man auch dieſe Erfcheinungen in ihrem rechten Lichte erblit haben mag. Beim Platon find die Gedanken in Diefer Richtung noch fo mächtig, daß er, ihnen nachgehenb, nnter den weltlichen Dingen bie nieberen Grabe bee materiellen Daſeyns für unwürdig erllärt, unmittelbar aus der Hand des göttlichen Künftlerd hervorzugehen, und daher ihren Urfprung auf bie gewordenen Götter, die Seelen der Geſtirne, zurückzuführen für nöthig hält. In ähnlicher Weiſe drückt fich dieſer duakiftifche Gedanke beim Ariftoteled aus, wenn er die unregelmäßige Bewe⸗ gung unter dem Monde nicht unmittelbar vom Bewegen ded Himmels, fonbern von den allmählid, zum lnvolls fommneren herabfleigenden Himmelöfphären ableitet. Was nun noch die Stoifer betrifft, fo Tanı man es ihnen nachrühmen, daß fie die dualiſtiſche Form der Lehre übers wanden md, ohne die Kortichritte der fofratifchen Schule aufsugeben, doch zu der monetheiftifchen Lehrweiſe zu⸗ rückkehrten, welche fchon beim Beginne ber’ griechifchen Dhilofophte aus dem Polytheiomus heraus fich zu bilden gefucht Hatte. Doch gewannen fie ben: Gieg fiber die dbualiftifche Form nur dadurch, daß fla. Die Materie in Bott ſelbſt verlegten und fie ald deu Lebenskeim im ſei⸗ nem künſtleriſchen Gelfte betrachteten, welcher ihn aus fih felbft neue und neue Welten‘ zu bilden antriebe, Daß diefe Lehre nun dennoch ein dualiſtiſches Uebetbleib⸗ ſel im fi bewahrte, fann um fo weniger verfannt wer: den, je gewöhnlicher fie bei Alten und bei Neueren für baaren Dualidmnd gehalten worden if. Daher entſprach auch die Form ihrer Lehre nicht ihrem Inhalte, und man mag hierin einen der Gründe finden, weßwegen fle bem Skepticismus, welcher fich neben ihre in verfchiebenen Formen ausbildete, eine reiche Nahrung gab. NIE diefe verneinende Seite am den pofltiven Lehren der alten 41*

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Philoſophie begeichnend, haben wir ihn anzuerkennen; den Bruch aber zwiſchen Menſchen und Welt, welder in der alten Zeit berrfcht, faßt ee nur oberflächlich, faft nur von theoretifcher Seite, und ift weit entfernt von der Ahndung, daß eine Leberwinbung deſſelben durch dad Streben der Bernunft nach ihrer Vollendung uns gebeten feyn könnte,

II. Entwickelungsgang der chriſtlichen Philoſophie.

Da wir, Baur und ih, Philoſophie der Alten und Shriftenthum in ihrem Berhältniffe zu einander fehr vers fihieden benrtheilen, fo iR es nicht zu verwunbern, daß unfere Anfichten über den Berlauf ber chriſtlichen Philo⸗ ſophie fehr von einander abweichen. Um nicht zu weit, läufig zu werben, kann ich nur einige Hauptpunkte her vorbheben,

Drei Hauptperioden habe ich umterfchieben, Die erſte, welche Patriſtik und Schsolaſtik umfaßt, hat rine vorherrſchend theologiſche, die andere von der Wieder⸗ herſtellung der Wiſſenſchaften bis auf Kant eine vorherr⸗ ſchend weltliche Richtung; von der dritten, welche in unſerer neueſten beutfchen Philoſophie ihren Sitz hat, meine ich aunehmen zu dürfen, daß fie darauf ausgeht, die einſeitigen Richtungen Ber —— erſten Perioden aus zugleichen.

Davon bin ih nun freikich weit entferat, meine Uns fiht über die dritte Periode als eine ummſtößliche be baupten zu wollen, Ich babe es nicht verſchwiegen, baß mir jedes allgemeine Urtheil Über eine Zeit, in deren Neigungen und Abneigungen wir noch verflodgten find, unficher und yarteiifch erfcheine. Aber ich weiß nicht, wie ich verfchulder haben möge, daß Baur mir vorwirit, nach meiner Anficht folge nur Einfeitigkeit auf Einſeitig⸗ keit, weil ed nun einmal fa fey, daß die eine Zeit dem Ue⸗

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berfchwenglichen der Theologie ſich zuwende, die andere lieber mit Phyſik und Ethik ſich befchäftige und an das MWeltliche halte, und wenn ed auch endlich zu einer Aus; gleihung der Einfeitigfeiten komme, man doch nicht eins fehe, . wie dieß anders gefchehen könne, ala fo, daß jest zwei Einfeitigkeiten neben einander wären und burdy ihren Gegenfaß fich gegenfeitig befchränften (S. 72.) Wo habe ich dergleichen von der dritten Periode behaup⸗ tet? In meinen kurzen Audfagen über fie Liegt vielmehr das Begentheil, Aber Baur hat fie entweder nicht verftchen wollen oder nicht verftehen können. Sogar von der zweiten Periode habe ich im Allgemeinen zugeftanden, daß fie weniger einfeitig die weltliche Richtung in den Wiffenfchaften vertrete, als die erfte die theologiſche; alfo muß ich wohl eine allmäh⸗ lihe Ausgleichung der einfeitigen Richtungen annehmen. Daß fie nicht eflektifch fey, fondern unter einem Prins cipe ſich vollziehe, hätte ich das hinzufegen follen ? Schr erbaulich führt mir nun Baur zu Gewiſſen, ein Gefchichtfchreiber follte nicht tadeln und alfo auch die Einfeitigfeiten nicht rügen, die ja freilich überall vorhan⸗ den feyn möchten (S. 11.). Noch dankbarer aber würde ic ihm für diefe Zurechtweifung feyn, wenn er mir zu⸗ gleich durch fein Beifpiel gezeigt hätte, wie man Einſei⸗ tigfeiten , ohne fle zu tadeln, als das bezeichnen Fönnte, was fie find. Aber wenn ich fehe, wie er in feinen Ab» handinngen, welche doch neben ihrer kritiſchen auch eine biftorifche Abſicht haben, ſich nicht enthalten kann, über patriftifche und fcholaftifhe Philofophie recht derb ta⸗ deind fich audzulaffen, wie er ihnen Unfreiheit, geiftlofen Formalismus, die unfruchtbare Arbeit der Penelope, Geiftlofigkeit vorwirft, eine dürre Sandwüſte in ihnen findet, wie er behauptet, man müffe noch immer diefelbe Meinung von der fcholaftifchen Philofophie gegenwärtig haben, welhe man von ihr faßte, ald man in Pos lemif über fie hinwegkam (S. 183,), fo muß ich wohl

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bemerten, daß ihm tabeln leichter wird, als befler mas hen. Wir wollen uns über unfere Schwächen mit eins ander gemeinfam tröften und auf einen Dritten hoffen, welchem es befler gelingt, als und beiden, auf bie par teilofe Höhe des Geſchichtſchreibers fich emporzuſchwin⸗ gen. Oder follte es nicht mit diefer Höhe eine eigene Bewandtniß baden? Wie ed doch fo ſeltſam ift mit ben Gemeinplaͤtzen, weldye alle Welt im Munde führt und die Wenigſten recht verftehen. Der Geſchichtſchreiber fol fein Urtheil nicht einmifchen; aus den Thatfadhen fol «6 hervorgehen, von felbft fol es die Ergebniffe an dad Licht bringen. Dieß ift feine Kunft, hinter den Gegen fänden, welche er darſtellt, ſich ſelbſt verfchwinden zu Iaffen. Er hat fie zu üben, damit er nicht beftändig den Zufammenbang feiner Geſchichte unterbreche und von den alten Zeiten auf feine neue Perfon verweife. Aber wird fein Urtheil dadurch ausgeſchloſſen? Ohne ein folches würde er nicht im Stande feyn, Wichtiged hervorzuhe⸗ ben, minder Wichtiges zurücktreten zu laffen, Unwich⸗ tiged gu verfchweigen. Nicht einmal die Thatſachen würde er ald das bezeichnen Förinen, was fie find. Wenn er nun fo überall bei feiner Geſchichte fein Urtheil im Stillen hegen muß, follte es da ein großes Verbrechen feyn, weun er ed aud einmal lant auefpricht? Ein Ber: brechen vielleicht für feine Kunſt, für feine Wiſſenſchaft aber nicht. Und auch nicht immer für feine Kunſt. Es gibt Wendepuntte in der Gefchichte, weiche und unfer Urtheil gleichſam abnöthigen, bei welchen ed wie una türlihe Theilnahmloſigkeit erfcheinen würde, wenn es nicht herporbräde. Nun will ich nicht behaupten, daß ich in allen Zählen, wo ich mein Urtheil eingemifcht habe, ed nadı den Regeln der Kunft rechtfertigen fönnte. Aber gerade da, wo Baur meinen tadelnden Urtheilen nad» gegangen ift, glaube ich fie am leichteften rechtfertigen zu können, in den Ueberſichten nämlich, welche ich mei⸗

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ner Gefchichte vorangefchicht habe. Im Verlaufe ber Ger ſchichte werdeu fie freilich auch micht fehlen; aber auch bierin dürfte wohl der Gefchichte der Wiſſenſchaften ein andered Maß zu geflatten ſeyn, ald manchen anderen Arten der Geſchichte; dach habe ich im Gange der Er⸗ sählung ſelbſt dahin geſtrebt, meiſtens, wo es ohne zu große Weitlänfigkeit gefchehen konnte, dad Urtheil aus den Thatſachen felbft heroorgehen zu laſſen. Dagegen mit den Weberfidhten über den allgemeinen Verkauf ber Geſchichte if ed ein Anderes, Im ihnen darf man nicht unterlaffen,, aus den Hauptzägen im Gange der Entwis delung Stärten und Schwächen im Charakter der Zeiten herooszuheben und fo Lob und Zabel zu geben; denn nur anf diefe Weile fann man zeigen, wo und worin die Wendepuntte der Geſchichte liegen. Die Rothwendig- feit hiervon fühlt ein Jeder, welcher mit allgemeinem Blicke die Befchichte der Menfchheit zu umſpannen fucht; gegen fie werden die Gemeinplätze, welche Baur gegen das Urtheil des Gefchichtfchreibere aufruft, ſchwerlich irgend eine Kraft beweifen können.

Sonderbar, ic) muß Baur’d Methode gegen Baur ſelbſt vertheidigen. Denn fo wie er fordert, daß Die Gefchichte der Philofophie nur auf das Allgemeine ger richtet ſeyn follte, hat er es eben auf eine Gefchichte ber Philofophie nur in großen Leberfichten, gleichſam im Lapidarſtyle abgefehen. Dergleichen wird. ſich aber nur durch ein ſtark hervortretended Urtheil des Geſchicht⸗ ſchreibers ausführen Laflen, welches wie mit einem Fe⸗ derfiriche der Genfur alle minder bedeutenden Lehrweiſen befeitige und nur dem Allerwicdhtigfien eine Gtelle in der Gefchichte verſtattet. Liege darin kein Tadel? Sollte Baur nicht wiſſen, was die Eonftruction der Gefchichte bebentet, nämlich eine Beurtheilung derfelben vom Stand punfte bed Gefchichtfchreiberd, und daß Pie negatine Seite, weiche Hegel und Baur für beu Kortfchritt in der

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Philoſophie fordern, einen Tadel im fich ſchließt? Es it, als hätte Baur meine eigenen Grundſätze, welde dei der Eharakterifirung der beiden erflen Perioden in der Gefchichte der chriftlihen Philofophie zur Anwen dung gefommen find, ausdräden wollen, wenn er (S. 114.) fagt, ed ſey der natürliche Gang des denken⸗ den Bewußtſeyns, daß es von der einen Seite auf die andere getrieben werde, fobald ed einmal angefangen hätte, feiner Einfeitigkeit inne zu werden.

Es wird fih Banr hierbei wieder über die Biber: fprüche in weinen Behauptungen wundern. Gegen die Conftruction in der Geſchichte hade ich manches Wort verloren und nun billige ich fie doch, Ich denke aber, das Eine thun und das Andere nicht Laffen. Die Vergangenheit können wir nur aus unferem gegenwärt- gen Standpunkte begreifen, und das will die Conſtruction der Gefchichte; aber die Gegenwart Föunen wir audı nur aus der Vergangenheit begreifen, und daͤzu gehört mehr ald Conftruction der Geſchichte.

Daß aber meine Eintheilung der Sefchichte der chrifl: lichen Philofophie aus dem Standpunkte, welchen mei nem Urtheile nach gegenwärtig die Philofophie einnimmt, heroorgegangen ift, habe ich auch nicht verfchwiegen. Nur verwechsle ich dieſen Standpunkt nicht mit ber Lehre einer der Schulen, welche ſich fo eben bie Herr fchaft fireitig machen, Um fo verbädhtiger wird mein Urtheil ben Anhängern diefer Schulen ſeyn und beſonders folchen, weiche nad Baur’d Urtheil meine, Kenntniß der neuefen Philoſophie abfchägen.

Gh muß etwas weiter auöholen, um die Verſchieden⸗ heit feiner und meiner Meinungen über diefen Punkt in das rechte Licht zu feßen.

Selbfl denen, welche nicht eben ſehr fcharfficktig un fere Zeit zu muftern pflegen, bat es nicht entgehen kön⸗ nen, wie allmählich die religiöfen Beweggründe mit wach⸗

üb. d. Begriff u. d. Verlauf d. chriftl. Philofophie. 607

fender Macht um ſich gegriffen haben. Rur über den Anfang bdiefer Bewegungen kann Berfchiebenheit ber Meinungen berrfchen. @inige find geneigt geweſen, ih⸗ ren Grund in der Zuchteuthe der franzöftfhen Revolus tion oder, wenn von und Dentfchen befonders bie Rede it, in dem Auffchwunge unferes voltöthümlichen Lebens nach unfern großen Niederlagen zu fuchen; noch Andere, weihen alled Heil aus der Speculation zu fommen fheint, haben geineint, erft bie neuere Pbilofophie, weiche fie anf Hegel oder Schelling zurädführen,, hätte diefe Wirkung hervorgebracht. Ihnen gehört allem Aus [heine nach Baur an. Mir dagegen, wenn id mich auf unfere deutfchen Zuftände beſchränke, fcheint es, ale müßte man bie religiöfen Bewegungen etwas weiter zus rück verfolgen. Wenn ich mir den Berlauf unferer Littes ratur vergegenmwärtige, fo finde ich neben dem äfthetifchen Intereſſe, welches ihn leitete, auch ein religidfes fehr lebhaft vertreten. Um nur an einige Männer, bie es zu erfennen gaben, und zwar in fehr verfchiebener Art, bier zu erinnern, nenne ich Leffing, Hamann, Herder, 3. H. Jacobi. Sollte unfere Bhilofophie, die nur ein Theil unferer Litteratur ift, nicht auch hieran ihren Ans theil gehabt haben? ch glaube zu bemerken, daß es in einem höhern Grade der Kal gemefen ik, als man auf den erften Anblick vermuthen möchte. In biefer Meinung habe ich geltend zu machen gefncdt, daß von ben Zeiten Kant's an und vorzüglich durch fein Bemühen die Phi: Iofophie wieder eine mehr theologifche Richtung genom⸗ men habe, indem Kant das Berdienft in Anfpruch neh⸗ men dürfe, den Blick Über dad Gebiet der Erfahrung und Erfheinung hinausgetragen und auf das Tranfcen, dentale gerichtet zu haben.

Segen diefe meine Anſicht fann nun Baur feinen Unwillen nicht laut genug zu erkennen geben. „Mau traut,” fagt er (S. 70.), „feinen Augen kaum, wenn man

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eisen Gehrer und Geſchicheſchreiber der Philoſophie über die kantiſche Philofophie ſolche Behauptungen aufkellen fieht, an deren Stelle das gerade Begeutheil zu ſetzen il. Der Urheber der Eritifchen Philofophie fol den Blid über die Erfahrung hinaus erhoben haben, er, ber alles Wien der theoretifchen Veruunft auf die Erfahrung be⸗ fchräntt wien wollte, berfelbe foll der Korfchung wieder eine theologifche Richtung. gegeben haben, er, ber alk Religion und Theologie in Moral umſetzte, das Daſeyn Gottes zu einem bloßen Poftulate der praktifchen Ber munft machte, deflen natürliche Conſequenz ber fichte'ſche Atheismus war ?”

Baur fügt diefen Worten noch die Bemerkung bei, daß ich wohl mit gutem Grunde es ablehnte, meine Ge⸗ fchichte der Philofophie bis auf die neueften Zeiten fort: sufenen. Wenn num auch ‚diefer Zuſatz wur eine unge nane Erklärung meiner Aeußerungen über biefen Punft enthält, fo beflärkt er und was ihm vorhergeht mid dach nur in meiner Meinung, daß eine beurtheilende Ge⸗ ſchichte der philofophifehen Bewegungen, in welchen wir noch fämpfen, ein Unternehmen mebr der Noch ald eine freudigen Befonnenbeit und im beſten Falle mehr ber Polemik als der wiflenfchaftlichen Kritik angehört. Deun es ift eben der Eifer des Streites, welcher meiner Bei: nung nach es unmöglich macht, eine reine Geſchichte bier fer Bewegungen au geben, weil wir weder Freund nod Feind unpartelifch zu beurtheilen vermögen, und Partei Schriften geben Feine Geſchichte. Kaum aber hätte ic mir gedacht, daß die Feindfchaften, welche ja freilich oft und leibenfhaftlich genug unfere beutfchen Philoſe⸗ phen entzweit haben, noch gegenwärtig fo Karte Epuren eined gehäffigeu Urtheild zurückgelaſſen hätten, wie fe bier in Baur’ Bemerkungen gegen Kaut's und Fichte's Philoſophie vorliegen. Kaum kaun man fagen, daß ee hier nur um die Beurtheilung philoſophiſcher Gedanken fi) handle, vielmehr bie Thatfachen ſelbſt werden entſtelll.

üb. d. Begriff u. d. Berlauf d. chriſtl. Philofophie. 609

Mit welcher Stira wagt man wohl heute noch uns das Mährchen vom fichte’fchen Atheismus anfzuwärmen ? Bor nun fait einem halben Jahrhunderte mochte ed wohl aufgeregten Theologen, weldye den Zufammenhang der fichte'ſchen Lehre nicht durchdrungen hatten, nöthig fcheis nen, das Anathem über ben jemaifchen Neuerer zu rufen ; aber ſollte es jeßt noch verzeihlich fcheinen, berglei: hen Unmwahrheiten nachzufprechen, nachdem der Sinn der Wiſſenſchaftslehre Jängft Fein Geheimniß mehr iſt? Freilich bat Fichte Bott die moralifhe Weltordnung genannt; aber fein Berfuch, das Publicum zum Berfländ» niffe zu zwingen, muß wohl an fo hartnädigen Gegnern, wie Baur if, gefcheitert feyn, wenn fie feine deutliche Unterfcheidung zwiſchen ordo ordinatus und ordo ordi- nens nicht haben begreifen koͤnnen.

Wir können und darüber nicht mehr wundern, wenn wir das noch viel größere Wunder fich begeben fehen, daß auch die fantifche Lehre in dieſelbe Verdammniß dee Atheismus verwidelt wird, weil fie confequenterweife anf Die fichtefche Lehre führe. Die alles möchte wohl ein befonnener Korfcher, welcher die wefentlichen Unter, fhiede beider Syſteme bedenft, nur mit Erſtaunen dar⸗ über hören, wie weit die Lehre von der nothwendigen Evolution Der phbilsfophifchen Syſteme aus einander derbienden könne.

Die Berwunderung über den kantifchen Atheismus wird nur badurdh etwas gemildert, daß Baur doch wer nigſtens die Gründe einigermaßen durchfehen läßt, wars um ihm die Lehre Kant's über Bott wie Atheismus ex, ſcheinen will, Iſt es nicht ein Frevel, daß Kaut der theoretifchen Bernunft fo wenig, der praftifchen Vernunft fo viel vertraute? Einem ſolchen Menfchen, „der alles Wiſſen der theoretifchen Bernunft auf die Erfahrung bes Ihränft wiffen wollte,” darf man nicht zugeſtehen, „den Blick über bie Erfahrung hinaus erhoben zu haben;”

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„er, der ale Religion und Theologie in Moral nmfebte, das Dafeyn Botted zu einem bloßen Poftulat der prakt: tifchen Vernunft machte,” darf nicht „der Korfchung wieder eine theologifche Richtung gegeben haben. Aber find denn alle diefe Folgerungen Banr’s nur einigermaßen haltbar? Man braucht nicht eben ein Ber ehrer des Poſtulats der praftifhen Vernunft zu ſeyn, um in demfelben doch einen Haltpunkt zu entdecken, welcher Kant's Lehre gegen alle die angeführten Vorwürfe Baur’e fichert, Freilich ift ed ein ſchiefer Ausdruck Kant's, der praltis fchen Bernunft Erkenntniffe verdanken zu wollen, welche doch nur durch Die theoretifche Vernunft in ihrer Unter fuchung ber ypraftifchen gewonnen werden Tönnen; aber auf folhe Mängel in der Darfiellung der Gedanten dürfen wir nicht zu großes Gewicht legen, am wenigſten Baur, deffen fchiefe Audlegungen noch bei MWeitem die unbeholfenen Wendungen ded königsberger Weilen überbieten. Wenn Kant in feiner Kritik Der reinen Bernunft den ffeptifchen Standpunkt fo lange als mög- lich feftzuhalten fich entfchloflen zeigte, wenn er daher von den Formen unferer finnlichen Anfchauung und unferee Dentens annahm, daß fie, wenn auch keineswegs and der Erfahrung ſtammend und felbft zu tranfcendentalen ideen der Bernunft führend, doch ald Mittel zw den Zweden unferer Erfahrung angefehen werden könnten, fo wird ihm dieß ausgelegt, ale hätte er alles Willen der theoretifchen Vernunft auf die Erfahrung befchrän fen wollen. Als wenn nicht feine Kritif vielmehr dar auf ausgegangen wäre, zu zeigen, daß die Erfahrung ihre Borausfegungen a priori hätte und daß man, um die Erfahrung beurtheilen zu Fönnen, ihre Bedingungen feunen müſſe. Da mußte er benn wohl feinen Blid über bie Erfahrung hinaus werfen; fein Verſuch, fie zu benztheilen, mußte auf die Einficht in ihre Gründe fid ſtützen. Aber er fragte freilich auch zugleich, ob dieſen

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Gründen noch eine andere Bedeutung beiwohne außer eben nur ber Erfahrung zu dienen und zweifelnd und wieder zweifelnd ließ er ed zuletzt unentfchieden, was die theoretifche Vernunft betrifft, ob die auf den», felben Gründen beruhenden Ideen ber Vernunft, zu welchen auch die Idee Gottes gehört, dazu beftimmt wären, und auf ein Seyn zu verweifen, welches außerhalb dem Gebiete unferer Erfahrung liegt. Heißt nun eine folhe fteptifche Vorſicht Atheismus? Oder weil fie. zus weilen mit Atheismus verbunden geweſen if, barf man darum annehmen, daß fie nothwendig zum Atheismus führen müſſe? Solche Folgerungen in Bezug auf die fautis fche Lehre zu ziehen, möchte man noch für erlaubt halten, wenn miche Kant, laut genug feine Freude Darüber ger äußert hätte, daß die Gründe der Erfahrung und ger Ratteten, ja aufforderten, außer ber finnlichen eine übers finnliche Welt anzunehmen, in Llebereinftimmung mit dem Fordernugen, welche die praftifche Vernunft als vernünfs tig anzuerkennen uns nöthige, An diefe Forderungen (hließt num Kant allerdings : die gilgemeinfien Grunds füge an, melde nnfere Religipn billigt, auch die ſoge⸗ nannte Lehre vom Dafeyn Gotted. Aber ‚heißt dieß alle Religion und Theologie in Moral umfegen und das Dafeyn Gottes zu einem bloßen Poſtulate ber prakti⸗ (hen Bernunft machen? Die legte Formel würde die Annahme gulaffen, daß die praftifche Forderung, es fey Gott zu denken, aus theoretifchen Gründen zurückgewie⸗ len werden müßte, und dieß würde mit der Meinung Baur's ‚Übereinkimmen, daß die Tantifche Lehre con⸗ leguenterweife auf Atheismus führe; mit der Lehre Kant's jedoch ſteht dieß nicht in Einklang. Noch wenis ger iſt es die Meinung Kant’d, daß alle Religion und, Theologie nur auf Moral hinauslaufe, vielmehr hat Kant ſelbſt fich deutlich genug darüber ausgedrückt, daß Religion und Theologie nicht in Sittenlehre, auch nicht

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m ſittlichen Leben berube, fondern in der Erkentriß, daß die Gebote der Sittenlehre Geſetze Gottes find. Ic follte meinen, der Unterfchied wäre handgreiflid.

Frage ih mih num, warnm Baur in ben Lehren Kant's und Fichte's die theologifche Richtung fo gar nicht anerkennen will, fo finde ich Feine andere Antwort, als weil er feine andere Theologie zugeben möchte ald Die fpecnlative und weil er, das Speeulative im Gegen⸗ faße gegen das Prattifche faflend, auch eine jede Theolo⸗ gie veradhtet, welche von praktiſchen ober moraliſchen Ueberzeugungen ansgeht. Was nicht fpeculative The logie ift, fondern aus praftifhen Beweggründen fein Webergeugungen: von Gott fihöpft, darin will er amt Athelsmus erbliden. Bon diefem Geſichtspunkte aus konnten ihm denn freilich Kant’d and Fichte's Lehren über Bott nur als Berlengnungen der wahren Theolo⸗ gte erfcheinen. Deun fie bezeichnen beide den Stand⸗ puntt einer Zeit, welche, von dem eingewurjelten Zwei: fel gegen die Theologie zurückkehrend, die ſtärkſten Ueber⸗ jengungen des Menſchen, feine fittlichen Leberzeugungen, fein Gewiſſen, gegen biefgn Zweifel aufrufen zu wählen glaubte. Schon an anderen Gtellen habe ich aufmml fam gemacht auf bie Aehnlichkeit dieſes Uebergangs in der Philoſophie De nenern Zeit mit ber Epoche in der alten Philoſophie, wo Sokrates gegen bie Zweifel der 6" phiften auf das fittliche Bewußtfeyn der Menſchen ſich zu berufen für nöthig hielt. Aber wie ed dem Sofrated gegangen IN, fo müſſen au Kant und Fichte es jebt er fahren. Wan har jenen befchuldigt, auf demſelben Stand punfte mit den Sophiften zu ſtehen; Diefe fen es Ad aefallen Laffen, mit den frangöflichen Atheiften in eime Elaffe geworfen gu werden.

Bon diefem Punkte aus durfte ſich Licht verbrei- ten über die Berfchiedenheiten der Meinung, weiche Baur’ und mein lrtheil Aber die Befchichte der Philofephie

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trennen. Seiner Meinung nad ift die Geſchichte wer fentlidh eine Entwidelung der fpeculativen Idee, d.h, ber theoretifchen Vernunft. Dagegen kann ich nicht leugnen, daß ih die Entwickelung ber Philoſophie nur ale einen Zweig der Geſchichte ber Vernunft überhaupt betrachte, welcher, weit davon entfernt, bie übrigen Beſtrebungen ver Menfchen gu beherrfchen, vielmehr nur in der Wech⸗ felwirfung mit ihnen begriffen werden kann. Die Sefchichte der Menſchheit iſt mir ein firtlicher Borgang,. der unter Naturdedingungen fi vollzieht und daher auch jebe Rich⸗ tung der vernünftigen Thätigleit in gleicher Weife in Infprach nimmt; in biefem Borgange kann ich Die Phi⸗ loſophie, ja die Wilfenfchaft überhaupt uar ale einen Theil Der fittlichen Güter betrachten, welche wir gewin⸗ nen foflen.

Diefe Brundverfchiedenheis unfever Aufichten macht fh naturlich auch In unferer BVeurtheilung der nenern Dhilsfophle vor Kant bemerklich. Baur tabelt mich, daß ich zur GSharakterifirung meiner zweiten Periode hanptſaͤchtich auf ihre Ausgänge, anf den fenfualikifchen Atheismus des vorigen Jahrhunderts bei Englänbern und Branzefen verwioſen habe. Doch meineich darin nur ben Graupfap befolgt zu haben, daß man wicht allein ein⸗ zelne Menſchen, fonbern auch ganze Zeitraäͤnme an ihren Früchten erlennen fun. Wir wollen aber fehen, ob Baur aus der Mitte diefer Periode etwas beizubringen im Staude if, wad gegen die antitheolegifche Richtung ihrer Philoſophie, welche ih behaupte, entfchiedenes Zeugniß ablegte. Behr kur; und feined Sieges durch

den bloßen Schrei! der Namen gewiß, führt er (S.68f.)

den Gartefius, den Spinoza und befonders unfern Leib» niz an, befien angelegentlihes Beſtreben geweſen fey, Glauben und Wiffen mit einander zu vermitteln. Soll⸗ ten diefe großen Ramen uns nicht fchreden? Im Ges

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gentheile, fie forbern uns zu einem freimüthigen -Urtheil auf.

Daß die Theologie ded Carteſins äußerſt dürftig war, bedarf kaum eines Beweifed. Das Suterefle ſei⸗ ner Forſchung führte ihn nicht nach diefer Seite zu. Wenn er auch glaubte, von Bott anfangen zu mäflen, um feine vagen Zweifel gegen die Wahrhaftigkeit unferer Borftellungen zu widerlegen, wenn er dabei auch den Gedanken äußerte, daß die volllommenfte Erkenntniß Alles von Gott ale der erften Urſache ableiten follte, fo fprtugt er doch alsbald von diefem Wege ab, indem er erinnert, daß wir endlich find und daher das Unendliche nicht zu erfennen vermögen, vielmehr der Offenbarung in allem, was unfern Verſtand überfleigt, glanben and unfer Nach⸗ denfen zurüchalten follen von der vergeblichen Erforſchung des Uneublien (de princ. phil. I, 24 q.). Ber kennt hierin nicht den wiflenfchaftlichen Indifferentismus gegen das Theologifhe? Diele andere einzelne Sätze ded Gartefiud beweifen ihn. Dann und wann führen ihn Lehren Auderer oder fein eigenes Nachdenken auf theo⸗ Iogifhe Süße zuräd, 3. 3. auf dem berühmten Gag, daß Gott die einzige Subflanz im eigentlihen Sinne fey, aber fie blieben unfruchtbar, weil er fie ‚nicht verfolgen ag. Außer der Lehre von der höchſten Vollkommenheit Gottes, welche zum ontologifchen Beweife bieut, und von feiner Wahrhaftigkeit, welche zur Behreituug des Zwei⸗ feld gebrandyt wird, finde ich, daß er mis Vorliebe nur bei einem Punkte verweilt, bei der Lehre nämlich, daß Gott fogleich bei Schöpfung der Welt in fie die ganze Quan⸗ tität der Bewegung gelegt babe und diefelbe durch alle Zeiten unveränberlih bewahre (de princ. phil. II, 36.). Diefe Ausnahme beftätigt die Regel. Denn diefer durch⸗ aus willkürliche Sat, er wirb von Gartefius nur dep wegen vertheibigt, weil er die Grundlage feiner durchaus mechanifchen NRaturesSlärung bilder, welche das eigent-

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liche Ziel feiner Philoſophie, ja dad wahre Interefle aller feiner wiffenfchaftlichen Beftrebungen ausmacht. Hierin fteht Cartefius mit feinem Zeitgenoffen Hobbed, welchen Baur ſchwerlich als Zeugen der theologifchen Richtung in der Philofophie diefer Zeit wird aufführen wollen, auf ganz gleichem Boden, nur daß er, weniger folgerichtig ale diefer, zwar die Thiere, aber nicht die Menfchen für Mafchinen erflärt. Eben diefe mechanifche Richtung ſei⸗ ner Raturlehre macht ihn zum würdigen Vorgänger der Männer, welche den Menfchen nicht allein mit den Dflans zen, fondern audy mit Mafchinen und Uhrwerken vers glichen; le bildet die Grundlage des neuen Atheismus von feiner bogmatifchen Seite, indem fle eine einfeitige Raturlehre verbreitete, welche, wie auch Carteſlus that, von der Erforfhung der Endurfachen ſich abwendete uud dadurch die Phyſik fo viel ale möglich außer Zus fammenhang mit der Ethik fegte. Wenn ich hierin ein Zeichen ihrer antitheologifchen Richtung fehe, fo wird wir Baur wahrfcheinlich nicht beiftimmen, weil er in ähnlicher Weiſe geneigt ift, das Theologifche fo viel ale möglich von der Moral abzufondern.

Was ferner Spinoza betrifft, fo ift er freilich ein Krenz nicht allein der Philofophen gewefen, fondern noch gegenwärtig der Befchichtfchreider. Wie fein Leben nur in Farger Mittheilung verlief, fo flieht auch feine Philofophie einfam da, ohne ihres Gleichen in ihrer Zeit, faft unverflanden und nur durch fparfame Fäden mit den Richtungen feiner Zeitgenoffen zufammenhängend. Wer fle nur flüchtig eingefehen hat, dürfte vieleicht geneigt ſeyn, ſie eher einer Uebertreibung als eines Mangels ber theologifchen Richtung zu befchnldigen. Denn in ber liebe Gottes findet fie alle Tugend und alle Seligfeit, in der Erkenntniß Gottes alle wahre und adäquate Er- kenntniß. Eben die Säge zieht fie hervor, welche Gars tefind als unfrachtbar bei Geite ——— hatte, daß

Theol. Stud. Jahrg. 1847.

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Gott die einzige Subſtanz und bie einzige Urſache fey und der Menfch Alles in Bott erfennen ſolle und koͤnne. Dennoch wer eine fruchtbare, für bad Leben heilfame Theologie fucht, wird vou feinem Pantheiſsmus fich ab» geitoßen finden und wohl nicht weniger von faR allen den Käbden, durch welche berfelbe mit der Philoſophie feiner Zeit zufammenhängt. Wenn man da belehrt wer den fol, daß Alles in Ausdehnung und Denken beftcht, daß die Ausdehnung nur in einer Reihe von medani- fchen Bewegungen verläuft, die nothwendig die eine bie andere verurfachen; wenn mit biefem mechantfchen Zu famnmenhange der Körperwelt der Zufammenhang der

geifligen Bewegungen in Bergleich geftellt wird, um zu

eigen, daß die Freiheit unferes Willens nichts fey; wenn Epinoza die Endurfachen verwirft, bie allgemeinen Be: griffe für verworrene Einbildungen erklärt und die Zu genden fittliher Gemeinſchaft, welche Staat und Kirche verbinden, nur auf Jutereſſen der Selbſtliebe zurüchn⸗ führen weiß: fo fann man nicht andere als urtheilen, daß feine Philofophie den wefentlichen Bebingungen der wahren Theologie nicht entfpreche. Sein tiefered Gemäth weiß ſich aus diefem Irrſale feiner Lehre nur dadurch zu retten, daß ed die Welt aufgibt und in Entfagung auf alled Handeln nur in leidenfchaftälofer Erkenntniß Gotted feite Tugend ſucht. Es it wohl möglich, daß Baur in dieſer Lehre, welche allem Praktiſchen abgeneigt iſt, um der Speculation unbedingt fih zu ergeben, einen mäd- tigen Fortfchritt der Theologie fiehtz ic) dagegen kaun ihn darin nicht erbliden,, auch abgefehen von der Feind fchaft des Spinoza gegen alle pofltive Religion, in wel cher er ein Borlänfer der Freidenker war und ben Ruf eines Atheiften fich 3ug0g.

In diefem wie in andern Punkten war nun frellic

Leibniz faſt das volle Widerſpiel des Spinoza. Aber eben dieß kann darauf aufmerkſam machen, daß es für die Beurtheilung der Philoſophie des fiebzehmten und

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ber erſten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts faft gar nicht auf das theologifche Bekenntniß der Philoſophen ankam. Ihre Philoſophie und ihre Religion waren zwei Dinge, welche mit einander wenig zu thun hatten, weil ihre Philoſophie nicht theologifh umd ihre Theologie nicht philofophifh war. Man, könnte dieß jedoch von Leibniz bezweifeln, weil er gelegentlich auch mit theolos giſchen Händeln, wenn auch nur in Verſuchen, Frieden zu fliften, ſich abgab und dabei auch philofophifche Gründe nicht verfhmähte, wenn man die weitfchichtige Thätigkeit diefes Mannes nicht in Anfchlag zu bringen wüßte, welche ihm mit gar mandherlei Dingen zu fchafs fen machte, ohne dag dabei mehr ale die Formeln, auch bad Herz feiner Philoſophie im Spiele geweien wäre, Weis man den Grundgedanken feiner Lehre von mancher: lei Anhängfeln, welche er ihm im Spiele feines beftändig befchäftigten Geiſtes gegeben hat, zu unterfcheiden, kennt man den Grad einer nur ffizzenhaften Ausführung, wel⸗ he er ihm zu Theil werben ließ, fo wird man der Bes hauptung Baur's gegenüber, welcher diefen Philofophen zu einem Haupthelden der neueren Theologie machen möchte, nur erftaunen fünnen, wie wenig feine Philofos phie das theologifche Gebiet berührt, wie flüchtig, unzus fammenhängenb, geiftreich freilich, aber auch wiſſenſchaft⸗ lich roh feine Aenßerungen über Gott und fein Berhälts nis zur Welt ind. Wird man etwa daraus große Weis⸗ heit fchöpfen können, daß er Gott den Ardyiteften des Reiches der Natur und den Monarchen des Reiches‘ der Gnade nennt, oder daß er will, wir follen ihn als die Monade der Monaden bdenfen, d. h. die einfache Subflanz, welche dennoch eine Bielheit einfacher Sub⸗ Ranzen in fih umfaßt? Oder daß er den Gedanken Gottes herbeiruft, um biellebereinftiimmung zwifchen den einzelnen Monaden, welche in ihm 'präſtabilirt feyn fol, % 43 *

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erklären zu können? Oder daß er, wie Thomas von Aquino, ihn wählen läßt unter den vielen möglichen Welten, damit die beſte Welt gefchaffen werde, melde zwar nur unvolllommene Dinge, aber dod andy nur bie möglichft Pleinfte Summe des Unheild in fich enthalten fol? Oder follen wir es für mehr als flüchtig hinge worfene Bilder halten, wenn er fagt, die Befchöpfe waͤ⸗ ren Kulgurationen Gottes, und indem Gott rechne, werde die Welt? Unftreitig, wenn man in das Berfländniß der leibnizifchen Lehre eindringen will, bat man nicht von diefer Seite unzufammenhängenber @infälle und nur für eine vorläufige Verftändigung berechneter Yeußerungen außzugehen, fondern muß mit feiner Lehre von den ein fachen Subftauzen und von ihrem Zufammenhange unters einander beginnen. In ihr fuchte er felbft den Kern feiner Philofophie. Was finden wir nun bier ald bad Charakteriftifche feiner Lehre? Sie geht wefentlich dar auf aus, die VBerworrenheit der finnlichen Erfcheinungen aufzulöfen durch Zurüdführung auf das Einfache, und

hofft, in dieſer Weife Alles in verftändliche Begriffe aufs -

zulöfen. Dadurch verfchwindet ihm die förperliche Ma⸗ terie, Alles wird auf die Analogie der Seele und ihrer inneren Entwidelung zurückgebracht, Alles fol ſich aus den angebornen und in der Seele fi entwidelnden Bes . griffen des Verftandes erkennen laſſen. Diefe angebor- nen Begriffe und apriorifchen Erkenntniſſe findet nun Leibniz mit feinen Zeitgenoflen vornehmlich in der Mar thematil. Wo man die Erfcheinungen in die Begriffe von Figuren, Zahlen und Bewegungen auflöfen faun, da iſt ihrer Erklärung Genüge geſchehen. Selten wird man bei Leibniz, deſſen fchillernder Geiſt freilich in gar bunten Karben fpielt, eine Erörterung über die Erklaͤ⸗ rung der Erfcheinungen- finden, in welcher nicht dieſe Berufung auf die Mathematik eine Rolle fpielte; in ſei⸗ ner Monabologie und feiner Erklärung der Berbindung

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unter ben GSubkanzen iſt fie Mittelpunkt feiner Lehre, Ale Monaden entwideln fi innerlih, In Bewegungen, welche für eine jede einzelne ansihrer innern Natur hervor⸗ gehen; die eine Bewegung treibt die andere hervor, fo wie in der Körperweit die folgende eine mechanifch noth⸗ wenbige Folge ber früähern ifl; der Wille ift nur die Ten⸗ denz von dem einen Bewußtfeyn zum andern; das früs here Bewußtſeyn erzeugt das fpätere und .ift der zurei- chende Grund deffelben, fo wie aus den Örundfägen bie Folgerungen nothwendig fid) ergeben; es hängt hier Al: led gufammen wie in dem verwidelten Bewegungen einer Mafchine, und nur hieraus läßt es fich erklären, daß bie Subſtanzen, obgleih nur innerlich ſich entwidelnd und in feiner Wechfelwirtung unter einander, democh in einer befändigen Harmonie find, wenn man vorangfeßt, daß fie im erfien Womente ihres Daſeyns in einer fols hen Harmonie waren, denn die nothwendigen Folgen in den Bewegungen zweier oder mehrerer Mafchinen müfs fen einander entfprechen, wenn bie erſten Zuftände berfelben einander entfprochen haben. Wenn man diefe Hauptpunfte ber Eehre von den Monaden und ber präftabilirten Hars 'monie vor Augen bat, fo wird man nicht daran zweifeln können, daß Leibniz derfelben Betrachtungsmweife angehört, welche die Lehre der nenern Dhilofopbie bis Kant, fo weit fie dogmatifch it, im Ganzen beberrfcht hat und welche weſentlich darauf ausgeht, burch eine von der Mathemas tit erborgte Erklärungsweife alle Erfcheinungen nad mechanifchen Gefegen zu begreifen. Damit häugt es auch zufammen, daß die leibnizifche wie die carteflanis _ ſche Schule die Methode der Mathematik der Philoſo⸗ pbie aufbringen wollte Ob aber eine foihe Mechanik der Natur und des Beiftes der Theologie zufagen könne, diefe frage möge fidh ein Jeder felbft beantworten. Ber in der Religion noch etwas Anderes als Theorie fucht, wird nicht leicht darüber in Zweifel feyn können.

Wenn ichı'num dennoch nicht begweißele, daß Diele neuere Philoſophie in der carteflantfchen und leibutzifchen und nicht minder in der lodefchen und condillacſchen Schulte noch den Entwidelangen ber Philoſophie im Fort⸗ fchreiten bes chriſtlichen Geiſtes angehört, fo beruht dieß auf meiner llebergeugund, daß allerdings der Ausbildung der Lehrweife, wie fie bie dahin Rattgefunden hatte, eine ſtarke Erfchütterung wie in fleptifcher, fo in dogmati⸗ fcher Richtung nöthig war. Die Brände hiervon Hegen in der Geſchichte der patriftifchen und Ber mittelalterlis chen Philofopbie, befonderd auf der einen Seite in ihrer einfeitigen theologiſchen Richtung, auf der andern Geite in der Beimifchung bdualiftifcher Lehrpunkte, weiche ihr son der alten Philofophie Überlommen waren. Wie jes ner bie ganze neuere Philoſophie entgegenarbeitete, if einleuchtend genug; daß fie aber. auch diefer ſich entges genfegte, geht daraus hervor, daß die mechanifche Ras turerflärung der neuern Philoſophie, hierin wefentlicdh werfchieden won Ihnlichen Richkuugen der alten Bhilofer phie, Alled anf ein Princip der Bewegung zurückpubrin⸗ gen .firebte. Wie abſtract und todt daffelbe auch aufge, faßt werden mochte man glaubte ed zulegt in der Gravitation gu finden —, ein Gegengewicht gegen dem Dualismus gab ed doh ab. Sogar daß es meiftend sur im der Naturerflärung geltend gemacht wurde, wußte zur Schwächnng, wenn auch nicht zur Ueberwindung des Dualiemus dienen, weil diefer in dem ethiſchen Segen fage zwifchen Gutem und Böfen feinen ſtärkſten Helt findet.

Da ich nad Weife der Conftruction der Geſchichte von unfern Zeiten räfwärtd auf die Bergangenheit ge führt worden bin, fo würde mir nur noch obliegen, über die patriſtiſche und mittelalterliche Philofophie das Nö⸗ thige zu fagen. Doc mag ich nicht Die Einzelheiten von Baur's Kritit durchgehen, aus Furcht, zu weit geführt

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zu werden. Dad Meiſte if fchon im meiner Gefchichte biefer Theile der Philoſophie, wie ich glaube, hinreichend erörtert; über die vorherrfchend theologifche Richtung in der patrißifchen und mittelalterlichen Philofophie ift auch Schon hinreichend gefprochen worden; nur über die duas liſtiſchen Lehrpuntte, welche aus ber alten in bie fpätere Philofophie eingedrungen waren, glaube ich noch etwas hinzuſetzen zu müſſen.

Anch Baur erkennt ſie an. Doch muß ich befürch⸗ ten, daß wir auch in ſolchen Punkten, wo wir gemein⸗ ſchaftlich ſie finden, nicht gleicher Meinung find, weil wir eine verfchiedene Anfiht vom Dualiömus haben. Daher wird e6 unerläßlich, über deſſen Begriff uns zu verftänbigen.

Die Berfchiebenheit unferer Meinungen über biefen Punkt kommt bei Belegenheit meiner Eintheilung der guoftiichen Syſteme zur Sprache, Ich habe fie nämlich in dualiftifche und ibealififche eingetheilt. Banr fagt dagegen (5. 75.), Dualidmus und Idealismus bildeten feinen Gegenſatz. Das iſt richtig; ed kann auch einen idea⸗ liſtiſchen Dnalismus, and) einen materialifiifchen Monis⸗ mus geben. ber mir kam es begreiflicher Weife nicht darauf au, alle Möglichkeiten in einer ſchulgerechten Slafr ſiſteation zu erfchöpfen, fondern nur die geſchicheliche Wirklichkeit hatte ich vor Augen und da fand ich zwei Arten der Gnoſtiker, folche, welche dem Dualismus unbeforgt folgten, und folche, welche ihm zu entgehen ſuchten, ins bem fie den ibdenliftifchen Weg einſchlugen. Genauer hätte ich nun wohl fagen können: moniſtiſch⸗ idealiſtiſche Gnoſtiker; aber das wäre eine Genauigkeit gewefen, weiche Leſer von gar zu geringem Berftändutffe voraus: gefeßt hätte, Vielleicht, wenn ich fo gethan hätte, wurde mich Bauer der Pedanterie befchuldigt haben.

Der Borwurf aber, welchen mie Baur über diefen Punkt madıt, trifft and) die Hauptfache gar nicht. Diele

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beruht vielmehr darauf, daß ich von vorn herein erklaͤrt habe, ich würde von Dnalismus nur da reden, wo zwei entgegengeſetzte Urweſen augenommen werben, Baur dagegen (S. 76.) meint, der Dualismus ſetze in der Mas terie ein von Bott unabhängiges, das Weſen Gottes bes fchräntendes Princip, die Befchränfung aber bleibe die⸗ felbe , ob die Materie außer Gott oder in Bott fen; Gott fey gebunden an fie, durch fie befchräntt, und koͤnne ihred Gegenſatzes fi nicht erwehren, auch wenn bie Materie nur als der unwiderfichliche Hang, ſich zu ma terialifiren, in Gott gefebt fey.

Diefe Meinung bat ihren guten Schein; ums aber zur Wahrheit zu werden, bedarf fie der Beichräufungen, nadı welchen fie auch in Uebereinflimmung mit meiner Ausdrucksweiſe ſich wird erklären können. Zuerſt kommt es beim Dnalismus nicht darauf an, daß eben die Mas terie ald das Gott entgegengefehte Princip angefehen wird, fondern ed läßt fich auch ein idealiflifcher Dualis- mus denken, wie ich fhon bemerkte und wie Baur felbk zusngeben fcheint, wenn er das zweite Princip für denl- bar erflärt als einen unwiderſtehlichen Hang Gottes, fih zu materialifiren, alfo doch wohl als einen geifligen Hang. - Diefer Punkt ift nicht unbedeutend für Baur’s Anfiht vom Dualismus. Alsdann, wie fol man das verfiehen, daß Baur zuerft meint, der Dualismus ver lange ein von Gott unabhängiges und ihn befchränfen- bed Princip, nachher aber body Dualismus auch noch da ſin⸗ den will, wo dieſes zweite Princip in Bott ſelbſt ale ein nuwi⸗ derſtehlicher Hang feines Geiſtes angenommen werde, alfo feineswegs unabhängig von Gott, andy nicht ihn befchräntend, fondern nur eine Entwidelung in ihm her: bringend? Denn in foldyer Weife werben wir ja wohl den Hang Gottes zu denken haben. Man wird hieran wohl bemerten, daß Baur felbft ſchwankt zwifchen meir ner und, ich glaube auch, ber gewöhnlichen Anficht vom

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Dualismus und zwiſchen dem vagern Sprachgebrauche, in welchem die hegel'ſche Schule das Wort Dualismus genommen hat. Auf jeden Fall wird man ſagen müſſen: es gibt einen ſtrengern Dualismus, welcher zwei ur⸗ ſprünglich von einander geſonderte Principien annimmt, und einen weniger ſtrengen, welcher von einem Principe zwar ausgeht, in ihm aber ein doppeltes Princip ver⸗ birgt und miſcht. Weun unn Jemand fagte, wie ich es geſagt habe, er wollte nur jenen ſtrengern nach dem gewöhnlichen Sprachgedrauche Dualismus nennen, den andern aber nicht, fondern ihn ale ein gemifchtes Syſtem betrachten, würde der deßwegen Tadel verdienen? Wenigſtens daß er fich offen über feineu Gebrauch bed Wortes erflärt hätte, würde man ihm nicht abfprechen können. Dagegen ift der Sprachgebrauch, welchen ich den vagen genannt habe, der Sprachgebrauh Baur’ und der begel’fhen Schuie, in ber That nicht offen nud ehrlich, fondern von der polemifchen Natur, welche dem Öegner gern etwas unterfchieben möchte und ‚welche man mit dem Namen ber Gonfequenzmacherei bezeichnet. Wenn da Jemand Bott ale das alleinige und gute Prins cip befennt, nachher aber.in ber Welt dad Böſe findet und es mit der Güte Botted nicht vereinen kann, fons dern meiht, es möchte hervorgegangen feyn aus irgend einem Hange der Gefchöpfe zum Böfen, welden fie ohne oder gar wider Gottes Willen in ſich genährt hätten, fo find die Auffpärer des Dualisſsmus bereit, ihm nachzuweiſen, er nähme da ein doppeltes Princip an, Gott und den Yang, welcher die Geſchöpfe zum Böfen führe, nnd müßte daher zu den Dualikien gerechnet werden. Ober wenn Jemand beiden vorher gefeßten Annahmen verfucht, ben böfen Hang in den Gefihöpfen auf irgend einen Hang in Gott zurüdzuführen, fo muß er nicht minder ein Dualiſt heißen, wie eng er auch diefen Hang mit der Einheit Gottes verflochten haben möchte, weil feine

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Lehre in Bott ſelbſt ein doppeltes Priacip ſetzt, dab, welches zum Guten, und das, welches zum Böſen führt. Nach dieſer Auſicht ſind Die Stoiker und Leibniz eben fo gut Dualiſten, wie Anaxagoras und die Manichäer. Ja ſollte es nicht irgend einem Schalte einfallen, audı bie Lehre Hegel’6 des Dualismus zu geihen, weil fle ja auch einen Hang Gottes ſetzt fi zu befondern und bie materielle Welt hervorzubringen ?

Ader find diefe Folgerungen auf Dnalismus nicht richtig gezogen? Ich beftreite fie nicht. Nur zu einer bifligern Beurthetlung möchte ich rathen. Wenn die Ma terie, wie Baur fagt, ober, wie ich erweiternb und bes richtigend hinzufete, wenn das Princip der Materie in Gott geſetzt wird, fo erfennen bie, weiche hierzu fich ger drungen fühlen, einen wichtigen Satz ber Wiſſeuſchaft an, welder von den Dualiften, das Wort in meinem Sinne genommen, verkannt und verleuguet wird, den Satz nämlih, daß Wlled, von wie verfchiedener Natur ed feyn möge, anf einen Grund zurüdgeführt werben müfle, damit es als Gegeufland einer Wiſſenſchaft er kannt werden koͤnne. Und in fofern ift ihre Lehre Mor nismus. Wenn fie nachher in ihren weitern Unterſu⸗ chungen auf entgegengefehte Begriffe geführt werben, weiche fie mit der Einheit ihres Principe nicht zu verei⸗ nigen wiflen, wenn fie nun Berfuche machen, diefe Ein heit wieder zu theilen, fo find das Folgewidrigkeiten und Ueberbleibfel ded Dualismus, welche ihr moniſtiſches Princip noch nicht überwunden hat. Man foll aber je bed Syftem nicht nach den Folgerungen ans ſolchen Fol gemwidrigleiten,, fondern nad, feinem Principe benennen, font würde man einem und demfelben Syſteme gam entgegengeſetzte Namen zu geben haben. Deßwegen würde nian auch fehr Unrecht than, wenn man Leute, welche in der vorher gefihilderten Weife verfahren, Dua⸗ liften ſchelten wollte, Es würde dieß bie Unbilligkeit in

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ſich fchließen, daß man ihmen die Erkenntniß abfpräche, weiche den Monismus vom Dualismus fcheibet, Die Erfenntuiß, daß Alled aus einem Principe abgeleitet wer⸗ den müſſe.

Dieß iR num freilich eine fehr abfiracte Erkenntniß, und man würde fagen können, daß fie wenig werth wäre, wenn fie bei dem abfiracten Satze fichen bliebe. Aber fie bleibt auch gewiß nicht Dabei fichen, wenn im Syſteme irgend ein Leben ift, ſondern die Fol⸗ gerungen bed Monismus geben fid in manderlei Be, fhräufungen der Ueberbleibfel ded Dualismus und in einem beftändigen Kampfe mit ihnen zu eriennen.

Diervou zeugt die Lehre der idealiſtiſchen Guoſtiker, der Balentinianer, welche zu diefen Bemerkungen Berans laſſung gegeben hat, anf eine fehr merfwürdige Weife, indem fie ben Begriff der Materie, des böfen Principe, von Bott ganz entfernt hält, keineswegs, wie Baur fidh ausdrückt, einen Dang zu ihr in Gott annimmt, fondern nur vermittelt einer langen Reihe von Emanatiouen dad Böſe ald möglich ſich denkt und die Materie erfl aus dem Böfen herleitet. Dabei wird die Materie von biefer Lehre auch als etwas völlig Richtiges betrachtet; denn nur in einer Berirzung ber Geiſter, in ihren bar> aud hervorgehenden Leidenfchaften foll fie beſtehen und ebenfo fol fie auch wieder verfhwinden vor der wahren Erkenntniß des @efebes, weiches Die niederen Geifter mit Sort verbinder. Baur weiß dieß Alles, aber benunsd behauptet er (S. 81.), der wefentlihe Mangel der gnos Rifchen Syſteme überhaupt fey der unvwermittelte Gegen: fat der beiden Principien Geiſt und Materie, in wels chem ihre Syſteme, dba es ihnen an einer innern Ders mittelung jener Principien und eben beßwegen an der Einheit ded Principe fehle, immer wieder audeinander felen. Nur feine vorgefaßte Meinung, welche ihn ans treibt Die gefchichtlichen Thatfachen unter das Schema ſei⸗

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ner Eonfruction zu zwingen, fan ihn zu ſolchen Be: bauptuugen hinzeißen. Meberbleibfel des Dualismus find bei den Balentiuianern freilich nicht zu leugnen; fie lie gen in ihrer Emanationdlehre, weldye den Abfall vom Buten als eine natürliche Entwidelung erfcheinen läßt; aber das Princip ihrer Lehre ift moniſtiſch.

Eben fo gewaltfam wie den DBalentiniauern wird auch, dem Drigenes der Dualismus von Baur aufge derungen. Er gefteht ihm zwar zu, daß er eine Vermit⸗ telung bed Gegenſatzes zwiſchen Geiſt und Materie ver fucht habe, und hierin wird fein wefentlicher Linterfchied von den Bnoftitern geſucht (S. 81.), aber feine Lehre über die Freiheit der Geifter fol ſchlechthin dualiſtiſch feyn. Obwohl nicht gelengnet werben kann, daß Orige⸗ ned die Kreiheit der Geifter als abhängig von Gett, als eine Gabe Gottes betrachtete, behauptet Baur doc, er habe fie als ein zweites Princip Gott zur Seite ge fielt. Das bekannte Schwanfen des Origenes wird hier

. au8 abgeleitet (&. 84.) , und anftatt in Diefem Schwan Sen ein Zeichen zu fehen, daß die Lehre deſſelben kein reines, fondern ein gemifchted Syſtem war, wird zu Bunften feines Dualismus angenommen, er fey doch in feinem Schwanten der Annahme geneigter gewefen, daß die Freiheit der Geiler ganz nnabhängig von Gott fey a). Baur gebt hierin fo weit, zu behaupten, die Mar terie und die Welt würden nad) dem Origenes durch die Freiheit der Geifter (S. 83.), eine Lehre, welche man wohl den Balentinianern, aber nicht bem Origenes bei legen darf, welcher ausbrädlich den Geiſtern alle ſchoͤpfe⸗

a) Anbere Punkte, welche eben fo mwilllürli von Baur in ber Lehre des Drigenes angenommen werben , übergebe ich, doch will ich bemerken, daß auch die Lehre bes Drigenes, Bott ſey kein &zsıporv, auf Dualismus gedeutet wird (S. 85.). Br kanntlich lehrte audy Parmenides fo, gewiß nicht in bualifi- ſcher Abfict.

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rifche Macht abfpricht und nicht einmal wegen der Freis heit, fondern nur wegen des Abfalld der Geiſter vermit⸗ telft ihrer Freiheit von Gott die Materie und die finnlis he Welt fchaffen laͤßt. So entſtellt alfo Baur die Lehre ded Origened, um ihren vermeintihen Dnalismus im ein recht grelles Licht zu fegen. Dualiftifhe Ueberbleib⸗ fel find allerdings in ihr nachzuweifen und fichen auch mit feiner Freiheitslehre in Verbindung. Sie beruhen darauf, daß er den Abfall der Geiſter von Gott vermits telſt ihrer Freiheit nicht allein ale möglich, fondern in ber That als nothwendig ſetzt; Denn immer wieder, wenn fie auch zurädgelchrt find zu ihrem Urgrunde, follen fie abfallen; es liegt im ihrer Natur abzufallen. Diefe Nothwendigkeit hängt aber damit zufammen, daß Driges nes einen Abftand der Geifterwelt von Gott für nöthig hält oder wenigftend in dieſem Gebanfentreife den Adyog, die Ideenwelt, für geringer hält als Gott, und dieſe Anficht hängt wieder mit feiner Neigung zur Smanationdiehre zufammen, welche alle Ausflüffe Gottes für geringer anfleht ale ihm felbft. Daher find dualiſtiſche Elemente aus der Emanationdicehre auf den Origened übergegangen und hierin ſteht er mit den idealiftifchen Snoftitern auf gleichem Boden. Nur in einem Punkte erhebt er fich Aber fie, darin nämlich, daß er jene Aus» geburt einer fchwärmerifchen Phantafle, die Lehre von einer Reihe von Emanationen, verwarf, welde uns in eine weite Ferne von Bott ſtellt. Dieß ift der wefents lihe Kortfchritt, welcher die Lehre des Origenes in th» rem Verhaͤltniſſe zum idealiftifchen Gnoſtieismus charakte⸗ riſirt umd die bualiftifchen Ueberbleibfel in der Emana⸗ tionslehre mildert.

Einen der wichtigften "Fortfchritte zur Ueberwindung der dualiſtiſchen Nefte machten nun die griechiſchen Kir, henväter, welche von Athanaflus an bie orthodore Tri» nitätdjehre ansbildeten. Was Baur über den Gegen.

628 Ä Bitter fa gwifchen der arianifchen unb athauafianifchen Lehre fagt (©. 101 ff.), if viel zu unbeſtimmt gehalten und läuft zu fehr auf einen Unterfchied nur dem Ueberge⸗ wichte nach hinaus, ald daß es die Bebentung jene Fortſchritts andı nur von fern bezeichnen könnte. Arine foll dem Uebergewichte nach auf den linterfchied, Atha⸗ wafus dem Lebergewichte nach auf bie Einheit des Ba terd und des Sohnes, und beide zu fehr, gedrungen has ben. Ich will nur Far; angeben, was für bie Philoſo⸗ phie das Wefen dieſes Streites if. Arins ſtand ned auf dem Staudpunkte der alten Anſicht, daß Gott nichts gleich ſeyn koͤnne, was von ihm ausgegangen, nnd ſah daher auch die Offenbarung Gottes in der Welt für us vollkommen an. Er ſtimmte hierin mitder Emanationslehre überein. Athanaſius dagegen behanptete die Volllon⸗ menheit der Offenbarung Gottes durch feinen Sohn und daher auch in der Schöpfung und Erlsſung der Welt. Er verwarf damit bie Meinung der Emanationslehre, daß jeder Ausfluß Bottes des Baters geringer ſeyn wäfle, als Gott der Bater fell. Wenn er daher auch ber Formeln der Emanationdichre fidh noch bediente, wie ft lange nachher in der chriftlichen Kirche noch ohne Schen gebraucht worden finb und felbft in unfern Symbolen ihre Stelle gefunden haben, fo befeltigte er doch in Wahrheit das dualiflifche Element, welches in ihr liegt, nämlich Die Meinung, daß Gott fih nicht vollklommen offenbar zen könne und alfo infofern befchräntt fey in feiner Offen barung eder unter einer befchräntenden. Nothwendigkeit wie unter einem andern Principe che. Daß die Kor mein ded Athanaflus weit mehr als bie Darkellunge weife der Arianer an die Emanationslehre erinnern, darf und in der Erfenntniß ihrer Bebeutung nicht fkören. Wenn aber durch die orthodore Trinitätslehre die dualiftifchen Elemente der frühern chriftlichen Philoſophie von metaphyſiſcher Seite beflegt waren, fo behanpteien

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fie fi doch noch von ethifcher Seite. Hierauf bat man zu achten, wenn man bie. Bedeutung der auguftinifchen kehre richtig würdigen will. Aber gerade dieß hat Baur niht gethau. Er tadelt mich (S. 95 f.), daß ich das Poſitive in dem anfcheinenb negativen Begriffe des Bo⸗ jen beim Anguftinud nicht bemerft hätte; doch habe ich 08 wohl bemerkt (Geſch. der chriſtl. Phil. &.357 ff.), nur nicht ganz in der Welfe, in welcher Baur es geltend macht, um auch den Auguſtin bes Dualiömns zu zeihen. Er meint nämlich, ed finden zu können in dem Willen des Menfchen, welcher von Bott oder vom Guten fich abs wende. Hierbei konnte ich nicht ftehen bleiben, weil eben diefer Begriff nur eine verfappte Verneiuung barbietet. Denn dad Abwenden befteht nur im Sichenichtchinwen. den, d. h. in dem Mangel der Anerkennung, daß Alles, was wir aus und entwideln, nur Babe und Gnade Gottes if, wie Auguftinus fehr gut wußte. Daß Baur dagegen mit jener verfappten Verneinung ſich begnügen lann, fcheint darauf zu beruhen, daß er dad auguftinifihe Sys Rem, wenigſtens von der einen Seite, im hegel’fchen Sinne deuten möchte. So fagt er (8. 97.): „Das Böfe ſei⸗ nem negativen Begriffe nach ift das Princip ber Welt⸗ entfiehung und Weltentwidelung. Die Welt kann ale Offenbarung Gottes die Vollkommenheit bes göttlichen Weſens nur dadurch in fich darftellen, daß fie in ihrer Unendlichkeit eine unendlich getheilte if. Das Böfe trägt daher felbft zur Bollfommenheit und Schönheit des Weltganzen bei, als weſentliche Bedingung deffelben, da Schönheit und Vollkommenheit nicht möglich if, ohne daß ed auch verfchiedene Grabe des Seyns, ein Plus und Minus, einen Mangel an Nealität gibt. Sol nun aber diefer negative Begriff des Böfen confes Auent fefigeftellt und durchgeführt werden, fo mußte aud) das fittlich Böfe als die Negation ded Guten genom⸗ men und als nothwendig zur Vollkommenheit der Welt

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betrachtet werben. &8 fehlt beim Augufin nicht an ein zeinen Andeutungen diefer Art. Allein er it auf diefem Wege nicht weiter fortgegangen und fein Begriff der Sünde macht ed ſchlechthin ihm unmöglich, das ſittlich Böfe nur ald die Negation des Guten aufzufaffen.” Daß ich diefe Anficht feiner Lehre nicht hervorgehoben habe, wird mir. jum Vorwurfe gemadt. Run will id nicht behaupten , daß Anllänge der hier entwidelten Aus fiht beim Auguſtin fich nicht finden laflen, aber ich mn$ leugnen, daB ihnen für dad Wefen feiner Lehre ein bes deutendes Gewicht beigelegt werden dürfe Denn weit entfernt davon, daß Anguſtin der Meinung geweſen wäre, bie einzelnen Dinge ber Welt müßten ihrem Be: griffe nach eine Berneinung, einen Mangel, ein Böfes an ſich tragen, ift er vielmehr von ber Ueberzengung bed Ehriftenthums, welche bie Lehre vom heiligen Beifte zu wiffenfchaftlicher Einficht entwidelt hatte, um fo mehr durchdrungen, je mehr er ſelbſt dazn beigetragen hatte, fie nicht allein zu verbreiten, fondern auch tiefer zu bes gründen, daß die vernünftigen Gefchöpfe dazu beſtimmt wären, vom heiligen @eifte befeelt, Chriſtum nnd in ihm Gott ungetheilt und ohne Mangel in ſich zu tragen und volfommene Abbilder des Vollklommenen zu feyn. Hierin beſteht der Kortfchritt, welchen die Trinitätslehre ger bradıt hatte und welcher nun von Augufiinus auch auf die Lehre von der Freiheit und vom fittlichen Leben au: gewenbet wurde, indem er zeigte, daß feine wahre Kreis heit im Sinne der Pelagianer feyn könne, weiche nicht zugleich Wirkung Gottes und Wert feiner Bnade wäre. Aber eben daß Auguſtin hiervon durchdrungen if und nicht abläßt, die Allmacht des heiligen Geiſtes zu verfünden, macht ed fchwer begreiflich, wie er ſich num doch entfchließen kann, dem Reiche ded Guten eine Schranke in dem Reiche ber. Berdammten zu feßen. Au⸗

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guſtin's Lehre von der Freiheit fchien Die alte Quelle des Dualismus verfiopfen zu müflen, aber hier öffnet ſich eine neue. Die Erklärung dieſer Erfcheinung fucht Baur (&. 92.) in Auguftin’d Haß gegen das Böfe, welcher ihn dazu verleite, Guade und Gerechtigkeit Gottes wie zwei Principien von einander zu trennen, und er nennt deßwe⸗ gen auch das amguftiniiche Syſtem eine neue Form des Dualismus, welche die entgegengefeßten Principien in Gott ſelbſt verlege. Hieriu iſt diefelbe Uebertreibung, welhe ſchon öfter gerügt wurde. Nur von Ueberbleib⸗ feln des Dualismus in einem moniftifchen Syfteme durfte geiprochen werden. Auch iſt es nicht richtig gefagt, wenn Baur behauptet, Gnade und Gerechtigkeit ftänden in Gott unvermittelt einandbeg entgegen, vielmehr flieht Anguftin beide nur ald verfchiedene Aenßerungen ber göttlichen Güte an, welche gegeu Gute anders ſich vers halten müſſe, als gegen Böſe. Aber hiervon abgefehen, fühlt Baur felbft, daß feine Annahme, dieſe Denkweife bernhe anf dem Haffe gegen das Böfe, doch eine gar zu tin pſychologiſche Erklärung gibt, und er führt daher (8, 93.) jenen Haß auf die befannte Quelle zurüd, auf die Rachwirkang der manichälfchen Weltanficht im Geifte des Auguſtinus. Warum aber, muß id nun fragen, macht er ed mir zum Bormurfe, daß ich in den Irrthü⸗ mern Auguftin’s über biefen Punkt Nachwirkungen heid- niſcher Dentweife fehe? Baur wird doch wohl nicht leugnen wollen, daß der Manichäismus felbft auf folchen Rahwirfungen beruhe. Alfo würde man nur fagen kön» nen, ich wäre anf ben eutfernteren und allgemeineren Grund zurüdgegangen, während er den nähern, aber auch mehr befondern Grund angebe. Und follte ich nicht gute Gründe haben, hierin von Bayr und ber gewöhns lien Darftellungsweife abzuweichen? Auguftin hatte unftreitig den Manichäißmus theoretifch hinter fich, ale er feine Lehre über die unbebingte ae. ent⸗ Theol. Stud. Jahrg. 1847,

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wickelte; was nun beunod von ben Sugenbeinbräden des Manichäismus im feiner Seele bamals noch zuräd: geblieben feyn mochte, wer Lönnte das fagen? Wer nur siychologifche Gründe für eine Lehre von weltgeſchicht⸗ lichen Erfolge aufzuſuchen liebt, ber mag barüber feine Muthmaßungen fich bilden. Aber eben den weltgeſchicht⸗ lichen Erfolg feiner Lehre und feine Brände zu erforfchen, darauf müflen wir es abfehen, und ihm aus ſolchen mar nichätfchen Reminiecenzen abzuleiten, das hieße von per fönlichen Beziehungen eines Mannes gar zu viel abhän gig machen. Seltfam, daß ich meinen Gegner hieran erinnern muß, ihn, welcher aus der Geſchichte der Phi lofophie alles Individuelle ausgefchieben wiffen wollte. Aber er bat das Unglück, ebaß ihm das Rechte, welche er weiß, nicht immer an ber rechten Stelle einfällt. Machen wir einen Berfuch, das Räthfel in ber Deal weife Auguftin’s aus allgemeineren Beweggründen, weit im Bildungsgange ber ganzen Menfchheit liegen, und zu erllären, Den Manichäismus überwand Augufin dnrch den Idealismus ber nenplatonifhen Schule uud durch ihn gingen bie Lehren der griechiſchen Philoſophie auf ihn Aber, wie Platon und Ariſtoteles fie ausgebildet hatten. In ihnen fand er zwei Punkte hanptfählid, durch welche ex ſich überrebete, daß die Allmacht Gottes mit der Nothwendigkeit bes Böfen vereinbar fey, bie Lehren von ber Gerechtigkeit Gottes und von ber Schöw heit der Welt. Beide bildeten Vorurtheile ber alten Welt, welche auch burd das Ehriſtenthum nur allmählich ber fiegt werden Tonnten. In welchem hohen Anſehen bie Tugend ber Gerechtigkeit bei den Alten fland, weiß ein Seder. Gie durfte Gott nicht abgefprochen werben. Es ift aber eine alte Lehre der griechifhen Philofophen, von Platon und Nriftoteles befonders ausgebildet, bap bit Gerechtigkeit in ber richtigen Berthellung der Nemter und Baben nach dem Werthe eines Jeden ſich bewähre Sie

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fett voraus, daß ber Werth derer, unter welchen zu vertheilen iſt, verfchieden fey. Eine folche Berfchieden- heit nimmt auch Auguflin als nothwendig an, nicht allein unter Steinen und Pflanzen, Thieren und Menfchen, fondern befonderd auch munter ben‘ Iekteren nad bem Grade ihrer Würdigkeit. Er forbert fie, damit Bett feine Gerechtigkeit in ber Bertheilung erweifen könne. Mit diefer Anficht verknüpfen fidy aber auch die Leber, bieibfel der dualiſtiſchen Vorſtellungsweiſe, welche zwei Reiche theilen, das Reich der Guten und bad Reich der Böfen, oder, wie bie griedhifchen Philofophen nach ih⸗ rem gemilberten Syſteme es faßten, der zur Gerechtig⸗ keit und zum politifchen Leben Befähigten, d.h. der Gries hen, und der nicht zu ihm Befähigten, d. b. der Bars baren. Allen diefen Annahmen folgte Auguftin, nur mit einigen Wbänderungen , welche bie Predigt des Chriſten⸗ thums am alle Böller gebet. Denn Gott hat nicht biefed oder jened Volk ſich erwählt, ſondern er. hatfeine Erwähls ten unter allen Bölfern Im feiner Schrift über den Staat Gottes, d. b. in feinem Hauptwerke, ſtellt uns nun Auguftin dar, wie der Staat ber Gerechten und der Staat der Ungerechten mit einander geftritten haben und Rreiten werden bis zum Ende aller Dinge, beide unter der Regierung Gottes, beide zu einer Ordnung vereinigt, um uns Dad Schaufpiel der Weltgefchichte zu geben und der eine bie Gnade, der andere die firafende Gerechtig⸗ feit Gottes zu offenbaren. Wer kann hierin die alter» thümliche Färbung feiner Gedanken verkennen? Nicht minder, glaube ich, leuchtet fie daraus hervor, daß Aus ‚gufiin die Nothwendigfeit des Guten und des Böfen auch aus der Schönheit der Welt herleite. Der Ges danke der Schönheit ift auf das tieflte allen feinen Leh⸗ ven von Gott eingeprägt. Er hört nichtauf, feine Schön» beit zu preifen. Gott ift bee Schönfte, der Grund aller Schönheit; daher hat er zu feiner Offenbarung auch Alles 45 *

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nad) Maß und Zahl georbnet; deßwegen mußten in der Welt verfchiedene Dinge feyn, andy Gegenfäße, weil ohne fie nichts fchön feyn würde. Und nun bemerkte man, wie bei den Alten Gutes und Schönes für gleichbeben: tend gelten. Auch hierin ift Auguſtin der alterthämlichen Denkart treu geblieben. Bon ihr and fordert er, daß bem Guten audı Böfed beigemifcht ſeyn müſſe, weil, wenn Allee gut wäre, Alles einförmig feyn und nichte hervorgläw gen würde Wie nachdrücklich bringt er darauf, daß durch ſchwarze Stellen die Schönheit bed Gemaͤldes gehoben werden müfle, daß ein Kleiner Schler eine große Schön heit abgeben koͤnne, daß die Tugend, num zu glänzen, zu ihrer Folie das Lafter verlange! Dieß find bie als gemeinen Gründe, durch welche Anguſtin nicht allein bie Möglichkeit des Böfen, fonbern in der That feine Roth: wenbigfeit ſich befchönige, Sollte ich irren, wenn ih bierin eine Nachwirkung der alten heibnifchen Denkweiſe und Philofophie zn erkennen glaube?

Die Berfchiedenheit meiner Meinung von der, melde Baur vertritt, läuft auch bier wieder darauf hinaus, daß diefer nur die metaphpfifchen Beweggründe hervor heben und fie durch eine freie Deutung dem Auguſtin aufdrängen möchte, während ich den ethifchen Beweg⸗ gründen ihre Recht zu bewahren fuche.

Daflelde gilt für unfere Benrtheilung ber mittelal terlichen Philoſophie, über welche ich noch einige Bewer⸗ tungen hinzufügen wid. Es geht daran hervor, daß Baur bei der Meinung Tennemann’s beharrt, welche in bem Gtreite zwifchen Nominalismus nnb Realismus dad bewegende Princip der fcholakifchen Philsſophie ſucht (5. 203,), während ich biefen Streit zwar keineswegs für unwichtig halte, ihm aber doc; nur eine untergeord- nete Bedeutung beilegen kann, indem er erft bein Ber _ falle der theologifchen Syſteme eine enticheidende Role

übernimmt. Meine Anficht von ber mittelalterlichen Phi

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lofophte läuft Dagegen daranf hinans, daß ich in ihr bie Entwidelung eined theologifhen Syſtems fehe, weiches das religiöfe Leben im firengfien Begenfaße gegen das weltliche. Leben faßt. Eben hierin trägt fie den Keim eis nes unerträglichen Zwieſpalts in ſich, weicher, zur Ents widelung gekommen, göttlihe und weltlide Weicheit von einander abzulöfen firebte und Dadurch auch zur Aufs Iöfung des Syſtemes felbft führte,

Wenn ich nun durch einleuchtende Thatfachen dars gethan habe, daß der Rominalidömus vor bem 14. Jahrh. nur eine ſehr unbedeutende Erfcheinung in der Philofophie des Mittelalters war, fo fucht dagegen Baur allerlei Beweife zufammen, welche ihm eine größere Wichtigkeit beilegen follen, @r verräth aber dabei in der That eine gänzliche Verwirrung über die Begriffe des Nominalis⸗ mus und Des Realismus, wie fie im Mittelalter gefaßt wurden. &. 191, findet er einen Widerfpruch darin, daß ih einmal dem Joh. Scotus eine idealiftifhe Lehre zus ſchreibe, ein andermal behaupte, er ſey entſchiedener Ders fechter des Realismus. Als wenn der Realismus des Mittelalters, die Behauptung der Wahrheit der allge meinen Begriffe, nicht mit dem Idealismus auf das befte beftehen könnte. Baur verwechſelt hier den Realismus bes Mittelalterd mit dem, was in nenerer Zeit fo ge⸗ nannt worben ift, Um ben vermeintlichen Rominaligmug Abalard's zu vertheidigen, dba er nicht leugnen kann, daß er den Realiömusd behauptet babe, unterfucht er (S. 196.), ob ed nicht eine Form ded Realismus geben könne, welche vom Rominalidmnd nicht verfchieden fey, und findet eine folche in der Lehre von der Realität des Allgemeinen in den befonderen Dingen (universalia inre). Wenn dieß wäre, worauf liefe der Streit zwifchen beis den Anfichten hinaus? Der Nominalisſsmus beftreitet eben bie Wahrheit des Allgemeinen auch in den Dingen; es iſt ihm nur im abfirahirenden Verſtande; nach feiner

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Meinung HibE es mır Beſonderes. Daher iſt denn and die Behanptung Baur’s (S. 208.), baß dee Gegenſatz zwifchen Nominalismus uud Realiduns, wenn mau weis ter zuruckgehe, anf den Unterſchied zwifchen ariftotelifcher und platonifher Philofophie zurückführe, für ierig zu balgen. Die Ariftoteliter, welche die unlveraslia in re be: haupteten, gehören nicht weniger den Realiften an, ale die Platoniker, welche die universelle ante rem a nahmen; bie Nominaliſten dagegen lehrten, daß es nur aniversalia post rem gebe, db, h., daß jeder allgemeine Begriff nur nachher im Berfiande, a posterlori entftehe, nachdem die einzelnen Dinge vorher geweien und durch ihre finnliche Erfcheinung zur Bildung bed allgemeinen Begriffes und erregt hätten. Daß diefe Lehre auf ari⸗ ſtoteliſche Satze zurückgeführt wurbe, berechtigt ums nicht, fie dem Ariſtoteles beizulegen.

@den fo irrig iR das, was Baur bei dieſer Gele genheit Aber den Einfluß der platonifchen und ariſtoteli⸗ fen Philoſophie auf die Theologie des Mittelalters ſagt. Er möchte die alte Meinung von der durchgehen⸗ den Belanntfchaft der Scholaftiter mit ber ariſtoteliſchen Phäloſoßhie aufrecht erhalten und beruft fich. dafür auf die Durch das ganze Mittelalter verbreitete Kenntniß des Porphyrius und Boethins, auf die Schriften des Abä- bard, des Seh. von Galiöbury, fo wie auf die dialek⸗ tiſcht Methode der Scholaftifer. „Alles,” fagter (5. 207.), „was man hauptfäclich zur artftotelifchen Methode zu rechuen pflegt, die Definition, die Induction, der SyUo⸗ gismus, gehört weientlich zum wiſſenſchaftlichen Verfah⸗ ren der Scholaftifer. Daß fie auf diefem Stanbpumkte der logiſchen Abſtraetton und Meflerion ficken, iM für ihre Verhultniß gur ariſtoteliſchen Philoſophie weit charak⸗ teriſtiſcher, als die Ueberrinſtimmung mit Lehren nad Principien der ariftotelifchen Metaphoſtt, bie fich etwa bei ihnen nadyweifen IAßt.”

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Ich mag nmicht von Nenem wicberholen, was ich über digen Punkt an einer anderen Stelle (Schneidewin’s Philologus. 1846, ©. 61 ff.) gejagt habe, mu aber doch Einiges gegen diefe Beweisführung bemerken. Sie läuft fat gänzlich auf die Iogifche Verwandtſchaft der Scholas ſtiker mit dem Ariftoteled hinans. Denn Porphyr und Boethind, wie die Schriften bed Abälard, welche bier - gemeint find, auch Joh. von Galiöbury größten theils betreffen nur die. Logik des Ariſtoteles. Wenn nun hierauf dad Hauptgewicht füge, warum bemüht fh Baur, vom Anfelm zu zeigen, daß ee Platoniker gewefen (S. 204 f.)? Denn aud er bedient ſich ber oben begeichneten Methoden. Baur kann doch gegen meine Angaben nicht leugnen, daß es viele Plasonider im Mittelalter gegeben; fle alle aber gebrauchten dieſelbe Methode. Ja, was noch mehr ift, Platon felbfi ges braucht ſte; die Induction und die Definition hatte er beim Sokrates Bennen gelernt und ſollte er ſich des Syllo⸗ giomus enthalten haben? Das wäre sun wohl ein gar zu grober Anachroniömud, wenn wir ihn bewegen einen Arikkoteliter nennen wollten. Gebranchen wir nicht noch immer alle diefe Methoden? Was Baur den Stand» panft Der logifchen Abftraction und Reflerion neunt, die meiften oder alle neuere Philoſophen stehen auf ihm in ihren linterfachungen zuweilen oder immer. Und nicht anders iſt es bei den Scholaſtikern. Sind deßwegen jene wie diefe Ariſtoteliker? Man fieht, Baur hat entſchie⸗ denes Unglütk, wo ev auf das Gebiet ber. Logik ſich ver» irrt. Es wirb wohl bei meiner Behauptung bleiben, daß es nicht auf die. Logik, fondern auf die Metaphyfil an» fomme, wenn vom linterfchiede der Platoniker und Arie Rotelifer im Mittelalter die Rebe ift.

Baur ſelbſt kann nicht umbin, die Metaphyſik herbeis zuziehen, wenn er dieſen Unterfchied erörtert, Wenn er den Plateniomus des Ich. Scotus (S. 192.), des Ans

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felm (S. 204. barthun will, hat er es mit metaphyſiſchen Begriffen zu thun; obenſo, wenn er behauptet, daß ‚pie Grundauſchauuug bed Thomas von Aquino platoniſch ſey (S. 218.). In den beiden erften Fällen hat er Recht, im dritten Kalle würden feine Behauptungen großer Be⸗ fchränfungen bebürfen. Ich führe diefen Fall beſonders an, um bemerflich zu machen, wie Baur in feiner Be artheilung auch der fcholafifchen Syſteme mit der größs ten Gewaltſamkeit verfährt. Er überficht ed ganz, daß Thomas in der Form feiner Lehre überall an den Ari ſtoteles ſich anfchließt, mehr als alle frühern Scholaſtiker. Die Grundanſchauung feiner Lehre findet er darin, daß Gott ald das Seyn gedacht werde. Daß Thomas Bott ald actus, ald Urfache, ale Schöpfer durch feinen Willen denkt, darin findet er nur Widerſprüche mit feinem Prin- cipe. Wenn Thomas die Richte Ewigkeit der Welt für einen Glaubensartikel erklärt, fo findet Baur darin einen Beweis feiner platonifchen Grundanſchauung, troß dem, daß biefe Behauptung. überall auf die Lehre des Ariſto⸗ tele® fich beruft.

Noch einen Punkt muß ich berähren, in welchem Baur meiner Anficht über die Philofophie des Mittelal: ters Aviberfprocken hat. Sich finde nämlich den Unter⸗ fchied zwifchen patriftifcher und mittelalterlicker Philos fophie darin, daß jene überwiegend polemiſch, Diefe überwiegend foftematifch if. Baur wirft. mir Dagegen von der Seite ber Kirdyenväter den Origenes und ben Auguflin, von der Seite der Schslaſtiker den Anfelmus ein (S. 186,), Er hätte wohl beffere Beiſpiele finden können. Dad Schwanken des Origenes macht ihn zu einem fchlechten Syſtematiker und bezeichnet die Natur feiner Lehren als polemifd, Eben fo überwiegend if beim Auguſtin die Entwidelung feiner Gedanken im Streit. Vom Anfelm habe ich bemerkt, wie feine ein: einen Abhandlungen fi zu einem Syſteme zuſammen⸗

üb. d. Begriff u. d. Verlauf der chriſtl. Philoſophie. 639

fchließen wollen unb er noch an feinem Ende daran dachte, dieß Syſtem abzurunden. Solche Einzelheiten entfcheiden jedoch die Sache nicht; ed Tommt auf .den allgemeinen Charakter diefer Zeiten an. Da wird man aber wohl kaum verkennen fönnen, wie mißtrauiſch das Zeitalter der Kirchenväter gegen die Syſteme der alten Philoſophie it, wie ed nur einzelne Lehren berfelben ſich aneiguet umd nur im Gtreite gegen die aus der Philos fophie eingebrungenen Keßereien feine Dogmen ausbil⸗ det. Das Mißtrauen gegen die alte Philoſophie hatte die Zeit im Allgemeinen in Bergeflenbeit gebracht; unter den nenern Bölfern fühlte man das Bebürfniß, neben dem chriftlichen Glauben anch die alte Wiffenfhaft der Grie⸗ hen und Römer nicht ausſterben zu laſſen; bas Mittel» alter ift zwar zum Streite der Nenern gegen Reuere ger neigt, gegen das Alterthum aber ift es gläubig; es fühlt, daß ed zu lernen bat; in feiner trenherzigen Meiſe gibt es fich den Lehren des Platon, des Arifteteled bin, wo ed derfelben habhaft werden kann. Diefer Dogmatismus mußte das Spftem bervortreiben, wie es denn mit wadır fender Macht der Gemüther ſich bemteifierte. Skeptiſch, kritifch, polemifch it der Sinn dieſer Zeiten im Allge⸗ meinten nicht; es bedurfte fehr Marker Gegenſätze, um fie aus ihrem Blanben an das Spflem der Wifleufchaft herr andzntreiben. Diefe Gegenſätze fehlten aber freilich auch nicht und die Eatwidelung berfelben muß man beobadıs ven, wenn man den Kortichritt diefer Zeiten begreifen will. Baur fireites nur mis einem Schatten, wenn er Wlaubt, meine Meinung zu treffen, indem er erinnert, daß aus dem Kampfe ſolcher Gegenfäße der Fortſchritt in der Entwidelung hervorgehe (S. 188), nur darin muß ich ihm widerfprechen, daß der bewegende Gegens fa in den Lehren des Nominalismus und‘ des Realie- mus gelegen habe (S. 203.). Auch hierin beweilt Baur feine Vorliebe für das fpeculative Element in der Theo⸗

642 Ritter

+

ihre Unerträglichleit den Umfchwung in eine uene Zeit herbeiführen mußte.

Da ich nur in kurzen Zügen den wenig befannten Gang in ber Philofophie ded Mittelalters hier fchildern konnte, habe ich andy nur der groben Züge mich bedienen kön⸗ nen; erft durch eine feinere Ausmalung würbe das Bild fein Leben und feine volle Wahrheit erhalten Tönnen, Möge fi Niemand an die Eden flogen, welche geblier ben find; daß gegen bie Richtigkeit derfelben Einwen⸗ dungen gemacht werben könnten, wird ber Wahrheit der Zeichnung keinen Abbruch thun. Um nicht zu weitlänftg zu werben, muß man mandye Regel zu allgemein aus⸗ drüden,

Ich fchließe mit der Bemerkung, daß meiner Auficht nach in den. Entwidelungen der chriftlichen Philofophie auter den Kirchenvätern und Scholaftitern bis auf bie neuere Zeit, was ihre Beziehungen zum Dnalismus ber teifft, ein fehr verfländlicdher Plan if. Wir haben früher bemerkt, daß vor der Entwidelung bed Monotheismus -in feiner gangen Strenge und mit der vollen Hoffnung auf Erlöfung das Gefühl des Webeld ſich fchärfen, fo wie bie idealen Forderungen ſich fleigern mußten. And jenem Gefühle des Uebels drangen die dualikifchen Bor: ftelungsweifen auch in dad Chriſtenthum ein, fogar im ber groden Geftalt, welche wir noch ‚lange Zeit in ben manichätfchen Seeten nachwirken feben. Doc wurbe dies fer grobe Dualiomus bald als ketzeriſch erkannt. Nicht fo ſchnell gelang bieß mit den Leberbleibfeln des Dualis- mus, welche in ber Emanationdichre mit polytheiſtiſchen Borkellangsweifen fidy verfegt Hatten. Wir haben ge fehen, wie fie in der Lehre ber Balentinianer in gröbe⸗ zer, in ber Lehre bes Drigenes in feinerer Geſtalt ſich erhielten, zuletzt aber durch die orthodore Trinitätslchre überwunden wurden. Diefer Sieg bed Monotheismus in der metaphyſiſchen Anficht ber Dinge konnte aber doch

N

üb. d. Begriff u. d. Verlauf der chriſtl. Philofophie. 643

die praßtifche Geſinnung, welche den Völkern des Alters thums innewohnte, nicht völlig brechen, In der Lehre ber Pelngianer, welche eine von Gott unabhängige Freiheit ſuchte, hatten ficy noch andere Nefte bed Dualismus er⸗ halten. Gie wurben durch Auguftin befiegt, aber in einer Weiſe, welche wieder den Gegenfag in der Vorherbeſtim⸗ mung Gottes nicht andzufcheiben wußte. Er wurde für nothwendig gehalten wegen der Gerechtigkeit Bottes, wegen der Schönheit ber Welt. In folder Weife famen Ueberbleibfel ded Dualidmus auch auf die neueren Böls fer des Mittelalters, bei welchen fie in bem fchroffen Gegenfage zwiſchen Firchlichem und weltlichen Leben ſich feſtſetzten. Auch diefer Gegenſatz wollte fih ausleben. In feiner höchſten Steigerung führte er dazu, daß bie Wiſſenſchaft und die Kunſt des Alterthums, welche mit dem Chriſtenthume zu vereinigen die Aufgabe war, dem weltlichen Leben zugezaͤhlt und mit dieſem für nichtig und unbeilig gehalten wurben, Die neuere Zeit hat die Auf⸗ gabe gehabt, das Weltliche wieder zu Ehren zubringen; fie har aber aud hierin nicht Maß zu halten gewußt; anftatt es Durch feine Berfhmelzung mit dem Kirchlichen in heiligen, hat fie es zu ihrem Abgotte gemacht. Die Einheit, weiche fie fuchte, hat fie in der Natur zu fin, den geglaubt und dadurch den Idealen der Vernunft Ab: bruch gethan. Wenn wir feit etwas länger ald einem halben Jahrhunderte von diefen Abwegen zurüdgelommen find, fo ftehen wir doch, bünft midy, noch eine ziemliche Weite von der. Bereinigung des Weltlichen und bed Geiſtlichen ab, welche wir gewinnen möchten, wie im praftifchen Leben, fo in der Wiffenfchaft.

2.

Rebukadnezar.

Eine Unterſuchung über das Verhältniß der Perſer zum babyl. Reiche, mit beſonderer Berüdfichtigung der Schrift: The times of Daniel, by George Duke of Manchester.

Bon Prof. A. Ebrard.

Es hat biäher im Allgemeinen als eine unbehrittene geichichtliche Boransfegung gegelten, baß vor der Sräus bung bed perfifchen Reiches durch Cyrus ſchon zwei größere Reiche in dem Gebiete ded Enphrat nnd Tigris beftanden hätten, erſt dad affyrifche unter Phul, Tig⸗ ladpilefar, Salmanaflar, Sauberib u. f. w,, ſodann das babyloniſche unter Rabopalaflar, Rebuladuezarn. |. w. Schon Joſephus erzählt fo, und feit Joſephus iR mit geringen Ausnahmen NRiemanden in den Sinn ges kommen, bie Richtigkeit dieſer Anfchauung in Krage an ſtellen.

Ein jeder Zweifel mußte auch verſtummen, da ſelbſt Manetho (bei Los.c. Ap.) in einem uud demſelben Frag⸗ mente berichtet, Nebnkadnezar habe Jeruſalem zerftört und Eyrus die Erlaubniß zum Wieberaufbaue gegeben. So wird ja die Erzählung der a, t. Bücher (2 Chrom. Esr. Neh.) aufs glänzendfte beätigt. Und daß der „Ko- vefch” diefer Bücher und der „Cyrus“ des Manetho eben jener berühmte Gründer bed perfifchen Reiches ſey wer in aller Welt wollte ed anders vorausſetzen?

Freilich könnte ed auffallen, Daß Herodot eines fo großen und mächtigen Reiches, wie bad babylonifche

Nebukadnezar. 645

nach den Berichten bed A. T. geweien feyn muß, gar feine Erwähnung thut. Indeffen auch diefer Umſtand bat im Ganzen die kinmal feftfichende Heberzeugung nicht wankend zu machen vermocht.

Jetzt aber hat biefelbe plöglich einen gewaltigen Stoß erhalten. Es ift, ale ob das fiegreiche Albion, nicht zus frieden, die Meere und Küften der Gegenwart in einem Umfange zu behersfchen, in welchem die Sonne nicht un tergeht, num auch feine Eroberungen in bie graue Bers gangenheit ausdehnen und uralte Weltreiche, die biöher in den Archiven der Wiflenfchaft ruhig und unanugefoch- ten nebeneinander lagen, libereinander ſtürzen und ihnen ganz andere Pläße anweiſen wollte Doch Scherz bei Geite, fo muß man wohl zugeſtehen, daß auch auf Dies ſem Felde mit einem NReichthume von Subfivien nnd eis ner Umſicht und einer Entfchloffenheit gefochten wird, welche einem Herzog ans dem glorreichen englifchen Könige: hanfe zum Höchften Ruhme gereicht, und daß biefer willen» fhaftlihe Feldzug fich den irdifchen Waffenthaten feiner Ration getroft zur Seite ftellen kann,

Der Herzog Georg von Manchefter hat in dem1845 iu London bei James Darling erfchienenen Werte: „The times of Daniel, chronological and prophetical, exa- mined with relation to the point of contact between sacred and profane chronology," ſich zunädft die Aufgabe ger Rellt, über die fiebenzig Jahre der Gefangenfchaft, fo wie über bie fiebenzig Jahrwochen bis Chriftus ausführ⸗ lihe Unterfuhungen anzuftellen, ausgehend von ber Hoffnung, daß der theopneuftifche und prophetifche Cha⸗ rakter fänmmtlicher biblifcher Bücher fih auf wiffenfchafts lihem Wege werde rechtfertigen laſſen. Seine Unterfns chungen felbft find, wie wir fehen werben, vorurtheile, frei; er macht den Berfuch, wie weit man komme, wenn man fürerft einmal die Ehronologie der h. Schrift für fih behandle, ohne fogleich im voraus Bergleihungen

646 Ebrard

mit der Profangeſchichte einzumengen, und dann erſt bie letztere mit in Rechnung ziehe. Wir nehmen keinen Ans ſtand, dieſe Methode als eine ſehr vorzügliche und wahr⸗ haft wiffenfchaftliche anzuerkennen; wiffenfchaftlicyer, als wenn man, ehe man noch die zufammengehörigen Mo» numente ber fitteratur eines Einzelvolkes in ihrem Zu⸗ fammenhange geprüft hat, fogleich den Kreis diefer Mos nnmente felbft Durch vorfchnelle Kritik zerreißt. Die ger nane Durchforfhung des kritiſch zu beurtheilenden Ob⸗ jected in feiner Ganzheit muß der Kritik des Eingelnen vorangehen. Es ift dieß, wie und fcheint, die einzig mögliche Art, eine im guten Sinne vorausfeßungslofe Wiffenfchaftlichleit mit dem gläubigen Bertrauen, daß die h. Schrift fi als Wahrheit bewähren werde, zu vereinigen. Und daß ein ſolches Bertrauen weder mit ber größten Gelehrſamkeit, noch mit dem feiuften Scharf: finne unvereinbar fey, bat der erlauchte Verf. thatfächs lich bewiefen,

Er faßt jene beiden Fragen nicht ifolirt anf; er gründet feine Linterfuchungen über die 70 Jahre und 70 Jahrwochen vielmehr auf eine ungeheure Subfiructiom, weiche im Grunde die gefammte biblifche und profane Chronologie von Salome bis auf Ehriftud umfaßt. Uns fere Abſicht war anfänglich, ſaͤmmtliche Abtheilungen feis ned reihen Werkes zu. verfolgen; allein um bieß in gründlicher Weife thun zu Pönnen, müßten wir faft ſelbſt ein didleibiged Werk liefern. Go wollte ed paflender fheinen, eine Hauptpartie aus dem liebrigen herauszu⸗ beben: die Unterfuhungen über das Berhälts« niß des perfifhen Reihes zu Babel. Diefe bilden faft die Hälfte des Buches und dienen allem Fol⸗ genden, nämlidy der eigentlichen Frage nach den 70 Jah» ren und Jahrwochen, zur Subfiruction. Daß wir nun gerade jene Partie herausheben, hat einen dreifachen - Grund, Erſtlich bilder fie ein felbändiges Ganzes für

Nebukadnezar. 647

ſich und liefert ein Reſultat von ſolcher Bedentung und Wichtigkeit, daß, wenn daſſelbe Anerkennung findet, das durch eine Revolution in der Gefchichtöforfchung der älteften Zeit hervorgerufen wird, ‚nicht minder groß, als die Revolution, welche Copernieus in der Aſtrono⸗ mie bervorbrachte. Sodann fcheint mir dieſes Reſultat in fich geficherter, als das ber darauf weiter gebauten Unterfuchungen über die 70 Sabre und Jahrwochen, unb jenes kann ſtehen bleiben, wenn auch biefed ſich ale uns haltbar erweifen ſollte. Endlich eriftirt in Bezug auf letzteres bereitd eine fehr gründliche Beurtheilung von Wiefeler Cin den gött. gelehrten Anzeigen v. J.), wähs rend auf bie Unterfuchungen über Babel und Perfien dafeldft wenig Rückſicht genommen ift, fo daß wir jene Anzeige durch dieſe Blätter zu ergänzen hoffen.

Anfichtlid, fielen wir das Nefultat des Verf. über Babel und Perfien nicht im voraus vor die Augen un⸗ ferer Leſer, fondern folgen dem Gange ber Unterſu⸗ hung, durch welchen ber Berf. auf fein Refultat ger führt wird.

Er beginnt im 2, Kap. mit eine Berechnung der Zeit von Salomo bis zum Erile, welche wir, obwohl fie nicht in engerer Bezichung zu unferm Haupt⸗ objecte fteht, doch in Kürze verfolgen müflen, um den Faden nicht zu verlieren. Scharffinnig ift die Vorbemer⸗ tung, daß die Negierungszeiten der Könige des Zehn, ſtaͤmmereichs häufig nah Jahren und Monaten, die der jüdischen Könige aber (mit Ausnahme des Zebes tab) immer nur nad Jahren angegeben werden. Daraus laſſe fich fchließen, daß die letzteren nadı der Abſicht der bibl. Schriftfteler eine fortlaufende chron- Reihe zu bilden beftimmt waren, mit anderen Worten, daß die allfäfig nöthige Ineinanderrechnung überſchüſſi⸗ ger oder fehlender Monate fhon vom bibl. Autor

Theol. Stud, Jahrg. 1847, 44

648 0 Me.

ſelbſt beforgt fey, der Die Regierungézeit her jüb. Kö⸗ nige auf die Sahre einer abfoluten, fortlaufenden Nera redueirt habe, Diefe Bemerkung if gewiß um fo wid. tiger, wenn man fich erinnert, daß es die Weife ber ganzen a. 6, Geſchichtſchreibung iſt, ſich am Fader firer chronologiſcher ober genealogifch= chrouologifcher Reihen fortzubemegen, Damit ift dann aber allen Conjecturen von Snterregnid und Synarchien im Reiche Juda ber Meg abgeſchnitten.

Die einzelnen Fälle, wo man folcdhe GSonjecturen machen zu müuſſen -glanbte, behandelt der Verf, ſehr gründlich. Daß erfilih 2 Kön. 15, 30. Hoſea's Regie⸗ sungsantritt, nbgleih nach Jotham's Tode flattfindend, dod nach Jahren Jotham's und nicht nach Zahren bes Ahas berechnet wird, erflärt ex (nach dem Borgange von de Vigunled und vielen Anderen) einfach und richtig dar⸗ aus, daß 2 Kin. 15, der Name Ahas Überhaupt noch niet genannt wosrben war. Schwieriger finb aber zwei anbere Fälle.

Der eine betrifft die Regierungszeit Amazie’d mu» Serobeam’d I. Amazia warb König im zweiten Jahre nach Dem Negieruugsantrittg bed Joas von Ifrael und regierte (a Kön. 14, 1.) 39 Sahre lang, alfo bie zum 31. Jahre nad isnem Regierungsantritte, (Wir wollen her Bequemlichkeit halber die Jahre von jenem Autriste Des Joas am ald eine fire sera lonain betrachten.) Auf bafleibe Jahr 31 a. I. wird ber Tod des Amazia verlegt ig der Stelle 2 Fön. 14, 17., wo nämlid; gejagt wird, Amazia habe den Joas (der 16 Jahre regierte) um 15 Sabre überlebt O6r15 = 31). Go regierte alfe Amazia 2—31 a. I. Jerobeam ward König im 15. Sahre des Amazia (17 a. I.) und regierte (nach 2 Kön. 14, 23,) 41 Sabre, alfpo: Jerobeam 17—58 a. I. Ufa wurbe im 27. Jahre bed Jerobeam König und vegierte 52Jahre (2 Kön. 15,1), alfo Uſia 4 6 a.Il.

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Nebufadnezar. 649

Sacharja beſtieg im 38. Jahre des Uſia ben Thron, alſo: Sacharja 82 al.

Hier fallen alſo in Juda zwiſchen Amazia und Uſia die leeren Jahre SL 44, in Iſrael zwiſchen Jerobeam und Sacharja die leeren Jahre 66 82. Wirklich nah⸗ men Lightfoot, Hales u. A. zwei Interregna an. Aber ein ſolches Interregnum müßte irgendwie erwähnt oder angedeutet ſeyn; die Stellen. 2 Kön. 14, 21.; 2 Chron, 26, 1. fchließen vielmehr jede Möglichkeit aus, und ge beu deuntlich zu verſtehen, daß der Nachfolger dem DBorr Hänger unmittelbar fuccedirte. Der Berf. hält deßhalb die Aunahme einer Tertcorruption mit Recht für willen, ſchaftlicher, ald jene gekünftelten Oppothefen, Er gewinnt folgenpermaßen sine Gorrection. Bon dem Tode bes Ufa, der unzweifelhaft mit dem eriten Sabre des Pela sufammenftel, rechnet er die Negierungszeiten ber ifr. Könige aufwärts (ohne zwiſchen Serobeam und Sacharja ein Interregnum anzunehmen); nun war (2 Rön, 14,23.) das 18, Jahr des Amazia gleid dem 3. des Jerobeam und (nach 2R5n.15,2.) gleich dem 1. des Ufla, Daraus ergibt fich, daß Uſia im 18. 3. des Amazia (20a. I.) defr fen Nachfolger wurde, und bie beiden Stellen 2 Kön, 14, 17.; 15, A. müflen corrupt ſeyn.

So fehr wir hier gerade die kritiſche Freiheit des Berf. anerfennen, können wir doch nicht mit ihm über, einkimmen. Es if wirklich noch ein Weg ber Ausglei⸗ hung vorhanden, der wenigftend geprüft zu werben vers dient. Beachten wir, daß (3 Kön. 14, 13.) Amazia von Joas nicht etwa getödtet, fondern in Gefangenſchaft gefegt Cem), Ierufalem gefchleift (V. 21.) und fein Sohn Ufia vom Volke zum Könige gemacht wird, und daß es ferner (DB. 17.) beißt: Amazia lebte (midht: res gierte) noch 15 Jahre) Hiernach fcheint uns Die Sache folgendermaßen zu ſtehen. Joas führte den Amazia ge⸗

44 *

.650 Ebrard

fangen; ſogleich damals muß fein Sohn Ufia zu einer Art von Herrſchaft nuter ephraimis tifher Botmäßigkeit gekommen feyn, denn Joas nahm Geißeln (marmı2) mit; Geißeln nimmt man aber nur zur Gewähr für eine von einem Andern dauernd Üübernommene Pfliht, Setzte Joas einen ephrais mitifchen Bogt in Serufalem ein, fo bedurfte er Feiner Geißeln. Nah Joas Tode lebte Amazia (B. 17.) no 15 Sahre, und zwar nun nicht mehr in Gefangenſchaft, fondern (anfänglidy wenigſtens) (B. 19.) in Serufalem. Er muß alfo wohl nach des Joas Tode feine Freiheit wieder erhalten haben. Er ward alfo wieder nig. Rurfoerklärtfich, wie fein eigenes Volk (V. 21.) ihn verjagen und den Ufla zum Könige machen Fonnte. Diefe zweite Entthromung muß von ber erflen ver. fchieden feyn; denn das erfie Mal war ed nicht das Bolt, welches ihn verjagte, fondern Joas, der ihn ges fangen fegte. Wir haben Freiheit, diefe zweite Entthror nung in das 18. J. ded Amazia (20 a. I), alfe drei Sabre nach Joas' Tode, zu ſetzen. Amazia lebte nun zu Lachis (noch 12 Jahre, denn 3 + 12 = 15), Wenn felbt dorchin ihn eine jüdifche Verfchwörung verfolgt und ihn dort töbtet, und wenn ferner Ufla (2 Ehron. 26, 2 6.) nach feines Baterd Tobe fi vor Allem gegen philitäifhe Angriffe, gegen Angriffe von dorther, zu wappsten bat, fo liegt bie Bermuthung nahe, daß Anazia von dort aus Jeruſalem nnd den Thron feines Sohnes beunruhigt haben müffe. Noch immer fland ins zwifchen Juda im Zinsverbältniffe zu Iſrael, bie zum 27.%. des Jerobeam (44 a.1.), wo Uſia (2Chron. 26,9 ff.) Jeruſalem befefligte und fein Volk frei machte. So fimmen nun alle Angaben zufammen. Bon 44 a. 1. an wirb 2 Kon. 15, 1. fein Regiernngsantritt im vollen Sinne gerechnet, während bie 52 Regie

Nebulabnezar. 651

rungsjahre ebendafelbfi vom Jahre 20 =. I. an zu zählen find «).

Die zweite Schwierigkeit betrifft den König Hoſea. Dela regierte 20 Jahre. (Wir rehum die Jahre von feiner Thronbefleigung an wieder ale abfolute sera Peca- sis.) Sotham regierte von 2 18, Ahas vom Jahre 18 an; über Hofea aber bifferiren nun bie Angaben. Nach 2 Kön. 15, 30, regierte er vom 20, Jahre nach os tham's Regierungsantritte, d. i. vom 4. Jahre des Ahas (21 ser. Pec.) an; dagegen nach 2 Kön. 17, 1. vom 21. Yahre des Ahas (30 ser. Pee.) an. Der Herzog von Manchefter löſt diefen Widerſpruch, indem er 2 Kön. 17, 1. Po ald Pindquamp. Überfegt. Allein dann wäre ed allein nas türlih, die V. 2 ff, erwähnten Negierungsjahre des Hofen für identifh mit den V. 1. erwähnten (ben Sahren 21 30 zer. Pec.) zu halten. Da dieß nicht angeht, weil ja fonft die B. 6. erwähnte Zerftörung Samaria’d in das Jahr 30 fiele, während fie doch nad 18, 10. in das fehle Jahr des Hiskia Calfo39 a. P.) fallen muß, fo ift es wohl einfacher, 17, 1. nicht mit dem Plusquamp. zu überfegen, fondern fchon hier die zweite Reunzahl von Regierungsjahren Hoſea's erwähnt zu finden, Das Refultat (dag nämlich Hofen 2x9 Jahre, von 21 30 und von 30 39 regiert hat) if übrigens das gleiche. Ein doppelter Negierungsantritt wird 2 Kön. 15, 30,; 17, 1. in jedem Kalle erwähnt, unb derfelbe er» Härt fi fo, daß Hoſea anfangs den Afiyrern zinsbar

a) Amazia regiert 2 16, iſt gefangen 16 17, regiert wies der 17 20, lebt in Lachis 20 31. Uſia ift ephraimitis fer Satrap 16 17, iſt König unter ephraim, Oberherrfchaft » 31, macht fidy frei und regiert unabhängig Bi 72. Serobeam regiert 17— 58, Sacharja befleigt den Thron im 88. Jahre nach Ufia’s erftem Regierungsantritte, d. i. 58, alfo nad Jerobeam's Tode.

652 Ebrard

war, dann Hder mit ägyptiſcher Hülfe das Joch anf eine freilich nur kurze Zeit abfchättelte.

Es ergibt fih nun von Rehabeam's Regie: rungsantritt bis zur Zerflörung Samaria s ein Zeitraum von 248 Jahren.

Die folgende Zeit vom fehflen Jahre des Hi fia bis zur Zerfiörung Jernſalems wird ge wöhnlich auf 134 Sabre berechnet. Die Richtigkeit die fer Rechnung ſteht oder fällt mit der Lesart „zwei” in ber Angabe der Regierungsiahre des Amon (2 Kön. 21, 19.). Die LXX. (cod. Vat.) leſen „zwölf,” und der Berf. bemerft, daß andy Arm., Eus. (in den von Mai ebirten Kragmenten), Ricephorne, Barhebräus, Profper und Sfr dor „zwölf” lafen. Der Berf. unterfügt biefe Lesart „zwölf” mit brei Argumenten, wovon aber nur eine ftichhaltig iſt ).

a) Die beiden andern beruben auf einer willtürlichen Auslegung zweier propbetifcher Stellen. 2 Chron. 86, 21. weiffagt Jere⸗ mias bem Volke einen 70jährigen Straffabbath. Dieſem, fagt der Verf., mußten ſechs flebzigjährige Sündentage, alfo 420 GBündenjahre vorangeben, und ba ber Gtraffabbath mit ber Berfiörung des Tempels beginne, fo müfle die Suͤndenwoche von der Ginweihung bes Tempels an (275 3. vor Galomo’s Tode) gerechnet werben. Won da biß zur Zerfiörung bes Tem: pels feyen nur dann, wenn man bem Amon 12 3. gebe, 4280 Jahre. Ezechiel rede 4, 5. von 890 Günbentagen Sf zaeld und 40 Sündentagen Yuda’s. „Das Baus Sfrael” be zeichne ftets alle 12 Städte zufammen. Die 390 Tage bürften alfo nicht mit dem Abfalle ber zehn Stämme, fonbern mäßten mit dem 3. Jahre Hehabeam’s, wo auch Juda fünbigte (2 Ehron. 12, 1.), begonnen werben. Bon ba bis zur Zerſtoͤ⸗ sung Serufalems feyen nur dann 890 Jahre, wenn Amon 129. regiert babe. (Die 40 Zage Juda's erflärt er von ber Zeit von Chriſti Tod bis zur Zerfiörung durch Zitus.) Dieſe Interpre tation bebarf nün kaum der Widerlegung. Daß die 890 + 40 Zage nicht (mit Calv., Lightf., Vitr., 3. D. Mid. Rofenm. u. 2.) von den Sahren der Verſchuldung erflärt werben bärfen, bat neuerbings der felige Haͤvernick dewieſen (vergl. f. Comm. ©. 66.).

Nebuladbntzar. 653

Dieſes deruht auf einer Berechnung der Sab⸗ bath> und Jubelyerioden Hierzu dber bahnt nun fhon eine hdronologifthe Parallele det legten jud. Könige mit Nebnkadnezar den Weg, Das Reſultat diefer Parallele, wie ed aud den verglichenen Stellen unwiderſprechlich hervorgeht, ift folgendes. Ne⸗ bufabnezar beftieg gegen Ende des 4, Regierungsjahres von Jojakim den Thron und ärzte Jojakim in deffen 11., feinem 7. Jahre. Da nun Jechonjah's dreimonatliche Re⸗ giernng gerade mit dem jüdifchen Jahreswechſel enbigte (2 Ehron. 36, 9 fi), fo wurde Jojakim alfo drei Monate vor dem Schluſſe bed judb. Jahres geſtürzt (und der Anfang feiner Regierung wird um Öftern, nicht mit Uſher und Eradock in ben Herbft zu ſetzen ſeyn, weil im letz⸗ ‘tern Kalle nur 10 J. 3 M. anftatt beiläuflg 11 Jahren berausfämen). In den drei Monaten zwifchen dem Sturze Jojalim's und dem des Sechonjah begann das 8. Jahr Nebukadnezar's; Diefer bat alfo gegen Ende dee hd. Jahres zu herrſchen angefangen. Zedekiah begann im 8. 3. des Nebnkadnezar feine Regierung (vergl. Ser. 82, 1.), aber erft im 5. Monate ded 8. Jahres, alfo erft ein paar Monate nach Jechonjah's Sturze. Wenn Dan. 1, 1 f. Jojakim's Entthronung in fein drittes Jahr ges ſetzt wird, fo ift das dritte Jahr nach feiner Wiederbe: freiung and feiner erflen Gefangenſchaft (vom Anfange des 2, bid zum Anfange des 5. J. des Nebuk.) gemeint.

Nun wendet fich der Herzogben Sabbafhperioden zu (Kap. 4.), und legt hier eined der glänzenbfien Zeug: niffe feined durchdringenden Scharffinnd ab. Die Zeit, angabe Ez. 1, 1: „im dreißigſten Jahre,” weldhe von Sca⸗ liger, Rofenm. n. 9. unhaltbarerweife, als eine einer (fingirten) nabopalaffarifchen Wera angehörige Iahrzahl betradytet worben ift, wird jebt won Ideler und Häver- nid nad dem Vorgange von Grotius und Piscator vom Jahre der joflas’fchen Reformation an gerechnet. Mit

654 Ebrard

Recht wendet der Verf. dagegen ein, daß von einer ſol⸗ chen Neformationsära ſich ſonſt nirgends auch nur bie leiſeſte Spur finden laſſe, und fo erflärt er nach Kimchi's, Jarchi's und Hieronymus’ Vorgange jenes 30. Jahr ale das 30, einer IZubelperiode. Daß man nadı Tubelpe zioden wirflich gerechnet habe, wird nad) Wiefeler’d Ber merkungen über dad odßBarov devsspdzgmrov Chrom. Syn. ©.225 ff. und 353 ff.) ohnehin fehr wahrfcheinlich. Der Berf. feinerfeit® unterftüßt feine Anficht noch durch eine ſcharfſin⸗ nige Bemerkung. Ez. 40, 1. erflärt er au un nicht wie gewöhnlich als „erftien Monat,” fondern als „Tahresan: fang,” und überfegt: „im 25. 3. der Gefangenſchaft, „beim Sahresanfange, nämlich am 10. Tage des Mu „nate.” Am 10. Tage eined Monats begann aber kein andered Jahr, ale das Jubeljahr (nach Lew. 25, 9. am 10. Tage des 7. Monate des gewöhnlichen Jahres). Daß der fiebente Monat nicht befonderd genannt wird, kann nicht auffallen; jeder Lefer des Ezechiel wußte ja, in weldhem Monate ber 10. Tag den Anfang eined neuen Jahres bildete. Daß „der erfie Monat” nie mit Ua raeirı gegeben wird, und daß jene Weiffagung Ez. 40 ff. fi) befonderd gut für die Zeit eines Tubeljahres fchidkt, dient der Anſicht des Verf. zur Beflätigung. Am wich—⸗ tigften nnd merkwürdigſten it aber, daß die beiden Stellen Ez. 40, 1. und 1, 1. ein übereinftimmens des Refultat liefern. Nah Ez. 1, 1. waren im 5. Jahre nah Jojakin's Deportation 30 Jahre feit dem letzten Subeljahre verfloffen; das nädhfifolgende Jubeljahr muß alfo 20 Jahre fpäter, alfo ind 25. Jahr nad der De portation gefallen ſeyn. Und wirklich befagt nun bie andere Stelle (Ez. 40, 1.), daß im25. Jahre der Deportation ein Zubeljahr anfing. So unterfügen fidy die Erflärungen beider Stellen allerdings auf eine aller Beachtung wür⸗

dige Weife,

Nebukadnezar. 655

Wie ficht ed unun mit den Sabbathiahren? Das „vierte Jahr” (er. 28, 1.), das erfte bed Zedelich, erlärt der Berf. auf analoge Weife ale das 4. Jahr eines Sabbatheyklus und ſtützt dieſe Erklärung damit, daß Hananjah (V. 3.) ſagt: „Wenn die zwei Jahre um find,” nämlich die noch übrigen bis zum mächften Sabbathjahre. Damit fiimmt überein, daß (Jer. 34, 8—11.)da6 zehnte Jahr dee Zebeliah wieder ein Sabbath» jahr war. Nämlich das erfte des Zedelich war das vierte nach dem Sabbathjahre, alfo das dritte des Zedek. das fie» bente nach dem Sabbathjahre, alfo felbit ein Sabbath» jahr; fo war alfo 7 Jahre fpäter, d. h. im 10. bed Zede⸗ fiah, wieder ein Sabbathjahr. Auch biefe beiden Stel⸗ len (3er. 28. und 34,) fügen fich alfo gegenfeitig.

Das ganze Refnltat erhält nun aber den hoöchſtmoög⸗ liheu Grad von Feſtigkeit dadurch, daß diefe Sabbath⸗ und diefe Tubeljahre felbft wieder gegenfeitig überein, Rimmen. Rad der richtigen Erklärung von Lev.. 25, 8 f. war je das 49, Jahr ein Sabbathjahr und das daranf folgende ein Jubeljahr; vom 5L. wurde dann wieder ein Sabbathcyklus angefangen (fo daß je zwei Subelperioden ein Sahrhundert ausmachten). Ganz dafs felbe Refultat ergibt fi num and obigen Datid. Das 25. Jahr nad) Jojakim's Deportation war ein Subeljahr (nach Ez. 40, 1.). Hiernach müflen dad 24., 17., 10,, 4. Jahr nach jener Deportation oder, ba biefe won Ze⸗ befiah’8 Thrombefleigung nur um Monate vwerfchieden war, das 4., 10., 17., 24. J. ded Zedekiah Sabbath» jahre gewefen feyn. Und eben bad ergab ſich ja aus Ser. 28, 1.5 4, 8— 11!

Hieraus ergibt fih nun auch der Beweis, daß Amon 12 5. regiert haben muß. Nah 2 Kön. 19, 29. muß das 15. Jahr des Hiskia ein Jubeljahr gewefen ſeyn. Diefed Jahr kann alfo nur SO oder 100

656 Ebrard

oder 150 ober 200 u. ſ. w. Jahre vor dad 25. Jahr nach Jvjakim's Deportation gefallen ſeyn. Dat Amon nun 12 Jahre regiert, fo ſiel das 15. Jahr des Hiskia wirt: li} gerade 125 9. vor die Deportation, alfo gerade 150 % vor das Jubeljahr Ey. 40, 1. Hätte aber Amon nur zwei Sabre regiert, fo würde das 15. 3. des Hiskia, dieſes Jubehjahr, nur 140 J. vor dad Jubeljahr @}. 40. fallen, was unmoͤglich if. Alſo muB Amon 13 3. regiert haben, und die Zeit von der Zerſtoͤ— rung Samaria’d bis zur Zerſtörung Jeruſa— lems beträgt 144 Jahre.

Nach diefen Borunterfuchhnngen wenden wir und nun mit dem Berf. zu dem Punkte, der und für anfern Zwed die größte Wichtigkeit hat.

Welche perfifhe Könige werden über» baupt in der h. Schrift erwähnt? Der erfe it „Darius der Meder” (Dan. 5, SL), welcher nad Dan. 6. nicht ein Bafall des „Koreſch,“ fondern ein ſelbſtaͤndiger König war, wie denn auch (Kap. 10, 1.; 12,1.) die Reiche beider unterfchieben werden. Darins Aha vers kann nicht mit Darius dem Weber identifh feyn; denn unter ihm iſt Serafalem fchon gebant, nur der Tem⸗ pel noch nicht (vergl. Dan. 9, 7 und 17. mit@sr. 4, 12.; Sad. 1, 12. and Hagg. 1, 4). Er war alfo vielmehr ber auch bei Era, Hagg. und Sacharja erwähnte Rady folger des Korefch, deffen zweites Jahr das Jahr ber Ruckkehr der Erulanten iſt.

Darius ber Meder zählte 62 Jahre, als er Bas bel eroberte, wird alfo nicht fehr lange mehr über Ba: bei regiert haben, Auf ihn folgte Ahasver (Eſth. und Dan. 9, 1.), was ein wirftiher Name und wicht (wie Haled vermuthete) ein Dynaſtientitel iR, da fon bie ©relle des Daniel fo wie das ganze Buch Eſther rein finnlos würde. Diefer Ahasver kann nicht nach

Nebuladnezar. 657

Korefd regiert haben. Die ergibt ſich and einer unbefangenen Betrachtung von Eſth. 2, 5 71. Der Relatiofaß: „welcher mit Jechonjah fortgeführt war,’ fan vernünftigerweife nur auf Marbohai, nicht auf Kis bezogen werden, ſchon weil das folgende m (3. 7.) nur anf jenen gehen kann. (Kis aber ift ber befannte Bater Sanl's, auf welchen Mardochai’d Befchlecht durch Eimei zurädgeführt wird.) So hat fchon der gried. eberfeßer, fo haben die Targırmiflen, fo Abenedra und Jarhi, fo Lyra, Bullinger, Brenz, 8. Lavater u. 9. bie Stelle verftanden. "Die ganze Regierung Ahabs vers fammt der Geſchichte Eſther's fällt alfo vor Korefch, fäl lt ins Eril. Man wird einwen- den, der Ahasver der Efther Fönne allerfrüheftend Xerres feyn. Wir bitten, diefen Einwand einftweilen zu fnöpen- diren; wer weiß, ob nicht auch wir berfelben Anficht find !! Einſtweilen mifchen wir die Profangefchichte nicht ein, fondern halten und ganz an die Frage, ob „Ahasver” gleichzeitig mit oder ob er nach dem Erile regiert habe. Das Buch Efther, natürlich ertlärt, weift ihn in Die Zeit vor Korefch, in die Zeit des Exils. Mars dochai war noch von Nebuladnezar ſelbſt Deportirt worden; nach der Rückkehr (Eur. 2. Neh. 8, T.) kömmt wieder ein Mardochai, vielleicht derfelbe, vor. Jedeufalls ift aber gewiß, Daß die ganze Geſchichte der Eſther nur und als lein während des Exils vorgefallen feyn kann; benn nadı= ber waren die Juden weder in fo ungeheurer Zahl im Oriente vereinigt wie Eſth. 7, 4., noch fo hart gefan⸗ gen und gebrüdt wie Eſth. 4, 8., fondern lebten ale vereinzelte, freiwillig gebliedene, Endlich wird andy Dan. 9, 1. ein „Ahasver” erwähnt, der ald mebifcher Kö: nig ter Ehaldäa herrfchte, und deffen Sohn am Ende des Exils felbft wieder Söhne hatte.

Auch das hätte der Herzog noch anführen können, daß nicht nur im a. t. Kanon das Buch Eſther fo mit

658 Ebrard

Daniel, Esra und Nehemia zuſammengruppirt ik, daß es unter diefen die erfte Stelle einnimmt, fondern daß auch in den LXX., wo die Gefchichtöblächer chronologiſch geordnet find, Efther den Borrang vor Esra und Rebe mia erhalten hat.

Auf Ahasver folgt der perfifheKönig Koreſch, der ben Juden bie Rückkehr erlaubte (Esr. I, I.). Gleich⸗ zeitig mit ihm wird einArtahfchafta erwähnt (Eer. 4, 7— 33), ein >> Do a). Auf diefen folgt ein Darja- wefc oder Darius, der oben fhon befprochene Das rius Ahasveri, und nad biefem foll, nad; der Aw fiht bes Berf., Er. 7 ff. und Neh. 10.ff. noch ein zweiter Artachſchaſta erwähnt ſeyn, was wir einſtweilen dahingeſtellt ſeyn laſſen.

Nach Dan. 11, 2. regierten nach Koreſch noch vier Könige, wovon der letzte durch Macedonien beſiegt wer⸗ den ſollte. Dieſer letzte muß mit „Darius dem Perſer“ (Neh. 12, 22.) oder Darius Codomannus identiſch ſeyn. Hiernach ergäbe ſich im voraus folgende Parallele ale

wahrfcheinlich : Darius der Meder Darius Hyſtaspis. Ahasver Kerres. Koreſch u. Artachſchaſta Artarerres 1. Darius Ahasveri Darine Rothus. ee Artarerres II. N Ochus. Darius der Perſer Darins Codomannus.

Hiernach wäre Ahasver wirklich fein Anderer ale Kerred. . Und der Koreſch der h. Schrift wäre ein Su trap feines Nachfolgerd Artarerres geweſen. Der Berf. zieht indeffen diefe Paraflele noch nicht fogleich , fondern beginnt nun erſt eine einläßliche Unterfuchung über die

a) Ger. 4, 6. hält ber Verf. wohl mit echt für ein Gloſſem. Bis werben fpäter barauf zuruͤckkommen.

Nebuladnezar. 659

Gefchichte jedes einzelnen diefer Könige, eine Unterfus hung, die ihn aber Schritt vor Schritt anf daſſelbe Res fultat führt.

Darius der Meder it Darius Hyſtaspis. Beide erobern Babylon, Beide führen zuerft ein Be Reuerungefpftem ein «), Darius Hyftaspis erobert nach Herodot Indien, und ber Nachfolger Darind dee Mebers bericht (nah Eſth. 1.) wirflid über Indien. Gieben Bürften erheben den Darind Hyſtaſspis auf den Throm nah Herodot, und fieben Fürften umflchen den Thron im Buche Efther. Ahasver, der Sohn Darins des Me: ders, reſidirt in Sufa, und nah Plin. 6, 37. war Sufa von Darius. Hyſtaspis erbaut. Diefe Anficht fin det fih fchon bei Porph., Tert., Cyr., Hier. und Maxi- mus Martyr (Petan, Uranologie, S. 312 f.) und wirb betätigt durch ein Fragment des Megafthenes, welches folgende Königsreihe enthält: 1) Baltaffar; 2) Gyrns und Darius; 3) Eyrns allein; 4) Artarerres Ahasver, Sohn des Darius (alſo iſt Darius Hyſtaspis gemeint); 5) Ey⸗ rus Artabanesd und Darius Longimanus, ber erftere ale bloßer Prätendent; 6) Darius Nothus; 7) Urtarers red Darius Mnemon, Ebenſo nenut ein merkwürbdiges Fragment Philo’s einen Cyrus ald Nachfolger deb Darius Hyſtaspis und führt dieſe Tradition auf die „70 Aelteften” (den Sanhedrin? bie Berff. der LIX,.9 zurück, und diefe Tradition ift um fo glaubwärdiger, da Philo fi nicht auf fie beruft, fondern fie anführt, um fie zu widerlegen.

Daß Herodot den Dar. Hpft. einen Perfer nennt, fpricht nicht gegen feine „medifche” Rationalität, die dem „Darius dem Meder” in der Bibel beigelegt wird; denn 6, 94. nennt er den Neffen ded Darius, Datis, ſelbſt

a) Mit Dan. 6, 2. vergl. Herod. 8, 89., Gtrab. 15. Unter Ahasver und Artachſchaſta beſteht ſchon die MWefteuerung (vergl. Er. 10, 1.5 Sir, 4, 17.)

669 brarb

einen Weber, und daß zur Zeit des Dar. Hyſt. der wediſche Stamm ber herrſchende im perſiſchen Reiche war, fagen außer Herodot (4, 144 und 165,) auch Thuc., Ktef., Pauſ. und Diod, Siculus. Jene fieben Gonfpirato- ren fcheinen felbft Meder geweien zu feyn.

Ahasver if Terres. Beide berrfchen von In⸗ dien bis Aethiopien, beibe refibiren zu Suſa. Die Efih. 3, 13, erwähuse Kinrichtung der Länfer ift nach Dero- Dat eine perſiſche. Die Identität des Ahasyer mit Kerr sed iſt denn auch von den Meiften auerlannt.

Darius Ahasveri iſt Dariud Nothus, umd nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, Darius Hy ſtaspis. Der letztere kann unmöglich fchon vor feiner Thronbefteigung das Belühde gethan haben (los. Ant. 3,3, 1.5 Ger. 4, 43.) Jernſalem zu bauen; wohl aber if} dei Darind Rochus, wenn er der Sohn eben jenes AhaßsersKerres von der Eſther war, ein ſolches Geläbde fehr begzeiflih und hat wiele Mahrſcheinlichkeit. Das sind Hyſtaspis konnte feruer nicht „im zweiten Jahre feiner Herrfchaft ein Faſten „von Indien bis Aethiopien aneranen,” ba er Judien erſt fpäter eroberte; Darius Rochus konnte ed, begreiflih, da Indien fchon drei Menfchenalten vor ihus erobert war. Auf Darius Hy⸗ Baspis paßt nicht, was Dan. 9. und Sach. 1. und Esr. 4 ff, erzaͤhlt wird, wo er nämlich fchon vom Anfange feines Regierung an Über Babel herrſcht; denu jener bat Babel erſt nadı mehrjährigem Kampfe erobert; auf Da⸗ rius Nothus paßt. natürlich Allee. Endlich: da Dar. Hoſt. zuerfi das Beſtenerungs ſyſtem eingeführt hat, uns ter Artachfchafa die aber fchon beficht, Artachſchaſta alfo «in Nachfolger bed Dar. Hy. war, fo kann er nicht zugleich der Vorgänger des Dar. Hyſt. geweſen feygn, was body der Kal feyn müßte, wenn Darius Ahasveri mit Dar. Hyſt. identifh wäre. Daß er viel⸗

Nebuladrezar. 661

mehr mit Darius Nothus identiſch ſey, ushmen fchen Zert., Sulp.&ev. und unter don Neueren Strauchins an.

Es verſteht ſich uun von ſelbſt, Daß jener Koreſch“ ober Eyrus, der nach Eſsr. 26hron. und Manetho den Iſraeliten die Rückkehr nach Serufalem erlaubte, nicht jener hero— dotiſche Eyrus, der Oründer des perſiſcher Reiches, fondern ein Satrapdes Artarerres war.

Es wird un auch begreiflich, wie dis Geſchichte der Eher im Exil und gleigwohl unter Kerred fpielen fauı «); denn das ganze Erilrüdt num tief bis in Die Zeiten des Darius Hyſtaspis, Kerres und Artarerreö herab.

Eine aber fcheint vielleicht minder begreiflich. Wo könmt der Dlas für. Cyrus, Kambyfes und Smerdis Hin? Bon Nebukadnezar bis in die Zeiten des Arsarerred hinein follen nur 30 Sahre ſeyn!

Der fharffinnige Berf. antwortet anf diefe Frage wit einer Gegenfrage: Wer war überhaupt Re bufabnezar

Sonderbar it ed doch, Daß Herobot von Nabopalaſſar uud Nebukadnezar gar nichts weiß. Sollte er fie etwa dennoch erwähnen, nur unter anderen Ram? Wir werben fehen. Aber vor Allem zellen wir ber Freiheit und Kühnheit, mit weicher unfer Herzog fich von ber traditionellen Combination der biblifchen usb yrofanen Geſchichte loßreißt, unſere Bewunderung, uud wir fchör pfen Athem und Muth zu dem Entfchlufle, ihm nun aud in die überraſchendſten Bahnen, die er bricht, zwar prü⸗

a) Die wichtigften Ginwürfe gegen bie Glaubwürdigkeit biefer Ger ſchichte fallen nun von felb hinweg.

662 Ebrard

fenden Blicks, aber unerſchrocken zu folgen und unfern Blick nicht im vorand durch die Schen vor Reuem und das Borurtheil für das Gewohnte umdüſtern zu laffen!

Es muß zwei Nebnkadnezar'é gegeben haben; mit diefem Sage begiunt er fein fiebented Kapitel. Ber zieht man Allee, was von bem Namen „Rebufaduezar” erzählt wird, auf eine einzige Perfon , fo lafien ſich die acht Jahre, die von der Vorherſagnug feiner ebenjähri- gen Krankheit au (Dan. 11, 18.) bis zum Ende diefer Krankheit gerechnet werben müflen, nirgends unterbrin⸗ gen. Die Zeiten uämlih von feinem 1. bis 8., fo wie von feinem 16. bi 20. Jahre find ohnehin mit Thaten andgefält. Zwifchen das 8. und 16. Jahr, und zwar - ine 11. fält die Aufnahme Daniel's an den Hof (Dan. 1, 19.), welcher im 7. Sabre Nebuladnezar’s mit Jojakim deportirt war, und deſſen breijährige Ausbildungszeit (Dan. 1, 5.) alfo mit dem 10, Jahre Nebuladnezar’s en⸗ digte. Ohnehin aber muß ja bie Weiffagung jener Krankheit in eine fpätere Zeit fallen. Bom 20. bis 38. J. des Neb. it wieder Fein Pla für biefelbe; denn in dieſer Zeit ber fagerte er Tyrus, und wäre er da fieben Jahre lang wahnfinnig gewefen, fo wäre die Belagerung ſchwerlich fortgefept worden. In Die Zeit von feinem 35. 3. an bis zum Ende feiner Regierung (10 I. fpäter nach Ser. 3, 31.) muß der Zug nach Aegypten fallen, der in feinem 35. 9. geweiſſagt wurbe. Dauerte diefer Feldzug and nur zwei Sahre, fo blieben von ben 10 Jahren nur knapp die geforderten 8 Jahre übrig, aber keine Zeit mehr für die Wiedergenefung.

Schon dieß zeigt, daß nicht alles von „Rebufabnegar” Erzählte auf Ein Individuum geben kann. Es ift aber ein noch viel beflimmtered Datum vorhanden. Dasier nige „zweite Jahr des Nebuladnezar,” wovon Dan. 2, 1. Die Rede ift, und in welchem Daniel fchon eine Stelle unter den Magiern einnahm, kann nicht das zweite Jahr

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Nebuladnezar. 663

des Nebnläbnegar geweien ſeyn, der erft in feinem fiebenten Sahre den Daniel ald Knaben nad Babel führte. Man hilft fich hier gewöhnlich mit der Conjectur, bad „zweite Jahr” (2, 1.) werde nidt vom Regie, rungsantritte, ſondern von dem Antritte ber „Lniverfals monardyie” an gerechnet. Mit Recht weil der Berf. diefe Sonjectur als eine haltlofe zurück; denn die „mis verfalmonarchie” Nebukadnezarꝰs wurde ja nicht (fo etwa wie ein nened Kleid) an Einem Tage fertig, fonbern bis an fein Lebensende vergrößerte Nebukadnezar fein Neich fortwährend unb machte ed immer univerfefler.

Es gibt alfo einen Doppelten Nebukadnezar a). Der ältere ift identifch mit dem „Rabopalaffar” bed Joſephus. Gegen Affyrien war Neo gezogen; vier Jahre fpäter, im 4. Sabre des Jojakim, zieht „Ne⸗ bufadnezar” (der Erſte) in feinem „erfien Jahre” gegen Necho (9er. 46, 23.) und fchlägt ihn. Das flieht fo aus, ale ob dieſer Nebuladnezar im Dienfle bed affyrifchen Reiches geftanden hätte. Darans, bapihn Jeremias Damals, als er Die Gefchichte Diefed Krieges niederfchrieh, einen „König von Babel” nennt, folgt noch nicht, baß er, ale jmer Krieg geführt ward, fon König von Babel wor. Diefe Bermuthung wird aber dadurch unterſtützt, baß jener Nebuladnezar (der Erfte) im „erſten Jahre” feiner Regierung (Ser. 46, 2.) fchon ein großes Heer fchlagfertig ſtehen hat, und daß der Kal des aſſyriſchen Reiches, welcher unter Sofa noch zukünftig war (Jer. 6, 22.5 2 Kon. 23, 39.) mit der Thronbefteigung dieſes Nebukadnezar I. ohne Weiteres zufammengefallen feyn muß, weil fortan Aſſyrien nicht mehr erwähnt wird,

a) Der Verf. hätte ale wichtiges Beugniß noch das Fragment bes Berofus (os. Ant. 10,11.) anführen können, wo Berofus aus» drüdtich zwei Nebucdyobonofor’s , Water und Sohn, König und Mitregent, unterfcheibet.

Theol. Stud. Jahrg. 1847, 45

664 Gbrasd

Hiernach ſtellt fich folgender Hergang ald wahrſcheinlich heraus. Nebnkadnezar k war affyrifher Feld⸗ herr und Gatvap und wurde (im 4. Jahre des Jojakim) an dgefaunbi gegen Neo, ſchlug bie fen, ufurpirte aber aldbann ben Thron und eroberte fpäter Babel. So erllärt es fich, wie das Jaht, wo ex Necho flug, das „erfie feiner Regierung” genannt merden kann. Go erflärt es fih au, warum Nebukadnezar, ald er dann Jeruſalem zerſtörte, von Norden ber fam (Ser. 1, 14) Nun erzähle aber Alexander Polyhiſtar ) von Rabopalaffer genan die⸗ felbe Geſchichte. Er fey aſſpriſcher Feldherr geweſen und habe den Thron ufurpirt und dann Babel erobert. Ganz übereinffimmend hiermit nennen Abydenns b) und Beroſus c) den Zerfiöger Jeruſalems Nabopalaſſar.

Welches uun Das hronolsgifdge Ber» bälstniß Der beiden Rebukadnezar? Das 2 J. Rebufaduygar’d I. (Das. 2, 1.) fiel nicht vor das 11. feines Vorgängers (denn erſt in beffen 0. Sabre war Dauniel's Erziehung vollendet) und uicht nad dem 15,5 benn vom 16. bis 19, war „ber König von Babylon“ in oder hei Serufalem, und von da an iſt Daniel ſchon anderweitig in die Geſchichte des Könige verwidelt.

Beſtimmteres ergibt fh aus er. 51, 60. Der dort erwähnte Brief wußte burch irgend ein bedentendes Ereigniß veraulaßt ſeyn, nach des Berf. Bermuthung Dusch den Megieruugsantritt Nebulaunegar’s II, welchet wiederum nach Ser. 51, 59. in das 4. Jahr ded Zebe kiah fiel, IR diefe Vermuthung gegründet, fo fing Re

a) Im chron. bes Euſ. S. 59. b) Sm chron. des Guf. ©. 64. c) Bei Ios. o. Ap. 1, 19. unb in Eus. praep. er.

Nebaladnegar. 605

bußadnesar D. im 4. Jahre des Zedekiah, bi i. im 11. Rebulapunezar’s L gw:vegieren am

Aber war ba Rebuladnezar I. ſchon top? Es wird vielmehr ein 25. Jahr feiner Regierung erwähnt. Wie derum kommt Abydenns und zu Hälfe mit der Nachricht, bad Rabopalaffar Lalfo eben Nebulabnezar kK), ale er Babel erobert hatte, feinen Sohn dafelbft zum König einfeßte.

Welchem Stamme gehörten beide Nebu⸗ kadnezar's an?. Gie waren nicht Babylonier, ſon⸗ dern Chaldäer Diefer urſprünglich arwenifche Stamm war (ef. 23, 18.) von den Affyresn nach Babylonien verpflangt worden und bilbete hier eine eigene Kaſte. So redete Rebuladnegar mit den chaldäiſchen Magiern, ats feinen Stammverwandten, feine chalbäifche Mutter» ſprache, und darım wird ed (Dan, 2, 4) ale etwas Befondered erwähnt, daß die Magier mis bem Könige in der aramäifchen, ber Sprache der Ufiyrer (ber biplo: matichen Sprache zwifchen den Sraeliten unb ben öſt⸗ lichen Herrſchern) reden,

Mer waren aber diefe Chaldäer? Wels dem Bolle der Brofangefhichte eutfpreden fie? Warum, wenn fie ein fo ungeheured Neid) erober⸗ ten und beherrſchten, hat Herodot fie wicht erwähnt? Oder befier: warum ſind wir gerade baranf verfeffen, fie füy ein. beſonderes Bull neben den bei Herodot ers wähnten zu halten? Die Sprache der Ehaldäer, bie und noch in. weirigen @igennarken erhalten iſt, war: ei medsperfifcher Dialelt. Der Verf. gebt nur einen Heinen Schritt weiter und beweifl: fie war Die per» ſiſche Sprade ſelb ſt e),

a) Wir fügen feinen Bemerkungen noch die hoͤchſt wichtige bei, daß auch zwei chaldaͤiſche Appellativa uns erhaften find, welche zein perfifh find. Die Oberftatthalter im Reiche Rebukad⸗

45*

666 Ebrard

Wo find wir? Ueberwinden wir unfern unwill⸗ fürlihen Schreck, werfen wir Tühnlich einen Blid auf die großartige Ausficht, die fiih eröffnet, und veruchmen wir das Refultat: Die Ehaldäer der Bibel find Die Perfer der Profaugefhidhte; das dal: daiſche und das perſiſche Reich find iden» tif.

Wir könnten fogleich biefem Reſultate des Verf. die eigene Bemerkung beifügen, daß in der Esr. 5, 12 13, mitgetheilten alten Urkunde, bie jedenfalls einen hoben Werth hat, Nebukadnezar und Korefch ald zwei „Koͤ⸗ nige zu Babel” fo ohne Weitered zuſammengeſtellt wer: den, daB man wohl dentlich flieht: der wit Koreſch gleihzeitige Schreiber jener Urkunde fah beide Zürften für Herrfcher eines und deſſelben Reiches an. Der Berfaffer der Urkunde nennt biefed Reich „Babel”; der Berfaffer bed Buches Esra nennt baffeibe Reich „Derfien” (Esr. 4, 5 17.). Esra 4, 15. fchreiben die Samarier au Artarerres, daß Jeruſalem daram zerſtoͤrt worden ſey, weil die Juden fich gegen „feine Bäter” anfgelehut hätten; auch hier gelten Rabopalaffar und Nebuladuezar ohne Weiteres. ald die Borgänger in bem vos. Artarenred beherrſchten Reiche.

Wir könnten noch durch mehrere bergleichen Bemer⸗ fungen die Airgumente des Berf, unterfiügen, Doc hör ren wir füreft ihn felbfl. Er richtet feinen Blid vor: nehmlich auf die Mythologie. Der Rame des chutitifchen, d. i. nach Ios. Ant. 9, 14, 3. und der allgemeinen An- nahme bed perfifchen Botted Nergal (2 Kön. 17,90.) tchrt im Ramen der Söhne Nebukadnezars (Jer. 39,3.)

nezar’s (Dan. 8, 2. u. a.) heißen ups aim, im perfi- Then Rede (Eſth. 8, 12.; 8, 9.) heißen fie ebenfe. Die Unterftattbalter beißen dort (Dan. 8, 2. u. a.) yır=, bier (Eſth. 8, 18.5 8, 9.5 Reh. 2, 17.) ebenfo.

Nebulabnezar. 667

wieder. Auch Bel war (nach Agathiae) ein perfifcher Bott. In „Meſech“ Liegt der Name der (nadı Strabo) yerfifchen Gottheit Schech, die an fünf fefllichen Ta= gen verehrt wurde. Dagegen bieß die Gottheit der bas bylonifchen Autochthonen: Snchothsbenoth (2 Kön. 17, 30.),

Es entfteht nun die weitere Frage: Mit welchen ber bei Herodot genannten perfifhen Kös nige find Rabopalaffar und Nebulabnezar identifh? Bis zu Darius Hyſtaspis hinauf find die Plaͤtze fchon beſetzt; weiter oben aber ift Raum.

Die nähere Unterfuchung knupft der Herzog an das goldene Bild Dan. 3. Diefed Bild wurde anfgerichtet nach dem Traume Dan. 2. (da 3, 12. Sadrach und feine Freunde fon hohe Beamte find) und vor dem Wahnfinne. Findet ſich nun etwas Achnliches in der Pro: fangefchichte des perfifchen Reiches ? Um die Einführung eines neuen Cultes fcheint ed ſich Dan. 3. zu handeln, und fo ift man bei Nebukadnezar II. an Eyrus zu denken verfucht, welcher nach Strabo den Dienft der Schech und zugleich das S65tägige Jahr einführt. War viel leicht Schech die Göttin der Zeit oder der die Zeit re; genden Sonne? Dann Hegt die Vermuthung, baß das Bild Dan. 3. ein Schechbild geweſen, noch näher; denn ed will fcheinen, als ob Nebukadnezar biefed Bild im Ge⸗ genfabe zu dem Ausfpruche Daniel’6 (Kap, 2, 39.) ale ein Symbol der Unvergänglichkeit feines Reiches aufges richtet hätte,

Doch find wir nicht genöthigt, gerade Nebukadnezar II. mit Cyrus zu identiftciren. Auch Nebukadnezar I. lebte ja noch, und jener war vielmehr nur Bicelönig Wenn alfo nah Strabo unter ber Herrſchaft bed Eyrus ber Schechdienft eingeführt wurde, fo verſteht man barunter wohl befier Rebuladuezar I.

668 Ebrard

NRebulapnezar I (Nabopalaſſur) iſt Cyrnðö. Dafür bieten ſich folgende weitere Spuren dar. Die foäteren Perſer fchreiben dem Dſchemſchid die Erfin: dung des S6Stägigen Jahres au, welche Strabe dem Ey⸗ eu 8 zuſchreibt. Ebenſo nennen fie dad von Eyrud ers baute Perſepolis „Tekti Dfchemfchid,” Thron Dichem: ſchid's. Der Dfchemihid der perfifchen Sage ift alſo Cyrus der Befchichte, oder auch fein Mitregent Kambyr fe. Run aber: wird von biefem Dfchemfchid weiter berichtet, er habe ſich feibft anbeten und biejenigen, welche deflen ſich weigerten, ind feuer werfen laſſen. Da haben wir die Befchichte (Dan. 3.) von Nebukadne⸗ zar I. (Kambyfed) wieder. Kerner heißt ed, Dſchem⸗ ſchid ſey ein Herrfcher., mächtig wie Alexander, geweſen und gleidygeitig mit Thaled und Pythagoras. Die felbe Geſchichte (Dan. 3.) ehrt aber in der Sage von Zerdudfch wieder. Diefer fol nach altperfifcher Sage ein frommer Einſtedler gewefen feyn, den einft Flammen umhüßkten, aus deuten er unverfehrt hervorging, worauf der perfifche König ſich vor ihm geneigt und ihn erſucht babe, bei Gott für ihn zu bitten. Zerbubfch aber kann sicht vor Cyrus und nicht nach Darius Hnft. gelebt haben,

Nebnladuezar ll. ik Kambyfes Nah Euf. (praep. I. 13.) fam Pythagoras nach Babel, „ale die Ju⸗ den nadı Babel und Aegypten wanderten 5” nach Cie. de lin. 5. fam er unter Kambyſes nach Babel. Jene Wanderung fiel nun in dad 19. Jahr Nebukabuezars. Mar Darius der Meder Darins Hpftaspis, fo fiel ja ohnehin Die Zeit Nebukadnezar's I. in die Zeit des Kambyſes.

Aber herrſchte dieſer Dichemfchid-Rambyfes zu Bas bei? Ibn Haukal neunt wenigftend Babel die Glorie Jraus, und das Zendaveſta befchreibt eine Stadt „Ber,” die Dſchemſchid erbaut habe, fo, daß Alles auf Babel

Nebukabnezar. 669

paßt, Nebnkadnezar⸗Kambyſes blieb als Vicekoͤnig in Babel, während fein Vater Nebukadnezar⸗Cyrus weitere Eroberungen machte.

Wir erhalten nun alfe folgende Königsreihe: Rabopalaffar oder Nebukadnezar J. Cyprus.

Nebukadnezar II. Kambyſes.

Darins der Meder Darins Hyſtaspis.

Ahasver Zerreß,

Artahfchafta Artarerres I.

Darius Ahasveri Darins Nothus. Artarerres II. —_— Ochus.

Darins der Perſer Darius Codomannus.

Es iſt jetzt nichts weiter übrig, als dieſe Hypotheſe durch weitere Beweiſe zu unterſtützen. Der Verf. grün⸗ det dieſe Beweiſe theils auf die Specialgeſchichte der einzelnen einander entſprechenden Herr fher, theild auf die Keilfchriften und Gemmen, theils auf die perfifchen Sagen, theild auf ander, weitige gefhihtlihe Spuren. Wir werden noch einen vierten Beweis, der fih aufdie Geſchichte won Eöra und Nehemia gründet, hinzufligen.

Die Geſchichte des Cyrus entfpricht wirklich in ihren einzelnen Zügen der Geſchichte Nebukadnezar's I. Nach Herodot war ed Eyrn®, der durch das troden gelegte Flußbett in Babylon eindrang; Berofus fagt, Nebu⸗ fadnezar habe Babylon fo befeftigt, „daß Fein Fünfe tiger Eroberer mehr den Steom fo leicht ſollte troden legen können.” Died. Siculus läßt den Cyrus bie hän⸗ genden Gärten zu Babylon anlegen; Berofus nennt fie ein Wert Nebukadnezar's. Amynthas nennt den Eyrug,

670 Ebratd

die h. Schrift den Nebukadnezar J. den Eroberer von Ninive. Nach Alex. Polyh. eroberten Meder und Per⸗ fer unter Ahasver und Nebukadnezar Ninive; He⸗ rodot nennt den Meder Eyarared; den Anführer ber ber gleitenden Perfer nennt er nicht, aber Strabo ergänzt ihn, wenn er die Niedermeßelung der Scythen und Maffageten vor Ninive und (an einer andern Stelle) diefed Blutbad anf Befehl ded Cyrus gefchehen läßt. Nach Hales „verwechfeln die perfiichen Schrift fteller die Eroberung Syriens durch die Babylonier mit der durch die Perfer.” Sie thun wohl fehr recht daran! Es hätte fhon lange auffallen follen, daß in den Tha⸗ ten der erften perfifchen Könige nichts ald Donpletten der Thaten zum Borfcheine kommen, welche die h. Schrift den Babyloniern zufchreibt! Aber freilich, nach Colum⸗ bus kann Jeder das Ei auf den Kopf ftellen; uud der Herzog von Mancheſter hat und nichts übrig gelaflen, als die Anerkennung, daß er zuerit fchärfer fah, ale wir Anderen.

Gehen wir zu Kambyfes, fo erzählen die h. Schrift (Ser. 43.), Beroſus a), die perfiichen Autoren und nad Syncellus aud die phönicifchen von einer Eroberung Aegpptens durch Nebuladnezar (den Zmeis ten), wiflen aber nichts von einer fpäteren Eroberung durch; Kambyfes. Herodot wiederum und Diod. Siculud nebft ihren ägpptifghen Gewährsmännern laflen Aegyp: ten durch Kambyſes erobert werben und wiſſen nichts von einer früheren Eroberung durch Nebukadnezar. Die Identität jener und biefer Eroberung, folglich auch jenes und dieſes Eroberers ift fomit ſchon an fich wahrfcheinlic ; fie erlangt aber den höchſten Grab von Gewißheit da

a) In jenem Fragmente (los. Ant.10.), wo er bie beiden Rabucho⸗ bonofor unterſcheidet.

Nebukadnezar. 671

durch, daß die Specialitäten beider Keldzüge dieſelben find. Nach Ger. erobert Nebnkadnezar Taphanches (Das phnä Pelufiä). Ebendafelbft hatte nach Herodot 3,10.) Pſammetich fein Lager gegen Kambyſes aufgefchlagen, Ebenfo flimmt die Befchreibung Ser. 46, 21. mit Her. 3, 11.; ferner Ser. 43, 11.5 &. 30, 10. u. 18. mit He tod. 3, 14. u. 27. Hier wie dort dienen Miethfolda- ten unter den Aegyptern; hier wie bort werben bie Männer getödtet, die Weiber in Sclaverei geführt. Endlich ift Ser. 46, 25. mit Herod. 3, 29—37. zu vergleis hen, nämlich die Art, wie Kambyſes mit den ägyptis fhen Tempeln und Göttern verführt. Auch der heftige, leidenfchaftliche Charakter des Kambyſes ſtimmt in allen feinen Zügen, wie er bei Herodot erſcheint (z. B. 3, 80.), auffallend mit dem Bilde überein, welches im Buche Da⸗ niel von dem Charakter Nebukadnezar's II. entworfen wirb (Dan. 2, 5—8. u. 15.; 3, 13. u. 19.)

Am auffalleudfien find endlich noch die genenlogifchen Berhältmiffe. Herodot und Xenophon flimmen darin über, ein, daß ein Kambyſes der Schwiegervater bes Aſtyages war. Sie laffen von diefem Kambyfes erſt wieder Cyrus den Großen, den Vater Kambyſes des Großen, erzeugt werden:

Aſtyages Cyrus 1. Mandane Kambyſes I.

Syrus II, der Große.

Kambyfed der Große. Einfacher macht Kteflad Cyrus den Großen felbft zu einem Schwiegerfohne des Aftyages:

Aftyages Amytis Eyrus. En

Kambyſes.

672 Ebrard Merkwuͤrdig iſt es nun, daß Wer. Polyh. ben Nebu⸗

kadnezar (den Zweiten) als Schwiegerſohn des Aſtyages neunt:

Aſtyages Nabopalaſſar Amytis Nebukadnezar. u un

Dieß wird die richtige Genealogie ſeyn. Herodot und Zenophon irren, iudem fie den Cyrus und Kambyſes verdoppeln.

Kur Ein Einwurf bleibt. Iſt nicht Ser. 50 51. von einem Sturze bed chalbälfchen Reiches durch bad perſiſche die Rede? Werden nicht alfo hier beide Reiche deutlich unterfchieden? Mit nichten. Nur bie worgefaßte Meinung der Eregeten hat jenen Sinn hineingetragen. In Wahrheit it die Rede von einem Sturze der bie das

bin berrfhenden chaldäiſchen Dynmaftie durch einen mebifchen, wohlgemertt: mebifhen Stamm (Ser. 51, 28.). Richt Ehalbärr von Perſern werben unterfchie den, fondern bie (mit den Perſern identifchen) Ehaldäer von den Medern. Das hat aber auch volllommen feine Richtigkeit. Pſeudoſmerdis, weicher den Perfer Kamby⸗ ſes (d. I, den Chaldäer Nebukadnezar IL) ſtürzte a), war wirftiih das Haupt ded medifhen Stammes, mit wel: chem Kambyſes ftetd verfeindet gewefen war,

Die Keilfchriften hat der Verfaſſer nicht fo be nußt, wie er gelonut hätte. Wenn er darauf einen gro Ben Werth legt, daß in den babylonifchen Ruinen die felbe Schriftart wie in. Perfepolid und in beiden fein älterer Name ald Darius Hpfiaspis vorkomme, fo iR

a) Diefe Annahme wirb fpäter noch eine wichtige Gorrectur er leiden,

Sy um wm wıa&

Nebukabdnezar. 673

ja damit noch immer wicht bie Moͤglichkeit ausgeſchloſſen, daß vor dem Palafte zu Babylou, deffen Trümmer noch Rehen und Darins ald Erbaner nenuen, nicht fchon ein früherer, von einem babploniſchen Könige erbauter Palaft könnte eriflirt haben, welcher eben bie auf ben Grund gerkört worden wäre. Go ft alfo hiermit anch noch nicht die Möglichkeit eines befonderen babylonifchen Reiches vor dem perfifihen abgefchnitten.

&ben fo wenig firingent ift, was der Berf. über die babylonifchen Ringe unb Gemmen cHeeren, S. 191.) ſagt, deren Embleme anf den von Dſchemſchid (Eyrus) in Pers fin eingeführten Ormuzddienſt weifen, Könnte nicht Diefe Sitte, ſolche Ringe zu tragen, erft mit Darius Hyſt. im Babylon eingewandert feyn? Folgt darand irgend etwas gegen die Möglichkeit, daß vor den Perfern ein babylos niſches Reich in Babel befland? Kolgt daraus irgend etwas für die urfprüngliche Identität der Ehaldäer und Derfer ?

&o wenig aber biefe, vom Herzoge angeführten Um⸗ ſtände eine Beweiskraft haben, fo fehr kann allerbinge aus den Keilfchriften, nach dem, was Weltergaard und Botta neuerdings entdedt haben, ein wichtiger Beweis für feine Anficht gewonnen werden »), Wir beachten nämlich das Factum, daß von Kerres bie Artarerres TI. bie Orthographie und Form der Keilfchrift ſich verändert bat; ferner, daB an dem Einen Orte Perfepolis drei Schriftarten vorfommen, zwei ältere unentzifferte und eine neuere. Die neuere erweiſt fih ale aus der Zeit ded Darind und Xerxes. Die beiden älteren müſſen alfo älter feyn, als Darins, können aber nicht älter feyn, ald Eyrus, da Perſepolis erft durch Eyrus erbant ift,

a) Berge. Spiegel, „WUeberficht des gegenwärtigen Standes ber Forfchungen über die Keilfchrift,” in der ball, Litt.»Zeit, 1845, Kr, 251 253,

674 Bbrard

Diefe beiden älteren Schriftarten ind alfo ebeufalld per⸗ ſiſch. Nun finder ſich aber bie eine biefer älteren Schriftarten fehr zahlreich in Babylon wieder (neben der jüngeren aus der Zeit ded Darius). Wir haben alfo bie Thatfache, daB die Bandenkmale Babplons perfifche In⸗ fhriften aus der Zeit des Cyrus und Kambyſes tragen. Eine andere Schriftart aber, eine ſolche, die fich zu Derfepolis nicht wiederfände,, bie man alfo für eine von der perfifhen Schrift verfchiedene, chaldäifche zu halten berechtigt wäre, fömmt in Babylon nicht vor. Schon das ift wichtig, wenn auch nur ein negativer Umſtand. Run hat aber Botta zu Chorſabad, in der Gegend bes alten Ninive, Scuipturen von Sphinren entdeckt, welche alle ohne Ausnahme genau mit den perfepolitanifchen übereinflimmen. Nach der gewöhnlichen, hergebrachten Anſchauung der Geſchichte jener Reiche iR es gerabezu unbegreiflich, fowohl wie perfifche Sculptur nach Rinive, als wie ninivitifhe nach Perſepolis gefommen feyn follte. Schon vor ber Gründung des perfifchen Reiches fol ja fen ed Nabopalaſſar von Babylon, ſey ed Cyaxares von Medien (Herod. 1, 106.), fey es, beide mit einander Rinive zerftört haben. Nach der manchefter’fchen Ans ſicht und Eombinationdweife wird Alles begreiflih. Jener Rabopalaffar, welcher Rinive einnimmt, ift Cyrus ſelbſt, nnd er nimmt Ninive nicht ald Eroberer, fondern als Ufurpator, ale aflprifcher Feldherr. Nun wirb es gan; begreiflich, daß Eyrus bei der Erbauung von Perfepslis Kormen nintoitifcher Sculptur anwandte. Das aflyrifce und das perfifche Reich liegen nicht mehr um Sahrhun Derte auseinander, fonbern berühren ſich aufs engfte. So erflären fi) dann auch die Negergeflalten anf den Ruinen von Chorfabad. Bor Kambyfed kamen jene Gegenden mit Afrika in Feine Berührung. War aber Cyrus ber Uferpator Cnicht ber Zerfiörer) von Rinive, fo läßt ſich

Nebukadnezar. 675

eine productiv⸗friedliche Thaͤtigkeit feiner uud ſeines Soh⸗ nes in Ninive wohl denken.

Es finden ſich nun auch ſchon in alter Zeit Spuren dieſer ganzen Anſchauungsweiſe. Daß Joſephus (ant. 10,11.) ſagt, Diokles erwähne des: Nebukadnezar in feiner Ges ſchichte des perſiſchen Reiches, hat inſofern einige Bedeutung, als die perſiſche Geſchichte wenig Veranlaſ⸗ fung zur Erwähnung Nebukadnezar's gegeben hätte, wenn diefer lange vor Eyrns ald König eined anderen Reiches gelebt hätte. Weit wichtiger ift das Zeugniß des Heca⸗ tänd von Abdera (bei Tos. c.Ap. 1,22.), daß „die Der, fer die Juden im die babylonifche Gefangenfchaft führten,” und das des Eebrennd, ber von „300 Sahren perfifcher Herrſchaft fpricht, „wovon 70 der jüdifchen Gefangene Ihaft angehörten.” Auch 2 Makk. 1, 19. wird die bar bylonifche Befangenfchaft ohne Weiteres als Deportation nah Perſien bezeichnet.

Das aler. und orient. Chronikon erflären beide, Kam⸗ byſes, der Sohn bed Eyrus, fey von den Juden Nebu⸗ fadnezar genannt worden; Euſebius vollends verfichert (im chron.), diefen Ausfpruch bei vielen Hiftorikern ger funden zu haben; Suidas (u. Judith) citirt den Afri» canus als Gewährsmann für biefelbe Meinung Die Gefchichte der Judith fpielt in Perfien (Jud. 16,10. und ber yerfifche Rame Holophernes), und zwar zur Zeit des Kambyſes (denn Aegypten ift unteriocht) ; der Herr, her aber wird Nebufabnezar genannt. Daß er als nig von Aſſyrien befchrieben wird, flimmt ganz zu der Annahme, daß fein Vater Ufurpator der affyrifchen Krone und das dhaldälfche cd. i. perfifche) Reich nur eine Er; weiterung des affyrifchen unter einer neuen, chaldätfchen (d. i. perfifchen) Dynaftie war. Endlich erinnern wir no einmal an jene uralte Urkunde im Buche Esra, wo

676 EGEvrard

Nebukaduczar, der Aufaäͤnger, und Koreſch, ber Beender des Exils, ald Kürften in einem und demſelbes babyloni⸗ ſchen Reiche genannt werden, und wo danu der Berfaf: fer des Buched Esra daflelbe Reich das perfifche nennt. Nach ſolchen Zeuguiften Sanı man dee Uinficht dei Herzogs von Mancheſter wicht mehr. eine Hopotheſe“ nennen. Alle alten, ber Geſchichte jener Länder nahe chenden Zengniſſe vereinigen fi für dieſelbe; ſelbſt was biöher unlösbare Schwierigkeiten dem Ferſcher in ben Meg warf, z. B. die Geſchichte der Eher, bie der Subich, wird nun auf einmal licht umb buuchfichtig. Es wäre eine wunderliche Aunahme, daß eine Audit falſch ſeyn follte, welche, wohm man blidt, überall ſich ale paſſend erweiſt, nirgends auf Schwierigfeiten oder Abs furda führt. Es wäre bieß um fo wunderlicher, als bie entgegenfichenbe , traditionell gewordene Auficht auch nicht ein pofitived Zeugniß für fi hat, ſondern eben nur su» allein auf der blinden Borausfehung be ruht, daß das chaldäifche und perfifche Reich verſchieden feun müßten, ‚obgleich alle Quellen, die von biefem er: sählen,. von jeuem ſchweigen, uud umgelchrt, obgleich hie Geſchichte des einen lediglich eine Wiederholung der Geſchichte des andern feyn müßte, obgleich endlidg biefe ganze traditionelle Anficht auf allen Punkten in Schwie⸗ zigfeiten verwidel. Sonderbar tönnte ed nur erfcheinen, wie eine fo verfehrte Auficht fidh babe bilden uud allgemeine Geltung erlangen können. Auf diefe vom Berf. nicht aufgewor⸗ fene Frage antworten wir ftatt feiner. Diefe Thatſache erklärt ſich fehr Teiche. Joſephus if der Urheber der traditionellen Auficht; ihm folgten Die chriftlichen Kirchen⸗ väter (mit jenen wenigen oben angeführten Ausnahmen), weil fie bekanntlich der hebräifchen und der orientalifchen Sprachen überhaupt uicht kundig waren, uad fo wurde die Anficht des Joſephus allgemein, Joſephus aber kam

4

Nebubabnuszar. 677

auf feine falfhe Combination einfach dadurch, Daß :er glaubte, jener Koreſch, welcher den Juden die Räckkehr erlaubte, fey der berühmte Cyrus. Bon bem fpAteren Satrapen des Artarerreds wußte er entweder nichte, oder ed lag (wohl unbewußt) in feinen Interefie, : ben Römern gegenhber einen. mächtigen . Weltherrfcher ald Begänfliger der Juden nennen zu können.

Auch die pyerfifhen Sagen bei Merihond und Ferdouft unterwirft der Verf, (im 8. Kapitel) einer gruud⸗ lichen Unterfuchung. Hier ift freilich ein unficherer Bes deu, und es laſſen fich auf fle Beine ſichern Schkäffe bauen, fondern böchftend Unterflübungsgründe gewinnen. Sch will deßhalb auch nur in Kürze das Reſultat feiner Uns terfuchung anführen. Die perfifchen Sagen erzählen von einem Kaikoſru eine ähnliche Sugendgefchichte, wie Herodot von Cyrus a); dagegen nennen fie einen fpäte ten „Korefh” als Befchüter der, Juden. Kofrn iſt Cyrus. Ein Feldherr Baltnaffar (verſtümmeiteds „Nebukadnezar“), der Jeruſalem zerſtört und Aegypten erobert haben fol, entſpricht dem Kambyſes. CDiefer könnte bei der Zerftörung Serufalemsd feinem Vater ge: bolfen haben. Doch kann ihn auch die perfifhe Sage mit feinem Vater confundirt haben.) Ein König Loho⸗ rasp gelangt durch Wahl anf den Thron; Kondhemir und der Verf. des Lebtarifh nennen ihn einen Zeitgenofr ſen des Jeremia, Daniel und Cara, Wir finden in ihm Darins Hyflaspis wieder. Sein Sohn Guſchtasp führt die Religion des Zerdudſch ein, prägt zuerft Goldmün⸗

a) Hat Nebukadnezar 1. ale affyr. Feldherr ben Ahron feines Kir nigs ujurpirt, fo verträgt fih dann auch die Geſchichte, die He⸗ rodot von ihm (nämlich dem mit ibm identiſchen Gyrug) er⸗ zählt, gar wohl mit dieſer Thatſache.

678 Ebrard

gen‘, hat einen feiner Miniſter hängen laſſen, und war der Mann einer Jüdin, die von Saul abitammte. Hier haben wir bie fpecielien Züge and der Gefchichte uns fered Kerreds Ahasver, Sein Nacfoiger Behmen führt den Beinamen Darazsdaft, d. h. der Langhändige. Ohne Zweifel Artarerres I. Longimanus. Erfeht den Sohn Baktnaſſar's in Babel ab und den Kureſch, einen Sohn (Bd. h. wohl Nachkommen) des Lehorasp und einer Jüdin, an deffen Stelle, und beftehlt dieſem, den Juden die Rückkehr zu erlauben. Solche Befätis guagen hätte wohl fein Lefer erwartet, Wir erhalten nun folgende vergleichende Ueberſicht:

H Schrift, Herodot, Perſer. Nebukadnezar 1. Syrus Koſru. Nebukadnezar II. Kambyfes Baltnaffar, Darius der Meder Darius Hyſtaspis Lohorasp. Ahasver Xerxres Guſchtasp. Artachſchaſta Artaxerres Longim. Behmen

Darazdaſt. (Satrap: Koreſch) (Satrap: Kureſch). Darius Ahasveri Darius Nothus Darib. Artarerres II.

Ochus

Darius der Perſer Darius Codomannus Darib.

Eine Bemerkung, die dem Herzog entgangen iſt, finde hier noch eine Stelle. Belannt ift die orientalifche Sitte, dem Enkel den Namen bed Großvaters zu geben. Darius der Meder oder Lohorasp heißt bei Herodot ein ‚Sohn des Hyſtaspes; Hyftaspes iſt mit Guſchtasp (ober, wie er daneben heißt, Kifchtaep) offenbar identifc. Wenn biernady. der Bater des Kohorasp ebenfo wie der Sohn deffelben Kiſchtasp hieß, fo hat dieß um jener Sitte willen die höchfte innere Wahrfcheinlichkeit.

Nebulabnezar. 679

Wir wenden und nun zur Schlußbetrachtung. Wir wollen zeigen (was ber Berf, übergangen hat), daß auch die Gefhihte von Esra und Nehemia einen ins directen Beweis für feine Anficht enthält. Diefe Ger fhichte verwidelt den Eregeten in unfägliche Schwies rigfeiten, welche fich bei jener Anficht aber plöglich Lös fen. Ich erinnere nur an Eine Hauptfchwierigfeit. Kos red (Kap. 1, 1. 4, 5.) fol nach gewöhnlicher Annahme Cyrus feyn. Nun wird (Kap. 4, 5.) Darius als fein Nachfolger genannt, und V. 24. wird derfelbe Darius ale Nachfolger bes Artahfchafla genannt. Wienun? Ber ſteht man unter Darius (wie gewöhnlich) den Darius Hopſtaspis, fo war biefer weder ber Nachfolger ded Ar» tarerred, noch des Cyrus, und man muß nun entweder unter Ahasver und Nrtadfchafta den Kambyfed und Smerdis verfichen, was ein Verzweiflungsſtreich if, oder man verficht unter Artachfchafta (mit Kleinert) den Ars tarerre®, unter Darius den Dar, Hyſt. und muß nun gewaltfame Umftellungen annehmen, oder endlid, man muß den 5. Vers künftelnd fo deuten, ald werde Darius ald mittelbarer Nachfolger des Korefch aufgeführt. ketzteres ift aber gegen den offenbaren Wortfinn. „So lange Kores lebte,” ruhte der Bau. Und wiederum: „bie sur Herrfchaft ded Darius” ruhte ber Bau. Iſt Damit nicht offenbar gefagt, daß Kores bis zur Herrfchaft des Da» rius lebte? Und kann überhaupt Darins auf Artadı- ſch aſta gefolgt feyn? Wird nicht (Kap. 6, 14.) Artach⸗ ſchaſta noch neben Darius als Beförderer bed Baues genannt ? Nach unferer Anficht ift Alles fehr begreiflich. Kores ift nicht Cyrus, ſondern ber babylonifche Satrap bes Artachfchafta, alfo mit biefem gleichzeitig. Der Ban ruht auf Befehl des Artarerred (Er. 4, 17 ff.) durch Vollziehung bed Kores. Wie Kores flirbt, wird Darius Rothnd (der nachherige Nachfolger des

Theol. Stud, Jahrg. 1847,

680 Ebrarb

von Artarersed zum Satrapen in Babel eingefeht; Dar rind, der Sohn bed Zerresd nnd der Eſther, it den Ju den günflig und erwirkt nun von Artarerred bie Er⸗ neuerung der ein von Kores gegebenen Erlaubuiß zum Tempelbane, fo daß „der Bau von Statten ging „auf Befehl bed Kores, Darius und Artahfchafta” (Esr. 6, 14.).

Nicht allein aber diefe Schwierigkeit loͤſt ſich, ſon⸗ dern ein ganzes Net vom analogen Schwierigkeiten. War nämli Darius Ahasveri oder Nothus anfangs nur Gatrap bed Artarerred, und lebte biefer noch fort, fo ſteht num nichts im Wege, unter dem Artarerres Esr. Tf. denſelben Artarerredl.zu verfichen. Daun werden Esra und Nehemia zu Zeitgenoffen des Zofua und Gerubabel, und die ganze Ges fhichte der Ruckkehr gewinnt eine andere Geftalt und eine Schaar von Widerfprücen verfchwinbet.

Sehen wir dieſe Widerfpräche näher an. Einige berfelben haben Veranlaffung gegeben, beiden Büchern alle Glaubwürdigkeit abzuſprechen; andere find noch gar nicht gehörig beachtet,

Erft aber vergegenwärtigen wir und die Boranss fe&ung , unter”welcher jene Widerſprüche entftchen.

Esr. 1—6,. foll von einer er ſten Ruckkehr ber In⸗ den unter Zofua und Gernbabel, Er, 7 ff. und im Buche Nehemia von einer fpäteren Rückkehr einer Schaar von Nachzüglern unter Edra und Nehemia bie Rede feyn. Das erftemal fey der Tempelban unter Eyrud begonnen und unter jenem Darius vollendet worden; die Stadt fey aber noch unbefeRigt gewefen. Das zweitemal fey die Stabt mit Mauern umgeben worden.

Ader ſchon das erftemal muß (nach Neh. 1.) ein Befeſtigungsverſuch gemacht worden feyn, ber aber for gleich wieder zerſtört warb,

Nebukadnezar. 681

Die Anwohner, die Nehemia (Kap. 1.) in Serufas lem findet, follen die Nachkommen der unter Joſua zus rückgekehrten Erulanten fepn.

Nun entftehen folgende Widerſprüche. Bor Als len zwiſchen Neh. 7, 73— 8, 1. und Eöra 2, 70—3, 1. Eine im Buche Esra enthaltene Urkunde (2, 1 ff.) ſchließt nämlich mit den Worten: „Alfo festen ſich Die Priefter „und Die Leviten und die Menge des Volks und bie „Sänger und Thorhüter und Nethinim in ihre Städte, „und alles Iſrael in feine Städte” Es ift von der _ Einwanderung des Joſua und Sernbabel die Rebe, und Kap. 3, 1. folgt die Nachricht, daß diefe beiden Männer im fiebenten Monate defielden Jahres eine große Volks⸗ verfammlung religiöfen Charakters hielten. Nehemia 7. wird nun wörtlidy dieſelbe Urkunde (ein Berzeichniß der mit Joſua Eingewanderten) mitgetheilt und mit berfels ben Notiz, daß „die Priefter, Leviten u.f.w. u. ſ. w. ficher in ihren Städten wohnten,” abgefchloflen, und bann wird ebenfo (Kap. 8, 1) die Rachricht angefchloffen, daß am fiebenten Monat ein Feſt gefeiert wurde, aber bei dbiefem Feſte fungiren nun Esra und Nehemia. Nach der Borausfegung, daß Edra und Nehemia mehr als ein Menfchenalter nach Joſua und Serubabel erft einwanderten, ift dieß nun natürlich ein ungehenrer Widerſpruch, und man ficht ſich zu ber Annahme ger nöthigt, Daß der Berf. des Buches Nehemia in grenzen, Iofer Unwiffenheit die Geſchichte Edra’d und Nehemia’s mit der Joſua's und Gernubabel’d sufammengeworfen babe, Daß er dieß gethan hat, iſt unleugbar und durch Peine Künfteleien wegzubringen; anf weldyer Seite die Unwiſſenheit fey , ift aber freilich eine audere Frage.

Wir bemerken nämlich, daß noch an mehreren Stel» ien folhe „Widerfprüche” (nämlich Widerſprüche gegen die traditionelle Boranusfegung!) wiederfehren, db. h. mit andern Worten, daß noch Mehreres hier dem Joſua und

46*

682 Ebrard

Serubabel, dort dem Esra und Nehemia zugeſchrieben wird.

Nach Esr. 3, 1 4. iſt in der Zeit des Joſua, im 2. Jahre des Koreſch, ein Laubhüttenfeſt gefeiert worden, nnd B.6. leſen wir die Notiz, daß damals der Tempelbau noch nicht begonnen war. Dieß Laubhätten: feft fchließt fih eng an jene oben erwähnte Volksver⸗ fammlung Sofua’s& „im 7. Monate” Run fchließt fi aber Nehem. 8. an die Volksverſammlung Edra’d und Nehemia’s „im 7. Monat” ebenfalls ein Laubhüttenfeft (Neh. 8, 15 19).

Mehr noh: Er. 2, 63. tritt auf dem Laubhüt tenfette Joſua's eine Perfon ermahnend auf, melde ohne Weitered anna genannt wird, und Neh. 8, 9. tritt auf dem Laubhüttenfeſt Eöra’d Nehemia fels: der in der nämlichen Weiſe ermahnend anf, und damit ja kein Zweifel über die Identität Nehemia’d mit jenem „chirfhata” bleibe, fo heißt ed bier (Neh. 8, 9): den Hanptanführern der unter Korefch zurückkehrenden Erulanten wirklich neben Joſua und GSerubabel ein Nehemia genannt!

Nun fteht die Sache fchon nicht mehr fo, Daß bloß das Bud, Nehemia die Einwanderung bed Joſua umd Serubabel mit der ded Esſsra und Nehemia in Eine Zeit zufammenwirft, fondern das Bud, Era und bad Bad) Nehemik fichen bier für einen Mann. Wenn wir nım aber auf der einen Seite fo beflimmte Zeugniffe für bie Gleichzeitigkeit jener vier Männer haben, follten wir uns dann nicht billig fragen, welches denn bie Gegengründe feyen, die und veranlaffen, folchen Zeugniffen entgegen zwei confecutive @inwanderungen vorauszufegen und hinterher die Bücher Esra und Nehemia für confus uud fabulo6 zu erflären?

=

Nebukadnezar. 683

Dieſe Gegengründe, fie rebnciren ſich lediglich dar⸗ auf, daß Joſna und Serubabel unter Koreſch, Edra und Nehemia aber unter Artachfchafta eingewandert find, und dag Korefch der alte Cyrus ſeyn fol! Sowie aber ein, mal feſtſteht, daß Korefch ein Gatrap bes Artachfchafta war, fo fällt die ganze Vorausſetzung in nichts zus fammen. Dieß aber fteht ohnehin fe, aus den früher angeführten Gründen, es fteht ferner fell aud dem über Esra 4. Bemerkten; ja endlich verwandelt fi der Um⸗ ftand, daß fo auch unfere jet befprochene Schwierigkeit ſich loͤſt, in einen neuen Beweis für die mandheiter’fche Anficht.

Doch ed mag Leute geben, bie ſich fo ſchnell nicht beruhigen laſſen. „Findet denn nicht Nehemia (Kap. 1.) „Ihon Jeruſalem bewohnt? Findet er nicht das Ders „zeihniß der. früher Eingewanderten Kap. 8, 5 f.) ale „eine Antiquität vor?” Das ift eben die Frage. Weil man Alles durch die Brille jenes einmal gefaßten Bor» urtheil® betrachtete, glaubte man, bieß in den Torten zu finden; aber wir werben fehen, daß, fobald jenes Bors urtheil hinweggeräumt ift, Alles ſich auf eine weit natürs lihere Art erflärt.

Faffen wir die Gefchichte der Bücher Edra und Ne⸗ hemia in eine kurze vergleichende Ueberſicht zuſammen! Um drei Punkte gruppirt ſich Alles, um die Rückkehr, den Tempelbau und die Excommunication der Ammoniter und Moabiter.

Korefch, wie wir wiffen, ein Satrap des Artarerresd Longimanus, erlaubt in feinem erften Regierungsiahre es wird nicht gefagt, auf welche Veranlaffung hin ben Inden die Rüdfehr (Er. 1, 1., vergl. 6, 3. und 2 Ehron. 36, 22f.), Zofua, Serubabel und Nehemia, der lettere ald Thirfata, ale königl. Statthals ter (Esr. 2, 2 und 63., verglichen mit Neh. 8, 9.), ziehen mit 42,560 SIfraeliten (Esr. 2.5 Neh.7.) nah Sudän.

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Im 7. Monate wird" zum erftenmale feierlih Opfer ger bracht und dad Lanbhüttenfeft gefeiert, wobei Nehemia dad Volk ermahnt und ihm das Geſetz verlieft (Esr. 3.; Reh. 8.).

Näheres über die Beranlaflung jener Erlaubniß und über die Bewerkſtelligung der Rückkehr finden wir Reh. 1 ff. Nehemia lebte in Sufan am Hofe Bed Sonuveraind Artarerre J. Da erhielt er Kunde, wie elend es feinen Brüdern in Indäa gehe (Neh. 2, 1). Wan trägt bier das Borurtheil hinein, daß diefe Brüder in Judäa bie unter Joſua Zurücgelehrten feyn müßten. Man hält die Worte: „die Manern Jeruſalems find gebrochen und ihre „Thore mit Feuer verbrannt,” für eine dem Nehemia neue Nachricht von einer feit Joſua's Rückkehr erfolgten abermaligen Zerfiörung der Stadt ober wenigſtens ihrer Wähle, Allein das Particip nzyen befagt zunädk nur: „bie Mauern liegen noch zerbrochen,” und das fol, gende ms iſt jedenfalls nur Fortſetzung des in namsc begonnenen Gedankens. Wir finden auch nicht, daß Res hemia (B.4 ff.) Über eine nee Gewaltthat jammert oder den König um Beftrafung ber llebelthäter bittet, ſondern er gedenkt Iediglidh daran, daß Bott dem Wolke burch die Propheten Berfireuung unter bie Heiden gedroht, aber die Berheißung beigefügt habe, es wieder zu fa meln, wenn es fich befehre. Hier ift von einer bereits gefchehenen Rückkehr aus dem Erile keine Rede. Und wie der König feine Traurigkeit bemerft (Kap. 2, 1 ff.), bit tet er um Erlaubniß, „die Stadt, wo feine Bäter be „graben feyen, wieder bauen zu dürfen” (B. 5.) Keine Spur, daß diefe Stadt mittlerweile fchon wider gebant und nur ihre Befelligungen aufs Reue gefchleift waren! Und wie nan Nehemia nad Serufalem fommt, findet er bie Zerfiörung noch fo vollftändig, daß (B. 14.) da, wo einft dad Brunnenthor war, „fein Thier nicht Ranm fand zu gehen” Wie wunderlich wäre bad ge

Nebulabnezar. 685

weien, wenn Sernfalem wieder gebaut und bemehnt und nur die Feſtungswerke aufs Reue gefchleift geweien wä⸗ ren. Würden ba die Bewohner nicht allerwenigſtens an den Thoren den Schutt fo weit weggeräumt haben, daß ein Maulthier ein, und ausgehen Tonnte?

„Aber war Jernſalem nicht dennoch bewohnt? „ragt nicht Rehemia (Kap. 1, 2.), wie zu Serufalem „ginge®” D ja, er fragt, ob noch gar kein Anfang ges macht fey, die Stadt zu bauen; er feht voraus, daß vieleicht Andere fchon einen Anfang gemacht hätten. „Wie war dieß aber möglih, wenn nicht eine Schaar „von Exulanten vorher ſchon zurückgekehrt war? Rebus „kadnezar hatte ja Alle, auch das gemeine Bolt deportirt Eine Schaar brandıt eben nicht zurückgekehrt zu feyn, wohl aber können und werden gegen Ende des Exils, befonder® als Kerres durch Efiher den Juden günftig ges Rinmt wurde, Einzelne ohne Auffehen und Hinder⸗ niß fih nach und nad in dad Land gezogen baben. „Aber findet Nehemia nicht Prieſter und Oberſten in Je⸗ „enfalem, die fon „an dem Werke arbeiteten?” (Neh. 2, 16.) Go hat allerdings Luther Überfeht. Aber naxber yes heißt fonft allgemein: „den Dienft thun,” und der Sinn ift der, daß Nehemia den ihn begleis- tenden Öberften, Prieſtern und Bedienfteten den Zwed feiner Reife nicht fagte, fondern (V. 12.), ald er nahe zu Jeruſalem kam, ſich Nachts von ihnen trennte, drei Tage allein mit wenigen Begleitern unter den Trümmern weilte und feinen Gefühlen fich überließ, und alddann erft den Zwed feiner Sendung fund that.

Das Erfie, was nun geſchah, war deun auch wichte Anderes, als daß die im Lande umber gerfireuten Inden gefammelt und beim Baue angeftellt wurden; und was man wohlmweislih zu allererſt (und nicht nady der traditionellen Aunahme zu allerlegt!) baute, waren bie Mauern (Kap.3.). Hierbei find denn Juden aus Theloa (B. 5.),7Gibeon nnd Mizpa (V. 7.), Sar

686 Ebrard

noah (B.13.) u. ſ. w. thaͤtig. Wozu dieß, wenn die Stadt ſchon gebaut und Einwohner an Ort und Stelle waren. Daß einzelne der Kap. 3. erwähnten Perſonen „neben ihren Däufern” bauen, iſt (wenn wir Neh. 7,4. vwergleis chen) fo zu verftehen, daß Nehemia nadıher dard Diefe Angaben den Platz, von wo an und wie weit fie gebaut haben, bezeichnen will. Uebrigens entſtanden auch wohl gleichzeitig mit der Mauer ſchon Häufer und Stra: Gen; die Bauenden mußten doch ein Obdach haben. In 52 Tagen (Reh. 6, 15.) wurden die Mauern fertig.

Mittlerweile hatte Artarerred dem Koreſch Bes fehl gegeben, den Erulanten die Rückkehr zu geftatten. Diefe famen nun an, und bei Nehemia werden fie im 5. Kap. zum erftenmal erwähnt. Es erhob fih (2. 1.) ein Streit zwifchen dem „Volke“ und den „Juden,“ weil (wie natürlih) Mangel au Rahrung entſtand. B. 8. fagt Rehemia: „Wir haben unfere Brüder, bie Juden, „iosgefauft, die unter bie Heiden verkauft waren, und „ihr wolt eure Brüder, die wir erfauft haben, wieber „verkaufen?“ Hier ift der Gegenſatz zwifchen den früher Angefiedelten und ben fo eben nen Angelommenen Deutlich.

Daß wirklich die Ordnung dieſe ift, daß erft Nehe⸗ mia die Stadt baut, und Dann bie Erulgnten unter So: fua binziehen, it aud, Esr. 1, 2. angedeutet a). Denn wo Korefch die Erlaubniß zur Rückkehr ertheilt, handelt es fich nicht mehr darum, die Stadt wieder aufzubanen, fondern nur, „in Serufalem in Iuba dem Herrn ein „Haus zu bauen.

a) Jene Urkunde (Esr.2.; Neh. 7.) wirb nun nicht mit B. 78., fon: dern ſchon mit B.64. (Est. 2, 62.) fhließen ; 8.65. (Esr. 2, 63.) wird ja etwas erzählt, was Nebemia ſelbſt weiter vornahm; bier fährt alfo der Schriftſteller frei zu erzäbten fort. Daf er auch bier noch mit Esra oft wörtlich übereinflimmt, erklärt ſich fehr einfach fo, daß biefer jenen benugt bat. Esr.2, 68 8, 4. iſt ein kurzer Auszug aus Reh. 7,65 8, 18,

Nebukadnezar. 687

Wir wenden und nun zum Tempelbane Die Rüdkehr fand flatt im 1. Jahre des Korefch (Esr. 1, 1.), d. i. im 20. des Artarerred (Neh. 1, 1. 2, 1.).

Gm 2. Jahre nach ber Rüdtehr (Eör. 3,8—13,), alfo im 3. des Korefch, im 22. des Artarerred, wurde der Grund zum Tempel gelegt. Nun verfuchten ed (4,1— 65.) die „Widerſacher,“ d. i. ohne Zweifel Tobiad und Sans ballat, die ſchon den Bau der Mauern angefeindet hats ten (Neh. 3 ff.), nicht mehr mit Gewalt, ſondern mit eift, die Juden zu hindern, und gaben dem Kores beu „Rath der Tempelbau fey ftantögefährlich, und fo mußte, fo lange Kored lebte, der Bau ſtille flchen. B. 7 ff. wird näher befchrieben, wie die Wiberfacher es anfingen =). Sie wandten fi an Artarerred, und auf deffen Befehl verbot Kored den Ban.

Kap. 5. wird erzählt, wie es kam, daß ber Bau nach dem Tode des Korefh, im 2. Jahre des Darius Nothus (Esr. 4,24.), wieder beginnen durfte. Die Pros pheten Daggai und Sadharja mahnten zum Baue; ba fingen im 2. Jahre des Darius Nothus (Sad. 1, 1; Hagg. I, 1.) Serubabel und Joſua auf eigne Kauft wie der zu bauen an, ohne Zweifel in der doppelten Hoff» nung, daß der neue Satrap Darius nichts von dem als ten DBerbote wiflen werde, und daß er als Sohn ber Eſther den Juden günftig feyn werde, Wirklich bedurfte es erſt einer Anklage des Landpflegerd Tatnai bei Das rind (Esr. 5, 3,), aber die Juden baten biefen, in dem Archive, „das zu Babel if,” nachforfchen zu laffen, ob

a) 8. 6. fehlt in den LXX. und iſt ent weder ein Gloflem, das dem Wifverftande feinen Urfprung dankt, indem man unter Kores (8.5.) Cyrus, unter Darius (WB. 5.) ben Darius Hyflaspis, unter Artachſchaſta (V. 7.) Artarerres verftand und zwiſchen beide den Xerres einfliden zu müflen glaubte, oder eine (echte) Parenthefe, die auf den Vorfall Eſth. 3. zuruͤckweiſt. Erſteres it mir wahrſcheinlicher.

588 | Ebrard

ſich nicht das alte Erlanbwißedict bes Koreſch (Esr. 1, 1ff.) ſinde. Es fand ſich wirklich, wenn auch nicht zu Babel (Er. 6, 2.), und Darius erlaubte, mit Genehmigung Des Artarerred (DB. 14.), welcher zur’ Zfoyke „ber König von Babel” genannt wird a), den Bau. Darius war alfo damals nur noch Satrap. Daß übrigens dieſe Satrapen, befondberd wenn fie Prinzen vom Beblüte wa ren, andy (secundo ordine) den Titel „König führten (Er. 7, 12.), und daß bie Satrapen überhanpt ſehr felbftändig in ihrer Herrſchaft daftanden, ift befannt (vgl, Herod. 1, 192.).

Sm 6. Sabre des Darius Nothus cd. h. feiner Sa⸗ trapie) wurbe ber Tempel vollendet und eingeweiht. (Run begreifen wir auch, warum Nehemia, nachdem er bie Kap. 11. die Erzählung feiner Thaten fortgefekt hat, Kap. 12, die Namen der mit Joſua Eingewander: ten aufzählt. Darum, weil er und Sofua gleichzei⸗ tig wirkten)

Wir gehen zur Ausſchließ ung der Ammoni⸗ ter. Eöray9f. und Neh. 18. wird noch dieß fpärere Fac⸗ tum berichtet. (Daß der Stelle Esr. 9, nicht Neh. 9, 1. fondern Neh. 13. entfpricht, iſt deutlich. Ebenſo, daß die frühere Reinigung ber Gemeinde (Neh. 9,1.) von der fpür teren, wichtigeren (Neh. 13,13.) verfchieben iſt. Denn dort war Nehemia anwefend; hier iſt er abwefend,)

Nehemia war im 20. Jahre des Artarerres, im 1. bed Kored, zum erftienmale nad Jeruſalem gekommen (Neh.1,1.) und war Laudpfleger gewefen bie zum 32.9. des Artarerred (Neh. 13,6.). Bon da au lebte er längere Zeit am perfifchen Hofe. In diefe Zeit fällt die And: fohließung der Ammoniter und die Einrichtung eines Tem⸗ pelkaſtens (B.5.), die er hernach bei feiner Rückkehr alt eine unpaflende abfchaffte (V. & ff.).

a) Bgl. Er. 7, 12: „ber König aller Könige.”

Nebulabnezar. 689

Wie verhält ſich nun aber hierzn das Esr. 7. Erzählte? Eora 7. beginnt mit den Vorten: „Rad, biefen Befchichten” (nämlich der Einweihung bed Tempels im 6. Jahre des Darius) „im Königreiche des Artachfchafta.” Daß dieß noch immer der alte Artachfchafta und nicht etwa Arta⸗ rerres II. iſt, wiſſen wir nun; wir wiſſen, daß Darius ald Satrap der Nachfolger ded Satrapen Koreb geworden war; wir wiſſen auch aus ben Profanfchrifts hellern, daß Artarerres 41 Jahre regiert hat. Nun heißt es @er. 7., Esra fey mit einem Geleitsbriefe des Arta- serred im Driente umhergereift, habe die dort noch ber findlichen Juden anfgefordert, nach Jeruſalem zu ziehen, und ſey mit einer Schaar (die von der frühern Esr.2. ganz verfchieden ift) nad Jeruſalem gekommen; der Tem⸗ yel war (8, 33.) damals fchon gebaut. Nach feiner Ans Eunft habe er die Ammoniter ausgefchloflen.

Offenbar fühlt diefe fpätere Reife Esra's a) in bie Zeit nach dem 32. Zahre ded Artarerres, in die Zeit, wo Rehemia abwefend war. Sonderbar iſt deßhalb die Zeitangabe Esr. 7, 7: „im fiebenten Jahre des Artas serred.” Sollte die Stelle corrupt ſeyn? Mir fcheint der Schiäffel der Erflärung in dem ebenfalls fonderbaren Zufage zu liegen: eb myaun no wen. Iſt der Tert incorrupt, fo ift diefer Zufaß ein reiner Ueberfiuß. Ich glaube, das Negierungsjahr des Artarerres iſt corrupt, der Zufaß richtig. Der im Zufage genannte 2 wird der den Juden zunächktfiehende Satrap, ihr Satrap, feyn, d. h. Darius.

Nun war Rehemia im 6. Jahre des Darius, bei der TZempelweihe, noch in Serufalem (Neh.12,40.); im 7. Jahre, wo Esra kommt und die Ammoniter ausfchließt, war er ſchon abweſend (Reh. 13, 6.). Da er nun (Neh. a) Run erklaͤrt fi) audy der Ausbrud ruenn Reh. 7, 5f. Wie

Rehemia ſchrieb, war die fpätere Einwanderung zur frühern fon hinzugekommen.

686 | Ebrard

ſich nicht das alte Erlanbuißedict bes Koreſch (Eör. I, Iff.) finde. Es fand ſich wirklich, wenn auch nicht zu Babel (Er. 6,2,), und Darius erlaubte, wit Genehmigung des Artarerres (DB. 14), welder zur äfoyhw „der König von Babel” genannt wird a), den Bau. Darius war alfo damals nur nod) Satrap. Daß Übrigens biele Satrapen, befonderd wenn fie Prinzen vom Beblüte wa ren, auch (secundo ordine) den Titel „König” führten (@ör, 7, 12.), und daß: die Satrayen überhanpt fehr felbftäudig in ihrer Herrfchaft daſtanden, iſt befaunt (vgl, Herod. 1, 192.).

Im 6, Jahre des Darius Nothnd ch. h. feiner Su trapie) wurde ber Tempel vollendet und eingeweiht. (Run begreifen wir auch, warum Nehemian, uachbem er bis Kap. 11. die Erzählung feiner Thaten fortgefekt hat, Kap. 12, die Namen ber mit Jofua Eingewanber: ten aufzählt. Darum, weil er nnd Joſna gleichzei- tig wirkten)

Wir gehen zur Ausſchließung der Ammoni— ter. Eöray9f. und Neh. 18. wird noch dieß fpätere Fac⸗ tum berichtet. (Daß der Stelle Esr. 9. nicht Neh. 9, 1. fondern Neh. 13. entfpricht, iſt deutlich. Ebenſo, Daß die frühere Reinigung der Gemeinde (Reh. 9,1.) von ber fpü- teren, wichfigeren (Neh. 13,13.) verfchieden if. Dem dort war Nehemia anwefend; hier iſt er abwefend.)

Nehemia war im 20. Jahre des Artarerred, im 1. des Kores, zum erfienmale nach ernfalem gekommen (Reh.1,1.) und war Laudpfleger gewefen bis zum 32.2. des Artarerres (Neh. 18,6.). Bon da an lebte er länger: Zeit am perfifchen Hofe. In diefe Zeit fällt die And fchließung der Ammoniter und bie Einrichtung eines Tem pelkaſtens (B.5.), die er hernach bei feiner Rückkehr ali eine unpaflende abfchaffte (V. & ff.).

a) Vgl. Esr. 7, 12: „ber König aller Könige.”

Nebulabnezar. 689

Wie verhält ſich nun aber hierzn dad Er. 7. Erzäblte? Esra 7. beginnt mit denWorten: „Rad; dieſen Geſchichten (nämlid der Einweihung ded Tempels im 6. Jahre des Darius) „im Königreiche des Artachichafta.” Daß dieß noch immer der alte Artachfchafta und nicht etwa Arta⸗ rerre® IT. ift, wiffen wir nun; wir wiflen, daß Darius ald Satray der Nachfolger bee Satrapen Kores geworden war; wir wiflen auch aus den Profanfchrifts ſtellern, daß Artarerres 41 Jahre regiert hat. Nun heißt es Esr. 7., Eöra fey mit einem Geleitöbriefe des Arta- serred im Oriente nmhergereift, habe die dort noch bes findlichen Juden anfgeforbert, nach Jeruſalem zu ziehen, und fey mit einer Schaar (die von der frühern @er.2. ganz verfchteden ift) nach Jeruſalem gekommen; der Tem⸗ pel war (8, 33.) damals ſchon gebaut. Nach feiner Ans Eunft habe er die Ammoniter ausgefchloffen.

Dffenbar fäht diefe fpätere Neife Esra's «) im die Zeit nach dem 32. Jahre ded Artarerres, in die Zeit, wo Nehemia abwefend war. Sonderbar ift deßhalb die Zeitangabe Esr. 7, 7: „im fiebenten Jahre des Artas serred.” Sollte die Stelle corrupt feyn? Mir fcheint der Schiäffel der Erklärung in ben ebenfalls fonderbaren Zufage zu liegen: eb myaun no wer. Iſt der Tert incorrupt, fo ift diefer Zufag ein reiner Ueberfluß. Ich glaube, das Negierungsiahr des Artarerres iſt corrupt, der Zufaß richtig. Der im Zufage genannte 5% wirb der den Juden zunächfifiehende Satrap, ihr Satrap, ſeyn, d. h. Darius.

Nun war Nehemia im 6. Jahre des Darius, bei der TZempelweihe, noch in Serufalem (Neh.12,40.); im 7. Jahre, we Esra kommt und bie Ammoniter ausfchließt, war er ſchon abmwefend (Reh. 13, 6.). Da er nun (Neh.

a) Run erklaͤrt ſich auch der Ausdruck N Neh. 7, 5f. Wie Nehemia ſchrieb, war die fpätere Einwanderung zur fruͤhern fhon binzugelommen.

6“ Ebrard

13,6.) vom 32. Jahre des Artaxerres an abweſend war, fo muß dieß mit dem 7. Jahre des Darins zuſammen⸗ fallen a). Dieſe ganze Combination hat übtigens die böchfte innere Wahrfcheinlichleit. Kür bie Abreiſe Rebe: mia’d war der Augenblid nach der Vollendung unb Eins weihung bed Tempels ein fehr paflender. Ebenſo begreift man, wie gerade da, wo ber biöherige Thirfata abtrat, ein neuer iu ber Perfon Esra's nöthigwurde. Daber bie Ankunft Esra's unmittelbar anf bie Abreife Nehemia's folgt. Mar das 7. Jahr des Darius das 32. bed Artach⸗ ſchaſta, fo fiel der Tod des Kores und Antritt des Das rind in das 27. Jahr des Artarerred. Die Reihenfolge der Begebenheiten iſt biefe: Artarerr.| Koreſch. 20. 1. Mehemia fammelt die Inden in Judäa und baut SSerufalem, Korefch erlaubt den Erulanten bie Rück⸗ fehr. Sm 7. Monate: Volksverſammlung. Laubhättenfefl unter Esra und Res

hemia. 23. | 3. MAnfang des Tempelbaues. Unuterbre Ä dung. Darius, 27, 1. |%od des Korefh. Darins Batrap von Babel. 23. | 2. IWiederanfang bed Tempelbaued. 31. 6. Tempelweihe. Nehemia reiſt nach Per⸗ ſien. 33. 7. Esra kommt dafür nach Jeruſalem zu

rüd. Ausfchließung der Ammoniter. (d Mäckehr des Nehemia,

a) Esr. 7,7. wäre alfo zu lefen: im 32. Jahre des Artachſchaſta.

Nebukadnezar. 691

Wir waͤren nun am Ende. Aber eine Frage kann man uns noch entgegenhalten: Sind denn vom 11. Jahre Nebukadnezar's J., d. h. des Cyrus, bis zum 20. Jahre des Artarerres J. ſiebenzig Jahre? Cyrus begaun feine Herrſchaft 559, Artarerres die feine 465. Bon 552 bie 445 find 107 Sabre, alfo 37 Jahre zu viel. Der Herzog von Manchefter hat viefen Punkt wohl ind Auge gefaßt. Seine Antwort läßt ſich auf brei Punkte re duciren.

a) Wiffen wir fo gewiß, daß die Chronologie Hero» dot's fo ficher iR? Gerade wenn man Eyrus und Kam⸗ bufed als Borgänger bed Darius Hyſtaspis betrady» tet, entficht die befannte Schwierigkeit, daß Eröfus nady Herodot zugleich ein Zeitgenofle des Cyrns und zugleich wieder ein Zeitgenoffe des mit Darius noch gleichzeitigen Piſiſtratus gewefen feyn fol (eine Schwierigkeit, an ber ren Löfung fih J. M. Schulz, Volney, Bentley, Karcher, Bouhier, Clinton und neueftend Vomel genugfam abges arbeitet haben), Wenn man fämmtliche Data des Heros dot zufammenftellt, gelangt man zu dem fonderbaren Res Iultate, daß Darius fogar 9 Jahre vor Cyrus feine Res gierung müßte angetreten haben a). Go unficher wie Herodot iſt auch die Chronologie des enfebianifchen und ptolemälfchen Kanon, wie das der Herzog weitläufig und mit ſtupendem Scharffinne nnd Gelehrſamkeit barthut. Die Hauptverwirrung in biefen beiden Kanone entficht dadurch, daß der Rabopalaflar des Joſephus, welcher, wie früher bemerkt, mit Nebuladnegar I. identifch ift, in den Kanoned mit Sardanapal und Afarhabdon identifi⸗ eirt wird.

a) Die Hauptdata find folgende: a), Aftyages wird (Her. 1, 46. u. 75.) von Cyrus geftürgt unmittelbar vor dem Sturze von Sardes. Alfo fiel diefer ganz in den Anfang des Cyrus (Her. 1,71. erfcheinen die Perfer noch in Belle geklei⸗ det), und zwar wohl zwiſchen bas 2, u, 4, Jahr bes Cyrus, da

69 Ebrard b) Wir ſind nun alſo gewiß, daß ber Eyras und

zwiſchen bie erfte Orakelbeſchickung des Gröfus und feinen Stun, etwa 8 Sabre fallen. b) Die Drakelbeſchickung fiel in die 8, Tyrannei des Piſiſtratus. Herod. 1, 64. if von diefer bie Mede, und Kap.65. beift eb: roug ur vun 4 Omvalovg rosaura zöF 290909 roüro» Envsdarero 6 Kgoice xarkgovra (ald er den Krieg mit Eyrus begann). Die küntt lien Erklaͤrungen, bie das rosasra auf die erfte Herrſchaft des Piſiſtratus beziehen wollen, find nur aus Verzweiflung ent fanden, um ben Eyrus höher hinauf zu rüden. c) Gröfst muß fogar bis nahe an den Tod bes Pififtratus ge: berrfht haben. Miltiades, im Kriege mit Lampfacus ge fangen, wird von Gröfus befreit (Her. 6, 37.) unb regiat nachher, wie aus der Erzählung beutlicdy hervorgeht, nicht mehr ſehr lange in Cherſonnes. In diefe nicht ſehr Tange Zeit fült die Ermordung feines Vetters Simon, und damals war Pile ftratus fchon tobt (Her. 6, 103.). Alſo farb Piſiſtr. nicht ſeht lange, nachdem Miltiades von Gröfus befreit war. Der Herjoz beweift durch fcharffinnige Combinationen, daB Gröfus hoͤchſtent 4 Zahre vor dem Tode bes Pififiratus kann geſtuͤrzt work feyn. d) Hippias regierte hoͤchſtens 4 Jahre, während welcher der jüngere (berühmtere) Miltiades in ben Gherfonnes kom. Von da bis zum ioniſchen Aufftande find (Her. 5, 55. 6, 40.) vier Jahre, von ba weiter bi zur Sinnahme von Milet 6 Jahre (der, 6, 81.), und von da bis zur Schlacht bei Marathon (mit aus Bgl. von Her. 6, Kap. 31, 41, 43, 46, 61, 62, 95, 10: unmwiberfprechlich hervorgeht) 3 Jahre. Sonach fällt bie Sinnahbme von Sardes hoͤchſtens 19 Jabre vorbit Schlacht von Marathon, und die Hnpothefen,- wide tbeils von der Vertreibung des Hippias bis zur Schlacht a Marathon 20 Jahre rechnen, theilß die 36 Jahre der Pike» tiven (Ser. 5, 65.) erft von der dritten Herrfchaft des Pififre tus an zählen, werben von bem Herzoge ſchlagend widerlegt. e) Das 4. Jahr bes Cyrus fiel alfo 19 Jahre vor die Schlacht bei Maratbon, feine 2Yjährige Regierung begann alfo 4 Zahıt früher ; er regierte 513 484. Die Schlacht bei Marathon fiel in das 82. Jahr der S6jährigen Regierung bes Darius; biefe regierte alfo 522— 486. Beide waren alfo gleidyzeitig. (So ftellen fidy die Regierungsjahre beider nach Hero dot. Es wird dieß Mefultat fpäter eine Correctur erleiden aus ben genaueren Datis ber h. Schrift.)

Nebulabnezar. 693

Kambyſes des Herodot den beiden Nebüukadnezar's ber h. Schrift, und der Darius Hyſtaſspis bes Herodot dem Darius dem Meder entſprechen Woher aber wiſ⸗ fen wir, daß bie Nebnkadnezar's Borgänger des medifchen Darius waren? Bon Herodot. Aber Herodot macht mittelbar den Cyrus wieder zum Zeitgenoflen ded Darius! Werfen wir doch nach fo wies in Borurtheilen auch noch dieß lebte, nämlich jene pers ſiſche Koͤnigsreihe, die wir in unfern Schulbücdern ges lernt haben, hinweg! Befragen wir wieber zu allererfi die biblifchen Autoren für ſich allein!

Wird Darius der Meder je ein König von Ehaldäa oder ein Chaldäer genannt? Wird nicht vielmehr Dan. 9,1. fein Sohn Ahadver (Kersed) ein König der Meder genannt, der „Über dad Reich der Ehaldäer König ward”? Werben nicht diefe beiden Reiche, das (mit dem vulgo „perfifchen” identifche) Haldäifche und das medifche, unterfchieden?

c) Der Herzog führt nun auf vollfommen befriebis gende Weiſe den Beweis ans vielen gefchichtlichen Documen⸗ ten, die wir nicht anführen können, wenn nicht Diefe Abhaud⸗ lang zum Buche werden fol, daß Nebukadnezar J. (Ey⸗ ne), der perfifche Coder chaldälfche) König von Babel, gleihgettig warmitdem medifchen Könige Darius Hyfkaspis von Sufa, und daß Nebukabdnezar II. (Rambyfes) gleichzeitig war mit dem mebifchen Könige Terres. So und gerade fo wird bie Chronologie Hero» dot's gerechtfertigt a).

Der gefchichtliche Verlauf beider Reiche war diefer. Nebufadnezar I. (Eyrus, der Rabopalaffar des Joſephus, der Koſru der Perfer) ufurpirte bie Herrichaft über Ni:

a) Im Detail erzählt alfo Herobot (wider Willen!) richtig. Seine Gelfammtanfhaunng, als habe Eyrus vor Dariusgeherrfcht, beruht auf einem Irrthume.

694 Ebrard

nive. Mit Darius Hyfkaspis von Medien (dem Arphach⸗ ſad des Buches Judith, dem Aphraſiab der perſ. Sage) verbündet, zog er gegen Tomyris in feinem eilften Jahre, und fein Sohn Nebukadnezar II. war unterdeffen in Ba bei Bicefönig. Es fcheint, daß fchon von da an Rebu kadnezar I. eine Art Suprematie ded Darins anerkamt bat. Sein Sohn, Rebuladnezar IL, hatte eine Tochter ded Darius zur Gemahlin und von ihr den Belfazar zum Gohne.

Im zwölften Jahre bed Rebulabnezar J. im zweiten feines Sohnes, hatte diefer den Traum Dan.2. Ju 18. Sahre bed erfteren ftellte diefer das Bild Dan. 3, auf.

Belſazar fheint während der Krankheit fei- ned Vaters (die 75 I. nach feinem Regierungsantritte, d. 5. dem Tode feined Vaters, begann) an deſſen Statt regiert zu haben. Er wurde ermordet, vielleicht auf Ber anlaflung der Meder hin, die nad dem vollen Befike des chaldäifchen (perfifhen) Reiches trachteten, Seu Bruder Evilmerodach folgte ihm. Nach feiner Wieder: herftellung unternahm Nebukadnezar II. ( Kambyſes), un fi) zu rächen, den Zug nach Aegypten, und als er iu rückkam, hatte Korefch den Thron ufurpirt, und da durch warb zugleich dem medifchen Herrſcherſtamme die Suprematie in dem chalbäifch» perfifchen Reiche. Dens nicht um den Kampf zwifchen einem medifchen und einem chaldäifchsperfifchen Reiche handelte es ſich, fondern— echt orientalifh um den Kampf zwifchen verſchiedenen Satrapendynaftien in dem durch das anfängliche Zufam menwirten von Cyrus und Darius entfiandenen Einen Weltreihe. Wir müflen und die Stellung 5. B. eines Kor vefch zu einem Artachfchafta oder eines Kambyfes zu einem Kerres etwa fo denken, wie die des Mehemed Ali zum türfifchen Sultan.

Was nun die fpecielle Chronologie betrifft, fo find die Hauptrefultate folgende:

695

Nebukadnezar.

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47

Theol. Stud. Jahrg. 1847.

098 Eher -

Die erſte Hälfte diefer Nefnltate ergibt ſich aus dem umftändlichen Unterfuchungen des erlauchten Berfaffers der Times of Daniel, die andere Hälfte aus bes Ref. obigen Unterfuchungen über die Bücher Esra und Nehe: mia, Durch bie leßteren wird noch ein wefentlicher Bor theil gewonnen. Der Herzog ift genöthige, zweierlei 78 Jahre anzunehmen, erſtlich 70 Jahre der Gefaugenſchaft (503 437), die aber gar keinen Abſchluß finden (danad feiner eigenen Rechnung auf 437 gar Fein Ereigniß fäht), und dann noch 70 Jahre ber Berwüflung (492 423), in dem er das zweite Jahr des Darius für das zweite ſei⸗ ner fouverainen Regierung hält. Wir dagegen erhalten eine einfache Zahl von 70 Jahren, die mit der große Deportation Jechonja's und der Verwüſtung bes Tem peld (2 Kön. 24, 13.) beginnt, im Jahre 505 504, und mit dem MWiederaufbaue des Tempeld (435 434) endet. Im 2. Jahre des Darius Nothus waren die flebenjig Jahre um (Sad.1,12).

Wir fließen bier unfere Mittheilungen und find und, befonderd was den lebten Theil derſelben, Bie Gleich⸗ zeitigfeit des Cyrus und- Darius, betrifft, wohl bewußt, daß wir. hier nur Refultate referirt haben. Ar | die Abficht mar auch hier vorwiegend bie, die Blicke der deutſchen Geſchichtaforſcher und Theologen auf jenes eng⸗

liſche Werk hinzulenken und zur Berüdfictigung deſſel⸗

ben anzuregen, nicht aber.feine Lectüre Überflüffig zu machen Auch was. den früheren Theil der Unterſuchungen betrifft, fa glaube Niemand, den Hergog son Mancheſſter wider legt gu daben, wenn er etwa deſſen Epitomator und Refe renten wiberlegt hat. Ref. ſchreibt ſich wicht im entfern teften die Gelebrſamkeit zu, welche nöthig iſt, um als Ber: treter und Sachwakter der mancheſter'ſchhen Anficht it Deutſchland auftreten zu fönnen; obwohl ex geſteht, da} befonders der erſte Theil der Unterſuchungen einen valis üÜbergengenben Einfluß auf ihn ausgeübt hat, fo wil er

IE iu,

Nebukadnezar. 697

doch in dieſer Sache lediglich das Verdienſt eines Col⸗ porteurs in Anſpruch nehmen, und ſelbſt dieß würde er gerne gefchidteren Händen überlaffen haben, wäre er nicht perfönlich darum erfucht und freundlich ermuthigt worden. So viel hofft er bei jedem Lefer erreicht zu haben: das Zugeftändnig, daß diefe Hypothefe der ger naueften Prüfung und Berüdfichtigung werth fey. Nur - zu oft find wir Deutfche geneigt, uns in unfern Grenzen abzufchließen und die großartigen Leiftungen, die anderen Nationen, auf dem Gebiete der Theologie aber vor allen den Engländern zu verdanken find, zu verfennen ober zu ignoriren. Und doch wäre gerade das Studium ber engl. Theologen uns fo heilfam; und, die wir fo gerne uns in formelle Dialektik und eitle Hypothefen einlaffen, das Studium von Theologen, deren Art es ift, erft den ganzen erdrüdenden Reichthum von Material zu fanımeln, und dann erft nicht ſowohl Hppothefen, als Anfichten fih zu bilden; uns, die wir fo gerne bei der erften Schwierigkeit, die in einem bibl. Buche und aufftößt, dad ganze Buch um ein paar Jahrhunderte hinabwerfen, das Studium eined Autors, der die eiferne Beharrlichkeit befißt, mit unermüdlicher Geduld erft die ganze Reihe der bibl. Bücher unter einander und dann mit ſämmtli⸗ hen anderen Gefchichtöquellen zu vergleichen, und dem es auf dieſe Weife gelingt, zu einem Refultate zu gelans gen, welches, wenn es ſich weiterhin erwahrt, mit vols lem Rechte ein panharmoniſches genannt zu wers den verdient,

47"

Gedanken und Bemerkungen.

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1.

Sieben Blide in dad erfte Kapitel der Geneſis.

Bm F. W. 6, Umbreit. |

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Don Neuem ben Anfang aller Dinge in dem Aufa ded Wortes der heiligen Schrift betrachtend, werde äch von einziger Bewunderung, in anbetender Ehrfurcht durchdrungen. Ich möchte die Feder gleich wieder ie derlegen, wo fie verfuchen Wil, Die Macht Des Einbruch iu bezeichnen, darzuſtellen, ober gar zu fchilberu, ben die Gchöpfungögefdjichte in das Gemüth‘ hineinwirſt: ine Macht iſt eine Uebermacht! Wohl it es zuerſt dad Gewäth,; dieſe innerlichfie und heiligfte Stätte des enpfangenden und zengenden Seiſtes, bie flille Pforte, weiche ſich den Dffendarungen Gotted äffnet, welches von dem erfien aller Worte: „ed werde! und ed ward,” getroffen, erfüllt nub bewältigt wied. Aber bee fragende und beobachtende Verſtand AAHt ſich fein angeſtammtes Recht auch hier nicht nehmen.

Wie ſollen wir dich nennen, größter Schöpfer des größten Schöpferwortest Derfaſſer? D des allge:

meinen und gemeinen, Falten, widerlich Plingenden Bor: tes, dad dich mit einem Male in die breite umd weite Mafle großer und Feiner, guter uud fchlecdhter Schrift fteller bineinbannt! Dichter? Mit diefem Namen biſt du genug gepriefen und gefcholten worden. 9a, deine Rebe tönet ald ber erhabenfte Geſang, dem wir feinen anderen an die Seite zu fiellen wagen; denn ber Begenftand, den du beſingſt, ift felbft der erhabenſte; er führt und über Erde und Himmel hinaus zu Dem, ber beide fchuf und fonderte, und dein Wort, das dieſe

erſte und hoͤchſte Geſchichte erzählt, ift ein uumittelbarer

Abdruck ihrer Erhabenheit. Aber dem „Dichten” find wir einmal gewohnt unwillärlich ein „er hinzuzufeßen, und eine „Erdictung” haft du wahrlich nicht geben mol: len , fondern reinſte, 5öttliche MWahrheit, ein Gedicht alſo Der urfprünglichften Wahrheit, dir zugefloffen aus dem Munde Deffen, der ſprach: „ed werde Licht!” Doc, we gen biefes immer leicht möglichen Mißverſtandes mögeR du auch wit einem folch’ zweidentigen Ramen verfchont bleiben. Künftler und im Befonderen „Mealer!” Man hat ja häufig genug heine Darfellung der Ent ſtehung Himmels nud; der Erdr ein Schoöpfuugsgemäalde genannt, nud biefed .Eöunteh Au dir ſchon cher gefaßen laſſen; denn in der That, wir fchawen uiehrieig BR,

8: wir Iefen ein Gedicht. Aber laͤßt du nicht auf

bem Vordergrunde deinen. emäldes Das Licht ſchon aufı

Senchten, bevor: du nach Den Simmel aufgefpanut ud

ihn mit Gone, Maud und Sternen gefehmädt? Berführt alfo ein Künſtler, der Mann der Befonnenkeit and feinen Ueberlegung ?:—: Zwar haben wir: Dich längfl von jenem uniberlegten. Borwurfe frei geſprochen, abe! wir möchten Dir gerne einen Nanten geben, dem bir Ar ner, auch gar Keiner abfprechen könnte. Mit der Kanfl geht: es Überbieß,. wie mit der. Dichtung; leicht trägt man auch in fie sinen Begriff hinein, der ſicher dir fremd

fieben Blicke in das 1. Kapitel dev Benefit. 703

war, den wir weder zu deinem Lobe, noch zu beinem Tadel auf dich anwenden wollen. So verlaflen wir denn. dad Gebiet von Poefle und Kunft, und fuchen nad einem anderen Namen; denn einen wirft bu doch haben. Sollen wir bir den vornehmſten geben, mit dem fi Mancher fo groß gedünkt auf dieſer Erde, obfchen er feiner Bedentung nach ein gar befcheidener iR Philo⸗ ſoph? Wohl haft du die Weisheit geliebt, die höchſte nud herrlichſte, die von Gott dir zugelommen, und von diefer Liebe ift dein Wort erfüllt von Anfang bie zu Ende. Aber die Philofophen wenigftene wie fie geworben und wir eine ber Erfahrung entaommene Vorſtellung von ih» nen haben, begnügen ſich nicht mit ber Liebe zur Weiss heit, fondern fie wollen die Weisheit aus ihrem Denken ergründen und mit Formeln, die mit Rothwenbigkeit fih aud einander entwideln und mit unleugbarer Folge⸗ rihtigleit an einander fich fetten, die Weisheit beſtimmen und fegen. Lücheln müßte ein foldher Philofoph, woll⸗ ten wir feinen Ramen bir leihen. Zwar einen „Specu⸗ Iatteen” könnten wir nach gehöriger Vorherverſtaͤndigung immer: Dich nennen; denn erfchaut haft Du von Der höch⸗ hen Warte des Denkens den Anfang aller Speculatiom, Gott und fein erſtes, lebendig fchaffendes Wort; und du haft: nicht nur den Grund aller Speculation in das Wort „Bott? gelegt, fondern du haft auch biefen Urbegriff in fpeeniativer Weiterfhauung zu Geil, ſich ſelbſt beſtim⸗ menden Willen und zum Leben gebracht. Aber du vermits telſt die einfachen Brunbtöne deiner Speculation nicht Durch Zwiſchentoͤne, bu verbindet hie zeugenden Gedanken nicht durch Reflsrion und Argumentation, fondern deine Rede febt Mich heraus in der reinften und unmittelbarften Form reiner und bloßer Berficherung. Und biefe Berficherung koͤmmt fo gar nicht and dir ſelbſt; in der Weife, wie du fe ausſprichſt, erſcheint nicht die leiſeſte Spvur, daß fie geißig erarbeitet ſey, aus einer logiſch⸗nothwendigen

708 - .. "Mabweit.

Schluß folge der Bedanten entſpruugen; du gibt um, wad bu mit dem Ohre deines Geiſtes vernommen, und wie follen wir biefe unmittelbare That deiner Rede aus ders begeichnen, als mu dem ſich feibft bezengenden, bie immerlichfte Gewißheit der Ueberzengung beiunbenden Worte „Offenbarung? Aber and weicher Quelle bir diefe Offenbarung zugefloflen, davon haſt bu auch wieder keine pſychologiſche Rechenſchaft abgelegt, obſchon du fie im dem Namen aller Ramen audgefprochen, in dem bir ber Anfang aller Diuge gegeben war: Bott! Ge wirft du dir deun auch licher den Ramen eines „Theo logen” wählen, ald ben Rolgeren eines Philefophen, ber ſich in der Erforfchung der göttlichen Dinge der Voraus⸗ fegungstofigkeit zu rühmen pflegt; denn von biefer weißt du nicht, fondern du ſteheſt fe anf der erſten aller Berausfenungen, auf dem Bewußtſeyn von Bott. Aber > wie bir dieſes Bewußtſeyn zum Bewiffeflen geworben, zur Wurzel deines Deukens, das ſagſt du wieber nicht; du glaub au Bott, und biefer Glaube if bir offenber. Diefer Blanbe if die Leuchte, welche bie die durnklen Urgewüfler. erhellt, ja dich über fie Hinans in die über ſtauliche Region Hinberlritet, we ber Ewige, von Raum und Reit geſchieden, in feiner Einſamkeit das Wort fprach: „es werde? Doch vergeffen wir über biefen weinen aller Gedaunken, der wie der Geiſt Gottes ſchwebet über der Materie, räumlich ud zeitlich in höchſter Freiheit, verfuchend, erhebend und. bildend Die Dentktaft des him wielwärts: aufgerichteten. uud forſchenden Menſchen, wicht bie Form feines Ausdrucks, auf die es uns hier vorzug⸗ lich anlömmt, Ueberblicken wir noch einmal alle die Ber» ſache, den Meiſter dieſer Form zu benamen, fo will und leiner gefallen. Und beſimnen wir und Aber den allge meinſten Grund der Verwerfung, fo möchte verſelbe wicht fdhwer zu finden ſeyn. Kein Rame genügt, weil der Berfaffer namenlos geichzieben, bad heißt aber in unfe

fieben Blicke in das 1. Zapitel der Geneſis. 705

sem Sinne, weil fen Subject fo ganz und gar purück⸗ tritt, und wir anf ein Werk der vollendetſten Objectivi⸗ tät: bien. Daher And wir gewiß: Tönnten wir dich fragen, welchen Ramen du dir wünſchteſt, alter Meier des objectiven Wortes, bu würdet feinen anderen ver: langen, aks ben befdribenften, "nd, d. i. „Schreider” oder „Erzählee”, „Der Himmel erzählet die Merrlichteit Gottes, und bie Befte verfänder bad Wert beiner Hände.”

2. z

Epiſch Haben wir die: Darftelluag in :bem erſten Ka⸗ pitel ver Geneſis genannt. Ja, ed if darin enthalten dad alteſte und erhabenkie Epos von der Schöpfung und Bildung Himmels und der Erde. Die erzählende Rede entfaltet fih won felbft in der reinften Weife, in der hachſten Unſchald des befchreibenben, nicht beurtheilen- ben Wortes. fo doch Poeſte? Allerdings! in ber wahrſten Bedeutung diefes hohen Wortes. Wie Bott ſelbſt in dem unmittelbarſten Bewußtſeyn, daß das, was er ſchaffe und mache, gut ſey, das allmächtigees werbe !” als nothwendig folgende That vohbringt, fo zeichnet ihm der Briffel des Schreiber, den er dazu erwählt hat, dad wunderbare Werk feiner Weltpoefle mit der naivſten und kindlichſten Treue nad. Und wie Gott nicht bloß den nranfänglichen Weltkoff ordnet und bildet zur voll endeten Schönheit des Dafeynd, ſondern biefen and ſelbſt heroorbringt, fo hat auch unfer Poet den Stoff zu feinem Epos nicht vorgefunden, fondern er hat ihn durch Eingebung empfangen. Deus woher hätte er ihn doch entmehmen follen, da wir anerkannt die Echte von eine Schöpfung and Nichts in allen Schöpfungeberichten der alt» aflatifchen Welt nirgends gewahren? Run, fv hat er ihn aus dem alten Teſtamente entlehnt, in wel⸗ heit wie durchgängig auf dieſem Grundſteine bed reiwften Glandens an einen heiligen Bett, . Schöpfer Hinmels

206 Umbreit

und ber Erde, das fefle Gebünde der Theologie gegräu det fehen? Als wem ver.nicht ber Erfie hätte feyn Bönuen, der diefen nennen Gedanken der altteflamentlichen Gotteslehre audgefprochen nnd eingefleidet! Wenn «6 boh Mofesd gewefen? das hocdhgewürdigte Wert. und NRüfzeng göttlicher Offenbarung?! Doc wir wol len bier weder em kritiſch mindeftend gweifelhaftes Ur⸗ theil vorausfeßen, noch und hinter eine dogmatiſch⸗thes⸗ logifhe Redeweife verfieden, fondern immerhin zugeben, anfer Erzähler habe aus einer vorgefundenen Quelle ge fhöpft, To floß ihm dieſe doch nicht in ber Fremde, fondern in der urfpeänglichen Heimath feined nationalen Bewußtſeyns von dem unbedingten Gott, von dem Schs⸗ pfer in dem unbefchräntteften Begriffe der Freiheit, und ſo if er wenigſtens, volksthümlich betrachtet, auch ein originefler , felbfifchöpferifcher Port. Und fo fällt bier auf eine fehr bedentende Welfe Theologie und Boefle in : dem höchften und allgemeinften Begriffe der Eingebung nud Offenbarung zufammen. Wir wollen jedoch, um Anſtoß zu vermeiden, den bedenklichen Vergleich wid weiter fortfeben, fondern, wie wir bereitd gethan, den Schöpfer des Scöpfuugsberichted nicht einen Dichter nennen, wenigftens nicht in Bezug auf ben Zuhalt feiner Urkunde. Aber bie Form, in die er ben Geiſt der ibm offenbar gewordenen Wahrheit gegoſſen, verfündet ihn ficher ald einen Dichter.

Richten wir zunüchſt nnfern Bli anf die Wahrheit, die uns enthält wird, fo befteht fie in ber wunderbar Ren aller Berficherungen, daß Bott die Welt aus Nichts geſchaffen und allmählich zu der gemeffenen Schoͤnheit entwidelt babe, in der wir fie vor uns fchen. „And Nichts geichaffen!” Ein Wort, bad dem au die Erfah zung gewielenen Verſtande entfchieden Hohn fpricht und

®

fieben Blicke in das 1. Kapitel der Benefit. 707

anf dem erfien Blatte ber heiligen Schrift bie Prebigt der Demuth beginnt, welche burch Die ganze Bibel ges hört wird. Wir können und nicht verhehlen, und follen ed auch nicht, daß, wir mögen und mit pbilofophifchen Formeln drehen und wenden, wie wir wollen, in jenem Worte für den denfenden Menfchen ein Widerſpruch ent balten if, Uber hüten wir uns, einen ſolchen der Un⸗ ſchuld der Urkunde felbft anfzubärden, Ihr Anfang if „im Anfang”, und wit biefem unfcheinbaren und doch vollommen. wefenhaften Worte hat fie den Gedanken, daß Gott Leinen Stoff neben fich gehabt, aus ihm bie gegenwärtige Welt zu bilden, fondern ihn felbit hervor, gebracht, viel reiner, ja fo rein ausgedrückt, ale irgend

eine Sprache ed nur vermag. Es fteht dieſes „Im Aus .

fang” fo ganz allein, ohne allen Beifab, ohne irgenb ein Objeet, von dem ber Anfang ber Anfang fey; nur mit dem „Scaffen” felbk iſt es in die unmittelbarke Verbindung gefeßt; dieſes Schaffen war ein uranfängli ches. Das Wort wa allein, wenn das nruwya im Terte fehlte, könnte dem Borurtheile, ald ob von einer ur⸗ fpränglichen Hervorbringung ber Materie in unferem Ka⸗

pitel Beine Rede fey, immer noch einige Nahrung geben,

obſchon wir unfererfeits lexikaliſch dieſe Meinung nicht von ferne theilen, aber fo mit neun verbunden, fdhlägt es jeden Widerfprud für den, bet den guten Willen bat, zu fehen, nieder. Freilich haftet an ihm etymolo⸗ gifch Der Begriff des „Sonderns”, aber die zunächſt aus finnlihen Eindrüden und Erfahrungen gebildete und zur fammengefegte Sprache bot unferem Schreiber kein ans deres dar, da ber Menfch, wenn er andy das reinke Schaffen denkt, nun einmal von dem „Trennen” nicht lodfömmt; darum hat er mit feinem „im Anfang” auch der leiſeſten ſinnlichen Auffaſſung recht eigentlich vorge⸗ baut. Indeſſen zeigt ja auch das rıyy, das „Machen”,

weiches er fpäter immer gebraucht, wenn er das folgende

N

706 rmbreit

„Bilden und Formen” bezeichnen will, daß er Dad wa von ihm beſtimmt unterfchieben haben wall, wie bean auch ‚die darſtellende Mede im A. T., we in manchen Stellen dieſes Wort bezichungs« und verbindungsweiſe gebraucht iR, klar beweiſt, daß ber Gedaunke das finw liche Element in demſelben überwunden habe. ber Bas ‚Schaffen feht ein Subject voraus, und dieſes folgt uns mittelbar auf wyg es iſt wriin, es if der Rame der um bedingten, freien Almadıt, es ift Bott; in biefem Na men, ift er einmal gefunden, iſt der ummittelbarfte Beweis der Möglichkeit, ja Nothwendigkeit einen Schöpfung aus Nichte gegeben, und fo liegt der veine Theiomus, das A nub das D des alten Bundes, iu den drei erfien Wor⸗ ten einfach, tief und Nar enthalten. Daß nun Bas Ob⸗ jest der Schöpfung fchen Himmel uma Erde in ihrer Getheittheit genannt mird, widerfpricht dem in den drei enfben Worten gefundenen Örmndfinne keineswegs; demm die altteſtamentliche Sprache hat für „IBelt” alt allum; fallende Nüwneikdyleit in Der hier näthigen Bedentung fein befondares Wort; obs verfinnlicht die unendliche Zeitent⸗ vickelung, wie fie freilich in Die Anfchasung bed Raumsed

eingefchloffen if. Es iſt aber überhaupt kein Gruud vor⸗ hauden, einen anderen Ausdruck, als den gegenwärtigen, zu wünſchen, da ſchwerlich der erfie Ders unferes Ka⸗ potele die befomdere: Lehre aueſprechen wollte, daß Gott Den nogeformten Meltſtoff hervorgerufen ; vielmehr, mens wir uns in feine naive Ainfchauung verfeßen, konnte er nur bepeugen wollen, daß Alles, was in unfere Sinne fällt, alfo nach ber natürlichſten Betrachtung von einem Shen und Unten, von Gott urfprünglich gefchaffen wor⸗ ben. Irmnerlich, in Gott felbfi, war der Schöpfungsact mit einem. Male, ohne nur Ein Zeitmoment in ihn hinein⸗ zutragen, fo vollbsacht, daß die vollendete Schöpfung, Simmel und Erde, fertig war, wie wir beum, begriff lich. gefaßt, Gott Heinen Augenblick ohne Welt denken

4

fieben Blicke in dad 1. Kapitel der Benefit. 709

können, bärfen und foßen.: Unſere Urkunde hat ed aber nur mib der Welt ber Erfcheimung zu thun, und fie bes fchreibt: der zweite Ders in ihrem erfien Zukanbe ale eine finfiere, verworrene, müſte Waſſermaſſe, die ſich nad; dem gefaltenden Willen des Allmächtigen in einzel nen Epochen zu einer lichten, wohlgeorbneten und bes lebten Schönheit entwickelt. 4.

Es iſt bewumberungswürbig , wie die Schoͤpfungs⸗ welunde gleich im Anfauge mit den einfachften und präg⸗ nantefien Worten ben Grund zur monstheiflifchen, rein⸗ fen Gotteslehre des A. T. gelegt; wir erbliden hier die in beiliger Stille treibenden Keime, weldye der ſpäter in die Erfchrinung tretende Prophetengeiſt zu ber herriichen, frifch grünenden Saat entwidelt hat, in der «8 raufcht, wie auf dem Libanon. Der Gott, der zu Mofes ge ſagt: „ich bin Der, der ich bin”, welcher die. Propheten mit feinen Geiſte erfüllt und mit feinem Worte erweckt und durchdrungen, bezeugt fich bier zuerſt in feiner gan⸗ sen elgenthümlichſten Weſenheit. In feinen höchſten, nur ihm gehörenden Machtvollkommenheit tritt der Ewige Lkebendige in dad Leben der Dinge. Der umnbebimgt Seyende, der, weldser ifi, der er iſt, bekundet ih ala unmittelbare That der lebendigen und Leben ſchaffenden Stärke; der Jehova ik der Elohin, oben wird es hier vielmehr im der für den Menſchen nur zeitlich zu begrei—⸗ fenden, oder richtiger , vorſtellbaren Schöpfung. Schen in Dem Namen Jahoe, wie wir eigentlich ansfprechen müſſen, iſt Dad ewige Seyn als ein Iebenbiges und uns mittelbar lebendig machendes geiegt, und fo gehört bad Schaffen ins nothwendig zu. Wir vermögen im zeinen Denken ben Irhova feinen Augenblick als Nicht» Elohim Ju begueifen; der Ewig⸗Lebendige iſt die ewige, unaus⸗ geſegt ſchaſſende Macht; kein Etohim iſt denkbar in öder

110 Umbreit

Einſamkeit ohne Welt, Wer bie Welt iſt nicht Bett, foudern in Ihm feloft unterfchieben von ihm; darum hat fie auch einen Anfang in ihrer räumlichen und zeitlichen Entfaltung, Er aber nicht; er iſt, fie wird; und fo if das hochbedeutende rim ein unentbehrlicher Anfang für die Schöpfung in ihrer gefonderten Betrachtung von dem Schöpfer. Es liegt mehr Phitofophie in der Poefſe, ald man gewöhnlich fieht, wenn Himmel nud Erde, ma: mentlich die leßtere, auf weiche wir vorzüglich hinge wiefen find , in unferer Urkunde, beſtimmter noch in bem ibe entfprechenden 104. Pfalme, ſchon als ein gleich ferti- ged Kunſtwerk vor Gottes Bingen liegt, aber erſt mit einem Schleier verhüllt iR, der binweggegogen wird, und. nun beim Jauchzen aller Morgenflerne die höchſte Schönheit hell und freudig in bie Augen leuchtet.

5.

Bei einem fchärferen Hinblicke auf das Weſen Ber tes, wie uns fein Bild im beftimmten Gruublinien vor: gehalten wird, gewinnen wir nicht bloß eine dunkel ſchaf⸗ fende Kraft, eine lebendige Allmacht, aus der alle Dinge hervorgegangen, ein Zengenbes, jondern, worauf es vor Allen ankömmt, eine Perfönlidyleit, ja eine Perſon, bie, für ſich feyend, denkend hervorbringt, das Gedachte vers wirflicht und fich ſelbſt bewußt von ihm unterfcheiber. Gottes Bei reget ſich Über der wüſten, finkeren Tiefe, “ud Er ſpricht: „ed werde Licht!” So iſt ber Ger und das Wort ewig bei Gott. Offenbaren fie fidy auch erft bei der Befaltung der Welt zu ihrer harmoniſchen Entwickelnug, fo find fie doch ſchon in Bott, ale er von Ewigkeit ſchafft; fie können nicht ruhend in ibm gedacht werben, fondern, weil fie denkend Lebendiges wirken, ‚find fie ewig denkend lebendig in ihm, und fo haben wir allerdings ſchon in den drei erfleu Berfen des alten Te⸗ flaments eine Dreiheit des göttlichen Weſens Bett,

fieben Blicke in das 1. Kapitel ber Genefis. 711

Geiſt, Wort aber auch eine beſtimmte, unb zwar auch immanente Dreieinigkeit nach der biblifch-heiligen Pſychv⸗ logie. Deun erriba, rm und 27 können nicht getrennt den» kend und wirkend von einander gebacht werben, fonbers fie find in einander, zwar in Unterfchiebenheit fich erfennend, aber doch in abfoluter Einheit zufammenhaltend und ſich bethätigend. Wir haben fo von Anfang keine, von ber Welt zwar getrennte und bdiefelbe fchaffenbe, doch immer⸗ bin für die Begriffserfaffung dunkele Potenz Gottes, fon» bern eine lebendige und denkend⸗wollende Perfönlichkeit, die ſich als folche vorzüglich durch das Sprechen bezeugt, fo dag da6 Wort bei der Erfhaffung der Welt recht eigentlich zum Hauptbegriffe Gottes wirb, mit vollem Rechte, da: Gott ohne Welt undenkbar if. Nur eine ſolche Perſonlichkeit Gottes kann ein „es werde!’ aus⸗ ſprechen, dem ein „ed ward” nothwendig folgt; Die Schöpfung ift Feine Evolution oder Emanation Gottes, fondern er fegt in höchſter Freiheit feines Denkens und (haffenden Wollend die Welt und bleibt dabei ein We⸗ fen für fih. Hier liegt in dem Gottesbewußtſeyn des Dffendarungsgläubigen ber unterfcheidende Hauptpunkt von aller anderen rein philofophifchen, namentlich pan⸗ theiftifchen Denkweiſe; die theologifche Speculation trennt fih au diefer Stelle fcharf und unerbittlich von ber phi⸗ loſophiſchen; ohne das abfolute „es werbel” und „es ward!” fein reiner Theismus. Das Schaffen bes Einen für fich feyenden Gottes iſt ein etwas außer fid Ser ben, ohne von ſich etwas zu geben oder zu verlieren. Zuerſt wird das Licht, aber Bott iſt nicht ſelbſt. das kicht, fondern Licht if nur fein Kleid (Pſ. 104, 2).

6.

Betrachten wir das ganze Kunſtwerk ber Schöpfung, wie es ſich in feinen einzelnen, harmoniſch nach einander hervortretenden Bebilden unferen Augen —— ſo feſ⸗

Theol. Stud. Jahrg. 1847,

712 Umbreit

felt dad letzte und höchſte derfelben unfern Blid. Der Menſch, Die Vollendung der göttlichen Arbeit , exrfcheint. Indem der Rachzeichner ded lebendigen Schöpfungöge möldes zu feiner Erfchaffung übergeht, gefaltet ſich die Rede fo, als habe fih Gott bei der Verwirklichung der befchleffenen Bildung deſſelben in ſeiner ganzen Macht⸗ volllommenheit zuſammengenemmen: „Wir wollen Adam machen 1’ Die ale Vielheit im Namen Elohim bezeichnete Fülle des göttlichen Weſens macht ſich nachdrucksvel auch im Berbum geltend, und es find gewiß nicht in bad „Mir“ Die zur Berathung hinzugezogenen Eugel mit anfgenotumen; denn, wie der vorurtheiläfrei anfgefaßte Ausdruck lautet, hätte biefe Bott wicht zur Berathung, fondern zur Theilnahme. an dem Machen bes Menfchen ſelbſt aufgefordert, was gegen bie unbefchräntte, fich ſelbſt genng feyende Gchöpfungstraft des Einen Elohim verſto⸗ Gen würde, worauf doch ſonſt Alles in dieſem erften Ka⸗ pitel geſetzt ift; auch wlrbe es unbegreiflich ſeyn, warum die Eugel, wenn fie auch nur zum Geheimenrathe Ber tes gezählt werben follten, nicht fchon im Borhergehem den genmmt wären, ba fie doch nach einer foichen Wär: digung Höher fichen müßten, als der Menſch. Aber ti iR überhaupt fehr merfwärbig, daß über bie Eutfichum ber Engel das tiefſte Stillſchweigen herrfcht; fie ſud im u T. da, [on Kap. 6, 2 kommen fie zum Vorfcheire, aber wie, wo und wann fle geworben, davon weite feine Audentung, ald daß fie „Söhne Gottes” gewann! werden, woraus alfo nur fo viel geſchloſſen werben bürftt, daß fie unmittelbar von Gott gezeugt und einen ambertä Bildungsſtoff ald der Adam gehabt; Ihre Entfehung müßte demnach als eine vormweltlihe angenommen wir: Den, wo und aber alled Denken über das Wie, Wo und Wann gänzlich andgeht und ein Begriff fchlechterbinge unmöglich wird. Die Spechlation irrt bier in einem u" durchbringlichen Nebel umher, der fich bei der erſten de fanntfchaft mit ihnen nur noch mehr verdichtet. Sie

fieben Blicke in das 1. Kapitel der Genefis. 713

laſſen fi zu ben Töchtern der Erbe herab, weil fie dieſe ale ſchoͤn erkannt, und erzeugen mit ihnen ein altes Ries fengefchlecht auf Erden. Wollen wir bei biefer wie ver: loren klingenden Erzählung nicht die unvermerkt hervor⸗ dringende Nachwirkung einer vorandgegangenen mythifche polytheiſtiſchen Beitanficht geftatten, was für bie Annahme einer reinen Dffenbarumg Gottes im A. T. wenigitens eine große Bebenklichkeit hat, da ylöglich in das heile Licht der Einheit wieder ber trübende Schatten einer Bielheit, wenn auch une vorübergehend, hereinträte, wie⸗ wohl in dem Bewußtfeyn des Erzählers felbft der. Ber griff des Einen Botted, der erzürnt ik, daß fin Geiſt durch die Vermifchung der Engel mit den Erbentöchtern Fleiſch geworden, viel zu beftimmt hervortritt, ale daß wir unferexpeitd einer ſolchen Anſicht beitreten könnten, fo ſetzt dieſe Stelle dach immer ein Belüfte in den Gottesſöhnen nach dem Fleiſche voraus, und fie find ale folche nicht mehr gut, fonbern böfe geworden. Aber wie iſt dieſes gefches ben, und wie iſt der Fall der Engel gefommen? Wir gelangen nothwendig zu einer Befchichte vor diefer Welt, und Doc ift nad unferm Berichte diefe, und nur biefe im Anfange, alfo vor aller Zeit, allein gefchaffen. Wen⸗ den wir und daher der beſtimmten und lichten Geſtalt bed Menfchen zu, wie fie, mit dem Bilde Gottes geſchmuͤckt, die Krone der Töniglichen Herrichaft über alle. Geſchöpfe der Erde trägt. Wenn dad ganze Kapitel, in Ferm umd Darftellung, den Eindrud der erhabenſten Poefle auf uns macht, fo ſchwingt fich Hier die Rede zn emenr kurzen Srendengefange empor, und wir begegnen jum eriten Male in dem „Gott fohuf den Menſchen in feinem Bilde, im Bilde Gottes fchuf er ihn,” dem vielbefprocdenen Pa- rallelismus membrorum in feiner einfadıften und erhebend- fen Weiſe. Buchen: wir zunächſt Alles zu vergeſſen, was die Ansleger von den Atteften bis in die neueſten Zeiten in bas Ebenbild Gottes hineingelegt, fo werben 48%

71% Umbreit

wir wohl zuerſt eben das „Ebenbilb” zu vermeiden ha ben; denn da wir mit biefem Ausbrude wenigſtens im deutfchen Reden und Denken die Borftellung, daß ein Gegenftaud, einem andern nachgebildet, dieſem voͤllig gleich fey, zu verbinden pflegen, fo verlaffen wir den Text, wenn wir alfo überfegen. Das Wort dx bedentet im mer nur „Schattenbild,” und der Schatten trägt wicht ba6 volle Leben deffen, der ihn von ſich wirft, in ſich. Es ft von vorne herein auch gar nicht gu erwarten; daß der Menfch, leiblich oder geiflig genommen, ald Bott völlig gleich gedacht werben folles auch das zur weitern Erkla⸗ rung binzugefügte m. darf zu einer foldyen Vorſtel⸗

lung nicht verleiten; im Gegentheile das » fcheint den Begriff des 2 cher zu verringern, als zu verfkärken: im Bilde Gottes fol der Menfc in die Erſcheinnng treten, aber immer nicht in abfoluter Weſensgleichheit mit dem Bilde, fondern nach dem Bilde; ro ift das Bild Get tes, das fich in dem nbx, aber nur in dem chatten of⸗ fenbart und abfpiegelt; im folgenden 27. Verſe bleibt denn auch diefer Infau hinweg und es wird nur auf bad nachdrudsvolfte hervorgehoben, daß Bott den Menſchen wirklich im feinem Bilde gefchaffen habe, und zwar is der gefchlechtlichen Lnterfchiebenheit von einem Männil hen und Weiblihen. Da der Menſch, worauf fein Name ir deutet, offenbar als aus Erde geformt ge dacht werden fol, fo kann er ja endlid um dieſes Stoffes willen nur als ein Schatten Gottes vorgeftell werden; denn die Geſtalt Gottes kann doch im Sime unferer Urknude nimmermehr eine irdene gewefen ſeyn. Daß wir aber bei der Gottdildlichkeit des Menſchen zu⸗ er die äußere Geſtalt deſſelben ins Auge faffen fohen, tanz nicht in Abrede gefiellt werben; denn fie if dech nichts: Zufaͤlliges, fondern der nothwendige Abdrud und Ansdrud feines ihm eigenthümlichen Weſens; auch geht dieſes ficher aus Kap. 5, 3. hervor; nur würden wir ir⸗

ren, wenn wir es mit biefer Bezichung bes Bildes Got

fieben Blicke in das 1. Kapitel der Geneſis. 715

ted auf die Leiblichkeit des Menfchen zu genau nehmen, oder fie wohl gar nur allein in Betradıt ziehen wollten. Das Erfiere iſt deßhalb nicht zuläfſig, weil wir nach der gefchlechtlichen Theilung des Menfchen in ein Männlicyes und Weiblihed do nur dad Beidem Gemeinfame in dem göttlichen Nachbilde fefthalten dürfen, alfo die Schön, heit der Form, und vor Allem den anfrechten Bang ; das Letztere verbietet die einfache Beobachtung, daß doch der Geiſt des Menſchen, der erft feine körperliche Darſtel⸗ Iung bebingt, und wodurch er ſich vor allen Geſchöpfen ald eine wirklich neue Breatur auszeichnet, die Haupt⸗ fache ifi._ Daher wird aud dem Menfchen unmittelbar, nachdem feine Gottbilblichkeit berichtet worden, die Herrs fhaft über die Thiere zuerfannt, woraus aber keines⸗ wege folgt, daß nur in ihr allein, oder wenigſtens vor» herrfchend der Begriff von jener zu Inden fey. Diefe Herrfchaft if, fo zu fagen, nur der finnlichite, am meiften in die Augen leuchtende Beweis, baß der Menſch, zwar ein Adam, aus Erde geformt, wie alle anderen Gefchöpfe, doch im Bilde Gottes gefchaffen fey, die Bebentung die⸗ fed Bildes iſt aber ‚tiefer zu ſuchen und hat fidh ficher auch der fchlichteften Beobachtung anfgedräng, Man kann ed auffallend finden, daß weder hier, noch im fol⸗ genden Kapitel der Sprache, diefer Iauttönenden Belnns dung ber öniglichen Erhebung bes Menfchen über die hier» welt, im Befonderen gebacht wird; nur wieim Borbeigehen wird fpäter erwähnt, daß Adam den ihm vorgeführten Thie⸗ ven Namen gegeben, alfo auch dort die Gabe zu reden voraußgefeßt. Aber es if eben die Sprache die noth⸗ wendige, ſich von felbft ergebende Borausfegung bes im Bilde Gottes Geſchaffenſeyns, fo beflimmt, daß gerade deß⸗ halb diefes prägnantefte Zeichen der menfchlichen Gottbild⸗ lichkeit nicht ausdrüdlich hervorgehoben zu werden brauchte. ‚Bir aber, wenn wir den Begriff des Bildes Gottes in feine Elemente zu zerlegen gebrungen find, müſſen die Spracbefähigung ale das erſte heransitellen. Denn was

716 | Umbreit

aus Bett ſelbſt, wie er fih ald Schöpfer offenbart, vorzüglich und recht eigentlich lautbar wird, iſt eben fein Sprechen; dad Sprechen aber iſt eben das unmittelbare äußere Zeugniß bed Denkens. Gott iſt vor Allem ein denkendes, fich feiner ſelbſt bewußtes, ſich von der Welt und ſich felbft unterfcheidendes Weſen, und fo auch de Menſch, infofern er das Bild Gottes trägt. Und fo iR das GSelbfibewußtfeyn, die Bernunft, das Wert in ſei⸗ nem tiefftien Sinne, die Bottbilblichleit des Menſchen. Indem fich aber der Menfch in Bergleich mit allen aw deren Gefchöpfen der Erde ſtellt, erkennt er feine Unter⸗ fchiedenheit von ihnen befonders in ber Freiheit, fraft deren er fi über fie im Denken zu erbeben_vermag; und diefed Bewußtſeyn der Freiheit im Gedanken macht ihn doch nur allein zum wahren Deren der Thiere, zum Könige der Erde, ja zum Gebieter über die Natur.

r T.

Ueberfchauen wir zulegt noch einmal die Form, in welche ber Dffienbarer des Uranfangs aller Dinge und ihrer zeitlich geregelten Bildung und Ordnung feine göttliche Gedankenſchöpfung gegoflen, fo ſteht fie wirklich, wie wir eben dieſes leute Wort mit leberlegung gewählt, als das herrlichite Gußwerk in harmoniſch⸗ſchönſter Voll⸗ kommenheit vor unſern Augen. Dieſe Form gehört zur Poeſle und ſoll nad ihres Meiſters Willen auch wur als folche angefehen werden; aber es ift eine heilige Doefle: die Welt erſteht in ben ſechs Arbeitötagen der mofatfchen Woche und ift vollendet am fiebenten, heiligen Tage der Ruhe. Daß der Dichtermweife felbft keinen bogmatifchen Lehrfat von den ſechs Tagewerken be Schöpfung im eigentlichftien Sinne habe geben wollen, verräth er auf dad naivſte für den Unbefangenen da durch, daß er erft am vierten Tage, fo zu fagen, den Tag entftehen Iäßt. Denn, wenn auch jener längf vor gebrachte Einwurf, daß Das Licht vor der Senne dage⸗

fieben Blide in da8 1, Kapitel ber Benefit. 717

wefen, ein nichtiger ift, infofern ja das Licht ald das Erfte, Urfprünglichftie und Nothwendigſte vor aller weis teren Ansbildung des gegenwärtigen Kosmos betrachtet werden fol, Sonne, Mond und Sterne hingegen ale ma, d. i. als einzelne große und kleine Lichtörter ober Lichtgefäße, an dem Himmel zu leuchten beftimmt find, hauptſächlich um zu trennen zwifchen dem Lichte und der Finfterniß, fo kann doch jedenfalls feit dieſem Schöpfungss werte nur erft von einem Tage die Rebe feyn. Der Erfhaffung der Leuchten des Himmels konnte aber nicht eher gedacht werben, bis biefer felbft nach dem erften großen Trennungsact in der Sonderung des Lichtes von der Finfterniß durch den zweiten in ber Berdichtung einer Bee inmitten des Waſſers ind Dafeyn gerufen worden. Der Belebung des Himmels durch Lichter mußte nun auch noch bie Belebung der Erbe, bie nadı der Scheidung der unter ber Befte befindlichen Gewäſſer erſt hervor treten fonnte, durch Kräuter vorangehen, und fo fonnte alfo ber erſte Tag nur am vierten Tage zum Borfcheine Iommen. Die bier und da geänßerte Meinung, daß cr im unferem Kapitel ald Schöpfungsepocdhe genommen werden könne, wird an ber einfachen Bemerkung zu Schanden, daß Bott am fiebenten or, alfo an einem eigentlichen Zage, geruht habe. Und fo ift ed denn keinem Zweifel unterworfen, Daß der Dichter dem von einem folchen haben wir in biefem Punkte das Recht zu reden Die allerdings in einzelnen Epochen in anffteigender Regel⸗ mößigfeit zur vollendeten Schönheit durch den Geiſt Got» ted ſich eutwickelnde Welt in die hebräifche Woche künſt⸗ leriſch eingefchloffen, woburd, ihm zugleich der Bortheil erwuche, dem bereitd eingeſetzten Gabbathe feine heiligſte Bedeutung fogar durch das Ruben des Schöpfers beis äulegen.

718 Steffenien

2.

Ueber Matth. 13, 45. und 46,

Mit Beziehung auf Wächtler’d Erklärungsverfuch in ben Stud. u. Krit. 3. 1846. 9. 4. ©. 939 946,

Bon H. Steffenfen,

Paſtor in Sarau.

Der in der Ueberfchrift genannte Auffag des Pfarrers Wächtler hat es ſich zur Aufgabe geftellt, einer neuen Erklärung der befannten Parabel von der töftlichen Perle beim theologifchen Publicum Eingang zu verfchaffen. Diefe Erklärung verfieht unter dem Perlen fuchenden Kaufmanne den Heiland, und unter den Perlen, ein fchließlich der Einen Föftlichen Perle, die Menſchenſeelen, wie fie fowohl Zwed feiner eriöfenden Liebe, ale aud zngleich wiederum Werkzeug neuer Gewinnung find.

Mas deu Berf. bewogen hat, die in Rebe ſtehende Erflärung ber biöher üblichen vorzuziehen, läßt ſich anf folgende Punkte zurückführen. Zuvörderſt glaubt er fchon aud der Analogie der unferem Gleichniffe im genannten Kapitel des Matthäus. vorhergehenden und nachfolgenden Parabeln beweifen zu können, daß ber fuchende Kauf⸗ mann und nicht die gefundene Perle ber Hauptbegrifi fey, von dem die weitere Deutung ausgehen mäfle, und fodann glaubt er, aus B.37. entnehmen zu können, daß derjenige, der in diefem Kapitel unter dem Himmelreiche zu verſtehen, Fein Anderer fey, al& der Herr felber in feiner erlöfenden Thätigkeit.

Der Schluß, den der Berf. macht, iſt alfo wefent: lid) dieſer: 13 weil in ben übrigen Bleichniflen dieſes Kap.

über Matth. 13, 85. u. 46. 719

immer der Hauptbegriff dem suola Zariv 7; B. z. oög. im Dative nachfolgt, fo muß auch hier in diefem Gleichniſſe nicht die „Löfliche Perle,” fondern der Kaufmann als Hauptbegriff betrachtet werben, und 2) weil. in einem früheren Gleichniffe ein ſolcher Hauptbegriff vom Herrn felber auf fich gedeutet ift, fo muß auch der in dieſem Gleichniſſe vorkommende Hauptbegriff auf den Herrn ges beutet werben.

Es iſt in der That kaum abzufehen, wie ber Herr Verf. ed hat über ſich gewinnen können, eine fo gewonnene Erflärung für wohl begründet zu halten. Muß denn fo ohne Weitered die Deutung des SHauptbegriffe in dem Einen Gleichniffe ald normgebend für die Deutung aller Hauptbegriffe in allen Parabeln deſſelben Kapitels anger ſehen werden? Mir fcheint das eine Aunahme zu feyn, die allen Regeln der Hermeneutik fchnurftrade wider Rreitet. Freilich hat der Verf, um feiner Annahme mög» ih zu Hülfe zu kommen, den Lefer daran erinnert, daß es überhaupt bei näherer Bellimmung des Begriffs der Bacılzle durchaus nöthig ſey, jedesmal von dem Herrn ald dem Nepräfentanten und Inhaber dieſes Rei⸗ ed auszugehen u.f. w. Herr Pfarrer Wächtler fcheint aber, als er dieſe Bemerkung nieberfchrieb, überfehen zu haben, baß es fich bier noch gar nicht um eine nähere Beſtimmung bed Begriffe der BacıAsla z. odg. handelt, fons bern einfach um die Frage, ob unter dem „drd'gazog Enzogog” der Heiland zu verfichen fey oder nicht. Die obige Bemerkung kann gern zugegeben uud babei doch die Deutung bed dvdg. Eur. auf ben Heiland bes Rritten werden.

Aber gefeßt auch, ed wäre dem Berf. bie Begrüns dung feiner ErHärung aus B.3T. mißlungen, fo könnte ja doch der ganze Sinn der Parabel ſich bei feiner Deus tung fo leicht and natürlich ergeben, daß fie dadurch fich jelbft genugfam vor andern empföhle Sehen wir denn iu, ob das der Fall if.

720 Steffenfen

- Der Herr Berf, bat felb gefühlt, daß bie Haupt: ſchwierigkeit bei der von ihm vorgefchlagenen Erklärung in dem zoAdzıog uugyagleng beſteht, in deſſen Erwerbung wir augenfcheinlich das eigentliche punetum saliene deo Bleichniffed zu fuchen haben. Was er aber a. a D. fagt, um diefe Schwierigkeit zu heben, bat wohl Je dem, der dad Gleichniß unbefangen betrachtet, die Un⸗ haltbarkeit diefer Deutung Far machen müſſen. Die Eine koͤſtliche Perle ſoll nämlich die Seele bezeichnen, die fähig oder empfänglich If, den Heren ganz in ſich aufzunch⸗ men. Der Sinn des Bleichniffed würde alfo der ſeyn: Mie der Kaufmann für jede gute Perle einen Theil fei- ner Güter bingibt, aber für Eine koͤſtliche Perle Alles, was er hat, fein ganzes Eigenthum, fo gibt and der Heiland jeder nur in irgend welhem Maße empfängli- den Seele etwas von feinem Eigenthume bin, aber wo er einer völlig empfänglichen Seele bei feinem Suchen uad Seelen begegnet, da gibt er ihr fein ganzes Gut, den ganzen Reichthum feiner Gnade und Wahrheit zu genießen.

Wer fühlt aber nicht, daß diefe Deutung an zwei wefentlihen Mängeln leidet? Einmal kommt das äve dabei nicht zu feinem Nechte, denn bieß deutet offenbar barauf hin, daß unter dem zoAdr. uapy. ein Gut muß zu verfichen ſeyn, das einzig in feiner Art ift, während ed ja doch hoffentlich mehr ale Eine Seele gibt, die empfänglich ift, den Herrn ganz in fi aufzunehmen. Fürs Zweite aber ift bei der in Rede ſtehenden Deutung ganj davon abgefehen, daß der Kaufmann fein But nicht den Perlen fchenkt, fondern bem Beſitzer der Perlen alt Kaufpreis bezahlt. Wäre alſo unter dem Kaufmanne Jeſus zuverftchen, fo müßte gefagt werden: wie ber Kauf mann für gute Perlen einen Theil feiner Güter bezahll, für die köſtliche Perle aber Alled, was er hat, fo de zahlt Jeſus auch für die einzelnen Geelen je mad, ihrer Bortrefflichkeit entweder einen Theil feiner Güter, oder

über Matth. 13, 25. u. 46. 721

Alles, was er hat. Das wärde aber befunutlic, ber con» fRanten Lehre der h. Schrift von dem gleihmäßig für Alle bezahlten Köfegelde ſchnurſtracks widerfprechen, weß⸗ halb der Berf. willlürlich von dem zizpaxs unb ydpusen ganz abfieht nnd fo thut, als ob da nicht von einem Verkaufen und Kaufen, fondern von einer Mitteilung, einer Hingabe ganz im Allgemeinen die Rebe wäre. Ein foiche® Berfahren dürfte fidh aber fchwerlich rechtfertigen loffen, um fo weniger, da das GBleichniß nad) der ges wöhnlichen Audlegung bie vermeintlihen Schwierigfeiten gar nicht darbietet, die der Berf. dabei findet.

Es verhält ſich nämlich gar nicht fo, daß durch bie übliche Erklärung der grammatifchen Wortverbindung Gewalt angetban wärde. Sondern, auch wenn man un⸗ ter dem &vßgmzog Euzogog den ſuchenden Menſchen und unter dem zoldrınog napyap. den Herrn in feiner Gnade und Wahrheit als das Centrum bes Himmelreiches vers ſteht, braucht man gar nicht, wie der Verf. ed darftelt, in erllären, ald ob da flünde: zdAm duola Zueivs; Badı- ksle t.00g. Evi zoAvrluo napyaglın, Ovd.E. sbgnausv eto.—, vielmehr wärbe darch eine folche Wortfiellung der Sinn unferes Gleichniſſes gänzlich verrüdt worden feyn.

Vergleichen wir nämlich die unmittelbar vorhergehende Parabel vom Schage im Ader mit der vorliegenden von der köſtlichen Perle, fo wird zwar in beiden ber unver» gleihlich hohe Werth des Himmelseiches ald ded Gutes der Güter gefchildert. Während aber im erften Gleich» aiffe gezeigt wird, wie das Himmelreich fich fofort auf den erften Blick ald das Gut der Büter darftellt, fo fol- len wir aus dem zweiten Gleichniffe lernen, daß wir nicht eher aus der Unruhe des Suchens nadı allerlei Gütern heraustommen können, ald wenn wir das Gut der Güter in Chrifto gefunden haben. Berhält es fich aber fo, dann ergibt fih von felbft, warum im erfien Bleichniffe der gefundene Schag, im zweiten aber ber fuchende Menfch vorangeftellt wird.

722 Gteffenfen über Matth. 13, 45. u. 46,

Uebrigens bemerke ich noch, daß in allen Gleichniß⸗ reden, die mit den Worten: dpola äarivr; Bacılsla v.odg. etc. , eingeleitet werden, nie bloß der zunaͤchſt folgende Hanptbegriff, abgelöft von der zu ihm gehörigen Erzäh- Inng, fondern immer der durch biefe Erzählung näher befinggte und erweiterte Hauptbegriff ald dem Himmel⸗ reiche verglichen anzufehen if. In unferem Gleichnifle it das auch grammatifch dadurch angedeutet, daß die ganze Erzählung in einem und demfelben Babe fortgeht. Wäre dieß von dem Herrn Berf. des befprochenen Er klaͤrungsverſuchs beachtet worden, fo würde es ihm wahr fcheinlih nicht eingefallen feyn, an der bisher Üblichen Erklärung diefer Parabel Auftoß zu nehmen. Diefe Er Härnung tritt aber erſt dann in das rechte Licht, wenn wir unfere Parabel mit der vorhergehenden auf bie oben angedeutete Weiſe sufammenhalten. Wenn es ſich hier um eine vollßändige Durchführung dieſer Vergleichung handelte, fo wärbde ich namentlich auch noch darauf auf⸗ merkfam machen, daß, während ber Heiland in beiden Bleichniffen zeige, bad Himmelreich müfle als das nu vergleichlich koͤſtliche, werthvolle Sut gefunden wer: ben, er im erſten daranf binweife, dieß Finden könne dem Menfchen ohne fein Zuthun als unmittelbare Got tedgabe zu Theil werben, und im zweiten, ed werbeaber Manchem erfk nach längerem oder kürzerem Guchen, da rum aber nicht weniger als Snabe, befchieben.

Recenfionenm

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1.

Theologiſche Ethik von D. Rihard Rothe. Erfter und zweiter Band, Wittenberg 1845.

I)

Erftter Artikel.

Die theologifche Ethit von Rothe, derm dritter Band, die Pflichtenlehre enthaltend, noch zu erwarten iſt, begrägt der Einfender ale eine bebeutenide Leitung, welche für das ethifche Gediet wiederum eine allgemeinere Theil⸗ nahme erregen wird. Sind wir and nicht im Stande, das Werf felbft zu beurtheilen, ehe bie Yllihtenichre ex» fhienen iR, fo können wir boch die Grundlegung vollfommen überfehen und andzugeweife vorführen, wm die Bedentung ded Ganzen aufzuzeigen.

Der Titel ſchon läßt eine eigenthümlich weue Behand lang der Ethik erwarten, wenn ja Ethit eine fpecnlas tive Wiſſenſchaft bezeichnen fol, während man unter Sittenlehre cher eine empirifche verficht; wenn ferner nicht ohne Abſicht ſtatt hriftiiche theologiſche Ethik geſagt wird. Der Verfaſſer ſchiebt voraus, „nichts Mes ſentliches, was man gewohnt ſey, in einer theologiſchen Moral zu ſuchen, werde hier vermißt werden, ohne daß das Viele, was darüber hinaus dargeboten werde, als am unrechten Orte ſtehend erſcheine, obgleich es zum ſehr großen Theile nach dem gangbaren Sprachgebrauche mehr

76 Betbe-.

dogmatifcher als erhifcher Ratur fey. Obwohl er fid gerne an eine der beſtehenden Schulen angefchloffen hätte, habe ihm bieß doch nie gelingen wollen; flatt deſſen fey ihm nach und nach ein Gebäude von theologifchen Saͤtzen entftanden, das ihm eigenthämlich zugehöre, In eimer Zeit, da alle theologifchen Standpunkte von Verlegenhei⸗ ten umflridt feyen, möge ein Zeugniß, daß für nen Bahnen nody Raum fey, immerhin abgelegt werden.’ „Diefe theol, Ethik enthalte nichts won Philofophie, for dern ledigli Theologie oder genauer Theofophie, und obgleich ihr Beachtung von Seiten der Philoſophen zu wäünfchen fey, mache ber Berf. doch ſchlechterdings kei⸗ nen Anſpruch, etwas von Philoſophie zu verfichen; iw dem er fie ald Dilertant benuße, denke er, fie wenig ſtens nicht zu mißbrauchen.“ Diefe Aeußerung if of fenbar zu beſcheiden; es wäre fehr zu bebamern, wenn unter ben Theologen jetziger Zeit ſelbſt diejenigen, welche mit Geſchick und Einficht die der Philoſophie und Theo logie gemeinfamen Gegenflände bearbeiten, wirklich nur Dilettanten in der erftexn ſeyn wollten, und wenn irgen Theologen . außerhalb der hegel’fchen Schule ein Wort mitzufprechen haben in philofonhifchen Dingen, fo dürfte der Berf.. unter ihnen eine ausgezeichnete Stelle be⸗ haupten.

„Auf andere theol. Bearbeitungen ber Ethik nehm er fehr wenig Bezug; die fo ganz abweichende Anlage feined Buches geftatte es nicht anders, obgleich ed in Manchem durch jene ergänzt werde, namentlich is dei Pflichtenlehre. Defto reichlicher habe er Schleier: macer benutzt; obgleich deſſen Lehre nicht die feinige ſey, fo ‚möchte er Doch einige der großen ethifchen Brand. anfihten Schleiermacher's in algemeinern Gute bringen.” Hier berührt der Berf. eine Schattenfeite der Ethik. So wenig eine traditionelle Einerleiheit ſcho⸗ laſtiſch feftfichender Methode den theologiſchen Diecipli

theologiſche Ethik. 727

nen heilſam ift, fo kann doch nicht erwänfcht feyn, daß in der Ethik mehr ald in irgend einer anderen Disci⸗ plin Jeder feinen eigenen Weg geht. Dieß aber if zur Zeit noch der Fall; feit Schleiermacher im Gebiete der Ethik anfgeräumt hat, ift es nicht möglich, ihm und doch and den Andern zu folgen; man muß entweder & dh lei: ermader zum Grunde legen, ober neue Bahnen verfus hen. Der Berf. hat Beides gewollt, treu und gewiſſen⸗ haft die Forderungen, welche diefe Wiſſenſchaft S chlei« ermacher verdankt, aufgenommen, aber auch in bebeus tenden Puukten ihn zu ergänzen und zu berichtigen ges ſtrebt. Die Beurtheilung der rothe'ſchen Ethik wird wer fentlich in der Beurtheilung ihres Verhältniſſes zu Schlei⸗ ermadjer Liegen. Diefe können wir am einfachften zu Stande bringen, wenn wir die reichhaftige @inleitung, in weicher die Gonftruction der theologifchen Ethik ges ‚geben wird, Schritt für Schritt verfolgen. Rur ift es kaum möglich, bei der mufterhaften Präcifion des Aus⸗ drucks, welche dieſes Werk auszeichnet, den Kern zus fammenzudrängen,, ohne daß viel von biefem Borzuge verloren geht.

Die Einleitung zerfällt indie drei Hauptſtücke: 1) Allgemeiner Begriff der theol. Ethik, 1 5. 2) Grund legung der theol. Ethik, S.6— 87. 3) Methode und Eins leitung der theol. Ethik F. 88 2. Es erſcheint alfo das mittlere Hauptſtück nach Ausdehnung und Inhalt fo ſehr als das eigentliche Hauptſtück, daß bie andern beiden gar nicht verdienen, in gleicher Form neben die⸗ ſem Hauptſtücke hervorzutreten. Nicht bloß die äußere, auch die innere Symmetrie ift beffer heraudgebildet in der Art, wie Schleiermacher in feinem Entwurf eines Soſtems der Sittenlehre die allgemeine Einleitung dies ponirt hat. Die Ungleihmäßigfeit würde freilich weg» fallen, fobald man auf anerfannte Sätze anderer Wifs fenfchaften bauen könnte, flatt daß jetzt en vorerfl in

Theol, Stud. Jahrg. 1847,

128 Both

Einleitangen zur Ethik große Mchiete anberer Didi plinen bergeRellt werden müflen.

Das Erfte alfo, was ber Verf. eröztert, iſt der alls gemeine Begriff der theologiſchen Ethik, 8.1 fie fey „die MWillenfchaft von dem Bittliden, wie es Beides, das Sittlich⸗ Gute und das Sittlich⸗Böſe, un ter ſich befaßt.” Diefe Definition will die ſchleiermacher⸗ ſche erweitern, indem auch bad Sittlich⸗Boöͤſe mit in den darzuftellenden Begriff des Sittlihen aufgenommen wird. „Scleiermacher zuerſt habe einen beſtimmten Ber oriff des Sittlichen überhaupt gegeben, fo wenig aud dieſer ungeheure Fortſchritt beachtet worden fey ; aber er babe den Gewinn wieder vereitelt, da er das Sittlid:

. Böfe nicht wit aufgenommen. Wenn freilich das Eint- ſeyn der Bernunft und der Ratur das Sittlide ſey, fo könne es ein Sittlich⸗Boſes Überall nicht geben, bad Böle ſey dann allerbings fein wiflenfchaftlic com firuirbares , fonbern nur ein empirifched.” Die Dife renz beider Definitionen ift zum Theile eine nur fchein bare, zum Theil «ine tief begründete. Nur fdaeinbar wenn Schleiermarher gar Feinen Begriff des Bit kichen kennen fol, als nur den des Sittlidy« Guten; aud ex ja redet von dem Sittlichen sensn medio, woöo er DH Sphäre der fittlihen Weſen von der bloßen Res tur unterfcheidet; im diefem Sinne ift ibm die ſittlicht Sphäre das @indfeyn von Bernunft und Natur im menſch⸗ lichen Organismus bei gegebener Potenzialität der Ber nuuft; aber ber eigentlich fittliche Proceß begiunt nur erſt mit der Thätigkeit Diefer in Einheit mit der Natur gegebenen Vernunft. Tief gegründet if nun die Die senz beider Sittenlehrer, wenn Schleiermacher im fittlichen Proceffe ſelbſt bloß das Bunte, die Bernunftihd tigleit von ber Idee aus, d. bh. fpeenlativ, eonſtruirer wii, Rothe aber fpeculetio d. h. von der Idee anf aud die Negation des begriffämäßigen Thuss, auch

theologifige Ethik. 729

dad Böfe ale ein In Den Begriff des Sittlichen zu fetzendes mit confiruirt. Wir werden [hou von hierans erwarten, daß Rothe anf Den Begriff der Selbfibefiinmuug zur rüdgehen, dieſen Begriff seneu medie faſſen wirb, Shleiermacer aber, bei dem Begriffe der Belleität, Willensmägigkeit, als eines höheren Grades von Lebens digkeit fiehen bleibend, ben Organismus der Perſoͤnlich⸗ keit nur ald den Ort und die Form anfehen wird, im weichen die Vernunft ald das eigentliche agens das Sitt⸗ liche wirkt.

Hören wir deu Berf. weiter an G.2,: „Die Theoles gie könne den Begriff des Sittlichen nicht von ber Phi⸗ lofopie zu Lehen nehmen, fie müſſe ihn ans eigenen Mitteln erzeugen auf dem Wege theologifcher Specula⸗ tion; denn neben der hifkorifchen und praktiſchen gebe es eine ſpeenlative Theologie, und nur von diefer aus lafle fh zu einer theologifchen, d. h. gleich fehr religiöfen und wiſſenſchaftlichen, Ethik gelangen.” Es wird nun entwis delt, was Speculation fey, „ein Ausgehen von etwas unmittelbar Gewiſſem, deſſen unbebingte Gewißheit für und die abfolnte Bedingung des Denkens äberhanpt ſey. Dieß fen das menfchliche Bewußtſeyn ſelbſt in feiner ab» foluten Reinheit d. h. nach vollſtaͤndiger Abſtraction von jedem beftimmmten Object und Inhalt; ſomit bad rein fubjective Selbſtbewußtſeyn. Aber wie fann ed nun nes ben der philofophifdyem eine theologifche Specnlation ges ben, da nur eine VBerfchiedenheit der unmittelbaren Urdata des Selbſtbewußtſeyns diefe Doppelte Speculatis ondart begründen könnte? Der Berf. antwortet: „Dad fubjeetive Selbſtbewußtſeyn ſelbſt ſey wefentlich nicht bog Selbſtbewußtſeyn als ſolches, fondern auch religiss beftimmtes, d.h. GSottesbewußtſeyn; fo ent» ſtehe eine philofophifche und einetheologifche Speculation.’” Diefer Gap ift zuzugeben, fofern das religiäfe Beſtimmt⸗ ſeyn des Selbſtbewußtſeyns nach dem reinen Selbfibes

49 *

730 Rothe

wußtfeyn, bei vollſtändiger Abſtraction won jebem ber ſtimmten Object und Inhalte, augehört und Die religie als innata angefehen wird ; auch dann aber entſtände die Frage, wie von diefer Vorausſetzung aus das reine Selbſt⸗ bewußtſeyn bald einfeitig nur ale ſolches, bald aber au wieber einfeitig nur ald Gottesbewußtſeyn thätig ſeyn und dort die philofophifche, bier die theologifche Specu: lation erzengen könne. Dieſes zugeflanden, würde fd jedenfalld eine fpeculative Theologie uur ale Die eine Seite der Philofophie ergeben; denn Speculation fol ja nur vom reinen Selbfibewnßtfeyn ausgehen Fönnen, fomit theolegifhe nne vom reinen Gottesbewußtſeyn. Wenn aber „die theologiſche Speculation für jebe eigen thümliche Frömmigkeit eine weſentlich verſchiedene ſeyn fol, weil der Ausgangspunkt das eigenthämlich be immtefrommeBewußtfepn fey” ; wenn ed „eine hrik liche, weiterhin eine confeffionell, 3. B. evange liſch protekantifch beſtimmte Speculation” geben fol, mag immerhin beigefügt werden, „fie ſey nicht ge bunden am bie gegebenen Dogmen, fondern heteroder ia ihrem Begriffe, obgleich die h. Schrift als der auchentifche Ausdruck des chriftlich frommen Bewußtſeyns ihr Kanon bleibe” : fo entſteht dach das Bedenken, ob diefe Theologk noch Speeulation, d.h, Sache ded reinen, von jeden Object und Inhalte voAfändig abſtrahirenden Selbſtbe⸗ wußtſeyns bleiben koͤnne. Denn mag immerhin das Gelb bewußtfeyn von den Dogmen abftrahiren, wenn es die chriſtliche und proteſtantiſche Gigenthämlid;feit deuned behalten ſoll: fo. heißt das, die empirifche Einwirkung der Kirche erſt hinterher wegbenfen, nachdem bereits das reine Selbſtbewußtſeyn oder Gottesbewußtſeyn dem vol len Eindruck diefer Empirie in fich aufgenommen bat. Sagt doch der Berf. felbk, „der Ausgangspunkt dieſer chriſtlich ewangelifchen Speculation fey das inbivibuch fromme Bewußtfepn, in welchem fich das kirchliche Ge meinbewußtſeyn reflectirt.” Kurz, die Empirie wird nur

theologiſche Ethik. 731

äußerlich abgelehnt, innerlich aber aufgenommen; fo aber, fommen wir nicht zu reiner theologifcheer Speculation, fondern nur zum fdyleiermadger’fchen evangeliſch chriftlis hen Selbſtbewnßtſeyn, von: welchem Ausſagen ald Dog» men, wicht aber fpeculatige Säge angehen: können. Der Recenfent kann daher das Bedenken nicht uuterdrüden, daß unfer Berf, zwar den : Begriff der Specnlation ganz richtig beftimme, eben darum aber eine intiwibudl-chrift« lich evangelifche Speeulation nicht ableiten: fänne.: Was er fo nennt, if vielmehr daß Sichbefinnen des ſchon chriſtlich und evangelifch: befimmten :religiöfen Selbfibe« wußtſeyns Aber die aufgenommene Beſtimmtheit, aller: dings ein-Neflertiren von innen heraus. &ber. die innen res Moment gewordene Einwirfung: und kirchliche Er» fahrung, eis :Sichvertiefen der chriſtlichen »Empirie in ihr inneres Weſen, aber immerhin ein Abbängigbleis ben won Empirie, Gtatt wahrer Speculation. wird bei dieſem Verfahren nur ein analptifcher, von der: Sinheit jur Bielbeit ihrer Momente, vom runde zu den Erzeug⸗ niſſen fortfchreitenbeg. Proceß fich ergeben.

Mit dieſem Bedenken hängt das andere zufanımen, ob denn wirklich der Begriff des Sittlichen ‚als ſolcher nicht and der Philsfophie zu eutlehnen, ſondern von der theologiſchen Speculation and eigenen Mitteln gu cons ſtrniren fey. : Soll diefer Begriff in ber Bhilofophie feinen Drt haben und Doch Mit. Sgnerirung davon auch bie Theotogie ihm erſt nen erzeugen, fo würde diefe Zweis fpaltigfeit des wiſſenſchaftlichen Verfahrens durch Alles bindurchgeführt werden müffen. Es gäbe eine Rhetorik, weiche man ganz zu igneriren hätte, um eine Homiletik aufzufteßten; gäbe den Begriff der Geſchichte, welchen man er ignoricen müßte, am den ber Kirchengeſchichte zu erzeugen; es gübe eine Auslegungswiſſenſchaft, welche man zu ignoriren hätte, um die theologifche Eregefe zu erzeugen, u. f. w. Der NRecenfent hält es hierin mit Schleiermacher, der die im Allgemeinen. von der chriftlis

7323 Roche

chen Theologie ſchon vorgefunbenen Begriffe dad den Standpuntt des Ehriſtenthumd näher beſtimmt wer den läßt, aber file aufnimmt. Auch glaubt ex, die Auf ſtellung des Ethiſchen aus eigenen Mittein der Theele⸗ gie ſey um fo weniger wöthig, da der Verf. doch gem sichtig_ wider Inlins Müller (6. 86 Anmerkg. 4) die relative Unabhängigfeit ber Stttlichkeit von der Krim migfeit behauptet.

In 9.3, wird num „bie theobogiſche Ethil ven der philofephifchen fo untesfchleden, wie bie theo⸗ Iogifche Specnlation von der philoſophiſchen Ach umter fcheide, durch Bir verfchiebenen Dorausfebungen, von ber nen fie ausgehen; dieſe vom fittligen Wewußtfepn rem als folchem,' jene van: dem fittligen Bewnßtfeym, wie es in dem der beflimmten Kirche angehörigen chrifttiche⸗ Individnum ale religiös eigenthümlich beſtimmdes that ſaͤchlich vorhanden iſt, und von bem geſchichtlich gegede⸗ nen Ideale ber Sittlichteit in der Erſcheinung des Er⸗ löfers. ne

Daß chriſtliche und philoſophiſche Ethik ſich unter: ſcheiden wie chriſtliche Theologie and Philofophie, iR un befireitbar; aber von fpeculattver theologifcher Ethil Tann nur im fofern die Rede feyn, ale es im Sinne dei Berf. eine chriſtliche Speculation gibt; wie fehr fie je doc von Empirifchem beftimmt wäre, geigt gevade and das ftehen bleibende Ydeat im gefchichtlichen Ehriins, wel her als ſittliches Ideal Übrigens nur ſehr uneigentid gerade der Erlöſer ift, weit wir, ob nod fo fehr dem

Ideal uns annähernd, darum Boch keineswegs nah und

nad felbit and Eriöfer würden. Das Berhättniß der beiderlei Ethik zu erledigen, iſt nicht leicht. Cine abſe⸗ lute Verſchiedenheit beider hat auch der Verf. nicht ge ſetzt; „innerhalb der chriſtlichen Welt mäffen vielmeht die Philoſophie und philoſophiſche Ethik eigentlich eine chriſtliche ſeyn; aber ein relativer Gegenſad von deider⸗

theologiſche Ethie. 233

kei Eihif trete em in den Maße, ald die Menſchheit, welche philsfophist, noch nicht ſchlechthin vom Chriſten⸗ hume durchdrungen iſt; danm ſey aber die chriſtliche Ethik and Theologie auch noch nicht vollkommen wifftuſchaft⸗ lid. Bären beide vollendet, fo würbden--fie materiell eim. ander decken und bei Einheit ver Muterien in beren Ordmang umterfchisden bleiben” Bei S:chbeiernes her iſt dieſer Gas fehr einlenchtend, weill.die chriſttiche Ethik ihtr eine euwpirifche ıft, empiriſche une ſpernlative Behanslung aber vei ganz deuſelden Mäaterion motho diſch serfchieben bleibt. Weniger einleuschten® wird dieſer Satz⸗ wenn auch die chriſtliche Ethik die ſpetulative Wet lab, Methode Haben fol. Dem Netonſenten ſcheint bie Buyn fhiedenheit von beiderlei Ethik ganz etfuch darauf zu suben, daß Das Ghriftenitum : immer nod urd wohl im mabfehbarer Zukunft hinaus nach feiner hifkorifchen Por Atioieät hin ale eine eigenthimliche und befondere Weis Reörigtung danr allgemeinen Bewußtfeyn gegenüber ge⸗ elle wird; vesfchwinden Tönnse ber Begenfag nur dan) wenn Bas cheiſtliche umd die begriffemaäßige Volendung des menſchlichen Bewußtfeyns überhaupt znfainmmnrfieler, Se lange das nicht iſt and neben den Dewaißfihrungen, weile im Ehrikenthume die abfolute Weligion des menſch⸗ lichen Geiſtes felbft aufzeigen, immer auch das Antereffe da if, dad Ehriſtenthum als eine befondere Geiſtesrich⸗ tung feRzuhalten: fo lange wird bie gunge Weltdnfiche als chriſtliche und außerchriſtliche ſtch geltend madiem, ſomit auch die Ethik. Aber wahrhaft und rein ſpeeulatto würde die cheiſtliche Ethik eben: erſt, wenn ſie als bie des vollendeten rain menſchlichen Bewußtieyns ſelbſt TI begriffen hätte; vorher wird ſie, wie alles Poſitive, dem empirifchen Sharufter nicht: ablehen Iönnen. In diefem Stadium ſteht die Theologie neben der Phitofophie, aber beide ſuchen is mit einander zu vermitteln, bie Theolor gie in der Apelogetik, die Philoſophie in der Religions⸗

73% Naothe

philofophie; denn Apologetit iſt eine theolsgifche Dieci⸗ ptin nnd fol die Printipien der Theologie für Die Phi⸗ loſophie zu erhaͤrten ſuchen; dieſe aber hat in der Res ligiensphilofopbie von ihrem Baden and dad Chriſten⸗ thum zu begreifen.

- Dis thesiogifihe Ethik im Sinne bed. Berf. erfcheint daher dem Necenfetten nicht vollkommen gerechtfertigt. Man könnte mit gleichem Rechte fonft gar vielerlei Ethi⸗ fon ‚neben einander anbauen, eine vom menſchlichen "Be: wußtfenn überhaupt aus, fpeculativ oder tmpirifch, eirt won religiös beſtimmten Gelbfibemußtieygn überhaupt andı, femit fpecnlativ, eine. von den geſchichtlich gegebe⸗ nen religiöfen Gemeisfchaften durch Fritiiche Bergleihum aus, fomit empiriich; dann erſt eine vom :chwilid be. ſtimmten Gotteübemußtfegn aus, .wieber ſperulirend, d.h. analiysifch, oder ewpiriſch, d. h. ſynthetiſch; endlich von proteſtantiſch beſtimmten chriſtlichen Bewußtfeyn aus eben fo; und wohin wärbe das führen, wenn doch gar nicht aut Die: Ethik, fondern auch andere MWiſſenſchaften im biele Bielgefkaltigkeit. einträten ?. Thegisgifche Ethek des Auf lich enangelifchen Typus im fpeculativen Shaualter führt! zur Vermengung des reinen religiöfen Selbſtbewußl⸗ ſepns mit. dem poſitinchriſtlich deſtimmten, zur Ver⸗ miſchung der reinen und der poſitiven Theologie. So wunig bie Rechtslehre einer gegebenen Volkogemeinſchafl— obwohl dieſes individualiſirte, nationale Recht dem Is divihnuam nicht: blos äußerlich gegenüber ſteht, fenbern auch. als. eine Beſtimmtheit in fein Rechtsbewußtſeyn felbit eingegangen if, Darum eine fpeculative, Redhtölchse biefen Nation werden Tanz fo wenig. können wir Die hriftliche, proteftantifche Ethik ald eine ſpeculative gelten loffen. Eine doppelte Behandiungsweife, kann zwar im wer vorlommen, man kann mehr won dem äußerlich Ge⸗ gebenen zufammenfellend und ſichtend amsgehen, obt man kann vom innern Weſen diefer inbinituelen Poſiti⸗

theologäfige Ethik 735

vitäs auögehen und Bad einzelne Gegebene aus ihr ablei⸗ ten und begreifen; aber dieſer Unterſchied ließe ſich eine facher durch die Bezeichnung einer Sittenbefchreibung und einer Süteniehre,. einer fonthetifchen oder analyti⸗ fheu Methode veranfchauliden. Cine wahrhaft ſpecnla⸗ tive theologifch chriſtlich proteftantifche Ethik läßt ſich nicht halten. GE wird ſich zeigen, daß die bed Verf. eben doch nichts Anderes werden founte, als eine chriſtliche Sittenlehre in derjenigen Methode, welche den gegebenen rifiidh,. proteſtantiſchen Typus von innen heraus dar⸗ legt, nicht son außen herein. Darum find wir mit bies for Ethik einverſtandey, nur nennen wir fie nicht eine foeculatine oder Damm. wit eine —— Reine Pros teftantifche. .

Mit diefem Urtheil iR von selb das Meise ge⸗ geben über die F. A. folgende gegenfeitige Abgrenzung ver sheologifhen Ethik umd der Dogmatit. _ „Beide laufen einander durchaus nicht parallel, ſondern jene gehöre dex ‚jpetnlattwen:- Theeiogie an, dieſe der bis Rosifchen; nicht ber Gegenſtand beider fey verfchieden, fondern .die wiflenfchaftliche Behanbinug; Dogmatik fey die hikorifche Miſſenſchaft von den gegebenen Dogmen; die theologifche Ethik aber habe es nicht mit Den Dogmen zu thun, fie müſſe vielmehr rein ſpeculativ verfahren.’ Hier trist die originelle Anficht dee Verf. vollends her⸗ vor, ir werden einräumen mäflen, daß. Dogmatib und Moral biäher ſelten genügend und begriffämäßig uns terſchieden werden find, fo wenig als die .ensiprechenden beiden Gebiete iu der Philoſophie. „Muh Schleier macher habe. diefes nicht geleiftet, wenn er fage, bie Degmasif frage: was map feyn, bie Moral: was muß werden, weil 2er religiöſe Bemüchägufktand ba if Aber die. Dogmatit umfaſſe Bieles. der leiter Art, z. B. im Abſchnine von ber Heiligung, weiche, im Detail aus⸗ geführt, immer Tupend rund Pflichtenichre werde. Grs

T36 .. "Rebbe

bennen ud Hanbeln fönne bie beiten Wiſſenſchaften nicht unterfcheiden, Senn dad Erkennen ſey ſelbſt ein Handeln, Theoretiſches und Praktiſches ſey freilich ein ÜBegenfah, aber Ethik und Dogmatik vertheilen ſich wicht nach Diefem Ber genfaße.” Die hergebrachte Anficht wire alſo vom Berf.ge rade umgekehrt; Dogmatik fell wie bei Schleiermadyer eine hiſtoriſche Wilfenkhaft feyn, und num foll Der zweite Schritt folgen, daß hingegen bie Moral ats fpeexiatise Wittenfchaft. gefaßt werde. Eihit als fpeculativ kernen wir zwar ven Spino za her und.bei Schleiermaden aber nur die phileſophiſche und durgaus wicht in ber Meinung, daß ber nicht ethifche «ber Dogmatik autfpres chende) Thell der Philoſophie darum 'empixifch geſchicht⸗ lich ſeyn fol. Wohl zum erſtenmale treffen wir hier anf die Anſtcht, dag die Dogmatik eine hifivrifche, die Erhit aber eine fpermiatio theologiſche Miſſenſchaft fey über einerlei Gegenſtand, mag er auch‘ nur für bie empi riſche Wiſſenſchaft in deu Form von Dogmen gegeben feyn. Eine tief liegende Nothwendigkrit, in der Theelo⸗ gie Dogmatif und Moral zu trennen, gibt ed betammtlih wicht; hat man aber beide doc auch. unterfchleben, fr wird ſich ein anderes Trenmungemistel kaum finden laf- eu, ald das alte, von Schleiermacher nur genamt fosmulirte. Der dognatiſche Abfchuitt von der Heiligung trägt in feinen. Begriffe die Schuld au der Einmengung von Eiifchem nicht, dena Heiligung ift ald fortſchreitende Wiedergeburt gun; und gar noch zur von Gott gewir: ben Antigung des Heilslebens ‘gehörte, iſt fich weiter ver⸗ wisflichenbe Belehrung. Faßt mun bie Heiligung als bie aus Danfbavfeis hervorgehende Antwort des Bekehe⸗ sen, als die von ihm nun ausgehende That, fo verwen⸗ beit man vermöge eines fehr verbreiteten Mißverſtänd⸗ nified den dogmatiſchen Gocus in einem ethifchen. Dieſe Berwechfelung. if. aber eiufach zu corrigiren; dam bleibt e6 dabei, von Ariklichen Gemüthe puſtund aus zu zeigen, wie er von Gottes Gnade gewirkt worben fey, iſt Dog⸗

theologiſthe Ethik. 737

matil; zu zeigen aber, wie er nun, ab noch fo ſehr Durch Kraft der Gnade, das Leben beftimmt und wirkſam iſt, bad bat bie Moral zu zeigen. Deide haben Einer Ge⸗ genftand, aber jede nach einer andern Geite.

Es zeigt ſich auch hier wieder, wie der Berf. zu einer völligen Zwiefachheit aller Wiſſenſchaften fortgetrie⸗ ben muubeg fo wie er eine befoudere theologiſch ſpe⸗ entatine Ethik fordert neben: der philofophifch ſpeeulati⸗ ven nnd: nebe ber emmmirifchen, weiche wirderum bie algeniein menfehliche oder die poſitiv chriſtliche ſeyn am: ſo maß er nun, da her Ethik die Phpfik coordinirk iſt, auch eine theologifch chriſtlich ſpeeulative Naturwiſ⸗ ſenſchaft, Kosmologie, Anthropologie fordern neben der phsfo mifchen; dann ader warum wicht auch ebenſo eine doppelte Mechtswiſſeaſchaft, Heilkunde, Botanik: u. ſ. w. Wir geben es zu, daß, fo lange die Wiſſenſchaft nicht die eines froumen Bewußtſeyns, das fromme Bewußt⸗ ſeyn aber nicht rede wiſſenſchaftlich iſt, von beiden Stand⸗ punkten aus, ein verſchiedener Gharakter ſich jeder wiſ⸗ ſenſchaftlichen Operation mehr. oder weniger aufdrücken wird; aber darf man, darum, als ob jede dieſer Gimfein tigketten berechtigt wäre, geradezu ein Doppeig ebände der Miſſenſchaft fordern 9 Es ſcheint vielmehr, daß Jeder/ weicher das eine oder andere Verfahren ald en ein ſeitiges -Buschfchaut, verpflichten if, beim Bufbaue ber Wiſſenſchaft diefen einfeitigen Eharafter zu durchbrechen. Nicht. aid ob Die fcholakifehe Bermifchung von Philoſo⸗ phie und Theologie Das Berechtigte wäre, aber doch wird die förmliche Trennung wur für Diejenigen Gebiete ein⸗ treten, in denen fie unabweisbar ſich geltend macht.

Dear Berf. beſtimmt 5. 5 das Derhbältnig der evangelifhtheolegifhen @thbilzur Schrift, „Gte ſey nicht har Weideres identiſch mit der praftiichew kehre der h. Schrift; dem eine biblifche Sittenlehte gebe es ſo wenig aid eine bibkifche Dogmatik; wohl aber gebe

N

738 Rothe,

es eine bidlifche Religionslehre mit praktiſchen Ermah⸗ nungen, und die Bibel normire auch Die Ethik umbebingt, and zwar Die ganze Bibel, auch das A. T., wegen bes gefchichtlichen Verhältniſſes der Vorökonomien zum Chri- ſtenthume. Aber die bibtifche Bewährung Ber ethiſchen Sätze gehöre nit im bie Ethik felbft mittel einzelner Eitate; theils ließe fich ein.fohkhes Berfahren doch nicht vonftianig durchführen thelld: würde es ben fpeculatiom Charabter⸗ der Ethik ſtören. Die VBewährung ſolle alle ſeym eine Zufammenhaltung der Ethik abs eines Ganzen mit der bibliſchen Religloöndolehre, welche ein Theil der hiſtoriſchen and zwar der exegetiſchen Aeelogie iſt, gleich⸗ falls als eines Sangın.”’ -

.&6 fohr wir ed loben. daß ver. Nerfoſſer bie ältere:, mechaniſch⸗atumiſtiſche Bewährung bes kirch⸗ Kıhen dehrſätze an herausgenommenen Stellen der Bibel entichieben verläßt und mit Schletermacher eine geiſtigere Bewährung des Lehrgeblrudes am Geiſte nad den weſentlichhen Tendenzen des in: der Bibel’ ausgeſpro⸗ denen Ehriſtenthums, vorzieht; fo. gerne wir ferner bei⸗ ſtimmen, daß. in die Ethik ſelbſt dieſer ganze Bewährungd proceß weniger eintreten folle, als in die Dogmatik, fo hatte doch Diefe letztere Forberung bei Schleierma: or seinen :einleuchtenden Brund.für ſich, welcher hin gegen: für nufern Berf. nicht vorhanden ik. Schleier⸗ mwacher, welchen die Dogmatik Grundlage if, aus welcher, die Sittenlehre reſultirt, kann fagen: wenn ic die bogmmtifchen Hauptfäge.biblifch bewährt habe, aus ihnen aber bie ethiſchen übe von ſeibſt hervorgehen, fo ift eine aparte Bewährung biefer ılepteren nicht mehr nöthig, wenigſtens viel gleihgältiger. Bei nuferemBerf. aber follte man bas Umgekehrte erwarten; wenn Die the: logische Ethik eigentlidy der Grund legende, begrändend: hell den Theologie if, weichen. zwar ans dem nun ein⸗ mal ewangelifchschrifllichen Selbſtbewußtſeyn herauns feine

theologifche Ethik. 739

Säge ſpeculativ ableitet, fo muß es höchſt wichtig ſeyn, diefe Güte dann ale wirklich mit der Bibel zuſammen⸗ treffend aufzuzeigen, Diefe Bewährung, ungefähr in ber Weife wie in Schleieemacher’d Glaubenslehre, könnte den ſpecnlativen Charakter der Ethik nicht ſtören; denn der⸗ jeuige wahrhaft ſpeenlative Charakter, welcher allerbings durch ſtete Bezugnahme auf die Bibel geflört würde, if nicht wirklich vorhanden; der wirklich vorhandene aber, Deduction aus dem chriftlichsenangelifchen Selbſtbewußt⸗ ſeyn, wärde hei einiger Borficht durch dieſe Bewährungs⸗ operation nicht geftört. -

Faſſen wir zufammen, was über dieſes erſte Haupt, Räd der Einleitung bemerkt wurde, fo vereinigt ſich Als les in dem Bedenken, ob der Berf, denn wirklich eine eigentlich fpeculative Ethik erreichen könne, wenn er doch dad evangeliſch⸗ chriſtlich beſtimmte religiöfe Selbſtbe⸗ wußtſeyn zum Ausgangspunkte haben muß; ob es nicht angemeflener ‚wäre, nur dasjenige Speculation zu nen⸗ nen, was vom reinen Selbſtbewußtſeyn oder vom reinen Gottesbewußtſeyn ausgeht. Begeben ift diefes freilich auch, aber eben‘ zein gegeben, während ber chriſtliche Gemüthszuſtand erworben, durch empirifche Eins wirfung in und gefegt werden muß. Auch fo aber if es verdienftlich, die chriftliche Ethik nicht aus zuſaumen⸗ gelefenen biblifch ober. kirchlich vorgefundenen Gägen zu conftruiren, fondern, ähnlich wie Schleiermader, aus dem jeßigen chriftlicken Selbſtbewußtſeyn zu bebuciren. Wir werden fehen, daB der Verf. doch eigentlich dieſes ketztere geleiftet hat.

Das zweite Hauptflüd der Einleitung gibt die Grund» legung der theologifchen Ethik, ein bedeutender Abſchnitt, der für fich allein ſchon das Buch zu einem werthuollen Buche macht.

Ganz parallel mit Schleiermacher in ber philo⸗ fophifchen Ethik ſucht der Verf. den Begriff des Sitflis

740 Kothe

chen zu gewinnen, und pwar durch tcheologiſche Specr⸗ lation. „Dieſer Begriff ſey m früheren Theilen der ſpeeulativen Theologie zu ſuchen; da diefe aber niegende allgemein anerkannte Refultate aufzumelfen Babe, fo Fünne man wicht bloß einen Lehrfau ans ihmen herüber⸗ nehmen, man fey genöthigt, die vorher gehenden Theile der fyecnlativen Theologie fo weit zu verzeichnen, bi der Begriff des Sitrlichen herausſpringe. Söwmäffe alfo zuerfi die Theologie im engeren Sinne, dank die Ko mologie Burchgegangen werden, bie dahin, wo diefe, die zuerft Phyſik fey, in die Ethik umfchlage.” Hier zeigt es fih nun, welche Menge von befonberen kheologiſch⸗ ſpeculativen Wiffenfchaften der Berfafler fordert neben den phitofophifchen , eine befondere Gotteslehre oder Theolo⸗ gie, eine befondere theologifhe Kosmologie, Phyſik, An thropologie; aber fo vollkommen er hiermit Schleier macher parallel argumentirt, hat er Loch eine viel miplichere Stellung gewählt; denn die von Schleierma⸗ cher zur Ableitung der philofophifcken Ethik vorhn durchgefehenen anderen Wiflenfchaften, die foecnlatie VNaturwiſſenſchaft und die Dialektik (Metaphyſit und Le gik in Einem), Haben doch eriftirt, mögen fie auch fehr wenig allgemein anerkannt und in allen Schulen gleid beſtinute Güte aufweiſen; hingegen dieſe theologifd chriſtlich⸗ evangeliſche fpeculative Theologie, KRosmeolegie und Anthropologie eriflirt noch gar nicht und der Berl. muß fie erſt aufftellen. Das thut er nun guf eine hödk intereffante Weife und entmwidelt religionsphiloſophiſche Säge, die nur den Wunfch übrig laffen, es möchte ber Bert, aus diefem Material eine förmliche Dis ciplin and führen und dieſelbe ohne Abertriebene Beſcheid enheit ge radezu als ein Gebande der Religionsphiloſophie dar geben; denn was er ſo intereſſant entwickelt, iſt ohne Zweifel nicht dloß das proteſtautiſche fromme Bewußtſeyn,

theologiähe Eihil. 0721

fondern bad reine Bewußtfeyn, zu weldkem das Gottes⸗ bewußtſeyn ſchon gehört. „Der ſchlechthin feſte Punkt,” heißt es 8. 7., „von welchem bie fpecuintine Theologie ausgeht, ift laut $.2. dad fromme Bewußtſeyn, für uns Theologen nicht erſt zu beweifen, vielmehr alled Theologiſche erſt begründen, nur daß wir ed Keinem, welcher außerhalb der Cheole⸗ gie feinen Standpunkt nimmt, aufbrängen.’ Gel das heißen, Die fubjectin empfundene Wahrheit genügt dem Theologen fo volllommen, daß er auf den Nachweis all gemein gältiger objectiver Wahrheit dieſes Sottesbewußts ſeyns verzichtet, fo bebanert der Recenſent ungemett, Daß ein Theologe, welcher fo wenig nöthig hätte, in ber Phi⸗ lofophie nur Dilettane feyn zu wollen, fo leicht die Er⸗ weißbarfeit des Ausgangspunktes dahingeſtellt ſeyn läßt. Aufdrangen wollen wir freilich die Anerkennung des Got⸗ tesbewußtſeyns Niemand; Jedermann aber und gerade den feine Berechtigung angreifenden Philofophen follten wir diefe beweiſen. Schleiermacher hat zwar in ſei⸗ ner Zeit gute Brände gehabt, die Dogmatik (nid aber die ganze Theslogie) als eine fhon um der geger benen frommen Gemeinſchaft willen zu eriftiren berech⸗ tiste Disciplin aufzuzeigen und in feiner ironifchen Weiſe und gu geben, wie ficher er fich auf Dogmatifhem Ber den fühle, obgleich er in demfelben ohne philoſophiſch⸗ objestiye Beweisfährung fich bebelfen müſſe; ja er naunte ſich nit ungerne auf dogmatifchem Boden Einen, ber von der Philoſophie nichts verſtehe und ihre Einmifchuug hier ſich verbitten mäfle. Uber andere Theologen, weide ſich an ihn anfchliegen, haben diefe Ironie nur gar zu buhräblih genommen und gewiffermaßen ein Verdienſt darin .gefucht, von der Philofophie ferne zu bleiben, um ja nichts in ihr zu verfichen. So war esbei Schleier, macher deun Doch nicht gemeint, und wenn er auch ſich große Mühe gegeben, nach dem Zeitalter eines alled Mög⸗

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Mr Rote ° =

ice in die chriſtilche Lchre zuſammenwerfenden Rationa- liömud, vorerft dad chriftlide Gemuth anf feinen reis chen Inhalt ſelbſt zurädzufüheen und das fubjectine Vertrauen auf feine eigne Frommigkeit und deren Bor- ausfegung zu beleben, fo hat er bach in den bie Dog⸗ matik einleitenden Lehrfägen aus der Apologetik, Eihif und Neligtonsphilofophie die Aufgabe anerkanut, daß die Principien und Grundvorausſetzungen des chriftiich Krommfeynd doch vor dem allgemeinen und philoſophi⸗ fhen Bewußtfenn gerechtfertigt werben müſſen und füns nen. Es ift fehr zu bedauern, daß er felbft feine eigent- Ihe Religionsphilofophte oder, da er biefe als eine fritifche Religionskande zu faſſen fchien, keine Apologe⸗ tik ausgearbeitet hat. Dieſe Aufgabe nicht zu löfen, kann doch unmöglich ein theologiſches Verdienſt ſeyn. Viele ſcheinen es aber zu glauben und die bloß ſubjec⸗ tive Begründung der chriſtlichen Wahrheit für ein blei⸗ dended Palladium zu halten. So ift ed denn dahin ge kommen, daß die Theologie fich immer mehr won aller fonftigen Wiffenfchaft trennt, und fo lange dieß bauert, die Philofophen verächtlich auf jene herabfehen, Berdie nen wir ed nicht, wenn wir unfere Wahrheit bloß fo begränden, wie der Mahamedauer die feinige etwa und behanpten faun? Im Zufammenhange wit dieſem von Schleiermader, der gerne ſtark auf die leichtere Seite ded Schiffes herübertrat, veranlaßten Mißver⸗ fändniffe flieht das Beftreben, im Chrikentkume immer nur die „eigenthämliche Beitimmtheit des frommen Seldſt⸗ bewußtſeyns, die befondere und für draußen Stehende nicht weiter zu begrünbende Beiftesrichtung” geltend zu machen, ale ob man einfach zu fagen hätte: wir bier find nun einmal individuell fo geftimmt, ihr Anderen Iris der nicht; Darum bleibt nichts übrig, als die Hoffunng, daß auch ihre noch im diefe unfere individuelle Stimmung eingehen werdet! Wenn bie Theologen, was für Laien

theologifche Ethik. 743

angehen mag, bloß diefe Stellung einnehmen, provoci⸗ ren fie es nicht, daß unterdeſſen die philofopbifchen Köpfe, welche ſich mit der chriftlichen Religion befchäftigen, ent» weder biefelbe ald ein bloß untergeordneted Phänomen in der Entwidelung des Geiſtes aufehen, oder bie Idee der abfoluten Religion fchlechtbin ftatt des gegebenen Ehriſtenthums aufzuftelen ſuchen? So fiellt man das Chriſtenthum ald bloße Erfcheinung und das Ghriften- thum als bie von der Kirche ganz verfchiebene relis giöfe Idee einander entgegen, Gerade ald einen bes deutenden Verſuch, diefem fchlechten Stande der Dinge ein Ende zu machen, begrüßen wir bie fo fcharf- als tieffinnigen religionsphilofophifchen Eutwidelungen bie fer theologifhen Ethik. Rothe darf es wagen, in ber Erfcheinung des Chriſtenthums empiriſch aufgefaßt bie fpecnlatio deducirte Idee der vollendeten Religion felbft aufzuzeigen, d.h. das Weſeun der chriftlichen Religion ale objectiv wahr darzuthun und die ſchwächlich ſuhjective Begründung zu Überfchreiten. Seine Leiftung wird hofs fentlih den theologifchen Muth beleben, zumal feine ganze Religionsphilofophie für unfere Zeit naturgemäß fowohl Schleiermadher, ald Hegel durchgearbeitet und beide zu benugen geftrebt hat. Diefes hohe Intereſſe, welches der Abfchnitt in Anfpruch nimmt, macht ed dem Neferenten zur Pflicht, bier den Gang ber rothe’fchen Speculation moͤglichſt vollftändig darzulegen, um badurch das Studium des Buches ſelbſt zu veranlaflen.

Der Anfang ift zwar nicht fo gehalten, wie wir ihn wänfchten. „Das fromme Bewußtfeyn,” heißt es ($.7.), „it Gottesbewußtſeyn, fo daß fein ſchlechthin primitives Object Gott ift, in welchem implicite erft alle übrigen Objecte legen. Deßhalb erkennt es alle Objecte mittelft der Erkenntniß Gottes.“ Dieß ift offenbar ein zu raſches Fortſchreiten. Das fromme Bewußtſeyn (Gottesbewußt⸗ ſeyn) ſoll ja Selbſtbewußtſeyn ſeyn; ohne ze wird

Theol. Stud. Jahrg. 1847,

744 Rothe

ed als erkennendes, ein Object auffaffendes , ſomit obiec⸗ tives anfgeführt. Weiterhin geht es eben fe raſch vor wärts.

„Es verhält ſich cbenfo mit dem frommen Bewußi⸗ feyn des evangeliſchen Theologen. Da fey bie Erkenm⸗ niß Gottes nicht mehr bloß gefühlsartige Ahnung Get: sed, fondern zugleich verſtandesmäßiger Gedanke Gottes. Das fromme Subject befinde fich hier ſchon im Beide ded Gedankens Gotted, wie ed immer dazu gefommen feyn mag; nur fey diefer Gedanke noch nicht wirklich in gedantenmäßiger Korm gegeben, fondern in ber Zorn bloßer Borfiellung.” Wir fehgn, der Verf. geht den ph nemenologifchen ‘Weg in der Weife Hegel’. Schlei⸗ ermacher würde diefed Ausgehen vom noch verwerten gegebenen Bewußtfeyn am wenigfien Speculation, ehen Kritik nennen. Wir meinen, auch für unferen Berf. liegt nichts vor, das ihn nöthigt, dieſe Gottes vorſtellung ge zade dem chriſtlich⸗ oder gar dem enaugelifch » frommen Bewußtſeyn fpeciell abzunehmen. Er künnte fie eben fe gut ald allgemeines frommes Bewußtſeyn geltend machen. „Die Unangemeffenheit der Korm wolle aufgehoben, dit Berftellung von Gott. Begriff Botted werden durd Dialeftifche Reinigung des Gottesgedankens, wie er iM religiöfen Bewußtſeyn des Theologiſirenden unmittelbat vorkommt. In der unmittelbaren Vorſtellung ſey der Gedanke Gottes als der des Unbedingten, des Abſoluten, und mit einer Vielheit beſonderer poſitiver Beſtimmtheiten behaftet. Beides neben einander widerſpreche ſich; ſie ſollen ſtatt neben vielmehr in einander gedacht werden, alle als abſolute; dann befchränfen ſie an ſich die Adſe⸗ lutheit nicht. Im Begriffe Gottes muß die Abfelut heit und die Vielheit der beſonderen Beſtimmtheiten wit: gefeßt ſeyn.“

$.8, „Unverrüdbare Grundbeſtimmtheit ſey die Ab⸗ folutheit, in diefer liege die Afeität fchon, das Be dingtſeyn ſchlechthin durch fich feld, Auch die Ewig:

theologiſche Ethik. 745

keit ſey nichts Anderes, als die Abfolutheit, namentlich wie fie Afſeität it; auch Die Einheit, da eine Mehrheit von Abfolutem nicht denkbar iſt. Alle befondern Beſtimmt⸗ heiten, die der Abſolutheit wiberfprechen, müffen, fo wie fie unmittelbar norliegen, audzuftoßen und auf ihr reined Subſtrat zurückzuführen feyn.”

„Go gelangen wir zum Gedanken Gottes ald dem abfoluten, reinen Seyn, d. h. dem Abfeluten unter ber Form des reinen, d. h. ſchlecht hin beRimmumnge» loſen Seynsz weiter läßt ſich das Negiren nicht fort⸗ ſetzen. Gott iſt ſeyend, nicht etwa daſeyend, oder etwas ſeyend, er iſt weſendes Seyn, bad ab⸗ ſolute Weſen, das göttliche Weſen, abſolute Sub⸗ ſtanz ohne alle beſondere Beſtimmtheiten. Auf poſitive Weiſe kann es nicht gedacht werden, obgleich ed bad Poſitive im eminenten Sinne iſt; denn Denken ein Unterſcheiden. Gott als das häöchſte Wefen iſt der ſchlechthin verborgene Gott für und und flr ˖ſich ſelbſt; aber diefer Begriff Gottes iſt ein nethwendiger, fomit ein wahrer.”

6. 9. „Ein wahrer, aber noch nicht Ber wahre Bes griff Botted. Der Bedankte des abfolusen, reinen Seyns it der des abfoluten Seyns als abfoluter Negativisät. Es it das abfolute Nichts, nicht abfolute Auf, fondern abſolutes Nicht et was, abfolute Fülle des Seyns als nicht etwas, Beftimmted, Beſonderes. Es if ſchlecht⸗ hin, aber es iſt nur, es iſt nicht irgend etwas. Der Begriff Gottes faßt ſich alſo urſpruͤnglich in der Formel, daß Gott ſey das abſolute Seyn unter der Form des Nichtetwas. Darin liegt 1) das Nichtetwas ſeyn, 2) aber an dem abſoluten Seyn geſetzt, nicht an dem Nichtſeyn. Es wird am Seyn das Etwasſeyn negirt, das Nicht⸗ ſeyn des Etwas, welches das abſolute Seyn iſt, nicht ein Defeet des Seyns, ſondern abſolute Fülle des Seyns. Darm muß auch das Etwasſeyn in ihm ſchlechthin

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mit enthalten ſeyn, aber auf rein negative Weiſe, ald nicht geſetztes, nicht dafeyendes, nur in ihm enthalten; es ift in ihm, aber nicht ba, nicht wirklich, d. h. nur als mögliches, aber ale ſchlecht hin mögliches, po- tentia, ald Macht, die reale Möglichkeit des abſoluten Eiwas, die abfolute Potenz, Macht, rein al folche gedacht.”

„Diefe abfolute Macht, rein als ruhende, if ein Bis Derfpruch, über den das Denen binaus mug. Die Macht Tann nur wirkſam gedacht werden als Kraft. So kann ber Begriff von Bott ald dem göttlichen We fen, d. h. ale dem abſolut reinen Seyn, nur ale ein fih ſelbſt negirender gefegt werben, der über ſich hinausgeht; abfolute Potenz muß als fich abſolut actualifirende Macht gedacht werben.”

6. 10. „Gott iR zu denken ald das göttliche Wefen ober abfolut reine Seyn, welches fi feld zum Wer: den befiimmt. Da aber diefed Werden das abfolute, mithin fein Refultat, das Seyn, mit ihm felbft geſeht ik, fo it Bott ald Werden unmittelbar zugleid das Seyn, abfolute Einheit des Seyns und Werben, d. h. Leben, das abfolute Leben; er ift ber abfolute Proceh, ber Proceß feines ſich ſelbſt Actnaliſirens, Lebens proceß.“

F. 11. „JIndem Gott, ſich ſelbſt actnaliſirend, die Form ſeines Seyns als göttlihed Weſen überſchreitet, tritt er aus dieſer heraus, nicht in dem Sinne, daß er fie abthäte und aufhöbe; er hält fie deunoch feſt. Das Sichaufſchließen des abfoluten Weſens ift nicht ein Sic: aufheben; indem er fchlechthin actuell ift, hat er die Pr tenzialität in fich ſelbſt als durch fich felbft gefegte cansı sui, Er if der immanente Lebensproceß.”

$. 12, „Bott ale das abfolute reine Seyn und alö ſolches die reine abfolute Potenzialität actualifirt ſich heißt: er ſetzt das potentia ruhend in ihm ſeyende adfo

theologifche Ethik. 747

Iute Etwas actu oder als wirklich, Er hebt feine numit- telbare abfolnte Identität mit fich felbft, feine abfolnte Einfachheit nnd Innerlichkeit auf, unterfcheidet fi von ſich felbft, d. b, feinen Inhalt, das abfolute Seyn, von feiner Form, der abfelnten Reinheit, d. i. Beſtimmungs⸗ loſigkeit, dadurch, daß er das in ihm beſchloſſene abo» Inte Etwas fi vorftellt, ſich bewußt macht, ed, und damit ſich ſelbſt, denkt. Er beftimmt fein Seyn zu ber neuen Beftimmtheit einerfeitd als Gedachtes, anderer, ſeits als Geſetztes. Das geſetzte Seyn iſt das Dafeyn, das gedachte Seyn iſt der Gedauke, Reales und Ide⸗ elles, beide bier als ſchlechthin in einander ſeyend, ba dad Gegen und das Denken abfolut find, Er febt fich ale das fchlechthin Gedanke feyende Dafeyn oder als den ſchlechthin daſeyenden Gedanken, als das ideelle Reale und reale Ideelle, als abſolute Einheit des Dafeyns und des Gedankens. Dieß ift der Begriff des Geiſtes. Gott beftimme ſich als Geift, fein actuelles Seyn ift fein Geiſt⸗ feyn.” 6.13. „Und zwar ald den abfoluten Geiſt.“

6. 14. „Inden Gott feinen abfoluten Inhalt den⸗ kend fegt und fegend denkt, unterfcheidet er fich in fich von fich ſelbſt, dirimirt die in ihm verfchloflenen Unter» fhiede, entläßt fie als Beftimmtbeiten des abfoluten Seyns ans feiner abfoluten Innerlichleit. Die immer volftändigere Entfaltung Gottes ale des abfoluten Geis ed aus fi heraus in feine befondern Beflimmtheiten if ein Entwidelungsproceh ohne alle Beſchränkung.“

6. 15. „Die fo herausgeftellten Unterfchiede find Beſtimmtheiten des Geiſtes, denn indem er fie durch feßendes Denken und dentendes Segen fchlechthin in Einem ans feiner reinen Iunerlichleit heraufführt, beftimmt er fie eben hiermit ale Geil, Es muß feyn eine fchlechthin volftändige Diremtion in die implicite in ihm liegenden Unterfchlede, nicht fo, daß fie aus einander fallen und endliche würden, fondern er vollzieht in dieſer Discretion

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wieder ihre Sontretion zur Einheit und in dieſer ſeine abſolnte Sdentifkt mie ſich febft als vermittelte, wieder hergeſtellte. Er ſelbſt iR es, den er ſetzend denkt und Ddenkend ſetzt. Indem er die Beſtimmtheiten ſeines We⸗ ſens ausbreitet, hebt er zugleich ihre Gefchiebenheit auf, Diremtion iſt zugleich Eoncrefion. So abfolut wieder in Yie Einheit zurüdgenommen, find die beſonderen Be Smmtheiten nicht bloße Beftinnmtheiten, fondern Bo mente, d. h. nicht ruhende Beſtimmtheiten, ſondern bie eined ald Proceß feyenden Seyns. Alſo Bott if ale der abfolute Geiſt die abſolut einheitliche abfolute Tote: tität des abfolnten Geiſtes.“

S. 16, „Die Form dieſes fidh in feinen Momenten vollſtaͤndig erplicirenden abfolnten Geiſtes, wozu er fid aus der Potenzialität actualifirt, iſt beſtimmt gedachtes md geſetztes Seyn, nicht ſelbſtdenkendes und ſelbſt⸗ ſetzendes; ſomit iſt es für ein anderes, es denkendes und es ſetzendes Seyn, für Gott, werkzengliches und organi⸗ ſches Seyn. Nur gebachtes und geſetztes Seyn if der Begriff Natur. Gott beſtimmt ſich in dieſem immanen: ten Proceß zur organiſchen Natur als einheitlicher To talität, d. h. zum abſolut geiſtigen Naturorganismus. Neben dem erſten Begriffe, dem göttlichen Weſen, ergibt ſich ein zweiter, dem zufolge Gott der abfolnt geiſtige Naturorganismus if, die göttlihe Natur, natura von nasci im Gegenfaße von factura, Machwerk, alfo von innen geworden, Materialität ift kein Merkmal der Ra tur an uud für ſich; das meint aber, wer eine Natur in Bott nicht zugibt.”

$. 17. „Auch hier bleibt das Gott denfende Deuter nicht fiehen, Der Immanente Lebenſproceß hat noch eine Seite. Wenn Gott fi gur abfoluten Natur beſtimmt, zur Bellimmthelt des Gedankens uud des Daſeyns oda Des Gedachten und des Gefegten in Einem, fo beftimmt er fih dadurch auch zum Denkenden und Gegen

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ben in Einem Sctzenddenken und Denfeubiehen, er fabiectisirt ſich ſelbſt, indem er ſich objectinirt, beſtimmt ih zum Subjecte”

G. 18. „Kr nimmt ja die Diremtion in die Einheit zurück, vollzieht feine GelbRreflerion in fich felbfi und befimmt fi zum ſich ſeloſt [ubjiectivirenden ob; jectiven Geiſte, zum ſich ſelbſt denkenden Gedanken, gam Ideellen und Reellen. Dieß if das Gelbfibe- wußtſeyn Gedanke als ſich ſelbſt denkender. Das. Bewußtſeyn gebt in fein Objest als in fein eignes Sub⸗ jet zuräd. Ju feiner Vollendung üt ed die Bernunft, Andererfeitd if das Geſetzte ale fich felbft ſetzendes Die Selbſtthätigkeit. In der Vollendung if dieß die Freiheit: Sich ſelbſt denkend ift er feiner ſelbſt ſich fhlehthin bewußt abfolute Vernunft, und fih ſeibſt ſetzend will er ſchlechthin fidy ſelbſt abfolute Freiheit, beide in abſoluter Einheit, d. h. fein Sich⸗ ſelbſtbewußtſeyn iſt Sichfelbfifegen und umgelchrt. So find beide die abfolute Perfönlidhfeit, abfolutes Inſichzurücknehmen des Bntfalteten. Damit ift die gätt: lihe Natur der abfolnte ——— ——— Indivi⸗ duation Gottes.”

6. 19. „Perſonlichkeit iR einerfeits ber wefenslidhe Abflug der göttlichen Natur, amndererfeitd eine nene, für id) feyende Form des Seyns Gottes. In der Pers föntichfeit ift Gott Aber feine Natur hinaus bei ſich ſelbſt. Dieß dad Seyn Gottes unter dem Modus der Perfüns lichkeit.“

F. 20. „Die göttliche Perfönlichleit hat die gött⸗ lihe Natur gu ihrer Caufalität. Beide haben reales Seyn, feine für fich allein ift das wahre actuelle Senn Gottes. Eoncentration zur Einheit und. zugleich vollftän- dige Entfaltung zur Mannichfaltigkeit it die ſchlechthin einheitliche Doppelform. Gottes actuelled Seyn kann nur gedacht werden als Geiftfeyu unter der Form der Natur

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and der Perfönlichleit, als beibes feyend, Alles nud Eines, jened in Form der Entfaltung, diefed ber Con⸗ centration.”

6.21. „So hat fih der Begriff eines dritten Mo dus des Seyns Gottes heransgeftellt, der des perfänlis hen Geiſtes, der abfoluten Perfönlichkeit. Bott iR zw shdgegangen in die nun vermittelte abfolate Iden— tität mit fich ſelbſt, die abfiracte Einfachheit if eoncrete Derfönlichkeit, lebendige Individuität.”

6. 22. „Das Verhaltniß der beiden Modi oder Kor men bes. actuellen Seyns oder des Geiſtſeyns Gottes, der göttlichen Natur und der göttlichen Perföntlichkeit, iR das der abfoluten Wechfelwirfung ; dieß if die con: crete Lebendigkeit Gottes, Einsſeyn von Judividni⸗ tät und NRaturorganismud.’

6. 23. „Als die abfolnte Einheit der göttlichen Re tnr und der göttlichen Perſönlichkeit iſt Gott Perſon, die abſolute Perfon, der offendare Gott. Mit dieſen Begriffe ($.24.) iſt der Begriff Gottes gefchloffen. Der ($. 25.) volle Inhalt des frommen Gotteögebanfene if wieder in den Begriff Gottes anfgenommen; die befon deren Beftimmtheiten Gottes haben ſich als folche, zu denen er fich felbft beflimmt, ausgewieſen und werden nun als folche auch gedadyt. Somit ($.26.) gibt es eine breifahe Form des Seyns Gottes: 1) bad göttlihe Wefen, 2) die göttlihe Natur, 3) die gött⸗ liche Perſönlichkeit, jede ein reales, wicht bloß modaliſtiſch. Nur indem Gott wefentlich dieſes Dreies if, ift er das abfolute Wefen, alle drei ewig, jeden Zeit: verlanf ausfchließend, ohne alle Priorität des reinen Modus. Die fey nicht der kirchliche Trinitätébegriff, aber dennoch ein wirklich teinitarifcher Gottesbegriff; nicht drei Perfouen in Gott, noch drei Subjecte.’’

6. 27. „Aus dem biöher entwidelten Gottesbegriffe ergibt fi eine Gruppe von Eigenfhaften Gottes,

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d. h. von eigenthümlichen Modalitäten feines Seyns, aber rein immanente, anf dem Verhältniſſe Gottes zu ſich ſelbſt beruhende, auf dem Berhältnifle, in welchem in Gott fein perfönliches Selbſtbewußtſeyn zu den im⸗ manenten Brundbeftimmtheiten feines Weſens fteht, d. h. zum göttlichen Wefen, zur göttlichen Ratur und zur götts lichen Selbfithätigleit. 1) Das göttlihe Wefen reflec⸗ tirt ſich im göttlichen Selbſtbewußtſeyn ale die Allge⸗ nugfamkeit, Beflimmtheit Gottes, causa sui zu feyn, Afeität als im Selbfibewußtfenn gefeßte; fofern Gott fidy weiß als fich felbit fchlechthin bedingend und von nichte Anderem bedingt, genügt er fich fchlechthin. 2) Die gött⸗ liche Natur reflectirt fih im göttlichen Selbſtbewußt⸗ feyn als die Seligkeit, Beſtimmtheit Gottes, einen abfoInten Naturorganismus zu haben, als im Selbſtbe⸗ wußtfeyn geſetzt; Gott weiß ſich als fchlehthin Seele ſeyend, d. h. als ſchlechthin angezogen mit einem fchlecht- bin befeelten Leibe, er ift felig; Seligkeit Gottes if feine abſolnte Lebendigkeit, ald im Selbſthewußtſeyn geſetzt. 3) Die ‚göttlihe Selbſtthätigkeit reflectirt fih im göttlichen Selbſtbewußtſeyn ale die Herrlichkeit, Bes ſtimmtheit, abfolut felbfithätig und frei zu feyn, als im Gelbfibewußtfeyn geſetzt.“

Hier können wir flille fiehen und auf diefen erften Theil der religionsphilofophifchen Entwidelung zurück⸗ fehen, Die bialektifche Bewegung iſt einfach und klar; fie mit der der hegel'ſchen Phänomenologie genauer zu vergleichen, Tönnen wir hier nicht beabfichtigen.. Bon der im theologifisenden, d. h. fih über den Inhalt ber Frommigkeit befinnenden Frommen wird ausgegangen, wie fein Bewußtſeyn den Gedanken Gottes fihvors Kelle. Gedanke und Borfteflungsform find aber ein Wi⸗ derfpruch,;die Borftellung will Begriff werden. In der Borftelung iſt der Gedanke Gottes der des Abfolus ten, Unbebdingten, und doch mit einer Bielheit befonderer

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Beimmungen behaftet. Diefe beiten Setzungen wider ſprechen ſich, der Wiverfpruc muß aufgehoben werden in ben Begriff Gottes. Grundbeſtimmtheit war bie Anfolutheit Gottes und muß Baſis bleiben, indem ale ihr widerfpeechenden Beftimmtheiten aus dem unmittels baren Gottesgedanken anögeftoßen werden. Durch bie fed Berfahren kommen wir zum Gedanken von Gott als dem reinen, ſchlechthin beſtimmungslofen Seyn. Gott IR das Seyn, ohne etwas zu feyn, er ift das göttliche Weſen, das Nichte im Sinne von Nicht; Eiwas, wichts Befonderes, nichte Beſtimmtes, aber nicht als Null, fon dern als Seyn. Die dialektiſche Reinigung des vor⸗ gefundenen Gottesgedankens in ihrem erften Stabium dehrt alfo Gott ald das göttlihe Wefen, ald dad Seyn ſchlechthin erfennen. Hier kann man nicht chen bleiben, denn im Gedanken des abfolusen Seyns als des Nichtetwasſeyns liegt das Allerpoſitivſte in der ne gatioken Form. Man muß alfo die pofitive Form bafür fuchen unb befimmt ed als die Fülle alles Seyns, ſo daß au dad Etwasſeyn, Objectfeyn, in ihm ſchlechthin enthalten feyn muß, aber auf rein negative Weife, als ein nicht dafependes, ale ein nur mögliches, als Potenz und Macht. Gott ift das abfolute, reine Seyn beißt alfo, poſitiv ausgedrückt, er iſt die abfolute Macht rein als ſolche. Hier haben wir den innern Widerſpruch; :abfolnte Macht rein als folche, d. h. unwirkſam, iR ein nicht fefzuhaltender Begriff; fomit wird die Madıt ale Kraft befiimmt, der abfiracte Gedanke von Gott als dem göttlichen Wefen Creinen Seyn) geht über Mich ſelbſt hinaus in den der ſich abfolut actualifiremben Macht. Das reine, abfolnte Seyn beſtimmt fich alie zum Werden als abfolutem. Einheit ded Seyns und Werdens ift das Leben, Gott der abſolute Erben proceß, aber ald immanenter. Im dieſem Lebensprocefe actualifirt fi Gott, fett das potentia in ihm enthaltene

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abfolnte Etwas actu, ſtellt es fich vor, denkt ed und da» mit fich ſelbſt. Er befiimmt dadurch fein Seyn als Ges dachtes und Geſetztes, als Gedanke und Dafeyn ſchecht⸗ bin in einander. Er ſetzt ſich als dad Gedanke feyende Dafeyn oder dafeyenden Gedanken, kurz ald Geift, ale den abfoluten eilt. Indem Bott fich actualifirt, ſtellt er die Bekimmtheiten des Geiſtes heraus und nimmt fie doh auch in fich zurück, bleibt bei ſich ſelbſt; er felbft iſt's, den er fegend denkt und denkend ſetzt; dieſes Ge⸗ dachte und Geſetzte iR die göttlihe Ratur, der gött⸗ lihe Raturorganiemud Go gelangen wir vom erfteu Begriffe, vom göttlihen Wefen, zum. zweiten, gur göttlichen Natur, Setzt aber Gott ſich SFeibk, fo beſtimmt er ſich ald feßender und denkender, ins dem er ſich objectivire, beflimmt er fih zum Gubs jecte, Selbfibewußtfeyn, Bernunft; er felbft thut das, ift Selbftchätigkeit und Freiheit, Perſön⸗ lihfeit. So gelangen wir zum dritten Stadinm des Suttedbegriffe : Bott ift die ap folnte Perfönlichkeit, und damit hat fich der volle Inhalt des frommen Be: wußtſeyns vermittelt wieder hergeftellt. Allerdings ift das Reſultat Fein anderes, als das von der frommen Borftellung gemeinte; diefe Dialektik hat den Werth ei: ned innern Sichfelbflläuternd des unmittelbaren Gotteös gedankens; fie zeigt, daß deffen Widerfprüche keine feft bleibenden Widerfprüche find, logiſch und dialektiſch ſich befriedigend entwickeln laffen. Die dialektiſche Läuterung unfered Gottesgedankens wirb als Eins mit der dialekti⸗ fchen Entwidelung Gottes felbft gefeht, was nur dadurch möglich wird, daß man die wefentliche Identität des menfchlichen und des göttlichen Geiftes anertennt. Die von Segel hergenommene Dialektik würde zum bloßen Spiele, wenn nicht auch das Grundprineip Hegel's mit vorhanden if. Der Berf. hat fih über fein Verhält⸗ niß zu Hegel nicht ausdrücklich erklärt, es liegt indeß $. 34 38, angedeutet vor. Möge er in einer Religions»

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pbilofophie weiter zurücd gehen und aus dem Weſen des Geiftes felbft die Rothwendigkeit der Gottesidee darthum, d. h. objectio wiffenfchaftlich erweiſen.

Wir laffen ben zweiten Theil feiner Entwidelung folgen, welcher bemüht ift, zu zeigen, wie Bott, bie ber in feinem immanenten Lebensproceffe aufgezeigt, transeunt wird und die Welt hervorgehen läßt. Es it wohl zu beachten, wie forgfältig der Berf. die ganze Gottesidee zu Stande zu bringen gefucht hat, ohne dazu der Welt zu bedürfen, fo baß Gott rein an fidh ſelbſt, nicht erfi an der Welt ſich dasjenige Object feßt, ohne welches er nicht Subject und Perföntichkeit feyu fan. Damit will fi der Berf. desjenigen Pantheismus ers wehren, ber mit dem frommen Bewnßtfeyn im Wider⸗ ſpruche fteht.

6,238. „Mit dem fich zur abfolnten Perfönlichkeit Beftimmen ſchlie ßt Bott feinen immanenten Les bensproceß ab. Er ſetzt ſich zugleich die Rothwen- digkeit einer nah außen gehenden Wirffamkeit, durch die er außer ſich etwas Neues wirkt, d. b. eine Welt fhafft. Die Schöpfung if mit dem ſich ſelbſt zur Perfönlichkeit Beſtimmen gegeben. Indem er ſich als Ich beſtimmt, denkt und feßt er fein Rihtich, ein Aus dered, weiches Richtgott if. Zwar entfieht dad Ich durchs immanente LUnterfcheiden von Subject umd Object, aber hiermit iſt zugleich der Gedanke feines Nichtich mit gegeben; jenes kann nicht feyn ohne dieſes; das Nichtich if Bedingung des fih ald Ich Setzens. Aber mit dem Geben und Denken des realen Nichtich iſt Got⸗ tes Abſolutheit aufgehoben, das Nichtich iſt Schrante Gottes. Er muß aber feine Abfolutheit wieder herſtellen, indem er das bloße Nichtich ſeyn des Nichtich anf hebt, indem er es ald wefentlich zugleich Erſelbſt denft und ſetzt, als fein Nichtich, in welchem er feld ik. So it ed von ihm unterfchieden, aber nicht fein Begenfaß,

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er ift in ihm als feinem Andern fchlechtbin bei fich ſelbſt. Er gibt dem Richtich die Beftimmtheit der Adäquatheit für ibn und der Einheit mit ibm, fo daß er au ihm immer noch fein Nichtich, ein wirlliched Richtgott bat, aber nur ein Nichtih, in welchem er ſelbſt fein Seyn bat, d. h. fein anderes Ich. Diefer Proceß, im welchem Bott, indem er feine eigne Perfönlichleit voll⸗ sieht, zugleich einerfeitd fein Nichtich, audererfeitd aber ſich ſelbſt in diefem Nichtich ſetzend denkt und denkend ſetzt, iſt der Proceß der Schöpfung, und jenes Nicht⸗ ih bie Welt. Nicht Vorausſetzung, ſondern Productt des Ich ift das Nichtich des abfoluten Geiſtes. Nicht die Perföntichheit, nur die endliche hat ihr Nichtich rein au⸗ Ber fih, die abfolute Perſönlichkeit kommt fchon durch den immanuenten Proceß heraus; wird doch auch das endlihe Ich nicht durchs Nichtich, fonft wäre das Thier ein Ich; aber das Thier kann die Welt nicht als fein Nichtich von fich uuterfcheiden, weil es fich felbft nicht ale Ich befigt.” |

6. 29, „Die Rothwendigleit fchöpferifher Wirkfams feit Gottes, einer Selbftmittheilung an Anderes, ift bie Liebe, in Bott keine bloße Eigenfhaft, fondern eine immanente, wefentliche Beftimmtheit, das die immanenter und trandennten verfnüpfende Band. Allgenugfamkeit, Seligkeit, Herrlichkeit und dennoch Liebe.”

6. 0. „Die Schöpfung ift freilich ein ſchlechthin nothwendiger Act Gottes; fo wahr Bott Bott if, muß er Schöpfer feyn ; daß er die Schöpfung auch hätte unterlaffen koͤnnen, ift die falfche Vorftelung von Will⸗ für, ine perfönliche, moralifche Nothwendigkeit, aber die Freiheit bejahend, nicht ausfchließend. Er ſchafft nothwendig, aber dieſe Nothwendigkeit if für ihn eine innere, abfolute Freiheit; in der Liebe liegt die Einheit von Nothwenbigkeit und Freiheit. Nur nehme man biefe Nothwendigkeit nicht im pantheiftifchen Sinne, d. b. als

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Mowent des Selbſtoo Lendungaͤpreceſſes Gottes, ſondern als eine notwendige Wirkſamkeit des in feinem Seyn ſchlechthin durch ſich ſelbſt vollendeten Gottes. Es gibt keinen Gott ohue die Welt, aber Bott iſt er nicht duch die Welt. Sich ſelbſt genug ik Bott, aber wefentlid infofern, als in ihm ſelbſt die Möglichkeit und Nothwen⸗ digkeit der Welt mitgeſetzt if.”

6. 31. „Der Begriff der göttlidgen Weltichöpfung iM, daB Sort fein Nichtich febt, die Welt, fo zwar, daß ex dieſes fein Auderes fi felb adäquat ſetzt. Ein Nicht ich Gottes, in melden er fein Seyn hat, if denkbar nur ald ein wer dendes, aber ein nicht abfolutes Wer⸗ den, ein Werben, das nicht abfolgt mit dem Seyn iden⸗ tiſch iſt. Die Schöpfung iR ein in der Zeit ih vol ziehender , ſucceſſiver Act Gottes.”

F. 32, „Indem Gott, die Welt als fein Nichtid ſetzend, fie ich felb adäquat ſetzt, ſetzt er fie als das, was er ſalbſt iſt. Er ift etwas nur unter den Modis feined actuellen Seyns, feines Seyns ale Geiſt, d. i. alt göttliche Natur und Perfönlichleit, Unter dem Mo dus feines rein potenziellen Seyns als das goͤttliche We fen ift er nichts; dieſem erſten Medus feines Seyns kann er alfo die Welt nicht adäquat ſetzen, foudern nur des beiden andern Modis; er feßt die Melt nur, fofern er actu iſt, Geiſt if; als göttliched Weſen aber behält er fein reines Seyn abfolut außerbaib der Welt.”

6 33. „Die Welt oder Greatur if als Nichtgott, ale das Andere des abfoluten Seyns, jedeufahe Nicht⸗ fegn, zugleidg aber ein Seyn, ſomit ein ale Seyn ge ſetztes Nichtſeyn, Sepn unter der Form ded Nichtſeyns. Das Nichtſeyn ale Beſtiumtheit am Seyn ift das Ende, Grenze, begrenztes, endliched Sepn; aber ale dieſes wil fie doc, dem abfoluten Seyn Gotted adäquat gedacht werden, bad kann fie nur ald unendliche. Die Urend⸗ lichkeit it eine eben ſo wefentliche Beſtimmtheit der Erea⸗

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tur, als bie Enblichleit, Die Kreatur ald Welt if ein unendliches eundliches Seyn, unendliche Vielheit von endlichem Seyu. Als Welt endlichen Seyns iR fie dad Andere Gottes, als eine unendliche Welt eublichen Seyns kann fie Gott adäquat ſeyn und bie Fülle feines actuel⸗ im Seyns in fi aufnehmen; fie if unter der Beſtimmt⸗ heit dee Enblichleit, was Gott unter der Beſtimmtheit der Abfolntheit. Unendlichkeit iſt nicht Abfolutheit, nur ihr Analogon innerhalb der Sphäre des Relariven.”

5. M. „Bott fegt dieſes unendliche endliche Seyn als das, was er felbft nstu ift, als Geiſt, als eudli⸗ hen Seift, wenn vollendet, dans ald unendlichen end⸗ lichen Beil. Im creatürlihden Beifte kann Gott fein Seyn haben, die Geiſter können in einander feyn un⸗ befchadet ihrer Selbfländigkeit devyaszog, ddsmekrag.”

6. 35. „Da Gott der abfolute Geiſt ik .unter ber Beſtimmtheit der göttlichen Natur und göttlichen Perſön⸗ lichleie, fo ſetzt er den enblichen Geiſt unter der Bes Rimmtheit der Natur, d. i. der einheitlichen Totalität des aus ſich ſelbſt heraus werdenden, nur gedachten und. gefeßten werkzeuglichen oder organifchen Seyns in ber voßftändigen Ausbreitung feiner Momente; audererfeitt der Perſsnlichkeit, d. i. der vollfländigen Concen⸗ tration biefer feiner ‘Momente zu einer ſelbſtdenkenden und fegenden concreten @inheit, fo daß wie in Gott jedes des andern Ganfalität ift ald Werchfelwirtung. Die Welt ($.36.) in ihrer Vollendung ift der unendliche end» liche Geift unter dem doppelten Modus des Seyns, ale Ratur und Perfönlichkeit zur Ginheit verknüpft. In dies jer Welt ($.37.) hat Bott ale göttliche Natur und Pers fönlichleit fein Seyn, als jene in der creatürlichen (geis Rigen) Natur, als diefe in der creatürlichen Perſön⸗ lichkeit, fo daß fein innerweltliches Seyn ald göttliche Kater und SPerfönlichkeit ſchlechthin Eins find. Inner⸗ halb unferer irdifchen Weltfphäre iſt dieſe ereatürliche Perſon der Menfch, ber geiftige Menfch ale Menfchheit.”

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F. 358. „Schöpfung iſt Weltwerbung Gottes, dee Gei⸗ ſtes, einerfeitö creatürliche Raturwerbung ber göttlichen Natur, anbererfeitd creatürliche Perfönlichleitwerbung der göttlichen Perfönlichleit, creatürliche Perfouwer; bung Gottes, bed Geiſtes, innerhalb der irbiichen Schoͤ⸗ pfuugsſphaͤre Menſchheitswerdung. Dieſer Proceß ($.9.) muß ein ſich vollendender, ſein Ziel vollſtaͤndig erreichen⸗ der ſeyn, zugleich ein ſchlechthin unvollendbarer, unend⸗ licher. Dieſe Antinomie führt auf organiſch⸗ einheitliche Vielheit von concentrifchen beſonderen Schöpfungsfrei- fen, die fih aus einander beraudgebären, in denen, ein jein betrachtet, der Proceß wirklich abfolnt zu Stande kommt unter einer eigenthümlichen Bebingung , fomit res lativ; ſucceſſiv unter immer vollommneren Bedingungen, aber ein Reſt von Inadäquation bleibt unendlich.”

F. 40. „Endlos ift die Schöpfung aud) anfang% los zu denfen, benn wenn Bott feinen Anfang hat and als ewig in feinem inneren Lebensproceſſe vollendet gedacht werden muß, Damit aber zugleich feine ſchöpferiſche Wirkſam⸗ keit nothwendig mit gegeben iſt, ſo muß die Schöpfung eben fo aufangslos feyn, wie Gott felbkl, jeder einzelne Puunkt des -cseatürlichen Gepnd hat zwar einen Anfang, nicht aber die Schöpfung ; der fhöpferifche Act ſetzt den Anfang bed Seyus, dieſes Segen felbft aber hat feinen Anfang.”

Mit dieſem Punkte der religionsphilofepbifcen Debuctionen hat der Verf. wieder eine Station erreicht, den Schöpfungspegriff, und wir können einen Ruͤckblick auf diefe Debuction werfen. Das alte Problem, wie aus Gott bie Welt hervorgehe, it mit großer Klar⸗ heit wenigſtens fo befriedigend als ſonſt irgendwo geloͤſt. Die dialektiſche Berisrung, Bott erſt an der Welt und durch die Welt und von ihr abhängig Bott werden zu laſſen, ift forgfältig vermieden, indem ſchon der immas nente Lebensproceß in Bott das Subject» und Perfäw

72 . —>T z u RM.

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Iichleitfegn erreicht hat. Der Berf. finbet gerabe in ber göttlichen Perfönlichkeit den Begriff, in welchem ber im⸗ manente Lebensproceß mit bem emanenten oder trands eunten ſich vermittelt. Es läßt fidy nur fragen, ob nicht die fon angewandte Art ber Dialektik confequenter fagen würde, im Begriffe der göttlichen Perfönlichkeit fey felb noch eine aufzuhebende Zweiheit enthalten, theils das bei fich felbft Seyn und die birimirten Momente wier der in fih Zufammennehmen, theild aber doch auch das Verhaͤltniß zu einem zu feßenden Nichtich. Statt beffen wählt der DBerf, eine etwas andere bialektifhe Form; die abfolute Perfönlichkeit habe das voraus, ſchon abgefehen vom Nichtich im immanenten Proceffe zu Stande zu fommen, nur die enbliche Perfönlichkeit hingegen fey in ihrem Zuftandefommen abhängig vom Nichtich. Das rum heißt es dann weiterhin, mit diefer immanent fchon vollendeten Perfönlichkeit ſey zugleich gegeben bie Noth⸗ wendigkeit einer nach außen gehenden Wirkſamkeit. Zwar entftehe das {sch durchs immanente Unterfcheiden von Subject und Object, aber das könne nicht zu Stande fommen, ohne daß in Folge davon Gott zugleich ein Nichtich von fich unterfcheide. Nicht Borausfeßung, fon» dern Product des Sch fey das Nichtich bed abfoluten Geiles. Diefe Prärogative bed abfoluten Sch wird aber doch wieder etwas limitirt durch die Andentung, daß auch das endliche Sch, genan betrachtet, nicht Product bes Nichtich ſey, fondern ſich potentialiter fchon als Sch befige, und darum dann actu fich Dem Nichtich gegenüber als Ich unterfheide. Es fragt ſich nun, ob dieſes Zur ſtandekommen der Perfönlichkeit Gottes fchlechthin nur durch den immanenten Proceß wirklich fo fireng müfle behauptet werden, oder ob der Verf. nicht eben fo viel erreichen fünnte, wenn er wenigſtens die ideale im Dens ten Gottes geſetzte Welt als Nichtich Gottes mitwirken ließe zum Vollendetwerden ber göttlichen ————— Theol, Stud. Jahrg. 1847,

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Bleibt ja doch der Unterſchied immer fliehen, daß nur das unendliche Ich fein Nichtich felbr ſetzt, alfe auch ſo fich felbft zur Perfönlichkeit beftimmen würde, Diefe Lehr form erſcheint am fo angemeflener, da die Schöpfunge: action nicht als eine zeitlich aufangenbe, fondern ale gleich ewig wie der immanente Proceß gedacht wirt. Wie der Berf, dei biefer Lehre von der mit Gott, aber von ihm immer ſchon gefeßten Welt dennoch fehr be flimmt die Abhängigkeit der Welt von Gott gewahrt hat, fo dürfte ein aualoged Berfahren die ideale Welt mit ei⸗ Moment nennen im Zuſtandekommen ber göttlichen Per: fönlichkeit, ohne daß ja darum Bott erft durch die Wei geſchichte zu ſich ſelbſt kaͤme und in feinem Bottfeye von der Welt abhängig würde, wie der fchlechte Pantheismus behauptet. Sollte diefe Bemerkung unrichtig feyn, ſe wäre wenigftend dem gerügten zugleich eine dem gan: zen Gange der befolgten Dialektik angemeſſenere Fors zu geben. Zu biefer Bemerkung gehört eine ander. Der Berf. hebt fchön hervor, wie Bott, obgleich in fi ſelbſt allgenugfam, felig und herrlich, dennoch die Welt ſchaffe, und findet das beide Seiten Verknüpfende in der Liebe. Aber ob dieſes als rein begrifflider Gedankt Stich halte, oder mehr nur ein für dad fromme Be wußtfeyn erhabener und fchöner Gedanke fey? „Sichfelt mittheilen an Anderes” fegt ja bad Andere fchon irgend wie voraus, daher denn Schleiermader in rein be grifflicher Lehre den Ausdruck Liebe nicht von Bott andı fagen wollte. Der Berf. kann das freilich, fofern Gottet ewige Greationsthätigkeit ewig Gegenftände der fie: hat, aber wo von dem Dafeyn biefer Gegenflände neh abfirahirt wird, Tann die Liebe nicht verwendet werben. Diefe Doppelbemerkung trifft freilich nicht den Bel ſpeciell, fofern feine Debuction der Schöpfung jedem anderen Verfuche, dieſes Problem zu Löfen, ſich an dit Seite fielen darf; fie gilt der Schwierigfeit des Broblemd

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ſelbſt, und will nur andeuten, wie wir bier das abfolnt Befriedigende immer nur fuhen. Sehr klar find die Erörterungen über die unverweigerliche wiflenfchaftliche Pflicht, den Begriff einer Schöpfung in einem Stadium der Zeit ale eine bloße Vorftelung anzufehen. Es folgt nun $. 41. die Darlegung einer „neuen Slaffe von göttlichen Eigenſchaften, welche mit dem Borhandenfeyn der Welt durch Gott ald gemorbener und noch im Werben begriffener gegeben find für Gott im Berhältniffe nach außen bin oder zur Welt, bie re: lativen oder transeunten. Sie ſeyen rüdfichtlid auf Gottes Seyn überhaupt effengielle, auf den Unter fchied feiner befonderen modi bezogene hypoſtatiſche. Uebrigens fey hier die Welt noch allgemein zu betrady ten, d. h. abgefehen von der fittlihen Sphäre in ihr. Die effenzieilen relativen oder trandeunten Eigen⸗ Ihaften feyen zunähft negative; Bott if durch bie Welt nicht befchränft, d. h. unendlich, und zwar un: ermeßlich, d. h. nicht durch den Raum beſtimmt, frei von aller Getheiltheit ded Seyns, und unveränders li, d. h. nicht durch die Zeit beflimmt, frei von aller Succeffion in feinem Seyn. Bon pofitiven, eſſenziel⸗ Ien, trandeunten @igenfchaften ergibt ſich hier eine einzige. Die göttliche Liebe beftimme fich zur fchon fegenden Welt ale Die göttlihde Güte, vermöge welcher er der Creatur nah Maßgabe ihrer Empfänglichkeit fich felbft mittheilt. Die bypoftatifchen, relativen Eigenfchaften find Ei⸗ genfchaften der beiden modi, der göttlichen Ratur und Perfönlichkeit. Sm modus der göttlihen Ratur ergibt fih die Allgegenmwart als operativa, daß im Berhälts uiffe zur Welt Gotted Seyn unter dem Modus der Nas tur abfolute Wirkſamkeit auf die Welt it, fein abfoluter Naturorganidmus in abfoluter Wirkfamkeit auf fie ber griffen und die Welt fihlechthin Object diefer Wirkfams keit. Auf Die göttlihe Perfönlichleit beziehe fi ein 51 *+

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Daar von Eigenfchaften, aufs Selbſtbewußtſeyn nämlich die Allwiffenheit undanf die Selbſtthätigkeit bie All⸗ macht; jene ald abfolute Wirkſamkeit des Selbſtbewußt⸗ ſeyns Gottes in feinem Berhältniffe zur Welt, bie Welt fhlechthin Object des göttlichen Selbſtbewußtſeyns, fo daß das göttliche Selbſtbewußtſeyn zugleich abfolutes Weir bewußtfeyn if. Die Allmacht fey abfolute Wirkfamteit der Selbfithätigkeit ‚Gottes im Berbältniffe zur Welt, zu gleich abfolute Weltthätigkeit. Allwiffenheit und Almacht ſeyen die concreten Kornen ber Allgegenwart. Die Un veränderlichkeit Botted ſey oft fo verflanden worden, als ob Gott von der Zufändlichkeit ber Welt nicht af eirt würde, was uur eine Unvolllommenheit, Stumpf: heit wäre. Vielmehr fey nur zu lehren, baß bie Affec⸗ tionen, weldhe Gott von den Zuftänden ber Welt m: pfängt, in ihm felbft nicht einen Wechfel von Zuſtänden nach fich ziehen, denn ihm ift die Welt nicht bloß fo ge geben, wie fie jedesmal tft, fondern auch in ihrer fünf tigen Bollendung; auch if fie fchlechthin in feiner Ge⸗ walt, er if feined Zweckes ſicher; endlich ift er von je dem Geſchöpfe, wie es in der Totalität it, berührt.” Stellen wir bie göttlichen Eigenfchaften zuſammen, wie fie vor Berüdfichtigung der fittlichen Sphäre im Sy⸗ fteme des Verf. ſich ergeben, fo zeigt ſich in anderer Form, was ehedem in der Unterfcheidung von Eigen fhaften primi und secundi ordinis bei den Dogmatifern gelehrt wurde, In der Grundbeſtimmtheit ber Gottesiden, in der Ubfolutheit, feyfchon gegeben (8.8.) die Afev tät und die Ewigkeit, auch die Einheit und Einfad: beit, Alles nur verfchieden geftaltete Ausfagen über dad reine, abfolute Seyn, fomit zur Lehre vom göttlichen Weſen gehörig. Sehr richtig wird bemerkt, daß bieftd reine Seyn, wenn von allen befonderen Beftimmtheiten, von allem Etwasſeyn abzufehen iR, auf pofltive Beilt nicht gedacht werden kann. Diefes, alled befondern

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Etwasfeyn Iedige, reine Seyn wird bann ein zwar wahrer, aber nur abftracter Begriff Gottes genannt; dad Etwasſeyn müſſe fchlechthin im reinen Seyn, das die Füße alled Seyns ift, enthalten feyn, aber nur ale mög- liched, potentia, ald Macht, abfolute Macht, und jwar als thätige, d. h. Kraft, abfolut actualifirende Macht (8.9). So ſey Gott das göttliche Weſen, wel⸗ ches fich felbft actualifire oder zum Werden beftimme, alfo dad Leben. Er feßt fich felbft, unterfcheidet fih von fih felbft, indem er das in ihm befchloffene abfolute Ets was fich vorſtellt, fich bewußt macht; er beftimmt fich als Subject» Object, Einheit bed Daſeyns und des Gedan⸗ kens Geift, abfoluter Geiſt. Erplieirt ber Geift ſich in feine Momente, in gedachte® und geſetztes Seyn, fo beflimmt er ſich zur geifligen Natur. Diefe fetend denfend, beitimmt er fih ald Subject, Selbfibe> wußtfenn, andererfeitdald Selbſtthätigkeit. Nun it die Perſönlichkeit fertig. Alle bisherigen, im immanenten Lebensprocefie Gottes vorlommenden Bes immtheiten find fomit immanente, ontologifche, eigens thümliche Modalitäten feined Seyns ($. 27.). Die Brunds beitimmeheiten find: 1) dad göttlihe Wefen, 2) die göttlihe Natur, 3) die göttliche Perfönlidr keit. Durch den Nefler diefer Grundbeſtimmtheiten im görtlihen Selbftbewußtfenn entfieht vom Weſen aus die Aligenugfamteit, von der Natur aus die Selig» feit, von der Perfönlichkeit aus die Herrlichkeit. Eine eben fo klare, ald originelle Entwidelung! Irgend⸗ wie find diefe Beflimmtheiten Gottes immer in ber gött⸗ lihen Weſenslehre, genauer für Gott in feinem Imma⸗ nentfegn verwendet worden; nur daß man bie abfolute Potenzialität, Macht, mit der trandeunten Allmacht oft verwechfelt hat. Richt minder klar und originell wer: den dann die auf die Welt bezüglichen, fomit relativen und srandennten Eigenfchaften dargelegt. Sie feyen

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theilö effenzielle, theild Hypoftatifche, d. h. auf die befondern Modi, göttliche Natur nnd Perfönlichkeit, bes zogene. Die Örundanfhauung iR alfo: das göttliche Weſen, noch abfiract, wird concret im Modus der göttli« hen Natur und Perfönlichkeit. Die effenziellen (abſtrac⸗ ten) Eigenfchaften feyen zunähft negative, Unends lichkeit, in Beziehung auf den Raum Unermeßlich feit,aufdieeitiinverändertihfeit; aldpofitive ergebe fich nur die Güte ald Wirkfamkeit der Liebe auf die fchon feyende Well. Wir fommen bier auf die Frage zurüd, ob ed richtig geweſen fey, die Liebe her zu den immanenten Cigenfchaften zu ftellen Der Berf. muß nun ausnahmsweiſe bier das ſchon Vorhanden⸗ feyn der Welt betonen und die Güte darin finden, daß Gott der fhon vorhandenen Creatur fich felbft mittheilt.

Als hypoſtatiſche relative Eigenſchaften im Modus der Natur wird die Allgegenwart, im Mo bus der Perfönlichkeit die Allwiſſenheit und AlL macht gefebt, wieber fehr originell, aber im Syſteme bes Berfaflers richtig begründet.

Weiterhin folgt nun $.42. die Weltregierung Gottes, noch abgefehen vom Sittlichen. „Sie vollzieht fih ale Weltplan, d.h. in der ewigen Anfchauung Got» tes von ber Idee der Welt, Anfchauung des Ziels und der Entwidelungeftufen. Goͤttliche Weltregierung iſt die ſchlechthin allwiſſend allmächtige Wirkſamkeit Gottes, ver⸗ möge welcher er das Spiel der relativ felbfländigen crea⸗ türlichen Potenzen in der Entwidelung der Welt aus fich ſelbſt heraus fo leiter, daß fich eben mittelft Deffelden ber unverrüdbare Weltplan in fletiger Annäherung an das Ziel ſchlechthin unfehlbar realifirt. Ein fchlechthin fiheres Borherwiflen der Handinngen auch der freien Ge⸗ fchöpfe ſey Gott nicht zugufchreiben, da diefe der Natur der Sache nach nicht gewußt werden Fönnen; Borberde

theologiſche Ethi. 765

ſtimmung mäfle feyn, aber nicht des concreten Details, fondern der Entwidelungspuntte, Das Ziel ftehe feft, fo wie die organifche Reihe der an fi nöthigen Stu⸗ fen nnd Knoten der Entwidelung ; der weitere Verlauf fey dem freien Spiele überlaflen, und wie willfürlich ſich das Spiel der freien creatürlichen Urſachen bewege, Gott Burchdringe mit feinem Alles zuſammenſchauenden Wiſ⸗ fen ihr für ihn nicht verworrened Gewimmel, falle das Berhältnig zum Weltzwede ficher auf und habe es in der Gewalt, dad Spiel jeden Augenblild zu wenden. Den perfönlichen Ereaturen freie Entfaltung der von ihm in fe gelegten Selbſtbeſtimmung geftattend, behalte er fie in der Dand feiner Allmacht; das eigentlihe Reſul⸗ tat ihrer freien Bewegungen fey fein Wert. Nur fo gebe es ein Beten, Fatum und Zufall aber nicht; fo nur fey die Welt, das Andersfein, wirklich, nicht doketiſch.“

Aber da der Berf. doch auch nur ein Spiel der freien Urfächlichleiten ſetzen kann, für welches Ausgang und Hauptinoten fchlechthin prädeterminirt feyen, fo fragt ed fich, ob eine in feinem Sinne bofetifche Welt nicht ans nehmbarer wäre, als diefe zwar wirklichere d. h. von. Bott Härter getrennte, in welcher doch nichts ald nur ein Spiel ald das von Gott Getrennte herauskommt. Es fcheint fogar, als ob Gott felbft mit folchen Ereaturen nur fpielen könnte. Auch diefe Bemerkung will nur dars auf binmeifen, daß wie das Hervorgehen der Welt, fo das freier Urfächlichkeiten. ein Problem if, deſſen Loſung die Philofopbie noch fo wenig gefunden hat, daß bie Anfchauung des Verf. füglidy neben die fonft vorhandenen Verſuche fih ftellen darf.

Der Berf. gibt und nun eine förmliche Loomogos nie in höchſt merfwürbiger Eutwideluug, fo daß wir fie fat nicht ind Kurze zufammendrängen und doch vers ſtändlich erhalten können, Wir müffen ed aber verfuschen,

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um ben ganzen Gang bie zur Ableitung des Begrifid des Sittlichen zu verfolgen.

6.43, „Die Schöpfung ift der Act der göttlichen Perſönlichkeit, denn fie iſts, welche denkt und ſetzt, aber fie vollzieht den Schöpfungsact durch die götts liche Natur, an weldher fie den Gefammtorganidmus ihrer Wirkſamkeit hat.” 9.44. „Der primitive Akt if bie Contrapofition des Nichtichs Gottes; die Sreatur wird beftimmt ale dafeyendes Nichtfeyn, Nichtgeift, d. b. reine Materie, ſchlechthin unorganifirt, Schatten Gottes, abfolut Nichtnatur und Richtperfönlichkeit, daſeyende Einheit des abfolut Nichtgedachten und Nichtgeſetzten. Materie if das abfolut Nichtgedachte, Nichtideelle, aber als gedacht und gefeßt, daſeyend. Es iſt der Gedanke des bingli hen Seyns der Dinge, des Etwasſeyns, des beftimm- ten Seynd ohne allen Inhalt. Dieß gedachte Nichtding ift gefeßt, wirklich da, ed it der Raum, die abftracte, leere Form der Dinge, Ort für diefelben, Leere. Anderer⸗ feits ift die Materie das abfolute Nichtgeſetzte, Nichtreale aber als gedacht und gefeßt, daſeyend, bloße abſtracte leere Form des Dafeyne, ohne irgend daſeyenden Inhalt, ald gefeßt, ald da. Dieß ift die Zeit ale abftract leere Korm des Daſeyns, das abfiracte Nacheinander, abfracte Zahl Null, Die reine Materie it alfo der Raum und bie Zeit al& reine beide in Einem, leer von jedem Inhalte, unendliche Zeit und Raum, denn jede Grenze wäre Be ſtimmtheit. Sie find denkbar, aber unvorftellbar, nat auf negative Weife deukbar.“

6.45. „In diefer reinen Materie gibt fidy Bott alt göttliche Natur und Perfönlichkeit im Berfolge des Shi: Yfungeprocefied fein Seyn. In ihe denkt und fegt Gott Endlichkeit, d. h. Beſtimmtheit des Nichtſeyns an dem Seyn. Diefe Grundbeftimmiheit behält die Greatur in allen ihren Entwidelungen; ſie bleibt endlich, räumlich fowohl als zeitlich, Vielheit Einzelner nach und neben

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einander. Wird die Creatur weiter geführt, ſo werden Raum und Zeit aufgehoben, nicht an ſich, aber als Schrauke, fie werden eine überfleigliche Grenze, Auch an Geiſt ges worbenen Gefchöpfen bleiben Raum und Zeit als die For; men ihre& Seyns, aber nicht mehr als befchränfende Formen, der Raum burchdringlich, die Zeit beharrlich.” 5.46. „Raum und Zeit find auch Beflimmtheiten der fchös pferifchen Wirkfamkeit Gottes; fie ift eine räumliche und zeitliche, d. h. eine fih im Raume vertheilende und im Zeitverlauf vollziehende, ertenfive und fucceffive.?

6.47. „Die reine Materie ift fchledhtweg nur von Bott gefegt, von ihr abwärts if Gottes fchöpferifche Wirkſamkeit kein bIo Bes Segen der Ereatur mehr, fons dern Entwidelung derfelben, Setzen neuer Bildungen ans ihr felbft heraus vermöge eines ihr immanenten Pros ceſſes. Die Ereatur ift eine Vielheit von verfchiedenen Stufen creatürlichen Seyns, von aus einander heraus er; wachſenden Stufen und ſich immer höher hebenden Bildungs; formen, Hierdurch ift fie Natur, es gibt feinen Sprung in ihr.” 9.48. „Die [höpferifche Wirkfamteit it ein Erheben ber jedesmal fhon gegebenen Ereatur zu einer höhern Formation. Gott ſetzt diefe höhere Formation ald Res fultat der Differenzirung der frühern Stufe, und zwar geht dieß fort, bis die Breatur zur vollen Idee entwidelt it, d.h. zur Ratur und Perfönlicyfeit. Aber wegen ber Unendlichkeit der Schöpfung if diefe Vollendung der Creatur nur die einer einzelnen Greaturs oder Beltfphäre; wir befchränten und auf die irdifche, Die höhere Stufe geht immer aus der Auflöfung der nächft niebrigern hers vor, fo daß diefe das bedingende Subſtrat bleibt. Aue den chemifch zerfeßten Elementen erhebt fich das Mine: ral, aud dem verwitterten Mineral die Pflanze, aus der vermweiten Pflanze das Thier; fo endlich and dem in die Elemente zurüdfintenden materiellen Menfchen der Gei⸗ flesmenfch, die Beifteswelt.” 6.49, „Obwohl Entwidelungs:

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proceß der Ereatur aus ſich ſelbſt heraus, iſt es ein wirt. licher Schöpfungsprocch ans Wirkſaukeit Gottes, ein nicht abfoluter Akt, in welchem ein abfoluter mit gefegt tft. In den Anfängen neuer Reihen erfcheint ald Wun⸗ der, was abwärts bloße Entwidelung if.” S.50. „Die Welt iR ihrer Idee nur als die zur Geiſtigkeit vollen: dete angemeflen; baher muß jede einzelne Weltfphäre bis zu ihrer Vollendung, an fich betrachtet, auch ald Gans zes unvollkommen feyn, aber diefe Unvolllommenheit iR kraft der fchöpferifchen Wirkſamkeit in fletigem Aufgeho; benfeyn begriffen, ein nur proviſoriſches. Mithin beſteht die volfländige relative Bolllommenheit der Welt in jeden ihrer Punkte; dieß die wahre Theodicee, ein noch nicht fertiges Wert kann nicht vollkommen feyn.”

Nachdem wir die Fodmogonifchen Priucipien bes Berf, dargelegt haben, mäflen wir noch gebrängter die Dialektik des Schoͤpfungsproceſſes felbft folgen laſſen $. 51. u. f. w.

„Sofern die Schöpfung ein Entwidelungsproceß der Greatnr aus fi felb heraus IR, ift das Probuft eine Natur, alle Ereatur it eine Natur. Die Scala der in jeder Sphäre ſucceſſiv hervortretenden Ereaturfinfen er: gibt ſich aus der dem Begriffe der Materie immanenten Dialeltil, Die reine Materie geht ihrem Begriffe zu: foige n Raum und Zeit ald die ihre immanenten Bes Rimmtheiten auseinander, die aber zugleich in unmittel⸗ bare Einigung gefept find in der Aeonenwelt, denn diefe ift die Indifferenz von Raum und Zeit, Die Aeo nenwelt differenziert fich in fich felbft, indem Die in ihr unmittelbar geeinten Momente, Raum und Zeit, ſich ge genfeitig beſtimmen und fo mit einander vermitteln. Der durch die Zeit beflimmte Raum if die Ausdehnung, die duch den Raum beftimmte Zeit Die Bewegung. Beider Indifferenz ift der Aether oder dad Chaos. Der Yether differenzire fih, indem die in ihm zmmittel-

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bar geeinten Momente einander beftimmen; die burch Bewegung beftimmte Ausdehnung iſt die Attraction und Repulfion, die Welt der Atome, die Durch Aus⸗ Dehnung beflimmte Bewegung ift Die Schwere. Beiber unmittelbare Einigung iſt das Weltgebäude, die Welt der gravitirenden Materie. Das MWeltgebäude diffe⸗ renzirt fich, indem Attraction mit Repulfion und Schwere fi gegenfeitig beſtimmen; jene durch dieſe beſtimmt it der Stoff, dieſe, dur jene beftimmt, ift die Kraft, Beider Indifferenz it die elementarifche und, hemifche Ratur. Diefe ſelbſt wieder differenzirt fih, indim ihre beiden Momente einander beſtimmen; der durch die Kraft beftimmte Stoff it der Körper, bie durch den Stoff befiimmte Kraft it die Individuität oder Geftalt. Beider Indifferenz ift die mineralifche Natur, die ſich weiter differenzirt; der durch die Indi⸗ viduität (Geſtalt) beſtimmte Körper if der Organis⸗ mus, die durch den Körper beftinnmte Individuität If das Leben. Beider unmittelbare Einigung ift die ver getabilifhe Ratur, die fidy weiter differenzirt; der durch das Leben befimmte Organismus ift der Leib, das durch den Organismus beftimmte Leben iſt Die Seele. Beider Indifferenz it das Thier ale noch unent wideltes. In dieſem treten weiter Die indifferent gegebe: nen Momente, Leid und Geele, gegen einander, wodurch ber Leib der befeelte, die Seele aber die beleibte wird. Da aber die Seele felbft zweifeitig ift, Bewußtfeyn und Thätigleit in fich eint, fo wird die gegenfeitige Beſtim⸗ mung von Leib und Seele eine Doppelte Reihe. Der Leib, wie er durch die Seele ald Bewußtſeyn beftimmt wird, iR der Sinn, durch die Seele als Thätigkeit aber die Kraft; umgekehrt die Seele, ald Bewußtſeyn vom Leibe beftimmt, ift die Empfindung, die Seele, ald Thätig- keit vom Leibe beftimmt, iſt der Trieb. So zur wirflichen Einheit vermittelt, entfiehbt aus diefen Momenten das entwidelte Thier”

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F. 62 f. „Als die wirkliche Einheit von Leib und Seele iſt das entwickelte Thier der vollendete Na— turorganismus; dieß iſt ein abſchließender Begriff. Aber die Dialektik des Schöpfungéproceſſes geht weiter. Die thierifche Seele enthält Bewußtfeyn und Thätigkeit nur unmittelbar geeint ald Indifferenz in fih. Auch diefe muß vermittelt werden, indem beide Momente gegen eins ander treten und fi beflimmen. Dad Bewußtfeyn von der Thaͤtigkeit heftimmt, ift dad Selbſtbewußtſeyn, es denkt nun aus eigener Spontaneität, Berftand; bie Thätigleit aber, vom Bewußtfeyn beflimmt, ift die Selbſtthätigkeit, Wille Die unmittelbare Eins gung von Selpfibewußtfeyn und Selbfithätigkeit iſt die Perſoͤnlichkeit, ein Selbſt, ein Ich, ein Subject; Selbſtbewußtſeyn und Selbfithätigkeit, in der Seele wirt; lich vermittelt, geben die vollendete Seele. Die Derfönlichleit hat die Seele zur caufalen Bafis, iſt ur fprünglich das Product bed vollendeten animalifchen Ras turorganismus, fomit materieller Abkunft, genetifch be trachtet; aber an ſich betrachtet, iſt fie ein Nicht⸗ ober Uebermaterielles, Selbſtbewußtſeyn und Selbſtthätigkeit, ſchlechthin ideell. Durch bie Perfönlichkeit iſt der Ges danke ale wirklich für ſich ſeyender gegeben; fie geht ale Product des vollendeten Raturorganiömud über den Ber griff der Materie hinaus, iſt ein geiftartiges gefchöpfliches Seyn. Darum ift ($. 71.) die Perfönlichkeit eine neue Stufe, die Materie ift Über fich felbft hinausgeführt, hat ihr Gegentheil aus fich geboren. Der Schöpfungsproceß war bie zur Stufe der elementarifchen Ratur überwie gend ein Auflöfungeproceß, von da an Überwiegend ein Berfnäpfungsproceß, ein Organifationsproceh. Die Ber fönlichkeit beruht auf fpecififcher Temperirung des mates vielen finnlichen Lebens, fo daß das durch dieſes gefebte Ich ih gegen daflelbe behaupten, ed von ſich abhal⸗ ten faun, .bie Autonomie des materiellen Lebens ift ein

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gefchläfert. Im Thiere behauptet fich die feelifche Lebens» concentration noch nicht, wird vom Strome des finnlidhen Lebens durchbrochen. Im Thiere ift der Leib der Orga⸗ nismus der Seele, bier hingegen iſt Leib und Seele, d.h. der befeelte Reib Organismus für die Perfönlichkeit, uns mittelbar die Seele, durch fie aber auch der Leib.” 6.75, „Mit der Perfönlichkeit if die Macht der Selbſtbe⸗ Rimmung geſetzt. Sie ift bedingt 1) durchs beſtimmte Heroortreten eines Selbſt oder Sch in dem Einzelſeyn, als GSentralpunft heraustretend aus der Gefammtmafle der daſſelbe conflituirenden elementarifchen Punkte, ſich beſtimmt von diefen unterfcheidend; denn nur wo die Individuität und der Naturorganismus wirklich ausein⸗ andertreten und ein Sch wird, ift Selbftbefiimmung mög, ih. Die Perfon ſetzt fich ald dad Nichtmaterielle ih⸗ rem Raturorganismud entgegen und damit dem gefamm- ten materiellen Naturganzen. 2) Durch die relative Un, abhängigfeit des Ich oder der Perfönlichfeit vom Natur⸗ organismus, gegen deffen Affectionen fie ſich bejahend oder verneinend verhalten kann. 3) Daß dem {ich dab Bers mögen einwohnt, auf den Naturorganismus beſtimmend einznwirten, ihn ald Werkzeug zu gebrauchen. So it das perfönliche Geſchöpf das fich felbft beftimmende, d.h. feine materielle Natur ift in die Macht feiner Der, fönlichkeit gegeben (relativ nemlich).”

„Diefe Selpfibeftimmung ift aber noch nicht bie wirk⸗ liche Freiheit, welche erſt ein Product des fittlichen Pro: ceſſes ift, wohl aber ift fie deren Brundbebingung. Sie ift die bloß formale Freiheit, das pfychologifche Ver⸗ mögen der Willkür, bei jeder beftimmten Sollicitation fidy affirmativ oder negativ zu verhalten.”

Nachdem der Verf. diefe dialektiſche Kosmogonie bie zur creatürlichen Perfönlichkeit fortgeführt hat, kommt er näher zur Sonftruction des Sittlichen. ir wols len ihm auch durch dieſes Iehte Stadium folgen. (6.76 ff.)

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jenige Geeintfeyn von Perfönlichkeit und menfchlicher Ra tur, welches volfländig Product der Perfönlichkeit ik, fen es nun in normaler oder abnormer Weife. 2) Das Uns oder Nichtſittliche, d.h. dasjenige Geeintſeyn, weiches ein noch unmittelbares ift, nicht von Gelbfibes flimmung der Perfönlichkeit her, fey ec nun in normaler oder abnormer Weife. 3) Das Sittlichgute, db. i. die in normaler Weife durch Selbſtbeſtimmung vermittelte and deßhalb normale wirkliche Einheit der Perfönlichkeit nnd der menfchlihen Natur, 4) Das Sittlihböfe, widerfittlih abnorm buch yerfünlide Selbftbeftimmung vermittelte, Darum abuorme wirkliche Einheit als Pro⸗ duct entweder des fich von der menſchlichen Ratur Bes fimmmenlaffend ber Perfönlichleit oder des fie abnorm . Bellimmens der Perfönlichkeit. . Maximum der fittlichen Vollkommenheit ift alfo das vollländige Zuſammen⸗ feyn des eigentlich Sittlihen und des Sittlichguten; Mar ximum der Unvolllommenheit ift das vollfländige Zufam: menfeyn des eigentlid Sittlichen und bed Sittlichböfen; in der Mitte liegen näher der Vollkommenheit dad Mar» ximum des Sittlichguten bei dem Marimum des Unſittli⸗ chen, fodann Minimum des Sittlihböfen bei dem Maris mum des Unfittlihen, nach der Unvolllommenheit bin das Marimum des Sittlichböfen beim Minimum bed Un: fittlihen, dann Minimum des Sittlihguten beim Mari» mum bes linfittlichen.”

Hier ift das zweite Hauptſtück der Einleitung, die Gruudlegung der theologifchen Ethik, beendigt. Die thes⸗ logifche und kosmogoniſche Deduction gehört zu dem Bes deutendften, was die chriftliche Theologie neuerer Zeit als folche religionsphilofophifch confruirt hat. Der Res ferent wollte es kurz vorlegen, um auf baffelbe aufmerf- fam zu machen; eine Beurtheilung‘ aber würde ibn zu weit führen. Er nimmt lieber die Ableitung der Eibif feld auf und muß wiederholen, daß ber in ber neuern

theologiſche Ethik. 775

Philsſophie beimiſche, dialektiſch gewandte Verf. nicht nöthig hätte, nur Dilettant in der Philoſophie ſeyn zu wollen; daß ferner „die Auffindung des Begriffe des Sittlihen rein ans theologifchen Mitteln, um ihn nicht von der Philoſophie entichnen zu müflen,” eben doch durch eine philofophifche Debuction bewerkſtelligt wurde, wie wir denn wirklich nur den Begriff des Gittlichen, nicht fpeciell des chriſtlich Sittlichen erreicht ſehen.

Schr intereffant ift wieder das Verhältnis Rothe’ 8 und Schleiermader’s in der Ableitung unfered Bes griff. Beide haben, auf vorhandene Refnltate oberer Wiſ⸗ fenfchaften nicht fußend, diefe Wiſſenſchaften ſelbſt erſt durchlaufen und ihrem eigenthümlichen Syſteme gemäß nen entworfen. Beide gelaugen zu einer ſehr verwandten Ableitung bed Begriffs des Sittlichen, naddem fie aus⸗ geholt haben beim abfoluten Seyn. Die bdialektifche Bewegungsweife aber ift verſchieden; Rothe bat fidh die hegel’fche angeeignet, Schleiermacher befolgt feine eigene, Diefe formale Verfchiedenheit in der dialektifchen Bewegung ruht auf einer verſchiedenen Aufhauung und Behandlung der Begenfähe. Bei Rothe wird jede Ein, heit in zwei noch unvermittelt in ihe liegende Momente andeinander gelegt, fobald fie aber, zum Begenfaße, ſich ſpannend, auseinander getreten find, mäflen fie doch für einander feyn, auf einander wirken, einander beftimmen ; jeded Moment nun, beflimmt durchs andere, wird ein hö⸗ beres, 3.8. die reine Materie, das Etwasſeyn ohne allen Inhalt, iſt Raum und Zeit als imdifferent, unmittel bar in einander; fie treten auseinander, fpannen fich zum Gegenſatze, koönnen aber nicht von einander laffen, beftim- men alſo einander; Raum, durch die Jeit beftimmt, wird Ausdehnung, Zeit, durch den Raum beftiumt, Bewer gung. Diefe beiden höheren Momente, obgleich fie aus einem gefpaunten Gegenſatze durch Wechfelwirkung beider Blieder entfichen, werden zunächſt wieder in

Theol. Stud. Jahrg. 1847.

rn Rothe

einander gedacht und ihre Inbifferemte Einheit Aether, Chaos genannt; aus diefer Indifferenz ſpannen fie ſich wieder ale Gegenſatz, beſtimmen einauber und erheben einander wisder zu höheren Momenten, die Dann wieder zuerſt old indifferent in einander eine beſtiumte Stufe des GSeyns ausmachen, u. f.w. Die [hleiermader- {he Dialektik hingegen, wo fie ein Gegenſatzverhält⸗ niß erreicht hat, läßt einfach je das eine Glied Dad an- dere heftimmen, flellt eines unter bie Potenz des andern und gewinnt dadurch neue, höhere Begriffe Nach Schle i⸗ ermacder „if jeder Gegenſatz gegeben in der Zwisfäl- tigfeit dad Liebergewichtö hier des einen, dort des andern Gliedes.“ Dann folgt auch bei ihm ein Ineinander beis der lieder, auffaßbar wiederum vom einen ober vom andern aus, 3.8. dad Ineinander bed dDinglichen und geiftigen Seyns als dingliches if die Natur, ale gei- ſtiges aber die Vernunft. Die That des Geifligen in der Natur if die Gehalt, die des Dinglichen im der Beruunft ift das Bemußtfeyn Diefe beiden Arten von Dialektik find nicht nur formal verfchieben, auch die Refultate fehen ſehr verfchieben aud. Bei He gel wird das erſte Moment fa nur Mittel zum böhern wmeiten, bei Schleiermadher bleibt ed und dauert neben dem böhern fort. Daher die wichtige Differenz, bag we: nigſtens Diele, die mit Hegel’d Logik gperiren, die From⸗ migleit night mehr berechtigt, wenigitens nur alö eine niedrigere, aufgehobene. Geiſtesſtufe fichen laffen, we bie Wiſſenſchaft erreicht it, während Schleiermacher beide gleich berechtigt neben einander hat, Kehren. wir zu unferm Gegenftaude zurüd, fo begnügte ſich Schleierma- cher mit einer weit einfachern Ableitung des ethifchen Begriffe, Rothe hat eine weit complicirtere, dur di Naturphiloſophie hindurch gehende. Dabei hat der letz⸗ tere fich zicht beguügt mit dem Gegenſatze won Ber: nunft nad Natur, fondern fehreitet meiter fort zum

theologiſche Ethik. 777

Gegenfabe ber Derfönlichleit und Natur, was wies ber zufammenhängt mit der Art, wie dort Gott ale das abfelute Seyn, bier aber ale die abfolute Perfönlichkeit sehaßt wird, Der Begriff der Perfönlichkeit iR bei Schleis ermacher vernachläffigt geblieben, Rothe hat ein ent⸗ ſchie denes Berdienf gerade hier ſich erworben; dort iſt Perſönlichkeit als ein Beſchraͤnktſeyn, bier als das Boll endetſeyn des Geiſtigen aufgefaßt, darum dort nothwen⸗ dig Gott abgeſprochen, hier zugeſchrieben, ohne daß darum Schleiermacher Gott niedriger auffaßte; im Ge: gentheile ſprach er die Perföntichkeit, une weil er fie ale ein Befchräntendes auffaßte, dem göttlichen Weſen ab, sicht als fey in Bott weniger, fondern mehr, als das, was er Derföntichleit nannte. Abgeſehen von biefem Un⸗ terfchieße, daß die Nerfönlichleit da eintritt, wo Schleis ermacer die Bernunft ſtehen ließ, findet ſich ſonſt volls Rändige Aualogie im Ableiten des ethifchen Begriffe. Die Bernunft, geeint der menfchlihen Natur, bei Rothe bie Derfönlichleit, geeint dem menfchlichen Raturorganismus, iſt das letzte fchöpferifche Product des Weltproceſſes, zu⸗ gleich über das Natürliche hinaus; nur kehrt fich Der Proceß um, das von der Natur PBrobucirte, die Vernuuft oder Perfönlichkeit, wirkt von fich aus anf die Natur, and: dieß ift der ethifche Proceß. Die Analogie geht noch weiter, bis in die Definition des Ethiſchen. S chle i⸗ ermader fagt: das Ethiſche iſt das Jueinander von Bernunft und Ratur, durch Thätigkeit der Vernunft ges wirft; Rothe: es ift die Einheit der Perfönlichkeit und der materiellen (heelifchen, leiblichen und Außern) Nas tur ald Zugeeignetſeyn diefer an jene.

Nun kommen wir zu der Frage zurück, ob der De: griff des Sittlicheu auch Bas Böfe umfaffe Darüber iR fein Gtreit, dag die Sphäre fittlicher Weſen, die fittliche Welt, amd nur fie, beides in fich hat, das ſittlich Bute und Böſe; ferner, daß diejenige Einigung

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von Bernunft ober Perfönlichleit und Natur, welche durch den fchöpferifchen Raturproceß hervorgebracht, ſomil eine unmittelbar gegebene iſt, der natürliche Menſch, wo nicht das Sittliche ift, vielmehr diefed erſt beginnt, wenn in der natürlichen Einigung die. Vernunft oder Perföns lichfeit das Beſtimmende und Thätige wird; endlich iſt and darüber Fein Streit, daß, wo ber fittliche Proceß einge treten ift, neben dem Onten, eigentlich Gittlichen, and dad Böfe vorkommt. Die Frage iſt nur, ob auch das Böfe fpeculativ begriffen und deducirt werben kann vor oder mit dem fittlichen Begriffe feld. Schleiermadger bat nach Bieler Urtheil hierin die Aufgabe nicht befriebi- gend gelöfl. Er ficht im Gegenfage des Guten und Bis fen (Entwurf eines Syſtems der Sittenlehre, ©. 91.) etwas, „das in jedem einzelnen fittlichen Gebiete vorfommt ald das Gegeneinanderfiellen deſſen, was barin ald In⸗ einander und was ald Außereinander von Vernunft und Ratur geſetzt it; das Böfe fey an fidy nichts und komme nur zum Borfcheine mit dem Guten zugleich, inwiefern dieſes ald ein werdendes gefeht iſt; es fey zum poſitiven der negative Factor im Procefle der werdenden Einigung, ein Regativer Ausdrud für das urfprüngliche Nichtver⸗ nunftfeyn der Ratur, bezogen anf das wirklich gewor⸗ dene Ineinander beider, d, h. auf den fittlichen Proceß. Der Gegenſatz von gut uud böfe koͤune alfo nicht vor der Ethik feitgeftellt werden, fo daß fie auf ihm ruhte, fie fey vielmehr die Entwidelung deſſelben.“ Er iſt alfo nicht vor, oder hinterethiſch, etwa in ber Theologie aber Kosmelogie fhon vorhanden, „wie wenn es einen Be: gengott ober eine Antivernunft gäbe, and welcher dad Böfe herfloͤſſe.“ Im der That, muß man ein böfes Pria- cip ale ſolches aufgeben, fo fan das Böfe nur am Ent widelunge&procefie Ded werdenden Buten vorfommen, we der vor noch nach demfelden. Damit it Rothe eiuwer fanden, wil aber das Böſe nun wirklich in ber ſpeen⸗

theologiſche Ethik. 779

lativen Ethik als ein am Sittlichen haftendes Moment ableiten. Gobald wir aber das Böſe ſpeculativ, d. 5, aus dem Begriffe felbft, ableiten, ſtellen wir ed, wie alles fpecnlatio Wbgeleitete, in die Kategorie deſſen, was nicht sufäßig,, fondern nothwendig befleht, Es wäre Daher zu wünfchen, daß nufer Verf. fich hierüber geäußert hätte. Er fagt uns freilich (F. 81.), vermöge der unmittelbar ge« gebenen Ginigung der Perfönlichleit und der materiellen Natur wüffe es zu einem Bermitteluugsprecefle fommen, - aber vermöge der Selbfibeflimmung hänge die Mobalis tät defielben vom Menfchen felbft ab; ed Fönnen das ber verfchiedene Modalitätdarten vorlommen, und fo zerlege fich der allgemeine Begriff des Sittlichen in wier unter ihm befaßte befondere Srundformen. Dieß if aber keine fpeculative Dednction des Böfen, wir hören nur, Daß ed vorlommen könne, aber daß es wirklich und dem ethifchen Begriffe ſelbſt gemäß als eines feiner Momente vorlomme, ift nicht erwiefen; dad Problem wird einfach der Selbſtbeſtimmung des Menſchen ange wiefen, als einem nicht weiter erftärlichen Grunde, Wie entfiehen dem Berf. die vier Örundformen des Sittlidhen ? „Es fey ein Unterihieb der Qualität und der Quantität des Sittlichen möglih. Die Perfönlichleit kann Die mas teriele Natur beſtimmen begriffögemäß und normal, oder fie kann ſich von diefer beſtimmen laſſen und, von diefer beſtimmt, ihre Thätigkeit ausüben, begriffewibrig und abnorm; fo Fönne das Sittliche ale das Sittlich- böfe oder als das Sittlich gute gefeßt werben. Neben diefem Gegenfabe der Qualität feyen die Linterfchiede der Dnantität vorhanden, d.h. der Gegenſatz bes Wirklich⸗ fitrlihen und bed Unfittlihen, jened ſey das Sittliche, wie es wirklich durch die Perſönlichkeit ſelbſt vermittelt and durch Selbſtthätigkeit geſetzt ſey, normal oder abnorm, dieſes aber ſey dasjenige Geeintſeyn, wel⸗ ches noch ein unmittelbares, noch nicht Prodnct dee Per⸗

780 Rothe

ſoͤnrlichkeit M, ſey es normal oder abnorm; dieß könne freilich mar ein relatives ſeyn, weil ein Minimum von Selbſtbeſtimmung dabei ſeyn müfle.” Hier tritt der Us: terfchied von Schleiermacher Mar heraus; ift nicht die Thätigfeft der Bernunft, fondern die der Perſönlichkeit das Sittliche, fo fcheint es möglich, eine normale und abnorme Richtung der Perfönlichleit anzunchmen, wäh rend die Bernunft durchaus fein ſolches Inbifferend ſeyn wi, welches normal oder abnorm, gut oder biöfe haus dein Fönnte; ferner kann von perfönlicher Seilbſtbeſtin⸗ nung aus mit nngleicher Energie gebandelt werben, denn darauf ruht, was der Verf. bie quantitativen Un terfchiede nennt, vom wirklich Sitttichen bie zum Unſitt⸗ lichen 5; die Perſönlichkeit als felpfkihätige fan ja nicht bIöß normal oder abnorm handeln, fondern ihre ſelbſt⸗ thätige Energie kann durchdringend Eräftig oder ſchwach und etwa auch nur ein Minimum feyn. Aber dieſer gan: gen Anſchaunng müflen wir entgegen halten, daß die Derföntichkeit, als ein aus fich ſelbſt heraus, mit Selbſt⸗ thätigleit handeindes Agens, darum eben nicht die legte Quelle des Sittlichen feyn kam, fondern nur ber Ort und die Form, in welcher und an welchem ein höheres letztes Princip erfcheint und chätig auftritt. Daher fümmt Alles darauf an, ob die Perfönlichkeit in Impulſe diefed legten Principe handle oder nicht; fie kann vernünftis und unvernänftig handeln, fomit gut ober böfe, folglich iR die Vernunft das eigentliche Agens fürs fittlidhe Br biet, welches in der Perfönlichkeit beginnt. Go Fommen wir doch zu Schleiermacher zuräd, das Sietliche fey bie Thätigfeit der Bernnnft im menſchlichen Orgauissns, wozu er auch den pſychiſchen, auch die ſelbſtthätig per fönliche Ratur des Menfchen vedmet, alfo die Bermauft, wirkfam im der Perſoͤnlichteit; diefed Sittliche Fey gleich vem Begriffe bed Guten; Böfed wntfiche nur, wenn bie Perföntichkeit zwar felbfethätig wirft, aber nicht das

theologiſche Ethik. 781

Bernünftige als felbfithätigen Impuls im fich aufnimmt. Bie kaun nun aber ein abnormes, begriffswidriges, ums ordentliched Handeln fpecnlatio, d. b. ald nothwendig aufgezeigt werden? Eben darım war die Kirchenlehre genötigt, dieſe unvermeidliche Nothwendigkeit des Sun⸗ digens an die empiriſch vorausgeſetzte Berwirrung des normalen Berhältniffes von Vernunft und Perſoͤnlich⸗ keit auzuknipfen, weiche mit dem Sundenfalle eingetreten fey. Daher fcheint Rothe gerade zu bezeugen, wie richtig Schleiermacher gelehrt hat, das Böfe laffe ſich nicht fpeculatio ableiten. Buch mit dem quantitativen Gegenfate verhält es fich fo; die größere oder geringere Energie der Gelbfibeftimmung muß empirifch aufgenoms men werden, ohne baß eine fpecnlative Ethik in diefe Unterfchiebe eingehen Tann. Es iſt fehr richtig gezeigt, die wahre Vollkommenheit des Sittlihen finde fih nur da, wo die Perföntichteit mit voller Energie ſelbſtthatig auftritt und auf normale Weife, d. h. vernunftgemäß, wirft; meniger vollfonmmen fey das zwar vernunftgemäße Handeln, aber mit minder energifcher Selbſtbeſtimmung; noch weniger vollkommen fey das nicht der Vernunft ge: maß Handeln, aber bei wenig fich ſelbſt beffimmender Energie der Perfönlichleit; am alter entfernteften endkich von der dee fey dad vernunftgemäße und dennoch mit ſturker Energie felbfithätiger Perfönlichkeit verrichtefe Hau⸗ dein. Aber fo richtig Diefe Unterſcheidungen find, voter Örundformen, weldhe im Begriffe des Siktlichen befaßt ſeyen, Pönnen wir fie nicht nennen; es find wur vier ver» ſchtedene Erſcheinungsarten des menſchlichen Handelns in Bezug anf den Begriff des Sittlichen. Schleiermacher nennt dieſe Erſcheirungsarten dad Gute und Böfe, das Vollkommene und dad Unvolllommene (Gute und Schlechte). Bei Rothe find fie genauer ‚.forgfältiger anfgefußt, aber Momente des erhifchen Begriffs find ſie nicht, fonft wüßs

\

782 Rothe

ten fe als Theilungsgründe verſchiedener Seiten des ethiſchen Proceſſes ſelbſt auftreten.

Endlich im dritten Hauptfiäde der Einleitung wird bie Methode und Eiutheilung der theole: sifhen Ethik behandelt ($. 88— 95.), in weſentlicher Anfchließung an Schleiermacher. Die drei form Leon ethifchen Begriffe: Güter, Tugenden und Pflich⸗ ten, in deren jedem dad ganze Gebiet des Ethiſchen zur Darftellung komme, je in eigenthümlicher Form.

Unfere Anzeige muß fich für einmal beguügen mit der Grund legenden Einleitung Wir wiederholen, daß dieſe eine andgezeichnete Leiftung fey, Durch Klarheit, Prä- cifion, Scarffiuu und Tieffius hervorragend. Die reli⸗ gionsphilofophifche Eutwidelung ift originell, in ihrer dialektiſchen Fortfchreitung gefeßmäßig verlaufend, in den Refultaten oft Überrafchend. Die Ableitung des Ethifchen ſelbſt nimmt Schleiermacher's Leiſtnugen vollländig auf, firebt, über fie hinauszugehen, nnd weiß, weſentliche Bes griffe. fhärfer zu geflalten. Auch wo der Referent wicht überzeugt worden iſt, muß er dad Bedeutende in dem Streben ded Berf. anerfenuen. Für jet bleibt Referent der Auficht, Daß eine befondere fpeculativ theologiſche Ethik im chriſtlich⸗ evangeliſchen Charakter nicht auffleh- bar if, und daß das Böfe nicht ein im Begriffe des Sittlihen enthaltened, fpeculativ ableitbared Moment ſey; daB das Sittlihe nicht ald Action der formalen, ethiſch indifferenten Perfönlichleit, fonbern der im Dres nismus perföulich gewordenen Bernuuft zu beftimwen fey ; endlich, daß der Verf. den Begriff des Ethiſchen in ber That philofophifch and dem allgemeinen Bewußtſeyn, fomit nicht im Unterſchiede hiervon rein aus eigenen Mit tels ber chriſtlichen Theologie abgeleitet habe. Abgefehen von diefen Differenzen, hat,der Referent dem Berf. aut beiftijmmen können und dankt ihm für die reihe Körbe

theologiſche Ethik. 783

rung der Ethik. Möge er ſich entichließen, eine Religi⸗ onephilofophie ausguführen, woburd er bei fo ausge⸗ zeichneten Befähigung der Theologie unferer Zeit einen großen Dienft leiſten würde, wie er jedenfalls andy für die Ethik auf fehr bedeutende Weiſe gearbeitet hat.

D. Ber. Schweizer.

2.

Der deutſche Proteſtantismus, feine Vergangenheit und ' feine bentigen Lebenöfragen im Zufammenhange der gefammten Rationalentwidelung beleuchtet von einem deutfchen Theologen (Frankfurt a. M. Druck uud Verlag von H. 8. Brönner. 1847,).

Nicht um eine eingehende Recenſion dieſer ausgezeich⸗ neten Schrift zu liefern, auch nicht am eine gründliche Prüfung ihrer Hanptfäge vorzunehmen, fondern um das theologifche Publicum unfererfeitd möglichft bald auf die⸗ ſelbe aufmerkſam zu machen, wollen wir es verfuchen, fie kurz gu charakterificen. Sie If aus einem Bebürfs niſſe entftanden, das die ganze Zeit mit ihr theilt. Iſt ed die Anfgabe unferer Zeit im Allgemeinen, auf bie letzten Gründe in allen Dingen zurückzugehen, fo iR es, nachdem die Zeit wieder religiös geworben if, ihre Aufs . gabe im Beſonderen, die Religion in ihrem Wefen, ihren innerfien Wurzeln zu erfaffen. Da nun aber der Pros teſtantis mus unbeflritten die dem jeßigen Bewußts feyn adäquatefte Religiondform ift, fo hat nnfere Zeit and mit Recht dad Wefen des Proteflantismud aufs Reue in ernſte Unterfuchung genommen. Wir erbliden zunächſt in dem Berfafler einen fräftigen, geiſtvollen Wit arbeiter anf diefem großen Arbeitsfelde. Er hat zwar nicht das gelehrte Grabſcheit zur Hand genommen,

7er Der beutfihe Protelanttemus,

fehlt «3 ja auch an Solchen wicht, die diefen Dienſt der Zeit leiten; Daflix arbeitet ee aber mit einem Auge voll der feinfien Beobachtung, das eben fo ſcharf in die Höhen wie in die Tiefen bringt, und es ift dem Ref. noch ſel⸗ ten ein Bach vorgefommen, das an treffenden Bemerkum: gen, finnigen Gedanken und lichtvollen Einblicken reicher gemwefen wäre,

Das Alles zwar dient nody nicht dazu, die wefent- lich ſte Eigenthümlichkeit des Verf. zu bezeichnen, und ihn von allen feinen Borgängern und Mitarbeitern zu nnterfcheiden. Diefe beſteht vielmehr darin, daß er den Proteſtantiomus nicht bloß auf feinen religiöfen Im: halt bin anfieht, fondern in fietem Zufammenhange mit dem dDeutfhen Nationalleben betradtet. Es ik darum auch der Beutfche Proteſtantismus, mit dem es der Berf. allein zu thun hat. Er ſelbſt nennt ſich einem „dentichen Theologen.” Wir haben gewiß auch fein Recht, dieſes Pröüdicat in Zweifel zu ziehen, ba feine Schrift die entichiebeuften Beweife für eine gründliche theolegis ſche Bildung enthält Er ift aber nicht nar Theologe, er iR in einem gewiffen Sinne uud Staatswann; umd eben fo iſt ihm die Reformation nicht etwa nur ein Wert ber Theologen, fondern eine große nationalgeſchichtliche Thatſache (S. 6.). Darum will er die Lebensfragen des Proteſtantiomus von den Lebenöfragen der deutſchen Ra tion anch nicht getrennt wiſſen.

Die beiden erſten Adfchnitte des Baches, zumal der zweite, haben vornehmlich den Zweck, nachzuweiſen, wie der Proteſtantismus wegen feines eigenthümlichen Sufammienhanged mit dem GStaatdleben den „modernen Antihriflfianismne” zur Folge haben mußte. Der Berf. kommt zu dieſem Reſultate, indem er von der Grundanfhaunng ausgeht, der Proteſtantismus habe wr- fpränglich und feinem eigentlichen Weſen nach „im ber leberndigen Syntheſe des freietten uud ſcharfſten im:

feine Vergangenheit u. feine heutigen Bebenäftagen zc. 785

telleetuellen mit dem reinften und tiefſten ethifchen Geiſt eꝰ beſtanden (S. 44). Die großen Mißverſtänd⸗ niffe, welche über das Weſen der Reformation herrſchen, leitet er daher, daß daſſelbe gewöhnlich einfeitig aus einer Auftehnung „des intellectuellen Geiſtes wider ben intelectuellen Zwang” ertlärt werde (8. 171.), während, nach feiner Uebergeugung, der Quellpunkt des Proteſtau⸗ tismus nicht im Wiffen, fondern im Gewiſſen gu ſuchen ift. Die Reformation if ihm eine That des ſitt⸗ lich in feinen Tiefen erregten Volksgeiſtes, die auch nur ein echter Bolldmann wie Luther durchführen Tonnte, And dem Bewiffenddrange ergab fih bei Luther ber Rüdgang auf die h. Schrift, und der ethifche Geiſt der Reformation, der keineswegs den Humaniſten zu vers danfen ift (S. 57), befreite den intsllectuellen aus den Feſſeln der kirchlichen Antorität.

Diefer et h iſche Bolfögeift, der im Aufange ber Reformation nrfräftig durdhpedrungen war, wurbe im Staat und Kirhe das hat der Verf. fhön nachg ewie⸗ fen bald wieder von dem intellectuellen unvolhöthäulis chen zurückgedräugt und niedergehalten. Diefe Aufchaus ung ift nicht gerade durchaus neu; RB. Menzel bat fie zu wiederholten Malen ausgeſprochen, auch feiner „Bes fhichte der Deutfchen” zu Grunde gelegt; allein darch⸗ aus men und eigenthäimlic, if die ‘Methode, welche der Verf. einſchlägt. Die Parallelen, bie er gwifchen ben Zuſtäͤnden des Staates und ber Kirche zieht, find ſchla⸗ gend. Leberall Kodt im Volke das Beben und zieht ſich and bem Körper nach dem Daupte oder vielmehr den Hänptern zurück. Der vielgegliederte Organisuns des mittelalterlichen Ständeweiend bhöſt fih anf, Alles con⸗ centriet ich in den Fürften und ihrem Beamtenheere, das zuletzt Den abfiraeten Beamtenſtaat bildet. Auch die Kirche geht in dieſem Benmtenfiante auf oder unter: Das Zw tereſſe an der Religion hört immer mehr auf, ein pratr

786 Der dentſche Proteftantiömus,

sifches, ethifches zu feyn, und dient nur noch dazu, den Reiz wiffenfhaftliher Erkenntniß zu befriebis gen (S. 6.). Go geht bie Synthefe des Proteſtantis⸗ mus, fein urfprüngliched Wefen, verloren; ja ſelbſt der fpener’fche Pietiömne, fo fehr er die theologifche Baſis bed Proteſtantismus wieder berzuftellen fuchte, drang sur urfprünglichen Synthefe nicht wieder vor, weil er das Befühiselement einfeitig ansbildete uud die Unwiſ⸗ fenfchaftlichleit beförberte (S. 101.).

Bar nun einmal das religiös fubftantiele Jutereſſe einfeitig auf den Boden ber Schule Übergetreten, fo war ed nach ber Anficht des Berf. au natürlich, daß das Ehriſtenthum ſich gefallen laffen mußte, im Rationas lismuas nad den Forderungen einer Schale behar⸗ delt zu werben (S. 104). Das wiffenfhaftlidhe Im terefie am Pofitiven war in fich verfiegt, von dem Al tern Proteſtantismus nur ber negative Factor übrig ger blieben, „die Britifche Unruhe am Buchladen der Schrift, aber wicht die Eritifche Unruhe an den Pulöfchlägen des eigenen Herzens” (S 104.). Das Alles hält mit dem Ban; ‘ge, den das bentfche Leben überhaupt nahm, gleichen Schritt. Die Symbole und Die anf ihnen ruhende Dog» matik laßt man noch ſtehen, wie man Das dentfche Reich nicht gleich abfchaffte, fondern fo gut wie möglich noch ſtehen, d.h. verfallen ließ (S. 108.). Das misi- sterium verbi, das immer nur docirt hatte, ward jeht recht eigentlich ein „Schulamt und Uufllärungsapoftelar” (®&.107.). In diefe Leere hinein Fam „KRauts Mofee” (&.116,) immer noch wenigſtens ald ein „Zuchtmeifter auf Ehriktum.”

Der Berf. hat einlenchtend dargethan, wie im den Befreiungstriegen mit der nationalen Wiederbelebung auch die urfprängliche Syntheſe des Proteſtautismus ſich wies der heuzuftellen deginut. Aus der Hemmuug der uationa- len Fortentwidelung fucht er dann auch die wieder eintre⸗

feine Bergangenheit u. feine heutigen Lebenofragen zc. 787

tende Hemmung des kirchlichen und religiäfen gefunden Lebens zu erflären. „Leber dem Bellapper der Mafchine, der Wachſamkeit über fie, vergaß man, daß der Gtaat feintr Natur nach keine Mafchine, ſondern ein ſittlicher Organismus iſt“ (S. 135.).

Der Beamtenſtand ſchließt ſich aufs Nene von der Nation, dem Volke und ſeinen Jutereſſen ab. Die Wiſ⸗ ſenſchaft wird ebenfalls unvolksthümlich. Die Nation wird auf eine rein litterärifche Eriſtenz zurückge⸗ drängt (S. 148.). Der Polizeiſtaat und wit ihm ber en» demifhe Antichriſtianismus erreicht feine Voll⸗ endung (S. 167.).

Diefe reine abſtracte Intelligenz in ber ganzen Ent⸗ leerung von praktiſch Träftigen, begeifternden Motiven beberrfcht nun excluſtv gerabe die fähigften Köpfe unter ber Jugend, und ed bildet fidy nady dem Ansdrucke des Verf. eine „intellectuelle Schwelgerei” aus (S. 177.). „Jede Sphäre des Lebens hat für diefe intellectuellen Schwel⸗ ger nur uoch Intereffe als Object des Wiſſens.“ Jede andere Antheilnahme an dem Stoffe als bie wiffenbe, jede andere Beziehung beflelben als die auf das wiffende Sub» ject und feine Beiftedgenofienfchaft liegt fern, Cinfeitiger Hang nah Sättigung und Schärfung bed intellectuellen Geiſtes zehrt jedes audere Intereffe anf. Wie den Alten, fo auch den Jangen gebricht ed an dem rechten Bewußt⸗ feyn von jenen Aufgaben, welche hart an ben Mann gehen. Der. fcheinbare Dienft an der Sache wirb ein bloßer Dienft am Sch, ein Selbſtdienſt, ein geiftiger Epi⸗ kuraismus, ein Spiel des feiner Birtuofltät ſich bewußten theoretiſchen Beifled” (S.186.), Wie trefflicdh it mit diefen Sätzen das moderne, „and aller praktiſchen Bes giehung zu feinem Stoffe gerathene” Schriftſtelerthum eines David Strauß und feiner Beifteöverwandten ger ſchildert! Und er war noch der Bee von ihnen. Er

788 Der dertſche Viroteflantiäumns,

hatte, wie ber Verf. richtig bemerkt, doch ein reges In⸗ tereſſe für die wiſſenſchaftliche Arbeit am Stoffe; Andere fuchten unr Beförderung, Ehre, Geldgewinn. „Go enis Rand die Claſſe des gemeinen litterarifchen Subiertd ohat Scham, Ehrgefühl und Bewiffew” (S. 181.)

So wardein Bruno Bauer möglich, der die „Ihee logiſchen Schamiofgkeiten” der Welt euthälte nnd in der Stigmatiſirung der „Pectoraltheologie“ ſelbſt der Fleck verrieth, wo es ihm und Seinesgleicher vor Allen von jeher gefehlt hat (S. 182.). Em ber negativen, Britifch zerſetzenden Geiſter überholte jeh! den andern. „Um der Gottheit des Ichs willen” , fagt bei Berf. ſchön, „gab man das Ich der Gottheit hin, ud zöſte Beide anf in die Dialeknt des im der Verſchie⸗ denheit feiner Momente feiner Einheit fich bewußt blei⸗ beuden Weltgeiſtes, fo daß man mit der Perſoͤnlichleit Gottes auch die eigene Perfönlichkeit und umgelehrt sit der eigenen auch bie Perſoͤnlichkeit Gottes verlor” (S. 185.) Die „freie Sittlichkeit” fchwelgte in „Haremöpkantafere” zeh flürzte hinab zum plumpfien, gemeinften Matericlid mus, der fchon in Feuerbach mit Baden, Eſſen und Tru Sen ein neues Dreigeflirn an bie Gtelle des chrifllicher Glaubens, Liebens und Hoffens geſetzt hatte. GEs iſt aid . übertrieben, wenn der Berf. davanf hindeutet, daß Ab allmaͤhlich durch Die livertät, mit welcher das roh pas theißifche und atheiftifche Thema unter und ausgebertet wurde, bie Elemente zu einer Gemeinde bes „Bolt U und,” zu einer luſtigen Benoffenfchaft von „Brüdern um Schweſtern des freien Beiltes,” zu einem Zion im Stole von I. Bodhold aus Leiten, gefammelt haben (S. 200.) Db aber, fragt er, biefe pantheiftifchen Neigungen, di Gettheit in die Maunichfaitigkeit ihrer Momente gerfir Gen, ihr kein freies Chen, fondern nur ein Wiſſen sad Dem Willen won Aid, ſeibſt Abrig zu laſſen, nicht in eine nahe urfächliche Verbindung zu bringen feyen mit ber

feine Vergangenheit u. feine heutigen debenäftagen ıc. 789

ebenfalls bloß momentlich zerfließenden, zu Allem wur. wiffend fich verhaltenden Exiſtenz des ——— in unferem Staatöieben?

Niemand, der diefen eigentlich wichtigften Thatl der geiftuchen Schrift uufered Verf. auch nur in biefem ge⸗ drängten Auszuge kennen gelernt hat, wird der. tiefen Bedeutung des Geſagten, den mächtigen Wahrheiten, die mit edler Aufrichtigleit audgefprochen werden, feine Anerkennung verfagen. Möchte Die Gegenwart nur Ob ven haben für den Klang fo faster Worte!

Dagegen find dem Ref. in Beziehung auf einige Punkte Bedenken aufgekiegen, die bei näherer Ueberle⸗ gung nicht recht weichen wollten, über die er fich gern mit dem trefflichen Verf. verfländiger möchte. Und mo ſollte Berkkändigung leichter ſeyn, als wo man ſich im Innerſten eius weiß? Bon foihen Bedenken wären vor⸗ nehmlich zwei hervorzuheben,

Der Berf. laͤßt das Weſen des Proteſtantismus in einer nrfpränglichen Syntheſe des intellectuellen und ethi⸗ ſchen GSeiſtes befiehen. Die tiefe Wahrheit, die hierin liegt, wi Niemand verkennen. Ob aber dad Weſen bed Proteſtantiomus damit erfchöpft ſey? Ob ih der Berf. nicht allzu einfeitig anf den anthropesogiichen Stand punkt geſtellt hat? Faſt fcheint und der Berf. allzu fehr nach jener Anfchanung fih hinzumeigen, welche das Bw fen ded Proteſtantismus einfeitig nur in die Befreinng des Subjectd, in die unbedingte Subjectivität ſetzt. Wohl ift er ſelbſt für feine Perſon tief ergeiffen von ber objectiven Wahrheit des Chriſtenthums. Sein Bes wiffen findet nur im Erfaflen und Feſthalten dieſer Wahrheit Befriedigung, weil es von berfelben objectiv getragen ift. Allein daß die Anerkennung, dad Erfaſſen einer objectiven, gegebenen, geoffenbarten Wahnbeit sum Weſen des Proteſtantismus gehöre hat ber Berf, nirgends ausdrüdlich gefagt. Er befämpft nur die

7% Der deutſche Proteflantiöumns,

‚einfeitige Südjectivität des intellectnellen Gei⸗ ſtes, aber nicht die ſynthetiſche, Die er vielmehr für das wahre Wefen des Proteſtantismus erflärt.

Nun fey es ferne von uns, zu beftreiten, daß bie Gubjectivität ein weflntlihed Moment dei Peoteftantidmus bilde. Hierdurch unterfcheibet er ſich ja gerade vom römifchen Katholicismus, der das Gubjet einer fremden, außer ihm befindlichen Autorität eimfeitig unterwirft. Allein dem Proseflantiemund it eben fo wefentlih Die Dbjectivität eigen, nur wicht die Rarre, änßerliche, fondern die fubjectiv vermittelte, Wir tönuen und 3.8. keinen Proteſtantismus mehr deuken, wo die objective Autorität der h. Schrift, wenn auch aus fubjectio noch fo ehrenwerthen Gewiſſens⸗ gründen, .fchlehthin verworfen wird. Und es wir uns ein Proteſtantismus, der diefe Autorität wur their weife und fehr bedingte zu ihrem Rechte kommen läßt, eben fo mangelhaft erfcheinen als ein folcher, der dem Subjecte den freien Gebrauch feiner Intelligenz oder ſei⸗ ned Bewiflend verfagt. Ein Thamer z. B. mit feine Gewiſſensreliglon, die Kid gegen die ShMt erklaͤrte, wird uns nimmermehr ein eben fo wahrer Nepräfenton bed Proteftantiömus ſeyn können, aldein Luther, welchen fein Gewiſſen in die Scheift trieb. Man darf nie ver geffen, daß die Gubjectivität nicht nur die Stärke, few ders auch die Schwäche de6 Proteſtautiöomus iſt; uud dem Mef. will es gerade als bie höchſte Aufgabe ber Zeil erfcheinen, zu einem dergeſtalt objectiven Berftänbnift des Proteſtantismus durchzudringen, daß das Subiel darin feine Befriedigung findet. Hierfür ſcheint und and bie Erfahrung zu fprechen, welche beweiſt, daß die neue sen Eutwidelungen des Proteſtantismus mit verfärzter oder gar anfgehobener Objectivität Feine Befriedigung gewähren können. Die Geſchichte des Pietismus wie

feine Bergangendeit u. feine heutigen Lebensfragen. 791

des Rationalismus dürfte in diefer Beziehung maßge⸗ bend ſeyn. a

Und ſollte nicht auch die einfeitige Entwidelung des beutfchen Volkes darin ihren Grund haben, baß der Ins dividualismus dieſelbe immer beherrſcht und bie dauerhafte Verbindung des Zufanmengehörigen verhins dert hat? Der römifche Katholicismus hat feine Kraft an feinem Univerſalismus. Die Kraft ded Proteflanties mus bricht fih an feinem Individualismus. Jener fors dert unbebingte Unterwerfung bed individuellen Gewiſſens unter die überlieferte Autorität, Das ift der Tod der religiöfen Gewiſſenhaftigkeit. Sollte aber der Proteſtan⸗ tismus das Gewiflen von aller Autorität frei geben? Das wäre der Tod der kirchlichen Gemeinfchaft. Es muß bier ein Drittes geben, das über beiden Ertremen Recht und fie fomit überwunden hat ein objectives Gewiffen der Kirche, das, weiter und freier ald das fubjectioe der Individuen, and) mehr zu ertragen vermag und verfchiedenartige Richtungen, wenn fie nur in dem einen Grunde wurzeln, duldet und zur Eutfaltung kom⸗ men läßt. Diefem objectiven Gewiflen ald dem weiteren und freieren hat fih dann das fubjective zn unterwerfen, ohne feine Eigentbämlichkeit und Befonderheit damit auf⸗ zuopfern. Es gibt feine wahre Freiheit ohne Gehorfam; der wahre Gehorfamift aber ein freier. ? Diefed objective Gewiffen der Kirche, dem das individuelle Gewiſſen fih dis auf einen gewiſſen Grab freiwillig unterorbnet, fcheint dem Proteſtantismus immer gefehlt zu haben, Die Orthodoxen waren fubjec- tio ansfchließlich wie die Nationaliften. Wegen Mei- nungen haben die deutſchen Theologen ſich immer ger sanft und wegen Anfichten verfeßert. Zugegeben, daß ed diefen Gelehrten Gewiſſens face gewefen ift, gegen» feitig fo zu verfahren, fo ift ed eben fehr zu bedauern, daß

Theol, Stud, Jahrg. 1847, 58

792 Der deutſche Proteflantismus

ed an einem objectiven, über den Parteien ſtehenden De: derator gefehlt hat, daß dem individuell geftaltenben Triebe Alles anheim gegeben war. In berfelben individualiſti⸗ fhen Mißbildung liegt auch bie Urſache, warum es den Deutfchen feit drei Jahrhunderten an einens rechten Volksg eiſte gefehlt hat, Wo Jeder Recht haben wil, behält am Ende Keiner Recht. Individuen bringen wohl Gedanken, aber Feine Thaten zu Stande. Der Einzelne muß ſich ſelbſt bebersfchen und ſich ſelbſt hingeben für: sen, wenu dad Ball bereichen fol. |

Außerdem wollte fih noch ein gweites Bebentn nicht ganz abweifen laffen. Der Verf. hat trefflich nad: gewieſen, wie mit der religiöfen auch die nationale Bers ödung gleichen Schritt hielt. Hieraus fcheint mit Sicher⸗ beit der Schluß gezogen werben zu können, daß ein sationale Erhebung auch eine veligiöfe zur Folge haber müßte. Der Berf. zieht biefen Schluß und macht bie Neubelebung ber Kirche von einer befriebigenden Löflang ber politifchen Frage abhängig. Wir wollen bie Mög lichkeit einer folden Solidarität zwifchen Kirche und Staat nicht beftzeiten,, den ethifchen Werth einer natiw nalen Erhebnug nicht verkleinern und doch wii ed und bedenklich fcheinen, won ber Löfung ber politifchen Frage die Löfung der kirchlihen abhängig zu machen. Daß da mit die kirchlichen Intereffen ſtaatsmänniſchen Rückſichten zu fehr ausgeliefert werden müßten, wollen wir nur kur berühren. Allein dem Ref. will ed Überhaupt fcheinen, daß der Proteftantismud im kirchlicher Sinficht immer viel zu viel von politifchen Eventualitäten abhängig ge weien iſt. Die Kirche vom Gtaate wenigſtens von der directen Einwirkung des Staates mehr zu befreien, ihr eine möglichſte Selbfländigfeit mit eigenen Organen zu geben, fie fih zu einem Lebensorganismus burdar- beiten zu laffen, fie in biefer Arbeit fo wenig. ald mög lich zu behindern und zu flören das fchiene und fir

feine Vergangenheit m, feine heutigen Bebendfragen. 793

der Angenbli@ das Angenteffenfte und Heilfamfte zu feyn. Dolitifgen Reformen kann und fol die Kirche nicht ab⸗ geneigt feyn, aber fie folk auch ihr Heilin denfelben nicht fuchen,, und nie vergeflen, daß fie von dem Augenblide an zu verfommen anfing, ale fie vom Staate gemobelt wnrde. In England fehen wir unter demfelden Scepter die ariftofratfche high church und bie fchottifche freie Kirche erblühen: In der Schweiz birgt diefelbe ultras demofratifiche Staatöferm den geifteöträgen Papismus der Inneren Bantone und den Independentismus ber freien mwadtländifhen Kirche in ihrem Schooße. Damit, daß in thesi feine der beiden Kirchen irgend einer Staatsver⸗ faffung einen abfoluten Vorzug vor der anderen zuerkannt babe, {ft auch ber Berf. (S. 495.) einverflanden. Und wenn er felöft einmal fagt, daß uns Kein Maßflab an die Hand gegeben fey, „mm über biefe oder jene Staats⸗ form im Namen des Chriftenthums richtend den Stab zu brechen” (S. 513.), ſollte uns diefe fo richtige Erwägung nicht zurüdhalten, an gewänfchte, vielleicht auch wünſch⸗ bare politifche Umformungen die Zutunft der proteſtan⸗ tiſchen Kirche ansfchlieglich anknüpfen zu wollen ? So wenig Ref. diefe Bedenken unterbrücden wollte, fo wenig konnten fie ihm übrigens den Genuß der treffli⸗ hen Schrift fhwäcen, ja ed wäre nicht einmal ein gu⸗ tes Zeichen, wenn ein fo eingreifended Buch ohne allen Inneren Widerſpruch bis zu Ende gelefen werben fönnte. " Bon den bisher befprocdyenen allgemeinen Geſichts⸗ punkten aus fchreitet nun der Berf. zudem britten und legten Abfchnitte, den Firchlichen Lebendfragen der Ges genwart, vor. Nach dem Borausgefchidten wird es uns um fo leichter werden, un bier zu orientiren.,

Der Berf, beginnt mit dem Pietiömmg, nicht ohne guten Grund, da bie Oppofition gegen die ftarre Objec- tioität und Alleinherrfchaft de Dogma's zuerfl von ihm ansgegangen Hi. Manches Fönnen wir hier gerabezu nur

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79% Der deutfche Proteflantismus

unterfchreiben, fo wahr und treffend tft es gefagt. Mit wie großem Rechte erinnert doch der Berf. daran, daß der Pietisſsmus zuerft dem Volke die Arme wieder ge öffnet habe (S. 245.), wenn er andy feine Kreife bald wieder enger zog und flatt einer großen Volkskirche nur Heine Bemeindelirchlein in6 Leben rief! Wie wahr ifl ed, daß, „wenn einmal ernftlich nach dem Kanon: zeige wir deinen Glanbden an deinen Werken, genrtbeilt werben ſollte, e6 feinem Zweifel unterliegen würde, gu weſſen Bunften die Wagſchale finfen dürfte, ob zu Gunſten dei Pietismus oder feiner wider den landen auf die Werte pochenden Gegner” (S. 247.) Uebrigens ift der Verf. auch gegen die Mängel des Pietismus nicht blind. Er weiß auch von einem „voulgären Pietiömus” gu veden, der den „wiffenfhaftlihen Kortfchritt zur freien MWiedererzeugung des Pofitiven” nicht repräfentiren fonnte und niemald können wird,

Diejenige theologiſch⸗kirchliche Richtung der Gegen wart, welche diefe Aufgabe übernommen, wirb daher befonders befprochen. Je mehr gegenwärtig die Männer biefer Richtung von verfchiedenen Seiten ans in ihren Beftrebungen verfannt und mißadhtet werben, deſte er freulicher mag für fie die Anerkennung feyn, welche ihnen ein Mann: wie der Berf. zollt. Er findet gerade in biefen Männern, unter denen er einen Nitzſch, Ullmann, Lüde, 3. Müller, Marheinede, de Wette u. f.w. nam haft macht, den „unleugbar tüchtigen und im Allgemei⸗ nen richtig geleiteten Trieb dogmatiſcher und ir, liher Reugeftaltuug,” während freilich bas „we derne Bewußtſeyn“ mit der von diefen Männern auge bahnten Neugeftaltung fich bereits fehr unzufrieden zeigt und diefelbe ganz- anderswo ſucht. Sehr gut fept der Verf. die mannichfahen Hemmungen, welche dieſe Rich⸗ tung zu bewältigen, die Schwierigkeiten, mit bemen fe zu kämpfen hat und die zum Theile auch im ihr felbh

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feine Vergangenheit u. feine heutigen Lebensfragen. 795

liegen, auseinander. Dan darf nur daram denken, in wie verfchiedenartigem Simne anzegend Schleiermacher gewirkt hat. Nichte deſto weniger glauben wir, hat ber Berf. ganz das Richtige getroffen, wenn er bie Zu. fusft der Kirche unverleunbar indiefen Häns den liegen fieht. Aber auch darin hat er Recht, wenn er die Aufgabe dieſer Richtung dahin bezeichnet: fie habe nicht bloß litterärifc, und nicht bloß firchlich gu ſeyn, fons dern Die Syntheſe des Proteſtantismus kräftig zuſammen⸗ zuhalten, einerſeits die gefunden Elewente des Pietismus und der ältern Orthodoxie ſich lebendig zu aſſimiliren, andererſeits poſitive Schaͤtze aus dem fortgefehten Pro⸗ ceſſe kritiſcher Wiſſenſchaſt zu Tage zu fördern €G.257:).

Auch über die theologifhe Reaction der Gegen, wart hat der Berf. fehr Beachtenswerthes gefagt. Den gewöhnlichen Begriff der Reaction, den man. in den abs firacten Kategorien des Rüdwärtd im Gegeufage zum Vorwärts, des Niten im Gegenſatze sum Nenen, des Pofitiven im Begenfabe zum Negativen, des Geſchicht⸗ lichen im Begenfage zum rein Tudeelen zu fuchen pflegt, bat. er mit vollſten Rechte verworfen, Er ik der Mei⸗ nung, und gewiß jeder wahrhaft Bernünftige wit ihm, daß die menfchliche Entwickelung nicht rein und ausſchließ⸗ lich inuerhalb einer der obgenannten Kategorien auslans fen könne, fondern in beiden neben» und Duscheimauber laufen müfle. „Die Meufchheit,” ſagt der Berf,, „soll fih vermöge ihrer entwideln, nicht geihidtelng, fon dern gefhichte frei” (S. 259.) Damit hat der Berf. den politifchen, wie. den kirchlichen Raditalismus auf feir nen wundeſten Fled getroffen, zugleich aber auch. deu Standpunkt bezeichnet, deu die wahre Bermittelung im Theologie und Kirche einzunehmen hat. Mit den belieb⸗ ten Schlagwörtern „vorwärte” und „rückwärts“ ift es wahrhaftig nicht gethau, und Luther hat gezeigt, daß ed ein Rüdwärts gibt, das zum Vorwärts werben kann,

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796 : . Mes beutähhe Preteliantiämns . -

wie umgelehrt neuere Beiſpiele nahe Kegen, aus Denen zu lernen iſt, wie dad Vorwärts ber Anfang sum Nüdr wärts wird. Aus jeder wahren Bertiefung in bie Vergangenheit muß gewiß auch eine wahre Erhebung in der Gegenwart erfolgen, das Schlimmſte aber, was uns begegnen, fünnte, iſt die Verflachnug. Dei ed aber andy eine wirkliche, Berberben bringende Reaction gibt, und daß ſich Theologie und Kirche vor derſelben zu hüten haben, daranf hat der Verf. ebenfalls ſehr gut anfwerffam gemacht. Da iſt fie ihm, Diefe Reaction „wo ein ängfllich vermorrened Pathos ſich an irgend ein Element ber zeitlichen Geſtaltung krampfhaft auklammert, wo neben ber Bebeutung bed Dbjeckinen bie ber Gubjer tioität.. Überfehen:, nubeachtet bleibt, wo man der Rega⸗ tion gegenüber fich ſchlechterdings abſchließt, ohne darin das Mittel, die Keime einer künftigen Poſition zu erbli⸗ den, wo der Egeidmus irgend einen beliebigen Yunlt des Dageweſenen wis den abfolut maßgebenden wilfär lich zu ſixiren ſich vermißt, durch Anwendung von Be walt im ehrlichen geiſtigen Kampfe ind Mittel wit?’ nur da, aber audy Aberall da ift Reaction (S. 261). Wie verfcyieben der Berf, den Begriff der Reaction von dem Iamdläufig gewordenen: faßt, legt er befonders in feinen Erörterungen über die „Synbolfrage” an be Tag, die er ſowohl nach 'ihmer „theologiſchen,“ als Ihrer „tirchenpolitifchen”‘ Seite prüft. Beſonders angenehm if bemi Ref. .Nier die Wahruchmung gewefen,. baß, der Hin neigung‘ des Verf. zu einem vorwiegend ſubjectiven Ge wilfensftandpuutte wägenchtee, berfefbe dennoch bie große objeckive Bebeutung Ser Symbole in theologifcher und Eirdylicher Beziehung nicht verkennt. Kein Symbol, ſagt er, welched irgend einmal wirklich geholfen habe, «in chriſtliches Volk zu fchaffen uud heranzubilden, köonne je mals feinen wefentlichen Grundlagen nadı wieder ganı obfolet werden; denn bei der durch alle Zeiten hindurch

feine Bergangenheit u, feine heutigen Lebensfragen. 797

ſich gleich bleibenden Ibentität der wernlinftig » fittlichen Menfchenuatur können auch die al& Ihr entfprechend bes fundenen religiöfen Nahrungs⸗ und Heilsftoffe niemals ihre Beziehbarkeit und Wirkſamkeit für dieſelbe verlieren (5. 283.). Damit if dentlich gefagt, daß die Kirche mit jedem Symbole, welches fie anfgibt, einen Lebensfa⸗ den entzwei reife. Das Recht, ja felbft die Pflicht, ihre Belenneniffe zu revidiren und and dem. reichen Schatze bed Alten und des Neuen noch abliquatere Darlegungen ihre Glaubens und Lebens hervorgubringen, will Der Derf, Der. Kirche nirgends abfprechen.

Das Widerfireden des theologifchen und kirchlichen Radiealismus gegen alle nad jede’ weitere Haltung ber Symbole ſcheint und auch hier feinen tieferen Grund im einem fchrantenlofen Individualismus zu haben. Das Symbol nuterwirft dad empirifche Ich einer objectivch Gedankenmacht. Nirgends zeigt es fich deutlicher ale hier, daß es unferer Kirche an einem objectiven Gewiſſen fehlt, denn das fubjective Gewiffen, von dem Rothe (in feiner theolog. Ethik, Bd. I. S. 265.) ganz richtig: fagt, daß, wo die Berufung auf daffelbe eimtrete, alles weitere Disputiren ein Ende habe und alle objettiven Argumente wirtungslos werben, muß als foldyes jeder objectiven Blaubendautorität widerfireben. Auch der: Berf: fcheint ben Mangel an einem kirchlichen Bewiffen tief zu fühlen, wenn er bemerkt, „die ganze Debatte über abfos Iute Lehrfreiheit laſſe unwillkürlich den Eindruck übrig, als fey die Kirche nur dazu da, um für die Entwides lungen des wiffenfchaftlichen Geiſtes einen freien Spiels raum, ein auch materielles Subſtrat zu gewähren” (8. 306.), Daher kommt es denn auch, daß, wie der Verf. ebenfalls fehr wahr erinnert, ed in Nädficht auf die Kirchenpolitik noch fo fehr an rechten, praßtifchen Begriffen fehlt (&.313.).

. Mit dee Symbolfrage hängt and, bieienige vom

198 Der beutfihe Proteſtautiomus |

Hriftlihen Stante ziemlich nahe zuſammen. Der Verf. will folgerichtig den cheiftlichen Staat nicht aufge: ben, den er echt proteantifch ale fittlihe Lebens⸗ gemeiufchaft erfaßt, die nur als eine chriſtliche wahr⸗ haft fietlich feyn Bann. Dagegen verwirft ber Berf. den confeffionellen Staat. Die Erfahrung bat aller dings gelehrt, daß confefflonelle Staaten nicht mehr durchführbar find. Dagegen find mit der Subifferenz bed Staates gegen confeffionehe Unterſchiede doch auch greße Gefahren verbunden, wobei diejenige bed Iudifferen: tismus überhaupt am nächſten liegt, dann diejenige, unter dem Scheine der Unparteilichleit doch die eine Con⸗ feffion heimlich gu bevorzugen und die Eiferfucht der anderen zu reigen. Auch wirb der über den confeffienel- len Unterfchieden ſtehende chriſtliche Staat der römifchen Kirche gegenüber ſich in ſteter Verlegenheit befinden, weil biefe den Anſpruch auf. wahre Chriklichleit an ihr Bes kenutniß knüpft. Im Allgemeinen fcheint ber Berf. wit feiner priucipielen Grundauſicht vom Wehen des Pro teſtantismus nicht gauz befähigt, Die Idee bes chriſtlichen ©taated durchzuführen. Der Slaube if ihm etwas rein Subjectives, Perſönliches, Selbfiglaube (S. 300.). Mit dieſem Begriffe des Glaubens kann ſich Ref, nicht ein» verſtanden erklliren. Der Glaube iſt vielmehr and objectio bedingt: durch feinen Gegenſtand, fein Gegen⸗ Raub if die SDffenbarung, und daher muß andy ber Ariklide Staat, wenn feine Chriſtlichkeit etwas

Reelles ſeyn fol, einen durch die objectiven Grundidees des Chriſtenthums bedingten Glauben von feinen Geuoſ⸗ fen verlangen. Damit hat aber die unbedingte Be wiffensfreiheit ein Ende, Wir billigen es zwar ganz daß der Berf, die Sectenbildung durch den Gmat nicht behindert haben will, und bie Abfiufungen uns Rangclaffen von den Landeskirchen bie zu deu. ger duldeten Secten haben Bieles für fih (S. 333);

feine Bergangemheit.u. feine heutigen Lebensfragen. 790

allein ed: hanbelt ich in der Begenwart nicht nur. am bie Anerkennung folcher Diſſidenzgemeinden ober Secten, welche ihren Zuſammenhang mit dem Chriſtenthume noch glaubhaft vachweiſen können, ſondern darum, ob der ch riſtlich e Staat auch ſolche Diſſidenten ſich incorpo⸗ riren könne, bie ihre geiſtige Exiſtenz bloß auf die Baſis einer deiſtiſchen (alſo nicht mehr chriſtlichen) Moral grün⸗ den. Und daß manche Zeitgenoſſen mit dem chrißlichen

- Dogma völlig, gebrochen haben, wird ber weit und tief- bli@ende Berf, gewiß ohne Bedenfen gugeben. Wenn er daher allen Secten, welche nicht gerade unſittlich find, Duldung von Seiten des Staates zuſichern möchte, fo ſcheint Damit Die Idee des chriftlichen Staates wenigſtens wefentlich modiſitirt. Um den Lebergang zu vermitteln, wg eine möglich große Freilaffung des ſubjectiven Gewiſſens jest am Platze feyn; immerhin wird auch der Berf-gus geben, daß dieſe Frage noch nicht als erlebigt betrachtet. werden Tann, und aus biefem Grunde fcheinen uns auch bie Vorwürfe unbsilig, mit denen jede Regierung Aber: häuft wird, wehde tem oft rein egoiftifchen Triebe nad Sectenbildung nicht gleich mit —— entgegenkommt.

Jedenfalls billigen wir db dad wilde aud ſchonende Berfahren, welches der Berf. von den Regierungen ger gen „Lichtfreunde” und „Deutfchlatholiten” eingehalten wänfcht, um fo mehr, ale er ſelbſt feine Sympathien für Diefe neueſten Erfcheinungen des „chriftlichen Zmithes wußtfeyns” an Den Tag legt. In der lichtfreundlichen Vereinigung findet er nur „die tanfenderlei berechtigten und underechtigten Anſichten, Wünſche, Triebe, Leiden, fchaften, welche in der deutfchen noch immer fo unnacur⸗ lich erregten Nation pulſiren, wie fie eine Aeußerungs⸗ form. fuchten nud nad einem Punkte fi hinwälzten, wo der ungefunde Ueberdrang unter einem legitimen Vorwanbe ſich entladen zu können ſchien“ (S. 304.). Bon

800 Der deutfihe Preoteitantisums

einer „Mien ber Deutſchkatholiken“ te bem Sime, wie Gervinns file in Audficht ſtellte, will er gar nicht wiſſen; vielmehr if ee ber Meinung, wenn irgend et: was und. anıh ferner gegen Rom fchägen werbe, fo ich es die Ölanbenspabflang, welche Roms Macht gebrochen babe, nicht aber der Strich der gegenwärtigen Bildung (©. 450.), und er iſt Übergeugt, daß nur das hiſtori⸗ ſche Shriſtenthum, wie ed bie Mutter aller ber her⸗ tigen: Bilnung eigenen Idealitüt geweien, fo aud bie afletnige Trägerin berfelben unter den Deutfchen bleiben werde” (©. 466), Was ber Berf. über Deutichlatheis ben uud Lichtfreunde Überhaupt Treffliches nud Unüber⸗ treſſtiches geſagt hat, muß man ſelbſt nachleſen, abe: wer glanbt unſerer Predigt, heißt ed auch bier.

Auch der in unferer Seit fo viel befprochenen Kir Heuverfaffungsfrage bat der Berf, ein befonde res Kapitel gewibmet, Er ift auch hier nicht blind gegen die „religiſss höchſt zweifsihafte, bald werthlofe, bald entfchieden irreligisſe Gefinnung, vos weicher weuer Kug6 ſo oft. bie Forderung einor Seelen Kirchewer⸗ faſſung - auögegangen iſt (S. 336.). Es: iſt gewiß nur lobenswerth, wenn man ſich durch diefe zweideutige Bl Han; nicht abhalten läßt, für eine Umgeſtaltung der bie berigen Kirchenverfaffung auf georduetem Wezge ze werten. Mit Bufgebung ber veralteten reinen Gonfik« rialveraffung betrachtet ed der Verf. üblich wie F.Mäb ler als Erforberniß der Zeit, bag ein die Kirche vertre⸗ tendes, auf. freier Wahl der Geiſtlichen und Bemeindes ruhendes Organ ſich bilbe, welches in einer Landesſynode bie höchſte Eoncentration feiner Kräfte beflte und nicht bie aus Geiſtlichen, fondern aus gleichberechtigten Arlte- Ren als Nepräfentanten der Gemeinde beſtehe, uub ver Allem dad Recht habe, Anträge in Baden ber Kirche ar ben Lanbeäheren zu bringen (S. 4.) Nur in eine foihen Kirche, in weldger die Geſammtheit der wieder

J

feine Vergangenheit u. feine heutigem Sebenäfragen, 804

zu fich feld gelommenen Nation: sepräfentiet fey, glanbt ber Verf. werden Struuß, und:feine Geſin⸗ nungsverwandten die rechte Wiberlegung finden,

Wir verkennen keinen Augenblick, wie viel Schönes in der Ssdee einer Nationalkirche Kept, und wie viel damit gewonnen wäre, weun bie einzelnen zerfiplitterten ekandeskirchen in einer foldıen ihre höhere Einigung fünden. Wir find.aber auch ber Meinung‘, der Brote ſtantiemus würde bei. einer folchen nicht Rehen bleiben, weh je überhaupt im’ der Idee des Chriſenthums, ‚Deflen angemeffenften: Ausdruck der Proteſtantismus für unfere Zeit ſeym fell, etwas liegt, Bad über das bloße Natio⸗ nalbewußtſeyn woch weit. hinausgeht. Was ader dev Berf. von der praftifchen Aufgabe ben Kirche fagt, und wie fie die vernachtäfflgte ſittliche Volköpflege wieder zu übernehmen babe, das ift und aus dem Herzen gefchrier ben. Luther hat ſich von ber römifchen Kirche losgeſagt, weil fie das Volk fittlidh verwahrlofte, und jebt müflen fi) unfere Geiftlichen im Punkte der fittlichen Volkspflege manchmal von römifchen Prieftern befhämen laflen. Der Berf. fast fo wahr, daß ed eine Kaffe von Genoſſen der proteflantifchen Kirche gibt, am welche bie veledenden Wirkangen einer neuen Kirchenverfaffung nur unter ber Bedingung herankommen werben, daß die Kirche ſich als eine Macht im Leben zeigt, getragen nicht durch begleitende Maßregeln des weltlihen Arme, fondern durch Teihlaten der ferien, hingebenden, thufopfernden Liebe (5.41%). Uebrigens weiß "der Verf. au bie uniserfelle Bedentung des Ghriſtenthums wweiflich zu würdigen (&;526.), und wer ſtimmte ihm nicht dei, wenn er fagtr „die geiftige Weltherrſchaft der Deutſchen ale des Eulturvoits der neuen Epodie brach mit Luther u”? (S. 6as.) Diefe univerfalififche Beſimmung zunachſt auf dem Grunde eines geſteigerten Nationalbe⸗

802 Dee beutfihe Protchantisnus,

wußtfegns: immer .. mehr zu erfüllen, wird bie Aufgabe des beutfchen Proteſtantis mus bleiben. Gewiß hat. der Berf. darin Recht, daß die Zukunft Dentſchlands am bie Eutwidelung ded Proteſtautismus gefnipft fey, und zwar eined foldhen, ber und an „religiös Kitlicker Füllung nicht ärmer, ſondern reiches wachen wird.“ Wir glanben an eine Zukunft ber. protefanztifchen Kirche, in ber dad gläubige Subject wit voller Freiheit feine Befrie⸗ digung in den, tiefer gefaßt, ewigen Glauben objecten ber Kirche, in. der viele kritiſche Bebanten ihre Derfönuung in pofiiven Thaten finden werden. Deus daß das Chriſterthum in letzter Juſtanz That-und Le ben if: das ſey in einer wert: und bücherreichen Zeit auch unfer letzter Troſt.

D. S ch enkel.

3.

Felir Hemmerlin von Zürich. Neu nach den Quellen

bearbeitet von Balthaſar Reber, V. D. M., Phil D,

. der baßler hiſtoriſchen und ber ſchweizeriſchen ge

ſchichtforſchenden Geſellſchaft Mitglied. Zürich, Ver⸗ lag upn Meyer und Zeller. 1846. ©. 496.

Sm, 4 Bande feinen Geſchichte ſchweizeriſcher Eid genofenidiaft madıt une Joh. v. Müller mit einem Maune befannt, weicher, nachdem er unter feinen Zeitgenofen nine ehrenvolle Stelle eingenommen: und eine nit ww bedeutende Wirkſamkeit audgelbt, nach ſchweren "Leiden und Berfolgungen fein Leben in einem Kloftergefänguifle der Stadt Euzern anshanchte, bei feinem Tode bereits fo ſehr vergeffen, daß über das Jahr deffelben ein erw

Felix Hemmerlin. 803

ßes Schwanken obwaltet (1457 oder 1464). Maller bat des Mannes zahlreiche Schriften reichlich uud forgfältig auögebenutet, um von der Schweizer Denkungsart und Kenntniſſen im 15, Jahrhundert ein Bild zu entwerfen; an diefe Darſtellung Mmüpft er eine treffliche Eharafteris ſtik des Verfaſſers und fügt bie Bemerkung hinzu: „es wäre Berbienft, in folden Sammlungen (feiner Schriften) enthaltene Gefchichten und eigenthümliche Gedanken durch anthentifche, vollſtaäͤndige Auszüge genießbar zu machen” (.0,D.6.219.),. Diefer Gedauke des berühmten Ger ſchichtſchreibers der Schweiz hat einen empfänglichen Bor den gefunden in ber Seele eines basler Gelehrten, der ih fon durch mehrere gediegene Arbeiten im hiltorifchen Fache dem Publitum auf fehr vortheilhafte Weife bes kannt gemacht hat. Herr Neber bat feinen Gegenſtand inderumfaffendfieu und erfchöpfendfien Weiſe behandelt; er gibt eine audführliche Biographie feines Delden und eine eingehende Charalteriftik feiner Schriften, begleitet von sahlreihen und weitläufigen Auszügen, Diefe muß und um fo willfommener feyn, da die Schriften im Staube der Bibliothelen begraben liegen, oder in bloßen Hands Ihriften vorhanden find. Dergeehrte Berf. hat fich in dieſer fo wie in jeber andern Beziehung des gründlichſten Quel⸗

lenſtudiums befleißigt; feine Arbeit ift ein fchöned Denke

mal tüchtiger Gelehrſamkeit, aber zugleich die Probe eines wirklichen biftorifchen Talentes, welches fähig if, aus vielen Einzelheiten den Charakter eined Mannes zu conſtruiren, ein anſchauliches Bild von feinem ganzen Wefen nach allen Richtungen bin zu entwerfen, ihm ſeine Stelle in feiner Zeit anzuweiſen, die Wirkung, weiche von

der Zeit auf ihn Überging, und diejenige, welde er auf:

die Zeit ausübte, zu befchreiben. Der echt hiſtoriſche Sinn des Berf. bewährt fi auch darin, daß feine Dars Reflung Teine Spur von dem faifchen Beſtreben zeigt,

+

804 ‚Beber

feinen Helden zu ibeafifiren, deſſen Bedentuüng über Ber dühr gu erheben, befien Fehler und Schwachheiten zu befchönigen und zu verbeden. Um fo mehr wird aber die Anufmerkſamkeit des Leſers gefeffelt und fein Intereſſe zu Gunſten des Mannes. rege gemacht. Ja ſelbſt ber Umtftand, daß Hemmerlin’s Leiden nicht vönig under fehuldet find, thut dem innigen Mitgefühle, das man für ihn hegt, feinen @intrag.

Der Berf. erflärt fi zwar fehr befkkmmt gegen bie Anfiht, daB Hemmerlin im Kirchlichen ein Borlänfer Zwinglis geweſen (8.9). Doc kann er wicht umbin, tum eine Stelle neben Geerg v. Heimburg, Jakod v. Iüs terbod, Johann v. Weſel, Sebafllan Braud, Geller v. Kaiſersberg anzumeifen. Er finder nur, daß die genann- ten Männer noch ſchonungéloſer zu Werke gingen, indeß Senmmerlin grunbfäglich mehr ein Kichenmann, Patholi: fcher dlieb als fie alle (SS. 116.). So reihe ſich das Werl ded Herrn D. Reber an die-bebeittfamen Korfchungen von Ullmann über die Reformatoren vor der Reformation an und kann abs eine Ergänzung derfeiben, was dk Schweiz betrifft, angefehen werden. In biefer Hinfiht verdient dieſes Wert in einer theolugifchen Zeitfchrift angezeigt zu werden.

Hemmerlin ift freifich nicht bloß ein Kirchenmann, er bat auch einen politifchen Charakter, der Kart genug hervortritt, da er zur unglücklichen Wendung feines Schickſals wohl das Meiſte beigetragen. Im Mittelalier, und zumal in der Schweiz dis auf den heutigen Tag, iR - nicht leicht Kirchliches und Polttifche® zu trennen; darum ſoll Hemmerlin’6 politifhe Stellung ebenfalls angedentet werden. Die widtigfte Seite feines Lebens bleibt immer⸗ Hin die der Kirche zugewendete, fo wie denn aud Herr Meder feine kirchlichen Schriften als die wichtigfien an- ſſeht, ein Urtheil, deſſen Richtigkeit aus der weitlänf-

Felix Hemmerlin. 805

gen Betrachtung feiner Gchriften er Sicherheit ber» vorgeht,

Wie war ber Boden befchaffen, in welchem Hemmer⸗ iin wurgelte, and welchen er hervorging , den er durch von ihm ausgeſtrente Saamenkörner befruchtete? Die irchlihe und politifche Lage der Schweiz tritt. uns in anfdyaulichem Bilde entgegen in dem Zufammentrefs fen der Kicchenverfammlung zu Bafel mit dem Kriege der Eidgenoffen gegen das üfterreichifch gefiunte Zürich. In diefen beiden Ereigniffen And uns die Faktoren an: gegeben, bie in Hemmerlin’d Leben und Wirken am kruͤf⸗ tigften hervortreten. Er nahm Theil an jener Kirchen, verfammlung, er war für fle, wie fo viele Zeitgenoflen, wie felbft eine Zeitlang Aentas Sylvius, begeiftert; die von ihre fanctionirten Grundfäge an verwirklichen, hielt er für die Aufgabe feines Lebens. Ingleich aber hielt er ed mit ber Adelöpartei in Züri, mit Defterzeich gegen bie demofratifche Urfchweis, gegen das fchweizerifche Princip Kberhaupt (S. 180.), and feiner Borliebe für den Adel, and feiner Abneigung gegen den Bauern, und Bär: gerftand ging fein politifches Hauptwerk, de nobilitate, hervor. In Kirchenſachen, fagt der Berf., war Hemmer; lin ein Junger, auf den erften Blick beurtheilt, in ber Politik ein Alter. Und doch ift bier Sein Widerſpruch bei ihm, fährt Here Reber fehr finnig fort. Hemmerlin’s kirchliche Tugend war ja nicht diejenige bed 16. Tahrs bundertö, die “Jugend ber Reformation, fondern bie des 15., ed war eine. fehr Iangfame, vorficktige, fehr reife Jugend, die nach wenigen Sahrzehnten für hinfäliges Alter galt; hingegen der ſchweizeriſche Freiheitsgeiſt trat auf in alfo braufender Gährung, daß ſolche Gaͤhrung dem mäßigen Semmerlin wahrlich nicht als politifcher jugendlicher Flügelfchlag, fondern als Alles vernichtender Tobtſchlag erſcheinen mußte. Es iſt alfo hier durchaus Fein

806 "Weber

ſtsrender Wipderforuch in Hemmertin’s- Charakter, fendern im Gegentheile, es zeigt ſich gerade in dieſem fcheinbaren Miderfpruche bei ben bamaligen Umfänden feine innerke Eonfequenz” (S. 5.). In der That haben bie kirchlichen Beftrebungen, welche ber allgemeinen Kirchenverſanm⸗ kung zu Grunde lagen, mit dem bemofratifchen Treiben wenig gemein; jene Kirchenverſammlung flellte die kirch⸗ liche Ariſtokratie dar, welche mit der politifchen Arike

kratie in lebendiger Affinität Rand, indeß bie bemolratv

fen Bewegungen, je nadı den begleitenden Umſtäuder, fich entweder dem alten Papalſyſteme auſchloſſen, wir in den Hintercantonen ber Schweiz, ober bie allgemein, nu tärliche Bafld vorbereiteten, auf welder bie Reformo tion fpäter bervorblühte, wie dieß in den Staͤdtetantonen der Schweiz der Keil war.

9. Reber’d Darftellung gibt uns Auffchluß baräber, wie ed fam, bag Hemmerlin im Kirchlichen wie im Pe⸗ litiſchen die bezeichnete Stellung einnahm. Das Bil,

bas er von ihm entwirft, läßt uns bis in die kleinſten

Züge einen Mann erkennen, der theil auf bie Geitede Kiccheareformatien, wie man: fie damals verſtand, theili auf die Seite der Adelspartei fich hingezogen fühle wußte.

Geboren im Jahre 1389 zu Zürich, einer .gamilie

angehörig, die früher adelig gewefen zu ſeyn fcheist, erhielt er feinen erften Unterricht in der Schule der Greß⸗

münftetlicche feiner Baterftadt, und fehon im Jahre 1413 wurde er Chorherr am daſigen Stifte. Bon lebendigen

Wiſſensdurſte und Bildungstriebe befeelt, machte er dr

rauf gelehrte Reifen und befuchte die Univerſitäten Bo logna und Erfurt, die beiden berühmteften Lehrankalten Italiens und Deutfchlande. . Er war Zufchauer bei MT Kichenverfammiung zu Conſtanz und nahm offieießen Antheil an derjenigen zu Bafel, Vom Jahre 1412 dis 1428

Selle Hemmerlin. 807

wurde er der Reihe nach mit folgenden Aemtern und Mürben begabt; im Jahre 1412, wie ſchon gefagt, Chor⸗ herr zu Zürich am Großmünfterfifie; im Jahre 1421 Prob zu Solothurn am St. Urfudflifte; in bemfelben Jahre Baccalaureud des kanoniſchen Rechts zu Bologna s im Jahre 1427 Probft zu Zürich am Großmänfterftifte und Ratt befien 1428 Gantor daſelbſt, und wahrfcheinlidh endlich in demſelben Jahre Ehorherr vom Gt. Moripftifte in Zofingen. Später, während bee Krieges von Zürich in Berbindung mit Defreich gegen die Eidgenoſſen, wurde er and) noch Rath bed Markgrafen von Baden, wahre ſcheinlich auch des Markgrafen Wilhelm von Hochberg und feined Bruders Dite; ferner Eaplau des Herzogs Albrecht von Defireich, and endlich and Caplan Kaifer Friedrichs UI.; doc, waren dieſe letzten fürftlichen Aus⸗ zeichnungen bloße Ehrentitel ohne amtliche Bedeutung (8, 18).

Er erwarb ſich eine außerordentliche Menge von Kenutuiffen und Tann wohl als einer der gelehrteflen Männer feiner Zeit angefehen werden, Seine Bibliethel, aud fünfhundert Bänden beftebend, war für jene Zeit eine fehr ungewöhnliche Erfcheinung. Er wenbete große Sorgfalt auch auf die Anordnung derfelben und rühmt ſelbſt mehrmald, wie gut fie .georbuet und aufge« ſtelt ſey (S. 25. 125.). Ueberhaupt Hebte er, als vorneh⸗ mer Kirchenmann, nicht nur den Kirchenpomp, ſondern überhaupt den Glanz ded äußern Lebens; feine Woh⸗ nung, welche eine fchöne Ausſicht auf ben See hatte, muß fehr zierlich und niedlich auögefehen haben. Daß ein Mann, der auf folder Stufe der Bildung und mit feiner Zeit in ber lebendigfien Berührung ſtand, in die Damals fo weit hin verbreiteten und auch dem oberflaͤchlichſten Blicke fo nothwendig fcheinenden Refor⸗ mationsbeflrebungen einging, das werben or gewiß fehr

Theol, Stud. Jahrg. 1847,

808 Reber

begreiflich finden. Wir werben und aber auch nicht wuns bern, wenn er, ber alten Sympathie feines Stiftes ger treu umd folgend den Autrieben feiner ariftofratifchen Natur, auf die Seite des Adeld and Deſtreichs gegen die Eidgenoflen trat und die einmal erwählte Partei leb⸗ haft vertheibigte.

Obwohl Hemmerlin’d Wirkfamleit unb WBebentung hauptſächlich in feinen Schriften gefucht werden muß, fo it Doch nicht gu verfennen, baß er unmittelbar praktiſch gewirkt .hat. Die furchtbar verborbenen Bitten ber Chor herren des Stiftes in Zürich hat er muthig bekämpft (S. 156,) und eine Reformation derfelben verſucht. Es ift dieß um fo mehr anzuerfenuen, ba er fich dadurch den Neid, ben Haß, die bitterfte Feindſchaft feiner Gol- legen, ia felbft Zodedgefahr zugog (S. 289. 387.). Da der Didcefanbifchof von Conſtanz und fein Generalvicar Gundolfinger von bemfelben Gelichter waren wie die Ehorherren von Zürid (S. 296.), fo entfremdete er ſich durch fein reformatorifched Auftreten im Stifte and jene beiden geiftlichen Obern; ja er befämpfte fogar den Ge neralvicar thätlih CS. 296.) und in feinen Schriften (S. 420,), und trng dadurch wohl dazu bei, baß biefer ihn nachher fo hart behandelte. Ueberhaupt muß feine Gefangenuehmung in Zürid; nebft ben darauf folgenden Drangfalen als eine Wirkung feines kirchlichen Anftre⸗ tend angeſehen werben.

Allerdings war fie zunächſt eine Folge des politifchen Haffed. Hemmerlin hatte die Schweizer fehr grob be handelt und fi im Schimpfen auf fie durch große kei denfichaft hinreißen laflen. Als nun Zürich mit den Eid genoffen Frieden fchloß, entlud fih der Haß gegen ibn. An der Faſtnacht des Jahres 1454 waren anderthalb taufend Sünglinge aus verfchiedenen Cantonen in Zürich, um die Luftbarkeit mitzumachen. Sie befchloffen, des

Felix Hemmerlin. (809

Feind der Eidgenoſſen, bed Papſtes unb bed Biſchofs u greifen; fie bemächtigten fich des fill in feinem ſchö⸗ nen Stubirzimmer verweilenden Chorherrn und überlies ferten ihn in die Hände Gunbolfiuger’d; das Ganze war verabredet; geiftliche Bosheit und Heimtüde ſteckte dar hinter; die Schweizerjünglinge hatten nur den Arm ges lichen, um die von Anderen gefchmiebeten Pläne auszu⸗ führen.

Hemmerlin’d fchriftftellerifche Thätigkeit war fehr bes deutend; der Verf. macht und mit 36 Schriften befielben befannt, wovon mehrere ziemlich beträchtlich waren. Man erkennt in ihnen fehr deutlich den für die damalige Reformation der Kirche begeifterten Mann. Geine Ab: ſicht iſt rein und gut, einzelne Mißbräuche erfennt und rügt er muthig, ja er tadelt heftig den Papft und bie päpftliche Curie (S.59.340.). Doch find feine Religionder- fenntaiffe noch fehr wenig geläutert, fein Sinn ift be- ſchrankt, ungeachtet feiner großen Gelehrfamteit; er hul⸗ digt mit einer gewiſſen Treuhergigkeit dem craß fatholifchen Aberglauben (5.336. 307.), Vielleicht hat gerade das Dämmerliht, worin er fich befand, dazu beigetragen, daß feine Schriften weit verbreitet und viel gelefen wur⸗ den. Er war ein. beliebter Schriftfieller, man begreift das aus Reber's Darſtellung; die meiften Schriften find in Form von Dialogen abgefaßt; fie firdmen über von Anekdoten, witzigen Einfällen, pifanten Worten, woruns ter ſich freilich mitunter Triviales, fogar Schmugiges einmifcht. Aber and, ernfte, ergreifende Gedanken find darin niedergelegt (5.474) Wir hätten nur gewünſcht, daß der Berf. ſich noch mehr beftrebt hätte, und mit dies fen ernten Gedanken Hemmerlin's befannt gu machen, überhaupt uns in feine theologifche und kirchliche Denk⸗ weife tiefer einzuführen. Dieß ift die einzige Fritifche Be⸗ merkung, die wir zumachen und erlauben. Max möge ung

54. *

810 Reber, Belle Hemmerlin.

ntcht fo verſtehen, ald ob wir eine rubricirt, ſyſtema⸗ tiſch georbuete Zuſammenſtellung der Auſichten Hemmer Iin’d vom DBerf. erwartet hätten; es konnte unferem Bunfche ein Benüge gefhehen, ohne daß die Methode, weiche der Berf. befolgt , verlaffen worben wäre.

Diefe Eritifche Bemerkung möge übrigend dem ger ehrten uud befreundeten Verf. nur zeigen, mit welcher Aufmerkfamteit wir fein Buch gelefen; wir wlnfchen, daß es noch vielen Leſern denfelben Geunß darbieten

wöge, den wir daraus geſchöpft haben.

J. H. Herzog.

Anzeige : Blatt,

Bei Friebrih Perthes von Hamburg iſt erfchienen: Lücke, Dr. Fror., und Ullmann, Dr. &,, Ueber die Nichtannahme des königsberger Deputirten Dr. Rupp auf der berliner General Verfanimlung des Ouſtav⸗ Adolph» Bereind. gr. 8. geheftet 12 Sgr. Bei Friedrich und Andreas Perthes ift erfchienen: Perthes, Dr. GI. Th, Die Einverleibung Crakau's und die Schlußacte ded Wiener Congreſſes. Eine Zlugfchrift. 8. gebeftet. 2. unveränderte Aufl. 6 Sgr. Diefe kleine Schrift ift nach wenigen Wochen ihres Erſcheinens

n flarter Auflage völlig vergriffen, fo daß ein zweiter Abdrud noͤ⸗ 6 war.

Wir empfehlen noch folgende Brofchären, bie durch die Zeitfragen hervorgerufen wurden:

Adermann, Dr. &., Die Glaubensſätze von Chrifti Höltenfahrt und von der Auferftiehung des Fleiſches. 16, geh. & Sgr.

Bröcer, J. P. ©, Der evangeliſch⸗chriſtliche Ges mein degottesdienſt aus der Gahrift EIN gr. 8,

5

geh. r. Geijer, Erik Guſtav, Auch ein Wort über die —8 Frage der Zeit. gr. 8. geh. 12 Ggr, - Martenfen, Dr. H.,' Die chriftliche Taufe und bie bapsiftifche Frage. gr. 8. geb. 15 Ser, Schwarz, Dr. Th., Der evangelifche Geift im Bunde - mit der heiligen Schrift. 8. geb. 15 Sgr. Hlmenn, Dr. C., Ueber den nnterfcheidenden Charak⸗ ter_ oder das Wefen des Chriftenthumg, mit Beziehung anf neuere Auffaffungsweifen und einem Blid auf Ge⸗ genwärtiged, gr. 8, geb. | 132 Sgr. Ullmann, Dr. &, und Albert Sauber, Zwei Bedenken über die Deutfch-katholifche Bewegung. gr.8. geh, 12 Sgr. Behörden, Directoren und Lehrer von Gymnaſlen und höheren Sculanflalten bitten wir, für die Schul⸗ bibliothefen das vaterländifche deutfche Werk zu berück⸗ ſichtigen: Bildniſſe der deutſchen Könige und Kaiſer von Karl dem

Großen bis Marimilian I, nad Giegeln, Müuzen, Grabmälern, Denfmälern und Original»Bildniflen ge⸗ jeichnet von Schneider, in Holz geſchnit⸗ ten in der rylographifchen Anftalt in München, nebſt harakteriftifchen Lebensbefchreibungen derfelben von Friedvrih Kohlraufch. gr. ker. 8 geh. Thlr. 4. Es wurde in mehreren Staaten die Anfchaffung be reits von höchfter Stelle empfohlen, | Kolgende, theils ältere Werke unſeres Verlags, moͤch⸗ ten ſich zu gleihem Zwecke eignen:

Bindfeil, H. E., Abhandlungen zur allgemein verglei⸗ chenden Sprachlehre. 1) Weber Begriff und Object der Sprache und Phyfiologie ihrer Raute. 2) Ueber die verfchiedenen Bezeichnungen ded Genus in den Spra—⸗ chen. Thlr. 3. 20 Sgr.

Deinbardt, 3. H., der Gymnaffal-Unterricht nach ben wiffenfchaftlihen Anforderungen der jeßigen Zeit. Thir. 1. 15 Ser.

Ebel, über gedeihliche Erziehung, für Eltern und Er

zieher. 20 Sgr.

Euripides restitutus sive scriptorum Euripidis ingenii- que censura, cur. Hlartungus. 2 Vo Thir. 3. 6, Th., Berfucd Über die zu ben Stadien erforder lichen Eigenfchaften und die Mittel, diefelben am Kuas ben, Jüngling und Mann zu erfennen. Eine Preis⸗ ſchrift. Thlr. 1. 5 Sgr. —— Chr. L., die Ausgleichungs⸗Rechnungen ber Pr hen Geometrie, oder die Methode der kleinſten uabrate mit ihren Anwendungen für geodätifche Auf- gaben. Gebunden Chir. 2. 20 Spt. Güber, ©. 3, Grundregeln der beutfchen Sprade md ihrer Rechtfchreibung. 75 Sur. Sartung, 3%. A., Lehren der Alten über die Dichtfunf, Durch —— mit denen der beſten neueren. Thlr. 1 10 Eyr. 09, 8., Geſchichte bed Thäringifchen Volkes, für vn Bit und die Jugend, : Thl Hillebrand, J., die deutſche Nationalliteratur ſeit dem Anfange des ISten Jahrhunderts, beſonders feit Le fing bid auf die Gegenwart. Hiſtoriſch und äſthetiſch⸗ Pritifch. 8 Thle. geh. Thir. 6, 8 Spt.

hir. 2. 73 8gr. |

Klanfen, R. H., Aeneas und die Penaten, Die itali⸗ fhen Bollereligionen nnter dem Einfluß der griechi- ihen. Mit 2 Kupfertafeln. 2 Bde. Thlr. 6. 20 Gyr.

Kühner, R., Ciceronis in philosophiam ejusque par- tes merite. Thlr. 1. 10 Sgr. Niebuhr, B. ©., griechifche Heroengeſchichten, an feis nen Sohn erzählt. . 65 Ser, Hückert, Dr. E., Troja's Urfprung, Blüthe, Unter; gang und Wiedergeburt in Latium. Eine mythologifche, chronologiſche und ethnographifche Unterfuchung der teojanifhsrömifchen Stammfage, Geh, Thir.1. 24 Sgr.

Folgende eigentlihen Schulbücher bringen wir beim Semefterwechfel auch in Erinnerung:

Petri, Morig, Elementar » Lefebucd der Englifchen

Sprade. 20 Sgr.

Dieses Buch hat sich seinen Weg gebahnt; da, wo es

einmal eingeführt ist, wird es fortwährend beibehalten; es

sei Lehrern der englischen Sprache freundlichst empfohlen.

Cinquante fables pour les enfants par Guillaume

Hey. Sebunden Thlr. 1, 5 Sgr.

Solor. Thlr. 2,

Die trefflliche Uebersetzung der bekannten Hoy-Speckter-

schen Fabeln. Sie werden stets mit grolsem Nutzen beim ersten Unterricht in der französischen Sprache benutst.

Bretfchneider, C. A., Productentafeln, enthaltend die 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, Yfachen aller Zahlen von 1 bis 100,000. Gebunden 20 Sgr.

Habich und Berger, Elementargrammatif ber lateints [hen Sprade, mit einer Sammlung von Beifpielen zum Ueberfegen aud dem Lateinifchen ind Deutiche und aus dem Deutichen ind Lateinifche. Thlr. 1.

Schlimbach, 3. S., Anleitung zum erften Unterricht in der Himmelskunde für Bolföihulen. Mit 58 ein» gedrndten Holzfchnitten und einer Borrede vom Dis tector J. 9. T. Müller Geb. 20 Sgr.

Schlimbach, Uebungsfragen für den Unterricht in ber

Mit 54 eingedruckten Holzſchnitten.

ebunden 5 Sgr.

Ersteres ist für den Lehrer, letzteres dem Schüler in die

Hand zu geben. In unserem Herzogthum ist das Büchelchen

ia allen Volksschulen eingeführt. Die Zweckmälsigkeit der Methode wird auch weitere Einführung erwirken.

Bibelworte Als Benublage zu einen chriſtlichen Un terricht für bie reifere Jugend, nebſt Winken zum Ber: ſtaͤndniß der Bibelworte. 75 Ser.

Georgi, die heiligen Geſchichten des Alten Teſtaments. 2 Thle. geh. Thlr. 1. 224 Ser.

Sefeliel, Fr., Kehrfprüche bes Glaubens. Ein Weih—⸗ Geſchenk Für die chriftliche Jugend am Konfirmation tage. Geheftet 114 Ser.

Bei Fr. Frommann in Jena find erfchienen: Dreöbyterial: und Synodal - Verfaflung der proteft. = evangelifchen Kirche.

Für Geiſtliche und Nichtgeiftliche näher erörtert von Ehe. F. A. Biruſtiel (VBerfaſſer der Geſchichte des Guſtav⸗Adolph⸗Vereind). gr. 8. geh. Preis 10 Ger.

In derſelben Haren, warmen und lebendigen Darftellungsieile, womit der Berf. früher feine mit allgemeinem Beifall aufgenommen! Geſchichte des Buftan » Adolph» Vereins behandelt hat, entwidelt er hier aus dem neuen Zeflamente, der Kirchengefchichte, dem Princiy der Neformation und ben Zeitumſtaͤnden die Drinz⸗ lichkeit der endlichen befriebigenden Loͤſung der obigen Lebensfragt indem ex zugleich alle bereitd vorgebrachten Ginwendungen dagegen mit ſchlagenden Sränden zuruͤckweiſt.

Discordia Concors

oder

Ob wir fämpfen, find wir doch eins! @in Wort zur Berfländigung in den kirchlichen Wirren der Zeit mit Rückſicht auf das Princip des Wielicenus von " J. E. Lauter. 4 Bogen. gr. 8. geb. 8 Ber.

Der Verf., ein bibelgläubiger Rationalift, weift das Priacip bee Wislicenus, als zur Subjectivität der Willkuͤhr führend, zuruͤck Di tet dagegen den Symboiglaͤubigen die Hand zur Bereinigung auf der Grund der gemeinfam anerkannten Autorität der Schrift.

Theologiſche Studien und Kritiken.

Eine Zeitſchrift

für

das geſammte Gebiet der Theologie, in Verbindung mit D. Gieſeler, D. Luͤcke und D. Nitzſch,

herausgegeben

von

D. ©. ullmann und D. F. W. €, Umbreit,

Profefforen an der Univerfität zu ‚Heidelberg.

Zahrgang 1847 viertes Heft.

Hamburg, bei Friedrich Pertdes. 184 1%.

Abhandlungen

1.

Der Kanon ded neuen Zeftamentd von Muratori, von Reuem verglichen und im Zufammenhange erläutert

von

D. & Biefeler, | Profeflor in Göttingen,

Sn dem theologifchen Kampfe der Gegenwart bildet unftreitig eine Garbinalfrage die Unterfuchung über die Dignität des Kanond und des darin enthaltenen göttlichen Worted. Wie Ddiefelbe zumal bei dem gegenwärtigen Stande der Bildung nicht ohne die gründlichfte hiſtoriſch⸗kri⸗ tifche Forfchung gelöft werden Tann, fo hat ſich bie durch da® vorwiegend praßtifche Intereſſe herbeigeführte theils weife Bernadhläffigung derfelben bereits mannichfach ger rädt und wird ed aller Wahrfcheinlichfeit nach leider noch mehr thun. Junerhalb des Gebietes der hiſtoriſch⸗ Pritifchen Forſchung fcheint man indeß wieber allgemeis ner nicht bloß ein einfeitiged Gewicht auf die ſogenann⸗ ten innern Gründe legen, fondern im ungünftigften Falle wenigftene den Verſuch machen zu wollen, nachzuweiſen, daß das NRefultat der Innern Kritik mit den anerfannt ältefien äußeren Zeugniffen irgenbiwie vereinbart werden konne.

816 Biieisles

In der Entſtehungsgeſchichte des neuteftamentlichen Kanond bildet nun jedenfalls ein fehr beachtungswerthes Glied der in der Ueberfchrift erwähnte Kanon von Muratori, welder befanntlid daher feinen Namen hat, daß ihn, deffen Urheber nicht mit überliefert if, Muratori jeßt vor etwa einem Jahrhundert im feinen Antiqg. Ital. med. aev. tom. III. p. 851 sqq. zuerſt publicirte. Er wies fofort auf feine Wichtigkeit hin, commentirte ihn aber nicht eigentlich, fondern ſchickte ihm nur eine kurze Einleitung woraus, in welcher er Beichaffenbeit, Juhalt und Alter feined Goder befchreibt und als Urheber unferes Kanond, welcher nur einen fehr geringen Beftandtheil deffelben ausmacht, den römifchen Presbyter Cajus, qui— das find feine Worte sub Victore et Zephyrino pontificibus, teste Photio in Bibliotheca codice 48., h.e. qui cireiter an- num Christi 196. floruit,, nachzumeifen fucht, eine Anuſicht, die nachher von manchen Andern getheilt ift und die wir fpäter prüfen werden. Das Document ift in ber Kolge zeit, doch gewöhnlich nur an einzelnen Stellen, vielfach erflärt worden. ine verdienftlihe Monographie hat darüber Zimmermann «) verfaßt. Dankenswerthe Beiträge zu feinem Berkändniffe finden ſich namentlid in den verfchiebenen Werken über Einleitung ins R, T. Doch iſt man über Werth, Inhalt, Entfiehung, Alter, urfprünglihe Sprache diefed Documents noch fein wegs einig geworden. Rinerfeitd feine unverkennbar Wichtigkeit, andererfeitd die mandherlei Räthfel, weldt es dem Betrachter darzubieten fchien, veranlaßten wich j# einer auhaltenders Befchäftigung mit demſelben. Schen im Begriffe, die von mir gewonnene Anficyt zu publiciren, trat einer meiner Brüder, Friedrich Wiefeler, Profeſ⸗ for der Philologie an hiefiger Univerfität, im Winter

k a) De canone librorum saororum fragmentam a Muratorio re pertum. 1805. 8.

der Kanon des neuen Teſtaments von Muratori.’ 817

1845 feine archäologifche Reife nach Stalien an. Da derfelbe auch Mailand befuchen wollte, wo Muratori in der ambrofianifchen Bibliothef den von ihm verglichenen Eoder gefunden hatte, fo beſchloß ich um fo lieber, mit der Publication noch zu warten, ald eine wiederholte Collation des merfwärdigen Kragments, welche feit Mu: ratori a) nicht gefhehen war, für die Andlegung ober Conjectur nuftreitig die fidherfie Grundlage bieten mußte, In Kolge der Andeutungen von Muratori und unters ſtützt durch die Gefälligkeit des Borftandes ber dortigen Bibliothek, welchem ich hiermit öffentlich meinen Danf ausfprecdhe, fand mein Bruder auch wirklich jenen. Soder und hat ihn genau verglichen. Im Banzen if ber Abs druck von Muratori treu, nur daß er bie vielen Nach⸗ läſſigkeitsfehler des Schreibers, über die er Hagt, nicht felten ſtillſchweigend verheſſert. Bei der fchabhaften Ge⸗ flalt des Kanond und dem Mißcredit, in welchen er deß⸗ halb bei einigen Krititern gekommen iſt, iſt es ſchon et⸗ was werth, zu wiſſen, daß auf diplomatiſchem Wege dem Texte nicht weiter, als hier geſchehen, nachzuhelfen iſt. Die Schreibfehler und ähnliche Irrungen des Ma⸗ nuſcripts habe ich indeß auch da beibehalten zu müſſen geglaubt, we über die rechte Lesart kein Zweifel ſeyn kann, weil demjenigen, der daffelbe nicht in Händen hat, dadurch allein eine moͤglichſt authentifche Norm für bie vieleicht nothwendige kritiſche Behandlung ber fchwieris gen Stellen gegeben wird.

Zur Einleitung unſeres Abdrucks mögen die Worte von Muratori diesen: Adservat Ambrosiana Mediolanen- sis Bibliotheca membransceum codicem e Bobiensi acce-

a) Routh, Reliquiae sacrae Vol. IV. pag. I sqq., Kirchhofer, Quellenfammlung zur Geſchichte des neuteft. Kanone bis auf Dieronymus, &, 1ff., u. A. geben nur den Abdrud von Muratori

wieder, )

818 Wieſeler

ptum, cuius antiquitas paens ad annos mille (aus dem 8. oder 9. Jahrh.) accedere mihi visa est. Scripte enim fuit litteris maiusculis et quadratis. Titulus praefixus omnla tribuit Ioanni Chrysostomo, sed immerite. . Rachdem nun verfchiedene Beſtandtheile biefed Manu feripte von ihm angeführt find, fährt er fort: Ex eodem codice ego decerpsi fragmentum antiquissimum ad Canonem divinerum Scripturerum spectens. sch füge hin⸗ zu, daß die einzelnen Worte in demfelben zwar getrennt find, daß die Interpunction aber, mit Ausnahme weni: : ger Stellen, noch ganz fehlt, die von Muratori befolgte Snterpunction von diefem felber herrührt nnd dem Ausleger rüdfihtlih der Verbindung daher ganz freie Hand ge laffen if. Anfang und Ende ber Zeilen bes Manufcripte find in unferm Abdrude ſtets durch einen verticalen Strich angedeutet, und wo im Terte eine Lüde ift, ift dieſes in den Noten ausdrücklich angegeben. Meine Conjecturen, zu denen auch die Interpunctiongehört, finb zum Un: terfchiede vom Texte eingeflammert und, wo es uöthig fheint, entweder fogleidy in der Note unter dem Texte oder fpäter bei der Erflärung weiter begründet. Am Rande des Abdrudd habe ich die Zahl der Reihen des Gober noch befonders durch Ziffern bezeichnet, um bei der Aus; legung feinen Text in möglichfter Kürze citiren zu kön nen. Nach diefen Borbemerkungen laſſe ich, bevor id meine Auffaffung im Zufammenhange vorlege, ben von Neuem verglichenen Tert des Kanons mit einigen Anmers tungen folgen.

Tert des Kanone,

quibus a) tamen interfuit et ita posuii(.) | Tertio (um) b) evangelli librum secundo (secundum) Lu-

a) Das Fragment fängt nach einer längern Lüde etwa mitten auf der Geite an.

b) Die zweite Zelte, mit welcher das Fragment über das Evange:

der Kanon bed neuen Teſtaments von Muratori. 819

cam | Lucas iste medicus post acensum a) (ascensum) Chri- sti (,)|cum eo (eum) Paulus quasi ut iuris studiosum | se- cundum adsumsisset b) (,) numenisuo (nomine suo) | exopi- 5 nione c) concriset d) (conscripsit —) dominum tamen nec ipse | vidit in carne e) (—) et idem prout asequi (assequi)

um bes Lukas zu reden beginnt, ift von Tertio- Lacam mit zother Dinte gefchrieben. Schon hieraus erhellt, daß mit Tertio ein neuer Gag beginnt. Dieſes ift, wie aus dem folgen» dem libram hervorgeht, tertium zu lefen. Daß o und u, e und i, auch e und ae, b und p u. ſ. w. in den Handfchriften nicht felten verwechſelt werben, mag bier eins für allemal gefagt fein. Ebenſo fehlt m fehr Häufig, indem es durch einen horizontalen Strich bezeichnet wurde, ber verblichen ober auch wohl gar nicht gefegt if. Gin Beiſpiel hierfür ift auch bas gleidy folgende se- cundo für secundam,. Das außerdem fehlerhafte a (secando) ift bereits im Danufcript in u corrigirt.

a) Das erfte s fcheint von derfelben Hand bazwifchen gefchrieben.

b) d. i. „da ihn Paulus gleichſam als zweiten Bechtöbefliffenen dazugenommen hatte.” Vielleicht ift bier angefpielt auf ben Rechtsſatz: „das Zeugniß zweier Menfchen ift wahr” (Joh. 8,17.). Der Ginn ifl aber ungweibeutig der, daß das Evangelium bes

Lubkas unter den Aufpicien des Paulus entflanben fey.

c) nomine suo ex opinione, d. i. „in feinem, bes Lukas, Namen nad) der Meinung ;” eigentlich aber ift es das Evangelium bes Paulus, ;

d) Gin b ftatt p iſt von berfelben Hand übergelchrieben.

e) Die Worte dominum tamen nec ipse vidit in carne bilden einen Zwiſchenſatz, fo daß ſich das folgende et idem unmittelbar an conseripsit anfchließt: „und eben berfelbe fchrieb, wie er’s ver: folgen Eonnte.” Das assequi fheint auf wagnxolovßnudr: (2uf.1,3) anzufpielen, welches bereits in ber Itala (vergl. Ladys mann’s große Edition) durch assequi wiedergegeben wird, Aber was bezeichnen bie erftern Worte? Jedenfalls, daß Lukas ben Seren nicht gefehen bat, fein unmittelbarer Schüler nicht gewe⸗ fen it, was bekanntlich richtig if. Aber mit wem wird er durch das nec ipse in diefer Beziehung auf gleiche Linie ge: flelt ? etwa mit Paulus, von welchem kurz vorher die Rede if? Schwerlich, fondern mit dem Spangeliften Markus, beffen Evan» gelium in unferm Bragmente kurz vor dem des Gpangeliften Lukas erwähnt gewefen fein muß; f. fpäter. Denn theils ſcheint

820 Mieſeler

potult |ita et ab nativitete lohemnis incipet (it) dicere (.) Qearti (um) evangeliorum Iohannis (es) ex decipulisa) (di- scipulis.) | Cohertantibus condecipulis (oondiscipulis) et 10 episcopis auig | -dixit (:) Conieiunste mihi edie (hodie) tridue (um) et quid|ceique fuerit revelatum(,) alterutrem (tri) nobis ennarremus (enarremus.) Radem nocte reve | latum Andreae ex apostolis (,) ut recognis (os) | centibus cuntis 15 (eunotis) Iohannis (es) suo nomine | cuncta discriberet (de- seriberet.) Et ideo licit (et) varia sin | gulis evangeliorum principia | doceantur (,) nihil tamen differt creden | tium fidei (? es,) cum uno ac principali spiritu de | clarata sint in 20 omnihus omnia de nativi |tate(,) de passione (,) de resur- rectione (,) | de conversatione cum decipulis (dieeipulis) suis | ac de gemino eius adventu b) (;) | primo (us) in hu- militate dispectus (despectus) quod fo(u) c)|..(it,) secm- 25 dum (s) potestste regali pre(ae)|clarum d) (s) quod fo- turum (futarus) est e)- Quid ergo | mirum(,) si Iohannes

hierauf der Gag et idem etc. zu führen, theils wird im ol: genden beim vierten Cvangeliſten ausdruͤcklich wieder has Ges gentheil herworgehoben, baß er gu den Züngern Jeſu gehört babe. Denn allerbings Tonnte es bei einem Evangeliften nicht gleichgältig feyn, gu erfahren, in welchem Verbältniffe er zum ‚Herrn geflanden hatte.

a) Iſt zu ergängen conscripsit. Die Worte Quarti— decipulis find mit rother Dinte gefchrieben.

b) Nach adventu ein etwas groͤßerer leerer Raum, als am Ende anderer Zeilen zu fein pflegt.

c) Die beiden Endbuchſtaben von Zeile 24 find fo; die beiden Buchta ben der folgenden Beile .find etwas undeutlich, aber von mei: nem Bruder re gelefen, was keinen Sinn gibt (idy habe fuit eonjieirt); dann folgt ohne Zwiſchenraum secundum.

d) Bor praeclarum 2 Buchſtaben, die ausgeflrichen ober vielmeht

ausradirt find.

e) Hier findet ſich, wie an noch einigen bemerkten Stellen im Mu nufeript, als Interpunctionszeichen ein oberes Punctum, das fc genannte griechifche Kolon. Die Worte von primo faturem

der Kanon des neuen Teſtaments von Muratori. 821

tam conetanter | singula etiam in epistulis (epietolis) suis proferat(,) | dieens Insemeipsu a) (in semet ipao:) Quae vidimus oculis |nostris et auribus audivimus et manus | 30 'nostrae palpaverunt (,) haec scripsimus (‚,) | b). Sic enim non solum visurem (visorem se) c) sed et d) auditorem sed et | scriptorem omnium mirabilium dominus (i) e) per ordi|nem profetetur (profitetur). Acta autem omnium apo- stolorum | sub uno libro scribta (scripta) sunt (.) Lucas obtime (optimo) Theophi|le (0) conprindit (comprehendit,) quia f) 35

est find fehr dbeprarirt. Ch. Er. Schmid in Kritifche Unterfus hung, 0b die Offenbarung Iohannis ein göttliches Buch fey, 1771, vermuthet: primo in humilitate despectas, quod praeteri- tum est, secundo in potestate regali praeclarus, quod futurum est. Schon wegen bed Raumes wäre aber dann für praeteritum est „‚fait” zu fegen. Ich veflituire: primus (scil. adventus) in humilitate despectus quod fuit, secundus potestate regali prae- clarus quod futurus est; dad quad hängt dann von declarata sint ab. Wie man aber auch lefe, der Sinn iſt unzweifelhaft ber, baß der geminus adventus Christi erklärt wird theils ale feine Erſcheinung in Niebrigkeit, die bereits gefcheben ift, theils als feine Erſcheinung mit koͤniglicher Würde, welche erft Toms men fol.

) Im Zolgenden wird 1 Joh. 1, 1. citirt als Wort des Eyange⸗ liften Johannes, woraus erhellt, einerfeits, daß der Verfaſſer ben erſten Brief als eine Schrift des Johannes anerkannte, und an: dererfeits, daß er bdiefen Brief und bad Evangelium derfelben Perſon beilegte. Im Vorhergehenden wird indeß auch von episto- lis diefes Johannes im Plural geredet.

b) Anfang ber zweiten Geite bes Manuſcripts.

c) Nach visorem ift gewiß se hinzuzufügen, was auch von dem Schreiber um fo eher ausgelafien werben Eonnte, als bas aͤhn⸗ lie sed gleich darauf folgte. Zimmermann a. a. D. conjicirt visorem se et.

d) Das gewiß urfprünglicdhe et ift bereits in ber Handſchrift über» und zwiſchengeſchrieben.

e) DNS, doch fcheint an dem fchließenden S gefragt.

f) Die Aenderungen optimo Theophilo und comprehendit liegen auf der Hand und find allgemein angenommen. ben fo ficher ſcheint aber die an’ fich jedenfalls fehr leichte Aenderung bes quia

822 Biefeler (quae) sub praesentia eius «) singula | gerebantur (,) sic

a)

et semote passionem Petri | evidenter declarat (,) sed

in quas; denn erflens, ba wegen bes vorhergehenden sunt mit Lukas unftreitig ein neuer Sag beginnen muß, fo erhält compre- hendit erft fo feinen Objectsaccufativ; zweitens muß bas qguis jedenfalls geändert werden, dba es einen Sinn gibt; drittens bildet comprehendit augenſcheinlich einen Gegenfag zu singula: eukas faßte für den Iheophilus das Einzelne zufammen, was geſchah. Der Inhalt der Apoſtelgeſchichte ifl bier etwas übertrieben dargeftellt denn bekanntlich Yat Lukas mandyes Einzelne in ihr übergangen doch nidytübertriebener, alskurz vorher in bem acta omnium apostolorum. Der Berfafler theitt biefe in ihrer. Allgemeinheit ungenaue Eharakteriſtik mit den meiften feiner Zeitgenoffen.

eine iſt auf Lukas, nicht anf Theophilus zu beziehen. Was heißt nun: sub praesentia eius? Etwa biefes, daß Lukas bei dem Ginzelnen, was er in ber Apoſtelgeſchichte befchrieben hat, immer gegenwärtig geweſen fey, unb baß er nur das Ginzelne babe befchreiben wollen, bei weldhem er in Perfon zugegen war?

Schwerlich wird man diefe unbaltbare Anficyt von ber Apoſtel⸗

geſchichte, welche audy zu dem acta omnium apostolorum we nig paffen würde, bei der klar vorliegenden Beſchaffenheit der⸗ felben, da die erfte Perfon fidh erſt von Apſtg. 16, 10. ab findet, dem Verfaſſer unferes Kanone zumuthen dürfen, und zwar umfo weniger , als berfelbe gerade von Lukas in Bezug auf fein Ber: bältnig zum Evangelium gegenüber der irrigen Angabe Anderer, daß er einer der Siebenzig geweſen fey, ebenfalld richtig ber merkt, daß er den Herrn im Fleifhe nicht gefeben habe. Es werben die fraglichen Worte daber in einem allgemeinern Sinne, für tempore eius gefaßt werden müffen. Daß dieſe Erklärung richtig fein dürfte, ergibt ſich noch aus folgender Betradstung. Das optimo Timotheo enthält anerlanntermafen eine Anfpie lung auf das Prodmium bes Evangeliums, wo ber Evangeliſt Beranlaffung und Zwed feines Werkes felber auseinander: fegt, nämlih auf das xgarısre Gsopıle (Evang. Eul. 1,3.) Und deßhalb iſt es an ſich ſchon fehr wahrſcheinlich, daß bie Worte quae sub praesentia eius singula gerebantur bloß eine in nicht gutem Latein verfaßte Parapbrafe von Ev. Luk. 1, 1. æsol ray weningopognuisov dv jaiv agayuarew ſeyn follen, fo daß unfer sub praesentia eius dem dv Yjeiw entipredgen würbe,

der Kanon des neuen Teſtaments von Muratori. 823

profectionem Pauli ab ur|be sd Spaniam profleiscentis =)

a) Die Worte von sicuti et bis prohciscentis find von großer hiſto⸗ riſcher Wichtigkeit, und zwar fchwierig, aber, wie ich glaube, in ihrem Zufammenbange gefaßt, noch ſicher zu enträthfeln, Wir unterfcheibden bie Bragen : was bebeuten fie an ſich? unb dann, was bedeuten fie in ihrer Berbindung mit dem Vorhergehenden?

ad 1) Zunädft die Worte: semote passionem Petri eriden- ter declarat, „‚abgefonbert zeigt Lukas deutlich dad Leiden des Petrus an.” Zimmermann benlt bei der passio Petri an Apft. 5,40. 12,3 ff. Gewiß mit Unrecht. Denn einerfeits mas chen es nicht nur die befannte Tradition über Petrus, fonbern auch die Worte felber (fowird auch 3.21. in unferm Sragmente das Zobesleiden Ehriſti bloß passio genannt) hoͤchſt wahrſchein⸗ ich, daß man an dad Zodesleiden des Petrus zu denken habe; andererfeits ſpricht semote ausdruͤcklich gegen biefe Auf⸗ faffung, da Lukas nad diefem Worte eben nicht in ber Apoftels gefchichte, fondern an einem abgefonderten Orte über bie passio Petri reben fol. Da nun Lukas die letztere erwähnt has ben fol, dieſer aber nur die Apoftelgefdhichte und fein Evanges lium gefchrieben hat, fo muß von unferm Berfafler eine Stelle des Evangeliums, alfo wohl Auf, 22, 83., gemeint fegn. Muß aber unter ber passio Petri ber Märtygrertob des Petrus verftanden werden, fo gehört unfere Stelle auch zu den Altern 3eugniffen über denſelben; über das Alter des Kanons ſ. fpäter. Weiter beißt ed: sed profectionem Pauli ab urbe ad Spaniam proficiscentis. Zimmermann ändert das sed in et. Gegen bie Leichtigkeit diefer Sonjunctur wäre nichts einzuwenben, nur iſt fie deßhalb ſchlechthin ausgeſchloſſen, weil, wie Jeder fieht, Lukas weder in der Apoſtelgeſchichte noch im Evangelium die Reiſe des Paulus nach Spanien evidenter declarat, wie es doch der Fall ſeyn müßte, wenn ſtatt sed et geleſen würde. Augenſcheinlich ift, wie der durch sed angedeutete Gegenſatz zu bem vorherges benden eridenter declarat und bie Sache felbft lehren, hinter prohciscentis ein Wort wie omittit ausgelaffen, ober es iſt flatt sed nec zu leſen.

ad?) Weßwegen bat der Berfafler des Kanone einerfeits die Er⸗ wähnung bes Märtyrertobes des Petrus bei Lukas und andererſeits feine Webergehung ber Reiſe des Paulus nad) Spanien anges führt? Hätte er zunädhft eine Charakteriſtik der Geſchichtſchrei⸗

bung des Lukas geben wollen, fo hätte er, wie einleuchtet, keine

unpaffendern Beifpiele wählen können, als dieſe. Zu biefer

Erörterung treibt ihn unftreitig ein anberweitiges Intöreffe,

nämlich das Interefle an der Geſchichte der Apoftel Petrus und 4

u. . Wiefeler

(omittit.) Epistulaea) (Epistelae) autem | Pauli(,) quae (,) 40 a quo loco vel qua ex causa directe (ae) | sint(,) volan- tatibus b) (volentibus) intellegere (intelligere) ipse (ae) de- clarant (.) | Primum omnium c) Corintheis (Corinthüs) sey-

Paulus, mas im Schooße ber römifdhen Gemeine, in welder, wie wir fpäter fehen werben, unfer Fragment entflanden ſeyn muß, nicht zu verwunbern iſt. Hier müffen damals fchen bei Behauptungen ausgefprochen feyn, daß Petrus ben Märtgrerteb erlitten babe, und baß Paulus von Rom (ab urbe) nad Ep nien £egteres wegen Römer 15, 24. gereift fei, unb unier Verfaſſer will ſich über die Wahrheit dieſer Behauptungen mit Bezug auf die Werke des Lukas ausſprechen. In weldgem Binz: er es thut, ergibt fich aus dem Zuſammenhange. Diefer wir mit dem Vorhergehenden durch sicati et vermittelt; es muf, wie dieſe Partikel barthut, bes vorhergehende allgemeine Ge danke näher erläutert und beftätigt werben. „kukas faßt zu fammen, was während feiner Zeit Ginzelnes gefchehen war, wie er denn auch abgefondert bas Leiden beö Petrus beutlih an zeigt —benn ed war zu feiner Zeit gefcheben aber die Keil des Paulus, da er von der Stadt nad Spanien reifte, übe: gebt denn fie war nicht gefchehen.” Gr bejaht mithin gwar den Mörtyrertob des Petrus, leugnet aber die Geſchichtlichkeit ber fpanifchen Reife des Paulus und, was daraus nothwendis folgt, die Gefhichtlichleit der fogenannten zweiten roͤmiſche Gefangenſchaft des Paulus, Wir haben bier alfo wahrſcheinlich ein altes wichtiges Beugniß, und zwar aus dem Schooße ber ti: mifchen Gemeine felber, welches ber Annahme biefer zweiten Ge fangenfchaft direct wibderfpricht.

a) Das bisher flatt epistola vermuthete epistolae findet ſich in ber Handſchrift. |

b) Ebenſo verhält es ſich mit volentibus flatt voluntatibas. Den bei diefem Worte ift an u und ta rabirt und bei bem erflem der Anfang ber Aenderung in ein a gemacht.

c) Beifpielsweife führt ber Verfaffer von primum omnium bis pro- lixias seripsit aus, qua ex causa die brei bedeutendſten Parli⸗ nen verfaßt feyen. Das primum omnium hat Zimmermann reichen Anlaß zum Tadel gegeben, indem er ben Text nicht ver flanden hat. Gr meint nämlich, daß dadurch eine Ausfage über die Abfaffungszeit ber Korintherbriefe gegeben werben fol; und allerdings wäre es irsig, die Korintherbriefe als die zacrk

‚von Paulus verfaßten bezeichnen zu wollen. Vergleicht man die bald darauf folgende Angabe über bie an einzelne Gemeine

der Kanon bed neuen Teſtaments von Muratori. 825

sme =) (schisma) heresis (haeresis) in | terdicens (‚) dein- ceps Callactis (oder Callastis, d. i. Galatis). cironmcisione (circumceisionem,) b) | Romanis autem ordine c) (ordinem) scriptararum (,)sed et d) | principium earum esse ©) Chri- stum intimans f) (Paulas ?) | prolexius (prolixius) seripsit (,) 45 de quibus sincolis (singulis) 8) neces | se est ab nobie des-

gerichteten pauliniſchen Briefe, fo findet man indeß dieſelbe Rei⸗ henfolge: Korinther, Galater, endlich Roͤmer, nur daß an unſerer Stelle die übrigen Briefe ausgelaſſen find, weil ber Verfaſſer bier nur die widhtigften Yaulinen und die Gemeinen, an welde er prolixius ſchrieb, aufführen wollte, Jene Reihenfolge ift aber, wie bier audy Zimmermann augibt, deutlich nicht die ihrer chro⸗ nologiſchen Entftehung, fondern bie ihrer Anordnung in bes Bis bei unferes Berfaflers.

a) 1 Kor. 1,10. 8,3.

b) Gal. 5,2.8. Kurz vorher bei deinceps findet ſich noch ein b. Dod ift wohl nicht deincepsb beabſichtigt, ſondern bas b wohl nur eine Goxrectur bes p: „deincebs.”’

c) In ber Handfehrift urfprünglich ornidine ; bei ni ift der Anfang zum Rabiren gemacht, wie 3. B. nach ©. 824. Not. h. hei dem ta. Es it für ordine ordinem zu lefen, (Andere aͤndern unnoͤthi⸗

. gerweife finem oder cardinem), wie kurz vorher circumcisiv- nem für circameisione ; vgl. G. S18. Not. b. Wie ordo legum bie von ben Gefegen gebotene Ordnung, fo bezeichnet ordo scripturarum die von den Schriften (nach dem Zuſammenhange denn es iſt vom NRömerbriefe die Rebe bes alten Teſtaments) gebotene Ordnung. Der Accuſativ ordinem hängt ab von intimans, pro-

lizius seripsit ift aber ba Hauptverbum ber gangen Periode, welche in den Zertausgaben falſch abgetheilt zu werben pflegt: „Zuerſt von Allem den Korinthern den Parteigwift unterfagend, darnach den Galatern die Beſchneidung, den Römern aber die von ben Schriften gebotene. Ordnung, aber dag Maud) ihr, ber Schriften, Princip Ghriftus fey, ankuͤndigend, ſchrieb Paulus ausführlicher.”

d) Hier iſt & und, wie ea fcheint, fpäter geſchrieben, aber in ber Zeile.

e) Zwiſchen esse und Christam fland urfprünglidy sed, ift aber aus: rabirt und faft unfichtbar.

f) Hinter intimans ein kleiner Raum, etwa für 5 Buchflaben. Es ift wohl Paulus hinzuzufügen.

g) de quibus singulis etc., „über welche (naͤmlich Korinther⸗, Ga⸗

826 Wiefeler

putari (disputeri.) Cum «) ipse beatus |epostoles Paulus sequens praedecessoris sui | Johannis b) ordinem noaai-

later» und Mömerbriefe) ale einzelne von uns verhandelt wurbe, wie nothwenbig if.” Nur über biefe drei hat der Wer: fafler kurz vorher im Einzelnen gehandelt; wegen ihrer Wide. tigkeit war es ein necosse est. Es erklären unfere Worte, warum er über biefe drei, nämlidy über ihre Abzweckung, vorher befonders handelt und nun fofort zu einer andern und daza zufammenfaffenden Betrachtung ber Paulinen übergeht.

Auch der Sag mit cum wird falfy verbunden, indem man vor

cam fein Yunctum madht, während doch im Folgenden ein neuer

Gedanke anhebt und jener Say, mit dem Vorhergehenden cen⸗

firuirt, Teinen Sinn geben will. Iſt dieß richtig, fo folgt, deß

der Nadfag zu cum nidt mit verum bis iteretar beginnen

Tann biefes muß vielmehr ein Zwiſchenſat ſeyn, und ber

Nachſatz kann erft mit una tamen bis dignoscitur folgen. Se

erhalten wir allein einen treffenden Sinn. ‚Da Paulus nur as

fieben Gemeinen namentlid ſchreibt u.f.w., fo ertennt man, daß doch nur eine Gemeine auf dem ganzen Erdkreiſe verbreis |

tet iſt; denn auch Johannes in der Apokalypſe, obwohl ex a

fieben Gemeinen fchreibt, Tagt es body zu allen.” Aus der

Siebenzahl der Bemeinen wird nach einer audy bei andern Kir

henvätern vorkommenden Sitte auf die Einheit unb Allgemein

beit ber chriſtlichen Gemeine und ber Briefe des Paulus, welche an fle gerichtet find, gefcyloffen. Als Zwiſchenſat gibt andy dei verum bis iteretar lebiglidh einen Sinn. Es ift zw leſen: veram Corinthiis et Thessalonicensibus, licet pro correptiose, iteratur, „aber den Korinthern und Theſſalonichern wird es (des

Schreiben), obwohl ald Zabel, wieberholt.” Der Berfaffer wi

fagen: außer den fieben genannten Briefen gibt es nody zwei

Briefe bes Paulus an bie Korinther und Theffalonidyer; Yes

find aber nur Wiederholungen berfelben Gemeinen, fo daß ie

Siebenzahe nicht überfchritten wird.

b) Johannes iſt der Apokalyptiker, wie bald naher noch eu brudtich bemerkt wirb; er richtete feine Schrift an fieben mentlih aufgeführte Gemeinen (Apok. 1, 4. 2,1 ff.) Di Briefe, welche ihm von unferem Berfaffer audy beigelegt werben, find an Feine namhaft gemachten Gemeinen gerichtet. seques: etc., „indem er feines Vorgängers Johannes Orbnung befolgt.” Bimmermann verfteht nach dem Vorgange Anderer bie Wert: fo, als erhelle aus ihnen, daß nach unferem Berfaffer die Ape⸗

u,

der Kanon des neuen Teſtaments von Muratori. 827

ai 2) nomensthn (nominatim) semptem b) (septem)|erelesiis c). seribet 4) ordine tali(:) acorenthies (ad Corimthioe) | pri- 50

1}

kalypſe vor allen Briefen bes Paulns, weicher ſich nad jener- gerichtet haben folle, geſchrieben ſey, und zrinnert, freilid ums ter ſtarker Rüge, dab auch Cpiphanius Chaeres. 61.) ihre Abfafe fung fälfhliy in die Zeit des Claudius fege. Ich würbe daraus _ nicht zu viel machen, ba ähnliche Serthümer aud bei uns alle ' Zage vortommen. Indeß ſcheint mir der Borwutf voͤlltg unbegrim:' "det zu feyn. Das soquens kann unftreitig. ala Urtheilı bes Berfafs fers unfers Kanone oder ats Motiv des Paplus bei Abfaffung- feiner 7 Briefe verſtanden werben, und nur im legtern Falle {ft der Vorwurf begründet. Daß ber letztere Kal hoͤchſt unwahr⸗ ſcheinlich iſt, ergibt fi auch aus der feltfamen Vorſtellung, welde man. dann unferem Verfaſſer beilegen muß: weil So» bannes an 7 Gemeinen namentlich gefchrieben habe, fo habe auch Paulus nur an 7 Gemeinen zu Schreiben beabfidhtigt; ferner daraus, baß, wie wir gleich feben werben, bier gar nicht von der urfprünglidden Entflehung der pauliniſchen Briefe geredet‘ wird, fondern von ihrem Verhaͤltniſſe imerhalb des Kanone und: ber QOrdnung, in ber fie bier gelefen wurben. Daß das Ver⸗ fahren des Paulus mit dem des Johannes nur verglichen, 'nidt das eine aus bem andern abgeleitet werden folle, fo. daß der allgemeine Sinn if: Paulus habe Wriefe an 7 namentlich erwähnte Gemeinen geſchrieben, wie fein. Vorgänger Sohannes, erhellt endlach aus den Schlußworten unfers Mbfchnittes: Et Io- bannes enim etc., denn audy Sobannes. Er vergleicht bie Briefe bei Paulus an bie 7 Gemeinen mit den Briefen an die 7 Gemei⸗ nen ber Apolalypfe, weil die allegorifche Erklaͤrung der legtern Siebenzahl bereits gäng und gäbe war fie iſt ja feib bis auf bie neuere Zeit herabasführt und deßhalb aud in jenen fließenden Worten ohne Beweis als wichtig vorausgefegt wird. Johannes heißt praedecessor als. Vorgaͤnger des Paulus im apoſtoliſchen Amte, vgl. Gal. 1,17. 2,9. Deine apoſtoliſche Würde wirb hervorgehoben, wie kurz zuvor die des Paulus.

a) Kür nonnisi ſteht donnisi, doch ift das n von besfelben Hand übergefchrieben.

b) Das soptem iſt urfprünglid; semptae gefchrieben, ae für e, wie öfter; doch ift an bem a bexeits radirt. c) Urfprünglidy eccleses, über dem legten e find zwei i geſchrieben.

d) Die Reihenfolge der genannnten 7 Paulinen Bann eine zufällige und darum gegen bie hergebrachte anftoßenbe feyn; denn daß

Theol. Stud, Jahrg. 1847, 56

38 .. Butler

ma. („). ad: Klesias. (Ephesies) secands (sseunde,) ad Fhi- -lipginsee (Pihilippeiises). tes | tie. (,) ad Celosenses (Colsssen- ses) quarta (,) ad Calatas (Galatas) quin |ta (,) ad Tensao- loneciauis (Thesselenisenees) sexrta‘ ad: Romanos |. septi- mw (-) veram. Cörentkeis (Coriuthiie) et "Tenwnolecen (Thessalonicen) | sibus a) (,) licet pro correbtione (corre-

55 ptione,) iteretur (iteratur—) una |tamen per omnem orbem terra enclesia | deffusa(diffusa) asedensscitur (digaesckur.) Rt Ichenues ‚eaim ine b) (iu A)|pocsiebey (pocalypsi,) Heet septem ecciesels (ecciesils) scribat (,) | tamen omai- bus dieit(.) Verum ad Philemonem una | et at (ad) Titum una, et ad. Tymotheum (Timotheum) dass (duae,) pro ı-

60 feo} tn.(tu). et dilestione c) (,) in. houore(komerem) tsmes eeelerlae ca|tliolice(cae,) in ordinatione ecclesiastice (cae) d)| descepline (disciplinae) sanctificate (tae) sant e) (.) Fer- tar etiam ad| Laudecenses (Laodieenses,) alia ad Alexau- deince Pauli. no.| mine finctae (fietan) ad haeresem f} Mar-

65 elenis-et alla plu-|ra-(,) quae in catholicam #) ecclesiem ————

: der Varfaſſer in derſelben eine vorliegende Ordnung befolgt

will, ergibe fh aus dem aushrüdlich hinzugefügten ordie aali: Diefe Ordnung fe aber, wie allgemein: ansckannt wir, feine durch bie Ghronologie ber Wröefe beftimsmte ſeyn, ders wie koͤnnte fonft: . B. der Brief an bie Roͤmer zulett und hir ter den. Briefen: aus ber Geſangenfchaft bes: Apoſtels ſehen. © iſt vielmehr eine eigenthämliche im Kanon ſelber, auf dit wir fpäten zuruͤckkemmen werben , wie auch: durch das Praͤſen

: scribat, nicht soripaerit, angebeutet: wird.

a). Statt Tionsaolecemmibus arfprünglidg Desmeolscensikus.

* 1») Das i größer als gewähntid.

e) Die genannten Wriefe des Paulus an Private finb zwar au

Reigung und Liebe, aber doch zur Eher ber Tathetifdgen Kirdt geſchrieben.

d) Hinter occlesigsticae beginnt die dritte Seito des Manufeipl-

e). Obgteich Briefe an Private, find fie doch zur Edre der kethe liſchen Kirche verfaßt und wegen Xnorbwung der Eiedliät Dissiplin gegeiligt, in die scriptura sacra aufgenommk.

f) Das re iſt fpäter uͤbergeſchrieben.

8) urſpruͤnalich chutholieam, body am. h rabiet,

ber Kanon bed neuen Teſiaments von Muratori. 829

recepi (reeipi) nan | potent (possupt),%)., Fel enim cum mele misneri non con| gruit(.) Epistela sene Iude (Iudse) et supessorietio (superseripti) | kahannja, daas. (dyge) in cathnlica habentur (,) et (ut) Bapi | euiia ab, amicis Salomo- nis ia honerem ipsius |.aoripta (.) apocnlapae (spocalypsis) TO etiam lehanis (lohannis). Et Petri tentam recipimus (,) quam (quem) quidam ex nos tris legi im eoclesis nolunt (.) Pastorem vero | nıperrime temporibuanostris in urbe | Ro- ma Herma (Hermas) conseripsit aedente catlıe | tra (dra) 75 urbis Romas accclesiae (ecrlezise) Pie eginoape fratre b)] eius(;) et ideo legi eum quidem opertet (,) no. pu|phicare- vero c) (blicare vero) in ecciesia populo neque inter | pro- fettas (prophetas) conpletum (completos). nnmera: neque | inter appstolos im finem temporum potest.d) | ‚,- 80 Arsinei autem seu Valentini vel Mitiadis #3. (Miltia die?) | nibil ia totum recipimus, qui etiem. novum | psel- morum kbsum Marcioni, cosscripse | runt (.) Una cum Bs- silide Assianum (Asianerum) Cstafsy (Cataphry)|eum(gum) conatitutarem #3 (nekieimus?).

a) patest ift ein Fehler des Schreibers für possunt, indem berfelbe gedankenlos bad Relatinum quae für den Singularis gen. femin. bielt.

b) Urfprünglich war frater geſchrieben, dann bas fihließende r rar dirt und von einer andern Hand ein r zei und Kar vor © gelegt.

c) se publicare, d. i. ſich oͤffentlich hören taffen.

d) Hinter potest Raum für mehrere Buchftaben.

e) In Mitjadis ift an bem zweiten und den beiden vorlesten Buch⸗ ſtaben gekraht. Der vorlegte Buchſtabe ift ein burcheinander geſchriebenes e umb i, doch iſt das i beutlidher als das e.

f) Das Fragment bört, indem der übrige Raum leer gelaffen ift, mitten in einer Reihe auf, obne Punkt ober anderes Zeichen, fo daß wir volle Befugniß haben, ein dem Zufammenbange nad) nothwenbiges Wort wie reiicimus zu ergänzen. Es folgt eine neue Weihe, Die zur Hälfte mit other Dinte geſchrieben ift, und es beginnt ein fremher Gegenſtand. j

56*.

830 Wieſeler

Im Vorhergehenden wird hoffentlich ein im Ganzen leſerlicher Tert hergeftellt fepn und erhellt haben, daß derſelbe durchh die NRachläffigteit und Unkunde bes fpäs tern Abſchreibers nicht fo verderbt it, daß er nicht an den bei writem meiſten und eigentlich wichtigen Stellen aus dem Zufammenhange ober ſachlich befannten That fachen auf feine wefprüngliche Geſtalt zurückgeführt wer den könnte. Ein nicht geringer Theil des biäherigen ir- ' rigen Verftändniffes hängt wohl damit zuſammen, daß die hterpunotien von Muratori, gleihfam ale wär auch fe vurch die verglichene Handfchrift gewährleike, faft traditiongfl geworden zu feyn fcheint. Die Hand: fchrife iſt micht verderbter als viele andere aus jener Zeit, _ "und ich brauche wohl wicht nody zu bemerken, daß and der Unkunde des fpätern Schreiber nicht auf eine ent fprechende Unkunde des erften Verfaſſers geſchloſſen wer beit darf. Unſere biöherigen Bemerkungen And entweder kritiſcher Art gewefer oder beſchraͤnken fich auf das naͤchſte :"wörtliche Berftändniß oder auf einzelne wenige Bemer

tungen, die den zufammenhängenden Kortfchritt bes Fol genden nur hätten unterbrechen können. Hier wollen wir dagegen den Kanon als ein Ganzes Ind Auge faffen und über feinen Entſtehungsort, fein urfpräüngli hes Idiom, feinen Inhalt und feine Iutegri tät, feinen Zwed, fein Alter und endlich über feinen Werth verhandeln. In diefer Folge fehreiten wir vom Leichten zum Schwerern fort und bie Art, wie wir bie vorangehende Frage beantworten, fichert und be gründet zugleich die Löfung der nächfifolgenden.

Der Ort, wo unfer Kanon entftanden feyu muß, laͤßt ſich nicht ſchwer beflimmen; er muß Rom ober do die nächfte Nachbarfchaft von Rom gewefen feyn. Hier auf weiſt ſchon das befondere Intereſſe hin, welches au ben Schidfalen der Apoftel Petrus und Paulus genommen wirb; vergl. S. 822. Not. a des Fraguientd. Alien Zweifel

ber Kanon des neuen Teſtaments von Muratori. 831

aber nehmen die bier gebrauchten Worte: profectionem

Pauli ab urbe ad Spaniam proflciscentis Rom heißt

bier die urbs ſchlechthin —; ferner, was Zeile 73 ff. über

bie Abfaffungezeit bed Hirten des Hermas hinzugefügt wird: sedente cathedra urbis Romae ecclesiae Pio episcopo fratre eius. Auch das gleich folgende et ideo legi eum quidem oportet fcheint darauf hinzuführen, wenn diefes ander® bedeutet: deswegen, weil der Hirte von Her⸗ mas in der Stadt Rom, während fein Bruder, der Bis (hof Pius, die Kathedra der römifchen Gemeine ein- nahm, gefchrieben, derfelbe alfo gleihfam unter Appro⸗ bation des römifchen Bifchofs, feines Bruders, erfchie: nen iſt; denn fo konnte bei dem damaligen Anfehen dee . römifhen Biſchofs wohl nur Jemand fchreiben, der felber ' zu feinem Sprengel gehörte. Doc fcheint die letztge⸗ nannte Stelle cher auf die Nachbarfchaft von Rom, ale auf Rom felber zu führen. Daß er der Kanon von latei« nifchen Ehriften fey, ergibt fich ferner aus der Stellung der paulinifchenBriefe vor den fogenannten Fatholifchen, während in der griechifchen Kirche die umgelehrte Ordnung gebräuchlicher ift, und daraus, daß, mit Lebergebung des Hebräerbriefes, nur 7 Paulinen a) an befondere Gemeinen gezählt werden. Leber den Urfprung unfers Verzeichnifs ſes innerhalb der römifchen Gemeine find die Audleger auch bereits feit Muratori einig.

Hieranf fcheint aud Die Sprache, in welcher der Kanon uns vorliegt, nämlich die lateinifche, hinzudeuten. Dagegen behauptet Hug b) in f. Einleit. Th. J. S. 124ff., die Urſprache fey die griechifche geweien und das Fragment a) Vergl. Bleek, Ginleitung in ben Brief an bie Hebraͤer,

©. 128 ff.

b) Grerike, Einleit. G. 49. ift nicht abgeneigt, dieſer Vermu⸗ thung beizutreten, namentlich wegen des erſten Briefes Petri, der ſonſt gar nicht und fuͤr den ſonſt die apokryphiſche Apoka⸗ Inpfe bes Petrus erwähnt ſey; daruͤber ſpaͤter.

832 =. Wieſeler

liege ans jetzt in einer ſchlechten lateiniſchen Ueberſetzung vor. Den Beweis findet er in einigen Uederfetzungöfeh⸗ lern, die er entdedt zu haben meint. Das sic enim nei solam visorem etc. Zeile 31. des Fragments überfeht er fo ind Griethiſche zurüd: oßras Päp ob udvov Beam, dilk xul dnovosiv re xal ypanuarla advrav Havuasiav zod xuplov aadekig Eavıöv Öporoysi. Das gleich fob gende acta antem omnium apostolorum bis proficiscen- tis überfegt er fo: z&c O6 wodkas dadvrov av daoes- Aovy yoaweldas &ls ulav PlßAov Aovxäs To xgariere Bsopliu Gvvinkscev, Or xurd uipos tv Ti abroü zagoviin iyevhündav, xados, napextös tod Iltrpov nad'nuaros, 6e- ps bupanikeı ‚nal vis Exıönulas Iledlov dxd ring adlsms ck tasZiravlas Erıdnnoüvros. Endlich die Worte Über der Petrus: Et Petri tantum ete. werden fo wiedergegeben: Kal Il&roov povnv agaderöpsde, ns ragbE zıves ip dvayıvesöneodu iv Exxinale ob Diilovas. Statt tantım wird adynvgefegt, um wenigſtens einen Brief des Petra! herauszubefommen; damit aber der zweite Brief Pelri, wenn auch nur ald dvrileyöuevov, erwähnt werde, wird von Hng für quam Ag xcotẽ gefchrieben, wofür Gnerik indeß Av vorfchlägt, da ihm jenes zu gewaltſam ſchei. Vergleicht man diefe Rädüberfegung mit dem lateiniſchen Terte, fo It die Annahme von Hug wohl ſchwerlich ar derd als ein fcharffinniger Verſuch zu nennen, bie ver⸗

meintlich anfößigen Stellen des letztern aus dem Kann

zu entfernen. uch dieß muß zugegeben werden, dab wenn die Annahme einer folchen den Sinn tetal im bernden Nädüiberfeßting richtig wäre, die lateiniſche Leber feßung überaus wenig gelungen wäre. Allein dieß tet tere fofort vorauszuſetzen, wärde voreilig ſeyn. Daß bei den beiden zuerft erwähnten Stellen wenigſtens feine de artigen Ueberfegungsfehler anzuerkennen find, bürfte and unfern obigen Bemerkungen erhellen. Lieber die briflt Beweisftele werben wir fpäter Handeln. As Bene

der Kanon des neuen. Zefluments von Muratori. 838

bleibt nur noch übrig in Zeile 66. bed Fragments Das quae in catholicam ecelesiam reeipi non potest (Katt possumt), wo analog dem Briechifcdyen das Neutrum im Plural mit dem Berbum im Singular conſtrairt werde, Daß dieß ganz ifolirte Beifpiel indeß weit wahrfcheinlis cher bloß ein Verſehen des Abſchreibers if, faun bei feiner fonfligen urkundlich vorliegenden Qualität faum einem Zweifel unterworfen feyn; man vergl. noch die dazu gehörige Mote, in ‚welcher über den wahrfcheislis hen Urfprung diefes Schreibfehlere gehandelt wird. Die übrigen von und forgfältig mitgetheilten Teptcorruptio⸗ nen laſſen ſich man braucht dazu deu Kanon nur ganz flüchtig durchzugehen in der Regel aber mit ber größ⸗ ten Reichtigleit von der Vorausſetzung and verbeffern, daß unfer Schreiber ein lateinifches Driginal vor fich ges habt habe. Bei dem Mangel aller nur einigermaßen ringenten Beweife fürd Gegentheil wird man daher bie jenige Spradye als die urfprängliche gelten Laffeu nmüfs fen, in welcher bad Document und urkundlich vorliegt. Hierfür fpricht denn auch, daß, wie:wir gefehen haben, der Ort feiner Entſtehung anerfauntermaßen auf bie römifche Gemeine hinweiſt, fo wie bad wohl beabfich tigte Wortfpiel 3. 67: „Fel enim cum melle misceri non congruit,” und überhaupt Diejenigen un Borhergehen⸗ den angeführten Merkmale, zufolge welcher daſſelbe, ab⸗ gefehen von feinem Entſtehungsorte, von einem GEliede der Iateinifchen Kirche audgegangen feyn muß.

Wir gehen zu einer nähern Mnalyfe dus Inhalts unfere Fragments über, wobei wir jetzt alle Erklaͤrumgo⸗ verfuche als willkürlich zurückweiſen dürfen, welche auf der hug'ſchen Annahme einer irrigen Ueberſetzung aus einem griechifchen Originalterte beruhen.

Unſer Verzeichniß ber heiligen Schriften umfaßt zu⸗ erſt die bekannten vier Evangelien. Ge-if freilich im Anfauge verflämmelt, erwähnt indeß das Evangelium

k 5

8 Wieſeler

nach Lukas als birittes Buch des Evangeliums und daunu Das Evangelium des Johannes als viertes. Es müſſen within die beiden Evangelien des Matthäus und Markus kurz vorher erwähnt ſeyn, zunächſt das des Markus; beun obwohl die 4 Evangelien befanntlic in verfchiedener Ordnung vorfommen, fo gibt ed doch Feine Reihenfolge, bei welcher nicht Matthäus vor Markus den Bortritt bebielte, Die Anfangeworte unferd Fragmente: quibus tamen interfuit et ite posuit, müflen alſo vom Evangelium bed Marne gemeint fein. Läßt ſich nun noch enträchfeln, was biefe Worte aller Wahrſcheinlich⸗ keit nach bebeuten ? Wir haben bereite in S. 819. Rot.e ded Fragmente gefehen, Daß nach demfelben Markus eben fo wenig ale Lukas felber den Herren gefehen hatte, und dieß iR über Markus auch die herrfchende Kirchliche Tras ditton. Hieraus folgt, daß das quibus interfuit nit auf Anwefenheit bei den Reben Jeſu gedeutet werben kann. Dagegen würde ferner dad zwifcheneingefügte ta- men ſprechen. Es muß vorher etwas erwähnt fein, woran Markus Leinen Theil hatte, nämlich der per: fönliche Verkehr mit Jeſn. Wie bereits Zimmermann anninımt, wird hier auf bad bekannte Berhältwiß des Marias zu Petrus hingewieſen, deffen interpres er nad kirchlicher Tradition gemwefen fepn fol. Folgendes muß etwa hier geftauden haben: Markus war Fein Zuhörer Des Seren und fchrieb die von Petrus vorgetragenen Erzählungen wieder, bei denen er indeß zugegen war: et ite posuit, „und er ftellte fie fo, wie fie vorgetragen waren.” Mit einem Worte, wir haben bier ganz den Inhalt ded Zengnifies des Presbyter Johannes bei Par piad über dad Evangelium ded Markus wieder, Euseb. h. e. 3,39: O xgsoßursgog Eizye: Mdgxog uiv Epuer- ws Ilkrgov yevöusvog, Boa Euynuöveudev, dxgıßüs Eyge- vev, 00 usvror vabeı Ta vaæò Tod Kauarod 4 Asydtvsa Yxpe- divra‘ oürs yag Axovos vod xvolou x. 1.4.

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der Kanon bes neuen Teſtaments von Muratori. 835 |

3.2--8. handelt vom Coangelium des Lulad. Tulad, der ebenfalls den Herrn nicht gefehen habe, habe nach ber Himmelfahrt Ehriſti wie lange nachher, if nicht geſagt unter Dem Beiltande des Apofteld Paulus in feinem Namen das dritte Evangelium gefchrieben und begiane mit der Geburt Zohanned ded Tänfers. Nach 3. 9 bid cumeta describeret in 3.16. hat Johannes, der Jünger des Herrn, das vierte Evangelium gefchrieben. Weber bie Entftehungsmeife deffeiben wird Folgendes hinzugeſetzt. Indem feine Mitjünger und Bifchöfe zu feiner Abfaffung aufforderten, habe er zu ihnen gefagt, fie möchten mit ibm an dem Tage ein dreitägiged Faſten beginnen, und was einem jeden offenbart fey, wollten fie einander ers sählen. Roc in derfelben Nacht fey dem Apoſtel Aus dreas offenbart, daß, indem es alle (feine Mitjunger und Bifchöfe) durchſähen, Johannes Alles in feinem Ramen niederfchreiben follte. Das Gewicht diefer in der Tradition allerdings gefärbten Erzählung über das for banneifche Evangelium ift von Ereduer in Bezug auf defien 21. Kapitel Einleit. in das N. T. g. 90. S. 238. und in Begug auf die Beranlaffung zur Abfaffung bes Evan» geliums 6. M. S. 237. hervorgehoben. Daß und wie weit ihr wenigftend in Bezug auf den erfien Punkt Glauben beizumeſſen fey, habe ich in einer Differtatiom a), in wel⸗ her ich über Marl. 16,9 ff. und Joh. 21. meine Britifche Un⸗ fit niedergelegt habe, nachzumeifen verfucht; denn auch aus inneren Gründen fcheint zu folgen, daß das 31. Kapitet ald Rachtrag zu dem Evangelium von einem Mitjünger des Apoftels Johannes, wie ich meine, dem Presbyter Johannes, welcher ihn nad) Papias überlebte und fich ebenfalls in Kleinaflen aufhielt, verfaßt if. Dieß ift ed, was und ber Fragmentiſt über die vier kano⸗

a) Indagatur, num loci Marc, 16,9 20. et Joh.21. genuini sint necne , ea fine, ut aditus ad historiam apparitionam lesu Christi rite oonscribendam aperiatur, p.88 sqq.-

686 Mieſeler

wischen Evungelien und deren Entfichungsweife mit⸗ theilt, nur daß fein Bericht Über bad Evangelinm bei Matthäus leider ganz verloren und ber über das Evan gelium bed Markus ur verktiimmelt auf une gekommen ik. ‚Im den Worten 3.15: Zt ideo licet varia singulis ewsugellorum primeipia doceantur bid quod futurus es 8. 25. fehließt ſich die verkändige harmoniſtiſche Betrach⸗ tung über die vier Evangelien an „obwohl für Die eiuzeinen Evangelien verfchiedene Urfprünge(principia, Eutſtehuugs⸗ weifen) gelehrt würden, fo mache Bas doch feinen Unterſchied für ben Glauben ber Gläubigen (es ift hier die Ledart bei Teste: fidei, feſtgehalten), da die Hauptſtücke aber Geburt, Leiden, Auferſtehung, Verkehr mit feinen Inngern un

feine doppelte Ankunft in allen in dem einen und un

fpränglichen Beifte erklärt feyen.” Wie diefe Bemerkung jeden Einwurf in Betreff der weſentlichen Harmonie ber vier. kanoniſchen Evangelien zurüdweifen fol, fo folgt von den Werten Quid ergo mirum 3.25 ff. bis per or-

dinem profitetur 3.34. eine tritifche Bemerkung über dad | Berhätmiß des Evangeliums zu den johanneifchen Briefen,

Die, nuabhängig von unferm Fragmente, jet wieder geb tend gemacht zu werben pflegt. Es konne nicht auffal⸗ len, meint der Fragmentiſt, daß der Evangelift Schar nes wit ſolcher Beſtändigkeit (tam constanter) Ein seines “) auch im feinen Briefen vortrage; denn, wie er

feier 12Joh. A. fage, fo habe er als Augen, und Ohr zeuge des Lebens Jefn die Briefe verfaßt. Diefe Erliür

sung des kritiſchen Problems feßt die Anfiche vworand, Daß die Anfchanung und Begriffsbildung im Goangeline wie in den Briefen des Johannes im Allgemeinen gie: cher Weife anf deſſen urfprünglichen unmittelbaren Ber che wit Chriſto zurückzuführen fey.

a) Man denke an die off hervorgehobene Wieberkehr ber gleichen In:

fhauungen und Worte einerfeits in den im Gpangelium milge theilten Reden Chriſti und andererfeite in den jepanneifchen Briefen.

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Bevsr wir den Abfchmitt Über die Evangelien ver - Iafien, bemerken wir noch, daß die vier Evangelien, wohl als unmittelbare Urkunden der Thaten und Re den des Herrn, wenigflend zur Zeit des Abſchreibers, wahrfcheinlicher wohl des Verfaſſers unferd Fragments eine höhere Auctorität als die übrigen nruteſtamentlichen Schriften gehabt zu haben fcheinen.“ Denn fo oft der Beriht zu einem neuen Evangelium fortſchreitet Cogl. die Roten zu den Anfangeworten über die Evangelien des Lukas und Johannes), wird der Unterfcheibung wer gen rothe Dinte angewendet, welche in den folgenden Mittheitungen Aber. die andern neuteſtamentlichen Schrifs ten nicht wiederkehrt.

Nach den Evangelien wird munter den Sanonifchen Schriften die Apoftelgefhichte, welche von Lukas herrühre, erwähnt, 3. 34. Acta autem ommium napostolo- rum bis proficiscentis 3. 38. lieber den weiten ubalt . dieſes fchwierigen Abfchnitte f. die Noten bed Tertes.

Bon Zeile 39. Epistelse autem Pauli bie Jeile68. Epi- stola sane Iudee wirb von den Briefen bes Apofels Paulus, den editen und in. den Kanon der Kirche re cipirten (von 3. 39. tie 8.63. Fertur etiam ad Laodioen- sen) and den mnechten, verworfenen (von 3.63. bis 8. es. a. a. O.), gehandelt, Zuerſt von den echten; m. ogl. we: gen ded Berfländniffes im Einzelnen unfere Noten zum Terte. Nach der allgemeinen Bemerkung über die Briefe des Paulus, daß fie über-ihre Echtheit, ihren Ente hungs ort nad ihre Abzweckung felber Auskunft gäben, wird wegen ihrer Wichtigkeit der Zweck der Briefe an die drei Gemeinen zu Korinth, in Galatien und Rom beſonders entwidelt. Unter den Paulinen wird dann ein Unterfchied gemacht zwifchen Briefen an ganze Gemeinen und zwifchen Briefen an Private. Erſtere, deren Allges meinheit mit Bezug auf die Siebenzahl der Gemeinen, an weldhe Paulus fchrieb, dargethan wird, werben in

838 Wieſeler

folgender Ordnung aufgezählt: Briefe an die Korinther, Brief an bie Ephefer, Philipper, Kolofler, Galater, Briefe an bie Theffalonicher, endlich Brief au die Römer. Eine fingnläre Ordnung, die aber nicht zufällig ſeyn kann, fondern, wie (S. 837. Note d) gezeigt if, von dem Aragmentiften im feiner Kirchenbibel vorgefunden ſeyn maß. Sie ſcheint mir urfprüngliher, ale z. B. die Orb: nung ber jegigen Bulgata: Römer, Korinther, Galater, Ephefer, Philipper , Koloſſer, Theſſalonicher, umd Ich tere and der erfiern abgeleitet werden zu können. Die leßtere erhalten wir nämlich dann, wenn wir den Brief an bie Nömer, Die Briefe an die Korinthber und dem an bie Balater ihrer Wichtigkeit wegen vorauftellen und bie übrigen durchaus in ihrer frühern Ordnung belaflen, wie denn die größere Wichtigkeit ber drei genannten Briefe von unferem Fragmentiften bereitd dadurch aner: kannt if, daß er lediglich Über fie befonders gehandelt bat. Jedenfalls iſt aber Die Reihenfolge der paulinifchen Briefe in unferm Kanon der Brief an die Balatır siemlich gegen Ende und ber an die Römer fogar gan am Schluſſe eine thatfächliche Widerlegung von Baur Gonjectur a), Die Boranftellung berpaulinifchen Brick im Kanon Bed Marcion nad. Epiphanius Chaer. 42, 9.) in der Ordnung: Galater, Korinther, Römer, beredtige su der-Folgerung, daß wur diefe drei Briefe urfpräug li die Elaffe der echten Paulinen bildeten, zu denen bie übrigen erft fpäter b) hinzugelommen feyn. NRadı den 9 Briefen an einzelne Gemeinen werben noch 4 Briefe bed Paulus erwähnt, nämlich der an Philemon, an Ti tus nnd 2 an Timothens. Ob diefe Ordnung eine wil—⸗ fürlihe oder eine vom Berf. vorgefundene geweſen if,

a) Paulus, der Apoftel Jeſu Chriſti, S. 249 ff. b) Daß ber Kanon des Marcion chronologiſch gu deuten fey, fol an einem andern Orte gezeigt werden.

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ber Kanon des neuen Teſtaments von Muratori. 839

darüber laͤßt fich hier ſtreiten, da im Terte nichts Aus⸗ drückliches gefagt iR. Doch um ber Analogie wit bem Borigen willen ift das Erftere vielleicht vorzuziehen. Daun ſchloß ſich der Brief an Philemon wohl deßhalb gumächkt den Briefen an die Bemeinen an, weil er wenigflene anfer an Philemon aud an Appia und Archtppos und an die Gemeine in Philemon’d Haufe (Philem. 2.) adrefs firt und der apoftolifche Gruß und der apoflolifche Segen ( Phil. 3, 0.235.) andy auf biefe bezogen waren. Er bil dete alfo gleihfam einen Lebergang zu deu Briefen an die bloßen Individuen Titus und Timsocheud, Aber das iR beſonders wichtig für die Geſchichte des Kanone, daß in der chriſtlichen Kirche wirklich ein folder Unterſchied jwifchen Privatbriefen und Briefen an ganze Gemeinen gemacht wurde und unfer Berf. von den Worten proaf- fectu et dilectione an es noch befouders glanbte rechtfer⸗ tigen zu möüffen, warum die Briefe an Titus uud Timo, theus dennoch in den kirchlichen Kanon recipirt feyen, Es dürfte ſich hieran micht nur bie Stellung diefer Pri⸗ varbriefe and Ende der Panliuen, fondern auch Manches aus Der Geſchichte der ſogenaunten DARSTOIENNE fehr einfach erklaͤren.

Nachdem der Fragmentiß To 13 echte Paulinen ges sählt Hat, gebt er wit den Worten: -Fertur etlaım 'ad Laodioenses zur Erwähnung zweier Briefe Über, welche mit Unrecht auf den Paulus zurückgeführt würden; diefe und noch manche andere Schriften könnten nicht in die tatholifhe Kirche aufgenommen werden, weil nit Galle mit Donig vermifcht werden bürfe, Jeune beiden Briefe bezeichnet er als Briefe an die Laodiceufer und an die Alerandriner. Man pflegt gegenwärtig darin Übereinzu⸗ fommen, daß der Brief Pauli an die Laodicenfer, wel⸗ her unftreitig wegen Kol. 4, 16. erbichter ift, kein ande⸗ rer ſey, ald der auf und gekommene apokryphiſche Brief

1 Cu Biskter

dieſes Ramend, welchen erſt nenlih Anger =) wieder berausgegchen hat. ber: darüber zweifelt man, was für eis: Brief unter ber epistola ad Alexandrinos gemeint ſey. Sehr vice Kritiker jet Semler bie auf Eichhorn, Hug, Schleiermader und Gnerike herab haben angenommen, Daß damit ber Brief an Die Hebräer ge⸗ meint ſeyn wmiüfle, weldser in uuferem Kanon fonf gar nicht erwähnt märde, Bleel:b) und Andere nehmen en daß darunter ein opofspphifcher, zu Gunſten und von ci wem . Yahänger her Ketzerei Marcion's erdichteter, jeht verlosen gegangener Brief zu verfichen fen. Der lebtge nannte Gelehrte führt folgende Gründe <>) für feine Is Acht on. Unſer Hebrüerhrief gehe wirgende Den Ramen eines, Verfaſſers, dem er angehören walle, an, babe bätse yon. ihm auch nicht wohl gefagt werden Fönuen, fey iss Remen bei Apoßels Paulus erdichtet. Ylein ei

läßt ſch doch nicht leugnen, Daß zur Zeit unſeres Grag

mentiften Biele diefen wentellamentlichen Vrief, da de Nawe Des. Vesf, fehlte, zunächſt aus imern Gräude dem Apoſtel Paulus deilaghen. Wenn num derſelhbe chen ſals eine gewaſft Aechulichkeit, ſey's mit ber Rage ode der Denkweiſe des Paulus, darin wiederfand, ſo fonatt er. dieſa weht mahl auf Neckuumg einer beab ſicht igten Did mag. ſegen. Swichtiger ſcheint hin Einſprache zu ſeyn welcha van Bleel wegen des ad haeresem Moercienis eu- hoben wird. Deas allerdiugs kaum ad nicht fo viel wie adversus feyn (ed heißt aber auch nicht: zu Guuſter)

u

rd) Beiträge zur hiſtoriſch⸗kritifchen Einleitang in -das alte mi nene Nakament. Mb. 1. über ben Baobicensrbrief. 1848.

b) Eiyleit, in ben Brief qn die Hebraͤer, S. 122 ff.

c) Die feltfame Meinung Hug’s und Anderer, als ob die Borlt fel enim cum melle misceri non congruit eine Anfpielung auf Sebr. 12, 25. enthielten, wo nach 5 Mof. 29, 18. ftatt dvoglg h zur zu lefen ſey, iſt bereits von Bleek und Guerike a, a. O. treffend widerlegt,

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weßhalb Buerike geradezu ad hacresem Marcienis refu- tandam ſchreiben will. Eben fo wenig kaun genreint ſeyn, daß der Hebräcrbrief „zu Gunſten“ der Ketzerei des Marcion verfaßt wäre, denn es iſt nichts Miaweisnis tifche® , fondern dad Begentheil darin. Uber wir werben batd fehen, daß die Worte ad haeresem Marcionis ſich noch auders erflären laſſen. Gegen Bleek fpricht, daß ein apofryphifcher Brief ad Alexandrinos fonft nirgende ers wähnt iſt; fermer, daß es befremden würde, wenn ber Drief an die Hebräer in unferem Kanon gar nicht ers wähnt wäre, und daß man ihn, wenn er wie auch fon in der lateiniſchen Kirche verworfen wurde, gerabe-an dieſer Stelle, wo von fälfchlicd dem Paulud beigelogten Briefen Die Rebe iſt, erwarten muß; endlich, dag Bleek, wie wegen des Plural fietae bei feiner’ Erfiirung auch nethwegdig ſeyn würde, den Brief an die Laobicener ebenfalls zu Bunften der Keberei Marcions verfaßt foyn laßt, wad aber zu dem uns erhaltenen Raodicenerbriefe feinedwege paßt. Nun Tönnte man aber ſtatt fictae den Singular Bote fihreiben wollen, fo Daß das nomme Pauli ficta ad kaeresemm Marciönis ſich lediglich: anf: den Wrtef an die Wlerandriner befchräntte. Allein diefe Eorrectur wird aus Gründen des Zufammenhange widerlegt; denn ed iſt befamnt und hat gewiß auch gefagt werben follen, daß der Saobicenerbrief ebenfalls eine epistol« Pauli ne- mine ficta war. - Somit bleibt nichts übrig, ale das ad haeresera Marcionis fa zu faflen, daß es doch etmad Az deres, als Bleek will, bedeutet. Der Sinn ſcheint mir folgender zu fen: Der Laodicensrbrief und der an die Alerandriner find im Namen ded Paulus erbichtet ge mäß a) der Secte Marcion’s, d. i. wie ed die Seete Mar⸗

a) Man koͤnnte ad (oder vielleicht apud) haeresem Marcionis indeß auch mit dem Folgenden verbinden: bei der Seete Marcion’s ferun- tar et alie plura, d. h. tft audy Anderes mehr in Umlauf u. ſ. w. Die Folgerung in Betreff der epistola ad Alexandrinos würde immer die obige feyn.

2 Wieſeler

cion's zu machen pflegt. Das Verwerfliche ſolcher Schrif⸗ tenderfälſchug wird für den damaligen Leſer baburdı anſchaulich gemacht, daß er auf bie Analogie der Secte Marcion's hingewiefen wird. Gegen Schinß unſeres Fragments if wieder von gewiffen Haäretikern umd ihren verwerflichen Schriften die Rebe, unter ihnen auch von Marcion, IR diefed die richtige Andlegung bed ad hae- resem Marcionis, fo wird um fo weniger etwas im Wege fichen, daß man. die epistola ad Alexandrinos von unfe- rem SHebräerbriefe deutet. Daß übrigens der letztere wegen ‚feiner inuern Befchaffenheit nicht an Indenchri⸗ en Paläfiina’s, fondern wirtiih an aleranbrinifche Tu benchriften gerichtet fein mäfle und, was damit zufam- menbängt, von Barnabas verfaßt fen, habe ich bereitt in Rheinwald's Rep. Bd. 30. Hft. 38. 1M2.©.193., wo ich auch unfern Fragmentiften citire, nachzuweiſen werfucht.

Nachdem ber Fragwentiſt hie Paulinen ſeines Ka⸗ nous, die echten und bie verworfenen, aufgezäbit hat, exwühnt er bie übrigen Gchriften, vamentlich bie foge: nannten Tatholifchen Briefe feinek Kanous (3. 61. bie 3. 73,), nämlich Schriften des Sohannes und Petrus.

Epistela sane ludae et supersoripti' Ichannis dine in eatholioa (seil. ecclesis) habentur eto. Der Zufamımen: hang iſt folgender: während Die zuletzt genannten Schrif⸗ teu im caiholieam ecclesiaem recipi non peesnnt, beſte⸗ Sen fich freilich der Brief Judaͤ und andere in ber kathe⸗ liſchen Kirche. Es erhellt, daß das in entholicam ecele- „am recipi und das in catholica haberi ganz bemfelben Sim haben und daß ſchon aus diefem Grunde die Mei

a) In der Anzeige ber Gommentare zum Hebräerbriefenon Bleek und Tholuck. Die hier von mir gegebene Erklärung des ad haeresem Marcionis halte ich indeß nicht mehr für richtig, mie aus dem Obigen hervorgeht.

ber Kanon des neuen Teſtaments von Muratori. 843

nung Schleiermacher's a), ald ob unfer Fragmentift in, nerhalb ded Kanoniſchen den von fpäteren Kirchenlehrern gemachten linterfchied zwifchen Homologumenen und Au⸗ tilegomenen ebenfalls beobachtet habe und die letztere Glaffe eben hier beginne, keineswegs gebilligt werben kann. .

Der Brief Judä ift unflreitig der befannte neuteflas mentliche Brief: aber wie find die auperscripti Iohannis duse zu deuten? Man hat an unfere 3 Briefe des Jo⸗ hannes gedacht, indem man den 2ten bloß ald Anhang des 1, Briefö betrachten wollte (fo Zimmermann und Dug), odke an bie beiden letzten, fo daß der erſte bereits früher befonders erwähnt worden feyn müßte (fo Schleiermacher und Sredner), oder endlich, was das Richtige zu ſeyn fheint, an die beiden erften, fo baß der Ste gar nicht ale Beftandtheil unferes Kanons aufgeführt wäre. Was ben erſten Fall anlangt, fo citirt Irenäus (advers. haer.3, 16, 8.) allerdings 2 Joh. 7, 8. als Beſtandtheil des 1. Briefes, aber, wie auch von Guerike (S. 478.) augegeben wird, in Kolge eines Gedächtnißfehlers. Der zweite Kal hat eben fo wenig für fih. Bei Schleiermacher hängt diefe Anſicht zufammen mit der von ihm innerhalb unſers Kas none Poftulirten, von uns bereitd verworfenen Luters ſcheidung zwifchen Homologumenen und Antilegomenen, in Kolge deren er im Borhergehenden bebeutende Terted: lüden Ratniren zu können glaubt. Denn daß der lite jo» hanneifche Brief, abgefehen von dem gelegentlichen Eitate 3.29 ff., in der Reihe der Tanonifchen Bücher nicht noch befonders hätte aufgeführt werben müffen, ift von Schleier» macher weder behauptet, noch würde das richtig feyn, da ja auch Die johanneifche Apokalppſe bereitö 3. 48 ff.

a) Sinleit. ins N. T., herausgegeben von G. Wolbe, 1845. ©. 53, Die Behandlung des Kanone von Muratori in diefen fonft fehr anregenden Vorlefungen fcheint mir überhaupt zu den ſchwaͤchſten Yartien diefee Schrift zu gehören.

Theol, Stud. Jahrg. 1847, 57

888 Wieſeler

eitirt iſt und ſpaͤter 3.70, dennoch in der Reihe der fa nonifchen Schriften ihren befondern Platz erhalten hat. Eredner ca. a. O. S. 690 ff,,) indem er die Worte dei Fragments et Sepientis etc. in ut Sapientia ete. Audert und zum Vorhergehenden zieht, argumentiert in folgender Weife: „Der Berfaffer will fagen: die zwei Briefe des Jo⸗ hannes und der Brief des Indas haben, ohne apeſtoliſch su feyn, and ähnlichen Gründen eine Stelle im Kann erhalten, wie die in den chriftlichen Kanon aufgenon mene, vom jädifchen aber ansgefchleffene Weisheit Sa⸗ lomonis. Er mußte folglich?) fchon früher in dem ver: lornen (2) Theile des Fragmente von den übrigen kathe⸗ lifhen Briefen gehandelt haben” Wenn wir nun aud die Sonjectur ut Sapientia flatt et Sapientia für richtig balten, fo ift Doch darum woch nicht nothwendig, daß man bie durch ut eingeführte Bergleihung mit ber Ss- pientia Sulomenie zu dem Borhbergehenden zieht, vielmehr dürfte dieß eben Beinen zuläffigen Siam geben. Jene Beziehung zugegeben, würde aus ber ausdrücklicher CEharakteriſtik der Sapientia ald einer nicht von Galome, fondern ab amieis Salomonis in henorem ipsius sert pta zunächft wohl dieſes folgen, daß der Brief Judä u die gemeinten zwei Briefe des Johaumes wie Die Bepieniia recipirt ſeyen, obwohl fie nur von Freunden ber ge nannten Berfafler geſchrieben feyen, wao body and nad Eredner nicht von unferem Fragmentiſten behauptet wer den fol. Und wie fol ſelbſt daraus, daß ber Brief Judi und zwei Briefe des Johannes mit der Bapientia auf gleich Linie geftelt werden, folgen, daß der Berfaffer vor den übrigen Tatholifchen Briefen, namentlich dem erſter Briefe des Johaunes, fchon fräher gehandelt habe? © hätte dann auch die Stelle des Fragmente aufgemir fen werden mäflen, in welcher die bei der in ihm be folgten Anorduung der neuteflamentlichen. Schriften mög. licher Weife hätte gefchehen kännen, während ich feinen

ber Kanon bes neuen Teſtaments von Muratori. 845

Kanon kenne, in welchem vie katholiſchen Briefe vor den Evaungelien geftellt ind, und ſich von da ab bis zu unferer Notiz in dem Goder keine irgend entfprechende Lade finder. Endlich muß erklärt werden, warum der. erfie Brief des Johannes mit ben beiben andern von uns ferm Verfaſſer nicht zugleich erwähnt if. Schleier madyer bat deßhalb die bereits beurtheilte Hypotheſe von Homologumenen und Antilegomenen innerhalb unferes Kar nons aufgeſtellt. Credner fucht nachzuweiſen, daß bie beiden letzten Briefe nach unſerem Fragmentiſten von ei⸗ nem verſchiedenen Johannes, nämlich dem Presby⸗ ter, geſchrieden ſeyen. Er fährt nämlich fort: „Der Zu: faß superseripti a) weit uns anf den Johannes hin, deſſen der Berfaffer des Bruchſtückes zuletzt gedacht hatte. Dieß gilt aber von jenem Johannes, der die Apokalypſe gefhrieben hat. So würde dann der Sinn herauskom⸗ men, der Berfaffer der zwei Briefe des Johannes fey einer» let mit dem Berfafler der Apokalypſe, was nothwendig darauf führt, daß der Verfaſſer des Fragmentes zwei nenteftamentliche Schriftfteller mit Ramen Johannes uns terſcheidet.“ Aber, um nur dieß Eine zu erwidern, daß der Evangeliſt Johannes anßer dem erftien Briefe, ber hier ausdrücklich citirt wird, noch wenigftend einen Brief verfaßt bat, wird ja von dem Fragmentiften 3. 28, mit dem Plural in epistolis suis felber behaup⸗ tet. Es bleibe alfo nur Üdrig, was auch von vorn

a) Gredner faßt bad superscripti in bem Sinne von suprascripti. Gewoͤhnlich heißt es „drüberfchreiben” und in diefer Bebeutung muß es auch hier wohl beibehalten werden: epistolae Johannis superscripti, nicht inscripti. Die johanneiſchen Briefe Haben bekanntlich den Ramen ihrers Werfaflers Johannes nicht ats ins ‚tegrivenden Beſtandtheil, während alle anderen neuteflamentlis hen Briefe. unferes Kanons, audy der unmittelbar vorher ers wähnte Brief Indaͤ, im Gegentheil uͤbereinkommen. Mit Be: zug hierauf ſcheint audy 3. 40. über bie epistolae Pauli gefagt iu feyn: quae ... . . directae sint, ipsae declarant.

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846 Wieſeler

herein am nächften liegt, anzunehmen, daß unter ben zwei Briefe des Johannes erftend jedenfalls ber aus⸗ drücklich citirte erfte Brief und dann einer von dem beis den legten zu verſtehen fey. Liegt die Sache aber ſo, fo kann ed nach der Geſchichte des Kanone, welde de zweiten Brief vor dem britten deutlich bevorzugt, weir ter Seinem Zweifel unterworfen ſeyn, daß ber britte and nicht der zweite Brief des Johannes übergangen iſt. Nicht daß man ben dritten für weniger johanneild gehalten hätte, fondern man nahm dem zweiten im den Kanon lieber auf, theild wegen feiner mehr lehrhaften Natur, theild weil man, indem man die xugla 2 Joh. 1. nicht auf den Ramen eines Individuums bezog, nur da dritten für einen Brief an eine Privatperfon zu halter pflegte; vgl. das ©. 839. Bemerkte. et (ut) Sapientia ab amicis Salomonis in honorem ipsius scripta, apot=- lapse (apocalypsis) etiam Iohannis. Die Weisheit Sal⸗⸗ monis a) ift wohl bie befannte apokryphiſche Schrift dei U. T., weldje von vielen Kirchenvätern zum altteſtament⸗ lichen Kanon gerechnet wird. In der Reihe der enteo ftamentlichen Bücher kann fie nicht als befondere Echrift erfcheinen und aus dieſem Gruude ift ſtatt et mit Erd ter unfireitig ut zu lefen. Daffelbe folgt daraus, dal ihre Erwähnung fonft die Aufzählung der Schriften bei Johannes, einerfeits feiner zwei Briefe und andererfeitt feiner Apofalypfe, unpaflend unterbrechen würde De der Say mit ut, wie wir gefehen haben, zum Folgender gehören muß, fo ift zu apocalypsis etiem Iohannis au dem Borhergehenden einfach in catholica habetur zu er⸗ gänzgen. Der Sinn it: Wie die von den Freunden © Iomo’& zu feiner Ehre gefchriebene Weisheit, defindet fd

a) Uebrigens hatten nady dem Kanon bes Melito bei Eufeb. (h. e.4, 2.) auch die Spruͤchwoͤrter Salomo's ben Ramen Weispeit Gale⸗ mo’s.

ber Kanon des neuen Teflaments von Ruratori. 847

auch bie Apokalypſe bed Johanned in der Tatholifchen Kirche, Diefe befand fich wie die Weisheit im Kanon, aber der Kragmentift wenigften® hielt fle nicht für echt, fondern glaubte fie bloß zur Ehre des Apofteld Johannes von feinen Freunden verfaßt. Früher, wo er fie gele⸗ gentlich citirt, legt er fie indeß dem Apoftel Johannes bei. Achnliche Widerfprüce in Bezug auf die Apokalypſe fins den ſich befanntlich auch bei Euſebius. Das Nefultat über die johanneiſchen Schriften nach unferm Fragmen⸗ tiften ift alfo folgendes, daß fich dad Evangelium, die beiden’ erften Briefe und die Apokalypſe in feinem Kanon fanden, daß alle diefe Schriften dem Apoſtel Johannes beigelegt wurden, daß er felber aber Über ‘die Echtheit‘ der Apokaiypſe Zweifel hatte.

Et Petri tantum recipimus, quam as quidam ex nostris legi in ecclesia nolunt. Es find dieß ſchwie⸗ rige Worte, man hat fie aber, meine ich, durch eine falfche Verbindung noch fchwieriger gemacht. Nach dem Vorgange von Muratori pflege man nämlich die vorher⸗ gehenden Worte: Apocalapse (apocalypsis) etiam Johannis, noch herbeizuziehen. Daß fie mit dem Borhergebenden zu verbinden find, haben wir bereits geſehen. Doch läßt ſich von biefer Behauptung jetzt Die beflätigende Probe machen. Darauf, daß der Schreiber der Form apocalapse den Romirativ verftanben' zn haben fcheint, win ich kein Gewicht legen. "Aber Apocalypsis etiam lo-' hannis et Petri: tantam recipimus gibt‘gar feinen Sinn. Menu man üderfeßt: nur die Apokalypſen des Johannes und dis Petrus nehmen wir duf, nicht mehr, fo fragt' man: iſt das nicht ſchon zu viel? auch die Apokalypſe des Petrus? was’ pflegte man ſonſt noch für Apofalypfen aufzunehmen? Kerner könnte balin das tantum ſchwer⸗ lih an der Stelle,,wo wir es leſen, flehen, und endlich: was bedeutet: dann das etiam? Man müßte alfo über fegen: die Apokalypſen auch ded Johannes und des Des

848 ik true nehmen wir.zur auf, fo daß had-temium zu red- pimus Aehoͤrte. Aber dazu paßt das gleich Folgende nicht, weher ber Singular quam, uoch ber Gedanke, welcher in ber Form eined Gegenſatzes ausgeſprochen ſeyn muß, Es iR aber Erin Gegenſat, zu fagen: bie Apokalypſe ded Petrus uehmen wir nur auf, welche aber Einige von deu Unſern ine der Verſammlung nicht ge lefen wiffen wollen. Worin kann die Beſchränkung bes nur Anfnchwend andere befishen, als darin, daß bie felpe in der Verſammlung gar nicht geleſen werben folk! Beginut daher mit Et Petri ein neuer Sag, fo falt jeder Grund des Anſtoßes weg, welchen man daran ge⸗ nommen bet, daß hier doch und zwar allein von bet Apokalypſe des Petrus gesehet ſeyn ſollte, während im Sraguiente ſonſt virgends vou hen Briefen: des Per trus ‚gehandelt werde, mas in der Geſchichte bes wentu ſtamentlichen Kanons freilich ganz unerbört wäre. Reh⸗ men wir die Worte, wie fe der Goder bietet: Et Pein tantum 3) recipimus, ſo können wir nur überfegen: „And vom Petrus nehmen. mir fo nie gm,” uämlich als kur; vorher dem Iohannge. heigelegt wird, alfg. zwei Brieſe und eine Anofalgpfe. Die Richtigkeit dieſex Auslegung fheint fih dadurch zu heflätigen, daß dem Petrus wir lich ‚gerade dieſe Schriften, beigelegt werben. Die zwei Driefe finden ſich noch jegt in unſerem Kanon. Diefipe kalppſe des Petxrus wird bereits im zweiten Jahrhundert angeführt. . Elemens aud Alexqudrien hat eipige Gehen aus ihr im den Erceryten aus. dem Guefliler Theodotu⸗ (ed. Sylburg p. Mängg.) mitgstheilt und fie nach Eusel- h, & 6, 14. mit anderen. Büchern des Kaqnons in. fein Hupotgpofen commpmtir Euſebius . felber rechatt Be (b. e.3,25,) mit dem Hirten bed Hermap, dem Briefe bed a) Wie haben am Gchluffe unferes Bragments eine ganz aͤhnliche

Wendung: Arsinoi autem. . ... mihil ia totam recipimes. Auch hier hängt des Geniüüv von dem Neucum, gikil ab.

ber Kanon bed neuen Teſtaments von MRuratori. 849

Barnabas, den dsdarul cv daoardiev und ten zodksig Iediov zu den vödos. Rod, zu bed Sozomenns Zeit warb fie (nach Soxom. T,19,) in einigen palſtinen ſiſchen Gemeinen am ſtillen Frritag öffentlich verlefen =). Für das folgende quam if num wohl quem zu lefen: „welchen (Petrus) Einige von den Unſern in der Berfammlung nicht gelefen wien wein.” Diem gewinut fo die Ans fhauung, daß, während Einige in dr Gemeine alles Mögliche von Petrus, auch feine Apotalypſe, aufnahmen, Andere im dad entgegengefehte Ertrem verfallen waren, num and; nichts von ihm anzuerkennen. Ein folder Bampf der Petriner und Antiperriner ließe ich ‚gerade im Schooße ber römifchen Gemeine wohl denken. Hält man dagegen dad Femininum b) quam feſt, fo müßteman' ent, weder hinten tantum ein epistolam hinzufegen, ober etwa am» nehnsen, Daß die nähere Erflärung bes fo, wieoben erörtert, zu faffenden tentum, weil kurz vorher ſchon ein anderes ape- calypeis vosgefommen war, aus Berfehen hinter recipimus andgefalten fey, nämlich die Torte: meillset opintolas dus et spocaiypein, woran fi} das quam quidam ex nostris ete. ſehr gut anfdyließen wiirde, Nach dem Obigen läßt ſich indeß nur dieß als ganz ſich er feſtſtellen, daß wenig⸗ ſtens der erſte Brief des Petrus ein Deſtandtheil des Kaunons unfesed Fragmentiſten geweſen ſeyn wird und am unſerer Stelle erwähnt ſeyn muß.

Des Brief des Jakobas wird umter den katholiſchen nicht erwähnt, was aber nicht auffallen kaum, da er auch fonf im Alterthume Widerſpruch erfahren hat und

a) Welteve litterarifche Rachweiſungen f. bei Zimmermann a. a. O. S. W ff.

b) Die noch moͤgliche Verbindung tantum. quam, d. i. „fe viel als,” ſcheint mir deßhalb unpaſſend, weil dann nicht geſagt ſeyn würde, was von den Schriften des Petrus recipirt ſey. Wir baben font aber em ——— Verzeichniß der kanoniſchen Schriften.

850 N Wieſeler

ihn Euſebins bekanutlich gu ben Antilegomenen rechnet; vgl. de Wette, Einleit. ins R. T. ©. 811.

Bon Pastorem vero 9. .38. bis ans Enbe von 3.80. fpricht der Kragmentift über Urfprung und Gebraud des Hirten. hed Hermas. Es ift gewiß diefelbe Schrift gemeint, welche von GCotelier in den apoflolifchen Vätern und von Fabricius in feinem end. apocryphus abgedruckt if, deren Verfaſſer fich für den Hermas Röm. 16, 14. audzugeben ſcheiut, und weldhe von manchen Kiechenvätern wit Ach⸗ tung citirt ift und in den Gemeinen öfter gelefen wurde. Nach unferem Fragmentiſten war fie von Hermas, mag dieß fein wirklicher oder fein Schriftuame gemefen feys, einem Bruder Pius des Erften, während biefer römifcher Biihof war, alfo in der Witte des gweiten Sahrhuns bertd verfaßt Da die Schrift erſt nuperrime tempori- bus nostris, wie der Fragmentiſt bemerkt, umb zwar in unmittelbarer Nähe deflelben gefchrieben feyu fol; da diefelbe fchwerlich echt und auch aus. anderen Grün⸗ deu wahricheinlicd in ber. Mitte a) des zweiten Sahrkun derts entflauden. zu ſeyn fcheintz ba endlich dieſelbe An; ficht über ihre Entſtehungsweiſe auch anderweitig b) uns erhalten if: ſo fcheint mir. allerdings ‚die erwähnte Retiz alle Wahrſcheinlichkeit für ‚fi zu haben. Die Gegen gründe hat Gieſeler am fcherffinnigken in feiner Kir chengeſchichte (Bd. 1. Abth.i. S. 147 ff.) zufammengeftelt. Er beruft fih namentlich. Dawauf,. Daß [chen Irenand (4, 3.) fie als scripturs citize. Gegen das Ende des zweiten Tahrhunderts, ald der. Kampf gegen den Montanismus begann, habe fie hier ihre Anfehen verloren, bei den mon taniſtiſch Geſinnten, weil fie eine einmalige Buße nad ber Taufe geftattet, bei den Gegnern der Montaniſten wegen ihrer apolalyptifchen Form. Jetzt ſpreche unfer

a) Bol. Lüde, Sinleitung in die Offenbarung ‚Johannis, ©. 14, b) Bl. die Stellen bei Zimmermann a. a, D.

der Kanon bed neuen Teſtaments von Muratori. 851

Fragment die obige Anuficht mus, welche Iremkud' nody nicht gelaunt haben könne. Dugegen fey'diefe Schrift bei den Alerandrinern, Elemens Alex., Drigenes =), Atha⸗ naflus in Anfehen geblieben, bie fie auch in der griechi⸗ ſchen Kirche nuch dem arianifchen Streite geſunken fey. Zur Zeit des Hieronymnd (vgl. deflen catalog. c. X.) wurde fie noch bei einigen griechifchen Gemeinen öffent» lich gelefen, bei den Lateinern war fle ein liber paene igmotus. Dad Gewicht dieſer Argumentation fcheimt be⸗ ſonders bavom abguhängen, in welchem Sinne Irendus den Hirten scriptura genannt habe, ob als Beſtandtheil ber heiligen Schrift oder nicht. Run baden wir noch bie gries chiſche Stelle aus Irenaͤus, wo er den Hirten citirt, bei Euseb, &. e: 5,8. Sie läutet wörtlich: xaAle odv sixew NYoRph FAbyovan apirrov Kevin elassvaonv, Ors eis Earıy 6 Hsög dTk ndvıe' sielsog an va Eins Allerdings wird" bier der Hirte von Irenkud gelodt, was ‚ja. felbft :in unferem Fragmente bis zu einem gewiſſen Grade geſche⸗ bew: ib, 'ulteln der Ausdruck yoapı 5 Adyovdd,. „die Schrift, weiche da fagi” führt doch nicht nothwendig auf die Anmahme, Daß er ihn ale Beltandthetl des Kanons anerfannt hat. ferner hat der moͤntaniſtiſche Strelt dem: Anfchen des Hirten im Adenblande gewiß Eintrag ger than, Tertullian ſelber hat ſich ale Angehöriger ber kathobiſchen Kirche ganz -anderd: über ihn ‘de Orat.’12. ausgefprohen, ald wie er «6 fyäter de pudic. e. 18, im monsanififgen Eifer getan hat. Diefe ſeine Beränder‘ rung: ſcheint ſich indeß mehr auf den Inhaft Ked Buches), abs auf fehren- Urſprungbezogen zu haben. Denn wenn! er am letztern ade die rn eine ab onmi!

.*

a) Diefer erflärt in feiner Explanat, ad Rom. 16, 1a ve bier er: waͤhnten dermas ſogar fuͤr den Verfaſſer der Schrift; doch iſt daniit Nomil. 8. in Nomen, und Hom. 1, fh 2 37, w ka gleichen. ; 1.; J

8 Mieſeler

eoaneilia eeclesia, ciiem vestrarum, inter apearyphe ot fales iudieaia nennt, fa ift mit diefen Worten anf ein Lamas bereitd vorliegendes finchengefchichtliched Factun hingemieſen. Da aud uafer Fragmentifi nicht mehr ge than bat, als daß er jene Schrift dem im Räͤmerbriefe erwähnten . Hermas abgefprochen bat, fe braucht daher feine obige Notiz auch wohl nicht: erſt im Gefolge der mantanififchen Streitigleiteu ſich gebildet zu haben. Rög es fi nun mit dem Urſprunge des Hirten werhalten, wie ed wolle, mad der Fragmentiß üher ben: non ibm im fir ner Zeit zu macenden Gebrauch bemerik, wird daven ganz unabhängig foyn. ‚Er fol zwar geleſen, aber dan in der Berfammiung dem Wolle weder zwiſchen ben bt Zahll ned, abgefchloffenen Propbeten Cd. i. den -aitiehe mentlichen Schriften) nech zwiſchen ben Apoſteln eben neuteftamentlichen), d. h., da and ben Schriften dei 9. und N. T. der chriſtliche Kamen gebildet war, cr kam als Bultanbaheil des Raums bis zum Enbe der Zeuen nicht Öffentlich vorgetragen werden. Das Deſeſenwerden oder Prinaskudimm iſt dem se publiesse ober dem Hffen» lichen Vortrage in der Gemeine entgegengefeht. Zu die fm wand noch nufenen Feaguentilien nur eine Scrift, die. wirklich ein Beſtaudtheil ned Kauens war, zugelaſſen. Auf dieſen Varzug batta ber Hirte wegen feiner vrb teten Abfaſſung kein Anrecht Er iſt emten canomem m deßhalb auch zuletzt erwähnt. Wie dee Hirte bier dem Peisatgupium empfohlen wird, fo erzähle Enfehins (h, ©. 3, 335 welcher ihn h. e. 3,05. au deu älter se nei, dab: man ihn befonders Den Katechumenen: gegebee

Am Schluſſe vou 3.80., wo die Andeinanderfepung über den Hirten des Hermas beendet ift, findet ih in unferm Codex die bei ihm fo. feltene Interpunction und, was gar nicht weiter bei ihm vorkommt, ein leerer Zw ſcheuraum für mehrere Buchſtaben. Dieß Aues weil

der Kanon des neuen Keffaments von Muratori. 853

deutlich darauf bin, daß num eine gang were Materie begiu⸗ uen fell, und in ben That werben feine fan enifchen Schriften mehr aufgeführt, ſondern Schriften von ———— weiche verworfen werden. |

Der Sinn der folgenden Werte ift im augemeinen klar, obgleich theils manche ber erwähnten Perſonen um befanms, theils ihre Namen in unſerm Terte ſehr entfellt And, worauf aber wenig anfemms; m. vgl. bie daruber aufgeftellten Bermuthungen bei Zimmermann, Bon deu drei erſten, Aefiuous, Valentinus und Miltiaded, iR der witdiege einer der befannteftes Bnoftiter. Gin Härstifer Mittindes, ber hier: gemeint ſeyn könnte, wird, wenn. bie Lesart ‚wichtig it, beifufsb.ch.e.5, 16.) erwähnt. Diefe follen. untes Auderm ein venes Pfalmenbuch für Marcion gelhrieben haben. Daß Valentinus Pſalmen, matärlich. feine hebraͤiſche, verfaßt bat, erhellt ans: EClemens Aler. (Strom. 4, 6.), Tertulliau (de carne Ohr. 0, 20.3. Beflides iR bekannt. Der 'constitutor Catspirygum kann ſchwerlich ein Auperer alt Montanus, der Stifter der Wantaniäne; oder Kataphrygar, ſeyn, und da die Kataphryger in Aſten iu Hauſe waren, fa habe ich Aseianum in Asianorum ge ündent. Das Uebrige ergibt fich aus dem Eamterte, * ih ihn oben feſtgeſtellt habe.

Nachdem wir den Inhalt des Fragnents bis RR Einzelne analyfirt haben, läßt ſich bie Frage nach feinen: Integrisät gus-Öntfcheidung bringen. A kauoniſch merken erwähnt: bie A Evangelien, die Apaſtelgeſchichte, 13 yanlinifche Briefe mit Uebergehung des Hebräerbrie⸗ fes, weldger wahnſcheinlich ats epissola ad Alexandrinos außen. dan Kanen gefett ik, der Brief Iubä, die beiden erſten Briefe des Johaunes und feine Apokalypſe, endlich von den Schriften des Petrus wenigſtens der erſte Brief: deſſelben. Daß der. dritte Brief des Johames und der. Brief Jakabi leicht übergangen werben konnten, iR bereits ‚gezeigt morden. Sinht man van dem. ſchadhaften

BEE en. Wieſeler

rein am Anfang uud Sqchluſſe ab, weiche aber über die Beftanbtheile des nehteftaniertiichen Kanons nichts Renee bringen würden, fo muß man fließen, daß uns bie Schrift des Fragmentiften im Ganzen noch volſſtändig vorliegt, falls er nicht vorher auch noch über deu Kanon des alten Teftaments gehandelt hat. Diefe Annahme würde aber nur dann etwas für fich haben, wenu bie Sapientia Balomonis anders ald vergleichsweiſe erwähnt wäre >" Wir fragen weiter nach dem Zwede ber Schrift un: ſers Fragmentiſten. Diefe beſteht aus einem Verzeichniſſe derjenigen Schriften, welche in der Gemeine unferd Berfaflers zum nenteftamentlichen Kanon gerechnet war ben oder, wie ber Hirte des Hermas, von der Geweine geleſen werden ſollten. Doch haben wir feine blog tre⸗ dene Aufzählung diefer Bücher, fondern es wird audı ihre Entſtehungsgeſchichte befchrieben, und nahe Tiegendt Einwürfe werden zurickzewieſen, aber Alles mehr apho⸗ rnit und referirend, wie ed erſt wenig eingeweihten Befern gemäß iſt. Endlich werben auch mehrere apolkry⸗ phifche oder häretifche Schriften verzeichnet und vor ihnen gewarnt. it einen Worte, wir fcheinen bier die kurze Anweifung eines Kirchenichrerd für Katehnmenes einer beſtimmten Gemeine vor uns zu haben, welde dem: Zwecke abgefaßt wurde, um diefelden Aber bein dieſer Gemeine geltenden echten Urkunden des chriftli⸗ chen Glaubens zu unterrichten. Abgefehen von dem Gaw zen, ſcheint auf diefe Anficht auch manches Winzelne ze führen; fo das docesutur 3.18 darauf, daß der Berfal ſer im Romen der Lehrer ſpricht, und dad quidam & nostris 3. 72. daranf, daß die Lefer wicht zu dem Be dern der Gemeine gehörten.

In weiche Zeit faͤllt die Abfaſſung unferer Schrift, und wer iſt ihr Verfaſſer ? Wer die eigenthämliche Gr faitung unſeres Kanous vollſtändig erkannt bat, wid

ber Kanon bed neuen Kefaments von Ruratori. 855

fhon and diefem Grunde gu der Annahme fid; getrieben fehen, daß nufer Berfaffer nicht, mie Zimmermann will, im vierten, fondern, wie fchon von Muratori behauptet wurde, im zweiten Jahrhunderte gelebt haben müffe, Unter manden richtigen biftorifchen Augaben erwähne ih nur bie, daß derfelbe nach 3.39, auch noch die Ans nahme einer zweiten vrömifchen Sefangenfchaft des Apo⸗ ſtels Paulus nicht zu billigen ſcheint. Beſanders deutlich bat der Fragmentift feine Zeit in dem bezeichnet, was er über den Hirten bes Hermas 3.75]. fagt: Pastorem vero nuperrime temporibus nostris in urbe Roma Hermas oonscripsit sedente eathedras urbis Romase ecclesise Pio episcopo fratre eius, Der Borgänger des Bifhofd Pins war Hyginus, welder nach Eufeb.Ch.e. 4,10.) im 1. Jahre des Antoninus Pius oder 138n,Ch. romiſchen Biſchof wurde 4 Sahre bars auf farb Hyginus und machte dem Pins Platz, welcher im 15. Jahre feines Amts nach Euſeb. h. e.4, 11. geſtor⸗ ben iſt, alſo von 142 157n. Ch. daſſelbe verwaltet hat. Während feiner Verwaltung ſoll der Hirte verfaßt ſeyn, und zwar, wie ber Fragmentiſt bemerit, nuperrime tem- poribus nostris. Mithin muß ber leßtere bald nadı dem ‘Tode bes Pius gefchrieben haben, wenn man bad Dbige hinzunimmt, etwa um 170n.Ch., fpäteftend gegen Ende des zweiten Jahrbundertd. Yür das frühere Das tum fpricht auch das Zeitalter ſaͤmmtlicher am Schluſſe erwähnter Häretiker. Es find Valentin «), der um 140 n. Eh. nah Rom fam, Martion, zwifchen 140 bis 150 in Rom (Arfinous und Miltiades, da fie ebenfalls für Marcion Palme verfaßten, müſſen wenigftend gleichzeitig gewefen ſeyn), Baftlided um 125 und Montanns um 150n.Ch.

a) Die chronologiſchen Data über biefe Häretiter find aus ie f es lex’ 8 Kirchengefchichte entiähnt, wo ich das Nähere AT ben bitte,

7

Ueber Dun Berfaffer des Yeagments wiſſen wir duo dem Vorhergehenden, baß er ein Lehrer Der römifchen uber doch einer Rom benachbarten chriklichen Gemein gewefen ſeyn muß. Murateri, weldem Manche gefolgt ad, hat ihn für identiſch mit dem römifchen Predbpte Gafus erflär. Beine Grlnde find: er war Lehrer der söwiichen Bemrine und Icbte um 208. Diefe Rertuak paſſen noch anf manche Andere. Wenn Muratori ferne bemertt, daß Saijus nach Enfeb. Ch, s. 6,20.) wie unfer Fraz⸗ ment wur 13 Briefe des Paulus mit Uebergehung dei Hebreäeebriefes anertenne, fo iſt andy dad für einen ri miſchen Ritchenlehrer nichts Charakteriſtiſches. Auf der es dern Seite hat man mit Recht hervorgehöben , daß ehrt dieſer Cajus nad, Enfeb.h. e. 3, 28. ſich Aber die jeher neifhe Ayolalypfe, weide er für ein trügliches Madı wert des Gerinth zu halten ſchint, fo ausfprach, daß er mit unferm Fragmentiſten uumögiich identiſch ſeyn fünm. ad fdyeint er nach dem Obigen dazu nicht alt genng zu ſeyn. Uebrigens verfchlägt es im Grunde wenig, je wiffen, ob Gaius ober, was wir richtig ſcheint, irgend ein anderer Eirchenlehrer des zweiten Sahrhundertd um for Fragment verfaßt hat.

Zum Schluſſe noch ein paar Worte über den Werth unfered Documents. Seine hohe Wichtigkeit erhellt ſchon barans, Daß es nah dem Kanon bed Mareion, weldt befummtlich 10 Briefe des Paulus ımd ein Evangelium umfaßt, das Altee, dazu in ſich zufammenhängend und mit Bewußtſeyn biefes Zweckes verfaßte Berzeidail des nenteflamentiihhen Kanone if nad daß in dieſer Br jgiehung mit ihm faft nur noch das Verzeöchniß der bi⸗ biifchen Bücher in ver Peſchito concurriren Tann. Bor deu Kanon ded Häretilers Marcion hat ed aber den entfhie denen Vorzug, dap fein Berzeichniß von einem wirklichen Lehrer der Kirche ausgegangen und nicht vom einem jectiven Standpunkte aus, wie diefed zumal von Mar cion zugegeben werben muß, verftümmelt if. Wir be

%

der Kanon des neuen Keflaments von Muratori. 857

ben im unferm Fragmente, zumal went man die Phäno⸗ mene and gefchichtlicher Analogie zu deuten fucht, eine Ent» wickelungsgeſchichte des neuteſtamentlichen Kanons innmuce. Bei einer unparteiiſchen Würdigung deſſelben find aber folgende zwei Geſichtspunkte fireng feflguhalten. Erſtens find innerhalb des Fragments die objectiven Ausſagen über den Kanon von den fubjectiven lirtheilen feines Berfaffere noch zu unterfcheiden.” Zu den erftern gehören namentlich die Audfagen über die Beftalt des Kanone, weichen er sticht erſt nach eigener Beliede feſtſtellt, ſon⸗ bern fo aufführt, wie er ihn in der Bibel feier Ber meine bereit6 vorgefunden hat. Zweitens ik unfer Ka: won nicht der Kanon der ganzen Kirche, fondern itur ber einer einzelnen Gemeine, der römifchen. Nur iſt dabei nicht zu vergeſſen, daß gerade die römifche Bemeine Burd ihre Lehrer wie duch Alter und Urfprünglichkeit und, was hier nicht ohne Gewicht if, Burch ihren mehr objectiven Charakter zu den angefehenften der ganzen Ehriſtenheit gehörte.

2.

Ueber Jeſ. 17. 18., als ein zuſammenhängendes Ganzes bildend und nad hronologifhem Principe eingereiht.

Bon Prof. D. Moriz Dredsler.

Die in der Weberfchrift genannten Kapitel des Bus ches Jeſaja bieten dem Kritifer und Eregeten in mehr als Einer Beziehung nicht unbebentende Schwierigkeiten dar, Ramentlich hat die Frage, in wie viele nad in weiche Theile das bezeichnete Stud zerfalle, einen nicht

858° . Drechtier

geringen Zwieſpalt nuter den Auslegern hervorgerufen. Möge es dem Verfaſſer vergömnt ſeyn, dieſer, fo wie noch einigen anderen connexen Fragen in den vorliegen⸗ den Blättern diejenige ins Einzelne gehende Ausführlich⸗ keit der Behandlung zuzuwenden, welche dem, wie fd jeigen wird, gar nicht unwichtigen Gegenflande auge meflen und die Doch innerhalb eined das Ganze ber je fajanifhen Orakelſammluug umfaffenden Commentars is feiner Weife möglich if.

Beginnen wir unfere Audeinanderfeßung damit, den gegenwärtigen Stand der Unterfuchung darzulegen.

Geſenins theilt das in Rebe fichende Stüd in zwi verfhiedene Orakel: 17, 1—11. uud 17, 12 18, 1. Hitzig flimme zwar in die Trennung, trifft aber bie Ein theilung anders, indem er Kay. 17. zufammenfaßt un Kap. 18, als felbfändige Weiffagung abfondert. Genus befeben, theilt er jedoch das Ganze eigentlich in drei Theile ‚Sm Sommentare (S.200.) heißt ed: „der Heise Abfchnitt 17, 12 14. bilder für fi ein Ganzes, dei aber, indem es ſich ebenfalls auf Aram und Ephraim te zieht und ungefähr and bderfelben Zeit herrührt, bemiel: ben (dem Orakel 17, 1—11.) beigefchloffen wurde.” Ham dewerk faßt Kap. 17. ſchlechthin als ein Ganzes, Er verbindet daflelbe mit Kap. 5. n, 7, 1-9. an Einem Städe, während er andererfeite Kap. 18. mit Kap. 19. vereinigl.

Ewald trifft mit Gefenius infofern zufammen, ale er nah

17, 11. abfeßt und 17, 12—14. mit Kap. 18. verbinde. Dem Kap. 18. aber reiht er unmittelbar 14, 24— 21. u and will erſt diefe drei Abfchnitte (17, 12 14. md Kap. 18, und 14, 24—21T.) ale Ganzes gelten laſſen. Um breit handelt unfer Stüd ald in drei befondere Städt zerfallend ab: 17,1— 11. und 17,12 14. und Rap. 13 Doc bat die Art, wie er fi über 17,12 14. au- fpriht, etwas Schwantended. „So überrafhend” fagt er (5.154. feines prakt. Comm.) „bie anmittl

über Jeſ. 17. 18. 859

bare Anzeihung biefer Verkündigung der ſchnellſten Flucht der Aflyrer aus dem jüd. Lande an das vorhergehende Stück fcheint, fo paſſend iſt fie.’ Deßhalb möchten wir aber nicht geradezu dieſes in fich immer beſonders abge⸗ ſchloſſene Stud geradezu mit dem vorhergehenden ald urfprünglich eins verbinden. Und eben fo wenig ſcheint ed und, wie Gef. will, mit dem folgenden Orakel zu⸗ fanmen zn gehören, obfchon wir nicht verfennen, daß es, feinem Suhalte nad, ale daſſelbe einleitend betrachtet werben kann.” Knobel thejlt wie Gef. ab: 17, 1— 11. und 13,12 18, 7,; Hävernid (Einl. IL, 2. ©. 75. 76.) wie Hitzig: Kap. 17. und Kap. 18. de Wette hatte im den früheren Ausgaben feiner Einl. unfer Städ in zwei Orakel zerlegt: 17, 1—11. nnd 17,12 18, T.; in Aufl. 6, zerlegt er in drei Städe: ar 1—11. und 17,12 14. und Kap. 18.

Man fieht, bier liegt eine von jenen Erfcheinungen vor, an benen bie neuere und neueſte Kritif nicht eben arm iſt, welde ganz bazu geeignet foheinen, an ber Auffindung irgend einer objectiven Wahrheit geradezu verzweifeln zu machen,

Sehen wir, ehe wir uns ſolch Aenßerſtem bingeben, unbefaugen die Sache felbft ein, fo bietet ſich unferem Blide vor Allem die Thatfache dar, daß in demjeni- gen Theile der jefajanifchen Orakelſammlung, welchem Kapp. 17.-18, angehören, jeder unzweifelhafte Anfang eis ner neuen Weiffagung, der kleinſten wie der größten, durch eine, allenthalben möglichft gieich gehaltene Leber, fchrift bezeichnet if. So 4. B. die große Weilfagung über Babel in 13, 1—14, N., fo die Feine über daffelbe Ob⸗ iect in 21, 1—10.; fo die kurzen und kürzeſten Orakel 21, 13—17. und 14, 23 —32. und 21, 11. 12. u. f. w. Steht dieß fe, fo wird alfo das zwilchen den beiden Ueberfchriften 17, 1. u. 19. 1. liegende Stüd ein Ganzes bilden follen. Der Urheber der vorliegenden

Theol, Stud, Jahrg. 1847. 68

80 Brerheler

Gamumlinng hat Kapp. 17.18. als eine fu fih ak gefhloffene Weiffagung betrachtet wiſſern wollen.

Prüfen wir mun, inwiefern wit biefem äußeren Beugaiffe der Inhalt jener Rapp. und überhaupt ber innere Befund zuſammenſtimme.

Bas und Ba gu allererk in bie Augen fallen wird, iſt dieß, Haß innerhalb des in Rede ſtehenden Abkchuit

fo viele verfchiedene Bölfer der Reihe nad zum Beam Rande der Weiſſagung gemacht werben. Während d

ſouſt Brandı if, Daß jebes beſondere Drafel einem br ſtimmten Bote, dem tu der Lieberfchrift namhaft gemad- ten, gewidmet ift, fehen wir in dem vorliegenden Gtäd merſt Damaskus (B. 1.) auftreten, daſſelbe fpäterbin j1 Bram (B.8.) ſich erweitern, Daneben eine Stadt dei iſ zaelitifchen Oftjordanlandes (B.2.) und Ephraim (8.3 gur Sprache kommen unb weiterhin (V. 4 11) zu ausfchließlichen Beiprecung gelangen, hierauf A (8. 18 14.) in den Befichtefreid bes Propheten ein

ven, endlich ein Land „ienfeite der Ströme von Kuſch“

(Kap. 18.) den Reihen fchließen. in, wir geflehen eh, falls fi dieſer Cumulirung keine andere Seite als dit des Bufälligen und Willkürlichen abgewinnen laffen fol, in der That mehr als bedenklicher Umſtand! Wen d And dieß ja biefelben Böker, weiche in dem Epoche me renden Kap. T. auch neben einander vorkommen. Ya

Kap. 7. hat es mit Damaskus zu than (7,8) ud mi

ram (7,1.2.4.5,8.) und mie Iſtael CT, 1.) oder Epkreis (7, 2.3.8.9.) und mit Affur (7, 17.18.20.) und mit „MM Fliege am Ende der Nile Negpptens” (7,18). Un li

wie Bram und Ephr. in Kap. T. ald Mliiste erfieimn

die eben deßhalb aßezeit neben einander genannt werde, fo in Kap. 17. eben auch. Deßgleichen, wenn in Kant. Aſſur nach Maßgabe des hifterifchen Entwidelungdgss ges erſt dann zur Sprache kömmt, wenu ber Prophe

über Bel. 17. 18. 861

das, was er Über bie beiden alliisten Könige zu fagen hat, ausgeſprochen hat, fo verhält es ſich in Kap. 17. in dieſer Hinficht ebeufo. Endlich ber „Fliege am Ende ber Nile Aegyptens“ wird in Kap. 7. nach Affur und, wie es fcheint, ald in der Reaction gegen baffelbe begrif- fen Erwähnung getban. Genau ebenfo verhält es fi in Kap. 36. mit dem Lande „ienfeitd der Ströme von Kufh.”

Daß die Ueberſchrift in 17, 1. nur Einen von dieſen Betheiligten,, das zuerfi zur Sprache kommende Damas⸗ Ind, namhaft madıt und danach das ganze Stüd benennt, wird, als durch die fonflige Sitte des Hebräers und des Ortentalen überhaupt gerechtfertigt, gar keine Schwierig» feit verurfachen.

@iner näher tretenden Betrachtuug der Rapp. 17.18, faun es ferner nicht entgehen, daß dieſelben ihrem ins halte nad) ein Ganzes bilden, das fich aus einem und demfelben Grundgedanken auf dad Schönfte confiruiren läße. Ihr Inhalt ift nichts Anderes, ald die concrete Anwendung des in Kap. 2,, näher in 2, 12—18., gang allgemein ausgefprochenen Gedankens, und wir können die Summe bed ganzen Abſchnitts nicht befler ausdrücken als mit den Worten von 2,17.: „und wird gebeugt Hochs muth ded Menfchen und erniebrigt Stolz von Männern; und iſt erhaben Jehova allein an bemfelbigen Tage.” Daß ein Tag herannahe, an weldiem Alles, was auf Erden etwas it oder doch etwas feyn will, mit oder wider feinen Willen dem Herrn werde bie Ehre geben müſſen: dieß der Inhalt der Kapp. 17. 18. Und dieſer Grundgedanke ift mit fchöner Steigerung in immer weis terem Kreiſe durchgeführt. Zuerſt an den in nädılter Nachbarſchaft wohnenden kleineren Keinden, Aram und Ephraim, danach an dem fchon entfernter wohnenden mächtigen Affur, zuletzt an dem in die fabelhafte Ferne hinausreichenden Kufch, welches fich eben deßhalb im

u:

862 Drechsler

18, 3. zur geſammten Menſchheit erweitert. Alle werben fle zu Schanden werben, die dem Herrn in entſchiedener Feindſchaft entgegentretenden Weltmächte (Rap. 17.) jo gut wie die eine mehr neutrale Stellung einnehmenden, mil dem Volke des Eigenthums das gleiche politifcdye Jutereſſe theilenden (Kap. 18.). Die erfteren werden vernicte, die anderen mit ihrem ganzen fo ungeheuren und bed am Ende fih fo überflüffig erweifeuden Aufwande ber außerorbentlichfien Mittel (18,2.) befhämt.

Hat ſich durch das Bisherige fo viel ergeben, dab der Inhalt des fraglichen Abfchnitts mit dem durch bie Ueberfchrift gegebenen äußeren Zeugniffe in vollkommenes Einflange begriffen ſey, fo mögen wir nun uoch zuſehen, inwiefern etwa an ben Rapp. 17. 18. in allerlei Einzeln fcheinungen ein Gepräge der Einheit und Zufammenge hörigkeit zu Tage liege, wie fle die ein Ganzes bilden Rede in der einen oder in der andern Weife an fh tragen pflegt.

Hierher gehören die homogenen, ja identifchen Bl ber, deren fid der Prophet durch bie verfchiedenen Par: tien feiner Rede hin bedient. Wenn er das Gericht ber Bertilgung, welches über Ephr. fommen fol, veraufdan lichen will, fo thut er es 17, 5. unter einem von der Frucht des Aders nnd deren Ernte und gleich darauf 17, 6. unter einem von ber Dlivenernte hergenommam | Bilde. Ebenſo läßt er 17, 10. 11, die Ephraimiten wi ihren getänfchten Hoffnungen fi in dem Bilde des Bär nerd abfpiegeln, der, nachdem er bie Pflanzung, welt er alle mögliche Sorgfalt gewibmet, auf das Hoffnung" vote hatte heranwachfen fehen, in dem Augenblide da erwarteten Ernte feine Ausſicht plötzlich vereitelt fe Und ganz und gar in derfelben Weife ſtellt er 1,45 die Kataftrophe, welche den affprifchen Eroberer eu | dann ereilen fol, wenn er feiner Meinung nach gerad! im Begriffe it, feinem Werke die Krone aufzuſetzen, u

über Jeſ. 17. 18. 863

ter dem Bilde einer Berheerung dar, die den Weinftod in dem Momente der der Lefe entgegenreifenden Traube eben fo unerwartet ale vollftändig trifft. Alfo, in dem verhaͤltnißmäßig nicht eben langen Stüde vier fo homo⸗ gene, zum Theile geradezu ſynonyme Bilder! Bon 21 Ber, fen nicht weniger ald 6 in Gleichniffen aus einer und derfelben Sphäre anfgehend! Und andererfeitd was für unfern Zwed wohl zu. beachten alle vier Bilder doch auch wieder fo gehalten, daß fie einander auswei⸗ hen, nicht eined mit dem andern fchlechthin identifch wird!

Bon befonderer Wichtigkeit ift ferner dad Verhält⸗ niß der beiden Stellen 17, 12—14, und 18, 4—6. An beiden Drten if die Art und Weife, wie von der Katas frophe geredet wird, welche Affur treffen fol, genau diefelde x). Beide Abfchnitte geben ein Doppelted zu ers kennen, erſtlich, daB das Gericht erſt dann kommen werde, nachdem vorher ber affyrifchen Macht lange Zeit und bis aufs Aenßerſte Raum werde gegeben worden

a) Hitzig freitich findet in den beiben Stellen, deren genaue Ueber⸗ einftimmung wir als ein Argument für bie Zuſammengehoͤrig⸗ Leit geltend machen, einen Widerſpruch, den er (neben andern Gründen) als die Berbindung von 17, 12—14. mit Kap. 18, nicht zulaffend hervorhebt. Er fagt &. 200. : „Dort (17,12—14.) wird als gegenwärtig befchrieben, wie die Feinde über alle Berge fliehen, und bier (18, 4&— 6.) ſollen fie fammtlich als Erſchlagene auf dem Plage bleiben ? Es iſt leicht eingufehen, . daß wir hier nur bie zwei ſich ergänzenden Seiten haben, nach weichen wohl jebe bebeutende Nieberlage eines großen Kriegs heeres betrachtet werben Tann und bie denn audy die hier ges weiffagte Kataftrophe bei ihrem Gintritte wirklich darbot (37, 36. 37. vꝗl. 37, 7. 29. 34.). Dabei ift jedoch recht fehr zu bes achten, daß, wenn der Prophet auch allerbings mit 17, 13. vor: zugsweife bie in 37, 87. und mit 18, 5. 6. bie in 87, 36. ver: zeichnete Seite im Auge hat, doch auch in 17, 14. a. eine nicht zu vertennende Hindeutung auf bie in 87, 36, erzählte Krifis enthalten ift.

864 Drechẽeler

ſeyn, und zweitend, daß die Kataſtrophe, in ber ſich bad Gericht vollgiehe, eine plößlihe und eine rabicak feyn werde. Namentlich faffe man bie beachtenäwertke Ucbereiuftimmung beider Stellen hinſichtlich der in Un wendimg gebrachten rhetorifchen Mittel ind Auge. Das eine wie dad andere Mal verweilt die Rede abſichtlich bei der Schilderung Der ungehinderten Kraftentwidelung, zu welcher Affur Raum gegeben werden folle, auffallend lange, um mit um fo größerem @ffecte das Gericht in feiner ganzen Urplöglichkeit zu veranfchanlichen. Im ge⸗ naueften Paralleliömus entfprechen ſich in diefer Ber bung 17, 12, und 18, 4.; 17, 18. a. a. und 18, 6. ı >).

Endlich fey noch Baranfhingewiefen, wie Kap. 17.18. den Charakter eines in fich abgefchloffenen Ganzen m

ber Stetigkeit almählichen Steigens und Fallens dır Mede beurtunden. Der Anfang des Drafeld hält fie

ganz und gar innerhalb der gewohnten Weiſe prephe: fher Darftelung, Jeſaja beginnt bamit, den nädta

Gegenſtand feines Weiffagend zu begeichnen. Er tat das, indem er die verfchledenen Parteien, in welche fi das nächſte Object gliedert, der Reihe nad anfjällt und dabei jeden Theil ganz einfach beim Namen went Die Rede bewegt ſich hierbei durch das hergebrachte Te bilel der Verbindung nam ehsa rm), einfacher wırmı 72

oder am fort. So in V. 4; in V. 5, zweimal; Bd;

B.9. Indem aber der Prophet in B.9., nachdem rin

Vorhergehenden den Grundgedanken in Beziehung af Ephr. bereits vollſtändig durchgeführt hatte, nochmals | barauf zurückkommt, das Gericht ber Enttäufchung, wel

ches die Ephraimiten für ihre unverbeflerliche Abtrünnig: keit erfahren werden, zu um fo größerer Eindringlicfet wiederholt darzuſtellen, belebt fi ber Puls feiner Rebe.

a) Auch in dem Wteichniffe 17, 10. 11. laͤßt fich die gleiche Anlıt

nicht verkennen.

über Jeſ. 17. 18. 803

Gie geht mit B.10. in die zmeite Perfon über wud nimme am Schluſſe diefer Strophe in V. 11. h. etwas Adgeriſſe⸗ ned an. Im Kolgenden erhält und erhöht ſich dieſe Stei⸗ gerung. Hier find die lebergänge lyriſch; an die Stelle der profaischen Formel tritt die Partikel hr in 17,12.18,1.). Die Strophe 17, 12 14. zeigt den Charakter des Bis fionären. Witten hinein ficht fi der Prophet verſetzt in die braufende Brandung tobender Feindesheere. Alles it Hanblung, vos dem inneren Auge bed Sehers raſch fd entwidelnder Borgang, bis zu dem kurzen biefe Strophe fließenden Paran in 17, 14.b. Für Ramen it bier fein Raum. Obwohl der Prophet Aſſur volle ſechs Berfe (17, 13 14. 18, 4—6.) widmet, fo ift dem⸗

ohngeachtet der Rame des Feindes auch nicht einmal ger

naunt. Wit der wahrhaft kunſtreichen poetiſchen Schil⸗

derung in 18, 2, iſt es derſelbe Fall. Im 18, 1. umgeht

Yehnja abfchtli Die directe Benennung. YAaflatt bad Land geradezu beim rechten Ramen zu nennen, ſubſtituirt er ein Gymbos.n). Weiterhin kehrt im MBerlaufe dieſer

a) Die Worte ums bebr find ein wahres Kreuz der Ausleger. Ich erkläre dieſelben im Hinbiide auf Deut. 26, 42, durch geflügelte Shwircheufhrede. Richt als ob «eb die Intention des Propheten wäre, bas in biefer Stelle anges rebete Land als Heimath jenes fhäblihen und verheerenden In⸗ fects zu bezeichnen. Die eigentliche Meinung des Propheten iſt aus eben jenem Kap. 7., zu welchen unſer Städ üͤbethaupt im fo naher Beziehung ſteht, zu erklaͤren. So wie naͤmlich in 7,184 von ber Fliege am Ende ber Nile Aegyptens unb von der Biene im Lande Affur bie RKede ift, fo ift gu im 18, 1. der geflägelte Schwirrer ald Emblem ber Lufcht« tifhen Macht, welde damals weithin (nad Strabo bi8 an bie Saͤnlen bes Hercules) erobernd auftrat, gu fallen. Eben um diefee emblematiihen Eigenſchaft willen if der MWeifag- RIE33 noͤthig. Da naͤmlich einerfeite bei allen für bie nähere MWeftim, mung bes busch babx bezeichneten Inſetto in Betracht kom⸗ menden Arten die Entwidelung der Flägel an allerlei Bebin- gungen theils bes Geſchlechte, theils der verſchiedenen Entwicke⸗

y

308 Drechdler

legten Strophe bie Rebe zur Ruhe zuruck, wie denn auch den Schlußvers bed Ganzen wieder bie Formel rn; wrm einleitet (vgl. 20, 2. 39, 1.).

Als einen Punkt von minderer Wichtigkeit nenne ih zuletzt noch die Verbindungen: cn Yb 17,13. und ann © 18,3, und runs 18,6. Seine diefer drei Berbindungen kömmt außer der refpertiven Stelle je mehr vor.

Unter diefen Umftänden glaube ich die Zufammenge hörigkeit der Kapp. 17. 18. als eine unzweifelhafte That, fache betrachten zu bürfen, wenigftend als fo ausgemacht und evident, wie es nur immer Dinge der Art irgend ſeyn Fönuen.

Ein nicht geringer Beweis für die Probehaltigfeit unferer Anſicht if, dünft mid, darin gegeben, daß alle die von den verfchiedenen Kritikern gegenfeitig gel tend gemachten Argumente, foweit fie irgend einen Kern Bed Haltbaren haben, von unferem Standpunkte and bie befriedigendfie Erledigung finden,

So if unleugbar etwas Wahres daran, wenn in Laufe der Verhandlungen über biefen Gegenſtand von ver» ſchiedenen Seiten hervorgehoben worden ift, bag fd 17, 14, als Schluß charakteriſire, fowie 18, 1. einen paſ⸗ fenden Anfang gebe. Aber während diefe Wahrnehmung allerdings gegen diejenigen zeugt, weldje ed unternehmen, 17, 12— 14. von 17, 1— 11. abzulöfen und dagegen mit Kap. 18, zu einem befonderen Drafel zu vereinigen, ver: trägt fie fich mit der von und aufgeftellten Annahme auf das Befte und findet bei derfelben ihre vollfte Würdigung. Mit dem Schluffe von Kap. 17. tritt ja nämlid, wit

.. Iungöftufen gebunden iſt, anbererfeits aber für ben ſymboliſches Gebrauch in unferer Stelle das Gefluͤgeltſeyn «in weſentliche und ganz unentbebrlicher Zug if, fo erfcheint jener Zufag nichte weniger als muͤßig. Daß cm im Hinblide auf 8, 8. k

- ohne Weiteres von Heeresfluͤgeln verflanden werben könnte, if meines Beduͤnkens zeinweg unmöglich.

über Sef. 17. 18. 867

wir oben gefehen haben, wirklich ein Wendepunkt ein, Der Prophet macht von den dem Herrn uud feinem Reiche feindlich entgegentretenden Weltmächten, welchen in Kap. 17, feine Rede galt, den Uebergang zu den zwar noch außers halb der Gemeinfchaft ber Berheißung, doch nicht im po» fitivem Widerſtreben gegen biefelbe ſtehenden Völkern. Daher in 17, 14, b. der zuſammenfaſſende, abfchließende Charakter a), R

Demnach ik Haev. gegen Knob. nnd Andere, welche die Zufammengehörigkeit von 17, 12—14. mit 17, 1-11. nicht anerfennen, ganz und gar im Nechte, wenn er (Til, 11.2. S. 75.) darauf hinweiſt, bag gerade in. dem Abſchaitte 17, 12— 14, das Thema zu dem Vorhergehen⸗ den er meint damit eben 17, 14. b. liege and dag B. 14. unverlennbar auf 2. 3. zurüdfche Nur tk andererfeitd ihm gegenüber, als welder nun umgelchrt. den Zuſammenhang zwifchen 17, 22°—14, und Kap. 18: leuguet, Knobel eben fo fehr im- Rechte, wenn berfelbe behauptet, die Bereinigung von 17,12-—14. mit Kap. 18, fey, abgefehen von:der fihönen Abrundung und Bollkän- digkeit, welche dad Stüd dadurch erhält, deßhalb noth⸗ wendig, weil 18, 5, die Vernichtung eined großen Heers verbeißen wird, ohne daß deſſen Ankunft auderswo als in 17, 12. angefündigt wäre,

Und fo hat denn auch Umbreit dad Richtige gefeben, wenn er, wie Eingangs referirt, den Abſchnitt 17, 12—14- im: Berhältniffe zum Vorhergehenden als paflend ange⸗ reiht, im Verhältniſſe zum Kelgenden als daſſelbe einlei⸗ tend betrachtet. Nur darin irrt er, daß er fich zu eis ner ernftlichen Bereinigung ber drei betreffenden Abfchnitte demohngeachtet nicht entfchließen will.

a) Kap, 17. gipfelt in V. 14.b.; Kap. 18. in 8. 7. Das gegen» fügliche Verhaͤltniß der beiben Schelle unferer Rede ift in den beiberjeitigen Schlußfägen concentrirt.

808 Dredsier

Uebrigens hat die hier durchgeführte Auſicht ſcher unser ben Aelteren ihre Bertreter, wie beun Bitringa die Zafammengehörigkeit von 17,1 18, 1. nicht vertennt. Dat, wie er ſich zu 17, 1,a. und zu 17, 13. ausiprict.

Stehn num aber folchergeftatt einmal fe, Daß die

Kayyp. 17. 16, Bine zufammenbängende Mebe ausmachen, fo gewinwt bie Frage nad dem Zeitpunkte der Abfaſſurg eine ganz neue Bedeutung und muß, während fie bidher mehr in deu Dintergramd getreten il, von Neuem in de arbeitung genommen werben. :, Sur Zeit wänlih wimmt man um and dießmel wirber: mit der. Daslegung des gegenwärtigen Stande der Unterſuch ung zu beginnen hinfichtlich der erſten Hänfte mnfered Stücks den Zeitraum der ſyriſch⸗ ifraeli⸗ then Invaflon in Auba «7, 1.) mit grußer und in ber Hauptſache =) totaler Einfimmigfeit ald Termin der Ab⸗ feffang au, binfichtiid, ‚der zweiten Hälfte dagegen de zeichnet man eben fo eluftimmig die Periode Deo aflyri- ſchen Drucks, wmelftentheild geradezu die Zeit karz vor der Rieberiage Sanherivbꝰs (Rapp. 38. 37T.) als Aofaſſunge⸗ get. So zuverfichtiih ſich unn aber Kritiker und de geten in diefer Beziehung anszufprechen pflegen, fo mut even body, werm ſich, wie ich glaube, an der Zufammen gehörigkeit der zwei Theile nicht zweifeln läßt, nothwen, dig Die eine: von den beiden Annahmen unrichtig fepn.

Mir für meinen Theil ſcheint wenn ich mir erlan ben ‘darf, der Linterfinhung vorgreifend Dieß bier glei aus puſprechen der fpätere Termin der rechte zu fen. Ich glande, daß Hugo Grotins die Wahrheit getroffen bat, wenn er Kap. 17. in die evften Zeiten des Könige

a) „Ob es (17, 1— 11.) aber vor bie ſyriſch⸗ iſraelitiſche Invafer in Juda (Ew.) ober in diefelbe (Vitr., Lwth., Döberlein, Rs fenm., Maurer, Hnbwrf.) oder au bes Ende berfelben, eis die Aſſyrier bereits heuansadten (Hieig), ober ſchon das Dftjerden land exobert hatten (Geſ., Umbr.), gehöse, iſt fireitig.” Kmeke.

über Jeſ. 17. 18. 869

Hiskia ſetzt und bie Drohungen, welche daſſelbe in Bes ziehung anf Dawradias enthält, nicht auf Die Heimfuchung, die Aram durch Tiglath⸗Pileſar erfuhr, fondeen anf eine fpätere unter Salmanaffar bezieht.

Sehen wir zuoörberft, welche Erſcheinnugen man zu Bunften einer früheren Abfaſſung geltend gemacht hat.

Auf die Gleichzeitigkeit von Kap. 17., beziehungoweiſe von 17,1 —11., mitKap. 7 fi. hat man beßhalb gefchlofe fen, weil das vorliegende Stück genan dieſelbe Lage der Dinge abfpiegele, wie fie die genannten früheren Kapitel zu erfeunen geben. Gleich im Eingange (17, 1— 3.) werde Ephraim und Damaskus in einer ſolchen Weiſe der Zus fammenfafjung behandelt, wie fie ih nur unter ber Vor⸗ ausſetzung eines zwifchen den beiden Reihen befiehenben Bundesverhältsiffes erflären laſſe. Run babe aber ein ſolches nur bie zu dem Linfchreiten von Seiten Affur'd Statt gefunden ; in Folge ber Katafeophe Burch Tiglath⸗ Pileſar habe es ſich gelöſt. Berner fey 17, 3. von einem Königthume bei Dam. die Rede. Much diefem ſey, fo viel und befannt, in Kolge chen jenes Kataſtrephe ein u. gemacht worden. Pgl. 2Kön. 16,9,

Ich habe diefer Argumentation ein Doppelte entges genzufeßden. Erſtlich Iäßt fie ſich behanptend und lewgr nend allın fehr fo an, ale ob undgenane Nachrichten über dieß Alled verlägen, während die Quellen im Gegentheile we⸗ nig mehr ald Nichts darbieten. Zweitens ik fie mit dem wenigen wirklich Borhandenen gar nicht einmal im Einklange.

Es iſt und nämlich von Dam, und von ſeinen Sana⸗ falen ans jenem ganzen Zeitraume nichts weiter befannt, ale was wir AR6n.16,9. leſen. Mit Ausnahme dieſer einzigen Stelle (ind wir von aller und jeder Nachricht verlafien und erft im Zeitalter der Propheten Ger. und Ez. taucht wieder eine die Gefchichte von Damaskus ber rührende Notiz auf, infofern fi aus den Weillagungen

870 Dredsler

der genannten Propheten ergibt, daß jene Stadt damals wieder in gutem Zuſtande ſich befunden haben muß. Max vgl, Yer.49,23— 27. &5.27, 18,

Betrachten wir nun die citirte Stelle genauer. In 28öu.16,9. wird gemeldet, daß Tigl. die Stabt Dam. eingenommen (momnn) unb Deportation Über fle ver hängt (non) habe, ferner, baß er den Rezin habe toͤd⸗ ten laffen. Man flieht, was Tigl. an Dam. that, ſteht ganz und gar auf Einer Linie mit bem, was durch Re buladnezar an Serufalem bei Gelegenheit feiner erfea Einnahme gefchah, worüber und 2 Kön. 24,10 16., nut watärlid, bier mit viel ausführlicherer Darlegung von Detatid, Meldung that. Auch in Beziehung auf Jernſ. wird und a. a. O. erzählt, daß Nebuk. Deportation über Die Stadt verhängt babe. Man vgl. B, 14 —16, nu: mentlich B.14., wo e& heißt: ubeern-ba mu rzum. Gleich⸗ wehl wurde Jeruſalem damals nicht zerftört, nicht einmal Juda als felbfiändiged Reich vernichtet. Der dal. Eroberer ſetzte einen neuen König ein, und dieſer, wie wohl unter babyloniſche Oberherrlichleit geſtellt, hatte doch Selbftändigkeit genug, num durch ernenerten Abfal die chald. Macht zu wiederholter Heimfuchung zu ter sen, da dann erft, wie befannt, der gänzliche Ruin Je⸗ zufalem’d nnd Inda's herbeigeführt wurde. Die ni liche Bewanbtuiß kann es in der afiyr. Periode wit Dam. gehabt haben, Unbeſchadet des durch 2 Kön. 16,9. Auf gefagten kann auch Dam. nad der Eroberung durch Zigl, noch fortbeflanden =), es kann feinen eigenen König gehabt haben mn, ſ. w.

Hiermit ift nun aber ſchon bewiefen, wicht nur, daß die und gegemüberfichende Anficht ale ausgemacht au: nimmt, was in dem wirklich Gegebenen keinen Grund

a) Ueber bie Bebeutung desin? Koͤn. 16, 9, gebrauchten wen vergl. 2 Rn. 14,7. Bon Menſchen gebraucht, heißt es gefangen ach men; vergl, Joſ. 8,29. 2 Kön, 14,19,

über Jeſ. 17. 18. 871

hat, ſondern auch, daß ſie mit dem wirklich Vorhaudenen nicht einmal im Einklange ſich beſindet. Deun klar if es, daß die Weiffagung 17, 1. b. nicht auf die Kriſis ber zogen werden kann, von welcher 2 Kon. 16,9. handelt a). Entweber haben wir in 17,1. b. eine \nnerfüllt gebliebene Weiſſagung oder ed bezieht ſich dieſelbe jedenfalls, ſey fie nun concipirt, zu welcher Zeit fie wolle, auf eine Ku tafteophe von viel verzweifelterer Art. Dem Gefagten zufolge kann denn alfo in dem erfien Jahren bes Königs Hiskia gar wohl ein Königthum bei Aram gewefen feyn (17,3.); Jeſaja kann damals bei feinem Weiſſagen aller, lei Berfuche von Seiten Damaskus, ſich ber aflyr. Herr, haft zu entziehen, vor Angen gehabt haben, und den derartigen Berfuchen mag ein geheimes oder offenkun⸗ diged Einverſtändniß mit Ephraim vorangegangen feyn, obwohl dieß Lebtere anzunehmen, durch Kap. 17, gar nicht einmal zur unabweisbaren Nothwendigkeit gemacht wird. Denu geſetzt auch, es bat fidy nach der aflyr, Snvafion unter Tigi. das Bundesverhaͤltniß zwifchen Dam. und Ephr. niemals wieder erneuert, fo wird in diefem Falle doch, was bie beiden vordem alliirten Gtaaten im Fortgange der Zeiten auf Abrechnung der durch ihre jenesmalige Alliance und während derfelben contrahirs den Schuld kraft einer eben damals audgefprochenen göttlichen Strafſentenz (7,4.8.16,) trifft, mit dem vollen Rechte fortwährend unter dem Geſichtspunkte Des Gemeinſa⸗ men und Zufammengehörigen betrachtet. Dabei find wir denn abrigens, es fey dem Allen, wie ihm wolle, jeden⸗

a) Daß die Relation in 2 Kön. 16, 9. nit etwa eine unvollftäns dige, hinter der Wirklichkeit zurüdbleibende fey, erhellt aus der fi) unmittelbar daran anfcdhließenden weiteren Erzaͤhlung. Radı ZRön. 16,10 ff. yat Ahas dem Zigl., um ihn über feinen fiegs reichen Feldzug, fo wie für gnäbdig geleiftete Hülfe feine Huldi⸗ gung darzubringen, in Dam, feinen Beſuch abgeftattet, fich audy (vergl. 8. 11.) daſelbſt eine Zeit lang aufgehalten und von einem dort befindlichen Altar ein Modell genommen,

872 Drerchäle

ſalls nicht gewilt, irgeubwie su leugnen, daß KRap.17. u Kap. Tff, in einer ganz befonderen, fehr innigen Bezie⸗ bung ſtehe. Nur daß dieſe Beziehung nicht eine äußern Kcdhe, in dem Zuſammeufallen der Abfaſſungszeit bedingte, fondern eine durchans innere if, Dadjenige, was den Uusiprud in Rap. 17. mit den Ausfprüchen in Rap. Tf. verbindet, ift nichts Anderes ale die Gtetigleit eine und deffelben Entwidelungsprecefled, deſſen der Zeit nadı audeinanderfallende Momente der Berwirflichung im bes bezeichneten Städen unferer Sammlung ihre Darftellung finden.

Durdy das Bisherige iR, glaube ich, fo viel erreidt, daß, follte aus irgend einem Grunde die Annahme wi thig werden, ed habe Dam, auch nach ber Eroberung durch Tigl. noch fortbeflanden :und feine eigenen Könige gehabt, die Zulaffung einer ſolchen Annahme Bingefihti ber vorkegenden gefchichtlichen Zeugniffe in keinerlei Weile bedenklich erfcheine. Alles Weitere wird nun alfe davon abhängen, In wieferne Gründe, welche zu befag ter Annahme hintreiben, wirklich vorhanden And,

Mein erſtes Argument iR von der Stellung herge⸗ nommen, welche unfer Städ innerhalb der Gammluns jefajanifcher Orakel einnimmt.

Wohl if es mir bewußt, daß ich freilich auf eine entgegentommende Willigkeit von Geiten ber Mehrzahl ber Lafer gar nicht gu rechnen babe, wenn ich, wie bier geſchehen, für bie obſchwebende lnterfuchung einen 38: fammenhang zwifchen der Mufeinanderfolge der einzelnen Stade nnd ihrer Abfaffungszeit als Präjudiz gelten lafle, Allein das Präjudig beruht auf ber übereinflimmens den Analogie aller der unzweifelhaften und vollommen Maren Data, fo viel fi deren dur das ganze Bud hin vorfinden, Oder könnte Jemand wirklich leugnen wollen, daß da, wo alle eine ausdrüdliche Bezeichuung bed Zeitverhältuiffes enthaltenden Stellen ausnahmelo?

über Sei, 17. 18. 878

Die cheenologiſche Reihenfolge beobachten, allerdings ee - ipso ein Präjudiz für das Werl im Banzen gegeben fey % Auch läßt ſich in der That gar vielfach wahrnehr men, wie Ausleger und Krititer ber Macht dieſes Eins drude Ad) nimmer ganz entziehen können. Man fehe nur, wie ſich Higig in der Einl. zu Kap. 17. 6.190.200. bemüht, die Schwierigkeit zu heben, daß ein der gewöhnlichen Anſicht zufolge in fo viel früherer Zeit werabfaßtes Stück „mitten nuter Drakel aus der Zeit bed Sangon und His⸗ fin” geftellt fey; man beachte, wie eben berfelbe Kritiker bald nachher in ber Einl. zu Rap. 18. 5.210, die Stellung des genannten Kapiteld beuugt, um von ihr aus zu ars gumentiren ; man vergleiche, wie Knobel in der Einl. gu 17, 1— 11. &.116. den Standort biefes Abfchnitte für feine Anficht als beweisträftig benutzt »); fo wird man hiers innen Die Wirkung eines Poſtulats nicht vertennen kön⸗ nen, bad, wenn auch in thesi noch fo fehr zurückgedrängt, im praxi ſich doch immer wieder geltend macht, Und fo ſcheint fie mir denn ein gutes, ein unbeflreitbared Recht zu haben, Diefe Frage, wie biefe Rede, falle fie mit den Res den Kapp. 7 12. gleichzeitig concipirt feyn follte, hierher komme, warum fie nicht am betreffenden Orte, warum auch ſelbſt in der zweiten Abteilung unferer Sammlung nicht nach derjenigen Ordnung eingeichaltet worden fey, wie es der Zeitfolge entfprechend gemweien wäre. Daß fi) aber auf diefe Frage von dem gegenwärtig geltens den Standpunkte aus eine befriedigende Antwort nicht er: theilen laſſe, erhellt vielleicht am Bellen gerade ans deu Erfiörungsverfuchen, welche Dig. in diefer Beziehung ans

a) Gelbft Hendew., ber doch in ber Umſtellung ber einzelnen Be⸗ ſtandtheile der jefajanifhen Orakelſammlung mit fo großer Freiheit zu Werke geht, kommt gleichwohl von der vorgefundes nen Anorbuung, als einen Schluß auf die Verhaͤltniſſe der Ab⸗ foflungsgeit begründenb, nicht fo gang und gar los, daß es fi nit manchmal auf biefelbe beriefe. Vergl. 3. BI. @,128, 421,

2 ' Dricheie

fans nicht gewiiit, irgenbwie gu leugnen, daß Kap. 17. u Kap. 7 ff, in einer ganz befonderen, fehr innigen Bezie⸗ bung ſtehe. Nur daß diefe Bezichung nicht eine äußern Kdye, in dem Zuſammeufallen der Abfaflungsgeit bedingte, fondern «ine durchaus innere if. Dadjenige, was den Ausſpruch in Kap. 17, mit den Ausfpräcden in Kap. Tf. verbindet, ift nichts Anderes ale bie Stetigkeit eine und deſſelben Entwickelungsproceſſes, deffen der Zeit nadı andeinanderfaliende Momente ber Berwirklichung in der bezeichneten Städen unferer Sammlung ihre Darfielun finden,

Durch das Bisherige ik, glaube ich, fo viel erreicht, daß, follte and irgend einem Grunde bie Aunahme wi thig werden, es habe Dam. auch nadı ber Eroberung durch Tigl. noch fortbeftanden und feine eigenen König: gehabt, die Zulaflung einer folchen Aunahme Angeſichts der vorkegenden gefchichtlichen Seugniffe im keinerlei Weiſe bedenklich erfcheine. Alles Weitere wird nun alle davon abhängen, in wieferne Gründe, welche zu befag: ter Annahme hintreiben, wirklid vorhanden find.

Mein erſtes Argument iR von ber Stellung herge⸗ nommen, welche unfer Städ innerhalb der Gammlun jefafanifcher Orakel einnimmt.

Wohl if es mir bewußt, daß ich freilich auf eine

entgegentommende Willigkeit von Geiten der Mehrzahl ber Leſer gar nicht zu rechnen habe, wenn ich, wie bir geſchehen, für bie obſchwebende Llnterfuchung einen 38: fammenhang zwifchen der Mufeinanderfolge der einzelne Städe und ihrer Abfaffungszeit als Präjudiz gelten laffe, Allein das Präjudig beruht auf ber übereinſtimmer⸗ den Analogie aller der unzweifelhaften und vohlemmer Maren Data, fo viel fi deren durch das ganze Bad hin vorfinden. Oder könnte Jemand wirklich leugnen wollen, daß da, wo alle eine ausdrückliche Bezeichnung des Zeitverhältuiffes enthaltenden Stellen ansnahnslos

über Seh, 17. 18. 878

Die hesnolsgifche Neihenfolge beobachten, allerdings ee ipso ein Präiudiz für das Werl im Banzen gegeben ſey ? Auch läßt ſich in ber That gar vielfach wahrnehr men, wie Ausleger und Kritifer der Macht dieſes Eins drucks ſich nimmer ganz entziehen können. Man fche nur, wie ſich Higig in der Einl. zu Kap.17. 5.190.200. bemüht, Die Schwierigkeit zu heben, daß ein der gewöhnlichen Anſicht zufolge in fo viel früherer Zeit verabfaßtes Stück „mitten unter Drakel aus der Zeit des Sangon und His⸗ fin” geſtellt ſey; man beachte, wie eben derfelbe Kritiker bald nachher in der Einl. zu Kap. 18. 6.210, die Stellung Des genannten Kapitels beuust, um von ihr aud gu ars gumentiren; man vergleiche, wie Knobel in der Einl. zu 17, 1—11. S. 110. den Standort diefed Abfchnitts für feine Aufiht ale beweisträftig benutzt a): fo wird man biers ianen die Wirkung eined Poſtulats nicht verfennen kön⸗ nen, das, wenn aud in thesi noch fo ſehr zurüdgedrängt, im praxi fich Boch immer wieder geltend macht. Und fo ſcheint fie mir denn ein gutes, ein unbeflreitbares Recht zu haben, biefe Frage, wie biefe Rede, falls fie mit den Res ben Kapp. 7 12. gleichzeitig concipirt ſeyn follte, hierher tomme, warum fie nicht am betreffenden Orte, warum auch ſelbſt in der zweiten Abtheilung nnferer Sammlung nicht nadı derjenigen Ordnung eingeichaltet worben fey, wie es der Zeitfolge entfprechend gemefen wäre. Daß fi) aber anf diefe Frage von dem gegenwärtig geltens den Standpunkte aus eine befriedigende Antwort nicht ers theilen laſſe, erhellt wielleiht am Bellen gerade aus den Erklarungsverſuchen, welche Hitz. in biefer Beziehung ans

a) Gelbft Hendew., ber body in ber Umſtellung ber einzelnen Ber ſtandtheile der jefajaniihen Orakelſammlung mit fo großer Freiheit zu Werke geht, kommt gleihwohl von ber vorgefundes nen Anordnung, als einen Schluß auf die Verhältniffe dere Ab⸗ faflungsgeit begründenb, nicht fo gang und gar Jos, daß es ſich nicht manchmal auf dieſelbe beriefe, Vergl. z3. BI. @,128, 481,

874 " Drechsler

geftelt hat 9. Ge hilft ed auch nicht, mit Häwernid (Einl. II. 2. S. 75.76.) nach Umbreit gu fagen „das Gtäd fiehe paſſend mitten unter den Drafeln gegen fremde Rationen, denn 3er. habe fi ja wie ein fremdes Bell mit Syrien gegen Inda verbunden.” Einerſeits ik cd weder an dem, daß die von Kap. 18. bis Kap. 23. fich er: firedende Abtheilung des B. Iefaja ald bie Drafel gegen | Auswärtige enthaltend betrachtet werben könnte (vergl. Dagegen 22,1—14.0.22,15—25.), noch auch an dem, daß in der Gruppe Kapp. T 12. eine gegen ein auswär tiged Volk gerichtere Rede nicht hätte Aufnahme finden fönnen (vergl. dagegen 10, 5—34.), anbererfeitd wär die eigentliche Frage biermit noch immer nicht erledigt, da, auch von diefem Stanbpunfte aus betrachtet, Kap. 11. jedenfalls vor 14,28 32, ftehen müßte und feine gegen wärtige Stellung wur gleichfam ber Orbuung zum Troßt hätte erhalten fönnen,

Dieß das erfte, aber keineswegs einzige Argument. Ein zweites entnehmen wir dem Inhalte unferes Stücks, infofern fi, in demfelben im Vergleiche Kap.7 12. ein Berhältuif des Fortichritts wahrnehmen läßt. Das wichtigfie Moment bildet in dieſer Hinficht die Stellung, welche in der vorliegen den Weiffagung der Iufchitifchen Macht durch Rap. 18, ein geräumt if. Sn Kap.6— 12. iſt von einer amalogen

a) Gr meint unter Anderem, „Zefaja babe das Drakel (Kap. 17.) anfänglich feines in der That fehr geringen Werths (?) er von der Sammlung ausgefchloffen ; aber nad) Ginreibung bei jonas’fcyen Abfchnittse (Rapp. 15. 16.) daſſelde der Aufnahmt gleich fehr würdig erachtet (!) und demgemäß ihm unmittelbar folgen laffen.” Gr fährt dann fort: „allein vielleicht Hat ber legte Rebactene das Drakel an der jegigen Stelle eingereih! vor Kap. 18., indem ber zweite Abſchnitt des Orakels, 8.12, auf aͤhnliche Art wie Kap. 18. beginnt und bei oberflächlider Anficht daſſelbe Hiftorifche Subſtrat vermutben läßt, aber, = teennbar von ber erfien Hälfte, dieſe faber nach ſich 10%" Bergl, &. 199.

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über Jeſ. 17. 18. 875.

Stellung Kuſch's gar keine Spur, Ta bort if unter den an dem großen Drama Betheiligten der Kuſchiten gar nicht einmal Erwähnung gethan, der Name Kuſch überhaupt nur einmal genaunt und ba iu einer ganz beilänfigen, dem Eufchitifchen Volke eine völlig unterge⸗ ordnete Stellung zutheilenden Welfe (vergl. 11,11.) Ofs fenbar ift in dieſen Reden die kufchitifche Macht unter Aegypten mit einbegriffen und eine ihr fpeciell geltende Andeusung vielleicht nur darinnen enthalten, daß 7,18, von „der Fliege am Ende der Rile Aegypteng” geredet ift, TR es ja doch aud nicht einmal gewiß, ob zu der Zeit, welcher Kapp. 7 —12. angehören und der uadı bergebrachter Anficht alfo auch Kap. 17. angehören fol, bie Athiopifche Dynaftie (deren dritter Regent erſt ber ald Eroberer im größeren Maßſtabe berühmte Thirhaka war) auch nur bereitd' ind Leben getreten war =). Nun iR ed zwar allerdings an dem, daß das Auge des Schere weder au Zeit noch an Raum gebunden if, und wir has ben gerade bei Jeſaja mehr als Einen glänzenden Bes weiß von der durch Feine Schrante zurüdgebaltenen Flugkraft, des Geiſtes, der durch die Propheten redet. Allein nichtödefloweniger ift die Weiflagnng ganz unbe⸗ fhabet der fo eben heroorgehobenen Seite doch auch Sache der Entwidelung, und was in Beziehung auf Ba: bel 3.8, ald zwedgemäß und ale nothwendig einer recht» fertigenden Erklärung nicht erſt bedarf, das ift in Bes ziehnng auf Kuſch, als ein fo ganz uub gar außerhalb des hebrätfchen Geſichtskreiſes liegendes, weber in ben Gang der ifraelitifchen Geſchichte insbefondere, noch auch in die Entwicelung weltgefchichtlicher Berhältniffe überhaupt jemald in bedeutungsvoller und bleibender Weiſe eingreifendes Bolt, jedenfalls nicht vorauszuſetzen.

a) Rad) gewöhnlicher Berechnung überfiel Sabaco (der erfte der äthiopifchen Herrſcher) Aegypten zwar unter Ahas, aber erft nad dem Zeitpunkte der forifchsephraimifchen Invaſion.

Theol, Stud. Jahrg. 1847. 9

876 Drechaler

Aber and in demjenigen, was Kap, 17. binfichilid Aram's und Ephraim's an prephetiſchem Gehalte bietet, gibt ſich im Vergleiche mit Kapp.7 12. ein Berhältnif des Kortfchrittd zu erkennen. Man halte einmal bie Stein, in welchen Ach die letztgenauuten Kapp. über Damashıs audfprechen, mit M, 1. 8. zuſammen und man wirb nicht in Abrede ſtellen Bönmen, daß Kap. 17. wie weiter gehe, fich in viel ertremerer Weife ausſprich, als dieß in 7,4. 8,4. 9,10, der Fall id. Seilbſt die Stck 7,16. druckt Ach bei weiten nicht fo beſtimmt aus wi 17,1. 9). Auch was Ephraim berrifft, laßt ch Kap. V. u einer Urt und Weiſe vernehmen, wie fie ganz beſonder in eine Zeit paßt, welche bie erſtmalige, theilweiſe Erfäl- fung der In. den Reben Kapp. T— 12. ausgeſprochenen Sentenz beveitö hinter ſich hatte unb nunmehr dem eb ten und Aeußerſten eutgegenfah.

Ueberhaupt finde ich im ber Situation, wie fie fid in Rap. 37. abfpiegele, fo Manches, was vorzugeweiſt zu dee fpäterm Abfafſungszeit ſfimmt. Bon Aram zu) Ephr. veder der Prophet nach einer ſchon früher ange ſtellten Beobachtung fo kuhl und fo ruhig; fo wir e dagegen auf Affur zu fprechen kömmt, weidye Beweguns, weich” ein Anfrahr! Dad paßt fchlecht zu bemieniges Zeitpuntte, im welchen durch Die beiden verbändeten 84 nige die Exiſtenz des Reiches Tuba fo ebeu auf badlie mitteldarfte in Frage geflellt wurde, während bie ver Seiten Aſſur's drohende Gefahr annoch im Schooße dt fernen Zukunft ruhte. Bortrefflich dagegen paßt es 4 jener fpäteren Zeit, ba Ephraim und Aram bereits ind Ge⸗ richt genommen und tin Folge davon für Juda wuufhä”

a) Alle die aus Kap. 7 ff. angeführten Gtellen, felb 7, 16. ik ausgenommen, find von der Art, daß man fich, was ihre Gr fällung betrifft, nicht bemüßigt ſehen würde, über 2.Rn. 16°. hinauszugehen. In Abficht auf 17, 1. dagegen werhäßt es Ad wie wir gefehen haben, anders.

über Bel. 17. 18. 877

lich geworden waren, während jebt die Exiſtenz Inda's abfeiten Afur’d bedroht war. Auch feldfi daß in bem eriten von dem verbändeten Aram und Eyhraim handeln⸗ den Theile unfered Orakels Ephr. und die Schilderung bed ihm bevorſtehenden Gerichts fo ſehr in den Border geund zu fliehen kömmt, während Damaskus, obwohl dem Ganzen in der Ueberſchrift den Namen gebend , im Uebrigen doch unverbältnigmäßig zurkdtritt, findet von unferm Stanbpunfte aus eine befonbers befriedigende Erklu⸗ rung infofern, ald den aramälfchen Alliirten bei der frühe, ten Kataſtrophe ber dei weitem überwiegende Antheil des Gerichte getroffen hatte, während ed bei Ephraim zu einer Seyn ober Nichtſeyn betreffenden Krife erft burch Salmanaffar kam,

Died die Gründe, welche mich beſtimmen, für eine fpätere Abfaffung bed Stücks Kapp. 17,18. zu fpredien. Es iſt nun nur noch das Einzige Abrig, die genannten Kapp., was Spracde und Darfielung anbelangt, mit den anderen für die obfchwebenbe Krage in Betracht kommenden Partieen bed. Buch6 zu vergleichen und zugnfehen, ob bad Refnlsat ein unfere Anficht beflätigendes ſey oder nicht.

Stellen wir zuvörderſt bad VBerhältniß von Kapp. 17.18, zu Rapp. 7— 12. in diefer Beziehung fe. Daß eine Vergleichung beider Rbfchnitte mehrfache Beziehnn⸗ gen und Beruhrungen zwifchen denfelben ergeben werde, ft won vorne herein mit voller Sicherheit zu erwarten. Es find etwa folgende. Gleichwie unfer Städ, fo And auh Kapp. T 13, an Gleichniſſen und Bildern reich, welche in den Bereich der Pflanzenwelt einfchlagen. Man vergl. 9, 17, 10, 17 19. 10, 33. 34. und halte namennlich 9,9. mit 17,8.9. zufammen. Auf die analoge Symbol in 18,1. vergl. 7,18. ift oben ſchon hingewiefen worden. Der Zukand der Verwüſtung if in 17,2. b. mit denfel« ben Zügen gefchildert, wie 7, 21. 22., beſonders V. 26. b. Die Bergleihung Affur’s mit überfchwennmenden Ges

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‘878 Drechöler

waſſer entfpricht 8,7.8. Außerdem Einzelnes: 17,1. b. vergh 7,8. b.; 17,2. mars) vergl, 7,16. arm) vergl. 11,3. (me) vergl. 7, 3. 10, 19.20 22.11, 11.16. 5 17,3.4. (72 ps) vergl. 8, 7. 10, 3, 16.18.; 17,4. (mm), abo) vergl, 10,16.; 17,14, (in Beziehung auf Affur vr und rıne ne beneinander) vergl, 10,6. 13. (biefelben Ausdrucke gleich⸗ falls im Beziehung auf Affur, nur aber auf die beides Verſe vertheilt); 18,1. b. vergl. 7,20. russ nrain vy m). Bor allen Dingen wird, um ein ſicheres Urtheil zu begründen, eine nähere Würdigung der vorgelegten Data erforderlich feyn. 2

Mas die in die Sphäre der Begetation einſchlagenden Bilder und Bleichniffe betrifft, fo wird durch fie ein ſpeciel⸗ led Berwandtfchaftsverhältniß nicht begrünbet, da fie dem allgemeinen Charakter jefajanifcher Darftellung überhaupt angehören und auch anderwärts vorfommen. Man vergl. and Lapp.1— 6: 1,30, 3, 14.5,1— 7. 5,24, 6,13. ; aufır dem: 27,2 —4.21,6, 28, 4. 32,19. 37,27,31. u, ſ. w. ü fpecielled BVerhältniß würde man nur in dem Yale fe gern können, wenn zwifchen den in Kapp.17, 18. nad u Kapp. 7 12. vorkommenden einfchlägigen Wäldern ein fpecififche Aehnlichkeit flatt fände. Dem ift aber mid alfo. Im Gegentheile, während ale in Kapp 7-1 vortommenden Gleichniffe diefer Art vom Walde herge⸗ nommen find, von beffen Zerftörung durch euer od Beil, ift es bei fämmtlichen in Kapp. 17.18, gebraucht Bildern bie Ernte, weiche als vollzogen (17, 5. 11,6) „oder geſtört (17,10. 11.18,4.5.) die Pointe andmadt Nicht minder ift auf den Gebrauch von Tas in 19,34 Bein Gewicht zu legen. „Auch diefe Ausdrucksweiſe fi, wie die Fälle 5,18. 16,14. 21,16. 22, 24; beweifen, zu ſeht eine allgemeine, überdieß auch ihre Anwendung in uniett® Stüde aus dem Grundgedanken bed Ganzen, welden zufolge es fi um die Nichtigkeit aller uud jeber creatir⸗ lichen Herrlichkeit handelt, fpeciell hervorgegangen. An

über Jeſ. 17. 18. . 879

ähnlichem Grunde kann auch “m 17,3. kaum in Betradyt fonmen. Etwas Beweiſendes würde es nur bann haben, wenn ed a. a, O. in demjenigen fpecififchen Sinne ger braucht wäre, in welchem es 7,3. 10,20— 22. 11, 10.16, vorfömmt.

Ein unleugbarer Zufammenhang bagegen findet zwis (hen 17, 12.13. und 8, 7. 8, flatt, zugleich aber eben ein foicher, welcher unfer Städ ald das fpätere charal: terifirt. Diefelbe Ueberfluthung, welde 8, 7.8. ihrem Eiutritte nach befchreibt, iſt 17,12,13. als ihr Ende fin, dend bezeichnet. Nicht minder ficht 18, 1., fofern meine Erklärung der Worte arnın >zbx die richtige ift, mit 7,18, im Zufammenhange und wurzelt nad) feinen beiden He⸗ miftichien in der Stelle 7, 18 20. Aber auch bier ſtellt fi das Verhältniß ald ein Berhältniß der Entwides lung dar, Der Prophet hat, indem er die Weiffagung Kap, 7. von Neuem aufnimmt, einen in der Zwifchenzeit erſt anf den Schanplatz getretenen Mitfpieler in einem der primitiven Weiffagung entfpredhenden Coſtume einge, führt. Auch 17, 2. iſt in ähnlichem Sinne, ale 7,16. auf uehmend, an betrachten.

Was die Übrigen Stellen betrifft, fo it 17,4. in ſei⸗ um Zufammentreffen mit 10, 16. jedenfalls bedeutfam, die Fälle 17, 1. b. 2. b. 14. dagegen (man vergl. nur zu 17, 2. b. außer 7, 21. 22. 25. auch 5,5. 17.27, 10, 32, 14,, deßgleichen zu 17, 14, außer 10,6. 13. auch 42, 22, 24.) nicht geeignet, eine fpecielle Beziehung zu erhärten.

Der Thatbeftand ftellt ſich fomit nach diefer Seite ale ein unferer Anficht durchaus vortheilhafter bar. Bes denken wir, daß der ganze Eyflus von Orakeln, zu wel- dem unfer Stüd gehört, wefentlich in der Gruppe Kapp. T— 12. wurzelt und eigentlich (vergl. des Berf. der Proph. Jeſ. S.34.) nichts Anderes iſt ald die weitere Ausführung zu 11, 6— 8. 10, 11 16.; ferner, daß inner, halb dieſes Cyklus die Rede Kapp. 17. 18. in specie die Aufgabe hat, die Kapp, 7 12. nach ihrem beſonderen

880 Drechdler

Objecte von NReuem aufzunehmen uud daſſelbe ſolcherge⸗ ſtalt in dieſer Kette von Gerichten zu vertreten: ſo kaun man ſich nur wundern, daß der Beziehnugen un Berührungen nicht noch bei weitem mehr find =).

Aber die Rede Kapp. 17. 18. ſteht noch zu eimem am bern Abfchnitte unferer Gamminug in einem gewifien Abhängigkeitsverhältniſſe, nämlich gu Kap. 2. uf die ſes Berhältuiß wurde oben fchon hingebeutet, als es fid darum handelte, dem der ganzen Rede zu Grunde liegen⸗ den Hauptgedanten anfguwelfen. Alles Zeitiichen endlihe Niederlage, des Herrn alleinige [hlieglihder Triumph bieß, wie wir geſcher haben, der Gedanke, ans wolchem fi als ans ihren Mittelpuntte die ganze Rede fo Im Broßen wie im Kki: nen und Ginzelnen entwideln läßt, Uber eben von der fatfchen und echten Herrlichkeit, von dem unfehlbares Falle der einen und dem endlichen Trinumphe der am bern handelt auch Kap..2, und die Kapp. 17, 18. find im Grunbe nichts Anderes als die concrete Anwendung der in Kap, 2. ausgefprochenen allgemeinen Gäbe. 6 bildet das berühmte Damaskus, welches abgeſchafft werden fol ald Stabt (17, 1.), fo bilden bie Städte Aroer’d, die verlaffen werden follen (17, B)., fo die Befekigung, (ns3n), welche von Ephraim weichen fol (1T,3,), die Feftungen, welche verfallen follen (17,9.), die

a) Inſtructiv dürfte es feyn, zuzuſehen, inwiefern ſich auch an andern Stüden ber von Kap. 13, bis Kap. 23. ſich erftreddenden Abtheilung Zeichen eines Zufammenhangs mit Rapp. 7 12 entdecken laſſer. Man vergl. in feiner Berichung 14,29. u. mi, 8. 10, 5. M.; 1, 29. b.mit11,1.10;5 16,1. mit 10,82.; 16,2... mit 10, 14. verel. 31,5.; 16,5. mit 9, 6. 11, 2—5.; 16,14, mit 10, 25, 19, 2, mit 9, 10,5 19,8, mit 8, 19., 19, 15. mit 9, 18.; 19, 16. mit 10,32. 11,15.5 19,28, mit 11,15.16.; 20,6. mit 10,8. on fpäter ©tüden überhaupt: 27, 13, vergl. 11, 15. 16.; 88, 2.17. wsl. 8,7. 8.; 28,18, vergl, 8,15, 5 38,22, vergl. 10,23. ; 29,4. vgl. 8,19, ; 29,17. vergl. 10, 25.; 29,23. vergl. 8, 13.; 30,28. vergl. 8,8. ; 30, 81. vergl. 10,24, Unter biefen Xällen befinden RS Reminidcenzen auffallender, als trgend eine in Kapp. 17.18. #4 findet.

über If. 17. 18. 881

Snbdisibualifirung des dusch 2, 15. Aber feben hohen Thurm und über jede unbezwingliche (Try) Mauner angefagr ten Serichts. Darum wird base Königthum Aram’s (17,3.), darum eben bie Herrlichkeit Sfrael’d, welche arm⸗ felig werden fol (17,3,4), hervorgehoben, zur Specifici» rung mömlidy ded Stolgen und Hohen und des Erhaber nen, dem nad 2, 12. ein Tag der Erniedrigung bevor, ehe. Die Wilder in 17,10.11, 18,4,6. gehen auf Red nung von 2, 13.; das Krembländifche, woran Iſrael fein Wohigefallen hat, tabelt der Prophet in 19,10, CArıyar), fo wie in 2,6. Und wer an bieß Alles und nicht glaus ben wollte, der wird doch bie in 17,7, 8., vergl, mit 2, 9— 11. 1719,20, 21,, zu Tage fichende Harmonie beis der Kapitel wicht leugnen wollen a), bie in eigentlidye Reminiscenz übergehende Achnlichleit bed Ausdrucks in 17, 8,, vergl, mit2,8.20., jedenfalls nicht leugnen Fünnen.

Unfere Anficht hat ſich aber nach dieſer Seite noch in einer anbern Richtung zu bewähren. Wir Gaben näm⸗ lich endlich auch zuzuſehen, ob ſich anden Die Kapp. 17,18, zunächft umgebenden, d.h. nach unferer Annahme gleich» jeitigen oder doch der Abfafiungszeit nach zunächſt fie benden Reden etwas von fener Gleichartigfelt der Ans: prägusg, welche man an den einem und benmelben Zeit raume angehörenden Geiſtesproducten zu ſehen erwartet, wahrnehmen laſſe.

Zuvörderſt, wie billig, ziehen wir das unmittelbar vorhergehende Stüd in Betrachtung. Eirklich fcheint ed, als ob der inder Weiffagung über Moab Kapp. 15. 16, waltende, auf Inbuction uud, fo zu fagen, anf Zerfplitter zung des Objects gerichtete Geiſt in unferer Rede feine Nachwirkung habe. Namentlich iſt es der Eingang ber» felben, die Strophe 17,1—3,, die ald Nachhall des nur menclatorifchen Charakters erfdyeint, weldher das Orakel Kapp. 15.16, in feinen in lauter Anfzählungen aufgehenden Partien dor allen andern Stüden ringsumher auszeich⸗

a) 17,1—6=2,17,.a.; 17,7=2,17.b.; 17,8=2,18,

882 ODrecheler

net. Ein anderer Punkt, in welchem ſich ein nähe Zufammenbang zwifchen den beiben Reden offenbart, it durch die in Rapp. 17. 18. gebrauchten Bilder gegeben. Diefe, dem Aderbau im weiteften Sinne, der höheren und niederen Eultur des Bodens entuommen, ſtellen ſich ir ihrer anffallenden Hänfung, fo wie in ihrer ſpeciſiſchen Eigenthumlichkeit als durch die Richtung, welche dei Propheten Phantafle in der vorhergehenden Weiſſagung, näher in 16,8 10, genommen, modiftcirt bar. Ramentlid vergl. 16,8. mit 18,5,, wo banı audh bie fpecielle Berüb⸗ sung ded Ausdrucks in ram und nierny nicht zu überſe⸗ beu if. Auch halte man 17, 11. b. mit 16,9, zufammen. Außerdem erinnert 16, 14, burch um Tan an 17,3.4, durch ed an 17,3,, durch Yan und sp au 17,12; 16,10, durch neun an 17,3. Etwas anderer Art ik ch, daß in 15, 1,, fo wie in 17, 14. (und in 21, 4. gleichfalls) die angebrohte Kataſtrophe eine Über Nacht kommende if. Als einen innerhalb der ganzen Gruppe weite verbreiteten Zug von Familienaͤhnlichkeit hebe ich die mehrfach vorkommende Aborbnung von Geſandten, ns meutlih au den Sitz bed lebendigen Gottes, hervot. Bgl. 14, 32, 16,1, 18,2. 18,7. Auch 21, 14.13. iR ver wandter Art. Bermöge diefer Stellen verhalten ſich die betreffenden Reben ale Entfaltung von IM,10,, in welde Mutterfielle auch 19, 18.19 22. 23,18. wurzelt. Anßerbem vergl. 19, 6, (>57) mit 17, 4.; 30, 2. ( wrm)mit18, 7; 21,1,a.mit18,1,a.; 22,1,2.5.mit18, Le; - 22,5. mit 18,2, 7. (ro%29 fommt nur in biefen Stellen vor); 22,11, mit 17,7. 8,5 23, 2, mit 17,1,; 28,13. 25,2. sit 17,1, (nam, non fommt nur im dieſen drei Stellen vor); 24,13, mit 17,6.; 24,16. mit 17,4. vergl. 10,26. 5 25,2 2.2 mit 17, 1,; 26, 4. 30, 29. (1 von Jehova) mit 17, 10. 27,1. mit 18,1,; 27,9. mit 17, 8. (die Berbinbung E7®* era kömmt nur au biefen beiden Gteflen vor); 27, 1%. mit 17,2,; 27,10, mit 17, 6, (emn als Zweige nur f diefen zwei Stellen); 27, 12. mit 17,5.6,; 28,2, mitll, \

L

über Sef. 17. 18. 883

12. 18. vergl. 8, 7.8.5; 29, 1,2. 7, mit 18,1,a.; 28,5—8, mit 17,12, 13.; 31,1,7.mit17,7.8.; 31,8.9. mit 12, 13. 14.; 32,10. mit 17,11.b.; 32,12, mit 17,6, (m>°Ye bei Jeſ. nur in Diefen beiden Stellen); 32,14. mit 17,2.; 34,17. a. mit 17,14.b.

Habe ih nun aber mit dem biöher Vorgetragenen das Nechte getroffen, bilden die Kapp. 17. 18. in der That Ein Ganzed und iſt diefem Ganzen die Stelle, weldye ed innerhalb der jefajanifchen Orakelſammlung einnimmt, wirklich in Uebereinftimmung mit bem hinfichtlich aller übrigen Stüde beobachteten Berfahren auf ben Grund der Abfaffungezeit angewiefen worden: fo fanu ed nicht fehlen, ed möüflen dem von unſerer Rede aud vor» und rückwärts Blidenden aud dem Inhalte nach aller, lei Spuren von Zufammenhang, von Znfammenpafs fen und Ssneinandergreifen im diefen eine ſtetige Kolge von weiflagenden Reden wiedergebenden Städten entgegentreten.

So befindet es ſich deun auch. Wir finden Kapp. 17, 18. mitten unter einer Gruppe von Weiſſagungen, welche ih als Einzelbilder zu erfennen geben, beren Enfemble Ein großed Gemälde bildet,

Während der Regierung des Könige Hiskia trat, fo viel wir fehen, die affyrifhe Macht in ein neues Sta; dinm der Entwillelung ein. Nachdem fie einmal unter Tiglath⸗Pileſar in den Ländern dieſſeits bed Euphrats⸗ wo man bid dahin noch dem Gedanken hätte Raum ger ben dürfen, Affur gegenüber eine ihm dad Gleichgewicht baltende Macht zu gründen (aramäiſch⸗ ephraimitifche Aliauz unter Rezin und Pelah), feiten Fuß gefaßt hatte, tonnte es nicht ausbleiben, daß Die Aflyrer früher oder fpäter mit den Aegyptiern in Eonflict gerietgen. Diefer Conflict wurde um fo unvermeidlicher und ernfllicher, da Aegypten durch die mittlerweile emporgelommene, gleichfalls auf Eroberung gerichtete Enfchitifche Dynaftie der aſſp⸗ rifchen Macht, als um die Weltherrfchaft concurrirend, entgegentrat, Dieß die Urfachen, welche während ber

88% Drechsler

Regieruug Hiskia's wiederholte Züge Aſſur's gegen Aegyp⸗ ten hin veranlaßten. Daß unter dieſen Umſtaäͤnden bie zwi ſchen den beiden Broßmächten liegenden vorderafatifchen Staaten zweiten mb dritten Range unter einer Reihen: folge von zermalmenden Kriegszugen der Reihe nad theitd mehr, theils weniger Htten, verſteht ſich von feld. Und dieſe Zeit if es num eben, anf weiche ſich au Orabkel bezieht, anf die fich Die meiften der rings umge benden Weiffngungen mahnend und vorbereitend beziehen.

In der unferem Stüde unmittelbar vorhergehenden Rebe Haben wir von einer Berfiörung des moabitiſche Landes gelefen, welche wir auf feine andere als bie al» ſpriſche Macht zurlichführen können. Wir haben in 16,1. gehört, daB der Herr in 3 Jahren diefe Heimfuchung übe Mond werde fommen laffen, Was ift da wohl natärli der, als Daß die Seißel, welche laut Rapp. 15.16, dad ganze Gebiet Moab's traf, welche laut eben jenen Kup. | das Bebiet in Ofen des Jordans weit hinanf Über du Arnon (die eigentliche Greuze Moab’s) ſchlug, daß eben Diefelbe Geißel auch Aroer (17T, 2.), ja ſelbſt Damaskui “und überhaupt Aram erreichte. Man denke an bie Ev pedition jener vier Könige des grauen Alterthums, von weicher Gen. 14. berichtet. Auch fie Tamen and dem Öflichen Wien und ſtreiften das ganze Land im Ofen des Jordans vom tieffien Süden an bid zum höcfen Norden, bis nach Damaskus hin, wo fie Abraham er⸗ eilte, in Einem Zuge ab,

Aber auch fihon das frühere, das in 14, 28— 32. ge gen die Philiſtäer gerichtete Orakel hat wit der 14,31. ald vom Norden berfommend angeländigten Brand: fadel die Ruiegefurie im Auge, welche bald nachher vor Aſſur aud über den ganzen Eompler von Reichen zu ar gehen anfing, Bon der Erfühung jenes Geſichts ober vielmehr von einer anf Grund ber in 14, 31. ſummariſch geſtellten Rechnung betreffenden Abſchlagszahlung gibtunt

ST

über Bel. 17.18. 888

dann gleich eined ber auf Rapp. 17.18. felgendeu Stucke, Kapp. 20,, in der beilünfigen Notig 20,1. Kunde,

Roc deutlicher and ſchöner bewährt ih in ber Gtellung unferer Rebe Plaumaͤßigkeit uud Befaumenhaug nach der andern Beite hin, im Verhältniſſe zu den nach⸗ folgenden Reden. Es iR Mar, wie unfer Stück durch Kap. 18, den liebergang bildet zu den Mächten afrikani⸗ ſchen Bereiche, In deu folgenden Orakein hält ber Pros phet Diefe Richtung feſt. Gleich in Kay. W. macht er durch Die Weiffagung über Aegypten die in ber vorhergehens ben Rede nur beiläufig zur Sprache gebrachte Sphäre zum auddrädiihen Geg enſtande feine Weiſſagens. Auch Kap. 30. liegt noch in derſelben Direction aub nimmt nun den Dusch Kap. 18. fo wie den durch Kay. 19, im diefer Richtung angelnäpften Kaden zuſammen auf x).

Ueberhanpt reihen ich bie Reden, die ber Prophet nach Abſchlaß der Gruppe Kapp. T— 18. in Uebereinſtim⸗ mung mit der Richtung, welche der Bang der Greigntfie von da an nahm, vorzugeweife gegen auswärtige Völker hielt, keineswegs fo plans und orbuungeled aneinander, Die erfte derfelben, gegen Babel gerichtet, 13, 2 14, 27., fchließt Ah auch innerlich an Kapp. 7 12. ummittelbar an. Sie bildet gewiffermaßen die Fortſetzung von 10, 5— 34. läßt nur die Scene über Aſſar hinaus in Immer fernere Hintergründe, zn immer weiterer Proſpection fich vertiefen. Deß zum Zeugniſſe faßt auch ber Prophet burd; 14, 24 27. bad, was er in 13, 1—M, 23, über Babel gefagt hat, in Me Einheit wit dem Ausſpruche über After in 10,5 36, zuſammen und führt Damit feine Rede anf die Gegenwart ald den Punkt, von welchem er ausgegangen, zuräd, Mit ber gegen die Phikiftier gerichteten Rede 14, 20 32. beginnt (oergl.14,26.) Die Reihe derjenigen Orakel, welche dem vorhin befprochenen

a) Wie fehr Kap. 18. mit Kap. 19. im Zuſammenhange flche, zeigt

ber Irrthum Hendewerk's, welcher gerabezu deide Kapp. zu Eis ner Rede verbindet (©. 220 iQ.

886 Drechsler über Sef. 17. 18.

Zeitraume ‚afiyrifcd; = Agpptifchen Gonflicts angehören | Es möchte auch in diefer Beziehung nicht ohne Beden⸗ tung feyn, daß das Orakel, fo Kein es ii, mit einen Zeitangabe au ber Spitze auftritt. An die Philiſtäer aber wendet fi dad Wort der Weiſſagnung unter all den bei biefen Wirren betheiligten Bölfern vielleicht def: halb zuerſt, weil gerabe fie des Ahas Regierung fich recht zu Nutze gemacht hatten, um Iuba Abbruch zu thun (2 Chr. 28,.18.), und bisher ohne alle Ahndung geblidm waren. Bon ihnen anhebend, nimmt der Prophet dann suvörderki die kleinen Dränger, bie bem Reiche Jude unmittelbar im Raden figenden Peiniger durch, die Mon biter (Rapp. 15.16,), die Aramäer (Rap. 17.), die Ephrai⸗ miten (ebendaſelbſtz. Er macht fonach die Tonr ringe um das jubäifche Land, indem er daſſelbe von Gübwei aus durch OR nad dem Rorben zu umkreiſt. Nachden der Kreislauf folchergefalt einmal durchgemacht if, wie Derholt er fi in weiterer Peripherie. Das Wort de Weiſſagung richtet fih nun an die bem Weltweſen an weiterem Bereiche angebörenden Völker, namentlich as die Eroßmächte, Indem der Prophet dieſen zweiten Kreidlauf in derfelben Direction wie den erſtern engen zurüdiegt, wendet er fich zuerſt (Kap. 19. Kap. 20.) sad Sudweſt au Aegypten und Aethiopien, hernach (Kap. 21.) nad, Südeft nnd DR an die anp 22, an Babel, endlid (Rap. 23.) nach Norden an die Phoͤnicier. Die Rede Kapp. 17, 18. alfo ‚vermittelt den Uebergang vom erſten zum ‚zweiten Rundgange. In 17, 1 11. ſchließt fie die erſte Umſchau ab, in Kap. 18, leitet fie auf bie zweite ein. Der zwifchen den beiden nach entgegengeſetzten Seiten hin weifenden Theilen mitten inne liegende Abfchnitt (17,12 14.) it Aſur gewidmet, derjenigen Macht, in weicher fi für die damalige Zeit alles Weltweſen, die Herrſchaft def Welt einerfeits, fo wie andererfeitö das ihrer harrendt Gericht, ale in einem Inbegriffe barftellte,

Gedanten und Bemerkungen.

———

1. Die Bedeutung der Eantifchen Philoſophie für die nenere Theologie. J | Ein afademifcher Vortrag j von

Lic Dietlein, Privatbocenten in Königsberg.

'

Rs fühle ganz, indem ich bey Lehrfluhl ber Albertina sum erſten Male beſteige, dad Gewicht ded Augenblicks, weldyes auf meinen Schultern uw fo ſchwerer laſtet, ba ed nicht darch meine eigne Geltung, ſondern im Gegen: fage vielmehr zu den geringen Mitteln, Die ich bingu- bringe, durch Fügung her Umflände in. dieß Ereignis gelegt il. Es gefchieht, daß ich an diefe Stalle trete, nicht ohne Beziehung zu dem ſchweren Verluſte, hei durch das Abſchriden eines hochverdienten Lehrers dieſe Unisexfität vor noch vicht Jahresfriſt erlitten. hat, Den zu erfeßen ich nie gemeint ſeyn kann, won beflen Arhaitds felde ich nur gewagt habe einen Fleinen Theil, zur Be ſtellung mis allem Fleiße und aller Treue, mir abzu⸗ grenzen, |

Wo ber Tod die Reihen lichtet, müflen auch bie Ungeübten vortreten, Und gelichtet Kat er bier. Es war der erfie Act der Univerſität, au dem ich mich bes theiligen Tonute, die Ermweifung der legten Ehre au den⸗ jienigen, durch deſſen Abforderung wir in neue ſchwere Betruͤbniß verfebt wurden. Da, als auf hie eunfle Feier,

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mit welcher über ihm die Erde geſchloſſen wurde, bi Warte niederfah, die ex, um den Himmel und anfzufälir: Ben, gebaut hatte, da Fonnte ich des Mannes Bedentumg ahnen, den näher zu. würbigen außerhalb der Greuze meiner Studien liegt. Aber eined Andern, mit dein Verdienften mid zu befchäftigen mir näher liegt, eine Andern, Aeltern, mußte id) mit dort gedenken, weil er, wie jener, in einer Zeit der Nacht, Die ſich Aufflärung nanatı, eine Warte hier bei und gebaut hat, die menſchliche Us zulänglichleit zu überfchauen und die Kerne des Sie meld zu ermeflen. Kant ift der Dann, feine Stermmart: die Kritik der reinen und die Kritik der praftifchen Be: nunft. Erlauben Sie mir, feine Bedeutung für men Wiſſenſchaft, wie fle in neuer Zeit. fich geftaltet hat, zum Gegenſtande diefer Borlefung zu machen.

Die Bedeutung der kantiſchen Philofophie für dr neuere Theologie, Was innerhalb der Philoſophie feihk und in deren allerneneften Beſtrebungen der Ramıe Kanti für einen Klang hat, iſt Ihnen bekannt. Nachdem durd Fichte, Schelling, Hegel diefer Wiſſenſchaft eine Bed gegeben worden, in welcher mit dem Kriticismus Kal jede änßerlidye Aehnlichkeit ihr verfchwunben war, bi num Doch wieder vom Behaupten und Darftellen die Phi loſephie abermals eine entfchiedene Wendung zum Kritifiren, von ber Frage nach dem Was zur Frage nach dem Ob gene: men. Und zwar nicht bei denen allein, bie über die Gegen: Rönde unferes Nachdenkens felbft, über menſchliche un göttliche Diuge in Zweifel und Berneinung gefallen fd; auch nicht bei denjenigen allein, welche gegen bie Phi fophie und die von diefer beſondern Wiflenfchaft ala be fonderer für die Erfennmiß angebotenen Mittel eine ud feinde Stellung eingenommen haben; endlich and mid bei denjenigen allein, die gegen die neueren, nach⸗kaun⸗ fhen Leitungen dieſer Kacultät mißtrauiſch geworde® find, Vielmehr vom Gebiete der hegel'ſchen Dhilofepi!

die Bedeutung ber kantiſchen Philofophie ıc. 891

aus, da, wo fie noch ale ſolche fi will, ift auerfannt worden, daß 'wir mehr vielleicht, ‚ald wir wiflen und wollen, auf Tantifchen Wegen uns befinden und an ihn und zu halten haben.

So die Philofophen. Die Theologie dagegen, nach» dem fie eine Zeit hindurch die philofophifchen Beſtrebun⸗ gen des Jahrhunderts als das ihr ſelbſt Heilung und Nahrung Gebende anzuſehen gewohnt war, hat fpäter von da hiuweg zu audern Ausgangspunkten umdb von diefen alsbald gegen die neuefte Philofophie ſich gewen⸗ det. Und zwar gegen biefelbe zunächſt als die neuefte: fo mochte wider hegel’fchen und fchelling’fchen Dogmatismug ihe der Fantifche Kriticismus für die eigene Entwidelung um fo bebeutenber erfcheinen. Aber dabei biieb es nicht, Denn 0b der Philofophie Aberhaupt bisher die richtige Stellung zur Theologie gegeben fey, kam nur in Frage. Und wenn man das Hell bis dahin von jener für dieſe hatte erwarten wollen, fo fühlte fih nun die Theologie Kart genug, anf ihre eigene Grundlagen fidh zu verlafr fen und ihr Verhältniß zur andern Facultät als ein felbftändiged mehr noch: ald das der gebenden zur enpfangenden mehr noch: ale das der alleinherrfchen: den zur abhängigen, wenn nicht ganz bei Seite zu ſchie⸗ benden, aufznfaflen.

Diefe Stellung nun der Yacnltäten Können wir bier nur ald Thatfache angeben; eine Entfcheidung des Streis tes, auch nur mit andeutenden Worten, baran zu nüpfen, liegt mir um fo ferner, als ich überhaupt nicht das menfchliche Denken unter den Geſichtspunkt einer dop⸗ pelten, an neben einander gehende Wiffenfchaften vers theilten Entwidelung Bellen möchte. Auch handelt ee bei der Frage, was für die Theologie Kant zu bedeuten habe, ſich nicht um die Stellung zweier Biffenfchaften zu einander. Nicht was von kantifher Philofophie die hriftliche Theologie, fondern was von Tantifcher Phile:

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ſophie und Theologie unſere heutige, bad Ghriktentkum verstehen wodiende Theologie und Philoſophie für Frucht habe, laſſen Sie und als Frage fielen. Sollten wir zu einem Ergebniffe darüber gelangen, fo wird, ohne baf wir uns beſonders deßhalb bemäbten, darin ſchon wit eine Entfcheibung liher die Frage gegeben ſeyn, ob über menſchliche und göttliche Dinge, dee vorangehenden Eut widelung zufolge, weiter zu forſchen, in zweien ober in einer eingigen Miſſenſchaft unfere Zeit für bad Richtigere halten müſſe.

Ohne weitere Borbeseitung beun: was if ed, was Kant gedacht, gewollt, gefagt hat? Nun freilich dieß mis zwei Worten barzufiellen, Dad, was Ber Welt ven ſtaͤndlich zu machen, der Mann felbft in feiner Iasıgen Wirkfambeit nicht Jahre genug fand, im Laufe einer Stunde zu sriehigen, und fo zwar, daß wir noch Zeit behalten, Darüber eines Weiteren zu veflectiren, bieß fcheint fo gewagt, daß fall die Flucht davor anf Eutfchuipigun hoffen könnte, wenn etwaäa ich mir bie Erlaubniß aud- bäte, die Keuntniß Mer keutiſchen Miilsfophie bei der ganzen Berfammlung, wie billig, noraussnfepen na nun fofort, ala kimen wir van einer Darfiellung derſel⸗ ben, zu allerhand Erörterungen darüber zu ſchreilen Doch aber kann ja dieß nichts helfen. Wir mäſſen wii fon und in aller wäglichen Rürze, unb bo fo ſcharf, als es bei aller Kürze möglich ik, uns barlber vereini⸗ gen, was und als eigentliche Summe der kbantiſches Philoſophie erſcheine, damit wir willen, wenn wir weiter reden, worlher? und ob in der That wir über daſſelbe reden.

Richt gerade auf Kant's Merte, auf bie Bunfand: drüde feines Syſtems foll ed aulommen, Lecherfegt in die im Augenblicke und gelhufigfien was iR feine Meinung?

bie Bedeutung der kautiſchen Philoſophie ꝛc. 893

Der Gegenfland des menſchlichen Nachdenkens, das ſagt er, iſt einer, iſt die Welt der Dinge, die mich um⸗ geben, die als Stoff durch Erfahrung von mir vorge⸗ funden werden. Es gibt daneben Fein zweites Gebiet. Anfhauungen, Begriffe, Ideale das find die Formen, unter Denen wir die Erfahrungswelt beuten ; falſch aber iſt ed, Ideen und Ideale noch einmal für fich zum Gegen» ftande des Denkens machen, neben ber Welt der Dinge noch ein Willen von einer darkber liegenden Welt haben sun wollen. Das Seyn, dad Gewußtwerden kommt dem Dinge zu; umfer Denken darkber iſt nicht wieber ein Ding; dad, was wir Über dad Seyende beufen, iſt eben, falls Sein Ding, Man hat das Denfen der Dinge fälfch- lich unter dem Namen Seele zu einem Dinge, zu einem Seyenden, einer Subſtanz gemacht, und allerhaud dar⸗ über wiſſen zu können ſich eingebildet ein Paralogis⸗ mus, ſagt Kant, für ben wir keine Garautie aus ber Erfahrung haben. Man hat ferner das, was wir bei den Dingen denken, unſere Begriffswelt, wie ſie in höch⸗ ſter Zuſpitzung zu einem oberſten Begriffe zuſammen⸗ läuft, unter dem Namen Gott zu einem Seyenden und Wißbaren machen wollen ein Ideal, fagt Kant, für das wir keine Garantie and der Erfahrung haben. Auf ienem Paralogismus beruht die ganze Pſpchologie, auf diefem Ideale die ganze Ontologie; beide Dieciplinen, mit weichen bid dahin über die Erfahrungswelt ber Menſch in feinem Willen hinausſteigen zu dürfen meinte, zerſtört die Kritik der reinen Bernunft Durch Die einfache Bemerkung, daß das Denken auf dad Denken anzuwen⸗ den, ein Paralogismus, daß das Denken auf das bei dem Durchdachten Bedachte anzuwenden, eine Verwech⸗ lelung von Ding und Ideal fey.

Welt, Bott, Sch Diefe Drei Objecte für fein Den- ten und Willen glaubte der Menſch zu haben, Kant nimmt ihm zwei davon aber er geht im Berengerunoch weiter.

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Sm Denten der Welt gerathen wir auf Widerſprüche. Wie kommt bad, da doch die Welt der Gegenſtand if, anf den wir ohne Paralogiemnd die Kategorien unferes Berfianded anwenden? Und doch, fobalb wir zu den Kategorien der Quantität greifen, entficht der Wider: ſpruch, daß. die Welt fowohl unendlich als begrenzt iR; nach den Kategorien der Qualität ergibt fi; die Anti⸗ nomie, bag die Welt fowohl ein Ganzes ale ein umenb- lich Getheiltes iR: die Kategorien ber Relation verwidels und in den Widerfpruch, Alles ald verurfacht auguichen und doch wieder, um bie Reihe nur erfi anfangen ju fönnen, ein Freied zu feßen; endlich in Bezug amf bie Modalität erfcheint die Welt ale nothwendig einerſeits, und als bloß möglich uud auch nicht feyn könnend anberer- feite, je nachdem ich fie gerade zu faflen beliebe, entweder ale dad alle Möglichkeiten nmfchließende Eine oder alt bie einzelne unter vielen Möglichkeiten wirkliche.

Sie fehen, meine Herren, die kantiſche Kritik der rei: nen Bernunft geht unbarmhberzig mit und nm. Wir bringen iht unfer gefammtes Wiſſen zur Prüfung enter gen; wir find gefaßt darauf, und manche Schwäche nachweifen zu laflen ; unfer Wiffen fey Stüdwert, befes- nen wir mit dem Apoſtel. O über bie eingebildete Be fcheidenheit. Nicht Stüdwert, fondern Illuſion, Schein, Täuſchung, Wortkram ift vor der Kritit dad gauze Wil: fen. Kein Städwerf, fondern ein Lappen, ein überall geflidter Lappen, der, wenn wir ihn sach oben anziehen, über die Füße nicht reicht, und wenn wir die Füße ba- mit bebeden wollen, den Öberkörper bloß läßt; und beim Hin» und Herzerren reißt er noch überall, fo daß die gänzliche Nacktheit überall armfelig durchſcheint.

Drei Gebiete des Wiffend glaubten wir zu haben, Gott, Seele und Welt. Zwei nimmt und die Kritik wit einen Federfiriche; und das dritte? Dem dritten aller⸗ dings ift inſofern nichts anzuhaben, als es doch wirklich,

bie Bedeutung der Tantifhen Philofophie ıc. 895

nicht bloß eingebildeterweife, Gegenſtand des Denkens it, Gegenſtand unſeres Wiſſens ſeyn Fünnte, wenn unfer Denken wirklich ein Wiffen wäre, nicht bloß ein Herumfpielen der unferm Berftande geläufigen Formen an einem Objecte, das felbft davon unberührt, undurch⸗ derungen bleibt. Den Kern wollten wir verſchlucken, und doch an der bloßen Schale zerbeißen wir und die eige- nen Zähne, mit dem obern Gebiffe die Unterkiefer, mit dem untern die obere Zahnreihe zerarbeitend. Iſt ed nicht diefer Eindruck, den von unferm Wiſſen die kanti⸗ fhe Kritik mit ihrem Rachweife der Antinomien und zur ruckläßt. Unfere Kategorien, fatt die Dinge zu begrei« fen, werden Kategorien gegen einander ; eine verklagt, widerlegt die andere. Alle Wirklichkeit ift fo möglich als nothwendig, alfo weder möglich noch nothwendig. Alle Wechfelmirkung ift fo gewirkt als frei, alfo weder frei noch verurſacht. Alles ift Eins und iſt Vieles, alfo weder ˖ Eins noch Vieles. Alles Begrenzte iſt und iſt nicht; ſo iſt es weder noch iſt es nicht. Ja ſo verkehrt der letzte Satz klingen mag denn Sie wiſſen, daß man als von ben einfachſten Denkgeſetzen widerlegte Ver⸗ wirrung es anzuführen pflegt, wenn Jemand die Alter⸗ native ſtellt: A. iſt B, oder iſt nicht B oder keins von beiden. Und doch zuletzt als unfrer Weisheit Summe erfcheint Diefe Verwirrung.

Bon den drei Gegenftänden: Welt, Bott, Ich, blieb die Welt allein; aber von dieſem einzig bleibenden Ge» genftande des Wiffend bleibt ungewußt und unerfannt das Ding an fi, und auch von ihm fehen wir nun, daß wir nichts wiffen fönnen.

Wir haben Kant's Kritik dieß war unſer Auds gang mit einer Sternwarte verglichen, Ich möchte nicht, daß Sie dieß nur wie ein gelegentlich aufgegrifs fenes, halbwege yaffendes Gleichniß anfähen. Es ift durchaus die Stellung unſeres Philofophen der des Sternbeobachter6 gleich, der fih hoch Über Die dunſtige

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Schicht der vom ber Erde und niehen zur Erde Reigen den Wollen vereinfamt hat, lautlos und leidenſchaftslos. Die da unten umherlanfen, bebünten ich, viel zu wiſſen und zu haben. Sie haben bdreierlei, den Beben, ſich felbft und den Himmel. Der Boden grünt und wimmelt, der. Hisemel ſchwirrt und träufelt, fie felber rennen und kaufen. Da iſt Alles greifbar uud wirklich, dad Ich feb ner ſelbſt ſe gewiß wie des Bodens, auf dem es ſteht, und der Himmel zwar tranfeendent, höher ald Erde und Menſch, aber doch voller Leben und Wirklichkeit, eine zweite Welt, ein dritter Gegenftand, aber ash eine Welt, auch ein Gegenſtaud. Kant fleigt auf die Warte; und was fiebt ee? Der Himmel if ka Gewölbe, kein Ding wie der Boden, auf dem wir Be hen, ee Firmament, fondern unenblidhe Herne © wie dem Aſtronomen der Himmel aufhört, ein Reich vos Wolfen und gefiederten Luftbewohnern zu ſeyn, fo len; nete Sant ‚die Realität diejenige, die der Dutolog damald ausmalte die Realität ber trauſcendentes Welt, und zeigte, daß das Tranfcondente nichts al Ideal der reisten Vernunft fey. Go ferner, wie der Akte nom aufhört, fih felb als Süück der am Boden hials benden Welt anzufehen, weiß, daß, ſo weit er der Erk angehört, er nicht Betrachter if, weiß, baß dieß nod de Erde Angehören nicht ihm als Betrachter zukommt: fo tfolizte Kant dem Objecte des Wiſſens gegsmüber zwei⸗ tend das Ich, ine Piychologie ald Stüd aus dem Erfahrungswiſſen, ein Willen vom Ich, fofern es wil lich zur Welt gehört, verabrebete er nicht. Uber das Sch ale Betrachter des Nichtich ift nicht wieder ein Wichtid (fo Tritifirte er) das ‘ch nach feinem Weſen wieder zur Subſtauz, zum Objecte ded Wiſſens, zum GBegenflandt von Behauptungen zu machen, verbot er ; roine Pſychologit iR Iluſion, Paralogiemus, falſches Uebertragen deſſes, was vom Objecte gilt, auf das das Objeet Denkende Aber wenn ber Beobachter auf der Warte von der

Die Bedeutung ber kantiſchen Philofopbie ꝛc. 897

Belt den Simmel und ſich ſelbſt iſelirt hat, unb bag das von ber Erde Geltende vom Himmel und won Ber obashter nicht gelten könne, zum Bewußtſeyn gebracht hat; fo bleibt ihm ja, fellte dan denken, der Boden, von dem er aufftteg, um fd mehr bad, wad er if; um fo fchlirfer, ums fo realer wird fein Erkonnen in Bezug anf den fo ale eigenttidye Grundlage feines Schauens wor ihin liegenden Gegenſtand ſeyn. Nichts weniger. Bom Ideale, von den Pa⸗ ralso gismen geht die Kritik zu den Antinomien. Das Object, fo fern gerückt, fo ſcharf firiet, ſchwindet zum Punkte zus fammen. Der Begenitand, der dem Erkennen bleibt, der eine wirklich reiche IBelt von Erkenntniſſen verſprach, ſchrumpft ua Dinge an ſich, zum unerkennbaren zuſammen. Die ſelben Wolkenſchichten, die den Himmel zu eimem Abbilbe der Erde zu machen trüglich Den Untenſtehenden veranlaßt hatten, lagern fi vor ben Dbeufichenden ald Syindbermifte für eine Einficht in das indische Treiben. Die Formen miſeres Berfiaubed, von Venen fo eben nachgewiefen war, daß man fie nicht als ideale zweite Welt behandeln dürfe, fordern nur zum Begseifen ber einzig Gegenftand feyenden realen Melt anwenden müfle Diefe Kormen erweifen füch jetzt als zum Begreifen biefer realen Welt gänzlich umfähig: die Karegorien ad nur Denkformen, ſelbſt Raum und Zeit find nur Anſchauungsformen. Stoff ſelbſt für den SGehanten And nur vie Dinge an ih oder das Ding an fi, Denn wie follen wir fagen? Die Dinge ? das Ding? FR es nicht Jorm unferes Verſtandes, wenn wir dem Stoffe dad Pradieat der Einheit oder der Bielheit leihen. Aifo we- der Ding noch Dinge, fordern durdand nur Stoff, das reine, anqualificirte Seyn. Uber audy das Seyn ift zu viel prädicios; denn auch bad möchte nur eine Form, ein Gedanke feyn, wit dem wir gegen die Wahrheit den Gegenſtand ſchmü⸗ den. Es bleibt, um ganz ficher zu gehen, nur die verneinende Bezeichnmung Nicht⸗Ich Abrig; und in der That war es eigentlidy nichte Nenes, ald Fichte dem {sch auch noch das tantifche Ding an ſich nahm, und durchaus demfelben ges

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genüber nur das Nichtich duldete, nicht als ein Etwas, von dem irgendwie ein Seyn, ein wenn auch noch fo bürftiges, behamptet werden wolle, fonberu als bie reine . Berneinung des Ich, das ebenfalls nicht if,

Aber wer Ohren bat zu hören, der höre. Soll Kant in den Wind geiprochen haben? Hat ex Recht oder Unrecht? Ich frage, m. H. in Beziehung auf jene For: men unfered Verſtandes, bie feit Arifioteled den Namen Kategorien führen, hat Kant Recht oder Unrecht? Recht in dem Saße, daß biefe Kategorien fein Wiffen enthalten, deffen Gegenſtand fie felber wären, fo daß nur Täuſchuug ift jedes noch fo künſtliche Syſtem von Begriffen, wenn es als Logik oder Metaphufit oder Ontologie oder Lehre von Sott in feinem Anfichfeyn oder als abfiracte obme Anfchauung des geſchichtlich offenbaren Gottes um ja Gott nicht bloß nad feinem Wirken, ſondern nach ſei⸗ nem Tiefen zu betrachten confiruirte Theologie ſich ausbietet? Hat Kant dagegen Recht? Hat er zweitens Recht in dem Sape, daß die Kategorien auch fein Wif: fen enthalten, deſſen Gegenſtand die Wirklichkeit iR, fo daß nur Täuſchung ift jedes noch fo fcharffianige Be: räfonniren der Welt nach den Kategorien, 3. B. ob mar fagen müfle, die wirkliche Welt fey nothwendig oder fie hätte auch anders ſeyn können? ob man fagen könne, es gefchehe Alles nach den ewigen Befeßen von Urſache und Wirkung oder dieß Geſetz werde durch Freiheit gebre chen? ob man fagen müfle, daß die Schöpfung unbegrenjt fey oder begrenzt ? ob man fagen müfle, daß alles Eins oder Vieles mit andern Worten, daß eine moniſti⸗ ſche oder monaditifhe Weltanfchauung die richtige ſey? Iſt nicht das alles Kategorienfpiel, worauf ch nur aut worten läßt: bad if. richtig, oder iſt nicht richtig oder Feind von beiden, je nachdem man ed nimmt. Se nad dem man ed nimmt, denn die Wahrheit kann ich haben und nicht haben bei jeder von beiden Behauptungen, aber fie let in Seiner diefer Behauptungsformen.

bie Bedeutung der Tantifihen Philoſophie ꝛc. 899

Ich frage alſo: bat Kant Recht mit feinen beiden Sätzen: unfere Ideen enthalten Fein Willen von ſich fel« ber, und unfere Ideen enthalten fein Willen von den Dingen? Hat er Recht damit, fo wird er vieleicht auch Recht damit haben, daß er das Willen wo anders ge fucht hat. | ;

Formen find etwas Schönes, wenn fie nicht mit der Sache verwechfelt werben follen. Das Disputiren über Anwenbung der Berkkandesformen iſt eine Kunft, die, wo fie daS hat, was jede Kunſt zur Kunft macht, dad Maß, das innere, heilige, der. Sache Inwohnende, bie ba eine Kunft iſt wie jebe andere. Alle Künſte dienen durch Schön» heit der Wahrheit, durch Form der Sache. Mancherlei Formen hat der Menfch, Linien, Flächen, Farben, Rhpth⸗ men, Kategorien. Rhythmen nnd Kategorien: die For» men, die der Menfch hat als redender, als Dichter und Denker. Die Weifen von jeher, die Erfahrnen, die For⸗ fcher des Wahren, die haben von jeher der Formen ſich bedient, um in Schönheit die Wahrheit gu überliefern. Den Dichter und Denker machte nie dad Spiel der For⸗ men, fondern der Ernft der Wahrheit, den fie in Rhyth⸗ men oder Kategorien überlieferten, das Spiel im Dienfte bed Ernfied; fo bei den alten Dichtern, weldye Lieder fangen, oder Sprüche dichteten, oder in Dialogen, wie Plato die Kategorien fpielen ließen. Denn folge Spiele zu ernflem Dienfte find jene bialektifchen Kunftwerte; wo man aber vergeblich fragen würde, wo benn am Schluſſe die Entfcheidung bed Dichterd flede, ob jene - Kategorie, ob dieſe die richtige fey. Wer fo fragt, der verfieht die platonifchen Dialoge fo wenig , ald wer den Sophofles fragen wollte, ob in feinen Jamben oder in den Rhythmen der Chöre die Wahrheit ſtecken ſollte.

Aber dieß, wie gefagt, waren die weifen Männer von jeher: erſt Forfcher, dann Former der Wahrheit, in gebundener. und ungebundener Rede. So fangen die Elea⸗ ion vom ewig Einen, und vom ewigen Fluſſe auch Her

vallit noch, in gebundenen RMythmen. Biber ihre Weis⸗ beit ſchien ihnen weder in den Rhythmen zu liegen, noch in den Kategorien, ſondern in dem ethiſchen Verſtänd⸗ niſſe der whyfiichen Welt, in dem geheimnißvoll Unfet: basen, was fie, die Sichtbarkeit dnrchferſchend, fans den und audfprachen. Die Phyfld zu umfpannen, bad Echos zu erfaffen, war ihre Aufgabe. Die Philoſophen dad waren die Erforſcher des Natürlichen und bed Sittlichen es gab nicht zweierlei Wiffenfchaft, eracte und fpecwlative, nicht Empirie und Phileſophie, ſonders die eine Wilfenfchaft, Die Joder nad feinen Kräften zur Weiöheit zu gehalten fuchte. Da fam bie Berfaligeit: flatt Der Dichter traten Verſemacher auf, Ratı der Wei⸗ fen die Kategorienmacher, Die Sophiſten, die Aheteren,

: die Klopffechter, die dad Wiſſen in der bloßen Form fa-

ben, Spiel ohne Ernfi trieben, aber mit der Wahrheit anch bad Gptel verdarben, Form an Form zerrieben, dem Mexnſchen das ſich felbis Aufhebende, Antinemeiktifche in feinen Verſtandesformen aufzeigteen, aber, weil fie die Wahrheit (ches längft hatten verfliegen laſſen, nun, nachdem fie das Eitle als eitel anfgewiefen, nichts zum Erfaps im Leben übrig. behielten.

Da it Sokrates aufgetreten, ein Kritiler der reinen VDernunft. Er wußte, daß wie nichts willen, daß, fo kange unfer Denten ein bloßes Rechnen mit Den Formen unſeres Verſtaudes iſt, eine die andere aufgebt, eine der andern wiberfpricht dieß wußte er mit größerer Schärfe al je ein Sophiſt vor ihm. Aber dieſe Weis: heit des Nichtwiffene war ihm wicht das Einzige; cr machte auch fein Weſen Davon, er hielt Darüber wicht, wie die Sophiſten, fhwer bezahlte Vorleſungen, fondern Öffentliche wor gemiſchtem Pablicam: fein Babitorium ber Markt von then, Über währens die Sophiſten ſchloſſen, daß, weil es mit unferem Berkaude nichts fey, es mit deu Wahrheit überhaupt nichts ſey, lehrte Sw krates durch die Selbſterkönntniß vorbringen sum Blau

Die Bedeutung der kantiſchen Philofophie ꝛc. 904

ben an den Geiſt in und, der wir feibi nid find, und in dieſem fistlichen Gsgreifen des ewig Wahren die heilige Ironie gewinnen, bie alle Formen und allen Schein nur deßhalb preis gibt, weil Welt und Menſch und Bott dem Mexrſchen nur ficher ind, wenn er als fittliche Per⸗ ſoͤnlichkeit Sichtbared uud lnfichtbared, dieſe ganze Wolt der äußern und innern Erfahrung ſich zu eigen macht. Die Wahrheit das If die Summe bed ſokrati⸗ ſchen Wiſſens die Wahrheit iR nicht Ergebniß der seinen , leeren, thatlos anſchanenden, theoretiſchen Ber» nunft, fondesn was if fie? Poſtulat ber praktiſchen Ber: nunft, d. h. etwas dem Menfchen durch und durch nur darin Gegebenes, daß er zur Erfahrung una dem im der Erfahrungswelt offenbaren Goͤttlichen im. ſittliches Verbätniß tritt. Alle Wahrheit if dich, bemerten Sis das wohl, Kami hat ed fo allgemein zunächt nicht and. gedrädt. Gott, fagt er, iſt Poſtulat der praktiſchen Ver⸗ nunft. Aber Freiheit und Unſterblichkeit doch auch. Und was heißt nun Bott, Freiheit, Unſterblichketd? Die Idee der Freiheit, das iſt: Daß wir willen, wenn noch fo fehr unter dem Widerfprucdge unferer Berftandeöbegriffe von Freiheit und. Nothwendigkeit, Bedingtheit und Unbedingt⸗ heit die Welt vor unfern Mugen zum Disge au ich, d. b. zum Michts verſchwindet, jo weiß her fittliche, freiheits⸗ bewußse Menſch doch die Gewißheit des Freien ſowohl wie des Bedingten, Gottes ſowohl als ber Welt, fefs zuhalten. Die Antinomien der reinen Vernnnft lehrten uns, daß wir das Seyn weder von Bedingtem noch Un⸗ bedingtem behaupten dürfen, ohne ſophiſtiſche Widerle⸗ gungen uns gefallen laſſen zu müſſen. Der Glaubde aber, diefe That der Freiheit, die Im Menſchen, der in fich gebt, der Damon wirkt, wirkt fchöpferifch aus dem Nichte der Verzweiflung die unüberwindfiche Gewißheit in ihm: Im Anfang fchuf Gott Himmel und Erde, Cine ſchö⸗ pferifche Kraft iſt diefer Glaube. Aus der uneublichen

Reihe von Urſache uud Wirkung zum Aufange zu Tommen, war ber Theorie numöglich; von dem Gedanken des Un bedingten aus zur Welt, wo jebe Urſache ſchon als Bir: fung einer vorangehenden erfcheint, herabzuſteigen, war gleichfalls unmsglich: da wurde dem Menſchen Blar, daß, theoretifch betrachtet, ev weder als Gott noch ald Belt das, was er erfährt, zu denken berechtigt fey, er hate eben nichts, als das Ding an fi, dieß Nichts, Dielen bloßen Gtoff der Erfahrung. Leber der umenblicen Kluft zwiſchen dem Bedingten und Unbedingten fchwebt er; von Seinem zum andern faun er kommen. erben wir und bewußt, m. H., was in uns vorgeht, wenn wir troß dieſer Rathloſigkeit des Verftandes nun Doch ed uni nicht nehmen laflen, Bebingtheit uud Unbebingtheit, Gott und Welt feflzubalten, die Kluft, die der Verſtand nic! ansfüht, wir überfpringen fie doch; während der Ber: ſtand vom linbedingten aus Leinen Anfang machen Tann, ergreifen wie doch den Gedanken des Anfangs, dei Schaffens: Gott fchuf die Belt, ber Freie hat eben ba Anfang der bedingten Welt gemacht da haben wir Sott und Welt, und Freiheit und Bebingtheit und bie Sophifterei der einander anfhebenden, Bott und Bel anzweifelnden Kategorien erfcheint ald Verſtandeszerrüt⸗ tung, nicht heilbar durch Argumentationen, fondern heilbar allein anf pfychtatrifchem Wege, durch fittliche Erziehung, dadurch, daß der Menſch Iernt, die Formen feines Ber ſtandes nicht für wahrer als die Welt, die er mit diefen Formen denkt und zerdenkt, zu halten.

Ein Sophiſt bewies, daß es feine Bewegung gebe; da ftand Diogenes auf, that ein paar Schritte, und wir derlegte damit den Sophiften. Daß es feine Bewegung gebe, laßt fidh dem Berftande unmiberleglidh darthun; wer aber deßhalb daran zweifelt, den nennen wir einen Berrüdten. Wie wird nun diefen der Arzt heilen? Durch Schlüfle gewiß nicht; aber er laffe ihn laufen; ba wird er ſchon müde werden, unb mübe werben and feine

bie Bedeutung der kantiſchen Philofophie zc. 903

Einbilbungen. Daß es keine Freiheit, keine Perſönlich⸗ feit, daß es keinen perfönlich Kreien über der Welt des Bedingsen gebe, Tann ebenfalls dem Berftande, weil jede Urſache immer fchon eine vorher gewirkte Urſache vorausfegt, unwiderleglich dargstbau werden. Wie wird nun ben Zerrütteten, der an Bott uud Freiheit ans Aberglauben au feine Berftaudesformen irre geworden, wie wird Der Arzt ihn heilen? Durch Schlüffe gewiß nicht: aber er Iaffe ihn frei, er mache ihm frei; er erziehe ihn zum Erleben der Thatfache, daß es Freiheit und Perfönlich keit gibt; er wede das Bewußtſeyn in ihm bes Sitten. geſetzes, des Fategorifchen Imperativs, dieß Bewußtſeyn, das, wenn noch fo ſehr der Verſtand den Menſchen nöð⸗ thigt, all ſein Handeln als unfrei, als von gegebenen Be⸗ dingungen bedingt anzuſehen und zu fagen: Phomme machine, und zu fagen: le monde machine, das Bewußt⸗ feyn, das dem Allen Trog bietet mit der einfachen Thate ſache: der Menſch iſt frei, und wie über dieſem feinen Mir krokosmus fein Ich mit Freiheit, fo fteht über der Welt der freie Schöpfer und ber Glaube ift wieder da au Bott und Freiheit, und an Linfterblichkeit, weil dad Seyn bes fittlihen Ich und fein Berhältuig zu dem Du, das big Belt zufammenhält, zum Bott der Lebendigen, weil dies ſes Seyn und dieß Verhältniß ſich ale Thatfadhe, ale von feiner Schlußfolgerung aus dem Verſtricktſeyn alles Gefchehenden in ewigem Determinismus, von keiner fol hen Schiußfolgerung widerlegbare Thatfache dem ſitt⸗ lichen Bewußtfeyn, der praftifhen Bernunft aufbrängt. Sie fehen, m. H., was der kantifchen, ber foratifchen Weisheit Summe il. Was Paulus fagt: Alles, was Menſch heißt, werde zum Lügner: Gott allein bleibe der wahre, Die Gefepe, bie der Berfiand an den Stoff unferes Denkens heranbringt, erweifen fich als Lügnerifch: ale wahr allein das Sittengeſetz, das der Menſch nicht gibt, dem vielmehr in radicaler Boswilligkeit zu wider, ſtreben er fich bewußt ift, mit welchem er fi als dieß fo

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und fo bebingte, determinirte Stud bes Weltganzen in Widerfprud weiß, dieß Sittengefek , das er dennoch au zuerkennen, und Damit ſe Freiheit anznerkennen go zwungen iſt.

Auf einer Warte ber Menſch, wir wählen anf dieß Gle ichniß zurlicfommen, Über won deu Feruroͤhren, den in die Unendlichkeit hinaus gerichteten, hat er einem Augenblick fich weggewendet; Über feine Rechnungen bat ee ſich geſetzt. Er probt, er gehdeit, er hat ſich werred: net, es ſtimmt nichts mehr. Da fieht ex ſich um, wol nur der Himmel? Er fieht ſich zwiſchen feinen vier Yfühlen, und feine Arbeitdlampe belenchtet nichts ald bie Sloben und Karten und Recmungen alles WBertı ſei⸗ nes eigenen Geiſtes. Wo ift nun die Unendlichkeitk if fr nicht ein Traum, den ich aus bem eignen Hirn geiyen nen habe? ein Traum meiner Ratio, der neck baya bei nlherer Berechnung auf irrationale Brößen führt. ©o fpinnt ſich in der Einbildung, daß alles Einbilbung ſey,

der Rechner fort, und würde fich ganz einfpinnen, wenn wicht die Worberungen des fittlichen Lebens ihn zwängen, ben Traum als Wahrheit mitzumachen; bie orderas gen, Die an das Herz ſchlagen, wie die Stürme wider bie Mauern des engen Vartthurms, in den der Sterr⸗ beuter ſich zurückgezogen hat. Da bricht die Welt, bie Heine, zurechtgemachte, zuſammen wie eine Breterbude und herein fchaut der ewige, unendliche Himmel mit feinen ‚Räthfeln und mit feiner Klarheit, und der Menſch, wenn die Bandbigen Trümmer um ihn her verfiogen ſind, wird knieend gefehen, betend weiler das Ich uud bad Du erfannt hat, weil mit dem Bewußtſeyn feiner unendlichen Kleinheit das Bewußtſeyn feiner unendlichen Bröße ju gleich ibm aufgegangen if, mit dem Bewußtſeyn, daß er einen Deren habe, das Bewußtfeyn, daß er ein freier ſey.

Die Gewißhelt nun, die der Menfch über Gert und Freiheit durch die Thatſache, Daß er ſeldſt eine fittlie Perfönlichkeit ift, gewinnt, nannte Raut den meraliihen

die Bedeutung ber kantiſchen Philofopbie ꝛc. 005

Glauben oder eine Forderung ber praktiſchen Bernunft, Er drüͤckte ſich darüber fo aus, daß er fagte, es fen dieß eigentlich Bein Willen, fey feine Gewißheit, daß wirfs lich Gott und Freiheit fey, fondern nur eine Nöthigung, fo zu handeln und fo Ach zu verhalten, ald gäbe 8 Freiheit, Bott, Unſterblichkeit. Im der That aber if dieß eine Unterfcheidung, die feinen rechten Sinn hat, die auch auf nichtö weiter beruht, als anf einer noch nicht ganz befeitigten, ungehörigen Nachgiebigleit gegen jene falfche Anficht von ber Natur des menfchlichen Wiſ⸗ fend, deren Bekämpfung eben die kantiſche Kritit unter nommen hatte, bie falſche Auſicht, daß es eine Gewiß⸗ heit gibe, die ſich beweifen, der erfenuenden Beruunft, obue daß eine fittliche That dazu nöthig wäre, anfbrins gen I6ßt. Dem gegenüber erflärte Kant, er gebe zn, daß Die höheren ſittlichen Wahrheiten ſich nicht fo bewei⸗ fen laſſen, aber daß die flttlidye Perfönlichleit gensthigt werden Sana, zu glauben, ale ob fie wirklich wären. Sie ſehen, die Unterſcheidung liegt nur im Ausdrucke: ein Berhalten des fitttichen Ich, fo, als ob etwas wäre, iR wit andern Worten bie Ueberzeugung, daß es fey; denn daſſelbe Ich iſt es, welches handelt und erkennt; ja die Erkenntniß ſelbſt iſt eine Art des Haudelns, und das erkennende Verhalten, ald ob iſt nichts ale die Er⸗ kenntniß, daß. Die Unterſcheidung kam auch nur daher, daß man das richtig Über Die Ratur des menſchlichen Wiſſens Befagte unrichtiger Weiſe zunächſt noch meinte nus auf einen Theil dee Wahrheit befchränten zu mäffen. Gewiſſe Wahrheiten, fo fagte man, 3. B. die mathemati⸗ fen, 3. B. daß 2x 2 gleich & ift, oder dad ein Kör⸗ per 3 Dimenfionen hat, die wiffe der Menfch ohne fltt« liche That, die höheren Dagegen glaube er nur and ſitt⸗ licher Nöthigung. Aber diefe Unterſcheidung Kant ſelbſt war es ja, ber fie bereits fchon richtig wiberlegt hatte. Denn Haste er nicht nachgewiefen, daß wir von der Wirklichkeit unferer Borfellungen über Raum und I

906 Dietlein

Zeit eben fo wenig aus theoretiſchen Grunden überzeugt feyn können, als von der Wirklichleit Gottes und ber Freiheit. Der bioß erkennenden Bernuunft, dem Verſtande erfheinen Raum und Zeit ebenfalld nur als Formen, die wir zu dem Erfahrungsftoffe hinzubringen, von beren Wirklichkeit wir nichts wiſſen. Und fo zeigt ſich Leicht, daB alles Willen Glaube if. Zwar iſt, an bem Gabe, daß 2x2 == 4 zu zweifeln, Berrüdtheit; aber iſt es denn nicht eine fittlihe That, nidt verrädt zu feyu? Daß ed Bewegung, baß ed Körper gebe, wer zwingt mich, das zu wiflen, wenn ich ed nicht glanben wii?

Wer aber eben nur erfennend, nicht glaubend, fi zu

der Welt der Erfahrung verhalten will, wir ſehen es ja an der Santifchen Kritik, wir fehen es au den Sophiſten, der wird verrhdt; denn dad Ich, von feiner ſittlichen Ganzheit abftrahirend und dem Gpiele der Verſtandes⸗ formen einfeitig fich hingebend, iſt bereitö aus Der richti- gen Stellung hinandgerüdt. Den Irrfinnigen num, ber

etwa zweifelt, daß fein Leib ein Körper fey, wie bein

wir den, wenn nicht Dadurch, daß wir ihn veranlaflen, ın gehen , ſich zu bewegen, ſich zu verhalten, ald ob er einen Körper babe? Da wird von ſelbſt ber Verſtand im die rechten Fugen kommen: jener Zweifel war nicht® als bas Verhalten, als ob den Berfinubes- und Anfchauungsfer men keine Wirklichkeit entſprͤche das entgegengefebtt Berbalten alfo, das Berhalten, ald ob es fo ſey, iſt die Gewißheit, daß es fo fey. So nun in Bezug auf Raum . und Zeit, anf Dualität nnd Quantität, auf Gott und Unſterblichkeit. Auch bier iſt der Zweifel Verrücktheit, d. h. entſittlichter Verſtand; auch hier iſt das Wiedereis⸗ lenken zum ſittlichen Verhalten, als ob dieß Wieder einlenten if nicht ein Surrogat für die Ueberzengung, daß —, fordern es iſt die Ueberzeugung ſelbſt. Jene lin terſcheidung iſt nicht ſtichhaltiger, als wenn ich einem, der mich fragt, ob id; gehen koͤnne, antworten wedte: Gehen zwar nicht, aber ich kann mich dadurch, daß ic

die Bedeutung der kantiſchen Philofophie 2, 907

einen Fuß vor den andern febe, von der Stelle bes wegen.

Der moralifche Glaube alfo ift wirklich die einzige, er ift aber auch Die ganze und volle Gewähr der Wirk, lichkeit deffen, was wir nicht fehen. Alles deſſen, was wir nicht fehen, und was gehört dazu nicht Alles? Etwa Bott allein und göttliche Dinge? etwa das Freie allein und Attlihe Dinge? Hingegen Die Gefete der fichtbaren Belt, Urfache und Wirkung, Eigenfchaften, Größen, Dis menfionen die And ja wohl fihtbar? Nicht ſichtbarer, ale Gott es if; denn gefehen, fagt Kant mit Redht, wird das Ding an fi; was aber wir daran fehen, das find die unfichtbaren Formen unferer Anfhauung und woher nıın bie Garantie, daß bieg nicht bloß unfere Kor» men find? Meine Herren, Sie fehen, bie kantifche Kris tie if eine Predigt über den Tert Hebr. 11.: Es if der Glaube die Gewißheit und die ſiegreiche Ueberführung von der Realität des Unfichtbaren, und (B.3.) durch den Glauben vwilfen wir, daß die Welten bereitet find durch Gotted Wort, fo daß nicht Sichhtbares zum Sichtbaren wurde. Der Sprung vom Denken zum Willen, zur Ueberzeugung, daß unferm Denken Wirklichkeit entfpricht, diefer Sprung ift überall nur fittliche That, nur Ber: halten, als ob, nur Poftulat, nur moralifher Glaube. Mathematifche, phyſikaliſche und fittliche Wahrheit find darin ganz gleich; es ift Verrüdtheit, an Bott, wie an der Mathematif zu zweifeln; und Glaube gehört bazu, von der Gleichheit der Scheitelwintel, wie won der Un⸗ Rerblichleit überzeugt zu feyn.

Ich möchte dieß fo einleuchtend als möglid, machen. Ich kenne die Schwierigkeit. Wir können es nicht laflen, mathematifche und ethiſche Wahrheit zu unterfcheiden und die Stellung bed Menfchen zu jener anders als zu diefer zu denken. Daß, um an Gott zu glauben, "ein fittlicher Eutſchluß nöthig ift, weiß Jeder a Aa

Theol. Sud. Jahrg. 1847.

a“ Diele

aber Daß das Waſſer feuchter und. daß bas Helle leuchtet daß wir, das zu wiffen, ebenfalld einer fittlichen The bedürfen, das werten wir nicht. Daxan zu zwcifeln, märe Berrüdtkeit, fagt man, Ja gewiß, aber Berrädt:

heit iſt, das wiederholen wir, Unglaube und Unfiti

geit mu dem Grade nad, nicht. der Urt nad vou Zweifel on Gatt und Freiheit unterfhieben, Wir mierien ed nur nicht, weine Herren, wie nahe au der Br bed Mahafund ber Meufch durchgängig ſteht, uk ha es ſtets nur ffttliche Arbeit ik, wodurch er vor Dem He: abgleiten in ben anfgeihanen, Abgrund ſich verwahrt. Jedes Sichgehenlaſſen in einfeitiger Verſtandesthätigleü

iſt ein Schwindeln über dieſern Abgrunde. Nur dab

Gott ſey Dank, bie ſittliche Thätigkeit durch Erziehen und Gewöhnung hei den Meiſten fo kräftig, ſo Mt 895 fie ſelbſt es willen im Gange if, daß, in der Ver⸗ ſtandes abſtractias eine gewiſſe Grenze erafbaftgrmak

zu übexſchreiten, ihnen wicht beikomt. ES iſt weie ait dae

Thatigkeit unſeres leihlichen Organismzuch; der athuch, verdaut uud tranſpixixt, Gott ſey Dank, auch ohne dal

wir es beabſichtigen. Über wenn wir ya leſen won bei Sophiften, daß Fr am her Bemagsing zmeifelten, ober jenl dergleichen, oder an deu Senfuglifen vor Kant, dei Ge die Geſetze vom Urſache una Wiakung für bloße Er fiudung exllärten: fo nehmen wir ad wicht Exuf dem, in new einfachen Bewußtſeyn: fie müßte ja, wenn es wit diefen Zweifeln ihnen Graf mar, wercüdt geweia fon. Und in ber That, foferu fie Dad wide waren, ſo⸗ fern ift ed ihnen auch unmäglich Eruſt damit geweſen

Aber laffen Sie ums bedanken, ob es mit den Zwallı

gu Gott und Unferblichkeit anders if. Es iſt fhon bir fig ausgesprochen worken, dag es doch im runde

gentlidye Gottesleugner gar nicht gebe. Es fin

Grüfte der Menfch die voͤllige Abſtraction nom den Ali chen daR Leben heherrfcheuben und in. ihm ſeldſt wider

die Bebeutung ber bantiſchen Philofophie c. 909

Willen und Wollen mebeitenden Mächten nicht vollziehen. Der Menſch muß frei ſeyn, ſelbſt wenn er ſelbſt fich füreine Maſchine serlärt.. Er mag noch fo fer die fittliche Ges wißheit verleugnen, das Gewiſſen ſpricht in ihm doch, Aber um fo gewiſſenkoſer iſt es auch, Gewiffen und Ge⸗ wißhet Uber die ſittlichen Wahrheiten als etwas fo dem Zweifet antyeim Gegedenes: darzuſtellen: gewiſſenloé, unſittlich kurz nicht ein Irrthum des Verſtandes allein, ſondern ein Abirren, des Berflandes allerdings, aber ein Abirren und fi Losreißen von ber ſittlichen Gauzheit, als welche der Menſch ſich gu verhalten verpflichtet iR.

DR wie nun, was wir hier und klar machen, von Kant geſagt, oder find ed Conſequenzen aus ihm, oder iſt es unfere eigne Auſchanung? Nun ich geftehe, daß, wäre ed hier daraufangefommen, das unvermifchte, reine kantiſche Syſtem barzuftelen, wir und Ausführungen er⸗ laubt haben, die folder Aufgabe nicht ganz entſprachen. Aber unfere Abſicht HE, die Bedeutung der Fantifchen Kris tie für Die neuere Theologie zu finden. Laſſen Sie und ſehen, was für dieſen Zweck aus dem bisher Erörterten fh gewinnen läßt.

Die große Neuerung Kaut’d war, daß er das We⸗ fen dad mienfchlichen Dentend, Willens, Weberzeugtfeun® anders, als bie. dahin geſchah, auffaſſen lehrte. Anders a6 bis dahin, amd zwar von wo ab? Wenn wir da® Bewußeſeyn der Zeitgenoſſen fragen, fo wurde es damals ausgeſprochen, daß ein folder Umſchwung feit Ariſtoteles nicht: gefehen worden fey. Wir haben alfe die geſammte vorkantifche Philoſophie als ariftoreltfche, umd dem ent- gegen die kantiſche. Was if num ber Unterfchied? Er muß fih, wenn unfere bieherige Betrachtung bad Rechte traf, im Kurzem angeben laffen.

De Menfch, ale mit dem Berfkande Dentender, hat nur Berfiandedformen, die die Sache wicht begreifen,

und. Dem gegemüber die Welt ald unbegriffened und uns 61*

»

MH ....r Dietlein.

ergeiffenes Ding au ih. Der Menſch bat die Wahrheit, indem er ſich fittlih zum ihr verhält. So Kant. Und daß er diefen Berg mehr ats ein Gurtogat für die Bahr:

heitserfenntniß, denn als. wirkliche Erkenntwig auffaßte,

dieß rechnen wir dem Kantianidmnd nicht ala weſentlich zu, fondern fehen es als das noch nicht Kantiſqhe hai ihm an, worte wie kantiſcher ald Kant ſelbſt zu ſeyn, und für berechtigt halten.

Darfiellen, als Thatſache das, was wir ale fit liche Derfönlichleit thatfüchlich erleben, barftellen bat it, wenn die kantiſche Kritit das Rechte getroffen hat,

die Aufgabe des denkenden Menfchen, nicht eis Auwer⸗ deu von Berftandesgefegen, die der Wenfcdy im Abſehen

von feinen fittlichen Erlebniffen in fich findet, nicht ein ſolches Anwenden auf einen Stoff, ben vor biefer An wendung der Menſch der Erfahrung entnimmt. Ein fel: ches Anwenden war das Denken bis zur kantiſchen Kritil.

Laffen Sie uns fehen, ob wie biefe VBehanptuns rechtfertigen können.

Es hat in der Zeit gwifchen Ariſtoteles nnd Kan

Glauben gegeben und Unglauben. Ja gewiß. Die Ent: ſtehung des Chriſtenthums, alfo auch die Eutfichung der chriſtlichen Glaubenslehre fühlt im diefe Zeit. Es harte kantiſchen Kritik weder bedburft, noch wäre es ihr mög lich geweien, der Welt die Wahrheit zu geben, ober and

nur die Erkenntniß der Wahrheit. Und die Theologie

bat auf Kant nicht gewartet, um die Wahrheit barje Rellen, die deu Menfchen in Ehrifto Gott vor Angen gr flelt hat, daß er durch die fittliche That des Blanbent ſich ihrer bemächtigen ſollte.

Diefe fittlich erlebte Wahrheit in menſchlicher Net darzuftellen, haben Taufende geftrebt. Die Apoſtel fh. ven den Reigen, und zwar fie, die GSchriftfieher dei N. T., mit dem Bewußtfepyn, daß alle Kehre und Erfemt:

niß nichts fey, als folche Darſtellung, alled Belehrtwer⸗ |

bie Bedeutung ber kantiſchen Philofophie c. 911

den nichts ald das Bewnßtwerben bed Belehrten über feine eigene innere Erlebniß, ein Bewußtwerden, das in ihm Die heilige Wahrheit ſelber dadurch, daß fie and ihn die Wahrheit erleben läßt, bewirkt. Ich glaube, das sum rede ich, die Rebe ift nur der Ausdruck des Glau⸗ beus. Die Rede, die Lehre, die Ausbildung des Glau⸗ bensinhaltes als Wiſſenſchaft ift nicht eine Thätigkeit, die neben dem fittlichen Verhalten des Menfchen nach ihr ren befondern Geſetzen vor fidh geht, fondern der Aus» den des fittlichen Verhaltens, weil ber Menſch es nicht laſſen kann, wie Stein und Karben und andere Stoffe, fo auch die Sprache zum Ausdrucke feines Innern zu machen.

Nach den Apoſteln die Väter und Lehrer der Kirche; nicht aber mit gleich flarem Bewußtſeyn über das, was fie thaten,, über die Natur der Wiflenfchaft und dad Ber: haͤltniß der Wiſſenſchaft zum Willen. Glaube und Lehre wurde nicht mehr betrachtet als ſich zu einander verhals tend wie Inneres und Aeußeres, wie fittliche® Erleben und fittlihe Bethätigung, fondern der Glaube war ſchon auch ein Aeußeres, und darım ftellte ſich die Lehre das neben als ein zweites Aeußeres mit nod) einem befondern Inhalte. Es war nun die Theologie nicht mehr die Res henfchaft, die man vom Glauben gab, fondern eine an⸗ dere, eine, wie man meinte, höhere Korm, die der Glaube _ bei den Eriennenden hat, während er eine einfachere Form fon ale Glaube für die bloß Glanbenden hat. AS wäre nicht der Glaube, ſowie er in Rede übergeht, ſchon fofort Erkenntniß, und bier der einzige Unterfchied vielmehr nur in der mehr oder weniger künftlerifchen, ſyſtematiſchen Behandlung. Weil nun ein Anderes das Ausfprechen des Glaubens, ein Anderes das Erkennen ieyn follte, was wurde aus diefem fogenannten Erlen» nen?

Scolaftit wurbe daraus. Was ift Scholaftif? Sie

912 ae Dietlein

nimmt ben Bögefpradenen Gitauben sımdb will un ned

etwas Aparted daraus marken. Mine Erfeuutnig wil fe darans maden, bei der ed nur auf Erkeuntaiß au bemmt. Da operirt una ber abſtrahirende Verſtand Dingen, von denen er nichts verßcht. Im Grunde nun, das ſahen wir fchen, ift eine ſolche Abſtrartion gar nicht möglih: der Verſtand, fol ee überhaupt eimen Inhalt haben, muß diefen aus dem vom Menſchen als fittlicer Ganzheit Ertebten entuchnen. Die Abſtraction beſteht nun nur Sarin, daß er einen beliebigen Theil nism and bad Uebrige hinauswirft. Bit jenen Stucke der Wahr heit hält er Haus; was brüber ift, das reducirt er auf fein kleines Maß, oder er verwirft ed. Das Rebucire nun beforgten die Scholaſtiker, dad Verwerfen beforgk der Unglaube.

Reduction, Berdünuung, Anfrwäcdnng ift alle Ede

laſtit. Der anfelmifcge Beweis J. B. für die Erik

Gottes if nichts, als Daß der veige Inhalt des Gedar⸗ tend von Gott verdünnt wird zum Gedanken bes ale voltommenfien Weſens. Die aufelmifche Benugikaunge: lehre iR nichts, als daB Die Begriffe von Schuld au Strafe auf die von mangelnder Leiſtung und Erſatz je rückgeführt werben.

Alles, um dem Verſtande ed bequem su machen. Abe der Verſtand kann ed nicht bequem genug haben, ihm if nicht wohl, ald wenn er ganz andgeweidet if. War ihr zuerſt der Begriff der Schöpfung gu geheimnißvoll, machte er die Welt zur Maſchine, fo wird ihm bald and ber Begriff des Werdens unbequem, dan der ber. Bewegung dann der der Qualität, dann des bes Seyns, fo daß er zuletzt am gar nichts glaubt, dem Sch gegenäber bie Weit nur noch als Nichtich hat.

Aber wiederum, diefe allzu große Bequemlichkeit und Leere wird dem Berftande unbehaglich, unheimlich. 9a xathſamſten findet er es alſo, inconſequent zu ſeyn, für fein

die Bedeutung ber kantiſchen Philofophie ꝛc. 913

Mühle wenigſtens fo viel Kom zu behalten, daß doch die Muͤhlſteine fich nicht einander zerreiben. Da, ſtatt einzugeſtehen, daß er, fich ſelbſt Aberlaffen, weder Gott noch Welt hat, behält er vom - Blaubensinhalte, fo viel ihm dienlich fcheint (und zwar der eine mehr, der anbere weniger), milbert feine Antinomien fo weit, daB fie Dies fen Hausbedarf nicht angreifen, und proclamirt bie gemilderten als reine Vernunftgefeße, aus denen, wie er meint, jener Hausbedarf entnommen, nad) beiten, wie er meint, vas, was drüber hinandreicht, widerlegt fey. Diefe Selbfibelügung, meine Herren, Hi es, die dem abftrahirenden Berftande ed moͤglich Macht, die Wahrheit in den mannichfachiien Graben der Berbäunmg fellgus haltet und damit groß zu thun. Wäre er ehrlich, fo würde er eimfehen, daß das einzig confequente Syftem der fogenannten reinen Beraunft Die gänzliche Verzweif⸗ ung iſt. So aber find feiner Syſteme unendlich viele, Riyiliemms, Senſualismus, Deismus, was eben jeber wii. Denn stat. pro ratione voluntas, d.d. anf Deutſch: der Verſtand oder die fogendunte reine Vernunft, went fie von den fittlichen Erlebniſſen abſtrahiren wid, muß, weit fie dad im Grande nicht kann, an Stelle ber gans sen ſittlichen Wahrheit wenigftens vinen Theil, ein nadh Belieben und Bequemlichkeit abgebrochenes Gtikk ber Wahrheit feſthalten. | Bon biefer Gelbfideligung, wis kaun von ihr uns gründlich erlöfen, als die ehrliche Kritik der reinen Ver⸗ nunft, wie fle Kant geliefert hat? Ich hätte nun gern, wenn bie Zeit es erlaubte, gefchichtlich aufgegeigt, wie viel in der That das durch Kant geweckte Bewußtſeyn über das Verhälmi von abfiractem Denken Und Moralis Them Gtanden dazu beigetragen hat, daß der Menſch, Hart nach bequem zurecht gemachten Verſtandesgeſetzen die Wanrheit gu meiftern, fich der in Natur unb Geſchichte redenden Wahrheit gehorſam zu unterwerfen

914 Dietlein

und ihre Geſetze und Scheimnifie zu belaufchen, wieberum | lernte. Und zwar hat mit bem wiederlchrenden Gehe: fam die alte eingerwurgelte Willkür ſich zu den mannich⸗ fachſten Bizarrerien zufammengemifcht, Da fchoflen de Spfieme wie Pilze auf, da beeiferte man ſich wohl, wäh rend man früher in der Aufllärung und Oberfläcdlidteit fi nicht genugthun konnte, nun tieffinniger als die fchlichte Wahrheit, geheimnißvoller als die Offenbarung, katholiſcher ald die Lehre der evangelifchen Kirche zu feyı. Das find,aun die Aprilftürme, die dem Mai vorangehen. Mir werden dergleichen nicht befhönigen. Aber fern von und die Verdammung, fern auch bie zwar wicht ver bammende, aber doch in der Behaglichkeit bed Beſitzes ſich erhebende Undankbarkeit. Es wird jet Mobe, du Kämpfe in Philofophie, Poefle, Theologie und Leben, wie fie in jenen Jahrzehenten durchgefodhten find, ver nehm anzuſehen, als hätte ed deren nicht beburft, alö wäre neben biefer Entwidelung durch Zweifel zum Glas ben eine andere fietige nebenher gegangen, die für fid allein die alten Schätze uns zu erhalten hingereicht habe. Wenn aber dem fo wäre und zur Erhaltung bie alten Apologeten, Lilienthal, Cruſins, Sad und wie fie heißen, hingereicht hätten, fo rühmen wir uud doch jebt aud, uicht bloß das Alte zu haben, fondern das Alte im neuer Schönheit, und in eigenthämlicher Weife, nnd mit tiefe: rem Bewußtfepn, daß unfere Erkenntniß unferes eigen ften fittlihen Lebens und Erlebens Ausdrud ſey.

Aber noch ein Wort, ein allgemeineres, über biefe Undankbarkeit. Wir fuchen eine gefchichtliche Perfönlid- keit, fey’d Denker, Dichter, Kriegsheld, oder font wer, in feiner gefchichtlichen Eigenthümlichkeit aufzufaflen, feine Bedeutung zu verfiehen. Die Frage aber, ob er für die gefchichtliche Entwidelung unentbehrlich war, oder od’ aud ohne ihn gegangen wäre, ift nicht nur eine altfinge die Sefchichte nach unzureichenden Kategorien meiſternde,

die Bedeutung der Bantifchen Philoſophie c. 915

fondern aud eine unziemliche, tactlofe. Man wird in guter Gefellfchaft an eine Jeden Eigenthümlichkeit fich er⸗ freuen. Wer aber beim Andeinandergehen überlegen wollte, ob wohl. biefer oder jener entbehrlich gewefen wäre, ob wohl ber Beitrag, dem biefer ober jener gab, nothwendig war ober auch anderweit fich hätte erfegen laſſen, der möge doch erſt fich felber. fragen, ob er wohl ſelbſt in Gottes Welt und ber Menfchen Befellfchaft ein nothwendiges oder emtbehrliched Moment fey.

Meine Herren, es ift eine gute Geſellſchaft gewefen, bie, aus welcher wir Epigonen fommen, die Dhilofophen, Dichter, Theologen, Staatömäuner und wen nenne ih noch Alles, die aus dem vorigen Jahrhundert in das unfrige hinüberführten, Wir gehen angeregt, fpät, aber nicht ermüdet, nadı Hanfe. Durch die nächtlichen Strar ben fchreiten wir. Schwärmende, überwachte Beifter bes gegnen nnd Überall, Nachtgefpenfter, die das Ausſchla⸗ gen der Mitternachtfiunde überhört haben. Wir laffen und nicht ſtören, Morgeniuft weht und an. Wir treten vord Thor, da fleht die Steruwarte, verwaift uud ſchwei⸗ gend. Wir fteigen hinan: ob's wohl von Morgen ſey? O die Bergfpigen röthen fi fhon, und wenn bie Thä⸗ ler noch fo fhwarz erfcheinen, fo iſt es nur, weil wir fhon mit dem fernen Lichtfireifen fie vergleichen können, Mer nun eine Lerche Reigen flieht, ber fage fie an; wer einen Gegenſtand fchärfer ſich abgrenzen flieht, Der mache darauf aufmerffam. Und wenn die Sonne kommt, fo fey, ihren Aufgang zu feiern, unter den Warten Deutſch⸗ lands die Albertina nicht bie lebte.

2.

Atteflamentliche Stellen und Stine, erflärt von

D. 3. Ohr. & Hofmann, ordentlichem Preofeffor der Theoldgie gu Grlangen.

Bf 19,

„Der Malm fIngt das Lob Gotted ans der Nam und aus der Offenbarung.” Mit diefen Worten meist auch Hitzig noch die Einheit deſſelben ind Licht gefebt zu haben. Aber fo erhellt weder die Angemeſſenheit des Schluſſes, noch erflärt ſich die Unverbundenheit der Städt. Und wenn ed ſich um Gottes Lob aus der Dffenbarıy gehandelt hätte, fo würden bie Thaten Jehova's an fer nem Bone nit haben fehlen dürfen. Es ſpricht aber auch das erſte Steh nicht von der Herriihleit der Ru tar überhaupt, ſondern bloß vom Hinntelögewätbe. 8.2 dat nämlich zwei Sudjecte, die uber Ber Sache nad eb nes find, eraein und pn. Auf das Teptere beziehen fie, wenn ich recht fehe, die VBerba von B.5., anf das erftere das Suffirunt von op in V. 4. Oder will man liebe bei der hergebrachten Kaffung des 3. Verſes bleiben, nad der ein Tag zum andern, eine Nacht zur andern fprit, während Doch, wenn die Unaufhörlichkeit dieſer Rebe te zeichnet werden follte, vielmehr der Tag zur Radht, die Racıt zum Tage fprechen muß? Ich nehme lieber cr ars und er für einen Ausdrud von der Form wie eb mp, und habe dann einen in den Zufammenhang leid» ter yaffenden Gedanken, dad Himmelsgewölbe Aröm Rede aud, ſpreche Erfenntnig aus von einem Tage jum

altteftamentlice Stellen und Städe. 917

ande, yon einer Macht gur andern, alfe ale Zeit Damit erfülend , kumbläfftg. SHengkienberg, welcher dad Rich⸗ tige Aber die folgenden Suffiva, wie überhanpt dad Rich⸗ tige Über den ganzen Pſalm fieht, fan Damit ben von ihm in gewöhnlicher Weiſe erBlärten 8. Vers wur gezwun⸗ gen, nämlich nur fo vereinbaren, daß er ſchreibt: „jene Suffau zeigen unwidereuflich, daB man Die Rede and die Ginficht, welche nach V. 5 Tag und Nat verfäns digen, aid ihnen von den Himmeln mitgetheilt druken

muß” Daß ich dad Suffirum von dep auf mann ge

rückbeziche, habe ich mit andern Auslegern gemein, aber nur erft, wenn B. 3. in der eben awgegebenen Weiſe ers Höre wird, bleibt feine andere Beziehung beffelben mehr möglich, man müßte fi) denn entfchließen können, wit de Weste zb zu ergänzen nad "ae je, und dann jenes Saffirnm auf or uud ara gu deuten. Ich wüßte nicht, welche andere Ueberſetzung des 4. Verſes fich Fprachiich rechtfertigen Iieße und zugleich einen paffenden Sinn gäbe, ald diefe: „es gefchicht Seine Rede, es geſchehen Feine Worte, ohne daß fein,. des Himmels, Ruf gehört würde,” Wie (onf ein Partickpialfag mit 7 angefügt wird, wenn geiagt werden fol, das Erſte geichehe, während das An» dere; fo wirb Hier einer angefügt mit der Negation "5a vergleichbar mit Sen. 43,3., um zu fagen, das Erſte ge fchehe wicht, wo nicht Das Andere Alfo Allee, was fonft gefprodyen werben mag, wird begleitet and überbanert. von jewem Rufe des Himmels, welcher Gottes Herrlich keit verfünber, Und zwar erfiredt fi folder Ruf über Die ganze Erde und bis an das Ende derfeiben, wie B.5, fagt; und der Känfer, welcher feine Bahn durchmißt mit der Freudigkeit eines Bräutigams und mit der Kraft eis ned Kriegshelden, und defien Wirkung nichts entzogen bleibt, er hat feine Stelle am Himmel, gehört zu ihm und Hilft ihm Gottes Herrlichkeit über bie Erde hin-ver- kündigen. Dan muß 2, wo es vom Himmel gebraucht

918 Hofmann

if, in keiner auberen Bedeutung nehmen, als bie ſonſt hat, fonbern vergleiche dieſes np wrr mit bem mn mp Ser.31,39.: es gibt feinen Theil der Erde, über ben nicht ded Himmeld Mepfchunr gezogen wäre, und ihre entlegenfien Enden ſtehen unter des Himmels Befehl, Den auszurichten die Sonne ihren Weg läuft. Die Wert: ey In og Wonb hat man mit der Stelle Hab. 3, 11, ver⸗ glichen und dennoch dabei an den Sonnenuntergang ge dacht, während doch an jener Stelle Dar der Drt if, wo Gonne oder Mend ſich gerade befinden. Kengfex berg's Auffaſſang beider Worter, ıp und Ir, trifft mi ber meinigen zuſammen.

Nach diefer Erklärung der erſten Hälfte des Pfalmi kann man nicht fagen, daß fle Gottes Lob and ber Ru tur finge, fondern fie fchilbert, wie der Himmel faumt der zu ibm gehörigen Sonne die ganze Erbe überall und allezeit mit feiner Verfündigung Gottes und göttliher Ehre umfpanne Folgt nun hierauf plötzlich und ohm allen Uebergang eine Schilderung der Ordnungen Sehe va's, deren fich Iſrael erfreute, wie dieſelben allem Be bürfnifie bed Menfchen genügen und zwar mit imma bleibendem Beſtande: fo wirb dadurch ber Leſer weran laßt, eine Bergleichung anzuſtellen zroifchen dem Himmel und dem Geſetze Iſrael's, wie von jenem bie Erde, von diefem des Menfchen Leben, beide Mal unter Verkündi⸗ gung des Lobes Jehova's, ihres Schöpfere, umnfchlofen gehalten werde. Und dieſes dem Himmel und fein Sosne vergleichbare Geſetz befeunt dann der Gänge auch zu feiner Erleuchtung gu befiten, uud muß ded zugleich befennen,, daß er öfter dagegen fündige, ale tt ſelbſt wiſſe. Aber der fich den Himmel zum Redner fe ner Herrlichkeit gemacht und bed Geſetzes köſtliche Pre digt gegeben hat, wird fih doch auch dad Wort de Sängers zu ihm gefallen laffen, der von ſich nur Günde und Schmadheit gu. fagen weiß. Wenn Hengſtenderßz V. 2—7. eine Einleitung nennt, welche den Zwed habt

altteftamentliche Stellen und Stüde. 919

an bie Gottheit Jehova's zu erinnern, fo fann ich ihm hierin ſchon deßhalb nicht Recht geben, weil dann auch in jenen Berfen der Rome mim wit TIERE getrancht ſeyn müßte,

Ueber Pf. 29.

Man muß fi doch verwandern, daß de Wette von einem erhabenen Oymuns auf Jehova, wie er den 29. Pſalm nennt, feinen andern Inhalt anzugeben hat, als bieſen: „Aufruf an die Engel, Jehova zu preifen; Schilderung der Macht und Mafeltit Jehova's ale Domergottes; dabei if} er Regent und Schntzgott feines Volke.” Und Ewald ficht in demfelben num gar wieder nur bie Schil⸗ derung eines Karten Bewitterd, welches der Dichter ers lebt hatte. If denn nicht das Allermeifte, was ber Pfalız von nm Dip ausſagt, dem Donner fchlechterbinge fremd? wie mar bean auch Blig und Erdbeben zu Hülfe nehmen und deren Wirkungen in die des Donners eintragen maß, am die einmal über den Yuhalt des Pſalms gefaßte Mei⸗ nung durchzuführen. Daß rhm Dip ein weiterer Begriff it und alle vernehmbare Kundgebung Jehova's in der Ratur bezeichnen kann, erficht mau aus Amod 1,2, wo der Donner bed Erbbebend fo heißt. Erſt fo begreift man, baß berfelbe mim Sp, welcher Über den Waffern droben .zuai Donner wird, auch Gedern zerbricht, WBäl. der entblößt, euer bebaut, Berge hüpfen und Wüſten freifen macht. Wo Jehova redet, da iſt rm. p: er fpriche aber im Sturmwind und im Toſen des Erdbe⸗ bens fo ‚gut, wie im Donner ded Gewitters. Und nun bes merke man den Fortgang des Gedanken im Pſalme. Jehova iſt es, fo beginnt er, dem alle Geiſter, alle Bötter dienen, Jehova iſt es, fo fleigt er erbewärts nieder, deffen Ruf man hört droben über den Waſſern, wenn es donnert, Und ſtark mie prächtig ergeht Fein Ruf. Wenn Gebern im Gturme brechen, die Gedern Libanon’d —, denn deſſen Hanpt ik ja dem Himmel am nädften fo ed Je⸗

920 Goſnann

hopas Nuf, der folches thut: ja Hbanem umd Sirien fehl hanfen empor, weas dieſe Stimme fie erſchüttert. mb wie der ſtarke Cederuhanm und das ſeſte Gebirge, fo erfährt auch das unbildfame Feuer die Macht dei Rufes Jehova's, der, wie ein Gedernbrecher, fo ein Flammenbehauer if. Denn bie Bedeutung „zerhauen,” welche man für zurı bier augeaommen hat, Haßk Beh we: der erweiſen, nach bedaef man ihrer: daß wer Muf Se hava a im Sturmwinde den mild auflodernden Plane Richtung: und Geſtalt anfnothigt, einem Sunfi lar verglei⸗ ber, weideer Holz und. Stein behant und ie VBeſalteag bringt, des iſt, daͤchte ich, ein augemeſſenet md sanmentı lich auch dieſem Zuſammenhange augenteſſener Bebastı In dem, wad hiesauf feige, hat nım Cwald Bas Ber- daltuiß des Porkicipielfages: Tray ak. ihn Ybarrızı gu den vorhergehenden Berbid. uiid. beadrtet, aber- auch ned ahne Midficht darauf, daß biefe alle im zweiten Modes (chen. Ride Indfegen won Thalfachen, ſondern von mögsihen Hüllen haben wir im diefen Berfen Der ii Jehoua's neg winken, daß Die. Wäfte fi im: reife be wegti,. wide erzitternd, fondern vom Wirbeliwiube umge wählt. baß-aifo das Tohtekein Schmergbewegemg Tom, wie, menu es gebären wollte oder welche WBäfte wäre toater, ale die von, Kades? er mag wirken, daß ba} ftachtige Thier, die Hindi, das. ſonſt dem Gchreden ſe gut zu entrinnen weiß, Kill halten muß var Mieugk und wer her Zeit gebiert, ober. daß ben dichte Walb, fo voll lebendigſtat Graus, kahl wird und stadt, entdioͤßt won feinen belaubten Aromen: bei allem dem hört man ine: bona’d himmslifcher Prachtwohnung nichts Anderes, ald Tan: mad Iegend droben iſt in Heiligthewe Han furict nur ap. Diefe Schrecktifſe hier unten find Dreben law tere: Ehre. Gotted, Und wie. in allem dem der außen menfchlidren Welt, fo: baweiſt füch. ychove auch dem Men⸗ ſchengeſchlechte. Br bat ſfich demſelben bewieſen in der gunßen Sluth, die "allein ben. Ramm kemrı. führt, med

altteflamentliche hellen und Stüäde VER

bat fich damals in den Himmel geſetzt, als Sönig über es hier unten gu herrfihen. Seinem Polke aber wird er Stärke geben, fein Bolt wird er fegnen mis Heil und Srieden. Er wisd diaß thun, 7m, mar: mit diefer Hoffe nung fihließt der Palm.

Jehova it der Geiſter angebeteter Hewr, der körper· lichen Schöpfung almächtiger Beweger, des WMenichen- geſchlechts Gebieter und Richter, feinem -Baife aber wirb ex sin, Segenſpender ſeyn. Je größer der Gegenſatz er⸗ ſcheiat, in welchem ſolche Hoffnung zu den vorhergegan⸗ genen Ausſegen ſteht, Sehe bewuuberungsmürdiger er ſcheit fie and, zu deſte aubetun gsvollerem Danke for dest fie auf.

Pf. 36,2 3. |

Panzer zieht an zux Ueberſchrift des Pſalms und lief 5 Ratt aa, wonuuch dem fo weräuderten Barfe nur Der laexe Gab bieibs, hab der Gouteſe gottlos ik. -Emald ſchreibt auch ab und haſßtt zwar am hei. Diefem Bexfe, trennt aber in Widerſurnche mit Dan Aecentes sinb vom Saarza, wodurch deu feltiame Bebaufe autſteht, der Gottloſe habe ein Orakel, oden vislmahr einen Oxalelſpauch, der Sünhbe in ſeigem Degen, Garz ebenfo hat-Kuapy hie Mount« gelefen und gefaßt, und if aud in. Deufeiben Irrthum gefalleg wie Ewald, ald ob fich jener Bedankte wis dem andern, frailich auch ganz inhalisleſen, vertauſchan laſſe, daß des Gettloſen Hert ein Sitz des Laſters fen, wah⸗ rend bo Wedy immer nur ein eingelmer Ausſpruch ſeyn kanc, licherfegt man, auch noch gagen Die Accente: „Der Gottloßgkeit Auſſuruch au ben Fresler,- one, in Gin⸗ Hang mit. don Yeranten: „Ausſpruch der: Gottloſigkeit des Freylersꝰ: fo folgt kain folcher Ansſpruch, fondern viel⸗ mehr eine Ausſaege des Sängers über den Gotaloſen Warum folite man nun die Warse nick verfichen dürfen, wie der zweite Theil bed Verſes fie felbi erllart? m

922 oMofmann

sun iſt eine Verbindaug wie Nah. 1,1, muımwn. So nimm ed denn auch de Wette und faſt fo Hitzig. Allein inden Bann: beide die zweite Berähälfte wiedergeben: „Kurdt Gottes If nicht vor feinen Augen,” fo haben fie nu wieder jenen inhaltsleeren Satz won ber Gottloſlgkeit dei Sottlofen. Man fagt aber auch von der Gottesfurcht nimmermehr, daß fie Jemand feinen Augen gegenüber habe, fondern Tr> -n» beutet auf etwas, bad ber Bolt: loſe fi gegenüber, alfo anßer .fich fehen ſollte oder fünnte, aber nicht flieht oder nicht zu fehen befomm. Und von etwas Solchem haubelt der Ausſpruch, jobalt man nur Sri ra fo nimmt, wie Jeſ. 2,10. Dam m gibt fich der doppelte Gewinn, baß der Dichter etwat fagt, was der Mühe werth iſt gefagt zu werden, näm lich wie der Ungerechte in feiner Abfälligkeit verbleibe, weil ihm nie ein Schreden Gottes vor Angen trete, mi zweitens, daß ih der bejahende: Satz des dritten Berfei ungegwurigen an ben verneinenden anſchließt, weichen wir eben gefunden, eingeleitet durch die Beiahungspartite, weiche wir nach deu Verneinung mit „ſondern“ Rberieden, und nicht wie be Wette mit „dem. IA num der zweit Vers des Inhalts, wie ich ihn angegeden, fo wird mar im dritten eine Ausfage von dem Gottloſen, fondern von Bott erwarten, ber ihm feinen Schrecken nit erfahren gibt, fondern ſich anders gegen ihn begeigt. Wir braunen alfo weder phrm imperfomaliter zu neh men: „es ſchmeichelt thin,” wie Ewald, noch rim reflerivt: „er ſchmeicheit fich,” wie Rofenmäller ober de Bett noch und nie einem fo ungereimten Gedanken zw begir gen, wie Knapp, als ſchmeichle der Uugerechte dem Gette, ben er Body weder: ehrt, als ein Mbewimniger, noch and fürchtet, Gegen bie zuletzt erwähnte Auslegung fpri! auch noch dieß, daß bei ihr das Sufſttum won rı72 anf Bett gehe foll; und nicht; wie man’ nach dem gegenſeb⸗ lichen Berhältatffe. ber beiden Verſe erwarten follte, gleich

altteflamentliche Stellen und Stüde.. 923

dem Yon va 2b, auf den Ungerechten. ben fo wenig folte man erwarten, baß bie Suffira von Tr und Tor7 auf verfchiedene Subjecte gehen, wir beziehen alfo beide anf den Ungerechten, während Gott Subject if von om. Dann erhalten wir einen gu vyy mas rd Ten dem entfprechendften Gegenfag ausmachenden Gedanten; daß Gott, fo viel ber Ungerechte flieht, nicht die rauhe, Ihredende, ſondern die glatte Seite gegen ihm herauskehrt. Denn geradezu „fchmeicheln” heißt prorm niemals, es ſtehe uun db dabei ober nicht, fendern „glatt. ſeyn Laffen” oder „glatt thun? paßt Überall beffer, nicht dloß Pf. 5,10

wo auch de Wette der Meinung il. Rachdem ſich * fo der weſentliche Juhalt beider Verſe ſchon herausge⸗ ſtelt hat, ſo ſind wir auch in der Erklärung der noch übrigen Worte nicht mehr fo vielen Möglichkeiten über, loffen: Niemand wird jet in dem folgenden Abſichts⸗ lage etwas von dem Ungerechten Beabſichtigtes zu lefen erwarten, fondern vielmehr, was Bott bei fo auffallendem Dezeigen im Sinne habe. Finden will er, fo lautet des Dichterd Ausfpruch, die ‚Berberbtheit des Ungerechten xeb, Da dieſer Infinitiv kein Suffieum bat, fo wird er nicht einen Gab für fich bilden, fondern mit dem Sub⸗ Rantionm zufammengehören, welches ihm zum Objecte dient, ab yır iſt Untugend, die man haffen mu. Hier aber, wo > ſchon als Object einem Sage angehört, hat man es vor n30b in @edanfen zu wieberhelen, ähnlich je⸗ nem miersrm, „was ift das zu Thuende ? Jehova will, wenn er ausgeht, nach der Berberbuiß des Ungerechten zu fehen, dieſelbe fo finden, daß er fie haffen mnf. Der- weilen fährt diefer fort, feinen böfen Weg zu wasbeln. Aber ber Fromme wird darum nicht irre, fondern kennt Jehova's Gerechtigkeit gewiß, und wenn er bann betet, daß des Bottlofen Hand ihn nicht ins Elend treibe, fiehe! fo ift es ſchon gefchehen: enp "bar an rl zus Yoyb Sony um.

Theol, Sud, Jahrg. 1847, 62.

924 GHefmann Bf. 62, 7.

Die Worte gro ira umurım faßt man inögemein fo, daß ey von ya ober doch von a abhängt, ‚mau mag nun darunter bie Hermoniter verftchen, ıwie Knapp, ger, wie bie Neueren, den Hermon. va m iſt dann entweder Appofition zu sure, wenn man es Aber: fegt „Berg der Kleinheit,“ ober Name eines andern un befaunten Berge, weun man an für einen Eigennamm anfieht. Die letztere Annahme bleibt immer bedentlid und eine Auskunft der Roth, die erfiere aber Iäßt den Dichter etwad Ungereimtes fagen. Yührt nicht Die Ehen mäßigteit der beiden Satzglieder: jıy aa "Tu un re ra woran auf eine andere Erflärung? Wird nid! viren parallel fichen mit Jehova, auf welchen das Gaff- zum bed Berbumd geht? Da meine Seele fo unruhig if, fen

der Dichter, fo will ich, um fie. gur Ruhe zu bringen, aa

dich gedenfen, o Jehova, won Sorbanlande aus, wo id fo ferne bin von Jernuſalem mund. deinem Heiligthurt, will an den gipfeldeichen Hermon denken, das hohe Gr birge, non einem Berge ber Kleinheit aus, auf dem id wich befinde. Er vergleicht Jehova, den gewaltigen Be ſchüger, bei dem man ficher if vor allem Aulanfe, mi dem mächtigen, hohen Dermon, weichen er eben deßhalb pluraliſch beneunt, nud vergleicht feine gegemmärtige Bag mit dem Stanbde auf kleiner Höhe, wo man gegen an ſtürmende Ziuthen, zu deren Erwähnung er eben vor hier aus übergeleitet wird, nur fchlechte Sicherheit fie det. Ich bemerkte noch, daß es mir leineswegs nöthis fcheint, NyR aus dem 1. Berfe weg in Vers 6. hiaäbe zuziehen und a u niymen au lefen. Der Didem fchließt Die erfle Strophe feines Liedes mit ber Hoffanug, daß er Bott, nämlich bie von Gottes Autlitz ausgehen den Thaten dei Heild naoch wieder zu yreifen habs werde. Biber er muß Gost auch als feinen Bon erken⸗ nen und anrufen, muß auch gewiß werden, daß ihm

altteſtamentliche Stellen und Stuͤcke. 925

Heil und Hflfe fommen fol. Daber hebt er wieder au mit dem Nufe mie, und führt fein Lieb bis fo weit, Daß er mit ben Worten any m rar min Ti fchließen kann. Denn Pf. 43. gehört gewiß nicht mit Pf. 42. zur fammen. Ich denke dein, drum ift meine Seele nuruhig meine Seele ift uuruhig, drum denke ich bein: dieß find die beiden Wendimgen, in welchen fick ber Pfalm abs fchließt und vollendet, ohne eime dritte zu erfordern oder and) nur zu vertragen.

Ueber Pf. 49.

ie Maurer zu Pf. 42, 6. bemerkt: „certo oertius le- gendum est rhaı u nimmer,” fo Ewald zu Pf. 49, 18.: „unftreitig it nach 8.21. Par gu verbeffern.” Ich kann dieſes fo wenig glauben wie jened. Ewald meint, der Kernſpruch des Pſalms müfle beide Wale gleich lauten, Aber gerade darin, daß er beide Male werfihieben lautet, liegt der Kertfchritt des Gedankens. a buab run, mit Diefen Worten Teiter der Sänger feinen ran ein uub will damit gewiß etwas Anderes fagen, ald baß er, wie De Wette ſich ausbrädt, dem Liede laufchen wolle, weis ches ihm in der Seele liege. Jener buy Bann nicht in ihm felbR liegen, fondern muß fih ihm von auderwärts her zu vernehmen geben. Ein fliegended Wort, einen ger meinen Spruch greift er auf, fein eigenes Kuufwort, feine rm daran zu fchließen, Der Sin lantet wie V. 13., Die daraud gewonnene rn wie V. 21. Die gemeine Rede begnägt ſich mit der Andfage, daß der Menſch feis nes Bleidens nicht hat in den Derrlichleiten dieſes Le- bend, daß er daven muß nicht befier ala das Vieh, ber Weiſe aber wandelt diefen Spench in den andern, Daß ein Menſch, der die Herriichleiten dieſes Lebens, aber wicht den rechten Berftand des Lebens befigt, ein Ende Himmt, nicht beffer als das Vieh. Daher fehen wir auch in den er» ſten acht Berfen des Geſangs, Die Einleitung (B.2-— 5) ab⸗

62 *

®

924 Hefmann Bf. 42, 7

Die Worte yz2 "ra num foßt man inögeweis fo, daß rrtann von yrum oder doch ven a abhängt, ‚mas mag nun darunter bie Dermoniter verfkehen, wie Kuapp, sder, wie bie Neneren, den Herman. we m dann entweber Appofition zu curam, menu man ed Aber: fegt „Berg der Kleinheit,“ ober Name eines andern um befaunten Berge, wegn man "un für einen Cigennamm anfiebt. Die letztere Annahme bleibt immer bebeafüd and eine Auskunft der Roth, die erfiere aber läußt de Dichter etwa Ungereintes ſagen. Führt nicht bie Ehe mäßigfeit der beiden Gabglieder: Try ya Tue u ya mm vounm auf eine andere Erflärung? Wird nid! woran parallel Rehen mit Ichova, auf welchen das Gaff- zum bed Berbumdgeht? Da meine Seele fo nurubig if, ſey

der Dichten, fo wii ich, um fie gur Ruhe zu bringen, a

dich gebenfen, o Jehova, wom Serbanlande aus, weh

fe ferne bin vor Jernſalem und deinem will an den gipfelteichen Hermon denken, das hehe Ge

birge, non einem Berge der Kleinheit and, auf bem id mich befinde. Er vergleicht Jehova, den gewaltigen ve ſchützer, bei dem man ſicher iſt vor allem Aulaufe, mu

dem mächtigen, hoben Hermon, weichen er eben beßhel⸗ pluraliſch beneunt, und vergleicht feine gegemmmikrtige dagı wit dem Stande auf lleiner Höhe, wo man gegen eu Rürmende Fluthen, zu deren Erwähnung er eben vos bier aus übergeleitet wieb, nur ſchlechte Gicherheit fir bet. Sich bemerke noch, daß es mir keineswegs nöthl ſcheint, iR aus dem 7. Berfe weg in Vers 6. hinkbe: zuziehen und ben m nimm gu leſen. Der Diäten fchließt Die erfie Strophe feines Liedes mit der Hoffeuet daß er Bott, namlich Die von Gottes Autlig audgeher den Thaten bed Heils ned, wieder zu yreifen hab werde. Aber er muß Gott auch als feinen ort eri nen und anrufen, muß andy gewiß werben, baf ih

altteftamentlihe Stellen und Städ. 925

Heil und Hulfe kommen fol. Daher hebt er wieber au mit dem Rufe de, und führt fein Lieb bis fo weit, daß er mit ben Worten Ton m ram ae 19 fchließen kann. Denn 9f. 43, gehört gewiß nicht mit Pf. 42. zus fammen, Ich denke dein, drum ift meine Seele unruhig meine Seele ift unruhig, drum denke ich bein: dieß find die beiden Wendungen, in welchen fig ber Palm abs fchließt und vollendet, ohne eime britte zu erforbern oder auch nur zu vertragen.

Ueber Pf. 49.

le Maurer zu Pſ. 42, 6. bemerkt: „certo certius le- gendum est rbaı m niyen,” fo Ewald zu Pf. 49, 18.: „anftreitig iſt nach 8.21. 722 zu verbeffern” Ich Tann Diefes fo wenig glanben wie jened. Ewald meint,: ber. Kernſpruch ded Pſalms mäfe beibe Male gleich lauten. Aber gerade barin, daß er beide Male verfchieben lautet, Kiegt der Fortſchritt des Gedankens. rn Tejaa ram, wit Diefen Worten Leiter der Sänger feinen ran ein ud will damit gewiß etwas Anderes fagen, ale daß er, wie De Wette ſich ausdrückt, dem Liebe laufchen wolle, weils ches ihn in der Seele liege. Jener win kann nicht in ihm felbR liegen, fondern muß fi ihm von auberwärt6 her zu vernehmen geben. @in fllegendes Wort, einen ger seinen Spruch greift er auf, fein eigenes Kunſtwort, feine mer daran zu fehließen. Der >un lantet wie V. 18., Die daraus gewonnene rn wie ®. 21. Die gemeine Rede begnägt fich mit der Ansfage, daß der Menfch feis nes Bleibens nicht hat in den Herrlichkeiten dieſes Le⸗ bens, daß er davon muß nicht beſſer als das Vieh, der Weiſe aber wandelt biefen Spruch in den andern, daß ein Menſch, der die Herrlichleiten dieſes kLebens, aber wicht Den rechten Verſtand des Lebens befigt, ein Ende Wimwt, nicht beffer als dad Bieh. Daher fehen wir auch in ben er⸗ fien acht Berfen des Geſangs, die Einleitung (B.2-—- 8) a b⸗

62 +

926 Hofmann

gerechnet, nur den Satz ausgeführt, daß Sterben das kood Aller ſey und Reichthum nicht davor bewahre, dagegen in den andern acht Verſen der Unterſchied heramdtriti zwifchen bem Tode derer, welche göttlichen Verſtand hu ben, nnd bem Tode derer, welche ihn nicht haben. „Died if,” beginnt der Pſalmiſt, nachdem er den Sprud 8.13. mitgetheilt, „bießift der Weg derer, welche Zuverſicht ha ben, und an deren Weife man Gefallen bat hinter ihnen drein: wie eine Schafheerde bringt man fie ind Todten⸗ reich, der Tod weidet fie, und am Morgen find Redige finnte ihre Gebieter worden, ihr Bild aber, bei der Ber. nichtung des Todtenreiche hat ed feine Wohnung mehr”.

Ich mache bier aus pab nicht „balb” ober „im Bälde,”

wie.de Wette, Hitzig, Ewald: denn die Heerde bringt

man in den Pferch, die Nacht darin zuzubringen; ſo fragt es ſich alſo, was mit jenen gefchieht, wenn be Morgen anbricht. Alsdann wirb der Pferd abgebror chen, die Todtenbehaufung hat ein Ende. Das 5 in mE Yırıd ebenfo zu nehmen, wie das in „pab ober wie is

der Nedeusart „pa nimb, wird feine Schwierigkeit haben

und ſo ift bei meiner Auffaffung regelrecht gebraudt, wie Hiob 11, 15.5 21, 0.; Prov. 20,3. Wenn nun alſo

jenes das Geſchick des Thoren if, daß’feine Geſtalt keine

Wohnung mehr hat, fobald die für ihn nur zum Pferd

dienende Todtenbehanfung vernichtet wird: fo weiß de

gegen der Pſalmiſt, daß Gott feine Seele aus biefer zu

fich nehmen: wird. Und wer ihm gleich gefinnt iR, da

ruft er zu: „Db- der Reiche feine Seele fegnet bei feinen Lebzeiten, fo wird man dich preifen, bag du bie Gute ſchaffeſt; fie kommt zur Wohnung feiner Väter, für im mer werden fie das Licht nicht ſehen.“ Mit welchen Nechte überſetzt Hitzig im 20. Berfe: „du wirft fommes zum Geſchlechte ‚deiner Väter,” ohne anzumerken, daß er priax. lefen wolle Ratt max? Ewald nimmt nod wei tere Benderungen in biefem Pſalme vor, indem er im &

2

altteftamentliche Stellen und Stuͤcke. 927

Berfe me flatt rm und mer flate men, im 12, aber nad dent Borgange Anderer ar=p flatt ann gelefen willen wid. Letzteres erfcheint unnöthig nach Bergleichung von Pf. 5,10: ein Gegenfaß zu B. 13. wird erforbert, gerade wie ihn der Text bietet, nämlich, daß ed Menſchen gibt, welche feinen andern Inhalt ihres geifligen Lebens haben, ‘als ihre DHänfer, welche fie für die Ewigkeit bauen, und thre Ländereien, welche nach ihnen benannt werben, während body kein Menfch in biefen Herrlichkeiten feines Bleibens bat, fonbern alle davon müflen, gleich dem Viehe. Die Aenderung im 8. Verſe hat befiern Schein, aber doch auch nur träglicken , indem der Pfalmift fagen will, er babe feinen Grund zur Furcht, wenn Solche, die auf ih» ven Reichthum trogen, ihm feind feyen: zu dem, wor⸗ auf ed dem Menfchen allein ankomme, zur Erlöfung aus ded Todes Macht würden fie ihm mit ihrem Reichthume doch nicht heifen können, fie felb aber müſſen trog dem⸗ felben des Todes Beute werden, und gehen leer aus, wenn Gott den Gerechten aus ber Tobtenbehaufung gu fih nimmt.

Bu Pf. 73,

B, 1. Den Gccenten angemeflener, ald die herge⸗ brachte lieberfeßung, wäre bie Verbindung von >anty erdn zu dem einen Begriffe, der ſich Gal. 6, 16. findet, 6 Iogadk zod.Bs0Ö5. Und auch ber Gedanke des Berfes gewänue dabei. Denn der mit bemfelben beginnende Pſalm will ja nicht aufzeigen, daß Bott eitel Bäte if gegen Iſrael, fondern daB es NRiemanden in Wahrheit wohl ergeht, als allein denen, welche reined Herzens find und demnach den gottgefälligen Theil Iſrael's aude machen,

B.4 Daß > jemals geradezu „biö” heiße, glaube ih, in meinem Buche über Weiffagung und Erfüllung di. S. 226.) widerlegt zu haben. Man kann alfo Tr

-

926 Hofmtam

eneb nmyrı nicht mit be Wette umb Maurer überfehen „tie haben feine Schmerzen bid an ihren Tob.” Die ſprachlich leichtefte Erklärung aber, der Hibig folgt: „ihr Tod det Beine Schmergen,” gibt eben fo wenig einen paſ⸗ fenben Sim, als bie andere, ſchen etwad gezwungenere: „fte haben keine Schmergen, daß fie Aärden’”’; denn Bei: des fagt viel zu wenig, da ed andere Leiden geung gibt außer Beuen, welche mau im Sterben erfährt, ober denen, welche den Tod bringen. Aber muß man denn mir wit „Grhmergen’”’ überfehen, und nicht vielmehr wie Jeſ. 58, 6., wo es „Bande” heiptY man riszyı find bir Bande, weiche der Lob um ben wirft, welchen er zu fe nem Gefangenen machen will. Irgend wann werben na freidich jene auch bed Todes Gefangene, aber noch fiad Beine Anſtalten dazu getroffen; Bande bes Tobes, da fie ſterben werden, find noch nicht ausgeworfen. So be dürfen wir der Aendernag in cr wb nicht, welche Ewald vorfchlägt, und welche ohnehin dieß gegen fidh hat, daj un niemals gebraucht vorkommt, wie es bier in der Berbindung xx)Jꝛa an der Fall feyn würde.

V. T. Die Verbindung as wer ift immer hart, nad zu fchreiben we ift gewagt. Den Sinn des letzteres haben -wir, wenn wir our aus bem vorigen Verſe für Subject von wgr nehmen. Der Frevelmuth, der wie ea ſdattlich machendes Gewand um ihn liegt, bringt ihm zw gleich aus feinem Innern durch Die fettuwfchweilruen

Augen hervor. .ayb rim ray verſtehen wir dauı am

ter Bergleichung der Stelle Pf. 17, 3. von ben wide wer bovgen bleibenden, fonbern durch Auge und Mund über Beunmwenben Szerzensgebilden, womit ein paflenber Lieber gang zum mächken Berfe gegeben iſt.

V. 10. Mit welchem Rechte nimmt man na fad ſtautiviſch? Wie ma (1 Kön. 8,2.) ein immer fleßender, ſo if du, was in foldyer Verbindung wohl anging, ei voller Bad, Dann führt man natürlich zuur wicht anf

altteflamentlide Stellen und Stuͤcke. 929

nzu zurick, ſondern auf no, Die Leute wenben ſich, son den gefchilderten hockfahrenben Reden angeledt, zu dDiefen bin, und finden fi nicht getänſcht, fondern fehen ſich bei ihuen, wie ein Wanderer, der an. den vollſtrö⸗ menden Bach gelommen, gar wohl befriedigt.

B. 18. Sollte rugu nicht leichter von sa abguleis ten ſeyn, ald von rind, eine Form wie Wahn uud mit ber Bedentung vubliettes ? |

B. 23, Trapif Adjectionm wie Pf. 46,14. ; Eyech. 28,1.

Pſ. 84,

Die Anleger können nicht genug fagen, Wie wohl ihnen der Gebdanke gefalle, weichen fie im 4. Werſe finden. Lieblicher Gedanke, ruft de Wette, und elogantissimn et vere poelies sententia, ruft Maurer: „Sperlinge und Schwalben find giürlicher als ich; fie niſten im Tempel.” Aber im Tempel, fagt der Pſalmiſt nicht, ſondern die Altäre Irhova's benennt er ald bed Vogels Neil. Wie faun man nun glauben, daß man Sperlinge anf dem goldenen Räucheraltare wiften ließ, oder daß Schwalben fi) den Brandopferaltar zn ihrer, wahrlich allerumbes auenften, Stätte wählten ? De Wette ſagt zwar, bei ben Ultären feibR habe man ſich freilich Feine Neſter zu den⸗ fen, ſondern im Gebälle oder Dachwerke oder Ger mäues, woraus bansı folge, daß hier der. ſteinerne Tem⸗ pel, nnd nice das Gezelt der Stiftshütte vorausgeſetzt werde: mau muß, meint er, ben Auodruck bes Pſalms nicht genau nehmen Allein warum muß man das? Man fagt wohl, der Lazzarone finde feine Schlafftätte in den Daläften, aber nicht, er finde fie in den Gemächern der Reichen. Diefen Uebelſtand hat ſchon Knapp ges merkt, und er überfeht deßhald: „Selbſt ber Vogel fin» det eine Wohnung, die Schwalbe ein Neſt, ihre Zungen u bergen ich, deine Altäre, Schowa.” Der Bere iR etwas elliptifch, bemerkt er hierzu: aber wer hat je eine ſolche Ellipſe gefehen? Und doch hat er an Mendelsfohn

einen: Radıfolger gefunden. Mir num fcheint, fpradlic leichter als bie letztere, und fachlich angemeſſener ald bi erſtere Erllärung, daß man bas, womit verglichen wir, Schwalbe und Sperling, gleich flatt des Werglichenen, nämlid) ſtatt Iſrael's geſetzt ſeyn laſſe. So beißt Yiradl Pſ. Te, 19. ram "im. Alsdann ergibt ſich andy ein ſchid⸗ licherer Fortgang der Gedanken. Deun nachdem de Sänger mit dem Ausrufe begonnen: „wie lieb find dk Räume, da du wohnft, Jehova,“ fo foricht er zuerſt fen Berlangen aus, dahin zu fommen, und wie er jubeln wolle zu dem lebendigen Botte, wenn er dahin gelom men. Oder täue ich Unrecht Daran, baß id} "om fun rifch: Überfege? Was kaun nun ſchicklicher folgen, ald di Stltärung, wie der Sänger ſolche Hoffnung haben könnt, Die Erflärung, daß, wo Irhova wohne, auch Yiradi MWohwflätte.fey?. Auch dad Böglein hat ein Hand gefun den, nud die Schwalbe ſich ein Neft, dahin fie ihre Sm gen geborgen hat denn rn® heißt ed, und nicht ran —: bad iſt aber Fein geringerer Ort, ald die Altäre %: heva’s, iu dem der Sänger feinen König erkennt, welde alſo dort feinen: Palaſt, nad feinen Bott, welcher aljı dart.feinen Tempel hat. Diefee Ort der Majekät un Heiligkeit. iR für Iſrael, was für das Böglein, bei

, Schwache und wehrlofe, fein Neſt ift, in welchem es fid - mb feine Jungen geborgen weiß; denn ebeufo hat fd

Iſrael, Das an fich fo ſchwach nud Flein geweſen, an den Altären feined Gottes geborgen geſehen, ſich ſelbſt, ale ſich Jehova feiner zuerſt annahm, und feine Zukunft und Nachkommenſchaft für immer: Daher kann nun ber GSaͤn⸗

ı ger andrafen: mya atir- "re, womit er aber weder die Leviten, noch die Befucher bed Tempeld meint: die lehzte⸗ ven nicht, weil 38 diefe Bedeutung nicht hat; bie le ren. nicht, weil man nun fehon flieht, Daß es wicht mm di bloße Dertlichleit oder um Holz und Stein des Tempel zu thun if, und weil der Beiſatz hm vis nur auf

altteflamentlidhe Seellen und Stuͤcke. 931

Solche hinweiſt, die wicht bloß Außerlich, fondern von Her⸗ zen Jehova, ihrem Gotte, dienen. Wohl glädlich find Die, weichen Jehova's Wohnung zur eigenen geworden, Aber indem der Sänger dieß ausruft, tritt ihm die Gr, wägung entgegen, daß es dahin noch nicht gekommen iſt. Daher läßt. er ein zweited Hell! nachfolgen, welches be: nen gilt, die an Jehova ihre Stärke haben: denn bie wiffen gebahnte Wege, auf welchen fie fiher zu Bott gelangen, der anf Zion wohnt. Daß man bieß nicht von bloßen Feſtreiſen, fondern von einer Wanderung entgegen dem Ziele der Berheißung Iſrael's zu verfichen babe, beweifen bie übrigen Berfe des Pſalms, in welchen der Sänger bittet, Jehova wolle feinen Befalbten anſehen und das Reich deffelben fördern, Damit die erfehnte Zeit herbeikomme, wo man bleibend in der Nähe Gottes, in feinem Hauſe weilt, jene Zeit, auf weldye die Frage dee 15. Palme hinweiſt: Tuır "na Joa Tariıya Tan rim.

Hiob 19, 26.

Sollte nicht doch apı ein Subflantivum ſeyn, gleis cher Form wie nröps, nur daß rn in chaldälfcher Weife abgeworfen wäre, wofür doch die Formenen amd 2 in Bergleich gezogen werben können. mir flänbe nadı wie 280n.1,2.; Pf.80, 15. Die Bedeutung von 'ap}. würde feine Schwierigkeit machen; denn fa gut. Hiob fagt (Kap. 19, 6.) man 2 rm, eben fo gut Tanner feine Haut rıapı nennen, al& bie ihm rundum anliegt. Dann wäre aber natürlich "rın unmöglich mit zeitlicher Beden⸗ tung. gebraucht, fondern na und Ta entfprächen. fich ähnlich wie in dem Satze Hohesl. 2, 9. von ner as ren rosem-a rmiee. Hinter meiner Hant, fagt Dieb, hinter eben diefem Umzuge, der mich jetzt umzogen hält, mid befindend, uub von meinem Fleiſche aus, das alfo nicht zuvor der Verweſung auheimfällt, werde ich Bott fchauen. Denn er kennt feinen Exlöfer, der ihn.wieber in feinen Stand einfegen fol und wird, wie daß derfelbe lebenbig

932 Gefmann

it und eim felcher, der auch hernach ſeyn und Alledüber; leben und als immer fphterer, ia lehter auf Erden fi erheben wird, während andere Grlöfer ſterben müſſen und une bie gu gewifler Fri auftreten und hülfreich ſeyn können. Se: dem Ausſpruche biefer Zuverficht ade ich recht die Mitte des ganzen Bude. Demm Schon bringt den A beflagenden Daider nicht dadurch zus Schweigen in Geduld unb Demuth, daß er ihn bad Löfung des Schickſalsräthſels in Worten widerlegt und überführt, ſondern Dadurch, Daß er feld ihm erfchein und felbft zu ihm redet. sim "re rına, ruft Hiob an 8. 43, 6, nnd bereut fofort, was er gegen Bott geſpre⸗ dyen, ob er gleich noch in feinem Elende ſitzt und len Wort der Deutung über baffelbe vernommen hat. Abe Bott hat ih zu im befannt, er ift gu Jehova im pet ſönliches Berbältuis gelommen, wie ein Menſch zus andern und wis frarl zum Gchöyfer aller Welt, um dieß gibt Ruhe und Stile in das Herz mitten unter den Räthſeln der Gegenwart.

Die erſte Hälfte des 7, Verſes fpriche vom Lande, ſofen es bewohnt, die zweite vom Lande, foferu ed angepflaug iſt. Bom letztern beißt ed erſtlich, daß Fremde feine Ertrag verzehren, und dann, daß es verödet, alſo ler von Planungen ik, ary nammm. Wenn Hitzig hier bemerft, daß wur nicht „verheeren” heiße, fo bat a Recht; wenn er aber hierauf ver für fremdes Land, ja für ein beftimwintes fremdes Land, das ſodomitiſche, er⸗ Märt, fo hut er den Worten uuerträgliche Bewalt m. „er heiße „umlehren” und Tann deßhalb von feld Umfkürzung und Verkehrung gebraucht werben, als burd Erdbeben oder ähnliche Naturbegebniſſe geſchieht. Abe auch, wer den Boden pflugt, kehrt ih mm: vertere ter- ram oder glebas, ſagt der Lateiner. Darf man hiervoe

altteflamentlicye Steiken und Stuͤcke. 988

anf anfere Stelle Auwendang wachen, jo fagt der Pros phet, der Boden fey öde von Pflanzungen, wie ed ber Fall ſeyn muß, wo Kremde ihn umgelegt haben, bie ihn nicht mit dem Pflage umlegen, um ibm tragbar gu machen, fenbern etwa mit den Hufen der Gtreitrofle oder Den Rädern der Kriegswagen.

Im 8 Berfe bleiben die Worte nu; rn, wenn man fie wicht fo willfhrlich dehandelt, wie Hitzig, Immer nur mats und bedentungeled, bie man einen folchen Ge⸗ danken in ihnen findet, wie ihn Arnoldi durch feine Aen⸗ derung: my van, hineinzubringen verſucht hat. Dieß kann aber ohne Arnoldi’d Aenderung, bloß durch feine Berbindimg der Worte gelingen, indem die zweite Vers⸗ hälfte, von der erfien losgetrennt, den Gedanken gibt, ein Rachtlager in einem Burkenfelde und eine behaltene, beivahrt gebliebene Stadt fey eind und daſſelbe. Das doppelte > vergleiche nicht, ſondern ſtellt gleich, hebt allen linterfchieb auf, wie 1 Kön. 22,4. So behält dann 72, parallel mit nn geftellt, feine nämliche Bebeutung, wie Ezech. 6, 12, neben "En.

Geh 2, 22.

Die Ermahnung vrena 2a} Dın fanıı weder fün eine Gimfchaltung, wie Geſenius, noch für den Schluß einer Strophe, wie Ewald meint, fonbern, wie Hitzig recht gefehen, nur für ben Anfang von etwas Neuem gelten; fie ſteht parallel der Ermahnung bes 5. Verſes Bar bach im Boransgegangenen nicht von Vertrauen auf Menfchen, nach der Anficht jener, fondern von der Freude an Selbfigewolltem nnd Selbſtgeſchaffenem die Rede; wohl ader folgt nun, daß Jehova alle die und alle Sol⸗ che aus ſeinem Volke wegſchaffen werde, die in irgend einer Weiſe vor Anderen etwas gelten. Einer ſolchen Drehung, wie ſie hier mit > augefchloffen wird, kann möglicherweife die Ermahnung vorhergehen, daß bie

934 Zu . efmann

geringen nicht auf. höher. ſtehende Menſchen ihr Vertrau fegen,, aber andy. die andere, baß die höher Acheadu ihr Bermögen nicht gegen geringere mißbrauchen ſolu Es kommt darauf au, wie einestheild die Ermahnıy ſelbſt lautet, und wie anberutheild die darauf folgen Drohung näher gefaßt, beftimmier geſtellt iſt. Was nuukı erſten betrifft, fo hat Bitringa natürlich Recht, daß 1 mi folgendem 7a beides gleich gut bedeuten faun, einem unange fochten, oder einen unbeachtet laſſen. Wir werben: alfo di Euntfcheidung für die eine ober Die andere Möglichkeit worte Beichaffenheit des Objectd und feiner nähern Bezeichnung abhängig machen müſſen. Und fo haben es die Auslege auch gehalten, wenn fie die Worte ea roch ai cr. entweder gleich überſetzen oder doch nachträglich erklären: „Der Menſch, in deſſen Naſe ein vergänglicher Hauch if, ein Athem, über welchen er felb feine Gewalt hat Allein die Worte fagen doch nichts won ber Bergänglik

keit oder Abhängigkeit dieſes Hauchs, fondern bezeihsn

den Menfchen ald einen lebendigen. Ein lebenbign Menſch aber will eben deßhalb, weil er eim lebendige Weſen if, geachtet feyn. Trägt man alfe nicht willir lic, etwas hinein in die nähere Beſtimmung bes Object, fo gibt Biefe dem Berbum Sm jene erſte, und mit Di weite Bedeutung. Damit trifft dann die weitere Be grändung jener Ermahnung: wur sem maso, eben fo lid! zuſammen, als mit der ewtgegengefehten Demtung. fid man rmas mil dem Tone ber Frage, fo fagt ber begrär® dende Sag, der Menfch ſey nichts zu achten: lief ma es dagegen mit dem Tone bes Ausrufs, fo ſagt er i⸗ SGegentheile, der Meunſch ſey werth zu achten. Se mel man num hieräber durch das Vorausgegangene neh nicht in Sicherheit iR, hat man fich bei der mit w ange ſchloſſenen Vorherſagung Raths zu erholen. Gtellt dirk einen Zuftand der Dinge in Ausſicht, wo es mit dh Menſchen, fofern er Lebensodem.hat, ein Ende nehm wird, einen Zufland alfo, wo des Menfchen Leben di

altteſtamentliche Stellen und Stüde. 935

Tode anheimfällt, dann hat man rmz fragweiſe leſen muſſen. Dagegen - auöruföweife will es gelefen feym, wenn die angebrohte Zukunft ins Licht ſtellt, daß alles Andere, was ein Menfch außer dem Leben ift und hat, ihn nur zufällig über die Menge erhebt: in Zeiten, wo alles dieß verloren geht, lernt man ben Werth recht ken⸗ nen, welchen der Menſch nur dadurch fchon hat, daß er da iſt und lebt. Was fagt nun der Prophet? Es kommt eine. Zeit, da nichts von allem dem vorhanden bleibt, was jest fo nöthig feheint für ben Beſtand des gemeinen Wer fend, wie Wafler und Brod für den Lebensunterhalt; eine Zeit, dba Niemand vorhanden if, dem Beruf oder Rang oder Wiſſenſchaft eine bevorzugte Stellung gäbe; ja eine Zeit, da Niemand ſolche Stellung haben mag, fon» _ dern Jeder froh ift, nur zu leben, und wäre ed nody fo kümmerlich, weil Oberfter im Volke zu feyn, alddann nichts einbringt, fondern nur koſtet. Soldye Zeiten fommen in Folge des Mißbrauchs, melden jegt die Hochgeftellten mit Amt und Gewalt nichtöwärdig treiben; darüber fie heimgufuchen, die Geringen an ihnen zu rächen, gegen welche fie Raub und Ungerechtigfeit, das Volk, gegen welches fie harten Drud und launenhafte Gewaltthat üben, dazu bat fich Jehova bereit geſtellt. Schließt fich nicht demnach das Ende des Abfchnittd 2,22 3, 15. in der Weife mit dem Anfange deflelben zufammen, baß, die etwas vers mögen in Juda und Serufalem, wenn fie nicht folchem Gerichte verfallen wollen, ablaffen müffen, ihr Bermögen gegen denjenigen zu mißbrauchen, welcher immerhin werth genug zu achten ift, wenn ihm auch kein befonderes Glüucks⸗ gut Auszeichnung verleiht, werth genug, weil er ein Meuſch if, hemz rradı un?

Zu Jeſ. 3, 12. Den Pluralid Tess für das Subject von >ain zu halten, bleibt unmöglich, man mag es Drehen und wen,

086 J Sefaamn

den, wie man will, und baß 5>orsm gleich viel fey wie Sy, „Kind,” ift eine unerwiefene Annahme, währen) bie anderen in Anwendung gekommenen Bedeutungen dei Stammes >43 einen paſſenden Sinn geben. Geholfen wäre, wenn man >brs für ein Deuominativum won >%, „och,” hadten dürfte, wie gleich nachher dyv von 029 und wit einer Bedentung ber Gteigerungeform, ähnlich ieser von 13 Deut, 21, 16. Das Volk trägt feine Bebrhder als fein Joch.

gef. 4, 4—6.

Gehört denn wirklich Yin yry ar ale nachgebradter Norberfap zum 3. Berfe? Die Berbiubung wit bee 5. Verſe gibt Doch den fo angemeſſenen Bebaufen, def Je⸗ hova, wenn er zuvor den Ilsrath ber Töchter, die Blut: fchulden der Söhne Ierufalem’s mit einen feharfen Haudht des Gerichte bisweggetban hat, dem Zion, wie ed dam ſeyn wird, einen Schutz und Schirm wider alle ſchaͤdliche Wirkung fchaffen will. Abgeſehen davon, baß fid bi ber andern Berbisdung die Werte zberyrez zwifchen "5 Tan Erz und An vr om laſtig und NN zweifchenein ſchieben, möchte die vorgefchlageme and bei dalb den Vorzug verdienen, weil dann in Vorderſad un Nachſatz etwas ausgefagt if, dad Jehoba am Terafalem, der Stabt, vollbringen, und nicht das eine Mal, was er an der Stadt thun, und dad andere Mal, was von deu Einwohnern gelten wirb, Die mit jenem Hanche ge veinigte Stadt iſt ſolchen Schutzes werth, wie ihn Je⸗ hova verheißt, und iſt feiner allenthalben werth. 7% mit „Raum” zu überfeßen, geht doch wohl nicht an; wie heißt es etwas Anderes, ald was auch nach dem Stamm: worte zu vermuthen ift, nämlich „Ort für etwas, das daranf feſtſtehen ober ruhen fol.” Dann wirb aber and gan yoorbe nicht gleich viel ſeyn mit Yan be, for dern man bat gu überſetzen: „iche Etätte bed Verges

J

altteflamentlige Stellen und Stuͤke. 037

Zion's,“ wie pr ya 55, „ieber Baum bed Bartend.” Un⸗ ter xxxyꝝ verfiehe ich mit Ewald nicht unnöthigermeife bie Halle der Berfamminng, ſondern wie 1,14. die Verſamm⸗ (ung felbft. Jede Stätte, wo man wohnt oder ſteht, und jede Zuſammenkunft, weiche gefchieht, flieht fich gebedt ‚durdy eine Wolke bei Tage, durch einen Glanz bei Nacht, wie Iſrael gegen die nachdringenben Aegypter gebedit ges wefen if. Und zwar ſoll man ſich nicht eine Wolfe den» fen, bergleihen den Himmel überziehen, keine Waſſer⸗ wolle, fondesn eine Rauchwolke, aufſteigend wie von Fener, und den Glanz fol man fich denken, wicht ale vom Lichte, foudern ebenfalls wie von flammendem Feuer. Daher ſteht er nachträglich hinter cur pr, and nun, da einmal an foldhe nähere Beſtimmung erinnert id, reora Um gleich hinter v05 und noch vor ro. Denn Schau gegen Yeinbfeligleit, die von branfen kommen, auf Erben fidh erheben möchte, if hier noch gemeint, Schutz Ber Urt, wie jemer geweſen, welchen die erſt dundele, daun plötzlich feurig auflenchtende Molkenſaule gegen Pharao's Heer gewährt hat. Hieraus ergibt ſich, was man von einer Verbindung der Worte zu halten hat, welche ein abtreunt von car 2. Noch viel wenis ger aber geht ed an, das andere Beröglieb: abıray p ram, in den nächften Vers hinlibergunehmen. Dean man ſieht ja jet, Daß die VBerheißung mit den Worten mp1 mn eine ganz andere Wendung nimmt, indem fie von dem Schutze gegen Feindfeligkeit, die won braußen fommen könnte, übergeht zu dem Schntze gegen [chäbliche Wirkungen, die etiva fonft von oben fommen. Ob num Subſtantwum oder Berbum ik, beſtimmt ſich nad der Ueberfegung von Tuaerın; heißt biefes „alle die Herrlich, keit,” fo gilt rar fehidlicher für das Sudſtantivum, heißt e6 aber „lauter Herrlichkeit,” jo kann ren nur Berbum ſeyn. Da wir nun nicht leſen Tara, fo überfeßen wir entweder „jede Sherrlichleit,” ober, wie barııa

938 | Hofmann

Pſ. 39, 6. „lauter Herrlichkeit.” Erſteres gäbe ein nichtöfagende Wiederholung des vor D vorhergegangenen Gedankens, während letzteres den Grund anzugeben dient, warum eine Wolke übergebreitet wird, naämlich weil hier nichts als Derrlichkeit ift, die alſo geſchützt zu werben verbient.

Seh 5,18.

Und wenn ed auch Hendewerk noch, öfter wieberholte, daß in der Bibel der Begriff der Handlung fo inıy verbunden mit bem Begriffe des Lohnes und ber Strafe gedacht worden fey, daß fih bie Worte für jewen Be geiff zugleich für diefen öfter geſetzt finden, fo heißt doch weder jw noch mar jemald Strafe oder Berderben, fondern es gefchieht nur dieß oftmals, daß im Habräiiun das Berurfachende, die Sünde, genannt und zum Sub jecte gemadht wird, wo wir das Bernrfachte, naͤmlich dei Unheil nennen würden. Es verficht ſich von ſelbſt, daf dann immer der Zuſammenhang feinen Zweifel über die Meinung ded Gedankens läßt. Worans follte man aber in obiger Stelle erkennen, daß⸗ „die Güude ziehen” ie viel ſey, ale „dad aud der Bünde kommende Unheil ziehen”. Befehen wir und ihr Einzelnes! Erſtlich ur heißt nicht „zu ſich ziehen” oder „heranziehen,’’ fendern immer entweder „lang ziehen” „der „längehle,” „fort⸗ oder „vorwärts ziehen.” Sodann weiß ich. nicht, mit welchem Rechte Hitzig unter nr böfe Gefinnung verſteht, im Gegenfage zu döfen Hanbiungen; in ber Lieberfehung gibt er ed, weber bierza, noch zur wahren Bedeutung von a5 paflend, mit „Zrevel.” me iſt Alles, deſſen Dr fchaffenheit in Widerſpruch ſteht mit dem, was bavos erfordert wird, oder mit den, was fein Anfchein ver fpricht; daher iſt ed vornehmlich bie Richtigkeit und Lüge. Wer nun die Sündigkeit und Berbrehtheit gieht mit Sei⸗ len der Lüge und Nichtigkeit, der tft. mit biefer ange

altteſtamentliche Stellen und Städe, 939

fpannt an jene und zieht mittelft derfelben jene fort and weiter. Ber da Lüge: „es ift kein Gott,” den fpannt diefe Füge an den Wagen leichtfinnigen Weſens. Welche Lüge an unferer Stelle der Prophet meine, fagt er ſelbſt im nächften Berfe.

Bu Je ſ. 5, 24. Es wäre mir leid, wenn Jeſaja in dem genaunten Verſe auf die Vergleichung mit der Stoppel, welche das. Feuer verzehrt, und mit dem Zufammenfinten dürren Halms, den man in Flamme gefeut hat, das Verglichene in dem anderen Bilde des Verfanlens einer Pflanze, des Wurmfraßes folgen ließe; denn unfchön wäre dieß doch gewiß. Ic kann aber auch die Worte nicht fo verfichen. „Ebenſo,“ fährt er vielmehr fort, „wird fie mein Zorn verbrennen, daß ihre Wurzel feyu wirb wie ber Moder⸗ fanb unb ihre Gewächs wie der Aſchenſand.“ Als eine - Pflanze. zwar ftellt er fie dar, um zu fagen, daß nichts von ihnen übrig bleibt, aber diefer Pflanze widerfährt nichts Anderes, als was bie vorhergegangene Verglei⸗ hung an die Hand gegeben hat. Die lebensträftige, das Leben von ſich ausfendende Wurzel wird feyn wie das Ergebniß der Todesverweiung, und das gefchloffene, ge, altete Gewächſs, in welches die Pflanze ausläuft, in welchem fie fi) vollendet, wird feyn, wie jener aſchen⸗ artige Staub, welcher keinerlei Seftalt und weder Ges wicht noch Anfehen bat.

ef. 5, 30.

Wie fonnte nur Ewald die Worte rby > über feßen „und über einem wird's toben,” und fo dem amı und dem 759 zugleich ihre unzweifelhaften Subjecte neh: men? Es iR platterdings. unmöglich, Sri? anders zu vers ſtehen, als von dem, von welchem ed noch eben, indem

Theol, Stud, Jahrg. 1847. 63

940 Bofesanz

en mit Amen werglihen murke, zrım hieß, wämlid vom Geoberenuolte nud Toy anders zu verſtehen, als mit Be zug anf bem, weldger zum Bente merden ſollte, wämlid vom ifranlitifchen Volle. Und eben fo numöglidh if es, am anders zu überfeßen, ald wenige Werte vorher, alfe nicht „toben,” wenn man vorher „ſtöhnen“ überfebt bat. Aber ern ift aud) weder ſtöhnen noch toben, aud nicht nes Kuuxren junger Löwen, weldhes noch Fein Deilen genauuk werben nun, ſondenn «6 bezeichnet, wie and Deu Gteflen Prop. 19, 12. 30, & 26, 15, erfehen werben Yan, jenes dumpfe Murren, jenes verhaltene Beh ned Löwen, er ſey jung oder alt, welches dem Angrift anf dem Feind: verhergeht; deu une fe fan has Er- grimmen: eines Königs damit verglichen werden, auf we ches fo gewiß Beuherben folge, als auf jenes verhals Brullen. Daher folgt auch um au unferer Stele wi , memit Das: laute Brüllen des daherko menden dr wen gemeint iſt, und hat, mach ſich zo irn: ben Feind anfichtig, gemorden, bricht: er in jenes desmpfe Narrer ans, dann flürzst er ſich über denfelben ber. Wie zum dieſes or an das dampfe Taſen bed zlinmenden Macs erinneru kann, leuchtet won ſelbſt ein. Warum aber der Prophet dat Ein winderheit,. daranuf autwortet das beim zueitan Male beigegebeus Thy: was vorher aflgemein gefagt war, das gilt jetzt infonderheit dem ifrnelitifhen Volle. Diefem. wird der Zosurnf bed grimmigen Feindes in bie Ohren fchallen, wie dad Bräflen der tobenden See, mb van folgt unmittelbar auf rerz, und bed überfeßt man unbedenfikch ya mit „Erde,“ im Gegen faße zum. Himmel, fo daß dadurch Ewald foger werleitel wird, arm» vom Donuen droben zu verftehen. Bildet es denn aber nicht vielmehr einen Gegenfag zum Were! Schaut nicht der. vom tafenben Meere Bebrehte rädwärt) nach dem Sande, ab ew ed erreichen, dorthin fich reiten

altteftamentlidye Stellen und Stuͤcke. 941

könne? Iſt nicht ſeine Lage deßhalb ſo verzweifelt, weil er landwärts nichts als Finſterniß ſteht, während von der anderen Seite bie wilden Wogen gegen ihn daher⸗ braufen? fo daß folche Lage wie mit einem Worte fo bes zeichnet werden fan: ramsa yar Tianı 2? Diefe Worte, verfichert Geſenins, malen ganz unlbertrefflich den Kampf zwifchen Licht und, Finſterniß, Glück und Unglück, eben und Tod, Furcht nnd Hoffunung; er ſetzt nämlich voraus, daß man Hiderfegen dürfe „bald Angit, bald Licht.” Aber die Stellen, mit welchen er beweifen will, daß man öfter „bald, bald” hinzudenken mäfle, bieten, wie man von vorn herein erwarten fann, für biefen Zwed gar nichts. Nicht getrennt wollen, wenn man bie Bocale beibes hält, die Begriffe Az und "ir gedacht feyn, fondern viels mehr wie einen einzigen wollen fie ausmachen. Darum aber braucht Yix nicht aufzuhören, Subject von "Terı zu feyn; die folgenden Worte find nur deßhalb durch einen Die. flinctions abgetrennt, weil fie ſich nicht mie "he zuſam⸗ men fpredyen ließen, fo wie diefed zufammen mit "2 in einem Athem gefproden feyn will. Beides auf einmal foflte gefagt werden, Bedrängnig von ber einen Seite, und auf der andern Licht, zur Finfterniß geworden. Die Bedeutung „zerfiörte Trümmer” für rrns ft mit um fo mehr Recht anfgegeben worden, als mr auch Hof. 10, 2, nicht „zerftören” heißt, fondern feine gewöhnliche Bedeu⸗ tung hat, welche der fprachlühne Hofen nur ungewöhn⸗ lich, aber defto fchöner, auf Altäre anwendete. Aber von dem ar Deut. 32, 2. bid zu dem Begriffe „Himmel” iſt doch ein gar zu weiter Weg; felbft Nebel oder trübes Gewölk liegt noch zu ferne. Bedenken wir, daß die Form mit ald Subftantiv vorzüglich dient, Sahreszeiten nad dem zu bezeichnen, wa® darin geſchieht, und daß bie Piuralia wie zum, erp&s gerne die Handlung im Allges meinen auddräden durch die Bielheit der einzelnen, fie 63 *

942 Hofmann

zum Inhalt habenden Vorgänge: fo werden wir für erw die Bebentung „‚Negenzeit” in Anfpruch nehmen dürfen, bei welcher ſich dann auch dad auf 77 bezägliche Suffirum bequemer flellt, al& bei jenen anderen angenem: menen Bedeutungen. Das Land hat feine Regenzeit, fein winterliched Regenwetter, und in bem iſt das Licht zur Finfterniß geworden, fo daß der vor den drohenden Meeredöwogen fich Flüchtenbe, indem er rückwärts fchazt, nichtö fieht, ale Finſterniß. Ebenfo, meint der Prophet, wird Sfrael daheim nichts finden, als. winterliche Trok- loſigkeit, wenn es fidy vor der von auswärte heranbran fenden Gefahr zu feiner fonftigen Zuflucht, zu feinem hei mifchen Gott und Gottedtempel wenden wird.

3u Sad. 9,1.

Seitdem Hengfienberg gründlich und erfchöpfend be wiefen hat, daß mau von einer Stadt oder Laudfchaft rt nichts wiffe, begnügt man ſich, dieß zu bekennen, ohne doch die Meinung anfjugeben, daß ym für einen & gennamen gehalten feyn wolle. Was Hengfenberg Abt die Unmwahrfcheinlichkeit diefer Meinung unb über die wahr: ſcheinlich fymbolifche Bedeutung des Wortes nicht minder gründlich und richtig bemerkt, hat man umbeachtet gelaf fen. Ich möchte aber anf feine Darlegung nicht hinge wiefen haben, ohne zugleich zu fagen, wo ich von ihr abweihe. Das perfifche Reich kann ſchon deßhalb nid! rn par heißen, weil es ein Reich iR und kein Land; fodann aber auch deßhalb nicht, weil es bie beiden Ad, jectiva, aus welchen diefer Name zuſammengeſetzt er⸗ fcheint, nidyt wohl zu Prädicaten haben könnte. Denn“ beißt nicht „kräftig“ oder „mächtig,“ wie Hengftenberg unverſehens vorausſetzt, fonderu „‚Icharf,” welchen Aus—⸗ druc auch wir ebenfowohl vom Laufe des Roſſes, «ld von der Schneide des Schwertes gebrauchen. Zu dieſer

altteftamentliche . Stellen und Stuͤcke. 943

Bedeutung von m bildet I einen angemeſſenen Begen- fa, indem es auch nicht „Ichwach” heißt, fondern „zart, zärtlich ,” eine Bedeutung, in welcher ed 2 Sam. 3, 39, nicht weniger paßt, als font. Nun konnte man. aber vom yerfifhen Reiche weder Keurigleit und Schneidig« feit, noch auch Zärtlichleit und Empfindlichfeit ausfagen, wie ed denn auch dem Daniel in der Geftalt eines Bis ren erfcheint. Es kommt hinzu, daß die ganze Kap. 9,1. beginnende Weiffagung Sacharja's innerhalb Paläftina’s oder, richtiger gefagt, inner dem Bereiche der davidi⸗ {hen Herrfchaft bleibt und des perfifchen Reiches weiter: bin mit keinem Worte gedacht wird. Doch auch abger fehen von dem Inhalte der folgenden Berfe, läßt ſich aus bem Namen felbft beftimmen, welches Land gemeint fey. Wo findet fich die auffallende Verbindung entgegengefehs ter @igenfchaften, der Schneibdigleit des Schwerted und Feurigkeit des Roffes auf der einen, der Zartheit eines Kindes auf der andern Seite? Denn nicht erſt folgen foll die eine Eigenſchaft auf die andere und eintreten flatt der andern, wie es ſich Hengſtenberg zurechtlegt, fonbern der feltfame Widerfpruch im Namen muß fi auch fin» den in den Benannten. Wo anders aber findet fich dieß, als im Volle Iſrael, das nicht bloß jekt ein Wurm und dereinft ein fcharfer Drefhwagen, fondern das feinem Weſen nad) beides zugleich ift, das eine von Natur, das andere durch Jehova's Beil, weßhalb auch eined nach dem andern hervortreten und diefelbe Zion, die jeber Unbill preiögegeben fcheint, nach unferes Propheten Wors ten (Rap. 9, 13.) zum Heldenfchwerte gemacht werden kann ? Diefes Volkes Land ift Kanaan von der Grenze Aegyp⸗ tend bis Damaskus und Hamath. Seit David’s Reich zerfallen war, rechneten fich auch die Philiftäer nicht mit Iſrael zufammen, gefchweige die reichen Phönicier und die Syrer des fchönen Damaskus; ber Prophet rechnet

968 Hofmem, allleſtamentliche Ctellen und Ctäde.

fie alle zur rm ya und nemut Damaskus gleich woran, und Daun Hamath, von dem er fagt: ma-Dash muron, Daß >33 mit folgendem = bie Bedeutung habe „an etwas grenzen,” ſcheint wir fehr zweifelhaft. Sonſt heißt cd „sine Grenze maden,” entweber von dem gebyandt, welcher die Grenze sicht, oder von dem, was ale Grenze dient. Hiernach überſetze ich: „auch Hamath fo eine Brenze machen oder bilden im Lande Scharfgart,” nämlich, indem ed auch zum Lande gehört, ein Gebiet befieiben aut macht.

KRecenfionen

——

1.

Die Glanbenslehre der - evangelifch = reformirten Kirche, dargeftellt und aus den Quellen belegt von D. Alexan⸗ der Schweizer. -Erfier Band. Zürich, bei Orell, Füßli und Comp. 1844. ©. 498. XXIII. Zweiter Band. Erfte Abtheilung. 1845. S. 274.

Der Muth ded Herrn Berfaflers, der feit Langem verfanstenden Klage Troß zu bieten, daß die wiflenfchaft- liche Gegenwart bei ihrer gerfplitternden Detailarbeit oder ihrer abforbirenden Dienfifertigkeit gegen die unmittelbas ren Tageöforberungen der ausdauernden Soncentration ermangele, um dad Ganze einer Disciplin umfaflende Werke and Fichte zu ftellen, tft um ſo höher zu achten, weil er fi ein Dbject gewählt hat, das von Manchen unter :die numöglichen Aufgaben gerechnet wurde. Ich meine damit nicht jenes befannte Urtheil fehr lauter Stim⸗

men, welche. die unlengbar in der Zeitanfchanung einge tretene Erfchütterung der Principten aller pofitiven Dog» matid geradezu und in vollſter Zuverficht als den völligen Tod der gefammten Theologie proclamiren, fondern ich ſinde, daß Männer, deren Wort einen guten Klang hat unter den Wuictoritäten der Theologie, dasjenige, was der Berf. zu leiften begonnen hat, als etwas kaum Aus⸗ führbares begeichneten. So Nitzſch in der Necenfion von Tweften’s luth. Dogmatif, Stud. u. Kritifen 1836, ©. 825. Der Verf, wußte, was er that, wenn er fich von folchen

948 Sehweier

Stimmen wicht irren, fondern bloß bie Schwierigkeit der Sade zum Bewußtfeyn bringen ließ, wenn er nicht bloß, weſſen die Borrede gedenkt, die hundertiährige Brache veformirter Dogmatik durch einen neuen Auban belebte, fondern auch, um eine kirchliche Dogmatik der Refor- mirten gu gewinnen, den conſtanten Ufus der biblifchen Begründung aufgab, und die fonft fo differirenden Re thoden der Gruppirung und Behandlung zu verfchmelzn füchte, damit ein ganz im Geiſte und Tone ber ref. Recht⸗ glaupigkeit gehaltened Werk mit. einer dem gegeuwärtige Stande der Dogmatik angemeflenen Architektonik und unter dem Lichte der modernen Theslogie auftrete. Die Groß artigleit bed Unternehmens, die wahrhafte Zeitgemäfheit ber Leiflung wird Anerkennung finden, wenn and dad almähliche Drientiren über manches Ungewohnte und le berrafchende, dad und geboten wird, da und bort Zweifel erweden mag, ob denn wirklich überall Die ref. Kirchen⸗ lehre rein nud allfeitig bargefiellt ſey, ob ber Berf, wirt: lich Die unter fo divergenten Gchulformen werborgen liegenden gemeiufamen Ideen genügend erhoben, ob er wicht vielmehe Doch nur Eine Seite Ber ref, Dogmalil, einen varhersichenden Typus berielben mit allzu geringer Beachtung der anderen und wit alles raſcher Leberita gung moberner Anfchausmgen auf beufelben gegeben habe. Aber wie bem auch fen, ben -größten Dank verdient der Verf. immerbin, Daß er ein Der theolagifchen Gegenwart fo entſchwundenes Gebiet derſelben wieder nahe gebramt bat, und wenn, wie es ſcheinen wid, bie nenanftanchende Conſeſſlons polemit dabei irgendwie ſollicitirend mitwirlie, fo wollen wir es und gern gefallen laſſen, daß fie ſoiche Srüchte hervorruft, können auch Dem verbreiteten behag- lichen lnionsfisehen kein heilſameres Befchent wänfchen, als eine fo recht in die Kiefe gehende Aufhellung der differenten Principien. Ref. bat ſchon früher auf die noch angehobenen Schätze hiugewieſen, weiche die altıt

x

die Glaubenslehre der evangeliſch⸗reformirt. Kirche. 949

formirte Dogmatif in fich birgt, und freut (ich nun, im Berf. einen rüfligen Bearbeiter biefed Schachtes zu Nu⸗ Gen und Frommen ber Gegenwart zu finden. Einleitungsweiſe beginnt der Berf. mit einer Ders äudigung über den eigenthümlichen Geiſt und Charakter der reformirten Gonfeffion, welchem vielleicht unnöthig, oder wenn ja paflend, dann in faum entfprechender Kürze eine Sharakteriftit des Proteſtantismus Kberhaupt gegen den Katholicismus Yorausgefchicdt wird. An derfelben it für das Folgende nur von Belang, was er über bie wei Typen fagt, in welden fi der Proteſtantiomus verwirklicht hat, in vier Saͤtzen, welche feine Auficht liber dad Weſen der Differenzen und über die ethifche Stel⸗ lung beider proteftantifchen Kirchenparteien zu einander ausbräcden und wovon ber erfte Sat (©. 5.) fo lautet: „Die Berfchiebeuheit beider proteſtantiſchen Typen tft nicht ald eine nur geisgentliche, zufällige, bloß in gewile fen Lebrpunften vorhandene aufzufaflen, ſondern als durchgeführte coufeſſionelle und kirchliche Befonderheit.“ Mag dieſe Behauptung vielen Theologen der Megenwart fehr. ungewohnt lauten, fo ift bieß eben assch ein Reichen, wie .nöthig ed wer, Daß einmal Durch eine zufammens bängenbe und eingehende Darfichung des reformirten Lehripftems dem fchwächlichen Geſchwaͤtze, dad ſich in Kolge der Uniensbeſtrebungen über die bogmatifchen Differen⸗ zen breit macht, ein Ziel gefeßt werde. 6. 2, zeigt, daß der refarmirten Eonfelfion im Unterſchiebe vom Iucherifchen Typus ein eigenthäwlicher Geiſt und Charakter innewohnt, der ſich in der ganzen Dogmatik, wie im kirchlichen Les ben Tundgibt. Die Bewertungen bed Verf. zum Nach⸗ weiße feiner Theſe gegenüber der oberflächlichen Meinung, ald ob a6 ſich bloß um etliche. Controverspuntte handle, find eben fo überzeugend, als einfach, indem er zeigt, wie Die werfchiedenen Gontroverfen weder bloß von eres getifgen, noch von ſpeculativen Differenzen ausgehen,

950 Schweiger

noch auch ohne inneren Zufammenhang find, und wie felbk einzelnen ref. Lehrern die einheitliche Duelle der Beſonder⸗ heiten ihres Lehrbegriffe zum Bewußtſeyn kam. Die einheitliche Duelle muß: fofort von der Urt feyn, daß je der Eontroveröpnnlt daraus abgeleitet und diefelbe Be fonderheit der Geiſtesrichtung in den vom Gtreite [ches bar gar wicht mit ergriffenen übrigen heilen des Lehr

begriffs nachgewiefen werden kann. Ein weiterer Schritt

it fofort, zu zeigen, daß die gemeinfame eimheitlice . DOnelle der Differenzen in einer eigenthumlichen Befliumt- beit des Seldſtbewußtſeyns, sicht außerhalb deſſelben, ewe in der vorhaudenen Weltanficht berube. Zu dem Erde werden die Mbleitungsverfuche der bedeutendften Theole gen durchgegaugen, unb das Ungenügende derfelben nad. gewiehen. Weder in politifchen Verhältniſſen, noch in ſoientiſiſchen oder pſychelogiſchen Eigen humlichkeiten der Reformatoren iſt der Grund der verſchiedenen Kircher⸗ nud Lehrbildung zu ſuchen. Auch die von Auberen [chen

angedenteten Erklteruugen aus eiwer eigenthämlichen reli⸗

diöſen Duelle werben beigebracht wub ungenügend befu den. Wenn dieß auch -mit der von Herzog gegebene gefchieht, weiche der Werf. dennoch wieder im Weſent⸗

lichen. als feine eigene aufnimmt, fo wäre ein weiteres

Eingehen anf die Auſicht dieſes Belchrien: erwänfct gu weten, fchen damit alle Gerechtigkeit erfüllt und bemfelben das Berbieufi eines höchſt glücklichen und lichtvollen Ap- porgu,, webches ſeitdem fo ziemlich fihen ale Bemeingnt behaudett wird, in dieſen Werke gewahrt werbe. Eigen: thumlich . gehört dem Verf. an der durch eine Ueberſich ber vefonmirten Dogmen gegebene Nachweis der antipe ganifcyen Gruudrichtung des reformirten Yrotekautidun. „Dar alle befonderen Dogmen ber ref. Gonfeſſlon zieh! fich alfo die gemeinfame Grundrichtung, alles Heil, alın Heilsentfcheid, alle Heilswirkſamkeit ſchlechthin allein Gott azuzuſchreiben, als der unbebingt Alles beftimmenben Mad

die Glaubenslehre der evangeliſch⸗reformirt. Kirche. 951

nirgends hingegen das Heil von creatärlichen Eutſchluſſen, Handjungen oder Dingen und Ceremonien abhängig, oder Gott in feinen Rathfchlüffen dadurch bedingt, oder auch nur mit beftimmt zu benten.”

Der Berfafler fährt fort zu zeigen, daß diefes Prin⸗ cip ſich aud Einfluß verfchafft habe auf Diejenigen Dog men, in welden Feine beftinmte Gontroverfe hervorge⸗ treten iſt, daß das ganze traditionelle Material dadurch modifteiet worden fey. Hier wird ſchon von der Satis⸗ factionstheorie in einer Weife gehandelt, die allerbinge ald Eonfequenz des firengen Denkens erfcheinen muß, bie wir aber fpäter zu befprechen Gelegenheit haben werden. Gebt geht der Berf. zuräd und beleuchtet bie oben anger "führten Erflärungsverfuche näher, indem er fie zum Theile ganz zurüdweilt, ale befeitigt burch dad gewonnene Res fultat, theild ihre bedingte, fecundäre Geltung angefieht, fo der humauiſtiſchen Bildung des Reformationdzeitalters. Den Schein eines Widerfpruch® vermeidet er nicht, wenn er (S. 28.) fagt: Die reformirte Eonfeſſion it im Unter⸗ fhiede von der Intherifchen namentlich aus ſtärkerem Einfluffe der bumaniftifchen Bildung zu begreifen”, nach⸗ dem er oben diefen Unterſchied Doch auf eine audere Ei⸗ genthümlichkeit des religiöfen Selbſtbewußtſeyns redutirt hatte. In der Ausführung befchräntt ex jenen Satz wies der auf einzelne Dogmen, deren Qualität er früher gleich- falls von jenem Einen Grundprincipe abgeleitet haste, Natürlich wird mit biefem Humanismus in Berbindung gebracht das kritifche Princip ber alleinigen Anerkennung der h. Schrift als poſitiv normirendes Prineip. Daun aber wirb die flärtere Hervorhebung der h. Schrift wies der abhängig gemacht von der. überwiegend antipagani⸗ (hen Proteftation, und zulegt aus der Alles beherrſchen⸗ ben und beftimmenden Grundrichtung begriffen. Diefe Grundrichtung, Beſtimmtheit der. hriftlichen Froͤmmigkeit, Geſiunung, Tendenz, Jntereſſe ıc., wird beſtimmt im Ges

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gerfade des Intherifchen Princips der Redgtfertigung vdurch den Glauben, das ein authropologifches fey, als vas theologifche der alleinigen Abhängigkeit ſchlechthin von Bott. Auch das wird vielen Ohren ungewohnt and widerwärtig Ningen, daß dad Princip der Rechtfertigung durch deu Glauben nicht Bas Marerialpriucip der refer mieten Kirchenſehre fey. Aber darin wird der Verf. ſieg⸗ reich Recht behalten, gefeht auch, daß feine Befliunmung des reformirten Materiatprineipe noch angefochten wer⸗ den könnte, Daß das Bewußtſeyn fchlechthinniger Ab: hängigfeit alles Ereatärlihen von Bert das eigentliche Matertalprimeip der reformirten Confeſſton ſey, nicht ein Dogma neben andem, fondern die alldurchdringende Seele im der ganzen. Dogmatit, das erweift er zumal ans dem ihr eigenthumlichen Lehren, ſodaun amd ben ie neren Streitigkeiten ımd aus den vorzüglichſten Angriffen wider dieſe Gomfeffion. Die eigenthümlichen Lehren wer: den nach Budde und Stapfer angeführt, auch der Gtreit über die Fundamentalartikel und die Zuläffigkeit einer Maion hierher gezogen und nachgewiefen, daß ſelbſt über bas formale Schriftprincip das materiale der gioris dei geſlellt ſey. Die Innern Streitigkeiten antangend, fo de wein fon die amabaptifiiiche Negung, welche iw ihrem bogmatifchen Grunde nur eine gefühtig ſchwärmeriſche Ueberbietung des veformirten Principe war und amd von Zwingli dafür erkannt wurde, ſowie die antitrinitariſche, ale eine in der Edionitismus zuruckgehende verſtandes⸗ mäßige Proteſtation wider den Paganismus, für die an gegebene Eigenthümlichkeit des Princips. Godanı bildet der Arminianismus eine mißverftändliche Reaction gegen dieſes Doch im Ganzen wieder anerkannte Princip ſchlecht⸗ hiniger Abhängigigkeit, wie auch die Theologie von San mar, wogegen bie dortrechte Befchtüflfe und der consensu bie Grundeigenthümlichkeit vor ihren Abſchwächung fchüßten. Damit hängt zuſammen ber Hauptvorwurf,

die Glaubenslehre der evangelifchsteformirt. Kirche. 953

daß das Syſtenm Gott zum Urheber der Ghude made, daß es bie Freiheit aufhebe und bie Meral untergrabe, Diefe beideu werden erklärt und: Bad Wahre davon anf jenes confequent fefigebaltene Princip redneirt.

Ohne Zweifel liegt eines der Hauptverbienfe vorlie⸗ genden Werkes in diefer Debaction, und fowohl bie in» geniöfe Heuriſtik, ald der Scharffinm und die Gelehrfams teis, womit die Momente zuſammengeſtellt und auf das beabfichtigte Ziel hingelenft werden, mäflen Anerfeunung finden. Ueber dad Refultat felbk und die gewomene Eaflung des eigenthämlichen Principe iſt noch ein gewiſſes Schwanken der Aufichten bemerkbar. Reformirte Theo: Iogen haben ſich über diefen Punkt nur mit zweifelndem Bedenken erilärt (ſo im fchweizeriichen Kirchenblatte). Allerdings find die Ausſtellungen und Bedenken etwas nunfiher. Nur Eines fcheint beachtenswerth, daß der Verf, fo ohne Weiteres das Princip Ber reformierten Dogmetif und das eigenthümliche Princip der veformirten Confeſſton ober Kirche identiſch nehme, Freilich kann dieß nicht ge⸗ nügen, dem Verf. entgegenzutreten, noch weniger, wenn Andere bloß von einer willkurlichen Uebertragung fchleiers macher’fcher Kategorien auf das alte Syſtem ſprechen. Die Wichtigkeit der Sache und der Wert des vom Berf. in jebem Kalle GSeleifteten, das nothwendig von jebt an der Audgangspundt jeden dießfallſigen Discuffion werben muß, erfordert ed, bag wir hier etwas tiefer eingehen. Wenn er am Scluffe (S. 83.) zuſammenfaſſend fagt: „So iſt der reformirte Lehrbegriff gegen die paganifch anfgefaßten Mißbrauche der. Kirche confequßnt auf das ſchlechthinige Abhängigkeitögefühl aufgebaut ıc.,’” fo kann man fürs Erſte zugeben, daß hiermit die Tendenz und das Intereſſe der reformatorifchen Lehränderung bezeich: net fey und daß eine mit folchem Ssutereffe zufammenr bängende Gautel die ganze folgende poſitive Dogmenge- Raltung bee veformirten Kirche geleitet habe, befonbers

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im Gegenfage gegen bie Intherifche, in welcher man im⸗ mer noch katholiſche Reſte zu bemerken glaubte. Allein damit ift doch keineswegs das materiale Princip diefer : Dogmenbildung ſelbſt gegeben, fonft müßte fih ja ame jenem ſchlechthinigen Abhängigkeitsgefühle die Lehrerpli- cation ableiten laffen. Run aber ift das geſammte Ma⸗ terial der Dogmen dad traditionell Uebernommene, wenn auch mit Borherrfchen der Anficht, es bioß.der Schrift entnommen zu haben. Das Bewußtſeyn des Gündens elends umd ber durch Chriſtus gefchehenen Erlöfung iR fo ſehr der Brundton auch der reformirten Frömmigleit und deſſen Ichrhafte Firirung fo fehr audı die Hauptauf—⸗ gabe der rveformirten Dogmatik, daß man wohl fager kann: in ber Art, wie jenes Bewußtſeyn im Bubjecte verwirklicht und wie es von der Dogmatif Ichrhaft ſi⸗ rirt wirb, if allerdings das Gefühl der fchlechthimigen Abhaͤngigkeit von Bott witgeſetzt, und biefes gibt jenem Stoffe feine beſtimmte formelle Geſtalt; allein dieß Ge fühl fchlechthiniger Abhängigkeit ift nicht das urfpräng lihe Grundgefühl, welches jemed Bewußtfeyn gleichjam . trägt und aus fidh hervorgehen läßt, fondern bafelbe entfieht für die reformirte Frömmigkeit erſt aus dem Be wußtfeyu der Sünde und Erlöfung und mobifteirt fo rea⸗ girend dieſes Bewußtſeyn wieder auf eigenthümliche Weile. Der Urquell des Autipaganismus iſt nicht jenes ſchlecht⸗ binige Abhängigkeitegefühl in feiner abftracten Geſtalt, fondern das Bewußtſeyn des alleinigen Heils in ort burch EChriſtus. Kürd Zweite muß zwar allerbings eine gewiffe Einheit des urfpränglichen Reformationsprincipe und des Principe der reformirten Lehrbildung feftgehal: ten, aber dabei muß ein Zweifadhes wohl beadytet wer den, einmal, wie fid dad Reformationspriueip gerade in feiner urfprünglichen Aeußerung zu ber Dogmenbilbung überhaupt verhalten hat, fobann, wie der allmähliche Aus: bau des Lehrſyſtems von wmannichfaltigen anderen Ein:

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die Glaubenslehre der evangelifchsreformirt. Kirche. 959

fiaffen bedingt war. Allerdings gehört das leßtere mehr der dogmengefchichtlichen Betrachtung an, aber auch die rein ſyſtematiſche, fofern fie doch eine verſtändliche Res production des gefchichtlih gegebenen veformirten Lehr: foftems feyn will, kann fi kaum von einer Rüdfichts nahme daranf diöpenfiren, wenn fie nicht z. B. was bloß nachweisbare Schulconfequenz iſt umb Product der bes Rimmten Zeitform des objectiven Bewußtſeyns, übereilt and jener angenommenen Grundbeftimmtheit des from: men Selbſtbewußtſeyns ableiten will. Die treibende Seele der Reformation Zwingli’d war nun anerfannt die Tens denz, die rechte Gottesverehrung herzuſtellen, das ger fammte religiöfe Leben zu reinigen. Als Norm für diefen praßtifchen Zwed, al6 Antrieb und Grundlage für das praktifche Berhalten der Frömmigkeit Überhaupt war ihm das rveinere Gottesbewußtſeyn aufgegangen, galt ihm

: jene alled Greatürliche durchdringend überragende gött

: lihe Allwirkſamkeit. Um das durch folched reinere Gots

: teöbemußtfeyn beftimmte hun des Subjects hambelte ſich's ihm vor allem, weilmur in folder Gottgemeinfchaft

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dad Heil des Subjectö beſteht. Es möchte nun nicht fchwer feyn, wachzuweifen, daß die gefammte eigenthüumlich res formirte Dogmenbildung , fofern fie auf religiöfe Brände snrüdgeführt kaun werden, demfelben Impulſe folgt und dad puenmatifche, gottbeftimmte, der Bottbeftimmtheit be; wußte Handeln, das perfönlich thätige Mitbetheiligtſeyn des Subjects bei den Gnaden⸗Z und Heildacten Gottes, durh Die Blanbenswahrheit hervorzurufen und alfo die glorla dei auszubreiten firebt. Hierher gehört die ei⸗ genthämliche praktiſche Myſtik fo vieler Antworten des

heidelberger Katechiömus, fo wie. der felbft in fcholaftis Shen Eompendien den Kapiteln angehängte usas practicus, Ich fagte oben nicht ohne Urſache: fofern fie auf religiös

ſen Grund zurüdgeführt kann werden, benn allerdings hat, wie bei Zwingli u. 9. die milde, fo häufig Thbeol. Stud, Jahrg. 1847,

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und gerabe bei deu Korpphäen der Dogmatik bie jari: ſtiſche Bildung , fpäter die philoſophiſche Schullehre dei Remus (bei den Genfern feit Wedel herrſchend) und Car⸗ teſius ſehr bedeutend eiugewirkt, Uebrigens hat gerad jene praktifche Tendenz des Dogma bem Zug anf Ber ſtaͤndigkeit fo mit fich geführt, daß ſich hier gar leid jede Reflexionsphilofophie anfchließen konnte. Wollte ma nun die ſyſtematiſchen Eonfequenzen des Determinidmu, welche ſich immer weiter ins Einzelne entwidelten, mi Abſehen von der dualiftifchmechaniichen Weltanſicht, we durch fie mobiftcire wurden, doch auch von jenem religis fen Grundgefühl ableiten, fo würbe man verkennen, wu gerade bei Calvin, indem doc das religiäfe Erunbgefäll am lebendigen war, fie nicht gezogen Find, wie ſeht bald die freie Bewegung der Dogmatif bei ſtockender Pal firung des frifchen religiöfen Lebens in eine fleife Conſer vation ded gewonnenen Syſtems überging , welde bie noch eine formelle Bewegung gefattete, und wie gerade um die Zeit des Abſchluſſes ꝓurch die bordrechter Synede bei den Theologen dad Bewußtſeyn ausgeſprochen wer, daß man in folchen Eonfequenzen nur ber sana ratio felj‘ (Vedelius, Rationale theologicum in der Debicatiet: Drittens fällt es auf, daß der Verf., der den Anabaptile und Unitariern die Ehre anthut, fie zu Zengen bed 1m formirten Principe zu machen, vom Methodismus, we cher fich gerade au der Älteren, reineren euglifchen kitlo ratur aufrankte und in weiten Kreifen ber ihr Blanker* bewußtfenn reflitnirenden reformirten Kirche eine Mad! geworden if, fchweigt und den Pietismus fo hartsälü dem reformirten Weſen entgegenfebt, ba doch gerade fr formirte Einfläffe auf Spener biftorifch gewiß find sm ein Eindringen reformirter Eigenthümlichkeit in das kuther thum durch den Pietismus anerfannt iſt (Gobel). Den ker ren bIoß ald Reactiongegen das lutheriſche Princip derKedt fertigung aflein burch Den Blanben aufzwfaffen, iſt jedenfele

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die Blaubenslehre der evangelifchsreformirt. Kirche. 957

ungenan, denn biefe Thefe ſtand den Pietiften ſtets fe, aber den Glauben und die Rechtfertigung beftimmten fie reformiert. Bei dem Gebrauche, der von den Anabap⸗ tiften und Unitariern gemacht wird, fcheint ed nothwendig zu feyn, baß der Berf. auch die charalteristifchen Unter⸗ fhiede der reformirten Richtung von der auabaptiftifchen and muitarifchen beſtimmter herandgehoben hätte; dieß um fo mehr, da er die Eonfequenz ber reformirten Lehre fo fehr rühmt und den Anabaptiömud doch auch nur für eine ertreme Conſequenz des reformirten Principe ers klärt. Wenn er jenes that, fo würde er auf eine Ans fiht von der Geltung des Aeußeren, von hiftorifcher Eutwickelung und Gontiunität der Tradition geführt wor⸗ den feyn, weldhe einige Mobificetion in feine Beſtim⸗ mung bes reformirten Principe gebracht hätte. Biertens: daß der Arminianiömus, wie der Berf. zeigt, felbit faſt kirchlich werden konnte, alfo echt reformirt und nur eine temperirte Orthodoxie iR, daß fogar die fchärfere Faſ⸗ fung ber Lehre zu Dordrecht ihm gegenüber nicht die fs pralapfarifche Conſequenz auöfprach: beides könnte man umgelehrt ald Beweid gegen den Verf. geltend machen, wenn er die Seele der reformirten Confeſſion in dem theologifchen Principe ber abfoluten Determination durch Gott findet. Gerade bie dordrechter Verhandlungen zei⸗ gen, wie ed fo wenig als bei Auguflin die Theologie war, aus weicher jene Lehren .entfprangen, fonderu ber anthropologifche Boden, das Gebiet der individuellen Heilsgewinnung, gleichwie hier die arminifche Abwei⸗ hung entſtanden war. Alle theologifchen Säte find of fenbar bloße Hülfefäte und drüden nicht die Alles beftims . mende GÖrundanfchauung aus, fonft mußte die Scheu vor dem theologifch nothwendigen Supralapfariömus über: wunden werden. Der Kampf gegen Saumur ift unleugs bar bloß eine Frucht der Schulfteifheit, da weder bei ben Solmurienfern ein geringeredö Gewicht auf. die 64 *

958. Schweizer

zuletzt Alles bedingende Heilsgnade gelegt wurde, neh bei den Gegnern, die fi bloß an dem abweichenden Ausdrucke Kießen, eine Entgeguung vorkam, welde anfbie geradehin theologifchen Gründe jener Abweichung einging, vielmehr noch in der nachzitternden Augſt z. B. der Züricer diefe Neuerung gerade nur die Furcht über die Befähr dung der reinen chriftlihen Moral hervortritt. Yänftens laͤßt ſich gegen die argumentative Benupung der Lehr fireitigleiten innerhalb der reformirten Kirche, fo gtäd

lich im Allgemeinen der Gedanke derfelben it, bod Feb

gendes bemerken: Zu einer Induction reichen bie ange führten nicht bin, geſetzt aud, was wir wicht zugeben tönnen, daß fie durchweg ins rechte Licht geſtellt wäre. Sind fie auch die für Die Sefchichte der reformirten Kirct wichtigften, fo find fie gerade für die Lehrbildung nic die wichtigften. Selbſt die Bäter von Dorbrecdht ware nur confervativ; Nemes ift bei ihnen nicht zu Tage ge fonımen. Sie find aber and wicht vollfländig. Di Streitigkeiten mit den Antinomiften (ferilich meint de Berf., die reformirte Kirche fey von Aminomismus fi geblieben), die übrigen Streitigkeiten mit den Solmuries

fern (Zurechnung), ja felbfi die über Infpiration der de

cale find dogmatifch auch höchk- bedeutend geweſen, die

Iegtere namentlich von Bewußtſeyn begleitet, die ref mirte antipaganifche Eigenthümlichkeit gu bewahren. Tab lich die fo intereffante und eingreifende pißcatorifche Com troverfe über den thätigen Gehorſam Chriſti, von web cher eine angenfcdeinlihe Modification der Lehre vom Amte Ehrifti herbatirt, wird wohl nicht weniger in Be tracht kommen dürfen, wenn es ſich um Belenchtung dei reformirten Princips durch die inneren Lehrbewegange handelt. Mit Nüdfiht auf dieſe, den obigen beigefelt, ließe fich wenigftend eben fo gut fagen: das eigenchäm liche Princip der reformirten Doctrin wurzelt im DM praftifchen Lehren der Anthropologie. Cine eigentid

die Glaubenslehre ber evangelifchereformirt. Kirche. 959

theologifche Arbeit hat die Kirche in ber griechiichen Blü⸗ thenperiode verrichtet, und ed gehört zu den auerfannten Geſichtspunkten der Dogmengefchichte, daß die gefammte abendländifche Dogmenbildung von der Anthropologie audgehe. Sollte nun die Reformation, diefe Emancipas tion der Bnbjectivität, und zwar gerade die reformirte Reformation, dieſe vollſtändigſte Emancipation des Subs jectd, jene unbegreifliche Anomalie darftelen? Sollte das Eine Prädeflinationsdogma (denn von dem übrigen theos logiſchen Inhalte ift ja zugegeben, daß er im reformir; ten Spfleme kanm eine eigenthümliche Behandlung er- fahren bat) hinreichen, biefe Behauptung zu begründen ? Immer mößte dann wenigfiend die theologifche Ratur des Prädeſtinatiousdogma's ſelbſt ficherer fteben.

Hat der Verf. auch entſchieden Recht, Lange's Ent⸗ gegenſetzung der lutheriſchen und reformirten Doctrin, wonach jene von der Theologie, dieſe von der Anthro⸗ pologie ausgehen ſoll, zu verwerfen, fo möchte feine um⸗ gefehrte Theſe eben fo wenig bewielen ſeyn. Ueberhaupt it mit folchen Kategorien gar wenig gewonnen; eine fchein» bare Begründung läßt fi immer geben, Ref. wäre z. B. nicht verlegen, durchzuführen, daß die Iutherifche Docr trin hauptfächlich chriſtologiſch, die reformirte pneuma⸗ tologiſch ſey. WIN man das Iutherifche Princip ber Rechtfertigung durch den Glauben, das ja ein göttliched Thun auf den Menfchen febt, ein anthropologifches neus nen, fo if das reformirte der fchlechthinigen Abhängig> keit, wenn wir und diefen Ausdruck gefallen Iaffen, nicht in höherem Grade ein theologifched, fondern nur ein abs ſtrakteres. Goncret wird ed dem reformirten Frommen nur als Bewußtfeyn der Gemeinſchaft mit dem heilfchaffen- den Gott, das bad Bewußtfeyn des Heilsbedürfniſſes vorandfeßt und fich vollendet in der certitudo salutis, nämlich ald der durch Ghriftus gewonnenen salus des Subjects. Wir werden fomit beide eben fo theologifch

960 . Schweizer

wie anthropologifch nennen dürfen. Iſt doch bie gloria dei uur ald etwas, bad auch durch mich und au mir fel verwirklicht werden, und worin id) eben weine Seligkeit habe, Princip der Religion, und zwar fo gut ben Luther ranern als den Neformirten. Die eigenthümliche Ber: fchiedenheit beider Doctrinen liegt ganz anderswo, ald woher fie Lange und der Berf. ableiten. Es iſt eine an⸗ bere religiöfe und ethifche Pſychologie, welche ſich mit Hinzutreten objectiver Begriffe zum verfchiedenen Dez: menſyſteme geftaltet und den traditionellen Glaubens off eigenthümlich modifteirt. Auch hier möchten Herzogs Andentungen die richtigen Fingerzeige enthalten. Der Lutheraner bebarf bei vorherrfchendem Schuldbewußtſegn

ber Rechtfertigung. Er gewinnt fie in dem durch dm |

Geift gewirkten Glauben an Chriſtus. Der Moment, da dem landen die Rechtfertigung wird eben als ein

objectine göttliche Action, deren Gegenftand das Subjet it, iſt bier der eigentlich prineipale. Mit ihm beginnt der Gnadenftand für den Lutheraner, deffen Gottes:

wußtſeyn vornehmlich ift der Koefficient des zurecdhnenden Gewiſſens. Der Reformirte hat vorherrfchend das Gr fühl der Hemmung, des Elendé; er bedarf der fördern den Heilung. Diefe beginnt mit der Entftehung dei Glaubens. Der Glaube, wenn rechter Art, eine wirt lihe unio cum Christo, hat ſchon im erſten Moment alle Heilsſchätze in ſich und die einflige Seligkeit gewiß, wenn ihm gleich diefe Gewißheit erft nach und nad auf geht, Aber ob ich den rechten Glauben habe, alfo mit Ehriſtus unixt und feiner Gnadenſchätze theilhaftig bir, deſſen kann ich nur gewiß werben durch meine Werfe. Das religiöfe Selbſtbewußtſeyn hat fih ale ſolche⸗s nat feft in der Energie des Willend. Der objective Grund meiner Werke, ald wozu ich durch den Glquben ſtets ge⸗ trieben bin, und meines Glaubens, als ihrde Wurzel, iR Gottes wiedergebärende Gnade. Hire if} nicht bie ZA

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die Glaubenslehre ber evangelifchsreformirt. Kirche. 961

Iung ded Glaubens mit Rechtfertigung, fondern die Ent: Rehung des Glaubens ſelbſt der principale Punkt; das Sottedbewußtfeyn hauptfächlich der Goefficient des ans treibenden , vorfchreibenden Gewiſſens, das als h. Geiſt in der novitas das Alte andlöfcht. Hierauf berußt der Intherifche Borwurf der judatftifchen Gefeblichkeit, hierauf aber auch die Rothwendigkeit, eben um das Bewußtſeyn des Heild aus Gnaden feitzubalten und die Dazu nöthige Reinheit des Strebend zu wahren, ed ſchlechthin auf Gottes Than, auf die freie Bnade, auf den ewigen de- lectus gnrüctzubegiehen: Bon diefer Seite, alfo ausgehend von der. beiderfeitigen Berfchiebenheit des religiöſen Les bene felb und ben darauf bezüglichen boctrinellen Feſt⸗ kelungen, würde ich die Eigenthümlichkeit der reformir« ten Lehre im Gegenfaße zu der Iutherifchen zu beftimmen ſuchen und gerade glauben, die religiöfe Eigenthümlich⸗ feit reiner zu erhalten, ald auf dem Wege des Verf, weicher Baum gegen die Befahr geſchützt feheint, feinem ziemlich abfkracten Principe durch bloße fecundäre, fchon der Schulwelßheit angehörige Hälfsvorftellungen fcheins baren Nutzen zu geben und daher eine reiche Entwicke⸗ lang eigenthümlich reformirter Glaubensvorſtellungen ig» noriren oder befeitigen zu müflen. eine Geringadtung ber Gonfeffionsichriften, feine völlige Nichtbeachtung der fo lehrreichen nnd an dogmatifcher PBräciflon nicht zurück⸗ ſtehenden Tatechetifchen Fitteratur (nur Leydecker ift anges führe) fcheint von einer Anficht bedingt, welche bie eis gentliche Syſtematiſirung höher ſtellt, ale die Natur der veformirten Doctrin erlanbt und ſich das Berhältniß bes Dogma’d zur elementaren religiöfen Vorſtellung übers haupt burch das Intereſſe des objectiven, philofophiichen Erkennens trüben läßt. Freilich, da der Verf. nicht bloß, was er zumäghft verheißt, eine unferer Zeit verftändliche Darlegung: 8‘ orthodoxen Lehrſyſtems der reformirten Kirche geben: wollte, fondern fein Buch auch dazu bes Me Fr :

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962 5 Schrweiger

ſtiennt hat, in demſelben ein Muſter confequenter Durch⸗ arbeitung zu zeigen, das für die Weiterbildung ber Dog⸗ matit überhaupt dienen fol, fo wird er für fein Berfab- ren das Recht der Eigenthümlichkeit in biefer Beziehung um fo mehr in Anfpruch nehmen dürfen, ale er fi da mit nur den von ihm verzeichneten Borgängern anfchließt, welche der jededmaligen Zeitphilofophie einen fehr großen und temperirenden Einfluß geflatteten, überhaupt aber die reformierten Dogmatiler der Uebereinſtimmung mit der sana ratio auch vor GSartefind ſich geru erfreuten. Kap, II. behandelt die Geſtaltung und Litteratur ber reformirten Dogmatik faumt den Onellen, aus welden das Lehrfuftem gefchöpft wird. Die fogenaunten Gym bole reichen nicht and, um daflelbe vollftändig und feharf zu entwideln. Sie werden auf eine Art charakteriftt, wie bieß. wohl fonft von Intherifchen Polemikern gefchab, nämlich ald der eroterifchen Lehrart angehörig, hinter der fih eine efoterifche, Die eigentlich dogmatiſche, verbarg. Der fel, Scheibel fände bier feinen Lieblingsvorwurf von seformirtem Spiepriefteethume beflätigt. Nur aus ber Schuldogmatik fey gu ſchöpfen, wobei die gerühmte Gen fequenz zu Hülfe tomme, dad eigentlich Kirchliche von Privatanfichten zu unterfcheiden (9). ine Ueberſicht der Haupteutwidelungen der Schuld ogmatik ſchließt ich an, - welche mit einer Charakteriſtik Schleiermader’s im Ber hältniffe zum reformirten Lehrſyſteme eudigt und fobanz die verfchiedenen Methoden befpricht, die aber alle zuleht auf Einen Grundtypus zurückgehen. Wir können uns bei dieſem werthvollen Abſchnitte, in welchen der Verf. eine ſeltene Bekauntſchaft mit den älteren Dogmatikern ver räth und höchſt lehrreiche Fingerzeige gibt, nicht anfhal⸗ ten und bemerfen bloß, baß er der reformirten Dogma tif al& einer wefentlich fpeculativen Die deducirende Mer thode vindicirt, welche, von der Idee Gottes ausgehend, zu feinen idealen Thätigleiten und beren realer Ausfäd

die Glaubenslehre der evaugeliſch reformirt. Kirche. 963

rung fortſchreitet. Der Intherifchen Dogmatik, meint er, fey die Methobe aufgegeben geweſen, welche vom Men⸗ fhen ausgehen nud bei Gott und feinen decretis enden follte._ Nun fey .diefe aber fchon von Melanchthon vers wifcht werden, welcher ebenfalls fpeculativ vom Grunde aller Dinge, von Bott, ausging, daun zu ben Mitteln der Seligkeit, zur Beſtiumung des Menfchen überging, was dann bid Calirt conflaut geblieben ſey. Es mund nun höchſt auffallend erfcheinen, daß die Imtherifche Dog» matik gerade in der Zeit der räftigftien orthoderen Blüthe ſich der reformirten Methode bedient, alfo gänzlich ihre eigene Natur entäußert haben fol. Zu diefem Auffallen« den anf der einen Geite kommt ein nicht minder Auffals lendes anf der auderen. Wie fern ift gerade Galein, dee Bater der reformirten Dogmatil, von diefer Methode? Zwar ſucht ihn der Berf. (S. 100.) ganz anf demfelben Gange zu finden, geht aber flüchtig darüber hinweg umb führt felbfk eine Ausnahme au, welde geradezu die ganze Behauptung vernichtet. Sodann aber it wohl zu beach» ten, daß feit der Ginführung des heidelberger Katechts⸗ mus auf den meilten reformierten Lehranfalten der dogs matifche Uinterricht nur in: einer Analyſe dieſes Lehrbuches beftand, das von jener Methode am allerweitchten ent⸗ fernt if. Diefe ganze quantitatio fo audgebehute nnd qualitativ fo mannichfaltige Elaffe Dogmatifcher Lehrbu⸗ cher, als beren erfied Ursini explicatto erfcheint, und welche die bisherigen loci commımes, die auch gar nicht dedu⸗ cirenb waren, ablöften, muß der Berf, ignoriren, um feine Theorie von der dedneirenden reformirten Methode feftzubalten, welche nur von einer verhältnißmäßig Fleis nen Zahl von Dogmatifern befolgt wurde. Schon das Weitere, was ber Berf. als befonders charakteriftifch für Die reformirte Behandlung anführt, Die fehr beliebte Unterſchei⸗ dung ber Födera nnd Delonomien, weift aufeine ganz andere, als jene fpecnlativo dedneirende Methode hin. Gerade'in dem

Buubeöverhältuiffe wird eine Gelbkäudigleit des religiſer Oubjectö geſetzt, welche beider theologifchen Debuction dei Berf, ich nicht wohl ergibt, und ſelbſt die Ginkleibun bed ewigen Heildrathfchinfies in bie Form einer Bunder⸗ verbaudblang ift angenfcheislich nur Übergetragen and der unmittelbaren religiöfen Berhältuiffe ded Jadivibuume. Höchft erwänfcht für Die Mehrzahl der Leſer wird die Ueberficht der bebentendfien reformirten Dogmatiler feys ($. 22.), da dieß ganze Tilteraturgebier zu ber terrı = ooguita deu neneren Theologie gehört und in den Gem: pondien der Dogmengeichichte kaum won dem einen od audern Rotiz genommen if. : Ueber bie Art ihrer Be nusung ‚Außert ſich der Verßẽ dahia⸗ daß für jede Ent wickelyugophaſe einige anerfisinte. Lechrbucher zu gebras: hen: ſeyen. In der Borrebe gibt er aber zw, daß hierin beine: Gleichmäßigkeit herricht. Ref. wärde:ale hierin ar zuſtredendes Ziel betrachten, für jeden Lehrſatz aus alın befonderen Schulen die Hauptzengen zu wählen un biefe um ‘die fymbolifchen Beſtimmungen 'umb die um fprünglichen FZaflungen der Reformateren zu gruppise. Aus diefer Mannichfaltigkeit der Erpefition Kieße ich au ficherieu das gemeinfame Riformirte, wie es burd alt seitlichen Formen und Methoden burchichlägt, erfcams; die einzelnen Dogmen ließen fich in größter Reinheit faf- fen, und das ſcheint für den Augenblick wichtiger, ald bie Sphtematifisung, weßhalb Ref. bei aller Auerfeuauss ber nom Verf. gewählten Architektonik, auf die wir frd ver zurücdtommen, doch die urfprüngliche Localmethode gewählt wänfchte, welcher nur eine genane Gherakıri Rit der. auderen complicirteren Methoden voranszuſchider war. “Sehr geiſtreich hat der Verf. die alte Unterſcheu dung von foedns neturae unb gratise und bie fpätere vor religio ‚neturalis und revelata auf einander rebacirt zn darauf feine @incheilung ber Dogmatil gegründet, ab! eben dadurch, auftatt beiden gewöhnlichen Methode

die Blaubensiehre ber evangelifihereformirt. Kirche. 965

gleichmäßig zu Ihrem Rechte gu verhelfen, eine britte neme geltend gemacht, von welcher ſchwerlich wird gefagt were den Birnen, daß fle in gleichen Grade der altreformirten Behandinngsart der Dogmen, mie den Begriffen der modernen Religionsphilofophie entfpricht. Ueberhaupt iſt nicht zu verfennen, daß der eigentlichen Religionsphis loſophie ein Einfinß geftatter ift, wie ihn wohl faum nur die eine und andere (Schule der reformirten Dogmatif würde gutgeheißen haben, und wedurd der größte Theil der Schulen abgehalten werden würde, firenge Drtho⸗ dorie anzuerkennen. Hätte der Berf. babei nur dasjenige _ abgewifcht, was in der älteren Dogmatik der bamaligen objectiven Weltanfchauung angehört, und dafür den al ten religiöfen Stoff nur in der modernen Vorſtellungs⸗ und Begrifföform verarbeitet: fo wäre fein Berfahren im Allgemeinen wohl über Einwendungen erhaben. Us lein es if fehr Die Frage, ob durch die vorgenommene Umgeftaltung ber Gehalt des fromm empfindenden Selbſt⸗ bewußeſeyns, das fpecififch reformirte Gefühl nicht vielfach alterire worden iſt. Wahrfcheinlich muß dieß ſchon der Um⸗ fand erfcheinen laffen, daß der Berf. einerſeits (S. 88.) die reformirte Orthodoxie in der Form eines der damaligen mechantfchen Weltanfiht angehörigen, aͤllzu mechaniſch Vorgeftellten Determinismus finder, nnd doch anderer, feits (S. 137.) den Gründern des Lehrbegriffö die nicht mechanifche immanente Gottedvorftelung vindicirt, ale den mit dem religisfen Grundgeflhle nahe verwandten zweiten Factor der Dogmenbildung, welche nur fo nadı der wahren dogmatifchen Grundidee vor fich gehen fonnte. Entweder fcheint er fo der fpätern orthodören Dogmens bildung eine Berunreinigung des religiäfen Grundgefühls feld Schuld geben zu müffen, weil diefes nur in der Einheit mit jener Weltanficht fich als die dogmatifche Grundidee bethätigen fann, dann füllt aber das Recht dinweg, diefe ausgebildete Orthodorie bei der Darſtellung

*

des Lehrſoſtems zu Beuude zu legen, oder er mm cu gewifle Unabhängigkeit des religiöfen Stoffes amerfennen, vermöge weicher derfelbe auch in deu Gebilden fein mechanischen Weltanſicht fich erhalten mochte, und dam wäre auch jener urfpränglich zweite Bactor ber Des mwenbildung, bie nichtmechanifhe Weltanficht der Re formatoren, wicht vom derjenigen bogmatifchen Wichtiz⸗ keit, welche ihm der Verf. zufchreibt, und woranf bin er id, Umgefkaltungen der Dogmen erlanbt; der. Verf. muft: auch in der eigenen ſyſtematiſchen Darkelung den sel. giöfen Stoff in feiner Unabhängigkeit von fpecnlativa Elementen hervertreten laflen. Sehr richtig fagt er(S. 135.) „In der Dogmatik jeber Gonfeffion und jedes Zeitalter drädt ich ſowohl die vorhandene Frömmigkeit ans, ai auch die vorhandene Weltanfiht, wie fie populär Ale vorſtelendes objectives Bewußtſeyn erfült und im der Zeitphiloſophie organifh fih zu begrdude ſtrebt. Das Dogma if immer und überall eine Bar fchmelzung beider Elemente des Geiſtes.“ Aber es darl ber gefperrte Gab nicht, wie der folgende verwifcen andeuten Tönnte, alfo mit dem vorherigen verband werden, ald wäre das Kleid des Dogma’s, d. h. it Ausdruck der religiöfen Empfindung und Strebung, W philofophifch begründete Weltauficht, fonbern dieſes Kkid iR zunächſt nur die populäre, als wedurd die religiält

Vorſtellung entficht. Diefe eiguet der Eonfefflon, vn

Lehrbegriffe, mag das Schulſyſtem noch fo wiel von pr lofopbifchem Apparate, von philofophifch durchgebildeten Begriffen aufnehmen, um die Glaubenswahrheit möglichl in der Form der höchften Zeiterfeuntuiß darzuſtellen. Dei Berf. ſcheint dieß wicht gehörig unterfchieden zu haben wenn er, von einer ber gegenwärtigen Zeitphilofophie an gemeffenen Grundidee, weiche er dem religiöfen Grund gefühle der Neformatoren verwandt findet (Calvia's Er Härungen gegen Gervede wären bier übrigens noch I

die Slaubenslehre der evangeliſch. reformitt. Kirche. 967

beachten), ausgehend, die geſammte dogmatiſche Probuction, weiche mach ihm felbft auf einer dualifiifchen WBeltanficht beruht , jener conform macht, ohne Nädfiht darauf, ob durch folde Metamorphofe nicht wefentliche religiöfe Strebungen nnd Empfindungen, wie fie die alte Vorſtel⸗ Iungsform in fi fchließt, verwifcht werden. Dadurch konnte es gefchehen, daß er die Apofataftafe, diefen hor- ror der gefammten alten Dogmatiler, ald orthodor nach⸗ wies. Der Berf. ift ſich ſelbſt einer Snconvenienz bemußt geworden, wenn er in der Vorrede bedauert, die jedem 6. beigegebene Beleuchtung und bie Kritik nicht beſtimm⸗ ter unterfchieden zu haben. „Richt felten it aber die Dars legung” bed gegebenen Stoffes felb von der Art, baß man nicht, die alte Lehre der Kirche, fondern fchen die - Transformation bed Berf. darin erhält. Indem wir die Behandlung der einzelnen Dogmen einem fpätern Artikel vorbehalten und auf die Vollendung des Werkes verfchies ben, ſollen für das bisher Gefagte nur zwei Erempel zengen, ber locus de scriptura uud de praedestinetione. Es ift in neuerer Zeit gewöhnlich geworben, den reformirten Schriftgebraud; zu dem Iutherifchen in Ge⸗ geufag zu ſtellen und auf die Berfchiedenheit der beider⸗ feitigen Schriftiehre mehr oder minder Gewicht zn legen (Bödel, Dorner). Ein alter, and vom Berf. erwähnter Ruhm der Neformirten iſt ed, daß bei ihnen Das Schrift⸗ priucip fchärfer gefaßt werbe. Während nun aber ſonſt der Berf. jeden Unterfhied von den Lntberauern mit Eifer aufſucht, unterläßt er es hier, die Abweichung zu martiren, und ſtellt vielmehr die ganze Lehre fo dar, daß gerade dad, was man wohl der Intherifchen Weiſe zu bindiciren liebte, als reformirte Eigenthumlichkeit erfcheint, z. B. daß bie heil. Schrift nicht einzige Quelle der Staus ben6wahrheiten, foudern nur Rorm und Regel fey, neben welcher die kirchliche Lebenstrabition ihre Bältigkeit habe, daß fie nur die Darkellung ber neueſten Dffenbhrunges

trabition fey. Aurz, es wird ungefähr bie ſchleiermacher⸗ ſche Schriftlehre als die altorthodore dargelegt und «ia der mobernen Betrachtung fehr mundgerechtes Kapike herausgebracht, Rur wie im Borbeigehen erfährt mas bei der JInſpiration, in der Schlußkritik und ſonſt ud (163.) von den Uebelſtänden und Steifheiten, welche bie fed Dogma brüden.

Hier tft eine Bermifchung verfchiedener Tendena fihtber, ein Schwanken zwiſchen werftändblicher Darleguy Der altorthoderen Beſtimmungen und Aufſtellung eine Die Gegenwart befriebigenben Dogma’d. Ich habe un auch die Ueberzengung, daß fich die reformirte Schrift lehre wach ihrem wefentlichen Geiſte und mit hiſtoriſcher « Erklärung ihrer Steifheiten und Auswächfe anf eine burd- aus uneuftößige Art darſtellen läßt. Aber dieß wird nicht möglich ſeyn durch eine fo unmittelkane Anwendung und gewaltiame limprägung älterer testiimonia, wie ft Der Verf. vornimmt, wenn er z. B. für den Gag, daß die Schrift nicht Quelle alled chriſtlichen Glaubens und fr beus fey, fondern die kirchliche Tradition neben ſich habe, eine Stelle aus ber Vorrede von Musculus lock beibriag, worin biefer über die fchlechte Methode ber berner Pro diger Elagt, welche nur pastillariter irgend eisen textun seripturas tractiren und keinen loeus communis vrdentlich, fondern confuse nnd impertinenter erplicizen. Diefe Tadel. gegen eine bequeme aualytifdge. Predigtweiſe lam doch ‚fein testiinonium ſeyn für bed Verf. Theſe, asd nicht, daß Andere der theologia zunächſt die loci communes and daun erſt Die Schrift. zur manteria geben. Deus dk theelogie ift eben die fchulmäßige Behandlung ber Reli giondichre; diefe aber wirb fo fehr nur ald Gchrifticht gewußt, daß, wie ſchan Calvin _mit fcholafifchen termiek thut, weiche nicht in der Schrift enthalten find, noch iM 17. Sahrhunderte vielfach ausdrädlich dad Recht unter fucht nad and der Schrift vindiciet wird, die Gchriftlehtt

die Glaubenslehre der evangeliſch reformirt. Kirche. 969

audh in ein oompendinm doetrinae, einen rÜzog uyıuwörsenn Adyaaw zufammenzuftellen, ja daß Göbel geradezu fagen kann, die Neformirten wollen eigentlich gar feine Dogs» matik, welche etwas Weiteres fey als bloße, reine Gchrifts iehre (vgl. Zwingli in Expl. simpl. IV. 67., vom Berf. ſelbſt angeführt ©. 33: Non vel lote unum docemus, quod non ex divinis oraculis didicerimus).

Wenn es biäher gewöhnlih war, in ber Stellung, welche ECalvin dem Prädeſtinationsdogma gab, deu reli⸗ giöſen Ort zu finden, wo dieſe Vorſtellung für die refer: mirte Frömmigkeit naturgemäß entſteht (Baur), und bie Htneinbildung beffelben in die göttliche Eigenſchaftenlehre als eine ſcholaſtiſche Berirrung zu bezeichnen (Nitzſch), fo hat der Berf. dagegen Calvin's Anorbunng fa nur ent fhutdigen zu müflen geglaubt nnd die geſammte Prä⸗

deſtinationslehre mit allen ihren dem fubjectiven Gebiet

_—.

angehörigen Auneren unter die ben @igenfchaften des Bas ters im trinitarifchen Sinne entiprechenden Tchätigfeiten gegogen. Es entfpricht bieß einerfeitd volkommen bem ſyſtematiſirenden und theologifirenden Streben des Verf., ſchließt aber doch auch eine Doppelte Reuerung in ſich, von denen nur Die Eine zu begründen verſucht wird. Die erſte if eine der ref. Lehrdarſtellung fat fremde Ber» türzung bes Theile, der von der Heildaneignung handelt, der an dieſem Orte freilich nur ſehr mager behandelt werden kann ‚(eortitudo), die andere das Uebertragen defien, was vou ben Alten uno ore der gefammten Trini⸗ tät zugefchrieben und bloß attributioe dem Bater beige, legt wird (Belege ©. 248.), auf den trinitarifch unter ſchiedenen Bater. Dabei muß natürlich ganz anfer Acht bleiben, daß die Alten gewohnt waren, dem Präbeftinas tionsbecrete das pactum salutis an die Seite zu ſtellen, in welchem bie drei Perfonen als gegen einander iu res ſpectiver Thaͤtigkeit befindlich vorgeftelt werden und in pecie der Adyos ald Repräfentant der Glänbigen das

foodus eingeht. Daher denn audı elite elsetio prepter Ohrietum gelehrt wird. u vorliegender Darfeliuss, weiche Ehriſtus in jedem Betrachte nur ber exoentis bed deoretum angehören nud felbft qua Adyos von dem pr& deſtinirenden Bater geſchickt werben Iäßt, Tann biefe ganze Borfielung keinen Raum finden. Iſt fie ja dod nicht Aunderes als der in die vorzeitlicde, ewige Region dei göttlichen Lebens suridfallende. Refler derjenigen Ber: haltniſſe des inwern Lebens, ald deren nächfter Auddrsd die Lehren von der Eriöfung, Genugthuung, Redhiiertv gung, Heilönerficherung baftehen, alfo gerade jemer eigen Wüntiche chriſtlichen Geelenbewegungen, welche dem Batl. möglich verblaſſen in das fchlechthinige Abhängigkeits gefühl von der mit ber Naturhervorbringumg ibentifchen Heilsastuofktät Gottes. Daß aber die Hellduetuoktt Gottes ſich eben im der objectiven Heilsanſtalt verwir: liche und durch die Heilsmittel den Einzelnen erfafle, Die conkante Meinung der ref. Froͤmmigkeit gegen die anabaptiftiiche Schwärmerei, welche nach dem Berf. bi Buade vein innerlich ohme geordnete media wirken tät (8, 55.), Wie nun mein Hell mir nicht anders fehle ben Tann als in meinem ewigen Erwähltfeyn, fo if wei Heil kein anderes, ale das in jenem ewigen mic eis fchließenden pastum eingeſchloſſene. Mein ſchlechthir⸗ ged Nohängigfeitögefüähl von der ewigen Heildacmefiät Gottes (obgleich die zeformirte Frömmigkeit gewiß sid! zufrieden iR mit den Oroszeie des bloßen Mbhängig feitögefähie) oder dasjenige Abhängigkeitögefänt, welches Mi ale Electiounvorſtellung ausbildet, ob es entficht au der Idee der allgemeinen abſoluten Actworktät Geotich, angewandt auf die Aueignung bes Erlöfungähells, oder aus dem wirklichen concresen Bewußtſeyn des Heilsbeſiter in Shrifte nach feiner fpecififgen Natur ale Sänderkeild das ſcheint die Hanptfrage, von deren richtiger Br antwortung nicht ‚bloß bie Entfdyeidung abhängt.Aber die

die Glaubenslehre der enangelifchereformirt. Kirche, 971

fadhgemäge Stellung feines Dogma’s in einer Dogmas tie, welde ihren Boden nicht verleugnet oder durch ſpe⸗ eulative Gebilde uberwachſen läßt, fondern auch die Ent: fheidung über des Verf, Recht einer fpecififch theologi⸗ Ihen Kundamentirung der rveformatorifchen Dogmatil. Menn ich mic nun gegen ben Berf. zur zweiten Ans» fiht befenne, fo mag ich dem Syſtem immer noch zuge⸗ fichen,, daß es die Prädefination unter bie theologifche Lehre ind Kapitel von ben Werten Gottes heraufnehme, aber nur als theoretifche Anticipation, welche für manche fpäteren Lehren als modificirende Cautel dienen kann, nicht aber ald Ausflug der göttlichen Wefends und Eigenfchaftens lehre ſchlechthin, als wodurch die religiöfe Ratur des frage lihen Dogma's alterirt und es faſt unmöglich wird, den göttlichen objectiven Heildveranflaltungen zur Execution des Prädeſtinationsdecrets ihre dem Bewußtfeyn ber reförntirten Frömmigkeit entſprechende Bedeutung und Kraft zu vindiciren und dem anabaptififchen Zuge zu widerfichen. Der Verf. folgt der entgegengefehten Ans fiyt, ob dazu genugfam berechtigt durch Zwingli’s Aeußerungen (der nur in fehr befchränktem Sinne der Bar tee der reformirten Lehrbildung heißen Tann) ober durch den usus der fpäteren Scholaftit und durch manche bei ſchon feſtſtehender Prädeſtinationsvorſtellung ihr beige⸗ gebene theologiſche Stütze ob nicht vielmehr dem ſpe⸗ enlativen Factor der Dogmenbildung zu lieb als dem reformirt religiöfen, dad wäre bie Frage. Da dieſer Punkt von entfcheidenber Wichtigkeit iR für ben Geil - und die ganze Haltung ber reformirten Dogmatif a), fo

a) Wäre die Präbeftinationsicehre, weldye ins gange Dogmengebiet fo charakteriſtiſch eingreift, theologiſchen Urſprungs, fo wäre, weil die Bottesibee nady Einer Geite hin ber fpeculativen Mes dandlung ſich barbietet, jede aus ſolcher hervorgehende Modifi⸗ cation in ber Auffaffung der Prädeflinationsidte, mithin über- haupt ein Princip der gefammten Dogmenbilbung und Umbils bung gerechtfertigt, von welchem ber Verf. Gebrauch macht,

Theol. Stud. Jahrg. 1847, 8

92 Schweiner

erlaube ich mir, in der Kürge meine vom Berf. abwei⸗ rende Wnficht über die wahre Natur der Geneſie Pradeſtinations vorſtellung aus zufuhren.

Schon daß alle Stimmen ermahnen, une in PR die eigne Ermählung zu fuchen, weiſt anf den erſt biefeitt der Heilsoffenbarung in Ehrifte liegenden Ort him, we iv wer Gedanke eutficht. Es iſt die eufahrene Kraft jemes Ge⸗ rachs des Lebens zum Leben, was mit ber Wahernchmung, Daß er auch Geruch des Todes zum Tode wird, das dem thige Herz zurüchſchauen läßt auf die umverbiente, frei Auswahl Gottes, im weicher ed allein ſein Seil wu fiher weiß. Es if die continwsliche Spannung dr Willensenergie im Heilsleben, welche nur. indem fi (ich gewollt weiß von der abfolunten, heiligen Emergit ihren Beftand und ihre Reinheit behaupten kann, Aw ihr aber gebt allein die zuftändliche Heilögewißheit, dir Gewißheit ded eigenen Glaubens und Blanbenseft für dad Subject hervor. Wenn der Berf. nach Zwingli einfach fagt: der Blänbige ift feiner Erwählung gewä, ſo können natürlich auf diefem theologifchen Boden, m er die gange Sache hält, die Bermittelungen diefer oertitude aelutis wicht Dargekellt werben; als eine eertitudo fidd hängs fieab von denjenigen Bermittelnagen ‚, durch weidt bas glänbige Seibſtbewußtſeyn ſich ſelbſt has, won der Willensbethätigung (heidelb. Katech. 86). Wie nun hir für gegen den Pelagianismus und Indaismus bie noil wendige Vorkehr it, daß nur actus agit, die Idee dei heiligen Geifled, der unio eum Christo (Ohristes non otie ns), fo if als letztes und tieffted Fundament für dit energiſche Zufändlichkeit der alle jene Vorfiellungen tra gende Gedanke ber göttlichen Wahl gegeben. Se ihm

weiches aber nicht als das ſpecifiſch reformirte betrachtet mi:

den Tann, wofern es fig mit der Prübeflinationuiehre ſelbſt an ders verhält, wofern dieſe vielmehr ans ber cancreien Deiimmd heit bes chriſtlichen Heilöbewußtfegns als folchen hervongeit.

die Glaubenslehre der evangeliſch⸗reformirt. Kirche, 978

ruht gleichſam Die durch Willensthätigkeit ſich herſtel⸗ lende Heilsgewißheit, gleichwie in ſolcher Ruhe bie Wil⸗ lensthatigkeit ſich ſtets nen erfriſcht und reinigt, Wir werden hierauf weiter unten zurückkommen.

Schon die Stellnug, welche Calvin dem Dogma gibt, und die Art, wie er daſſelbe andführt, beweiſt ge⸗ rade weil er ver keiner theolagifchen Conſequenz ſich fchent, für bie Geneſs der Borflellung aus dem ſudjec⸗ tiven Boden. Auch wenn wir fonft die Geſchichte der Formation bed Dogma’d verfolgen, werben wir durch alle Die theslogifehen Gründe hindurch, wemit nadı Zwingii’s Dorgang die einmal adoptiste uud in die Theologie her⸗ aufgenommene Borkellung geftügt wurbe, ben urſprüng⸗ lichen Ton des Dogma's durchklingen hören. Musculus handelt no, wie Calvin, erfi nach ber Ades von Ber Pradeſtin ation und hebt befoubers hervor, quanta cerli- tudo salutis in cordibus Adelium ex co nascatur, quod credunt se Deo curse fulisse ante conditum mundum. Daß wir nur in Bott respeotum elentionis nostrae fuchen, dazu zwingt und propriae vilitatis ac depravationis sen- aus. Die@rwählung fchließt in fich eine Bemeinfchaft der electi und des aligens. Dieſe ooniunctio der ſo verfchias denen Naturen, Gottes uud bes Menfchen, kann abeqıe mediatoris giutime nicht gefcheben. Diefer ift Chriſtus; durch Die eleetio And wir fo an Chriſtus gelnüpft; une fer Glaube an ihn ruht anf Dem älteſten, dem ewigen Fundamente, Quare mysterium ‚hoe debemus in Christo inspioere ot ad oertitudinem salutis mostrae in cordihus nostris confirmandem cenesiderare, qguomode eodem consilio Dei, eodem aeternitate adeogue et similitudine eloctio noatri cam mysterio Christi nitatur et subsistat. Au Chrikum glauben fann.derjenigenicht, quidegratia electionis et adop- tionis dubitat. Kann es einen Deutlicheren Beweis geben, daß nicht der abſtracte Sag: alles Heil kommt allein aus Bott, ſondern der concrete: das Heil an Ghrifte dit durch Got⸗

65 *

974 Schweizer

tes Gnade mein, die Baſis des Electionsbegriffs if. Nicht die Notiz, daß der Glanbe an Chriſtus und der Heilseffect deifelben nur durch Gottes Bade in mir axfı gegangen, fondern bie Zuverficht, daß ich, durch den Blaw ben an Ehriftus in den Beſitz des Heils geſetzt, daſſelbe fiher und unverlieerbar habe, indem das Heil im Ehrife auch mir, dieſer beflimmten fündhaften Perſon, fen bei dem ewigen Heildrathfchluffe zugetheilt worden, ij der Kern des Dogma's. Die häufige Unterfcheibung: provisio est de omnibus futuris tam bonis quam malis acti onibus, providentia sive dispositio est de hominum e«cti- onibus, praedestinatio est de hominikus ‚salvandis sr de hominam extrema salute,, wird auch von Hyperius au gewandt, aber fo, daß er von der praedestinatio vor dei Providenz und Schöpfung handelt, zum deutlichſten Beweik, daß die perfönlich fubfective Heildgewißheit, nicht bie objet- tive Gottedlchre die Wurzel bed Dogma’s ift, das dem auch vornehmlich nach feiner fubjectiven Seite, nad fi nem praftifchen Momente erponirt wird als Antrie zur Heiligung.

Wenden wir und'zu einer Geitenbetrachtung. Bela! iR, daß die Lutheraner dem reformirten Dogma vorwarfen, eine die Erbfünde abwifchendesanctitas uterina der Erwaͤhl⸗ ten zu Ichren, daß ferner die Antinomiften aus dem eige nen Schooße den Satz auffiellten, bie electifeyen nungusm non auch regenerati, iustificati etc. Wenn nun bie dt thobore Lehre mit allem Nachdrucke gegen Beides fi er⸗ Härte, fo fann ber Grund davon nicht in dem mechari⸗ fhen Dualiemus liegen; vielmehr wärde, gerabe de Dualiömus vorandgefegt, fi aus dem Präbdeftinationd bogma, als einem theologifchen Probucte, ald eine Ausdrucke für die abfolnte Actwofltät Gottes, für die Er: wählten durchaus jener Sag ergeben, wonach bie nere Schöpfung ber vocatio interna und eflicax unferm Berl: heißt eine prima conservatio und bie belebenden Anfänge ber Erecution, zu den weiteren Heildführungen gefehlt,

die Glaubenslehre der evangelifchsreformirt. Kirche. 975

weit zurüdtreten gegen bie eigentlich hervorbringenbe Action im göftlihen Rathſchluſſe (S. 138.).

Die FZolgerung ift, gerade den Dualiemus in fei« ner Schroffhgit, wie ihn bie Kirche hat, vorausgeſetzt, eine unabweisliche. Was tft nun wohl ber. Grund, daß ſich die Orthoboren nicht bavon abbringen laffen wollen zu behaupten, der electus fey vor der regenerstio dem Sünder durchaus gleidh, revera ein filius irae, ein da- mnandus, bie Wiedergeburt und Belehrung mithin eine wes fentlihe und gänzlihe Umänderung, mithin nicht bloß dad aufgehende Bewußtfeyn um das fchon von Anfang im Kerne der Perfönlichkeit vorhandene wahre Seyn; baß fie nicht müde werden, folches zu behaupten, troß dem daneben fefgehaltenen Sage: jener wirkliche Sünder und filius irse fey im ewigen Electionsdecret als ein fidelie und salvandus begriffen und fomit feinem finalen Seyn, und feinem ewigen Geſetztſeyn nach toto coelo verfchieden von dem reiectus, dem er ald Sünder ganz gleich ift: was anders kann der Grund hiervon feyn, ald daß ih—⸗ nen dad Prädeftinationsdogma eben nicht eine theologis ſche Sonfequenz, nicht eine Folgerung aus dem abfoluten . Adhängigkeitögefühle war, daß ed ihnen vielmehr felbft nur entflanden war aus einer Beſtimmtheit des Selbſt⸗ bewußtſeyns, in welcher die fittlihe Idee unmittelbar galt nnd Die angegebene Schärfe und Lebendigkeit hatte, daß ſelbſt die nächflen Eonfequenzen aus jener Vorſtel⸗ lung, abgelöft von ihrem mütterlichen Boden, zurückge⸗ wiefen wurden? Halten die orthodoren Lehrer gegen eine aus dem Präbeftinationddogma ſich darbietende Gonfe- quenz die widerfprechende Ausſage des unmittelbaren fittlichen Bewußtfeyng fer, legen fie mithin in das letztere eine Realität, gegen welche felbft die aus ber ewigen göttlichen, Alles beftimmenden That der Election fließende Folgerung nicht aufkommen kann: fo ift ber Gedanke ein unmöglicher, daß jene Präbdeflinationsvorfielung aus

978 Scchwetzer

Der Gottesibee ſelbſt einfach und originciter hervorge⸗ wachſen ſey, wett fie fonft durch ihre theologiſche Geburt jede anthropologiſche Hemmung ihrer Gonfegnenz hätt ſprengen müflen. Beharren die Nedytgkäubigen mit Rad druck Darauf, daß auch der electus totaliter in dem Zu Rande des reiectws ſey vor der Wiedergeburt, ebenfo um ger ber tra dei, wie jerter ; tft ihnen alſo die Wiedergeburt ein qualitativer, nicht bloß phanomenologiſcher Proceß: fe kann die der letztern zu Grunde liegende Election in ih rem Unterſchiede von der Nejection ber Andern ner ca fheotogifch reflectirter Gedanke feyn für jenem uwerklärl: dien Herganz des innern Lebens zum verſtändlichen Ant Brude des Bewußtfeynd: durch Gottes Gnade bin ie, was ich bin. Nur die Gegner und bie extremen unlird lichen Fanatiker der Tigenen Partei ziehen and dem Dogm eine Folgerung, welche die reformirte Kirche auch, ziehm mußte, wenn ihr das Dogma auf theologifchem Bode gewachfen wäre, Wenn der Verf. bie Folgerung in ko ner Weife aud ziehen und doch dabei Bie veformirk Gegenbehauptung in feiner Weiſe gleichfelis feſthalte kann, fo verdankt er dieß feiner principiellen Berwichtum des Dualismus, von der erfi nachzuweiſen wäre, daß ft im Beifte des veformirten Glaubens ſyſtems gelegen ie das doch nicht fo unbedingt zuſanmengeht mit adfolate formeller Sonfequenz. Gerade der fo fireng feftgehalten und mitunter fo mühlelig und ungefchidt vertheidizn Dualiömus der Präbdeftination, welchen man wicht arf dem Wege von oben gewonnen hätte, weift auf ben anden Weg von unten, und zwar hätte wohl ſchwerlich biel die wahrnehmende Erfahrang ober Specutarion bahin ge trieden,, ihn fogar im Weſen Gottes gu ſiriren, wem nicht das flttliche Bewußtſeyn im aller Starke dad rei piöfe Heilebewußtſeyn begleitet und fo die Bebartößätt bed ganzen Dogma’d abgegeben Hätte. Denn daß M bloße mechaniſche MWeltämficht nicht hinderte, dad ein

die Glaubenslehre der evangeliſch⸗reformirt. Kirche. 977

allgemeine Mokataſtaſe zu Ichven, uud daß das einmal von der göttlichen Wefendichre abhängig gemachte Dogma ohne jene anderweitige Reaction bahin treiben mußte, daß alſo jenen Flaffenden hietus in das göttliche Wefen nur die Stärke des unmittelbaren fittlichen Bewußtſeyns mit feiner Diseretion herbeiführen fonnte, liegt auf der Hand. Die obige Betrachtung Fäßt ſich noch weiter verfols gen. Es iſt gezeigt worden, daß die Wiedergeburt ein wefentlicher nicht bloß phänomenologifcher Proceß ſey, ein den qualitativen Grundwerth des Subjects reell veräns dernder. Dieß wird am deutlichſten aus folgender Erwü⸗ gung. Der Wiedergeborne iſt beharrlich. Das neue Le⸗ ben kann nicht mehr verloren gehen; der gewordene fillus dei kann nicht wieder ein Alius irae werden, nicht wieber tsteliter und finaliter fallen, wie fchwere Sünden er auch noch begehe, felbft folche, die ihm wielleicht auf Lebens⸗ zeit Das Bewußtfeyn der. Kindfchaft rauben. Umgekehrt in den Berworfenen können innere Zuftänbe -eintreten, die fich, rein pfychologifch betrachtet und für deren eiges ned Selbſtbewußtfeyn, in gar nichts unterfeheiden von den Zuftänden der Erwählten und Wiedergebornen, und die Doch nur ein Schatten derfelben find. Alſo es bes ſteht noch ein wefentlicher Unterschied zwifchen bem mo⸗ mentan gläubig und glaubensfelig geftiinmten Nichtwie⸗ dergebornen und dem in ſchwere Sünden verfaßlenen, bie ira empfindenden, des Kindſchaftsgefühls berambten Wie⸗ dergebornen. Der beiderfeitige Perfönlichleitötern iſt doch toto coelo verfchieden, und zwar beruht biefe Berfchiedenheit in letzter Inftanz anf der göttlichen Präs deftination, deren Unveranderlichkeit es mit fich bringt, daß die begonnene Electionsverwirklichung in dem Einen nicht mehr durch feine Sünden entrealifirt werden, ber noch fo fcheinbare Zuftand bes Andern nicht ale Heilsver⸗ voirflichung betrachtet werden Tann, Die wefentliche Berfchiedenheit beider erweift ih darin, daß ein folcher

978 Schweizer

gefallener Wicbergeborner immer wieber durch ben Fal zu neuem Aufſtehen getrieben wird, als wozu die Gua— denkraft ihm bleibt, der gläubig geflimmte reioctns abet troß aller feiner Gnadengenüfle, troß aller momentaua Borfäge nicht finaliter beharrt. Ihn macht al die gleice Wirklichkeit der inneren Güter nicht gleich dem Andern, weil fie für ihn wahrheitslos find, nicht perſönliche Hell güter, wegen feines Richtbeharrend. Einem Solchen if alle fein wahres Selbſtbewußtſeyn des Heils, kein feſtes Ei tiondbemußtfeyn möglich, fondern sur ein täufchender @lectionswahn, Er ift in feinem sensus ein Erwählte und boch verworfen, während der Andere vielleicht lange mit verbüftertem Bewußtfeyn ringt, und Doch ermwählt iR. Wie entſteht aber und wie befchaffen iſt das wahr bafte Electionsbewußtfeyn als certitudo GNdei? Es snfammen mit dem Bewußtſeyn der Perſeveranz, an wie fi das letztere ſtaͤrkt aus jener Vorſtellung der ewi⸗ gen Auswahl, fo muß auch wieder gefagt werden: jene Borflelung Tann ich nicht anf mich beziehen, fans mich nicht in die Election eingefchloffen willen, ohne mid perfeverant zu wiffen, d. h. ohne der Willendenergie nach perfeverant zu feyn. Der fletd nen fidy erfrifchend: Entſchluß der obedientin, des heiligen Lebens in der Gott‘ gemeinfchaft ift ber einzige modus, wie ich die perlön liche Gewißheit meined Glaubens⸗ und Bnadenflaudet, die Gewißheit meiner Erwählung als eine Glanbensge⸗ wißheit haben kann. Was ift fonach die Electionsvor⸗ Rellung anders, ale die für dad gegenflänbliche Vorſtelen firirte Form, theild der inneren zuftändlichen BeRimat- heit ald einer wahren Realität bewußt, theild ihrer ald abfoluter Selbſtbeſtimmung froh zu werden? Wie ließe fih, die Election ale eine theologifche Conſequenz gedacht, biefe fubjectiofte, ganz auf den perfönlichen Willen geſtelte Bedingung des Electionsbewußtſeyns begreifen ? Wie ließe fi) jene oben gefchilderte wefentliche Differenz zwiſchen dem in Sünden gefallenen und doch das göttliche Leben

die Glaubenslehre der evangeliſch⸗reformirt. Kirche. 979

bewahrenben Electus und dem vom tänufchenden sensus ber Wiedergeburt betrogenen Rejectus feſthalten? Sind nicht beide Zuftände in formell gleicher Weife von der göttlichen Alwirkfamkeit gefeht, fo fehr, daß Calvin ausdrücklich den heiligen Geiſt ald den Factor jenes trüs gerifchen sensus nennt? Daß der sensus nicht trägt, dag gewinne ich durch die perfeverante Willendbefimmung, weiche, wenn and momentan unterbrochen von fleifchlis hen Trieben, wenn auch momentan unterliegend der as türlichen Schwadhheit, doch fich immer wieder herſtellend erhebt vermöge des wefentlichen Perſoönlichkeitskerns, wels her oft nad langer Berdunfelnug wieder emportaucht und feine Gontinuität mit den früheren Acten der wahrs haften Selbſtbeſtimmung erfeunt. Darin fteht das eigent- liche Heilswirken des Geiftes.

Daß das einmal gewonnene perfönliche Geiſtleben nicht mehr verloren werden kann, das iſt in der That nicht eine Kolgerung aus der göttlihen Mobalität feines Entfiehend im Snbiecte, denn auch jener trügerifche sen- sus des reiectus, der bie Kräfte der fünftigen Welt ſchon gefchmedt hat, ift vom heiligen Geiſte entftanden, ein göttliched ludibrium, und bie göttliche regeneratio hindert doch auch nicht, in ſchwere Sünden wider das Gewiſſen ſelbſt auf einen Grab zu fallen, daß oft bie and Lebensende niemald mehr die Zuverficht entfichen fann. Sondern jene linverlierbarteit beruht darauf, daß das Geiflleden zum eigentlichen Leben der Perfönlichkeit geworden if, weiche fih von allen noch mit unterlaufen, den Sünden immer wieder herficlt.e Das Urtheil von der Unverlierbarkeit Cbei zugegebenem Verſchwinden für die Wahrnehmung, ja für das eigene zuſtaͤndliche Bewußt⸗ feyn) iſt nicht ein auf theologifchen Prämiffen ruhen. des Urtheil, ift fein fpeculativer Sag, aus der Gottes⸗ idee deducirt, fondern ein anthropologifchsethifcher,, dem ſich die theologifche Form bloß als Hälfsvorftellung leiht. Denn für die theologifche Gonfequenz wäre genug ger

* Schaczer

ſagt wit dem Lutheriſchen, daß ber niesins nicht fimaliter fallen konne. Warum er auch nicht totaliter fallen könne, d. h. warum ber thatfädlidyen Unterbrechnng des Guss beubewnßefeynd durch grobe Sünden nicht zugelafın wird, deu eigentlichen Gnabeuflaud abzubrecken, dieſer vielmehr als perfönliches Leben der Wiedergeburt fort, danern fol in ben ſchwerſten Sünden, das iſt nicht «si dem Electiensdogma firenge zu entuehmen, weil das gleiche erwählte Subject in ſchon einmal ein wirkliche Slius iras war. Die Abweichung von bes Intherikhen Betrachtungsweiſe iſt alfo and) hier wicht eime cheslogi⸗ fe , ſondern eine anthropologiſch⸗ ethiſche. Es iR «in Urtheil über bie Qualität des geworbenen neuen Lebens, es iR die ſeſtgehaltene Gontinwität des wahren Selbſtbe⸗ wußtfeynd durch alle noch fo fchwere Trübumgen hinburd, weiche berfelben identiſchen Willendbethätigung weichen mäflen, durch welche jenes urfprünglich erfaßt wer. Der lebte Ausdruck dafür, anf weldgen die andern von der Furbitte Ehriſti, feiner Knigsmacht, der höheren Fe ſtigkeit des Gnadenbundes vor dem Werkbunde zuletzt re⸗ ducirt werden, iſt der, daß Gottes ewige Auswahl kraͤf⸗ sig iR, Die deutliche Anzeige, von der Natur dieſer Ber ſtellung. Gewiß, fo wenig jener Troß des ſichte'ſchen Ic, weiches die Elemente herandfordert zum Kampfe und (ch unzerfiörlich. weiß und ewig geborgen ver ihrem das tifchen Gaͤhren, hervorgeſproßt ift aus der Gottesidee des feligen Lebens, fondern umgelchet diefe ein reflec⸗ tirtes Product des abfeluten Ich, fo ‚wenig ſind bie Busführungen des Pradeſtinationsdogma's, welche bit Haupteigenthämlichkeit gerade der reformierten Heilslehre ausmachen, bloße Entwidelungen der theologiſchen her, fondern vielmehr in der reformierten Hauptmodificatior der Theologie, dem Präbeflinationdbegma, iR ein 86 wäh ber. eigenthümlichen Bekimmtheit bes —— Lebensgebiets gu erkennen.

die Glaubenslehre der enangeliffä-teformirt. Kirche. 9ER

Keineswegs alfo ſte Nach dem Bisherigen die Sache fo, daß die Lutheraner, urfpringlich von berfelben Got⸗ tedidee andgehend, durch anthropologifche Jutereſſen ver» hindert worden find, die Conſequenzen derfelben fick entwideln zu laſſen, die Reformirten dagegen den theo⸗ logifchen Intereſſen einen den Ausſchlag gebenden Bow rang einräumen. Sondern wie die entherauer einestheils gerade auch aus theologifchem Intereſſe, um Gott nicht zum Urheber der Sünde zu machen, dem reforminten Zuge Einhalt geboten, anderntheils aber durch deu ethiſch⸗ reiigtöfen Grund des Hauptgewichts, das ber RNechtfertigungoproceß gewann, veranlaßt waren, Die Ber ziehnng Gottes als der unbedingten Cauſalität auf Die Entſtehung der fubiectiven Rechtfertigungsbebingung is den Hintergrund treten zu laflen gegen die Beziehnng Gottes ald des Techtfertigenden: fo war es umgelchrt edenfalls die eigenthümliche Auffaffung des chriſtlichen Ber benoproceſſes, wobei die Rechtfertigung nur fehr unterge⸗ orbnete Bedeutung hat und bie perfönliche Gewißheit des Erlöfungsheild vom thatkräftigen Wirken und reiner poſiti⸗ ver Willensbeftimmung abhängt, was auf reformirter Seite dahin geführt hat, auf die göttliche Cauſalität gerabe in diefer Richtung dad Hauptgewicht zu legen unb fo dem Begriff des Heiſs aus Gnaden auf den der Wiedergeburt und in letzter Inſtanz anf ben der Erwählung zn grün, den. Richt wie Theologie und Anthropologie ſtehen fich bier beide Kirchenlehren gegenüber, ſondern jede hat ihre eigene religlöfe Pſychologie, ihre eigene Betrachtung bes inneren Heilsproteſſes.

Und fo möchte ed nicht allzu fchwer fen, Die vom Berf. oben angeführten Beweife für einen vorherrfehend theologifchen Charakter der reformirten Dogmatik fo zu wenden, daß fie vielmehr für dad Vorherrſchen ded an, thropologifchen Geſichts punktes, aber eben einer andeven Anthropologie als im Lutherthume zeugen. . Der refor⸗

. 982 Schweizer

mirte Bottmenfch, von den Mheranern als neſteriani⸗ ſches Gebilde gerade und vorzüglich theologifch bekämpft („fie wiſſen nicht Die Kraft Gottes“), zeichnet fich befon ders durch forgfültigere Ausbildung ber wmenfchlicen Seite aus, wie ed fchon bie Idee des caput eleetorum, die ſtaͤrker premirte Vorbildlichfeit des Chriſtns für die Befalbten mit fich bringt. Gerade den Reformirten ik die Bergleihung ded Berbältnifies beider Naturen mit dem Berhältniffe bed epiritas zur caro in deu Gläubigen eigen. Die Abweifung der Iutherifchen Fdeencommunis cation, flatt deren eine communicatio chariematum gr lehrt wird, ging hauptfächlich aus dem Beſtreben hervor, eine wahre Menfchheit feſtzuhalten, als mit welder al lein dad Bemußtfeyn der myftifchen Einheit, fomit der Erlöſung möglich fchien. Die reformirte Lehre von den Snadenmitteln, Sacramenten ıc. iſt nichtd Anderes ali der natürliche Anddruc jener nicht von außen bekimm baren Gelbfländigkeit des fubjectiven Geiſtes, welcher bloß Sollicitationen davon aufnimmt, bie nur von innen durch entfcheidende Selbſtbeſtimmung zur yperfönlicen Heilsbeſtimmtheit werden. Ale die tiefen Gühnungen, Bupgefühle, VBorfäge, Tröftungen, welche z. B. ber Abend» mahlsgenuß mit fid führen mag, find nur ein Schatten, der vergeht, nicht eine communio cum Christo, wo bt Glaube nicht in Perfewerang thätig, der ganze Kern der Perfönlichkeit in der Tiefe bed Willens göttlich ger richtet if. Daß die reformirte Lehre von der Kirche die felbe fpröde Selbkändigkeit des Subjects gegen das Aen⸗ Gere verräth, ift längft behauptet worden. Wenn ber Berf, für den Gab, daß die befonderen Lehren ber res formirten Kirche aus dem Bewußtſeyn fchlechthiniger Adhaͤngigkeit von Gott entfliehen (49.), reformirte Pole miter ſelbſt anführt, fo ift dagegen im Allgemeinen zu halten, was er gleichfalls fagt (S. 9.), daß gewöhnlich erſt fpätere Würdigung das inuere Princip dageweſener Po

Die Glaubenslehre der evangeliſch⸗ reformirt. Kirche. 983

Lemit zu begreifen vermag, und in specie über Stapfer - Defien Wolfianismne zu bemerfen, der ihn kaum befons, Ders geeignet machte, die eigentlih religiöfe. Differenz zwifchen beiden Gonfeflionen in ihrer Reinheit zu erfafs fen. Was ift endlich der Antipaganidmus der reformir, ten Kirche und Kirchenlehre überhanpt andere als bie Proteſtation bes fubjectiven Geiſtes gegen alle im Aeußern fowohl ale in ber Dem Aeußeren zugewandten niederen Natur liegenden Hemmungen feiner im Gottmenfchen gewonne⸗ nen Gemeinfchaft mit dem abfoluten Geiſte, die ſich bes thätigt im abbildlichegottmenfchlichen Leben?

Wenn Ref, in dem Bisherigen dem Berf. mehr nur entgegengetreten ift, fo fol dieß der ausgezeichneten Ach⸗ tung vor der Gelehrſamkeit, dem Geſchick und Talent, womit er nadı feinem Geſichtspunkte bie gewählte Auf⸗ gabe gelöft hat, und welche bei der Betrachtung der eins zelnen Dogmen noch befonderd zu bethätigen Anlaß ſeyn wird, feinen Eintrag than, fondern zunächſt nur eine andere Betrachtungsweife geltend machen, weldye neben der dem Berf. beliebten ſich darzuftellen, wenigftend das hiftorifche Recht hat, und welde vielleicht andy bogmatifch, das Wort in dem von Schleiermacher beflimmten Sinne ges nommen, die fruchtbarere ſeyn möchte, Hoffnung und Wunfc des Ref. it, daß vorliegendes Wert, eine wärs Dige Repräfentation der zwingli'ſchen Richtung für Die Gegenwart, das Studium der kirchlichen Dogmatik ber Reformirten Präftig beleben und fördern und namentlich auch die Leichtfertigkeit neulutheriſcher Polemik zu gründe licher Kenntnißnahme des von ihr Angefochtenen nöthie gen möge.

Schuedenburger.

Sartoried.

2,

Die Lehre von der heiligen Liebe oder Brand züge der evangelifchstirchlichen Moraltheologie vor Ernft Sartorins, D. der Theologie, Zweite Abthellung. Bon ber verföhnenden Liebe. Gtutt: gart. Verlag von &. ©, Lieſching. 1644.

Der Berf. fagt im Borworte, es könne bie zweite Ab: theilung feines: Lehre von ber heiligen Liebe andy als eine felbfländige Monographie über die Verſöhnnng be trachtes werden. Als foldhe will fie Rec, nun nehmen, indem er auf den erſten Theil nur infoweit Räckficht nimmt, ald er die Principien für den zweiten enthält. Denu ba das Werk noch nicht volleudet iſt, fo Fan uch sin GBefammturtheil darüber gegeben werben. Doch aber iſt dafelbe eine fo erfreuliche Erfcheinung auf dem Bebiete der theologifchen Litteratur, dag es wunſchens⸗ werth sricheint, ed auch in dieſen Blättern noch vor Boll enbung bed Ganzen anzuzeigen und zu beurtheilen. Wenz Rec. vorliegendes Buch eine erfreuliche Erſcheinnug nennt, fo bat er übrigend habei jeßt nicht Die darin verſuchte Derbindung der Dogmatik und Ethik im Auge, Denn ik auch ihre Berbinbung, mit welcher Nitzſch voraugegangen, and, einer Seite bin ein weſentlicher Zortfchritt und kann eben jegt, nachdem durch die zeitherige principiele Trennung beider die Eigenthümlichkeit und relative Selb ſtändigkeit derfelben klarer ind Licht geftelt marben, Beſſeres bierin geleitet werden, als es vor jener Trennung der Fall geweſen, fo vermag doch beim vorliegenden Werke erft nach Erfcheinung des dritten Theils auch darüber etwas gefagt zu werben, ob und inwieweit Die verfuchte Verbindung eine gelungene zu nennen fey. Rec. bat bei lener anertennenden Aeußerung vielmehr die Auffaſſung

die Lehre von der heiligen fie. 66860

and Behandlung des in diefem zweiten Theile deſproche⸗ nen Stoffes ſelbſt im Auge.

Der Verf. hat ſich zur Aufgabe gemacht, die kirch⸗ liche Lehre von der verſoͤhnenden Liebe Gottes dem Be dürfniffe unferer Zeit gemäßer darzuftellen, fe ihrem Ber⸗ ſtaͤndniſſe zugänglicher zu machen. Die Weiſe, wie ex diehß gethan, begründet‘ den befonderen Werth des Bus ches. Wenn fi) in mufern Zagen fo Viele an den Slam benslehren der Kirche ftoßen, fo hat bieß zwar im All gemeinen feinen Hauptgrund darin, daß dad Evangelium eben überhaupt Den Juden ein Aergerniß und ben Heiden eine Thorheit ift: fie ſtoßen fih daran, weil ihr Herz den heiligen Ernuſt fcheut, der in dem Worte von Ehrifto liegt. Allein nicht bei Allen iſt's alſo. Gar Manche ev; kennen das Bedürfnig göttlicher Offenbarung an nwb fühlen ſich mit einem tiefen Zuge ihres Innern zu feier gnadenvollen Wahrheit hingezogen; nur die Form, in welder die Kirche ihnen diefelbe darbietet, ſtößt fie zus rück, und daß die Kirche ihnen bamit als mit einem Pos fiulat entgegentritt, ohne diefelde ihrer Bernunft durch Bar ziehung auf ihre fonftigen Borftellungen zu vermitteln ober durch ben firengen Complex der einzelnen Theile mit wiffenfchaftlicher Auctorktät ald wahr zu erweifen, So fuchen fie denn ſelbſt nach einem dem Bedürfniß ih res Geiſtes genügenden Andprude für ihren chriftlichen Glauben und laſſen bie Firchliche Faſſung beffelben ale etwas Beralteted liegen, Daß dieß zu beflagen ſey, leuch⸗ tet ein. Iſt zwar freie individuelle Regung, wenn auf irgend einem Lebensgebiete, fo anf dem des Glaubens nothwendig, welcher eine Sache des eigenfien, weil inners ſten perfönlicden Lebens ift, fo kann dieſelbe, weil die tieften Beblrfniffe des perfönlichen Lebens zugleich gew meinfame find, doch auch nur innerhalb des Gemeinledens eine gefunde. Nahrung finden. Deßhalb ift es licht der Kirche, ihren Mauben, ohne fein Weſen zu beein

66 Sartorius

träcdtigen ober fein Geheimniß zu profaniren, mit den tieferen Borfiellungen des allgemeinen Lebens und den Erfahrungen des Gemuths in Beziehung zu ſetzen und in die wiflenfchaftlihe Fortbildung jeder Zeit überze- führen, damit jeder aufrichtige Siun ihre Wahrheit ſich aneiguen und auf ihrem feilen, breiten Beben, der zu individueller Entwidelung, wenn man ihn nicht geflifientlich verengt, des Raumes noch genug bietet, alle Geiftlichgefiunte in treuen Bereine zur Erbauung nad innen und zum Schuße nach außen fichen mögen. Wax kann nicht leugnen, daß bie kirchliche Lehre, wie fie aus den früheren Jahrhnuderten auf und übergefonmen, Bie led an fi trägt, was and; den, ber ſich mit ihr im Grunde Eins fühlt, befrember und unbefriedigt läßt. Die -einzelmen Lehren fliehen als loci neben einander, ohne wahrhaft organifch verbunden und aus Einem Principe mit innerer Conſequenz entwidelt zu ſeyn. Die Lehren ſelbſt find mit fholaftifcher Dürre und Breite, zum Theil Aenßerlichkeit dargefiellt, durch weiche nur ſchwer das warme Leben, das in ihnen waltet, burchgefühlt wird, und die fchroffe Auctorität, mit welcher fie auf Grund ihrer Uebereinſtimmung mit der heiligen Schrift der na thrlichen Bernuunft gegenüber fidy geltend machen, deßglei⸗ chen die dis ind Einzelnſte burchgeführte Beſtimmung ihrer möglichen Seiten weift jede freiere Regſamkeit individnel⸗ ler Anſchanung innerhalb ihrer Grundlinien wit herber Strenge zurück. Bon diefen Mängeln bemüht ſich der Berf. die Kirchenlehre zu befreien, wie er ſich Ddiefelbe Aufgabe fchon in feinen früheren Arbeiten geftellt hat. SR auch Rec. der Anſicht, daß die Kirchenlehre nad mancher ihrer Seiten mit noch freierer, energifcherer Hand, als es vom Berf. gefchehen, and ihrem Rarren Degme- tismas müfle gerifien werden, und gilt es nach feine Meinung insbefondere, die Einheit des Principe , welde übrigens im diefer Schrift zu ihrem Bortheile mehr als

die Lehre von ber beiligen Siebe, 987

in dem früheren des Verf. durchleuchtet, mit noch firen, gerer Conſequenz durch alle Lehren hinburchzuführen, wor durch theils diefe ſelbſt untereinander inniger verknüpft wärben, theild vermöge beftimmterer Hervorhebung, Feſt⸗ Rellung und Umgrenzung ded Wefentlichen im evangelis {hen Glauben ein deſto freierer Raum für mannichfaltis gen Ausbau des Einzelnen gewährt würde, fo ift doch bad, was ber Berf, im vorliegenden Buche geleiftet bat, bereitd von großer Bebentnng und ein fehr willfommen gu beipender Beitrag zu dem Merle, der Firchlichen Lehre auf Dem Gebiete der heutigen Wilfenfchaft # feſte, eingreifendere Stellung zu verſchaffen. Zumaf"aber hat das Buch feinen hohen Werth für die ſtudierende Jugend, fie im eim nicht bloß klares, fondern zugleich lebensvolles Verſtändniß deffen zus Teiten, was ihren weiteren Studien zur Grundlage dienen fol; ferner für diejenigen Theolo⸗ gen, deren Beruf es ift, ihre wiffenfchaftlichen Studien und theologifchen Liebergeugungen für dad Bebürfuiß der Ges meinden zu verarbeiten, und endlich von demfelben Ges ſichtspunkte aus für alle gebildete Laien, denen ed um tiefere, ledendigere Erfenutniß der Kehre ihrer Kirche zu thun ift. Für diefe Behandlung der Dogmatik ift dem Berf. eine vorzügliche Babe verliehen.

Die Darftellung ift mehr thetifch als polemiſch. Begentheilige Anfichten werben zwar berüdfichtigt, aber nur, infofeen fie dazu dienen, des Berf. Anficht durch den Begeufag in ein helleres Licht zu ſtellen. Sie pflegen einfady nur genannt und zurücigewiefen, feltener mit Eins würfen befämpft oder mit Gründen widerlegt zu werden. Ueberhanpt tft es des Verf. Weife nicht, die Wahrheit der anfgeflellten Lehre auf dem Wege dialektifcher Ent⸗ widelung darzuthun. Es ift mehr befchreibende Darftels Iung des Gegenſtandes. Durchweg aber begegnet barin eine einfache Anorbnung, natürliche Folge, faßliche Ver⸗ bindung unb ruhige Entfaltung ber —— und bie

Tbeol. Stud. Jahrg. 1847,

u. .| &asterind

große Elarhrit, weiche in der gefammien Dauftelung bevejcht, laßt fo ben Gegenſtand mit ber unmiltelbauen Madıt

feiner Wahrheit und Größe befte überzengender anf ben Leſer wirken. Wo es gilt, denfelben noch mehr gu be leuchten oder fein Geheimnis dem matärlichen Berkänd- niffe näher zu bringen, werben Bilder gewählt, die wit bloß immer wirkliches Richt geben, ſondern ſehr häufig and; durch die innere Verwandtſchaft von Bild uud Sache tiefer in das Weſen des Begenftandes einführen, Nicht fo zu billigen iſt es, wein ber Berf. auflatt ber weiteren Ausführgug und Begründung eines Gedankens Bibel fprüche AMeimander reiht, in welchen berfelbe enthalten if. Deun da die Bibelfprüche vermöge ihred anderen 38 ſammenhangs noch andere Beziehungen mit dem betref- fenden Gedanken verbinben , welche der hier behaudelten Sache ferner liegen, fo tragen fie, wenn fie den Gen gen orgauiſch eingeorbmei werben, eher zur Ablenkung von der Arengen Gedankenfolge bei, als fle erkäuterndes Licht auf den Gegenſtaud werfen; fie follten nur ald be gleitende Belege dienen.

Was der Berf. fagt, iſt immer von wirklicher Be besstung für den Gegenſtand. Er bat fidy wit Liebe in denfelben verſenkt, mit gründlichen Ernſte ihn durch dacht. In das MWeſen der göttlichen Liebe eröffnet er bie tief, fen Blicke, Die Hoheit und Demuch in der Perſon Ehriki geichutet er mit großen, die Gerle ergreifenden Zügen, und mo er von Zuſtänden menſchlichen Eebend Jede, br gegnet mau Bherali den treffendſten Bemerkungen und feinen Beziehungen, weiche von reicher Meufchentenat nis und Erfahrung zengen. Den Eindrud bawon abır empfängt man um fo reiner, als die Sprache mit ber Auffaſſung des Gegenſtandes ganz in Einklang ſteht Es iſt ein Fehler der meiſten wiſſenſchaftlichen Werke un ſerer Zeit, daß fie abſtraeter Terminolo gien ſich bedienen, ja duß die Gedanken ſelbſt auch und ihre Folge abſtraci

die Lehre von der heiligen Liebe. 389

find. an fage nicht, das. erforkere die Wiſſeuſchaft, weil nundard; Lodiäfung von der Wirklichkeit und durch Losfchälung Bed Allgemeinen aud dem Befonderen die im⸗ manente Entwideinug des Gegenſtandes zur Erfcheinung fomme. Go wenig bie wahre Posfie ba beginnt, wo bie Natur aufhört, fe wenig bie wahre Wiſſenſchaft. Wie Die Wirklichkeit ſelbſt poetifch iſt und der Dichter ihr bie poetifdye Seite une abzugewinnen hat, fo zieht fidy durch die wirklichen Zuftände bed änßern und Innern Lebens ein Marer Faden eng sufammenhängender und fireng fortfchreitender gättlicher Defonomie nnd menfchlicher Er⸗ fahrung hindurch, den die Wiffenfchaft eben nur zu erkennen und nachzuweiſen bat. Je mehr fie bei ihrer Darftels Inng inmerhalb der Aufhanungöwelfe bed Lebens bleibt, deſto größer wird ihre überzengende Macht ſeyn. Diefen Berzug hat vorliegende Arbeit. Zwar läßt fie «6 tms merbin hie und da an Beftinmtheit der Erfafiung, am Praͤciſion des Ausdrucks und au Bünbigkeit der Darflels Inng etwas fehlen; aber biefe Mängel werben durch edle Einfachheit der Sprache, welcher geiftreiche Antithefen zur Würze dienen, durch anfchauliche Lebendigkeit und wohl⸗ thueunde Wärme wieder aufgewogen, und der Lefer wird, indem fein Geil den Gedanken folgt, zugleich in feinem ganzen iunera Menfchen erfaßt, empfängt mit Körberung feiner Einficht unmittelbar and) Erquidung und Erbanung feines Gemüthe,

Diefer zweite Theil des Buches zerfällt in vier Ka⸗ pitel, Deren erfied vom Berföhnen handelt, das zweite von der Berföhnnng durch bie vollfommene Geſetzes⸗ ertällung oder das genugthuende Dpfer des Berföhnerg, das dritte von der Aufnahme iu Die Gemeinfchaft bes Ver⸗ ſöhners durch die Öuadenmittel des heiligen Geiſtes in ber chriſtlichen Kirche und das vierte von ber Aneig- nung der Berföhnung oder von der rechtfertigenden Liebe

und dem Glauben .an biefelbe. 66 *

90 Gartorius

Der Gedankengang ik folgender: „Fie heilige Liebe Gotted reagirt mit heiligem rufe geggp bie um Heilige Selbſtſucht der Sünder, bie ihr Berberben ik; fie zürnt ihr mit gerechten Zorne. Die für diefelben bar: ans folgende Scheidung von dem Lebensqueli ifl der leib: liche und geiftliche Tod, Im Gewiſſen wird ber Biber: wille Gottes gegen die Sünde ald Zurechnung berfelben oder ale Schuld empfunden, welche die perennirenbe, die ewige Strafe bes Böfen if, während die einzelnen Straf; acte nur ihre einzelnen Erfcheinungen find. Diefer Ger genfat der Heiligkeit Gotte® gegen das Böfe kann nun und nimmermehr von Seite des fünphaften Menſchen vwerfähnt werben, da demfelben nicht bloße Befeitigung von allerlei Ablen Folgen, fondern Aufhebung des Gchuidverhältuif: ſes ſelbſt, Wiedervereinigung mit Gott in heiliger Liebe neth thut. Nur Gott feld Bann die durch fein Geſetz gefchehene Scheidung und Strafe wieder aufheben. Er thut es durch ſeite Gnade, durch die Selbfiverleuguung heiliger, erbarmender Feindesliebe. Offenbarung dieſer kiebe iſt die Menſchwerdung des Sohnes Gottes, welche weder Alterirung der göttlichen noch der wwenfchlichen Natur, fondern liebende Bereinigung ihrer zwiefachen Weſenheit in der Einheit des perfönlichen Bewußtſeyns bed Erlöfers il. Der Sohn Gottes hat die menſchliche Natur in die Gemeinſchaft ſeines Selbſtbewußtſeyns anf: genommen, iſt als zweiter. Urmenſch geſchaffen, zugleich aus dem alten Geſchlechte als Sohn David's geborer. So iſt er Gottmenſch, Gottes⸗ und Menſcheuſohn zu: gleich, zwiſchen welchen beiden Naturen dem Weſen der Liebe gemäß eine Mittheilung der Eigenfhaften beſteht. Während diefe Menfchwerdung auch ohne die Bünde uud ihre Folgen Rattgefuuden hätte im paradieflfchen Stande, fo hat er nun ſelbſt Kucchtsgeftalt angenommen, bat in ber angenommenen Menfchheit fidy erniedrigt. Aber wie die göttliche Natur ſchon hinieden der menſchli⸗

die Behre von ber heiligen Liebe. 994

hen von ihren Kräften (vgl. bie Wunder Iefu) mittheite, fo tritt jenfeitd ein Zuftand volfommener Erhöhung diefer ein, wo ſie, von ber Gottheit bewegt, in freiefter Beweglich⸗ feit, wie Strahlen bed Lichte, auch in bie Kernen dringt.”

„Der Berföhner iſt zugleich unfere Verföhnung, Die Bereinigung ber Bottheit mit ber Menfchbeit in Sefu hat nicht in ihm ihren Zwed, fondern fie iſt Mittel, und Je⸗ ſus ift der Mittler, der Mittelpnukt, von dem and götts liches Licht und Erben über ade der Finfterniß und dem Tode verfallenen Menſchen erneuernd auskrahlen fol, JIudem er, das Haupt der Menfchheit, in der vollkom⸗ menften Liebe und GSelbfiverlengnung dem Geſetze gehors fam war, bat er ein weltverföhnend Opfer gebracht, Denn da6 Weſen bed Opfers ift Selbftverleugnung, Selbſtverleugnung um Gotted Willen, wider ben alle Sünde fireitet, völlige Liebe in leidender und thätiger Selbſtverleugnung. Ein vollkommenes aber ift ed durch feine Größe, Heiligkeit und. Barmherzigkeit, durch feine Größe, da der Sohn Gottes fich felbft zum Opfer brach⸗ te, feiner ewigen, göttlichen Herrlichkeit fich entäußernd, durch feine Heiligkeit, da er in demüthiger, bienender Liebe den eignen Willen feinem Vater im Leiben aufs opferte, durch feine Barmherzigkeit, da er dieß Alles für die Menfchheit that. Durch diefe Barınherzigfeit des Soh⸗ ned, wie durch den Willen bed Vaters ift es ſtellver⸗ tretend, womit mehr die juridifche Seite ausgeſprochen wird, während dad Opfer die theologifchsethifche bezeich⸗ net. Beide gehören übrigens zufammen (wie auch diefe jene nicht ansfchließt, fondern in der iurisprudentia divina mit ihr geeinigt IR), da es fich nicht bloß um quantitas tive, fondern vielmehr auch um qualitative Genugthu⸗ ung handelt, Sufofern diefe im ganzen Leben, nicht bloß in abgefenderten Momenten, fich ſelbſt entäußernde, ganz Bott nnd dem Nächten ſich bingebende Liebe zugleich ein gefegerfällendes Thum in ſich fchließt, wirb bie Satis⸗

| | Garterius

parken auch zur Satidfaction, fo daß Chrifti Opfer nit bioß unſer Straf⸗, ſondern auch unſer Schuidverhäitun aufhebt. So iſt Etzriſtus der Verſoͤhner zwiſchen Sett und Menſch, wobei Gott ebenſo der Berfühuende if, inſofern er ven Sohn als Opfer für die Welt dahingegeber, ald der Verſoͤhnte, infofern der Sohn als Menſchesſen dutch Entäußernng und Gehorſam ſich Gott geopfert kai. Die Aungahme diefed Dyfers iſt aber vom Bater badırd beglaubigt, daß er deu Bohn auferwert und zur Ham lichkeit wieder erhoben bat, weicher Stand der Erhöhs die Derlärung und Berewigung bes hienieben volbrad ten Berföhmumgewerled des Sohnes if.”

„Nachdem nun die centrate Einheit uud Fulle des Helle: in Ehriſto vollendet if, kanm fie in dem Umkren der Mitteilung und Gemeinſchaft Abergeken burd deu heil, Beil, Hiergu' Bient ihm ale wernehmfes Drges das Wort. Schoͤpferiſch bezeugt er ſich durch daſſelbe ia den Propheten und Apoſtein, um ein authentiſches, ſchrift⸗ liches Zeugniß der Eirche für immer zu geben, erhal) hingegen anf Ormmd deffelden in den Zeiten ihrer weiten

‚Emtwidelung. lm aber die Guade zugleich fichtbar, i ſiuulich torcreterer Form weitzutheilen, und um fie ſpeeiel auf den Einzelnen zu beziehen und factifch zu übertragen

"bedient er ich ber Sacramente, welche md in die Ge meinfchaft des Opfers Ehriſti, baffelbe uns zweiguen, fegen und uns hiermit auch in bie gliedliche Gemein fehaft mit feiner Bemeinde aufnehmen, Es ſind zwi: die Taufe, das Bad der Wiedergeburt, welche ebjedit durch dad mit bem Worte Gottes verdnadene und zus Drgane der Gemeinfchaft mit dem Leiden Ehriſt geweibl? Waffer und ſubjectiv durch den heil, Geiſt gewirkt wird nnd das heik Abendmahl, wodurch das wit der Zant in und gefchaffene nene Leben erhalten wird. Wahrend jere mehr nur eine Berkhräng mit der Gegenwart Eheiliik, eine Befpeengung mit feinem Blute, fo. fett dieſes dv

bie Lehre vom ber Heiligen Eiche. 993

gegen, als ein eigentlihes Myſterium ber Liche, feine Gegenwart in und hinein, Inden es Chriki für und ges opferten Leib und fein für und vergoflenes Blut durch Bermittelung bed geſegneten Brodes und Weines in wirk⸗ licher , wiewehl verflärter Weſenheit inwendigen Menſchen zu genießen gibt,”

„In Kraft dieſer farramentlichen und wörtlichen (in der Abſolution an den Binzelnen fid; wendenden) Mit⸗ theilung des Berföhnopfers Ehriſti werben dene Menſchen ſeine Bünben vergeben, und bie Gerechtigkeit Chriſti ihm mugerochnet. Diefs Rechtfertigung iſt nicht bloß eine ob⸗ jeetivoe: Sentenz von Seite Gottes, welcher ein durch Dem Gtauben bebingter Erlaß äußerer Strafe folgte, wehl iM fie ein Bmadenurtietl‘ Bostes, aber zugleich audı eine Gradbempirtung, weiche die Seele innig mis ber Liebe beechbringt umb erfüllt, womit fie von dem Colt bes Onabe geliebt wire. Sie ift die Einathmung ber gött⸗ lichen Liebe, von außen nach innen wirlend, während Die Heiligung Die Audathmung Dieter Liebe ifk und alfo von maen nnch außen wird, Der Begriff der Rechtfertiguug fließt jede Zuthat and und leidet wie bee Begriff Der

Gerechtigkeit Teine Steigerung, weder von des Meaufchen, .

noch auch von Gottes Geite. Erforderlich bag iſt won Seite dead Menſchen nur dieß Zwiefache: 1) Die Emmpfänge lichkeit, weilde in ber durch das Geſetz und den Geil Gottes gewirkten, Bad ganze eigne Thum und Weſen richtenden und fivafenden Buße beſteht, mb 2) Das Ems pfangen, welches durch den Glauben geſchieht. Dex Glaube bringt nicht Die Rechtfertigung hervor, bie num ms Ver Fülle Ehriſti quillt, aber er ift die firbjective, bewußte Autiguung derſelben, wodurch er das höchſte Gut nicht bloß empfängt, ſondern auch hat und genießt. Gr if übrigens etwas Anderes, als die Kenntniß und dad Forwahrhalten der bibliſchen oder Firchlichen Lehr, füge überhaupt. Allesbingd dat er wohl dad Moment

. —— Gartesins der Erkeunntniß in ſich, und: zwar fowehl der Selbſt⸗ alt Gottes erkenutuiß, aber dieſe Erkenntuiß, welche bie Groͤſße der Güude nud Guabde decrifft und alſo ethiſchen Gehal⸗ tes iſt, gehört weſentlich in das Gebiet des Sewiſſent and der Beifall, dem ihr die Seele gibt, und das Ver⸗ tranen, womit fie ihrem Objecte fi hingibt, umd der Friede, den fie empfängt, geben nicht ſowohl das Wiſ⸗ fon, ald vielmehr das Herz; uud den Willen an. Jaſe⸗ fern iſt bee Eiaube die tiefſte Gelbäverieuguung. Buße und lautes begränden deu großen fittlidyen Akt der Wicbergeburt oder Belehrung des fügdigen Menfcer. Der alte Menfi, welcher eben erneuert werben fol, thut diefen Aet wicht und kann ihn nicht than, fonbern er leidet nur, daß er in ihm geſchhteht durch die wirken GBuabe; fobald ew aber durch fie neue Kräfte gewommn bat, fo. wirkt er durch diefe auch lebendig weit zum Bad thume feines: nenen Lebend, Der neue Liebesgeherfamif beghalb nicht Goefficient der Belehrung, aber er if dad integrirende Refultat, die nothwendige Folge derfelben.” Aus dieſer Inhaltsüberficht geht hervor, daß de Verf. in den Grundgedanken und im Hauptgange bet kirchlichen Lehrauffaſſung folge: Doc, it es nicht bloße Miedervorfährung eined Alten, etwa nur in lebendigerer, jeitgemäßerer Form, fondern ed waltet barin zugleid auch ein neues Clement, dieß nämlich, daß der Ber. Alled and einem principielen Gruudgedanken ermadien zu laffen verfucht. Diefer Grundgedanke ift ihm die heir lige Liebe. : Wie er fie ſchon im erfien Theile bes Bw ches ale das Weſen Gottes bezeichnen, weiches in allen feinen Eigenſchaften das eigentliche, erfüllende Leben bilde, wie er ans ihr bie Schöpfung entfpringen läßt, is De zug auf fie dad Weſen der Side erfaßt and bad Be feg als ihre Energie der Sünde gegenüber ans ihr ber leitet, fo begegnet und auch im zweiten Theile Alles in ihrem Lichte, Und dieß eben, daß er ihr Walten in der

bie Lehre von der heiligen Liebe. 995

ganzen Dekonomie verfolgt, IM «3 vor Anderem, wasden Berf. theils über manche Dürre und Aeußerlichbeit frühen rer Darftellungen der kirchlichen Lehre erhebt, theils im neue Tiefen der göttlichen Wahrheit führt.

So faßt' er den Zorn Sottes gegen den Sünder nicht ald eine Aenßerung feiner Gerechkigkeit im Begenfaße feis ner Liebe, fondern ald eine unmittelbare und wirfliche Yenßerung der Liebe felbft; vergl. S. 2: „Der Eifer der göttlidyen Liebe für das Seil ihrer Geſchsöpfe wurbe zum Eifer gegen dad Unheit’derfelden, gegen die Sünde. Die heilige Liebe reagirt mit heiligem Eruſte gegen die unhellige Selbfifucht der Sünder, bie ihr Ders derben iſt; fie zürnt ihr mit gerechtem Zorne, und eben diefer Zorn, dieſer Ernft Gotted gegen das Böfe iſt die wefentliche Strafe deſſelben.“ Damit iſt zugleich eine tiefere Erfaſſung des Weſens der Strafe ausgeſpro⸗ chen, Über welche es (S. 3.) weiter heißt: „Die zeitlichen, änßerlichen Strafen, wozu jegliche Ereatur ihrem Gebie⸗ ter dienen far (Weish. 5, 18. 16, 24.), find nur aceidens tel, die Subſtanz, das ewige Weſen derfelben ift der heilige @ifer des heiligen Gottes gegen das Unheilige, fein Widerwille gegen das Widergättliche, fein Berwers fen des Verwerflichen.“

Auch bei der Lehre von dee Menfhwerdung, in welcher er ſelbſt zu der ganz nochwendigen Somfequenz fortfchreitet, daß diefelbe „auch ohne die Sünde und ihre Folgen flatigefunden hätte im paradieſiſchen Stande,” bieter ihm das Princip der Liebe eine ficherere und tiefere Begründung der kirchlichen Wahrheit, wenn er über die unio der beiden Naturen (&.12.) fagt: „Die Liebe hebt, wie überall, fo auch hier, nur die Scheidung auf, aber nicht die Unterfchiede, nur dad Zwiefpältige, aber nicht das Zwiefältige, fie ift vielmehr das Band des linters Ichiedenen.” Und ‚5.20. fügt er hinzu: „Gegenfeitige Mithellung der Cigenfchaften (communicatio idiomstum)

1 2: \

iſt dad Beten jedes Bunbes, ſeder Lickedgewrtinfcheit; nur der Egelomns, der all fein Eignes für ſich behalten will, widerſtrebt ihr; denn der will Immer nur thei⸗ len, aber nie mätt heilen. eur heilige Conmunien der Bortheit weit Der Meuſchheit in Ehriſto Tan nicht ohne die vertrantefie Mitcheilung three beidenfeitigen Ei: genfihaften, ohne die intimite Einigung ihrer Gegenſtte

gumal aber ifk es die Lehre vom Opfer, wo der Berf. vom Priacipe der Lebt geisttet, tiefere Bike er⸗ sffnet. Er geht unf ben urfprhuglichen Begriff des Wor⸗ tes „ofane, Syingabe” zurick, und ſaßt Dad Opfer al Entäußerung wid Darbringung des Eignen, abls Beibb tigung der Seibſtverleuguung. Een heiligen Charalin erhült es dadurch, daß bie Selbſto erlengnung um Gottes willen geſchicht. Jedes Dpfet will hiernuch den Mer⸗ ſchen und feiner egoiſtiſchen Gebundenheit, and fen Berfelbfiigung herausheben. Entweder iſt es eine Betha⸗ tigung, ein Andbruf der Liebe (wie das Opfer bed Lo⸗ 6 md Dankes) und ſetzt dann die Deuieinfchaft der Liebe ſchön voraus, oder es will bie darch bie Gäu geteermte Bemeinfchaft derſelben verföhnend wieber her flellen und einen neuen Licbesbund Riften, wie dfe Sütw opfern, Das Dpfer uber, weiches bein Gott; der bie hei lige @icbe ift, wahrhaft genugthut, iſt die wöllige Liebt, die een fo völlig in leidender als thaätiger Gelpftweeimp nung dad ganze Herz, bie ganze Geele ud bad gasit Semuth ihrem Bott hingibt. Leidend wird fie für der Sünder fpechell im Dalden ber göntlichen Steafe, weidt Die Redetion der heiligen Liebe Gottes gegen feine Sürde iſt; und eben biefe freiwillige Uedernahme mat die Strafe zum verföhnenem Opfer. Diefer reinen Verleng⸗ nung aber ift ber in Seibtſucht gefugene‘ Günber nid fühl. Rur der, welcher, felbft unendlich, die Kraft did mubischen, uwoergängtichen Lebens im ſich ige, Pan

die Lehre von ber Gelligen Liebe. 997

in das .wergängliche, embliche Leben fie hineintragen. Das ran Tann war Gott ſelbſt die Welt mir ihm felber vers föhnen Gen Derföhnungsopfer hat mit der Annahnıe ber menſchlichen Natur in ber Armften Kindes⸗ und Knechts⸗ geſtalt begonnen un» hat ſich ald vollklommene Geſetz es⸗ erfüllumg in heiliger, datmherziger Mebe thuend umd lei⸗ dend durch dad ganze menſchliche Leben des Sohnes Bert, tes hindarchgezogen, bis es am Kreuze vollbracht und vollendet wor den. Indem mat das Gewicht exeluſto auf fein ſteloertretendes Strafleiden legt, bezieht man die Erlöfung:.aue auf die Strafe, nicht auf die Schaft, Des ven Folge nur die Strafe iſt; aber eben Das Schudver⸗ hältniß, welches eo ipso Rtafend und, wo es zum Bis wußptfeyh gelommen, die weſentliche Strafe der Sünde Mt, muß ‚aufgehoben werden.” Dit dieſer Auffaſſung Hi ein weſentlicher Fortſchritt gefchrhen. An die Stelle der anantitwtiven Auſchauung iſt bie qualitative getteten, bie wiltöikoliche Beziehumg der Berſohnung auf einzelne Mo⸗ mente im Leben Jeſu iſt gefallen, fein ganzes Leben wird als Ciue diebedthat gefaßt, die Anperliche Treunung won Than und Reiben IR, wie allerdings Icon die Contor⸗ dienfiermel hierin vorangegangen, durch ven Begriff des Gehorſams überwunden, nnd diefer wiederum durch das Leben Ser Liebe in ihm zur Innertichleit und Fülle erhes ben wonden, kurz, ber Begriff des Opfers iſt von feiner furiftifchen Einfeitigkeit befreit, und Dagegen Der Kernpunkt ver Sache, von ws aus bie Übrigen Seiten ihr rechtes Licht erhakten, in der „Riebeswerkengnung” anfe beſtimmteſte hervorgehoben.

Ebenſo hat der Berf. auch beim heil. Abendmahle die iunerſte Bedentung deſſelben erkaunt, wenn er es ein Mahl ber Liebe nennt. Muß ja doch das Sacrament, wenn es eine weientliche Bedeutung für den Ehriften ha, ben fol, in die engfle, ummittelbarfte Beziehung gar Quelle alles Heild gefegt werben. Die vbloße Mitthei⸗

WM... Werkorins

Iung von Reib und Blut, auch von feinem geapferien, kenn für uns keine Gnadenkraft haben, wenn nicht bad, was des Opfers Wefen it, Durch diefe Mittheilung des Bespferten in ungern iawendigen Menfchen fick einfent. A das Weſen des Opfers Berieuguung der Liebe, ft taun das Abendmahl nichts Auderes ſeyn, als That ud Gabe biefer Liebe, die, wie eben al ihr Thum gegen bes Günder ſelbſtverleugnend iſt, in der Zuwendung bei Opfers an deufelben felbft noch den lebten, tiefſten Be: leuguungsſchritt that, indem fie mit ber ganzen, durd ihre zeitliche Gelbihingabe erworbenen Buadeufülle auq leiblich in des Sunders unwärdige Natur einkehrt. Hin über laßt fidy der Verf. (&.120.) vernehmen: „Die Lie i8 es, welche den Bater bewogen, ben Gohu bakiıs geben in die menfchliche Knechtoögeſtalt uub überhaupt die innigfie Communion der göttlichen wit ber menſchlichen Ratur zu ſtiften; die Riebe if ed, weiche den menihge worbenen Gottesſohn bewegt, fich an feine Meitmenfchen hinzugeben und mit ihnen in die Communion feines kw beö und Bintes zu treten und dadurch ihnen mitzmtheils allerlei Botteöfülle. Das heil. Abendmahl febt jene Opfer der tiefien Liebe und Selbſtoerleugnung vorasdı weldyes am SKrenze vollbracht worben «ld die vollen mente Hingabe in des Vaters Hand, und es iftfelbh wiederum eine Hingabe zwar nicht an Gott, weil eber an bie Menſchen, die der Berfähuung und Wieden vereinigung mit Bott bebürfen. Alles athmet hier Lich, Altes zielt anf Union, Eommunion, Gommuntcation.” In die engfte Verbindung mit dem Principe, vn welchem er ausgegangen, ſtellt der Berf. ferner auch die Echre vom Glauben, wodurch biefeibe außer ledende gerer Fülle zugleich eine feſtere Umgrenzung erhaͤlt. Det Obiect des Gianbens iſt ihm wicht ein Berfchiedend, kaun nicht zufallig jetzt dieß, dann jenes ſeyn, ſondern H allezeit Eines nur: bie Liebe; nad ebenfo kaun bie Bird!

die Lehre von der’ heiligen Liebe. 9%

wieder nur auf Einem Wege als Tolche erfahren werben, auf dem des Glaubens, wie der Berf. (S.162.) fchön fagt: „Jede Liebesgemeinfchaft hat in fih das Lieben und Ges liebtwerden; das erfte, die vom Subjecte zum Öbjecte ausgehende Liebe ift feine Sache ded Glaubens, fonderr ded unmittelbaren Gefühls und Bewußtſeyns; aber das Geliebtwerden oder die vom DObjecte auf das Subject eingehende Liebe Tann für diefes nur Sache ded Glan» bens feyn. Lieben und Glauben find Daher correlat wie Activum und Paffivum, wie Geben und Empfangen ber Liebe, Das Lieben habe ich im Gefühle, welches zum. bewußten Wollen wird, das Geliebtwerden im Glauben, weiche® zum bewußten Gefühle und fo zur Gegenliebe wird. Es gibt alfo Feine Gemeinſchaft der Liebe (infor fern diefe nothwendig ſowohl bad amari ald dad amare involvirt) ohne Glauben, und alfo auch keine Gemeine fchäft der Geelen, bie eben im Bunde -der Liebe befleht, ohne Glauben, und daher ohne ihn überhaupt Fein Sees: lenglück. Denn keine Seele it glüdlich in fich felber, für fi allein; jede nur in Gemeinſchaft mit anderen, in der Liebe; unfelig ift, wer an keine Liebe glanbt, wos mit er geliebt wird, und wie ein Verdammter geht um⸗ ber, wer fich von Allen gehaßt glaubt.” Der Verf zeigt Bann in einleuchtender Weife, wie dieß fhon von bloß menfchlichen Verhältniffen gelte, und gebt von ba auf das Verhaͤltniß des Sünbers zu Gott über, wo er fagt (8. 155.): „Eine Fülle der Liebe und Bnade gießt fie über den armen Sünder aus und wendet reichen Gegen in himmliſchen @ütern durch Chriftum ihm zu. Seine Armuth bat nichts zu geben ,. nichts zu bringen; fie hat nur zu nehmen, was ihr geboten, nur zu empfangen, was ihr gefchentt wird, und fie nimmt und empfängt ed Durch den Blauben. Der Glaube iſt die Hand, ift ber Mund der Seele. Die Hand bewirkt nicht die Gabe, welche dargeboten wird, fondern fie uimmt fie nur; Der

I . NQarterius⸗

Mund bereiten nicht Die Speiſe, ſonders er ergreift fe um, So bringe Der Glaube auch nicht nbiectio die Rech⸗ fentigung hervor, die nur aus her Fülle Ehrifi quilt; Aber er if die ſuhjeetive, dewußte Aneignung berfeiben, aba welche ihre Objecsinität eben fo vergeblich if, wie eine Gpeife, Die wicht genoſſen wird.” Der Berf. hätte Bis Eonſequenz nur noch weiter ziehen und im Glauben ſelliſt audı das Liebeweſen nachmailen ſollen; denn da Gleiches nur von Gleichem kann verſtanden und erfaßt werden, fo muß der wahre Glaube, der Gottes Liebe hin: aimmt, bat und genießt, ſelbſt auch eine, wiewohl au ned) receptive, Liebedbeweguug des Gemäthe fen, wei der die fpontane aber als nothwendiges Erzengriß vos ſelbſt folgt, Aber zu diefer Conſequenz gebt der Bei. nicht fort, und hieß hat zur Folge, daß bei der Lehr con ber Wiedergeburt und Belehrung das Berhalten dei Menfchen, wie unten noch gezeigt werben wird, niet ia feinse vollen Lebendigkeit erfcheint. Daß der Berf. and fonft auf dem Gebiete der kirchlichen Lehre ſich fteier be» wege mad fie, ſtatt fie in ihren äußeren hiſtoriſchen Fer men feſtguhalten, vielmehr von innen heraus organiid gu verſtehen fuche, bafür dieus, was er (S. 82.) von ber Anſpiratirn der heil. Schrift fagt: „Salcher orga⸗ wifche Begriff der heil, Schrift, wenech Moſes und dir Propheten, und Die Apoſtel una apoßoliſchhen Männer, bie, vom Geiſte Ehrifi (1 Petr. 1,12.) beſeelt, ie geſchrie⸗ den haben, ſich dienend gliedern um das Haupt des Herrn, gibt Die rechte Wärbigung berfelben. Ein Organismus, je lebensvoller er geſtaltet iR, um fo mannichfacher find feine Glieder; nicht haben alle Glieder gleichen Werth, gleiche Nothwendigkeit, gleiche Geiſtesfülle; einige fichen in näheren, andere in entferuterem Verhaltniſſe zum Her⸗ zen und Haupte; dennoch. find fie alle Durch Einen ke⸗ bendgeift verbunden und dienen Einer Seele. Sehr us gleichartig And Die Sieber der heil. Schrift, bie einzel

die Lehre von des Beiligen Liebe, 1008

nen Schriften, weiche bie Bibel bilden; nicht mit: gleich⸗ färmiger ‚Energie geht das Walten des heil, Geiſtes durch alle hindurch. Ye bekimmter ber Zug des Geiſtes zu Ghrifte ald dem, der bed Geſetzes Ende if, je Has rer und kraͤftiger das Zeugniß von ihm als dem Ballen, der ded Evangeliums, um fo intenfiver iR bie Ins fpiralion, dig ſich demohngeachtet aber auch in jene fer neren Regionen der heil, Schrift ertenbirt, welche zu dem Mittelpanfte nur in mittelbarer Beziehung fichen.”

Mer. könnte ded Bortrefflichen, was das Buch im Einzelnen enthält, noch gar viel hervorheben, fürchtese er nicht, allen Raum, welcher biefer Anzeige gewährt werben Tann, dafür wegzunehmen, während er 06 doch nicht weniger für feine Pflicht hält, auch die weſentlich⸗ ften der ihm im Buche entgegentreteuben Mängel zu bee zeichnen.

Seine Gegenbemerkungen betreffen aber vorerſt das aufgeſtellte Princip und deſſen Durchführung. Zwar iſt er weit entfernt, dagegen etwas einwenden zu wollen, daß der Verf. alle Offenbarnugen Gottes won feiner Liebe ausgehen laſſe, vielmehr Hält er dieß, wie oben audgefprocdhen worden, für einen Hauptvorzug des Buches. Demm die Liebe ift, wie ber Berf. im erſten Theile 18.9.) richtig fagt, „wicht eine bloße Eigenſchaft, welche Bott hat, fondern vielmehr das Weſen, welches er if.” Und es werben beßhalb alle Eigenſchaften und alle Werke Gottes wur fo weit richtig erfannt, als das Walten und Wirken Der Liebe darin erkaunt wird, Aber eben deßhalb muß e6 Rec. für einen Überflüffigen, ja fiöreuben Beifag halten, dap ihr bad Präpkae „heilig? noch beigegeben iR. Ueberflüſſig weil es durchaus in ihrem Weſen liegt, daß fie heilig fey. Es läßt fich feine perfönlihe Liebe denken, die nicht heilig wäre, und nur fo weit fie heilig iR, iſt fie wirklich auch Liebe; jedes Momente der Unheiligkeit träge ein Moment der Gelbfis

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wor . Bauterius

ſacht in fie hinein. Stürend aber weil ber Ghein daraus erwüͤchſt, ald ob die Liebe bei ihrer Offenbarung nur wach diefer Geite ihrer Eigenfchaften wirtfam ſey. Oder wäre die Schöpfung aus ihrer Heiligkeit allein gu erllären? fchafft die Liebe nicht zugleich ale eine al: mächtige? und that fie irgend etwas, darin ihre Wais⸗ beit nicht ebenfo mitwirkte, als ihre Heiligkeit? Selle aber der Beifau in der Räckſicht gemacht fegn, daß ge genüber ben freien Thun des Menfchen eben dis Seite Der Helligkeit in der Liebe vor andern in Betracht kaͤme, und deßhalb in einem Dogmatik und Ethik verbindenden Merle dieß der leitende Geſichtspunkt ſeyn müſſe, fo läßt Ach dieß doch nicht wirklich auf ale Theile anwenden Denn der Ratbfchluß, die fündige Menfchheit zu erloͤſen, bat feinen Grund nicht in der Heiligkeit der Liebe; nicht weil fie heilig iſt, erlöft fie, fondern weil fie barmberzis it (wiewohl fie auch in ihrer Barmherzigkeit heilig bleibt). Und es müßte deßhalb dem Präbicate der Heiligkeit wer nigßend noch das ber Barmherzigkeit beigefügt werben. Man kann auch nicht bafür anführen, daß Die Barmher gigleit in der Liebe ald die Eonfequenz ihrer Wahrheit enthalten fey und fomit Feiner befonderen Auführung ber bürfe; denn die Heiligkeit ift nicht weniger darin ent halten als ihre Borausfegung. Nur infofern ließe ich’ einigermaßen rechtfertigen, ale im Worte „Riebe” die Selbfimittheilung das beftimmende Moment des Begriffe bildet, wovon die Barmherzigkeit nur eine Modificalion audfagt, während die Heiligkeit ihre Selbſtbewahrung bezeichnet, die im Begriffe nicht unmittelbar als integrir rendes Moment erttgegentritt, obwohl es im ihr liegt, da feine wahre Gemeinfchaft ohne Selbfibewahrung möglid il. Aber in diefem Kalle liegt die Gefahr fehr naht, doch wieder einen Dualidmus von Heiligkeit und Lieb, woran die kirchliche Lehrdarftellung leidet, in die Ent widelung Sereinzubringen, während jewed Ausgehen von

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die Lehre von der heiligen Liebe. 1003

dem beftimmten Principe der göttlichen Liebe bavor eben bewahren foflte. Und dieſer Gefahr ift der Verf. auch nicht ganz entgangen,

Eine genaue, eingehende Darlegung bed Weſens der Liebe wärde ihn am ficherfien haben davor bewahren fönnen, aber diefe gibt der Verf. nicht. Er zeigt wohl (Bd. I. S. 4) in fchöner und tieffinniger Weife, daß es ohne Liebe Fein wahres Erkennen gebe, da in Allem, was ift, die Liebe das geiftige Band ſey, welches allbes berrfchend die ganze Welt fo burchdringe als umfchlinge, fo erhalte ala regiere und fittlih ordne, und (S.7ff.), daß alle Eigenfchaften Gottes in dem Begriffe der abſo⸗ Inten Liebe zufammengehen, daß Geift, Unendlichkeit, Ewigkeit, Heiligkeit und Geredhtigfeit hohle Abftractionen find, wenn fie von der Liebe los gedacht werden, daß aber fie in ihnen allen er der Urquell, das Leben und ihre Füͤlle fey. Aber was die Liebe ſelbſt fey, iſt nicht gefagt. Da, wo der Berf. zu erweifen fucht, daß Gott, weil er die Liebe ift, ein dreieiniger fey, ein Geheim⸗ niß, welches allerdings am annäherndften aus dem We⸗ fen der Liebe erfannt werden kann, da bemerft er wohl über diefelbe, daß ihr Wefen Mittheilung fey, alfo bas der vollfommenften Liebe, welche Bott ift, die voll, kommenſte Selbftmittheilung, und auch fonft finden wir an verfchiedenen Stellen fehr wahr und tiefer einführende Bemerkungen darüber. Allein folche gelegentliche Bemer⸗ fangen tönnen nicht genügen, wo es gilt, ein ganzes Syſtem der Lehre darauf aufzubauen, einen lebendigen Organismus gefchichtlicher Offenbarung daraus zu ent wideln. Es müßte nicht nur eine vollltändige Beſtim⸗ mung ded Begriffe vorausgefchidt, fondern, was von noch wichtigerem Belang iſt, ed müßten die verfchiedenen Seiten ihres Weſens und deren gegenfeitige Beziehuns gen dargelegt, es müßten die Gefete ihres Lebens aus ihr felnf gefunden und daraus bie a ihrer Offen»

Theol. Stud, Jahrg. 1847,

1004 Sartorius

barang gefolgert werden; dann würde die Stellnig dr Heiligkeit zur Liebe klarer erkannt werden, dann aber auf die ftrenge Durchführung ber Liebe ald des aflbebingenden Principe durch alle Theile der Lehre fidyerer geſchehes fönnen,

Diefe mangelt in manchen Stellen des vorliegenden zweiten Theil, Go ©. 3., nachdem der Berf., wid ober angeführt worben, den Zorn ald Energie ber Liebe ge: gen die Gände dargeſtellt hat, heißt ed weiter: „Die Ermangelung feine! Liebe, dad Geſchiedenſeyn von ihr tft die Unfeligkeit; benn feine Liebe ff die Quelle ale Lebens; fieift das ewige Leben ſelbſt; die Scheidung von der Lebendaquelle ift Tod, leiblicher Tod, infofern dem Leibe die belebende, erhaltende Liebe fich entzieht, geif- licher Tod, infofern die Seele der beſeligenden und hei. figenden Liebe ernrangelt, und diefer gefftlihe Tod wir jum ewigen, inter und doch nimmer fierbenden Tode, wenn die Seele, nachdem fie gegen beit heiligen Gott fi) verftodt hat, verworfen wird von Gott und verlaf fen von der göttlichen Liebe, bingegeben iſt ber Be dammniß quülender und gequäffer Selbſtſucht.“ Iſt Eiche das Weſen Gottes, fo muß er die Liebe gegen jedes ſei⸗ ner Gefhöpfe feyn, und wahrhaft verlaffen kaun er kei⸗ ned derfelden. Populär ausgedräcdt, Hat diefe Verwer⸗ fung und Berlaffung ihre Wahrheit, wiſſenſchaftlich, nicht. Bielmehr lebt umd wirft Gott auch‘ im den Gottloſen, und zwar ale die Liebe; nur, weil fie ſelbſt, Die ganzis Selbftfucht aufgegangen find, ver Liebe im Grunde ihrer Weſenheit feind find, können fie biefelde mar als eine feind» liche, abftoßende erfahren. Ja eben dus iſt Ver eigen! lichſte Srimm ihrer Qual, daß diefe Liebe, die am id heilig, alfo ihrer Sünde feind it, in ihnen ale unant: tilgbare höhere Macht wohnt, wie bieß fchon aus der Dual des Gewiſſens hienieden erkennbar iſt; und durch nichts würde ihre Qual mehr erleichtert, als wenn diele

die Lehre vor der heiligen Liebe 1005

fhredlihe Gegenwart ihrer reinen Herrlichkeit von ihnen wiche. Auf die gleiche Conſequenz deutet zwar auch das bin, was der Berf. (Thl. 1. S. 140 ff.) trefffich Aber das Weſen ded göttlichen Zornes fagt, allein wirklich durch⸗ geführt iſt dieſelbe auch dort nicht.

Auch noch an manchen andern Stellen möchte man das Princip ber Liebe klarer in jedem Momente der Ent, wickelung durchleuchten und durchwirken fehen. Zumal wird öfterd, wo Gerechtigkeit, Geſetz, Schuld. und Strafe im Verhältniſſe und Gegenfage zur verföhnenden Liebe befprdchen werben, diefer Gegenfat in einer Weiſe urgirt, daß man dad auch in ihnen waltende Weſen der Liebe nimmer erfenit. Schon wo der Berf. im erften Theile vom Geſetze redet, legt er zwar großes Gewicht, und mit Recht, darauf, daß bie Liebe, d. 5. die Liebe des Men⸗ (hen gegen Gott und den Nächſten, des Geſetzes Inhalt fey, aber daß das Geſetz in der Liebe, d. h. in der Liebe Gottes gegen und, auch feinen Grund habe, eine noth⸗ wendfge Offenbarung ihrer felbft auf Grund ihres Innern Lkebensgeſetzes fey, das tritt fehr zurück, während doch vor Allen nad) dieſer Seite das Princip der Liebe hier durchzuführen Wäre. Nur dadurch wird man an den Zu⸗ ſammenhaͤng beſſelben mit der Liebe erinnert, daß der Verf. und hiermit erhebt er fich allerdings fehr Aber die gewöhnliche änßere Auffaffung des Geſetzes zeigt, wie das Geſetz nichts Anderes fey, ald bie in Kolge des Widerſpruchs der Sünde nun auch in Widerfpruch gegen ihn getretene bee bed Menfchen oder feine Gotteseben⸗ bitdlichkeit, welche durch ben göttlichen Liebeswillen bei der Schöpfung in ihm manifeſtirt und realifirt worden war, und zum Andern dadurch, baß er das Geſetz als eine Yeußerung bed Zorned Gottes gegen die Sünde bes zeichnet, welcher Zorn die heilige Reaction feiner Liebe gegen dad Begentheil berfelden ſey. Aber jenes führt nur fehr ummittelbar zur Liebe zurück, und dieſes wird

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bei der nähern Ausführung mehr aus der Heiligkeit für fi, ſtatt aus der Liebe als folcher (fo DaB auch die Hei⸗ ligkeit als Liebesäußerung erfchiene) begrünbet. Der ſeht tief in die Sache führende Gedanke, welcher bort (8. 140.) audgefprochen it: „Gott wäre nicht Die heilige Liebe, wenn er nicht zürnte ‚ben, was gegen bie Liebe iR; ie mehr er liebt und das Wohl feiner Gefchöpfe liebt, un fo mehr zürnt er dem, was ihr Liebel und Verberben if, d.h. der Sünde,” diefer Gedanke müßte noch volllän diger aus dem Weſen ber Liebe entwidelt und bewieſen werden, wenn man ſich ganz befriedigt fühlen follte. Inebe⸗ fondere wäre, indem der Zorn nicht bloß auf die Sünde, fer dern auf den Sünder ſelbſt bezogen wird, darzuthun, daß die Liebe, wenn fündlicher Widerfpruch fich gegen fie erhoben hat, eben nur in ber Mittheilungsweife bes Zornes Lich bleibe, und zwar nicht bloß an ſich, fondern ſpeciell and gegen den, dem fie zürnt, daß fie nicht bloß zürne, us ſich feluft zu erhalten, fondern um fi dem, der it feind ift, auch jeßt noch nad dem ganzen Maße feine Empfänglichkeit mitzutheilen, wie das in ihrem Bela liegt. Der hier gebliebene Mangel macht ſich nunis zweiten Theile noch fühlbarer, wenn Schuld und Strafex. immer nur auf bad Geſetz zurückgeführt erfcheinen, nu: gende mehr aber das Weſen der Liebe in ihnen verfpün wird, vielmehr ſelbſt Stellen vorkommen, wo fie im Ge⸗ genfage gegen bie Liebe auftreten, wie S. 46., wo id heißt: „Das Geſetz mit feiner Strafe ertödtet die für dige Seele (Röm. 7, 10—13.), aber es belebt fie nicht, ed kann ihr Fein neues Leben, keine nene Liebe geben (Sal. 3,21.); die Liebe allein aber beffert, nicht die Strafe; die Strafe ſchlägt wohl nieder, was ſich fe ſüchtig aufblähet gegen Gott, aber fle richtet das Rie dergefchlagene nit auf, fie erbauet nicht, n dyaam olxodogsi (1Kor. 8,1.).” Dffenbar erfcheint bier die Strafe ald Gegentheil der Liebe (worunter, wie an

die Lehre von ber heiligen Liebe. 1007

der beigefügten Schriftftele und aus der Parallele zum Geſetze erhellt, vom Berf. die göttliche verſtanden wird), während doch die Strafe felbft ein Ausflug der Liebe ift. Was der Verf. hier Liebe ausfchließfich nennt, ift nur die höhere Offenbarungsftufe derfelben Liebe, welche auf der niedrigeren Stufe Strafe ift, fo daß eigentlich ftrafende und vergebende Liebe einander entgegengefeßt werden follten, Nur auf anderen Grundlagen oder im populären Sprachgebrandye darf die höhere Offenbarung der göttlichen Liebe im Gegenfage zur Strafe ıc. mit Liebe felbft bezeichnet werden. Wo aber, wie im vorlies genden Werke, von der Liebe ale alldurchdringendem Principe ausgegangen wird, kann biefer Grundbegriff nicht wieder für eine einzelne Seite deffelben gebraucht werden, wenn man nidyt, während man über den un—⸗ aufgehobenen Gegenſatz von Gerechtigkeit und Liebe in der älteren Firchlichen Anficht erhoben zu werden hofft, doch in diefen wieder zurücgeführt und im Ideenkreiſe diefed Gegenſatzes gehalten werden fol.

Auch bei andern Punkten würde es der Darftellung ſehr zu flatten gefommen feyn, wenn das Wefen ber Liebe von vorn herein nach allen Seiten gründlich entwidelt worden wäre. Go fagt der Verf. wohl fehr richtig über die Weife der Menfchwerdung (S.21.): „Die verföhnende Menſchwerdung Gottes in Ehrifto ift der größte Beweis der heiligen Liebe Gottes, weil fie der Selbſtſucht der Melt gegenüber die tieffte Selbfiverleugnung des Höch- ften ift, der ſich als Menſch bis zur Knechtsgeſtalt er: niedrigt hat. Nicht etwa nur eine bofetifche Verhüllung (xg5Hı5) der göttlichen Herrlichkeit fand darin ftatt, ſon⸗ dern eine wirflihe Entäußerung (xEvaaıs, Phil. 2, 7.), zwar nicht der ewigen Potenz berfelben, was unmögs ih, wohl aber ihrer unendlihen Actuwofität in der Endlichkeit.“ Aber anftatt daß dieß nun aus dem We⸗

1008 Sartoriußs

ſen der Liebe erwieſen wärbe, folgt nur folgendes as fich fehr ſchöͤne und erllärende Bild: „Das Auge, wel des Himmel uud Erde mit den Strahlen feines Blidi umfaßt, entäußert fich nicht der Schkraft, wenn es id ins Dunkel begibt oder dad Augenlied fchließt, fordere . nur ihrer weitherrfchenden Wirkfamkeit; fo ſenkt dır Sohn Gottes auf Erden fein allumfaffendes Ange ud hegibt fich ind menfchliche Dunkel und öffnet darin ali ein Menſchenkind fein Auge ald das allmählich aufgehent: Licht der Menſchenwelt (kLuk. 2, 52.), bis er ed zur Reh: teu des Baters leuchten läßt in völliger Herrlichkeit.” Ebenſo wänfchte man den (S. 32.) ald Uebergang von erften zum zweiten Kapitel gewählten, fehr tief in das Berftändnig der Berföhnung leitenden Gedanken: „de Berföhner it unfere Berfühnung,” dadurch näher begrüß det, daß gezeigt würbe, wie bie Liebe, indem fle fd felbft gibt, damit eo ipao Gegen bringt, und fprciel die göttliche Liebe den Segen, weldyen die fündige Menſch heit bedarf. Zwar fleht 5. 34. und 35. eine Stelle, i welcher bie unmittelbar gegebene Immanenz des Werft in der Perfon noch weiter ausgeſprochen it, ed ih di bie fchöne Stelle: „Die Vereinigung ber Gottheit mi ber Menfchheit in Jeſu hat nicht im ihm ihren Eudzwel als habe nur ihn als Individuum Gott erkoren, um ihr die Fülle feiner Liebe ausſchließlich mitzutheilen; nei, fie ik Mittel und "Iefus der Mittler, der Meittelpusft,

von dem aus göttliches Licht und Leben über alle, dt

Finſterniß und deu Tode verfallenen, Menfchen erneuern) audftrahlen fol. Es if das Wohlgefallen geweſen, daj in ihm alle Fülle wohnen ſollte (Kol. 1, 19.), damit au feiner Fülle Ale nehmen möchten Gnade um Ga

(Joh. 1,16,). Eines bedingt hier das Andere; bie Je

tenfität feiner Perfon begründet die Extenfirät feınet Wirkſamkeit; je mehr im ihm concentrirt iſt bie Bereit

die Lehre von ber heiligen Liebe. 4009

gung ber Gottheit mit der Meufchheit, um fo mehr era⸗ biirt von ihm die verföhnende, die wiederversinigende Kraft auf ale Sünder. Die Lehre von der Berföhnung it unverkändlich, mo bie Perſon des Verſöhners und eben damit die univerſale und centrale Stellung verfannt wird., fraft deren er ald König und priefterliched Haupt der menfchlichen Gemeinfchaft alle ihre Gligder unter ſich befaßt, ja als der Herr, durch den und zu dem alle Dinge geſchaffen find, das Oberhaupt der ganzen Welt iſt.“ Allein damit, daß die Vereinigung der Gottheit mit der. Menfſchheit in Chrifto vermöge der.centralen Stel: _ Iung deflelben zu dieſer auch eine mit Gott vereinigende Kraft anf. alle Sünder ausühe, ift jene Immanenz bag Werkes iu her Perfon noch nicht vollkammen dargethan, wenn nicht auch auß dem Weſen der Liebe, welche chen in Ghrifto perfünlid offenbar geworden, erwiefen wird, daß fie in ihrer Selbſthingabe eo ipso wiebervereinigend wirfe, und daß, mas ald Zweck ihrer Selbfihingabe er» Scheint, daß ihr Werf, und fpeciell Die Grunbfeiten def: felben, Licht, Leben und Berfähnung, welche der Verf. bier gelegentlich anführt, als integrirende Lebensmacht ip ihr felbft befchloffen liegen. Auch wenn her Verf. hier, indem er von wieberpereinigender Kraft der Liebe rebet, diefelbe ohne Weiteres mit der verfühnenden ibentificirt, fann ihm Rec. nicht beiftimwen, weil jenes eine allges meine Bezeichnung if, welche, wie der Verf. felbit ed auffaßt, Licht und Leben als untergeordnete Momente in fih fchließt, während die Verſöhnung ein fpeciellereß, juriſtiſches Verhältniß bezeichnet, welchem Licht und Les ben wohl ald Wirkung folgen mag, body fo, baß fle nicht als inbegriffents Moment in den Kreis des Be⸗

griffes ſelbſt gehören. Doch dieß führt Rec. auf einen zweiten Punkt, auf welchen er bei Beurtheilung vorliegender Schrift näher

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De

1010 Sartorius

eingehen muß a). Er betrifft die Stellung ber Ber föühnung innerhalb der Liebesötonomie Bor: tes felbfl. Der Berf. faßt die ganze Licbedthätigket Gottes für den Sünder iu den Einen Begriff der Ver⸗ föhnnng zuſammen, indem er der fchöpfertifchen Liebe bie verfähnende gegenüberftellt. Diefem entfpricht daun arf Seite des Sünders, welcher im Glanben diefe Liebe anfı nimmt, die Rechtfertigung, welche „das Empfangen der Liebe ift, womit wir geliebt werben, während bie Heil, gung das Geben der Liebe iſt, womit wir lieben.” Un dieſe Anficht wird baburch noch fefter geſtützt, daß ta Gewiffen als ber innere Grund aller Religion (fomit di Theologie ald Gewiffenswiffenfchaft) bezeichnet wird. Dieb Einzelne fleht unter fi, in engem Zufamme bange, und der Berf. ift hierin nur confequent. Abe nicht in gleicher Weife findet Rec. diefe Sonfequen; in dem Berhältniffe obiger Säge zum Principe ber Liebe, wovon der Verf. ausgeht. Gorfequent wäre es um

dann, wenn dad Gewiffen bad Organ wäre, womit di

göttliche Liebe als folche von Geite des Menfchen aufge nommen wird. Aber, wiewohl ich allerdings im Gewiſ⸗ fen die göttliche Liebe erfahre, fo erfahre ich fie in dem felben doch nicht als folche, in der unmittelbaren Hingabe ihres Selbſts, fondern nur nach der Gelbfibefchräntung, welche fie in dieſer Hingabe beobachtet, d. h. nach ihre Rechtsſeite. Das Gewiſſen ſteht in ausſchließlicher Be ziehung zu meinem freien Thun, weßhalb daſſelbe aud früher nicht erwacht, als der Menfch fich felbft zu be ſtimmen anfängt. Es ift nicht das Organ, dur wel

a) Indem Rec. dieß thut, will er damit bas, was er über denſel ben Gegenftand in einer felbftändigen Abhandlung („über da Verhaͤltniß der perfönlichen Gemeinſchaft mit Chriſto zur Ev leuchtung, Redptfertigung und Heiligung“ in biefer Zeitiärift 1847. Heft 1.) gefagt bat, nadı einigen Seiten noch ausführ licher begründen,

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die Lehre von ber heiligen Liebe. 1011

ches ich mir meiner Abhängigkeit von Gott überhanpt bewußt werde, fondern nur jener Abhängigkeit, vermöge welcher über meinem Willen ein höherer Wille als deſſen Geſetz ſteht; und mein Gewiſſen fagt mir alfo nur dieß, daß auf Grund und in Folge meines eignen freien Bers. haftende Gott diefe oder jene Stellung zu mir eingenoms men habe, oder daß ich zu dem inneren, fich ſelbſt glei⸗ chen, heiligen und gerechten Willen Gottes in diefe oder jene Stellung eingetreten ſey. Die Liebe if felbft wohl dieſes Recht. Indem fie ſich nämlich hingibt, nimmt fle eben damit auch eine beitimmte Stellung ein, und weil fie fih immer nur nach dem Maße der Empfänglichkeit ihres Objects, bei der perfönlichen Greatur alfo nad dem Maße der ethifchen Smpfänglichkeit, hingibt, nimmt fie von felbft zugleich eine ethifchsrichtende Stellung ein. Und diefer werde ich eben im Gewiffen inne. Aber dars in geht das Weſen und Wirken der Liebe nicht auf. Sie erwibdert nicht bloß fremdes Thun, fie bietet und gibt auch Neues aud dem eignen Schaße, fie vergilt nicht bloß, fie fördert zugleich, fie fchafft nicht bloß Recht, fondern, wie der Verf. (S. 34.) feldft bemerft, auch . Licht und Leben. Diefe letztere Wirkung aber erfahre ich nicht im Gewiſſen, fondern in den übrigen Seiten meines perfönlihen Lebens. Gegen die Nechtöfeite der Liebe verhalte ich mich rein paſſiv, eben weil fie nur erwidert (wie das Gewiffen auch ein folch rein objectives Organ ift, wobei mein perfönlihes Ich ſich bloß leidend vers hält); um aber ihr Licht und Leben zu empfangen, bebarf ed auch activen Verhaltens, zwar immer noch zuerſt in Neceptivität, doch nicht in reiner Paſſivität. Die Liebe felbft jedoch in ihrer unmittelbaren Totalität, worin eben die Perfon, wie fie ift, fih ganz gibt, kann von ber Merfönlichkeit nur wieder nady der unmittelbaren Totalis tät ihrer Eriftenz, alfo im innerftien Kernpunkte ihres Weſens aufgenommen werden, wo Paffivität und Actis

1m Gartariuß

pitat ſich darchdringen, wo die verſchiedenen Vermigu bed perſoͤnlichen Lebens noch in unentwickelter Eindeu geſchlaſſen liegen, mo das bewußte, freie Leben der Pers fönlichleit auch von der Baſis feines natürlichen Lebens ſich noch wicht gelöft hat, fondern mit dem Trieb⸗ und Gmpfindungsieben der Ratur nad unmittelbar geeinigt zubt. Diefer innerfte Lebensgrund der Perfönlichken iſt ct, was wir Gemüth nennen. Nur das Gemäth foht und erwidert bie Liebe als ſolche, nr im Gemüthe nimm and gibt fi geganfeitig Die Pexfäulichkeit in ihre anmittelbaren Ganzheit. Und da Gott in feiner Liebe fih ganz dem Sünder gibt in Ghrifto und der Günder, Gottes Liebe durch ben Glauben in den innexſten Grund ſeines Weſſens ziehend, aus diefem in ungetheilter kick ſich Bott wieber hingibt, fo iſt die Theologie, weldt biefe Delonomie des Reiches Gottes barzuftellen hat nicht ſowohl Gewiſſens⸗, ald Gemuͤthswiſſenſchaft. Ge wiſſeuswiſſenſchaft könnte man bloß die abflracte, vom chriſtlichen Boden gelöfte Moxal nennen, welde nur eis fogmelled Thun nach .eiferuem Geſetze keunt. Die chriß⸗ liche, auffchließlich aus dem Boden bey. Religion erwach fene Moral aber eutmickelt Alles aus der perſönliche Einigung bed Menſchen mit Bott, der in Chriſto durd ben heil. Geift in und Sündern Wohnung macht, ſo dad die gläubige Kiebe nothmwendig das fubjectine Prince ihrer Sittlichkeit bildet; fie ift alfo dur und duch my ſtiſch; Myſtik ift aber das religiöſe Leben bed Gemüthe, icht des Gewiſſens. Diefes. ift nur feine objective den ausſetzung.

Um bier ſicher zu gehen, muß man die Anfchauunpe zweife, welche dieſe Gruublräfte des Geiſtes als eingelav- neben cinander chende, abgefonderte Vermögen brraı tet, verlaſſen. Dadurch zertrennt man den Menden and kommit zu feiner lebendigen Borftelung. Dear Bil des Menfchen it Einer. Infofern er, von anderem Sep

die Lehre von her beiligen Liebe. Ad18

ben fich unterſcheidend, dieſes ſich gegenſtändlich zu ma chen vermag, und zwar nicht bloß feiner äußeren Er, fcheinung, fondern zugleich feinem innerften Weſen nad, als Product göttlichen oder creatürlihen Geiles, wofür er alfo die verwandte Kraft in ſich trägt, nennen wir ihn vernünftig. Infofern er, was nur auf Grund biefer Gegenfändlichfeit fremben und eigenen Weſens gefchehen ann, ſelbſt Urfache feiner Lebensrichtung zu ſeyn, fich felbR ans fih zu beftimmen vermag, fchreiben wir ihm Wille gu. Die Vereinigung dieſer beiden Kräfte macht ihn zum Seife, zum Ebenbilde Gotted. Aber weil er nur Abbild, nicht Urbild if, fo bleibt ihm dieſes nothwendige Norm für feine freie Bethätigung; und dieſes innere Sich fund mb geltend machen der göttlichen Idee bes eigenen Weſens gegenüber feiner freien Bethätigung iſt. es, was wir ald Function dem Gewiffen zuſchreiben. Zu diefen drei Grundſeiten bed menfchlichen Geiſteslebens Kommt aber noch gine vierte hinzu. Alles Thun des Geiſtes nämlidy iſt im leuten Grunde nichts Anderes, als ein Eingehen in die Gemeinſchaft anderer Geilter, bes göttlichen und der verwandten creatürlichen. Dieß kann nur in ber Hingabe der innerſten Perfönlichkeit gefchehen. Diefe Seite des Geiſteslebens, nach wel⸗ cher der Beil mit feinem eigenften Selbflleben fi bargibt und das gleiche innerfte Leben göttlichen oder fremden creatürlichen Geiftes in fich aufnimmt, bezeichnen wir mit Gemüth. In diefem bat der Menſch fomit feine Inuerlichkeit und Fülle; und nur was und fo weit ed in diefes Sich einſenkt, wird es fein wahres perfönliches Eis genthum, nicht - mehr bloß einzeln anhaftender Beſitz, und, nur was und fo weit etwas qus bem Gemüthe kommt, ift es wahre volle perfönliche That des Menfchen, nicht bloß natürliche oder. abftracte Selbftbewegung des Ichs.

Tritt nun in die menfchliche Perfönlighkeit die Stö⸗ sung ber Sünde herein, fo kann man nicht fagen, nur

=

+

1014 Gartorius

bieß oder jenes Vermögen fey bavon inficirt, ein anbes red nicht, wie 3. B.Bernunft und Wille feyen es, das Bes wiffen nicht, fondern der ganze menfchlidhe Geiſt, der ein einiger it, ift ed. Nur äußert ſich natürlich biefe Störung nad jeder Ridhtung des Geiſteslebens in aus derer Weiſe. Da fich derfeibe feinen Weſen nach in ſei⸗ ner fittlichen GSelbfibeflimmung von einem höheren Wil⸗ Ien abhängig wiffen muß, fo kann dieß Verhältniß durch die Sunde nicht aufgehört haben, die Idee bes göttlichen Rechts kann nicht zerfiört worden feyn (wiewohl and bier eine Träbung zu erfennen ift, wofür der Nachweis in der Nothwendigkeit einer äußern Gefekesoffenbarung vorliegt), dagegen aber wird fi das innere Zeugnif nun in anderer Form, in der der Scheidung nämlich, dem Ich kundthun, nnd dieß ift hier Die eigentlichſte Störung. So haben and, die Übrigen Seiten des per: fönlichen Lebens eine Störung erlitten, und zwar zeigt fih diefelbe, da fie fubjectiver Art find, hier als eigent- lihe® Verderben; doch aber ift auch in ihnen noch bie angeborne Bellimmung, die Beziehung nad oben er:

kennbar und lebendig geblieben, fo dunkel und ſchwach

fie auch geworden, Nicht ift das Gewiffen das einzige Organ, worin bie Ebenbildlichteit noch zu finden, das göttliche Keben des menfchlidhen Beiftes noch wirffam if. Weiß der Geiſt ded natürlichen Menfchen nur noch von einem höheren Geſetze, alfo einem heiligen und gerechten Gott, nit von einem höheren Weſen, durch welches Als les tft, überhaupt? Ja mehr noch, fühlt er nicht noch ei⸗ nen tiefen, ob auch ohnmächtigen Zug nady einer höhes ren, allbebenfenden, erbarmenden Liebe? Und zeigt nnd regt fich fomit nicht auch in den übrigen Geiten des perfön- lichen Lebens die anerfchaffene Gottesebenbildlichkeit? Wenn nun die Liebe Gottes in ihrem unenblichen Drange dem Menſchen wieber zur Gemeinfchaft fih dargeben wi, fo knüpft fie nicht ausfchließlich an eined der Ber

die Lehre von der heiligen Lie. 10185

mögen, fonbern an jedes nach feiner Weile an, um bem ganzen Menfchen in Gemeinfchaft mit fidy wieder zu ers heben. Allerdings wer die erbarmende Liebe Gottes ganz ſoll fallen können, muß nicht bloß wiflen, daß er in Elend liege, fondern daß er durch eigne Schuld im Elende liege, d. 5. er muß die im Gewiſſen fich kundgebende Heilig: teit und Gerechtigkeit, welche bie unverrüdliche Lebens⸗ grunblage in der Liebe Wilder, anerkennen, und wirb ihr Erbarmen deßhalb als Schulderlaffung und Rechtferti⸗ gung inne werde Allein andererfeits, wo bloß bes Gewiſſens Zeugniß wad iſt und der Menſch Chriftum nur ergreift, um dieſes zu befchwidhtigen, ba iſt nody fein Erfaffen der Liebe Gottes als folder nnd nur diefe kann ja wahre Hülfe bringen, fondern eine Vers zweiflungsthat abergläubifcher Furcht. Es muß vor Allem der Zug bed inuern Menfchen, des Gemüthes, nach höherer, heifender Liebe lebendig und wirkſam ſeyn, wenn wir der göttlichen Liebe als folder follen theilhafs tig werden. Daburch, daß die Perfönlichkeit des Men⸗ fhen, dad Gemüth im Unglauben von der göttlichen Liebe abwendend, aus der Gemeinfchaft Gottes ſich los⸗ riß, ift ja alles Elend über ihn bereingebrochen, welches er in der Verblendung feiner Vernunft, in der Knecht⸗ Schaft feines Willens und in der Zerrüttung feiner gans zen geiftigsleiblichen Natur erfährt, und welches ihm im Gewiffen als felbfiverfchuldetes zugerechnet wird. Nur dadurch nun, daß er Gottes zuvor» und entgegenkom⸗ mende Liebe mit dem Gemüthe wieder ergreift, daß er im innerften Grunde feiner Perfönlichkeit mit der menſch⸗ gewordenen Perfönlichleit des Sohnes Gottes in Ges meinfchaft tritt, kann bie alfeitige Hulfe aus feinem Sün⸗ benelend ihm wieber zu Theil werben, welche allein im der Liebe Gottes, allein in Chriſto, in welchen dieſe er» fchienen it, für ihn befchloffen liegt. Dieß gefchieht im Glauben, da die Gemeinfhaft im erften Momente nur

1016 Surtorius⸗

m der Form ber Receptivität voltzogen werden Fam, ber Glaube aber die Hand iſt, womit dad Gemüth die Liebe hinnimmt. Die im Glauben vollgogene perſoͤnliche Gemtinſchaft (unio-inystica) iſt alſo die innere Borand fetzung, Grundlage und Duelle (ja det Inbegriff ſelbſt) al kes Heils für den Meuſchen. Richt glaube ich, weil id "gerechtfertigt bin, ſondern dadurch, daß ich glaube, d.h. Chriſtum mir perfönlich zu eigen" mache, werde ich ge rechtfertigt. Es verändert die Sache nit, wenn man hervorhebt, daß der Haube die Rechtfertigung miht ber wirke, fondern bloß empfange, fomit doch fle die obie, tive Vorausfeßung des Glaubens fey. Denn das Objec⸗ tive, das ich ergreife, iſt nicht bie Rechtfertigumg , for dern die Verſoͤhnung in Ehrifto, welche erſt Dadurch zur Kechtftrtigung wird, daß fie mein perföntiches Eigen ham geworden. Chriftus muß buch Einſenkung in der inneren Pebendgrund des Menfchen mit diefem erf it wahre perfönliche Geueinſchaft getteten feyn, d. h. er muß im Gemäthe wohnen, um ſich ihm im Gewiſſen bezeugen jr koͤnnen. Bom Gemüt aud aber Abt Chriſtus, da er die Gemeinfchaft unit dem Menſchen nach Allen Beziehun⸗ gen feines Lebens vollziehen wi, fette Gnadenwirkun nicht bloß auf das Gewiſſen, ſondern auch anf die übri

gen Grundverhögen: Vernunft und Wille, d.h. indem

der Sünder mit Chriſto, in welchem thnt Gottes Lich Aüberſchwenglich ettgegengefommen, durch den Slauben per föntich fi einige, wird er nicht bioß inne, baß bie Berfaffung der Seele; wo fie ganz tur von unendlichen Liebederbarmen leben wit, die allein rechte, Gott gefäl Iige fey, fondern in ihren Lichte vermag er auch Act zu erkennen, weil diefe Liebe alles perfoͤnlichen und un

yerfönlichen Weſens Grund if, and, von ihrer fanften -

Gewalt übdermocht, empfängt er Kraft umd Freiheit, hin⸗ fort nimmer ſich felbſt zu leben, ſondern in den Fußta⸗ pfen deſſen zu wandeln, der fſich uns gu Lieb im dem

die Lehre von der heiligen Liebe. 1017

Tod gegeben. In welchem Berhälttifie diefe drei: Rechts fertigung, &rleuchting und Heiligung, num wieder zu einander fliehen, ift für die gegeberle Frage nimmer von Belang. Bildet auch die Verſoͤhnnug des’ Gewiſſens für die geiftliche Durchdringung der Bernunft und des Wil) end den bedingenden Angelpunkt, well die Finfterniß und Knechtſchaft det Sünde durch: Selbftverfchuldung eingetreten ift und deßhalb nur Auf Grund der Aufhe⸗ bung dieſer Schuld getilgt werden kann, und fiellt ſtch und nach dem allgemeinen inneren Borgange bie Erleuch⸗ tung als nothwendige Bedingung, die Hefligung aber als ihre Wirkung und Folge dar a), fo geht doch immer⸗ hin die erleuchtende und heiligende Kraft nur von Ehrifto aus, der im Gemüthe durd; den Glauben bes Menſchen Lebensprincip geworden, fo daß feine Gnadenwirkung an ung fi nicht in der Rechtfertigung, wie der Berf, es barftellt, zufanımenfchließt, fondern in der unfo mystica, worih' Die Rechtfertigung nur ein Moment if. Seftit für das chriftlih = ethifche Handetn ift die Rechtfertigung nicht, wie ed etwa fcheinen könnte, die einzige VBoraudfts tzung, ſondern die Erleuchtung iſt's nicht weniger; wie wollte der Ehrift fonft weife feyır in feinem Thun! Der lebendige Quell aber, aus weichem ber geheiligte Wille fort Ad fort fein Leben fchöpft, ift das gländig fiebende Gemürh, fo daß affo ver Wille nicht deßhalb allein ſtich heilig bethätigt, weil das Gewiſſen verföhnt ift, fordern auch doch fo, daß der caufale Zufammenhang Aberall ein anderer it, well die Vernunft erleuchtet ift und dad Gemüth durch Hlänbige Liebe mit Ehriſto in perfönficher Genreinfchaft.

Ganz dem analog ftellt fih und das Werk Ehrifti dar, welches er für die Menfchheit ein, für allemal voll⸗ braht hat, Wie dort die Wiedergeburt des Sunders

a) Siehe übrigens Näheres darüber in der angeführten Abhand- lung bes Rec,, St. u, Kr. 1847, Heft 1.

1018 Sartorius

in der Gemeinſchaft mit Gott in Chriſto vollzogen wird, fo die Neuſchöpfung der ſündigen Menſchheit in der Ge meinfchaft Gottes mit derfelben in Chriſto. Diefe Bir derberftellung ber burdy die Sunde zerriffenen Gemein fhaft zwifchen Bott und Menfchen, welche in der Menſch⸗ werbung bes Sohnes Gottes audgeführt und durch ein gas zes Menfchenleben bie zum Tode burchgeführt worden, fleit felbft dad Werk, wodurch die Menfchheit erlöft if. Un diefelbe übt nun ihren Einfluß auf alle Verhältniſſe un Sphaͤren ded menfchlichen Lebens. Es fällt diefelbe nicht, wie ed bei dem Verf. gefchieht, mit der Berfähnung zu Tammen, fondern ald Berföhnung Felt fie ſich nur dat, infofern fie zur Schuld ded Menfchen in Beziehung ge fegt wird, Verſoͤhnung ift fie bloß, von ihrer Rechtöſcite gefaßt. Nicht weniger aber ald bad Recht ift daurch ſie auch die Wahrheit und das Leben für die Welt offenbar ge worden; nicht weniger liegt in jenem Mittleramt anfer bem bohenpriefterlichen auch bag prophetifche und koͤnig⸗ liche befchloffen. Darauf wird der Verf, wiewohlend nur auf jenes befchränten will, ſelbſt auch hingeführ, ‚wenn er(&,35.) beides verbindet. In feiner Darftelun; aber findet der Berf. für das prophetifche und königliche Amt Feine Stelle, fie gehen im hobhenpriefterlichen anf.

Dadurd wird nun zwar und das ift ein groß Verdienſt in ber Tendenz und Darftellung biefes Balke, wie wir oben ſchon audgefprochen haben der Rechts⸗ begriff feiner Aeußerlichkeit entlleidet. Der Verf. foft bie göttliche Rechtsthat zugleich als wirkliche Liebesthat; das Opfer, welches jnridiſch ftellvertretende Kraft hat, ik ihm göttliche Kiebeöverleugnung ‚, die Rechtfertigung „eint Gnadenwirkung, , welche die Seele innig mit der Liebe burd- dringt und erfüllt, womit fie von bem Gott der Gnade gr liebt wird.” Allein der Nechtebegriff hat andererfeitd du durch auch wieder feine beflimmte Begrenzung im Ber: hältniffe zur Liebe verloren. Das Wefen und Wirken der

die Lehre von der heiligen Liebe, 1019

Liebe geht darin auf, Recht zu feyn und Recht zn fchafs fen, und alle andern Seiten, wie die intellectuelle und ethifche, erfcheinen bloß theils als inbegriffene Momente, theils als Folgen diefer Rechtöherftellung, wodurch offenbar ihr unmittelbare Berhältniß zur Liebe beeinträchtigt ift. Denn unmittelbar aus der Liebe fließt, wie alles Recht, fo anch alles Licht und Leben. Und wenn Gott, als er in feiner Liebe den Menfchen fchuf, ſich zu ihm nicht bloß in ein Rechtöverhältniß fegte, fondern ihm zugleich die Quelle al’ feines Erkennens und felbfifräftigen Wirkens ward, eben weil er die Liebe, nicht weil er das Recht für den Mens {hen it, fo muß nun Ehriftus daſſelbe gleicherweife in der Hingabe feiner Perfönlichkeit feyn: er ftellt dem Sün⸗ der nicht bloß fein Recht vor Gott wieder ber, indem er ſich Gott als den Reinen an ded Sünders Statt dar: tet, fondern vermöge feiner Einpflanzung in die Menſch⸗ beit ift derfelben aud das Princip alles göttlichen Ers fennend und Wollens unmittelbar eingepflanzt, auf weiche alfeitige Wirkung der myſtiſchen Bereinigung vom Berf. felbft, doch fo, daß er fie allerdings nur mit dem Rechte» verhältniß in Berbindung bringt, hingewieſen wird, wenn er (S. 7.) fagt: „Der verwilderte Baum der Menfchheit fann wohl aus eigener, inwohnender Kraft mannichfache Blätter, Blüthen und Früchte hervortreiben, aber ohne Einfentung eined höheren, edleren Reiſes ſich ſelbſt - veredeln und erneuern fann er nicht,”

Erf dadurch, daß die Wiedergeburt als zunädft im Gemüthe vorgehender und von da nach den andern Seiten des perfönlichen Lebens ſich Fundgebender und wirken⸗ der Act gefaßt wird, erhält auch das feine völligere theile Begründung, theild Berichtigung und Ergänzung, was der Derf. über dad Berhältniß des menfchlichen zum göttlichen, Thun bei der Belehrung fagt (S. 168): „Nur Unverftand fann hier fagen, daß, wenn die Belehrung

Theol. Stud, Jahrg. 1847, 85

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1020 Sorterius

fein Berl des Menſchen ſey, er ſich nur were ein tebieh Werkzeug dabei verhalten und fie nicht won ihm gefordert werben koͤnne. Es wird and nidt von ihm gefordert, daß er fie ſelbſt made, wohl aber, baß er Be leide, da er dem Geiſte Gottes fich nicht. verfchließe, ſon dern iha durch das Wort Gotted (wer Ohren hat zu hören, de böre, Röm. 10, 17.; Gal. 3,2.) ein nenes Leben in fh wirken laffe.” Bezieht man die Wirkung ber Gnade me mittelbar nur auf das Gewiffen, fo kann der Mexik allerdings nur eine reis paffive Stellung eiunchmen, wit ja dieß das allgemeine Berhältmiß des Menſchen zu fei⸗ nem Gewiffen if. Und gerade dieß war für die älter Dogmatit ber Hauptgrund, der Rechtfertigung dieſe ©tellung zu geben, weil dadurch jeded Verdienſt dei Menſchen ausgeſchloſſen wurde, Dean ficht jedoch be diefer reinen Paſſivitat nicht ein, warnm banız nicht in eined Jeden Gewiſſen die Gnade ihre rechtfertigende Wir: tung kundgebe. Es Tann nur am Menfchen liegen, de sen einer glaubt, der andere nit. Dieß ſagt wohlaud die ältere Dogmatil. Allein wenn diefer Blaube wirklich eine Sache ber Perföntichkeit ſeyn fol, fo darf er nicht ale bloß formelles Hinnehmen gefaßt werben, wodurd der Empfang des Heild zu etwas am Ende von zufäli gen äußeren Berhältniffen Abhängigen würde, wie Möb ler nicht ganz ohne Grund der kirchlichen Dogmatik vor wirft, fondern diefe Hinnahme muß ihren guweichenden Grund im Innern des Menfchen ſelbſt haben, Es glaubt Jeder auf Brund des in ihm wohnenden Bebürfniffte nach göttlicher Liebe, wiewohl diefed Bebürfwig, welche mit der Beſtimmung zur Gotteögemeinfchaft in dem Mus fhen von Natur geſetzt it, ſelbſt ebenfalls erſt dard die vorandgehende Erziehnng der göttlichen Liebe and der Unterbrüdung, in die «6 durch bie Uebermacht der weltlichen Luft gerathen war, befreit werden muß. De

die Lehre vom ber heiligen Liebe. to21

Glaube ſelbſt ift der activ gewordene Zug des Herzens nach Dem Herzen Gotted. Aber eben weil der wieberge, bäreude Slaube eine receptive Bewegung der innerfien Perſönlichkeit zur göttlichen Liebe, ein Act perfönlicher Semeinichaft mit Ehriko ift, fo if in der Wiedergeburt - ebenfo die Einheit von Activität und Paffivität als bie Ausschließung des Verdienſtes bei wirklicher Selbſtthä⸗ tigleit gefeßt. Es ift richtig, was ber Berf. (5. 168) fagt: „Der alte Menfch, welcher eben erneuert werden foll, that diefen Act nicht und kann ihn nicht thun, fonbern er leidet nur, baß er in ihm gefchieht durch die wirkende Gnade (gratis operans)”; allein es wäre zu wünfchen, dag die Zurückweiſung ded Einwurfs, „der Belebtwers dende verhalte fih Dabei als ein todtes Werkzeug,” vom Berf, noch mehr begründet worden fey. Derfelbe. beruft fi nur auf „das Verhältniß der Receptivität und Spons taneltät im Gebiete des Lebendigen” und hebt hervor, dag in der Lehre von ber Rechtfertigung „Alles darauf bingehe, neues Leben angufachen,” und daß, „damit bieß recht lebenskraäftig gefchehen könne, es nicht aus der erſt zu belebenden Grftorbenheit ded alten Menſchen, fondern aus der ewigen Lebendquelle und Licbeöfülle Gottes ab» geleitet werde.” Diefed aber gibt über dad Maß von Selvfithätigkeit bei der Wiedergeburt ſelbſt noch kein Licht, umd jenes ift nur eine allgemeine Andentung. Als lerdings Tann jenes Leiden nicht eine reine Paffloität feyn da dad Wirkenlaffen im Gegenſatz eined gedachten möglichen Widerftanbes in ber Perfönlichkeit eine zuftims mende, mithin irgend thätige Bewegung des inneren Menfchen vorandfegt. Aber ihre Erklärung findet diefe relative Selbfithätigkeit erfi aus dem Weſen des Gemüths und aus dem Wefen der Liebe, deren receptive Seite der Glaube if. Weil das Gemüth die unaustilgliche Beflimmung der Semeinfchaft und fpeciell der Botted» 68 *

1022 Sartorius

gemeinschaft in fi trägt, fo kann ed wie ja gun Theile fchon in Folge der natürlihen Wege Gottes ein Schuen nad oben fi in demfelben zu regen beginzt, wenn die göttliche Liebe in Ehrifto ihm entgegen kommt und ihre Segendftröme in dafjelbe leitet, nict gleichgültig, nicht rein paffiv bleiben, fondern auf Grund der eingeborenen Berwandtfchaft muß ein beſtimmtes Für oder Wider fich regen. Jenes „Für” ſchließt aber Darum doch nichts weniger ale ein Verdienſt in fi; denn nicht nur wäre alled Schnen und Sich Ausfreden bed inwendigen Menfchen nadı oben-ja vergeblich, wenn nicht von oben die Gnadenfraft ihm gereicht und in ihn gefenft würde, Durch welche er ſich wirklich zu erhe⸗ ben vermag, fondern bie Liebe der Greatur wurzelt aud, wie dieß Rec. in oben erwähnter Abhandlung näher dar: gelegt hat, fo durchaus auf dem Triebe der Selbſterhal⸗ tung und Befriedigung, daß noch viel weniger Die Liebe ded Sünders, welche ald Glaube die göttliche Liebe him nimmt, ein Moment eigentlichen Verdienſtes in fid tra gen kann. Daß hiermit die Erfahrung, nach weldyer die Einen diefe Liebe im Glauben faffen, die Anderen nicht, - noch nicht wirklich erklärt fey, wäre thöricht, verneinen | zu wollen; der Wille ded Menfchen iſt und Bleibt eine wirkliche Saufalität und kann infofern nie erllärt werben. Allein auf dem gezeigten Wege wird in dad Verhältniß . menfchliher und göttlicher Thätigfeit bei der Bekehrung wenigſtens tiefer und ficherer eingedrungen und, ohne daß das, was dem kirchlichen Bewußtfeyn als gewiſſe Erfahrung vorfchwebt, alterirt würde, jenen zum Theile gegründeten Einwärfen gegen die. kirchliche Lehre be gegnet.

Eine dritte Bemerkung des Rec. betrifft die Lehre von den Sacramenten. Auch hierüber find der tref fenden und tiefgehenden Gedanken in dem Buche sic.

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die Lehre von der heiligen Liebe. 1023

So die Verbindung, in welche das Sacrament mit dem Opfer gebracht wird, die Beziehung der Taufe zur Blut, taufe Sefn, zumal was der Berf. von dem Werthe der Kindertaufe für chriftliche Erziehung fagt. Aber Eines vermißt man: eine fefte, klare Beſtimmung von dem chas ralteriftifhen Wefen ded Sacraments, von feinem Bers hältniffe zum Worte und feiner von ber ded Wortes uns terfchiedenen Wirfung. Zwar gibt der Berf., an die kirch⸗ liche Faſſung ſich anlehnend, bie Beſtimmung (5. 93.): „Aber damit der Glaube die Gnade um fo beflimmter und gewiffer fidy zueignen möge, gefchieht die Mittheilung oder Schenfung auch in der concreteren Form des Gas craments durch finnliche,, fihtbare Zeichen, welche von Ehrifto felbft eingefett find als Träger feiner überfinnlis chen Güter, ald Zeugniffe des göttlihen Gnadenwillens gegen und (augsb. Conf. Art. 7... Deßhalb wird das Sacrament treffend auch das ſichtbare Wort oder bad fihtbare Zeichen der unfichtbaren Gnade genannt (Apolog. S. 200 f.). Doch nicht bloß die Sichtbarkeit und finnlis chere Concretheit der Form unterfcheidet das Sacrament vom Worte, fondern auch die fpecielle Beziehung und factifye Uebertragung deflelben auf jede einzelne Perfon, der es gereicht wird, während die Predigt ded Wortes mehr in dad Allgemeine oder an die ganze Gemeinde geht und der Thatfächlichleit ber facramentlichen Hands lung ermangelt.” Rec. geſteht, dadurch nicht befriedigt zu feyn. Was fürs Erfte dad zweite Merkmal ans langt, fo findet ſich der Verf. ſelbſt dadurch in die Roth: wendigkeit verfeßt, der Gewalt der GSchlüffel ebenfalls einen gewiſſen facramentlichen Charakter zuzugeftchen (S. |. Anm.). Und ebenfo würde dad Wort auch dann allezeit einen folchen annehmen, fo oft es in der Seel: forge fpeciell auf den Einzelnen bezogen wird. Diefer Unterfchieb ift ſonach ein durchaus fließenber, und das

1024 Sartsrius

wefentliche Eharakteriſticum Töunte nur im eriten liegen Dieſes iſt aber einmal in der vorliegenden Form a0& wicht deſtimmt genug umfchrieben. Ein ſinnlich ſichtba⸗ re&,Zeichen if offenbar Handauflegung und mandı' an deres auch. Um alſo derlei audzufchließen, wärbe ma beffer den Ausdruck: „Außeres irdiſches Element” wäh in. Wein auch wenn dieß geſchieht, bleibt doch ned eine gewiſſe Incongruenz bei Bergleichung der beide Sacramente. Dffendar tritt nämlich im Gacramente dei heiligen Abendmahls em neued Moment auf, weldei wir in der Taufe nit finden. Mit der Taufe hat dei heilige Abendmahl außer der Einfehung -Ehrifi dieß ge mein, daß ein Außered Element vorliegt, und daß daſſelbe durch ben Hinzutritt des feguenden Wortes zum Träger der allgemeinen Berföimungsgnade Chriſti für deu Sir der wird. Aber außer diefen Momenten findet ſich bein Heiligen Abendmahle noch eine himmlische Leiblichkeit. Gol diefe etwas für den Sacramentöbegriff Gleichgültiget, 3ufhlliged feyn? Welcher Unterfchied ift bedentungsvoller, der, daß in der einen Handlung himmliſche Leiblictei witgetheilt werbe, in der anderen nicht, oder baß in be einen Handlung ein fichtbares Zeichen (greifbared Ele ment), in der anderen der hörbare Schall zum Träger ver göttlichen Gnade gemacht wird? Offenbar doc dat Erflere? Und ſteht denn nicht die Taufe dem Worte, von welchem fie bloß durch eine andere Form äußerer Ber mittelung geſchieden iſt, ungleich näher, ald dem Abend⸗ mahle, in welchem die Gnadengabe felent als eine ſpeci⸗ fiſch neue ſich barflellt® Auch wenn mm bei der Tauft den heiligen Geiſt als die himmlifche Guadengabe, weld mitgetheilt wird, bezeichnen weite, auch dann würde f mit dem Worte, weiches ja ebenfalls eim Träger des hei⸗ ligen Geiſtes iR, auf Einer Stufe ſtehen. Und dei Heidye gilt, wenn man Die Gemeinfchaft herdorhebt, ie

die Lehre von Dee heiligen Liebe. 1025

woche ber Taufling dadurch mit der Trinität trete, Denn immerhin führt das Wort noch unmittelbarer im Die Gemeinſchaft des breieinigen Gottes, ald das heilige Abendmahl. Iſt es aber richtig, den Grund zur Haupt⸗ eintheilung, wie die von Wort und Sacrament, von dem unmefentlicheren lintesfchiede herzunehmen, Dagegen den für die bloße Unterabtheilung, wie die von Zaufe und Abendmahl, von dem wicdtigeren? Wollte man jedoch auf das in ber oben angeführten Stelle zuletzt Geſagte Dad Hauptgewicht legen, daß nämlich Die Predigt „der Thatfächlichleit der faczamentalen Handlung ermangele,” daß alfo die Sacramente eine Thatfächlichleit hätten, Die der bloßen Predigt fehle, fo läßt fi zwar beim Abendmahl ein feed Objectives, von fubjectiver Verfaſ⸗ fung und Stimmung Unabhängiges erkennen, nämlidy die Leihlichkeit Ehrifti, welche der Ungläubige wie ber Gläus bige empfängt. Bietet aber die Taufe unter dem ſichtba⸗ sen Zeichen des Waſſers nichts Anderes ale die Gabe des heiligen Geiſtes oder die Gemeinſchaft der. Trinität, weiche wir im Worte ebenfallß dargeboten erhalten, fe it nicht einzuſehen, warum Das fichtbare Zeichen eine Obiectivitat der Gnade bedingen folle, dagegen der hör: bare Schall nit, während doc beide auf finnlichen Wege dem Beilte Geiſtiges vermitteln. Offenbar bedarf hier die Kirchenlehre wech einer weiteren Ausbildung. Aus dem, was die heilige Schrift über die Taufe fagt, allein wird man allerdings zu ficherer, beflimmter Auf foffung ihres Weſens und au klarer, fcharfer Unterſchei⸗ dung ihres Berhältuiffed zum Worte und Abendmahle nicht fommen Bönnen. Denn es liegt in der Natur der Sade, daß über bad, was den Keim für alle weitere Entwidelung büdet, die Ausbrüde nod am unbeftimmter Ren gehalten And, nicht nur dephalb, weil bie Anfänge alles Ledens Aberbaupt vor nuferm Ange verborgener lies

1026 Sartorius

gen, alö die fpäteren Stadien des Wachsſthums, fonders auch, weil im Keime die mannichfaltigen Kräfte fih be reitd zu regen beginnen, die fpäter auf bem eimzelue Stufen in beftimmter Sonberung zur Erfcheinung fom men, fo daß fie vom Keime bereitd auch ausgeſagt wer: den können. So wählt wirklich die heilige Schrift aud für die Taufe Beides, theild die allgemeinſten, theild die mannichfaltigften Bezeichnungen. Sie laͤßt die Taufe bald gefchehen im Namen der gefammten Xrinität (MRatth.28,19.), bald nur im Namen Jeſu Ehriſti (Apoſtg. 2,38.), bald nennt fie diefelbe ein Begrabenwerden mit ihm in feinen Tod zu gleicher Auferfiehung mit ihm (Röm.6, 3. 4.), bald ein Anziehen feiner ſelbſt (Gal. 3, 27.), bald wird ale ihr Kraft und Wirkung die Vergebung der Sünden und der Bund eined guten Gewiſſens mit Gott (Apofig. 2, 9; 1Petr. 3,21.), bald die Wiedergeburt und Erneuerung dei heil. Geiſtes (Tit. 3, 5.) bezeichnet, Will man hier alje fihere Schritte thun, fo muß man von dogmatiſches Principien, von den Grundgedanken des Reiches Gottes felbft ausgehen. Nur wegn man das Wefen der Gemein fchaft und fpeciell der perfönlichen Gemeinfchaft mit Ehrife sad feinen Hauptfeiten und nothwendigen Beziehungen, wenn man innerhalb des perfönlichen Lebens, fomit and der perfönlihen Bemeinfchaft, das Verhältniß der Ra: tur zur Perfon und die Bedeutung des Leibes für bie - Entwidelung der Perfönlichkeit, wenn man bie wichtige Stellung der Leiblichfeit in der Oekonomie des Reiches Gottes überhaupt und ben Unterſchied und das Berbält: niß der bimmlifchen zur irdiſch⸗ materiellen Natur Mat erfannt hat, nur banı wird man auch das Meſen dei Sacraments und feine hohe Bedeutung für den Ehriken, feine innige Beziehung zum Worte und ſeine won dieſen unterfchiebliche Wirkung, nur dann auch die innere Roth wendigfeit der Zweizahl der Sacramente und die Wahl

die Lehre von ber heiligen Liebe. 1027

finnlicher Träger und eben diefer Träger für biefelben ganz verftehen.

Rec. hätte noch Über manched Andere in dem Buche feine Bedenken auszuſprechen. So ſcheint ihm eln magis ſches Doppelleben in der irdifchen Perfönlichkeit Jeſu nicht überwunden zu feyn, wenn in feiner Knechtsgeſtalt die Gottheit der Art wirkfam angenommen wird, daß die Wunder, die er gethan, auf feine göttliche Natur zus rückgeführt werden (8,27), und er, hienieden wanbelnd, zugleich Himmel und Erde regiert, wie aus dem S. 20, Gefagten die Folgerung gezogen werden muß. Ferner wird der Charafter der Buße, infofern fie der Wieder» geburt nur Bahn bricht und infofern fie währendes Mo⸗ ment im Leben der Gläubigen bleibt, nicht unterfchieden, wenn fie durchaus nur vonf Geſetze abgeleitet wird. Doch der Raum reiht nicht, auf diefed und Anderes näher einzugeben. Zudem möchte es leicht den Schein gewinnen, als erblidke Nec. in dem Bude mehr Mängel als Vorzüge, während ihm doch jene im Berhältniffe zu dieſen gering zu ſeyn fcheinen. Und es find alle Gegen» bemerfungen, weldye Rec. hier gemacht hat, von ihm in dem Sinne ansgefprochen, daß er die beſondere Hochach⸗ tung und Verehrung, welde er gegen den Verf. hegt, bei Beurtheilung dieſes Buches nicht beffer an den Tag legen zu Eönnen meinte, als indem er möglichft genau auf die darin ausgeſprochenen Gedanken einging,

e. Schoeberlein, Repetent in Erlangen.

1028 Magte

3.

Davib Matzke, die natürliche Theologie des Rair mundusd von Sabunde. Gin Beitrag zur Dog mengefchichte dee 15, Jahrhunderte. Bredl. 1846 104 ©,8,

Die Periode der „Reformatoren vor der Refern⸗ tion” hat im der neueften Zeit vorzugsweiſe eine fleißig Bearbeitung gefunden. Der Grund davon if wicht blef ta dem Juntereſſe zu ſuchen, welches Überall an das ıu Eunftreiche Keimen nnd Werben eines neuen Princin mit befonderer Liebe ſich anfchließt, fondern auch baris, dag in jener Periode biefed Reue in fo muenblich mas nichfaltigen, eigenthümlichen und originellen Geflalta auftritt. Wie ein vontcanifcher Boden zuerſt an vieler Duntten zugleich feine Krater fich öffnes, Bis er eines jige Spitze feiner Eruption gewinnt, welche dann jen früheren verflummen Ihßt, fo bricht der Drang bed prw teftantifchen Geifted zuerit an unendlich vielen Yunlıı gagleicd, an das Richt, im den verſchiedenſten Bilbunges, weiche alle, weil es noch feiner von ihnen gelingt, da Princip im feiner Boßenbung, d. b. in wahrhafter Algo meinheit audzufprechen, einen individnellen Charakter a ih tragen, eine perfönliche Färbung, wodurch fie von felbft zu monographiſchen Darfiellungen einladen. ln erft durch das Zufammenfaflen der ganzen Reihe more graphifcher Arbeiten biefer Art wird es möglich, in ie neu dem erften Anfcheine nad, mehr ober weniger ifelin ten Geflalten das Allgemeine, durch welches fie ak innerlich verbunden find und ihre gefchichtliche Bedentum erhalten, ſcharf und beftimmt Aufzufaffen nnd fo eis Einfiht in das eigentliche Werden und den ganzen Um fang des proteflantifchen Principd zu gewinnen. Be

d. natürliche Theologie d. Raimundus v. Sabunde. 1029

diefem Geſichtspunkte aus Tann man auch die dorliegende Arbeit Über den mehr befannten ald erfanuten Raimund von Sabunde nur willkommen heißen, Denn wenn bers felbe auch nicht zu den prophetifchen Geiſtern gehört, welche ahnungevell die Reformation in pofitiver Weiſe vorbereiten, da fein Bewußtfenn no durchaus im In⸗ halte der katholiſchen Kirchenlehre befangen if, fe hat . er doc durch feine eigenthimliche, der ſcholaſtiſchen mit Bewußtfeyn und Rahdrad entgegengefeute Methode, durch die Keime wiffenfchaftlicher Freiheit, Die in derfels ben verhält liegen, durch bie tüchtige ethifche Haltung, welche er der einfeitig metaphufiichen Tendenz ber Scho⸗ fait und ber Tirchlichen Praris feiner Zeit gegenüber rinnimmt, jedenfalls im negativer Weile dazu beigetras gen, den Boden der Reformation zu ebnen, wie ihm denn auch Ullmann in feinem befannten Werke in dieſem Sinne eine Stelle angewiefen hat.

Der Berf, behandelt feinen Gegenſtand in folgenden 6 Abſchnitten: 1) Leben und Schriften bed Raimund; 2) fein Berhältmiß zn feiner Zeit; 8) fein Standpunkt; 4) fein Princip; 5) feine Methode; 6) fein Syſtem. Den 1. Abſchnitt koͤnnen wir füglich ganz übergehen, da der Verf. wegen ber Düärftigfeit der Nachrichten bier nichts Neues geben konnte; bie Betrachtung des 2. und 8. Abs ſchnittes verfparen wir und bis anf das Ende unferer. Anzeige, da erſt and der Erfenntniß feines Principe und Sypſtems herand die Stellung, welche Raimund innerhalb der Beftrebungen feiner vielbewegten Zeit einnimmt, ans gemeflen beſtimmt und fein Standpunkt im Allgemeinen charakteriſirt werben kaun. Uebrigens ift es weniger un» fere Abſicht, eine fortlaufende Suhaltdangabe ber vorlie⸗ genden Schrift zu geben, als vielmehr an wichtige Punkte der Unterfuchung ıumfere kritiſchen amd ergänzenden Be⸗ merkungen anzufchließen.

1030 : Kaffe

Wir Weauchen wohl nicht zu fagen, daß ber Titel „nwathrliche Theologie” bei Raimund nicht in der Beben tung zu nehmen fey, welde diefer Name im vorigen Jahrhunderte bei Wolf und feiner Schule erhalten hat; vielmehr fol damit eine Theologie bezeichnet werden, die ihrem Inhalt nicht aus der Schrift, nicht durch me taphufifche Dialektik, fondern durch NRaturbetradgtung ge winnt, eine Theologie, die nach der eigenthämlichen Ber beutung, welche fie der Ratur gibt, nicht weniger eine „pe fitive,” eine „geoffenbarte” ift, als diejenige, welche auf die Schrift ih ſtützt. Radı Raimand ift nämlich Die Selbſter⸗ kenntniß das Princip alles Willens. Da aber der Munich in feinem empirifchen Zuftande nicht bei fich ſelbſt, ſonden außer ſich ift, in endliche Beziehungen verflochten, fo müf fen die ‚Dinge außer ihm ihn zn ſich ſelbſt zurüdführen; nur durch fiufenweife Erkenntniß der Ratur kann er zu Selbfterfenntniß gelangen (8. 26 ff). Denn zwei Bi her find dem Menfchen von Gott gegeben, bad Buch der Greatur und dad Buch der Schrift. Jenes ift Allen ger meinfchaftlich und zugänglich, dieſes nur den Klerikern; Njenes iſt unzerftörlich und unverfälfchbar, dieſes der Ber fälfhung und dem Mißverflänbniffe ausgeſetzt. Offenbar iſt nun das Berhältniß, in welchem Raimnnd die beiden Bi: cher auffaßt, für die Beſtimmung feines wiffenfchaftliches Charakters von höchſter Wichtigkeit; gerade hier fest nnd die Darftellung des Berf. bie nöthige Schärfe ver- miffen zu laffen. Er identificirt nämlich das Berhältuif zwifchen dem Buche der. Natur und dem Buche bet Schrift ohne Weiteres mit dem zwifchen Wiſſen ad Glauben. Dabei überficht er aber, daß bei Raimund dad Buch der Ratur nicht weniger ald das der Schrift eine durchaus objective Bedeutung hat; beide find Wellen göttlicher Offenbarung ; dort manifefirt ſich Gott in Tha⸗ ten, bier in Worten, beides auf gleich unmittelbare,

d. natürliche Theologie d. Raimundus v. Sabunbe. 1031

ſelbſtändige Weife (vergl. Tit. 210). Wollte ſich der Berf. dagegen auf die Stelle berufen, wo Raimund behauptet, „es fey Manches in der Schrift enthalten, was dem fich ſelbſt überlaffenen Menfchen auf ewig verfchloflen geblie⸗ ben wäre, fo iſt ja diefes nur gefagt, um den fupranas turalen Urfprung der Schrift zu beflätigen,, aber nicht im Gegenfaße zum Buche der Natur, vielmehr konnte Raimund mit gleihem Rechte auch von Dem lehteren, vers glichen mit der bloß menfchlihen Ssntelligenz, daſſelbe bes haupten. Denn auch das Verſtändniß des Buches der Ratur beruht auf einem dirinum iudicium, tft nicht ein autonomes Wiffen ded Menfchen, da diefer auch hier, fo wie der Schrift gegenüber, nichtd weiter ald „ad sus- cipiendam aptus” ift und jenes Buch nur leſen kann, wenn er von Gott felbft erleuchtet und von der Erbfünde gereinigt if. Damit ift dad zu Grunde liegende ratlos naliftifhe Kundament auf ähnliche Weife verdedt, wie bei den Myſtikern der Idealismus des religiöfen Ger müths als eine objective Quelle das innere Wort gefaßt wird. Und nur aus diefer Wendung erklären ſich die weiteren höchſt freimüchigen Gonfequenzen, die Raimund aus jenem Berhältnifle beider Bücher zieht. Das Bud) der Natur ebenfo wie die Schrift umfaßt alle Fülle der Wahrheit, es beantwortet alle Fragen über göttliche und menfchlicdhe Dinge, ed bedarf nicht der Ergänzung durch das Buch der Schrift, fondern hat vielmehr den Borzug der Urfprünglichleit, da jened nur gegeben iſt „in defeetum primi libri (creaturarum) eo, quod homo ne- sciebat in primo legere.” Solche Aeußerungen Iaffen fich, wie ich glaube, mit der Behauptung des Verf, Raimand befenne fich binfichtlich des Berhältnifles von Glauben und Wiſſen direct zu dem Grundprincipe des Auguftin und Anfelm, nicht wohl vereinigen, und ſchon die päpftliche Kritit, weiche was dem Berf. gewiß nicht unbelannt

1092 Maske

war den Prolog der natürlichen Theologie in ben index libb. prohibb, geſetzt hat, hätte ihn aufwerkſan machen mäflen, DaB bier eine fühlbare Differenz von der hergebrachten kirchlichen Theorie ſtattſinde. Run kom men allerdings auch Stellen bei Raimund vor, wo die alleis ‚ige Autorität der Schrift auf das entſchiedenſte her worgehoben und jeue gleichberecktigte Duplicität der Of⸗ fenbarung gänzlich iguerirt wirb, ws gefagt wird, daß die Schrift and dem Herzen Gottes, die Creaturen aber and dem Nichts hervorgegangen und deßhalb Bett ger wiffermaßen fremd feyen, und daß eben deßhalb audı das Wort des Menfchen als einer Greater neben den Worte Gottes gar kein Recht haben könne. Schon ans dieſer letzten Beziehung erhellt, daß bier jene ohjeriw Bebeutuug ber Natur, als eines won Gott gefchrichenen Budyed, ald einer göttlich geordneten Depsfltärin der abfoluten Wahrheit, gänzlich bei Seite geſetzt fey, un ed hat bier die treffende Bemerkung von Baumgarten Erufius (Cehrb. d. Dogmengeich. II.©. 800. Anuerf.) ihre Stelle: „Raimund’s Buch. würde ſich widerfprechen, wen wir nicht annähmen, daß er bald die ideale, bald bir wirkliche Menfchennatur im Sinne gehabt habe (vergl. Borrede und Tit. 216.).“ In feiner abfoluten Bebentung ale der Schrift ebeubärtige Offenbarung, als ein göttl- ches Buch, wird bie Natur nur von dem erfannt, bermit ungeblendetem Auge, mit dem Auge des idealen Bew ſchen fie anzufhanen vermag. Diefen idealen Stand punkt, der Natur gegenüber, auf dem man dad Buch dr Schrift gar nicht vermißt, vindicirt ich Raimund felbkin Brologe, während der Menfch, wie er uun einmal ih, Durch die Bünde corrumpirt, biefe abfeinte Bebentung ‚nicht zu faflen vermag und eben deßhalb an die Shrift zu verweifen ift, welche ja „in defeetum primi libri” gege⸗ ben ward, Bon dem letztern Gtaubpunfte and fönntt

d. natuͤrliche Theologie db. Naimundus v. Sabunde, 1083

demnach bie Ereaturen überhaupt gar nicht mit ber Schrift verglichen werben.

€8 fragt ih ann: auf weichem Wege kann von Dies fee Borandfegung aus, aus ber Betrachtung des Buches der Ratur jene Selbſterlenntniß gewonnen werben, bie wir oben ale Princip der natürlichen Theologie bezeich⸗ net habe? Die Greaturen bilden fo argumentirt Rai⸗ mund in ihrer Totalttät eine gegliederte Reihe, gleiche fam eine Scala, durch welche hinaufſteigend der Menfch bei fich ſelbſt ankommt, fofern ex ſelbſt Die höchſte Stufe bildet. Zuerß find alfo Die Stufenunterfchiehe der Rasur gu beflimmen, fodann if der Menſch nach der pofltiven und negativen Beate, nach feiner Convenienz und Differenz mit den ihm untergeordneten Stufen zu vergleichen, und aus biefer Vergleichung ergibt fich endlich durch einfache Schlüffe der Fortſchritt zu einer höheren, göttlichen Sphäre. Daraus entſtehen denn die vier Theile der natürlichen Theologie: Bergleichung des Menfchen mit der Rasur: 1. binfichtlich der Convenienz a) im Allgemeinen (Zie. k-—55,) ; b) im Befonderen (Kit. 56--59.); IE hinfichtlich der Difs ferenz a) im Allgemeinen (Zir.60 N.) ; b) im Befondes ren (Tit. 93 330.). Das ift die einfache Methobe, das Schema ber natürlichen Theologie, und biefe it, wie ber Berf. fagt, recht sigentlidy eine argumentstio ad hominem: der Menfch it der Schlußpunkt einer unendlichen natürs lichen Reihe, der Mittelpunkt einer menſchlich⸗ſutlichen und intellectuellen Welt und damit wiederum ber Anfanges punft eined höheren, göttlichen Seynd. Die Raturfymbos lik, welche der Berf. daneben ale ein gleichwichtiged Moment bee Methode Raimunds hervorhebt (S. 39 ff.), wonach für jedes geiſtige Verhältniß ein natürliches herbeigezo⸗ gen wirb, wonach z. B. der Wein bie Unſchuld, ber Weineſſig die Gorruption des Meufchen abbildet, ſcheint und nur von untergeordnete Bedeutung zu feyn. Die

L

1034 Matzke

Stufeneintheilung ber Natur iſt nun eine vierfache, und zwar folgende: 1) Seyn (esse); 2) Leben, Organismus (vivere); 3) Selbftempfindung, Befeelung (virere); 4) telligen; (intelligere et velle), und zwar bewahrt jede hoͤ⸗ here Stufe das Wefen der vorausgehenden ald Moment in fi auf, Der Berf. nennt diefe Eintheilung wit Recht eine alte Kategorie; ed wärewünfchendwerth, dieß durch einen Turzen hiſtoriſchen Ruͤckblick näher dargelegt zu ie ben. Bekanntlich fpielt ſchon bei Ariftoteles die Einthei⸗ lung der irdifchen Natur in Seyendes, Lebendiges und Deufendes eine große Rolle, ebenfo bei den Reuplatoni tern, welche biefe Gliederung mit ihrer Zriplicitat ‚des Abſoluten in Berbindung bringen. Häufig fommt fie bei Dioupſtus Areepagita vor, und zwar fo, daß er wie Raimund zwifchen den Geiſt und das Reben die Selbſ empfindung in die Mitte fchiebt (vergl. 3. B. de div. non. VIII, 3.) und über dad Menſchlich⸗Geiſtige Crd Aoyızör) noch eine höhere Intelligenz (rd vosgöv) ale fünfte Stufe ftellt, gemäß der befannten Tendenz feiner Schriften, ein: Zugabe, deren Raimund, beflen Ziel die Erkenntniß did menfhlichen Weſens ift, volllommen entrathen fonatı. In gleiher Weife findet fid) jene Eintheilung aud be dem Nachtreter des Areopagiten, Marius; endlich, wr der Verf. bemerkt, bei Thomas von Aquin. Raimand bi diefe Eintheilung nicht gedankenlos, fondern mit felbkar diger Einficht aboptirt. Wenn er mit der unserken Etui bem Seyn, d. h..der anorganiſchen Qualität, begiunt, io weiß er doch, daß dieſe nicht das’ Urſprüngliche iR, for

dern, wie wir fagen würden, nur das Unmittelbare; et

fagt trefflich, die ganze Stufenreihe der Natur fey „ıe- lieite per hominem,” babe einen „aspectus ad intellecten, was auch die neuere Speculation anerkennen muß, de fie ja das Nefultat zugleich ald Princip begreift. Dal nun freilich diefe Stufen nicht durch innere Dialektik die

d. natürliche Theologie b..Raimundud v. Sabunbe, 1035

‚Höhere aus. ber niederen entmidelt, ſondern in ihrer Folge empirifch aufgenemmen BE kann uns nidyt under nehmen.

Zuerſt alſo und damit Gele das eigentliche Spyſtem der natürlichen Theologie ift ber Menſch nad) feiner Convenienz mit den brei ihm voraudgehenden Gtufen :zu vergleichen, und zwar zunächftim Allgemeinen, d. h. fo, daß jene drei Stufen, zu einer Totalität zuſam⸗ mengenommen, ihm gegenüber geſtelt werben, wogegen die ſpecielle Convenienz auf jede einzelne der drei Stufen befonderd ſich bezieht und fo ebenfalls eine breifache ift. Jene allgemeine Eonvenienz des Menfchen mit der Natur befteht nun darin, daß er alle ihm vorausgehenden ſub⸗ Rantielen Unterſchiede derſelben in ſich concentrirt; ber Menſch iſt die Totalität aller Principien der objectiven "Welt, und zwar fo, daß. er fie alle auf menfchliche, gei⸗ Rige, verllärte Weife in-fid) umfaßt (nobilitantur et digaifi- eantur), ein echt fpecnlativer Gedanke, ben aber unfer Berf. viel zu wenig hervorgehoben hat, wie er deun überhaupt gerade für bie fpecnlativen Elemente feines Autord geringe Aufmerkfamkeit zeige. Nehmen. wir nun hinzu, was weiter unten bargeflellt werden fol, daß ber Menſch an feiner Freiheit bad Ebenbild Gottes, ein Organ zur Aneignung des göttlichen Lebens befigt, fo erfcheint er damit als die Mitte, ald das Gentrum des Univerfums, in welchem die creatürliche und bie göttliche Sphäre zur einheitlihen Geftalt zufammengefchloffen find «). Die Borkellung von dem Menfchen ale dem siniov zeiansrngelaseng, wie Nemeſius ſich ausdrüdt, als einer officina totius naturae, einer medielas et adunatio

a) Apparet, quod homo est quoddam medium inter deum et inter creaturas, per quod creaturae iuferiores coniunguntur cum deo et redeunt ad deum.

Theol, Sud, Jahrg. 1847, | 69

1935 Mage

Wiirklul cfoösteirnunı, vble Gcotad Gekgena fügt, iſt aife ia Der Naturauſchaumg Naimumd's von hödfter Brick tung. Bon biefem Punkte aus gelangt er nun fehnelen Säarimes zum Bezriffe Gottes, unb gwar, wie fit aus feitter gain Vorausſetzung fihon vermuten Täßt, auf Ddem tiestogifchen Wege Dieſes Argument faft er aber in veinerer Norm, als es gewoͤhnlich Feſchieht, win ch nmicht fo, DaB er Bie Außere Swedteiunuung zur Hamptſache mad, wonach bie vinzeiwen Rutargealten ae auf Kußerlidye, zufallige Weiſe auf eiuumber beje⸗ gen find, eine Bezirtzuug, die nur in bad Subjeet, nit a das Weſen der Diwge ſelbſt Hülle, ſordern bie inwr: Zwedmüpigbeit ser Wele, wonach die Dinge w efentiid auf einander beyogen find, das vine wit innerer, ver⸗ minftiger Nethwendigleit auf das andere hinweiſt, und ale ‚eine Orbmeng, eine Harmonie, eine Hierarchie ansmacden (Kit 43. Daß danrben deſſen umgestet auch jene äußere Zuedhuäpigtet bri Raimund ſich breit malt, tft frellich anf ber andern Seite nicht Mi Tenghen. us viefem elrheitlichen Bufaumentumge des Gyraniieliüyen geht nun für Raimund auch Die Einheit Bones hervor. Dieſelde folgt auch aus der natürliches Stufenreihhe fell. Dam hebt ſchon der Menſch die Wielheit der Gattımgen ‚und Arten, in welde die Gr - Nalten der anteren Grabe zerſplittert find, gur Einheit ber Gutteng in fich auf, und hat war am ber wumendichen Bvoelhrit Der Individuen noch feiwe matärliche Enbilchleit, fo wird nach diefer Amalogie, und da Überall, je größe Die Energie eines Weſeus, veſto imtefhart fedwe Giuheit aAſt, Gott im abfoluten Sinne der Eine ſoyn. Mach bie fen und anderen Vorausſetzungen (vergl. S. 50.) ged! nun Raimund zur näheren Wefkiinimump des giösftichen Br: fens ſelbſt fort, offenbar einer der iktereffanteften Punkte der natürlichen Theologie, von Hrn. Maple aber nid

d. natürliche Theologie d..Maitkundus v. Sabunde. 4037

eingehemb genug behenbelt. Nechwendig uhfien bas feigt mus Naimuud's Matnrauffeflung von felbk alte sone ſubſtautiellen Unterſchiede der Natur auch in Gott gefeut werden, und durch dieſe fehle Inbaltöbehkimmung umterfiheider ih Raiunuds Birgumentation gu ihrem Bortheite von der ähnlichen, aber viel unbekimmienen, die wir dei Anguſtin Cie lib. arbitr. H, 5 seggq.), bei Anſelia (mo- nelog. 4.) and Anderen antreffen, wo „aus den Graden, Die fi unter deu Dingen finden,” bie Exiſtenz Batied «er: wiefen wird, ſofern der Fortſchritt vom Mieberen zum sögeren feinen notwendigen Schluß in einem abſolut Vollkommenen haben mäfes aber biefe Volllommenheit beide eben gang abfirant und unberimmt, während fie bei Raimund, jenem Aufenmäßtgen Zortfehritt entſpre⸗ end, ganz beſtimmte Momente, Seyn, Reben, upfſin⸗ bung, Beil, in ih umfaßt. Wie verbaiten ih nun dieſe Momente im göttlichen Weſen zu einander? Die win Raimund im Einzelnen werfolgen und fpricht zu⸗ ft von dem esse dei, in weichem alles Uebrige gegrün⸗ det ſey. Zam Ungelpunkte feiner Exrpofitien macht or Mer Den gefährlichen Bag: „qued ia deo idem sunt vi- vere, veutire, intelligere et.omuia alia Idem sunt, quodssse, et idemmet 'esse” (Tit. 10); weil man dn Gott feine

Verſchiedenheit denken könne, fo ſeyen alte jene Momente . gu einer ſchlechthin einfachen Weſenheit zufammenzufef: fen, Bas Leben ſey daſſelbe, was das Seyn, die Gelb «mpfindung baffeibe, was dad Seyn u. f. ſ. Wir ſag⸗ ten, es fey dieß «win gefährlicher Sag. Dem alle Bes Rimmmmgen, welche Bott gegeben werben, werden ja das mit, daß ihre innere Derfchiedenheit und alfe ihre Ber Riusmtheit gebenguet wird, wieber su bloßen Ramen uud fubpeeriven Beſtimmungen verflüchtigt, umb es bleibt Bott nichts ale diefe in ſich umerſchiedsloſe Ddentität des Sryns, dern Erfüllung eine bloß ſcheinbare ik. Alles

69 *

1038 . : Mahtzke

Weitere, was über das Seyn gefagt wird, koumt anf die beiden, natürlich feinen Inhalt hinzubringenden Ber ſtinmungen zurück, daß bad Seyn Gottes kein abgeleite⸗ tes, ſondern durch ſich ſelbſt ſey, und daß es ferner ale Negation, alles Nichtſeyn abfolat von ſich andſchließe. Jene erſtere Beſtimmung if der ontologiſche Beweis in der Form einer einfachſten Aſſertion: Gott iſt das neth⸗ wendige Weſen, fein Begriff iſt unmittelbar fein Geya; die andere felgt cbenfalld aus dem Begriffe des reinen Seyns, da dieſes nach außen und nach innen keinen Ge genfag hat. Es erſcheint alfe bier derſelbe Gottesde⸗ griff, der, aus dem Neuplatonismus aufgenommen, bei Auguſtin ſich findet, wenn auch mit anderen Elementen verhüllt, ferner beim Areopagiten umd bei Scotus Erigens foRematifch durchgeführt ift, der thowiſtiſchen Theolsgie ‘gu Grunde liegt und erfk in der germanifchen Myſtik we: 'niger durch den Procch bed Denkens, als burd bie ‚Energie ‚religiöfer Erfahrung überwunden wird. Die Beftimmung nun: Gott ift das reine Seyn und fließt ‚alles Richtfeyn aus, führt und auf bad Berhälmiß dei ‚endlichen zum abfoluten Seyn. Der Begriff des letzteren fcheint zu fordern, daß auch alles enbliche Daſeyn, weil es ift, eben dadurch Theil habe amı abfoluten Seyn, daß dieſes dad Subfirat alles Beflimmten fey, bad esse formale respectu omniem, wie Thomas fi ausdrädt. Im ber That bat ja auch das allgemeine Seyn keine andere Exiſtenz als nur in dem beftimmten Dafeyu. Raimund aber verfelgt ſei⸗ nen Grundſatz, daß das Seyn Gottes alles Richtfeya aus fchließe, noch weiter. Es ſcheint ihm naͤmlich wicht ent gangen zu fern, daß das reine abſolute Seyn, obwohl die Gruudlage aller endlichen Beſtimmtheiten, doch dieſe felbft außer fich liegen laffe, fomit in bir Negation ge ſtellt ſey, und diefen Dualismus fucht er fo zu überwin den, daß er die Fülle aller eadlichen Unterſchiede und De:

d. natürliche Theologie d. Raimundus v. Sabunde. 1039

ſtimmtheiten ind abfolnte Seyn mit aufnimmt. Gott if ihm alfo, nicht das reine Seyn, fondern das abfolut Volle, die plenitudo essendi, dad mare infinitum essendi sine ter-. mino et sine fundo, und „quidquid pertinet ad esse, est‘ necessario iu deo.” Nur dadurch unterfcheidet fidy das Seyn Gstted von dem ber endlichen Eriftenzen, daß dies fen die Schranke, die Regation anhafter, während Bott, weil er fie alle gleichmäßig umfaßt, auch feine Schrante feines Seyns hat. Wir erlauben uns, die merkwürdige Stelle, welche der Verf. zu unferer Verwunderung ganz unberädfichtigt gelaflen, unten vollftändig auszuheben =). Doc gleichfam zurüdichredend vor biefem Refultate nimmt Raimund eine andere Wendung. „Sed tamen” fagt er „duplex eut esse terrae, aquae, ignis et omnium allorum, unum in se et in natura propria, quam videmus, aliud in esse dei, quod non videmus.” Das Biel alfo, bei welchem der Pantheismus gewöhnlich anfommt, erreicht Raimund: nicht. Denn jener fchwanft ſtets zwifchen diefen beiden, daß er einmal alle Uinterfchiede des Endlichen, welche der gewöhnlichen Betrachtung in unendlicher Zerfplitterung

anseinander zu fallen fcheinen, in der einen. Subſtanz

" a) Tit. 14. Quia dictum est, quod esse dei fugat a se omne non-esse et per consequens nullum esse ei deficit, quia nullum esse est extta ipsum, sicat per contrariam diximus, quod homo

non habet esse terrae nec esse aquae nec esse ignis nec arbo-.

ris nec asini et sic de omnibus aliis ita, quod homo habet tot non-esse, quot aunt res, quae removentur ab eo. Et ideo esse hominis non fugat totaliter non -esse, sed solum fugat unum non-esse. Et quia esse dei fugat a seomne non-esse, ideo habet necessario omne esse. Et per consequens sequitur, quod esse dei habet in se esse terrae, esse aquae, aöris etignis et esse omnium quatuor graduum et omnium, quae con- tinentarin ipsis gradibu's, quia nullum esse deo deficit. Etideo esse dei est unirersale omniam.

1040 Rep

zuſammenfaßt uud auf der anbeven Seite doch wieder leugnet, daß damit im der Allgemeinheit ber Faubſtenj irgend welcher Underſchied geſetzt ſey; fo wisd Die Poß⸗ tion durch Die Negation immer wieder aufgehoben, bie Sultan; , weiche Alles umfaflen fol, umfaßt bed is Wahrheit gar nichts, fofern jede Beftimmcheit in ihrer unbeftinsmten, indifferenten Identität immer wieder ver flädhtigt wird. Zu Ddiefem Ziele kommt num Ratmmd, wie gefagt, nicht, er meint vielmehr und mit volifem- menem Rechte —, daß, wenn auf dieſe Weiſe alles „Ber: änderliche,. Theilbare, Endliche im Gott verfammelt werde, diefer damit ſich ſelbſt verliere und der Endlichkeit und Zerfplitterung bingegeben fey. Er unterfcheibet deß⸗ halb, obgleich ohne Klarheit unb Bekimmtheit, eine re elle (osse rerum in propsia nasure) und eine ideelle Erik; aller Dinge, und nur die letztere fällt in Bott, fe daß diefer, frei von ber Endlichkeit, dennoch Ales anf ideelle Weiſe in fih umfaßt. Aber auch bei dieſer Unter⸗ fheiduug kann Raimund nach dem Früberen keine Ruhe haben. Dens ihm ſchwebt ja immer jener fire und per tous durchzuführende Grundſatz wor Augen: „‚dens habet in se omne esse et excludit omne non-esse.” Iſt nun mit jener Unterfcheidung dieſer Forderung genug gethan?- Gewig nicht. Denn umfaßt Gott and alle Eriftenye ideell, fo fallen doch Die Realitäten außer ihm, find für ihn ein non-esse. Go kehrt derfelbe Dualiemud wieder und treibt den Raimund in der That zu feinem odigen pantheiftifchen Ausdrude zuräd. Was er fo eben aufl entfchiedenfte, gelengnet hat,- das behauptet er nun wie der: esso omnium rerum in propria nalura est etiam is esse dei et in deo. So ſchwankt er eime ganze Weil zwiſchen jenen beiden Entgegenfeßungen (vergl. Tit. 13.) und verliert das Eine, wenn er dad Andere feſthalten will, Obgleich er fa über das Berhältuiß. des emblichen

d. natürliche Sheologie b. Meimyendus v. Sabunde. 104%

nnd abfelnten Seyns Eeinedwege im Klaren if, fo bieikt er doch endlich dabei fiehen, daß das reelle Geyu der

Dinge außer dem Seyn Gattes falle, und erponirt num

ziemlich meitfchmeifig diefen Gegeufag. Das ideelle Weſen aller Dinge id aber von Gmigfeit is Belt nu) man, um wicht Die Einfachheit des göttlichen Weſen« zu ge⸗ fährden, if es idem quod deus et esse dei; wie aber Dabei anf der andern Geike die Vielheit der Ideen bes mahrt werden könne, darum kümmert Sch Raimund wicht weiter. Daß ferner über das Berbältnif des Reellen

und Ideellen felbft fic vielfach widerſprechende Ausſprüche

finden, wird nad dem Borigen Niemand) Wunder nehmen. Nadı dem Seyn behandelt Mpimund die übrigen Ma⸗

mente des göttlichen Weſens, entfprechen® den ſubſſan⸗

tielen Linterfchieben der Natur, alfo zunächſt dad Laben. Was auf diefe Erpofition zn geben fey, da der Haupt⸗ grunbfat: emmia in deo sunt idem quod esse,” auch hier feſtgehalten wird und keineswegs das Seyn burdı eine in ihm felb mit Nothwendigkeit geſetzte Bewegung zum deben fortgeführt wird, liegt auf der Hand wir foma men trotz alled Redens nicht über dag Seyn hinaus, und auch die Prädicate des Lebend find ganz diefelben ald die bed Seyns (vergl. Tit. 27. mit Tit. 11. Wie fi) übrigens Raimund das Leben Gottes felbit gedacht habe, bleibt unklar, und noch mehr kommt ex bei dem dristen Womentse, dem sentire, ind Bebränge. Faſt ſcheint es, ale ob ihm hien Die eigewe, anf feiner Naturauffaſſung bernhende Methode, wonac alle fubftansiellen Scufenbe⸗ flimmtheiten der Natur auch im Gott zu fegen find, uubes quem wände, fie wird hier in der That zum bloßen Kors walismus. Denn wie fol ber Theiſsmus, und zu dieſem kehrt ja Raimund trotz jener Hantheiftifchen Abfchweifungen wieder zurüd, die Empfindung, die animaliſche Beſeelung ale Moment des göttlichen Weſens fich deuten? Go fagt

1042 Matzke

denn Raimund, in Bott ſey Geſicht, Gehör m. ſ. w., aber uicht fo, wie in ben Ereaturen, das fey unmöglich, fondern nobilissimo et perfectissimo modo! (Tit. 29.) Uad feine ganz abfkracte Anficht von der Sache wird offenbar, we er von ber „Lörperlofen, fpirituellen, intelectuellen” Eins nesempfinbung Gottes redet (Tit. 33.) Nachdem er ſodaun über das intelligere in Bott gefprodhen und ncod einen Zufat über bad posse gemacht, dad zwar beim End» lichen von der Exiſtenz verfchieden, bei Gott aber mit feinem actuellen Seyn abfolut identifch ſey was fid sach der obigen Erpofition fiber das Seyn vom felbfl vers flaud , fchließt er dieſen Adfchnitt mit einer Betrachtung über die Trinität. Diefßbe fcheint uns, obgleich fie Her Matzke an zwei Stellen feiner Schrift ziemlidy weitläufg behandelt, durchaus unbedeutend; es find nur in populärer Weiſe die verfchiebenen fcholaftifchen Argumentationen wiederholt. Natürlich werden- dabei gemäß Der ganzen Anlage des Werks die Analogien aus der Natur am meiften hervorgehoben, daß jede Raturgeftalt im fich den Trieb habe, fich hinzugeben, ihr eigenes Wefen in Auderes binüäberzuftrömen, daß es des Menfchen höchſte That fey, das Ebenbild feiner felbft zu erzengen u. dgl. Jene tiefere Analogie aber, wonach in jeder Geſtalt der Natur und vor Allen im Menſchen ein innerer, lebendiger Gegenfab, ein Abbild der göttlicdhen Triad gefunden wirb, wie bad Auguftin und im fpäteren Mittelalter auf geiftvofle Weiſe Savonarola verfucht hat, eine Betrachtung, zu ber: ihe fein Princip fo beſtimmte Veranlaffung gab, bleibt gänzlich außer dem Gefichtöfreife Raimund's liegen.

Indem wir den 2. Theil. der natürlichen Theelogie, die Dergleihung bed Menfchen mit den Greaturem nad ihrer fperiellen Convenienz, gaͤnzlich übergehen, werfen wir nur noch einen Blid auf den 3. Theil, der die allgemeine Differenz zum Gegenflanbe hat. Diefe befteht in. der Iw

d. natuͤrliche Theologie d. Raimundus v. Sabunde. 1048

teligeng: und im Willen. Bas Raimund über.die Suteliin gen; und die daraus entfpringenden Geſetze bed Erken⸗ nens aufftellt, hat unfer Verf. (S. 28 ff. 58 f.) genügend. entwidelt. Wie der erkennende Verſtand den Menſchen auf Gott hinweiſt, fo noch beflimmter der Wille. Hier: ſchließt fih nun bad moralifche Argument an, weiches vor Allem dem Raimund einen Namen in der Dogmtenges. fchichte gemacht hat, da er der Erfte war, welcher es mit: Beftimmtheit und in Form eines Beweiſes entwidelte.. Denn wenn fih aud bei Anderen vor ihm, beſonders bei: Abälard, beiläufig ähnliche Reflerionen finden, fo wird ihnen doc Feine voifienfchaftlihe Form und Bedeutung gegeben. Den Raimund aber mußte feine Methode, von allen Momenten des wmenfchlichen Weſens aus zum Anfolnten fortzugehen, feine überwiegend ethifche Haltung und die. Stellung, welche er dem Willen unter den übrigen Seiten-bed Geiſtes anweiſt, mit Nothwendigkeit gerade auf diefen Beweis, als den wichtigſten und fruchtbarften hin⸗ führen. Die Relation des Verfaſſers ift gerade an diefem: Punkte wieder fehr kurz, fo daß wir einige ergänzende: Bemerkungen einfchalten, nebft einigen Worten über das Berhältniß des raimund'ſchen Beweiſes zum kantiſchen. Als reies Weſen fo beginnt Raimund vermag ber: Menfdy nach der Seite des Guten oder ded Böfen fich zu entfcheiden, er ift zurechnungsfähig; Berdienft und Schnib find die Refultate feiner Freiheit. Durch das Böfe verlegt und zerfiört er die Ordnung der Ereaturen, die Harmonie des Alls, welche eben barin befteht, daß jebe Ereatur ihrem Wefen volllommen entfpricht; durch das Gute volls: endet und verlärt er diefe Harmonie. Run fehen wir. aber bier tritt das teleologifche Argument mit ein in der Natur einen durchgehenden zweckmäßigen Zufam⸗ menhang der Dinge mit einander, Eins if: weſentlich und nothwendig anf das Andere bezogen, hat. am: Ande⸗

1043 Boote

von fein Complemenſs, feine Begenfeite, weit welchet ci tm lebendigen Proceſſe ih, wie bad Licht wothwendis auf da6 Auge, bin objective Vernunft: (res inteltigibiie) worhwendig auf bie ſubjettive Gintellneius) fich beziehe; wie fan nun in ber höchften, in den mweretifchen Gphän jene Ordnung vermißt werden, die und hen ig der natürlichen entgegentrict? Daraus felgt alfo, daß au in der Weit der Freiheit die That des Miewfchen zit oleidfam „ine Leere hin’ gefchehe, fondern daß andı fr ihe nothwendiges Gomplement habe, d. h. Daß Leho od Strafte ihre Folge fey. Mie aber Die Orbunug ber m tiwlichen Welt mit Nothwendigkeit auf einen Bett hie führte, fo nicht weniger bie ber moratifchen. Alle Eigen fehaften Gottes folgen. mist Leichtigkeit hieraus (Lit. 83. bis 86.) Fragen wir nun, wie ſich Raimund mit biefer Argumentation zu Raus verhalte, der ja bekauntlich oben falls diefed Argument befonderd fchäßte, fo ſpringt zwerl in die Augen, dad Raimund einen objectiuen Aundgangi punkt nimmt, nämlich die Orbuung der natürlichen Walt, weraud er fodann die Conſequenz für bie moraliſcht zieht, während Kant bagegen fubjectie won Begriffe dei hächſten Buted ausgeht. Nach Kant finder der Menſch im ſich das meraliiche Geſetz, welches mubebingte Erfil⸗ lung fordert, ohne Rüdfiht auf Glückſeligkeit und cl fonfigen Motive, Daneben finden fidh aber auch empiriſche Triebe, der Dvang nadı Glückſeligkeitz beide, mit einas: der werfnüpft, geben das Ideal des höchſten Gutes. Di Einheit der Tugend nub Glädfeligkeis im hächſten Gate iR alfo, um kantiſche Ausdräde zu gebrauchen, wicht ein omelptifche, ſondern eine fonchesifche; wit der Zuge hängt nicht notwendig bie Glückfeligkeit zufammen, dieſt ledtere iR vielmehr äußerlich bebingt uud liegt im de Befriedigung empirifcher Triebe, ber Menſch kann daher, da er der Tupenb nubedings und allein ſoigen fell, bei

[4

d. natürliche Theologie d. Maimundus v. Sabunbe. 2085

hochftle Gut nicht ſelbſt verwirklichen. Dennoch aben Kogb in feiner Natur dad berechtigte Streben danuach, ud es. if ſomit ein praktiſches Poſtulat, ein Weſen amguuchmen, weiche® jene ditparaten Elemente harmonifch werkuinfe und bad höchſte Ent für den Menſchen realifive. Obme weiter auf die Schwächen Diefer Argumentation einzu⸗ gehen, fo ift bei Raimund im Gegentheile bie Einheit der Ingend und Glüͤckſeligkeit, ebenfe der Simbe und ber Strafe nach Tantiihem Ausdruck eine anaiytifdie, da es ja in der Drbmung der wmoraliſchen Wels begründet iſt, daß jede That am fich felbft eine ausfpreckeude Folge habe. Liegt e& im Begriffe des Guten, Daß es nothwendig dem Lohn, Die Geligleit mit fi führe, nun, fo ik je dad Poſtubat eines Weſens, wolched beides erſt äußerlich vers Müpfen fol, durchanus überflüfle. Conſequenterw eiſe müßte Raimund dann freilich Lohn und Strafe aldi ein Innetliches, im Clemente des Geiſtes ſebbſt ſich Bollzien hendes faffen, und an einigen Stellen thut er dieß auf das entſchiedenſte (remuneratia corsespendet radici, quse nem esk cerporalis; vergl. Tit. 88.5 Auf ber anderen Geite ift aber Raimund’ Argumentakion von dem Grund⸗ mangel der Tantifchen frei, inden ed ihm nicht von ferne m den Sinn fommt, Die praktiſche nnd theoretiſche Ver⸗ nunft yon einander snzeißen, Sant's „praktifcher Blanbe,”’ ſobaid er ind Bewußtfeyn erhoben wird, fülk ja damit ind Bebiet der Theorie, muß alfo wieder negirt, feimer objectiven Bedeutung beraubt und ins Subject zurieck⸗ genommen werden, währen» bei Naimund die Gewißſheit der theoretiſchen Beruunft durch biefes Poſtulat ber Praris nur aflfeitiger und ficherer wire. Daß fodanı die Unſterblichkeit auf bemfelden Wege bewiefen. wird, braucht nicht erſt erwähnt zu werben.

Es fetgt der A. Theil des Werkes, welcher die ſpe⸗ cielle Differenz des Menſchen und ber Creaturen zum

1046 Metzke

Gegenſtande hat; dieſelde beſteht nicht, per hebere, sed per oognoscere se habere,” beſteht alſo im Selbfibewußt: feyn, welches Raimund merkwürbigerwmeife von der Intelligenz und dem Willen abtremmt. Erfi bad Bewaft feyn aller Gaben, welche der Menfch empfangen hat, begründet feine Verpflichtung gegen den Geber. Raimund betritt alſo bier das erhifche Gebiet, deſſen Inhalt wir in der Haren und vollſtändigen Darfielung bed Ber. (S. 64 ff.) nachzuleſen bitten. Den Mittelpunkt bildet Die Liebe. zu Bott, und Raimund gibt eine volllänbige „scientia de natura amorla” in 64 Kapiteln. Hier ik er ganz in feinem Elemente, auf der Höhe feiner Arbeit angefommen,. Hier bewegt er ſich lebendig, mit höchſter Selbfibefriebigung, und ohne Zweifel gehört diefe Partie der natürlichen Theologie zu dem Bellen, was übe chriſtliche Ethik im Mittelalter gefchrieben if. Der Wilke it ihm das Derz des Geiſtes, das Majeſtätsrecht dei Menfchen, das vollendete Ebenbild Botted (vergl. S. 22) und deßhalb auch dad Organ, die Form bes höchken ethifchen Princips, der Liebe, über deren Auffaffung wir weiter unten noch einige Worte zu fagen haben. Die Liebe in ihrer vollendeten Realität ift die Einheit mit Gott, und fo kehrt in ihr die ganze Reihe der von Gott gleihfam entäußerten Greaturen durch die Bermittelung ded Menfchen zu. Gott suräd. Und aus dieſem Gentrum gebt nun bie Darfteflung in die Breite auseinander und entwidelt eine Fülle von Erfcheinungsmeifen, welde au fih in dem Principe der Liebe umfaßt und präfermirt find. Die weiteren ethifchen Bellimmungen und. Gegen füße ımd bie biefen augefchloflenen Dogmatifchen Erör

terungen über: bie Dignität Ehriſti, die Eugel, bie Sa

tisfaction, die Sacramente, die Gnade, die Herifalifche Gewalt: u. f. w. finden fich ebenfalls bei Hrn. Maple mit; gehöriger Klarheit und. Vollſtaͤndigkeit dargeſtellt.

d. natürliche Theologie d. Raimundus v. Sabunde. 41047 |

Schließen wir an biefen Ueberblick über Prineip, Methode und Inhalt der natürlichen Theologie noch einige Bemerkungen über bie hiſtoriſche Gtellung ‚und Bebeutung ihres Urhebers. Auch Herr Matzke hat im dem Bewußtſeyn, daß bei hiſtoriſchen Monographien bie Rädficht auf die allgemeine Entwidelung des Geiftes bie Hauptſache fey, diefem Punkte einen befonderen Fleiß jugewandt, Davon audgehend, daß man bei Raimund von vorn herein die feltefte Anhänglidjleit an die Kir chenlehre vorausſetzen mäfle, weit er auf den unheilvol⸗ len Zuſtand der Kirche des 15. Jahrhunderts bin und ruft Dann and: „Bounte Raimund dieſem allgemeinen Auflöfungsprocehfe ruhig gufehen ? Konnte er es über fich gewinnen, die. mühfem errungene Bilbung des Geiſtes und Herzens, die fpäte Krucht fo vieler Menichenalter dem Alles unterwühlenden und zerftörenden Zeitgeifte zum Opfer zu bringen? Gewiß, wenn wir bebenfen, daß ein-für bad Erhalten der einmal liebgemonnenen Sach⸗ lage beforgted Gemüth bad Gewiffe dem lingewilfen im, mer vorziehen wird, und wenn wir binzunehmen, baß Raimund mitten in die Verwirrung und Zerrättung hinein, geſtellt war, in der gewoöhnliche menſchliche Berech⸗ nung noch gar nicht vorausſehen konnte, welcher Zuſtand darans hervorgehen würde, fo befremdet ed und gar nicht, daB er die alte Ordnung der Dinge gegen das Andringen feindlicher Elemente wohl zu fchüßen ſuchte 00. Der Repräfentant biefer Bertheidiger des Alten ift Raimundud.” Sein Zwer war demnach, die wankende Kirchenlehre in den Herzen feiner Zeitgenoffen neu zu ber gründen: Wenn ſchon wegen biefed populären, praktiſchen Zwecks Raimund ſich zu der unpraltifchen, übergelchrten Schotaftit nicht ohne Weiteres‘ hinwenden konnte, fo noch viel weniger deßhalb, weil die lehtere damals ‚übers haupt ſchon dem lintergange verfallen unb in der Auf:

1048 | er

Söfeng begeiffen ww, Naimundb ſah ſich wife memäthigt, eine nene Meihobe zur Biuwerbung ‚gu briagen, won ber Art, be dad Ball bei Handhabung Sarfelben einzig ua wilein feinem gefunden enfdyewsesfinube Yolgen derſte. ie mupte anf einem fidheren Eruudre zubhen, Damit bi wit ihrer Hülfe gefundenen Wuhrheiiten Ducchans wiht umgefboßen werden Bonnten Neues Material beizubra en war gar nicht von nöthen, ſoudern ber Zweck wor volllommen erreicht, wenn ber reidıhaktige Wewten der Arbrit der bedentendſten Schtlaſftiber weiſe ‚benngt za Sas Alte wen vernebritet wurde.” Dieß im Kergern bi Anſicht des Berf. Eüelten wie wun auch gugeben, bai Naimund bei ſeinem Merle diefen uligemeinen prakithche Zwei vor Angen zehubt habe, und Daß ihm alſo die Reformation der Cheologie war Awad Geuuhkued, via Berf. hinter dieſer apologetiſchen Seite Die ambere ned vorwärts gewandte ber wiſſecqſchaftlichen Seubilbun wiel gu fehr zurucktreten, obgleich gerade fie mach unfere Auſicht Die intersffontefte ‚uud Hiftorifch bebeutrubfle H. Usb wenn Der Werf. erſt auf Dem letzten Mblaste feine Abhandlung ſagt, Natmmmb’s Syſtem fey ein necheht: Ages Denfwal des Geiſtes, weiter unabläffig ring, son Anferen Umtorititen fi gu emancipiren, Te geht 2a wenighend aus feiter Daufkeliuug wide befiimmi herwon

Dom der Scholcttik hat ſich Rakmuib = Bewaft ſeyn odgefagt. Dusch feine watärliche Theologie, ſag ee im Prologe, könne man in eine Mongate mehr ler, als wonn man hundert Jahre Die dooteres ;istitere. Scher Dieß, den 'gangen Inhalt ver Thrologie aus Mus Ginhe! tined Priacips gu bagreifen mad zu ent wickein, uud Re muud meuigftend aflmebt, Kegt ber Scholaſtik fern, web er eben ‚jene primeitfielte Ginheit ‚abgeht, weiche gem

d. natürliche Theologie db. Riduambus v. Sabunbe. 1049

anf dem Stanbpuntte des veflatisenben Verſtandes Beht and wur wit einzelnen rationellen Grunden bie eimgelnen Motende ver verauögefehten Küirchenlehre gleichſam zu⸗ yıuten aud in wine dam damaligen wiſſenſchaftlichen BDewußtſeyn zufagense Korn zu bringen ſucht. Und num voſtends von ber Erfahrung audgugehen, biefelbe geifätg zu darchdringen, ift der abftracten Metaphyſik der Sch» (after geradezu entgegengefegt. Wenn alfe der Verf. fagte „Der ganze Plan dei Raimmd war, daß wir kurg vegtideen, darauf angelegt, Die Scholaſtik gu popu⸗ tarifienı,” fo iſt dieß mindeſtens ſchief auägebnädt. Kine Wiſſenchaft und vor Allen eine folche, die ihren Juhalt nmicht frei aub ſich produoirt, charalterifirt ich ja weſent⸗ lich durch ihre Metiſode, die Rirchenlehre iſt vielmehr der en Raimunud mit den Scholaſtikern gemeinſame Stoff, ud wenn er daneben vielfach auch ſcholaſtiſche Argumen⸗ rtarionen und Diſtinetionen aufnimmt, fo kaun dieß un⸗ mögfich aus ſeinem bewußten Diane erklärt werden, ſon⸗ Vera daraus, daß Raimundes ganze Bildung innerhalb ner Scholakit erwachſen iR, während fein eigenthäm⸗ liches Yrimeip und feine Methode, wären fie überall mit Bewaßtſeyn feſtgehalden und durchgeführt, ihn gerade von der Aufnahme jener. Siemente hätten abhalten undifr fen. Hatte ver Nominaliomus, im deſſen letzte Zeiten Raimund fhdt, fein Ende gefunden in Der Berzmeiflung un altem objectiuen Willen, an ber ganzen bogmmtifchen Welt, weldye doch noch der einzige Inhalt Des Dewußt⸗ ſeyns war, uud war er bamit nothwendig, :weil sur Kris the noch nicht Hart geung, in Den craſſeſten Autoritäts⸗ giauben und die abftzaete Trennung von Glauben und Wiſſen umgefchlagen, fo wußte bei dieſem Reſultate der Trieb ſich geltend machen, in eier neuen, lebens volleren Weise, durch eine tiefere Vermittelung ben im Bewußt- fegn sinmal wo feſtſteheunden Olaubensinhalt dem Gelt

150: "Maple

bewußtfeyn zu eigen -zu machen. Die unmitteibasfe Ev fcheinung dieſer Yofltiven Oppofition gegen ‚ben Forms lismus der Scholaſtik iſt die Myſtik; in wiſſenſchaftlicher Weife erſcheint dieſelbe Oppoſition bei Raimuud. nd ser ſucht ein anderes Fundament als das ber ſcholaſtiſche Neflerion und ber bloßen kirchlichen Autorität, aber et fircht es in der Wilfenfchaft, nicht, wie bie Myſtil, in der ‚Inneren Selbſtgewißheit der religiäfen Erfahrung. Ba braucht nur den Prolog feiner natürlichen Theologie un befangen zu lefen, am zu fehen, wie bedentend hier ſche

"die Selbſtaäͤndigkeit des ſubjeetiven Erkennens der Ir | torität gegenüber .fich geltend macht, ganz verſchieden von

bem alten: Berhältuiffe ber Ades zum intellecten, wen Kaimund auch demüthig all fein. Erkennen der Kirche uw terwerfen und den Schein ſubjectiver Freiheit baburd verzueiden will, daß er feine Wilfenfchaft nur als Ba Leſen eines göttlichen Buches, ald das Aufnehmen ein fertigen Offenbarung darſtellt. Baur (die Lehre von der Dreieiniigleit 11. S. 885.) führt den Raimnuud unit den Myſtikern anf und bezieht ſich Dabei auf dem in de "oben ausgezogenen Stelle enthaltenen pantheififchen Bor tesbegriff. Aber abgefehen davon, daß Raimund did: Auffaſſang nicht feſthält, ſondern zum Theismns zuräd

:fentt, iſt doch dieſelbe auch von der ber Myſtiker weint lich und prineipiell verfdieden, wenn auch bei dem lehlv ‚zen fich Hin und wieder Ähnliche Ausfpräche finden ſol⸗

ten. Raimund würde, wenn er jene Auffaſſung couſequent

-fefthielte, bei Dionypus Arsspagisa.antommen, währe! ‚die germanifche- Myſtik auch bei ihrem Botteöbegriffe a her veligiäfen Erfahrung, von der Gewißheit der ſubjec riven Unendlichkeit ansgeht und durch Regation bed «m piriſchen Ich bad Abfolute ind Subject felbft himeinzieh. Durch diefed Moment ber unendlichen, gottburchbrungt

en SBubjeettoität iſt Die Auffaſſung des Abſoluten une

d. nathrliche Theologie d. Maimundus v. Sabunde, 1051

lich concreter als jene abfiracte, nur fcheinbar"allumfafs fende Subſtanz. Noch näher aber fcheint Raimund dort as die Myſtik zu reifen, wo er von ber Liebe als der das Menichliche in das Göttliche trausformirenden Wacht ſpricht. Wie das Elementariſche durch die ihm einges borne Beſtimmung, burch einen inneru Zug in dad Or⸗ ganifche ſich wandelt, fo muß auch der menſchliche Wille ale die höchſte creatürliche Beftalt, über weldher zur Gott ſteht, felbft ind göttliche Seyn gewandelt werden, die Liebe zu Gott muß den Menfchen felbft göttlich mas chen a). Auch nad den Myſtikern hat der Menfch nur ein Ziel, die Liebe zu Gott, oder wie fonft diefe eine myſtiſche Tugend genannt werden möge; bie Bergottung des Menſchen durch die Liebe kehrt auch hier immer wieder, oft, wie auch bei Raimund, durch bad Gleichniß Der Che verfinnbildlicht. Aber der Unterſchied ift ber, daß die Myſtik jene Einheit der Liebe gründlicher und tiefer erfaßt, auf die urfpränglich präformirte Einheit bed Weſens, anf die Gewißheit der Berfühnung mit Gott zurüdführt: Gott fordert gleihfam von jedem Menſchen feinen Sohn uud Jeder, der Gott nicht liebt, der befchränkt damit das göttliche Leben felbft. Diefe metas phyſiſche Vorausſetzung macht Raimund nicht, er unters fucht nicht, ob denn jene Einheit auch an fi in bem Wefen Botted und des Menſchen und in dem Verhält⸗ niſſe beider begründet und möglich gemacht fey, er hält banebeu unbefangen die alte Satiöfactionstheorie in ihrer ganzen ſtarren Objectivität feft, bleibt einfach beim Wil⸗

a) Ita ergo vuluntas in sua libertate debet mutari in melius et io altiorem gradum, scilicet ut ipsa matetur in esse divinum, aliter ipsa faceret contra totum ordinem universi et contra so ipsam . .... Quia amor convertit voluntatem nostram in rem primo amatam, ideo convertit, mutat et transformat to- taliter hominem in deum et in suam voluntatem (Tit. 241.).

| Theol. Stud. Jahrg. 1847, 70

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len als ſolchem ſtehen, reißt ihn ſogar von ber Inteligen los, während im der Myſtik vielmehr Lieben und Erken⸗ nen Eins ift, beides in ungetheilter Einheit des Gelbk: bewußtfeyns zufammengehalten. Die mepfttiche Liebe hat deßhalb einen vorwiegend ideellen, abſtract innerlichen Eharakter, fie ik das Schauen Gottes, Ansruhen in Bett; wer, über ſich ſelbſt erhoben, in jene Stille der Liebe rin gekehrt ift, für den tritt dann das Handeln als eine u tergeoranete Stufe zuruck, da dieſes feiner Natur nah Retd nach außen gewendet und in bad Gnblidhe werflod. ven il. Daher die Paſſivitaät, der Quietismas ber Myſtil Ban; anders bei Raimund, da er ja den Willen ale den eigentlichen und alleinigen Heerd der Bermittelung des Menſchen mit Gott beflimmt. Der Wille ift aber weint: lich Thätigkeit. Wenn alſo die myſtiſche Liebe einfad in ſich iſt, thatenlos, einſames Spiegeln der Seele im Abſoluten, fo iſt dagegen die Liebe bei Raimund ein ener⸗ gifcher Peoceß, ein Princip, das ſich praftifch erweiſen, eine Füße von Erfcheinnugen and ſich fegen und wieder in ſich zurücknehmen muß. Die eine funbamentale Lich, fagt er, iſt zwar umfichtbar, aber zugleich die fruchtbar Wurzel von vielerlei kiebe; fie treibt einen Baum aus fi hervor, deſſen Zweige nach allen Seiten audeimandır sehen (Tit. 134.). Damit ift ber ethiſche Standpuult Raimund's im Allgemeinen charalteriſirt. Unufer Bei. hat denfelden klar erfaßt and bargeflellt; bei bem um foffeuden Zwede feiner Abhandlung konnte man abe erwarten, daß er ihn innerhalb der eihifchen Begenfäßt jener Zeit und im Berhältniffe gu Raimund's eigenen dog⸗ matifchen Erörterungen 5. B. über die Gnade noch ei gehender betrachtet haben würbe. Es leuchtet eim, wie weit Raimund mit feiner ethifchen Ueberzengung vor der Praris der katholiſchen guten Werke fich entfernl, indem er alle Aeußerung des flttlichen Thuns auf bie

d, natärliche Theologie d. Raimundusn, Sabunte. 1053

eine Idealitüt des Willend bezieht, wenn gleich ihm anf Bercanderen Seite die unendliche Bafid uud Vorans⸗ ſetzung dieſer Spealität, Die reformatoriſche Ades, ned verborgen blieb. Wenn man nun die eben berührten, nicht ganz wegzuleugnenben myſtiſchen Aullünge berück⸗ ſichtigt, ſo wird man vielleicht die Anficht aufteilen dür⸗ fen, daB Raimund in feiner Schrift eine Vermittelung zwifchen jenen beiden geiſtigen Mächten feiner Zeit ver fucht babe, in dem Sinne, die Theologie fey allerdings Wilfenfchaft, aber dad Ziel ihrer Erkenntniß nicht das Wiſſen feloft, die Theorie, fondern die Praris, die Liebe als der thatſaͤchliche Beſitz bes Bsttlichen.

So originell nun Raimund's Princip und Methode iſt, fo tachtig und anerkennenswerth feine Tendenz, fo kaun nnd dieß doch andererſtits für die Schwächen ſei⸗ ned Werkes nicht blind machen. Seine Anffaflung ber Matur ald eines vernünftigen Syſtens om Stufen, biefe Ahnung einer organifhen Dialektik aller Wirklichkeit if ein tiefer, fruchtbarer Gedanke, aber die Entwidelung deſſelben, die wirkliche Einfiht in das Wefen der eins zelnen Stufen und Raturgeftalten ift eine durchaus dürfe tige, überfleigt nicht die affergewöhnlichfie Kenntniß und ift wohl faum mit dem Streben nad) Popularität zu ents fchuldigen. Ebenſo ift das Princip der Selbſterkenntniß Höchft coneret und inhaltereich, aber die Durchführung ift großencheild eine fehr äußerliche und oberflädhliche, und kann feine andere feyn, ba ja für Raimund die Kirchenlehre von Haus aus als Refultat feſtſteht, und fo die Kraft des Principe, befonders fobald er ind Des tail der Kirchenlehre hineingeräth, durchaus gebrochen erfcheint, ja er fällt, obgleich er offenbar im Principe die Scholaftif überwunden hat, an vielen Punkten total in die fcholaftifche Argumentarion zurück. Die Methode endlich, wie er fein Princip durdyführen will, ift ihrer

P 70 *

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1054 Maple, d. nat. Theol. d. Raimundus u. Sabunde.

Idee nad) ganz angemeſſen, aber fie wird aus eben jenem Grunde, je weiter fie zu ben Spiben der Kirchenicht fortfchweitet, um fo mehr zum unerträglichen Formal; mus. Das ganze Syſtem der bierarchifchen Gewalt fe det in der natürlichen Theologie feine Mechtfertigung. Der Verfaſſer hält in feinem Urtheile über Raimuad bie verfiändige Mitte zwifchen Ueberfchäbung und Bering fhägung. Ueberfhägt wirb er häufig von Solchen, bit weites nichts ald den Prolog keunen, zu gering gefhäßt bisweilen von denen, welche das ganze Werk findiert haben, wo bann die Refignation, mit welcher man fid allerdings bei manchen Partieen waffnen muß, nicht fel: ten ber linbefangenheit des Urtheils Über das Gary: Eintrag thut. Sedenfals hat Herr Maple durch fein: durchgeheuds klare und objectio gebalteue Darſtellung zur richtigen Würdigung des Raimund von Gabuade beigetragen und damit eine wefentliche Küche unferer day menbiftorifchen Ritteratur ausgefüllt.

D. Frauz Holberz

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1054 Maple, d. nat. Theol. d. Raimundus v. Sabmde.

Idee nach ganz angemeſſen, aber fie wird and eben jenen Grunde, je weiter fie zu den Spitzen der Kirchenlehre fortfchreitet, um fo mehr zum unerträglichen Zormaldı mud. Das ganze Syſtem der hierarchifchen Gewalt fe: det in ber matürlichen ‘Theologie feine Rechtfertigung. Der Verfaſſer hält in feinem Urtheile über Raimumd bie verfländige Mitte zwifchen Ueberfchätuug und Gering fhägung. Ueberſchätzt wird er häufig von Golden, die weiter nichtd ale den Prolog kennen, zu gering gefhäßt bisweilen von benen, welde das ganze Werk Radiert haben, wo dann bie Refiguation, mit welcher man fid allerdings bei manchen Partieen waffnen muß, nicht Ir: ten der linbefangenheit des Urtheils über das Ban Eintrag that. Jedenfalls hat Herr Matzke durch fein durchgehends Mare und objectio gehaltene Darfchum zur richtigen Würdigung bed Raimund von Sabunde beigetragen und damit eine wefentliche Lücke uuferer dog: menbiftorifchen Litterasur ausgefüllt,

'D. Franz Holberg.

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Iſt der Rationalismus fähig, eine Kirche zu bilden? Beantwortet vom Prediger Diedrich in Magdeburg.

Don jeher ift dem Rationalismus der Borwurf gemacht worden, daß er in fi; nicht die Kraft und Fähigkeit trage, eine kirchliche Bemeinfchaft zu fliften und zu ers balten. Ebenſo if in unfern Tagen den kaktholiſchen Difientergemeinden, weiche fich auf rationaliftifcher Grund» lage bildeten, fowohl von Katholifen ald von Proteſtan⸗ ten zugerufen worden, Daß fie eines feſten Fundaments für ihre religiöfe Bemeinfchaft entbehrten, baß fie, falls fie nicht Yon dem Boben einer bloßen Raturs oder Ders nunftreligion aufden Boden des Yofitiven chriftlichen Df⸗ feubarungsglanbene zurüdträten, den Sturz ihres eiger . nen Bebändes ſelbſt vorbereiten würden und leicht, noch ehe ein Menfchenalter verfiriche, erleben könnten. Bon Seiten des Rationalismus iſt jenem Borwurfe nie gränd: lich begegnet werden, vielmehr hat er ſich mei nur bar» auf beichränft, denfelben, wo nicht ale eine völlige Un⸗ wahrheit, doch ald eine ticbertreibunggen bezeichsen, und nicht unterlaffen, feinen Glauben an eine kirchenbildende Fähigkeit feines Syſtems mehr ober minder zu betheuern. Eben fo wenig haben bie neufathelifchen Diſſidenten durch

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jenen Vorwurf ſich bewegen laſſen, von dem betretenen Irrwege auf den rechten Weg zurückzukehren nnd, Ratt “eine vage Bernunftreligion zu proclamiren, um fo fee an den pofltiven Grundlagen ded Chriſteuthums feſtzu⸗ halten, je entfchiebener fie fih vom römifchen Katholi: cismus lodfagten und je härtere Berurtheilungen ober doch Berdächtigungen fie von blind zufahrenden Gegnern erfahren mußten. Im Ganzen iſt befanntlich bie Anzahl der katholiſchen Diffentergemeinden, weldye nicht bloß irgend ein Glaubensbekenntniß, fondern auch ein am die pofitiven Grundlagen bed Chriſtenthums ſich moͤglichſt eng anfchließendes aufgeftellt wiffen wollen und auch aufge: ſtellt haben, im Verhaltniſſe zu den übrigen fo Mein geblie- ben, daß auf Seiten der letzteren fich bis jetzt, trotz bes mit männlichen Muthe und anzuerfennenber Freimäüthig⸗ keit abgelegten Glanbensbe kenntniſſes bes fchueidemähler Reformators, immer eine überwiegende Majerität erhal ten bat. Die Berhältniffe der Gegenwart legen daher tn der That die Frage recht nahe, ob und in wie weit dem Rationalismus eine kirchenbilbende Kraft zuerkannt werben koͤnne. .

Wenn wir zunäcft den Berfud machen wollten, auf hiftorifchem Wege hinſichtlich unſerer Gtreitfrage ein beflimmtered Ergebniß zu gewinnen, fo würden wir allerdings mandherlei Data vorfinden, welche zu einer verneinenden Antwort berechtigen, allein fie wärben bed fchwerlich ſchon ansreichend ſeyn, um bie Sache zur völi: gen Evidenz zu bringen. Zunächſt hat der Rationaltemus biöher im Ganzen und Großen moch Beinen Berfuch gr: macht, ſich als eigene Kirche zu conflituiren. Weder die um Wegfcheider und Röhr fi fchaarenden Anhänger eis ned mehr theolog hen Rationaliemus , noch bie an den Brüften der hegel’ichen Dhilofophie ſich nährenden Bela ner eines höheren fpecnlativen Nationalismus haben es allen Ernſtes zu einem Bruche mit ber evangeliſchen

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Kirche kommen laffen. Und. wie lofe auch immerhin ber Zufammenhang eines großen Theils wenigſtens der Lehr teren mit der Kirche ſeyn mag, fo führen ſie Doch bie jet noch mit uns denfelben Ramen evangelifcher Chris ften und es umfchließt fie mit und noch ein und berfelbe äußere Kirdyenverband, Es find allerdings ſowohl im Schooße ded Rationalidmus felber, als auch unter den Bertretern des firchlichen Intereſſes fon öfter Stim⸗ men laut geworden, weiche ihn aufgefordert haben, bie Halbheit und Inconfequenz der eigenen Stellung aufzu⸗ geben, fi von der Wutterfirche, der er ja doch nicht mehr wie ein rechtes Kind mit ganzem Herzen zugethan fey, völlig logzulöfen und ganz auf eigene Hand eine kirchliche Bemeinfchaft zu gründen. Allein diefen Auf» forderungen hat er fich bie jeßt: immer entzogen. Wie ed nicht im Interefle der Kirche liegen Tann, die fo zahls reichen Anhänger des Rationalismus gewaltfamerweife von fidy auszuftoßen, weil ein folcher Gewaltsact noth⸗ wendig eine Abfchwächung des eigenen Körpers herbeis führen müßte und zugleich für fo viele kranke Glieder eine fhonungslofe Härte feyn würde, ba nur, fo lange fie im Berbande mit dem Leibe bleiben, eine Heilung für dDiefelden möglich if, fo fan ed auch nicht im Intereſſe des Rationaliemud liegen, einer etwaigen gewaltfamen Ausſtoßung durch freiwilligen Andtritt zuvorzufommen, weil für ihn dann feine ganze Eriftenz auf dem Spiele flünde, weil er bei confequenter Entwideluug feines Prin⸗ cips nad, innen und praftifcher Ausführung and im äußeren Leben zulegt nur einem einzelnen philofophifchen Syfem oder, wie man auch fonft fagen könnte, dem Zeitgeifle zur Beute anheimfallen würde. Selbſt die deutfch-Fatholifchen Bewegungen der jüngften Bergangens heit und Gegenwart, welche ihn auch innerhalb ber rö⸗ mifchen Kirche gleich ein Heer von Bundesgen oſſen hätten finden laſſen und ihm einen etwaigen Bruch mit ber

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evangeliſchen Kirche erleichtert haben wlrben , find, wie verführeriich Die Belegenheit auch war, gleichwehl für ihn nicht Beranlaffung geworben, bie Gemeinfchaft mit : der Mutterkirche durch einen auch äußerlich erfeunbaren und bebenutfamen Gchritt aufzuheben; er hat dem Fener⸗ geiſtern unter Freunden und Feinden entgegengesufer: Bedeufet das Ende, und felbii da, wo es den Anfchein hatte, als wollte er den Rubicon Üüberfehreisen und den Krieg auf Tod und Leben beginnen, den ſchor erhobe⸗ nen Zuß wieder fallen laſſen, um nicht das Aeußerſte ı5 wagen und fi wenigfiens die Diöglichleit einer Wieder ausſöhnung mit der Kirche zu ſalpiren.

Bon dieſer Unentſchloſſenheit, welche bie Anhänger bed theologiſchen oder des fogenannten vulgaren Re tionalisuus charalterifirt, haben fich nun allerdings bie Belenner des fpeculativen Rationaliomus frei zu er: halten gewußt; unter ihnen hat ed vielmehr eine Menge sühriger Geifter gegeben, bie, ihrem Charakter getreu, nicht mit befonuener reformazorifcher Weile, ſond ern mit ſtür⸗ wifcher revolutionärer Eile eine neue Zeit heranfzuführen, es offen ausiprachen, es fep an der Zeit, den Verſuch eis ner völligen Emancipation von der Kirche zu mache, während Andere freilicd, mehr einen Schleichweg einſchlu⸗ gen und die Welt überreden wollten, daß die Miner des Fortſchritts in ihrem Sinne die Getrenen ber pre tchtantifchen Kirche, dagegen die fogenannten Glaͤubigen nichts als Abgefallene, daß fie ſelbſt eigentlich die Kirde, die Anderen Dagegen nur eine Secte wären. Indeß and von jenem rährigeren Theile läßt fih doch im Garzer nur urtheilen, daß fie mehr Lärm als Eruſt wachten, daß fie die Emancipation mehr forderten, als im praktiſches Leben verwirklichten. Wenn im Jahre 1843 In den öffent: lichen Blättern von einem „Bereine der Freien” zn Bew Un fehr wiel die Rebe war, bie zwar ihre Kinder ned taufen und eonfirmiren , ihre hen noch kirchlich einfeg-

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nen laffen, dagegen jede Theilnahme au der Ahendmahls⸗ feier und den Befuch des öffentlichen Gottesdienſtes grunds fäglich aufgeben wollten: fo ift jener Verein fchon da⸗ mals todt geboren, und gegenwärtig findet man faum int den Tagesblättern noch dann unb wann eine Erinne⸗ rung baran, daß ein folcher Verein projectirt worben if, gefchweige denn, daß berfelbe irgendwo ernflere Fol⸗ gen für die evangelifche Kirche bliden ließe. Bedeutſa⸗ mer erfcheint ber vor Kurzem von Rupp in Königäberg gemachte Verſuch, eine im Sinne ber modernen Philefos phie freie ewangelifche Gemeinde zu gründen. Judeß bes zechtigt Dad, was biöher Über dieſe neu sevangelifche Gemeinde verlautete, nidit zu ber Hoffnung, daß ihr Beiſpiel viel Nachahmung finden würde.

Einftweilen würde und aber gleichwohl die Befchichte noch nicht berechtigen, dem Rationalidmus eine kirchen⸗ bitvende Kraft abzufprechen. Es wäre ja immer ber Kal denkbar, daß er jene Kraft in fi tragen könne, auch wenn fie in der praftifhen Geſtaltung bed Lebens ſich noch nicht Documentirt hätte; es könnte nicht fowohl in der inneren Schwäche, als vielmehr in der Un⸗ gunſt der Zeitumſtände der Grund davon liegen, daß von Seiten bed Rationalismus noch kein ernftlicher und erfolgreicher Berfuch gemacht if, eine eigene Kir⸗ chengemmeinfchaft zu gründen, und das, was in der Ber, gangenheit ihm weder gelungen noch auch nur ernftlich angeftrebt war, könnte unter glüdlichern Zeitverhältnäfs fen verfucht nnd erreicht werben.

In der That appellirt der Rationalismus oft genng an die Zukunft, ja hofft von ihr die glänzendſte Rechts fertigung. Er hat zu wiederholten Malen ausgefprochen, daß für die Bertreter eines pofitiven Offenbarungsglau, bend nur deßhalb ein fo erwünſchter Umſchwung Der Beiten eingetreten fey, weil die Staatsmacht mit ben Orthodorie im Bunde flehe, und gibt damit zu verfichen,

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daß er hofft, es könne leicht ber umgelchrte Fall eintre⸗ ten, daß die Bekenner ſeines Syſtems den eigentlichen Kern der Kirche, die ſtreng Bibel⸗ und Kirchengläudigen

dagegen nur eine Secte bildeten, ſobald die Staatsmacht den Bund mit ber Orthodoxie aufgede und wit ihm ſelbſi fchließe. Allein wenn zu jeder Zeit gleiche Urſachen auch gleiche Erfcheinungen hervorrufen, und infofere die Bers ' gangenheit und die Zulunft immer fchon im voraus ans Dentet, fo können wir jene Hoffnung des Rationalismud wur ale eine voreilige bezeichnen. Es ir nämlich eine nicht hinwegzuleugnende Thatfache, daß alle Gecten, wels he eine rationaliftifche Färbung haben, nirgends einen langen Beſtand gehabt, nirgends eine weite Verbreitung gewonnen haben, daß ihnen Überall jene lebendige Trieb» kraft fehlte, welche die Secte wie mit unwiderſtehlichen Drange zur Kirche anwachfen läßt und fie nach innen and anßen fo zu organifiren vermag, daß fie inneren und äußeren Feinden gewachſen if. Die älteften Vorläufer des Ra» tionalismus, die Socinianer, haben ed weder in eure päifhen noch in Hberfeelfchen Landen vermocht, ſich zu einer größeren Kircheugemeinfchaft auszubilden; die eng⸗ liſchen Deiften uud franzoͤſiſchen Encyklopädiften find for gar unfähig geweien, ſich auch nur zueiner Gecte zu con» foltbiren und ſich in irgend einer Weife firchlich zu orga⸗ nifiren; der GEultus der Vernunft, welcden bie frangöf- ſche Revolution aus ſich gebar, war eine Mißgeburt von sben fo grauenhafter Geſtalt ald kurzem Leben; die Phi⸗ Ialethen zu Kiel haben in ihrer „Bittfchrift an deutfche Für⸗ ften” ein einziges Lebenszeichen gegeben und find baum fpur: los verfchwunden, und die neufrangöfifche Kirche des Abbe Ehatel fcheint auch nur mühfam ein ſieches Dafeyu zu friften, wie ſchon vor ihm gegen Ende des vorigen Jahrhunderts bie chercheurs de la veritd einem frühen Grabe entgegemweltten und etliche Decennien nach ihnen auch das, Nene Licht” zu

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Amſterdam in eben fo großer Stille erloſchen war, ale ed mit lautem Kuiftern zu brennen angefangen hatte. Es verlangt nun allerdings die Gerechtigkeit, dem Rationalismus das Zugefländniß zu machen, daß er mit den genaunten biftorifchen Erfcheinungen feinem Inhalte nach nicht auf eine Linie geſtellt werben darf. Er hat ja zu wiederholten Malen namentlich Über die Frechheit der voltairefchen Schule upd gie Gräuel der franzöfls ſchen Revolution das firengfie Gericht gehalten. Es find augenfällige Differenzen, welche den Rationalismus der Gegenwart fchon in feiner Gefammterfcheinung von jenen Spftemen- früherer Zeit trennen. Der theolo⸗ gifhe Rationalidmus verfchmäht in dem Kerne feiner Belenner durchaus den ſittlichen Leichtfinn, der fa alle jene Syſteme charalterifirtz; er ift ein erufter, Prediger des Geſetzes auf alttefkamentlihem Standpunfte; er hat fih ferner troß feiner Ueberfhägung der menfchlichen Vernunft an den pofltiven Kern des Ehriſtenthums, wo nicht anzufchließen, doc anzunähern gefurht auf dem IBege formaler und materialer Accommodation; fehlt ihm auch die volle Entfchiebenheit für Die ewangelifche Wahrheit, fo ift fein Syſtem doch nicht ſowohl ein unchriftliches, als ein untheologifches, fein Chriftenthum nicht ſowohl ein Widerchriftenthum, als ein fragmentarifhes Shriftenthum a). Der fpeculativ e Rationalismus hat im der hegel’fchen Philofophie offenbar fich ganz neue und in gewiffer Beziehung großartige Bahnen gebroden, um feine Sache zu führen, und ift, in manchen feiner Repräfentanten vom Haupte bie zu ben Küßen in Stahl und Erz gekleidet, auf dem Schlachtfelde erfchienen, um mit den. Waffen firengfier Wiffenfchaft feine Sache aus⸗

a) Wir adoptiren biefen Ausbrud von G. A. Kämpfe in feiner Schrift: „Antwort auf Uhlich's Belenntniffe.” Wagbeburg bei Heinrichs hofen 1845,

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zufechten, wenn ſchon aus dem Munde von nicht Weni⸗ gen gerade unter denen, welche am lauteften werfänden, daß allein in der Spechlation das Heil zu finden fey, die baare Encykiopädistenweichelt des vorigen Tahrban- dertö ſchallt; auf der anderen Seite läßt ſich aber nict in Abrede ſtellen, daß alle jene Syfteme früherer Jahr⸗ hunderte anf einem und demfelben Boden wit dem Rationalidmus gemgchign find, daß fie einen Stand⸗ punkt vorausfegen, auf welchem die Bemüther einem pofltiven Offenbarungsglauben fremd geworben waren nnd entweder dad Ehriftenthum zu einer bloßen Bernunft- religion machen, oder auch ohne das Chriſtenthum der Welt eine Bernunftreligion geben wollten ; Yinfichtlich des Princips muß ed der Rationalismus zugeſtehen, daß fie „Fleiich von feinem Fleiſche, Bein von feinem Bein find.” Uber fogar in Hinfiht der Geſtaltung des Principo im Spſteme zeigt fi mitunter eine große Verwandtſchaft; fo 5.8. fteht der gewöhnliche theologi⸗ ſche Rationaliemus feinem Inhalte nad Dem Syſteme bei Socinianismus gar nicht fern, und die Polemil des er ſtern hat fich daher immer nur gegen einige grobe Inconſe⸗ quenzen nnd handgreifliche Auswüchſe des letzteren ges richten, während er fich als eifrigen Lobredner der Der: nunftmäßigfeit feines Syſtems im Bangen and Gros Ben erwiefen hat.

Es Meist num immer ein bedeutfamer Fingerzeig der Geſchichte, daß ade and bem Principe des Rationalisuus bisher hervorgegangenen Syſteme nirgends die erforder liche innere Lebenekraft bewiefen haben, um einen in ſich fen abgefchloffenn uud genau gegliederten Kirchen: verband zu Stande zu bringen, und daß da, wo bieh einigermaßen gelungen war, bie Kirchengemeinfchaft nie eine größere Ausdehnung, nie eiue bleibende Bedeutung für die Geſtaltung der Wiffenfchaft oder des kirchlichen Lebend gewann, vielmehr ihr eigemed Daſeyn immer

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nur mit Mühe und Roth friſtete. Dieſe bifkorifihe sThatfache gewinnt noch einen. auffallendern und bebentfas mern Charafter, wenn man erwägt, DaB diejenigen Sec⸗ ten, welde fi auf dem Boden des pofitiven Offenbas wungöglaudend gehalten haben, nicht nur gleich bei ih⸗ rem Entfichen eine mächtige Trieb⸗ und Organifationds Praft bemiefen, fondern diefelbe auch Jahrhunderte lang zu erhalten gewußt, und fowohl für die Belebung des chriftlichen Lebens in ihrer eigenen Witte, ale auch für Die Berdreitung des Gottesreichs namentlich in der heibnis fchen Menfchheit mit wahrhaft bemunderungemwürdigem Eifer und Erfolge gewirkt, ja fogar in diefer Beziehung Die an Umfang ungleich größere Mutterlirche oft weit fiberftrahlt haben. Welch einen merfwürbigen und lehr⸗ reichen Gontraft bilden nicht die zahlreichen Secten der reformirten Kirche gegen die Secten rationaliftifcher Farbe! Die Staategewalt hat den erftern ihr EntRehen wahrs lich nicht erleichtert a), vielleicht hat von allen Secten Großbritanniens und Nordamerika's aud nicht eine, ale fie ine Leben trat, einen fo gänfligen Boden vorgefuns den, ald der Rationalismus ihn ig der letzten Hälfte

a) Gs ift bei uns ein Begenftand ber Verwunderung, baß die May: nooth= Frage unter der proteftantifchen Bevölkerung Englands eine fo große und fo allgemeine Aufregung hervorgerufen hat; wie konnen es uns kaum denken, baß man ben unglüdlichen iri⸗ fdyen Katheliten jene an ſich gar nicht bebeutende Unterflägung nicht gönnen follte. Allein der Grund jener Aufregung Liegt tiefer. Man würde ihnen jene Beihülfe von ganzem Kerzen goͤnnen, wenn der Staat nur nicht einem fremden Kinde Brod gäbe, während er die eigenen darben läßt: den Gecten der pros teftantifchen Kirche gewährt der engliſche Staat gar Keine Unter« ftügung, vielmehr befolgt ex ihnen gegenüber ben Brunbfag : „Bes fteht ohne mich oder gar nicht.” Diefen Grunbfag gibt er nun zu Gunften der Katholiten auf, ohne auch zu Gunſten der pro: teftantifhen Secten. Leätere find noch heute ganz an fich felbft gewiefen, und müflen Alles, was die Erhaltung ihres Kirchen⸗ verbandes erfordert, aus eigenen Mitteln beftreiten.

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bed vorigen Jahrhunderts unter der Aegibe aufgellärter Fürften gefunden haben würde, wenn in ihm der leben: dige Drang nach einer ſelbſtändigen Gränbung einer Kirhengemeinfchaft vorhanden geweien wäre. Aus eige: sen Mitteln haben die erſten Secten ihre Kirchen nnd Schulen gegründet, aus eigenen Mitteln ihre großartiges Miſſions⸗ und Bibelgefellfchaften ind Leben gerufen, und noch heute find in vielen Gemeinden, wie 3.3. unter den Methodiften, die Prediger lediglich auf die freiwilli- gen Beiträge ihrer Pfarrkinder gewiefen. Und gleid» wohl haben fie es zu einem feltgefchloffenen kirchlichen Organismus gebracht und aud bei Lleinerm klmfange doch eine fo große innere Trieb» und Lebenskraft offen: bart, und wenn auch nicht für die Fortbildung der these logifhen Wiſſenſchaft, doch für die Wedung des erfor benen chriftlichen Lebensgefühls und für die Berbreitung des Ehriſtenthums unter den heidnifhen Völkern eme

ganz außerordentliche und höchſt ſegensreiche Thätigkin

entwickelt.

Dieſen Zenguiffen der Geſchichte gegenüber bleibt ben Rationaliswus pur ein doppelter Ausweg. Er koͤnntt zunächſt die Beweiskraft jener Zeugniſſe fo weit anerfen- nen, daß er den Glauben an die Firchenbilbende Krafı des Rationalidemus mehr oder minder aufgäbe, dann aber zu der Behauptung fortfchreiten, daß die Wahrheit bei

Inſtituts der Kirche zu ihrer Erhaltung in der zu imme

größerer Mündigkeit heranreifenden Menfchhrit gar zict bedürfe, und Daß folglich auch der Rationalismus unge achtet feines Unvermögend, eine Kirchengemeinfchaft zu gründen, wie in ber Vergangenheit, fo auch im der Zw kunft fein Beftehen haben werde *). Er könnte aber aud

a) So ſpricht fi) unter Andern auch der Verf. einer jüngft ane⸗ nym erſchienenen Schrift: „die Beredhtigung des Nationalismus,” in einer von der gewöhnlichen rationaliſtiſchen Betrachtungsweiſe ganz abweidgenden Art aus. Er meint, man muͤſſe vor eine

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jener hiſtoriſchen Beweisführung gegenüber erinnern, daß in den rationaliftifchen. Syſtemen ber Vergangenheit fein Princhp nur erft eine mehr oder minder unreine Aus⸗ prägung gefunden, daß jedoch in eben dem Maße, ale bafjelbe in der Zukunft eine normale und gefunde ſyſte⸗ matifche Durchführung finden werde, auch bie ihm: inner wohnende tirchenbildende Kraft zur Erfcheinung kommen und alle biöherigen Zweifel nieberfchlagen bärfte,

Wir find fomit an einer Stelle angelommen, wo ber Streit von dem gefchichtlichen Boden anf einen rein phi⸗ lofophifchen verpflanzt erfcheint uud allein ans Innern Gründen entichieben werben kann, ob und inwieweit dem Rationalismus eine Firchenbildeude Kraft zuerlannt wer, den bürfe. | .

Die Kirche als die Heilsanftalt zur Berwirklichung des Gotteöreiches auf Erden macht zunächft baranf Ans ſpruch, eine die ganze Menfchheit umfaffende religiöfe Gemeinſchaft zu feyn. Ihre Tendenz gebt dahin, bie in unendlicher Mannichfaltigleit durch die Natur gefebten, fowie durch die gefchichtlihe Entwidelung ber Bölter herbeigeführten Unterfchiede auszugleichen und in eine höhere Einheit fih auflöfen zu laffen, alle von Anfang an fich vorfindenden ober durch die Jahrhunderte aufge⸗ führten Scheibewände unter den Rationen hinwegzunchs men und fo die ganze Menfchheit zu dem zu machen, wozu der Staat nur das einzelne Volk erheben kann, nämlich zu einer großen Familie. Mag bie Kirche dieß Ziel bisher auch nur unvolllommen erreicht haben, fo hat fie es doch ſtets angefirebt, und ihre Todesſtunde würde fchlagen, wenn der leßte Funke eined ſolchen Stres bens in ihr erlofchen wäre, Aber nicht durch gewalts fame Uuterdrüdung der menfchlichen Subioibualität, nicht

folgen Sonfequenz durchaus nicht zurädfchreden, audy wenn fie den verweichlichten Ohren eine „harte Rebe” bünlte, - Theol, Stud, Jahrg. 1847, 71

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burch Ignorirung ber fo tief gehenden und fo weit geei- fenden Volksnuterſchiede, nicht Durch eine Verkehrung der Natnrorbnung oder ein Burkdffchranben der geſchich⸗ lichen Entwidelung hat das Chriſtenthum durch das Dt: gan der Kirche jene allumfaffende Gemrinſchaft ia der Menfchheit herbeiführen können, ſondern vielmehr kur dadurch, baß es ſich an die verſchiedenen Sudisibwetitk- ten fo innig als moͤglich anſchloß, ader nur mm fie u verflären und durch Hinwegräumung aller Selbſtſucht ans den Gemüthern fie um ſo felter gufammenzufuhließen ; nur dadurch, daß es die Menſchheit zu einer höheren imum: lichen Einheit erhob, wohel bie buch Die Naturorbunng und hiftorifche Eutwickelung nothwendig gemachten Mater fchiede immer noch fortbeflehen konnten, aber doch fe, daß Fe nicht mehr ald Ausflug und Ausdruck einer auf fündlihe Weife tfelirenden und trennenden Geldſtſacht in dem Bewußtfeyn der Böller wie der Individnen ſich ſchmerzlich fühlbar machten. Es geſchah dieß dur die Einführung eines neuen Lebeuspriscips in Der Mexrſch⸗ heit gu ihrer religiös⸗ fittlichen Wiedergeburt: objectiv durch Die Erfcheinnug. des Erlöfers in ber Perfon Ehriſti, ſubjectiv durch die Anerlennumg Chriſti ale des Ertöfers in der Kraft eines lebendigen Glaubens.

Es drängt ſich hier ganz won ſelbſt bie Frage anf, wie ed möglich gewufen, daß wit ſcheinbar fo kleinen Mitteln fo Großes bewirkt worden ift, daß alle dyrifil- hen Rationen in eben dem Maße, als fie find, was fe heißen, obfchon fie in verfchiebenen Sprachen unb Zen gen reden, gleidiwohl wie Glieder einer Familie ſich fühlen, ein Herz; und eine Seele werden, gleichfam eine Sprache und Zunge reden, daß die Menſchheit trob ber durch tanfend Abftufungen fich Yindurcdhzieenden Ber Ifchiedenheit der geiftigen Bebürfniffe der Einzelnen, wie Diefelbe durch Stand und Alter, Beruf und Bildung, Schidfal und Beſitzthum, Geſetß md Sitte merhwendig

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herbeigeführt wird, gleichwohl Wile im Ehriftenthuute Les ben und volle Genüge finden und von dem Evangelinm gerühmt werden kann, daB es Allen Alles geworden, kurz daß feit dem Eintritte des chriftlichen Lebensprincips im der Menfchheit alle Unterſchiede, eine wie weite Kiuft fie auch fonft wie zwifchen ben Individuen, fo zwifchen den Bölkeen ſetzten, allmäͤhlich in einer höheren Einheit aufgin⸗ gen, wie alle Diffonanzen burch das Genie des Tonkunſt⸗ lers fi in reine Harmonie auflöfen? Es hat (um fofort den Haupt⸗, oder vielmehr alleinigen Grund anzugeben) darin feinen Grund, daß Alles im Chriftentfum in ber lebendigen Perfſönlichkeit Ehrifii ben gemeinfamen und ewig unverrädbdaren Mittelpunft und eigentlichen Lebensheerd hat, daß Alles im organifchen Zuſam⸗ menhange mit dieſem Mittelpunfte eine coneret lebens, dige Geſtalt und innere Xriebkraft empfängt, daß bas Chriſtenthum nicht als eine Welt abfiracter Begriffe aufs getreten, fondern als eine thatſachliche Enthällung des göttlichen Heildrathfchluffes zur Erlöfung der Menſch⸗ heit, kurz, daB es feinem eigentlichen Wefen und feiner gefammten Erſcheinung nah Geiſt und Leben, und nicht bloße Lehre tft.

Den Kern und Stern: bed Chriſtenthums bildet die in ber Weltgefchichte einzig Daftehende gottmenſch⸗ Liche Perfon Ehrifti, deffen Eintritt in der Menſchheit nnd gefammte Wirkſamkeit die unendlidhe Vaterlicbe Gottes anf die eindringlichfte, das Gemuth wahrhaft überwältigende Weiſe zur Erfcheinung bringt and in dem gerade das, was das MWeſen des Lebens in der Gemein, haft mit Bott ausmacht, in fo fonnenheller Klar,» heit, daß es auch nicht durch den leifeften Anhauch der Sünde getrübt ifl, und zugleich mit einer ſolchen innern Kraft fi darkellt, daß ed anf jedes Gemüth, wel- ches das Gottesbewußtſeyn nicht gewaltfam in fich nie- berhäft, auch eine mächtige Anziehungskraft auskbt.

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Wenn der Anblid des heiligen Lebens Jeſn in feiner Ge fanmterfcheinung einerfeitd auf dad Gemüth deu Eindrud tiefer Befhämung macht, weil die Reinheit feines göttlis chen Bildes ung vdgirce des eigenen wie einem lla⸗ ren Spiegel zeigt, fo gleichfam in ehrerbietiger Ferne fiehen zu bleiben gebietet, fo reißt es und auf der an deren Seite nach dem Gruudgeſetze, daß dad Berwanbt auch fletd das Berwandte anzieht, nur um fo umwibder fiehlicher: zu fich felbft hin, weil in ihm und mit einem Male jenes heilige Bild vor Augen tritt, bad wir au und felbft fo gern zur Erfcheinung bringen möchten, ob ſchon wir mit aller Sehnfucht ded Herzens und aller Au firengung der Kraft, fo lange wir uns ſelbſt überlafen bleiben, es an und zu verwirklichen unvermögenb find. Das Leben bed Heren if ein in allen feinen Thet len in volllommener Harmonie zufammen ſtimmendes Banze, es erfcheint in ihm Allee vom erften bis zu dem leuten Augenblide durchdrungen vou ei nem und demfelben Geifte vollenbeter Gottes⸗⸗ uud Men fchenliebe, es ift Alles der gleihmäßige Ausdrud einer über der ganzen WMenfchheit erhaben baftchenden, von der Sünde erlöfenden gottmenfchlichen Berfönlichkeit. Darum ſtellt fi die Perfon Ehriſti gleich in ihrer un mittelbaren Erſcheinung jedem nicht verbärteten und irgendwo einen Anfchließungspuntt darbietenden Gemüthe als den Erlöfer der. Welt dar, wie die Soune durch bie ihr innewohnende und von ihr ausgehende Strahlenfühe fich ganz von felbfi al die Himmelsquelle des Lichte er weifet, welche fle ift; darum ift der erfie Eindruck, den der Anblick der heiligen Perfönlichkeit Chriſti macht, für dad unverdorbene Herz ganz ˖ derſelbe, ald wie er fid ausfpricht in den Worten des Philippus: „Wir haben den gefunden, von dem Mofe im Geſetze uud die Pre pheten gefchrieben haben ;” und wenn irgendwo, fo bat bier Schiller’ Wort feine Gültigkeit, Daß es dem

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Bortreffliden gegenüber Feine Freiheit gibt ald die Liebe. Jener unmittelbare Eindruck findet nun aber in jeber weiteren, detaillieteren Betrachtung feine volle Beflätiguug und erhebt die Ahnung des Herzens zur freudigftien Gewißheit, Der unmittelbare Glaube will auch auf dem Wege der Reflexion feiner feld gewiß werden, in der zlerıg liegt ein mächtiger Zug zur yvacıs bin, aber die legtere wird, fall fie nicht auf Irrwege fich verliert, immer nur das erfte urſprüng⸗ liche Lebensgefühl in feiner Wahrheit aufweifen und dem Glauben uur neue Stüßen unterbauen, weil Chriftus ale denfelben, ald welchen er im Ganzen feines Lebens fich erweifet, fi auch in jedem einzelnen Theile defs felben darftelt, nämlich als die welterlöfende Per: föntichfeit, Seine Wunder zeigen ihn gleichfam fhon von Kerne als den von Gott verheißenen und von Gott in der Fülle der Zeit gefandten Heiland der fündigen Menfchheit, wie etwa die hochragenden Zinnen unferer Tempel und die weithin fchallenden Glodenfchläge fhon in der Ferne dem Wanderer verkündigen, wo er ein Gotteshaus finden kann; jene außerordentlichen, fo ftart in die Augen fallenden Thatfachen und Begebens heiten zwingen und gleichſam, unfere Blide immer wie der auf die Perfon Chriſti zu lenfen, und reizen ung, näher zu treten und zu forfchen, was aus Nazareth Gu⸗ tes gefommen, da wir der Frage nicht ausweichen können: „Wer ih der, dag ihm Wind und Meer gehorfam find?” Und wenn das. Wunder wie ein Brief und Siegel fiber feine göttliche Sendung ihn und auf Außerlichshiftos rifhem Wege beglaubigt, fo koönnen wir feiner anch auf dem Wege lebendiger innerer Erfahrung gewiß werden: fein Wort fpricht burdh Die innewohnende Kraft der Wahrheit mächtig zu jedem Herzen, dad den Stimmen der Wahrheit fich nicht muthwillig verfchließt; in. feinem Wandel ſtellt fih uns das Urbild eines volls

or2 Diedrich

kommenen, heiligen Lebend vor Augen; ans ſeinem Lei Den und Sterben weht und ber Geiſt einer Gott uud Menſchen verföhnenben Liebe wie ein heiliger Lebensodem an, und macht und in den inuerfien Tiefen unfered Ber müthed gewiß, daß Gott mit ihm und Allied gefchentt bat, was bie höchſten Bebürfniſſe bed Herzens fordern; ‘in feinen Sacramenten befiben wie bie Unterpfänder für feine bleibende perfönlide Gegenwart nad fortgehende erlöfende Wirkſamkeit. So wit Alles harmoniſch zufammen, um es und zur mmzweile- haften Gewißheit zu machen, daß er allein der ik, anf den alle vorangegangenen Jahrhunderte hofften, in dem alle Geſchlechter gefegnet werben follen und ber Allen Le⸗ ben nnd volle Geuüge geben ann.

Aber wenn nun bie gottmenfchliche Perſörlich⸗ keit für alle einzelnen Individnen eine foldye Bebentung bat, fo folgt baraud mit Nothwendigkeit, daß fie auch eine ges meinfhaftfliftende und firhenbildbeude Kraft haben mäfle. Was die Fähigkeit in fich trägt, Alle an ſich zn ziehen und mit fich in Gemeinſchaft zu bringen, Das wirb eben darum ganz von felbfk der Berührungd- uud Ein heitöpuntt für Ale Wie in einem Kreife alle Ro dien, wie weit fle auch in ber Peripherie von einander abfiehen mögen, gleichwohl in dem Centralpunkte zuſam⸗ mentreffen, fo können ungeachtet aller die Einzelnen trew nenden Unterſchiede gleichwohl afle Völker uud Geſchlech⸗ tes aller Zeiten fidy in Ehriſto zu einer großen Gemein Schaft einigen, weil tn feiner lebendigen Perfönlichkeit fidy Alle finden, fich ein Alle anziehender und eben darum auch Alle in fich zufammenfchließender Mittelpunkt dar: bietet. Ja es iſt gar nicht denkbar, daß es einen Er⸗ löſer ohne eine Gemeinde der Slänbigen, ein CEhri⸗ ſtenthum ohne eine Kirche geben könne. Was inner⸗ lid zuſammengehört, das findet ſich auch Aw berlich nud tritt ganz won ſelbſt zufammen;

ift der Rationalismus fähig, eine Kirche zu bilden? 1073

was das Gepräge Ehrifi geiftig an fi trägt, das wird fih aus freien Stüden um ihn fhaaren; was feine Stimme hört, wird fich auch unter ſeinem Hirtenſtabe zu einer Heerde ſammeln. Selbſt daunn, wenn wir aunehmen wollten, Shrikus habe gar nicht beabſichtigt, eine äußere Kirchen⸗ gemeinschaft unter deu Menfchen zu fliften, ſelbſt dann, wenn wir nicht in der Anordnung gemeinfamen (Gebete und fortwährender Prebigt bed Evangeliums, in ber Stiftung der heiligen Taufe und des heiligen Abendmah⸗ les, in der Einfeßung des Schlüflelamted und einer yon ihm ſelbſt in fo beftimmten Zügen gezeichneten Ueberwa⸗ chung des Gemeindelebens die ungweibentigften Zeichen hätten, daß es ihm nicht um ein ſchlecht hin innerli⸗ ches und unfichtbares Reich Gottes, fondern auch um eine fichtbare und als ſolche fofort erkennbare religiöfe Bemeinfchaft zu thun war: fo würbe eine foldye aus Dem angebeuteten Grunde felbft ohne jene von ihm ſelbſt herr rührende Grundlage gleichwohl ind Dafeyn getreten ſeyn und ſich auch in der Menfchheit erhalten "haben: Die Kirche iR die nothwendige Lebensform für die chriftliche Welt, wie der Staat die nothmendige Lebensform für die fich ſelbſt Überlaffene Menfchheit if.

Aber Alles ändert fich, fobald man, das Gebiet eis ned poſitiven Offendarungsglaubens verlaſſend, auf dem Boden eines bloßen Vernunftglaubens eine fo umfaflende religioſe und- in fich fo genau gegliederte Gemeinfcheft, wie die Kirche if, gründen will. An die Stelle einer le⸗ bendigen Perſönlichkeit tritt Daun die abſtracte dee; an die Stelle felbfiredenber hiftorifcher Thatſachen ein Subegriff von gewiflen Dogmen und meralifchen Bor» fhriften, Die chriſtliche Religion ift dann, objectin bes trachtet, ihrem Urfprunge und Weſen nadı nicht ein in einer lebendigen Perfönlichkeit zur Erfcheinung kommen⸗ bes und von ihr aus die ganze Menschheit ergreis'

107& Diedrich

fendes Lebensprincip, fonbern im Brunde nichts als Lehre, ſubjectis betrachtet, nicht Glaube, der geſchichtliche Thatſachen zu feiner fehlen, unverrädbaren Baſis hat, fondern Ueberzgeugung ans bloß imnern Gründen anf dem Wege der bloßen Refleriongewonnen. Mag man unter der Vernunft den durch bie verfchliedenen Syſteme als feine nothwendigen Entwidelungsfiufen ſich hindurchbe⸗ wegenden allgemeinen Menſchengeiſt vwerfichen, wie der höhere fpecnlative Rationaliömus, oder, ohne id anf eine tiefere Unterfuchung des Weſens der menfdli- chen Bernunft einzulaflen, Dabei fliehen bleiben, das, was Die erleuchtetfien Geiſter aller Zeiten gemein fam ale Wahrheit erfanntund gelehrt haben, ale Erzeugniß der echten Dernunft zw bezeichnen: immer tritt auf dem Standpunkte einer bloßen Bernunftreligien die Perfon des Neligionsftifterd eben fo fehr in den Hintergrund, ald die Lehre in den Borbergrumd, und confequenterweife bleibt dad Wefentliche einzig und gllein Die Lehre eine Folgerung, der fidy auch der ge wöhnliche theologifche Rationalismus nicht damit entziehen kann, baß er fidh der Philoſophie gegenüber rühmt, nicht bloß die Lehre, fondern auch das Borbild Chriki ange erfennen; denn das Borbild Ehrifti gilt ihm ja ner ale thatfählidhe Belehrung, ed gehört alfo auch nuter ben Begriff der Lehre, und das Lebendig « Eoncrete hat alfo auf jenem Standpunkte niht ale ſolche s, fon: dern nur ald zufällige Erläuterung uub Ber anfhanlihuug der abfiracten Idee, ald Er empel zum Moralgebote feinen Werth.

In dem Maße nun aber, ald ein Syſtem deu rei» giöfen Glauben mit Ausfcheidung des Hiſtoriſchen als ded bloß Zufälligen auf die bloße Idee als das allein Nothwendige gründen will, wirb feine Unfähigkeit zunch- men, die Menfchheit zu einer alumfaflenden religiöfen Gemeinfchaft zu vereinigen Nie wird es einen größe

iſt der Rationalismus:fählg, eine Kirche zu bilden? 1075

ren Erfolg erringen, als hödhitend den, daß es eine phi⸗ loſephiſche Schule oder innerhalb der Kirche eine Secte bildet. Die Gefchichte Ichrt es unwiderfprechlich,, daß es immer nur eine fehr Meine Anzahl von Menfchen iſt, welche in den Geift und Inhalt eines philofophifchen Syſtems einzubringen vermag. Auf dem Wege eines kindlich einfahen Glaubens Tann man ſich ber phllofophifchen Idee nicht bemächtigen: fie will auf dem Wege fireng wiflenfchaftlichen Denkens errungen und ers arbeitet fegn. Auch hier gilt das alte Wort: „Im Schweiße deines Angeſichts ſollſt du dein Brod effen.” Wer nicht die Kraft in fi fühlt, dem Meifter den hohen Fing des Gedankens nachzuthun, der kann auch nicht fein Jünger feyn ; ein philofophifches Syſtem laßt fich nicht in wer nigen Lehrfäben wie ein fertiges Object nieberlegen, ſo daß num nicht® weiter als das logifche Berftändniß jener Säge und Annahme ihres Inhaltes nothwendig wäre; ed ift vielmehr die organifche Entwidelung einer Grund» idee, und wird nur dann unfer Figenthum, wenn wir daſſelbe nach dem inneren Zufammenhange feiner Theile und der nothwendigen Mbleitung des Einen aus dem Ans dern erfaßt und fo einen lebendigen Dentproceß durchge⸗ macht haben. Mit einemmale fih an’d Ziel zu. flellen, ohne den Weg Schritt für Schritt durchlaufen zu haben, ein Philoſoph feyn zu wellen, ohne philofopbirt zu has ben, wäre ein baarer BWiderfpruch: ja man könnte fagen, ed ift den Philofophen oft mehr zu thun um das Phis lofophiren, ale um das Philofophbem, mehr um dad Streben nach der Wahrheit, als um den Befiß der Wahrheit). Diefe eigenthümliche Befchaffenheit jedes philofophis fchen Syſtemes einerfeitd und die unendliche Verſchieden⸗ heit. der eingelnen Individuen hinſichtlich der Fahigkeit

a) Welche wohl bleibt von allen ben Philofopbieen ? Ich weiß nicht; Aber die Philoſophie, hoff’ ich, foll ewig beſtehn.“ Schiller.

ara Diedeich

sum ſyſtamatifchhen Denken andererſeits And bie heiben ewig bleibenden und ewig wirkſamen Facte⸗ ren, welche mit Nothwendigkeit ſewohl inverhalb der philoſophiſchen Schule, als and zwiſchen ihr und dem übrigen Theile der Menſchheit einen Bruch herbeifüh⸗ ven. Innerhalb der Schule ſelbſt wird es theils Solche geben, welche das einzelne Syſtenm nach Priucip, In⸗ halt und Form ſich vollſtaͤndig anzueignen, ſich auf bie Höhe deſſelben zu ſtellen, ja noch über dieſelbe zu erhe⸗ ben im Staude find, theild Solche, welche umz die mas terieiken Beſtandtheile bed Syflems im Allgemeinen zu erfaßßen vermögen, ohne is das inngge Getriebe und Gefüge eine tiefere Einfiche zu gewinnen, ja welche ok felat nur die XZerminologie des Syſtemes fi au eignen wiflen, und daher eigentlich nicht mehr auf dem Boden des Spſtemes, fondern nur Dicht am feiner Grenze ihren Stand haben. Durch jede philoſophi⸗ ſche Schule zieht fih daher von Anfang an ein Riß hin⸗ durch, ber ſich unausbleiblich zum Unterſchiede von Eſe⸗ terttern und Eroterilern erweitert. Alle Uebrigen Dagegen und dieſe werben ſtets ber Zahl nad eine ungeheure Majorität bilben werden gar feinen Ber fuch machen, dem Syſteme näher zu treten, weil fie fid bemfelben oöhig fremd fühlen, oder, wenn fie ben Ber ſuch gleichwohl machen wollten, mit den Worten: „pre- cul este, profeni!”’ von den eigentlichen Vertretern des Sy ſtemes zurüchgewieſen werden müſſen.

Wenn nun aber in dieſer Beziehung jedes philsfe nhifche Syſtem durchaus einen particwlarikifchen Charakter hat, weil ed als. feldyes dem Bollsbemuptfeyn ftetö fremd bleiben und daher immer nur einen Pleinen Kreis verwandter Semüther um fidh verfammein wirb, fe fönnte dieſem Mebelflande doch vielleicht dadurch abge holfen werden, daß das philoſophiſche Syſtem feiner ei⸗ genthümbichen Einkleidung ſich entaͤnßerte und eine Ein

iſt der Rationalismus fähig, eine Kürche zu bilden * 1077

führung ſeines wefeutlichen Inhaktes in das Volls⸗ bewußtieyn anf dem Wege gemeinfaßlicher Darſteluug verfachte. Die ſtolze Königin könnte won ihrem erhas benen Throne beramserfieigen und Knechtsgeſtalt aunch« men, die Philoſophie Popularphiloiophie werden: dann, meint man, würhe Die Philoſophie einen fo Meinen Berein, wie eine philoſophiſche Schule fey, zu eimer fo umfaſ⸗ feuden Bemeinfchaft, wie die Kirche ſey, allmählich heran wachſen fehen. Un derartigen Berfuchen, die Phileſo⸗ phie zu popularifiren, hat es nun allerdinge wicht gefehlt. Richt bloß damals, ald die fantifche Philoſophie in vol⸗ leg Blüthe Hand und Schiller frhrieb: Wie doch ein einziger Meicher fo viele Bettlen in Nahrung Setzt Wenn die Könige baun, haben die Kaͤrrner zu thun, ſondern aucd in unferer Zeit hat Ban es gefehen, daß felbft die Philoſophie, welche fidy brüftet,, die „abfolnte” zu feyn, fich für möglichkt weite Kreiſe in ein populäres Gewand kleidete, ja daß fle feibft in brieflicher Form bem Franengeſchlechte zugänglich ‘gemacht werden ſollte. Mein dabei wird nicht in Anfchlag gebradkt, daß in dem philofophifchen Syſtene Form und Inhalt einam der fo genau durchdringen, daß die Alteres tion der erfiern auch eine Alteration des letz— tern if. Es verhält ich mit jedem echt philoſophiſchen Spfeme wie mit einem Kunſtbauwerke: wer das innere Befüge oder die and ber Idee des Gauzen hervorgegans genen Berzierungen antaftet, ber wird nur ein Gebände, aber fein architeftonifhes Wert, ja zuletzt nur noch eine Steinmaſſe oder einen Trümmerhaufen übrig behalten. Dber, um bei dem von Schiller gebrandhten Bilde zu bleiben, zu Kärruern ſinken bie Könige herab; wenn die Philofophen zu Popnlarphilofopten werden: Die Meifter der Philoſophie haben es baher unummnun⸗ ben ausgeſprochen, daß. die Popularphilofophen nur noch mißbrauchsweiſe fih Philofophen nennen aber fo

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1078 Diedrich

genannt werden könnten; fie haben ed geradezu ver fehmäht, ihre Lehren in andern als in Sreifen verwand⸗ ter, ja völlig ebenbürtiger Geiſter verbreitet zu fehen; es hat fie wicht geläftet nach dem Ruhme, eine Kirche in der Menſchheit zu ſtiften; fie haben ſich begnägt mit dem Ruhme, das Haupt einer philoſophiſchen Schule zu feyn. „Die Philoſophie darf nie vergeflen,” fo wird den Popularphiloſophen entgegengerufena), „daß fle ihrer Ratur nach efoterifh if, daß bie Wahrheit immer mu das Eigenthum Weniger feyn kann, weil fie nicht atö fertige Münze von einem Dritten überkommen, fondern gefucht, erlebt, errungen feyn will. Unter bie urtheilloſe, an die Scholle gebundene Maſſe geworfen, wird be edeifte und höchſte Gedanke ebenfo zum Zerrbilbe werben, wie ein griechifches Bötterantlig, wenn man es ſich in einem Hohlſpiegel brechen läßt.“

Es iR num allerdings zuzugeben, daß die Philoſophie, auch ohne die Vermittelung der Popularphiloſophie m gewöhnlichen Sinne des Wortes, in taufend Ninnen und Bächen Zugang zum Bollöbewnptfeyn zu fenden weiß. Bermöge der vielfachen Berfchlingungen des wirklichen Lebens erſtreckt fi der Einfluß der Philoſophie wicht bloß auf die, weiche ihren Lebensheerd in den einzelnen Soſtemen zunächft umfichen, fondern and, über wiel wei. tere Kreife, und wenn die letztern ihr zu ferne ſeyn ſol⸗ ten, als daß fie ihnen belebende Wärme zuſtrömen laſ⸗ fen könnte, fo vermag fie vieleicht doch noch ihr Licht ihnen. aus weiter Kerne leuchten zu laffen; ja es koͤnnte die Philofophie eben fo unmerklich, wie die Atmoſphaͤre, worin wir athmen, ihren Einflaß aud bie auf bie uw terfien Bollsrlaffen ausdehnen, ohne daß diefe ein Be wußtſeyn bavon hätten. Allein felb® in biefem Falle

könnten wir noch nicht die Kolgerung ziehen, daß bie a) So leſen wir in Schwegler’s Jahrbüdern ber Gegenwart 1844, Juliheft, ©. 688.

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iR der Kationalis mus fähig, eine Kirche zu bilden? 1079

Philoſophie eine kirchenbilbende und erhaltende Kraft in fih trage. Denn die Kirche ift ja ein lebendiger Or⸗ ganiemus, in dem ber Einzelne nur danı wahrhaft und bleibend eine Stelle einnehmen kann, wenn die Seele bes Ganzen fih in feinem Eingelbewußtfegn auch wirk⸗ lich fühlbar macht. Wenn wir daher auch der Phi⸗ lofophie den ansgedehnteften Einfluß zugefichen können uud müſſen, fo kann biefelbe gleichwohl nicht für bie Menſchheit einen gemeinfamen Berühruuge- umb Einigungspunfe bilden, weil ihre Einfluß fi im Bewußtſeyn der Einzelnen nicht ald folder fühlbar macht. Wenn ed unleugbar ift, daß in ber großen Mafle des Volks die Philoſophie fo wenig ald befiimmenbes Moment für das religiöfe Bewußtſeyn der einzelnen In⸗ dividuen empfunden wird, ald der Name eines philoſo⸗ phifchen Syſtems oder feines Urhebers ihuen befannt if, wie follte man erwarten können, daß Alle wie in gemein; ſamen Drange fih ganz von ſelbſt um dad Panier eines philofophifchen Syſtems fchaaren uud zu einer in fich feſt geglieberten und lebenbig ſich bethätigenden Gemeinſchaft sufammentreten follteu ?

Auf einem andern Wege hat nun der nicht-fpe> culative Rationalismus das Ziel zu erreichen gefischt, das biöher uur das Chrißenthum in ber Form eines po⸗ fitiven DOffenbarungsglaubens erreicht hat. Die Unfähig⸗ feit eines einzelnen philofophifchen Syſtemes, bie Meuſch⸗ beit zur Berwirflihung des Gottedreichd auf Erden im kirchlicher Gemeinſchaft zu vereinigen, geficht er zu, aber unvermögend, ſich zu dem Standpunkte einer philoſophi⸗ fchen Betrachtung zu erheben, auf dem alle einzelnen Spftieme nur ale flüffige Momente und nothwendige Durchgangspunkte des allgemeinen Menfchengeifteö gelten und nur im Ganzen ber Entwidelung ihre eigentliche Stelle und Bedeutung finden, hat er den Weg eines philoſophiſchen Eklekticismus eingefchlagen, um

008 ° . Diredrich

eine Art allgemein verſtänbliches und allgemein gültiget religionsphilsſophiſches Glanbdensſsbekenntniß heransp⸗ bringen. Er ſtellt ſich auf den Standpunkt des gefunden Menſchenverſtandes, nnd ſtillſchweigend von der Behaup⸗ tang ausgehend, daß in ber Hauptſache die erlenchteten Geiſter aller Jahrhunderte eins geweſen feyen, ſtellt er Mm einer Summe von Glanbensſaͤtzen und moraliſchen kehren das zufammen, was ihm die Beſten aller Zeit ge meinfam zu haben fcheinen und als allgemein güftiger Ausdrud des gefunden Menfchenverftandes gelten könne und 'mäffe. Die Unmwiffenfchaftitdjleit eines ſolchen Ber fahrende HE namentlih in der Zeit, wo Hafe einem ber Haͤnpter des rattonnaliftifchen Syſtenns den Fehbehanbiceh hinwarf, Ihlagend dargethan worden. Schon darkter würde fofort der Streit emtbreunen, wer zu jenen „en lenchteten Geiftern zu rechnen fey und wer nicht. Gchen in dieſer Beziehung find ja bie Urthetle fekbſt gebilbe: ter Männer einander diametral entgegengefebt. Den Spinoza hat die hegel'ſche Schule mit der Philofophen krone gefhmüdt, während die Männer ber Anfklerunz des vorigen Jahrhunderts von ihm nur wie von einem „tödten Hunde” «) redeten; den Jakob Böhme wollten | Campe und Anbere ins Irrenhaus gebracht wiffen, wäh rend jeßt won ihm gerühmt wird, daß er auf dem philo⸗ fophifchen Dreifuße geſeſſen Bade w. f. w. Und wie dürfte man num hoffen Pönmen, daß ein von trrikumt: fähigen Menſchen aus den Schriften irrthumsfühiger Menſchen sufammengelefened Glaubensbekenntniß ale au Thentifher and allgemein gälfiger Audbrud der Wahr Heit anerfannt werde? Leber Fichte's Verfuch, in ge meinfaßlichen Borträgen das Wefenfliche der Religien zu entwickeln, dat Hegel mit ſchneidendem Gartadmud geäußert, „es fe eine Religion für anfgeffärte Juder

a) Schon Leifing in feinem befannten Gefpräe mit Jacobi äußert: darüber feinen Unwillen.

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ift der Rationalismus fählg, eine Kirche zu bilden? 1081

und ldlamen, Far Staatörliche, für Kotzebue und feines

Gleichen.” Rohres Grund⸗ und Glaͤmdensſatze ſind mit Ausſnahme einer Retenſion, deren Berfüffer in feinem Enthuſiaſsmus ich allerdings bereit. evlärt hat, fich für jenes rationaliſtiſche Slaubensbekenntuiß det Kopf ab ſchneiden laffen gu wollen a) von ber öffentlichen Kri⸗ tie überall zurligerwielen und felu von foichen Männern, die ihre Lanze fonft gern für den Rationalismus einlegen, für eime Mißachtung des rarionalififchen Principo erflärt worden. Aber nicht bloß die Männer, welche auf den Höhen bei philofophifchen Bildung fielen, würden ſich losſagen von einem Glaubensbekenntniſſe, das auf der Grundlage des gefunden Menſchenverſtandes nach dem Ermeſſen eines Einzelnen oder Etlicher wie eine Anthos logie aus den Schriften der erlenchtetſten Deuter aller Zeiten zuſammengeſetzt wäre ,. fondern ſelbſt alle biejenis gen, welde im bewußtern Denken auch wur ben erfien Anfang machen, and welche man wohl unter dem Ramen ber fogenannten ‚gebildeten Stände” zuſammenbegreift, wers den fi auf Die Dauer rin folhes Glaͤubensbdekenut⸗ niß nit gefallen laſſen. Denn den Urhebern deſſelden gegenüber betrachten fie fih als Solche, die mit ihnen ganz auf einer Linie ſtehen; mit deuſelden Dachte unb unter beimfelden Namen der menfchlichen Vernunft, under welche jene bad Blandensbelmutuig aufgeſtellt haben, wärben fie ed ganz verwerfen ober nur theilmeife aner⸗ Tenten; fie würden Teine Garantie haben, daß jenes Glaubensbekenntniß auch wirklich das Bepräge der Wahr⸗ heit am ſſch trüge, und würden fräber ober ſpaͤter wicht verfehten, Neber auf eigene Hand fl ihr Gaudensde⸗ kenntniß zu mechen, flatt es ans freuder und doch im⸗ mer auch nur menſchlich er Hand entgegenzunchwmen. Geſetzt z. B., ver Rationalismuo ſchritte DAgR fort, ſtatt

a) Siehe Haſe, theologkſche Streitſchriften, S. 29,

1082 Diedrich der Bibel, worin auf feinem Stanubpunkte Wahrheit und Dichtung, Gefchichte und Mythe fo gemifcht iR, daß es erſt eines langen kritiſchen Scheidungsproceſſes bedarf, um das, was wirklich chriſtlich, d. h. vom Ehriſto ber rübhrend iſt, herauszufinden, ein Buch zu verfaſſen, das in der Weife, wie die Bibel für das bifterifche Chriſten⸗ tbum, für fein eigened Vernunftſyſtem die urkaudlice Darfielung wäre: würde er fo möchten wir fragen in den Gemeinden Glauben finden? Würde fie and wohl, wenu etwa aus ber neuen rationaliflifchen Bibel der Pre: biger feinen Tert vorläfe, ehrerbietig ſich erheben, zum Zeichen, daß fle fi vor ber göttliden Wahrheit benge, wie es gegenwärtig noch in unferen Kirchen ber Fall if, weil die Gemeinde in dem Evangelium von vorn herein das Wort eines unträglichen gottgeſandten Lehrers und Propheten fieht? Nein, man würde nur hierarchiſchen Hochmuth und einen offenbaren Raub an bem allgemei: sen Menfchenrechte darin finden, wenn von einem Ein zigen ober von Etlichen ein Verſuch gemacht würde, bad Erzengniß ber eigenen Weisheit an die Stelle der Bibel zu fegen und ein Hoheitsrecht für fih in Anſpruch zu nehmen, das die Gemeinde gegenwärtig dem Erlöfer, aber (wohl gu merken) nicht als bloßen Menſchen, fondern ald dem eingebornen Gottesſohn um einigen Mittlerzwifchen Gott und Meufchen, zuerlennt, Es ſey und bier noch ein Rädblid auf bie Geſchichte erlaubt, Wollte man und nämlich entgegnen, daß es auch außerhalb der chriftlihen Welt umfaſſendere religiöfe Gemeinfchaften gegeben babe und noch immer gebe, ſo räumen wir bafjelbe bereitwillig ein, wir würden aber darin nur einen neuen Beweis finden, daß die abſtracte Lehre als folche nie gemeinfchaftkiftend gewirkt bat. Ueberall, wo eine in: der Geſchichte bedeutfame religiöfe Gemeinſchaft auch in der nicht hriftlichen Melt entkan den iR, knüpft fie ſich nicht an die abfkracte Lehre vos

A

iſt der Rationalismus fähig, eine Kirche zu bilden? 1083

göttlichen Dingen, ſondern an das Auftreten großer, vermeintlich gottgefandter Perſonen, deren Lehre nicht ald ihre Lehre, fondern als bie Verkündi⸗ gung eimer höhern, vom göttlichen Weſen felbft mitge⸗ theilten Wahrheit angefehen wurde, Gonfucius, Zores after, Ruma, Mahomed fie alle galten ihren Anhängern als gottgefandte und gotterlenchtete Lehrer. Und felbft da, we der Urſprung der Volksreligion fich nicht fo beſtimmt an einen einzelnen Namen knüpft, wie 3. B. bei ben Griechen, finden wir gleichwohl, daß es der Hande an eine heilige Geſchichte, nicht der Blaubs an bäoße

abſtracte Ideen und Lehren war, weicher Die Menſchen

zur veligidfen Gemeinſchaft führte; ihr gefammter Enultue ruht auf einer mythologiſchen Grundlage, d. h. auf heiliger Sage, wo nicht von hiſtoriſchem Grunde, bod biftorifcher Kaflung, und mit ihrer Mythologie ſteht und fällt ihre Religion, wie denn z. B. in der Zeit, wo die Sophiſten die religiöfen Sagen des MWolles angriffen, auch die Religion feldft in Verfall gerieth,

Es bleibt uud am Schluſſe nun noch Abrig, dad Res ſultat unferer Unterfuchung auszuſprechen. Der philoſo⸗ phifche oder fpeeulative Rationalismus wird immer and uberall feine Anhänger in kleinern Kreifen oder Schulen fanmeln können, aber nie die ganze Menſchheit zu einer kirchlichen Gemeinfchaft vereinigen: er vermag bad Letz⸗ tere weder, noch will er es, und hat auch beides oft ge nug und unnmwunden audgefproden. Eben je wenig vermag es der gewöhnliche theologiſche Rationallsmus; denn wenn er auch die kehren des gefunden Menſchen⸗ verftandes in die weiteflen Kreife bed Vollslebens einzu⸗ führen vermöchte, fo würden doch alle ftreng fyſtematiſch denfenden, alle zu wiſſenſchaftlicher Eonfequenz fortſchrei⸗ tenden, d. h. alle in felbändig philoſophifcher Eutwi⸗ delung bed allgemeinen Menſchengeiſtes die höchfte Auf⸗ gabe findenden Kreife fi von ihm losſagen. Und wollte

Theol. Sud, Jahrg. 1887, T2

1088 °. Diedrich .

er, wie ein Polyktates von feines Scloffed Ziunen auf das beherrfchte Samos, mit vergnügtem Sinne anf dad mit feinen zahlreichen Anhängern bevöllerte Gebiet von feiner Höhe herabfchauen, fo würden wir ihm getrof entgegen: „Biel. Köpfe und doch noch feine Kirche!” Es würde ihm nicht gelingen, Die Seinen durch das eigene Princip fih auf die Dauer getreu zu erhalten. Nur in eben dem Maße nämlich, ale der Ras tionalismus in Ehrifto nicht bloß einen neben andern großen Männern, fondern ben über ihnen Stehenden, auch über allen Philoſophen aller Zeiten Thronenden ehrt und, dem Worte: „Einer ift ener Meifter,” ſich mit größerer oder geringerer Berleugnung des Principe einer autonomen Bernunft fügt, wird er eine zuſammen⸗ haltende Kraft ſich bewahren können, Dagegen fie in eben dem Maße verlieren, als er nicht bloß in der Theorie, fondern.. auch :in der Praris fih von bem pofltiven Le beusgrunde des chriftlichen Offenbarungeglaubeng lo6reißt; denn in diefem Falle würde er zum fpeculativen Ratie⸗ nalismus ſich umgeſtalten, und jede kirchenbildende Fähig⸗ keit in ſich vernichten. Da nun in der Gegenwart trotz aller Irren und Wirren Doch immer unter ben Auhängern des Nationalismus fich ein befferer Kern findet, der in dem Erlöfer mehr flieht ald einen der erleuchteten Geiſter neben Hunderten und Tauſenden feines Gleichen, ber Ehrikum noch immer bat und hält, und wäre es and nur am Saume feines Kleides, fo können wir es auf der einen Seite nicht billigen, wenn ihnen von manchen zu eifrigen Vertheidigern des hriftlichen Dffenbarungsglan- bensbefländigzugerufen wird: „‚Ienua patet! exite foras,” weun man über alle ohne Unterfchied die Beißel fchwingen will, wie über offenbare Tempelfchänder, und au einer ‚gewaltfamen Ausſtoßung aus dem Heiligthume der Kirche Anſtalt gemacht zu fehen wüufcht. Auf der

ik der Rationalismus fähig, eine Kirche zu bilden? 1085

anderen Seite aber können wir mit der Warmung nicht zurücdhalten, daß der Rationalidmud, geflachelt durch fhon öfter laut gewordene Aufreizungen aus feiner .eiges neu Mitte, nicht Übereilterweife den Berfuch einer vol, ligen Emancipation von der beficehenden Kirche mache, Berführerifch genug klingt die Aufforderung, daß er fein Heer muftern, feine Köpfe zählen, feine Kräfte meſſen und dann der Kirche auf Tod und Leben den Krieg ans tündigen möchte, aber die praftifhe Ausführung einer derartigen Kriegserflärung würde ihm felbft ben Todes⸗ ftreich verfeßen; denn die Conſequenz würde ihn wir wiederholen ed in feiner gegenwärtigen halb philofos phifchen, halb sgläubigen Geftalt vernichten und ihn in einen rein fpeculativen Rationaliömus verwandeln. Es ift ein ſchwerer Irrthum, in wie weiten reifen er auch verbreitet feyn mag, daß unfere Zeit auch bald genug eine rationaliftifche Kirche fehen follte, wie fchon längft ein, rationaliftifche® Chriſtenthum beftehbt, wenn nur bie Fürften Muth bätten,. mit dem Schwerte die beftehende evangelifche Kirche zu zerflüden und die eine Hälfte den Dffenbarungsgläubigen, die andere den Bernunftgläubigen zu Überlaffen. Der gewöhnliche theologifche Rationalis⸗ mus hat vielmehr alle Urfache zu wünfchen, daß nie ein Fürft eine Zerſtückung, wie der König Salomo fle zum Scheine an dem von beiden Parteien in Anſpruch genom⸗ menen Kinde vornehmen ließ , in der Wirklichkeit an der Kirche vollgöge; denn er würde feines Beſitzes nicht lange froh werden; ed würde ſich das Trauerfpiel auf kirch⸗ lihem Boden wiederholen, das auf flaatlihem Gebiete im letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts in Krank, zeich aufgeführt worden if, als die Girondiſten a), die mit Gewalt begannen und mit dem Geſetz enden wollten,

a) Thomas Garlyle in feinem Werke über die frangöfifche Staats⸗ ummwälgung nennt fie bie „Pebanten” ber ——

1088 Diebdrich/ ik d. Rat. fähig, eine Kicche zu bilden ?

im blutigen Kampfe deu conſequentern und energievollern Jakobinern erlagen. Es würden bald geung bie rabice leg Religions⸗ und Kirchenverbeflerer mit den Worten: @ib ums unfer Erbel fi erheben, und ber gemäßigte Rationalismus würde es früher ober fpäter erleben, baf er fein Haus nur ſchön ausgeſchmückt, ums ed einem fatfchen Freude als um fo bequemere Wohnung gu bins teraffen, daß er feinen Ader une beflelte, um Andere men zu fehen. Hier würde auf eine bem moderaten Rattenalistınd gewiß unerfrenliche Weile der Spruch wahr werden: „Der Eine fäet, ber Andere ſchneidet.“

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Etiam sub’ titulo:

Meiligstedt, A., Commentarius grammat. crit. in Hobum. Smai. 15 Thir.

Das Erscheinen der Fortsetzung dieses trefflichen Commentars nach fünfjähriger Unterbrechung wird den zahlreichen Besitzern der ersten drei Bände willkommen seiu; wir zweifeln nicht, dafs die schwierige Arbeit des Herrn Heiligstedt, durch gründliche Kenntnils der hebräischen Sprache und tiefe exegetische Stadien ganz besonders dazu befähigt, Anerkennung finden wird. Die Xte Abtheilang dieses Bandes, den Commentar zum Hohenliede und dem Prediger Salomonis eathaltend, schliefst das Ganze und erscheint bis Michaelis 1847. | Vol. I— TII. kosten 8 Thir.s daraus wird

einzeln verkauft: Jesaias 14 Thir.; Asechiel et Da- niel 3 Thir.; Hosea, Joel, Amos, Obadia 21 Ner.; er etae minores 15 Thir.; Psalmi 14 Thir.; verbia $& Thir. 8 BBenger’sche Buchhandlung in Leipuig.

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Die Literarifche Zeitung if vom Anfang 1847 an in ben Verlag ber unterzeichneten Handlung übergegangen. Es erſcheinen wöhentli 2 Nummern, jede zu einem Bogen im größten Quart⸗ format, zum Preife von 5 Thlrn., au welchem fie durch alle Buch⸗ bandlungen und Poftanflalten bezogen werben kann. Ber biblio» graphiſch-krifiſche Theil wird über die neueflen literarifchen Erſcheinungen des Ins und Auslandes planmäßige und voll fländige Nachricht geben; außerdem werben von Zeit zu Zeit Ueberfidhten die Kortfchritte einzelner Wiffenfhaften in ihrer Gefammtheit beleuchten. Die erfien Rummern enthalten unter andern geößern Auffägen: Ueber oͤffentlichen Unterricht und gelehrte Schulen in Nord⸗Amerika. Des Bürftlen Wallerſtein bayerfches Kirchenſtaatsrecht. Ueber Wilh. v. Humboldt's pe tiſche Schriften. Weber die Gymnafialbildung des geiftlichen Standes. lieber die Bollandiſtiſchen Acta Sanctorum.

Berlin. Buch⸗ und Kunftbandblung von

3. Schneider u. Comp.

In alleo Buchhandlungen ist nun vollständig zu haben: Biblisches

- Realwörterbuch‘ sum Handgebrauch herausgegeben

von

Dr. Georg Bened. Winer, Königl, Kirchenrath, Professos, Bitter u. 4. w.

Dritte sehr verbesserte und vermehrte Auflage. Erster Band, 44 Bogen in gr. Lex.-8. Subscr.-Preis 84 Th

Der 2te und letzte Band dieses wichtigen Buches erscheint noch im Laufe dieses Jahres.

Bei Sulins Klinkhardt in Leipzig iſt fo eben erſchienen und an alle Buchhandlungen verfandt worben :

Grundlinien ber evangelifhen Homiletik

von . Licent. theol. Chrift. Gotth. Fider Pfarrer in a tb. Si a

gr. 8. broſch. Preis 15 Zhlr.

Infofern bier bie evangeliſche Homiletit als eine felbfilänbig chriſtlich⸗theologiſche Wiſſenſchaft behandelt iſt und unter ihr bie An: weifung verflanden wird, das aus der Schrift zu fchöpfende und nad) ber Schrift zu normirende Botteswort fo zu prebigen, daß da⸗ durch das Heil der evangelifhen Kirche überhaupt und das ber oͤrt⸗ lichen Gemeinde infonderheit gefördert werde, inſofern alfo in biefer Homiletit Diejenigen Momente, welche eine evangelifche Predigt bedingen, alfo die Schrift, die und Die Gemeinde, befondere Berüdfitigung gefunden haben, iſt auch bie Bedeutung diefer Grundlinien für den gegen gen Gtanbs punkt der chriſtlichen Theologie ausgeſprochen.

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Bet E. Anton in Dat iR fo chen wofchiucen usb in ollen Duchhandlungen au haben J. W X Wichellaus, de leremise versione alexandrins. geh. Preis 24 Sgl.

Tod &v aAyloıg Ilargög 7 ander kernel EIIIXXOIIOV MOTTYOTNOr

üldygor zul dvargomig ın7s Yardand yescuas Prßlia airıı. SANCTI IRENABI Episcopi eg et rer detectioais st erorsionis falso re aguitionis sive contra omnes har- reses libri ge Accedunt tum emmia hucusque a Halloizio, Pfafio, Angelo Cramero, aliis, praes ertim ex Catenis MSS. eruta et edit tum inodita fragmenta.

Textum Graecum et Leatinum nova Codicum MSS. Betavorum et Germemorem dollatiens emendevit, lectionis varietatem primum integram notarit; ex annotationibus et observationibus editis Nic. Gallasii, Billii, Frontonis Ducaei, Fr. Feu-ardentiüi, Grabii et Mas- sueti et ineditis Francisci Funü optimas elegit suasque insuper ediecit; locupletissimis glossarüs et indicibus hanc editionem illo- man! et uberiora Prolegomena addidit ;

elpkun Stieren, Too Teac in Ifterarum unlversitate Ienensi Theob- docens, Societatis —E— Lipniendis andalis ordinarius.

Zu a neuen ————— benugte ber Herausgeber außer bem von ihm ſelbſt verglichenen —— Codex Vossianus noch zwei

Manuferipte; mit weichem Serie, asüber gibt des Herausgebers

eben erfchienene Abhandlung: de Vossiano seu Barellieno, nähese Auskunft. Der griechiſche Text bed Irene iſt auch einer usbenugten Hanbfchrift des Epiphanius fougfültig weoikist. Aufen dem ib unebirte Obfervationen von Franciscus Junius benugt, In⸗ dem ich auf die bedeutenden Werbefferungen biefer neuen Ausgabe binweife, habe ich babei den befondern Zweck vor Augen, bie Ge lehsten vor dem Anlauf eines bloßen Zertabdruds nad den bishe rigen , ven heutigen Beduͤrfniſſen durchans aidyt mehr genügenben Ausgaben zu warnen.

Der Drud diefer vortrefflichen nut: raſch vor, und «8 wird dad Zenkere 9 getreue incfmile von Mamıktiple u. 1 m allen Anforderungen entiprechen. Pekeduseen nehmen bereits alle Buchhandlungen en.

Leipzig, am 6. Aptil 1847.

3. O. Weigel.

Ya Verlag der H. W. Nitterihen Buchhandlung in Wiek baden if fo eben erſchienen:

Predigten und Reben

Gonftrmationem

8.8. ‚Saulf, Sie Dem und Dforrer zu Wiesbaden. Pr. 1 Zi. 48 Rc. oben 1 Mihir,

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