Le IOHM/TaN 2 M ae in u E a 7 ver 2 . a ee Tierbau und Tierleben in ihrem Zufammenbang betrachtet von Dr. Richard HPeſſe una Dr. franz Doflein Profeffor der Zoologie an der Kandwirt- Profeffor der Zoologie und 2. Konfervator fchaftlichen Hochſchule in Berlin der Zoolog. Staatsfammlung in München I. Band: Der Tierkörper als ſelbſtandiger Organismus von R. Helfe 2 Leipzig und Berlin Druck und Verlag von B. G. Teubner 1910 Der Tierkörper als ſelbſtändiger Organismus Richard Heſſe Mit 480 Abbildungen im Text und 15 Tafeln in Schwarz-, Bunt- und Lichtdruck nach Originalen von PB. Genter, M. Hoepfel, S. L. Hoeß, E. Kißling, W. Kuhnert, C. Mercu- liano, I. Müller- Mainz, O. Vollrath und dem Verfaffer 2 Leipzig und Berlin Druck und Verlag von B. G. Teubner 1910 ipzig. Lei Copyright 1910 by B. G. Teubner in or. lle Rechte, einſchl ſetzungsrechts, vorbehalten 8 I: 7 1 5 1 5 1 0 4 5 ch des Über eßli i 2 23 3 * Dem Andenken Carl Bergmanns und Rudolf Leuckarts gewidmet Vorwort. Das Bedürfnis nach einer Darſtellung des Tierreiches von biologiſchen Geſichts— punkten aus iſt immer dringender geworden: der Zuſammenhang der Form eines Tieres mit ſeiner Lebensweiſe, die Harmonie zwiſchen dem Bau eines Organes und ſeiner Tätigkeit fällt vielfach ſo in die Augen, daß es verlockend iſt, dieſe Betrachtungsweiſe nach allen Richtungen durchzuführen, bis hinab zu den einfachſten Beſtandteilen des Tier— körpers, zu den Geweben und den ſie zuſammenſetzenden Zellen. Die Neubelebung der Abſtammungslehre durch Darwin hatte die Arbeitskraft der Zoologen faſt ganz auf das Gebiet der hiſtoriſchen, morphologiſchen Studien gelenkt: die vergleichende Formenkunde bot ja die ſchlagendſten Beweiſe für dieſe Lehre. Dadurch wurde für lange Zeit die biologiſche Betrachtungsweiſe völlig zurückgedrängt; mit Betrübnis habe ich oft genug die Erfahrung gemacht, daß das prächtige Buch, in dem dieſe Betrachtungsweiſe zum erſten Male im Zuſammenhange durchgeführt wurde, die „anatomiſch-phyſiologiſche Über— ſicht des Tierreiches” von C. Bergmann und R. Leuckart, jüngeren Zoologen und Phyſiologen nicht einmal dem Namen nach bekannt war. Nur wenige blieben auch während der Hochflut deſzendenztheoretiſchen Intereſſes dieſer Forſchungsrichtung treu und verſtanden es, ſie mit der hiſtoriſchen Würdigung der Bauverhältniſſe in fruchtbaren Zuſammenhang zu bringen. Mehr und mehr haben ſich, nachdem jetzt die Abſtammungs— lehre zum ſicheren Beſitz der Wiſſenſchaft geworden iſt, auch die Studien der Forſcher wieder anderen Aufgaben zugewandt und die biologische Forſchung erfreut ſich wieder allgemeiner Anerkennung, vor allem in Verbindung mit experimenteller Behandlung der Probleme. Wenn aber jetzt das Intereſſe für die biologiſche Betrachtung der Lebewelt ſo überaus weit verbreitet, wenn die Nachfrage nach einer Einführung in dieſe Betrach— tungsweiſe ſo allgemein iſt, ſo gebührt zweifellos ein großes Verdienſt daran auch den Schulmännern, die mit feinem pädagogiſchen Gefühl und Verſtändnis hier das Heil für den naturwiſſenſchaftlichen Schulunterricht ſuchten und fanden. Ihre Arbeit, verdienſt— voll und erfolgreich für die Schule, kann nicht verfehlen, auch der biologiſchen Forſchung mancherlei Anregung zu geben und die Aufmerkſamkeit auf die zahlreichen dankbaren Aufgaben zu lenken, die auf dieſem Gebiete noch zu löſen ſind. So ſind denn die beiden Verfaſſer der Aufforderung, eine Biologie der Tiere aus— zuarbeiten, die vor mehr als ſieben Jahren von der Verlagsbuchhandlung an ſie erging, gerne gefolgt in der Überzeugung, daß damit einem wirklichen Bedürfnis abgeholfen werde. Die Teilung der Arbeit, wie ſie jetzt durchgeführt iſt, war ſehr naheliegend einerſeits das Tier, unabhängig von der Außenwelt, nur in Hinſicht auf das Getriebe VIII Vorwort. ſeines Organismus, auf den Zuſammenhang von Bau und Funktion betrachtet — andrerſeits die Wirkung der äußeren Einflüſſe und die Gegenäußerungen, zu denen der Organismus durch ſolche Einflüſſe veranlaßt wird. Freilich hat ſich, wie bei jeder künſtlichen Teilung eines einheitlichen Stoffes, ſo auch hier ergeben, daß dieſes Teilungsprinzip nicht kon— ſequent durchgeführt werden kann, ohne daß dabei manchmal Stoffe getrennt werden mußten, die man ſonſt miteinander bearbeitet findet. So führt ja die Betrachtung der Fortpflanzung naturgemäß zu derjenigen der Brutpflege und dieſe weiter auf das Geſell— ſchafts- und Staatenleben der Tiere; aber ſowie das Ei vom Muttertiere losgetrennt iſt, ſtellt es einen geſonderten Organismus vor, der auf das Muttertier wirken und von dieſem beeinflußt werden kann. So iſt alſo die Brutpflege zu der Staatenbildung in den zweiten Band verwieſen, — und ſolche Beiſpiele ließen ſich viele anführen. Wenn ſich wirklich daraus Nachteile ergeben ſollten — und das bezweifeln wir — ſo ſtehen ſie doch weit zurück hinter den Vorteilen, die unſere Verteilung des Stoffes für die Ge— ſchloſſenheit der Darſtellung mit ſich bringt. Ich muß geſtehen, daß ich mir die Arbeit nicht ſo ſchwierig und langwierig vor— geſtellt habe, wie ſie ſich beim weiteren Eindringen erwies. Aber ich danke der Be— ſchäftigung mit dieſem Stoffe eine Fülle reinſten Genuſſes. Anregungen, die ich beſonders in den Vorleſungen meines verſtorbenen Lehrers Eimer und in den Vorleſungen Grenachers über allgemeine Zoologie erhalten hatte, die ich als Hallenſer Student manchem Gedankenaustauſch mit meinem Freunde O. Schmeil verdanke, die mir bei Lektüre und Naturbeobachtung zugefloſſen waren, wurden doppelt lebendig und bildeten die Grundlage, auf der das Gebäude dieſes Buches aufgerichtet wurde. Das Buch iſt ſo gehalten, daß jeder, der über eine gute Schulbildung verfügt, es verſtehen kann; vor allem ſind größere Vorkenntniſſe auf dem Gebiete der Zoologie nicht vorausgeſetzt. Überall, wo wir gute, nicht mißverſtändliche deutſche Bezeichnungen beſitzen, ſind die fremdſprachlichen Benennungen mindeſtens in zweite Linie geſtellt. Die wiſſen— ſchaftlichen Namen der Tiere ſind zwar immer angeführt; aber wo ein einwandfreier deutſcher Name vorhanden iſt, ſind ſie nur, gleichſam zur Erläuterung, in Klammer beigeſetzt. Etymo— logiſche Erklärungen fremdſprachlicher Fachausdrücke finden ſich im Regiſter. Vielleicht wird mancher die Darſtellung zu ſchlicht und trocken finden; was die Kritik rühmend manchem populären naturwiſſenſchaftlichen Werke nachſagt: „es lieſt ſich wie ein Roman“, das wird niemand auf dies Buch anzuwenden verſucht ſein. Eine prickelnde und „geiſtreiche“ Darſtellung wird ſich um ſo leichter entbehren laſſen, als der Stoff in ſo ungewöhnlichem Maße überall wieder feſſelt und überraſcht. Sachliche Klarheit war das Hauptziel. Der beſchränkte Raum des Buches geſtattete es meiſt nicht, auf wiſſenſchaftliche Streitfragen näher einzugehen; dann iſt die Anſicht vorgetragen, die ich für die wahr— ſcheinlichſte halte; aber es iſt nirgends verſäumt zu betonen, daß ihr auch andere Auf— faſſungen gegenüberſtehen. Das Literaturverzeichnis, das dieſem Bande beigegeben iſt, ſoll nicht etwa eine Auf— zählung der von mir benutzten Bücher und Aufſätze bieten, ſondern als Unterſtützung für ſolche dienen, die irgendeine Frage näher verfolgen wollen. Deshalb ſind dort beſonders auch ſolche Werke aufgeführt, die zuſammenfaſſende Überſichten über irgendein Gebiet geben und mit reichlichen Literaturnachweiſen verſehen ſind; dieſe ſind durch die beigeſetzten Bezeichnungen (Z.) und (L.) kenntlich gemacht. Die Auswahl der hier aufgeführten Werke war ſchwierig; noch gar manches verdiente wohl dort zu ſtehen; aber auch hier wäre ein Zuviel eher verwirrend als fördernd geweſen. Vorwort. IX Bei der Ausarbeitung des Buches habe ich von jo vielen Seiten freundliche Unter— ſtützung erfahren, daß ich gar nicht alle die Helfer nennen kann. Vor allem ſchulde ich Freund Doflein in München Dank für die genaue Durchſicht des ganzen Manufkripts und für vielfache Mitteilungen und Verbeſſerungen. Mein Bruder Paul Heſſe in Venedig hat mir durch das kritiſche Leſen mehrerer Abſchnitte einen willkommenen Dienſt geleiſtet. Mein Aſſiſtent Dr. B. Klatt hat ſich der mühevollen Anfertigung des Regiſters unterzogen und dieſe Arbeit in muſterhafter Weiſe erledigt. Dem Kunſtmaler Lorenz Müller-Mainz in München, dem trefflichen Kenner der Amphibien und Reptilien und ihrer Lebensweiſe, bin ich für manche feine Bemerkung zu Dank verpflichtet. Wie er, ſo haben auch die anderen obengenannten Künſtler ihr Beſtes geleiſtet, um das Buch trefflich auszuſtatten. Aber eine ſolche Ausſtattung wäre nicht möglich geweſen ohne die Opferwilligkeit der Verlagsbuchhandlung, die meinen Wünſchen weit entgegen— gekommen iſt und keine Koſten geſcheut hat. Sie alle ſind an dem Zuſtandekommen des Werkes beteiligt. Das Buch ſelbſt aber ſende ich hinaus mit dem Wunſche, daß der Leſer beim Studium desſelben den gleichen Genuß finden möge, den mir die Aus— arbeitung dieſes anziehenden Stoffes bereitet hat. Berlin-Wilmersdorf, Februar 1910. R. Heſſe. A. . Körpergeftalt und Inbaltsverzeicbnis. 3 Lebeweſen als Einzelzellen und Zellverbände .. ö Su . Bom Leben. i 3 D. Einteilung der Lebeweſen 1. Die Kennzeichen des Lebens 5 8 85 Pflanze und Tier = Die Bedingungen und Grenzen des Lebens 7 „Die Unterſcheidung der Arten. Vom Weſen des Lebens . 15 3. 955 Abſtammungslehre 5 Das Protoplasma und ſeine elemen- a) Zeugniſſe der vergleichenden Anatomie tare Erſcheinungsform 18 b) Zeugniſſe der Entwicklungsgeſchichte. 1 Das Protoplasma. 19 c) Zeugniſſe der Verſteinerungskunde. Die Zelle 24 d) Zeugniſſe der Pflanzen- und Tierver— breitung 33 E. Die Stammesentwicklung' der Tiere Erſtes Buch. Statik und Mechanik des Tierkörpers. Körperform und Bewegung bei den Ae 5 8 . Amöboide Körpergeſtalt und Bewegung 2. Bewegungsarten bei formbeſtändigen Protozoén. ö Bewegung bei den Metazoen. 1. Allgemeine Bemerkungen über das Stütz⸗ gerüſt des Metazoénkörpers . 3 2. Beſonderheiten des Stützgerüſtes bei den Wirbellojen . ; 3. Beſonderheiten des wirbelten a) Die Wirbeljäule. 9 5 bp) Der Schädel . c) Die Haut 4. Allgemeine Bemerkungen über die Be- wegungen der Metazoen 5. Die Bedingungen des paſſiven Schwe⸗ bens im Waſſer und in der Luft. 113 113 167 —1 Die Ortsbewegung der Metazoen durch Flimmerung. Die Ortsbewegung der Metazoen durch Musfeltätigfeit a) Die ſchrittweiſe Ortsbewegung! 5 b) Die Ortsbewegung durch Schlänge— lung c) Die Bewegung mit Hilfe von Hebel⸗ gliedmaßen . «) Das Schwimmen mit eber maßen . 5 6) Springen, Laufen, Klettern 7) Der Flug. - - o) Die Entwicklung des ugver mögens. .. : 5 &) Der Flug der Juſekten & Der Flug der Fledermäuſe. Der Bogelflug . Zweites Buch. Der Stoffwechfel Die Ernährung 1. Die Nährſtoffe und ihre be eng 2. Ernährungsweiſen der Tiere. N 3. Die Ernährung der Protozoen . 4. Die Ernährung der Metazoen . a) Allgemeine Betrachtungen. 2 b) Die Ernährung der Hohltiere, Platt⸗ würmer, Stachelhäuter und Würmer c) Die Ernährung der Gliederfüßler d) Die Ernährung der Weichtiere e) Die Ernährung der Chovdatiere . «) Allgemeines . 6) Der Magen. . 8 „) Der Darm und ſeine Anhänge l Speicherung und Stoffwanderungen; Nahrungsmenge . . N 1 or —1 t te do io 1e 228. am er 2 und feine Organe. B. a 2. 1. Allgemeine Bemerkungen Bau der Atmungsorgane. . . a) Die Waſſeratmung bei den Wirbel- loſen 5 b) Kiemenatmung bei den Chordatieren c) Die Luftatmung der Wirbeltiere. d) Die Atmung durch Tracheen Exkretion. 5 5 Die Körperflüſſigkeit 5 1. Allgemeines über die Körperflüffigfeit . . 2. Das Blut und ſeine Bejonderheiten . . Die Blutbewegung . .. > = Blutbahnen und ihre ns. Die Blutbahnen bei den Wirbelloſen 5 Das Gefäßſyſtem der Wirbeltiere . Die Körpertemperatur 355 361 361 367 377 392 400 417 417 419 425 428 430 435 441 Inhaltsverzeichnis. Drittes Buch. Fortpflanzung und Vererbung. Seite A. Die verſchiedenen Arten der Sr e) Zwittrigkeit. pflan zunge a 447 f) Parthenogeneſe : 1. Die cytogene Fortpflanzung 8 448 2. Die vegetative Fortpflanzung a) Die cytogene Fortpflanzung bei den a) Allgemeines über Teilung und Knoſ⸗ . 448 bung ; b) Die cytogene Fortpflanzung bei den N b) Fortpflanzung durch Teilung 5 ne ae De c) Knoſpung . Eier und Spermatozoen 453 3. Abwechſelndes Auftreten verfhiedenen 6) Die Gonaden 459 Fortpflanzungsarten Se 2 Die Einleitung der Befruchtung, 461 B. 1 een und Vererbung. ) Bajtardierung 468 „Die mitotiſche Zellteilung. . 5 Biviparität . . . 471 2 Samen- und Eientwicklung (Spermato⸗ c) Unterſchiede der Geſchlechter. 472 geneſe und Oogeneſe). ) Mittel zum Bewältigen der 3. Die Befruchtung des Metazoeneies und Weibchen . 473 die Kopulation bei den Protozoen 6) Kampforgane der Männchen 476 4. Die Bedeutung der Kopulation „) Organe zum Aufſuchen der Weib- a) Die körperlichen au der chen 477 Vererbung. Ä 0) Eigenſchaften der Männchen „zur | b) Variation des Keimplas smas Erregung der Weibchen“. 479 c) Die Verſchiedenheit der Chromo⸗ &) Temperamentsunterſchiede der Ge— ſomen .. BE ſchlechter 488 d) Die Mendelſche Regel d) Theoretiſche Betrachtungen über die | e) Verjüngung durch Amphimixis ſekundären Geſchlechtsmerkmale 489 N) Die Beſtimmung des Gejchlechts . o) Urſprung der jefundären Ge— C. Entwicklung nn, ſchlechtsmerkmale 5 489 1. Furchung und erſte Entwicklung 6) Korrelation der ſekundären Ge⸗ 2. Evolution und Epigeneſe Ad: ſchlechtsmerkmale zu den Gonaden 498 3. Metamorphoſe und 3 der Ent⸗ „) Vererbung männlicher Merkmale wicklung ; auf das Weibchen 499 4. Wachstum, Geſchlechtsreife u. Lebensalter Viertes Buch. Nervenfpftem und Sinnesorgane. b) Die verſchiedenen Wege der optiſchen c) Die optiſche Iſolierung durch Linſen 6. Befonberheiten des Wirbeltierauges . Die Sehorgane der Gliederfüßler. Zuſammenwirken der Sinnesorgane. 2. Anordnung des Nervenſyſtems bei den 3. Das zentrale Nervenſyſtem der Chorda⸗ a) Gemeinſamkeiten bei den Shorde bp) Das Rückenmark der Wirbelti ere. A. Bau und Verrichtungen des Nerven— ſyſtems im allgemeinen 593 Isolierung B. Die Sinnesorgane . 600 1. Allgemeine Betrachtungen 600 2. Die mechaniſchen Sinne. 607 a) Der Taſtſinn. 607 15 b) Der ſtatiſche Sinn und feine d Organe 619 C. Die effektoriſchen Nerven. e) Hören und Hörorgane bei Wirbel— D. Die Nervenzentren tieren und Wirbelloſen. 631 1. Allgemeines. 3. Der thermiſche Sinn . 638 4. Die chemiſchen Sinne. a 638 Wirbellvjen . a) Die chemiſchen Sinne und ihre Or⸗ gane bei den Wirbelloſen 640 tiere. b) Schmecken und Riechen und ihre Organe bei den Wirbeltieren 647 tieren 5. Sehen und Sehorgane 656 a) Allgemeine Grundlagen. 656 c) Das Gehirn der Wirbeltiere Schluß. Das Ganze und ſeine Teile. 1. Die Arbeitsteilung im Tierkörper 2. Die Bindung der Teile zum Ganzen. 3. Die Anpaſſung der Teile aneinander . XI Literaturverzeichnis. Die mit (Z.) bezeichneten Werke bieten zuſammenfaſſende Überſichten des betreffenden Gebietes, die mit (L.) bezeichneten enthalten eingehende Literaturverzeichniſſe. Zum Nachſchlagen über ſyſtematiſch-zoologiſche und vergleichend-anatomiſche Fragen find zu empfehlen: Die Lehrbücher der Zoologie von J. E. V. Boas (5. Aufl. Jena 1908), C. Claus⸗ Grobben (7. Aufl. Marburg 1905. (L.)), A. Goette (Leipzig 1902) und R. Hertwig (9. Aufl. 1910 (L.)); A. Lang, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbelloſen Tiere. (L.) 2. Aufl. teilweiſe erſchienen Jena 1900; C. Gegenbaur, Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere mit Berückſichtigung der Wirbel— loſen. Leipzig 1898 (Sehr anregend und inhaltsreich, aber ſchwer lesbar); R. Wiedersheim, Ver— gleichende Anatomie der Wirbeltiere. (L.) (7. Aufl. 1909). Für entwicklungsgeſchichtliche Fragen: E. Korſchelt und K. Heider, Lehrbuch der vergl. Entwicklungsgeſchichte der wirbelloſen Tiere, allge— meiner Teil, 1.—3. Lieferung. (L.) Jena 1902— 1909. Spezieller Teil Jena 1900. O. Hertwig, Lehrbuch der Entwicklungsgeſchichte des Menſchen und der Wirbeltiere. (L.) 8. Aufl. Jena 1906. R. Bonnet, Lehrbuch der Entwicklungsgeſchichte (Säuger). Berlin 1907. O. Hertwig, Handbuch der vergleichenden und experimentellen Entwicklungslehre der Wirbeltiere. 3 Bände, ſehr ausführlich, von zahlreichen Gelehrten bearbeitet. (L.) Jena 1906. Für phyſiologiſche Fragen: L. Landois, Lehrbuch der Phyſiologie des Menſchen. 2 Bände. 12. Aufl. Wien und Leipzig 1909; G. v. Bunge, Lehrbuch der Phyſiologie. 2 Bde. 2. Aufl. Leipzig 1905. N. Zuntz und Loewy, Lehrbuch der Phyſiologie. Leipzig 1910. Eine Fundgrube für ältere Literatur anatomiſchen und phyſiologiſchen Inhalts iſt: H. Milne⸗Edwards, Lecons sur la Physiologie et l’Anatomie comparee. 9 Bde. Paris 18571870. Fürphyſiologiſch-chemiſche Fragen: E. Abderhalden, Lehrbuch der phyſiologiſchen Chemie. 2. Aufl. Wien und Leipzig 1909. Für allgemein biologiſche Fragen: C. Bergmann und R. Leuckart, Anatomiſch-phyſiologiſche Überſicht des Tierreichs. Stuttgart 1855. F. Doflein, Lehrbuch der Protogoen- kunde. Jena 1909. J. v. Uexküll, Leitfaden in das Studium der experimentellen Biologie der Waſſertiere. (L.) Wiesbaden 1905, Umwelt und Innenwelt der Tiere. Berlin 1909. Th. H. Morgan, Experimentelle Zoologie. Deutſche Überſetzung. (L.) Leipzig 1909. Einleitung. Cl. Bernard, Lecons sur les phenomenes de la vie. 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Die Frage nach den Kennzeichen des Lebens läßt ſich am beſten in der Weiſe an— greifen, daß man die Unterſchiede zwiſchen Lebendigem und Totem aufſucht. Die Auf— gabe erſcheint auf den erſten Blick leicht, wenn man einen Stein mit einer Pflanze oder einem Tier vergleicht. Die Schwierigkeit zeigt ſich erſt, ſobald man ſich der Grenze von Leben und Tod nähert. Wodurch unterſcheidet ſich das abgefallene Blatt eines Haſel— ſtrauches von der ebenfalls abgefallenen reifen Nuß, die neben ihm liegt? Wir wiſſen aus der Erfahrung, daß jenes ſich verfärbt, zerſetzt und ſchließlich zerfällt, während aus dieſer, wenn ſie unter geeignete Bedingungen kommt, eine neue Pflanze hervorgeht. Aber in dem Augenblicke, wo ſie beide eben abgefallen ſind, können wir weder an dem einen noch an der anderen Lebensäußerungen wahrnehmen. 5 Zunächſt iſt das Leben immer an einen ganz beſtimmten, eigentümlich zuſammen— geſetzten Stoff gebunden, der als Protoplasma bezeichnet wird. Das Protoplasma und die von ihm abgeleiteten chemiſchen Produkte bauen ſich zwar nur aus Grundſtoffen oder Elementen auf, die auch in mineraliſchen Subſtanzen vorkommen. Aber ſie ſind trotzdem ſo beſtimmt gekennzeichnet, daß man die Chemie dieſer „organiſchen“ Stoffe von der— jenigen der „anorganiſchen“ Verbindungen früher als grundſätzlich verſchieden betrachtete. Alle organiſche Subſtanz, die auf der Erde verbreitet iſt, ſtammt, ſoweit unſere Kenntnis reicht, nur von Lebeweſen her, ſei es als Ausſcheidung während des Lebens, ſei es als Zerfallprodukt nach dem Tode, wie Steinöl, Erdwachs, ja ſelbſt kohlenſaurer Kalk. Man hat nie beobachtet, daß anorganiſche Subſtanzen von ſich aus, ohne Vermittlung eines Lebeweſens, zu organiſchen Verbindungen zuſammentreten. So glaubte man denn noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts, daß ihr Aufbau nur unter der Einwirkung einer be— ſonderen Kraft, der Lebenskraft, möglich ſei. Dieſe Annahme wurde als irrtümlich er— wieſen durch die berühmte Entdeckung Wöhlers, dem es im Jahre 1828 gelang, den Harnſtoff, ein ſehr verbreitetes tieriſches Ausſcheidungsprodukt, aus anorganiſchen Beſtand— teilen zuſammenzuſetzen. Seitdem hat ſich die Zahl der in dieſer Weiſe ſynthetiſch dar— geſtellten organiſchen Verbindungen außerordentlich vermehrt und iſt noch in fortwähren— der Zunahme begriffen. Jetzt vermag die Geſchicklichkeit der Chemiker höchſt komplizierte organiſche Verbindungen aus einfachſten Beſtandteilen aufzubauen. Der grundſätzliche Gegenſatz zwiſchen anorganiſcher und organiſcher Chemie iſt gefallen; für beiderlei Stoffe 15 4 Unterſchied zwiſchen Lebendigem und Totem. gelten die gleichen Naturgeſetze, und nur aus praktiſchen Gründen, wegen ihrer überaus großen Mannigfaltigkeit, behandelt man die Verbindungen des Kohlenſtoffs geſondert von denen der übrigen Elemente und trennt organiſche und anorganiſche Chemie. So viel iſt ſicher, daß die ſtoffliche Grundlage des Lebens nie aus anorganiſchen Verbindungen beſteht. Es ſind ſtets Kohlenſtoffverbindungen, die ſie bilden. Aber durch— aus nicht alle organiſchen Verbindungen können Träger des Lebens ſein; aus der großen Zahl derſelben ſind die Eiweißſtoffe allein die auserwählten. Wo wir Leben finden, iſt es an eiweißartige Verbindungen geknüpft; ſie nennt man mit Recht Proteinſtoffe, d. h. Stoffe, denen der Vorrang zukommt. Aus ihnen ſetzt ſich das Protoplasma zuſammen, und ſie werden uns unten noch näher beſchäftigen. Aber auch wenn es gelingen ſollte, Eiweißſtoffe, wie ſie den Körper der Organismen bilden, im Laboratorium herzuſtellen und die Wahrſcheinlichkeit, daß dies gelingen wird, iſt durchaus nicht gering — ſo iſt damit doch nicht das Leben in der Retorte gemacht. Das Protoplasma iſt keine ein— heitliche chemiſche Verbindung; ſie ſtellt ein Vielfaches von ſolchen dar; wir dürfen ſie uns auch nicht einfach als ein Gemiſch von ſolchen vorſtellen — ſo wenig wie man eine Taſchenuhr als einen Haufen von Gold, Silber, Eiſen und Glas bezeichnen kann. Die lebendige Maſſe beſitzt eine beſtimmte Anordnung ihrer Beſtandteile, eine Organiſation, wobei die einzelnen Verbindungen, die in ihr enthalten ſind, in Wechſelwirkung treten können: ſie iſt nicht bloß eine organiſche, ſondern eine organiſierte Subſtanz. Wie dieſer Aufbau des Protoplasmas beſchaffen iſt, darüber gibt es einſtweilen nur Hypotheſen. Jedenfalls aber liegt kein Grund vor, zu glauben, daß er der Erforſchung unzugänglich ſei. Daß dieſer Organiſation eine weſentliche Rolle beim Zuſtandekommen der Lebenserſcheinungen zukommt, iſt eine Annahme von höchſter Wahrſcheinlichkeit. Dieſe wird auch nicht dadurch herabgeſetzt, daß myſtiſche Auffaſſungen, die in dem Leben etwas Beſonderes, von den anorganiſchen Naturerſcheinungen durchaus Verſchiedenes ſehen wollen, häufig gerade dieſen Aufbau des Protoplasmas als Angelpunkt für ihre Ausführungen nehmen. Die ſtoffliche Zuſammenſetzung unterſcheidet nun zwar das Lebeweſen von den an— organiſchen Naturkörpern. Aber wenn man einen lebendigen mit einem toten Organis— mus vergleicht, etwa eine lebende Maus mit einer eben durch Chloroform getöteten, oder ein lebendes Haſelblatt mit einem erfrorenen, ſo ergibt ſich kein Unterſchied in der ſtoff— lichen Beſchaffenheit. In dem lebenden wie in dem friſch toten Organismus finden wir organiſierte Subſtanz. Aber die Vorgänge, in deren Gefolge die Lebensäußerungen auf— treten, haben in dieſem aufgehört, in jenem gehen ſie weiter. Dieſe Vorgänge, die das Lebende dem Toten gegenüber kennzeichnen, werden zuſammengefaßt als Stoffwechſel. Der Stoffwechſel iſt das weſentliche Merkmal, durch das ſich das Protoplasma von toter organiſierter Maſſe unterſcheidet. Er beſteht in fortwährender Zerſetzung und be— ſtändiger Neubildung von Protoplasma: das Leben iſt ein beſtändiges Werden und be— ſtändiges Vergehen. Dieſe zwei Seiten des Stoffwechſels ſind beide von der größten Wichtigkeit für das Zuſtandekommen von Leben. Der Zerfall des Protoplasmas, die Diſſimilation, iſt eine Quelle von Energie und ſomit die Quelle der Lebensäußerungen. Es treten nämlich bei chemiſchen Reaktionen ſtets Umwandlungen der Energieverhältniſſe auf: Waſſer z. B. hat eine geringe chemiſche Energie; die beiden Elemente aber, aus denen es beſteht, Waſſerſtoff und Sauerſtoff, haben im freien Zuſtande eine hohe chemiſche Energie. Wenn ſich Waſſerſtoff und Sauer— ſtoff zu Waſſer vereinigen, alſo in eine Verbindung von geringerer chemiſcher Energie Stoffwechſel. 5 übergehen, ſo wird ein großer Teil ihrer chemiſchen Energie in anderer Form frei, als Wärme: die Reaktion geſchieht unter Erhitzung. Man nennt das Waſſer daher eine exo— thermiſche Verbindung. Will man eine ſolche wieder in ihre Elemente zerlegen, ſo muß man ihr wiederum ſo viel Energie zuführen, als bei ihrer Entſtehung aus den Elementen frei wurde; ſo kann man Waſſer durch den elektriſchen Strom oder durch Erhitzung des Dampfes auf über 1000“ wieder in Waſſerſtoff und Sauerſtoff ſpalten. Die Verbindung von Waſſerſtoff und Jod dagegen geſchieht unter Verbrauch von Wärme. Der Jod— waſſerſtoff, der ſo entſteht, hat eine größere chemiſche Energie als ſeine Grundbeſtand— teile zuſammen; er iſt eine endothermiſche Verbindung, und wenn er in ſeine Beſtand— teile zerfällt, wird die bei ſeiner Entſtehung verbrauchte, d. h. in chemiſche Energie ver— wandelte Wärme wieder frei. Die chemiſchen Stoffe im Protoplasma ſind ebenfalls endothermiſche Verbindungen von hoher chemiſcher Energie. Sie entſtehen z. B. in den grünen Blättern der Pflanzen aus einfachen Verbindungen von geringer chemiſcher Energie, nämlich aus Kohlenſäure, Waller und verſchiedenen, beſonders ſtickſtoffhaltigen Salzen; die große bei dieſer Entſtehung verbrauchte, d. h. gebundene Energie liefert die Sonne in Geſtalt von Licht und Wärme. Wenn die Eiweißſtoffe des Protoplasmas wieder in Verbindungen von geringerer chemiſcher Energie zerfallen, ſo wird der Überſchuß an Energie in anderer Form, als Wärme oder als Bewegung, frei. Der Vorgang iſt ein ganz ähnlicher wie beim Verbrennen des Erdöls in unſeren Lampen. Der Brennſtoff zerfällt und ſeine Elemente verbinden ſich mit Sauerſtoff zu Kohlenſäure und Waſſer, alſo zu Verbindungen von geringer chemiſcher Energie; dabei wird Energie frei, die wir als Licht und Wärme empfinden. Damit die Kräfte zu den Lebensäußerungen frei werden, muß der Lebensſtoff zer— fallen: „nur das Vergängliche iſt lebend“, ſagt Lotze. Durch die Diſſimilation werden alſo die Kräfte geliefert, die in den Lebensäußerungen der Organismen unſerer Beob— achtung zugänglich werden. Am meiſten fallen ſie uns in die Augen, wenn ſie in Be— wegung umgeſetzt werden. Andere dienen der Einführung von Verbrauchsſtoffen, der ſogenannten Nahrung, in den Körper. Noch andere bewirken die Verarbeitung dieſer Nahrung: ſie ſpielen eine Rolle bei der anderen Seite des Stoffwechſels, bei der Aſſi— milation. Wenn die chemiſchen Vorgänge im Protoplasma ſich auf die geſchilderten Zer— ſetzungen beſchränkten, ſo würde ſich deſſen Subſtanz bald aufzehren wie das Erdöl der Lampe. Aber dem Zerfall, der Diſſimilation, ſteht ergänzend der Aufbau, die Aſſimi— lation gegenüber. Die aufgenommenen unorganiſierten Nahrungsſtoffe verarbeitet das Protoplasma zu neuer organiſierter Subſtanz: es ähnelt ſich dieſe Stoffe an, es aſſimi— liert ſie. So wird verhindert, daß die Lebeweſen ſich aufzehren dadurch, daß ſie leben. Das Verharren im Wechſel, wie ſie es zeigen, wird nur durch dieſe wunderbare Eigen— tümlichkeit des Protoplasmas ermöglicht. Der alte Stoff iſt geſchwunden, ein neuer iſt an ſeine Stelle getreten; aber dieſer neue iſt ganz das Abbild des alten; er bewahrt, gleichſam in treuem Gedächtnis, die Eigenſchaften des Vorgängers. Dieſe ſchöpferiſche Neubildung von ſeinesgleichen iſt das größte Rätſel unter den Vorgängen, die ſich am Protoplasma abſpielen. Sie iſt die Grundlage für viele Erſcheinungen, die wir als Beſonderheiten des Lebens betrachten. Wenn die Aſſimilation ſtärker iſt als die Diſſimi— lation, wenn der Erſatz den Verbrauch überwiegt, ſo vermehrt ſich die organiſierte Sub— ſtanz: es tritt das ein, was wir Wachstum nennen. Und trennt ſich ein Teil des zu— gewachſenen Stoffes vom alten ab, als neues Lebeweſen, als Nachkomme gleichſam, ſo iſt 6 Stoffwechſel. infolge der aſſimilatoriſchen Schöpfertätigkeit dieſer Nachkomme dem Vorfahren gleich: die Aſſimilation iſt auch die Grundlage der Vererbung. Man könnte die Fähigkeit zu aſſimilieren als das Gedächtnis des Protoplasmas bezeichnen. Wenn ſich jedoch bei der Aſſimilation kleine Abweichungen des neugebildeten Stoffes vom aſſimilierenden ergeben und damit auch die Leiſtungen der neuen Subſtanz etwas verändert ſind gegenüber denen der alten, ſo haben wir das, was als Variabilität bezeichnet wird: auch die Variabilität, die Grundlage der Mannigfaltigkeit und des Formenreichtums der Lebewelt, hängt mit dem Vorgange der Aſſimilation zuſammen. Wer das Rätſel der Aſſimilation löſt, der wird auch den Schlüſſel haben für die weiteren Rätſel, die uns Vererbung und Varia— bilität bieten. Wenn unſere Sinnesorgane es geſtatten würden, die feinſten Veränderungen im Protoplasma zu beobachten, wir würden erſtaunen über die Fülle der Bewegung in den kleinſten Teilchen, über das fortwährende Einreißen und Wiederaufbauen, das ſich etwa an dem, für unſere ſtumpfen Sinne, ja ſelbſt für die mikroſkopiſche Beobachtung regungs— loſen Laubblatt im Sonnenlichte, oder in der Leber eines Kaninchens nach der Mahl— zeit abſpielt; wir würden erſtaunen über dieſe lebhafte Tätigkeit, deren Vorhandenſein wir nur aus ihren Folgen erſchließen können. Die für uns wahrnehmbaren Lebensäußerungen, die der Diſſimilation entſpringen, ſind Bewegung und Erwärmung ſowie das Auftreten von Zerſetzungsprodukten des Protoplasmas. Die Wirkung der Aſſimilation erkennen wir nur dann, wenn der Auf— bau den Zerfall übertrifft, als Wachstum. Bei den Tieren iſt die Wirkung der Diſſi— milation beſonders auffällig, bei den Pflanzen ſpringen die Folgen der Aſſimilation mehr in die Augen. Bei vielen Lebeweſen ſind zuzeiten Bewegung und Wachstum ſo gering, daß nur die Bildung von Ausſcheidungsſtoffen als allgemeinſtes Kennzeichen des Stoff— wechſels übrigbleibt; häufig läßt ſich nur hieran die lebende organiſierte Subſtanz von der toten unterſcheiden. An dem Keimbezirk auf dem Dotter des Hühnereies, der noch wochenlang nach der Ablage des Eies durch Bebrütung zur Entwicklung angeregt werden kann, alſo noch lebend iſt, laſſen ſich weder Bewegungs- noch Wachstumserſcheinungen nachweiſen, bevor die Bebrütung beginnt. Aber eine geringe Ausſcheidung von Kohlen— ſäure beweiſt, daß ein geringſter Stoffwechſel darin andauert. Es gibt jedoch Fälle, wo an organiſierten Körpern auch nicht die geringſten Spuren von Lebenstätigkeit mit unſeren Mitteln nachweisbar ſind, und doch die weitere Beob— achtung lehrt, daß dieſe Körper nicht tot ſind. Man hat völlig trockene Pflanzenſamen in ein Glasrohr eingeſchloſſen, dieſes luftleer gemacht und dann zugeſchmolzen. Nach mehreren Monaten war in dem Glasrohr keine Spur von Kohlenſäure nachweisbar; die Samen aber keimten, als ſie ausgeſät wurden, hatten alſo ihre Lebensfähigkeit voll— kommen bewahrt. Dieſen Ruhezuſtand eines Organismus vergleicht man ſehr treffend mit dem eines aufgezogenen Uhrwerks, an dem der Pendel angehalten iſt. Er muß wohl vom Tode unterſchieden werden; als Leben kann man ihn nicht ohne weiteres be— zeichnen, wohl aber als latentes Leben oder auch Scheintod. Ahnliche Erſcheinungen, wie ſie von den Pflanzenſamen erwähnt werden, ſind von manchen winzigen Tieren bekannt. Wenn man den trockenen Staub aus Dachrinnen oder aus Moosraſen, die auf Felſen wachſen, oder von dem Flechtenüberzug der Baum— ſtämme ſammelt und auf einem Glasplättchen, mit Regenwaſſer angefeuchtet, unter dem Mikroſkop betrachtet, ſo kann man nach einer halben Stunde darin kleine Tierchen beob- achten: teils ſind es Rädertiere (Abb. 1), die ſich mit ihrem fernrohrartig einziehbaren * Latentes Leben. 7 „Fuß“ oder mit dem Wimperorgan ihres Vorderendes bald träger, bald lebhafter durch das Waſſer bewegen und ihr Kauorgan in kräftige Tätigkeit ſetzen; teils ſind es Bär— tierchen, die mit ihren acht kurzen krallenbewehrten Füßen langſam dahin krabbeln. Läßt man das Waſſer, das ſie umgibt, verdunſten, ſo trocknen ſie mehr und mehr ein und bleiben als unkenntliches, \ winziges Körnchen auf dem Glasplättchen zurück. Nach a‘ Monaten, ja nach Jahren kann man dieſes Reſtchen durch Zuſatz von Waſſer zum Aufquellen bringen und aufs neue beleben. Von Bärtierchen iſt beobachtet, daß ſie nach 3 Jahren latenten Lebens wieder zum Aufleben gebracht werden konnten. Kleine Fadenwürmer, wie die Weizen— älchen (Tylenchus scandens Schn.), die ſich als Larven zu 8—10 in ſogenannten gichtkranken Weizenkörnern finden, können in dieſem Zuſtande völlig bewegungslos und ohne Lebensäußerungen jahrelang verharren und kommen dann beim Benetzen wieder zum Leben, nach einem Berichte ſogar noch nach 27 Jahren. In dieſen Fällen, bei Rädertieren, Bärtierchen und Fadenwürmern, macht die ungemein geringe Größe es un— möglich, in ähnlicher Weiſe, wie das oben von Pflanzen— ſamen geſchildert iſt, auf Spuren von Stoffwechſelprodukten zu unterſuchen. Bei höheren Tieren kennen wir die Er— ſcheinungen des Scheintodes nicht. Jedenfalls darf das nicht hierher gerechnet werden, was von dem willkürlich herbei— — geführten „Scheintod“ indiſcher Fakire berichtet wird: ſie Se jollen ſich unter Anhalten des Atems und Rückſchlagen der 15 ee Zunge in einen todesähnlichen Zuſtand verjegen und darin (Gallidina symbiotica Zei.) wochenlang verharren können, um dann wieder zum Leben e dd d zurückzukehren. Die zahlreichen, zum Teil von europäiſchen eingetrocknetes Tier. Vergr. 28 fach. an 5 15 8 Nach Zelinka. Zeugen beſtätigten Berichte darüber begegnen noch vielfach ſtarken Zweifeln. Eine fachmänniſche Unterſuchung fehlt ganz, und ſo läßt ſich über die genaueren Vorgänge dabei nichts ausſagen. Wenn ſich die Angaben beſtätigen, ſo liegt hier doch wohl kaum ein wirklicher Scheintod im Sinne der oben geſchilderten Er— ſcheinungen vor, ſondern nur eine ſtarke Herabminderung der Lebenserſcheinungen, wie ſie vom Winterſchlaf vieler Tiere bekannt und gut unterſucht iſt. So iſt es alſo nicht in allen Fällen möglich, einen Unterſchied zwiſchen lebenden und toten Organismen anzugeben. Im allgemeinen aber können wir den Stoffwechſel innerhalb einer beſtimmt zuſammengeſetzten, überwiegend aus Eiweißſtoffen beſtehenden Subſtanz als Kennzeichen des lebenden Organismus im Gegenſatz zu lebloſen organi— ſierten Körpern feſthalten. 2. Die Bedingungen und Grenzen des Lebens. Das Leben iſt auf der Erde beinahe überall verbreitet: auf dem Land, im Waſſer, im Boden und in der Luft, in der Tiefe unterirdiſcher Höhlen und auf den Gipfeln der Berge, unter den ſenkrechten Strahlen der Tropenſonne und an den Küſten des Eis— 8 Bedingungen des Lebens: Sauerſtoff. meeres. Immerhin gibt es Stellen, wo wir es vermiſſen: im Innern von Schnee und Eis, in ſehr heißen Quellen und in den Schlünden tätiger Vulkankrater fehlt jede Spur von Leben. Es ſind eben eine Anzahl von Bedingungen, die zuſammentreffen müſſen, damit Leben beſtehen kann. Wo auch nur eine dieſer Bedingungen fehlt, iſt Leben, ſo— wohl tieriſches wie pflanzliches, ausgeſchloſſen. Die Lebensäußerungen gehen, wie wir ſahen, unter einem ſtetigen Energieverbrauch und damit zugleich Stoffverbrauch vor ſich, und die lebende Subſtanz würde ſich im Leben aufzehren, wenn nicht immer wieder Stoffe und Energie zugeführt würden, die zur Erhaltung der Subſtanz und ihrer Leiſtungen beitragen. Die Stoffe, die der Organismus zum Leben braucht, bezeichnet man als Nahrung im weiteſten Sinne. Sie dienen nicht alle unmittelbar als Material für den Aufbau neuen Protoplasmas; eine Anzahl von ihnen iſt notwendig als Mittel zur Erhaltung des Stoffwechſels. Mit dem Stoffzerfall im Protoplasma hängt aufs engſte der beſtändige Verbrauch von Sauerſtoff, die Atmung, zuſammen. Es ſcheint, daß das Protoplasma bei ſeiner Lebenstätigkeit in Verbindungen zerfällt, die den Sauerſtoff gierig aufnehmen und mit ihm weiter zerfallen. Die Sauerſtoffaufnahme oder Oxydation iſt alſo nicht eine Folge der chemiſchen Aktivität des Sauerſtoffs, ſondern ſie iſt ein Lebensvorgang des Proto— plasmas. Als ſchließliches Ergebnis der Zerſetzung entſtehen Kohlenſäure, Waſſer und eine Anzahl ſtickſtoffhaltiger Verbindungen wie Harnſtoff oder Harnſäure und ihre Ab— kömmlinge. Die Atmung der lebenden Subſtanz iſt ein ganz ähnlicher Vorgang, wie er bei der Verbrennung organiſcher Stoffe beobachtet wird. Man hat ſie daher direkt als phyſiologiſche Verbrennung bezeichnet; nur geſchieht dieſe in langſamerem Tempo und daher mit geringerer Wärmeentwicklung und ohne Feuererſcheinung. Wenn ſchon durch den Zerfall der ſtark endothermiſchen Eiweißſtoffe Energie frei wird, ſo ergibt die Oxy— dation dieſer erſten Zerfallſtoffe noch weitere Mengen freier Energie, und der Zerfall geht im allgemeinen ſo lange fort, bis die gleichen Endprodukte entſtehen wie bei der Verbrennung, nämlich Kohlenſäure und Waſſer. Die Summe der freiwerdenden Energie iſt dann ebenſo groß, wie bei der Verbrennung der zerſetzten Stoffmenge, ſie iſt, kurz geſagt, gleich der Verbrennungswärme derſelben. Die fortwährende Aufnahme von Sauerſtoff iſt eine Grundbedingung für die Fort— dauer des Lebens. In reinem Waſſerſtoff hört Bewegung und Erregbarkeit des Proto— plasmas in pflanzlichen und tieriſchen Zellen auf, z. B. in den Haaren der mit den Schwertlilien verwandten Tradescantia oder in Amöben, wo ſonſt die Plasmaſtrömung leicht zu beobachten iſt. Fröſche, die bei niedriger Temperatur in reinem Stickſtoff ge— halten wurden, verloren allmählich ihre Reizbarkeit vollſtändig und bekamen ſie in der atmoſphäriſchen Luft wieder. Ja manche warmblütigen Tiere ſind gegen Sauerſtoffmangel ſo empfindlich, daß ſchon nach wenigen Sekunden der Tod eintritt, wenn ihnen der Sauerſtoff entzogen wird. Freier Sauerſtoff ſteht denn auch den Lebeweſen in der atmoſphäriſchen Luft und im Waſſer, das im Naturzuſtande ſtets Luft gelöſt enthält, immer in genügender Menge zur Verfügung. Bei der Allgemeinheit des Sauerſtoffbedürfniſſes der Lebeweſen mußte der Befund in allerhöchſtes Staunen ſetzen, daß es Organismen gibt, die zeitweilig oder dauernd ohne freien Sauerſtoff zu leben vermögen. Man nennt ſolche Anaèrobien, die Er— ſcheinung Anaèrobioſe. So können viele Pilze und Bakterien bei Abſchluß von Sauer— ſtoff leben und ſich vermehren, z. B. die Hefepilze in zuckerhaltigen Löſungen wie Trauben— Bedingungen des Lebens: Waſſer. 9 ſaft. Ja es gibt Bakterien, die bei Anweſenheit freien Sauerſtoffs überhaupt nicht leben können; er wirkt auf ſie wie Gift. Auch bei manchen im Darm ſchmarotzenden Würmern, z. B. den Spulwürmern (Ascaris) läuft der geſamte Lebensprozeß ohne Aufnahme von Sauerſtoff ab. Ihre Lebensenergie ſcheinen ſolche Weſen nur aus Spaltungsprozeſſen, ohne Oxydation der Spaltungsprodukte, zu gewinnen; bei den Spulwürmern geſchieht dies durch Zerſetzung von Glykogen, der ſogenannten tieriſchen Stärke, in Kohlenſäure und niedere Fettſäuren, beſonders Valerianſäure. Auch manche höheren Pflanzen und Tiere können wenigſtens für einige Zeit den freien Sauerſtoff entbehren und trotzdem unter Ausſcheidung von Kohlenſäure weiterleben. Hier werden alſo die Zerfallprodukte des Protoplasmas oxydiert; der dazu notwendige Sauerſtoff aber wird der organiſchen Subſtanz des Lebeweſens ſelbſt entzogen, was natürlich nur unter Zerſetzung derſelben möglich iſt. Dieſe Art der Sauerſtoffbeſchaffung oder Atmung wird als intra— molekulare Atmung bezeichnet. Auf die Dauer vermag natürlich dieſe das Leben nicht zu unterhalten. Unumgänglich notwendig für das Leben iſt ferner das Waſſer. Die Eiweißſtoffe des Protoplasmas ſind beim lebenden, funktionierenden Organismus ſtets im Waſſer gelöſt, jo daß das Protoplasma ſelbſt eine mehr oder weniger zähflüſſige Konſiſtenz hat und oft zu lebhaftem Fließen fähig iſt. Dieſer Waſſergehalt iſt notwendig, um die für den Stoffwechſel unentbehrlichen Saftſtrömungen zwiſchen den einzelnen Teilen des Proto— plasmas ſowie zwiſchen dieſem ſelbſt und der Außenwelt zu ermöglichen, und um manche beim Stoffwechſel entſtehenden chemiſchen Verbindungen zu löſen oder zu zerſetzen. Die Menge des Waſſers in den Lebeweſen überraſcht uns zunächſt: die holzigen Teile der Pflanzen beſtehen zur Hälfte aus Waſſer, ſaftige Kräuter zu drei Vierteln; manche Früchte enthalten 90 — 95%, viele Waſſerpflanzen, beſonders Algen, ſogar 95 — 98% Waſſer. Der Körper des Menſchen beſteht zu zwei Dritteln aus Waſſer, die ſo feſt er— ſcheinenden Muskeln, das Fleiſch der Säugetiere ſogar zu drei Vierteln; die Weichteile der Weinbergſchnecke enthalten im Durchſchnitt 85%, die der Auſter 80%, die der Herz— muſchel über 90%, Waſſer; die Quallen beſtehen zu 95— 98% aus Waſſer; ja bei manchen durchſichtigen Meerestieren, wie dem Venusgürtel (Cestus veneris Lsr.) und manchen Salpen, überſteigt der Waſſergehalt 99%, Die Waſſerentziehung führt daher meiſt ſehr bald den Tod der Lebeweſen herbei: Pflanzen welken bei anhaltender Dürre, ja in unſeren Breiten, wo die Luft nur ſelten ganz mit Waſſerdampf geſättigt iſt, vermögen nur ſolche Tiere dauernd an der freien Luft zu leben, die, wie die Inſekten und Spinnen, durch einen harten, undurchläſſigen Chitinpanzer, oder durch ausgiebige Verhornung der oberſten Hautſchichten, wie die höheren Wirbeltiere, vor Waſſerabgabe geſchützt ſind. Dagegen beſitzen manche Lebeweſen die Fähigkeit, einen größeren Waſſerverluſt zu überleben, aber nur unter zeitweiliger Einſtellung ihres Stoffwechſels: viele Lebermooſe, Flechten und Algen, die auf nacktem Felſen wachſen, können austrocknen ohne Schaden zu nehmen; die auf den mexikaniſchen Hochebenen wachſende Selaginella lepidophylla Spring. wird während des regenloſen Sommers jener Landſtriche für Monate völlig lufttrocken, um bei neuem Regen ihre Lebenstätigkeit wieder aufzunehmen. Unter den Tieren können die ſchon erwähnten Fadenwürmer, Rädertierchen und Bärtierchen völlig eintrocknen und in Scheintod verfallen, um erſt bei erneuter Anfeuchtung aufzuleben. Aber auch im Zuſtande völliger Lufttrockenheit iſt noch hygroſkopiſch gebundenes Waſſer vorhanden. Wird auch das entfernt, geſchieht z. B. bei Rädertieren die Austrocknung im völlig luft— 10 Bedingungen des Lebens: Nahrung i. e. S. leeren Raume über Schwefelſäure, ſo geht mit dieſem letzten, hygroſkopiſch gebundenen Waſſer auch die Fähigkeit der Wiederbelebung verloren: es tritt der Tod ein. Die übrigen von den Lebeweſen aufgenommenen Stoffe dienen zum Aufbau von Protoplasma und werden als Nahrung im engeren Sinne bezeichnet. Sie ſind ver— ſchieden je nach der Natur der Lebeweſen. Die grünen Pflanzen brauchen Kohlenſäure, die ſie aus der Luft aufnehmen, ſowie ſtickſtoffhaltige Verbindungen wie Abkömmlinge des Ammoniaks und Salze der Salpeterſäure und einige Mineralſtoffe, die ſie durch die Wurzeln zugleich mit dem Waſſer aus dem Boden ſaugen. Alle Tiere aber, und unter den Pflanzen die Moderpflanzen (Saprophyten) und die Schmarotzer (Paraſiten), nehmen organiſche Stoffe auf, alſo Verbindungen von 1 Zuſammenſetzung: Eiweißſtoffe, Stärke und Zucker, Fette u. dgl. Die Nährſtoffe werden gleicherweiſe zum Aufbau von Körperſubſtauz verbraucht, ſie werden aſſimiliert. Aber bei dem Aufbau dieſer hochzuſammengeſetzten Verbindungen aus einfacheren wird Energie verbraucht. Die organiſchen Stoffe, die den Tieren und einigen Pflanzen zur Nahrung dienen, enthalten ſchon große Mengen gebundener chemiſcher Energie; um aus ihnen vollends Protoplasma aufzubauen, iſt verhältnismäßig wenig Energie notwendig, und dieſe wird bei dem Stoffwechſel durch den Abbau anderer Verbindungen gewonnen. „Alle vom Tiere aufgewandte Energie wird ihm in letzter Linie in der Form der chemischen Energie ſeiner Nahrungsſtoffe zugeführt“ (Rob. Mayer). Dagegen ſind die Nährſtoffe der grünen Pflanzen ſehr einfach zuſam mengeſetzt; es ſind exothermiſche Stoffe, die wenig gebundene Energie enthalten. Aus ihnen werden im weiteren Verlauf die hochzuſammengeſetzten, endothermiſchen Stoffe gebildet wie Eiweiß— ſtoffe, Stärke, Zucker, Fette, Harze, organiſche Säuren u. dgl. m., die alle eine hohe chemiſche Energie beſitzen. Für die Aſſimilation ihrer Nährſtoffe braucht daher die grüne Pflanze einen weit größeren Betrag von Energie als das Tier. Um dieſen zu. liefern, würden die durch Diſſimilation in der Pflanze frei werdenden Energiemengen bei weitem nicht genügen. Hier muß Energie von außen zugeführt werden, und dieſe Energie iſt das Licht. In der grünen Pflanze geſchieht die Bildung der lebenden Sub— ſtanz und der Vorratsſtoffe, die hier Aſſimilation ſchlechthin genannt wird, auf Koſten der ſtrahlenden Energie, die von der Sonne ausgeht, unter Vermittlung der grünen Subſtanz der Pflanzen, des ſogenannten Blattgrüns oder Chlorophylls. In der Dunkel— heit hört dieſe Aſſimilation ganz auf, und ihr Betrag richtet ſich nach dem Maße der Beſtrahlung. Für die grüne Pflanze iſt alſo das Licht eine notwendige Lebensbedingung, ohne die ſie nicht beſtehen kann; in der Dunkelheit eines Kellers können die Pflanzen nicht wachſen und gehen ſchließlich zugrunde. Die Tiere und die von organiſchen Stoffen lebenden Pflanzen, denen das Blatt— grün meiſt vollkommen fehlt, ſind nicht ſo unmittelbar vom Licht abhängig. Vielen Tieren iſt zwar das Licht zu ihrem Gedeihen notwendig. Andere aber vermögen ganz ohne dasſelbe zu leben; man denke nur an die große Anzahl von Tierarten, die ſtändig in unterirdiſchen Höhlen leben, und an die Eingeweidewürmer. Ebenſo wachſen viele chlorophyllfreie Pflanzen in völliger Dunkelheit, z. B. zahlreiche Pilze. Aber die Tiere und dieſe Pflanzen können nicht ohne organische Nahrung leben. Der Aufbau organischer Subſtanzen aus anorganiſchen Stoffen geſchieht jedoch in der Natur nur durch die Tätigkeit der chlorophyllführenden Pflanzen, alſo unter Vermittlung des Sonnenlichts. Die chemiſche Energie, die in dieſen organiſchen Stoffen aufgehäuft liegt, iſt nichts anderes als umgewandeltes, aufgeſpeichertes Sonnenlicht. Daher iſt auch die durch den Bedingungen des Lebens: Licht, Wärme. 1140 Stoffwechſel der Tiere aus den Nahrungsſtoffen wieder frei werdende Energie nur eine Umwandlung der ſtrahlenden Energie der Sonne: die Arbeit, die der Vogel beim Flug leiſtet, die Wärme, die in unſerem Blut durch den Körper ſtrömt, die molekularen Be— wegungen in den Ganglienzellen des Hirnes, die den Gedanken des Dichters begleiten, ſie alle ſind in letzter Linie umgewandelte Sonnenenergie. Ohne die Sonne, die Tag für Tag unendliche Mengen von Energie auf die Erde herabſchickt, wäre das Leben hier unmöglich. Ja die Tätigkeit der Sonne hat noch weit mehr als den geſchilderten Anteil an der Verbreitung des Lebens auf der Erde. Das Waſſer, das ſeiner Schwere folgend überall nach den tiefſten Stellen zuſammenläuft, wird von der Sonne in Dampfform gehoben, bildet Wolken und fällt von dieſen aus als Regen oder Schnee wieder auf die Erdoberfläche nieder. Durch der Sonne Arbeit wird alſo das feſte Land bewohnbar, dem ſonſt mit dem Waſſer eine Grundbedingung für das Leben fehlen würde. Das Waſſer wiederum bewirkt die Zerſetzung der Ge— ſteine; es erſchließt damit die für das Pflanzenleben notwendigen Mineralbeſtandteile; es ſprengt durch ſeinen Anprall beim Herabfallen kleinſte Teilchen von der Oberfläche ab und löſt manche der Beſtandteile; es dringt in Spalten und Ritzen ein, erweitert dieſe, beſonders wenn es darin gefriert, und ſprengt ſo Felſen auseinander. Die Sonne iſt aber auch die Hauptquelle für eine weitere Bedingung des Lebens, für die Wärme. Zwar beſitzt die Erde in ihrem Innern noch Reſte der alten Eigen— wärme, und in den Vulkanen und heißen Quellen kommt von dieſer hie und da noch etwas an die Oberfläche. Das verſchwindet aber ganz gegenüber dem überwiegenden Be— trag von Wärme, die als ſtrahlende Energie von der Sonne zu uns herübergelangt. Wärme iſt für das Leben ſchon deshalb notwendig, weil bei niederer Temperatur das für den Organismus unentbehrliche Waſſer zu Eis erſtarrt iſt. Danach kann man, mit einem gewiſſen Vorbehalt, den Gefrierpunkt des Waſſers als die untere Grenztemperatur für das Leben anſetzen. Wenigſtens kann an Stellen, wo die Temperatur ſich nie über dieſen Punkt erhebt, ein an den Ort gebundenes Leben nicht beſtehen. Aber auch dort, wo nur zeitweilig die Temperatur unter den Gefrierpunkt ſinkt, hört während dieſer Zeit jede ſtärkere Außerung tieriſchen und pflanzlichen Lebens auf; die Pflanzen aſſimi— lieren und wachſen nicht, die Tiere ſtellen ihre Bewegungen ein und verharren in er— ſtarrtem Zuſtande, bis höhere Temperatur ſie wieder erweckt. Nur Tiere, bei denen der Stoffwechſel ſo lebhaft iſt, daß ſich ihre Innentemperatur bedeutend über die der Umgebung erhebt, die ſogenannten warmblütigen Tiere, ſind von der äußeren Tempe— ratur nicht in ſolchem Maße abhängig. Durch Eintreten von Temperaturen, die unter dem Gefrierpunkt des Waſſers liegen, können Pflanzen und Tiere getötet werden. Es iſt aber durchaus nicht die Erniedri— gung der Temperatur an ſich, die ihnen gefährlich wird. Meerwaſſer friert infolge ſeines Salzgehaltes erſt bei — 3°C. In den Polargegenden, wo die Temperatur im Meere nahe der Oberfläche oft auf ſo niederen Stand ſinkt, leben trotzdem Fiſche und andere Tiere in dieſem kalten Waſſer. Auch in unterkühltem Süßwaſſer, das ohne zu gefrieren bis auf — 4,5 C abgekühlt wurde, blieb ein Egel lebend. Wenn aber die Abkühlung des lebenden Körpers ſo weit geht, daß das Waſſer in den Geweben zu Eis erſtarrt, dann kriſtalliſieren die darin gelöſten Salze aus, und die gelöſten Gaſe werden in Form von Bläschen ausgeſchieden. Hierdurch wird wahrſcheinlich in dem Aufbau des Protoplasmas eine ſolche Zerſtörung hervorgerufen, daß damit ein Wiederbeginn der Lebenstätigkeiten nach dem Auftauen unmöglich gemacht wird. 12 Temperaturgrenzen. Die Verſchiedenheit der pflanzlichen und tieriſchen Säfte in ihrer Zuſammenſetzung und damit auch in ihrem Verhalten gegenüber niederen Temperaturen hat mancherlei Verſchiedenheiten im Verhalten der Pflanzen und Tiere bei Froſt zur Folge. Löſungen von Salzen und von Eiweißſtoffen gefrieren erſt bei Temperaturen mehr oder weniger tief unter 0“: ein Tropfen menſchlichen Blutes konnte erſt bei — 15° zum Hartgefrieren gebracht werden. Je höher der Gehalt einer Löſung ſteigt, um ſo mehr ſinkt ihr Ge— frierpunkt. Verſuche haben ferner gezeigt, daß in feinen Haarröhrchen das Waſſer erſt bei niedrigerer Temperatur erſtarrt als freies Waſſer: in einem Röhrchen von 0,9 mm Durchmeſſer gelang eine Unterkühlung auf — 4,5“, in einem ſolchen von 0,59 mm Durchmeſſer ſogar bis auf — 5,4“ C. Unter ähnlichen Bedingungen befinden ſich aber vielfach die Säfte im Körper der Pflanzen und Tiere: ſie ſind ſalzhaltige Eiweißlöſungen, die meiſt in engen Räumen eingeſchloſſen ſind. Daher gefrieren ſie erſt bei niedrigeren Temperaturen. Durch dieſe Tatſachen erklärt es ſich wahrſcheinlich, daß Fröſche, die in einem Eis— klumpen eingefroren ſind, bei vorſichtigem Auftauen wieder lebendig werden können — denn es iſt durchaus nicht ſicher, daß die Säfte in den Geweben des Froſches erſtarrt waren. Dagegen waren Fröſche nach ſechsſtündigem Verweilen im Eiſe bei — 6° C tot. Eingefrorene Fiſche ſterben noch ſchneller als Fröſche, wie ſich bei Verſuchen ge— zeigt hat. Beſonders genau ſind wir über den Einfluß niedriger Temperaturen auf Inſekten unterrichtet. Bei Abkühlung der Inſekten ſinkt zunächſt die Temperatur ihres Körpers beſtändig, bis dann bei einer Erniedrigung, die nach den Umſtänden und nach der Art des Inſekts verſchieden iſt, plötzlich die Temperatur um eine Anzahl Grade in die Höhe ſchnellt. Bei einem Baumweißling (Aporia crataegi L.) z. B. ſank die Körpertemperatur gleichmäßig bis — 9,2“, und ſprang dann auf — 1,4“ in die Höhe. Es zeigt ſich dann, daß die Inſekten, unabhängig von der Art des Auftauens, wieder aufleben, wenn bei weiterer Abkühlung die Körpertemperatur nicht wieder bis zu der Tiefe wie vor dem Temperaturſprung ſinkt. Erreicht ſie aber dieſen ſogenannten kritiſchen Punkt, oder überſchreitet ſie ihn, ſo kann das Inſekt nicht wieder ins Leben zurückkehren. Bei Nah— rungsmangel ſinkt der kritiſche Erſtarrungspunkt, da die Säfte dabei waſſerärmer, die Löſungen alſo konzentrierter werden — eine für die Überwinterung der Inſekten ſehr wichtige Tatſache, da ja dem Eintreten größerer Kälte meiſt ein längeres Faſten vorausgeht. Je geringer der Waſſergehalt eines Lebeweſens iſt, um ſo leichter hält es im all— gemeinen die Einwirkung niederer Temperaturen aus. Die ſaftigſten Pflanzen erfrieren am leichteſten. Küchenſchaben ſterben bei 5° 0, Puppen des Kohlweißlings lebten weiter nach einer Abkühlung auf — 16“; ja die waſſerarmen Inſekteneier ſind noch weit widerſtandsfähiger: die Eier des Brombeerſpinners (Gastropacha rubi L.) können 5 Stunden lang ohne Schaden einer Temperatur von — 39°, ja ſogar von — 50° C ausgeſetzt werden. Ganz erſtaunlich iſt die Widerſtandsfähigkeit niederſter Organismen: manche Bazillen halten ohne Schädigung eine Kälte von — 87“ aus; Milzbrandſporen widerſtehen einer Temperaturerniedrigung auf — 130“ zwanzig Stunden lang, einer ſolchen auf — 70“ 108 Stunden lang und leben nach dem Auftauen ungeſchwächt weiter. Sobald aber die Temperatur über den Gefrierpunkt des Waſſers ſteigt, regt ſich in Pflanzen und Tieren das Leben und wird mit zunehmender Wärme kräftiger. In den gemäßigten Breiten wird dieſer belebende Einfluß ſteigender Temperatur alljährlich beim Beginn des Frühjahrs mit ſolcher Deutlichkeit beobachtet, daß es keines weiteren Wortes 3 Temperaturgrenzen. „Alles Lebendige ſtammt von Lebendigem.“ 13 0 8 9 über die Wichtigkeit einer höheren Temperatur für das organiſche Leben bedarf. Die Intenſität der Lebensäußerungen wird bei allen Pflanzen und den ſogenannten kalt— blütigen Tieren unmittelbar von der Wärme der Umgebung bedingt; ſie beziehen aus dieſer Quelle einen Teil der zu den Lebensäußerungen notwendigen Energie. Nur die „warmblütigen“ Tiere, die Vögel und Säuger, ſind auf dieſe Energiequelle nicht unbe— dingt angewieſen; ſie können alle Energie ihrer Nahrung entnehmen. Nur ſie haben daher ein eigentlich ununterbrochenes oder unabhängiges Leben, im Gegenſatz zu dem ſchwankenden, „oszillierenden“, bei Wärme erwachenden, bei Wärmemangel erſtarrenden Leben jener. Aber auch hier gibt es eine Grenze, bis zu der die Wärmezunahme zuträglich iſt, eine ſchärfere Grenze als bei den niederen Temperaturen. Wenn nämlich die Wärme eine gewiſſe Höhe überſchreitet, tritt in dem gelöſten Eiweiß eine Veränderung ein, die als Gerinnung, Koagulation bezeichnet wird. Dadurch wird es unfähig zu den Reak— tionen, die der Stoffwechſel beanſprucht. Bei Temperaturen zwiſchen + 50“ und 70° C gerinnen die verſchiedenen Eiweißarten. Wenn daher ſolche Temperaturen im Innern der Lebeweſen auftreten, iſt ihre Lebensfähigkeit vernichtet. So werden Inſekten bei 39° unruhig und ſterben, wenn ihre Temperatur 46—47“ C erreicht; auch Inſekten— puppen können eine höhere Wärme nicht vertragen. Fröſche ſterben bei 40“, Säuger bei 42— 43, Vögel bei 48 — 50% Innentemperatur. Ebenſo gehen die meiſten ſaftigen Pflanzen ſchon nach 30 Minuten bei einer Wärme von 52“ in der Luft oder 46“ im Waſſer zugrunde. Niedere Algen aber leben in den Fumarolen von Caſamicciola noch bei 64,7 C, und andere Waſſerpflanzen in warmen Quellen von 53°C. Im Zuſtande des Scheintodes dagegen, wenn die Eiweißſtoffe nicht in gelöſtem Zuſtande ſind, vermag das Protoplasma auch höhere Temperaturen zu überleben: trockene Haferkörner ſollen ſelbſt nach längerem Verweilen in Luft von 120° noch keimfähig bleiben, und auch Bakterienſporen halten eine hohe trockene Wärme aus, ohne ihre Lebensfähigkeit ein— zubüßen. So ſind alſo für die Erhaltung des Lebens Nährſtoffe, Sonnenlicht und Sonnen— wärme durchaus notwendige Bedingungen. Aber niemand hat je Leben aus unbelebten Stoffen entſtehen ſehen, auch wenn alle dieſe Bedingungen erfüllt waren. Es ſind nur die Bedingungen für die Fortdauer des Lebens; die vorherige Exiſtenz des Lebens iſt dabei vorausgeſetzt. Alles Lebendige ſtammt von Lebendigem; dieſer Satz iſt durch un— anfechtbare, kritiſch geſichtete Erfahrungen bisher nicht erſchüttert worden. Zwar iſt die Entſtehung lebender Weſen aus toter organiſcher Subſtanz durch elternloſe Zeugung oder „Urzeugung“ vielfach behauptet worden. Je mehr ſich aber die Kenntniſſe von der Fortpflanzung der Lebeweſen erweiterten, um ſo mehr wurde die An— nahme einer Urzeugung eingeſchränkt. Ariſtoteles ließ Aale und Auſtern aus Schlamm entſtehen, manche Inſekten aus Blütentau, andere, die im Holz bohren, aus Holz, die Eingeweidewürmer aus dem Darminhalt. Weit über das Mittelalter hinaus wurden ſeine Lehren nachgebetet. Die erſte Breſche in dieſe Irrtümer legte Rediz durch ſorg— fältige Verſuche erbrachte er 1668 den Nachweis, daß die „Fleiſchwürmer“ nicht aus fauligem Fleiſch entſtehen, ſondern aus den Eiern ebenſolcher Fliegen, wie ſie ſich ſpäter aus ihnen entwickeln. Réaumurs (1683 — 1757) Beobachtungen vervollſtändigten die Kenntniſſe von der Entwicklung der Inſekten, und der Abt Spallanzani bewies 1765 bis 1776 gegenüber den Behauptungen Needhams und Buffons, daß die Wider— ſtandsfähigkeit getrockneter Keime von niederſten Lebeweſen dieſe Unterſucher bei ihrer 14 Urzeugung. Behauptung einer ſpontanen Entſtehung des Lebens irregeführt hatte. Immerhin wurde wenigſtens für die Eingeweidewürmer und die mikroſkopiſch kleinen pflanzlichen und tieriſchen Organismen noch über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus von vielen an der Urzeugung feſtgehalten. Für die Eingeweidewürmer wurde dann in mühevollen Unterſuchungen zahlreicher Gelehrter der Weg der Infektion ihrer Wirte feſtgeſtellt, und ſchließlich machten in den ſechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Paſteurs Unter— ſuchungen und ſeine vor einer Kommiſſion der Pariſer Akademie vorgeführten Verſuche für die wiſſenſchaftliche Welt auch der Annahme einer Urzeugung der mikroſkopiſchen Lebeweſen ein Ende: er zeigte, daß bei gründlicher Abtötung und Fernhaltung der Keime in organiſchen Löſungen ſich keine Lebeweſen bilden. Aber damit, daß eine Urzeugung nicht beobachtet wurde, daß in unſeren Retorten und Gläſern, in der Fleiſchbrühe und den Heuabgüſſen keine Lebeweſen neu entſtanden ſind, iſt durchaus nicht bewieſen, daß die Entſtehung organiſierten Protoplasmas aus unorganiſchen Stoffen, unabhängig von ſchon vorhandenem Leben, unmöglich ſei. Die Natur arbeitet anders als der Menſch im Laboratorium, und ſelbſt da, wo es ihm ge— lingt, zu dem gleichen Endergebnis zu gelangen, ſind die Wege doch ganz verſchiedene. Aus Leimzucker oder Glykokoll, einem häufigen Zerſetzungsprodukt der Eiweißſtoffe, und einer organiſchen Säure, der Benzoefäure, kann durch Erhitzen im zugeſchmolzenen Rohr die Hippurſäure, ein Beſtandteil des Wiederkäuerharns, künſtlich dargeſtellt werden; leitet man aber Glykokoll und Benzoöſäure durch die überlebende Niere eines Hundes, jo voll— zieht ſich ihre Vereinigung zu Hippurſäure bei Körpertemperatur. Unſere gelungenen Verſuche ſagen uns alſo häufig gar nichts über die Wege, die die Natur einſchlägt, und unſere fehlgeſchlagenen Verſuche erlauben keinen Schluß auf die Wege, die der Natur offen ſtehen. So liegen denn auch beſtimmte Gründe vor, die uns der Annahme einer Urzeugung lebender Weſen, zwar nicht aus organiſchen, wohl aber aus unorganiſchen Stoffen, geneigt machen. Bei Temperaturen über 70° iſt ein Leben undenkbar, das dem jetzigen Leben auf der Erde entſpricht; denn die Hauptbeſtandteile der lebenden Subſtanz, die Eiweiß— ſtoffe, ſind bei einer ſolchen Temperatur koaguliert und unfähig, die für den Stoffwechſel erforderlichen Umſetzungen einzugehen. Nun iſt es höchſt wahrſcheinlich, daß die Erde in weit zurückgelegenen Zeiten andere Temperaturverhältniſſe beſaß, daß ſie und ebenſo die andern Planeten ein weißglühender Ball war, wie es die Sonne jetzt noch iſt, und daß ſie erſt allmählich ſich mehr und mehr abkühlte durch Abgabe von Wärme in den Weltenraum. Dabei eilten die Rindenſchichten dem Erdinneren voraus. Die größere Wärme, die im Inneren der Erde herrſcht, die ſich durch Steigen der Temperatur in Bergwerken und Bohrlöchern bei zunehmender Tiefe bemerkbar macht, die in Vulkanen, Fumarolen und warmen Quellen noch zur Oberfläche gelangt, iſt demnach nur ein Reſt der einſtigen größeren Hitze. Unter ſolchen Verhältniſſen aber, bei Feuerflüſſigkeit, ja ſelbſt bei Rotglut und noch lange ſpäter, als die Erde ſchon längſt eine ſtarre Rinde hatte, konnte kein Leben wie das jetzige auf der Erdoberfläche beſtehen. Lebende Subſtanz muß daher in der Geſchichte der Erde einmal zuerſt aufgetreten ſein. Man nimmt daher meiſt an, daß ſie auf der Erde aus lebloſem Stoff durch Urzeugung entſtanden ſei. Die Hypotheſe, daß das Leben von anderen Geſtirnen durch Meteore auf die Erde gelangt ſei, etwa in Geſtalt von Keimen in ſcheintotem Zuſtand, ſchiebt die Annahme einer Urzeugung nur um ein Glied weiter hinaus, macht ſie aber nicht unnötig. Ob freilich die Urzeugung auch jetzt noch vor ſich geht, oder ob ſie an Bedingungen geknüpft Urzeugung. Lebenskraft. 15 iſt, die jetzt auf der Erde nicht mehr vorhanden find, darauf gibt es keine ſichere Ant— wort. Jedenfalls aber dürfen wir mit E. Du Bois-Reymond ſagen: „Das erſte Er— ſcheinen lebender Weſen auf der Erde iſt nur ein überaus ſchwieriges mechaniſches Problem.“ Wenn alſo doch eine Urzeugung angenommen werden darf, ſo iſt dieſe Annahme jedenfalls ſo zu beſchränken, daß alle Lebeweſen, die wir kennen, ſchon einen viel zu ver— wickelten Bau haben, als daß wir ihre Entſtehung durch Zuſammentreten unorganiſcher Stoffe annehmen könnten: die Amöben, hüllenloſe Schleimklümpchen, zeigen ſchon eine Arbeitsteilung zwiſchen Protoplasma und Kern, die eine lange Geſchichte vorausſetzt; die Bakterien beſtehen ſchon aus verſchiedenen Subſtanzen, beſitzen eine äußere Hülle, haben eine komplizierte Fortpflanzungsweiſe — auch ſie ſind keine urſprünglichen Lebeweſen. Wir kennen überhaupt kein Lebeweſen, das nach ſeinen Eigenſchaften einem hypothe— tiſchen Urſchleim ähnlich fein könnte. Es mögen vielleicht ſolche beſtehen; aber ſie haben ſich dann bisher, vielleicht durch zu geringe Größe, der Beobachtung entzogen. Somit würde eine nähere Ausführung der Urzeugungshypotheſe auf allzu ſchwanken Füßen ſtehen, zu ſehr ein Produkt der Phantaſie ſein; wir müſſen hier darauf verzichten. Die Annahme einer Urzeugung aber bleibt nichtsdeſtoweniger ein Poſtulat unſeres naturwiſſenſchaftlichen Denkens. 3. Vom Ueſen des Lebens. Die mannigfachen Unterſchiede der belebten Weſen gegenüber den unbelebten Natur— körpern haben nie verfehlt, auf den denkenden Naturbeobachter einen tiefen Eindruck zu machen. Es tut ſich vor ſeinen Augen eine tiefe Kluft zwiſchen Leben und Unbelebtem auf: die Stoffe, an die das Leben gebunden iſt und die beim Leben entſtehen, erſcheinen auf dieſes beſchränkt; die Vorgänge in den Organismen verlaufen, im Gegenſatz zu denen in der unbelebten Natur, gleichſam nach „den Geſetzen eines vernünftigen Plans mit Zweckmäßigkeit“; in ihrem Aufbau ſind die Teile dem Zwecke des Ganzen unter— geordnet. Alles treibt dazu an, nach einer Erklärung für dieſe beſonderen Eigenſchaften der Lebeweſen zu ſuchen. Solche Überlegungen führten bei den Naturforſchern des 18. Jahrhunderts zu der Annahme einer beſonderen, in den Lebeweſen wirkenden Kraft, die von den Kräften der unorganiſchen Natur verſchieden ſei, der Lebenskraft. Die Lebenskraft wurde von verſchiedenen Denkern und zu verſchiedenen Zeiten nicht gleich aufgefaßt. Der eine ſah in ihr ein der Seele verwandtes Weſen, das neben dieſer im Körper hauſe; ein anderer ſetzte ſie der bewußten Seele ſelbſt gleich. In dem ſo— genannten Nervenprinzip glaubten manche die Lebenskraft näher beſtimmt zu haben, andere in der tieriſchen Wärme. Während die meiſten eine Kraft in ihr ſahen, die den Organismus beherrſche, vermuteten einige darin eine unwägbare Materie, die alle Teile der lebenden Körper durchdringe. Als Beiſpiel möge die geläuterte Auffaſſung von der Lebenskraft, der wir bei dem großen Phyſiologen Johannes Müller begegnen, hier etwas näher dargelegt werden. Die Lebenskraft oder organiſche Kraft iſt für ihn eine zweckmäßig, aber nach blinder Notwendigkeit bewußtlos ſich äußernde Schöpfungs— kraft, die nicht mit den allgemeinen Naturkräften, wie Wärme, Licht, Elektrizität, iden- tiſch iſt. Sie bewirkt die Zuſammenſetzung der organiſchen Subſtanz, indem ſie die Materie zweckmäßig verändert. Bei der Fortpflanzung multipliziert ſich die organiſche Kraft in der Keimbildung und geht ſo auf die Nachkommen über; ſie „ergießt ſich gleich— ſam in einem Strom von den produzierenden Teilen aus in immer neu produzierte“. Bei der Entwicklung des Keimes bewirkt die organiſche Kraft die Formbildung und ſchafft 16 Vitalismus und Mechanismus. die Harmonie der zum Ganzen notwendigen Teile. Dagegen ſcheint bei dem Sterben der organiſchen Körper die organiſche Kraft zugrunde zu gehen. Gerade dieſes Vergehen der organiſchen Kraft und deren Multiplikation bei der Fortpflanzung macht dem Forſcher große Schwierigkeiten: er ſucht ſich mit der Annahme zu helfen, daß bei der Ernährung fortwährend organiſche Kraft regeneriert werde, und daß ſie ſich beim Tode in ihre all— gemeineren natürlichen Urſachen auflöſe. So iſt die organiſche Kraft die „Endurſache des organiſchen Weſens“. „Organiſches Weſen, Organismus iſt die faktiſche Einheit von organiſcher Schöpfungskraft und organiſcher Materie.“ Dieſe Einführung einer beſonderen „vitalen“ Kraft in die Erklärung der Lebens— erſcheinungen heißt Vitalismus. Nachdem ſchon von einigen Forſchern, wie Vieg d' Azyr und Keil, theoretiſche Einwendungen gegen dieſe Lehre erhoben waren, erhielt ſie einen kräftigen Stoß, als es im Jahre 1828 Wöhler zum erſten Male gelang, einen organiſchen Stoff, den Harnſtoff, aus anorganiſchen Beſtandteilen aufzubauen. Da— mit war der Lebenskraft eines ihrer Wirkungsgebiete entzogen, und die Möglichkeit, manche mit dem Leben verknüpfte Vorgänge nach den in der anorganiſchen Natur wal— tenden Geſetzen zu erklären, wurde näher gerückt. Waren doch die chemiſchen Grundſtoffe, die ſich in der lebenden Subſtanz und ihren Umſetzungsprodukten fanden, die gleichen wie in den anorganiſchen Stoffen, und es lag kein Grund vor, daß ſie in den Lebe— weſen ihre Eigenſchaften veränderten. Dazu kam die Entdeckung des Geſetzes von der Erhaltung der Energie durch den Heilbronner Arzt Robert Mayer, das ja gerade an lebenden Weſen zuerſt erkannt und nachgewieſen wurde. Die Schwierigkeiten, die z. B. Joh. Müller in dem Vergehen der Lebenskraft beim Tode, in ihrer Multiplikation bei der Fortpflanzung gefunden hatte, wurden hiermit zu Unmöglichkeiten. Die weiteren ſchnellen Erfolge der phyſiologiſchen Forſchung hatten eine hoffnungsfrohe, ſchaffens— freudige Naturbetrachtung zur Folge, und die Meinung, daß ſich die Lebenserſcheinungen in eine Anzahl phyſikaliſch-chemiſcher Prozeſſe auflöſen laſſen, wurde von den meiſten als eine unantaſtbare Gewißheit aufgenommen. Die Lehre von der Lebenskraft verlor ihre Anhänger: an die Stelle des Vitalismus trat der Mechanismus mit der Be— hauptung, daß ſich die Lebenserſcheinungen vollſtändig auf die Geſchehensweiſen der an— organiſchen Natur zurückführen laſſen. Daß die Lebensvorgänge nichts anderes als ſehr kompliziertes phyſikaliſch-chemi— ſches Geſchehen ſind und nach denſelben Geſetzen verlaufen wie die Vorgänge in der anorganiſchen Natur, dürfte jetzt von den meiſten Forſchern zugeſtanden ſein. Bewieſen aber iſt es keineswegs; denn der Beweis iſt nur zu erbringen durch wirkliche und voll— ſtändige Ausführung einer kauſalen Erklärung der Lebenserſcheinungen auf Grund der Ge— ſetze der anorganiſchen Natur. Aber wenn auch im Verhältnis zur Größe dieſer Auf— gabe noch überaus wenig geleiſtet iſt, ſo brauchen wir doch nicht daran zu zweifeln, daß es gelingen wird, die Lebenserſcheinungen in dieſer Weiſe zu begreifen. Wir finden uns in derſelben Lage wie einem Zauberkünſtler gegenüber: wir ſind überzeugt, daß alles „natürlich“ geſchieht, ohne im einzelnen zu wiſſen wie. In ihrem innerſten Weſen er— faßbar iſt auch die anorganiſche Natur nicht, „weder Materie, noch Kraft, noch erſte Bewegung“. Damit iſt aber das Rätſel des Lebens noch nicht erſchöpft. Die chemiſchen Stoffe befinden ſich im Protoplasma in einer beſtimmten Lage zueinander, ſo daß ſie ſich gegen— ſeitig beeinflußen können. Nicht jede Zuſammenlagerung der wirkenden Stoffe hat Leben zur Folge: aus der endloſen Zahl möglicher Strukturen werden nur wenige derart ſein, Vitalismus und Mechanismus. 7 daß das Zuſammenwirken der Stoffe in ihren Beziehungen zueinander und zur Außen: welt das zur Folge hat, was wir Lebenserſcheinungen nennen. Nur ſolche beſtimmten Anordnungen ſind lebensfähig. Und ebenſo wie das Protoplasma ſeine Lebensfähigkeit den gegenſeitigen Beziehungen ſeiner Teile verdankt, ſo ſind auch in den zuſammengeſetzten Organismen die einzelnen, aus Protoplasma beſtehenden oder von ihm gebildeten Ab— ſchnitte, die Organe, in harmoniſcher Weiſe angeordnet, derart, daß ihre Leiſtungen nach Art und Stärke zu einheitlichen Erfolgen zuſammenwirken. Zugleich aber iſt der Orga— nismus mit ſeinen Teilen ſo eingerichtet, daß die durch äußere Reize an ihnen hervor— gerufenen Lebenstätigkeiten der Erhaltung des Ganzen dienen. Man hat die Organismen häufig mit Maſchinen verglichen, und wenn dieſer Ver— gleich nicht in allen Beziehungen zutrifft, ſo ſind der Vergleichspunkte doch viele. Die Teile einer Maſchine ſind ſo angeordnet, daß ſie harmoniſch zuſammenwirken zu einem beſtimmten Zweck, den der Menſch beim Bau dieſer Maſchine gerade im Auge hat: ſie ſind zweckmäßig eingerichtet. So hat man den Organismus ebenfalls zweckmäßig genannt: doch kann man von einem Zweck des Organismus nicht im gewöhnlichen Sinne dieſes Wortes reden; höchſtens könnte man ſagen, der Organismus iſt Selbſtzweck. Die Ein— richtungen eines Lebeweſens haben die Wirkung, daß es lebt, daß es ſich erhält und fort— pflanzt: ſie ſind erhaltungsgemäß. Die Vorgänge beim Arbeiten der Maſchine nun be— ruhen alle auf phyſikaliſch-chemiſchen Erſcheinungen: jo wird z. B. die chemiſche Energie, die in der Kohle liegt, bei der Verbrennung als Wärme frei; die Wärme bewirkt die Ausdehnung des Waſſers beim Übergang in die Dampfform und ſetzt ſich ſo in Be— wegung um, und dieſe Bewegung wird durch Anbringung von Hebeln verſchiedener An— ordnung in der dem Zweck entſprechenden Weiſe modifiziert. Dieſe Vorgänge ſind alſo auf phyſikaliſch-chemiſche Geſetzmäßigkeiten zurückführbar, d. h. fie find uns begreiflich. Aber der Bau der Maſchine iſt dabei als gegeben vorausgeſetzt. Sie iſt nicht einfach auf mechaniſche Weiſe geworden, ſondern der grübelnde Verſtand des Menſchen hat ſie erdacht und zweckmäßig geſtaltet; er hat die Bauverhältniſſe und die Zuſammenordnung der Teile hergeſtellt, in und an denen das phyſikaliſch-chemiſche Geſchehen abläuft. So können wir annehmen, daß auch die Vorgänge in den Lebeweſen ſich alle einmal auf phyſikaliſch-chemiſche Geſetzmäßigkeiten werden zurückführen laſſen; aber die Zuſammen— ordnung der Teile wird damit noch nicht erklärt. Das phyſiologiſche Geſchehen mag Mechanismus ſein, aber „Mechanismus auf der Baſis der gegebenen Struktur“. Wie nun die Zweckmäßigkeit der Maſchine der menſchlichen Intelligenz ihre Ent— ſtehung verdankt, ſollte nicht auch die erhaltungsgemäße Einrichtung der lebenden Sub— ſtanz und der Organismen durch ein beſonderes, außerhalb der phyſikaliſch-chemiſchen Kauſalität gelegenes Prinzip bedingt ſein? Oder ſollte die Erhaltungsgemäßheit oder, wie meiſt geſagt wird, die Zweckmäßigkeit, die wir im Bau der Organismen und damit auch in ihren Reaktionen überall beobachten, eine andere Erklärung zulaſſen? Aber „ſolange es möglich iſt, durch die überall geltenden Geſetze der Natur eine Erſcheinung zu erklären, ſolange iſt es methodiſch verboten, zu neuen tranſzendentalen Geſetzen ſeine Zuflucht zu nehmen“ (Lotze). Die Aufgabe iſt zu verlockend, auch nach einer einfach kauſalen Erklärung für die Erhaltungsgemäßheit im Bau der Lebe— weſen zu ſuchen. Bütſchli hat unſere Hauptfrage ſo gefaßt: „Iſt es zuläſſig, das Entſtehen des eigentümlichen Bedingungskomplexes, von dem die Lebenserſcheinungen abhängen, ſowie deſſen Fortſchreiten zu höherer Ausbildung als ein im Laufe der . (oder Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 2 18 Die Zelle. Weltentwicklung) zufällig eingetretenes zu beurteilen oder nicht?“ Die Antwort lautet verſchieden: die Mechaniſten antworten mit ja, die Vitaliſten, oder ſagen wir Neo-Vita— liſten, verneinen es. Aber es ſind zwei metaphyſiſche Glaubensbekenntniſſe, die ſich da gegenüberſtehen. Beweiſen kann keine von beiden Seiten die Sätze, die ſie verteidigt. Man kann faſt ſagen, es ſei Temperamentsſache, ob man ſich hoffnungsfreudig für das glatte, reſtloſe Aufgehen des Exempels der Lebenserklärung entſcheidet, oder ob man un— gläubig meint, daß ein unlösbarer Reſt übrigbleibt. Darwin hat den großartigen Verſuch gemacht, in ſeiner Theorie vom Überleben des Paſſendſten im Kampfe ums Daſein die Erhaltungsgemäßheit der Lebeweſen mecha— niſch zu erklären. Die Beſprechung dieſer Theorie wird auf das Ende des Werkes ver— ſchoben, da dann erſt das Tatſachenmaterial für die Begründung ganz ausgenutzt werden kann. Daß mit Darwins Theorie jene Erklärung wirklich geliefert iſt, wird von den Vitaliſten beſtritten. Wir jedoch ſtehen auf dem gegenteiligen Standpunkte, daß ſie das Beſtehenbleiben des einmal entſtandenen Erhaltungsgemäßen und das Zugrundegehen des Lebenswidrigen begreiflich macht und uns damit die Erklärung für die „Zweckmäßigkeit“ der Lebeweſen liefert. Ja ſie gibt uns die Erklärung dafür, daß die Erhaltungsgemäß— heit nur eine relative iſt, daß ſie für einen gegebenen Bedingungskomplex gilt, aber bei Anderung dieſer Bedingungen oft einer entſprechenden Anderung nicht fähig iſt. Die Annahme mancher Vitaliſten aber, daß mit der lebenden Subſtanz ein Zweckmäßigkeits— geſchehen notwendig verknüpft ſei, bietet keine Erklärung der zahlreichen Zweckwidrigkeiten, die uns bei den Lebeweſen begegnen, und ſetzt ſich in offenbaren Widerſtreit mit der Tatſache, daß eine Unmenge Arten von Lebeweſen, wie die Ammoniten, viele Stachel— häuter, ganze Familien von Sauriern, ſich den veränderten Bedingungen nicht anpaſſen konnten, ſondern ausgeſtorben ſind, ohne veränderte beſſer angepaßte Nachkommen zu hinterlaſſen. B. Das Protoplasma und ſeine elementare Erſcheinungs form. Am Körper der meiſten, inſonderheit ſämtlicher größeren Lebeweſen, ſeien es Pflanzen oder Tiere, läßt ſich eine Zuſammenſetzung aus zahlreichen Einzelbeſtandteilen von win— ziger Größe nachweiſen, die, miteinander verbunden, den Körper aufbauen wie die Bau— ſteine ein Haus. Man nennt ſie Zellen. Wo ſich, wie bei vielen kleinen Organismen, eine ſolche Zuſammenſetzung nicht nachweiſen läßt, ſtellt das ganze Lebeweſen nur eine einzige Zelle vor: ſolche einzellige Weſen werden Protiſten genannt. Die Zelle iſt alſo die Einheit, in der das Protoplasma überall erſcheint: ſie iſt der Elementarorganismus. Wo es ſich um Unterſuchungen über die Beſchaffenheit des Protoplasmas handelt, bilden alſo ſtets Zellen die gegebene Grundlage. Eine Zelle hat ganz beſtimmte Eigentümlichkeiten, die ſtets wiederkehren. Sie iſt ein Klümpchen Protoplasma, in dem ein beſtimmt abgegrenzter Teil, der Kern, durch beſondere phyſikaliſche und chemiſche Eigenſchaften ausgezeichnet iſt. Es kommt vor, daß mehrere, ja ſogar zahlreiche Kerne in einer zuſammenhängenden Maſſe von Protoplasma liegen: ſolch eine Bildung, gleichſam eine vielkernige Zelle oder eine Anzahl ohne Grenzen ineinanderfließender Zellen, wird als Syncytium unterſchieden. Im übrigen ſind die einzelnen Zellarten überaus verſchieden voneinander; dieſe Unterſchiede aber können zu— nächſt hier vernachläſſigt werden. Protoplasma. 19 1. Das Protoplasma. Das Protoplasma umfaßt in der Zelle alle die Stoffe, auf denen das Zuſtande— kommen der charakteriſtiſchen Lebenserſcheinungen unmittelbar beruht, alſo zunächſt die Maſſe des Zellkörpers, aber mit Ausſchluß der darein eintretenden Stoffwechſelmate— rialien und darin gebildeten Stoffwechſelprodukte. Außerdem bildet das Protoplasma die Grundmaſſe des Zellkerns und einer Anzahl lebender Zellteile, wie des Zentral körpers, der Chloroplaſten in Pflanzenzellen, der Muskel- und Nervenfibrillen. Im Protoplasma ſind alle Eigentümlichkeiten des Lebens enthalten, und die völlige Kenntnis ſeiner Eigenſchaften würde uns die chemiſch-phyſikaliſche Erklärung für den Ablauf der Lebenserſcheinungen liefern. Aber wir ſind von einem ſolchen Punkte noch weit entfernt, und die wenigen Tatſachen, die bisher mit Sicherheit ermittelt ſind, werden von den Abb. 2. Alveolärer Bau des Protoplasmas. 4A Basidiobolus lacertae Eidam, B Bacillus bütschlii Schaud., C Makrogamete von Adelea mesnili Pér., D Epidermiszelle vom Regenwurm, E Ei eines Seeigels (Toxopneustes). 1 Kern, 2 Kernkörperchen. Anach Löwenthal, 5 nach Schaudinn, (nach Pérez, “ nach Bütſchli, 2 nach Wiljon. einzelnen Forſchern in ſo verſchiedener Weiſe gedeutet und zu einem einheitlichen Bilde zu verarbeiten geſucht, daß wir einem Gewirr von Auffaſſungen und Hypotheſen gegen— überſtehen. Als Grundlage für die Erforſchung der lebenden Subſtanz dient im allgemeinen das Protoplasma des Zellkörpers. Schon die Unterſuchung einer Zelle mit verhältnis— mäßig ſchwachen Vergrößerungen zeigt, daß das Protoplasma keineswegs ein einheit— licher, homogener Stoff iſt. Vielmehr erkennt man darin verſchiedenerlei Subſtanzen, die ſich unter dem Bilde von Fädchen und Körnchen durch verſchiedene Durchſichtigkeit und Lichtbrechung gegeneinander abheben. Bei ſehr ſtarker Vergrößerung erſcheint die ganze Maſſe durchzogen von einem Netzwerk, deſſen Maſchen auf hellerem Grunde dunkler erſcheinen. In dem Maſchenwerk, beſonders in den Knotenpunkten desſelben, finden ſich körnige Einlagerungen in größerer oder geringerer Menge (Abb. 2). Über die Deutung dieſes Maſchenwerkes ſtehen ſich zwei Anſichten ſcharf gegenüber. Was wir im Mikroſkop ſehen, iſt jedesmal nur das Bild einer Ebene, nicht ein körper— liches Bild. Es kann ſowohl von einem Gerüſtwerk verbundener feſter Bälkchen hervor— 0 * 20 Aggregatzuſtand des Protoplasmas. gebracht ſein, als auch von dem Wabenwerk einer ſchaumigen Maſſe. Im erſteren Falle wären die einzelnen Linien des mikroſkopiſchen Bildes je einem Bällchen gleich zu ſetzen, im letzteren wären ſie das Durchſchnittsbild einer Wabenwand. Ob man ſich für die eine oder die andere Auffaſſung zu entſcheiden habe, das hängt von weiteren Erwägungen ab, von denen die ausſchlaggebenden ſich auf den Aggregat— zuſtand des Protoplasmas gründen. Bei vielen Zellen iſt die Subſtanz augen— ſcheinlich flüſſig. Der große Waſſergehalt des Protoplasmas, der bis zu 75% beträgt, würde ſich ja auch mit dem Vorhandenſein eines feſten Gerüſtes vertragen, zwiſchen deſſen Balken ſich eine waſſerreiche flüſſige Maſſe befände. Für die Flüſſigkeit der Ge— ſamtſubſtanz aber ſprechen vor allem die Strömungserſcheinungen, die ſo häufig am Protoplasma zu beobachten ſind. Viele nackte Zellen und Syneytien, ſo die merkwürdige Lohblüte (Aethalium), ein Schleimpilz, oder die Amöben, oder die amö— boiden weißen Blutkörperchen vieler Tiere können unter fortwährendem regelloſen Geſtaltenwechſel in fließender Bewegung ihren Platz verändern. In anderen Zellen, bei denen durch feſte Wandungen ein Formwechſel ausgeſchloſſen iſt, zeigen ſich kreiſende Strömungen des Zellinhalts. Die Plasmaſtröme können zuweilen in entgegengeſetzter Richtung aneinander vorbeifließen, getrennt durch eine Schicht ruhenden Protoplasmas, oder ſie fließen rotierend in gleicher Richtung, wobei die Reibung an der Zell— wand die Bewegung verlangſamt. Klaſſiſche Beiſpiele für dieſe Er— ſcheinungen ſind die Haare der Staubfäden von Tradescantia, die Wurzel— zellen der Armleuchtergewächſe (Chara), oder manche einzelligen Tiere wie das Wimperinfuſor Paramaecium bursaria Ehrbg. (Abb. 3). Die Flüſſigkeit der Zellſubſtanz zeigt ſich auch darin, daß die von einer Zelle, etwa von einer Amöbe oder einem Rhizopoden, losgetrennten Proto— b plasmamaſſen ſich abkugeln, alſo Tropfenform annehmen, wie Flüſſigkeiten. Abb. 3. Richtung Ebenſo haben Tropfen von zweifellos flüſſiger Beſchaffenheit, die als e Flüſſigkeitsvakuolen dem Zellprotoplasma eingelagert ſind, ſtets Kugel— toffeltierchen geſtalt, wie ſie Flüſſigkeitstropfen in einer Flüſſigkeit, nicht aber innerhalb bon der Ventalſee eines feſten Gerüſtwerkes annehmen können. Wie Ein Verſuch, der ſehr nachdrücklich für die flüſſige Beſchaffenheit des Protoplasmas ſpricht, iſt folgender: wenn man Froſcheier zentrifugiert, d. h. in ein ſchnell rotierendes Gefäß bringt, ſo ſammeln ſich die feſten Dotterplättchen, die vorher durch das ganze Ei, wenn auch nicht gleichmäßig, verteilt waren, alle auf einer Seite an; ſie durchwandern alſo das Protoplasma. Die Entwicklungsfähigkeit ſolcher zentrifugierten Eier zeigt, daß der Aufbau ihres Protoplasmas nicht vernichtet wurde. Beim Vorhandenſein eines feſten Gerüſtes aber, deſſen Maſchen nach dem mikroſkopiſchen Bild weit enger ſind als die Ausmaße eines Dotterplättchens, wäre eine ſolche Verlagerung des Dotters ohne beträchtliche Zerſtörungen innerhalb dieſes Gerüſtes nicht denkbar. Bei flüſſiger Beſchaffenheit der Zellſubſtanz iſt ſie dagegen völlig verſtändlich. Das ſind die auffälligſten von den Erſcheinungen, die ſich für den flüſſigen Aggre— gatzuſtand des Protoplasmas, wenigſtens mancher Zellen, anführen laſſen. Ein feſtes Gerüſtwerk innerhalb der Zelle iſt mit einer ſolchen freien Verſchiebbarkeit der Teilchen, wie ſie dieſe Tatſachen fordern, nicht vereinbar. Selbſt wenn man annimmt, daß die Bälkchen des Gerüſtes nicht ſtarr, ſondern biegſam und dehnbar, und daß ihre Verbin— dungen nicht feſt, ſondern verſchiebbar ſind, ſo läßt ſich damit wohl eine elaſtiſche Ge— Waben- oder Schaumſtruktur. 21 ſtaltveränderung infolge von Druck begreiflich machen, nicht aber die angeführten Er— ſcheinungen. Der Grad der Flüſſigkeit iſt in den verſchiedenen Zellen natürlich nicht gleich. Waſſerflüſſig dürfte das Protoplasma wohl nie ſein, leichtflüſſig nur ſelten. Meiſt iſt es zähflüſſig, und zwar in hohem Grade zähflüſſig. Während bei kriſtalliſierbaren Sub— ſtanzen ein Gegenſatz zwiſchen feſtem und flüſſigem Zuſtand beſteht, iſt bei den leim— artigen, kolloiden Subſtanzen, zu denen ja die Eiweißlöſungen gehören, ein ganz allmäh— licher Übergang zwiſchen den beiden Zuſtänden vorhanden. Wenn ſich für eine Reihe von Zellen die Flüſſigkeit des Protoplasmas nachweiſen ließ, ſo iſt es kein Widerſpruch, wenn andere, wie die Muskelzellen, nach ihrer Dehnbarkeit und Zugfeſtigkeit vielleicht eher als feſt aufzufaſſen ſind. Wollte man aber von dieſen ausgehen und eine feſte Gerüſtſtruktur für alles Protoplasma annehmen, ſo ſetzt man ſich mit den Tatſachen in Widerſpruch. Es muß ja zunächſt befremdlich erſcheinen, daß die weſentlichſten Teile eines Lebe— weſens, etwa unſeres eigenen Körpers, aus einer wenn auch zähen Flüſſigkeit beſtehen ſollen. Müßte dann nicht der Körper auseinanderfließen wie ein Brei? Aber einmal iſt dieſe Flüſſigkeitsmaſſe in unendlich viele kleinſte Teilchen, die Zellinhalte, geſondert, die ihrerſeits wieder in widerſtandsfähige Hüllen, Zellmembranen, eingeſchloſſen ſind, und die Zellen ſind durch Kittmaſſe miteinander verklebt. Weiter aber wird die ganze Schwierigkeit der Frage, wie eine Flüſſigkeit in beſtimmten äußeren Formen verharren, wie ſie Plaſtizität zeigen kann, beſeitigt durch die Annahme der Waben- oder Schaum— ſtruktur. Homogene Flüſſigkeiten nehmen nur an ihrer Oberfläche eine beſtimmte Form an, die durch die Geſetze der Kapillarität beſtimmt wird: ſie bilden teils konkave, teils konvexe Oberflächen. Die phyſikaliſchen Verhältniſſe aber an der Berührungsfläche mit Luft oder mit einer anderen Flüſſigkeit ſind andere als im Innern der Flüſſigkeit. Die Oberfläche hat Eigenſchaften, die denen einer ausgeſpannten elaſtiſchen Membran ähn— lich find: es iſt eine Oberflächenſpannung vorhanden. In einer Emulſion, einer innigen Durchſetzung zweier nicht miſchbaren Flüſſigkeiten aber, wie wir ſie in Schäumen vor uns haben, iſt die Oberflächenſumme, in der ſich die Flüſſigkeiten berühren, im Verhältnis zur Maſſe ganz außerordentlich, ſagen wir beiſpielsweiſe auf das Tauſendfache vermehrt. Die Oberflächenenergie, die bei einer homogenen Flüſſigkeit im Verhältnis zur Maſſe nur gering iſt, hat ſich alſo hier ebenfalls um das Tauſendfache geſteigert. Alſo die lebende Subſtanz beſitzt Schaumſpannung, einer einheitlichen Flüſſigkeit fehlt dieſe. Daher verträgt ſich eine feſtſtehende Zellſtruktur mit dem flüſſigen Aggregatzuſtand des Protoplasmas. Bütſchli, der ſich am gründlichſten mit der Schaumſtruktur der lebenden Subſtanz beſchäftigt und dieſe Anſchauung durch ſeine eingehenden Unterſuchungen in hohem Grade wahrſcheinlich gemacht hat, ſuchte durch künſtliche Schäume, die er z. B. durch Zuſammen— reiben von Olivenöl und Sodalöſung herſtellte, dieſe Struktur nachzuahmen. Es gelang ihm, in Anordnung und Verhalten dieſer Schäume ſo viele Übereinſtimmungen mit dem Protoplasma feſtzuſtellen, daß dadurch ſeine Lehre von der Schaumſtruktur des Proto— plasmas ſehr kräftige Stützen bekommen hat. Nur einiges ſei hier erwähnt. In künſt— lichen Schäumen ordnen ſich an der Oberfläche die Scheidewände zwiſchen den Waben ſenkrecht zur begrenzenden Fläche an; die Waben bilden hier eine regelmäßige Lage, die ſogenannte Alveolarſchicht. Die gleiche Anordnung findet ſich auch an der Zellwand (Abb. 2). In der Umgebung größerer Flüſſigkeitstropfen ſtellen ſich die Scheidewände 22 Waben- oder Schaumſtruktur. der ſie begrenzenden Waben radiär zum Tropfen, alſo ebenfalls ſenkrecht zu deſſen Ober— fläche; dasſelbe gilt für Flüſſigkeitsvakuolen im Protoplasma. Feſte Körperchen, wie Karminſtäubchen, die dem Schaume beigemengt wurden, ſammeln ſich in den Waben— ſcheidewänden, und zwar beſonders dort, wo dieſe zuſammenſtoßen. Ebenſo findet man im Protoplasma die körnigen Beimengungen, die Granula, hauptſächlich in den Knoten— punkten der „Netzſtruktur“. In künſtlichen Schäumen können auch ſtrömende Bewegungen hervorgerufen werden, einerſeits durch Spannungsveränderungen an der Oberfläche, andererſeits durch Erwär— mung: ein Beweis, daß die Schaumſtruktur ſolchen Strömungen nicht hinderlich iſt. Rhumbler hat ſogar experimentell Erſcheinungen an den Schäumen veranlaſſen können, die an die Vorgänge bei den Zellteilungen, an die Nahrungsaufnahme der Amöben und an den Gehäuſebau bei Rhizopoden erinnern. Das alles ſpricht zugunſten von Bütſchlis Lehre und ermutigt zu der Hoffnung, daß auf dieſem Wege noch manche wertvollen Fortſchritte zu erwarten ſind, die uns in der Erklärung der Lebensvorgänge weiter bringen. Die Wabenſtruktur des Protoplasmas iſt von unendlicher Feinheit: Waben von 1 Mikromillimeter (1 u = 0,001 mm) Durchmeſſer gehören jchon zu den gröberen. Außerdem iſt die Beobachtung auch durch den geringen Unterſchied in der Lichtbrechung zwiſchen Wabenwand und Wabeninhalt ſehr erſchwert. Trotzdem iſt die der Schaum— ſtruktur entſprechende netzige Beſchaffenheit des Protoplasmas in vielen Fällen nach— gewieſen, vor allem bei einer großen Zahl einzelliger Lebeweſen, dann auch bei einer Anzahl tieriſcher Eier, und ſchließlich bei gar manchen pflanzlichen und tieriſchen Ge— webezellen. Man darf daher, bei der grundſätzlichen Ahnlichkeit des Protoplasmas in allen Lebeweſen, auch das allgemeine Vorkommen jener Struktur mit ziemlicher Wahr— ſcheinlichkeit annehmen — wenn es auch immer noch Leute gibt, die dieſes leugnen. Natürlich fehlt es im Protoplasma, trotz ſeinem flüſſigen Aggregatzuſtand, auch nicht ganz an feſten Einlagerungen; zeitweilige und örtliche Verfeſtigungen in ihm ſind durchaus nicht ausgeſchloſſen. Es enthält unter Umſtänden ſtützende Faſern wie in manchen Bindegewebszellen und Epithelzellen, auch Einlagerungen kriſtalliniſcher Natur — doch ſind das keine lebenden Stoffe, ſondern tote Bildungen, die dem eigentlichen Protoplasma fremd find und als Umwandlungsprodukte und Ausſcheidungen desſelben angeſehen werden müſſen. Nach Bütſchlis Annahme iſt alſo das Protoplasma eine Emulſion zweier nicht miſchbarer Flüſſigkeiten: einer zähflüſſigen, die das Material für die Wabenwände liefert, und einer mehr wäſſerigen, aus der der Wabeninhalt beſteht. Die erſtere muß natür— lich in Waſſer unlöslich ſein, weil ſonſt die Wände ſich auflöſen würden; dagegen müßten dieſe für Waſſer durchläſſig ſein, weil ſonſt der Inhalt der einzelnen Waben völlig iſo— liert und eine Diffuſion von Stoffen aus einer Wabe in die andere ausgeſchloſſen wäre. Wie das Protoplasma phyſikaliſch keine einheitliche Subſtanz iſt, ſo iſt es auch nicht eine einzelne chemiſche Verbindung, ſondern beſteht aus mehreren ſolchen. Die Hauptbedeutung für das Zuſtandekommen des Stoffwechſels kommt dabei eiweißartigen Verbindungen von ſehr verwickelter Zuſammenſetzung zu. Es iſt wahrſcheinlich, daß die als Globuline und Albumine bezeichneten Eiweißſtoffe, die wir aus der lebenden Sub— ſtanz gewinnen, ſchon Zerfallprodukte des „lebendigen Eiweißes“ ſind. Bisher iſt es nicht gelungen, ihren chemiſchen Aufbau genau anzugeben; man kennt ungefähr die Mengenverhältniſſe, in denen die Elementarſtoffe, Kohlenſtoff, Waſſerſtoff, Stickſtoff, Sauerſtoff und Schwefel, in ihnen zuſammentreten, aber über die Gruppierung der Atome Verteilung der Stoffe im Wabenwerk. 23 in dieſen kompliziert gebauten Molekülen beſitzt man nur wenig Andeutungen. Da die Eiweißſtoffe in Waſſer löslich ſind, ſo darf man ſie wohl in dem Inhalte der Waben des Protoplasmas untergebracht denken. Zugleich ſind die Eiweiße kolloidale Stoffe, d. h. ſie vermögen gewiſſe Membranen nicht zu durchdringen, während das Löſungs— mittel, das Waſſer, ebenſo wie darin gelöſte Salze u. dgl., durch dieſe hindurch diffun— diert. Vielleicht darf man annehmen, daß in ſolcher Weiſe durch die Wabenwände die Eiweißmenge einer Zelle in zahlreiche iſolierte und chemiſch geſondert reagierende Ei— weißportionen von teilweiſe verſchiedenen Eigenſchaften geteilt iſt. So würde es ſich er— klären, daß ſich in der gleichen Zelle verſchiedene chemiſche Vorgänge nebeneinander ab— ſpielen, ohne einander ſtörend zu beeinfluſſen. Die Vorratsſtoffe, die in der Zelle aufgeſpeichert ſind, müſſen wir uns in den körnchen- und tröpfchenartigen Einlagerungen lokaliſiert denken. Schon die Tatſache, daß die reichlichen Vorratsſtoffe in den tieriſchen Eiern als Dotterkörnchen, Dotterplättchen und Fetttröpfchen in das Protoplasma eingelagert ſind, macht es wahrſcheinlich, daß die feſten Körnchen, die in den Knotenpunkten der Wabenwände anderer Zellen aufgehäuft ſind, ebenfalls ſolche Vorratsſtoffe darſtellen. Der Beweis dafür aber wird geliefert durch Hungerexperimente, die mit Infuſorien angeſtellt wurden: nach einiger Dauer der Nahrungsentziehung- waren aus dem Körpers des Infuſors alle Granula und Körnchen verſchwunden und das vorher körnig getrübte Protoplasma ſah hell und durchſichtig aus. Bei weiterem Hungern zeigte ſich am Auftreten von Vakuolen im Protoplasma, daß ein Teil des Protoplasmas ſelbſt eingeſchmolzen wurde, um für den Reſt als Nahrung zu dienen. — Der Sitz der Sauerſtoffvorräte in den Zellen iſt bisher noch nicht mit Sicher— heit bekannt. Außer Sauerſtoff und organiſchen Nährſtoffen ſind aber für den normalen Verlauf der Lebensvorgänge auch gewiſſe Mineralſtoffe unumgänglich notwendig, und zwar nicht für alle Zellen die gleichen. In den Zellen höherer Pflanzen und Tiere finden ſich regelmäßig Kalium, Natrium, Calcium, Magneſium, Eiſen, Phosphorſäure und Chlor. Zuweilen kommt auch Mangan, Kieſelſäure und Jod vor. Wahrſcheinlich werden durch die Einwirkungen dieſer Stoffe bzw. ihrer Verbindungen Zuſtandsänderungen an den Eiweißſtoffen hervorgerufen; doch entzieht ſich der Verlauf dieſer Wandlungen noch durch— aus unſerer Kenntnis. Für die chemiſchen Vorgänge in den Zellen ſind beſtimmte Stoffe von hervorragen— der Wichtigkeit, die man als Enzyme bezeichnet. Die Enzyme, mit denen wir ſpäter bei der Biologie des Stoffwechſels der Tiere noch nähere Bekanntſchaft machen werden, ver— mitteln den Zerfall organiſcher Stoffe, ohne ſelbſt dabei in ihrem Beſtande geſchädigt zu werden. Es kann daher durch eine geringe Menge von Enzym eine große Maſſe des betreffenden Stoffes zerlegt werden. Die einzelnen Enzyme haben einen ſehr be— ſchränkten Wirkungskreis: jedes vermag nur eine Reaktion, und dieſe nur an einer oder wenigen beſtimmten Verbindungen hervorzurufen. Eines z. B. verwandelt Stärke in Zucker, ein anderes ſpaltet Eiweißverbindungen, ein drittes fällt den Käſeſtoff aus der Milch aus. In manchen Zellen kommen nun verſchiedenartige Fermente nebeneinander vor; aus der Säugetierleber z. B. find 7—9 verſchiedene Fermente bekannt, und da die Leberzellen alle gleich ſind und zu den Blutgefäßen und Sekretkapillaren dieſelben Be— ziehungen haben, dürfen wir annehmen, daß in jeder Zelle alle oder doch mehrere von dieſen Fermenten enthalten ſind. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß ſie an verſchiedenen Stellen in der Zelle lokaliſiert ſind; die Schaumſtruktur des Protoplasmas bietet ja 24 Unterjchiede des Protoplasmas verſchiedener Lebeweſen. eine Menge kleinſter geſonderter Behältniſſe, die eine Verteilung der Fermente auf ge— ſonderte Teile der Zelle ermöglichen. Es wäre durchaus verkehrt, anzunehmen, daß die 0 der weſentlichen Beſtandteile im Protoplasma durch das ganze Pflanzen- und Tierreich gleich ſei, daß das Leben überall an völlig die gleichen chemischen Verbindungen, an Eiweißmoleküle von derſelben Zuſammenſetzung geknüpft ſei. Im Gegenteil ſind ſichere Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die einzelnen Tierarten (und wahrſcheinlich iſt es bei den Pflanzen ebenſo) eine gewiſſe chemiſche Eigenart beſitzen. Huppert hat darauf hingewieſen, daß die chemiſchen Verſchiedenheiten des Blutfarbſtoffes bei verſchiedenen Säugetieren und Vögeln, die ſich vor allem in der Verſchiedenheit der Kriſtallformen zeigen, auf ab— weichender Beſchaffenheit der darin enthaltenen Eiweißſubſtanzen beruhen müſſen; für dieſelbe Tierart aber bleibt die Eiweißſubſtanz des Blutfarbſtoffes ſtets gleich. Auch die einander entſprechenden Stoffwechſelprodukte verſchiedener Tiere unterſcheiden ſich: in der Rindergalle kommt eine andere Cholſäure vor als in der der Schweine, noch eine andere findet ſich in der Galle der Gänſe, eine vierte in der Galle des Menſchen neben der Cholſäure der Rindergalle. Die ungleiche Empfänglichkeit verſchiedener Tierarten für manche Gifte, z. B. Morphium, und die verſchiedene Zugänglichkeit für die Infektion durch krankheiterregende Mikroorganismeik laſſen ebenfalls auf chemiſche Unterſchiede ſchließen. So darf man vielleicht jeder Tierart einen beſonderen Chemismus, vor allem eine beſondere Kombination der in ihr enthaltenen Eiweißſubſtanzen zuſchreiben, und das würde zu der Annahme führen: es gibt ſo viele Arten von Protoplasma, als es Arten von Pflanzen und Tieren gibt. Eine ſolche außerordentliche Mannigfaltigkeit wird einmal dadurch möglich, daß wahrſcheinlich in jedem Protoplasma mehrere verſchiedene Eiweißarten in ganz beſtimmten, nach den Arten wechſelnden Miſchungsverhältniſſen vorkommen; dann aber ermöglicht der ungemein komplizierte Bau der Eiweißkörper zahl— reiche Modifikationen im Aufbau derſelben, wobei doch in den Grundzügen die gleichen chemiſchen Eigentümlichkeiten, vor allem ihre für das Leben wichtigen Beſonderheiten ge— wahrt bleiben. 2. Die Zelle. Die Zuſammenſetzung der Pflanzen und Tiere aus einzelnen Elementarteilen, die untereinander morphologiſch gleichwertig ſind, den Zellen, wurde durch die Unterſuchungen des Botanikers Mathias Schleiden (1838) und des Anatomen Theodor Schwann (1839) zuerſt mit aller Sicherheit erkannt, nachdem ſchon vorher Vermutungen nach dieſer Richtung ausgeſprochen waren. Seitdem hat ſich die Zellenlehre, durch das Zuſammenarbeiten zahlreicher Forſcher weiter ausgebaut, zur Grundlage für die geſamte Morphologie entwickelt. Die mikro— ſkopiſche Anatomie beſchäftigt ſich in der Hauptſache mit der Zurückführung der Organe und Gewebe auf ihre zellularen Beſtandteile. Die Entwicklungsgeſchichte hat eine weit dankbarere und ergebnisreichere Aufgabe bekommen, ſeitdem ſie dem zellularen Geſchehen bei der Umwandlung des Eies in das fertige Tier in ſeinen Einzelheiten nachgeht. Die Entdeckungen, daß eine große Menge von Lebeweſen, die Protiſten, je nur den Wert einer einzigen Zelle haben, und daß andererſeits die höheren, vielzelligen Pflanzen und Tiere ihre Entwicklung mit einem einzelligen Zuſtande, ſei es die Spore oder das be— fruchtete Ei, beginnen, ſind für die Bedeutung der Zellenlehre von außerordentlicher Tragweite geworden. Denn dadurch iſt die Zelle nicht nur der „Elementarorganismus“ Größe und Geſtalt der Zellen. 25 in dem Sinne, daß ſie gleicherweiſe den Bauſtein für alle höheren Pflanzen und Tiere bildet; ſie iſt auch inſofern elementar, als uns in den Einzelligen die niederſte bekannte Organiſationsſtufe entgegentritt, und die vorübergehende Einzelligkeit der Vielzelligen auf ihre Abſtammung von Einzelligen mit aller Deutlichkeit hinweiſt. Auch die Phyſiologie vertieft ſich neuerdings immer mehr in die Unterſuchung der Lebenserſcheinungen bei den Einzelzellen und ſchöpft daraus eine Fülle von Anregung und nach vielen Richtungen eine Vertiefung ihrer Probleme. Die Zellphyſiologie bietet zahlreiche dankbare Aufgaben, und ihre Unterſuchungen verſprechen gar manches Licht auf die verwickelteren Vorgänge bei den Zellgemeinſchaften, den Geweben und Organen der höheren Lebeweſen zu werfen. Alle Zellen, mögen ſie als ſelbſtändige Lebeweſen für ſich beſtehen oder als Be— ſtandteile von pflanzlichen oder tieriſchen Zellverbänden in gegenſeitiger Abhängigkeit mit ihresgleichen leben, beſitzen eine Anzahl gemeinſamer Eigenſchaften. Eine Zelle iſt ſtets ein Klümpchen Protoplasma, das in ſeinem Innern gewiſſe, ſcharf vom Protoplasma unterſchiedene Stoffe mit beſtimmten chemiſchen Eigenſchaften, die Kernſtoffe, enthält. Gewöhnlich ſind die letzteren in einem, zuweilen auch in mehreren ſcharf umgrenzten Körpern angehäuft, den Kernen, und nur bei einigen niederſten Organismen, z. B. den Bakterien, finden ſie ſich, dauernd oder zeitweilig, mehr oder weniger gleichmäßig im ganzen Zelleibe verteilt. Im übrigen aber zeigen die Zellen ſo große Verſchiedenheiten, daß ſie kaum ver— gleichbar ſcheinen; ja zuweilen, z. B. bei den Samenfäden der Tiere, wird es erſt durch das Studium der Entwicklung möglich, den Zellwert eines Gebildes feſtzuſtellen. Die Größe wechſelt ungemein. Manche Bakterienarten meſſen nur wenige Tauſendſtel eines Millimeters; die meiſten Zellen ſind zwar größer, aber doch mit bloßem Auge nicht ſichtbar. Große Zellen, wie die dotterarmen Eizellen, manche Nervenzellen, z. B. ſolche aus dem Gehirne von Schnecken oder Zitterrochen, erreichen bei einem Durchmeſſer von etwa ½ mm die Grenze der Sichtbarkeit für das bloße Auge. Aber nur wenige werden größer. Zu ſolchen gehören die großen Eizellen: das Ei eines Schmetterlings, eines Krebſes, eines Froſches, auch das Gelbe im Hühnerei entſprechen einer einzigen Zelle; aber ſie beſtehen nicht ganz aus Protoplasma, ſondern ſie ſind dadurch ſo aufgeſchwollen, daß Nährmaterial für den aus dem Ei hervorgehenden jungen Embryo in ihnen auf— geſtapelt iſt und nun das Protoplasma die Eizelle an Maſſe oft um das Vieltauſend— fache übertrifft. Manche Zellen bilden nach außen eine mehr oder weniger feſte Zellmembran, die beſonders bei Pflanzenzellen oft eine bedeutende Dicke erreichen kann; andere ſind nackt und grenzen ſich nur durch eine dichtere Plasmaſchicht nach außen ab. Die erſteren haben ſtets eine feſte Körpergeſtalt, die bei der einzelnen Zelle nur in engeren Grenzen wechſelt, aber nach der Art der Zelle ſehr verſchieden iſt. Wenn die drei aufeinander ſenkrecht ſtehenden Zelldurchmeſſer etwa gleich ſind, ſo haben wir bei freien Zellen meiſt Kugelgeſtalt, z. B. bei vielen Eiern, dagegen platten ſich ſolche Zellen im Verband poly— edriſch gegeneinander ab, wie die Parenchymzellen pflanzlicher Gewebe; überwiegen zwei Zelldurchmeſſer den dritten, ſo zeigen die Zellen flache, plättchenförmige Geſtalt, wie viele Blutkörperchen; überwiegt ein Zelldurchmeſſer die beiden anderen an Länge, ſo ſind die Zellen geſtreckt, prismatiſch oder mehr oder weniger faſerförmig, wie die Proſenchym— zellen der Pflanzen und die Muskelzellen der Tiere. Damit iſt aber die Mannigfaltig— keit der Zellgeſtalten bei weitem nicht erſchöpft, und beſonders die freien Zellen, die 26 Der Zellkern. Protiſten, zeigen eine Fülle der ſonderbarſten Formen. Die nackten Zellen dagegen be— ſitzen eine ſehr weitgehende Formveränderlichkeit; ſie können ihre Umriſſe beſtändig wechſeln und zeigen kaum die gleiche Geſtalt zum zweiten Male, außer wenn ſie ſich auf Reiz zur Kugelform zuſammenziehen; ſolche Zellen ſind z. B. die weißen Blutkörperchen der Wirbeltiere und unter den Protiſten die Amöben. Das Protoplasma ſelbſt kann im Innern ſehr verſchiedenartige Bildungen enthalten: Flüſſigkeitsvakuolen und Gasblaſen, Aſſimilationsmaterial und Zerſetzungsprodukte, Um— bildungen und Abſcheidungen, beſonders in Geſtalt von Faſern wie Muskelfibrillen, Neurofibrillen und Stützfaſern, in Drüſenzellen häufig auch Stoffe, die ſie paſſieren, um unverändert oder verändert zur Abſcheidung zu kommen, kurz Bildungen, die dem Protoplasma als ſolchem fremd ſind, die aber mit den beſonderen Lebensverrich— tungen der Zelle im Zuſammenhang ſtehen und ihr eine beſtimmte Eigenart verleihen. Unter den Kernſtoffen, die dem Zellkern eigentümlich ſind, iſt der reichlichſte und wich— tigſte das Chromatin. Dieſen Namen trägt es, weil es ſich mit beſtimmten Farbſtoffen wie Karmin und Hämatoxylin beſonders ſtark färbt. Es iſt meiſt in der Form von größeren und kleineren Brocken und Körnchen im Kern verteilt, getragen von einem fädigen Gerüſtwerk, deſſen Subſtanz als Achromatin oder Linin bezeichnet wird. Nur in beſtimmten Fällen legen ſich dieſe Körnchen zu größeren Maſſen zuſammen und bilden 3. B. in gewiſſen Entwicklungszuſtänden der Eizellen eine einheitliche kuglige Maſſe oder bei den Kernteilungen fadenförmige oder rundliche Portionen, die Chromoſomen. Durch die chemiſche Analyſe kern- und chromatinreicher Subſtanzen iſt es mit ziemlicher Sicher— heit feſtgeſtellt, daß der Begriff des Chromatins nahezu mit dem chemiſchen Begriff der Nukleine zuſammenfällt; außerdem läßt ſich durch mikrochemiſche Unterſuchungen (Ver— dauungsverſuche) nachweiſen, daß die Nukleine vornehmlich auf den Zellkern beſchränkt ſind. Die Nukleine ſind Eiweißverbindungen, die ſich durch ihren Gehalt an Phosphor vor anderen Eiweißen auszeichnen. Außerdem kommen häufig in den Kernen ein oder mehrere kuglige Gebilde vor, die ſogenannten Kernkörperchen oder Nukleolen. Nicht alle ſo bezeichneten Bildungen ſind von gleicher Beſchaffenheit; meiſt beſtehen ſie aus einem Stoff, der ſich weniger färbt als Chromatin, aus Paranuklein. Nicht ſelten aber ſind ſie abweichend zuſammen— geſetzt. Über ihre Bedeutung im Kerne iſt nichts bekannt. Einen beſonderen Beſtandteil der tieriſchen Zelle, das Zentralkörperchen oder Centroſoma, werden wir ſpäter in dem Kapitel über Fortpflanzung bei der Beſprechung der Zell- und Kernteilung näher kennen lernen. Die Anſicht, daß es ein ſtändiges Organ der Zelle ſei, wird durch gar manche Befunde geſtützt, jetzt aber auch nicht ſelten beſtritten. Sein völliges Fehlen in pflanzlichen Zellen zeigt jedenfalls, daß man es nicht jeder Zelle ſchlechthin zuſchreiben darf. Es iſt leicht zu beobachten, daß kleine Zellen im allgemeinen auch einen kleinen Kern haben, große Zellen dagegen einen großen oder zahlreiche kleine Kerne. Bei der gleichen Zellart aber iſt im allgemeinen das Maſſenverhältnis von Kern und Protoplasma nicht zufällig, ſondern in beſtimmter Weiſe geregelt, ſo daß es nur inner— halb enger Grenzen ſchwankt. Zellen verſchiedener Art jedoch können darin voneinander abweichen. Boveri befruchtete gleichgroße kernhaltige und kernloſe Stücke von Seeigel— eiern; aus beiden entwickelten ſich Larven. In den kernhaltigen Eiſtücken addierte ſich bei der Befruchtung der Kern des Samenfadens zum Eikern, in den kernloſen lieferte der Kern des Samenfadens allein die Kernſubſtanz, die infolgedeſſen an Maſſe geringer Maſſenverhältnis von Kern und Protoplasma. 27 — war. Daher beſtanden die Larven, die aus den kernhaltigen Eiſtücken hervorgingen, aus weniger und größeren Zellen mit größeren Kernen als diejenigen, die ſich aus kernloſen Stücken entwickelten (Abb. 4). Das gleiche zeigt ein Verſuch von Geraſſimoff: Wenn man bei der einzelligen Alge Spirogyra durch Kälteeinwirkung die Zellteilung beeinflußt, ſo kann es geſchehen, daß die beiden Tochterkerne ſich nicht auf die beiden Zellhälften A 5 > a N b 2 * \ © a : O 2 © O 2 5 2 | en > 0 ze z * ö | re e 4 0 Bi oO 0 S 26 0 g / Ex | 0 2 - PR ee „ „ 20 . 7 © 2262 2 9 .. 3 un “os. 329 „% 8 © 5 2829 TER TINTE) 8889 6 29% %% 6% „„ 060% 222 1 & 8 3 * 22 2 2 et „ ee eee ae ee, Abb. 4. Teile einer Seeigellarve mit ihren Kernen. A Von einer Larve, die aus einem kernhaltigen Eibruchſtück gezüchtet wurde, B von einer ſolchen aus einem kernloſen Bruchſtück; und ) Epithelſtücke der betreffenden Larven bei ſtärkerer Vergrößerung. Nach Boveri. verteilen, ſondern eine Hälfte beide Kerne enthält, während die andere kernlos bleibt. Die kernhaltige Tochterzelle beſitzt alſo verhältnismäßig noch einmal ſoviel Kernmaterial als eine normale Spirogyra-Zelle. Sie muß daher auf die doppelte Größe einer ſolchen anwachſen, ehe ſie ſich wieder teilen kann (Abb. 5). Wenn man andererſeits Protozoen, z. B. Actinosphaerium oder Dileptus, hungern läßt und jo ihren Plasmakörper ver— kleinert, ſo vermindert ſich auch ihre Kernmaſſe. Es ſtehen alſo Zellgröße und Kerngröße in einem gegenſeitigen Abhängigkeitsverhältnis. Aber dieſe Regel unterliegt mannigfachen Komplikationen, denen wir hier nicht nachgehen können. Über die Rolle, die der Kern in der Zelle ſpielt, wußte man lange Zeit nichts und half ſich mit Spekulationen, denen tatſächliche Grundlagen fehlten. Man hielt den Kern für das „Lebens— zentrum“ der Zelle, für den eigentlichen Sitz des Lebens; die hervorragende Rolle, die er bei der Zellteilung ſpielt, war geeignet, dieſe Auffaſſung zu begünſtigen. Man iſt jetzt auf Grund von 3 He 1 Abb. 5. Zellen von einer Fadenalge Beobachtungen und Verſuchen von dieſer Anſchauung (Spirogyra), A gewöhnliche Zelle, B solche mit doppelt großem Kern. Nach Geraſſimoff. abgekommen: Kern und Protoplasma ſind gleich wichtig für das Zuſtandekommen der Lebenserſcheinungen; man kann weder von dem einen noch von dem andern ſagen, daß es die Hauptrolle ſpiele. Jene früheren Anſichten ſind ebenſo irrtümlich, wie die Phantaſien über den Sitz des Lebens im menſchlichen Körper: Ariſtoteles ſuchte ihn im Herzen, Plato im Blut, die Pythagoreer im Hirn. Aber wir wiſſen, daß keines davon entbehrlich iſt, ebenſowenig wie viele andere Organe; das Leben beruht auf dem Zuſammenwirken aller Organe. So ſtehen auch Kern und Protoplasma in dem Verhältnis gegenſeitiger Abhängigkeit und Wechſelwirkung. Ihre 28 Gegenſeitige Abhängigkeit von Kern und Protoplasma. örtliche Sonderung und die Verſchiedenheit ihrer chemiſchen Beſchaffenheit machen es von vornherein wahrſcheinlich, daß auch ihre Tätigkeiten verſchieden ſind; aber ſie ſind beide notwendig. Es beſteht eine Arbeitsteilung zwiſchen dieſen Zellbeſtandteilen, und wenn wir auch nicht bis ins einzelne genau die Rolle eines jeden anzugeben vermögen, ja ſogar noch ganz in den Anfängen unſerer Erkenntnis ſtehen, ſo können wir doch einiges wenige mit Sicherheit behaupten. Die gegenſeitige Abhängigkeit von Protoplasma und Kern zeigt ſich am deutlichſten darin, daß ſowohl ein Stückchen Protoplasma ohne Kern als auch ein Kern ohne Proto— plasma nicht lebensfähig ſind, ſondern zugrunde gehen. Das beweiſen die zahlreichen Verſuche an Protiſten, die von Gruber, Hofer und vielen anderen nach ihnen angeſtellt worden ſind. Wenn man ein Infuſionstierchen in mehrere Stücke zerteilt derart, daß jeder Abſchnitt ein Kernbruchſtück enthält, was beiſpielsweiſe bei einem Stentor (vgl. Tafel 7) mit langgeſtrecktem, roſenkranzartig eingeſchnürtem Kerne keine beſonderen Schwierigkeiten bietet, ſo er— gänzt ſich jedes Stück wieder zu einem vollſtändigen Tier, indem es die ihm fehlenden Teile neu bildet (Abb. 6). Trennt man dagegen ein kernloſes Bruchſtück ab, ſo geht dasſelbe nach einiger Zeit zugrunde, während der kernhaltige Teil des Tieres ſich ergänzt und weiter lebt. Ebenſo iſt es mit einer ge— teilten Amöbe: das Stück, das den Kern enthält, lebt weiter; der kernloſe Ab— ſchnitt vermag ſich zwar einige Zeit zu bewegen, aber er geht mit Sicherheit nach kürzerer oder längerer Friſt zugrunde. Andererſeits gelang es Verworn, den Kern aus einem großen Radiolar, Thalassicolla nucleata Huxl., vom Protoplasma zu trennen; auch dieſer vermochte nicht ohne Protoplasma weiter zu leben, ſondern zerfiel nach kurzer Zeit. Während nun in gleicher Weiſe ein kernloſes Stück einer Eizelle zugrunde geht, läßt ſich dasſelbe am Leben erhalten und zur Entwicklung bringen, wenn ein neuer Kern in dasſelbe eingeführt wird. Boveri konnte zeigen, daß kernloſe Bruchſtücke von See— igeleiern zur Entwicklung kommen, wenn ſie befruchtet werden, d. h. wenn ein Samen— faden in ſie eindringt und ſo durch den Kern desſelben der fehlende Eikern erſetzt wird. Es bildet ſich dann eine Larve, die einer normalen Seeigellarve völlig gleicht, nur ent— ſprechend kleiner iſt als eine ſolche. Welcher Art das Verhältnis zwiſchen Kern und Protoplasma iſt, dafür geben uns ebenfalls ſolche Verſuche einigen Anhalt. An den kernloſen Teilſtücken von Amöben zeigen ſich zwar noch Bewegungen, aber die Stücke haften nicht mehr an der Unterlage, da die Ausſcheidung eines klebrigen Stoffes, der dieſes Anhaften bewirkt, bei Abweſen— heit des Kernes unterbleibt. Hatten die Amöben Infuſionstierchen als Nahrung in ihr Abb. 6. Zerteilter Stentor coeruleus Ehrbg. in Regeneration. Nach Gruber. Rolle des Kerns. 29 ei Protoplasma aufgenommen, ſo geht in den kernhaltigen Stücken die Verdauung derjelben ununterbrochen weiter; in den kernloſen werden ſie zwar angedaut, aber nicht ganz auf— gelöſt. Ähnliches wurde bei verwandten Formen beobachtet. — Kernloſe Stücke von Infuſorien ferner waren nicht imſtande, an der Wundſtelle eine ſchützende Membran, eine Kutikula, abzuſcheiden, wie dies die kernhaltigen Stücke tun, obgleich ſie oft ziemlich lange lebten. Ebenſo konnten nur kernhaltige Stücke von kalkſchaligen Rhizopoden (Polystomella) an der Wundſtelle den Schalendefekt ausbeſſern, kernloſe aber nicht. Auch an Bruchſtücken verſchiedenſter Algenzellen (Spirogyra, Vallonia, Siphonocladus) hängt die Fähigkeit, eine Zelluloſemembran zu bilden, von der Anweſenheit eines Kernes ab; wenn ein kernloſes Bruchſtück einer Spirogyra-Zelle durch Protoplasmafädchen mit der unverletzten Nachbarzelle in Verbindung ſteht, ſo kommt auch ihm noch dieſe Fähig— keit zu; kernloſe iſolierte Stücke dagegen vermögen keine Membran zu bilden. Alle dieſe Ausfallerſcheinungen, die bei kernloſen Zellſtücken auftreten, haben das Gemeinſame, daß es ſtoffliche Leiſtungen der Zelle ſind, die durch das Fehlen des Kernes beeinträchtigt werden: die Bewegungsfähigkeit der Zelle bleibt beſtehen, dagegen die Bildung ver— dauender Säfte und die Erzeugung gewiſſer Abſcheidungen erſcheint unterbrochen. Es gibt aber eine Reihe von Tatſachen, die dieſe erſchloſſene Annahme direkt beſtätigen und unzweideutig zeigen, daß der Kern bei den Stoffwechſelvorgängen in der Zelle we— ſentlich beteiligt iſt. Wenn auch im allgemeinen dieſe ſtofflichen Umſetzungen nicht mit augenfälligen, uns deutlich erkennbaren Veränderungen des Kernes verbunden ſind, ſo ſind doch einige Fälle bekannt, wo ſolche auftreten. Für die Beteiligung des Kernes an der Verarbeitung von Nährſubſtanzen mögen zwei Beiſpiele genügen. Der Eierſtock des Schwimmkäfers Dytiscus beſteht, wie allgemein bei den Käfern, aus Eiröhren, in denen abwechſelnd die großen Eizellen (2) und eine Anzahl kleiner Nährzellen (3) gleichſam in Fächern hintereinander liegen (Abb. 74). Von den Nährzellen aus tritt zeitweiſe eine Menge körniger Subſtanz in die Eizelle über, und nach dieſer Seite hin iſt der Kern der letzteren verlagert und ſendet in die körnige Nährmaſſe zahlreiche dünne Fortſätze hinein; dadurch wird hier eine bedeutende Oberflächenvermehrung des Kernes bedingt, die der Aufnahme dieſer Stoffe förderlich iſt. — Das andere Beiſpiel bezieht ſich auf eine ſehr nahrungsdotterreiche Zelle in den früheſten Entwicklungsſtadien einer Schnecke, Nassa mutabilis Lm. (Abb. 7). Hier nimmt der Kern (1) von einer Seite her Dotterſubſtanzen auf: die Dotterkörner (5) liegen ſeiner Wand dicht an, und dieſe erſcheint ſtellenweiſe durch— löchert; wenn die Aufnahme lebhaft iſt, finden ſich ſogar mehr oder weniger große Dotterkörner im Kerne ſelbſt. Nach der andern Seite ſcheidet der Kern eine feingranulierte Subſtanz ab: es bilden ſich in ihm Vakuolen dieſer Subſtanz, die zuſammenfließen und nach außen durchbrechen; dadurch bekommt er hier ein zerfetztes Ausſehen, das an die Fortſätze des Eikerns von Dytiscus erinnert, aber anders zu erklären iſt. Die wahr— ſcheinliche Deutung dieſes Vorganges iſt die, daß der Dotter auf dieſe Weiſe in einen für das Protoplasma leichter aſſimilierbaren Körper verwandelt wird. Im gleichen Sinne läßt ſich die Tatſache deuten, daß in den Eierſtockseiern mancher Tiere (3. B. Coelenteraten, Inſekten), die während ihres Wachstums ihre Nahrung von einer Seite her bekommen, der Kern gerade nach dieſer Seite zu verlagert iſt. Da jedoch dieſe Erſcheinung durchaus nicht allgemein iſt, kommt ihr weniger Gewicht zu. Häufiger ſind die Fälle, wo ſich eine Beteiligung des Kernes an der Abſonderungs— tätigkeit der Zelle erkennen läßt. In vielen Drüſenzellen ſieht man, Hand in Hand mit wechſelnder Inanſpruchnahme der Drüſen, beſtimmte Veränderungen an den Kernen auf— 30 Rolle des Kerns. treten. Wenn man durch Einſpritzung eines Pflanzengifts, des Pilokarpins, in das Blut die Drüſentätigkeit über das gewöhnliche Maß ſteigert, werden dieſe Umwandlungen be— ſonders auffällig. Man ſieht dann z. B. in den Drüſenzellen der Ohrſpeicheldrüſe bei Säugern, daß der Kern zunächſt ſeine Maſſe vermehrt, ſelbſt bis auf das fünffache; dann gibt er den größten Teil ſeiner chromatiſchen Subſtanz an das Protoplasma ab und ſchrumpft dabei ſtark zuſammen; ſpäter erholt er ſich wieder und bildet ſein Chromatin Abb. 7. 4 Eizelle (2) vom Gelbrand (Dytiscus marginalis L.), zwiſchen zwei Nährfächern. B Aufnahme und Verwandlung des Dotters durch den Kern (I) einer großen Furchungszelle beim Embryo einer Schnecke (Nassa). (Darunter liegt eine Anzahl anderer Zellen.) © Doppelzelle vom Waſſerſkorpion (Nepa), die den Eiftiel abſondert. D Zelle mit veräſteltem Kern aus der Spinndrüſe einer Köcherfliegenlarve (Platyphylax). E Drüſenzelle aus dem Auge von Aleiopa. F Drüſen⸗ zelle eines Egels (Branchellion). 1 Kern, 2 Eizelle, 3 Nährzelle, 4 Sekretmaſſe, 5 Dotterkörner. A und nach E. Korſchelt, B nach R. W. Hoffmann, D nach Marſhall u. Vorhies, F nach einer Originalzeichnung von B. Sukatſchoff. neu auf Koſten von Stoffen, die er aus dem Protoplasma aufnimmt. — Eine Ober— flächenvergrößerung des Kernes nach der Seite hin, nach der das Sekret ausgeſchieden wird, findet ſich bei den Zellen bzw. der Doppelzelle, die den Stiel der Eier bei einer Waſſerwanze, dem ſogenannten Waſſerſkorpion (Nepa) abſcheidet( Abb. 70); alſo eine ähnliche Bildung, wie bei den Kernen der Dytiscus-Eizellen, nur zur Abgabe, nicht zur Aufnahme von Stoffen dienend. In vielen ſtark in Anſpruch genommenen Drüſenzellen bei Glieder- füßlern iſt die Oberfläche des Kernes durch Veräſtelung desſelben vergrößert, was eben— falls mit dem Anteil desſelben an der Abſonderungstätigkeit zuſammenhängen dürfte (Abb. 7D). — Daß der Kern bei der Sekreterzeugung hervorragend beteiligt iſt, ſcheint auch aus dem Verhalten der großen Drüſenzelle am Auge des Ringelwurms Alciopa 2 Rolle des Kerns. Sl hervorzugehen (Abb. TE): das Sekret bildet in dieſer Zelle einen Strang, der, vom Kern ausgehend, in den verengerten Hals der Zelle eintritt; der Kern ſitzt dem Sekret— ſtrang auf, wie ein Ei in einem Eierbecher ſteckt. Die andre Seite des Kernes zeigt eine Oberflächenvermehrung durch Fältelung; wahrſcheinlich werden hier Stoffe aus dem Protoplasma aufgenommen, um im Kern zum Sekretſtoff umgewandelt zu werden. — In ähnlicher Weiſe läßt ſich der Urſprung des Sekretſtromes aus dem Kerne bei den Drüſenzellen eines Egels (Branchellion) erkennen (Abb. TF): hier iſt der veräſtelte flache Kern becherförmig gewölbt; auf der konvexen Seite der Wölbung liegt das wabige Proto— plasma, die Becherhöhlung iſt von der homogenen Sekretmaſſe erfüllt; der Kern trennt die beiden Maſſen. Dieſe Anordnung weiſt deutlich auf die Beteiligung des Kerns an der Sekretbildung hin. — Es ließen ſich noch mehr ſolche Beiſpiele anführen, die einen Schluß auf die Beteiligung des Kerns an den ſtofflichen Ver— änderungen in der Zelle geſtatten. — Aber es gibt noch eine andere Tatſache, die allgemeiner | für die Teilnahme des Kernes an den Abſonderungsvorgängen \ ſpricht. Eine Anzahl der von Drüſen abs — 4 * geſonderten Fermente haben ſich bei der i chemiſchen Analyſe als Nukleinverbindungen, Eon ſogenannte Nukleoproteide erwieſen oder find N... doch an ſolche gebunden, z. B. Fibrinfermente und Pepſin. Die Nukleine aber ſind, wie man weiß (ſ. o.), in der Hauptſache auf den Kern beſchränkt. Alſo läßt ſich hieraus ein Schluß £| auf die Kerntätigkeit bei ihrer Abſonderung 6 9 ziehen. Ja es läßt ſich ſogar die Möglichkeit — N 3 4 in Erwägung ziehen, ob nicht wenigſtens ein De = Teil der Fermente, die in der Zelle wirkſam Abb. 8. Chromidialapparat in den Muskel- 7 2 . N zellen von Ascaris lumbricoides I. ſind, überhaupt ihren Urſprung und wohl auch nach Ruhe, nach einſtündiger elektriſcher Reizung. ihren Hauptfih im der haben Daun ware l ee Hetsſe erde für die Beteiligung des Kernes ſowohl an der Umwandlung aufgenommener Nahrung in aſſimilierbare Stoffe als auch an der Um— wandlung von Zellſubſtanzen in Sekretſtoffe ein einheitlicher Geſichtspunkt gefunden: die Fermente im Kern wären es dann, die dieſe Stoffumwandlungen bewirken. Doch ſind die Grundlagen für eine ſolche Annahme einſtweilen noch nicht ſicher genug. Mit den beſprochenen Beziehungen ſind jedoch keineswegs die Wechſelwirkungen zwiſchen Protoplasma und Kern erſchöpft. Man kennt eine Anzahl von Beiſpielen dafür, daß chromatinartige Kernſtoffe den Kern verlaſſen und in das Protoplasma eintreten, wo ſie ſich durch ihr Verhalten gegen Farbſtoffe nachweiſen laſſen. Dieſe Chromidial— ſubſtanzen, wie ſie genannt werden, ſind in verſchiedener Menge in den Zellen vorhanden: bald ſind ſie mächtig entwickelt, bald nur ſpärlich oder fehlen ganz. Das hängt mit den verſchiedenen Funktionszuſtänden der Zelle zuſammen. Beim Spulwurm (Ascaris) ſind dieſe Verhältniſſe genauer unterſucht. Dort enthalten ſtärker beanſpruchte Zellen mit mannigfaltigerer Verrichtung auch größere Maſſen Chromidialſubſtanzen. In Darmzellen treten ſie nur auf, wenn die Zelle in lebhafterer Betätigung iſt, wenn alſo Nahrungs— tröpfchen ins Plasma aufgenommen ſind; bei Hungertieren dagegen, alſo in untätigen Darmzellen, fehlen ſie. In Muskelzellen (Abb. 8) finden ſie ſich, wenn die Zellen zu 32 Chromidialſubſtanz. beſonders lebhafter Tätigkeit gereizt werden, zunächſt maſſenhaft; bei übermäßiger An— ſtrengung aber zerfallen ſie ohne Möglichkeit eines Erſatzes: ſie werden aufgebraucht. Der Chromidialſubſtanz ſind wahrſcheinlich auch die ſtarkfärbbaren ſogenannten Nißl— ſchen Schollen gleichzuſetzen, die ſich in den Ganglienzellen des zentralen Nervenſyſtems ſehr vieler Wirbeltiere finden. Man hat bei Säugetierembryonen beobachtet, daß ſie ſich durch Auswanderung von Chromatin aus dem Kern bilden, und für ihre Herkunft aus dem Kern ſpricht auch die Tatſache, daß bei den Schwanzlurchen, wo ſie fehlen, das Chromatin des Kerns in den Ganglienzellen vermehrt iſt im Vergleich mit den gleichen Zellen anderer Wirbeltiere. Bei der Tätigkeit der Ganglienzellen treten nun auch Veränderungen an den Nißlſchen Schollen und am Kern auf (Abb. 9): zunächſt nimmt der Kern an Umfang zu und die Maſſe der Schollen verkleinert ſich; die Er— ſchöpfung findet ihren Ausdruck in einer Verkleinerung des Kernes und weiterer Verminderung der Schollenſubſtanz; in der Ruhe wird dann letztere allmählich wieder erſetzt. Wenn ſomit der Kern an der Tätigkeit der Zelle in N der Weiſe Anteil nimmt, daß aus ihm chromatinartige et bes Hundes. Maſſen in das Zellprotoplasma austreten, jo erſcheint es A von einem ansgeruhten, * von einem weniger verwunderlich, wenn bei einer Anzahl niederer Or— erſchöpften Hund. Nach Mann. 5 f = 5 ganismen der Kern als geſonderter Zellbeſtandteil überhaupt nicht beſteht, ſondern durch gleichmäßig in der Zelle verteilte Chromatinkörner, durch Chromidien, erſetzt iſt. So iſt es bei den Bakterien. Die Natur dieſer Körner als Aquivalente des Kernes äußert ſich beſonders deutlich darin, daß ſie bei der Sporenbildung mancher Bakterien ſich zu zwei kernartigen Haufen zuſammenlagern, wodurch das Aufgehen des Bakteriums in die beiden Sporen eingeleitet wird, wie durch die Teilung des Kernes die Zweiteilung der Zelle (Abb. 10). Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß die diffuſe Verteilung der Chromidialſubſtanz im Protoplasma den ur— ſprünglichen Zuſtand darſtellt, und daß das Vorhandenſein ſcharf abgegrenzter Kerne als Fortſchritt in der Arbeitsteilung innerhalb der Zelle zu betrachten iſt. Unter den Protiſten, wo vielfach zwei Kerne, ein Stoffwechſelkern und ein Geſchlechtskern nebeneinander vorhanden ſind (vgl. im Kapitel über Fort— pflanzung), kann einer dieſer beiden zeitweilig durch diffus im Plasma verteilte Chromidialſubſtanz vertreten ſein. Die Abb. 10. Stufen der 1 17 dor nos, j tr 1 9 b e Einwirkung des Kernes auf die Zelltätigkeit durch Abgabe von bütschlii Schaud. Chromidien an das Zellprotoplasma, die wir oben von den Nach Schaudinn. 1 . . sr . re Zellen vielzelliger Tiere kennen lernten, wäre dann ein Nach— klang jenes früheren, urſprünglichen Zuſtandes, der nur bei den Bakterien noch fortbeſteht. So weiſen eine Reihe von Erfahrungen darauf hin, daß der Kern bei der Tätigkeit der Zelle, beſonders bei der Ernährungs- und Abſonderungstätigkeit, beteiligt iſt, und daß andrerſeits ein Erſatz verbrauchter Kernſtoffe durch Aufnahme von Stoffen aus dem Protoplasma geſchieht. Zwar ſind alles dies nur Andeutungen, die auf die Innigkeit der Beziehungen zwiſchen den beiden Zellbeſtandteilen hinweiſen. Eine genaue Kenntnis Individualitätsſtufen. 33 der Wechſelverhältniſſe muß ſich uns ſo lange entziehen, als unſere Kenntniſſe über den Chemismus der Zelle überhaupt noch ſo im argen liegen, wie ſie es bis jetzt tun. Erſt wenn wir wiſſen, wie die aus dem Kern austretenden Stoffe beſchaffen ſind und wie ſie mit den Stoffen des Protoplasmas reagieren, können wir hoffen, mit größerer Beſtimmt— heit dieſe hochintereſſanten Beziehungen erkennen zu können. C. Die Lebewelen als Einzelzellen und Zellverbände. Jedes Lebeweſen iſt in gleicher Weiſe eine Lebenseinheit, wenn man es mit Rück— ſicht auf ſeine Lebensäußerungen betrachtet: es iſt ein abgeſchloſſener, unabhängig für ſich beſtehender Organismus, bei dem alle Einzelteile derart zuſammenwirken, daß der Fort— beſtand des Ganzen dadurch geſichert iſt; mit andern Worten, es iſt ſelbſterhaltungsfähig. Im phyſiologiſchen Sinne alſo iſt jedes Lebeweſen ein Individuum. Das gilt ganz unabhängig davon, in welchem Verhältnis die Einzelteile des Ganzen zuein— ander ſtehen, ob ſie Teile einer Zelle ſind, oder ob ſie zuſammengeſetzte Organe ſind, die aus mehr oder weniger zahlreichen Zellen beſtehen; es gilt für das Geißeltierchen und die Amöbe ebenſogut wie für den Kirſchbaum und den Menſchen. In bezug auf die Einheitlichkeit der Lebensäußerungen ſind ſie alle gleichwertig. Anders iſt es, wenn man von den Lebensäußerungen abſieht und die Körpermaſchine nach ihrer Zuſammenſetzung, nach ihrem Aufbau aus einzelnen Beſtandteilen betrachtet. Dann ſind die Lebeweſen verſchiedenartig: was uns bei den einen als abhängiger Beſtand— teil des Ganzen begegnet, das hat bei den anderen ſelbſtändiges Daſein und bildet ein unabhängiges Ganzes. Die einfachſten Lebeweſen haben denſelben Formwert wie die Bauſteine, aus denen höhere Lebeweſen aufgebaut ſind, und dieſe ſtehen im gleichen Ver— hältnis zu noch komplizierteren Organismen. Die Formeinheit aber iſt das eine Mal ſelbſtändig und ſelbſterhaltungsfähig, ſie iſt zugleich Lebenseinheit; das andre Mal iſt ſie abhängig, zu geſondertem Leben unfähig. Im morphologiſchen Sinne alſo müſſen wir verſchiedene Stufen der Zuſammengeſetztheit bei den Lebeweſen unter— ſcheiden, verſchiedene Individualitätsſtufen. Als niederſtes morphologiſches Individuum, als Individuum erſter Ordnung, tritt uns die Zelle entgegen. Es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß es noch niedrigere Ein— heiten gibt, aus denen ſich die Zellen aufbauen. Jedenfalls aber kennen wir ſolche bisher nicht. Wir haben auch keinen zwingenden Grund, ſolche anzunehmen. Wenn man den Zellbegriff weit genug faßt und nicht die Arbeitsteilung zwiſchen Protoplasma und Zell— kern als notwendig für die Zelle fordert, ſo können wir auch die einfachſten bekannten Lebenseinheiten mit unter den Begriff Zelle bringen. Die Zelle tritt uns als ſelbſtändiges Lebeweſen entgegen in der ganzen Reihe der Urpflanzen und Urtiere, der Protophyten und Protozoén, oder wie man beide zuſammenfaſſen kann, der Protiſten: jedes dieſer Lebeweſen ſtellt eine einzige Zelle vor. Die höheren Tiere und Pflanzen dagegen ſind Zellverbände; bei ihnen iſt die Zelle der einfachſte anatomiſche Beſtandteil. Eine Zwiſchenſtellung zwiſchen den Einzelzellen und den Zellverbänden nehmen die Protiſtenkolonien ein. In ihnen ſtehen die Zellen in lockrerem oder engerem Zuſammen— hang: aber ſie ſind alle gleich in Form und Verrichtung und laſſen ſich, unbeſchadet ihrer Lebensfähigkeit, voneinander trennen. Es iſt keine gegenſeitige Abhängigkeit der Einzelzellen eingetreten, ſie ſind nicht infolge von Arbeitsteilung auf ein Zuſammenwirken angewieſen. Stets ſind es auch nur verhältnismäßig wenige Zellen, die eine ſolche Ko— Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 3 34 Protiſtenkolonien, Perſonen. lonie zuſammenſetzen. Hierher gehören z. B. unter den Geißeltierchen Pandorina (Abb. 11), deren Einzelzellen durch eine gemeinſame Gallerthülle verbunden ſind, unter den Wimper— Abb. 11. Pandorina morum Ehrbg., eine Kolonie von Geißeltierchen. Vergr. 120 fach. Nach Stein. infuſorien die auf einem gemeinſamen veräſtelten Stiele ſitzenden Glockentierchen, Carchesium (Abb. 12) und Epistylis. Ganz anders ſtellen ſich die vielzelligen Pflanzen und Tiere dar, die Metaphyten und Metazoen. Schon bei den niederen Vielzelligen iſt die Zahl der Zellen meiſt ſehr groß, für die meiſten beträgt ſie Millionen, für viele ſogar ungezählte Millionen. Wird doch beim Menſchen die Zahl der roten Blutkörperchen allein ſchon auf 21½ Billionen berechnet. Die Einzelzellen des Ver— bandes ſind hier voneinander verſchieden. Die Arbeit, die für den Verband zu leiſten iſt, verteilt ſich auf die Zellen desſelben derart, daß die einen die Aufnahme und Verarbeitung der Nahrung, andre die Ausſcheidung der Stoffwechſelprodukte, noch andre die Bewegung, Reizaufnahme und Reizleitung, wieder andre ſchließlich die Fort— pflanzung übernehmen. Erſt durch das einheitliche Zuſammenwirken der Elemente kommt die Betätigung der Geſamtheit zuſtande, und aus dem Zuſtande des Ganzen ergibt ſich wiederum für jeden Teil die Art ſeiner Exiſtenz. Wir haben hier Individualitäten höheren Grades vor uns, Individuen zweiter Ord— nung, oder, wie Haeckel ſie nennt, Perſonen. Die gewebliche Diffe— renzierung, die aus der Arbeits— teilung unter den Einzelzellen her— vorgeht, beginnt mit den einfachſten Anfängen. Volvox (Abb. 13), den wir als niederſtes vielzelliges Weſen betrachten können, gleicht in den Grundzügen einer Kolonie von Geißel— tieren wie Pandorina; nur die Arbeits— teilung zwiſchen Körperzellen und Fortpflanzungszellen erhebt ihn auf eine höhere Stufe. Bei Pandorina iſt jede Zelle der Kolonie fähig, ſich durch Teilung zu einer neuen Kolonie Abb. 12. Carchesium polypinum Ehrbg;, eine Kolonie zu entwickeln, entweder ohne weiteres von Wimperinfuſorien. Vergr. 150 fach. Nach Ehrenberg. oder nach vorhergegangener Ver⸗ einigung mit einer anderen Zelle. Bei Volvox dagegen dienen der Fortpflanzung nur einzelne auserwählte Zellen, die ſich von den übrigen unterſcheiden; die anderen ernähren und bewegen das Ganze und gehen ſpäter zugrunde. Bei den übrigen Metaphyten und Tierſtöcke. 35 Metazoen iſt die Arbeitsteilung viel weiter fortgeſchritten als bei Volvos; ſchließlich iſt für jede beſondere Verrichtung eine beſonders geſtaltete Zellart vorhanden. Wie die ſelbſtändigen Zellen, die Protiſten, ſich zu Zellkolonien verbinden, ſo können ſich die Perſonen zu mehr oder weniger lockeren Verbänden, zu Stöcken, vereinigen. Tierſtöcke find z. B. die Moostierchen, die Korallen u. a-; als Pflanzenſtock kann man eine Erdbeerpflanze mit ihren Ausläufern betrachten. Auch in ſolchen Stöcken kann zwiſchen den einzelnen Perſonen eine Arbeitsteilung eintreten, ſo daß nicht jede Perſon Abb. 13. Kugeltierchen (Volvox aureus Ehrbg.) mit Eiern. für ſich eine ſelbſtändige Lebenseinheit iſt, ſondern auf andre Perſonen des Stockes für beſtimmte Bedürfniſſe angewieſen iſt. Tierſtöcke mit Arbeitsteilung ſtellen alſo wieder eine höhere Individualitätsſtufe dar, ſie ſind Individuen dritter Ordnung. Ein Beiſpiel dafür ſind die ſogenannten Staatenquallen oder Siphonophoren (Abb. 14u. 15). Die einzelnen Perſonen des Stockes haben den Wert eines Polypen oder einer Qualle; aber ſie ſind durch die Arbeitsteilung ungleich geworden (Abb. 15): die einen beſorgen die Nahrungsaufnahme für die Geſamtheit (4); andre dienen als Luftblaſen zum Tragen des Stockes im Waſſer (1); noch andre beſorgen als Schwimmglocken (2) durch ihre rhythmiſchen Zuſammenziehungen die Fortbewegung; beſonders geſtaltete Perſonen dienen als Fühl— 2 36 Phyſiologiſch ſelbſtändige und abhängige Zellen. fäden (5); andre, die mit ſogenannten Neſſelkapſeln, das ſind ausſtülpbare Giftdrüſen, reichlich verſehen ſind, fungieren als Wehrperſonen; ſchließlich ſind auch für die Fortpflanzung be— ſondre Perſonen (3) des Stockes vorhanden, in denen Eier und Samenfäden entſtehen. Die Zelle bildet überall die morphologiſche Einheit. Ihre phyſiologiſche Betätigung aber iſt merklich verſchieden, je nachdem ſie als Protiſtenzelle ein beſonderes Lebeweſen \ 5 Abb. 14. Physophora hydrostatica Forsk., eine Siphonophore. darſtellt oder als Beſtandteil einem umfaſſenderen Ganzen angehört. Im erſteren Falle iſt ſie phyſiologiſch ſelbſtändig, Abs. 15. Schema der Organiſation in letzteren phufiologiieh abhangig. — In dem engen Bereich der Protiſtenzelle ſpielen ſich en e eee alle jene Verrichtungen ab, die bei vielzelligen Pflanzen 7 Taſter. Der Magenraum iſt ſchwarz ge- und Tieren beobachtet werden. Ihr Protoplasma enthält i die Grundlagen für Verdauung, Aſſimilation und Ausſcheidung, für die Fortpflanzung, für, die Reizbarkeit und Zuſammenziehung. Keine dieſer Verrichtungen herrſcht vor, keine tritt zurück. Der Bau der Protiſtenzelle aber iſt, entſprechend der Vielſeitigkeit der Ver— richtungen, oft ſehr verwickelt; beſonders bei den Protozoen erhebt er ſich zuweilen zu einer Höhe der Differenzierung, daß es nicht wundernehmen kann, wenn frühere Forſcher ſie als „vollkommene Organismen“ betrachtet, d. h. den vielzelligen Tieren gleichgeſtellt haben und deren Organe, wie Gehirn, Darm, Geſchlechtsorgane u. a. bei ihnen wahrzunehmen glaubten. Phyſiologiſch ſelbſtändige und abhängige Zellen. 37 Nur in wenigen Fällen iſt das Protoplasma der Protiſtenzelle gleichartig beſchaffen; meiſt iſt eine Arbeitsteilung zwiſchen verſchiedenen Zellabſchnitten eingetreten, die um ſo weiter geht, je höher die Leiſtungen der Zelle ſind. Die Protozoenzellen beſonders zeigen die verſchiedenartigſten Anpaſſungen. Faſt ſtets iſt bei ihnen das Protoplasma in einen äußeren Mantel von Ektoplasma und eine innere Entoplasmamaſſe geſchieden. Das Ektoplasma iſt durchſichtiger und zäher als das grobwabige Entoplasma und enthält keine oder doch wenige Einſchlüſſe. Jenes beſorgt die animaliſchen Verrichtungen der Nahrungsaufnahme, Bewegung, Reizaufnahme, dieſem obliegt die Verdauung und Aus— ſcheidung. Während das Entoplasma, bei der großen Gleichartigkeit ſeiner Betätigung, faſt überall denſelben Bau zeigt, iſt das Ektoplasma die Grundlage für die mannig— faltigſten Differenzierungen, entſprechend ſeiner vielſeitigen Inanſpruchnahme. Wie am Körper der vielzelligen Weſen Organe, ſo laſſen ſich am Leib der Protiſtenzellen Orga— nellen unterſcheiden: Vorrichtungen für Nahrungserwerb, Bewegung, Angriff oder Ver— teidigung; ſie alle ſind ektoplasmatiſch. Außerdem geht vom Ektoplasma meiſt die Aus— ſcheidung ſchützender Membranen aus, und die Bildung verſchiedenartiger Gehäuſe aus Chitin, Zelluloſe, kohlenſaurem Kalk, Kieſelſäure oder andren Stoffen. Im Gegenſatz zu der Vielſeitigkeit in den Lebensäußerungen der Protiſtenzellen iſt die Tätigkeit der Zellen vielzelliger Lebeweſen einſeitig, wenigſtens ſoweit ſie im Dienſte des Verbandes ſteht. Die Arbeitsteilung, die in der Protiſtenzelle zwiſchen den einzelnen Abſchnitten des Zelleibes eingetreten iſt, ſpielt ſich hier zwiſchen den einzelnen Zellen oder Zellbezirken des Verbandes ab. Mit der Nahrungsaufnahme, der Bewegung, mit Verteidigung und Angriff, mit der Reizaufnahme, mit der Bildung äußerer Hüllen und innerer Stützorgane ſind hier jeweils beſondere Zellen des Pflanzen- oder Tierkörpers betraut. Aber die Arbeitsteilung geht nicht ſo weit, daß jede Zelle einzig und allein die Verrichtung ausübte, die ihr im Intereſſe des Ganzen obliegt. Vielmehr behält jede Zelle, ſolange ſie lebt, auch ihre grundlegenden Lebenseigenſchaften bei. Ein Leben ohne Stoffwechſel iſt undenkbar: die Stoffwechſeltätigkeiten, Aſſimilation, Atmung und Exkretion, bleiben daher der Zelle ungeſchmälert erhalten, und ihre Intenſität entſpricht der Lebhaftigkeit der Lebensäußerungen. Die ſogenannten animalen Funktionen, Bewegung und Reizbarkeit, werden zwar meiſt erheblich vermindert; trotzdem iſt wohl kaum eine lebende Zelle vorhanden, die nicht gewiſſer aktiver Formveränderungen fähig wäre, und die nicht durch ſtarke Reizung erregt würde. Die Arbeitsteilung hat nur die Wirkung, daß meiſt eine Tätigkeit der Zelle zu ihrer Haupttätigkeit wird, der gegenüber die andern mehr oder weniger zurücktreten. Die Arbeitsteilung bringt im Zellverbande die gleichen Vorteile mit ſich, die ſich bei menſchlichen Gemeinſchaften in ihrem Gefolge beobachten laſſen. Dadurch, daß von der Zelle nur eine Hauptverrichtung ausgeübt wird, geſchieht deren Ausführung voll— kommener und mit mehr Kraft, als wenn ſie neben zahlreichen gleichberechtigten Funktionen herginge — gerade wie ein Anzug, den ein Schneider macht, beſſer und ſchneller gear— beitet wird als der, den ein Robinſon für ſeine Bedürfniſſe anfertigt. Die Folge der Arbeitsteilung iſt Spezialiſierung. Dieſe aber bewirkt bei virtuoſer Ausbildung einzelner Fähigkeiten das Zurückbleiben der anderen, bei manchen Vorzügen viele Beſchränkungen. So ſind die Verbandszellen infolge der Arbeitsteilung in ihrer Form, in ihren Verrichtungen und in ihrer geſamten Lebensfähigkeit beſchränkt. Beſchränkungen in der Form der Verbandszellen ergeben ſich ſchon durch ihre dichte Zuſammenlagerung im Verband: ſie platten ſich aneinander ab, ſchieben ſich zwiſchen— 38 Beſchränkungen der Verbandszellen. einander ein, und erhalten dadurch beſtimmte Geſtalten, wie ſie bei den freilebenden Protiſtenzellen nie gefunden werden: prismatiſch, kubiſch, polyedriſch, mannigfach gekantet und geeckt. — Andere Formbeſchränkungen hängen aufs engſte mit Beſonderheiten der Hauptverrichtung zuſammen. Im embryonalen Leib eines vielzelligen Lebeweſens ſind die Zellen einander im Ausſehen ähnlich, und erſt mit dem Verſchiedenwerden der Leiſtungen differenzieren ſich auch die Formen. Manche Zellen bleiben den Elementen des Embryos ähnlich in der Geſtalt und auch ähnlich im Inhalt: es ſind die Zellen mit vorwiegenden Stoffwechſelverrichtungen, bei den Pflanzen z. B. das Parenchym der Blätter, bei den Tieren die Zellen der verſchiedenartigen Epithelien. Dieſen ein— facheren Zellformen ſtehen umgewandeltere gegenüber. Solche ſind zunächſt die Zellen, denen die mechaniſche Feſtigung des Körpers obliegt: bei den Pflanzen ſind ſie durch überaus dicke Wandungen ausgezeichnet, bei den Tieren dagegen ſondern ſie meiſt maſſenhafte Zwiſchenzellſubſtanz zwiſchen ſich aus, die als weichere oder härtere Maſſe, oft unter Einlagerung von Kalkſalzen, zu Binde- und Stützorganen wird. Ganz beſon— ders auffällig ſind die Umgeſtaltungen, die bei den Tieren die kontraktilen und reiz— leitenden Zellen, alſo die Muskel- und Nervenzellen, erleiden. Sie ſind meiſt lang— geſtreckt, jene in der Richtung der Zuſammenziehung, dieſe in der Richtung der Reizleitung; als Träger der ſpezifiſchen Tätigkeit ſind in beiden Zellarten fibrilläre Bildungen auf— getreten, und zwar dort kontraktile, hier leitende Fibrillen. Als Folge der weitgehenden Spezialiſierung in Form und Verrichtung erſcheint bei den meiſten Verbandszellen auch das Nachlaſſen oder der gänzliche Verluſt der Teilungs— fähigkeit. Nur die Epithelien der Körper- und Darmoberfläche und bei den Wirbel— tieren die roten Blutkörperchen werden ſtändig durch Zellvermehrung erſetzt. Bei den Muskelzellen find Teilungen ſelten. Knorpel, Knochen- und Bindegewebszellen teilen ſich im ausgewachſenen Körper nicht mehr. Nervenzellen haben, ſobald ſie vollkommen differenziert ſind, ihre Vermehrungsfähigkeit ganz eingebüßt. Die Hauptbeſchränkung der Verbandszellen beſteht in dem Verluſt ſelbſtändiger Lebens— fähigkeit. Das hat in der Hauptſache ſeinen Grund in dem Verluſt ſelbſtändiger Nah— rungsaufnahme. Wie die ſklavenhaltenden Amazonenameiſen (Polyergus rufescens Latr.) das ſelbſtändige Freſſen verlernt haben und zugrunde gehen bei reichlicher Nahrung, wenn nicht eine fütternde Sklavenameiſe zugegen iſt, ſo ſind die meiſten Verbandszellen in betreff der Nahrungsaufnahme von anderen Zellen des Verbands, bei den Tieren von den Darmepithelzellen abhängig; die Nahrung wird ihnen zwar nicht ſchon aſſimi— liert, aber doch in leicht aſſimilierbarer Form geliefert. Aber auch ſolche Verbandszellen, an denen wir alle Eigenſchaften freilebender Zellen, vor allem auch die Fähigkeit ſelb— ſtändiger Nahrungsaufnahme beobachten, wie die weißen Blutkörperchen, können außer— halb des Verbandes nicht leben: ſie ſind an das „Milieu“ des Körpers, an die Zu— ſammenſetzung der Körperſäfte angepaßt und gehen, wenn man ſie etwa in Waſſer bringt, zugrunde, wie ein Meerestier, das man in Süßwaſſer ſetzt. Die Durchführung der Arbeitsteilung in den Zellverbänden bringt es mit ſich, daß die einzelnen Verrichtungen auf beſtimmte Stellen innerhalb des Pflanzen- bzw. Tierkörpers konzentriert werden: die verſchiedenen Zellen liegen nicht regellos verſtreut im Körper, ſondern gleich funktionierende Zellen lagern ſich zu Gruppen zuſammen, den ſogenannten Geweben. Es gibt alſo im allgemeinen ſo vielerlei Gewebe, als es verſchieden funktio— nierende Zellen in einem Verbande gibt. Die Verſchiedenartigkeit der Gewebe iſt natur— gemäß bei den Tieren viel größer als bei den Pflanzen, da die Zahl der verſchiedenen Gewebe und Organe. 39 Funktionen größer iſt: die beſonderen Gewebe für die ſogenannten animalen Funktionen, für Bewegung und Reizleitung, fehlen) den Pflanzen. Die Gewebe ſind im vielzelligen Organismus zu Organen zuſammengeordnet. Der Begriff des Gewebes bezieht ſich lediglich auf die Beſchaffenheit ſeiner Beſtandteile, wie etwa die Begriffe Holz, Eiſen. Der Begriff des Organs dagegen geht durchaus auf die Form und Begrenzung des betreffenden Teils, wie etwa die Begriffe Hebel oder Rad. Die Funktion eines Organs wird durch dasjenige Gewebe beſtimmt, das den Hauptanteil an ſeinem Aufbau nimmt, beim Blatt z. B. durch die Parenchymzellen mit Chorophyll— körnern, beim Gehirn durch die Nervenzellen; neben dieſen aber gehen noch „Hilfsgewebe“ in die Zuſammenſetzung der Organe ein, ſo beim Blatt Gefäßbündel, beim Gehirn Stütz— gewebe. Man kann zwiſchen Oberflächenorganen und Maſſenorganen unterſcheiden, ohne daß freilich dieſe Einteilung erſchöpfend wäre: Oberflächenorgane ſind durchaus alle Hilfs— apparate des Stoffwechſels: die Blätter und Wurzeln der Pflanzen, die Organe der Atmung, Verdauung, Saftleitung und Exkretion bei den Tieren. Von ihrer Ausdehnung hängt die Größe des Stoffwechſels bei einem Lebeweſen ab. Maſſenorgane dagegen ſind die meiſten Stützapparate des Pflanzen- und Tierkörpers, die Muskeln und das zentrale Nervenſyſtem der Tiere: ſie ſind um ſo maſſiger, je höher die Anſprüche ſteigen, die an ſie geſtellt ſind. Die Funktionen eines Gewebes ſind einheitlich, entſprechend ſeiner Zuſammenſetzung aus gleichen Elementen. Die Verrichtungen eines Organes dagegen brauchen nicht not— wendig einheitlich zu ſein; denn einerſeits iſt es aus verſchiedenen Gewebsarten zuſammen— geſetzt, andrerſeits kann ſeine Anordnung am Körper verſchiedenerlei Verrichtungen er— lauben. So beſorgt der Darm bei vielen niederen Tieren zugleich die Aufſaugung der Nährſtoffe und die Abſonderung der verdauenden Säfte; oder die Nierenkanäle (Nephri— dien) dienen bei vielen Ringelwürmern zugleich der Entfernung der Exkretſtoffe und der Ausleitung der Geſchlechtsprodukte. Bei fortſchreitender Arbeitsteilung können ſich ſolche verſchiedene Funktionen auf getrennte Abſchnitte des urſprünglich einheitlichen Organes verteilen. Bei den Wirbeltieren z. B. ſind Magen, Leber und Bauchſpeicheldrüſe, die ſich aus Teilen des einheitlichen Darmkanals beim Embryo entwickeln, mit der Aus— ſcheidung der verſchiedenen Verdauungsſäfte betraut; der eigentliche Darm behält allein die Aufgabe, die vorbereiteten Nährſtoffe aufzuſaugen. Andererſeits kann eine der Funk— tionen ganz verloren gehen und damit ſogar eine urſprüngliche Nebenfunktion zur Haupt— funktion eines Organs werden. Bei den Amphibien beſorgt im männlichen Geſchlecht die Urniere neben der Ausſcheidung von Stoffwechſelprodukten zugleich die Ausleitung der Geſchlechtsprodukte; bei Reptilien, Vögeln und Säugetieren jedoch geht die exkre— toriſche Funktion der Urniere ganz verloren dadurch, daß ein neues Harnorgan ent— ſteht; die Urniere behält dann ihre frühere Nebenverrichtung, die Ausführung der Ge— ſchlechtsprodukte, bei den Männchen als einzige Aufgabe bei, bei den weiblichen Tieren wird ſie zurückgebildet. Oder die Alke benutzen die Flügel, die bei anderen Vögeln nur dem Fluge dienen, nebenbei auch beim Tauchen zum Rudern unter Waſſer; bei den Pinguinen aber iſt die Verwendung der Flügel als Flugwerkzeuge ganz in Wegfall ge— kommen, ſie dienen ausſchließlich als Ruder. Eine ſolche Umwandlung der Organe wird als Funktionswechſel bezeichnet; ſie iſt eine häufige Erſcheinung, die für die Erklärung der Umbildungen bei Pflanzen und Tieren von großer Wichtigkeit iſt. Je weiter die Arbeitsteilung fortſchreitet, um ſo mehr ſteigert ſich die Leiſtungsfähig— keit eines Organismus. Aber den dadurch erreichten Vorteilen ſtehen auch gewiſſe Nach— Korrelation. teile gegenüber. Je weiter die Arbeitsteilung geht, um ſo zahlreicher ſind die Einzel— organe, deren Verrichtungen für das Weiterleben des Ganzen unentbehrlich ſind. Verſagt eines davon den Dienſt, ſo wird dadurch das Leben des Ganzen vernichtet. Bei niederen Lebeweſen mit wenig durchgeführter Arbeitsteilung iſt beinahe jeder nicht zu kleine Ab— ſchnitt des Körpers zur Ausübung der zum Leben notwendigen Funktionen fähig. Man kann das Lebermoos Marchantia oder den Süßwaſſerpolypen Hydra in zahlreiche kleine Stücke zerſchneiden, und jedes Stück vermag weiter zu leben, da es Teile der wenigen Organe des Körpers enthält. Wird aber eine Fichte durch Mäuſe oder Engerlinge ihrer Wurzeln beraubt, oder werden ihr durch Raupen alle Nadeln abgefreſſen, ſo ſtirbt ſie. Oder wird bei einem Hunde Lunge oder Darm durch Mikroorganismen geſchädigt, wird das Herz verletzt oder die Niere durch Erkrankung arbeitsunfähig, ſo iſt das ganze Tier dem Tode verfallen. Ein jedes Lebeweſen bildet eine Lebenseinheit, ein in ſich abgeſchloſſenes einheit— liches Syſtem. Die Verteilung der Arbeit auf verſchiedene Organe eines Lebeweſens kann nur dann zu einheitlichen Leiſtungen führen, wenn die Verrichtungen der Einzel— organe in geregelter Weiſe ineinander greifen. So iſt denn die Leiſtung und damit die Größe des Organs durch ſeine Beziehungen zum Ganzen beſtimmt; es beſteht ein engſter Zuſammenhang zwiſchen den Teilen. Jedes Organ muß mit Rückſicht auf das Maß der Arbeit, die zur Erhaltung des Ganzen erforderlich iſt, eine beſtimmte Menge arbeitender Einheiten umfaſſen. Jede Arbeitsleiſtung der Muskeln erfordert gewiſſe Mengen Nährmaterial, ſtellt alſo entſprechende Anforderungen an die aufſaugende Tätig— keit des Darmes; ſie produziert andrerſeits beſtimmte Maſſen von Stoffwechſelprodukten, zu deren Entfernung die Nierentätigkeit hinreichen muß. Der Transport der Nährſtoffe und Abfallſtoffe, der durch den Blutkreislauf vermittelt wird, ſtellt wieder größere oder geringere Anſprüche an das Herz. So wird die Größe des Herzens durch die Größe der Arbeitsleiſtungen des Tieres bedingt: dies iſt daher bei der ſchnellſchwimmenden Forelle größer im Verhältnis zum Körpergewicht als bei dem trägen Karpfen. Wo neben der Bewegung die Wärmeproduktion eine Hauptleiſtung des Stoffwechſels iſt, wie bei den warmblütigen Vögeln und Säugetieren, da wirkt auch der Betrag der Wärmeabgabe auf die Größe des Herzens ein. Ein kleineres Tier hat bei ſeiner verhältnismäßig größeren Oberfläche einen relativ größeren Wärmeverluſt als ein größeres Tier derſelben Art; daher iſt bei ihm das Herz auch verhältnismäßig größer als bei dieſem. So wiegt beim neugeborenen Kaninchen das Herz 5,9%, beim ausgewachſenen dagegen nur 2,8% vom Körpergewicht. Dieſe Beziehungen zwiſchen dem Maß der Leiſtung und damit auch der Größe der einzelnen Körperorgane, wie ſie hier für die Körpermuskulatur, den Darm, die Nieren und das Herz der Wirbeltiere angedeutet wurden, ſind aber nicht die einzigen. So be— ſtehen auch Beziehungen zwiſchen der Form der Organe in Hinſicht aufeinander und auf die Körperform, da ſie ſich in den verfügbaren Raum teilen müſſen. So werden bei den Säugern die Lungen, vornehmlich der linke Flügel, in ihrer Geſtalt durch das dazwiſchen liegende Herz beeinflußt; bei den Schildkröten mit ihrer gedrungenen Körper— form ſind Lunge und Leber kurz und breit, bei den Schlangen dagegen ſind beide lang und ſchmal. — Es beſteht ein Wettbewerb um die verfügbaren Nahrungsſtoffe derart, daß ein Mehrverbrauch eines Organes den anderen Organen abgezogen wird. Es beſtehen Beziehungen im Chemismus der Organe: Körperſaft und Blut wirken auf ſie alle ein, und wenn dieſe durch die Tätigkeit eines Organes in ihrer Beſchaffenheit Korrelation. 41 geändert werden, jo übt das auf alle anderen Organe einen Einfluß aus. So entfernt wahrſcheinlich die Schilddrüſe bei den Säugern Stoffe aus dem Blut, die auf das Ge— hirn ſchädlich einwirken, und eine Störung in der Tätigkeit dieſer Drüſe ſchädigt das Gehirn, ihre gänzliche Entfernung z. B. hat Kretinismus zur Folge. Es ſind wahr— ſcheinlich noch zahlreiche Zuſammenhänge andrer Art, wodurch die Teile eines Organis— mus miteinander verbunden ſind. Die Wechſelbeziehungen zwiſchen den Teilen, die daraus entſtehen, werden unter der Bezeichnung Korrelationen zuſammengefaßt. Cuvier, der zuerſt auf dieſe korrelativen Beziehungen im Organismus hingewieſen hat, begriff darunter zwei weſentlich verſchiedene Erſcheinungen. Die Tatſache, daß alle Wiederkäuer zugleich Zweihufer ſind, oder daß bei jedem Beuteltier außer dem Beutel— knochen ein einwärts gebogener Fortſatz am Unterkiefer als charakteriſtiſches Merkmal des Skeletts angetroffen wird, bezeichnete er ebenſo als Korrelation wie die Beziehungen zwiſchen einem Fleiſchfreſſergebiß und verhältnismäßiger Kürze des Darmkanals oder zwiſchen einem Pflanzenfreſſergebiß und größerer Länge des Darms. Im erſteren Falle aber handelt es ſich um ein Nebeneinander zweier Eigenſchaften, die wahrſcheinlich ohne notwendige Verknüpfung ſind und nur deshalb immer gemeinſam wiederkehren, weil ſie bei den Vorfahren der betreffenden Tiergruppe, bei den Ahnen der Wiederkäuer bzw. der Beuteltiere, zufällig nebeneinander vorhanden waren. Im letzteren Falle aber ſteht die geringere oder größere Länge des Darmkanals in naher Beziehung zur Form des Gebiſſes: beide werden durch die Beſchaffenheit der Nahrung bedingt. Die Länge des Darmes iſt nicht nur bei Säugern, ſondern auch bei anderen Tieren von der Art der Nahrung abhängig: die von gemiſchter pflanzlicher und tieriſcher Koſt lebende Kaulquappe hat einen langen, der fleiſchfreſſende Froſch dagegen einen kurzen Darm. Jenen Fall, wo ein für uns „zufälliges“ Nebeneinander zweier Eigenſchaften, z. B. zwei Paar Glied— maßen und Wirbelſäule, infolge gemeinſamen Urſprungs in einer Reihe von Tieren ſtetig wiederkehrt, kann man morphologiſche Korrelation nennen. Davon läßt ſich als phyſio— logiſche oder funktionelle Korrelation der Fall unterſcheiden, wo das gemeinſchaftliche Auftreten beſtimmter Eigenſchaften durch den funktionellen Zuſammenhang der Körper— teile bedingt if. Es wird nicht immer möglich ſein, zu entſcheiden, ob morphologiſche oder funktionelle Korrelation vorliegt; denn der innere Zuſammenhang der Organe unter— einander und ihre Abhängigkeit von den Lebensbedingungen ſind uns noch zu wenig be— kannt. — Hier ſollen nur die funktionellen Korrelationen beſprochen werden. Eine ſehr häufige und der Beobachtung leicht zugängliche Korrelation iſt die zwiſchen den Geſchlechtsorganen und den ſogenannten ſekundären Geſchlechtsmerkmalen vieler männ— lichen Tiere. Das Auftreten des Kammes und der Sporen beim Hahn, des Geweihes beim Hirſche, des Bartes und der tiefen Stimme beim Manne wird durch die Anweſen— heit der Hoden bedingt; werden dieſe vor Entwicklung jener Merkmale beſeitigt, ſo kommt es nicht zur Ausbildung der letzteren, wie an Kapaunen, kaſtrierten Hirſchen und Eunuchen erſichtlich iſt. Das charakteriſtiſche Fleiſchfreſſergebiß der Raubſäugetiere und die ver— hältnismäßige Kürze ihres Darmes haben ſich höchſt wahrſcheinlich auf Grund der Fleiſch— nahrung ausgebildet — der genaue Nachweis iſt hier nicht ſo leicht zu erbringen. Ganz rätſelhaft iſt uns aber der innere Zuſammenhang in folgenden Fällen: ſchwarze Schweine ſind in Virginia immun gegen eine Farbwurzel (Lachnanthes), die auf ihren Weiden wächſt, während die weißen an deren Genuß zugrunde gehen; weiße männliche Katzen mit blauen Augen ſind ſtets taub; Katzen mit gelb, weiß und ſchwarz geflecktem Fell ſind ſtets weiblich. 42 Korrelation. Für beſtimmte funktionelle Korrelationen jedoch läßt ſich die Art des Zuſammen— hangs mit einiger Wahrſcheinlichkeit erſchließen. Es ſind diejenigen, die man als quan- titative Korrelationen oder als Kompenſationen des Wachstums bezeichnet. Sie gründen ſich auf den Wettbewerb beſtimmter Organe um die verfügbare Nahrung. Bei der Nacht- kerze (Oenothera biennis L.) und anderen Pflanzen mit reichblütigen Blütenſtänden kommen die zuletzt gebildeten Knoſpen am Ende des Blütenſtandes gar nicht zur Ent— faltung, außer wenn man die jungen Früchte rechtzeitig entfernt; es wird dann die ſonſt dieſen zufließende Nahrung für ſie verfügbar. In ähnlicher Weiſe erklärt ſich wohl die Verſchiedenheit der zweierlei Männchen eines Bockkäfers Acanthophorus confinis Lameere; die einen haben lange Oberkiefer und kurze Fühler, die anderen kürzere Ober— kiefer und längere Fühler. Die Hühnerraſſen, bei denen eine ſtarke Federhaube ausge— bildet iſt, haben keinen Kamm. So wird auf einer Seite abgezogen, was auf der anderen zuviel verbraucht wird. Vielleicht iſt es auch als Kompenſation des Wachstums zu er— klären, daß bei manchen Säugern mit beſonders mächtigen Hintergliedmaßen die Vorder— gliedmaßen ſehr klein bleiben, wie beim Känguruh und bei der Springmaus (Dipus). Viel fraglicher jedoch iſt es, ob man die Beziehungen zwiſchen Gliedmaßengröße und Wirbelzahl bei manchen Tieren, die Goethe und Etienne Geoffroy St. Hilaire als Beiſpiel für Kompenſation anführen, hierher rechnen darf: beim Froſch ſind die Gliedmaßen groß bei geringer Wirbelzahl, der Salamander dagegen hat zahlreiche Wirbel und ſchwache Gliedmaßen — ähnlich hat die gliedmaßenloſe Blindſchleiche zahlreichere Wirbel als die Eidechſe mit gutentwickelten Gliedmaßen. Ob hier wirklich ein Ausgleich in der Verwendung des Materials vorliegt, iſt ſchwer zu entſcheiden. Jedenfalls gibt es Ausnahmen von ſolchen ſcheinbaren Ausgleichungen: man vergleiche nur den Schwan und den Flamingo; jener hat kurze, dieſer lange Beine, die Wirbelzahl aber iſt auch bei letzterem eine große. Bei verſchiedenen Tier— arten braucht eben der verfügbare Stoff nicht gleich bemeſſen zu ſein; ſo haben ja ſicher die Schildkröten eine größere Stoffmaſſe für die Produktion von Knochen zur Ver— fügung als andere Reptilien. Mit Sicherheit kann man daher nur dort von Kompen— ſation des Wachstums reden, wo verſchiedene Ausbildung von Individuen der gleichen Art zur Vergleichung kommt. D. Einteilung der Lebeweſen. 1. Pflanze und Tier. Die Geſamtheit der Lebeweſen wird hergebrachterweiſe in Pflanzen und Tiere eingeteilt, und dieſe Einteilung hat ihre volle Berechtigung. Aber wenn es auch jedem klar iſt, daß ein Moos und ein Eichbaum zu den Pflanzen, ein Käfer oder ein Pferd zu den Tieren gehören, ſo iſt es doch ſchwer, ja unmöglich, Merkmale anzugeben, die einer— ſeits für alle Pflanzen, andrerſeits für alle Tiere zutreffen. Ebenſo iſt es unmöglich, die niederſten Pflanzen und die niederſten Tiere ſcharf zu trennen. Eine alte Unterſcheidung ſagt: „plantae vivunt, animalia vivunt et sentiunt“ „die Pflanzen leben, die Tiere leben und ſind reizbar“. Die Überſetzung von „sentiunt“ mit fühlen oder empfinden wäre falſch; denn auch für die Tiere können wir nicht aus— ſagen, daß ſie fühlen, ſondern nur, daß durch Reize Bewegungen bei ihnen ausgelöſt werden. Für die höheren Tiere iſt es ja ſehr wahrſcheinlich, daß ſie Gefühle und Empfin— Unterſchiede zwiſchen Pflanze und Tier. 43 dungen von der Art derer des Menſchen haben; aber je weiter wir in der Tierreihe hinabſteigen, um ſo geringer wird dieſe Analogie, und niemand wird einem Wurm, einer Qualle oder einem Schwamm Empfindung zugeſtehen wollen. Aber auch ſo iſt die Unterſcheidung nicht ſtichhaltig. Auch die Pflanzen antworten auf Reize mit Bewegungen, und wenn ſich dieſe auch wegen ihrer Langſamkeit meiſt der unmittelbaren Beobachtung entziehen, ſo ſind ſie doch bei manchen ſo ſchnell und deutlich wie bei Tieren: die Mi— moſe klappt auf verſchiedene Reize ihre Fiederblättchen zuſammen; die ſogenannten Ten— takel auf den Blättern des Sonnentaupflänzchens (Drosera) legen ſich um auf Berührung mit Eiweißſtoffen, die Staubblätter des Sauerdorns (Berberis) biegen ſich auf mecha— niſchen Reiz ein. Ja ſogar beſondere Organe für die Aufnahme der Reize, die man den Sinnesorganen der Tiere an die Seite ſtellen kann, ſcheinen nach neueren Unter— ſuchungen bei den Pflanzen nicht zu fehlen. Man könnte freilich verſuchen, einen Unter— ſchied zwiſchen der Reizbarkeit der Pflanzen und derjenigen der Tiere darin zu finden, daß ſie bei dieſen an das Nervenſyſtem geknüpft iſt, das jenen fehlt. Aber auch für die einzelligen Tiere kommt ein Nervenſyſtem nicht in Betracht, und es ſcheint auch bei den Schwämmen, die zweifellos zu den Tieren gehören, vollkommen zu fehlen. Linné führt außer dem „Fühlen“ noch die ſelbſtändige Bewegung als Kennzeichen der Tiere gegenüber den Pflanzen auf. Damit iſt ein weitgehender Unterſchied getroffen, wenn wir Bewegung als Ortsbewegung auffaſſen. Denn zu einfachen Veränderungen ihrer Haltung ſind auch die Pflanzen befähigt: viele ſtellen ihre Blätter in beſtimmte Richtung zur Sonne und ſenken ſie beim Einbruch der Dunkelheit; die Blüten öffnen und ſchließen ſich, Ranken und junge Triebe von Kletterpflanzen machen rotierende Be— wegungen. Aktive Ortsbewegung dagegen iſt bei Pflanzen ſehr ſelten, und es war ganz folgerichtig, wenn Unger das Ausſchlüpfen der frei beweglichen Schwärmer von Algen beſchrieb unter der Überſchrift „Die Pflanze im Moment der Tierwerdung“ (Wien 1843). Aber es gibt eine Anzahl wirklich frei beweglicher Pflanzen, wie die Kieſelpanzeralgen (Diatomeen), und auf der anderen Seite gibt es zahlreiche dauernd feſtſitzende Tiere, die nur in ihren Jugendzuſtänden freie Beweglichkeit beſitzen, wie die Schar der Korallen und der Moostierchen (Bryozoen). Als ein höchſt charakteriſtiſches Merkmal für Pflanzen muß der Beſitz von Chloro— phyll, dem grünen Farbſtoff der Blätter gelten, der imſtande iſt zu aſſimilieren, d. h. die Kohlenſäure unter dem Einfluß des Sonnenlichtes zu zerlegen und ihren Kohlenſtoff, zuſammen mit den Elementen des Waſſers, zum Aufbau von organiſchen Verbindungen, zunächſt von Stärke und anderen Kohlenhydraten zu verwerten. Auch in den rotbraunen Blättern z. B. der Blutbuchen, in den roten Meeresalgen oder in den braunen Diato— meen iſt Chlorophyll enthalten, nur durch andere Farbſtoffe verdeckt. Es gibt zwar Tiere, in denen ebenfalls Chlorophyll in Geſtalt von grünen Körperchen gefunden wird, wie der grüne Süßwaſſerpolyp (Hydra viridis L.), einige kleine Strudelwürmer (Meso— stomum viridatum O0. Schm., Vortex viridis M. Schultze), der Sternwurm Bonellia viridis Rol., eine Anzahl Wimperinfuſorien wie Stentor polymorphus Ehrbg., Para- maecium bursaria Ehrbg. u. a. Aber in allen dieſen Fällen iſt der Nachweis erbracht, daß die grünen Körper winzige Algen ſind, die in den Zellen des Tierkörpers leben. Daß es aber doch Tiere gibt, die mittels eines an ihr eigenes Körperplasma gebundenen Chlorophylls zu aſſimilieren imſtande ſind, hat Engelmann durch ſeine Beobachtungen an einem Wimperinfuſor, einer diffus grünen Vorticelle, nachgewieſen. Dagegen fehlt das Chlorophyll manchen Pflanzen, die als Schmarotzer oder Moderpflanzen organiſche Stoffe 44 Ernährung bei Pflanze und Tier. als Nahrung aufnehmen, wie den Pilzen, manchen Orchideen und dem Fichtenſpargel (Monotropa hypopitys L.); dieſe find aber durch ihre Organiſation ſicher als Pflanzen gekennzeichnet. Ja bei den Geißelinfuſorien findet ſich oft trotz des Vorhandenſeins von Chlorophyll eine Einfuhröffnung für geformte Nährſtoffe, und durch die letzte Ernährungs— art kann hier die Aſſimilation durch Chlorophyll ſogar ganz überflüſſig gemacht werden. Daher finden wir in dieſer Ordnung manche Gattungen, die das Chlorophyll ganz ver— miſſen laſſen; in anderen Gattungen kommen neben chlorophyllhaltigen, aſſimilierenden Arten einzelne chlorophyllfreie, freſſende Arten vor, wie Chlamydomonas hyalina und Synura putrida. Was die vielzelligen Lebeweſen angeht, ſo iſt jetzt nirgends ein Zweifel, ob man es mit einem Tier oder einer Pflanze zu tun hat. Unter den Einzelligen dagegen läßt ſich eine ſcharfe Grenze nicht ziehen: Es hat auch keinen Zweck, darüber zu ſtreiten, ob die Grenzlinie hier oder da zu ziehen ſei; gerade das Nichtvorhanden— jein einer Grenze iſt lehrreich: es weilt darauf hin, daß Pflanzen- und Tier- reich an ihrer Wurzel verſchmelzen. Dagegen iſt es ſehr lehrreich für das Verſtändnis der Form und Organi— ſation von Pflanzen und Tieren, die Unterſchiede zwiſchen beiden, und zwar zwiſchen den höheren Vertretern beider Reiche, einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Dieſe Unterſchiede beruhen in letzter Linie auf der Art der Er— nährung. Die Pflanze ſchafft organiſche Subſtanz aus unorganiſcher: ſie nimmt Kohlenſäure aus der Luft, Waller mit W, darin gelöſten ſtickſtoffhaltigen und Abb. 16. Sacculina carcini Thomps. ein paraſitiſcher anderen Salzen aus dem Boden auf Rankenfüßler, an einer Krabbe (Carcinus maenas 5 Leach). Von dem ſackförmigen Körper des Schmarotzers (Jh, der und baut daraus, unter Vermittlung nem Diet, br Beadoe aiben anf, de den batte br ub. des Blattgrüns im Sonnenlichte, Stärke Vergr. 1½ fach. e Wandtafel. und weiterhin Eiweißſtoffe auf; dabei wird Sauerſtoff frei. Das Tier jedoch iſt für ſeine Ernährung, außer auf Sauerſtoff und Waſſer, auf organiſche Nahrung an— gewieſen; ſolche aus anorganiſchen Verbindungen ſelbſt aufzubauen, vermag es nicht. Daraus erklärt ſich die Gegenſätzlichkeit in der Organiſation von Pflanze und Tier. Die Pflanze findet ihre Nährſtoffe überall in der Luft und im Boden dort, wo genügend Feuchtigkeit und die entſprechenden Salze vorhanden ſind. Sie kann der Ortsbewegung entbehren und muß nur genügend große Flächen haben, um die ihrem Bedürfniſſe ent— ſprechende Maſſe von Nährſtoffen durch Osmoſe in ſich aufzunehmen. Dieſe Flächen entwickelt ſie nach außen, in der Luft die Blätter, im Boden die Wurzeln. — Ganz anders ſind die Bedingungen, unter denen das Tier ſeine Nahrung findet. Sauerſtoff iſt ihm überall zugänglich, in der Atmoſphäre unmittelbar, im Waſſer in gelöſtem Zu— ſtande. An der Atmung beteiligt ſich daher bei Waſſertieren oft die ganze Oberfläche, Anordnung der Oberflächen bei Pflanze und Tier. 45 und es werden hier, wo ein Vertrocknen ausgeſchloſſen iſt, auch große Oberflächen nach außen entwickelt, die Kiemen, um eine möglichſt große Berührungsfläche mit dem ſauer— ſtoffhaltigen Waſſer zu ſchaffen. Bei Landtieren dagegen ſind wegen der Gefahr des Vertrocknens die Atmungsflächen vorwiegend oder ganz im Innern des Körpers ent— wickelt, teils als Lungen, teils als Luftröhren. Die organiſche Nahrung dagegen iſt in flüſſigem, aufſaugbarem Zuſtande nur in Lebeweſen enthalten. Tiere, die als Schmarotzer andere Tierkörper bewohnen, haben daher die Möglichkeit, die flüſſigen, organiſchen Stoffe durch ihre ganze Oberfläche aufzuſaugen, und manche tun dies in der Tat, wie die Bandwürmer oder der paraſitiſche Krebs Sacculina (Abb. 16); dann iſt ihre äußere Oberfläche zu dieſem Behuf vergrößert, beim Bandwurm durch Abplattung, bei Sacculina durch Verzweigungen der wurzelförmigen Ausläufer, die den ganzen Körper des Wirts— tieres durchziehen. In der Regel aber müſſen die Tiere ihre organiſche Nahrung erſt für die Aufſaugung vorbereiten. Das kann im allgemeinen erſt geſchehen, nachdem ſie ſie in das Innere ihres Körpers aufgenommen haben; daher ſind bei den Tieren die osmotiſch wirkſamen Flächen für die Aufſaugung der Nahrung im Innern ausgebildet: die Wandungen des Darmkanals. Das Tier findet aber dieſe organische Nahrung nicht überall; es muß ſie aufſuchen und be— darf dazu der freien Bewegung und einer erhöhten Reizbarkeit. Nur bei waſſerbewohnenden Tieren iſt es möglich, daß Strömungen, die ſie durch Strudeln im Waſſer erzeugen, ihnen lebende oder tote organiſche Nahrung in genügender Menge zuführen. Daher finden wir, von Schmarotzern abgeſehen, im Waſſer, . DIE 8 1 8 Abb. 17. Vegetationspunkt einer Winterknoſpe der und nur hier, dauernd feſtſitzende und Edeltanne im Medianſchnitt, vergrößert. Nach Sachs. wenig bewegliche Tiere in großer An— zahl; z. B. die Polypenformen der Coelenteraten, die Schwämme, die Moostierchen und Brachiopoden, viele Würmer und Muſcheln. Die meiſten Waſſertiere aber und alle Landtiere ſind frei beweglich und würden in ihrer Beweglichkeit durch bedeutendere Ausdehnung ihrer äußeren Oberfläche nur behindert werden. So ſind denn bei ihnen auch die Oberflächen für die vegetativen Funktionen, für die Atmung meiſt und für die Exkretion ſtets, in das Körperinnere verlegt. Die innere Entfaltung der Flächen für den Stoffwechſel bedingt aber eine ganz andre Körperanlage als deren Entfaltung nach außen. Die Pflanzen haben von vorn— herein kompakte Organe; ihr Grundgewebe iſt das Parenchym mit polyedriſch aneinander abgeflachten Zellen, wie wir es überall in den Embryonen und den Vegetationspunkten in typiſcher Ausbildung kennen (Abb. 17); aus dem Parenchym gehen die andren Ge— webe hervor. Die Tiere aber haben urſprünglich durchaus flächenhaft ausgebreitete Grundgewebe, Epithelien. Bei den niederſten vielzelligen Tieren, den Coelenteraten, z. B. unſerem Süßwaſſerpolypen Hydra (Abb. 18) beharren alle Organe des Körpers zeitlebens auf der Stufe des Epithelgewebes. Bei den höheren Tieren (vgl. Abb. 19) treten in der erſten Entwicklung ebenfalls nur Epithelien auf, die ſogenannten Keim— blätter, und die maſſigen Gewebe, die im ausgebildeten Zuſtande bei ihnen vor— kommen, leiten ſich ebenfalls von epitheliſchen Bildungen ab, z. B. die Muskulatur der Wirbeltiere. 46 Wachstum bei Pflanze und Tier. Die beſtändige Ausgabe von Energie durch mehr oder weniger lebhafte Bewegungen verzehrt bei den Tieren eine Menge von Stoffen, die bei den Pflanzen zum weiteren Wachstum verwendet werden können. Kleine Tiere haben bei ähnlicher Geſtalt eine im Verhältnis zu ihrer Maſſe größere äußere und innere Oberfläche als große Tiere. Dieſe wichtige Tatſache leuchtet unmittelbar ein bei der Betrachtung dreier Würfel, deren Seitenlänge 1, 2 und 3 em betragen möge. Der erſte davon hat eine Oberfläche von 6 Quadratzentimeter, einen Inhalt von 1 Kubikzentimeter; die Oberfläche des zweiten beträgt 24 eme, ſein Inhalt 8 ems, beim dritten ſind die betreffenden Werte 54 em? und 27 cm? Während alſo die Seiten ſich 1:23 verhalten, iſt das Verhältnis der Oberflächen 1: 4: 9, und das der In- halte 1:8: 27. Die Oberfläche wächſt alſo im Verhältnis der Quadrate, der Inhalt und ſomit auch die Maſſe im Ver— hältnis der Kuben der entſprechenden Längenmaße; oder auf 1 cm? Inhalt kommt im erſten Falle 6eme, im zweiten nur 3, im dritten nur 2 em? Oberfläche. Wie ein Würfel, wo dieſe Verhältniſſe am leichteſten zu überſehen ſind, ver— halten ſich auch andersgeſtaltige Körper, die ein— ander (geometriſch) ähnlich ſind. Bei kleinen Tieren ſind daher die nahrungaufſaugenden Flächen, im beſonderen die Oberfläche des Darmkanals, im Ver— hältnis zur Körpermaſſe größer als bei ähnlichen größeren Tieren, alſo bei den Jungen größer als bei den Ausgewachſenen. Da bei genügend vor— handenem Futter — natürlich von gleicher Be— ſchaffengeit — die Maſſe der aufgeſaugten Nähr— ſtoffe der Ausdehnung der aufſaugenden Oberfläche entſpricht, ſo ſind die jungen Tiere bezüglich der Ernährung günſtiger geſtellt als die erwachſenen. Abb. 18. Schema eines der Länge nach auf Auf die Maſſeneinheit des Körpers kommt bei geſchnittenen Süßwaſſerpolypen (Hydra). 5 25 Außeres Keimblatt, 2 Stüslamelle, 3 inneres ihnen mehr Nahrung; fie nehmen mehr auf als ſie aulgeſchntten, 9 Fortſegund des Darmraune in verbrauchen und erübrigen damit einen Stoffüber- e ſchuß für das Wachstum. Dieſer Stoffüberſchuß wird bei weiterer Größenzunahme immer geringer, da die verhältnismäßige Größe der Darmoberfläche ſtändig abnimmt, und ſchließlich tritt Gleichgewicht ein, derart, daß die aufgenommene Nahrung nur noch zur Beſtreitung der Ausgaben für die Bewegung, die Reizvorgänge u. dgl. ausreicht. Dann hört das Wachstum auf, das Tier iſt „ausgewachſen“. Bei der Pflanze aber ſind die Ausgaben für aktive Bewegungen und für Reizvorgänge überaus gering im Vergleich mit dem Tiere, und der Wachstums— überſchuß wird durch die Ausgaben nicht wettgemacht. Sie iſt, ſoweit nicht Jahreszeit und Samenproduktion ihrem Wachstum ein Ende ſetzt, in ihrer Größenzunahme viel weniger beſchränkt: ſie wächſt viel länger als das Tier und erreicht daher oft ſo viel bedeutendere Ausmaße; ſelbſt die Rieſen der Tierwelt, wie Elefanten und Wale, ſind 2 N 8 5) 2 Cr Be BEN DES De % % & Unterſcheidung der Arten. 47 klein gegenüber den oft über 100 m hohen Eukalyptusbäumen Auſtraliens und . Mammutbäumen (Wellingtonia gigantea Lindl.) Kaliforniens. So ſtehen die Hauptunterſchiede zwiſchen den höheren Pflanzen und Tieren im Zuſammenhang mit der Verſchiedenheit ihrer Ernährungsverhältniſſe. In der Aufnahme anorganiſcher Nahrung und in der dadurch ermöglichten Bewegungsloſigkeit läßt ſich, wie Leuckart ſagt, das ganze Bild des pflanzlichen Organismus zuſammenfaſſen; die Tiere dagegen ſind bewegliche Organismen, die ihre Nahrung dem organiſchen Reiche entnehmen. Sie haben ſich wahrſcheinlich beide aus urſprünglich beweglichen Formen entwickelt, die Chorophyll enthielten. Bei den Pflanzen iſt Bewegungsfähigkeit und Reiz— barkeit in den Hintergrund getreten, da ſie für den Nahrungserwerb eine viel geringere Rolle ſpielten. Bei Tieren iſt die Aſſimilation durch Chlorophyll verſchwunden gegen— über der Möglichkeit, organiſche Nahrung aufzunehmen — und dadurch wurden zugleich dem Tierleben Bezirke erſchloſſen, die dem Pflanzenleben wegen Mangels an Licht verſchloſſen waren, wie die größeren Waſſertiefen. Dafür mußten ſich aber Be— wegung und Reizbarkeit in viel höherem Grade entwickeln, ſo daß ſie der tieriſchen Organiſation ihren Stempel deutlich aufdrückten. 2. Die Unterſcheidung der Arten. Das Pflanzen- und Tierreich treten uns entgegen in Geſtalt unzähliger Individuen von ſehr verſchiedenem Ausſehen. Die Beobachtung zeigt uns, daß bei der Vermehrung der Lebeweſen von einem Individuum immer wieder Formen mit den gleichen Merkmalen wie das Elternweſen abſtammen, und ſo faſſen wir auch ſolche untereinander ähnliche Formen zu einer Einheit zu⸗ u non ſammen. Es iſt dieſelbe Weiſe der Zuſammenordnung, der die Larve von Amphiorus. ſprachlichen Bezeichnungen ihren Urſprung verdanken; der Natur- Lohr Sarmenither e ale forſcher unterſcheidet die Objekte ſeiner Beobachtung in gleicher i 5 Weile wie das Volk die ihm naheſtehenden Lebeweſen, etwa Leibeshohle, Blutgefäß, Chorda. Roſe, Linde, Regenwurm, Karpfen, Pferd. Die Geſamtheit der- u. den inneren enen jenigen Lebeweſen, die in weſentlichen Eigenſchaften untereinander e übereinſtimmen, nennt er Art. Die Zuſammenordnung ähnlicher Arten zu höheren Einheiten iſt ebenfalls eine Ab— ſtraktion, die ſchon die naive Naturbetrachtung übt, wenn ſie von Bäumen, Sträuchern, Würmern, Fledermäuſen ſpricht. Aber ſie erfordert mehr Vertiefung. Sie legt nicht den Hauptwert auf unterſcheidende Merkmale, ſondern ſie betrachtet die gemeinſamen Kennzeichen unterſchiedener Gruppen und verlangt daher eine eingehendere Beobachtung der Eigentümlichkeiten. So iſt denn auch dieſe einigende und ordnende Tätigkeit in der naiven Naturbetrachtung nur viel unvollkommener zu finden. Die Pflanzen- und Tierkunde hat von den erſten Zeiten des wiedererwachenden In— tereſſes für Naturbeobachtung ſich zunächſt damit beſchäftigt, ein Syſtem der Lebeweſen aufzuſtellen, um damit Ordnung in das unendliche Chaos der Formen zu bringen. Nach— dem ſchon andere vorgearbeitet hatten — es ſeien nur der Italiener Andreas Caeſal— pinus (15191603) und der Engländer John Ray (1628 —1707) genannt — war es der Schwede Karl Linné (1707— 1778), der, mit einem feinen Sinn für die Formen 48 Abteilungen des Syſtems. der Lebeweſen ausgeſtattet, einerſeits die Arten der Pflanzen und Tiere ſcharf umgrenzte, andererſeits ſie zu höheren Gruppen vereinigte und ſo die Grundlage für eine wiſſen— ſchaftliche Syſtematik ſchuf. Zahlreiche Forſcher haben ſeitdem an dieſem Baue weiter— gearbeitet und das Syſtem mehr und mehr verbeſſert und vertieft. Je mehr die Kenntnis der Lebeweſen nach ihrem Bau und ihrer Entwicklung zunahm, um ſo ſicherer konnten ihre Ahnlichkeiten und Verſchiedenheiten abgewogen werden; ſo bietet das jeweils angenommene Syſtem, wenn auch nicht ohne Einſchränkungen, einen Maßſtab für den Stand des Wiſſens in der Pflanzen- und Tierkunde. Die ſyſtematiſche Einheit für die Anordnung der Lebeweſen iſt die Art oder Spezies; mehrere Arten mit ähnlichen Eigenſchaften bilden eine Gattung. Dementſprechend wird ſeit Linné ein Lebeweſen wiſſenſchaftlich mit zwei lateiniſchen oder latiniſierten Namen bezeichnet, deren einer, der Gattungsname, allen Arten der Gattung gemeinſam iſt, wäh— rend der andere, der Artname, die Art von den verwandten Arten unterſcheidet. So gehören Wolf und Fuchs beide zur Gattung Canis; jener hat den wiſſenſchaftlichen Namen Canis lupus, dieſer Canis vulpes. Zur vollſtändigen Benennung gehört aller— dings noch der Name des Forſchers, von dem die Benennung und Beſchreibung der Art ſtammt; da von verſchiedenen Autoren zuweilen die gleiche Art unter verſchiedenem Namen, oder verſchiedene Arten unter dem gleichen Namen beſchrieben ſind, kann nur auf dieſe Weiſe einer Verwirrung vorgebeugt werden. So iſt mit dem Linnéſchen Namen Cara— bus granulatus von Fabricius ein anderer als der von Linné gemeinte Käfer be— ſchrieben, und dieſer unter dem Namen C. cancellatus aufgeführt. Illiger, der dieſes Mißverſtändnis erkannte, mußte daher die Fabriciusſche Art C. granulatus umtaufen und gab ihr den Namen C. cancellatus; ſomit entſpricht den Namen C. granulatus L. und C. cancellatus Fab. einerſeits und C. granulatus Fab. und C. cancellatus III. andererſeits je die gleiche Art; die Namen find ſynonym. Mehrere ähnliche Gattungen bilden eine Familie, z. B. die Gattungen Canis und Otocyon die Familie der Canidae, und mehrere Familien, die einander naheſtehen, werden zu einer Ordnung vereinigt, in unſerem Beiſpiel die Canidae mit den Felidae, Ursidae, Mustelidae zur Ordnung der Raubtiere, Carnivora. Die Ordnungen mit ge— meinſamen Eigentümlichkeiten bilden zuſammen eine Klaſſe, alſo die Raubtiere (Carni— vora) mit den Inſektenfreſſern (Insectivora), Nagern (Rodentia), Beuteltieren (Marsu— pialia) u. a. die Klaſſe der Säugetiere (Mammalia). Die Klaſſen werden nach ihrer Ahnlichkeit zu Stämmen vereinigt, ſo die Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fiſche zum Stamm der Wirbeltiere. Je enger die ſyſtematiſche Kategorie iſt, zu der zwei Arten in gleicher Weiſe gehören, deſto mehr gemeinſame Eigentümlichkeiten haben ſie. Die Grundlage für die ganze Syſtematik iſt die Unterſcheidung der Arten. Dieſe Einheit iſt durch die Gleichheit zwiſchen den Eltern und ihren Nachkommen am unmittel- barſten gegeben; ſie hat daher auch von jeher das meiſte Intereſſe gefunden. Linné glaubte, daß die Arten feſtſtehende, unveränderliche Größen ſeien, die von Anfang an gegeben waren: „wir zählen ſo viele Arten, als urſprünglich verſchiedene Formen ge— ſchaffen ſind“, ſagt er in ſeiner „Philosophia botanica“ ($ 157). In der Unterſcheidung der Arten aber folgte er keinen beſtimmt formulierten Grundſätzen, ſondern lediglich ſeinem perſönlichen Gutdünken. Der willkürlichen Entſcheidung der Unterſucher iſt es auch fürderhin anheimgeſtellt geblieben, ob zwei Formen mit einem gewiſſen Betrag von Verſchiedenheit noch zur ſelben Art geſtellt oder als verſchiedene Arten voneinander ge— Unſicherheit in der Abgrenzung der Arten. 49 trennt werden ſollten. Die Aufſtellung einer beſtimmten Definition deſſen, was als Art aufzufaſſen ſei, wurde zwar wiederholt verſucht; aber das willkürliche Element ließ ſich nicht ausſchalten. So iſt es z. B. auch mit der Definition, die Cuvier gab: „Die Art iſt der Inbegriff aller Individuen, die die weſentlichſten Eigenſchaften gemeinſam haben, voneinander abſtammen und fruchtbare Nachkommen erzeugen.“ Welche Eigen— ſchaften weſentlich ſind, kann nur durch das Ermeſſen des Unterſuchers beſtimmt werden; die beiden anderen Erforderniſſe entziehen ſich in den meiſten praktiſchen Fällen einer Prüfung vollkommen. Wären die Arten unveränderlich, wären alle Individuen einer Art wenigſtens in beſtimmten, ſtreng meßbaren und zahlenmäßig feſtſtellbaren Merkmalen einander gleich, wie das bei Kriſtallen iſt, und wären die einzelnen Arten durch einen beſtimmten Betrag von Verſchiedenheit voneinander getrennt, dann könnten keine Zweifel in bezug auf die Umgrenzung der Arten beſtehen. Da dies alles nicht der Fall iſt, hat die praktiſche Abb. 20. Umriſſe der normalen Altersformen der fünf Formenkreiſe der Teichmuſchel (Anodonta cygnea L.) a Cygnea-Typus, “ var. cellensis, c var. piscinalis, d var. anatina, e var. lacustrina. Etwa ?/, natürlicher Größe. Nach Buchner. Anwendung des Artbegriffs häufig zu Schwierigkeiten geführt, und dieſe zeigen ſich am deutlichſten in der verſchiedenen Beurteilung, die die gleiche Gruppe durch mehrere ſorg— fältige Bearbeiter erfährt. Die in Deutſchland vorkommenden Habichtskräuter (Hiera— eium) unterſchied Koch in 52, Fries in 106, Nägeli in über 300 Arten. Die Bienen— gattung Spheeodes teilt Sichel in 3, Förſter in 150, v. Hagen in 26 Arten. Unſere Teichmuſcheln (Anodonta) wurden von Küſter und Held in 26 Arten geſondert, deren eine wieder in 11 Varietäten zerfällt; Roßmäßler, Kobelt u. a. unterſcheiden nur 6 bis 8 Arten; neuere franzöſiſche Autoren wollten faſt 400 Arten daraus machen; Lea und einige Engländer faßten ſämtliche Formen zu einer einzigen Art zuſammen, und Cleſſin endlich hat neuerdings nach anatomiſchen Kennzeichen des Weichkörpers zwei Arten getrennt, die am beſten Anodonta eygnea L. und An. complanata Zgl. be- nannt werden. Die große Abweichung gründet ſich in dieſem Falle auf die ungemeine Veränder— lichkeit der Anodonta cygnea L., ſowohl nach Umriß (Abb. 20) als auch nach Größe, Dickſchaligkeit und Farbe der Schalenoberfläche und des Perlmutters. In ganz nahe Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 4 50 Umfang der „Art“. benachbarten Gewäſſern können die Muſcheln ganz verjchieden ſein, ja ſogar im gleichen Teiche können an verſchiedenen Stellen ungleiche Formen vorkommen. So kennen wir eine große Menge von Formen, die ſich um einzelne Zentren (man zählt etwa fünf) gruppieren laſſen; alle die ſo ſehr abweichenden Formen ſind durch Übergänge mitein— ander verbunden. Durch Übertragung von Muſcheln an einen anderen Wohnplatz iſt außerdem experimentell bewieſen, daß eine Umbildung einer Form in eine andere ſtatt— finden kann; die Beſchaffenheit der Schale hängt von äußeren Umſtänden ab, von der erdigen, ſchlammigen oder humusreichen Zuſammenſetzung des Untergrundes und von der Beſchaffenheit des Waſſers. Wollte man die Formenreihen in einzelne Arten trennen, ſo wäre die Stelle, an der die Trennung vorgenommen wird, vollkommen willkürlich, und ebenjo die Zahl der Schnitte, die man führen würde. Der einzige Ausweg iſt, alle dieſe Formen zu einer Art zu rechnen; innerhalb dieſes Gebietes kann man dann die Hauptformen als Varietäten auffaſſen. Eine gemeinſame Beſchreibung des ganzen Formen— kreiſes läßt ſich aber unmöglich geben. Zu einer Art gehören alſo außer den Exemplaren, die der Artbeſchreibung ent— ſprechen, noch alle davon abweichenden Stücke, die mit jenen durch Zwiſchenformen ſo innig verbunden ſind, daß ſie ſich nicht ſcharf davon trennen laſſen (Döderlein). Es gibt auch Fälle, wo man verſchiedene Formen zu einer Art rechnen muß, die nicht durch Über— gänge verbunden ſind, nämlich dann, Abb. 21. Waldneſſelfalter (Vanessa levana L.). Frühjahrsform, deren Puppen überwintern; 5 Sommerform wenn ſie trotz der Formverſchiedenheit (var. prorsa L.), die ſich aus den Eiern der vorigen entwickelt. in genetiſchem Zuſammenhange ſtehen, d. h. voneinander abſtammen, mit den Worten der Cuvierſchen Artdefinition. Das gilt zunächſt für alle Entwicklungsſtufen eines Lebeweſens. Die kiemenatmenden Axolotl hatte man als beſondere Art (Siredon pisciformis) angeſehen, um jo mehr da fie in dieſem Zuſtand geſchlechtsreif werden; man machte jedoch die Erfahrung, daß ihre Nach— kommen unter gewiſſen Bedingungen eine Metamorphoſe wie die Larven des Feuer— ſalamanders durchmachen, die Kiemen verlieren und anſtatt ihres Ruderſchwanzes einen drehrunden Schwanz bekommen können; ſie gleichen dann einem mexikaniſchen Molch, der den Namen Amblystoma mexicanum Cope trägt; zu dieſer Art iſt daher auch der Axolotl zu rechnen, und ſein früherer Artname iſt eingezogen. Ebenſo gehören die verſchieden geſtalteten Geſchlechter zuſammen: Linné hatte z. B. Männchen und Weibchen des bei uns vorkommenden Bockkäfers Leptura rubra L. für zwei verſchiedene Arten angeſehen und das rote Weibchen L. rubra, das gelbbraune, kleinere Männchen L. testacea benannt; ſie mußten natürlich vereinigt werden, als man erkannte, daß ihre Verſchiedenheit lediglich Geſchlechtsunterſchied ſei. Zwei kleine Schmetterlinge unſerer Wälder, Vanessa levana L. und V. prorsa L. (Abb. 21), von denen der eine im Früh— jahr, der andere im Spätſommer fliegt, hat man früher, entſprechend ihrer verſchiedenen Erſcheinung, als verſchiedene Arten aufgefaßt; jetzt aber weiß man, daß die Puppe, aus der V. levana ſchlüpft, überwintert, während ſich V. prorsa im Hochſommer ent— wickelt und daß unter dem Einfluß der Temperaturverhältniſſe während der Puppenzeit, aus den Eiern von V. levana L. ſich V. prorsa L. entwickelt, aus den Eiern von V. prorsa L. aber V. levana L.; ſie gehören alſo zur gleichen Art. Aber es gibt Fälle, Verſchiedenheit der Arten. 51 wo die Angehörigen derſelben Art noch verſchiedener geſtaltet ſind. Aus den Eiern der Randquallen (Hydromeduſen) entwickeln ſich meiſt feſtſitzende polypenartige Weſen; dieſe bringen keine Geſchlechtsprodukte hervor, ſondern auf ungeſchlechtlichem Wege, durch Knoſpung, entſtehen an ihnen wieder Quallen, die ſich, wenn ſie erwachſen ſind, loslöſen, frei umherſchwimmen und ge— ichlechtsreif werden (Abb. 22). Polyp und Qualle ſind dann natürlich Vertreter derſelben Art. Wenn in dieſen Fällen genügende Kenntnis des Lebenszyklus mit Sicherheit zu der Erkenntnis führt, daß die be— treffenden Lebeweſen zur gleichen Art ge— hören, ſo gibt es doch noch andere, wo es wiederum dem willkürlichen Ermeſſen anheimgeſtellt bleibt, ob zwei Formen zu einer Art vereinigt werden ſollen oder nicht: das ſind die ſogenannten geographiſchen Varietäten. Der Löwe z. B. variiert nicht unbedeutend in Größe, Aus— bildung der Mähne und Färbung. Der kleine aſiatiſche Löwe mit ſpär— licher Mähne iſt von den afrikaniſchen Formen auffällig verſchieden, und bei dieſen ſind wieder Berberlöwe, Senegallöwe und Kaplöwe deutlich zu unterſcheiden, ohne daß allmäh— liche Übergänge alle dieſe Formen verbinden. Trotzdem werden ſie, wegen ihrer allgemeinen Ahnlichkeit, meiſt zur gleichen Art gerechnet und höchſtens als Unterarten geſchieden. Abb. 22. Syncoryne fru- ticosa Allm. Polypenſtöckchen; B Meduſengenera— tion. 2 Polyp mit Tentakeln (2) und verſchieden weit ent— wickelten Meduſen— knoſpen (3). Nach Allman. Die ſpyſtematiſche Unter— ſcheidung der Arten geſchieht im allgemeinen nach äußeren, mehr oder weniger leicht ſichtbaren Merkmalen. Aber dies ſind nicht die einzigen Unter— ſchiede. Die Sonderſtellung der Art erſtreckt ſich bis auf die feinſten Einzelheiten des morphologiſchen und phyſiologiſchen Verhaltens der Lebeweſen. Wie der Organismus aus Zellen aufgebaut iſt, ſo ſind es auch die Zellen, die an der Verſchiedenheit ſeiner Erſcheinung aufs engſte beteiligt ſind. So iſt die Zahl der Zellen, die ein Lebeweſen im erwachſenen Zuſtande zuſammenſetzen, für jede Art be— ſtimmt und wechſelt innerhalb gewiſſer Grenzen. Die Geſamtzahl der Zellen für einen vielzelligen Organismus feſtzuſtellen iſt zwar eine Arbeit, die noch niemand unternommen hat. Wohl aber kann man das für einzelne Organe annäherungsweiſe tun. Wie kon— 4 * 52 Verſchiedenheit in Zahl, Größe und Bau der Zellen. ſtant ſolche Zellenzahlen ſein können, zeigen einige Zählungen: Nach Apaͤthy enthält ein Bauchganglion des Blutegels, einerlei ob es ein junges oder ein altes Tier iſt, gegen 380 Ganglienzellen, jedenfalls nie mehr als 400 und nie weniger als 350; das Nerven— ſyſtem des Spulwurms (Ascaris lumbricoides L.) beſteht nach Goldſchmidt ſtets aus 162 Ganglienzellen. Die Linſe des Wirbeltierauges z. B. beſteht aus radiär geſtellten Lamellen, die je aus einer Reihe umgewandelter, faſerförmiger Zellen zuſammengeſetzt ſind. Dieſe Lamellen wenigſtens ſind gezählt, und es iſt anzunehmen, daß die Geſamt— zahl der Zellen bei der gleichen Tierart der Lamellenzahl proportional iſt, alſo in gleicher Weiſe variiert wie dieſe. Die Lamellenzahl iſt für die einzelnen Tierarten charakteriſtiſch. Beim Waſſermolch Triton z. B. beträgt fie 98—103, beim Salamander 216— 224, bei der Eidechſe 114— 128, bei der Blindſchleiche 93— 102, beim Eichhörnchen 1286-1332, beim Schwein 2503 — 2722, bei der Katze 3411—3623. Die rechte und linke Linſe eines und desſelben Tieres weichen viel weniger in der Lamellenzahl von— einander ab; es wurden bei einem Meerſchweinchen in der einen Linſe 1131, in der anderen 1223 Lamellen gezählt, bei einem Kaninchen 2561 und 2569, bei einer Katze ſogar beiderſeits genau 3411. Auch die Zellgröße iſt für jede Art eine beſtimmte, wobei natürlich die gleiche Zellart zum Vergleich herangezogen werden muß. Am deutlichſten iſt das bei den roten Blutkörperchen der Wirbeltiere. Von den kreisrunden Blutkörperchen der Säugetiere be— trägt der Durchmeſſer beim Elefanten 9,4 %), beim Menſchen 7,7 u, beim Hund 7,3 u, beim Kaninchen 6,9 u, beim Schaf 5,0 u, bei der Ziege 4,1 u, beim Moſchustier 2,5 u. Länglich elliptiſch find die Blutkörperchen bei den übrigen Wirbeltieren und unter den Säugetieren bei den Cameliden, und zwar meſſen ſie beim Lama 4 8 u, bei der Taube 6,5 & 14,7 u, beim Froſch 15,7 * 22,3 u, beim Waſſermolch 19,5 * 29,3 u und beim Grottenolm (Proteus) 35 * 58 u. Auch die Form beſonders geſtalteter Zellen iſt für die Art charakteriſtiſch, ſo bis zu einem gewiſſen Grade bei den Blutkörper— chen, vor allem aber bei den Spermatozoen, den Samenfäden. Jede Tierart hat ganz beſtimmt geſtaltete Samenfäden; bei verwandten Formen ſind ſie einander ähnlich, bei ferner ſtehenden weichen ſie ſtärker ab. Von der Mannigfaltigkeit der Formen, die da— durch zuſtande kommt, gibt die Abb. 23 eine kleine Auswahl. Man beachte dabei die Ahnlichkeit der Spermatozoen bei den beiden Meeresringelwürmern (A, B), bei den beiden Muſcheln (8, H), den Aſzidien (I, K), bei den Krebſen (U, V) und bei den Singvögeln (0— 1), wobei doch jeder Form ihre Beſonderheiten zukommen. Ja ſogar im feineren Aufbau der Zelle ſind artliche Unterſchiede vorhanden, die ſich unter gewiſſen Verhältniſſen mit beſonderer Deutlichkeit zeigen. Wenn nämlich eine Zelle ſich zur Teilung anſchickt, ſo ordnet ſich in ihrem Kern das Chromatin zu beſtimmten Portionen, den Chromoſomen, zuſammen. Die Zahl dieſer Chromoſomen iſt in allen Körperzellen einer Tierart gleich, bei verwandten Arten jedoch oft verſchieden. So haben die Zellen der Meerzwiebel (Seilla) 16 Chromoſomen, die der Lilie, die zur gleichen Unterfamilie gehört, deren 24. Unter den Hydromeduſen hat Aequorea 12, Tiara 28 Chromoſomen; die Chromoſomenzahlen bei zwei Seeigeln betragen 18 (Echinus) und 36 (Toxopneustes), bei zwei naheverwandten Krebſen 24 (Branchipus) und 168 (Artemia), bei einigen Aſzidien 4 (Styelopsis), 16 (Phallusia) und 18 (Aseidia); die Ratte hat 16, die Maus 24 Chromoſomen. 1) 1% (Mikromillimeter) — 0,001 mm. Verſchiedenheiten im Chemismus. 53 Auch der Chemismus verſchiedener Lebeweſen iſt verſchieden, und wo unſere Er— kennungsmittel ausreichen, laſſen ſich ſogar zwiſchen verwandten Arten chemiſche Ver— ſchiedenheiten nachweiſen. Die chemiſche Kenntnis der lebenden Subſtanz iſt freilich noch nicht ſo weit fortgeſchritten, daß ſich die Verſchiedenheit des Protoplasmas zweier Arten A (& D 8 L M N 2 a N = ( () R D 3 6 5 f < 2 — 1 r ö 6 77 | 0 ( N 1 { N N 1 | | 8 U \ fi ) 1 | | i N 2 N —— Abb. 23. Spermatozoen verſchiedener Tiere. 4-0 von Ringelwürmern (A Nephthys, B Glyeinde, C Allolobophora); D—F von Schnecken (D Haliotis, * Littorina, F Aeolis); @ u. H von Muſcheln (G Modiola, H Cardium); / u. K von Aſzidien (J Ciona, K Clavellina); L vom Am- phioxus; Mu. N von Fiſchen ( Esox, N Perca); O—T von Vögeln (0 Buchfink, P Grünling, Q Fliegenſchnäpper, K Gartenſänger, S Sperbergrasmücke, 7 Baumrotſchwanz); UT u. V von Krebſen (U Galathea, V Homarus). B, 6, H, Kk, O—T nur die Vorderenden. 4— M nach G. Retzius, 0—7 nach E. Ballowitz, Tu. V nach G. Herrmann. 54 Verſchiedenheiten im Chemismus. aus deſſen Analyſen entnehmen ließe. Nur eine Eiweißverbindung, den roten Blutfarb— ſtoff oder das Hämoglobin, hat man bisher genügend rein darſtellen können, um es mit Erfolg der genauen Unterſuchung unterwerfen zu können. Es hat ſich herausgeſtellt, daß die Kriſtallform, die dieſer Stoff annimmt, bei verſchiedenen Tierarten verſchieden iſt (Abb. 24). Bei den meiſten Blutarten bildet allerdings das Hämoglobin Platten oder lange dünne Prismen, wie beim Hunde- (E) und Menſchenblut (8, H); beim Meerſchweinchen (B) kriſtalliſiert es in Tetraedern, beim Hamſter (A) in dicken rhom— biſchen Prismen, beim Eichhörnchen (C) in ſechsſeitigen Tafeln; bei den Gänſen bildet es zarte, in zierlichen Roſetten angeordnete Plättchen, beim Truthahn Würfel. Zu— gleich iſt auch die Löslichkeit des Hämoglobins ſehr ungleich. All das deutet auf D Abb. 24. Blutkriſtalle von A Hamſter (Cricetus ericetus L.), B Meerſchweinchen (Cavia cobaya Schreb.), C Eichhorn (Seiurus vulgaris L.), D Pferd (Equus caballus L.), E Hund (Canis familiaris L.), F Katze (Felis domestica Briss.), 6 u. 4 Menſch. A—C u. F—A nach Funke, Du. nach Kobert. verſchiedenen chemiſchen Aufbau, der auch für das Hämoglobin von Pferd und Hund direkt nachgewieſen iſt. Da der färbende Beſtandteil des Hämoglobins, das Hämatin, überall der gleiche iſt, müſſen dieſe Verſchiedenheiten an der Zuſammenſetzung des eiweiß— artigen Beſtandteiles liegen. Die Blutkörperchen der Wirbeltiere ſchwimmen im Blutplasma, und dieſes beſteht aus dem Faſerſtoff und dem Blutſerum. Das Blutſerum, deſſen Hauptbeſtandteil Ei— weißſtoffe ſind, erweiſt ſich durch das biologiſche Experiment ebenfalls verſchieden bei verſchiedenen Wirbeltieren, obgleich es bei der chemiſchen Analyſe quantitativ auffallend ähnlich zuſammengeſetzt erſcheint. Daß die verſchiedenen Blutarten nicht gleichwertig ſind, hat ſich gezeigt bei den Verſuchen, in Menſchen nach großen Blutverluſten Schaf- oder Kalbsblut hinüberzuleiten. Dieſe „Transfuſion“ hatte nie den gewünſchten Erfolg, ſon— dern bewirkte vielmehr ſchwere Krankheitserſcheinungen. Der Grund dafür iſt darin zu ſuchen, daß durch das Serum eines fremden Blutes die Blutkörperchen aufgelöſt werden. Nur bei Tieren derſelben Familie iſt der Unterſchied des Serums nicht ſo groß, daß Verſchiedenheiten im Chemismus. 55 die Blutmiſchung ſchädlich wäre: Blut von Haſe und Kaninchen, von Maus und Ratte, von Hund, Wolf und Fuchs wirken nicht ſchädigend aufeinander; dagegen löſt das Serum das Kaninchenbluts die Blutkörperchen des Meerſchweinchens auf und Katzenſerum die des Hundes. Pferdeſerum löſt die Blutkörperchen des Eſels nicht, wohl aber ſolche vom Kaninchen, Meerſchweinchen, Rind, Schaf und Menſchen. Das Serum des Menſchen— blutes löſt die Blutkörperchen anderer Wirbeltiere, auch die von niederen Affen, wie Pavianen und Makaken, nicht aber diejenigen menſchenähnlicher Affen, des Orang, Schim— panſen und Gorilla. Auch andere chemiſche Unterſchiede zwiſchen verſchiedenen Wirbeltieren ſind bekannt. So beruht die Verſchiedenheit des Körperfettes bei Rind, Schaf und Schwein, bei Gans und Huhn, die wir mit der Zunge leicht wahrnehmen, auf deſſen chemiſcher Zuſammen— etzung. In der Milch verſchiedener Säugetiere kommen verſchiedene Kaſeine vor. Die Stoffwechſelprodukte zeigen vielfach ungleiche chemiſche Zuſammenſetzung: in der Galle des Rindes z. B. findet ſich eine andere Cholſäure als in der des Schweines, und beide ſind verſchieden von der der Gans. Der Harn des Hundes und ſeiner nächſten Verwandten enthält die Kynuren— ſäure, die ſonſt bei keinem Säuger, auch nicht bei Fleiſchfreſſern, gefunden wird. Aus der Verſchiedenheit der Produkte darf man einen Rückſchluß machen auf die Verſchiedenheit der abſondernden Zellen. In den bisher angeführten Fällen Eichen blättern. e , e (2 De il mn 3 Dr ne der Arten nicht nachgewieſen werden; Gatung Sr enen . „ 8. Dr, 38 Ines Oli dazu reichen unſere Hilfsmittel nicht Etwas verkleinert. Nach G. Mayr. aus. Anders iſt es mit Experimenten, die wir in der Natur vorfinden. Wenn eine Gallweſpe oder Gallmücke ihre Eier in einem Pflanzenteil unterbringt, ſo entſteht dort mit der Entwicklung des Embryos eine Wucherung des Pflanzengewebes, die Galle. Der Reiz, der die Zellen der Wirts— pflanze zu Wachstum und Teilung anregt, iſt ohne Zweifel chemiſcher Natur; es ſind offenbar Ausſcheidungsſtoffe des Embryos, die als Reiz dienen. Die Form der Gallen iſt verſchieden, je nach der Pflanze, die als Grundlage dient, und je nach der Art des Gallenerzeugers. Dieſelbe Gallmücke, Cecidomyia artemisiae Bouche, erzeugt auf zwei verſchiedenen Pflanzenarten, Artemisia campestris L. und A. scoparia W. u. K., Gallen, und dieſe ſind voneinander verſchieden. Auf der gleichen Pflanze aber ſind die Gallen verſchiedener Erzeuger verſchieden. An den Blättern unſerer Eichen bringen 24 Gallweſpenarten ihre Eier unter, und es entſtehen dadurch ebenſo viele verſchiedene Gallen. Alſo jene zwei verwandten Pflanzenarten reagieren auf denſelben Reizſtoff ver— ſchieden, haben alſo wohl Unterſchiede in ihrem Chemismus, und andererſeits rufen die Reizſtoffe dieſer Gallweſpenlarven auf der gleichen Grundlage, dem Eichenblatt, ver— ſchiedene Reaktionen hervor, ſind alſo offenbar alle verſchieden voneinander (Abb. 25). Abb. 25. Weſpengallen auf 56 Eigenart der Arten. Aber die Gallen verwandter Arten unter dieſen Schmarotzern der Eichenblätter find untereinander ähnlicher als mit anderen Gallen. So haben die verſchiedenen Dryo- phanta-Arten kugelige (A), die Neuroterus-Arten mehr flache, linſenförmige Gallen (B). Somit ſcheint auch der Chemismus bei verwandten Arten weniger verſchieden zu ſein als bei einander ferner ſtehenden. Die Verſchiedenheit der Arten äußert ſich ganz beſonders deutlich in der Beſchaffen— heit ihres Fortpflanzungsſyſtems. Die männlichen und weiblichen Zeugungszellen einer Art ſind gleichſam aufeinander abgeſtimmt. Die Kreuzung verſchiedener Arten iſt daher in vielen Fällen gar nicht möglich. In anderen Fällen iſt die Kreuzung zwar erfolg— reich, aber die Nachkommen, die als Baſtarde bezeichnet werden, ſind unfruchtbar. Nur in verhältnismäßig wenigen Fällen wird eine fruchtbare Nachkommenſchaft erzielt. Lebe— weſen, die einander ferner ſtehen, können keine Nachkommen miteinander erzeugen, z. B. Hund und Katze, Rind und Schaf; ja häufig können ſogar naheſtehende Arten, wie Apfel- und Birnbaum, nicht gekreuzt werden. Näherſtehende Arten derſelben Gattung oder doch verwandter Gattungen laſſen ſich zuweilen kreuzen. Oft aber bleiben die Baſtarde ganz unfruchtbar, wie der Baſtard zwiſchen dem Pappelſchwärmer (Smerinthus populi L.) und dem Abendpfauenauge (Sm. ocellata L.). In anderen Fällen find die Baſtarde fruchtbar, wenn ſie mit einer der Elternformen rückgekreuzt werden; ſo iſt der Baſtard von Aegilops ovata, einem kleinen Unkraut, und dem gewöhnlichen Weizen zwar für ſich unfruchtbar, aber mit dem Blütenſtaube des Weizens befruchtet, bringt er einen ſekundären Baſtard, der Aegilops speltaeformis benannt wurde und in ſich frucht— bar iſt. Ebenſo geben die Baſtarde von Lachs und Forelle, mit der Forelle rückgekreuzt, lebenskräftige Nachkommen; auch die Baſtarde mancher Spinnerarten ſind mit den Elter— formen fruchtbar, wenn auch in beſchränktem Maße. Völlig fruchtbare Baſtarde ſind im Pflanzenreich nicht gerade ſelten, jo die Kreuzungen vieler Rubus-Arten und die hybride Luzerne (Medicago media Pers.). Im Tierreich ſcheinen auch ſolche vorzukommen; aber ſie find recht ſelten. Es wird angegeben, daß die Baſtarde der Graugans (Anser anser L.) mit Anser eygnoides L. fruchtbar ſeien, ebenſo daß die Baſtarde des Ailanthusſpinners (Saturnia cynthia Drury) mit S. arrindia ſich durch acht Generationen fruchtbar erwieſen haben. So hat jede Art von Pflanzen und Tieren in ihrem ganzen Weſen eine beſtimmte Eigenart. Dabei zeigt es ſich aber, daß die Arten, die äußerlich ähnlich find und im Syſtem nahe beieinander ſtehen, auch in ihrer Eigenart weniger voneinander abweichen als von anderen, daß ſie in ihrem ganzen Weſen ähnlich ſind. Sie zeigen gleichſam eine Verwandtſchaft des Weſens, nicht bloß eine äußerliche Formverwandtſchaft. Dieſe Stellung der Arten zueinander, ebenſo wie die Unbeſtimmtheit des Artbegriffs und der verſchiedene Formenumfang verſchiedener Arten finden ihre Erklärung durch die Annahme einer wirklichen Verwandtſchaft einander naheſtehender Arten, einer Abſtammung von ge— meinſamen Vorfahren unter allmählicher Umwandlung nach verſchiedenen Richtungen. Für einen ſolchen Zuſammenhang der Lebeweſen, eine Entwicklung aus andersgeſtaltigen Vorfahren, ſucht die Abſtammungslehre die wiſſenſchaftlichen Grundlagen zu geben. 3. Die Abſtammungslehre. Die Abſtammungslehre oder Deſzendenztheorie, wohl auch Evolutionstheorie genannt, ſagt aus: die Arten der Lebeweſen, der Pflanzen und Tiere, beſtehen nicht von Anfang an mit den Eigenſchaften, die wir jetzt an ihnen beobachten, ſondern ſie haben ſich aus Geſchichte der Abſtammungslehre. 57 andersgeſtaltigen Vorfahren entwickelt, und zwar im allgemeinen unter Fortſchreiten von einfacherem, niederem zu zuſammengeſetzterem, höherem Bau. Wenn es möglich wäre, die Umbildung einer Art in eine andere unmittelbar zu beobachten, ſo wäre damit ohne weiteres ein bindender Beweis für die Abſtammungs— lehre erbracht. Denn der Schluß, daß die Artbildung in früheren Zeiten ebenſo vor ſich gegangen ſei, bedürfte kaum einer Begründung. Aber die Umwandlung der Arten geht in den meiſten Fällen ſo langſam vor ſich, daß ſie ſich nicht beobachten, ſondern nur er— ſchließen läßt. Die Beweiſe für die Abſtammungslehre ſind daher indirekte. Als Be— weismittel dienen Tatſachen, die ſchwer oder gar nicht verſtändlich ſind unter der An— nahme, daß die Arten der Lebeweſen unveränderlich ſeien, die aber ihre beſte und oft einzige Erklärung finden in der Annahme der Umbildung der Arten. Dieſe Tatſachen ſtammen aus den verſchiedenſten Gebieten der biologiſchen Wiſſenſchaften, vor allem aus der vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeſchichte, aus der Verſteinerungskunde, aus der Pflanzen- und Tiergeographie. Sie alle laſſen die gleiche Erklärung zu. Die Maſſenhaftigkeit der für die Abſtammungslehre zeugenden Tatſachen und ihre Einſtim— migkeit machen dieſe Lehre zu einer der beſtbegründeten Theorien. Auf der anderen Seiten fehlen Beweiſe für die Unveränderlichkeit der Arten und für ihre ſelbſtändige Entwicklung vollſtändig. Die Lehre, daß die Lebeweſen ſich aus andersgeſtaltigen, im allgemeinen einfacher organiſierten Vorfahren entwickelt haben, wurde ſchon von manchen Philoſophen des Altertums andeutungsweiſe ausgeſprochen, ohne jedoch durch Naturbeobachtung geſtützt zu werden. Die Geſchichte der Abſtammungslehre als einer naturwiſſenſchaftlichen Theorie beginnt erſt mit dem franzöſiſchen Zoologen und Botaniker Jean Lamarck (1744 bis 1829) und ſeinem Landsmann Etienne Geoffroy St. Hilaire (1772 — 1844); bei beiden war die Annahme der Artumbildung auf eine tief eindringende Kenntnis der Lebeweſen geſtützt; aber ſie gaben ihren Anſchauungen dogmatiſch nach Art der Natur— philoſophen Ausdruck, ohne ſie ſachlich genügend zu begründen. Zu beweiſen ſuchte die Abſtammungslehre erſt der Engländer Charles Darwin (1809 — 1882). In ſeinem klaſſiſchen Buche „die Entſtehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ (1859) brachte er eine ſolche Fülle von Stoff zur Begründung dieſer Lehre bei, daß ſie in den Kreiſen der Naturforſcher ſehr ſchnell Aufnahme fand. Die Arbeit, die in den biologischen Wiſſenſchaften während des Reſtes des 19. Jahrhunderts geleiſtet wurde, war zum größten Teil der eingehenderen Begründung und dem weiteren Ausbau der Abſtammungs— lehre gewidmet. Jetzt erfreut ſie ſich allgemeiner Anerkennung bei den Naturforſchern, mit ganz wenigen Ausnahmen, die nicht ernſt zu nehmen ſind. Wenn dieſe Anerkennung vielfach in nicht naturwiſſenſchaftlichen Kreiſen nicht ebenſo bereitwillig iſt, ſo liegt das an gewiſſen Gegenſätzen, die zwiſchen ehrwürdigen Überlieferungen und den Lehren der Abſtammungstheorie beſtehen, beſonders an dem Gegenſatz zum moſaiſchen Schöpfungs— bericht, und ferner an den Ausſagen der Abſtammungslehre über die Herkunft des Menſchen von tieriſchen Vorfahren. Es ſind Gefühlswerte, die ſich ihrer Anerkennung entgegenſtellen, nicht Gründe wiſſenſchaftlicher Art. Die Beweisführung zugunſten der Abſtammungslehre iſt, mangels unmittelbarer Beobachtung der Artumwandlung, allerdings keine unbedingt zwingende, und wer ſich ihr verſchließen will, kann nicht durch logiſche Schlußfolgen überführt werden. Aber eine andere Theorie, mit deren Beweisbarkeit es ganz ebenſo beſtellt iſt, erfreut ſich viel be— reitwilligeren Beifalls, weil ſie nicht mit Gefühlswerten in Widerſtreit kommt: das iſt die 58 Inſektengliedmaßen. Lehre von der Abſtammung der Sprachen, z. B. von dem gemeinſamen Urſprung der indogermaniſchen Sprachen. Niemand hat die Umwandlung einer Sprache in eine andere unmittelbar beobachtet; der Vorgang iſt ſo langſam, daß ein Menſchenleben bei weitem nicht ausreicht, dieſe Veränderungen wahrzunehmen. Die Beweismittel werden geliefert durch die Vergleichung des Baues der Sprachen und durch die Erforſchung ausgeſtorbener Sprachen und ihrer Wandlungen im Laufe der Zeit, entſprechend der vergleichend ana— tomiſchen und paläontologiſchen Begründung der Abſtammungslehre. Die hiſtoriſchen Überlieferungen ſind durchaus nicht lückenlos, beſonders für die germaniſchen und ſlavi— ſchen Sprachen fließen, im Vergleich zu den griechiſch-romaniſchen, ältere Quellen ſehr ſpärlich. Der gemeinſame Stamm wird erſchloſſen durch vergleichende Betrachtung. Die Ahnlichkeit in der Methodik beider Wiſſenſchaften wird uns noch öfter veranlaſſen, Parallelbeiſpiele aus der Sprachwiſſenſchaft zur Erläuterung heranzuziehen. a) Zeugnilfe der vergleichenden Anatomie. Die Vergleichung des Baues der unendlich zahlreichen Lebensformen führte ſchon lange zu der Erkenntnis, daß ſie ſich nach ihrer Ahnlichkeit in beſtimmte Formenkreiſe, die Kategorien des Syſtems, einordnen laſſen. Es iſt eine verhältnismäßig geringe Zahl 0 Abb. 26. Vorderbeine verſchiedener Inſekten. ö \ 5 4 Gangbein der Küchenſchabe, 5 Grabbein der Maulwurfsgrille, C Raubbein des Waſſerſkorpions, 10 Putzbein des Pfauenauges. 7 Hüfte (coxa), 2 Schenkelring (trochanter), 3 Schenkel (femur) 10 + Schiene (tibia), 5 Fuß (tarsus). von Urformen, auf die man die ganze Formenmannigfaltigkeit zurückführen kann; und innerhalb der großen Formenkreiſe umſchließen engere und immer engere Kreiſe Weſen von immer größerer Ahnlichkeit des Bauplans. Die Abweichungen im äußeren Aus— ſehen ſind zuweilen ſehr groß innerhalb desſelben Formenkreiſes; im Zuſammenhang mit verſchiedener Lebensweiſe iſt auch die äußere Geſtalt der Lebeweſen verſchieden, und mit der Verrichtung ändert ſich das Ausſehen der Organe. Solche Abweichungen aber ſind bei formverwandten Weſen ohne Einfluß auf den Bauplan. Unter gleichen Lebens— bedingungen aber erhalten Lebeweſen ohne Formverwandtſchaft oft eine große äußere Ahnlichkeit; der Bauplan aber bleibt verſchieden. Maulwurf und Maulwurfsgrille haben durch gleiche Lebensweiſe gewiſſe Ähnlichkeiten, ebenſo Fledermaus und Schmetterling; ſie ſind äußerlich je einander ähnlicher, als der Maulwurf der Fledermaus oder die Maulwurfsgrille dem Schmetterling. Aber der Maulwurf iſt nach dem gleichen Plane gebaut wie die Fledermaus, die Maulwurfsgrille nach dem gleichen wie der Schmetter— ling. — Das Vorderbein eines Inſekts (Abb. 26) beſteht ſtets aus den gleichen Be— ſtandteilen, aus Hüfte, Schenkelring, Schenkel, Schiene und ein- oder mehrgliedrigem Fuß, mag es zum Gehen verwendet werden, wie in den meiſten Fällen (A), oder als Grabſchaufel wie bei der Maulwurfsgrille (Gryllotalpa) (B), oder als Fangapparat wie beim ſogenannten Waſſerſkorpion (Nepa) (C), oder als Putzfuß wie bei manchen Tag— faltern (z. B. Vanessa) (D). — Die Zahl der Halswirbel beträgt bei den Säugern, von Pinguine (Aptenodytes pennantii Gray). rleben. I. rbau u. Tie in, Tie fle ſe u. Dof j He Organiſation des Walfiſches und Pinguins. 59 zwei Ausnahmen abgeſehen, ſtets ſieben, mag der Hals lang. oder kurz ſein: die Giraffe mit ihrem langen Hals hat ebenſo viele Halswirbel wie der Maulwurf oder der Delphin, deren Hals beſonders kurz iſt. Die Wale werden vom Volke als Fiſche angeſehen, wie ja auch ihr Vulgärname „Walfiſch“ beſagt, und ſelbſt Linné ſtellte ſie in der erſten Ausgabe ſeines Systema naturae noch zu den Fiſchen; erſt ſpäter reihte er ſie unter die Säugetiere ein. Mit den Fiſchen hat der Wal den Aufenthaltsort, die langgeſtreckte Geſtalt und den Mangel eines abgeſetzten Halſes, die Verwendung der Vordergliedmaßen als Ruder und den Beſitz einer Schwanzfloſſe gemein. Aber die Ahnlichkeit iſt nur äußerlich; nach Anord— nung und Zuſammenwirken ſeiner Teile iſt der Wal einer Maus ähnlicher als einem Fiſch. Wie dieſe iſt er ein eigenwarmes Tier, hat einen doppelten Blutkreislauf und dementſprechend ein Herz mit zwei Vorkammern und zwei Kammern, atmet den Sauer— ſtoff der atmoſphäriſchen Luft durch Lungen, bringt lebendige Junge zur Welt und er— nährt ſie zunächſt mit dem Sekret ſeiner Milchdrüſen. Der Fiſch dagegen hat „kaltes Blut“, einen einfachen Kreislauf und ein Herz mit einer Vor- und Herzkammer, nimmt 0 al. a LITTT Dünne Abb. 27. Skelett eines Zahnwals, des Braunfiſches (Phocaena communis Less), in den Umriß gezeichnet. 1 Vordergliedmaße, 2 Reſt des Beckens, 3 Schwanzfloſſe 4 Rückenfloſſe. Nach Pander u. D Alton. durch Kiemen den im Waſſer gelöſten Sauerſtoff auf und legt Eier. Wal und Maus ſind dem Bauplan nach ähnlich, Wal und Fiſch ſind funktionell ähnlich. Demgemäß enthält auch die Vordergliedmaſſe des Wales die gleichen Skeletteile wie ein Säugerarm (Abb. 27): einen Oberarmknochen, zwei Unterarmknochen, zwei Reihen von Handwurzel— knochen, fünf Mittelhandknochen und ebenſo viele, aus einzelnen Gliedern zuſammengeſetzte Finger. Aber die Knochen ſind verkürzt und plattgedrückt, und durch ſtraffe Bänder verbunden, entbehren ſie der gelenkigen Beweglichkeit gegeneinander; die Weichteile aber, die die Fingerknochen umgeben, ſind zuſammenhängend und nicht, wie z. B. beim Menſchen, geſpalten, ſo daß anſtatt der getrennten Finger eine einheitliche breite Ruder— fläche ohne äußere Andeutung einer Teilung vorhanden iſt. In ähnlicher Weiſe wird beim Pinguin die Vordergliedmaße als Ruder verwendet (vgl. Tafel 1). Aber hier hat ſie beſonders deutlich auf früherer Entwicklungsſtufe das typiſche Skelett eines Vogelflügels (Abb. 28 A u. B; vgl. dazu Abb. 29 ): die Zahl der Finger iſt vermindert und in Handwurzel und Mittelhand ſind Verwachſungen eingetreten. Entſprechend dem Gebrauch dieſer Gliedmaßen als Ruder ſind jedoch beim ausgebildeten Tier auch hier die Einzelknochen platt gedrückt und breit, während ſie beim Embryo wie bei Flugvögeln runden Querſchnitt haben. Für die Verwendung der Vordergliedmaßen als Ruder beim Wal und Pinguin iſt es völlig gleichgültig, daß ihr Knochengerüſt verſchieden iſt; man könnte für beide wohl 60 Analoge und homologe Organe. einfachere Stützvorrichtungen ausdenken. Verſtändlich aber wird uns ihr ſpezifiſcher Bau, wenn wir annehmen, daß das Ruder des Wals von einem fünffingerigen Säugerarm, das des Pinguin von einem zum Flug eingerichteten Vogelarm abſtammt, und daß ſie ſich beide erſt ſekundär in Anpaſſung an das Waſſerleben umgewandelt haben. Der Bau iſt ererbt, die Funktion iſt erworben. Solche Organe, die bei Tieren von ähnlicher Lebensweiſe eine ähnliche Verrichtung haben, nennt der vergleichende Anatom analoge Organe. Sie können bei äußerlicher Ahnlichkeit oft im Aufbau ganz verſchieden ſein. Analog ſind z. B, die Grabbeine des Maulwurfs und der Maulwurfsgrille; ſie dienen der gleichen Verrichtung und weiſen in ihrem gedrungenen, kräftigen Bau und in den kralligen Vorſprüngen eine äußere Ahnlichkeit auf; aber die Grabbeine des Maulwurfs find Säugetiergliedmaßen mit innerem Knochenſkelett, die der Maulwurfsgrille Inſektengliedmaßen mit äußerem Chitinſkelett. Analog ſind die Kiemen des Flußkrebſes und des Hechtes; denn beide dienen dazu, dem ſie reichlich durchſtrömenden Blute auf einer großen Ober— fläche die Aufnahme von Sauerſtoff aus dem um— gebenden Waſſer zu ermög— lichen; ſie haben daher auch eine gewiſſe äußere Ahnlichkeit, indem ſie in zahlreiche La— mellen zerteilt und von zartem Epithel überzogen ſind. Aber beim Flußkrebs ſind die Kie— men Anhänge an der Baſis der Thoraxfüße, beim Fiſch ſtehen Abb. 28. 13 fie auf den Kiemenbögen, d. i. Skelett des Flügels eines Pinguin (Eudyptes chrysocomeForst.). 5 A Von einem Embryo von 1,3 em Flügellänge, B vom erwachſenen Tier. auf Balken, zwiſchen denen T..!b00ͤ (paftattige:Merbimmungae 2, 20 u. 11 Mittelhandknochen des 2. u. 3. Fingers, 12 2. Finger, 13 3. Finger. von der Mundhöhle nach . außen führen. Demgegenüber nennt man homolog ſolche Organe, die bei formverwandten Tieren nach demſelben Plane gebaut ſind und die gleiche Stellung im Verhältnis zum Ganzen haben, z. B. die Mundwerkzeuge verſchiedener Inſekten, mögen ſie zum Beißen oder Stechen und Saugen benutzt werden. Meiſt werden homologe Organe auch in gleicher Weiſe verwendet wie die Lungen bei Froſch und Hund; dann fällt Homologie und Analogie zuſammen. Sie können aber auch in ihrer Verwendung ganz verſchieden ſein. Homolog ſind z. B. die Fangbeine des Waſſerſkorpions und die Grabbeine der Maul— wurfsgrille als vorderſte Bruſtbeine am Inſektenkörper; homolog ſind die Bruſtfloſſe vom Wal, das Vorderbein der Maus, der Arm des Menſchen und der Flügel der Fleder— maus, als Vordergliedmaßen von Säugetieren. Es iſt nun eine wichtige Tatſache: wo bei mehreren Tieren ein Organ durch über— einſtimmenden Aufbau und gleiche Anordnung am Körper ſich homolog erweiſt, da ſind es auch die übrigen Organe. So ſind bei den Inſekten außer den Vordergliedmaßen auch die übrigen Beinpaare, die Fühler, die Teile der Mundwerkzeuge, die Atmungs— organe homolog. Wo aber bei mehreren Tieren ein Organ analog iſt, brauchen nicht alle übrigen Organe ebenfalls analog zu ſein. Bei Krebs und Fiſch ſind die Kiemen Analoge und homologe Organe. 61 analog; aber dem Fiſche fehlen Organe mit den Leiſtungen der Krebsbeine, der Krebs hat kein Ruder, das wie die Schwanzfloſſe des Fiſches wirkt und keinen hydroſtatiſchen Apparat wie deſſen Schwimmblaſe. Die einzig einleuchtende Erklärung für dieſen Unter— ſchied in dem Vorkommen homologer und analoger Organe iſt die: Homologie beruht auf gemeinſamer Abſtammung, und homologe Organiſationen werden in der gegebenen Zu— ſammenordnung vererbt; Analogie dagegen beruht auf ſekundärer Umwandlung, und dieſe kann in ähnlichem Sinne auch bei Lebeweſen vorkommen, die nicht näher verwandt ſind, alſo nicht die gleiche Organiſation beſitzen. Sehr lehrreich iſt es, daß homologe Teile in ganz verſchiedener Weiſe zu analoger Verrichtung umgewandelt werden können. Die Vordergliedmaßen der ausgeſtorbenen Flugechſen (Pteroſaurier), der Vögel und der Fledermäuſe werden gleichermaßen als Flugorgane gebraucht. Als Vordergliedmaßen von Wirbeltieren ſind ſie untereinander homolog, wenn auch weniger eng als die Vordergliedmaßen der Säuger oder der Vögel untereinander; ſie zeigen denſelben Bauplan, am deutlichſten in ihrem Knochengerüſt: einen Oberarmknochen, zwei Unterarmknochen, eine Anzahl Handwurzelknochen und ur— ſprünglich fünf Mittelhandknochen und Finger, deren Zahl jedoch bei den Vögeln auf drei verringert iſt. Bei der Verwendung als Flügel ſpielen jedoch in jedem Fall die einzelnen Teile eine andere Rolle für das Zuſtandekommen der Flugfläche (Abb. 29). Bei den Flugechſen, z. B. bei Pterodactylus elegans Zittel wird die Flugfläche durch eine Hautfalte gebildet, die ſich zwiſchen der Körperſeite und Hintergliedmaße einerſeits, zwiſchen Oberarm, Unterarm und dem ſehr verlängerten fünften Finger andrerſeits aus— ſpannt; der zweite, dritte und vierte Finger ſind frei, den Mittelhandknochen des erſten Fingers dürfen wir wahrſcheinlich in dem Spannknochen ſehen, der die kleine Hautfalte an der Beugeſeite des Armes ſpannt. Bei den Vögeln beſteht die Flugfläche aus großen elaſtiſchen Federn, den Schwingen; dieſe ſind am Unterarm und an der Hand befeſtigt; der Oberarm hat mit der Bildung der Flugfläche nichts zu tun. Die Flug— fläche der Fledermäuſe iſt wiederum, wie bei den Flugechſen, eine Hautfalte, die ſich an Körperflanke und Hintergliedmaße anſetzt. Aber an der Spannung der Haut beteiligt ſich nicht bloß ein Finger, wie dort, ſondern deren vier; nur der erſte Finger iſt frei— Es kann daher kein Zweifel ſein, daß die gleiche, den Flügel ſtützende Grundlage primär iſt und ſchon vorhanden war ohne Rückſicht auf die Verwendung der Vorder— gliedmaßen zum Fliegen; denn einzelne Teile bleiben für dieſen Zweck unbenutzt; die Umwandlung dagegen iſt ſekundär. Jene iſt ererbt, dieſe erworben. Wenn wir alſo durch dieſe Überlegungen zu dem Ergebnis kommen, daß die Homo— logie des Bauplans von den Vorfahren ererbtes Gut iſt, ſo folgt daraus, daß die Form— verwandtſchaft der Lebeweſen wirkliche Stammesverwandtſchaft ſein muß. Wie vertragen ſich aber mit der ererbten Gemeinſamkeit des Bauplans die Ab— weichungen vom Geſamtplan, die trotz aller Ahnlichkeit ſo häufig an der einen oder andern Stelle auftreten? So kommen unter den Wirbeltieren, die im allgemeinen zwei Paar Gliedmaßen haben, einzelne vor, bei denen nur ein Gliedmaßenpaar vorhanden iſt, wie die Wale, oder ſolche, denen beide Paare fehlen, wie die Blindſchleiche und die Schlangen. Genaue Unterſuchung eines Wales zeigt nun, daß an der Stelle, wo die Hintergliedmaßen zu ſuchen wären, im Fleiſch kleine Skeletteile ſitzen: es ſind die Reſte des Beckengürtels (vgl. oben Abb. 27); beim Grönlandwal (Balaena mysticetus Cuv.) ſchließen ſich ihnen noch ein paar Knöchelchen, die Reſte der Ober- und Unterſchenkel— knochen, an. Die Gliedmaßenreſte ragen aber nicht über die Oberfläche hervor und dienen 62 Analoge und homologe Organe. A bei einer Flugechſe (Pterodactylus elegans Zittel). B bei einem Vogel (Nyroca clangula L.). 8 — % ee Se TEE 7 N ; | 5 N . N NEN . | 1 * y ! 2 f 7 / bei einer Fledermaus 4 (Phyllostoma hastatum Pall). Va Abb. 29. Bildung der Flugfläche bei verſchiedenen Flugwirbeltieren. nach H. v. Meyer, 5 nach der Natur, nach Pander und D'Alton. Nudimentäre Organe. 63 nicht zur Bewegung, wie ſonſt die Gliedmaßen; fie könnten fehlen, ohne daß damit die geringſte Lebensverrichtung ausfiele: ſie ſind funktionslos. Ihr Vorhandenſein läßt ſich nur hiſtoriſch erklären: ſie ſind Reſte von Organen, die einſt eine Funktion beſaßen. Die Wale ſtammen alſo von vierfüßigen Tieren ab, und Mi B im Laufe der Generationen ſind bei ihnen die Hinter- gliedmaßen zurückgebildet. Ebenſo finden wir bei der Blindſchleiche einen gut ausgebildeten Schulter gürtel und Reſte eines Beckengürtels (Abb. 30); Schulter- und Beckengürtel dienen als Aufhänge— vorrichtung für die Gliedmaßen, dieſe aber fehlen hier. Das Vorhandenſein jener Skeletteile wird nur verſtändlich durch die Annahme, daß die Blind⸗ „o 30 4 ARE NR ſchleiche von vierbeinigen Vorfahren abſtammt. Bei Becengürtets der Blindſchleiche (Anguis den Sauriern kommt ſolche Verkümmerung der dein Schntterblart Bruten e Veen ces dale Gliedmaßen öfter vor, beſonders in der Unter— anſetzender Muskel, $ Kloate. Nach Leydig. ordnung der Kurzzüngler (Brevilinguia), zu der auch die Blindſchleiche gehört. Bei vielen Arten ſind die Gliedmaßen ſehr ſchwach und die Zehenzahl verringert, ſo bei der ſüd— europäiſchen Erzſchleiche (Seps chalcides Bp.). Bei anderen iſt das vordere Gliedmaßen— paar ganz geſchwunden, von dem hinteren ſind nur noch zehenloſe Stummel vorhanden; dies iſt der Fall beim Scheltopuſik (Pseudopus apus Pall.) Südoſteuropas (Abb. 31). Abb. 31. Scheltopuſik (Pseudopus apus Pall); die rechte rudimentäre Hintergliedmaße iſt (ſenkrecht über dem Ende der Mundſpalte) als kleiner Zapfen ſichtbar. 64 Rudimentäre Organe. Bei der Blindſchleiche u. a. (3. B. Ophiosaurus) find gar keine Gliedmaßen mehr ſichtbar. Dieſe Reihe zeigt uns nebeneinander gleichſam die einzelnen Stufen, in denen dieſe Rückbildung vor ſich ging. Sie beſtärkt uns in der Annahme, daß Schulter- und Beckengürtel der Blindſchleiche als Beweis dafür gelten müſſen, daß die Vorfahren des Tieres zwei Gliedmaßenpaare beſeſſen haben. Solche funktionsloſen Teile eines Organismus, die den Platz einnehmen, wo bei ver— wandten Formen funktionierende Körperteile ſtehen, bezeichnet man als rudimentäre Organe. Ihre Bedeutung kann nur eine hiſtoriſche ſein: ſie zeugen von Verände— rungen, die während der Stammesgeſchichte bei der betreffenden Art vorgegangen ſind. Ein Vergleich aus der Sprachgeſchichte macht das deutlicher. Das engliſche Wort für Kalb, calf, wird Kaf geſprochen. Das I wird nicht ausgeſprochen; aber der Vergleich mit dem verwandten deutſchen Wort zeigt, daß es zu dieſem Wortſtamm gehört. Das l iſt gleich— ſam ein rudimentäres Organ des Wortes calf, und man dürfte aus der Schreibung auf eine frühere Ausſprache desel ſchließen, auch dann, wenn man nicht in dem verwandten deutſchen Worte den Beleg dafür hätte. Rudimentäre Organe kommen im Pflanzen- und beſonders im Tierreich überaus häufig vor, und ſie ſind ebenſo viele Beweiſe gegen die Unveränderlich— keit der Arten und für die Abſtammungslehre. So werden bei den Weibchen mancher Schmetterlings— arten aus den Familien der Spinner und Spanner die Flügel rückgebildet, während ſie bei den zu— gehörigen Männchen gut entwickelt ſind und zum = Flug gebraucht werden. Die Weibchen ſind in dieſen Abb. 32. Froſtſpannerweibchen mit ver- Familien, durch die Laſt der Eier beſchwert, über— ſchieden weit zurückgebildeten Flügeln. 27 5 — 8 A Hibernia marginaria Bkh., B H. auran- haupt träge Flieger; unter 506 an einer Lockfackel i e Atera sech? gefangenen Nonnenfaltern z. B. befanden ſich nur zwei Weibchen. So iſt es erklärlich, daß die Flügel bei den Weibchen nicht mehr gebraucht wurden, daher ohne Nachteil verkleinert werden konnten. Drei Arten von Froſtſpannern aus der Gattung Hibernia zeigen dieſe Rück— bildung verſchieden weit fortgeſchritten (Abb. 32): H. marginaria BKh. hat noch halb— lange deutliche Flügelchen, die aber zum Flug völlig untauglich ſind; bei H. aurantiaria Hb. ſind nur noch kleine Schüppchen am zweiten und dritten Bruſtring als Reſte der Flügel übrig; der H. defoliaria L. dagegen fehlen ſie völlig. Wenn man nicht auf eine Er— klärung dieſer Tatſachen von vornherein verzichten will, ſo muß man den Schluß ziehen, daß in der Vorfahrenreihe dieſer Schmetterlinge auch die Weibchen urſprünglich wohl entwickelte Flügel wie die Männchen und ſo viele andre Schmetterlingsweibchen hatten, daß aber allmählich die Flügel rückgebildet wurden, und daß dieſe Rückbildung bei H. defoliaria L. bis zum völligen Schwunde geführt hat. In der gleichen Weiſe erklärt es ſich, daß unter den Schmetterlingen die meiſten Spinner und Spanner, die als fertige Tiere keine Nahrung aufnehmen, doch einen wenn auch nur gering entwickelten Rüſſel beſitzen von genau dem gleichen Bau wie bei jenen Schmetterlingen, die Nektar ſaugen. I Umwege der Entwicklung. 6 b) Zeugniffe der Entwicklungsgeſchichte. Wenn bei einem Lebeweſen Organe ausgebildet werden, die nicht mehr funktionieren, ſo iſt das eine Ausgabe an Stoff, die dem Ganzen in keiner Weiſe zugute kommt. Es iſt die konſervative Kraft der Vererbung, die hier in Widerſtreit tritt mit der fort— ſchrittlichen Kraft der Anpaſſung: dieſe bewirkt ein Zufließen der verfügbaren Stoffe zu den funktionierenden Organen; jene bewahrt mit Zähigkeit die überkommenen Formen, auch wenn ſie nicht mehr funktionieren. Im Laufe dieſes Widerſtreites ſiegt allerdings der Fortſchritt, und wenn der Kampf genügend lange dauert, iſt ſchließlich die wieder erzeugende Kraft der Vererbung, ſoweit ſie dem einheitlichen Zuſammenwirken der Körper— teile widerſpricht, ganz überwunden. So können rudimentäre Organe ſchließlich ganz verſchwinden, ohne eine Spur zu hinterlaſſen, wofür die Flügel des Weibchens von Hibernia defoliaria L. ein Beiſpiel bieten. So iſt auch bei den Schlangen meiſt jede Spur von Gliedmaßen verloren gegangen; nur die Familien der Boiden und Eryeiden weiſen noch Reſte eines Beckengürtels auf, die den früheren Beſitz von Hinter— gliedmaßen bezeugen. In ähnlicher Weiſe findet ein nutzloſer Aufwand von Stoff und Energie ſtatt bei den Umwegen, die ſo häufig in der individuellen Entwicklung der Lebeweſen zu beob— achten ſind. Sie haben oft in ihrem Auftreten große Ahnlichkeit mit der Fortdauer der rudimentären Organe. So gibt es in der Entwicklung der Blindſchleiche einen Zuſtand, wo die Vordergliedmaßen als kleine Erhebungen am Embryo auftreten (Abb. 33), ganz in der gleichen Weiſe, wie ſich die erſten Anlagen der Gliedmaßen etwa bei einer Eidechſe zeigen; aber ſie werden nicht weiter ausgebildet, ſondern verſchwinden wieder. Beim Rinds— f embryo finden ſich zu einer gewiſſen Zeit Anlagen der Abb. 33. Embryo der Blindſchleiche 0 9 . 9 2 „ (Anguis fragilis L.) mit Anlagen der oberen Schneidezähne, die ja den Rindern fehlen; ſie vordexen Gliedmaßen (1); 2 Anlage des männ- kommen jedoch nie zum Durchbruch, ſondern werden noch ien Begattuz eee eta. vor der Geburt rückgebildet. Solche Umwege der Ent— wicklung ſind ebenſo zu beurteilen wie das Auftreten rudimentärer Organe, nämlich von hiſtoriſchen Geſichtspunkten. Sie ſind Folgen der erhaltenden Kraft der Vererbung. Wir haben in dieſen Fällen keine andere Erklärung als die, daß die Vorfahren der Blindſchleiche vordere Gliedmaßen, die der Rinder obere Schneidezähne beſeſſen haben. Aber die Umwege der Entwicklung ſind häufig noch viel bedeutender. Aus dem Ei eines Froſches entwickelt ſich nicht direkt ein Froſch, mit Lungen und ohne Schwanz, ſondern ein Weſen mit einem Ruderſchwanz, das wie ein Fiſch durch Kiemen atmet, die Kaulquappe. Dieſe Kiemen ſtehen, ebenfalls wie bei den Fiſchen, auf Kiemenbögen, zwiſchen denen Spalten vom Schlund nach der Außenwelt führen. Ruderſchwanz und Kiemenbögen mit Kiemen werden bei den Larven der ſchwanzloſen Amphibien auch dann ausgebildet, wenn ſie nie ins Waſſer kommen, ſondern in Brutbehältern der Elterntiere geborgen ihre Entwicklung bis zum jungen Fröſchchen durchmachen: z. B. bei der Waben— kröte (Pipa) und manchen Arten der Beutelfröſche (Nototrema). Auch die Waſſer- und Landmolche, die im erwachſenen Zuſtande durch Lungen atmen, haben waſſerbewohnende Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 5 66 Kiemenbögen bei luftatmenden Wirbeltieren. Larven, die wie die Fiſche Kiemen an Kiemenbögen beſitzen. Die Larven des Alpenmolchs (Salamandra atra Laur.), die ihre ganze Entwicklung im Eileiter des Muttertieres durchlaufen, beſitzen ebenfalls zeitweilig ſolche Kiemen, die ſie aber vor der Geburt verlieren. Alle dieſe Umwege finden ihre Erklärung durch die Annahme, daß die Amphibien von dauernd durch Kiemen atmenden fiſchähnlichen Vorfahren abſtammen. Auch bei den Embryonen der Reptilien, Vögel und Säuger treten Kiemenbögen und Kiemenſpalten auf (Abb. 34A), nur find bisweilen die Spalten nicht völlig durch— gebrochen, ſondern ſchieben ſich nur als Kiementaſchen trennend zwiſchen die Kiemenbögen ein. Die letzteren tragen zwar keine Kiemen, aber noch gehen vom Herzen aus die Blut— gefäße in derſelben Anordnung durch die Kiemenbögen hindurch wie bei den Fiſchen, wo ſie das Blut zum Zweck der Atmung zu den Kiemen führen (vgl. Abb. 34B u. C). Im weiteren Verlauf der Entwicklung verſtreichen die Bögen, die Kiementaſchen verſchwinden — mit Ausnahme der erſten, und die Blutgefäße gehen z. T. unter. Dieſe Anlagen ſtellen 4 RS V W SZSE ¹ I = un / Z Abb. 34. 4 Kopf vom Hühnerembryo mit Kiemenbögen ) und Kiemenſpalten; bei 3 jind durch Wegnahme der äußeren Haut die in den Kiemenbögen verlaufenden Gefäße ſichtbar gemacht; in C find zum Vergleich die Kiemengefäße eines Knochenfiſches dargeſtellt. 7 Kiemenbögen, 2 Herzkammer, 2° Vorkammer, 3 Schnittfläche der Haut, + Kiemengefäße. einen Entwicklungsumweg vor, der nur hiſtoriſch erklärbar iſt, alſo durch die Annahme, daß die luftlebenden Wirbeltiere von kiemenatmenden fiſchartigen Waſſerbewohnern ab— ſtammen und von dieſen die entſprechende Anordnung der Blutgefäße ererbt haben. Noch eines Beiſpiels ſei gedacht aus der unendlichen Menge ähnlicher, die uns die Entwicklungsgeſchichte der Tiere darbietet: das iſt die Entwicklung einiger Krebſe. Bei ſehr vielen Krebſen aus verſchiedenen Ordnungen, ſo bei den Kiemenfußkrebſen (Bran— chiopoden), den Hüpferlingen (Copepoden) und unter den höheren Krebſen bei den Garnelengattungen Penaeus und Lucifer ſchlüpft aus dem Ei eine charakteriſtiſche Larve mit drei Beinpaaren, die ſogenannte Naupliuslarve (vgl. Abb. 36 A), die ſich dann unter Vermehrung ihrer Gliedmaßen und ſonſtigen Wandlungen zum fertigen Krebs umbildet. Dieſe Krebslarve tritt nun auch in der Entwicklung eines ganz ſonderbaren Lebeweſens auf, das in ſeinem Bau gar keine Ahnlichkeit mit Krebſen aufweiſt, bei dem ſchon oben (S. 45) genannten Paraſiten der Krabben, Sacculina careini Thomps. (Abb. 35). Der Sacculina-Nauplius (Abb. 36 A) verwandelt ſich dann in die ſogenannte Entwicklung der Saceulina. 67 Cyprislarve (B) mit einer größeren Gliedmaßenzahl und ſtummelhaftem Hinterleib. Dieſe heftet ſich mit ihren Haftantennen (1) an eine Krabbe an (0), und zwar an der Baſis einer Borſte, wo die Kutikula weich iſt. Jetzt, wo es mit der freien Bewegung aus iſt, wird der Thorax mitſamt den Beinen und dem Hinterleibsſtummel abgeworfen (P). Die übriggebliebene Maſſe dringt durch die Röhre, die von der Haftantenne gebildet wird, in die Krabbe ein (E, F) und wächſt dort zum Paraſiten aus, indem ſie wurzelartige Aus— läufer in den Leib des Wirtstieres ſendet (vgl. oben Abb. 16); der von dieſen Wurzeln reich mit Nahrung verſorgte Körper ſchwillt dann mehr und mehr an und bricht ſchließ— lich durch die Kutikula durch, den ſackförmigen Anhang der Krabbe bildend. Dieſe Art der Entwicklung deutet zweifellos darauf hin, daß die Vorfahren der Sacculina einſt auch im erwachſenen Zuſtande krebsartig waren, und erſt durch den degenerierenden Ein— fluß des Schmarotzerlebens im Laufe der Generationen ſo verändert wurden. Notwendig ſind : | RER Bin ſolche Umwege in der en ae Entwicklung nicht; fie Bere SET TANEEEENETT EEE 7 fünnen allmählich ver- kürzt werden. Während beim Rind die im er— wachſenen Zuſtande feh— lenden Zähne beim Embryo noch angelegt werden, findet man im = Schnabel der Vogel— embryonen keine Spur von Zahnanlagen, und doch wiſſen wir, daß = die Vögel von bezahnten = . — — = > . SI. E . f —— — — — Vorfahren ſtammen;zdie =: — . Zn 3 : = ä = SE Ze = Reſte von Zahnvögeln =: find uns in den Ab— N add li ee m formation verſteinert erhalten. Ebenſo macht z. B. unſer Flußkrebs bei ſeiner Entwicklung keinerlei Umwege über eine Naupliuslarve oder eine andere Larvenform, ſondern die Jungen ſind, wenn ſie aus den Eihüllen ſchlüpfen, dem fertigen Tiere ſchon ſehr ähnlich, indem ſie vor allem die endgültige Zahl und Form der Gliedmaßen beſitzen. Auch hier hat die Anpaſſung den Sieg über die rekapitulierenden Tendenzen der Vererbung davongetragen; der Gang der Entwicklung iſt abgekürzt. Freilich geſtatten nicht alle Umwege, die der Entwicklungsgang eines Tieres macht, eine hiſtoriſche Deutung. Manche müſſen als Anpaſſung der betreffenden Entwicklungs— ſtufen an ihre beſonderen Lebensbedingungen betrachtet werden. So kann das Puppen— ſtadium der Schmetterlinge unmöglich eine Eigentümlichkeit ſein, die einmal ein Vorfahr dauernd beſeſſen hat; die Puppen nehmen keine Nahrung auf und bewegen ſich nicht — ein Tier, das im ausgebildeten Zuſtande ſolche Eigenſchaften hätte, iſt nicht denkbar. Der Puppenzuſtand ohne Nahrungsaufnahme und Bewegung wird ermöglicht durch die während des Larvenlebens aufgehäuften Vorratsſtoffe und ermöglicht ſeinerſeits — 68 Ererbte und neu erworbene Umwege der Entwicklung. den ungeſtörten Ablauf der tiefgreifenden Veränderungen, die mit der Umwandlung der Larvenform in die von ihr ſehr abweichende ausgebildete Form verknüpft ſind. Jene Umwege der Entwicklung ſind in ihrer hiſtoriſchen Bedeutung von größter | 2 5 2 [9] 2 5 A g IN 7 = a 0 7 7 S 2 — g 1 2 8 3 | S N 1 99 ö | a h c Ben :£ 0 N NE * a 3 Al \ \ N IL \ NIE? | N \ 8 1 N Re He N 7 \ 1 * D D} 2 F E 5 3 X 1 7 N 17 * fl 17 N Ki 0 U N — Al | A \ Ik: WEN \ 15 2 KEN. \ ven £ N 1 Ne / 8 . 1 gi 1 ' . // NER 1 | Ä 6 | 1 N 1 55 „ K 880 . \! | O 7 e Ness Se) 11.060 / = N & $ e 9% Abb. 36. Entwicklung von Sacculina careini Thomps. 1 A Naupliuslarve; B Cyprisſtadium, freiſchwimmend (7 Haftantenne); C dasjelbe, am * Anſatz einer Borſte (2) dem Krabbenpanzer (3) angeheftet, wirft den beinetragenden 4 Körperabſchnitt ab; D auch die Schale wird abgeworfen; 2 der Reſt des Larvenkörpers 1 bereitet ſich zur Einwanderung in den Krabbenkörper vor und F wandert ein. n B—F 260 fach, 4 ſtärker vergrößert. Nach Delage. IL Wichtigkeit für die Feſtſtellung der Verwandtſchaftsbeziehungen der Tiere. Die Zu⸗ gehörigkeit der Sacculina zu der Klaſſe der Krebſe iſt nur durch das Studium ihrer Entwicklung erkannt worden. Wir werden weiter unten bei dem Verſuch, die Stammes— entwicklung des Tierreichs darzuſtellen, noch näher auf den Wert dieſer Ableitung aus Entſtehung und Reihenfolge der Gejteinsjchichten. 69 entwicklungsgeſchichtlichen Tatſachen und die dabei möglichen Irrtümer hinzuweiſen haben. Hier, wo wir nur die entwicklungsgeſchichtlichen Umwege als Zeugnis für die Abſtam— mungslehre benutzen, iſt für nähere Ausführungen darüber nicht der Platz. c) Zeugniſſe der Verfteinerungskunde. Von den Pflanzen und Tieren, die in früheren Zeiten unſere Erde bevölkerten und unter denen wir, nach der Annahme der Abſtammungslehre, die Vorfahren der jetzigen Lebeweſen zu ſuchen haben, geben uns die verſteinerten Reſte Kunde, die wir in den ge— ſchichteten Teilen der Erdrinde finden. Die Einſicht, daß wir es in dieſen Verſteine— rungen mit Reſten einſt lebender Pflanzen und Tiere zu tun haben, hat ſich erſt all— mählich Bahn gebrochen. Früher ſah man in ihnen Spiele der Natur, und als man durch genauere Unterſuchung zu der Überzeugung kam, daß man es doch wohl mit Reſten wirklicher Lebeweſen zu tun habe, glaubte man zunächſt, ſie ſtammten von den bei der Sintflut vernichteten Pflanzen und Tieren. So beſchrieb 1726 Scheuchzer die Skelettreſte eines großen, über 1 m langen Molches (Andrias scheuchzeri Tschudi) aus dem oberen Miozän von Oningen als Sintflutmenſchen („Homo tristis diluvii testis“). Daß die Verſteinerungen von den jetzt lebenden Weſen verjchieden ſind, wurde zu— erſt zweifellos erwieſen durch die genauen Unterſuchungen, die am Ende des 18. Jahr— hunderts Cuvier für die Wirbeltiere, Lamarck für die Mollusken des Pariſer Beckens durchführten. Die Verſchiedenheit der Foſſilien in verſchiedenen Schichten der Erdrinde glaubte Cuvier ſo erklären zu können, daß durch gewaltige Kataſtrophen das Leben auf der Erde mindeſtens teilweiſe vernichtet und darauf durch Neuſchöpfungen die Erde neu bevölkert wurde. Die Kataſtrophenlehre, die z. B. in Goethe einen heftigen Gegner fand, wurde endgültig durch den engliſchen Geologen Sir Charles Lyell widerlegt; er ſetzte in ſeinen Prinzipien der Geologie (1830 —33) an ihre Stelle die Kontinuitäts— theorie. Dieſe jetzt allgemein anerkannte Lehre behauptet, daß die Kräfte, die wir auch jetzt noch an der Arbeit ſehen, vollkommen ausreichend ſind zur Erklärung der Umwand— lungen, die in früheren Zeiten mit der Erdoberfläche vor ſich gegangen ſind, ohne daß wir gewaltſame Umwälzungen zu Hilfe rufen müſſen. So ſteht auch die Pflanzen- und Tierbevölkerung, die im Laufe der Zeiten die Erde bewohnte, in ununterbrochenem Zu— ſammenhang, und wir dürfen erwarten, den Vorfahren der heutigen Lebeweſen, ſoweit ſie verſteinerungsfähige Reſte beſaßen, unter den Verſteinerungen zu begegnen. R Die geſchichteten Ablagerungen bildeten ſich auf dem Grunde des Waſſers; wir finden deshalb auch ganz überwiegend Reſte von Waſſertieren in ihnen. Entſprechend dieſer Entſtehung müſſen die oberen Schichten jünger ſein als die unteren; ſo ſind die am gleichen Orte vorhandenen Ablagerungen zeitlich geordnet. Um Schichten verſchie— dener Orte vergleichen zu können, iſt eine genaue Kenntnis der darin enthaltenen Ver— ſteinerungen notwendig; wenn Ablagerungen getrennter Ortlichkeiten im Vorhandenſein häufiger und weit verbreiteter Pflanzen und Tiere einander gleichen, kann man ſie als gleichaltrig betrachten und an der gleichen Stelle in der Folge der geologiſchen Schichten einreihen. So iſt es durch anhaltendes Studium gelungen, die Schichten der Erdrinde nach ihrer Entſtehungszeit zu ordnen. Man gibt ihnen Namen, teilt ſie in verſchiedene Formationen ein, und dieſe werden zu vier großen Gruppen zuſammengefaßt: die Ge— ſteine der erſten Epoche, der archäiſchen, enthalten keine Reſte von Organismen und kommen daher hier nicht in Betracht; die zweite Epoche wird als paläozoiſche be— 70 Lückenhaftigkeit der verſteinerten Reſte. zeichnet, die dritte als meſozoiſche, die vierte als känozoiſche Epoche; man könnte fie entſprechend Altertum, Mittelalter und Neuzeit der Tierwelt nennen. Die Formationen find der Reihe nach folgende: Känozoiſche Epoche Meſozoiſche Epoche 11) Jetztzeit 8) Kreideformation 10) Quartärformation oder Diluvium 7) Juraformation 9) Tertiärformation 6) Triasformation Paläozoiſche Epoche 5) Permformation 2) Silurformation 4) Kohlenformation 1) Kambriſche Formation. 3) Devonformation Wenn nun von allen Lebeweſen, die überhaupt verſteinerungsfähig waren, wirklich Reſte erhalten wären, ſo müßten wir für viele der jetzt lebenden Organismen mit Hilfe dieſer Reſte den direkten Beweis führen können, daß ſie durch allmähliche Umbildung aus andersgeſtaltigen Vorfahren entſtanden ſind. Aber leider trifft jene Vorausſetzung nicht zu; die geologiſche Urkunde iſt ſehr lückenhaft. Während wir gegen 420000 Arten lebender Tiere kennen, ſind uns aus der ganzen Folge der Formationen nur etwa 100000 foſſile Tierarten bekannt; und doch umfaßt die Jetztzeit mit dem Diluvium nur etwa eine Zone vom gleichen Werte, wie wir deren mehr als dreißig in der Jurazeit unterſcheiden können. Dieſe Lückenhaftigkeit hat ihren Grund zunächſt darin, daß eine außerordentlich große Zahl von Lebeweſen nur aus Weichteilen beſteht, die nicht erhaltungsfähig ſind. Sehr viele Pflanzen und unter den Tieren die Infuſorien, die nackten Coelenteraten, die Mehr— zahl der Würmer, die gehäuſeloſen Schnecken und manche Krebſe, beſitzen keine Hart— teile, die ſich erhalten können; Abdrücke von Weichteilen aber ſind ſehr ſelten. Jedoch auch da, wo ſolche Hartteile vorhanden ſind, hängt ihre Erhaltung von dem Zuſammen— treffen vieler günſtiger Umſtände ab. Nur verhältnismäßig ſelten wird es ſich treffen, daß der Leichnam in ruhigem Waſſer zu Boden ſinkt und dort bald von einer genügen— den Schicht weichen Schlammes bedeckt und damit erhalten wird. Grobkörniger Sand iſt der Erhaltung ungünſtig und wir finden deshalb dicke Lagen von Sandſtein faſt völlig foſſilfrei; bewegtes Waſſer aber, beſonders die Tätigkeit brandender Wogen, ver— nichtet die Reſte mit Sicherheit. Am günſtigſten für die Erhaltung von Reſten ſind die Bedingungen bei den Waſſerbewohnern; viel ſeltener jedoch kommen Landtiere und Land— pflanzen in eine Lage, die ihre Verſteinerung ermöglicht. Die Artenzahl der Landtiere aber überwiegt, wenigſtens in der Jetztzeit, diejenige der Waſſertiere bei weitem. Zwei Drittel der lebenden Tierarten ſind allein Inſekten, nämlich gegen 280000; foſſile Reſte von Inſekten kennen wir im ganzen nur gegen 2600 Arten! Obgleich Säugetiere ſchon aus der Trias- und Jurazeit bekannt ſind und ihre Reſte im Tertiär in großen Mengen gefunden werden, iſt in der Kreideformation bisher keine Spur von einem Säuger entdeckt worden. Wie ſpärlich die Reſte vielfach ſind, erhellt daraus, daß viele foſſile Arten, beſonders aus der Reihe der Wirbeltiere, ſich nur auf ein einziges erhaltenes Stück, oft ſogar nur auf ein Bruchſtück, ja zuweilen nur auf ein paar Zähne oder dgl. gründen. Dazu kommt, daß drei Viertel der Erdoberfläche vom Meere bedeckt und damit unſerer Unterſuchung entzogen ſind. Von der trockenen Erdoberfläche aber ſind nur der Aufeinanderfolge der Pflanzen- und Tiergruppen. al größte Teil Europas und Nordamerikas, ferner Südaſien und Südafrika genau unter- ſucht; ſonſt kennen wir nur mehr oder weniger reichliche Stichproben. Wenn wir ſomit einen vollſtändigen Stammbaum der jetzigen Lebewelt aus den verſteinerten Urkunden nicht herausleſen können, ſo entſpricht doch das, was wir finden, vollkommen den Vorſtellungen, die wir uns nach der Abſtammungslehre von der Ent— wicklung der Lebewelt auf der Erde machen müſſen. Je weiter nämlich eine Formation von der Jetztzeit entfernt iſt, um ſo geringer iſt die Verwandtſchaft der in ihr gefundenen Pflanzen und Tiere mit den noch lebenden. Das ſoll an dem Beiſpiel der Säugetiere gezeigt werden, wobei die einzelnen Belege aus der Ordnung der Raubtiere entnommen ſind. Im Diluvium findet ſich der Menſch und andere Säugetiere, die in der Haupt— ſache zu noch heute lebenden Arten gehören oder ſich wenigſtens von ihnen nicht weit entfernen, wie der Wolf (Canis lupus L.) und der Höhlenlöwe (Felis spelaea Goldf.), der vielleicht mit dem afrikaniſchen Löwen identiſch iſt. In der oberſten Abteilung des Tertiär, im Pliozän, kommen Säuger vor, die in der Hauptſache jetzt noch lebenden Gattungen angehören, lebende Arten dagegen ſind ſelten: von Hunden treffen wir Canis etruscus F. Major, von Bären Ursus etruscus Cuv,, von Mardern Mustela filholi De- peret, lauter ausgejtorbene Arten noch vorhandener Gattungen. Tiefer im Tertiär, im Miozän, gehören die Säuger hauptſächlich jetzt noch lebenden Familien an; von den damals lebenden Gattungen find zahlreiche ausgeſtorben, von den Arten reicht keine bis zur Jetztzeit: jo iſt die Familie der Hunde vertreten durch die Gattung Uynodietis, die der Bären durch die Gattung Hyaenarctos, die der Marder durch die Gattung Plesi- cyon, die der Katzen durch Aelurogale. Im Oligozän ſchließlich begegnen uns viele jetzt ausgeſtorbene Familien, und von den jetzt lebenden Gattungen und Arten iſt noch keine vorhanden. Die Ordnung der Raubtiere iſt ſchon vertreten, aber die jetzigen Familien laſſen ſich in ihr noch nicht unterſcheiden. In der ganz fremdartigen Säugetierwelt des unterſten Tertiär endlich, des Eozän, findet man noch keine echten Raubtiere; wohl aber ſind die eozänen Kreodonten, mit manchen Anklängen an die Beuteltiere, durch allmähliche Übergänge mit den Raubtieren verbunden und können als deren Vorfahren angeſehen werden. Die Reihenfolge, in der die Lebeweſen in den aufeinander folgenden Formationen auftreten, ſteht durchaus in Übereinſtimmung mit dem Bilde, das wir uns nach der Organiſation der Pflanzen- und Tierabteilungen von deren verwandtſchaftlichem Zu— ſammenhange machen können. Die einzigen Pflanzen, denen man im Kambrium begegnet, ſind Algen; erſt vom mittleren Silur ab geſellen ſich ihnen die erſten Anfänge der Ge— fäßkryptogamen zu. Im Karbon, der Steinkohlenformation, entwickeln dieſe dann eine große Mannigfaltigkeit: Bärlappgewächſe, Sigillarien, Schachtelhalme, Annularien und Farne bilden den Hauptbeſtandteil der Flora, und neben ihnen treten die erſten Ver— treter der Gymnoſpermen auf, Nadelhölzer und vielleicht auch Sagopalmen (Cycadeen). Erſt gegen Ende der meſozoiſchen Epoche, in der Kreidezeit, kommen dazu auch die Blütenpflanzen, die in der Jetztzeit drei Viertel der geſamten Pflanzenwelt ausmachen. Das gleiche läßt ſich im Tierreiche verfolgen. In der paläozoiſchen Periode ſind zwar jchon alle Stämme der wirbelloſen Tiere vorhanden; ihre Entwicklung fällt in Zeiten, aus denen uns keine Verſteinerungen erhalten ſind. Aber das Auftreten der verſchiedenen Klaſſen der Wirbeltiere läßt ſich genau verfolgen. Schon oben wurde er— wähnt, daß für alle Landwirbeltiere wegen des vorübergehenden Auftretens von Kiemen— ſpalten die Abſtammung von waſſerlebenden Tieren wahrſcheinlich iſt; von den Land— 72 Entwicklungsreihen. wirbeltieren ſtehen die Amphibien nach Bau und Entwicklung den Fiſchen am nächſten; die Reptilien aber ſind wiederum einfacher organiſiert als Vögel und Säuger, die man von reptilienartigen Vorfahren ableiten muß. Dem entſpricht die Reihenfolge des Auf— tretens. Im Silur, wo die erſten Wirbeltierreſte vorkommen, ſind es Fiſche: neben den eigentümlichen Panzerfiſchen (Placodermen) treten Formen auf, die mit den jetzt faſt ganz verſchwundenen Ganoidfiſchen (Stören uſw.) verwandt ſind. Auch im Devon bleiben die Fiſche die einzigen Wirbeltiere, Haie und Rochen einerſeits, Ganoiden andererſeits. Viel ſpäter erſt, nämlich in der Kreideformation, finden ſich Reſte der höher entwickelten Knochenfiſche. Im Karbon ſtellen ſich die älteſten Amphibien, die Stegocephalen, ein. Im Perm findet man zum erſten Male echte Reptilien; von den verſchiedenen Ord— nungen derſelben tritt die abweichendſte, die der Schlangen, am ſpäteſten auf, nämlich erſt in der Kreideformation. Das erſte Auftreten von Säugetierreſten fällt in die Trias. Im Jura begegnen uns die älteſten Vögel, mit langem, eidechſenartigem Schwanz; in der Kreide ſchließlich finden ſich die Zahnvögel, die, abgeſehen von der Bezahnung der Kiefer, den jetzigen Vögeln recht ähnlich ſind. Abb. 37. A Peltoceras annulare Rein,, B Pelt. athleta Phill., CAspidoceras perarmatum Sow. Nach Quenſtedt. Trotz der Lückenhaftigkeit der Überlieferung ſind auch zuſammenhängende Entwick— lungsreihen in ziemlicher Ausdehnung bekannt, hauptſächlich bei den Korallen, Seeigeln, Brachiopoden und Mollusken. Bei den Ammoniten beſonders, alten gehäuſetragenden Tintenfiſchen, laſſen ſich häufig Formenketten durch lange Schichtenreihen verfolgen, die derartig eng geſchloſſen ſind, daß ein Ziehen von Artgrenzen ohne willkürlichen Einſchnitt unmöglich wird. Eine ſolche Kette juraſſiſcher Ammoniten zeigt Abb. 37; die Entwicklung führt über Peltoceras annulare Rein. und P. athleta Phill. aus dem oberen braunen Jura (8) zu Aspidoceras perarmatum Sow. aus dem unteren weißen Jura ( 6). Aber auch für manche Wirbeltierformen laſſen ſich Reihen aufſtellen, die zwar nicht lückenloſe Übergänge zeigen, immerhin jedoch eine große Wahrſcheinlichkeit beſitzen, um ſo mehr als ſie völlig den Erwartungen entſprechen, die wir aus anderen Gründen hegen dürfen. Berühmt iſt der Stammbaum der Pferde, deſſen Kenntnis in der Hauptſache den Forſchungen des Amerikaners Marſh zu verdanken iſt. Es ſollen hier nur in aller Kürze die Umwandlungen betrachtet werden, die Hand und Fuß in der Ahnenreihe der Pferde während der einzelnen Stufen der Tertiärzeit, des Pliozän, Miozän, Oligozän und Eozän durchgemacht haben (Abb. 38). Bei unſeren lebenden Pferdeformen, dem Abb. 38. Hand (a) und Fuß (d) von Vertretern der aufeinander folgenden Entwicklungsſtufen des Pferdeſtammes. A Phenacodus primaevus Cope. B Eohippus pernix Marsh. C Orchippus agilis Marsh D Mesohippus celer Marsh. / Miohippus auceps Marsh. F Hypohippus equinus Scott. @ Neohipparion whitneyi Gidley. M Equus caballus L. I II III IV V erſter bis fünfter Finger bzw. Mittelhandknochen in a und Zehe bzw. Mittelfußknochen in? 4 und E—H e nat. Größe, 5— !/, nat. Größe. Nach R. S. Lull. 74 Zwiſchenformen. Pferd (H), dem Wildeſel, dem Zebra, tragen die Gliedmaßen nur eine Zehe. Bei der Fünfzehigkeit der meiſten landlebenden Wirbeltiere muß man auch für die Pferde eine Abſtammung von fünfzehigen Vorfahren annehmen. Zu beiden Seiten des zu der Zehe gehörigen Mittelhandknochens liegen bei den jetzigen Pferden ein paar dünne, längliche Knochenſpangen, die ſogenannten Griffelbeine (H II, IV); ſie find als Rudimente zweier weiterer Mittelhandknochen aufzufaſſen. Im Pliozän von Nordamerika findet ſich ein Pferd, Pliohippus, bei dem dieſe Griffel— beine größer ſind; ja einige Pferde aus dem Pliozän haben noch drei vollſtändig ausgebildete Zehen an jedem Fuß, von denen aber die ſeitlichen den Boden nicht erreichen z. B. Neohipparion (G). Das iſt die Regel bei den pferdeartigen Tieren des Miozäns, z. B. Hypohippus (F), wo dieſe Zehen leicht den Boden berühren; der miozäne Miohippus (E) tritt mit drei Zehen auf und hat an den Vorderfüßen einen vierten Mittelhandknochen als Reſt eines entſpre— chenden Fingers, und in Europa entſpricht Anchitherium dieſer Entwicklungsſtufe — wie ja auch jetzt die pferdeartigen Tiere nicht auf ein enges Gebiet beſchränkt ſind, ſondern in Europa, Aſien und Afrika vor— kommen. Der oligozäne Mesohippus (D) Amerikas und das Palaeotherium Europas beſitzen vorn einen größeren Reſt eines vierten Fingers (F). Orohippus (C) im jüngeren Eozän Amerikas und Hyracothe- rium in Europa, Tiere von tapirähnlichem Ausſehen, haben vorn vier, hinten drei gutausgebildete Zehen. Der Eohippus (B) des mittleren Eozäns hat an den Vorder— beinen vier ausgebildete und einen rudi— mentären Finger, hinten drei Zehen und den Reſt eines vierten Mittelfußknochens (J), K. Schl. 22 Ade Abb. 39. Archaeopteryx macrura Ow. Verſteinerung aus dem lithographiſchen Schiefer von Eichſtätt. sc Schulterblatt, e Schlüſſelbein, co Korakoid, A Oberarm, „Speiche und „ Elle des Unterarms, e Handwurzel, III III IV erſter bis dritter Finger bzw. erſte bis vierte Zehe. Nach Dames aus Credner. und ſeine Vorfahren im älteren Eozän ge— hörten zu der Ordnung der Condylarthra, von deren Fußbau mit fünf Zehen an Vorder— und Hintergliedmaßen uns Phenacodus (A) eine Vorſtellung gibt, der allerdings nicht direkt in die Ahnenreihe der Pferde gehört. Entſprechende Umwandlungen laſſen ſich am Schädelbau und am Gebiß verfolgen. Die Vergleichung der Größenverhältniſſe in Abb. 38 zeigt, daß die weiter zurückliegenden Vorfahren des Pferdes immer kleiner werden. Schließlich finden ſich unter den Verſteinerungen hie und da auch Zwiſchen— formen, die den Übergang zwiſchen jetzt getrennten Gruppen des Tierreiches vermitteln und damit als gewichtige Zeugen für die Umbildung der Arten gelten müſſen. So iſt Untergattungen von Murella. 75 die ſiluriſche Echinodermenordnung der Cyſtideen durch Übergangsglieder mit den anderen Abteilungen der Echinodermen, ſoweit ſie zuſammenhängende foſſile Reſte hinterlaſſen haben, verbunden: mit den Haarſternen, den Seeſternen, den Seeigeln und den aus— geſtorbenen Blaſtoideen. Ein Bindeglied zwiſchen Sauriern und Vögeln iſt die berühmte Archaeopteryx aus dem oberen Jura, von der 1861 ein Exemplar bei Solnhofen, 1877 ein zweites bei Eichſtätt gefunden wurde. Archaeopteryx (Abb. 39), die in der Größe zwiſchen Taube und Huhn ſteht, iſt nach der Bildung des Schädels, der Rippen und der Hintergliedmaßen ein Vogel, und der Beſitz eines wärmenden Federkleides läßt darauf ſchließen, daß ſie Warmblüter war. An die Herkunft von den Sauriern erinnert jedoch die Zahnbewaffnung der Kiefer, die auch die Zahnvögel der Kreide noch bei— behalten haben, ferner die Form des Beckens und vor allem die Beſchaffenheit des Schwanzes. Bei den heutigen Vögeln iſt der Schwanz kurz und beſteht aus ſechs Wirbeln und dem Endknochen, dem ſogenannten Pygoſtyl, das entwicklungsgeſchichtlich aus etwa ſechs Wirbelanlagen verſchmilzt; der Schwanz der Archaeopteryx dagegen iſt eidechſenartig lang und hat 21 Wirbel. d) Zeugniffe der Pflanzen- und Tierverbreitung. Wenn die im Syſtem einander naheſtehenden Formen von gemeinſamen Vorfahren abſtammen, wie die Abſtammungslehre behauptet, ſo wird zu erwarten ſein, daß ſie häufig in ihrer Verbreitung auf ein zuſammenhängendes Gebiet beſchränkt ſind, das jener Vor— fahr bewohnte, um ſo mehr wenn dieſes Gebiet gegen andere durch ſcharfe Grenzen ab— geſchloſſen iſt oder doch lange abgeſchloſſen war. Die Bewohnerſchaft ſolcher abgeſchloſ— ſener Bezirke wird dann unter ſich nahe verwandt ſein. Ein ſchönes Beiſpiel dafür, daß diejenigen Arten einer Gattung näher verwandt ſind, die geographiſch in engem Verband vereinigt ſind, bietet die Helicidengattung Murella aus den Mittelmeerländern. Die Gattung iſt durch die Beſchaffenheit ihres Geſchlechtsapparates gut charakteriſiert. 9 5 0 50 Man kann in ihr aber wiederum vier — — \ BEER f N „ 5 5 a Ne 72 2 Untergattungen unterſcheiden, die eine 2 5 U 5 ) 1 8 Nor 9 e f N x — \ es Fe N | 4 N MI N verſchiedene Verbreitung haben: Murella are Cs 2 ww) im engeren Sinne bewohnt Sizilien, Opica 8 8 Mittel- und Süditalien, Marmorana die Abb. 10. Querſchnitte durch die Liebespfeile ver— : 7 . er ſchiedener Murella-Gruppen. tyrrheniſchen Inſeln und die tyrrheniſche A Murella muralis Müll., B M. (Opica) strigata Fer., e e 2 Clzueeen) mas Br, > I. Ullrmeunerog) das öſtliche Sardinien. Dieſe Unter- gattungen haben zwar vielfach ähnliche Gehäuſe, ſind aber in anatomiſchen Einzelheiten verſchieden, deren augenfälligſte die Geſtalt des Liebespfeils iſt (Abb. 40): bei den Siziliern hat er einen kreuzförmigen Querſchnitt, bei den Süditalienern einen anker— förmigen, bei den Tyrrhenern einen förmigen, und bei den Sardiniern einen zweizinfigen. Ein Gebiet, das ſehr lange Zeit von aller Verbindung mit anderen abgetrennt war, iſt Südamerika; ausgedehnte Ablagerungen aus der Kreidezeit und dem älteren Tertiär in Mittelamerika beweiſen, daß in der Kreidezeit und bis zum Miozän ein breites Meer den ſüdlichen Kontinent von Nordamerika trennte. Daher fällt eine enge Ver— wandtſchaft innerhalb vieler Gruppen ſeiner Tierbevölkerung auf. Die Dreizehenſtrauße oder Nandus (Rhea) z. B. ſind in ihrem Vorkommen ganz auf Südamerika beſchränkt; dort aber finden ſich zwei einander naheſtehende Arten dieſer Gattung. Südamerika 76 Tierbevölferung Südamerifas. beherbergt eigentümliche Echſen, die Leguane, die dort die gleiche Stelle ausfüllen wie die Agamen in der Alten Welt. Es gibt Baumleguane und Erdleguane, ebenſo Baum— agamen (Taf. 5) und Erdagamen. Die Baumbewohner unter den Leguanen und Agamen ſind einander viel ähnlicher als den betreffenden Erdbewohnern: ſie ſind ſeit— lich plattgedrückt und haben einen langen Schwanz. Die Erdbewohner dagegen ſind mehr von oben nach unten zuſammengedrückt und kurzſchwänzig; ſie ſind ebenfalls untereinander ähnlicher als mit den Baumbewohnern (Abb. 41 und 42). Aber alle Leguane haben beſtimmte anatomiſche Merkmale gemeinſam, ebenſo alle Agamen: bei jenen ſtehen die Zähne auf dem Innenrande der Kiefer befeſtigt, ſie ſind pleurodont; bei dieſen ſtehen ſie auf der Kante der Kiefer, ſie ſind akrodont (Abb. 43). Die Erd— leguane und Baumleguane ſind alſo, trotz äußerer Unähnlichkeit untereinander näher Abb. 41. Moloch horridus Gray, eine Erdagame aus Auſtralien. verwandt als mit den ihnen ähnlicheren Erdagamen bzw. Baumagamen. Die Erklärung dafür iſt, daß eben die Leguane gemeinſamer Abſtammung ſind und ihren Entſtehungs— mittelpunkt in Südamerika haben, und ebenſo die Agamen, die ausſchließlich der öſtlichen Halbkugel angehören. Die Entwicklung beſchränkt verbreiteter Formenkreiſe am Orte ihres Vorkommens aus andersgeſtalteten Vorfahren wird noch wahrſcheinlicher, wenn auch die verſteinerten Reſte verwandter Formen in ihrem Vorkommen auf das gleiche Gebiet beſchränkt ſind. Die katarhinen Affen z. B., von den altweltlichen anarhinen Affen durch die breite Naſenſcheidewand und die größere Zahl der Lückzähne (Praemolaren) unterſchieden, finden ſich nur in Südamerika und den benachbarten Gebieten Mittelamerikas; foſſile Katarhinen kommen aber auch nirgends ſonſt als in Südamerika vor, wo ſie aus dem Pleiſtozän von Braſilien und dem älteren Tertiär Patagoniens bekannt ſind. — Süd— amerika beſitzt eine Anzahl Nagerfamilien, die nur dort gefunden werden, ſo die Huf— pfötler (Subungulaten), zu denen das Meerſchweinchen, das Kapybara und das Aguti Verbreitung der ausgeſtorbenen Verwandten lebender Tierformen. 777 ( 9 gehören, und die Lagoſtomiden, langſchwänzige und im übrigen haſenartige Tiere. Foſſile Reſte, die dieſen Familien angehören, werden in den tertiären Ablagerungen Braſiliens und Argentiniens zahlreich gefunden, aber auch nur hier. — Von Zahnarmen (Eden— taten) beherbergt Südamerika eine Reihe von Gattungen, die zu einer Unterfamilie Abb. 42. Phrynosoma cornutum Harl., ein Erdleguan aus Neu Mexiko. (Xenarthra) zuſammengefaßt werden: die Gürteltiere, Ameiſenbären und Faultiere; alt— weltlich dagegen find die Schuppentiere und Erdferkel, die die Unterfamilie Nomarthra bilden. Von dieſen letzteren finden ſich verſteinerte Reſte im Pleiſtozän Europas; Reſte der Xenarthra kennt man dagegen vom Eozän an aus Südamerika, und erſt im Pleiſtozän kommen auch einige in Mittel- und Nordamerika vor. Ahnliche Fälle, wie ſie hier für die Säugerfauna Südamerikas zuſammengeſtellt ſind, gibt es zahlreiche. Erwähnt ſei nur noch das Vorkommen eines ſonderbaren Laufvogels, des Kiwi (Apteryx), der in zwei Arten auf Neuſeeland beſchränkt iſt, wo auch alle ausgeſtorbenen Angehörigen der gleichen Familie, die Gattung Megalapteryx und 1 d 0 18 Arten der Gattung Dinornis gefunden werden. und akrodonte (B) : . R 1 . ; 0 Befeſtigung des Eine ganz beſondere Stellung nimmt die Säugetierfauna Auſtraliens Zabns am (ichraf— ein, das ſeit Beginn der Kreidezeit von der Verbindung mit anderen fierten) Kiefer, Landmaſſen abgeſchnitten iſt. Außer den Kloakentieren, die durch Ameiſenigel und Schnabel— tier vertreten ſind, gehören alle eingeborenen Säugetiere zu den Beuteltieren, von denen nur noch in Amerika Vertreter, die Beutelratten (Didelphyidae) leben. Früher waren die Beutler weit verbreitet, und ihre Reſte finden ſich zahlreich in den eozänen Ablagerungen Europas und Amerikas. Aber die jetzt nur in Auſtralien vorkommenden Diprotodonten, die im Unterkiefer nur ein Paar Schneidezähne haben, ſind auch ſchon vom Pleiſtozän 18 Bevölkerung ozeaniſcher Inſeln. ab auf Auſtralien beſchränkt. Dort aber füllt die eine Ordnung der Beutler alle die Stellen im Naturhaushalt aus, die in anderen Gegenden von Angehörigen der verſchiedenſten Säugerordnungen eingenommen werden: als Fleiſchfreſſer lebt der Beutel— wolf; Inſektenfreſſer ſind die Kuſus; nach Art des Maulwurfes durchwühlt der blinde Notoryetes typhlops Stirl. den Boden nach Kleintieren; der Wombat mit mächtigem Nagergebiß vertritt die Nagetiere; die Känguruhs nehmen die Stelle der großen Pflanzen— freſſer ein. Die wahrſcheinlichſte Annahme iſt, daß ſich dieſe verſchiedenen Typen an Ort und Stelle aus gemeinſamen Vorfahren entwickelt haben. Ein unzweideutiges Zeugnis für die Abſtammungslehre bietet auch die pflanzliche und tieriſche Bewohnerſchaft pelagiſcher Inſeln. Dieſe Inſeln haben niemals einen Zu— ſammenhang mit dem Feſtland gehabt, ſondern haben ſich von Anfang an ſelbſtändig über den Meeresſpiegel erhoben, teils als Spitzen unterſeeiſcher Vulkane, teils als Korallen— bauten. Alle tragen ſie gemeinſame Kennzeichen. Ihre Tierbevölkerung iſt im ganzen ſpärlich. Landſäugetiere, mit Ausnahme der Fledermäuſe, fehlen gänzlich; daß aber Säuger dort ſehr wohl ihr Gedeihen finden, zeigen die vielen Fälle, wo Kaninchen, Ziegen oder Rinder, die auf ſolchen Inſeln, z. B. Porto Santo, Kerguelen, Neu-Amſterdam, ausgeſetzt wurden, ſich dort reichlich vermehrt haben. Amphibien fehlen ebenfalls, Reptilien ſind ſelten. Die Landtiere werden beſonders durch Vögel, Fledermäuſe, Inſekten und Schnecken vertreten. Im allgemeinen erinnern Fauna und Flora an die des nächſten Feſtlandes; erſtaunlich iſt aber die Menge der endemiſchen, d. h. nur an dieſem einen Fundorte vorkommenden Arten. Es kann kein Zweifel ſein, daß ſolche neu auftauchenden, noch unbelebten Inſeln ihre Bevölkerung von auswärts, alſo von dem nächſten bevölkerten Landgebiet erhalten. Ge— rade das Fehlen von Landſäugern und Amphibien gibt dafür das beſte Zeugnis; denn dieſe können die weite Seereiſe dorthin, etwa auf Treibholz, nicht überſtehen; die fertigen Tiere würden ertrinken, und für die Eier der Amphibien iſt Meerwaſſer Gift. Eher iſt es denkbar, daß mit Treibholz in anhängender Erde die hartſchaligen Eier der Reptilien den Weg machen. Von den Käfern auf St. Helena z. B. ſind zwei Drittel Rüſſelkäfer, deren Larven und Puppen oft in Holz leben; auch für ſie dürfte Treibholz das Fahr— zeug geweſen ſein, ebenſo für die Schnecken, die ihre Schale mit einem Schleimdeckel ver— ſchließen oder ſich an Holz anſaugen können. Alle Flieger aber, Fledermäuſe, Vögel und Fluginſekten gelangen teils aktiv dorthin, teils werden ſie durch Stürme verſchleppt. Wie eine ſolche Beſiedelung vor ſich geht, iſt für die Flora der kleinen Inſel Kra— katau 41 km weſtlich von Java neuerdings genauer unterſucht. Im Mai 1883 wurde hier durch einen gewaltigen Vulkanausbruch alles Leben zerſtört. Bei einem Beſuch im Jahre 1886 fand Treub, der Direktor des botanischen Gartens in Buitenzorg auf Java, auf der Inſel wieder 26 Gefäßpflanzen, nämlich 11 Tropenfarne und von Blüten— pflanzen 9 Strandpflanzen und 6, die weiter ins Innere vorgedrungen waren. Ein zweiter Beſuch 1897 zeigte, daß in der Zwiſchenzeit die Zahl der Gefäßpflanzen von 26 auf 62 geſtiegen war; bei einem dritten Beſuch im Jahre 1906 fanden ſich 92 Arten Blüten— pflanzen. Keine dieſer Arten iſt endemiſch. Die meiſten Samen der Blütenpflanzen wurden durch Meeresſtrömungen, und einige Samen, die in fleiſchigen Früchten ſtecken, durch fruchtfreſſende Vögel herüberbefördert. Bei Krakatau ging die Beſiedelung wegen der Nähe belebter Gebiete ſehr ſchnell vor ſich. Je größer die Entfernung einer Inſel von ſolchen Gebieten iſt, um ſo langſamer und ſpärlicher muß die Beſiedelung ſein. Je näher eine ozeaniſche Inſel dem Feſtlande liegt um ſo geringer iſt die Zahl der endemiſchen Arten auf ihr, um jo mehr gleicht ihre Bewohnerſchaft der des Feſtlandes. Bevölkerung ozeaniſcher Inſeln. 79 Die Azoren, neun Vulkaninſeln, die von der portugieſiſchen Küſte etwa 1400 km ent— fernt ſind, haben eine Fauna von durchaus europäiſchem Typus. Landwirbeltiere fehlen ganz; von den Vögeln iſt einer endemiſch, von den Mollusken etwa die Hälfte. Die Bermudas dagegen, zahlreiche Koralleninſeln, die von Nordkarolina 1100 km abliegen, haben eine amerikaniſche Bevölkerung. Von Landwirbeltieren iſt eine endemiſche Eidechſen— art vorhanden; Vögel und Fledermäuſe ſind alle amerikaniſch, dagegen ein Viertel der Mollusken endemiſch. Die Vulkaninſel St. Helena iſt dieſen Inſeln gegenüber weit iſolierter. Von Afrika iſt ſie 1800 km, von Südamerika 2900 km entfernt. Ihre Fauna iſt viel ſpär— licher und zugleich viel eigentümlicher, d. h. reicher an endemiſchen Arten und Gattungen. Es iſt nur ein Landvogel vorhanden, und dieſer bildet eine endemiſche Art und hat ſeine Verwandtſchaft in Afrika. Von 129 Käferarten ſind 128 endemiſch, und 25 der 39 Gattungen, auf die ſich dieſe Käfer verteilen, kommen ebenfalls nur hier vor. Die 20 Landſchnecken ſind alle endemiſch. Eine weitere Steigerung dieſer Eigentümlichkeiten ozeaniſcher Inſeln finden wir bei den Hawaiiſchen Inſeln. Sie bilden eine 900 km lange Linie von 13 größeren Vulkan— inſeln, die mehr als 3000 km von jedem Feſtland entfernt ſind. Bodenbewohnende Landwirbeltiere ſind nur zwei vorhanden; es ſind Eidechſen, die einer — endemiſchen Gattung 7 angehören. Die 16 Land— 0 vögel ſind alle ende- “ ich» Ji A ! Abb. 44. Achatinellen von den Hawaiiſchen Inſeln. m le ehoren zu . 8 * iſch; j 9 0 0 4 Partulina dwightii Newce., B Achatinellastrum mighelsiana Pfr., © Laminella 10 endemiſchen Gat— helvina Baldw., D Newcombia perkinsi Sykes, E Amastra bullata Baldw. 2 Nach Borcherding. tungen, von denen 5 wieder eine endemiſche Familie bilden. Ganz beſonders intereſſant ſind die Landmollusken. Abgeſehen von den Achatinellen, die eine endemiſche Gattung mit 9 Untergattungen bilden, kommen 92 Arten von ihnen vor, die alle, außer einer eingeſchleppten Helix- Art, endemiſch ſind. Eine der Gattungen, Carelia, iſt endemiſch und auf die Inſel Kauai, die älteſte des Archipels, beſchränkt. Die nur auf dieſen Inſeln vorkommenden Achatinellen (Abb. 44) aber ſind in ſehr großer Artenzahl vorhanden — man zählt verſchieden; nach Baldwin ſind es 353 Arten. Die Untergattungen Bulimella und Helicterella mit je 30—35 Arten ſind der Inſel Oahu eigen, auf der wieder die Unter— gattung Neweombia fehlt. — Von den 729 auf den Inſeln gefundenen Pflanzenarten ſind 575 endemiſch, von den Gattungen, zu denen fie gehören, find 40 den Inſeln eigen. Je gründlicher alſo eine altbevölkerte ozeaniſche Inſel iſoliert iſt, um ſo eigenartiger iſt ihre Flora und Fauna. Das häufige Vorkommen endemiſcher Formen iſt nur ver— ſtändlich, wenn wir annehmen, daß ſie ſich an Ort und Stelle entwickelt haben durch Umbildung anderer, von auswärts hierher gelangter Weſen. Von den Arten, die zuſammen eine endemiſche Gattung bilden, müſſen wir gemeinſame Abſtammung von einem hierher ver— ſchlagenen Vorfahren annehmen. Inſeln, die dem Lande näher liegen, werden von dort oft Gäſte erhalten, beſonders Flugtiere; dieſe werden ſich dann mit den ſchon dort an geſiedelten Artgenoſſen miſchen und dadurch etwa beginnende Abweichungen von der Stammart immer wieder ausgleichen. Für Schnecken z. B. iſt die Reiſe viel weniger leicht; es wird alſo eine Vermiſchung mit unveränderten Stücken der Stammart viel 80 Urzeugung. ſeltener ſtattfinden: daher ſtellen die Schnecken auf den Azoren und Bermudas die größte Zahl der endemiſchen Tierarten. Je weiter die Inſeln aber von ihren Lebensgquellen abliegen, um ſo ſeltener werden beſonders Tiere unverſehrt zu ihnen gelangen, um ſo ungeſtörter geſchieht die Umbildung ihrer Bevölkerung. So konnte es kommen, daß ſich auf St. Helena endemiſche Gattungen, auf den Hawaiiſchen Inſeln ſogar endemiſche Familien bildeten. Die Annahme, daß die Arten umwandlungsfähig ſind, erklärt uns alſo die Beſonderheit der Inſelbevölkerungen auf das befriedigendſte; die Annahme der Artbeſtändigkeit würde uns vor große Rätſel ſtellen. E. Die Stammesentwicklung der Tiere. Alle die angeführten Tatſachen aus den verſchiedenen Gebieten der Biologie und noch unendlich viele andere weiſen alſo in gleicher Richtung; alle finden gleicherweiſe ihre völlige Erklärung durch die Annahme, daß die jetzt lebenden Arten nicht von An— fang an beſtehen, ſondern durch Umbildung aus andersgeſtaltigen Vorfahren entſtanden ſind. Die Abſtammungslehre kann durch dieſe Zeugniſſe für feſt begründet erachtet werden. Was man aus den angeführten und ähnlichen Tatſachen nicht ohne weiteres beant— worten kann, das iſt die Frage, wie weit die Abſtammung ſich erſtreckt. Die vergleichend— anatomiſche und entwicklungsgeſchichtliche Betrachtung läßt uns zwar folgern, daß alle Wirbeltiere, alle Ringelwürmer, alle Coelenteraten uſw. gleichen Stammes ſind. Daß aber die einzelnen Stämme wiederum untereinander verwandt ſind, das iſt eine Folge— rung, für die wir keinen ſo ſtarken Beweis haben, die wir aber aus theoretiſchen Gründen konſequenterweiſe ziehen werden. Wenn wir bereit ſind, anzuerkennen, daß alle Wirbel— tiere ſich von einem Urwirbeltiere aus entwickelt haben, ſo iſt kein Grund vorhanden, für dieſes niederſte Wirbeltier nun eine Sonderſtellung anzunehmen, zu glauben, daß es nicht von andersgeſtaltigen Vorfahren abſtamme, daß es keine Verwandtſchaften habe. Wollen wir nicht das Wunder einer Schöpfung der einzelnen Typen zu unſerem Aus— gangspunkte machen, ſo bleibt uns nur die Annahme übrig, daß alle pflanzlichen und tieriſchen Lebeweſen wieder von gemeinſamen Vorfahren, zuletzt von einzelligen Weſen und in allerletzter Linie von einer lebenden Subſtanz einfachſter Organiſation abſtammen. Wenn uns ſchließlich die Annahme, daß die von uns jetzt beobachtbaren Naturvorgänge zu einem ſpontanen Entſtehen lebender Subſtanz, zu einer „Urzeugung“, führen können, nicht zu Widerſprüchen führt, ſo iſt eine ſolche Annahme natürlich dem Einführen des Wunders einer Schöpfung, eines Eingriffs übernatürlicher Kräfte vorzuziehen. Die Entſtehung des Lebens auf der Erde durch Urzeugung iſt eine Annahme, für die wir keinerlei Zeugniſſe ins Feld führen können. Eine folgerechte Durchführung der Abſtammungslehre wird ſie jedoch fordern. Durch die Verſuche Paſteurs iſt freilich nachgewieſen, daß in gut ſteriliſierten Subſtanzen, wie Heuabkochungen oder Fleiſchſaft, eine Entſtehung von Lebeweſen, wie wir ſie kennen, nicht ſtattfindet, auch nicht der niedrigſten. Aber wir haben guten Grund für die Annahme, daß es Lebeweſen von ſo geringer Größe gibt, daß ſie ſich unſerer Beobachtung völlig entziehen; die noch unbekannten Erreger mancher anſteckenden Krankheiten, wie Maſern und Scharlach, ge— hören vielleicht daher. Und daß Weſen von ſolch winziger Größe und von größter Einfachheit des Aufbaues unter gewiſſen Bedingungen unmittelbar aus lebloſen, nicht organiſiertem aber wohl ſchon organiſchem Stoff entſtanden ſein können, darf als eine Möglichkeit betrachtet werden, deren Annehmbarkeit durch die obigen theoretiſchen Palingeneſe. 81 Erwägungen ſteigt. Vielleicht konnte ſolche Urzeugung nur in Zeiten ſtattfinden, wo auf der Erde noch andere Bedingungen herrſchten als jetzt: als ner Geſtirn ſich ſo weit abgekühlt hatte, daß Waſſer in flüſſigem Zuſtande ſich auf der Oberfläche halten konnte, als die Temperatur noch höher, die Atmoſphäre mit Waſſerdampf geſättigt und reicher an Kohlenſäure war, als vielleicht auch elektriſche Entladungen in der meiſt wolkenbehangenen Luft viel häufiger und heftiger waren als jetzt. Es mögen unter ſolchen Bedingungen organiſche Verbindungen verſchiedener Art entſtanden ſein; dauernd halten konnten ſich natürlich nur ſolche, denen durch ihre Zuſammenſetzung zugleich die Fähigkeit gegeben war, durch Aufnahme anorganiſcher Stoffe ihresgleichen zu bilden, d. h. zu aſſimilieren. Die Bildung anderer organiſcher Subſtanzen mußte aufhören, ſo— bald die Bedingungen ihrer ſpontanen Entſtehung nicht mehr vorhanden waren; aſſimi— lationsfähige organiſche Subſtanzen dagegen konnten ſich durch Wachstum vermehren und ſo auch ohne ſtetig neue Urzeugung fortdauern. Wir müſſen darauf verzichten, hier auszumalen, wie aus ſolchen aſſimilierenden organiſchen Subſtanzen die niedrigſten uns bekannten Lebeweſen entſtanden ſein können. Die Anhaltspunkte, die ſich für eine ſolche Schilderung bieten, ſind ſo ſpärlich, daß faſt nichts anderes als ein Spiel der Phantaſie dabei herauskäme. Wohl aber ſoll verſucht werden, die Verwandtſchaftsbeziehungen innerhalb der Tierwelt in Geſtalt einer Skizze ihrer Stammesentwicklung in kurzen Zügen darzulegen. Das ſoll uns zugleich eine Ein— führung in die Fülle der Formen geben, die uns weiterhin beſchäftigen werden. Die Anſichten über die Verwandtſchaft der Tiergruppen gehen allerdings in vielen Punkten noch ſehr auseinander. Daher kann unſere Darſtellung der Stammesgeſchichte der Tier— welt keinen Anſpruch auf objektive Gültigkeit machen; es ſoll jeweils nur eine der vielen Meinungen vorgetragen, und nur hie und da können andere Möglichkeiten angedeutet werden. Wenn wir die Verwandtſchaftsbeziehungen unter den Tieren ermitteln wollen, ſo ſind wir durchaus auf die Morphologie der ausgeſtorbenen und noch lebenden Tierarten angewieſen. Neben der vergleichenden Anatomie, die die Ahnlichkeiten im Bauplan der fertigen Tiere nachweiſt, kommt vor allem die vergleichende Entwicklungsgeſchichte in Be— tracht. Es wurde ſchon oben erwähnt, daß die Tiere bei ihrer Entwicklung vom Ei bis zur Geſchlechtsreife häufig Umwege machen, die wenigſtens teilweiſe hiſtoriſch gedeutet werden müſſen. Bei dieſen Umwegen durchläuft ein Tier oftmals Zuſtände, die denen ähnlich ſind, auf denen in einer früheren Zeit ſeine Vorfahren zeitlebens ſtehen blieben. Die unſymmetriſchen Schollen z. B. (Abb. 45), bei denen die beiden Augen auf einer Seite des Kopfes ſitzen, ſchlüpfen als ganz e Fiſchchen aus dem Ei; ſie ſchwimmen frei umher, und erſt allmählich nehmen ſie die Lebensweiſe der fertigen Tiere an, die, auf einer Seite liegend, am Boden des Waſſers ruhen und auf Beute lauern. Mit dieſer Umwandlung der Lebensweiſe tritt eine Abflachung des Körpers ein, und zugleich wandert das eine Auge über die Rückenſeite des Kopfes auf die andere Körperſeite hinüber (Abb. 46). Es kann kein Zweifel ſein, daß die Schollen von ſym— metriſch gebauten Fiſchen abſtammen; ſie durchlaufen alſo in ihrer ſymmetriſchen Jugend— form einen Zuſtand, den ihre Vorfahren zeitlebens beibehielten. Eine ſolche Wieder— holung von Ahnenzuſtänden iſt von Haeckel Palingeneſe genannt worden. Wenn die Vererbung der Ahnenzuſtände regelmäßig und vollſtändig aufträte, ſo müßte ein Individuum in ſeinen verſchiedenen Entwicklungsſtufen nacheinander die Zu— ſtände ſeiner ganzen Vorfahrenreihe vorführen; die Einzelentwicklung wäre dann eine ab— gekürzte Wiederholung der Stammesentwicklung. Doch läßt ſich eine ſolche ea Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. (0 6) 2 Unvollſtändigkeit der palingenetiſchen Wiederholung. nirgends auch nur in annähernder Vollſtändigkeit nachweiſen. Überall ſind Abkürzungen der Entwicklung eingetreten, bald in geringerer, bald in größerer Ausdehnung. In manchen Fällen, wie beim Flußkrebs oder bei den Tintenfiſchen, ſind die Umwege gänz— lich fortgefallen, und die Entwicklung iſt eine ganz direkte. Vor allem aber iſt die Ahn— lichkeit eines Embryonalzuſtandes mit dem fertigen Zuſtande eines Vorfahren häufig dadurch ſehr beeinträchtigt, daß das betreffende Entwicklungsſtadium gar nicht zu freiem Leben geeignet iſt. Wenn z. B. manche Inſektenembryonen an allen ihren Segmenten Anlagen von Gliedmaßen aufweiſen (Abb. 47), ſo ſind ſie in dieſer Eigenſchaft zwar einem vielfüßigen, gleichmäßig ſegmentierten Vorfahren ähnlich; ihr ſonſtiges Ausſehen aber weicht ſo völlig von dem Bilde eines ſolchen ab, daß wir nicht zu entſcheiden vermögen, ob dieſer Vorfahr ein Krebs oder ein Tauſendfüßer war; ja ſelbſt die Beinanlagen, die die Abb. 45. Scholle (Rhombus maximus L.), vorn am Boden liegend, im Hintergrund ſchwimmend. Ahnlichkeit bedingen, ſind nicht etwa gegliederte bewegliche Anhänge, ſondern kleine un— gegliederte Knöpfchen, die gar nie einer Bewegung fähig ſind. Es treten auch neben— einander an einem Entwicklungsſtadium Eigenſchaften auf, die zwar palingenetiſch ſind, aber nicht in ſolcher Weiſe zugleich bei einem Vorfahren vorhanden waren; die Trocho— phoralarve der Muſcheln z. B. (Abb. 61), die im allgemeinen an eine rädertierähnliche Entwicklungsform erinnert, beſitzt ſchon die zweiklappige Schale, die für die Muſcheln charakteriſtiſch iſt. Die Wiederholung ſtammesgeſchichtlicher Erinnerungen während der Entwicklung iſt alſo ſehr unvollkommen; ſie bieten ſich nicht von ſelbſt unzweideutig dar, ſondern bedürfen der Deutung, die durchaus nicht immer zweifellos iſt. Andererſeits treten nicht ſelten auch Entwicklungszuſtände auf, die unmöglich die Wiederholung eines Vorfahrenzuſtandes ſein können. So kann man ſich kein Tier denken, das zeitlebens auf dem Zuſtande einer Schmetterlingspuppe beharrte, faſt ohne Bewegung, gänzlich ohne Nahrungsaufnahme, umgeben von einer feſten Hülle ohne Mund- und Cenogeneſe. 83 Afteröffnung. Die Embryonen der Reptilien, Vögel und Säuger ferner ſind in einen zarten, mit Flüſſigkeit erfüllten Sack, das Amnion, eingehüllt (Abb. 48), der mit dem Embryo in unmittelbarem Zuſammenhang ſteht und ſich gleichfalls aus dem Material des Eies entwickelt; in einem gewiſſen Zuſtande ragt aus ihrem Bauche eine mit III NETZ IRRE — IE — ZZ RAN N s Ferne 9% AR — 2 = * — er 8 ee Zu dl 5 N N Abb. 46. Metamorphoſe einer Scholle (Pseudorhombus melanogaster Stein.). 4 Symmetriſches Jugendſtadium, 6 Tage nach dem Ausſchlüpfen; bei 5 beginnt das Heriiberwandern des rechten Auges auf die linke Seite, iſt bei C weiter fortgeſchritten und bei D vollendet. Nach A. Agaſſiz. 9 Exkretſtoffen erfüllte häutige Blaſe, die Allantois, eine Ausſtülpung des Darmfanals. Niemand wird die Annahme vertreten wollen, daß mit Amnion und Allantois Zuſtände wiederholt würden, die bei den Vorfahren dieſer Tiere einmal dauernd beſtanden. Das Amnion bildet eine Schutzeinrichtung für den Embryo; die Allantois iſt eine vergrößerte embryonale Harnblaſe, und ihre Wand mit reichlicher Blutverſorgung dient bei Reptilien und Vögeln zeitweiſe als Atmungsorgan, bei den Säugern auch noch als Organ der * 6 84 Protozoen. Nahrungsaufnahme. Beides ſind vergängliche embryonale Anpaſſungsgebilde, die nur für den Embryo ohne Ortsbewegung einen Sinn haben; bei einem freibeweglichen Tiere wären ſie undenkbar. Derartige Umwege in der Entwicklung können alſo nicht die Wege der Artumbildung widerſpiegeln; ſie ſind nicht hiſtoriſch zu deuten. Haeckel bezeichnet fie im Gegenſatz zu den palingenetiſchen Entwicklungszuſtänden als cenogenetiſch. Wenn man alſo den Entwicklungsgang eines Tieres benutzt, um deſſen Stammes— geſchichte daraus zu erſchließen, ſo iſt ſtrenge Kritik geboten. Es muß unterſucht werden, ob die in Betracht kommenden Entwicklungszuſtände oder einzelne Eigenſchaften derſelben wirklich palingenetiſch ſind, oder ob ſie als cenogenetiſch auf— gefaßt werden müſſen. Als palingenetiſch können ſie beſonders dann gelten, wenn ſie in ihrem Bau dem fertigen Zuſtand jetzt noch lebender Tiere vergleichbar ſind, deren Verwandt— ſchaft mit dem betreffenden Tiere auch durch andere Gründe wahrſcheinlich gemacht wird: ſo erinnert die vorübergehende Vielfüßigkeit von Inſektenembryonen an die Tauſendfüße oder an gemeinſame krebsartige Vorfahren der Inſekten und Tauſend— füße, oder die Symmetrie der jungen Schollen gleicht den Bauverhältniſſen der übrigen Fiſche. Cenogeneſen jedoch liegen dann vor, wenn die dauernde Exiſtenz eines fertigen Tieres, das mit den Eigenſchaften eines ſolchen Embryonalzuſtandes ausgeſtattet wäre, nicht denkbar oder doch nicht wahrſcheinlich iſt, wie beim Puppenzuſtand der Inſekten oder den Embryonal— hüllen der höheren Wirbeltiere. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die einzelligen Tiere, die Protozoen, gegenüber den vielzelligen, den Metazocn, den urſprünglicheren Zuſtand darbieten, und daß die Viel— zelligen von Einzelligen abſtammen. Dafür ſpricht auch das Zeugnis der Entwicklungsgeſchichte: alle vielzelligen Tiere ohne Ausnahme durchlaufen in ihrer Entwicklung als befruchtetes Ei den einzelligen Zuſtand, auf dem ihre Protozoenvorfahren Abb. 47. Embryo des Kolben— 3 2 N . N waſſertäfers (Hydrophilus). dauernd ſtehenblieben. Erſt durch zahlreiche aufeinander folgende 1 1 15 e e Zellteilungen bildet fich aus dieſer einen Zelle die Menge der maßen; nlagen der Hinter— A x 8 Ja , 8 leibsgliedmaßen; 5 Ganglienknoten Einzelteile, die den Körper eines Metazoons zuſammenſetzen. der Bauchganglienfette; 6 Stigma; Keine andere Entwicklungsſtufe kehrt jo ausnahmslos all— 7 Dottermafje. Nach Heider. F 8 0 8 5 5 je gemein wieder wie der Einzelligenzuſtand der Metazoen. Unter den Protozoen müſſen wir wiederum diejenigen als die urſprünglichſten an— ſehen, an deren Zelleib die wenigſten Differenzierungen aufgetreten ſind: die Wurzelfüßer oder Rhizopoden. Es ſind nackte Zellen, bei denen die Bewegung und Nahrungsaufnahme nicht mit Hilfe ſtändiger Zellorgane, ſondern durch einfache veränderliche Ausläufer des Protoplasmakörpers, die Scheinfüßchen (Pſeudopodien), geſchieht. Die Scheinfüßchen ſind bei den einfachſten Formen lappig, bei anderen fadenartig oder netzartig. Die Formveränderlichkeit der Zelle tritt am auffälligſten bei den Amöben (vgl. Tafel 7) und ihren Verwandten entgegen; doch kann ſie auch durch chitinige oder aus Fremd— körpern gebaute Gehäuſe (Arcella, vgl. Tafel 7, Difflugia) beſchränkt werden. Gehäuſe von mannigfaltigſter Geſtalt, meiſt aus kohlenſaurem Kalk, ſeltener aus Sand beſitzen die auf das Meer beſchränkten Foraminiferen, die durch oft netzförmig anaſtomoſierende Schein— Rhizopoden, Flagellaten. 85 füßchen gekennzeichnet ſind. Beſtändiger ſind die Scheinfüßchen bei den Sonnentierchen (Heliozoen) und bei den Strahlentierchen (Radiolarien), wo ſie ſtrahlenartig von dem meiſt kugligen, vakuolenreichen Zellkörper ausgehen. Bei den Strahlentierchen iſt die Diffe— renzierung noch inſofern fortgeſchritten, als ein innerer Teil der Zelle mit dem Kern durch die durchbrochene ſogenannte Zentralkapſel von einem äußeren Teil getrennt iſt; meiſt beſitzen ſie außerdem ein wunderbar kompliziertes, die Zelle durchſetzendes Skelett, das aus Kieſelſäure, bei einer Gruppe aus ſchwefelſaurem Strontium beſteht (Abb. 102). Mit den Wurzelfüßern ſcheinen die Geißel— tierchen (Flagellaten) verwandt zu ſein; ja man kann ſie ſogar als noch primitiver betrachten wegen ihres unmittelbaren Anſchluſſes an die Bakterien, die in ihrer Organiſation tiefer ſtehen, aber in Geißeln und Zellmembran ähnliche Differenzierungen wie die Geißeltierchen beſitzen. Abb. 48. Hühnchen im Ei am fünften Be— brütungstage. Der Embryo iſt von dem Amnion (7) umhüllt und liegt dem Dotterſack auf, in deſſen Wand ſich Blutgefäße (2) erſtrecken (Dotterſackkreislauf). Aus der Bauchſeite des Embryo ragt die Allantois (3) her— aus, ebenfalls mit Blutgefäßen verſorgt. Natürl. Größe. Nach Duval. Sie ſind durch den Beſitz eines oder zweier, ſelten zahlreicherer, ſchlanker und ſehr beweglicher Fortſätze ausgezeichnet, der Geißeln, die ihnen ein freies Umherſchwimmen im Waſſer geſtatten. Es gibt zwiſchen Wurzelfüßern und Geißeltierchen geradezu Über— gänge, die ſich auf feſter Unterlage amöbenartig mit Hilfe von Scheinfüßchen bewegen, daneben aber eine Geißel beſitzen, mit der ſie ſchwimmen können, z. B. Mastigamoeba (Abb. 49). Ein andres Protozoon, Dimorpha mutans Grbr. (Abb. 50), verändert ſeine Körpergeſtalt derart, daß es in verhältnismäßig kurzer Zeit aus der Form eines Geißeltierchens in die eines Sonnentierchens über— geht und umgekehrt. Außerdem treten flagellaten— artige freiſchwimmende Durchgangsſtufen in der Entwicklung mancher Wurzelfüßer auf, was ſehr für die nahe Verwandtſchaft der beiden Gruppen ſpricht. Neben der urſprünglichen Form der Geißeltierchen, wie ſie ſolchen geißeltragenden Schwärmern entſpricht und unter anderen durch Euglena (vgl. Tafel 7) und Phacus (Abb. 51A) vertreten wird, gibt es noch höher differenzierte Formen: bei den einen, den Choanoflagellaten (Abb. 51), iſt der Grund der Geißel von einem trichterförmigen protoplasmatiſchen Kragen um— geben; andere, die Dinoflagellaten (Abb. 510), beſitzen eine derbe, panzerartige Kutikula mit . . Abb. 49. Mastigamoeba aspera F. E. Sch. 1 Pſeudopodien; 2 Geißel. Nach F. E. Schulze. einer Ringfurche, in der die eine der beiden Geißeln ruht; ſchließlich ſind die merk— würdigen Cyſtoflagellaten zu erwähnen, deren durch Zellſaft aufgetriebenen Leib das 86 Ciliaten. Protoplasma in netzförmigen Strängen durchzieht wie bei Pflanzenzellen; zu ihnen gehört das leuchtende Geißeltierchen unſerer Meere, Noctiluca (Abb. 51D). All das ſind Abzwei— gungen vom Stamme der eigentlichen Geißeltierchen; zu dieſen ſind auch die koloniebildenden Geißeltierchen, die Volvocineen, zu rechnen, auf die wir unten noch zu ſprechen kommen. Mit Wurzelfüßern und Geißeltierchen ſind auch die ſchmarotzenden Sporozoen ver— wandt; in ihrem Fortpflanzungszyklus treten häufig amöboide und geißeltragende Ent— wicklungsſtufen auf, die für dieſe Beziehungen Zeugnis geben. Hierher gehören z. B. die Gregarinen, die Coccidien, der Malariaerreger (Plasmodium malariae Lav.) und andere Blutparaſiten, der Erreger der Pebrinekrankheit bei Seidenraupen (Nosema bombyeis Naeg.) und viele andere. Gegenüber der engen Verwandtſchaft, die dieſe drei Klaſſen der Protozoen, die Wurzelfüßer, Geißeltierchen und Sporozoen, bindet, ſtehen die Wimperinfuſorien oder Ciliaten mehr abſeits. Amöben- oder flagellaten— artige Entwicklungsſtufen kommen bei ihnen nicht vor; eher könnte man das dichte Wimperkleid, das ihren Körper bedeckt, von der Ausrüſtung vielgeiß— liger Flagellatenformen wie Multicilia (Abb. 52) ableiten. In ihnen iſt die Differenzierung der Einzel— zelle durch Arbeitsteilung zwiſchen ihren Abſchnitten zu einer wunderbaren Höhe geſteigert. Der Kern iſt Abb. 50. Dimorpha mutans Grbr.; das gleiche Individuum im Flagellatenzuſtand in einen hinfälligen Stoff⸗ (4) mit Geißeln (2), und 2 Minuten ſpäter im Heliozoénzuſtand (8) mit Pſeudo— 5 podien (2) und einer Geißel (7), die auch noch eingezogen werden kann. Nach Gruber. wechſelkern, den Großkern, und in einen ausdauernden Fortpflanzungskern, den Kleinkern, geteilt; für die Nahrungsaufnahme iſt ein beſonderer Zellmund, für die Entleerung der Reſte ein Zellafter vorhanden; die Exkretion bewirkt eine oft kompliziert gebaute kontraktile Vakuole; muskelartige kontraktile Bänder geſtatten häufig eine ausgiebige Geſtaltveränderung. Überaus wechſelnd iſt vor allem die Bewimperung. Nur bei der urſprünglichſten Ordnung der Infuſorien, den Holotrichen (3. B. Paramaecium, vgl. Tafel 7), iſt fie auf der ganzen Oberfläche gleichartig. Von ihnen leiten ſich einer— ſeits die Heterotrichen ab, mit größeren Wimpern in der Umgebung des Mundes (3. B. Stentor, vgl. Tafel 7), andererſeits die nur teilweiſe bewimperten Formen, wie die Hypotrichen (3. B. Stylonychia, vgl. Tafel 7), bei denen die Rückenſeite frei von Wimpern iſt, während dieſe auf der Bauchſeite zu griffelartigen Gebilden verſchmolzen ind, und die Peritrichen (z. B. Vorticella, vgl. Tafel 7 und Carchesium, Abb. 12), wo ſich die Wimpern meiſt auf den Umkreis der Mundöffnung beſchränken. Mit den Wimperinfuſorien ſind die im fertigen Zuſtand wimperloſen Sauginfuſorien oder Suk— torien (z. B. Acineta, vgl. Tafel 7) verwandt, wie aus dem Auftreten eines bewimperten Entwicklungszuſtandes bei ihnen geſchloſſen werden darf. Flagellatenkolonien als Übergang zu den Metazoen. 87 Der weitere Fortſchritt geht nicht von den höchſtdifferenzierten Protozoen, den Wimperinfuſorien, aus; ſie ſind mit der weitgetriebenen Arbeitsteilung innerhalb der Zelle gleichſam in eine Sackgaſſe geraten. Der Übergang von den Protozoen zu den Abb. 51. Verſchiedene Typen von Geißeltierchen. 4 Euflagellat (Phacus longicaudus Ehrbg.); B Choanoflagellat (Monosiga consociatum Kent); CO Dinoflagellat (Ceratium cornutum Ehrbg.); D Cyſtoflagellat (Noctiluca miliaris Sur.). 1 Geißel; 2 Kern; 3 Kragen; 4 Bandgeißel; 5 Mundöffnung; 6 vom Zentralplasma ausſtrahlende veräſtelte Plasmaſtränge. Metazoen wird durch Protozoenkolonien vermittelt, und zwar durch Kolonien von Geißel— tierchen. Dieſe Tierchen vermehren ſich, wie die Protozoen meiſtens, durch fortgeſetzte Zweiteilung. Wenn nun die Individuen, die durch mehrere aufeinander folgende Tei— lungen aus einem Flagellaten entſtehen, ſich nicht voneinander trennen, ſondern vereinigt bleiben, oft von einer gemeinſamen Gallert— hülle umſchloſſen, ſo entſteht eine vielzellige Flagellatenkolonie, die aus 16, 32, 64 und noch mehr Einzeltierchen beſtehen kann (3. B. Pandorina, Abb. 11). Solche Kolonien haben == BR mit vielzelligen Tieren nur die größere Zahl e der verbundenen Zellen gemein; es fehlt N ee — ihnen aber die verſchiedenartige Ausbildung n der Zellen, die Arbeitsteilung zwiſchen ihnen. Dieſe begegnet uns jedoch in einer Flagellaten— kolonie, die als Kugeltierchen beſchrieben wurde und den wiſſenſchaftlichen Namen Volvox (Abb. 13 S. 35) trägt. Die Einzelzellen dieſer Kolonie bilden die Wand einer Hohl- Abb. 52. Multieilia lacustris Lauterborn, kugel, die durch den Schlag der Geißeln im ein Flagellat mit zahlreichen Geißeln. Nach Lauterborn. Waſſer fortgetrieben wird. Von den Zellen der Kolonie ſind die meiſten in gleicher Weiſe an der Bewegung und Ernährung des Ganzen beteiligt. Die wenigen Zellen, die nicht daran teilnehmen, ſind Fortpflanzungszellen; ſie wachſen ſtärker als die übrigen und 88 jo 8 Die Blaſtula als Wiederholung Volvox=artiger Vorfahren. werden entweder zu ſogenannten Parthenogonidien, die ſich ohne weiteres durch Teilung zu neuen Kolonien umwandeln, oder ſie bilden teils große eiartige Zellen, teils zerfallen fie in zahlreiche kleine ſpermatozoenartige Zellen, und es wird durch Verſchmelzung eines „Eies“ mit einem „Spermatozoon“ der Grund zu einer neuen Kolonie gelegt. Für die Fortpflanzung der Art kommen nur dieſe Zellen, nicht aber die Allgemeinheit der anderen Zellen in Betracht, die vielmehr zugrunde gehen, ohne Nachkommen zu be— kommen. Durch derartige Arbeitsteilung iſt Volvox gleichſam das Urbild eines Metazoons. Es gibt nun zwar kein vielzelliges Tier, das dauernd auf dem Zuſtande von Volvox ſtehenbleibt. Aber in der Entwicklung der Metazoen iſt ein Volvox-ähnlicher Zuſtand ſehr weit verbreitet: es iſt die ſogenannte Blaſtula (Abb. 53 A). In faſt allen Tierkreiſen kehren Blaſtulaſtadien wieder, Hohlkugeln mit einer aus gleichartigen geißeltragenden Zellen ge— bildeten Wandung: allgemein iſt ſie bei den Coelenteraten und Stachelhäutern verbreitet, man findet ſie bei vielen Würmern und manchen Weichtieren, auch manche Krebſe zeigen ſie, und in dem höchſtſtehenden Tierkreis, unter den Chordatieren, begegnet ſie uns bei Abb. 53. Blaſtula (4) und Gaſtrula (B)eines Schlangenſterns (Ophioglypha) und Gaſtrula (C) des Amphioxus (Branchiostoma). Der Pfeil zeigt auf den Urmund, der in den Urdarm führt. A und 5 nach Selenka, nach Hatſchek. den Seeſcheiden (Aſcidien) und bei Amphioxus. Wo aber eine ſolche Volvoxsartige typiſche Blaſtula nicht vorkommt, da zeigen ſich Entwicklungsſtufen, die ihr entſprechen; die Ausbildung eines gleichzelligen Blaſtulaſtadiums iſt dann durch die große Menge von Nahrungsdotter im Ei verhindert; die Blaſtula vieler Gliederfüßler, deren ganzer Hohlraum mit Dottermaſſe erfüllt iſt, läßt ſich leicht auf die gewöhnliche Blaſtula zurück— führen, und ebenſo die Blaſtula des Froſches, an deren einem Pole die Zellen ungemein groß und dotterreich ſind und dadurch den Hohlraum verengen und zur Seite drängen. Die Blaſtula wandelt ſich aber überall im Verlaufe der Weiterentwicklung in einen doppelwandigen Keim um, die ſogenannte Gaſtrula, und zwar geſchieht dies meiſt durch Einſtülpung: durch beſondere Wachstumsverhältniſſe ſcheinen ſich die Spannungen in der hohlkugligen Blaſtulawand derart zu ändern, daß an einer Seite die Zellen in den Hohl— raum hineingedrückt werden, und der eingeſtülpte Bezirk wächſt dann meiſt weiter hinein, bis er ſich der äußeren, nicht eingeſtülpten Wandung völlig anlegt. So wird aus der Hohlkugel ein doppelwandiger Becher (Abb. 53 B und C). Der eingeſtülpte Zellbezirk begrenzt einen Hohlraum, den Urdarm oder das Blaſtocoel; die Einſtülpungsöffnung bildet den Urmund. Die beiden Zellenlagen werden als Keimblätter bezeichnet; die Gaſtrula und Coelenteraten. 89 Zellen des äußeren Keimblattes oder Ektoderms beſorgen die Fortbewegung und Orien— tierung, die des inneren Keimblattes beſorgen die Ernährung der Gajtrula Ein ſolch einfacher vielzelliger Organismus, deſſen Wand nur aus zwei Keimblättern beſteht, iſt das Urbild des Tierkreiſes der Coelenteraten. Die ſtammesgeſchichtliche Umbildung eines Volvox- oder blaſtulaähnlichen Tieres in ein Weſen vom Bau der Coelenteraten oder der Gaſtrula kann man ſich etwa jo denken— Urſprünglich nehmen alle Zellen der Oberfläche in gleicher Weiſe an Bewegung und Er— nährung teil. Das ändert ſich, ſobald ein ſolches Kugeltierchen ſich nicht mehr wie Volvox nach allen Richtungen um ſeinen Mittelpunkt dreht, ſondern um eine feſte Achſe, und ſich daher mit einem Pole voran bewegt. Durch den nach hinten gerichteten Schlag der Wimpern wird dann eine Waſſerſtrömung verurſacht, wodurch die Nahrungsteilchen an den hinteren Pol getrieben werden; dort kommen ſie in verhältnismäßig ruhiges Waſſer und ſammeln ſich an. Die Zellen des hinteren Poles haben daher günſtigere Ernährungsbedingungen als die übrigen; ſie wachſen ſchneller, und ihre Größenzunahme führt die Spannungsverhältniſſe herbei, die den Grund für die Einſtülpung bilden. Mit Beginn der Einſtülpung werden die Ernährungsbedingungen noch weiter verbeſſert, da die herangeſtrudelten Nahrungsteilchen jetzt in ein geſchütztes Reſervoir aufgenommen werden, und ſo hält das ſtärkere Wachstum an, bis die Urdarmwand ſich der äußeren Wand ganz anlegt. Die Coelenteraten oder Hohltiere verharren auf einem gaſtrulaähnlichen Zuſtand in— ſofern, als ihr Körper ſich nur aus zwei Keimblättern aufbaut, während bei allen übrigen Metazoen deren drei vorhanden find. Die typiſchen Vertreter der Coelenteraten ſind die Neſſeltiere oder Knidarier, ſo genannt, weil viele Zellen ihres äußeren Keimblattes eine Neſſelkapſel enthalten, ein Drüſenbläschen mit ausſtülpbarem Faden und giftigem Inhalt, das als Waffe dient. Zu der einfach ſackförmigen Geſtalt der Gaſtrula kommen aber auch bei den einfachſten Coelenteraten wie dem Süßwaſſerpolypen Hydra (Abb. 18 und Tafel 10) noch Tentakeln, die den Mund umſtehen; ſie ſind Ausſtülpungen der Leibes— wand, die ſich aus beiden Keimblättern zuſammenſetzen. Der Mund bleibt, wie bei der Gaſtrula, die einzige Offnung des Darmes; ein geſonderter After fehlt. Die Klaſſe der Neſſeltiere zerfällt in zwei Abteilungen, die Hydrozoen und Scyphozoen; in jeder derſelben begegnen wir zwei Grundformen, dem feſtſitzenden Polypen und der frei— ſchwimmenden Qualle oder Meduſe, die von dem Polypen abzuleiten iſt (vgl. Abb. 54): jo haben wir Hydropolypen und Scyphopolypen, Hydromeduſen und Seyphomeduſen. Unſere Hydra ſtellt den einfachſten Typus eines Hydropolypen dar: kennzeichnend iſt für dieſe, daß der Rand der Mundöffnung die Grenze zwiſchen äußerem und innerem Keimblatt bildet. Bei den Seyphopolypen dagegen ſtülpt ſich das äußere Keimblatt zu einem Schlundrohr ein, ſo daß die Grenze der beiden Keimblätter an der inneren Mündung des Schlundes liegt; der Magenraum iſt durch radiäre Scheidewände (Septen) in einzelne in der Achſe zuſammenhängende Taſchen geſondert, über deren jeder im all— gemeinen ein Tentakel ſteht. Die Meduſenformen beider Abteilungen können von einer entſprechenden Polypenform ihren Urſprung nehmen. Das iſt am deutlichſten bei den Hydrozoen. Viele Hydropolypen bilden Kolonien, indem von einem urſprünglich einzelnen Polypen aus durch Knoſpung weitere Polypen entſtehen, die mit jenem im Zuſammen— hang bleiben; die Einzelperſonen dieſer Stöcke ſind verſchieden; neben den gewöhnlichen ſogenannten Nährpolypen kommt mindeſtens noch eine andere Form vor, die Geſchlechts— polypen; die Nährpolypen erzeugen keine Geſchlechtsprodukte, nur die glockenförmigen 90 Polyp und Meduſe. Geſchlechtspolypen bringen Eier und Samenfäden hervor; ſie löſen ſich in vielen Fällen bei nahender Reife als Meduſen von dem Stocke los, ſchwimmen frei umher und bewirken jo eine weitere Ausbreitung der Art, indem ſie neue Stellen bevölkern (vgl. Abb. 22). Die Glockengeſtalt der Geſchlechtspolypen, die ihnen das Loslöſen und Umherſchwimmen ermöglicht, mag urſprünglich nur ein Mittel geweſen ſein, die Geſchlechtsprodukte durch Erzeugung eines Waſſerſtroms möglichſt weit hinaus zu ſtrudeln; bei ſtärkerer Ausbildung der Glocke mußte dann die Kontraktion und der dabei entſtehende Rückſtoß die Meduſe losreißen und davontragen. Meiſt entſtehen aus den befruchteten Eiern der Hydromeduſen wieder Polypen; die Meduſen ſind gleichſam nur ein Organ des Tierſtocks, das losgelöſt wird. Aber man kennt auch Meduſenformen, bei denen ſich ſofort wieder eine Meduſe aus dem Ei entwickelt, wo alſo die urſprüngliche Polypengeneration in Wegfall gekommen iſt (3. B. Carmarina). Freiſchwimmende Hydropolypenkolonien mit ſehr großer Mannig— — e . 9 Abb. 54. Schematiſcher Durchſchnitt eines Hydropolypen (A) und einer Hydromeduſe (3) in morphologiſch gleicher Orientierung; links iſt beide Male ein Tentakel (6) getroffen. 7 Ektoderm, 2 Entoderm, 3 Stützſchicht (punktiert), 4 Mund, 5 Darmraum, 6 Tentakel, 7 Radiärkanal, 8 Ringkanal, 9 Ektodermfalte, ſog. Velum. Nach Hertwig. faltigkeit der einzelnen Perſonen des Stockes ſind die ſogenannten Geſellſchaftsquallen, die Siphonophoren (vgl. Abb. 14 und Schema Abb. 15). Zu den Scyphozoen gehören als Polypenformen zunächſt die Korallen oder Antho— zoen. Sie kommen entweder als Einzelperſonen oder als Stöcke vor. Je nach der Zahl der Darmſcheidewände bzw. der Tentakeln werden achtzählige Korallen mit acht und ſechs— zählige mit ſechs oder mehrmals ſechs Tentakeln unterſchieden; zu jenen gehört z. B. die Edelkoralle (Corallium), zu dieſen die Seeroſen (Actinia u. a.). Bei Einzelkorallen ſo— wohl wie bei Korallenſtöcken kommen oft Skelettbildungen vor, meiſt aus Kalk, wie ſie von den Edelkorallen und Riffkorallen bekannt ſind, ſeltener von hornigen Stoffen. Die Scyphomeduſen haben z. T. einen durch Septen geteilten Magenraum; meist aber ſind die Septen rückgebildet, und ſtatt der Magentaſchen gehen vom zentralen Magenraum Radiärkanäle in die Schirmſcheibe hinein, am Rand durch einen Ringkanal verbunden, letzteres bei den Scheibenquallen (Discomeduſen). Die Mehrzahl der Scheibenquallen entſteht durch Abſchnürung von einem ſeyphopolypenartigen Jugendſtadium: aus dem Ei der Meduſe geht ein Polyp, das Scyphiſtoma, hervor, und an dieſem entſtehen durch Teilung quer zur Achſe die jungen Quallen, die Ephyren, die allmählich zu fertigen Spongien. 91 Meduſen werden. Aber auch hier wird bei einigen Arten aus dem Ei der Meduſe gleich wieder eine Meduſe, z. B. bei Pelagia noctiluca Per. Lsr. In die Verwandtſchaft der Neſſeltiere pflegte man früher die Schwämme (Spongien) zu dem Stamme der Coelenteraten zu ſtellen; aber das iſt nicht berechtigt. Die Schwämme find feſtſitzende Tierformen des Meeres, mit nur wenigen Vertretern im Süßwaſſer. Ihr Innenraum ſteht einerſeits durch eine weite Mündung, das Oskulum, mit der Außenwelt in Verbindung, andererſeits durch zahlreiche, bei manchen Formen kammer— förmig erweiterte und verzweigte Kanäle, deren äußere Offnungen Poren heißen (Abb. 55). Der Innenraum oder die Erweiterungen der Kanäle ſind mit Geißelzellen ausgekleidet, bei denen die Baſis der Geißel von einem trichterartigen Kragen umgeben iſt wie bei den Choanoflagellaten. Zwiſchen dem äußeren Körperepithel und der Zellauskleidung der Binnenräume ſind amöboide Zellen angehäuft, und durch die Tätigkeit ſolcher Abb. 55. Schematiſche Durchſchnitte durch verſchiedene Typen von Shwämmen. Die Pfeile bezeichnen die Einfuhr— öffnungen (Poren) und die Ausfuhröffnung (Oskulum). Bei 4 iſt der ganze Innenraum mit Geißelzellen beſetzt; bei 5 find dieſelben auf Geißelkammern beſchränkt, die bei C vom Innenraum noch ſchärfer geſondert ſind. Nach Haeckel, verändert. Zellen wird das Stützgerüſt aufgebaut, das aus Kalk- oder Kieſelnadeln (Abb. 56) oder, wie beim Badeſchwamm, aus Hornfaſern beſteht. Die Zuſammengehörigkeit der Spongien mit den Neſſeltieren läßt ſich durch dieſe Bauverhältniſſe nicht begründen: ſchon das Vorhandenſein eines Zellparenchyms zwiſchen äußerem und innerem Keim— blatt widerſpricht den Grundeigenſchaften der Knidarier. Auch die Entwicklungs— geſchichte ſpricht nicht für ſolche Verwandtſchaft: die gaſtrulaähnliche Larve ſetzt ſich mit dem Urmund feſt, und das Oskulum bricht nachträglich durch, iſt alſo dem Munde der Polypen nicht vergleichbar. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß ſich die Spongien ſelbſtändig aus Kolonien von Geißeltieren, vielleicht von Choanoflagellaten, entwickelt haben, alſo einen geſonderten Stamm neben den übrigen Metazoen bilden. Zu den Coelenteraten werden gewöhnlich auch die Rippenquallen (Ktenophoren) (Abb. 57 geſtellt, obgleich ſie in ſehr vielen Punkten von ihnen abweichen. Vor allem haben ſie nicht bloß zwei Keimblätter, ſondern zwiſchen Ekto- und Entoderm ſchiebt ſich ſchon auf jungen Embryonalſtufen ein mittleres Keimblatt, ein Meſoderm ein; die zwiſchen jenen beiden Keimblättern gelegene Gallerte wird von ihm aus mit Muskelzellen und anderen Zell— 92 Ktenophoren. elementen durchſetzt. Die Bewegung der Ktenophoren geſchieht durch acht meridionale Reihen ſchlagender Ruderplättchen, die durch Verſchmelzung ſtarker Wimperhaare entſtanden ſind. An dem dem Munde gegenüberliegenden, dem aboralen Pole des oft kugelförmigen Leibes liegt ein hochausgebildetes Sinnesorgan, was bei, Meduſen nie der Fall iſt; bei dieſen iſt vielmehr die Außenfläche des Schirmes äußerſt arm an Nervenfaſern und überhaupt wenig differenziert. Vom Magenraum, zu dem ein ektodermaler Schlund führt, gehen Kanäle aus, die ſogenannten Gaſtral— gefäße, die ſich einer— ſeits unter die acht Ruderreihen („Rip— pen“), andererſeits zu beiden Seiten des Schlundes entlang erſtrecken; ein ge— ſonderter After fehlt auch hier, wohl aber ſind zwei ſogenannte Trichteröffnungen des Darmraums am aboralen Pole vor— handen. Die ganze Organiſation bietet keinen feſten Anhalt für die Verwandt— ſchaft mit den Neſſel— tieren; die Abſtam— mung von Formen, die mit dem aboralen Pole der Unterlage feſt aufſitzen, wird durch die aborale Lage des Hauptſinnesor— Abb. 56. Skelett eines Kieſelſchwamms, Regadrella okinoseana J. gans ſehr unwahr— % nat. Größe. Aus Doflein, Oſtaſienfahrt. 8 ſcheinlich gemacht. Wenn es ſich darum handelt, die Herkunft der Plattwürmer (Plathelminthen) feſt— zuſtellen, ſo genügt es zunächſt, nach der Abſtammung der Strudelwürmer (Turbellarien) zu fragen, da ſich von ihnen die ſchmarotzenden Saug- und Bandwürmer (Trematoden und Ceſtoden) mit Sicherheit ableiten laſſen (Abb. 59). Bei den Strudelwürmern (Bei— ſpiel: Planaria torva M. Schultze, vgl. Taf. 10) iſt das mittlere Keimblatt ſehr reichlich entwickelt und füllt den ganzen Raum zwiſchen äußerem und innerem Keimblatt aus. Die Bewimperung der geſamten Oberfläche iſt ein primitives Merkmal, das ſie mit Plathelminthen. 93 vielen Blaſtula- und Gaſtrulalarven teilen. wir wenig für ihre Herkunft entnehmen: Aus ihrem ſonſtigen Bau aber können den vorſtülpbaren, von Ektoderm aus— gekleideten Rüſſel, die charakteriſtiſchen Nierenorgane des Meſoderms, die als Proto— nephridien bezeichnet werden, und das eigen— artig angeordnete Syſtem der Geſchlechts— organe mit getrennten Eier- und Dotter- N ſtöcken begegnen uns nirgends bei niedriger organiſierten Tieren. Dagegen iſt in ihrer Entwicklung der radiäre Bau der Em— bryonalanlage (Abb. 58), vor allem die radiäre Anordnung der Ektodermzellen und der vier Meſodermportionen von Bedeu— tung: man darf daraus vielleicht ihre Ab— ſtammung von radiär gebauten Tieren ſchließen, und als ſolche bieten ſich die Ktenophoren, deren Anfangsentwicklung mit derjenigen der Strudelwürmer viel Ahnlichkeit hat, beſonders in dem Vor— handenſein von vier Gruppen von Meſo— dermzellen. Nun iſt es allerdings durch— aus unwahrſcheinlich, daß Rippenquallen die unmittelbaren Vorfahren der Strudel— würmer ſeien; ein gleichmäßig verteiltes Wimperkleid, wie dieſe es haben, iſt jeden— falls urſprünglicher als die acht Reihen hochdifferenzierter Ruderplättchen der Rippenquallen. \\ Abb. 57. Schema einer Rippenqualle, von der Seite geſehen. 7 Die vier dem Beſchauer zugekehrten „Rippen“ von Ruderplättchen; 2 Mund; 3 Magenraum mit den abgehenden Kanälen (punktiert); # die zwei Tentakel, deren größter Teil abgeſchnitten iſt; 5 Tentakelſcheide; 6 Sinnespol; Flimmerſtreifen von da zu den Rippen. Nach Kütkenthal, verändert. Wahrſcheinlich aber haben beide den gleichen Vorfahren, eine auf der Oberfläche gleichmäßig bewimperte, radiär gebaute freiſchwimmende Tierform, die noch recht gaſtrulaähnlich war, aber doch ſchon Meſoderm und einen ektodermalen eingeſtülpten Schlund beſaß. ſchwimmende Larve der Meeresſtrudelwürmer dürfte mit jener Stammform noch mehr Ahnlichkeit haben als die fertigen Rippen— Die radiäre Symmetrie der Stammform mußte mit dem Übergang zur kriechenden Lebensweiſe aufhören und ent— ſprechend dem Vorangehen des Kopfes beim Kriechen einer zweiſeitigen, bilateralen Symmetrie weichen. Den Strudelwürmern find die Saugwürmer (Abb. 59 B; z. B. Leberegel, Distomum hepaticum L.) außerordentlich ähnlich im Bau; ihre Abweichungen, wie der Verluſt des Wimperkleides und vielfach auch der Augen, und der Erwerb von Saugnäpfen zur quallen. Die frei⸗ Abb. 58. Furchungsſtadium des Eies eines Strudelwurms (Discocelis tigrina Lang). 1 Vier große Entodermzellen, Anheftung, erklären ſich als Anpaſſungen an ihre ſchmarotzende 2 vier mittlere Meſodermzellen, in Lebensweiſe. Bandwürmer ableiten. Von den Saugwürmern laſſen ſich wiederum die Zwar ſcheinen die meiſten und gerade der Mitte acht kleine Ektodermzellen. Vergr. 170 fach. Nach Lang. die bekannteſten Bandwürmer (Taenia, Bothriocephalus) auf den erſten Blick wenig Ahnlichkeit mit Saugwürmern zu haben; denn ihre auffälligſte Eigentümlichkeit, der Zerfall des langgeſtreckten Körpers in eine Reihe von ſchließlich ablösbaren Gliedern, deren jedes den vollſtändigen Geſchlechtsapparat enthält und von denen das letzte am 94 Plathelminthen, Nemertinen. ausgebildetſten und ältejten, die vorhergehenden zunehmend jünger find, fehlt den Saug— würmern. Aber es gibt auch Bandwürmer, bei denen dieſe Gliederung fehlt: Ligula, die als Larve in der Leibeshöhle von Fiſchen, im erwachſenen Zuſtande im Darm fiſchfreſſender Vögel lebt, hat in ihrem langgeſtreckten Körper zwar mehrfache hinter— einander liegende Geſchlechtsapparate, aber die äußere Gliederung iſt nicht ausgebildet, und bei Amphilina (Abb. 590) aus der Leibeshöhle des Störs iſt auch der Geſchlechts— apparat nur in der Einzahl vorhanden; ſie iſt äußerlich ganz ſaugwurmähnlich, und auch in ihrer inneren Organiſation weiſt nur das Fehlen des Darmes und gewiſſe Eigentümlichkeiten der Geſchlechtsorgane auf ihre Zugehörigkeit zu den Bandwürmern e > 2] Abb. 59. Schematiſche Darſtellung der Geſchlechtsorgane und des Darmfanals bei einem Strudel— wurm (4), einem Saugwurm (5) und einem ungegliederten Bandwurm (Amphilina) (C). 1 Hoden; 2 Samenleiter; 3 Begattungsorgan; 4 Eierjtod; 5 Eileiter; 6 Dotterſtock; 7 Dottergang; Scheide; 9 Uterus; 10 Mundöffnung; 11 Darm. In Anlehnung an Ray Lanfeiter. hin. Die Beſonderheiten des Entwicklungsganges, die wir einerſeits bei den Saug— würmern, andererſeits bei den Bandwürmern finden, ſind nur verſchiedenartige An— paſſungen an das Schmarotzertum. Zu den Plattwürmern dürfen wir auch die faſt durchweg meerbewohnenden Schnur— würmer (Nemertinen) rechnen. Sie gleichen den Strudelwürmern in der gleichmäßigen Bewimperung der Oberfläche, in der Ausbildung des meſodermalen Gewebes, das als Parenchym den ganzen Raum zwiſchen Ekto- und Entoderm erfüllt, in dem Vorhanden— ſein paariger, grubenförmiger Sinnesorgane am Vorderende und in Bauart und Lage des Rüſſels. Zwar weichen ſie von ihnen in dem Beſitz einer Afteröffnung und eines gut entwickelten Blutgefäßſyſtems ab; aber das ſind keine Unterſchiede im Bauplan, ſon— dern hinzugekommene Organiſationsfortſchritte. Überdies ſpricht die Entwicklungsgeſchichte Trochophoralarve. 95 zugunſten der Verwandtſchaft zwiſchen Strudel- und Schnurwürmern; eine bei dieſen verbreitete Larvenform, die ſogenannte Pilidiumlarve (Abb. 60), hat große Ahnlich— keit mit den Larven der polykladen Strudelwürmer, insbeſondere mit derjenigen von Stylochus (Abb. 60K). Andererſeits bietet gerade die Pilidiumlarve Anknüpfungspunkte an eine Larvenform, die durch ihre weite Verbreitung überaus wichtig für die Stammesgeſchichte der Tiere iſt; das iſt die Trochophoralarve. Die Trochophora (Abb. 6OC—F) iſt meiſt von verkürzt N | Abb. 60. 4 Larve des Strudelwurms Stylochus; B Pilidiumlarve eines Schnurwurms; ( Jüngere Entwicklungs— ſtufe der Trochophoralarve des Ringelwurms Eupomatus; D Trochophora von Polygordius; Trochophora von Echiurus; 7 Trochophora der Napfſchnecke Patella. 1 Scheitelfeld; 2 Mund; 2 präoraler Wimperkranz; „ poſtoraler Wimperkranz; 5 After; 6 Protonephridium; 7 Fuß— anlage; 8 Schalendrüſe. 4 nach Goette, B nach Salensky, C-E nach Hatſchek, F nach Patten. eiförmiger Geſtalt und wird durch einen mittleren, ſogenannten präoralen Wimperkranz in ein Scheitelfeld und ein Gegenfeld geteilt. Hinter dem präoralen Wimperkranz liegt der Mund; ſeine Lage bezeichnet die Bauchſeite, die aber beim Schwimmen der Trocho— phora nicht nach unten gerichtet zu ſein braucht; eine durch den Mund und die Längs— achſe gelegte Ebene teilt die Larve in zwei ſpiegelbildlich gleiche Hälften; dieſe iſt alſo zweiſeitig- oder bilateralſymmetriſch. Auf der Mitte des Scheitelfeldes ſteht, wie beim Pilidium, ein Schopf ſtarrer Wimpern, der beim Schwimmen als Steuer dient; hinter dem Mund läuft, parallel mit dem präoralen, ein poſtoraler Wimperkranz; die Mitte des Gegenfeldes nimmt der After ein. Unter dem Wimperſchopf liegt die ſogenannte 96 Trochophoratiere. Scheitelplatte, das zentrale Nervenſyſtem der Trochophora, und an ihr finden ſich Sinnes— organe: ein Paar einſache Sehorgane, ein Paar Tentakeln und ein Paar Flimmer— grübchen, die wohl dem chemiſchen Sinn dienen. Von der Scheitelplatte gehen Nerven zu den Nervenringen, die unter den beiden Wimperkränzen liegen. Der Darm beſteht aus einem eftodermalen Schlund- und Enddarm und einem entodermalen Mitteldarm. Den Raum zwiſchen Darm- und Körperepithel nehmen meſodermale Bildungen ein: Muskeln, Bindegewebe, ein Paar Exkretionsorgane von der Form der Protonephridien und am Hinterende ein Paar epitheliale Säckchen, die ſogenannten Cölomſäckchen. Larven von der Form der Trochophora oder ſolche, die ſich mit Leichtigkeit darauf zurückführen laſſen, finden ſich bei den Weichtieren (Mollusken Abb. 60 F), den Moos— tierchen (Bryozoen), den Ringelwürmern (Anneliden Abb. 60D) und den Sternwürmern (Gephyreen Abb. 60 E). Abweichungen von der typiſchen Trochophora ergeben ſich meiſt durch Abänderungen im Wimperapparat, z. B. Auf— treten mehrerer poſtoraler Wimperkränze, oder durch frühzeitiges Auftreten von Klaſſenmerkmalen, wie dem Vorhandenſein von Schalen bei der Trochophora der Muſcheln (Abb. 61). Wir können Tiere mit ſolchen Larven als Trochophoratiere zu— ſammenfaſſen. Aus der Gemeinſamkeit der Larven— form iſt zu ſchließen, daß ſie von gemeinſamen Vorfahren abſtammen, in deren Entwicklungsgang ein Zuſtand der Trochophora ähnlich war. Es iſt nicht wahrſcheinlich, daß die Trochophoralarve die Wiederholung eines ausgebildeten Ahnenzu— ſtandes darſtellt; dem widerſpräche die wahrſchein— liche Ableitung der Ringelwürmer von turbellarien— ähnlichen Vorfahren, an denen die Segmentierung Abb. 61. Larve der Wandermuſchel (Dreissensia polymorpha Pa II). ſchon angebahnt iſt. Vielmehr ſcheint es, daß. 1 Scheitelplatte; 2 präoraler Wimperkranz; i Ä cken > 0 0 N 0 8 Mund; 4 Mitteldarmſäcke; 5 Darm; 6 Proto— durch die Trochophora die Larvenform eines Vor— ee fahrenſtadiums wiederholt wird, ebenſo wie wir Nach Meiſenheimer. 5 en \ 5 x das ſpäter für die Naupliuslarve der Krebſe kennen lernen werden. Dieſe alte Larvenform dürfte der Müllerſchen Larve der Strudel— würmer und dem Pilidium der Schnurwürmer entſprechen; nur unterſcheidet ſich die Trochophora dieſen gegenüber dadurch, daß ſie einen gemeinſamen Charakter aller Trocho— phoratiere, die doppelte Ausmündung des Darmes, durch Mund und After, angenommen hat, während jene nur eine Ausmündung des Darmes beſitzen. So können wir die Trochophoratiere etwa von ſtrudelwurmähnlichen Vorfahren herleiten und in ihrer Larve die durch neue Merkmale abgeänderte Wiederholung der Larvenform dieſer Vorfahren erblicken. Nun kennen wir ein Rädertier, Trochosphaera aequatorialis Semp., das Semper in den überſchwemmten Reisfeldern der philippiniſchen Inſeln entdeckte, und das mit der Trochophora eine ſehr große Ahnlichkeit hat; und bei den anderen Räder— tieren (Rotatorien) ſind ebenfalls noch viele Anklänge an die Trochophora vorhanden. So darf man alſo auch die Rädertiere mit in die Reihe der Trochophoratiere ſtellen. Aber wir dürfen nicht etwa dieſe von rädertierähnlichen Vorfahren ableiten; das würde dem Zuſammenhange mit den Strudelwürmern widerſprechen; ſondern wir müſſen eher annehmen, daß wir es in den Rädertieren mit Formen zu tun haben, die unter Be— Mollusken. 97 wahrung ihrer Larventracht geſchlechtsreif geworden ſind, wie wir es auch von anderen Tieren kennen (vgl. unten bei Neotenie). Wie ſchon angedeutet, wird der Anſchluß der Trochophoratiere nach unten durch die Ahnlichkeit der Trochophora mit dem Pilidium gegeben. Dieſe haben die allgemeine Geſtalt, die Scheitelplatte mit ihrem Wimperſchopf und den präoralen Wimperkranz nebſt dem zugehörigen Ringnerven gemein. Beim Pilidium hat der auf dem Gegenfelde mündende Darm nur eine Offnung, Sonderung von Mund und After fehlt noch; das ſteigert ſeine Ahnlichkeit mit den Turbellarienlarven. So ſcheinen Trochophoratiere, Schnurwürmer, Strudelwürmer und Rippenquallen eng zuſammenzuhängen, indem ſie auf eine gemeinſame freiſchwimmende Stammform zurückgehen, die den Rippenquallen und Strudelwürmern am nächſten ſtand. Wenn wir die Rädertiere, wie das jetzt oft geſchieht, dem Stamm der Plattwürmer anreihen, jo treten uns als erſter Stamm der Trochophoratiere die Weichtiere (Mollusken) entgegen. Die Trochophoralarve begegnet uns hier bei den primitiv e Käfer⸗ ſchnecken, bei vielen Muſcheln und, als Veligerlarve (Abb. 62) mit ſpiraligem e bei zahlreichen Meeresſchnecken; bei den Tintenfiſchen iſt, infolge des großen Dotterreichtums der Eier, die Entwicklung ab— gekürzt, ſo daß keine Larvenformen mehr auftreten. Bei der Abſtammung von plattwurmähnlichen Ahnen iſt es nicht zu verwundern, daß die niederen Mollus— ken, die Käferſchnecken (Chitonen) und Solenogaſtren, den Plattwürmern in manchen Stücken ähnlich ſind, 3. B. in der Ausbildung ihres Strickleiternervenſyſtems, deſſen beide Hauptſtämme in ihrer ganzen Länge mit Ganglienzellen beſetzt ſind. Neuerwerbungen aber, die fie z. T. mit anderen Trochophoratieren gemeinſam 2 haben, ſind der Enddarm und After, der Blutkreislauf N 3 Abb. 62. Veligerlarve von Atlanta. mit pulſierendem Herzen, und die aus epithelialen 1 Velum' > Fuß 3 Deckel! 4 Tentakel; 5 Schale. Nach Gegen baur. Cölombläschen entwickelte paarige ſekundäre Leibeshöhle, die mit den Geſchlechtsdrüſen im Zuſammenhang ſteht und bei den Mollusken als Herz— beutel auftritt. Trotz der großen Verſchiedenheit in der äußeren Form, die uns in der Zuſammenſtellung von Tieren, wie Muſchel, Schnecke und Tintenfiſch entgegentritt, finden wir doch eine große Übereinſtimmung des inneren Baues. Gemeinſam iſt allen Mollusken die kalkige Schale. Durch ihre Ausbildung wird ein großer Teil der Körperoberfläche der Reſpiration entzogen; daher kam es zur Ausbildung beſonderer Atemwerkzeuge, der Kiemen, die als weichhäutige, zarte Organe den nötigen Schutz unter der ſchalenbildenden Mantelfalte fanden. Da die von der Schale bedeckte Rückenſeite keiner Einzelbewegungen bedurfte, konnte ihre Muskulatur ſich rückbilden; kompenſatoriſch bildete ſich auf der Bauch— ſeite eine mächtige Muskelmaſſe aus, der Fuß, der urſprünglich eine Kriechſohle trägt. Die Vergleichung der Querſchnitte durch eine Käferſchnecke (Chiton) und eine Muſchel (Abb. 63 A und B) zeigt, wie der Bauplan dieſer beiden in den Grundzügen übereinſtimmt. Die Schale, die bei jener aus mehreren hintereinander gelegenen, aber den Rücken quer überdeckenden Stücken beſteht, iſt bei der Muſchel aus zwei ſeitlichen, in der dorſalen Mittellinie beweglich verbundenen Klappen zuſammengeſetzt; dem breitſohligen Kriechfuß der Käferſchnecke entſpricht bei der Muſchel ein zugeſchärfter Grabfuß; das Herz, das bei 1 Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 98 Mollusken. Chiton über dem Darm liegt, hat ſich bei der Muſchel ſo um den Darm herumgelegt, daß es von ihm durchbohrt wird. Die Rückbildung des Kopfes bei den Muſcheln dürfte mit ihrer wenig beweglichen Lebensweiſe zuſammenhängen. — Die aſymmetriſchen Schnecken mit ihrem ſpiralig gewundenen Eingeweideſack und dem ſeitlich nach vorn verlagerten Organkomplexe, der den After, die Kiemen und die Nierenmündungen umfaßt, laſſen ſich auf Urſchnecken (Abb. 630) von ſymmetriſchem Bau zurückführen, bei denen jener Organkomplex am Hinterende liegt. Mit dieſem durch Vergleichung ergründeten Abb. 63. Schematiſche Darſtellung der Organiſation verſchiedener Weichtiere. Querſchnitt durch eine Käferſchnecke (Chiton); 5 Querſchnitt durch eine Muſchel; C, Rückenanſicht und C, Seitenanſicht einer ſymmetriſchen (hypothetiſchen) Urſchnecke; D Seitenanſicht eines Tintenfiſches (Sepia). Man vergleiche 3 mit A, (i mit A, ©, mit Ci, D mit 02. 1 Kieme; 2 Darm; 3 Herzbeutel; 4 Nephridium; 5 Herzkammer; 6 Vorkammer; Mantelhöhle; 8 Mitteldarmſäcke; 9 Trichter. Der Fuß iſt unterbrochen geſtrichelt. Organiſationsſchema ſtimmt wiederum das Schema des Baues der Tintenfiſche (Abb. 63 D), deren jetzt lebende Formen (3. B. Octopus, Sepia, Loligo vgl. Tafel 3) mit wenigen Ausnahmen (Nautilus, Spirula) nur eine reduzierte, vom Mantel überwachſene Schale, den ſogenannten Rückenſchulp, beſitzen, während bei den ausgeſtorbenen Ammoniten eine meiſt ſpiralig gewundene Schale allgemein verbreitet war. Der einheitliche Fuß der Schnecken iſt bei den Tintenfiſchen in mehrere Teile zerlegt; ihm entſprechen, wie ſich aus der Entwicklung nachweiſen läßt, die Arme des Kopfes und der Trichter, der zu einem Ausgangsrohr der Mantelhöhle umgeſtaltet iſt. Die Moostierchen (Bryozoen) erweiſen ſich als Trochophoratiere durch die Larven— form, die ſich bei manchen meeresbewohnenden Gattungen findet. Ihre Organiſation iſt Bryozoen und Brachiopoden; Anneliden. 99 U 5 im übrigen, vielleicht infolge der feſtſitzenden Lebensweiſe, ſo modifiziert, daß ſich keine ſicheren Vergleichspunkte mit anderen Trochophoratieren oder mit deren niederen Ver— wandten nachweiſen laſſen; höchſtens könnte man den Bau der Exkretionsorgane bei den ſogenannten endoprokten Bryozoen als turbellarienähnlich bezeichnen. Der Körper ſitzt in einem röhrenartigen Gehäuſe, aus dem der Kopfabſchnitt meiſt hervorgeſtreckt werden kann; den Mund umgibt ein Kranz wimpernder Tentakel, die auf kreis- oder hufeiſen— förmigem Träger ſtehen; der After mündet nicht weit vom Munde, innerhalb oder außer— halb des Tentakelkranzes, wonach endo- und ektoprokte Bryozoen unterſchieden werden (Beiſpiel: Aleyonella vgl. Tafel 10). — Mit den Moostierchen wurden gewöhnlich die Armfüßer (Brachiopoden) zu einem Stamm (Molluskoiden) vereinigt; doch ſind die Übereinſtimmungen zwiſchen ihnen nicht derart, um das zu rechtfertigen: das Vorkommen paariger, mit Flimmerhaaren beſetzter Arme bei den Brachiopoden, die dem Tentakel— apparat der Moostierchen vergleichbar wären, iſt völlig ungenügend zur Begründung der Verwandtſchaft. Der Beſitz zweier muſchelähnlicher Schalen findet bei den Moos— tierchen keinen Vergleichspunkt; die Vergleichung der Brachiopodenſchalen mit denen der Muſcheln iſt ſchon deshalb nur eine äußerliche, weil ſie dorſal und ventral, die der Muſcheln aber rechts und links dem Körper anliegen. Auch die Entwicklung der Brachiopoden bietet keinen ſicheren Anhalt; ihre verwandtſchaftliche Zugehörigkeit iſt durchaus ungeklärt. Schließlich ſind als Trochophoratiere noch die Ringelwürmer (Anneliden) und ihre Verwandtſchaft zu nennen. Charakteriſtiſch für ſie iſt der Zerfall des Körpers in gleich— artige, hintereinander liegende Abſchnitte, die Körperſegmente. Bei manchen Strudel— würmern, z. B. bei Gunda segmentata Lg., findet ſich eine ſolche Segmentierung in der harmonierenden Anordnung der Darmäſte, der Konnektive der Bauchnervenſtränge, der Nephridien und der Gonaden (Geſchlechtsdrüſen) ſchon vorbereitet. Die Leibeshöhlen— abſchnitte, die bei den Ringelwürmern in jedem Segment den Darm umgeben und in denen die übrigen Organe gelegen ſind, dürften wahrſcheinlich nichts anderes als er— weiterte Gonadenhöhlen der ſtrudelwurmartigen Vorfahren ſein. Die Trochophora iſt die typiſche Larvenform der Ringelwürmer; ſelbſt bei Larven ſo abgeändeter Gruppen wie die Echiuriden und bei den Embryonen der Oligochaeten (Regenwürmer und Ver— wandten) ſind die Grundzüge ihres Baues noch erkennbar, und den letzteren ſchließen ſich die Embryonen der Egel an. Die Umbildung der Larve zum Ringelwurm geſchieht durch Längenwachstum des Körperabſchnittes, der hinter dem präoralen Wimperring liegt; nahe dem Afterende bildet ſich eine Wachstumszone, von der ſich nach vorn zu gleichwertige Segmente abſchnüren, deren jedes außer einem Abſchnitt des Darmes ein ventral gelegenes Ganglienpaar, ein Paar zur Leibeshöhle ſich ausweitende Cölomſäckchen und ein Paar Nierenorgane, Nephridien, enthält; nur das Kopfſegment nimmt eine Sonderſtellung ein und enthält beſonders neben einem Bauchganglienpaar das über dem Schlunde gelegene Oberſchlundganglion oder „Gehirn“, das mit jenem zu einem „Schlund— ring“ verbunden iſt. Die Leibeshöhlen der einzelnen Segmente ſind durch eine dünne, Muskeln enthaltende Scheidewand, ein Septum, unvollkommen voneinander getrennt. Die Segmentierung beeinträchtigt keineswegs die Einheitlichkeit der Funktion des ſegmen— tierten Körpers: Darm und Blutgefäßſyſtem durchziehen den ganzen Körper, und die Ganglien der hintereinander liegenden Segmente ſind durch Verbindungsſtränge (Kon— nektive) vereinigt. Auch äußerlich ſind die Segmente gleichwertig ausgeſtattet; bei den Borſtenwürmern (Chätopoden) trägt jedes Segment jederſeits zwei durch Muskeln be— ‘ 100 Arthropoden. wegliche Borſtenbündel, ein borſales und ein ventral gelegenes, die als Stützen bei der Kriechbewegung dienen; bei den Archianneliden und den Dligochaeten ſind dieſe der Leibes— wand eingepflanzt, bei den meiſten meeresbewohnenden Ringelwürmern aber ſtehen ſie auf beſonderen Erhebungen, den Parapodien; es können jederſeits zwei geſonderte Para— podien vorhanden ſein, oder ſie ſind zu einem mehr oder weniger deutlich zweiäſtigen Parapodium (Abb. 64) vereinigt. Von den Ringelwürmern ſind mit Sicherheit die Gliederfüßler (Arthropoden) ab— zuleiten, die ſchon Cuvier mit ihnen zu dem Typus der Gliedertiere (Annulaten) ver— einigte. Sie gleichen ihnen vor allem durch die Segmentierung, durch den Bau ihres Zentralnervenſyſtems, das auch hier aus einem Schlundring und einer Bauchganglien— kette mit ſegmentalen Ganglienpaaren beſteht, durch die Anordnung der Hauptblutgefäße und die Richtung des Blutumlaufs im Rückengefäß von hinten nach vorn, im Bauch— gefäß umgekehrt. Als Reſte der Nephridien können einige Drüſenbildungen, ſo die Abb. 64. Schematiſcher Querſchnitt durch einen Ringelwurm (A) und einen Krebs (5). 1 Darm, 2 Bauchganglienkette, 3 dorſales und 4 ventrales längsverlaufendes Blutgefäß, 5 dorjaler und 6 ventraler Aſt des Parapodiums, 5’ Außen- und 6 Innenaſt des Beines, 7 Stützborſte, s Kieme (in B nicht bezeichnet), 9 verdickte Kutikula (Panzer), 10 Seitliche Falte des Kopfbruſtpanzers, die Kiemen überdeckend. paarige Antennen- und Schalendrüſe und die Ausführgänge der Geſchlechtsorgane bei den Krebſen angeſehen werden, während im übrigen die Nierenfunktion größtenteils oder ganz durch den Darmkanal und Anhänge desſelben übernommen iſt. Die Gliedmaßen der Krebſe, die bei allen einfacheren Formen als zweiäſtige, ſtark beborſtete Spaltfüße auftreten, ſind von den zweiäſtigen Parapodien der Ringelwürmer abzuleiten, aus denen ſie durch ventrale Verlagerung und Gliederung hervorgegangen ſind (Abb. 64). Durch die ſtärkere Entwicklung des ſchützenden Kutikularüberzugs wurde der Körper des Krebsahnen ſtarrer und weniger zu ſchlängelnden Bewegungen geeignet, wie ſie den Ringelwürmern viel— fach zur Fortbewegung dienen; daher wurden die Parapodien als bewegliche Ruder ſtärker für die Fortbewegung in Anſpruch genommen. Das Taſterpaar des Annelidenkopfes und das erſte Beinpaar wurden zu Taſtorganen und bilden die erſte und zweite Antenne; in der Nachbarſchaſt des Mundes traten drei Parapodienpaare als Kauorgane in den Dienſt der Ernährung und wurden zu Kiefern umgewandelt; die fünf Segmente, die mit dieſen Anhängen zuſammengehören, verſchmolzen zu dem einheitlichen Kopf der Krebſe, und die gemeinſame Chitinbedeckung des Kopfes zog ſich nach hinten oft zu einem ſchützenden Schild für die vorderen Körperſegmente, den Thorax, aus. So entſtand das Krebſe. 101 Urbild eines einfachſten Krebſes, eines Phyllopoden (Abb. 65). Von phyllopodenartigen Vorfahren laſſen ſich alle anderen Krebsgruppen ableiten. Dem Urphyllopoden ſtehen unter den niederen Krebſen, den Entomoſtraken, die Branchiopoden am nächſten, unter den höheren Krebſen (Malakoſtraken) die Gattung Nebalia und die Stomatopoden. Von dieſen 5 zwei Formenreihen aus: die Spalt— l Ea F Feen. NS Er | NH . Al N | Abb. 65. Männlicher Branchipus (Phyllopode)— * . wir . 2 2 x — 1 22 2 2 \ I 1 Vordere Antenne, 2 hintere Antenne mit langem Taſtanhang, 3 zuſammengeſetztes Auge, 4 Stirnauge, 5 Herz, \ Darm, 7 Kiemenanhänge der Beine. Vergr. 10 fach. Nach Claus. N fußkrebſe (Beiſpiel: Mysis) leiten einerſeits zu den höchſt entwickelten Krebſen, den Deka— poden (Flußkrebs, Hummer, Krabben) über, andererſeits durch die Cumaceen zu den Ringelkrebſen (Arthroſtraken), zu denen Aſſeln und Flohkrebſe (Gammarus) gehören; letztere ſind unter Rückbildung des Kopfbruſt— ſchildes, des Augenſtieles und des Außen— aſtes der Thoraxbeine entſtanden. Für die Ableitung der Krebſe ſind ver— gleichend-anatomiſche Gründe maßgebend, nicht entwicklungsgeſchichtliche. Fritz Müller, der die Krebsentwicklung genau unterſuchte und in einem Buche „Für Darwin“ die Ergebniſſe im Sinne der Abſtammungslehre verwertete, kam auf Grund der Entwicklung zu einer anderen Auffaſſung. Daraus, daß die gleiche Larve mit drei Gliedmaßenpaaren, der Nau— plius (Abb. 66), bei den niederen und manchen höheren Krebſen den Ausgangspunkt der Ent— wicklung bildet, zog er den Schluß, daß die ö Krebſe von einer naupliusähnlichen Stamm- Abb 66. Naupliuslarve eines Ruderfußtrebſes form abzuleiten ſeien, die ſich in der Ent— e ee e e e wicklung wiederholte. Es iſt aber durchaus unwahrſcheinlich, daß die Stammform der Krebſe eine ſo geringe Segmentierung zeigte wie ein Nauplius, daß alſo die Segmentierung der Krebſe und der Ringelwürmer ſich unabhängig voneinander in ſo ähnlicher Weiſe entwickelt hätte. Jetzt deutet man daher den Nauplius als Wiederholung einer gemeinſamen Larvenform der verſchiedenen Krebs— ordnungen, als eine Form, die etwa der Trochophora entſpricht, aber in der beginnenden Segmentierung und dem Auftreten von Gliedmaßen ſchon ſpezifiſche Krebsmerkmale 102 Tauſendfüßer und Inſekten. angenommen hat, etwa wie die Trochophora der Muſcheln ſchon die Schalen und die— Anlage des Fußes aufweiſt. Gleichen Urſprungs mit den Krebſen müſſen die antennentragenden Landarthropoden ſein, die Tauſendfüßer (Myriopoden) und Inſekten (Hexapoden); denn ſie haben Eigen— ſchaften mit ihnen gemein, die nicht ſelbſtändig in ſolcher Gleichheit entſtanden, ſondern nur von gemeinſamen Vorfahren ererbt ſein können: vor allem die Zuſammenſetzung des Kopfes. Dabei ſtellen wir unter den Tauſend— füßern allerdings die Chilopoden in den Vordergrund, mit einem Beinpaar an jedem Segment und den Geſchlechtsöffnungen am Hinterende, während die Diplopoden mit zwei Beinpaaren am Segment und den Geſchlechtsöffnungen an vorderen Segmenten, mehr abſeits ſtehen und insbeſondere den Inſekten weniger nahe verwandt ſind. Unter Ausfall des zweiten Antennenpaares, deſſen zugehöriges Segment bei manchen Inſektenembryonen in der Anlage nachgewieſen iſt, finden wir bei den Tauſendfüßern und Inſekten ein Paar Antennen und drei Kieferpaare, das dritte Paar allerdings durch Verſchmelzung der beiden Paarlinge beim fertigen Inſekt zu einem einheitlichen Stück, der Unterlippe, verändert. Die Inſekten ſcheinen den Krebſen noch um einen Grad näher zu ſtehen; ihre zu— ſammengeſetzten Augen ſtimmen mit denen der Krebſe im ganzen Aufbau und ſelbſt in den Zahlenverhältniſſen der zuſammenſetzenden Zellen ſo genau überein, daß eine unabhängige Ausbildung ſo gleicher Organe bei beiden Klaſſen ausgeſchloſſen erſcheint; die Augen der Tauſendfüßer ſind in anderer Weiſe entwickelt. So dürfen wir vielleicht annehmen, daß Inſekten und Krebſe einen gemeinſamen Vorfahren hatten, dem derjenige der Tauſendfüßer ſehr naheſtand. Der oben geſchilderte Urphyllopod war durch den Beſitz eines Kopf— bruſtſchildes ſchon weiter ſpezialiſiert. Die Luftröhren (Tracheen), die bei Inſekten und Tauſendfüßern in gleicher Weiſe als Atmungs— organe vorkommen, können bei beiden unabhängig erworben ſein, wie ſie ſich auch bei den Spinnentieren unabhängig entwickelt zu haben ſcheinen. Bei den Inſekten iſt durch Beſchränkung der Bein— paare auf die drei vorderſten Rumpfſegmente eine Gliederung des Rumpfes in Bruſt (Thorax) und Hinterleib (Abdomen) eingetreten; daß aber die Vorfahren der Inſekten an jedem Segment ein Bein— paar trugen wie Krebſe und Tauſendfüßer, wird durch die rudimen— Abb 67. Peripatus tären Gliedmaßenanlagen am Abdomen mancher Inſektenembryonen capensis Gr. (Abb. 47) bewiejen und durch das Vorkommen von Abdominalbein— Nach Balfour. 0 1 8 8 En paaren bei einigen fertigen Inſekten in tiefſtehenden Ordnungen, z. B. bei den Steinhüpfern (Machilis). In der poſtembryonalen Entwicklung haben die Inſekten im übrigen wenige Merk— male ihrer Herkunft bewahrt. Bei den niederen Inſektenordnungen ſind etwaige Ahnen— ſtufen dadurch verwiſcht, daß die Entwicklung eine direkte geworden iſt; beim Verlaſſen des Eis hat die Larve ſchon durchaus Inſektenmerkmale, und zwar die ihrer Ordnung. Bei den höheren Ordnungen, den Käfern, Netzflüglern, Schmetterlingen, Immen und Fliegen, iſt die ſpätere Entwicklung cenogenetiſch verändert, indem ein Ruhezuſtand, das © 3 8 3 Peripatus; antennenloſe Arthropoden. 103 Puppenſtadium, eingeſchoben iſt, während deſſen auf Koſten der angehäuften Vorratsſtoffe eine große Menge von Veränderungen vor ſich gehen und die Larve zum fertigen Tier umgewandelt wird. Aber die gleichartige Segmentierung der maden- und raupenartigen Larven und das Auftreten von Gliedmaßenſtummeln an den Hinterleibsringeln bei den Larven der Schmetterlinge und Blattweſpen muß wohl palingenetiſch gedeutet werden; gerade der Umſtand, daß der Hauptbetrag der Umwandlungen auf das Puppenſtadium verlegt worden iſt, macht den Rückſchlag auf primitive Vorfahrenformen im Larvenzuſtand möglich. Als Vorfahrenform der Tauſendfüßer und Inſekten iſt vielfach eine ſonderbare Tier— gattung betrachtet, die in merkwürdiger Weiſe Merkmale der Ringelwürmer und der luft— bewohnenden Gliederfüßler verquickt zeigt: die Gattung Peripatus (Abb. 67). Aus manchen = Gründen aber kann man das Tier nur gleichſam als eine Parallelbildung des Vorfahren der Inſekten und Tauſendfüßer anſehen, die direkt von den Anneliden ausging, während dieſer dem Urphyllopoden naheſtand. Die Ringel— wurmverwandtſchaft des Peripatus wird be— ſonders durch die Bildung des Kopfes mit einem Paar Antennen und einem einzigen Kieferpaar und mit typiſchen Annelidenaugen verbürgt; ſegmental angeordnete Nephridien, die ja auch Ringelwurmmerkmale ſind, mag auch der Inſektenahn noch beſeſſen haben; die ſegmentalen geringelten Stummelbeine können auf Annelidenparapodien zurückgehen. Die tracheenartigen Atmungsorgane, die den Haupt— grund dafür gaben, Peripatus mit den Tauſend— füßern und Inſekten in Beziehung zu ſetzen, dürften wohl ſelbſtändig erworben ſein wie bei den Spinnentieren. Es beſteht nämlich noch ein zweiter Zweig Jo os. Schwertſchwanz (Limulus polyphe- des Arthropodenſtammes, der ebenfalls Waſſer— mus I.) von der Bauchſeite. 8 , g 1-6 Gliedmaßen der Kopfbruſt, 7 Kiemenfüße des und Landbewohner umfaßt, das ſind die Abdomens. Nach Packard. Gigantoſtraken und die Spinnentiere (Arachno— ideen). Die Gigantoſtraken umfaſſen die alten, jetzt ausgeſtorbenen Rieſenkrebſe (Meroſtomen) mit den Gattungen Eurypterus, Pterygotus u. a., und die jetzt noch in wenigen Arten lebenden altertümlichen Schwertſchwänze (Kiphojuren) mit der Gattung Limulus (Abb. 68). Als Typus der Spinnentiere wollen wir deren urſprünglichſte Ver— treter, die Skorpione, zur Vergleichung heranziehen. In beiden Ordnungen fehlen die Antennen, und die Kopfbruſt trägt ſechs Paar einäſtige Gliedmaßen. Am Hinterleib haben wir bei Limulus ſechs Paar zweiäſtige Blattfüße, die Lamellen tragen und als Atmungs organe dienen; beim Skorpion ſind zwar embryonal ſechs Paar Hinterleibsgliedmaßen angelegt; aber nur das zweite Paar davon entwickelt ſich weiter zu kammartigen Organen von unbekannter Funktion, das dritte bis ſechſte Paar verſchwinden mit der Entſtehung 104 Spinnentiere; Echinodermen. der Lungenſäcke, die ſich an ihrer Baſis einſenken und vielleicht eingeſtülpten Kiemenfüßen von Limulus (Abb. 69) gleichgeſetzt werden dürfen: die Einteilung der Lungenſäcke in Fächer wäre dann mit den lamellenartigen Anhängen der Kiemenfüße homolog. Auch die Mittel- und Seitenaugen der Skorpione laſſen ſich vielleicht mit den entſprechenden Augen von Limulus vergleichen. Von den Inſekten und Tauſendfüßern aber ſind die Spinnentiere durch den Mangel eines geſonderten Kopfes, durch den Bau ihrer Augen und durch die Zahlenverhältniſſe der Mundgliedmaßen ſcharf getrennt. Als Atemwerk— zeuge finden ſich bei ihnen neben den Lungenſäcken auch Tracheenröhren; dieſe ſind wahrſcheinlich voneinander abzuleiten, und für die Annahme, daß die Lungenſäcke das urſprünglichere ſind, ſpricht ihr ausſchließliches Vorkommen bei der alten Familie der Skorpione und bei den älteſten Spinnen (z. B. Mygale). Die Segmentierung des Körpers erhält ſich am ausgeſprochenſten bei den Skorpionen; bei den kleinen After— ſkorpionen (3. B. dem Bücherſkorpion Chelifer) und den Kankern (Phalangiden) iſt ſchon eine Verminderung bemerkbar; die echten Spinnen zeigen nur noch eine Trennung von Kopfbruſt und Hinterleib, die aber beide unſegmentiert bleiben, und die Milben als die abgeleitetſte Gruppe ſind ganz unſegmentiert. Der Stamm der Stachelhäuter (Echinodermen) (Taf. 8) zeigt mit keiner anderen Tier— gruppe Ahnlichkeiten im Bau. Beſtimmte gemeinſame Merkmale zeichnen dieſe Tiere vor Abb. 69. Schematiſche Durchſchnitte durch den Kiemenfuß eines Schwertſchwanzes (Limulus) (4) und durch den Lungenſackeines Spinnentieres (B). Der Pfeil in 3 zeigt die Atemöffnung. Nach Goette. allen anderen aus: einerſeits die Ablagerung von Kalkkörperchen in dem bindegewebigen Teil der äußeren Haut und damit in den meiſten Fällen die Bildung eines Skeletts, vor allem aber das ſogenannte Waſſergefäßſyſtem, ein Syſtem von Kanälen, von denen ſchwellbare, zylinderförmige Füßchen ausgehen, die das Skelett durchſetzend als Be— wegungsorgane dienen. Auch die Entwicklungsgeſchichte bietet uns keinen Anhalt für die Verwandtſchaftsbeziehungen der Stachelhäuter; nur die Tatſache, daß die freiſchwimmen— den Larven alle bilateral-ſymmetriſch ſind, erlaubt den Schluß, daß dieſe im erwachſenen Zuſtande meiſt fünfſtrahlig-ſymmetriſchen Tiere von bilateral-ſymmetriſchen Vorfahren abſtammen. Wenn wir alſo einen Anſchluß der Echinodermen an andere Tierſtämme nicht finden, ſo bietet uns doch die Verſteinerungskunde die Möglichkeit, die verſchiedenen Klaſſen dieſes Stammes, die Haarſterne (Krinoiden), Seeſterne (Aſteriden), Schlangen— ſterne (Ophiuriden) und Seeigel (Echiniden) von einem gemeinſamen Urſprunge, den aus— geſtorbenen Cyſtideen abzuleiten. Für die Seegurken (Holothurien), die keine zuſammen— hängenden foſſilen Skelette hinterlaſſen haben, iſt aus anatomiſchen Gründen eine nähere Verwandtſchaft mit den Seeigeln wahrſcheinlich, ſo daß ſie auf dieſem Wege ebenfalls den Anſchluß an die Cyſtideen finden. Dieſe letzteren ſaßen auf Stielen feſt, und gerade die feſtſitzende Lebensweiſe, bei der alle Seiten rings um die Körperachſe gleichwertig ſind, gibt eine Erklärung für den radiären Bau. Auch die Haarſterne ſitzen meiſt auf einem Stiel feſt (Abb. 70); der freibewegliche Haarſtern des Mittelmeeres, Antedon rosacea Norm. (vgl. Tafel 8), iſt während ſeines Jugendzu— ſtandes geſtielt und feſtgeheftet ( Abb. 71) und wiederholt ſo in ſeiner Entwicklung den Übergang von feſtſitzenden zu frei— beweglichen Formen, den wir für die Stammesgeſchichte der Stachelhäuter allgemein annehmen müſſen. Die losge— löſten Nachkommen der Cyſtideen be— hielten die ſtrahlige Symmetrie meiſt bei; einige aber wurden ſekundär wieder bila— teralſymmetriſch, wie die irregulären See— igel, die, wie die Verſteinerungskunde zeigt, jüngeren Ur— ſprungs ſind als die regulären. Es bleibt noch die Stellung der Manteltiere (Tuni— katen), des Lanzett— fiſchchens Amphi— oxus (Abb. 72) und der Wirbeltiere (Vertebraten) in der Stammesreihe der Tiere zu erörtern. Man kann ſie als Chordatiere (Chor— daten) zuſammen— faſſen, da ſie alle, mindeſtens im Em— Echinodermen. 105 Abb. 70. Feſtſitzender Haarſtern, Metacrinus rotundus P. H. C. Aus Doflein, Oſtaſienfahrt. bryonalzuſtand, einen zelligen Stützſtrang, die Chorda dorsalis oder Rückenſaite, beſitzen, der unter dem zentralen Nervenſyſtem entlang läuft (Abb. 73, 3). Sie haben ferner alle die Entſtehungsweiſe ihres zentralen Nervenſyſtems durch röhrenförmige Einrollung 106 Chordaten. eines dorſalen Ektodermſtreifens gemeinſam, und die ausſchließlich dorſale Lage dieſes Organs bringt ſie zu allen übrigen bilateral-ſymmetriſchen Tieren in Gegenſatz. Bei ihnen ſind gleicherweiſe die Sehorgane Teile des zentralen Nervenſyſtems. Schließlich Abb. 71. Pentacrinusartige Larve von Antedon rosacea Norm. Vergr. 10 fach. Nach Thomſon. — ſind bei ihnen die Atmungsorgane in gleicher, ſehr eigenartiger Weiſe gebildet: die Wandung des Vorderdarms iſt von mehr oder weniger zahlreichen Spalten durchbrochen, den ſogenannten Kiemenſpalten (Abb. 73, 5), die in das umgebende Waſſer oder in einen von der Oberfläche abgefalteten Peribranchialraum führen; an der Oberfläche der Kiemenſpalten verlaufen dichte Blutgefäßnetze, deren Inhalt mit dem durch die Spalten ſtreichenden Atemwaſſer in lebhaften Gasaustauſch tritt. Die gemeinſamen Eigentümlichkeiten treten am deutlichſten bei der Aſcidienlarve unter den Manteltieren, beim Amphioxus und unter den Wirbel— tieren an den niederen Fiſchen hervor (Abb. 73). Die erwachſenen Manteltiere, mit Ausnahme der auf larvenartigem Zuſtande ſtehenbleibenden Appendikularien, ſcheinen ſehr rückgebildet: die Aſzidien (Abb. 74) ſind durch die feſtſitzende Lebensweiſe ver— ändert, die Salpen haben vielleicht früher einen feſtſitzenden Zuſtand durchlaufen und ſind erſt ſekundär wieder beweglich geworden. Bei den Wirbeltieren hat das Verlaſſen des Waſſers und der Übergang zum Landleben tiefgreifende Veränderungen im Bau der höheren Klaſſen, der Amphibien, Reptilien, Vögel und Säuger herbeigeführt. Wenn man alſo den Anſchluß der Chordaten an die anderen Tiere ſucht, ſo muß man von jenen dreien, der Aſzidienlarve, dem Amphioxus und etwa dem Neunauge ct Abb. 72. Lanzettfiſchchen oder Amphioxus (Branchiostoma lanceolatum Yarr.). Einige bis auf das Vorderende in den Sand vergraben, andre auf dem Sande ruhend, andre frei ſchwimmend— Abſtammung der Chordaten. 107 (Petromyzon) ausgehen. Über die Herkunft der Chordatiere ſind zahlreiche Theorien aufgeſtellt; man hat ſie von Schnurwürmern, Ringelwürmern und Gliederfüßlern ableiten wollen. Zunächſt iſt die Frage zu entſcheiden: ſtammen ſie von gegliederten Vorfahren ab, oder hat ſich die Segmentierung erſt innerhalb des Chordatenſtammes entwickelt. Amphioxus und die Wirbeltiere ſind gegliedert, die Manteltiere dagegen, auch als Larven, ungegliedert. Bei dem rückgebildeten Zuſtande der Manteltiere iſt die Annahme nicht unwahrſcheinlich, daß die Gliederung bei ihnen verloren gegangen iſt. Dann ſtammen die Chordaten offenbar von ſegmentierten Tieren ab. Wenn dagegen der Mangel ein urſprünglicher iſt, dann iſt bei den Chordatenvorfahren des Amphioxus und der Wirbel— Abb. 73. Schema des Baues einer Aſzidienlarve (4), des Amphioxus (5) und eines niederen Fiſches (Neunauges, ). 1 Rückenmark, 2 Auge, 3 Chorda, 4 Mund, 5 Kiemenſpalten, 6 Endoſtyl, 6° Thymusdrüſe, 7 Darm, „After, 9 Darmdrüſe (Leber), 10 Mündung des Peribranchialraums, deſſen Umfang durch punktierte Linien angedeutet iſt, 11 Herz, 12 Haftpapillen, 46 Mund— cirrhen, 74 Riechgrube. In Anlehnung an Seeliger (A) und Goette (0). tiere die Gliederung erſt ſelbſtändig entſtanden; die Herleitung der Chordatiere geſchieht dann durch ein paar iſoliert ſtehende, artenarme Gruppen, durch Balanoglossus und Cephalodiscus, von nemertinenartigen Vorfahren. Für die Ableitung von ſegmentierten Vorfahren ſprechen ſehr gewichtige Gründe, und zwar kommen als ſolche nicht die ſehr ſpezialiſierten Gliederfüßler, ſondern die Ringelwürmer in primitiveren Formen in Betracht, bei denen das zentrale Nervenſyſtem noch innerhalb der Epidermis liegt. Eine gewichtige Stütze für die Vergleichung von Ringelwürmern und Chordaten bieten die ſegmental angeordneten Nephridien (Nieren— organe) bei beiden. Der Bau der Amphioxusnephridien fordert einen Vergleich mit denen mancher Ringelwürmer geradezu heraus, und auch bei den Wirbeltieren erinnert der Bau der in die Leibeshöhle frei geöffneten Vornierenkanälchen durchaus an Ver— 108 Chordaten und Ringelwürmer. hältniſſe bei den Ringelwürmern; ob freilich die Nephridieu oder die oft mit ihnen ver— bundenen ſegmentalen Geſchlechtsausführgänge der Ringelwürmer in der Vor- und Ur— niere der Wirbeltiere wiederzuerkennen ſind, iſt noch ſtrittig. Das Zentralnervenſyſtem aber liegt bei den Ringelwürmern mit Ausnahme des Oberſchlundganglions ventral vom Darmkanal, bei den Chordaten dorſal davon; es müßte alſo die Rückenſeite der Chorda— tiere der Bauchſeite der Ringelwürmer entſprechen. Als Stütze für eine ſolche zunächſt erſtaunliche Annahme läßt ſich anführen, daß ſich an dotterreichen Eiern, wo die Em— bryonalanlage zunächſt nur eine Seite des ſpäteren Tieres darſtellt, bei den Ringel— würmern (z. B. dem Regenwurm und den Egeln) die Bauchſeite, bei den Chordatieren die Rückenſeite, je mit dem zentralen Nervenſyſtem in der Mittellinie, zuerſt anlegt. Auch die Verhältniſſe des Blutkreislaufes entſprechen einer ſolchen Vergleichung gut: bei Abb. 74. Seeſcheiden (Aſzid ien); links Ascidia mammillata Cuv., rechts Ciona intestinalis L. den Ringelwürmern ſtrömt das Blut im Bauchgefäß von vorn nach hinten, im Rücken— gefäß von hinten nach vorn, bei den Chordaten umgekehrt; bei beiden hat alſo der dem Zentralnervenſyſtem benachbarte Blutſtrom die gleiche Richtung. Eine bedeutendere Schwierigkeit für die Vergleichung bietet nur das Oberſchlundganglion der Anneliden: bei ihnen wird der Mund vom Zentralnervenſyſtem umgeben, bei den Chordaten liegt er ventral davon. Es ſind verſchiedene Hypotheſen aufgeſtellt, um dieſe Schwierigkeit zu beheben: daß der dem Oberſchlundganglion der Ringelwürmer entſprechende Abſchnitt im Zentralnervenſyſtem der Chordaten zugrunde gegangen ſei, oder daß der Mund bei den Chordaten im Vergleich zu dem der Anneliden verlagert ſei. Für keine dieſer Hypotheſen laſſen ſich genügend ſtützende Tatſachen anführen. Immerhin bleibt, unſerer Anſicht nach, die Ableitung der Chordaten von primitiven Ringelwürmern die in jeder Hinſicht am eheſten befriedigende. In der Reihe der Chordatiere ſtellen die Manteltiere, wie ſchon erwähnt, einen rückgebildeten Zweig dar. Amphioxus dagegen dürfte der Vorfahrenform der Wirbeltiere Amphioxus, Wirbeltiere. 109 außerordentlich naheſtehen; man hat ihn mit Recht die dauernde Wirbeltierlarve genannt. Höhere Ausbildung des Stützſyſtems, des Nervenſyſtems, des Verdauungskanals, des Blutkreislaufs ſind es beſonders, wodurch die Fiſche über Amphioxus hinausgehen: das Skelett, das Gehirn, die Darmdrüſen und das Herz zeichnen ſie vor dieſer Urform aus; aber für alle dieſe Organe ſind beim Amphioxus ſchon die Grundlagen vorhanden, die nur weiter ausgebildet worden ſind. Im Gegenſatz zu Amphioxus beſitzen die Wirbel— tiere einen vom übrigen Körper geſonderten Kopf, der im fertigen Zuſtand als un— ſegmentierter Abſchnitt dem ſegmentierten Vorderende des Amphioxus entgegenſteht. Goethe und Oken glaubten zwar, im fertigen Schädel der Wirbeltiere Spuren einer ur— ſprünglichen Entſtehung aus hintereinander liegenden Wirbeln zu finden; dieſe Wirbel— theorie des Schädels hat ſich nicht als ſtichhaltig erwieſen. Aber entwicklungsgeſchichtlich läßt ſich auch hier, wenigſtens in der hinteren Hälfte des Gehirns, eine Segmentierung wahrnehmen, ſowohl am Nervenſyſtem wie in der Muskulatur, und die vom Gehirn abgehenden Nervenpaare bewahren auch beim fertigen Tiere die Spuren dieſer Segmen— tierung (vgl. unten bei Nervenſyſtem). Im Reiche der Fiſche bildet ſich dann das typiſche Skelett der Wirbeltiere, vor allem die Wirbelſäule, erſt aus. Bei den Rundmäulern (Cykloſtomen, mit Neunaugen und Schleimfiſchen) bildet noch die Rückenſaite das Hauptſtützorgan des Körpers, an das ſich knorplige Spangen zum Schutze für das zentrale Nervenſyſtem angliedern; bei den Selachiern (Haifiſchen und Rochen) bildet ſich dann die knorplige Wirbelſäule, indem die Wirbelkörper ſich um die Chorda herum anlegen und dieſe mehr und mehr verdrängen; in der Gruppe der Schmelzſchupper (Ganoiden) kommt es zur Verknöcherung des Innen— ſkeletts. Die Herrſchaft der Chorda und des Knorpelſkeletts wiederholt ſich bei allen höheren Wirbeltieren im Verlauf der Einzelentwicklung. — Von fiſchähnlichen Vorfahren leiten ſich dann die Landbewohner ab, wie die Wiederholung des Kiemenapparats in der Entwicklung (vgl. oben S. 65) beweiſt: zunächſt die Amphibien, die als Larven noch einen zweifelloſen Fiſchzuſtand durchlaufen. Von amphibienartigen Vorfahren ſtammen die Reptilien, und niedere Reptilien haben den Säugern ihren Urſprung gegeben. Die Vögel dagegen ſtammen von ſchon ſpezialiſierten Reptilien; ſie haben mit dieſer Klaſſe ſo zahlreiche Vergleichspunkte behalten, daß man beide als Sauropſiden zuſammenfaſſen oder wohl beſſer noch die Vögel als eine Unterklaſſe in dem ſo ungemein vielgeſtaltigen Reptilienſtamm bezeichnen kann. Jedenfalls werden Reptilien, Vögel und Säuger durch die große Ahnlichkeit ihrer Entwicklung vereinigt: die Bildung ſchützender Hüllfalten, aus denen das Amnion hervorgeht, und die Verwendung einer erweiterten Darmaus— ſtülpung, der Allantois, zur Atmung für den Embryo (Abb. 48 S. 85) ſind ſo eigen— artige Erſcheinungen und zeigen in ihrer Entſtehung bei dieſen Gruppen ſo große Ahnlichkeit, daß ſie nur von einem gemeinſamen Vorfahren ererbt, nicht aber ſelbſtändig erworben ſein können. Man faßt daher dieſe drei Klaſſen als Amniontiere, Amnioten zuſammen und ſetzt ſie in Gegenſatz zu den Fiſchen und Amphibien, die als Anamnier bezeichnet werden. Die Säuger unmittelbar von Amphibien abzuleiten, wie es manche wollen, erſcheint aus ſolchen Gründen unmöglich. In der ganzen phylogenetiſchen Rekonſtruktion des Stammbaumes der Tiere liegt, wie dieſe Darlegungen zeigen, im einzelnen unendlich viel Hypothetiſches. Es ſind große Lücken vorhanden, die jo oder fo überbrückt werden können, Ähnlichkeiten, die verſchiedene Deutung geſtatten, Verſchiedenheiten, die als weſentlich oder geringfügig aufgefaßt werden können. Ja man kann ſagen, daß es kaum zwei Zoologen gibt, die im einzelnen über 110 Konkurrenz von Vererbung und Anpaſſung. alle Punkte der Tierverwandtſchaft gleicher Anſicht wären. Deshalb bietet auch die hier gegebene Darſtellung durchaus nur eine der möglichen Anſchauungen, wie ſie eben nach der ſubjektiven Anſicht des Verfaſſers am meiſten Wahrſcheinlichkeit hat. Aber dieſe Meinungsverſchiedenheiten im einzelnen haben mit der Grundanſchauung, mit der Annahme der Abſtammungslehre nicht das geringſte zu tun. Dieſe Lehre fordert zwar den verwandtſchaftlichen Zuſammenhang der Tiere, aber ſie wird nicht dadurch erſchüttert, daß die ſichere Ableitung des Stammbaums ſtellenweiſe auf Schwierigkeiten ſtößt. Daher können auch ſolche Auffaſſungsunterſchiede nicht gegen die Abſtammungslehre ins Feld geführt werden: ſie iſt und bleibt eine wohlbegründete Theorie. Im Bau der Tiere finden wir überall die Spuren ihrer Herkunft von andersgeſtal— tigen Vorfahren. Jedes Organ iſt in ſeinem Bau doppelt bedingt: durch ſeine Ge— ſchichte und durch ſeine Verrichtung; von den Vorfahren ererbte und in Anpaſſung an die Funktion erworbene Eigentümlichkeiten durchflechten ſich in ihm zu einer Einheit. Der Aufbau der Organe iſt geradezu hervorgegangen aus dem Streit des konſervativen Elementes der Vererbung und des fortſchrittlichen Elementes der Anpaſſung. Aber das letztere erweiſt ſich als das mächtigere und hat in vielen Fällen die Spuren palingene— tiſcher Reminiſzenzen faſt ganz verwiſcht. So tritt der Zuſammenhang zwiſchen Bau und Geſchichte gerade bei den höchſtentwickelten Tieren mehr und mehr zurück gegenüber dem zwiſchen Bau und Verrichtung. „Lebensäußerung und Bau verhalten ſich zueinander wie die zwei Seiten einer Gleichung. Man kann keinen Faktor, auch nicht den kleinſten, verändern, ohne die Gleichung zu ſtören“ (Leuckart). Das wird uns in den folgenden Betrachtungen auf Schritt und Tritt entgegentreten. Erftes Buch Statik und Mechanik des Tierkörpers 113 A. Körperform und Bewegung bei den Einzelligen. 1. Amöboide Körpergeltalt und Bewegung. Die äußere Körpergeſtalt iſt der ſinnenfälligſte Ausdruck für die Eigenart, die eine Gruppe von Lebeweſen miteinander gemein haben. Mit Recht wird ſie als erſtes und wichtigſtes Merkmal zur Kennzeichnung einer Organismenart benutzt; denn ſie iſt zugleich der Ausdruck zahlreicher innerer Eigentümlichkeiten: ſie beruht auf der Beſchaffenheit und Anordnung der Beſtandteile, die den Körper aufbauen, und in dem Maße, als dieſe bei verſchiedenen Tierarten voneinander abweichen, wird auch die Körpergeſtalt verſchieden ſein. Beſchaffenheit und Anordnung der Beſtandteile bedingen in jedem Einzelfalle die Statik des Körpers, die Art wie ſich der Körper in ſich trägt, wie ſeine Form zuſtande— kommt. Bei den Protozoen ſind es die Einzelteile des Zelleibes, auf deren Beſchaffenheit und Anordnung die Geſtalt beruht. Eine Zelle iſt ein Tröpfchen des Protoplasma, alſo einer zähflüſſigen Subſtanz. Die Geſtalt, die ein iſoliertes Tröpfchen einer zähflüſſigen Maſſe von gleichartiger Beſchaffenheit annimmt, iſt durch mechaniſche Geſetze beſtimmt. Einerſeits hängt ſie ab von den in der Maſſe wirkenden Kräften der Kohäſion; andrer— ſeits aber wird ſie durch die Verhältniſſe mit bedingt, die von außen auf den Tropfen einwirken, wie die Schwerkraft, die Wechſelbeziehungen zwiſchen der Subſtanz und den feſten, flüſſigen oder gasförmigen Stoffen in ihrer Umgebung, die Form der Unterlage. Im einfachſten Falle, wenn nämlich dieſe äußeren Einflüſſe allerſeits die gleichen ſind — wie etwa bei einem Oltropfen, der in einer Flüſſigkeit von der gleichen Dichte ſchwebt — nimmt der Tropfen Kugelgeſtalt an, alſo jene Geſtalt, die bei gegebener Maſſe die ge— ringſte Oberfläche darbietet. Es iſt die überall gleiche Spannung ſeiner Oberfläche, die dieſe Geſtalt herbeiführt. In ähnlicher Weiſe iſt auch die Geſtalt der Zellen von ganz beſtimmten Bedingungen abhängig. Wenn aber verſchiedene Zellen unter gleichen äußeren Verhältniſſen verſchiedene Geſtalt haben, ſo weiſt das darauf hin, daß die inneren Be— dingungen in dieſen Zellen verſchieden ſind; der Mannigfaltigkeit der Formen ent— ſpricht dann eine gleichgroße Mannigfaltigkeit in Beſchaffenheit und Anordnung der Zellbeſtandteile. Eine nackte Zelle, deren Subſtanz von keiner äußeren Membran umfaßt wird, läßt ſich am eheſten mit einem zähflüſſigen Tröpfchen vergleichen. Wenn die äußeren Bedingungen allerſeits in gleicher Weiſe auf ſie einwirken, können wir erwarten, daß ſie Kugelgeſtalt annimmt. Dies iſt denn auch die Geſtalt der frei im Waſſer ſchwebenden hüllenloſen Protozoen, der Sonnentierchen (Heliozoen) und Strahltierchen (Radiolarien). Kugelgeſtalt nehmen auch nackte Protozoen an, die ſich den Reizen der Umgebung durch Bildung einer äußeren Kapſel entziehen, um in einen Ruhezuſtand einzugehen, z. B. ein— gekapſelte Amöben. Unregelmäßig wird jedoch die Form nackter Zellen, die ſich an der Grenze zweier Medien aufhalten, etwa am Boden des Waſſers, wo ſie auf einer Seite von der feſten Unterlage, auf der anderen vom Waſſer beeinflußt werden; da aber auch Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 8 Amöboide und formbeſtändige Protozoen. 8 die Beſchaffenheit der Unterlage nicht überall, wo ſie mit ihr in Berührung kommen, genau die gleiche zu ſein braucht und ebenſo die Beſchaffenheit des Waſſers in ihrer Umgebung wechſeln kann, ſo ſind ſie einer großen Mannigfaltigkeit von Bedingungen ausgeſetzt. Die Obenflächenſpannung, die ihre Geſtalt bedingt, wird dadurch verſchieden beeinflußt, ſie wird hier größer, dort geringer. Die Formen einer nackten Zelle ſind daher ſo mannigfach wie die jeweilige Kombination der auf ſie wirkenden äußeren Be— dingungen. Daher ſind kaum je zwei Individuen, oder zwei Zuſtände desſelben Indi— viduums zu verſchiedenen Zeiten einander gleich, ausgenommen die erwähnte Einkugelung zum Ruhezuſtand. Solche Zellen heißen amöboid. Wir begegnen der amöboiden Körperform häufig in der Reihe der Protozoen, beſonders bei den Wurzelfüßlern (Rhizo— poden) und bei manchen Geißeltierchen. Trotz ihrer Veränderlichkeit ſind die Geſtalten bei den einzelnen Arten charakteriſtiſch. Eine äußere körnchenloſe Schicht des Proto— plasmas, das Ektoplasma, bildet eine elaſtiſche Hülle um das innere, körnchenreiche Entoplasma; deren größere oder geringere Zähflüſſigkeit, ihre nach den Arten wechſelnde Gerinnungsfähigkeit bei Berührung mit Waſſer, ihre verſchiedene Reaktionsfähigkeit auf äußere chemiſche und mechaniſche Einflüſſe ſind es wahrſcheinlich, wovon die Eigenart der Geſtalt abhängt. Meiſt aber haben die Protozoen eine feſte äußere Geſtalt, in der ſie entweder ſtetig verharren oder in die ſie zurückkehren, wenn durch vorübergehend wirkende innere oder äußere Kräfte, durch Kontraktionen des Körpers oder durch mechaniſchen Druck eine Geſtaltveränderung verurſacht war. Die Formbeſtändigkeit beruht auf der Anweſenheit einer elaſtiſchen Hülle, einer Pellicula, die das Protoplasma überzieht und vermöge ihrer Elaſtizität immer wieder in die gleiche Geſtalt zurückzwingt. Zuweilen wird die Form— beſtändigkeit durch innere Verſteifungen erhöht, z. B. durch feſte Fäden, die zwiſchen gegenüberliegenden Punkten der Pellicula ausgeſpannt ſind. So iſt es bei der Mehr— zahl der Protozoen, beſonders bei vielen Geißeltierchen und dem großen Heer der Wimperinfuſorien. Meiſt iſt die Pellicula zart; ſie kann aber auch ſo dick werden, daß ſie wie ein Panzer wirkt und jede auch nur vorübergehende Formveränderung behindert; jo iſt es z. B. bei den Dinoflagellaten (Abb. 510), oder bei den Euplotes-Arten unter den Wimperinfuſorien. Solche Panzer ſind Schutzeinrichtungen, wie ſie auch vielen nackten Protozoen in Schalen und Skeletten verſchiedenſter Art zukommen. Der Verſchiedenheit in der Körperbeſchaffenheit der Protozoen entſpricht auch die Verſchiedenheit in ihren Bewegungen, insbeſondere in der Ortsbewegung. Bei den nackten Formen iſt es die Formveränderlichkeit des Geſamtkörpers, die oft eine beſondere Art der Ortsbewegung zuläßt. Dieſe amöboide Bewegung kann man geradezu als ein Weiterfließen bezeichnen: es ſtrömt an einer oder mehreren Stellen des Zellumfangs ein Protoplasmalappen auf der Unterlage vorwärts, an anderen Stellen werden ſolche ein— gezogen; indem ſich zahlreiche ſolche Lappen in der gleichen Richtung erſtrecken, bewegt ſich der ganze Zelleib langſam nach dieſer Seite fort. Dieſe Protoplasmalappen ſind wie Füßchen, die den Körper nachziehen; man hat ſie als Scheinfüßchen (Pſeudopodien) bezeichnet. Die Pſeudopodien haben bei den verſchiedenen Gruppen von Wurzelfüßlern ihre beſondere Geſtalt. Bei den Amöben ſind ſie lappig, und zwar bei den einzelnen Arten wieder von verſchiedenem Ausſehen: bei Amoeba verrucosa Ehrbg. kurz, breit und plump, bei A. proteus Leidy ſchlanker und länger, dünn und ſpitz bei A. radiosa Duj.; bei den Foraminiferen ſind ſie äußerſt feine Fädchen, die oft miteinander ſtreckenweiſe verſchmelzen und Netze bilden; ähnlich, aber nicht verſchmelzend, ſind die Pſeudopodien Amöboide Bewegung. 115 der Heliozoen und Radiolarien. Die Bewegung mittels der Pſeudopodien geſchieht durchaus nicht immer in der gleichen Richtung: nach dieſer und jener Seite werden ſie ausgeſandt, und der Körper kann ſich dabei bald hier-, bald dorthin bewegen. Die Amöben nehmen bei ſchnellerer Fortbewegung nach der gleichen Richtung in der Regel eine blatt- oder tränenfürmige Geſtalt an, mit der Längserſtreckung in der Bewegungs— richtung; Pſeudopodien nach verſchiedenen Seiten werden dabei nicht gebildet, ſondern das vorfließende breitere Ende iſt gleichſam ein einziges Pſeudopodium. Foraminiferen vermögen nicht ſich in ſolcher Weiſe zu bewegen; bei ihnen ſind es ſtets die Pſeudo— podien, die den Körper fortziehen. Bei Heliozoen und Radiolarien dienen die Pſeudo— podien nicht der Ortsbewegung. Die genauere Unterſuchung zeigt, daß die amöboide Fortbewegung nicht immer in ganz gleicher Weiſe zuſtande kommt. Bei Formen mit leichter flüſſigem Ektoplasma, wie bei der im Darm der Küchenſchabe ſchmarotzenden Amoeba blattae Bütschli und bei der Gattung Pelomyxa iſt das Ektoplasma in fließender Bewegung derart, daß in der Mittellinie der Unterſeite ein Strom nach vorn läuft, ſich dort teilt und an den Seiten rückwärts läuft; dieſe Strömungen der durchſichtigen Außenſchicht werden dem Beobachter dadurch ſichtbar, daß durch die Bun > Bemwegungsrichtung Reibung Körnchen des angrenzenden N Entoplasmas mitgeriſſen werden. Die Strömungen bewirken durch Reibung an der Unterlage die Fort— bewegung. Dagegen iſt bei anderen Ba x 1 Formen, deren Ektoplasma eine Abb. 75. Schema der Bewegungen einer kriechenden Amöbe, 4 her von der Seite. Die Pfeile zeigen die Richtung des Strömens, die mehr verfeſtigte, geronnene Ober- tängeren bezeichnen schnellere Strömung. Das Vorderende ift dänn und Bm e e Bewegung mehr ein Rollen, der abe zeigen die aufeinander folgende Lage des Vorderrandes. Die punk— E 2 2 3 tierte Linie zeigt die Stellung der Amöbe wenig ſpäter. Nach Jennings. Bewegung eines Rades vergleichbar: die Amöbe wälzt ſich vorwärts (Abb. 75); ein beſtimmter Punkt der Oberfläche, der zunächſt am hinteren Ende liegt, wandert nach oben und vorn, am vorderen Ende dann abwärts, und da, wo er jetzt die Unterlage berührt, bleibt er liegen, bis die Amöbe jo weit fortgerollt iſt, daß er am Hinterrande der unteren Fläche wieder losgelöſt wird und die Auf- und Vorwärtsbewegung von neuem beginnt. Dabei flacht ſich der Zelleib gegen den Vorderrand zu ab und liegt der Unterlage an, am Hinterende iſt ſie dicker und eine Strecke weit von der Unterlage losgelöſt. Je zäher die Außenſchicht iſt, um jo deutlicher wird dieſes Rollen; am auffälligſten iſt es vielleicht bei Amoeba verrucosa Ehrbg., deren Oberfläche ſchon durch ihre Unebenheit die zähe Beſchaffenheit des Ekto— plasmas verrät. Die Veranlaſſung zu dem Strömen des Zellinhalts nach beſtimmten Richtungen ſcheint durch Veränderungen gegeben zu werden, die in der Spannung an einzelnen Stellen der Oberfläche eintreten. Äußere oder innere phyſikaliſche oder chemiſche Ein— flüſſe können eine lokale Verringerung dieſer Spannung bewirken, und dann muß, infolge des Oberflächendrucks, der Zellinhalt nach der Stecke geringerer Spannung ab— fließen. Eine ſolche Wirkung ſcheint z. B. der galvaniſche Strom zu haben, der eine Amöbe zwingt, in der Richtung der Kathode, des negativen Poles, zu „kriechen“. Auch die öfter wiederholte Beobachtung, daß eine größere Amöbe auf eine kleinere Jagd macht, läßt ſich vielleicht ſo erklären, daß die chemiſchen Beſtandteile der Kriechſpur auf 8 * 116 Bewegung der Protozoen durch Geißeln und Wimpern. die Oberflächenſpannung der Verfolgerin da, wo ſie mit ihr in Berührung kommt, herabmindernd wirkt und ſo ein Fließen der letzteren nach dieſer Richtung, ein Nach— kriechen, mit Notwendigkeit auslöſt. Künſtliche Schaumtropfen kann man durch lokale Herabſetzung der Oberflächenſpannung zu amöbenartigen Bewegungen veranlaſſen, die ganz die gleichen Strömungsbilder zeigen wie die Bewegungen der Amöben. Die Geſchwindigkeit, mit der eine beſtimmt gerichtete Fortbewegung bei Amöben und ähnlichen Protozoen vonſtatten geht, iſt recht verſchieden. Am langſamſten bewegt ſich wohl auf dieſe Weiſe Trichosphaerium, ein den beſchalten Amöben verwandter Wurzelfüßler: er wälzt ſich ſo langſam fort, daß die Wegſtrecke in einer Stunde nur etwa ½o mm betragen würde. Aber auch die beweglicheren Amöben ſind nicht ſchnell: die zähflüſſige Amoeba verrucosa Ehrbg. würde in der Stunde noch nicht 2 mm, Amoeba limax Duj. etwa 3½ mm, A. geminata Penard 5 mm und mehr an Weg zurücklegen. 2. Bewegungsarten bei formbeſtändigen Protozoen. Wo aber eine elaſtiſche Zellhaut das Protoplasma in beſtimmte Formen zwängt, da iſt eine amöboide Bewegung nicht möglich. Man kann zwar in manchen Infuſorien eine Rotation des Protoplasmas im Zellinneren an der Strömung der darin enthaltenen Körnchen u. dgl. erkennen, beſonders deutlich bei manchen Paramaecium-Arten; aber damit kommt es nicht zu einer Fortbewegung. Bei den formbeſtändigen Protozoen ſind beſondere Bewegungswerkzeuge vorhanden, die ſich zuckend bewegen, während der übrige Körper ſeine Geſtalt mehr oder weniger unverändert beibehält: es ſind bewegliche Plas— mafäden, die Geißeln und Wimpern; ſie treiben dieſe nur im Waſſer lebenden Tiere vorwärts wie die Ruder den Kahn. Der großen Verbreitung dieſer beweglichen Protoplasmafäden bei den Einzelligen entſpricht die Verſchiedenheit der Ausbildung, in der ſie auftreten. Entweder ſind es längere und dickere Fäden, die nur in der Ein- oder Zweizahl, ſelten zu dreien an einer Zelle vorkommen, wie die Geißeln der Flagellaten. Oder ihre Größe iſt geringer und ſie treten in großer Zahl als ſogenannte Wimper- oder Flimmerhaare auf, die bei den Wimperinfuſorien (Ciliata) allgemein verbreitet ſind. Die Wimpern können wiederum bündel- oder reihenweiſe miteinander verkleben zu ſogenannten Cirren oder zu undulieren— den Membranen. Auch die Bewegungen dieſer Plasmafäden ſind wechſelnd: die häufigſten Formen des Cilienſchlages kann man als hakenförmig, wellenförmig und trichterförmig bezeichnen; doch gibt es allerhand Übergänge von einer Form zur andern und Kombinationen verſchiedener Formen. Die Geißeln der Flagellaten z. B. bewegen ſich meiſt wellenförmig, jedoch ſo, daß die Biegungen der Geißel nicht in einer Ebene liegen, ſondern pfropfenzieherartig in einer Spiralbahn verlaufen. Dabei ſchreiten eine oder mehrere Schlängelungen von der Spitze der Geißel gegen den Zellkörper vor, und durch den Widerſtand des Waſſers nach vorn gedrängt, ziehen ſie den Zellkörper nach; es geht alſo bei der Bewegung der Flagellaten die Geißel voran. Peitſchenförmige Be— wegungen der Geißel dagegen dienen dazu, die Richtung des Schwimmens mit einem Ruck zu verändern. Dagegen iſt die Bewegung der Wimpern im allgemeinen haken— förmig: auf ein ſchnelles Einknicken folgt ein langſames Aufrichten. Indem zahlreiche Wimpern ſo in der gleichen Richtung ſchlagen, treiben ſie, wie unzählige Ruder, den Korper im entgegengeſetzten Sinne vorwärts. Beim Schwimmen im freien Waſſer drehen ſich die Infuſorien um ihre Längsachſe; wenn ſie ſich jedoch, wie viele tun, mehr gleitend Wimperbewegung. 117 als ſchwimmend auf der Unterlage bewegen, unterbleibt dieſe Drehung. Manche In— fuſorien vermögen ſich ſpringend fortzubewegen, z. B. Cyelidium und Halteria; dieſe Sprünge kommen ebenſo zuſtande wie die Schwimmbewegungen: das Infuſor liegt mit ſeinen ſtarr ausgeſtreckten, beſonders langen Wimpern ruhig da, und durch plötzliches, gleichzeitiges Einknicken derſelben ſchleudert es ſich fort, um wieder ruhig zu liegen. Bei den hypotrichen Infuͤſorien ſtehen die Wimpern nur auf der Bauchſeite und find meiſt bündelweiſe zu Cirren verſchmolzen; mit Hilfe dieſer Cirren können die Tierchen wie mit zahlreichen Beinchen auf der Unterlage hinlaufen (vgl. Stylonychia, Taf. 7). Man hat viel darüber nachgedacht, wie die Bewegung der Wimpern zuſtande kommt. Sicher iſt ſie autonom, d. h. die bewegenden Kräfte ſitzen in der Wimper ſelbſt; denn auch abgetrennte Wim— pern vermögen noch zu ſchlagen. Am wahrſchein— lichſten iſt die Annahme, daß ſich die Wimper aus zwei Subſtanzen zuſammen— ſetzt, einer zuſammenzieh— baren, aktiven und einer elaſtiſchen, paſſiven Sub— ſtanz, von denen die erſte die Einknickung, letztere die Streckung bewirkt. In der Tat iſt es auch hier und da gelungen, zweierlei Sub— ſtanzen an den Wimpern zu beobachten. Keineswegs iſt die Be— wegung mittels ſchlagender Protoplasmafäden von der Protoplasmaſtrömung der e mtr stnmtrenhen Bienbopehten tifnberektun sure kam N Pſeudopo Pſeudopodium, 2 eine Alg zoen grundverſchieden. Einer- zelle, die von einer Anzahl Pſeudopodien erfaßt iſt. Nach Schaudinn. ſeits finden ſich beide Bewegungsarten zuweilen bei demſelben Tier: wir treffen Amöben mit Geißeln (Mastigamoeba Abb. 49 S. 85) und Sonnentierchen mit Geißeln (Dimorpha Abb. 50). Andrerſeits gibt es Zwiſchenformen, die zwiſchen Pſeudopodium und Geißel die Mitte halten und Eigenſchaften beider vereinigt zeigen. Bei einem Wurzelfüßler der Nordſee, Trichosphaerium, und einer den Heliozoen naheſtehenden Wurzelfüßlerform, Camptonema nutans Schaud. (Abb. 76), ſind die einziehbaren Pſeudopodien, die aller— dings nicht der Ortsbewegung dienen, fähig zur Ausführung kreiſender Bewegungen; ja bei der letzteren knicken ſie ſogar bei Berührung an der gereizten Stelle hakenförmig ein, um ſich dann langſam wieder aufzurichten. Die Bewegung durch Geißeln und Wimpern iſt keine beſonders kräftige und vermag nur Tiere mit geringem Übergewicht, im allgemeinen nur ſehr kleine Tiere frei im Waſſer zu tragen. Die Maße der Flagellaten zählen meiſt nur nach hundertſtel Millimetern, und nur die Euglena-Arten, die ihr Schwimmen durch Schlängelungen des Körpers unter— ſtützen können (Taf. 7, rechts unten), erreichen eine Länge von mehr als 0,1 mm, einzelne 118 Kraft der Wimperbewegung; Myoneme. (Euglena oxyuris Schmarda) faſt bis 0,4 mm. Kräftiger als die Bewegung durch; Geißeln iſt die mittels Wimpern. Durch fein ausgedachte Verſuche hat Jenſen die abſolute Kraft des Wimperinfuſoriums Paramaecium aurelia Ehrbg. feſtgeſtellt: dieſes vermag durch den Schlag der ſeinen Körper bedeckenden Wimpern das Neunfache ſeines im Waſſer erleichterten Gewichts zu heben. Paramaecium mißt etwa / mm in der Länge. Denken wir uns ein ſolches Tierchen vergrößert, ſo wächſt die Maſſe verhältnis— mäßig ſchneller als die Oberfläche: bei neunfacher Länge iſt die Oberfläche 81, die Maſſe 729 mal jo groß geworden. Mit der Oberfläche iſt die Zahl der Wimpern und damit auch deren Geſamtleiſtung im gleichen Maße gewachſen; es kommt alſo jetzt auf die gleiche Wimperkraft die Hfache Maſſe. Ein ſolches Tier von 2½ mm Länge könnte ſich alſo eben noch durch die Kraft ſeiner Wimperung im Waſſer ſchwebend erhalten, würde aber keine Kraft mehr zur Überwindung des Waſſerwiderſtandes für die Vor— wärtsbewegung verfügbar haben. So ſind denn auch nur wenige Infuſorien mit ganz bewimpertem Körper (holotriche und heterotriche Infuſorien) größer als Paramaecium; hauptſächlich ſind es ſolche, die einen abgeflachten Körper und daher eine verhältnismäßig große Oberfläche haben, wie der blattartig flache Loxodes rostrum Ehrbg., der bis ½% mm lang wird. Bursaria truncatella Müll., die % mm erreicht, iſt in ihren Be— wegungen auffällig langſam und ſchwerfällig. Dagegen ſind die nur teilweiſe bewimperten hypotrichen und peritrichen Infuſorien, bei denen die Bewimperung auf die Unterſeite bzw. auf eine oder zwei Wimperzonen beſchränkt iſt, viel kleiner und kommen, ſo weit fie frei zu ſchwimmen vermögen, über ½ mm nicht hinaus; nur die auf der Unterlage „laufenden“ Hypotrichen (wie Stylonychia vgl. Taf. 7) können “ mm und etwas mehr erreichen. Daß eine ſolche Einſchränkung der Größe nicht in der Natur der Protozoen als einzelliger Tiere liegt, zeigen die Ausmaße, die andere Protozoen erreichen: die amöbenartige Pelomyxa palustris Gr. kann 2 mm im Durchmeſſer haben; unter den Foraminiferen erreichten die Nummuliten einen Durchmeſſer ihres Gehäuſes von mehreren Zentimetern; von den im Waſſer ſchwebenden Sonnen- und Strahltierchen (Heliozoen und Radiolarien) haben Actinosphaerium eichhorni St. bis 1 mm, Aulosphaera 1,5 bis 2 mm, Thalassicolla bis 3 mm Durchmeſſer. — Die Geſchwindigkeit iſt bei der Wimperbewegung eine große im Vergleich zur amöboiden Bewegung: Paramaecium legt in der Sekunde 1— 1,4 mm, alſo in der Stunde eine Strecke von 3½ — 5 m zurück. Bei der Beobachtung dieſer Tierchen im Mikroſkop erſcheint ihre Geſchwindigkeit aller— dings viel größer, aber man darf nicht vergeſſen, daß die zurückgelegten Strecken hier ebenſo ſtark vergrößert werden wie die Tiere ſelbſt. Noch einer dritten Art der Bewegung begegnen wir bei den Protozoen: beſonders bei zahlreichen Wimperinfuſorien, aber auch bei manchen Radiolarien und bei den para— ſitiſchen Gregarinen finden ſich im Protoplasma nahe der Körperoberfläche fadenartige Bildungen, die ſich auf beſtimmte Reize hin durch Zuſammenziehung verkürzen und wieder ausſtrecken. Sie haben alſo die gleiche Fähigkeit wie die Muskelfaſern der Metazoen; mit dieſen hat man fie auch verglichen und ſie als Muskelfäden oder Myo— phanfäden (Myoneme) bezeichnet. Sie ſind imſtande, durch ihre Tätigkeit die Körper— form des Tierchens ſtark zu verändern; die Zuſammenziehungen der Trompetentierchen (Stentor) beruhen auf dem reichlichen Vorhandenſein ſolcher Fäden, die in leichter Spirale in der Längsrichtung des Körpers verlaufen (vgl. Taf. 7). Auch das ſpiralige Zuſammenziehen des Stieles der Glockentierchen (Vorticella, Taf. 7 links unten) wird in dieſer Weiſe bewirkt: auf der Innenfläche der zylindriſchen elaſtiſchen Wand des Bewegung der Gregarinen. 119 Stieles zieht ſich in ſteiler Spirale ein Myophanfaden herab, der der Wand überall anhaftet; durch Kontraktion des Fadens wird alſo die Wandung in dieſer Linie am am ſtärkſten verkürzt; der Stiel würde kreisförmig eingebogen, wenn der Faden gerade in ſeiner Wand verliefe; da dieſer aber eine Spirale beſchreibt, wird der Stiel in eben ſo viele korkzieherartige Windungen gezwungen, wobei der ſtärkſt verkürzte Teil ſeiner Wand der Achſe der Spirale zugekehrt iſt. Bei den Gregarinen kann durch Hin- und Herbewegen des Körpers mittels der Myophanfäden auch eine fortſchreitende Bewegung hervorgerufen werden. Die geradlinigen Ortsbewegungen der Gregarinen, die der Beobachtung leicht zu— gänglich ſind, kommen auf eine ſehr ſonderbare Weiſe zuſtande. Läßt man nämlich eines dieſer Sporozoen in einer mit Tuſchekörnchen verſetzten Flüſſigkeit kriechen, jo er— kennt man, daß es eine helle Spur hinterläßt. Dieſe beſteht aus gallertigen Fäden, die von der Oberfläche der Gregarine abgeſchieden werden und bei der Berührung mit Waſſer erſtarren. In den Furchen der Oberfläche werden dieſe Fäden gegen das Hinter— ende des Tieres geleitet und vereinigen ſich dort zu einem Hohlzylinder, der ſich der Unterlage anheftet und die Kriechſpur bildet. Indem nun durch fortwährende Abſcheidung der gallertigen Subſtanz die Fäden immer verlängert werden, ſchiebt ſich der Körper entſprechend vorwärts. Eine beſonders ſchnelle Gregarinenart legt ſo einen Millimeter in drei Minuten zurück; meiſt find aber dazu 9—10, ja jelbit 25 Minuten erforderlich. Sobald der unter der Kutikula angehäufte Vorrat an Gallerte verbraucht iſt, muß die Gregarine ſo lange in Ruhe verharren, bis er wieder erſetzt iſt. Es iſt bezeichnend, daß eine ſo verſchwenderiſche Art der Fortbewegung bei einem Schmarotzer vorkommt, dem ſtets Nahrung im Überfluß zum Erſatz der verbrauchten Stoffe zur Verfügung ſteht. B. Rörpergeſtalt und Bewegung bei den Metazoen. 1. Allgemeine Bemerkungen über das Stützgerüft des Metazoèn- körpers. Wenn es zur mechaniſchen Feſtigung der Einzelzelle des Protozoenleibes nur weniger Mittel bedurfte, jo ſind bei den Metazosn kompliziertere Einrichtungen nötig, um das Gewicht des Körpers zu tragen und ſeine Teile in der gegenſeitigen Lage zu erhalten; ſie müſſen um ſo komplizierter ſein, je größer das Gewicht, je mannigfaltiger die Teile ſind. Im Waſſer, wo ſich das Gewicht des Körpers um das Gewicht der verdrängten Waſſermaſſe vermindert, können daher die Stützeinrichtungen viel einfacher ſein als in einem weniger dichten Medium. Tiere von ſo wenig feſtem Aufbau wie Quallen ſind in Luftumgebung nicht denkbar; wirft die Welle eine Meduſe ans Ufer, ſo iſt von den graziöſen Umriſſen des Schirmes und Mundſtiels, von den flottierenden Tentakeln und den gefällig geſchnittenen Randlappen nichts mehr übrig als ein formloſer Gallert— klumpen. Die Komplikation des Stützapparates erhöht ſich auch mit zunehmender Be— weglichkeit der Tiere: Feſtigkeit der Körperformen und Beweglichkeit ſind eigentlich Gegenſätze; damit ſie ſich vereinbaren laſſen, ſind beſondere Einrichtungen in Bau und Anordnung der Stützorgane notwendig. Eine wirkliche Unbeſtändigkeit der Form, einen fortwährenden Formwechſel nach Art der Amöben, haben wir bei den Metazoen nicht. Der Körper iſt ſtets von einer zelligen Oberhaut (Epidermis) überzogen, die ſchon für ſich allein genügt, die Teile 120 Stützgerüſte. des Körpers zuſammenzuhalten. Ja in manchen Entwicklungszuſtänden von geringer Größe beſteht der ganze Körper nur aus zelligen Häuten: ſo iſt die Blaſtula (Abb. 53 S. 88) eine Hohlkugel, deren Wand durch ein einſchichtiges Epithel gebildet wird; die Gaſtrula beſteht aus zwei ineinander geſchachtelten und miteinander an der Baſis ver— bundenen Epithelkuppeln. Hier wird die Erhaltung der Geſtalt einfach durch die Form der den Körper aufbauenden Zellen und die Art ihrer Zuſammenfügung gewährleiſtet. Werden aber die Tiergeſtalten weniger einfach, ſo genügt die bloße Zuſammen— kittung der Oberflächenzellen und der damit erreichte Spannungszuſtand nicht mehr, um den Körper genügend zu feſtigen. Es ſind dann die Zwiſchenräume zwiſchen den Zellen— häuten mit Maſſen ausgefüllt, die ſich an der Feſtigung mehr oder weniger beteiligen. Dieſe Füllmaſſen ſind teils Abſcheidungen der benachbarten zelligen Wände, wie die gallertigen Stützlamellen der Coelenteraten (Abb. 54 S. 90). Meiſt aber ſind es die Zellmaſſen des mittleren Keimblatts, und zwiſchen dieſen tritt eine Arbeitsteilung derart ein, daß die Stützung des Baues von beſonderen Zellen übernommen wird; dieſe bilden die Grundlage für die Gerüſt- und Bindegewebe. Mehr oder weniger lockeres Binde— gewebe kann die geſamte Stützmaſſe des Körpers abgeben, wie bei den Plattwürmern und vielen Weichtieren. Beſonders oft legt ſich der äußeren Zellſchicht, der Epidermis, eine beſondere Lage von Bindeſubſtanz zu ihrer Verſteifung an, die Kutis oder Lederhaut. Dieſe bildet dann zuſammen mit der Epidermis die äußere Haut, beſonders bei den Stachelhäutern, Weichtieren und Wirbeltieren. Wo durch Starrwerden der äußeren Haut die Feſtigung des Körpers bewirkt wird, kann es entweder die Epidermis ſein, die zu Stützgebilden ſich umwandelt, oder die Kutis. Innere Körperſtützen ſind in der Regel Umwandlungen meſodermaler Zellen. So kommt es zum Aufbau eines Körpergerüſtwerks, an dem wir von den gallertigen, waſſerreichen Maſſen der Quallen und dem Horngerüſt des Badeſchwammes bis zu den riffbildenden Kalkſkeletten der Korallen, von den dünnen Kutikularbildungen eines Wurmes bis zum maſſigen Krebspanzer, von den unzuſammenhängenden Kalkkörperchen in der Lederhaut der Seegurken (Holothurien) zu den ſtachelſtarrenden Gehäuſen der Seeigel, von der einfachen Rückenſaite (Chorda) des Neunauges bis zu dem aus zahlreichen harten Einzelteilen beſtehenden Gerippe eines Löwen eine unendliche Menge von wechſeln— den Ausbildungen finden. Das äußere, mittlere, ja ſelbſt das innere Keimblatt (bei der Rückenſaite der Wirbeltiere) beteiligen ſich an der Bildung des Stützgerüſtes. Die ab— geſchiedenen Gallertmaſſen und die Kutikularſubſtanzen können durch Mineralbeſtandteile, wie Kalkſalze oder Kieſelſäure, eine ungemeine Feſtigkeit erlangen. Die ſtützenden Zellen des Bindegewebes differenzieren in ihrem Körper faſerige, oft ſehr widerſtandsfähige Gebilde, oder ſie umgeben ſich mit derben Zellhäuten und erlangen dadurch größere Feſtigkeit, oder auch ſie werden der Mutterboden einer reichlichen Zwiſchenmaſſe und bilden knorpelartige Gewebe, die wiederum durch eingeſtreute Faſerbildungen oder Kalkein— lagerungen noch weiter gefeſtigt werden und die Grundlage zur Knochenbildung abgeben können. Eine wichtige Rolle beim Stützen des Körpers und Feſthalten ſeiner Geſtalt ſpielt der Flüſſigkeitsdruck im Innern, der Turgor. Wie ein Weinſchlauch im gefüllten Zu— ſtande eine ganz beſtimmte Geſtalt hat, ſo wird auch bei manchen Tieren die Geſtalt nur durch den Turgor erhalten. Ein Spulwurm z. B., der im unverletzten Zuſtande einen elaſtiſchen, ſtraffen Körper beſitzt, ſinkt ſofort in ſich zuſammen und wird ſchlaff und formlos, ſobald man ſeinen Körper anſticht, wobei die das Innere füllende Flüſſig— Turgor. Skelette. 121 keit in ſcharfem Strahle herausſpritzt. Ein Regenwurm oder ein Tintenfiſch, die im Leben glatte Formen beſitzen, ſinken zuſammen, wenn mit dem Tode die Muskeln er— ſchlaffen und damit der Flüſſigkeitsdruck aufhört. Auch einzelne Körperteile können durch Turgor gefeſtigt werden: die Ambulakralfüßchen der Stachelhäuter und der Fuß vieler Schnecken und Muſcheln erlangen erſt ihre Gewebsſpannung und damit ihre Verwendbarkeit, wenn das Tier eine Körperflüſſigkeit in ſie hineinpreßt; ja bei manchen Schnecken, z. B. bei Natica, wird ſogar in ein beſonderes abgeſchloſſenes Lückenſyſtem des Fußes Waſſer von außen aufgenommen und zur Herſtellung der Turgeſzenz benutzt. Beſondere Aufmerkſamkeit verdienen die Fälle, wo der Stützapparat durch be— ſondere Dichtigkeit ſeiner Maſſe, die oft infolge Durchdringung mit mineraliſchen Stoffen noch beſonders erhärtet, zu einem Skelett wird, wo alſo ſeine Teile eine geſteigerte Feſtigkeit erhalten und zugleich ihre Biegſamkeit verlieren. Dieſe Skelette können ent— weder äußere Hüllen ſein wie Muſchelſchalen oder Krebspanzer, oder es ſind innere Gerüſte wie das Skelett eines Schwammes und das knorpelige oder knöcherne Gerippe eines Wirbeltiers; auch können äußere und innere Skelette zuſammen vorkommen wie bei der Schildkröte. Ihrer Bedeutung nach ſind die äußeren Skelette zugleich Schutz— und Stützbildungen; welche von den beiden Aufgaben die urſprüngliche war, läßt ſich nicht entſcheiden. Die inneren Skelette dagegen ſcheinen urſprünglich nur Stützbildungen geweſen zu ſein; doch werden ſie ſekundär vielfach Schutzorgane, die mindeſtens einzelne beſonders wichtige Organe vor Verletzung bewahren, wie bei den Wirbeltieren Wirbel— ſäule und Schädelkapſel das zentrale Nervenſyſtem umſchließen. Die ſtarre Beſchaffenheit der Skelette, die ſie in ſo hohem Maße zu Stütz- und Schutzorganen geeignet macht, iſt auf der andern Seite für die freie Beweglichkeit der Tiere ungünſtig; man braucht nur die unendlich mannigfaltigen Drehungen und Windungen der Tintenfiſcharme mit den beſchränkten Bewegungen der Beine eines Krebſes zu ver— gleichen. Daher ſind auch Tiere mit einheitlich zuſammenhängendem Skelett, möge es ein inneres oder äußeres ſein, faſt ganz unbeweglich, z. B. viele Glasſchwämme und manche Seeſcheiden (Aſzidien) mit dickem Zelluloſemantel. Zugleich ergeben ſich auch gewiſſe Schwierigkeiten für ein ungehindertes Wachstum. Bei einem ſtarren Skelette iſt zwar ein Wachstum durch Auflagerung neuer Schichten und Anfügung weiterer Teile möglich, wie etwa bei Korallenſtöcken oder bei einem Schneckenhauſe, aber nicht eine Vergrößerung, bei der alle Ausmaße in gleicher Weiſe zunehmen und das Skelett des erwachſenen Tieres etwa die vergrößerte, ähnliche Nachbildung desjenigen des Jungen iſt wie bei den Wirbeltieren. Wo nicht ein Wachstum durch Zwiſchenlagerung (Intus— ſuſzeption) neuer Subſtanz in die alte hinein möglich iſt, wie bei dem Zelluloſemantel der Tunikaten oder beim Knorpelſkelett niederer Wirbeltiere, da müſſen beſondere Ein— richtungen vorhanden ſein, um ein gleichmäßiges Wachstum nach allen Seiten zu er— möglichen. Der Konflikt zwiſchen Schutz- und Stützbedürfnis einerſeits, Beweglichkeit und Wachstum andrerſeits findet ſeine Löſung hauptſächlich in der Zerlegung des ſtarren Skelettes in einzelne Teile, die miteinander durch nichtſtarre Gewebe verbunden Sind. Wenn dieſe Verbindungsſtellen beweglich ſind, ſo wird dem ganzen Skelette ein größerer oder geringerer Grad der Beweglichkeit gewahrt. Andrerſeits kann an den Rändern der Skeletteile in vielen Fällen, z. B. bei den Skelettplatten des Seeigelpanzers oder den Schädelknochen der Wirbeltiere, das appoſitionelle Wachstum durch Anfügung neuer Teile anſetzen, ſo daß eine allſeitig fortſchreitende Vergrößerung möglich iſt. 122 Gelenke. Für das Maß der Beweglichkeit, das ein Tier mit Skelett behält, iſt es von hoher Bedeutung, in welcher Weiſe die einzelnen Skelettſtücke untereinander verbunden ſind. Entweder iſt ein mehr oder weniger ſtraffes oder elaſtiſches Gewebe in geringer Menge zwiſchen die einzelnen Stücke eingeſchaltet, das einen ununterbrochenen Übergang von dem einen zum anderen bildet. Die Beweglichkeit iſt dann ſehr beſchränkt oder fehlt ganz, und die Zerlegung des Skeletts in Einzelteile kommt nur dem Wachstum zugute. So iſt es bei den Platten des Seeigelpanzers. Man nennt eine ſolche Verbindung eine Synarthroſe. Oder es ſind die Skeletteile ſo miteinander vereinigt, daß ſie ſich in be— ſtimmten Richtungen gegeneinander drehen und verſchieben können: das nennt man ge— lenkige Verbindung oder Diarthroſe. Die Art der Gelenkverbindungen iſt ſehr verſchieden; insbeſondere weicht der Haut— panzer der Gliederfüßler von dem inneren Skelett der Wirbeltiere darin beträchtlich ab. Bei den Gliederfüßlern ſind dicke harte Abſchnitte des Hautſkeletts durch dünnere, weichere Strecken der Haut, ſogenannte Gelenkhäute, miteinander vereinigt; die ſo gebildeten Gelenke ſind nichts anderes als Faltenbildungen der Körperbedeckung, des ſogenannten Integuments. Die Skelettſtücke ſind offene Ringe oder Halbringe, wie die Teile einer Ritterrüſtung, die nur im Bereich ihrer Ränder in einzelnen Punkten oder Linien in Berührung kommen. Der vordere Ring umgreift den hinteren, der proximale, d. h. der der Mittelebene des Körpers nähere, den diſtalen, ferneren. An zwei einander gegen— über liegenden Punkten iſt die Gelenkhaut ſtraffer angeſpannt, während ſie im übrigen lockerer iſt: um dieſe Punkte geſchieht die Drehung. Falten und Auswüchſe an den Drehungspunkten können die Berührungsſtellen vergrößern und damit Gleitflächen ſchaffen, wodurch die Feſtigkeit des Gelenkes vermehrt wird. Anders dagegen bei inneren Skeletten. Die Skelettſtücke der Wirbeltiere und ebenſo diejenigen in den Armen der Seeſterne und Schlangenſterne berühren ſich mit ihren Endflächen, die einander mehr oder weniger genau angepaßt ſind: dem konvexen Ende des einen Stückes, dem Gelenkkopf, entſpricht eine Aushöhlung am Ende des andern, die Gelenkpfanne. Gelenkkopf und -pfanne entſprechen ſich bei den Wirbeltieren allerdings in ihrer Form nicht ſo genau, wie die Gelenkflächen an Maſchinen; aber ſie ſind beide knorpelig oder doch mit einem elaſtiſchen Überzug von Knorpel verſehen und ſchmiegen ſich bei der Bewegung zuſammen, und zwar macht ihre Geſtaltveränderlichkeit allerhand Modifikationen der Bewegung möglich, während Maſchinengelenke immer nur genau die gleiche Bewegung geſtatten, „zwangsläufig“ ſind. Der Zuſammenhang wird durch Muskeln und Bindegewebshäute hergeſtellt, die außen den Skeletteilen aufliegen; aber die Gelenkfläche bleibt allermeiſt frei. Der Betrag von Freiheit, den ein Gelenk den dadurch verbundenen Sfeletteilen gewährt, findet ſeinen Ausdruck in der Zahl der Achſen, um die eine Drehung möglich iſt. Bei einachſigen Gelenken iſt die Verſchiebung der verbundenen Stücke nur in einer Ebene möglich, die zu der Achſe ſenkrecht ſteht, wie bei der Klinge eines Taſchenmeſſers. Ein ſolches einachſiges Gelenk iſt z. B. das Ellbogengelenk eines Menſchen; bei den Röhrenſkeletten der Gliederfüßler ſind fie ſehr verbreitet und kommen in deren Glied— maßen ausſchließlich vor. Bei den Wirbeltieren kommen ſie dadurch zuſtande, daß ein zylindriſcher Gelenkkopf, der quer zur Längsrichtung des Skelettſtückes ſteht, ſich in einer entſprechenden hohlzylindriſchen Pfanne dreht. Die einachſigen Gelenke werden Winkel— oder Scharniergelenke genannt. Zweiachſige Gelenke, die den Gliederfüßlern fehlen, kommen bei den Wirbeltieren durch beſondere Geſtaltung von Gelenkkopf und -pfanne zuſtande. Entweder iſt der Kopf etwas ellipſoidiſch, derart, daß ſein kleinſter Querſchnitt Bewegungsfreiheit der Gelenke. 123 durch einen Kreis von kleinerem, ſein größter durch einen Kreis von größerem Durch— meſſer begrenzt wird: dann kann die entſprechend geſtaltete Pfanne in dieſen beiden Ebenen auf dem Kopfe gleiten, in jeder anderen dagegen nicht; ein ſolches Gelenk heißt Ellipſoidgelenk. Oder beide Gelenkflächen find ſattelförmig geſtaltet und jo gegen— einandergedreht, daß der eine Sattel auf dem andern gleichſam reitet (Sattelgelenk). Vielachſige Gelenke ſchließlich kommen ſtets in der gleichen Weiſe zuſtande: dadurch, daß der Gelenkkopf Kugelgeſtalt hat und die Pfanne entſprechend ausgehöhlt iſt. Solche Kugelgelenke ſind weit verbreitet: die Einlenkung der Seeigelſtacheln z. B., oder die Ein— lenkung des Kopfes vieler Inſekten, wie der Fliegen und Libellen, und vor allem zahl— reiche Gelenke der Wirbeltiere gehören hierher. Das eine Skelettſtück kann ſich hier in allen Ebenen bewegen, die durch die Achſe des andern gelegt werden können. Dem Grade der Freiheit, die ein Gelenk gewährt, entſpricht auch die Zahl der verſchieden wirkenden Muskeln, die die gelenkigen Skeletteile gegeneinander bewegen: ſo ſind für ein Scharniergelenk nur zwei Muskeln, ein Beuger und ein Strecker nötig, um alle Bewegungsmöglichkeiten deſſelben auszunützen; bei einem Sattelgelenk genügen vier Muskeln zur Ausführung der möglichen Bewegungen. An einem Kugelgelenk können noch zahlreichere Muskeln zuſammenwirken. Die Beweglichkeit eines Sklelettſtücks hängt aber weiterhin noch ab von der Weite des Ausſchlags, den ein Gelenk geſtattet, mit andern Worten von der Größe des Winkels, den die Achſe des Skelettſtücks bei der Bewegung in einer Ebene mit ihren zwei äußerſten Stellungen einſchließt. Die Ausſchlagmöglichkeit hängt bei den Scharnier— gelenken der Gliederfüßler davon ab, wie weit der harte, unnachgiebige Hautpanzer zwiſchen den beiden Drehungspunkten eingebuchtet und durch die bewegliche Gelenkhaut erſetzt iſt. Bei den Gleitgelenken der Wirbeltiere wird teils durch die bindegewebige Kapſel, die das Gelenk umfaßt, teils durch die Ränder der Gelenkpfanne eine Grenze für den Ausſchlag des Skelettſtückes geſetzt. Die Kugelgelenke an den Stacheln der See— igel ſind dadurch in der Weite ihres Ausſchlages beſchränkt, daß von der Mitte des Gelenkkopfes zur Mitte der Pfanne ein bindegewebiges Band geht, das den Stachel an ſeiner Unterlage befeſtigt und die Verſchiebung der Pfanne auf dem Kopf in be— ſtimmten Grenzen hält. Ganz ähnlich iſt es bei dem Kugelgelenk des Inſektenkopfes: die Ränder des Kopfes und des erſten Bruſtringes ſind hier ſo eingebogen, daß jener einen Teil einer Kugeloberfläche, dieſer die entſprechende Höhlung bildet; aber in der Mitte dieſes Gelenkes läuft, von der weichen Gelenkhaut umgeben, die Verbindung zwiſchen Kopf und Körper, die neben den Sehnen der bewegenden Muskeln auch den Schlund und die Nervenkonnektive in ſich ſchließt. Je mehr Bewegungsfreiheit ein Gelenk bietet, je lockerer es iſt, um ſo mehr ver— lieren damit die verbundenen Skeletteile an Stützkraft und der Körper an dieſer Stelle an Feſtigkeit. Wo eine ſolche Stützkraft nicht erforderlich iſt, wie bei den Seeigel— ſtacheln, kann daher die Beweglichkeit beſonders groß ſein. Bei der Gelenkverbindung der langen Knochen im Wirbeltierkörper iſt jenen Gefahren durch Verdickung der Gelenk enden entgegengewirkt; dadurch iſt einmal die Berührungsfläche vergrößert und damit die Feſtigkeit der Verbindung erhöht, und zweitens ſind die Bänder und Muskelſehnen, die das Gelenk feſtſtellen, weiter von der Knochenachſe entfernt, greifen an einem größeren Hebelarm an und ſind deshalb wirkſamer. Übrigens iſt im allgemeinen die Beweglich— keit, die ein Gelenk geſtattet, ziemlich beſchränkt. Einen Erſatz bietet jedoch die Kom— bination mehrerer Gelenke. So ſind die einzelnen Gelenke eines Krebsbeines durchweg 124 Stützgerüſt der Schwämme— Scharniergelenke, deren jedes eine Bewegung in nur einer Ebene erlaubt; aber dadurch, daß mehrere ſolcher Gelenke mit ſehr verſchieden gerichteten Achſen kombiniert ſind (Abb. 77), wird die Möglichkeit der Bewegungen, die ein ſolches Bein ausführen kann, eine recht große. Welche außer— ordentliche Mannigfaltigkeit der Bewegungen durch Kombination zahlreicher Gelenke erzielt werden kann, das zeigt die Wirbelſäule der Schlange oder der Hals des Schwanes. Die Vermehrung der Gelenke hat natürlich eine Vermehrung der Einzelmuskeln im Gefolge, und deren Zahl iſt daher bei den Gliederfüßlern eine ſehr bedeutende. Lyonet, der aller— dings in der Teilung der Muskeln etwas zu weit geht, gibt die Zahl der Muskeln bei der Raupe des Weidenbohrers (Cossus ligniperda Fab.) i auf 4061 an, während am Körper des Menſchen 2 . nur etwa 500 Muskeln gezählt werden. 2. Beſonderheiten des Stützgerüſtes bei den Wirbellofen. der Gelenkachſen durch (perſpek— 5 0 Bei der ungeheuren Verſchiedenheit, in der e dee Scherenfingers, uns die Stützgebilde in der Tierreihe entgegen— ſteht ſenkrecht zur Bildebene. Nach Langer. treten, gibt es natürlich zahlreiche Beſonder— heiten innerhalb der einzelnen Abteilungen. Die Schwämme (Spongiae) enthalten mit Ausnahme der Gallertſchwämme (Myxo— spongiae) ſtets ſtützende Hartteile im Innern ihres Körpers: es ſind entweder Gerüſte aus faſeriger Hornſubſtanz oder Bildungen aus kohlenſaurem Kalk oder Kieſelſäure mit geringen organiſchen Beimiſchungen. Die Kalkgebilde treten als einfache oder drei- oder vierſtrahlige Nadeln, die Kieſelgebilde als Knollen, Anker, Quirle und als vier- oder ſechsſtrahlige Nadeln auf. Die Einlagerung dieſer Kalk- und Kieſelbildungen hat die Wirkung, das Gewebe des Schwammes widerſtandsfähiger zu machen und zu feſtigen. Wo jedoch dieſe Nadeln iſoliert im Schwammkörper liegen, geben ſie ihm nicht ge— nügende Feſtigkeit, daß er größere ſchlanke Formen annehmen könnte. Die ſchlauch— förmigen Kalkſchwämmchen können ſich nur wenige Zentimeter hoch erheben und bilden im übrigen kruſtenartige Überzüge auf allerhand Unterlagen; die Tetraktinelliden unter den Kieſelſchwämmen erreichen zwar bedeutendere Größen, haben aber fladen- oder polſterförmige Formen. Nur da, wo die Nadeln zu einem zuſammenhängenden feſten Gerüſt verlötet werden, kommen ſchön ausgebildete ſchlanke Formen von bedeutenderer Höhe vor, nämlich bei den Glasſchwämmen (Hexactinellidae Abb. 56 S. 92): hier finden ſich die wunderſamen Schwammgeſtalten, die eine Höhe von 30—40, ja 50 cm erreichen, wie Euplectella, Hyalonema, Regadrella u. a., deren zierliches Gittergerüſt das Auge entzückt. Der Verlötungsprozeß der Kieſelnadeln beginnt z. B. bei Euplectella erſt, nachdem eine gewiſſe Größe erreicht iſt, am unteren Ende und ſchreitet bei weiterem Wachstum allmählich nach oben fort, bis er die endſtändige Siebplatte, die das Oskulum abſchließt, erreicht hat; dann iſt ein weiteres Längenwachstum natürlich ausgeſchloſſen. Bei einem ganz eigenartigen Glasſchwamm, Monoraphis chuni F. E. Sch., den die Deutſche Tiefſee-Expedition in den oſtafrikaniſchen Gewäſſern erbeutete, iſt der ganze Schwammkörper mit ſeinem Skelett unverlöteter Kieſelnadeln um eine rieſige Nadel gruppiert, die über 1 m, ja vielleicht bis 3 m Länge erreichen kann. — Das Horngerüſt Abb. 77. Linker Scherenfuß des Krebſes, bei dem die Richtung Stützgerüſt der Coelenteraten. 125 der Hornſchwämme (Ceraospongiae) ſcheint nicht feſt genug zu ſein, um andere als polſterartige Formen zuzulaſſen; bei den Kieſelhornſchwämmen (Halichondriae) jedoch, deren Hornfäden durch eingelagerte Kieſelbildungen verſteift ſind, begegnet man auch hochaufgebauten ſchlank- röhrenförmigen Geſtalten. Unter unſeren Süßwaſſer— ſchwämmen find bei der Form, die ſich mit freiabſtehenden fingerförmigen Aſten zu beträchtlicher Höhe erheben kann (Euspongilla lacustris L.) die einzelnen Kieſelnadeln zu langen ſchmalen ſtabförmigen Zügen vereinigt und bilden ſo ein zuſammenhängendes Stützgerüſt. Bei den Coelenteraten ſchiebt ſich eine mehr oder weniger dicke Stützlamelle von gallertiger Maſſe zwiſchen das äußere und innere Keimblatt ein. Sehr dünn iſt ſie bei den Hydroidpolypen, ihre größte Dicke dagegen erreicht ſie in der Scheibe der randloſen Quallen. Ob ſie vom äußeren oder vom inneren oder von beiden Keimblättern ab— geſondert wird, iſt noch nicht ermittelt. Häufig wandern Zellen in die Stützgallerte ein und verteilen ſich in ihr. Bei den freiſchwimmenden Formen kommen Stützbildungen von bedeutenderer Feſtigkeit nicht vor. Dagegen können feſtſitzende Formen beſondere Stützeinrichtungen erhalten, ja es kommt bei ihnen oft zur Bildung zuſammenhängender Skelette. Bei vielen Hydroidpolypen beſtehen dieſe in kutikularen Abſcheidungen des Ektoderms, die den Stiel umgeben und damit feſtigen und häufig auch noch eine becher— artige Hülle bilden, in die das Polypenköpfchen zurückgezogen werden kann. Für dieſe meiſt kleinen Tiere genügt eine verhältnismäßig ſchwache Stütze, um ein freies Wachſen in ſchlanker Form und eine baum- oder federförmige Veräſtelung zu geſtatten, wie ſie häufig bei den Hydroidſtöckchen auftritt, die durch Knoſpung entſtehen. Die im allge— meinen größeren Korallen (Anthozoen) dagegen können eine Feſtigung durch Kalkablage— rungen erfahren. Im einfachſten Falle, wie bei den Seefedern (Alcyoniden) bilden ſich in den Ektodermzellen winzige Kalkkörperchen (Sklerodermiten) von zylindriſcher oder rund— licher, oft ſtacheliger Beſchaffenheit, die in die Gallerte der Stützſubſtanz eindringen und ſich in ihr in reichlicher Menge verteilen. Bisweilen können dieſe Kalkkörperchen durch eine gleichmäßige Kalkmaſſe zu einer einheitlichen Schicht vereinigt werden, wie bei der Edelkoralle, und bilden dann Baſalplatten, Achſenbildungen oder Röhren. Bei den Steinkorallen findet die Abſcheidung von Kalkſubſtanz durch das Ektoderm der Fußſcheibe nach außen hin ſtatt; es entſteht eine Fußplatte, von der ſich ein ringförmiges Mauer— blatt, radiäre Scheidewände und oft auch eine mittlere Kolumella erheben. Schließlich kann von dem Ektoderm der Fußſcheibe auch hornige Subſtanz abgeſondert werden, die einen Überzug über die Unterlage und unter Umſtänden eine hornige Achſe für den durch Knoſpung entſtehenden Korallenſtock bildet. Nicht alle Korallen bilden Hartteile; den Seeroſen (Aktinien) fehlen ſie durchweg. Wo ſie aber vorkommen, können Stock— bildungen ſich zu ſonderbaren veräſtelten, baumförmigen Geſtalten erheben, wie ſie z. B. von der Edelkoralle bekannt ſind. Doch ſind durchaus nicht alle ſkelettbildenden Formen zugleich auch ſtockbildend; die Pilzkoralle Fungia z. B. kommt ſehr häufig in Einzel— individuen vor. Auch erheben ſich nicht alle Stöcke hoch von der Unterlage und ſind baumförmig: viele Steinkorallen, wie Maeandrina und Astraea bilden maſſige, polſter— förmige Stöcke. Dagegen iſt Skelettbildung eine Vorbedingung für das Entſtehen ſolcher aufſtrebenden Stöcke; ſtockbildende Aktinien, wie die Arten Zoanthus und Palythoa, können ſich nur in der Fläche auf feſter Unterlage ausbreiten. Alle ſkeletthaltigen Teile ſind bei den Coelenteraten unbeweglich; Gelenkbildungen zwiſchen einzelnen Skeletteilen ſind hier nirgends vorhanden. 126 Stützgerüſt der Strudelwürmer und der Weichtiere. Den Plattwürmern fehlt jede Art von Skelettbildungen. Der Körper wird durch die Ring- und Quermuskulatur gefeſtigt und zuſammengehalten und erhält ſeine beſtimmte Formbegrenzung durch die Epidermis. Dieſe iſt bei den Strudelwürmern nackt, wird aber durch eine widerſtandsfähige Baſalmembran gefeſtigt; bei den Saug- und Band— würmern hat ſich an ihrer Oberfläche eine Art Kutikula gebildet. Bei manchen Räder— tierchen verdickt ſich die Körperkutikula zu einem Panzer, der die Hauptmaſſe des Körpers als Schutzorgan umſchließt; die Bewegung hindert er nur wenig, da er am Vorder- und Hinterende Lücken hat, aus denen vorn das ſtrudelnde Räderorgan, hinten der ſogenannte Fuß hervorgeſtreckt werden kann. Der Körper der Fadenwürmer iſt ſtets von einer dicken Kutikula überzogen, die durch den Turgor der inneren Flüſſigkeit geſpannt erhalten wird und ſo die Leibesform beſtimmt. Ahnlich wie bei den Plattwürmern wird bei den Weichtieren die äußere Körperform durch die Epidermis in Verbindung mit dem Körperparenchym, insbeſondere dem ihr anliegenden reichlichen Bindegewebe, der Cutis, beſtimmt. Die in den verſchiedenſten Richtungen verlaufende ſtarke Muskulatur gibt dem Körper Halt und Feſtigkeit. Dieſe Muskulatur befindet ſich im lebenden Tiere in einem gewiſſen Zuſtande der Zuſammen— ziehung und übt damit auf die Blutflüſſigkeit in den Hohlräumen des Körpers einen Druck aus. Der Druck der Blutflüſſigkeit, zuweilen noch vermehrt durch den Druck von außen aufgenommenen Waſſers (Natica), verleiht dem Weichkörper die Spannung, die den lebenden Tintenfiſch oder die lebende Schnecke von den toten unterſcheidet. Die Schale muß durchaus als äußeres Skelett, und nicht etwa als körperfremde Bildung wie der Köcher einer Phryganeenlarve, betrachtet werden, mag ſie nun eine ſich erweiternde, meiſt ſpiralig aufgewundene Röhre ſein wie bei den Schnecken, oder aus zwei miteinander gelenkenden Klappen beſtehen wie bei den Muſcheln. Ihr kalkiger Teil entſteht durch Abſonderung von ſeiten des Epithels an einer Hautfalte, dem Mantelrande, und wird nach außen meiſt von der Schalenhaut überdeckt, einer kutikularen Bildung, die ſich, zum Unterſchied von den meiſten anderen Kutikulargebilden, von ihrem Mutterboden am Mantelrand lostrennt. Urſprünglich kommt allen Mollusken eine Schale zu. Vielfach aber iſt ſie zurückgebildet. Sie findet ſich nur noch in den Jugendzuſtänden und fehlt den erwach— ſenen Tieren ganz, wie bei vielen Meeresnacktſchnecken (Opiſthobranchiern) u. a.; oder ſie iſt verhältnismäßig klein und wird von Hautfalten überdeckt, die über ihr zuſammen— wachſen und ſie zu einer ſcheinbar inneren Skelettbildung machen, wie bei den zwei— kiemigen Tintenfiſchen (Abb. 63 D, S. 98) und den lungenatmenden Nacktſchnecken (z. B. Limax). Die Hauptbedeutung der Schale liegt in dem Schutz, den ſie den Weichteilen des Tieres bietet; aber auch bei dieſem ausgeſprochenen Schutzſkelett iſt eine ſtützende Nebenfunktion vorhanden, die eine beſondere Feſtigung der ſtets vom Gehäuſe bedeckten Organe unnötig macht, alſo des Eingeweideſackes bei den Schnecken, des ganzen Körpers mit Ausnahme von Fuß und Siphonen bei den Muſcheln. An dieſen Stellen iſt dann die Haut dünn, und Muskeln fehlen, bei der Unbeweglichkeit der Schale, ganz oder ſind ſehr ſpärlich. Daher fallen jene Teile, wenn ſie aus der Schale herausgenommen und ſo der Stütze beraubt ſind, in ſich zuſammen. Bei den ſo hoch entwickelten Tintenfiſchen iſt ein Teil des Bindegewebes zu inneren, voneinander getrennten Skelettſtücken von knorpeliger Konſiſtenz erhärtet; ſie dienen z. T. als Schutzeinrichtungen für wichtige Organe, immer aber als Anſatzpunkte für Muskeln und verleihen dem Körper eine erhöhte Feſtigkeit. Der bedeutendſte unter dieſen „Knorpeln“ iſt der Kopfknorpel, der kapſelartig Gehirn und Augen umſchließt; er Panzer der Gliederfüßler. 127 kommt allen Arten zu und iſt bei den Formen mit äußerer Schale (Nautilus) der ein— zige Knorpel. Außerdem ſind oft noch Armknorpel an der Baſis der Arme, Knorpel am Mantelſchließapparat, Rücken- und Floſſenknorpel vorhanden. Den Ringelwürmern und ihren Verwandten fehlt ein ſtützendes Skelett. Ihre Epi— dermis wird durch eine Kutikularabſcheidung widerſtandsfähig und erhält durch den darunterliegenden Hautmuskelſchlauch eine Stütze. Nur in den ſogenannten Kiemen der Serpuliden (Taf. 9) iſt ein inneres Stützgewebe vorhanden, beſtehend aus eng verklebten elaſtiſch-prallen Zellen mit verdickter Wand. Der Körper wird in feiner ſtraffen Form erhalten durch den Druck, den die Spannung der Muskeln auf die Leibeshöhlenflüſſigkeit ausübt. — Bei den Gliederfüßlern aber iſt der Kutikularüberzug ihrer ringelwurmartigen Vorfahren zu einem mehr oder weniger dicken, ringsum ſchließenden Panzer verſtärkt. Die Subſtanz dieſes Panzers wird als Chitin bezeichnet; ſie iſt im allgemeinen nicht eine flüſſige Abſonderung der Zellen, die erſt bei der Berührung mit Waſſer oder Luft erhärtet, ſondern entſteht durch Umwandlung der äußerſten Protoplasmapartien der Bildungszellen. Bei langſameren Formen unter den Krebſen (z. B. Aſſeln und nicht— ſchwimmenden Defapoden) und Tauſendfüßern (z.B. Juliden) erhält der Chitinpanzer durch Einlagerung von kohlenſaurem Kalk noch eine erhöhte Feſtigkeit. Die Verſtärkung der Ringelwurmkutikula zum Panzer der Gliederfüßer brachte einen doppelten Vorteil: ſie bot einerſeits größeren Schutz gegen feindliche Angriffe, andererſeits gab ſie einen feſten Anſatzpunkt für die Muskulatur und vermehrte dadurch die Kraft der Bewegungen. Wenn für den Anſatz beſonders ſtark entwickelter Muskeln die glatte Innenfläche des Panzers nicht ausreicht, erhebt ſich auf dieſer ein inneres Chitinſkelett in Geſtalt von Leiſten oder Balken und ſelbſt komplizierten Gerüſten als Anſatzſtelle für die Muskulatur. So iſt es auf der Bauchſeite des Bruſtpanzers beim Flußkrebs oder bei der Maulwurfsgrille für die Beinmuskeln, oder an der Rückenſeite bei Käfern, Gradflüglern und Hymenopteren für die Flügelmuskeln. Da die Muskulatur im Innern des Panzers Platz finden muß, ſo hat ſie auf deſſen Form inſofern eine Rückwirkung, als große Anhäufung von Muskeln eine Er— weiterung der Innenräume notwendig macht; daher die Verdickung der Scherenglieder bei den Krebſen, der Schenkel bei den Springbeinen vieler Inſekten, des letzten Hinter— leibsringes bei den Zangen des Ohrwurms und der Skorpionsfliege. Wo bei einem Körperteil geringer Schutz und verminderte Beweglichkeit hinreichen, da bleibt die Kutikula dünn und der Körper weicher, formloſer: ſo iſt es mit der Rückenhaut des Hinter— leibs bei den Käfern, die durch die Flügeldecken geſchützt iſt, oder mit dem Hinterleib der Einſiedlerkrebſe und der Köcherfliegenlarven, der vom Gehäuſe, in dem er ſteckt, zugleich geſchützt und an ſtärkerer Bewegung verhindert wird. Bei dieſem Gewinn an Sicherheit und Feſtigkeit mußte die Beweglichkeit des Ringelwurmkörpers vermindert werden; damit ſtieg aber die Wichtigkeit der Bewegungsanhänge, die bei den polychaeten Ringelwürmern nur eine verhältnismäßig geringe Rolle neben den Schlängelungen des Körpers ſpielen: es entſtanden die gegliederten Gliedmaßen. Andererſeits ging mit der Entſtehung des Panzers die Dehnbarkeit der Oberhaut, wie ſie die Ringelwürmer beſitzen, verloren, und damit wurde die Ausdehnungsfähigkeit des Leibes beſchränkt: der in dem ſtarren Panzer eingeengte Körper war im Wachstum behindert. Es konnte alſo die Erwerbung eines zuſammenhängenden Hautpanzers nur Hand in Hand gehen mit einer Einrichtung, die dieſem Übelſtande abhalf; das iſt die von Zeit zu Zeit wiederkehrende Häutung, der die Gliederfüßler, ſolange ſie wachſen, 128 Häutung der Gliederfühler. unterworfen find. Bei den höheren Krebſen dauert das Wachstum auch nach der Er- langung der Geſchlechtsreife fort; ſie häuten ſich daher zeitlebens in beſtimmten Zwiſchen— räumen. Bei unſerem Flußkrebs (Potamobius astacus L.) geſchieht dies im erſten Jahre etwa achtmal, im zweiten fünfmal, im dritten zweimal und weiterhin bei den Männchen zweimal, bei den Weibchen einmal jährlich. Die Tauſendfüßer und Inſekten dagegen ſind mit der Geſchlechtsreife ausgewachſen; ſie häuten ſich nur als Larven, nicht mehr als fertige Tiere, auch wenn ſie, wie das für Ameiſen erwieſen iſt, ein Alter von 15 Jahren erreichen. Nur Formen mit ſehr zarter dehnbarer Kutikula, wie die Larven der Bienen oder der Schlupfweſpen, ſcheinen während ihres Larvenlebens keine Häutung durchzumachen, ſondern nur beim Übergang von der Puppe zum fertigen Inſekt. Die Häutung iſt nicht etwa ein Abwerfen der Haut, ſondern nur ein Abwerfen der Kutikula. Sie iſt in den Grundzügen bei allen Gliedertieren gleich und geht ſo vor Abb. 78. Flußkrebs in Häutung: an der Rückenſeite des alten Panzers iſt zwiſchen Kopfbruſtſchild und erſtem Hinterleibsring ein Riß entſtanden, durch den man den (dunkler gefärbten) neuen Panzer erblickt. ſich, daß der alte Panzer ſich von ſeinem Mutterboden, den Epidermiszellen, loslöſt; die Zellen bilden dann zunächſt dünne fadenförmige chitinige Fortſätze, die Häutungshaare, und beginnen mit der Abſcheidung des neuen Panzers. Wenn dieſer eine gewiſſe Stufe der Entwicklung erreicht hat, ſprengt das Tier die alte Hülle und kriecht heraus. Dabei wird nicht bloß die äußere Chitinhaut, ſondern auch die Chitinauskleidung des Schlundes und Kaumagens und des Enddarmes bei den Krebſen, ſowie bei Tauſendfüßern und Inſekten auch die chitinige Wand der Atemröhren abgeſtoßen. Beim Flußkrebs wird dem alten Panzer vor der Häutung Kalk entzogen, der im Blute gelöſt bleibt; außerdem liegen im Kaumagen jederſeits zwiſchen der Chitinauskleidung und dem Epithel Kalk— anhäufungen, die ſogenannten Krebsaugen oder Krebsſteine, die bei der Häutung ins Lumen des Magens gelangen und dort aufgelöſt werden; und aus dieſen beiden Quellen ſtammt das Material zur Durchtränkung des neuen Panzers mit Kalk. Bei Krabben, wo Krebsſteine fehlen, dienen vielleicht die Mitteldarmſäcke als Kalkreſervoir. Die Häutung wird vo bereitet durch allerhand Bewegungen, die eine Lockerung des Körpers vom alten Größenwachstum der Gliederfüßler. 129 Panzer bezwecken. Dann beginnt das Zurückziehen der Beine; dadurch, daß dieſe ein Stück weit eingezogen werden, ſchwillt die Kopfbruſt an; die dünne Verbindungshaut, die auf der Rückenſeite das Hinterende des Kopfbruſtſchildes mit dem erſten Hinterleibs— ringe verbindet, reißt ein (Abb. 78) und durch dieſen Riß ſchlüpft der Krebs heraus. Der neue, noch weiche Panzer des „Butterkrebſes“ vermag dem ſich dehnenden Körper nachzugeben; es findet ein ſchnelles Wachstum ſtatt, und nach wenigen Tagen erhärtet der Panzer durch erneute Kalkeinlagerung. So geſchieht das Wachstum gleichſam ruck— weiſe, in der Zwiſchenzeit zwiſchen zwei Häutungen jedoch bleibt die Größe des Tieres unverändert. Die Hautpanzerung der Gliederfüßler ſetzt zugleich ihrem Größenwachstum beſtimmte Grenzen. Röhren von weitem Durchmeſſer, wie ſie der oberflächliche Panzer eines großen Gliederfüßlers erfordert, müſſen, um die genügende Feſtigkeit zu erreichen, ſo dick werden, daß die zum Tragen ihres Gewichtes notwendige Muskelmaſſe unverhältnismäßig groß ſein müßte. Da wo das Waſſer den Panzer tragen hilft, bei den Krebſen, können die Aus— Abb. 79. Rieſenkrabbe (Kämpfferia kämpfferi D. H.) aus dem Stillen Ozean. Aus Doflein, Oſtaſienfahrt. maße noch recht bedeutend ſein. So erreicht die Rieſenkrabbe (Kämpfferia kämpfferi D. H., Abb. 79), eine Größe bis zu 2 m; aber es iſt nicht der Rumpf mit ſeinen weiten Panzer— röhren, der dieſe Größe bewirkt, ſondern die langen engröhrigen Gliedmaßen. Bei den Landbewohnern jedoch fällt die ganze Maſſe des Panzers den Muskeln zur Laſt. So iſt denn in unſerer heimiſchen Tierwelt das größte Inſekt, der Hirſchkäfer, immer noch kleiner als der kleinſte Vogel, der Zaunkönig, und ſelbſt ein Rieſe der Inſektenwelt, der Herkuleskäfer (Dynastes hercules L.) iſt durchaus ein kleines Tier. Ein Neuerwerb von größter Bedeutung, der den Gliederfüßern mit der Feſtigung ihrer Körperoberfläche zufiel, war der Schutz, den ihr Körper damit gegen die Ver— dunſtung der ihn durchtränkenden Flüſſigkeit erhielt. Damit war die Grundlage gegeben für die Fähigkeit der Gliederfüßer, ſich dem Leben in der trockenen Luft anzupaſſen; es wurden ihnen damit weite neue Lebensgebiete erſchloſſen, in denen ſie durch lange Erd— perioden faſt ohne Konkurrenten und ohne Feinde aus anderen Tierkreiſen blieben. Der Übergang zum Trockenluftleben wurde denn auch von zwei verſchiedenen na: der Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 130 Skelett der Stachelhäuter. Gliederfüßer unabhängig voneinander vollzogen durch Erwerbung neuer Atmungs— organe: von der einen Gruppe ſtammen die Spinnentiere, von der anderen Tauſendfüßer und Inſekten. Sehr verbreitet ſind Skelettbildungen in dem Kreis der Stachelhäuter. Bei den Haarſternen, Seeſternen, Schlangenſternen und Seeigeln kommen ſie überall vor, und ſelbſt bei manchen Seewalzen (Psolus u. a.) finden fie ſich. Auf den erſten Anblick möchte man wohl das Ge— häuſe eines Seeigels oder den Panzer eines Seeſterns als äußeres Skelett anſehen. In Wahrheit aber entſteht das Skelett durch Kalkab— lagerungen in der Lederhaut und iſt nach außen noch von einer dünnen Lage unver— JS kalkter Lederhaut und von dem Epithel der Oberhaut überkleidet, außer wo dieſe Lagen an vorſpringenden Stellen, wie den Spitzen der Stacheln, abgeſcheuert ſind. Daher findet man auch nach außen vom Hauptſkelett, ihm aufgelagert, beſonders bei Seeſternen und Seeigeln, zahlreiche bewegliche Organe, wie Stacheln, Haken und geſtielte Zangen, die ſogenannten Pedicellarien, an deren Oberfläche Muskeln anſetzen, und die genaue Beobachtung zeigt, daß bei den Seeſternen die Körper— oberfläche flimmert durch die Wimperzellen des Epithels. Daher konnte auch der Beſitz dieſes Skelettes den Stachelhäutern ein Trockenluft— leben nicht ermöglichen. Die Skeletteile ſind nicht ſolid, ſondern ſetzen ſich aus kleinen, zu einem regelmäßigen Gerüſtwerk verbundenen Kalkſtäbchen zuſammen; die Zwiſchenräume en. zwiſchen ihnen ſind von Bindegewebe aus— Abb. 80. A Panzer von Clypeaster gefüllt. e ee Bei den Haarſternen, Seeſternen und Schlangenſternen ſind die Teile des Haut— ſkelettes nur in der Mittelſcheibe feſter verbunden, dagegen in den Armen durch Gelenke gegeneinander beweglich. Das Skelett der Seeigel dagegen bildet ein feſtes Gehäuſe; die meiſt zwanzig meridional verlaufenden Reihen von Kalktafeln, die es zuſammenſetzen, ſind durch Nähte unbeweglich verbunden, und nur an den beiden axialen Polen ſind die Skelettſtücke lockerer gefügt. Die Seeigelpanzer erhalten ihre Widerſtandsfähigkeit da— durch, daß ihre Platten ein Gewölbe bilden. Wo jedoch bei den Seeigeln der Panzer niedergedrückt und flach iſt, wie bei den Clypeaſtriden (Abb. 80), da ſind, um die nötige Feſtigkeit zu erreichen, Strebepfeiler nötig, die den Binnenraum durchſetzen und die Stüßgerüft der Seewalzen und der Manteltiere. 131 Rücken- und Bauchſeite der Körperwand mit einander verbinden (A); in ähnlicher Weiſe wird die ſtützende Wirkung erreicht durch Einbuchtungen des Randes und Durchlöche— rungen, die bei dieſen Formen oft vorkommen (B): hier wirken die Ränder der Buchten und Löcher als Stützpfeiler. Nur bei einer Seeigelfamilie, den Echinothuriden (einzige lebende Gattung Asthenosoma) ſind die Platten des Panzers beweglich miteinander verbunden und ſchieben ſich dachziegelförmig mit den Rändern übereinander; daher fallen auch dieſe Tiere, wenn man ſie aus dem Waſſer hebt, zu platten rundlichen Scheiben zuſammen. Die Panzerung der Stachelhäuter bildet natürlich einen wirkſamen Schutz gegen feindliche Angriffe, beſonders in Verbindung mit den zahlreichen Stacheln, die bei vielen Formen der Seeſterne und Seeigel von ihr ausſtrahlen; aber ſie bildet zugleich auch ein Stützorgan, wodurch der Körper in ſich getragen wird. Den Seewalzen fehlt meiſt ein zuſammenhängendes Skelett; aber in ihrer Lederhaut liegen, zwiſchen den Bindegewebsfaſern zerſtreut, zahlreiche Kalkkörperchen von mannig— faltiger Geſtalt, wie Anker, Rädchen, Kreuze, Stühlchen oder Gitterplatten. Wahrſcheinlich ſind dies Reſte des zuſammenhängenden Skeletts ganz gepanzerter Vorfahren; aber es mag dieſes reduzierte Verhalten zugleich ein Abbild der Anfänge ſein, aus denen die Panzerung der älteſten Stachelhäuter einſt hervorgegangen iſt. Wenn die Lederhaut dick iſt, wie bei den Holothuria- und beſonders Stichopus-Arten, wo fie 5—10 mm mißt, vermag ſie, durch die eingelagerten Kalkkörper zu knorpliger oder lederartiger Konſiſtenz verſteift, die Körpergeſtalt von ſich aus zu beſtimmen. Wo aber die Haut ſo dünn iſt, daß die inneren Organe durchſcheinen, wie bei Synapta-Arten, da wird durch die Spannung der Hautmuskeln ein Druck in der Leibeshöhlenflüſſigkeit erzeugt, der dem Körper Straffheit und Formbeſtändigkeit verleiht. Als ein äußeres Skelett kann man auch den Mantel der Manteltiere betrachten. Er wird als Abſonderung der Epidermiszellen nach außen gebildet, und beſteht aus Zelluloſe, dem im Pflanzenreich allgemein verbreiteten Zellſtoff, der aber im Tierreich nur hier vorkommt. Bei dem großen Waſſerreichtum, den der Zelluloſenmantel bei den freiſchwimmenden Manteltieren, den Salpen und Feuerwalzen, beſitzt, iſt er ziemlich weich, bietet aber trotzdem durch ſeine meiſt bedeutende Dicke eine hinreichende Stütze für das Tier. Die feſtſitzenden Aſcidien dagegen haben im allgemeinen einen Mantel von größerer Feſtigkeit, die ſich faſt bis zu knorpliger Konſiſtenz ſteigern kann. Obgleich der Mantel das Tier als einheitliche Hülle umſchließt und nur die Zu- und Ausfuhr— öffnungen frei läßt (Abb. 74 S. 108), bietet er doch dem Wachstum kein Hindernis, da er durch Einlagerung neuer Subſtanz mitwächſt. Dieſes Wachstum durch Intusſuszeption mag vielleicht befördert werden durch die Anweſenheit und Tätigkeit zahlreicher Binde— gewebszellen, die aus dem Meſoderm des Tieres durch die Epithellage hindurch in den Mantel einwandern. Bei den Aſeidien iſt die Feſtigkeit des Mantels ſo bedeutend, daß er jegliche Bewegung hindert; nur an der Mund- und Kloakenöffnung verdünnt er ſich fo, daß ein Schluß derſelben möglich wird: daher ſind auch nur hier Muskeln vorhanden. Der weiche Mantel der Salpen und Feuerwalzen dagegen gibt den Muskelkontraktionen nach. 3. Beſonderheiten des Wirbeltierfkeletts. Bei den Wirbelloſen liegen in den meiſten Fällen die beſonderen Stützvorrichtungen, die als Skelett anzuſehen ſind, in der Peripherie des Körpers, ſelbſt dort, wo ſie nicht an der Oberfläche des Körpers gebildet werden, ſondern ein inneres Skelett vorſtellen, 9* 132 Chorda dorsalis. wie bei den Stachelhäutern. Dagegen treten bei den Wirbeltieren ganz allgemein Skelett— bildungen auf, die nach allen Seiten in gleicher Weiſe von Weichteilen umgeben ſind und ſo die Achſe des Körpers und die Achſen ſeiner Anhangsorgane bilden. Dadurch wird die Stützfunktion des Skelettes mit verhältnismäßig viel geringerem Stoffaufwand in gründlicher Weiſe erreicht; dagegen tritt die Schutzfunktion, im Vergleich mit den Skeletten der Wirbelloſen, weit mehr in den Hintergrund; das geht auch daraus hervor, daß neben dieſem Stützſkelett in vielen Fällen noch ein anderes vorkommt, das vor— wiegend dem Schutze des Körpers dient, ein oberflächlich gelegenes Hautſkelett. Die Grundlage für das innere Skelett der Wirbeltiere wird durch ein elaſtiſches Stützorgan gebildet, das die Längsachſe des ganzen Tieres einnimmt und zwiſchen dem zentralen Nervenſyſtem und dem Darm vom Kopf bis zur äußerſten Schwanzſpitze ver— läuft: es iſt die Chorda dorsalis oder Rückenſaite. Die Chorda ſtellt ein ſtabartiges Gebilde aus ſtraffwandigen, protoplasmaarmen und ſaftreichen Zellen dar, die feſt an— einander gefügt ſind. An der Oberfläche iſt ſie von einer widerſtandsfähigen Chorda— ſcheide überzogen, die von der äußerſten Zellenlage abgeſondert iſt. Ihre Feſtigkeit und Elaſtizität wird durch die pralle Füllung der Chordaſcheide mit Zellen bewirkt. Wo durch fortgeſetzte Tätigkeit der peripheren Chordazellen unter der Chordaſcheide noch weitere Schichten einer leimgebenden Subſtanz als ſekundäre Chordaſcheide abgeſchieden werden, da wird die Feſtigkeit der Chorda noch beträchtlich geſteigert. Die Chorda kommt allen Wirbeltieren zu. Aber nur bei den allerniedrigſten Formen, bei den Rundmäulern unter den Fiſchen, bildet ſie wie bei dem Wirbeltiervorläufer Amphioxus das Hauptſtützorgan und ſteht als ſolches in voller Funktion (Abb. 73). Bei allen höheren Formen wird ſie durch angelagerte Skelettbildungen in dieſer Verrichtung unterſtützt und mehr und mehr erſetzt und verdrängt. Aber auch da, wo im ausgebildeten Zuſtand nur noch geringe Spuren von der Chorda vorhanden ſind, wird ſie im Laufe der Embryonalentwicklung vollſtändig ausgebildet und verfällt erſt ſpäter der Rückbildung. Sie entſteht aus einem Zellenſtreifen, der das Mittelfeld des Urdarmdaches bildet und ſomit in der Gaſtrulalarve genau unter dem Zellmaterial liegt, aus dem das Rücken— mark hervorgeht. Der Urſprung eines Stützorgans aus dem inneren Keimblatt iſt bei den Tieren mit drei Keimblättern ohne Parallele. Phylogenetiſch kann dieſe Tatſache nur ſo gedeutet werden, daß ein Darmanhang oder Abkömmling des Darmes, der ur— ſprünglich eine der Darmtätigkeit verwandte Verrichtung hatte, durch Funktionswechſel zu einem Stützorgan wurde, unter Verluſt ſeiner urſprünglichen Funktion. In ähnlicher Weiſe wird der entodermale Teil in den Armen mancher Hydroidpolypen unter Verluſt ſeiner Lichtung zu einem Stützſtrang, der in ſeiner Zuſammenſetzung aus flüſſigkeits— reichen, dickwandigen, eng zuſammenſchließenden Zellen ſehr an den Bau der Chorda erinnert. Beim Amphioxus (Branchiostoma) ſchließen ſich alle Stützorgane des Körpers, mit Ausnahme der Stützbälkchen der Kiemen, an die Chorda an, ſo daß ſie den Mittelpunkt des ganzen Stützapparates bildet. Dieſer beſteht, abgeſehen von der Chorda, aus faſe— rigen Membranen, deren Bildung von Meſodermzellen ausgeht. Eine ſolche Hülle umgibt die Chorda; von ihr gehen nach dem Rücken zu faſerige Bögen aus, die das Rückenmark umhüllen, und ebenfalls fajerige Stützen in der Umgebung der Leibeshöhle. Das Achſenſkelett beſitzt keine Segmentierung; wohl aber wird durch die Segmentierung der Muskulatur eine ſegmentale Anordnung der zwiſchen die Muskelabſchnitte einge— ſchalteten bindegewebigen Scheidewände bedingt; dieſe heften ſich ebenfalls an das axiale Knorpel und Knochen. 133 Skelett an und treten außen mit der gleichfalls bindegewebigen Cutis in Verbindung. Bindegewebszellen ſind beſonders in der Cutis reichlich vorhanden und feſtigen dieſe namentlich am Vorderende, das beim Einbohren des Tieres in den Sand ſtärker bean— ſprucht wird, und dem beim Rudern beſonders angeſtrengten Hinterende. Bei der geringen Größe des Amphioxus iſt dies membranöſe Skelett ausreichend zur Stütze des Körpers. Alle eigentlichen Wirbeltiere dagegen haben Skelette von feſterer Subſtanz, von Knorpel oder Knochen. Der Knorpel entſteht aus einem embryo— nalen Zellengewebe dadurch, daß eine Zwiſchenſubſtanz von ziemlicher Feſtigkeit und Elaſtizität durch dieſe Zellen abgeſondert wird. Dieſe Zwiſchenſubſtanz verleiht ihm ſeine Eigenſchaften als Stützgewebe. Die Zellen ermöglichen das weitere Wachstum des Gewebes. EIS a (I ee Sie ernähren und teilen ſich und ſondern weitere 0 e ö Zwiſchenſubſtanz ab. So wächſt der Knorpel N Sn DRK 2 . N z ab. r 2 ( . e N m: UNS interſtitiell, durch Einlagerung von Subſtanz; NN RE wenn er z. B. eine röhrenförmige Hülle um ein N ee Organ bildet, jo kann jtch dieſe mit dem Wachs— V ES tum des Organs erweitern, z. B. die Schädel— _® __- kapſel. Die Feſtigkeit des Knorpels kann noch S UN DS N SS | Ratjtgen erh EZ SD durch Einlagerung von Kalkſalzen erhöht werden. z SG 4 IND VEN Sie iſt bei Waſſertieren, deren Laſt zum großen GE 0) MIO Teil durch das Waſſer getragen wird, hinreichend Zu Mm N — a8 zum Stützen des Körpers. Luftbewohner da⸗ J ip Sr gegen reichen nicht mit dem bloßen Knorpel \ re aus; bei ihnen bildet Knochen den Haupt— OD, 10. I D beſtandteil des Skeletts, wie auch bei manchen a mn 11 I A = = r D . Waſſertieren. 5 er = u No 15 Der Knochen iſt dem Knorpel an Feitigfeit — N ZEN und Elaſtizität überlegen. Seine Druckfeſtigkeit NN ISIN RN > N NV, 1 iſt der des Schmiedeeiſens ähnlich und übertrifft DS Dresnes sinoipela um das ſechs⸗ bis ſiebenfach; Lines Sangers anucen ſeine Elaſtizität iſt die dreifache von der des 1 Haversſche Kanäle, in denen beim lebenden Knochen Meſſings. Das beruht auf der Beſchaffenheit 9 ers ie ae Ko Senke Der Grunpjubflang, in der die daß Geenen: e Knochenzellen eingelagert ſind. Dieſe beſteht aus einer innigen Vereinigung organiſcher und anorganiſcher Maſſe. Schon die organiſche Maſſe für ſich, nach Entfernung der mineraliſchen Beſtandteile, iſt feſter als der Knorpel. Die Eigenſchaften des Knochens als Stützſubſtanz werden aber weſentlich durch ſeinen Gehalt an Salzen bedingt. Dieſe beſtehen zu neun Zehntel aus phosphorſaurem Kalk, und außerdem beſonders aus kohlenſaurem Kalk und etwas phosphorſaurer Magneſia. Auch der Aufbau der Grundſubſtanz aus konzentriſchen Lamellen hat einen nicht ge— ringen Anteil an der Feſtigkeit des Knochens. So bildet dieſer ein Material von ungemeiner Tragkraft. In Knochenſkeletten wird daher mit viel weniger Material eine höhere Feſtigkeit erreicht als bei Verwendung von Knorpel. „Erſt das Material des Knochens ermöglicht das Landleben größerer Tiere“ (Rauber). Der Knochen entſteht durch die Tätigkeit bindegewebiger Zellen, der ſogenannten Knochenbildner oder Oſteoblaſten. Dieſe ſcheiden nach einer Seite hin Schichten von Grund— 134 Knochen. ſubſtanz aus; indem ſich ihnen aber weitere Oſteoblaſten anlagern, die ebenfalls an der Abſcheidung teilnehmen, werden die erſteren gleichſam eingemauert; ſie liegen dann in der Grundſubſtanz als Knochenzellen oder Knochenkörperchen. Dieſe bleiben mit den benach— barten Oſteoblaſten durch feine protoplasmatiſche Ausläufer in Verbindung (Abb. 81, 2). Dadurch wird die Ernährung auch der ganz von Knochenſubſtanz umſchloſſenen Zellen ver— mittelt; denn die Nährſtoffe können nicht ſo leicht durch die feſte Grundſubſtanz des Knochens hindurchdiffundieren, wie das bei der weicheren Knorpelſubſtanz möglich iſt, ſondern werden von den oberflächlichen Zellen den zentraleren zugeleitet. Die Tätigkeit der Knochenzellen dauert auch nach beendeter Knochenbildung noch an, wenn auch in ſehr beſchränktem Um— fang. Altere Knochen ſind nämlich gewöhnlich reicher an feſter Subſtanz und ärmer an Waſſer: die Knochen eines Kaninchens von 2—4 Jahren enthalten 200—240, die eines ſolchen von 6½ — 7, Jahren nur noch 140— 170% Waller. Daraus muß man folgern, daß die Einlagerung von Stoffen in die Grundſubſtanz noch fortgeht, und dieſe wird höchſtwahrſcheinlich durch die Tätigkeit der Knochenzellen vermittelt. Der Knochen kann ſich entweder im Bindegewebe bilden, oder er entſteht, wie man ſagt, durch „Verknöcherung des Knorpels“. Dieſer Ausdruck iſt irreführend: die „Ver— knöcherung“ beſteht nämlich in einer Auflöſung des Knorpels und einer Neubildung von Knochen an den Wänden der ſo entſtandenen Lücken. Bei der Bildung der knöchernen Skeletteile gehen häufig beide Wege nebeneinander her. Die Skelettknochen ſind meiſt knorpelig vorgebildet; es wird dann, wenigſtens bei den langen Knochen, an der Ober— fläche des Knorpels eine Knochenſcheide ausgebildet, die aus einzelnen Lagen geſchichtet und ſomit völlig kompakt iſt. Die den Knorpel erſetzende Knochenmaſſe dagegen beſteht aus einzelnen Blättern und Bälkchen, zwiſchen denen zuſammenhängende Zwiſchenräume liegen; ſie ſind entſtanden durch Auskleidung der Lücken des aufgelöſten Knorpels mit Knochenſubſtanz. Das iſt ſogenannter ſpongiöſer Knochen. Wenn die Zwiſchenräume durch fortgeſetzte Knochenablagerung ausgefüllt werden, kann auch ſolche ſpongiöſe Knochenmaſſe kompakt werden; ſie beſteht dann aus einem Syſtem von konzentriſch gelagerten Lamellen, in deren Mitte jedesmal, als Reſt der urſprünglichen Knorpellücke, ein Blutgefäß ver— läuft; der Raum, den das Gefäß einnimmt, wird als Haversſcher Kanal, das Lamellen— ſyſtem als Haversſches Syſtem bezeichnet (Abb. 81, 1). Auch wo ein Skeletteil, wie viele „kurze Knochen“, nur durch Knorpelverknöcherung entſteht, werden ſeine oberfläch— lichen Teile kompakt, während im Innern ſich ſpongiöſer Knochen erhält. Durch dieſe Anordnung der Knochenſubſtanz wird mit möglichſt geringem Aufwand von Material und daher bei geringerem Gewicht eine möglichſt große Leiſtungsfähigkeit erreicht. Die moderne Ingenieurkunſt baut Krane, Brücken, Eiffeltürme, Bahnhofshallen u. dgl. nicht mit ſoliden Säulen und Balken, ſondern ſie benutzt Hohlpfeiler und ein Gerüſt— werk von Einzelbälkchen. Erfahrung und mathematiſche Berechnung haben gelehrt, daß die einzelnen Teile einer Säule oder eines horizontalen Balkens in ſehr ungleichem Maße beanſprucht werden: daß die Partien, die innerhalb der ſogenannten Druck- und Zuglinien liegen, ausſchließlich belaſtet ſind, während andre völlig unbeanſprucht bleiben. Die Hohl— pfeiler beſitzen faſt dieſelbe Feſtigkeit wie ſolide Säulen von gleicher Dicke. „Dieſelbe Maſſe, die als maſſiver Stab von SO Durchmeſſer als Tragbalken ein Gewicht = 10 zu tragen vermag, genügt für das Tragen eines Gewichtes = 17, wenn ſie in eine Röhre von 100 Durchmeſſer mit einem Lichten von 60 Durchmeſſer verwandelt iſt, und als ein Syſtem von zehn ineinandergeſchachtelte Röhren von 200 Durchmeſſer kann ſie ein Ge— wicht = 31 tragen. Als Stützſäule würde derſelbe Stab, wenn ſeine Tragfähigkeit als r a U u Lu D a um Tafel II urch den menſchlichen Oberjche mit ſchief verheiltem Bruch. n und Prof. Dr. Walkhoff, Die Richtung der Hauptzüg ie in den Druck- und Zuglinien h durch Skizze 2 deutlich gemacht. f den Röhrenwänden laſtende D wird. An dem ſchief verheilte die veränderte Inanſpruchnah igen werden kann wie vorher bei Zu Tafel Il: Knochenſtru durch einen normalen, auf die ganze Fläche der untere der Druck jetzt nicht mehr paralls Verdickung der Röhrenwände, da Knochen durch dünnere Wände; i chen des Spongioſagerüſtes im S dickt und in Einzelheiten der R Die Bruchſtelle iſt ebenfalls dur U gerüſt geſtützt. Infolge der A der Röhre ſtärker belaſtet und 9 teren Ende das Balkenwerk dieſer verſtärkt im Vergleich zu dem Heſſe u. Doflein, Tierba Knochenftruktur. Seife u. Doflein, Tlerbau u. Tierleben. I. “anzyn.iyjuapouy II Plug Statiſche Struktur des Knochens. 135 maſſiver Stab — 10 geſetzt wird, in der zweiten Geſtalt ein Gewicht — 21, in der dritten ein ſolches —= 60 zu tragen vermögen“ (H. v. Meyer). In den Gerüſtwerken ſind die einzelnen Bälkchen in den Linien des ſtärkſten Druckes und Zuges angebracht, ſo daß ſie den höchſtmöglichen Widerſtand leiſten und die gleiche Belaſtung aushalten wie ein ſolider Tragbalken vom Umfang des Gerüſtwerkes. Als Laſt fallen aber ſolche Hohl— pfeiler und Gerüſte viel weniger ins Gewicht als ſolide Bildungen. Dieſe Verhältniſſe waren in der Theorie ſchon wohlbekannt und wurden in der Praxis angewendet, als man entdeckte, daß im Skelett der höheren Wirbeltiere das Material genau den Geſetzen der Mechanik entſprechend verwendet ſei. Die langen Knochen des Skeletts, die als Strebepfeiler wirken, wie Arm- und Schenkelknochen, ſind Röhrenknochen, denn ſie beſitzen im Innern einen Hohlraum, der mit Knochenmark oder bei den Vögeln mit Luft gefüllt iſt, und gleichen darin den Hohlpfeilern der Architekten. Die Bälkchen der Spongioſa aber, an den Enden der langen Knochen oder in den kurzen Knochen, ſind nicht regellos angeordnet, ſondern ihr Verlauf wird durch die Beanſpruchung der be— treffenden Skeletteile bedingt; ſie fallen in die Richtung der Druck- und Zuglinien, in denen die an den Knochen angreifenden Laſten und Kräfte wirkſam ſind. So wirkt z. B. der Schenkelhals des Oberſchenkels wie der Tragbalken eines Kranes. Wenn man für einen ähnlich geſtalteten Kran mit gleicher Belaſtung die Druck- und Zuglinien konſtruiert, jo findet man entſprechend gerichtete Bälkchenzüge in der Spongioſa des Schenkelhalſes wieder. Die Bälkchenzüge kreuzen ſich ſenkrecht und treffen ſenkrecht auf die Oberfläche des Knochens auf, wodurch ſcherende, ſeitlich auf die Bälkchen wirkende Kräfte ausge— ſchaltet werden (vgl. Tafel 2). Der kompakte Knochenmantel der Schenkelröhre ſtellt nichts andres dar als eine Zuſammendrängung der widerſtandleiſtenden Bälkchen. Dazu enthält die Spongioſa des Oberſchenkelhalſes freilich noch anders gerichtete Bälkchen; denn dieſer iſt nicht nur für die Druckbelaſtung gebaut, wie ein Kran, ſondern muß auch dem Zug der anſetzenden Muskeln, die beſonders am Rollhügel (Trochanter major) angreifen, Widerſtand leiſten: daher die Bälkchenzüge, die in den Trochanter einſtrahlen. Der Züricher Mathematiker Culman (1821—1881), der Begründer der graphiſchen Statik, iſt es, der an den Präparaten des Anatomen Herm. v. Meyer dieſe bedeutſame Ent— deckung machte. Dieſe Art der Materialverwendung iſt natürlich bei Knorpel wegen ſeiner ungenügenden Feſtigkeit nicht möglich, und ſo hat ſie ſich, wie das Knochenſkelett aus dem Knorpelſkelett, erſt allmählich im Verlaufe der Stammesgeſchichte entwickelt. Die Stufen, die ſie bei ihrer individuellen Entſtehung im Skelett des Einzelindividuums durchläuft, finden wir noch jetzt dauernd bei niederen Wirbeltieren hie und da erhalten. Die erſte Stufe iſt die, daß ein Skelettknorpel ſtreckenweiſe von einer knöchernen Scheide umfaßt wird, wie man das bei manchen Fiſchen, z. B. beim Stör findet. Der nächſte Fortſchritt beſteht darin, daß der von der Knochenſcheide umſchloſſene Knorpel zerſtört, aber nicht durch Knochengewebe, ſondern durch Knochenmark erſetzt wird; ſolche Skelettſtücke kommen bei Amphibien vor. Erſt hieran ſchließt ſich der Erſatz des Knorpels innerhalb der Knochen— ſcheide durch ſpongiöſes Knochengewebe, wie er in der Reihe der Amphibien und Rep— tilien auftritt; dabei können aber noch Knorpelreſte im Innern des Knochens erhalten bleiben wie bei Schildkröten. Der vollkommenſte Zuſtand, der oben geſchildert wurde, findet ſich erſt bei Säugern und Vögeln überall durchgeführt. Von höchſtem Intereſſe wäre es, zu ermitteln, wie jener Aufbau des Knochens, der ſo vollkommen den Geſetzen der Mechanik entſpricht, zuſtande kommt. Wir haben es 136 Knochenwachstum. hier nicht einfach mit einer ererbten Struktur zu tun, ſondern ihre Entſtehung ſteht mindeſtens zum großen Teil unter dem unmittelbaren Einfluß der Beanſpruchung. Denn wenn z. B. bei einem falſch verheilten Knochenbruch die Beanſpruchung des Knochens von der normalen abweicht und ſomit die Druck- und Zuglinien nicht mehr mit der Richtung der Knochenbälkchen zuſammenfallen, ſo kommt es in der Spongioſa zu Um— bildungen, die nach einiger Zeit den mechaniſch geforderten Zuſtand herſtellen. Der Knochen wird durch Erneuerung ſeiner inneren Architektur wieder funktionsfähig (Jul. Wolff). Dieſe Umbildungen unter dem Einfluß der Tätigkeit bezeichnet Wilh. Roux als funktionelle Selbſtgeſtaltung. Für die Kräfte, die hierbei tätig ſind, iſt man lediglich auf Vermutungen N doch iſt kaum eine andre Annahme möglich, als daß die LER Knochenzellen, durch den veränderten Reiz ver- an „ . — anlaßt, dieſe Umwandlungen bewirken. Der ki 3 maximale Reiz, dem ſie bei normaler Stellung der Knochenbälkchen ausgeſetzt ſind, wirkt auf die Zellen gleichſam beruhigend und hält ſie in ihrer Stellung feſt. Veränderter Reizzuſtand 12 x aber regt ſie zu erneuter Tätigkeit an: wie ſie e bei der Entſtehung des Knochens als Knochen— N bildner, Oſteoblaſten, tätig waren, ſo werden ſie ** jest zu Knochenbrechern, Oſteoklaſten, und löſen a. das Knochenbälkchen wieder auf, um ein neues aufzubauen in Anlehnung an die ſtehenbleiben— den, in die Richtung der Kraftlinien fallenden Bruchſtücke. Solche Auflöſungs- und Neubildungsvor— gänge ſind offenbar im Knochenſkelett viel häu— figer, als man bei ſeinem feſten Gefüge an— nehmen möchte, und ſpielen ſich vor allem bei = 5 dem Wachstum vieler Knochen regelmäßig ab. Abb. 82. Um riſſe des Unterkiefers eines Das Knochengewebe wächſt, im Gegenſatz zum neugeborenen Menſchen, in die punktierten 8 5 9 5 9619 Umriſſe des erwachſenen Unterkiefers eingezeichnet. Knorpel, nicht interſtitiell ſondern appoſitionell, von der Seite und von oben. Nach Kölliker. nicht durch Einſchaltung, ſondern durch Auf⸗ lagerung neuer Teile. Auf dieſem Wege aber kann ſich die jugendliche Form eines ſtark gewölbten Knochens, z. B. eines menſchlichen Stirnbeins, nicht in die ſchwächer gewölbte Form des erwachſenen Knochens, oder der ſtark gebogene Unterkiefer des Kindes in den weniger gebogenen des Mannes umwandeln, auch dann nicht, wenn die Auf— lagerung an verſchiedenen Stellen ungleich wäre: man kann beiſpielsweiſe aus dem er— wachſenen Kiefer nicht ein Gebilde von der Größe und Geſtalt des jugendlichen Kiefers herausſchneiden (Abb. 82). Beim Wachstum muß daher neben Neubildungen auch an vielen Stellen Reſorption alter Knochenmaſſe vorkommen, um die endgültige Geſtaltung herbeizuführen. Beim Röhrenknochen kann der innere Hohlraum eine ſo große Weite haben, daß der ganze junge Knochen darin Platz hätte; deſſen Hohlraum muß ſich alſo durch Reſorption erweitert haben und ſeine ganze urſprüngliche Wandung iſt im Laufe der Entwicklung der Auflöſung anheimgefallen (Kölliker). — Wenn wir auch hier, wie wir es oben für die Umwandlungen in der Spongioſa taten, den Reiz für die Auflöſung ſowohl wie für die Neubildung in veränderten Spannungsverhältniſſen innerhalb der Dicke der Knochen. 137 betreffenden Skeletteile annehmen dürfen, ſo würde die geſamte Ausgeſtaltung, die das Knochenſkelett während des Wachstums erfährt, auf funktioneller Selbſtgeſtaltung beruhen. Einfache Geſetze der Mechanik ſind es auch, die in den Dickenverhältniſſen der Skelettknochen ihren Ausdruck finden. Kein geringerer als Galileo Galilei (1564— 1642) hat zuerſt auf die Tatſache hingewieſen, daß bei großen Tieren das Skelett Abb. 83. Skelett des Nilpferds (Hippopotamus amphibius L.), in den Umriß gezeichnet. Nach Pander u. D' Alton. verhältnismäßig ſtärker gebaut iſt als bei kleinen, und er hat zugleich die mechaniſche Begründung dafür gegeben. „Es läßt ſich leicht beweiſen, ſchreibt er, daß nicht bloß die Menſchen, ſondern auch ſelbſt die Natur die Größe ihrer Schöpfungen nicht über gewiſſe Grenzen hinaus ausdehnen kann, ohne ein feſteres Material zu wählen und ohne ſie monſtrös zu verdicken, jo daß ein Tier von rieſigen Dimenſionen eine unmäßige , . ET 2 IF Abb. 84. Skelett des Lemmings (Myodes lemmus I.), in den Umriß gezeichnet. Nach Pander u. D’Alton. Dicke haben müßte.“ Große und dicke Knochen ſtellen ſelbſt eine bedeutende Belaſtung für das Knochengerüſt dar, und wenn eine beſtimmte Größengrenze überſchritten wird, würde das Skelett nur mehr ſich ſelbſt tragen und weitere Belaſtung nicht auf ſich nehmen können, außer wenn es aus feſterem Material wäre. Die in gleicher abſoluter Größe nebeneinander gezeichneten Skelette eines Nilpferds (Abb. 83) und eines Lemmings (Abb. 84) zeigen auf das deutlichſte, wieviel zarter der Knochenbau des kleinen Tieres iſt. Das läßt ſich auch mit Leichtigkeit zahlenmäßig belegen: das Gewicht des geſamten Skeletts mit Bändern beträgt, im Verhältnis zum Geſamtgewicht des Körpers berechnet, 138 Oberflächenbildung des Knochens. bei der Spitzmaus 7,9%, bei der Hausmaus 8,4%,ͤ beim Kaninchen von etwa 1 kg Gewicht 9%, bei einer 2 kg ſchweren Katze 11,5%, bei einem jungen Dachshund von 4,8 kg 14%, beim Menſchen 17— 18%, oder in der Reihe der Vögel beim Zaunkönig 7,1%, beim Haushahn 11,7%, bei der Gans 13,4%. Das gilt natürlich nur unter den gleichen ſtatiſchen Grundbedingungen. Der Seehund (Phoca vitulina L.), der ſich vor— wiegend im Waſſer aufhält, auf dem Lande aber von ſeinem Skelett nicht getragen wird, hat bei einem Geſamtgewicht, das dem des Menſchen nicht gerade nachſteht, ein Gewicht des Skeletts von nur 11%; hier hilft eben das Waſſer den Körper tragen. Wie der innere Aufbau und die Größenverhältniſſe, ſo ſtehen auch die äußere Ge— ſtalt und die Oberflächenbildung des Knochens in unmittelbarer Abhängigkeit von ſeinen Beziehungen. Die Einwirkungen des Zuges, den Muskeln und Bänder auf den Knochen ausüben, ſind es, die ſein Relief modeln: „Hunderte von Fortſätzen und Tauſende von Urſprüngen und Anſatzfeldern hält das Skelett der Muskulatur entgegen, damit ſie auf die Knochen wirke, damit das ganze Syſtem von Hebeln in Bewegung gerate“ (Rauber). Nur eine harte Subſtanz wie der Knochen macht eine ſo feine Aus— geſtaltung des Reliefs möglich, geſtattet eine ſo weitgehende Anpaſſung der Oberfläche an die Zugwirkungen. Fortſätze und Leiſten des Knorpels müſſen plumper ſein, um genug Widerſtandsfähigkeit zu haben. Knorpelſkelette haben daher viel weichere, verſchwommenere Abb. 85. Rechter Oberarm 3 ) 3 De ange jenlens Formen als ſolche aus Knochen. Die Vergrößerung der Muskelanſätze (Apus apus L.), Er en . . — 2 * 2 2 1 111 von der Rückenſeite ge- geſchieht, wenigſtens in vielen Fällen, erſt während des individuellen ſeben. Vergr. öfach. Lebens unter der direkten Einwirkung des Muskelzugs. Dieſer wirkt offenbar als Reiz auf das den Knochen überziehende Bindegewebe, das Perioſt, und führt zur Ablagerung neuer Knochenſubſtanz. So entſtehen die Knochengräten am Schädeldach vieler Säuger, die den beſonders ſtarken Kaumuskeln als Anſatzflächen dienen, z. B. bei Raubtieren oder großen Affen (Abb. 217); den jungen Individuen fehlen ſie noch; ſie bilden ſich erſt Hand in Hand mit der Zunahme der Muskulatur. Ebenſo iſt es mit dem Bruſtbeinkamm der fliegenden Vögel, der die Anſatzfläche für die Flug— muskeln liefert; bei einer eben flüggen Taube z. B. iſt er viel weniger ausgedehnt als bei der erwachſenen, während das übrige Skelett ſchon völlig ausgebildet iſt. Beſonders da, wo kleine Knochen an ihrer beſchränkten Oberfläche ſtarken Muskeln Anſatz bieten ſollen, iſt die Ausbildung der Leiſten und Fortſätze überaus reichlich und läßt geradezu monſtröſe Gebilde entſtehen, wie den Oberarm des Maulwurfs oder des Mauerſeglers (Abb. 85). Andrerſeits nimmt bei Vergrößerung der Knochen ihre Oberfläche nicht im gleichen Maße zu wie ihr Gewicht und wie die zu ihrer Bewegung nötige Muskelmaſſe; deshalb müſſen hier die Anſatzflächen beſonders ausgiebig vergrößert werden, und es ſind die Skelette großer Tiere verhältnismäßig zackiger und rauher als die kleiner Tiere, wie wiederum ein Vergleich der Skelette von Nilpferd und Lemming zeigt. a) Die Wirbelfäule. Die knorpligen und knöchernen Skelette entjtehen in Anlehnung an die Chorda. Wie bei Amphioxus die membranöſen Stützorgane nach der Rücken- und Bauchſeite von ihr ausgehen, ſo ſind es bei den niederen Fiſchen knorplige Skeletteile, die ſich an die Chorda anlegen. Dieſe bilden aber nicht, wie das membranöſe Skelett dort, zuſammen— hängende Röhren und Platten; ſolche würden für die Beweglichkeit ein zu großes Entſtehung der Wirbelſäure. 139 Hindernis ſein. Es bilden ſich vielmehr einfache Knorpelſtücke, ſogenannte Bögen, die mit ihrer Baſis der Chorda anſitzen, und zwar obere Bögen, die das Rückenmark umſchließen (Neurapophyſen), und untere Bögen, die im Rumpf einen Teil der Leibeshöhe begrenzen und im Schwanz die großen Körpergefäße einſcheiden (Hämapophyſen). Dieſer Zuſtand iſt dauernd bei Cycloſtomen und Knorpelganbiden (Stören). Von der Baſis der Bögen ſchreitet die Knorpelbildung fort und umſchließt als ein Ring die Chorda: ſo kommt es zur Bildung knorpliger Wirbelkörper, die die Chorda umfaſſen und ein oberes und unteres Paar Bögen tragen. Zwiſchen den einzelnen Wirbelkörpern liegen hier binde— gewebige Polſter, die ſogenannten Zwiſchenwirbelbänder, die ebenfalls von der Chorda durch— bohrt werden, auf deren elaſtiſcher Beſchaffenheit die Beweglichkeit der Wirbelſäule beruht. In der Mitte der Wirbel wird bei den Fiſchen die Chorda durch das Wachstum der Wirbelkörper eingeengt, zwiſchen den Wirbelkörpern wächſt ſie weiter. So erklärt ſich die Geſtalt der Wirbelkörper, die bei den Fiſchen, und ebenſo bei ſehr vielen ausgeſtorbenen Amphibien und Reptilien, vorn und hinten trichterförmig ausgehöhlt ſind, bikonkav oder, wie man jagt, amphicoel. So iſt an Stelle des elaſtiſchen Stützſtabes, den die Chorda darſtellte, ein gegliederter getreten, die Wirbelſäule. Die Wirbelkörper werden ſchon bei vielen Selachiern durch Einlagerung von kohlenſaurem Kalk gefeſtigt; bei den höheren Fiſchen, den Knochenganoiden und Knochenfiſchen ſowie bei allen übrigen Wirbeltieren, wird der Knorpel mehr und mehr durch Knochen erſetzt, und zwar verknöchern wie die Körper ſo auch die Bögen der Wirbel. Mit der Bildung der Wirbelſäule iſt die Stütz— funktion der Chorda auf dieſe übergegangen; die Chorda ſelbſt iſt überflüſſig und wird zurückgebildet; doch bleiben mehr oder weniger deutliche Reſte von ihr übrig, bei den Fiſchen und Säugern zwiſchen den Wirbeln, in den Zwiſchenwirbelſcheiben, bei Amphibien und Reptilien im Innern der Wirbelkörper. Die verſchiedenen Entwicklungsſtufen des Achſenſkeletts, die wir bei der Vergleichung der niederen und höheren Wirbeltiere nebeneinander ſehen, ſind auch ungefähr die Stufen, die von der Wirbelſäule in ihrer ſtammesgeſchichtlichen Entwicklung durchlaufen wurden. Sie wiederholen ſich auch jetzt noch in großen Zügen in der Einzelentwicklung der höheren Wirbeltiere: im Embryo eines Säugers z. B. tritt zunächſt nur eine einfache Chorda auf, die, wie beim Amphioxus, aus einem Epithelſtreifen der Urdarmanlage entſteht; um die Chorda bilden ſich knorplige Wirbelkörper mit dorſalen und ventralen Bögen, und dieſe verknöchern ſchließlich nach vorheriger Verkalkung; die Chorda wird dabei verdrängt. In der Segmentierung der Wirbelſäule wird die Segmentierung des Wirbeltierkörpers am augenfälligſten wiedergeſpiegelt und am treueſten bewahrt. Aber ſie iſt nicht ur— ſprünglich, ſondern ſie wird erſt bedingt durch die ältere Segmentierung der Muskulatur. Dieſe iſt ſchon von den Wirbeltierahnen ererbt und tritt überall in der Einzelentwicklung ſehr früh auf in Geſtalt der Segmentierung des Meſoderms, verliert aber bei den höheren Wirbeltieren im Laufe der Entwicklung an Deutlichkeit. Die oberen Bögen, ſtammes— geſchichtlich die erſten Anlagen des ſegmentierten Achſenſkeletts, entſtehen an den Stellen, wo die Scheidewände zwiſchen den Muskelſegmenten, die Myoſepten, an die Chordaſcheide grenzen, alſo ſtets zwiſchen zwei Muskelſegmenten. Muskelſegmentierung und Skelett— ſegmentierung ſind alſo nicht identiſch, ſondern die Wirbel, die mit den oberen Bögen den gleichen Platz haben, wechſeln mit den Muskelſegmenten ab. Die Muskelſegmente können vorn und hinten an zwei aufeinander folgende Wirbel anſetzen und dieſe ſomit gegeneinander bewegen. So bilden die Wirbel die Angriffspunkte für die Muskulatur zur Bewegung des Körperſtammes. 140 Verbindung der Wirbel in der Wirbelſäule. Die Anforderungen, die an die Feſtigkeit der Wirbelſäule einerſeits, an ihre Be— weglichkeit andrerſeits geſtellt werden, ſind verſchieden groß. Daraus ergibt ſich eine ſehr wechſelnde Geſtaltung dieſes Organs. Die Beweglichkeit der Wirbelſäule wird um ſo größer ſein, je freier die Verbindung der Wirbel untereinander und je größer die Zahl der ſo verbundenen Wirbel iſt; ihre Feſtigkeit dagegen ſteigt, wenn die Verbindung zwiſchen den Wirbeln ſtraffer wird und deren Zahl abnimmt. Bei den Fiſchen genügt eine ver— hältnismäßig geringe Beweglichkeit der Wirbelſäule für die ſchlängelnden Ruderbewegungen. Die Wirbel ſind bikonkav und durch Bindegewebſcheiben ziemlich feſt zu einem elaſtiſchen Stab verbunden, ohne miteinander zu gelenken; ihre ſeitlich zuſammengedrückte Geſtalt begünſtigt die Bewegung in der Horizontalebene; Bewegungen in der Vertikalebene kommen meiſt nicht oder doch nur in ſehr beſchränktem Maße vor. Bei den meiſten geſchwänzten Amphibien und den Reptilien mit Ausnahme der Schildkröten ſind die Wirbel gelenkig verbunden und geſtatten dem Körper ausgiebige Schlängelbewegungen, die teils das Schreiten der ſchwachen Glied— maßen unterſtützen, teils allein die Fort— bewegung bewerkſtelligen. Der Zwiſchen— knorpel, der bei niederen Amphibien die Wirbel verbindet, läßt bei den höheren und bei den jetzigen Reptilien einen hinteren Ge— lenkkopf und eine vordere Pfanne (procoeler Wirbel Abb. 86) oder umgekehrt (opiſtho— coeler W.) aus ſich hervorgehen. Beſonders da, wo die Ortsbewegung durch Schlängelung allein bewirkt wird, ohne Hilfe von Glied— maßen, iſt die Beweglichkeit in hohem Grade geſteigert durch die Vermehrung der Wirbel— zahl: ſo haben die gliedmaßenloſen Amphi— Abb. 86. Halswirbel vom Gangesgavial “ a 5 5 3 z (Rhamphostoma gangeticum Gmel.), von links. bien, Die Gymnophionen, bis 213% die 1 Rückenmarkskanal, 2 Gelenkpfanne, 3 Gelenkkopf, 4 rudi— mentäre Rippe, mit 2 Köpfen (5 u. 6) an den Wirbelkörper Schlangen bis 400 Wirbel. Da der Leib Ae dem Boden meiſt aufliegt, iſt auch in der Medianebene eine beſondere Feſtigkeit der Wirbelſäule nicht notwendig. Anders iſt das bei den Froſchlurchen und den Säugern. Hier wird der Rumpf durch die beiden Gliedmaßenpaare getragen und ſchwebt ſtets oder doch zeitweilig in der Luft. Die Wirbelſäule muß die feſte Achſe abgeben, die ihn in dieſer Lage ſtützt. Bei den Froſchlurchen wird die Beweglichkeit der Wirbelſäule beſchränkt durch die geringe Zahl der Wirbel — beim Froſch ſind es bis einſchließlich zum Sakralwirbel, an dem der Beckengürtel befeſtigt iſt, deren 9, und dann folgt das Steißbein (Abb. 89). Die Wirbel ſind zwar durch Gelenke zwiſchen den Wirbelkörpern und zwiſchen beſonderen Gelenkfortſätzen der Bögen verbunden, aber Gelenkkapſeln und Längsbänder an der Wirbelſäule bewirken, daß deren Bewegungen nicht ſehr ausgiebig ſind. Bei den Säugern bildet die Wirbelſäule einen gewölbten Bogen zwiſchen den beiden Tragpunkten. Bei kleinen Säugern können ſich die Wirbel eine größere Beweglichkeit bewahren; damit dies möglich iſt, muß die Wölbung des Bogens ſtärker ſein; bei großen Säugern dagegen Verſchiedene Geſtalt der Wirbel. 141 iſt die Belaſtung der Rumpfwirbelſäule zu groß, als daß ihr eine große Beweglichkeit bleiben könnte: der Löwe kann keinen Katzenbuckel machen; die Wirbel werden ſtraffer verbunden und damit die ſtärkere Wölbung überflüſſig (vgl. Nilpferd und Lemming Abb. 83 und 84). Die Bauſteine des Bogens, die Wirbel, ſind an den beiden Endpunkten am ſtärkſten, an dem höchſten Punkte dagegen ſchwächer ausgebildet; beim Pferd z. B. iſt der 1. Rücken— wirbel 7,2 em lang und 6 em breit, der 6. Lendenwirbel 5,3 em lang und 6 em breit, der 11. Rückenwirbel jedoch, der an der Höhe der Wölbung liegt, nur 4,7 em lang und 5,1 em breit. Die Wirbelkörper ſind nicht durch Gelenke, ſondern durch elaſtiſche Zwiſchenſcheiben verbunden, dagegen tragen die oberen Bögen paarige Gelenkfortſätze. Bei den Vögeln ſchließlich, wo der Rumpf nur auf einem Gliedmaßenpaare ruht, hat der Teil der Wirbelſäule, der mehr oder weniger wagrecht liegt, ſeine Beweglichkeit faſt ganz eingebüßt: eine große Anzahl der Wirbel vor und hinter der Unterſtützungs— ſtelle, der Beckenregion, ſind durch Verknöcherung feſt vereinigt, dagegen ſind, zu aus— gleichender Erhöhung der Geſamtbeweglichkeit, die Wirbel des Halſes durch Sattelgelenke verbunden und der Hals daher um ſo beweglicher, beſonders wenn ſeine Wirbelzahl geſteigert iſt. Wo die Maſſe und die Zahl der Muskeln, die an den Wirbel anſetzen, bedeutend iſt, da müſſen vermehrte Anſatzflächen für Muskeln geſchaffen werden. Dazu dienen Fortſatzbildungen der Wirbel: dorſal von der Stelle, wo die oberen Bögen zuſammen— ſtoßen, entſpringt der unpaare Dornfortſatz, und ſeitlich ſetzen ſich an den Wirbelkörper die Querfortſätze an. Die Stärke dieſer Fortſätze entſpricht ihrer Beanſpruchung, ſei es, daß dieſe durch Muskelzug geſchieht, oder daß durch Bandapparate Laſten an ihnen be— feſtigt ſind, wie bei manchen Säugern die Laſt des Kopfes vermittels des Nackenbandes an den Dornfortſätzen der Bruſtwirbel. Es iſt weniger die Bewegungsfähigkeit der Wirbel ſelbſt als ihre Rolle als feſter Punkt für die Bewegungen anderer Skeletteile, die ſolche Bildungen erzeugt; an dem ſehr beweglichen Hals der Vögel z. B. ſind dieſe Fortſätze nur verhältnismäßig wenig ausgebildet. Wenn alſo die Wirbel auch überall nach dem gleichen Grundplan gebaut ſind, ſo iſt ihre Geſtalt doch mannigfach verſchieden, je nach den Anforderungen, denen ſie ge— nügen müſſen, und zwar nicht bloß bei verſchiedenen Tiergruppen, ſondern meiſt auch innerhalb der gleichen Wirbelſäule. Denn die Leiſtungen, die den Wirbel an ver— ſchiedenen Stellen einer Wirbelſäule obliegen, können ſehr ungleichartig ſein, und damit ändert ſich die Größe und Geſtalt der Wirbel, die Beſchaffenheit ihrer Fortſätze und Anhänge und ihre Beziehungen zueinander. Die Wirbelſäule differenziert ſich ſo in einzelne Abſchnitte oder Regionen. Beſtimmend für die Abgrenzung dieſer Regionen erſcheint im allgemeinen die Befeſtigung der Gliedmaßen am Körper: vom Kopf bis zur Anheftungsſtelle der Vordergliedmaßen reicht die Halsregion; dann folgt die Rumpf— region, bis zur Befeſtigungsſtelle der Hintergliedmaßen; dieſe ſind vermittels des Becken— gürtels direkt mit Wirbeln verbunden, und ihre Anheftung kennzeichnet die Kreuz- oder Sakralregion, und das Ende der Wirbelſäule von hier an bildet die Schwanzregion. Da die Vordergliedmaßen bzw. der Schultergürtel nicht unmittelbar an Wirbeln be— feſtigt, ſondern vielmehr den Rippen aufgeheftet ſind, muß für die Grenze von Hals und Rumpf ein genaueres Kennzeichen geſucht werden: das iſt der Beſitz gut ausgebildeter Rippen, der die vorderen Rumpfwirbel auszeichnet. Die hinteren Rumpfwirbel tragen oft nur Rippenrudimente und werden dann als Lendenwirbel den vorderen, den Bruſt— wirbeln gegenübergeſtellt. 142 Regionen der Wirbelſäule. Halswirbelſäule. Bei den Fiſchen, wo die Gliedmaßen zur Wirbelſäule keine Beziehungen haben, ſind die regionalen Unterſchiede in der Wirbelſäule am geringſten. Wo Rippen vor— handen ſind, kann man die rippentragenden Wirbel als Bruſtwirbel von den übrigen, den Schwanzwirbeln, unterſcheiden; wo aber keine Rippen vorkommen, wie bei vielen Selachiern, manchen Ganoiden und den Büſchelkiemern (Lophobranchiern, z. B. Hippo— campus), da fällt natürlich auch dieſer Unterſchied fort, und alle Wirbel ſind nahezu gleich. Auch bei den gliedmaßenloſen Amphibien (Gymnophionen) und Reptilien (Schlangen und Amphisbaeniden) ſind bloß jene beiden Abſchnitte vorhanden. Die Regionen der Wirbelſäule ſind aber nicht etwa ihrem Umfange nach gleich— mäßig begrenzt, ſondern können ſelbſt bei nahe verwandten Tieren an Wirbelzahl wechſeln, indem ſich die eine auf Koſten der andern ausdehnt. So iſt es häufig bei Bruſt⸗ und Lendenregion; unter den Raubtieren hat z. B. die geſtreifte Hyäne 16 Bruſt— wirbel und 4 Lendenwirbel, die gefleckte Hyäne deren 15 bzw. 5, die Bären und Marder 14 bzw. 6, die Katzen und Hunde 13 bzw. 7. In die Kreuzregion, die ur— ſprünglich nur wenige Wirbel enthält, werden bei Vögeln und Säugern eine wechſelnde Anzahl Rumpf- und Schwanzwirbel einbezogen, nehmen an der Verrichtung der Kreuz— wirbel, am Tragen des Beckens, Anteil und verſchmelzen nicht ſelten durch Verknöcherung mit ihm zu einem einheitlichen Skelettſtück. Die Halswirbel zeichnen ſich durch das Fehlen oder die rudimentäre Ausbildung Abb. 86) von Rippen aus. Sie ſind um ſo zahlreicher, je größere Beweglichkeit der Hals beſitzt. Bei den Fiſchen iſt ein Hals nicht differenziert; die Amphibien haben nur einen Wirbel, den man als Halswirbel anſprechen kann. Dagegen iſt deren Zahl bei den Reptilien allgemein größer: bei den Eidechſen und ihren Verwandten beträgt ſie zwiſchen 8 und 10; bei manchen ausgeſtorbenen Formen aber ſteigt die Zahl ganz bedeutend, bei den Pleſioſauriern z. B. auf 40. Auch bei den Vögeln ſind die Halswirbel zahlreich und daher der Hals oft ſehr beweglich: die geringſte Zahl, 9, findet ſich nur bei einigen Singvögeln, dagegen beſitzen die Schwäne 23—25 Halswirbel. Bei langem Hals würde die Laſt des Kopfes an einem langen Hebelarm wirken und daher ſchwer zu tragen ſein; durch Sförmige Biegung des Halſes, wie beim Schwan oder Flamingo, aber ſitzt der Kopf gleichſam auf einer federnden Stütze und befindet ſich in ſichererer Gleich— gewichtslage. Bei den Säugern kehrt ſtets die Siebenzahl der Halswirbel wieder, mag der Hals kurz ſein wie beim Walfiſch oder lang wie bei der Giraffe. Infolge dieſer geringen Wirbelzahl und bei dem Mangel von Gelenken zwiſchen den Wirbelkörpern iſt der Hals der Säuger, auch wenn er lang iſt, wenig beweglich. Nur bei den Un— paarhufern ſind die hinteren Flächen der Wirbelkörper beſonders in der Halsgegend ausgehöhlt und können ſich daher auf den entſprechend geſtalteten Zwiſchenwirbelſcheiben, die als Gelenkhöcker dienen, leichter bewegen. Wo der Hals beſonders verſteift werden muß, ſind die Halswirbel kurz und können miteinander verſchmelzen: ſo ſind beim Maulwurf der zweite, dritte und vierte Halswirbel verſchmolzen, bei dem nach Maul— wurfsart grabenden Nager Siphneus der dritte bis ſiebente, bei manchen Walen (Balaena, Hy peroodon) alle Halswirbel. Eine Ausnahme von der Regelmäßigkeit der Siebenzahl machen nur manche Faultiere: Choloepus hoffmanni Ptrs. hat nur ſechs Halswirbel; dagegen hat eine andere Faultiergattung, Bradypus, deren neun, indem zwei Rumpfwirbel dem Halſe angefügt ſind. Dadurch hat auch der Wi (Brad. tridactylus Cuv.) eine Be— weglichkeit ſeines Halſes erlangt wie kein anderer Säuger: er kann ſein Geſicht voll— kommen in den Nacken drehen. — Die beſondere Geſtaltung, die der erſte und zweite Rumpfwirbelſäule. 143 Halswirbel bei den Amnioten beſitzen, ſoll unten bei der Beſprechung des Schädels er— örtert werden. Die Rumpfwirbelſäule dehnt ſich vom Ende der Halsregion bis zu den Wirbeln aus, die das Becken tragen. Ihr Beginn wird durch die Anweſenheit gut ausgebildeter Rippen bezeichnet. Rippen ſind paarige, knorpelige oder knöcherne Anhänge der Wirbel, die ſich in die bindegewebige Scheidewand zwiſchen zwei Muskelſegmenten hinein er— ſtrecken. Wenn ſie auch nur in der Rumpfregion eine bedeutende Ausbildung erreichen, ſo können ſie doch jedem Wirbel zukommen. So finden ſich bei den Reptilien und Vögeln, ſtellenweiſe auch bei Säugern vielfach noch am Hals, beſonders aber am Schwanz Rippenreſte, die ſich an dieſen exponierten Stellen als Schutzorgane für große Blut— gefäße erhalten haben; am Hals bilden ſie, mit ihrem doppelten Anſatz am Wirbel jederſeits einen kurzen Kanal (Foramen transverſarium), und am Schwanz vereinigen ſie ſich mit ihren freien Enden ventral vom Wirbel und ſchließen den ſogenannten Hämalkanal ein. Bei den Fiſchen erſtrecken ſich die Rippen, ſoweit ſie in der Leibeshöhlenwand liegen, ſo weit wie die Leibeshöhle; ſie ſchließen ſich aber auf der Ventralſeite derſelben nicht an ein Bruſtbein an; manche Fiſche beſitzen horizontale Rippen, die natürlich nur als Anſatzpunkte für die Muskeln oder als Stützen für die Muskelſcheidewände dienen. Bei den Amphibien ſind die Rippen unbedeutend entwickelt. Dagegen umgreifen ſie bei Reptilien, Vögeln und Säugern den vorderen Teil der Leibeshöhle ſpangenartig, und die vorderſten vereinigen ſich auf der Ventralſeite mit einem beſonderen Skelettſtück, dem Bruſtbein. Dieſes iſt, wahrſcheinlich auch ſtammesgeſchichtlich, im Anſchluß an den Schultergürkel entſtanden durch Vereinigung der einander entſprechenden knorpeligen Rippenenden; es fehlt, wo die Vordergliedmaßen und mit ihnen der Schultergürtel rückgebildet ſind, wie bei den Schlangen. Bruſtwirbelſäule, Rippen und Bruſtbein bilden einen feſten Panzer um den vorderen Abſchnitt der Leibeshöhle; ſie ſtellen den Bruſtkorb dar, in dem Herz und Lungen, die Eingeweide von konſtantem Um— fang, geſchützt liegen. Auch beim Tragen der Baucheingeweide ſind wenigſtens die hinteren Rippen beteiligt; unter den Säugern reichen daher bei Tieren mit ſchweren Eingeweiden, alſo bei den großen Pflanzenfreſſern, wie den Dickhäutern, Einhufern und Wiederkäuern, die Rippen weiter nach rückwärts als bei den Fleiſchfreſſern; letztere haben daher eine längere Lendenwirbelſäule. Um eine Erweiterung und Ver— engerung des Bruſtkorbes zu geſtatten, ſind die Rippen beweglich an der Wirbelſäule eingelenkt, und zwar im allgemeinen mit zwei Gelenken, deren eines am Wirbel— körper, das andere am Querfortſatz liegt. Damit iſt zwar ihre Beweglichkeit auf die Drehung um eine Achſe beſchränkt, andererſeits aber der Feſtigung des Bruſtkorbes Rechnung getragen. Auf die Bewegungen des Bruſtkorbes iſt in dem Abſchnitt über die Atmung noch näher einzugehen. Hier ſei nur noch der Form desſelben gedacht. Dieſe iſt einerſeits durch die Schwere des Skelettes ſelbſt und der Weichteile, andererſeits durch den Anſatz der Vordergliedmaßen mechaniſch bedingt. Wo der Körper auf den vier Gliedmaßen wie auf Stützen ruht, da wird durch Heranrücken der Vordergliedmaßen an die Wirbel— ſäule die Tragkraft dieſer Gliedmaßen erhöht, dabei aber der Bruſtkorb in ſeinem vorderen Teil eingeengt. In ähnlichem Sinne macht ſich die Belaſtung geltend, die als Zug nach unten wirkt und dem Bruſtkorb eine gekielte Form mit herzförmigem Quer— ſchnitt gibt, und das um ſo mehr, je größer die Tiere ſind: ſo finden wir's unter den Reptilien beim Chamäleon, unter den Säugern bei denen, die auf vier Füßen laufen 144 Bruſtkorb. Lendenwirbelſäule. (Abb. 87A). Wo dagegen bei kurzen Gliedmaßen der Körper auf der Unterſeite ge— wöhnlich eine Unterſtützung hat, ſei es durch Aufliegen auf dem Boden wie bei den meiſten Reptilien und dem Maulwurf oder durch Aufenthalt im Waſſer, wie bei den Schwimmſäugern, da wirkt der Zug der Belaſtung nicht auf den Bruſtkorb ein, und ſeine Geſtalt iſt abgeflacht faßförmig. Ebenſo iſt er gebaut bei Säugern mit aufrechter Haltung (Abb. STB), wo der Druck des Skelettgewichts und der Eingeweide nicht ſenkrecht zur Wirbelſäule, ſondern parallel zu ihr wirkt. Bei herzförmigem Querſchnitt des Bruſtkorbes würde dann die Belaſtung an einem zu großen Hebelarm angreifen; durch ſeitliche Wölbung der Rippen wird aber der Schwerpunkt des Bruſtkorbes dem Tragapparat, der Wirbelſäule, genähert, und ſo geſtalten ſich die ſtatiſchen Bedingungen viel günſtiger. Daher haben Säuger mit aufrechter Hal— tung, wie die auf den Hintergliedmaßen hüpfenden Tiere (Springmaus, Känguruh) und beſonders die höheren Affen und der Menſch einen Bruſtkorb, bei dem der Breiten— durchmeſſer den Mediandurchmeſſer überwiegt. Das Bruſtbein, durch die Rippen geſtützt, bietet zu— gleich einen Anſatzpunkt für die zu den Vordergliedmaßen - gehenden Muskeln und iſt daher in ſeiner Ausbildung von der Wichtigkeit und Inanſpruchnahme dieſer Glied— maßen bedingt. Bei Reptilien und Säugern iſt es daher gering entwickelt im Vergleich zu den Vögeln: hier wird es zu einer großen Knochenplatte mit mehr oder weniger hohem Kiel, der zum Anſatz für die Flugmuskeln dient und mit der Maſſe dieſer Muskeln wächſt oder abnimmt (vgl. unten bei Flug). Auch bei fliegenden und grabenden Säugern erhält das Bruſtbein einen Kiel, wenn auch nur von geringerer Höhe: ſo bei den Fledermäuſen und beim Maulwurf (Abb. 88). Der Beſatz mit Rippen bildet für die Rumpfwirbel immerhin eine nicht unbedeutende Behinderung in der Be— wegung gegeneinander. Daher erfolgen die Bewegungen e Demi der Rumpfwirbelſäule, beſonders bei den Säugern, haupt— eines auf vier Fußenden laufenden ſächlich in ihrem hinteren Abſchnitt, wo die Rippen fehlen, e Matniner, 2endentensum: dieſe iſt zwiſchen die durch die a Hintergliedmaßen fixierte Kreuzregion und die Bruſt— region als Gebiet größerer Beweglichkeit eingeſchaltet; ſie iſt das „Deichſelgelenk des Lokomotionsapparates“ (Welcker). Welche Bedeutung die Länge der Lendenregion für die Beweglichkeit der Säuger hat, wird durch folgende Zahlen erläutert: bei dem ſchwer— fälligen Faultier (Choloepus) mißt fie noch nicht / der Bruſtregion, beim Lemur °/,, bei der Meerkatze etwa , bei der Wildkatze ſind Lenden- und Bruſtregion gleich (Lucae). Der hintere Teil der Leibeshöhle, der Bauch, iſt daher meiſt ohne Schutz— vorrichtungen, außer wo beſondere „Bauchrippen“ vorkommen, wie bei manchen Rep— tilien (vgl. unten). Dadurch wird aber zugleich der ſehr wechſelnde Füllungszuſtand der Baucheingeweide ermöglicht, der durch die Füllung von Magen und Darm mit voluminöſer Nahrung, und bei den weiblichen Säugern durch die Entwicklung der Jungen im Mutterleibe bedingt wird. Kreuzwirbel; Schwanzwirbel. 145 Die Kreuzwirbel ſind in ihrer beſonderen Geſtalt und ihrem ſonſtigen Verhalten beſtimmt durch ihre Aufgabe, das Becken zu tragen und damit als Stützpunkt für die Hintergliedmaßen zu dienen. Sie erreichen daher eine bedeutendere Größe als die anderen Wirbel, beſitzen ſtarke, oft mächtig verbreiterte Querfortſätze und ſind häufig untereinander und mit den Nachbarwirbeln verwachſen. Die Zahl der Kreuzwirbel iſt urſprünglich gering; bei Amphibien iſt es nur einer, bei Reptilien einer oder meiſtens zwei; zwei finden ſich auch, der nahen Verwandtſchaft entſprechend, beim Vogelembryo, und auch bei den Säugern ſind urſprünglich nur einer oder zwei vorhanden. Wo die Hintergliedmaßen von erhöhter Bedeutung für die Fortbewegung ſind, da macht ſich das in der Geſtaltung der Kreuzwirbel geltend. So iſt der eine Kreuzwirbel der Froſchlurche oft gewaltig ent— wickelt, und ſeine Querfortſätze verbreitern ſich flügelartig (Abb. 89). Bei den Vögeln und vielen Säugern verwachſen eine Anzahl benachbarter Wirbel mit den Kreuzwirbeln zu einem einheitlichen Knochen, dem Kreuzbein, und verſtärken ſo den Tragapparat des Beckens. Beſonders auffällig iſt das bei den Vögeln, wo die Hintergliedmaßen das ganze Körpergewicht zu tragen haben; hier können bis zu 23 Wirbel in das Kreuzbein eingehen. Bei den Säugern vereinigen ſich bis zu 11 Schwanzwirbel mit den beiden Kreuzwirbeln. Am allerwechſelvollſten in ſeiner Ausbildung iſt der Endabſchnitt der Wirbelſäule, ebenſo wechſelnd wie die Aufgaben, die ihm zufallen. Bei den Fiſchen kann man von einem eigentlichen Schwanzteil nicht ſprechen. Die Geſtalt der Wirbel zeigt in der ganzen Wirbelſäule nur geringe Unterſchiede; das hängt mit der einheitlichen Leiſtung des ganzen Organs zuſammen. Der Endabſchnitt des Körpers nimmt einen weſent— lichen, ja zuweilen den Hauptanteil an der Schlängelbewegungen, die den Fiſch vorwärtstreiben. Wenn man die Wirbel, denen die Rippen fehlen, als Schwanzwirbel bezeichnen wollte, ſo wäre das natürlich nur dort anwendbar, wo überhaupt Rippen vorkommen, und das iſt bei einer 3 großen Zahl der Formen nicht der Fall; aber auch dort iſt dieſer Unter- Abb. 868. : . 1 » : ie Schlüſſelbein, ſchied ein ſehr äußerlicher; bei den Schollen z. B. müßte man dann den Bruſtbein und größten Teil der Wirbelſäule zum Schwanz rechnen, da hier die Leibes- „um antun höhle und damit auch die Rippe ganz auf den vorderſten Abſchnitt ee beſchränkt ſind. Bei den Schwanzlurchen iſt die Schwanzwirbelſäule gut 2 Bruſtbeinkiel. ausgebildet, beſonders wenn der Schwanz im Waſſer als Ruder dient. Aten Bei den Froſchlurchen dagegen ſind die hinter dem Kreuzwirbel gelegenen Wirbel zu einem griffelartigen Knochen verſchmolzen, dem Steißbein (Abb. 89, 7). Dieſes tritt aber nicht wie ein Schwanz aus dem Körper hervor; vielmehr iſt bei dieſen Tieren, deren Hintergliedmaßen meiſt allein die ſpringende Bewegung vermitteln, zu einem Hilfs— apparat des verhältnismäßig ſchwach befeſtigten Beckens geworden: es geht ein breiter Muskel von ihm zum Darmbein, und dieſer verſtärkt einerſeits die Befeſtigung des Beckens, bewirkt aber auch Bewegung des Beckens gegen das Steißbein und hilft damit die Sprungbewegung ausgiebiger machen. Von großer Wichtigkeit iſt der Schwanz als Verlängerung des ſchlängelnden Körpers (vgl. unten) bei den gliedmaßenloſen oder mit kurzen Beinen verſehenen Amphibien und Reptilien. Daher iſt die Zahl ſeiner Wirbel hier außerordentlich vermehrt; ſo kommen bei der Blindſchleiche von etwa 110 Wirbeln 60 auf den Schwanz, bei dem Scheltopuſik (Pseudopus apus Pall.) von 161 ſogar 105. Die Schwanzwirbelſäule der heutigen Vögel iſt rudimentär geworden. Der Urvogel Archae— Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 10 146 Schwanzwirbelſäule. opteryx beſaß noch eine eidechſenartig lange, zweiſeitig befiederte Schwanzwirbelſäule (Abb. 39); dieſer Vogel war wahrſcheinlich noch mehr Klettertier als Flieger, und wir dürfen uns ſeinen Flug wohl als ein abwärts gerichtetes Flattern vorſtellen; dabei wird ihm der Schwanz als Steuer und als Fallſchirm gedient haben. Bei den heutigen Vögeln iſt die Zahl der Wirbel auf 5—7 beſchränkt, und das Ende der Wirbelſäule wird durch ein Knochenſtück mit dorſalem, ſeitlich plattgedrücktem Kiel gebildet, das ſogenannte Pygoſtyl; beim Embryo beſteht es noch aus ſechs getrennten Wirbelanlagen, die ſpäter verſchmelzen. Dadurch wird ein feſter Anſatzpunkt für die Schwanzfedern gewonnen; je zahlreicher dieſe ſind, und je ſchwerer der Schwanz iſt, und je höhere Anſprüche an ihn geſtellt werden, um ſo ſtärker iſt auch das Pygoſtyl ausgebildet; bei den Spechten, die ſich beim Klettern auf die Schwanz— federn ſtützen, iſt es eingroßer Knochen mit pflugſcharähn— lichem Kiel, und ſeine Größe beim Pfauhahn iſt weit be— deutender als bei der Henne, entſprechend dem gewaltigen Schwanz des Hahnes. Der Schwanz dient den Vögeln als Steuer beim Flug; bei den Laufvögeln, wo ihm dieſe Funktion abgeht, bleiben die letzten Schwanzwirbel ge— trennt und ſind ſehr ſchwach entwickelt. — Wenn alſo der Schwanz bei den Vögeln faſt überall noch eine Be— ziehung zur Ortsbewegung, ſeiner urſprünglichen Funk— N tion, bewahrt hat, jo iſt Abb. 89. Skelett der Wabenkröte (Pipa . Laur.). . dieſe bei den Säugern nur 1 Steißbein, 2 Querfortſatz des Kreuzwirbels, 3 Darmbein (Ileum) des Beckens. noch in einer Anzahl bon Fällen vorhanden; häufig iſt die Bedeutung eine ganz ſekundäre, und in vielen Fällen iſt der Schwanz ein rudimentäres Organ geworden. Deshalb iſt die Wirbelzahl ungemein wechſelnd — ſie ſchwankt zwiſchen 49 beim langſchwänzigen Schuppentier (Manis tetradactyla L.) und 3 beim Gibbon und Schimpanſe — und die Differenzierung der Wirbel iſt meiſt ſehr gering. Bei den Walen und Sirenen hat der Schwanz ſeine urſprüngliche Funktion als Ruder, wenn auch in veränderter Weiſe, wieder aufgenommen, und dadurch erklärt ſich die ſtärkere Entwicklung ſeiner vorderen Wirbel. Bei den Spring— tieren iſt er ein nicht unwichtiges Hilfsorgan für den Sprung; zuweilen dient er als Stütze beim Sitzen auf den Hintergliedmaßen und bildet mit dieſen einen Dreifuß, wie bei Känguruh, Springmaus und Erdferkel; in allen dieſen Fällen beſitzt er eine gut entwickelte Muskulatur zu mannigfacher Eigenbewegung, und dieſe verlangt Anſatzflächen und Fortſatzbildungen an den Wirbeln. Je mehr dagegen ein langer Schwanz mehr Greifſchwanz. 147 als Ganzes bewegt wird, wie der Steuerſchwanz der Katzen, der Hängeſchwanz der Alt— weltaffen, oder der nur als Fliegenwedel benutzte Schwanz der Rinder und Pferde, deſto mehr nimmt auch Größe und Oberflächenausbildung der Wirbel ab und wird 0 minimal bei den zahlreichen rudimentären Schwanzbildungen. Eine eigenartige 1 Verrichtung als Greif- und ſtellenweiſe auch Taſtorgan und damit wieder eine ſtärkere Differenzierung ſeiner Wirbel = hat der Schwanz bei einer Anzahl a baumbewohnender Säuger erhalten, ſeltſamerweiſe ſind dieſe, mit einziger Ausnahme der Kuſus (Phalanger) von den auſtraliſchen Inſeln, alle auf Südamerika beſchränkt und gehören 1 12 Abb. 90. Zwergameiſenfreſſer (Cyeloturus didactylus L.). ½ nat. Größe. den verſchiedenſten Ordnungen an unter den me” Beuteltieren ſind es die Beutelratten (Didel- f phys), von Zahnarmen die baumbewohnenden Zwergameiſenfreſſer (Tamandua und Cyelo- turus), (Abb. 90); ein Nager mit Greifſchwanz iſt der Greifſtachler (Cercolabes villosus Wtrh.), von Raubtieren gehört der Wickelbär (Cerco— | leptes caudivolvulus III.) hierher, und eine Anzahl Neuweltsaffen (Ateles, Mycetes, Cebus) ſind ebenſo ausgezeichnet. Die Funktion des Greifens hat der Schwanz allerdings in einigen Fällen auch bei anderen Wirbeltieren, z. B. beim Seepferdchen (Hippocampus, Taf. 9) und beim Chamäleon (Taf. 14). 10 148 Wirbeltheorie des Schädels. b) Der Schädel. Das vorderſte Ende des Achſenſkeletts bildet der Schädel. Wie die Wirbelſäule durch ihre oberen Bögen zum Schutzorgan für das Rückenmark wird, ſo iſt der Schädel ein ſolches für das Gehirn; und wie ferner an die Wirbelſäule Rippen als Stützeinrich— tungen für die Wand der Bruſthöhle anſetzen, ſo ſchließt ſich an den Schädel der Stütz— apparat für den Vorderdarm an, das Kiemenſkelett oder der Visceralſchädel; zu ihm gehören die Kiefer und die Kiemenbögen mit ihren Verbindungsſtücken. Beide Teile des Schädels, Hirn- wie Visceralſchädel, unterliegen einer unendlichen Menge von Ab— änderungen, die in ihren Hauptzügen auf das engſte mit der Funktion der betreffenden Teile in Zuſammenhang ſtehen. Der Vergleich des Hirnſchädels mit den Wirbeln legt den Gedanken nahe, daß er nur ein vorderes Ende, eine durch die beſonderen Verhältniſſe bedingte Umbildung der Wirbelſäule ſei. Es war Goethe, der als erſter dieſem Gedanken nähertrat. Auf dem Judenkirchhof in Venedig fand er 1790 einen zerfallenden Schöpſenſchädel, und er glaubte, in den einzelnen Knochenkomplexen desſelben hintereinander gelegene Wirbel wiederer— kennen zu können. Zum erſten Male veröffentlicht wurden ſolche Ideen einige Jahre darauf durch den Jenenſer Naturphiloſophen Oken. Die Frage, ob der Schädel wirklich „aus Wirbeln zuſammengeſetzt“ ſei, oder, wie ſie ſich im Verlaufe der weiteren Forſchung formulierte, ob das Kopfſkelett metamer gegliedert ſei, hat eine Unmenge von Unter— ſuchungen hervorgerufen. Das Endergebnis iſt, daß die Goethe-Okenſche Wirbeltheorie des Schädels zwar einen richtigen Kern hat, aber in der Faſſung, die jene Denker ihr gegeben, nicht haltbar iſt. Indem man die fertigen Schädel verſchiedener Wirbeltiere vergleicht, und die verſchiedenen Entwicklungsſtufen des Schädels bei den einzelnen Formen genau unterſucht, kommt man zu der Anſchauung, daß im Schädel ein vorderer Abſchnitt von einem hinteren zu unterſcheiden iſt: in jenem, dem Urſchädel oder Paläokranium, beſtand wahrſcheinlich nie eine metamere Gliederung; dieſer dagegen, der Wirbelſchädel oder das Neokranium, iſt durch Verſchmelzung ſegmentaler Abſchnitte entſtanden. Das darf aber nicht ſo aufgefaßt werden, als ob man noch jetzt in beſtimmten geſonderten Schädelknochen die einſtigen Wirbelkörper und ihre Bögen nachweiſen könnte, wie Goethe das glaubte; nur in der Entwicklung treten vorübergehend Zuſtände auf, die eine ſolche metamere Zuſammenſetzung andeuten. Auf jeden Fall ſind die das Schädeldach bildenden Knochen nicht mit oberen Bögen von Wirbeln vergleichbar; ſie entſtammen vielmehr, wie unten noch näher ausgeführt wird, der äußeren Knochenpanzerung des Kopfes und nicht dem Achſenſkelett. Es gibt ſogar Wirbeltiere, denen ein Wirbelſchädel völlig fehlt, die nur einen Ur— ſchädel beſitzen. Dies iſt der Fall bei den niederſten Fiſchen, den Cykloſtomen: die knorplige Schädelkapſel ſchließt hier mit der Ohrkapſel ab, und als letzter Nerv tritt der 10. Hirnnerv, der Nervus vagus, aus dem Schädel, nicht wie bei anderen der 12. Das Achſenſkelett beſitzt bei den Cykloſtomen gar keine Wirbelkörper, und ſeine Gliederung wird nur durch die das Rückenmark ſchützenden knorpligen Bogenſtückchen angedeutet: es kann alſo kein Abſchnitt der Schädelbaſis aus einer Verſchmelzung von Wirbelkörpern entſtanden ſein. Im Gegenſatz zu den Zykloſtomen erſtreckt ſich bei anderen Wirbeltieren der Schädel weiter nach hinten über das zentrale Nervenſyſtem hin, aber nicht überall gleich weit. Die Zahl der Wirbelelemente, die mit dem Urſchädel verwachſen, iſt ver— ſchieden, bald kleiner bald größer. Bei den meiſten Selachiern und den Amphibien iſt Urſchädel und Wirbelichädel. 149 ſie beſchränkt, vielleicht 6 oder 8; dazu kann bei den übrigen Fiſchen noch eine wech— ſelnde Zahl weiterer Wirbel kommen, ſo daß die Schädelgrenze ſchwankt. Bei Reptilien, Vögeln und Säugern dagegen iſt eine feſte Schädel— grenze entſtanden, ſo daß ihre Schädel morpho— logiſch untereinander gleichwertig ſind. Der Urſchädel wird in ſeiner Form haupt— ſächlich durch die Form und Ausbildung des Ge— hirns und der Sinnesorgane beeinflußt. Gehirn, Gehörlabyrinth und Naſengruben ſind von ihm umſchloſſen, und die Augen liegen zwiſchen den beiden letzteren in Buchten des Schädels, häufig unbeſchützt; erſt von den Reptilien an erhalten ſie einen ſtärkeren Schutz durch Schädelteile. Die Größe des Gehirns, die bei den höheren Tieren ſtetig zunimmt, bedingt natürlich eine bedeutendere Wölbung und Ausdehnung des Hinterſchädels, beſonders bei den Vögeln und Säugern. Der Einfluß der Sinnesorgane aber iſt ſo groß, daß man geradezu den Urſchädel von vorn nach hinten in einen Naſen-, Augen- und Labyrinthſchädel (naſalen, orbitalen und auditiven Abſchnitt) ein— teilen kann; nach hinten ſchließt ſich dieſen bei allen Wirbeltieren, mit Ausnahme der Cykloſtomen, der Wirbelſchädel (occipitaler Abſchnitt) an. Bei Fiſchen und Amphibien liegen die Abſchnitte des Schädels in gerader Linie hintereinander. Von den Reptilien an verlagert ſich jedoch die Naſen— höhle nach abwärts und näher an das Gehirn heran, ſchließlich ſogar teilweiſe unter dasſelbe, und dadurch wird die urſprünglich horizontale Schädelachſe vorn umgeknickt. Dabei kommt es zugleich zur Bildung eines neuen, tiefer gelegenen Mundhöhlendaches durch einwärts wachſende Fort— ſätze des Gaumenbeins, die in der Mitte zuſammen— ſtoßen; die Schädelbaſis bildet daher nicht mehr wie bei den Fiſchen und Amphibien das Dach der Mundhöhle. Durch dieſe Veränderungen wird die Form des Schädels erhöht und zugleich mehr und mehr verkürzt. Wie die Wirbelſäule iſt auch der Schädel urſprünglich knorpelig angelegt und verharrt zeit— E s 2 : Abb. 91. Schädelkapſel des Störs; lebens in dieſem Zuſtande bei den Cykloſtomen, auf der rechten Seite find die deckenden Haut— 1 9 knochen darüber gezeichnet. 1 Augenhöhle; Plagioſtomen und Knorpelganoiden. Dadurch aber, 2 Wirbelſäule. daß ſich am Kopfe durch Knochenbildung in der Unterhaut ein Hautſkelett bildet (Abb. 91), wird dem Schutzbedürfnis des Gehirns und der Sinnesorgane in vollerem Maße genügt, und der Knorpelſchädel wird teilweiſe über— 150 Schädeldach. flüſſig. Die Knochen des Hautjfeletts, das ſich bei Ganoiden und anderen Fiſchen über den ganzen Körper erſtreckt, bleiben bei höheren Tieren faſt nur noch am Schädel erhalten und liegen urſprünglich als Deckknochen dem Knorpelſchädel auf. Auch in der Mundhöhle ent— ſtehen ſolche Belegknochen und lagern ſich der Baſis des Knorpelſchädels auf; ſie bilden ſich durch Verſchmelzung der knöchernen Baſalplatten von Zähnchen und bewahren ihren Zahnbeſatz noch bei Fiſchen und manchen Amphibien, bei höheren Formen verlieren ſie ihn; ſolche Knochen ſind das Paraſphenoid und das Pflug— ſcharbein (Vomer). Vom Knorpelſchädel gehen nur einige Teile, wie die Schädelbaſis und die Ohrkapſeln, in Ver— knöcherung über. Die anderen, nicht verknöcherten Teile bleiben bei Knochenfiſchen und Amphibien noch in großer Ausdehnung beſtehen und werden auch noch auf die höheren Wirbeltiere fortgeerbt, aber ſie treten mehr und mehr zurück und ſind ſchon im embryonalen Schädel der Reptilien von großen Lücken durchbrochen; bei den Vögeln und Säugern ſind im fertigen Zuſtande nur noch geringe Spuren von Knorpel im Schädel enthalten, beſonders im naſalen Abſchnitt. Für die kleine Hirnhöhle der niederen Wirbeltiere genügt eine flache Überdachung. Bei den Vögeln und Säugern aber, wo die Hirnhöhle an Umfang bedeutend zunimmt, bildet das Schädeldach über dem Gehirn ein Gewölbe. Dadurch wird bei den Vögeln und den kleinen Säugern mit geringem Stoffaufwand eine genügende Feſtig— keit erreicht, und es kann dieſe bei bedeutenderer Dicke der Knochen bis zu einem hervorragenden Maße erhöht werden.“ Ein Beiſpiel aufs höchſte geſteigerter Leiſtungsfähigkeit bietet das Schädeldach der Wiederkäuer mit ſeiner gewaltigen Belaſtung durch Hörner oder Geweihe und ſeiner rieſigen Beanſpruchung für Stoß. Gewicht und Geſtalt der Hörner und Geweihe und die mit dieſen wechſelnde Größe und Richtung des Druckes oder Zuges ſind natürlich von Ein— fluß auf die Form des Schädeldaches: die rückwärts ge— richteten Hörner des Büffels (Bubalus buffelus L.) bewirken eine ſtarke Wölbung der Stirn, während bei ſeitwärts Abb. 92. ſtehenden Hörnern die Stirn eben wird, eine Form, die dem en männtigenMuntiat Druck von der Seite angepaßt erſcheint. Für das Tragen der Geweihe ſind durch Verdickungen der Schädelwand gleichſam Strebepfeiler in dieſe eingefügt; durch ſie wird die Laſt auf den ganzen Schädel verteilt. Beſonders auffällig iſt das beim Muntjak (Cervulus muntjac Zimm., Abb. 92), wo jederſeits eine ſolche Verdickung zuſeiten der Stirn herabläuft, entſprechend der rück— wärts gerichteten Stellung des Geweihes. Die Belaſtung des Schädels mit Geweihen und Gehörnen wirkt natürlich auf ſeine Befeſtigung an der Wirbelſäule zurück. Das Gewicht des Schädels wirkt an dem Hebel des Halſes und wird bei gegebener Länge des Halſes um ſo ſtärker zur Geltung kommen, je mehr der Hals ſich der horizontalen Lage nähert, um ſo weniger, je mehr er ſenkrecht ſteht. Danach richtet ſich alſo bei den Wiederkäuern die Stärke des Nackenbandes und Gelenkung des Schädels an der Wirbelfäule. 151 der Muskeln, die den Kopf tragen und bewegen, und zugleich auch die Ausbildung ihrer Anſatzpunkte. Beſonders lehrreich iſt in dieſer Hinſicht der Vergleich der Skelette des geweihtragenden Hirſches und des geweihloſen weiblichen Tieres: am Schädel iſt die Aus— dehnung der Anſatzflächen für Nackenband und Muskeln beim Hirſch auffällig größer als bei einem allerdings etwas kleineren Tiere; fie verhalten ſich etwa wie 8: 5; die Dorn— fortſätze der letzten Hals- und erſten Rückenwirbel, wo das Band und die Muskeln be— feſtigt ſind, haben dort eine viel größere Länge als beim Weibchen; die längſten der— ſelben maßen dort 14,5, hier 9 cm. Beim amerikaniſchen Biſon, deſſen gewaltiger Schädel wegen der horizontalen Stellung des Halſes eine beſonders ſtarke Befeſtigung erfordert, mißt der Dornfortſatz des zweiten Bruſtwirbels 50 em Länge, bei einer geſamten Höhe des Tieres von 1,65 m am Widerriſt. Wenn der Teil des Schädels, der an die Wirbelſäule angrenzt, durch Einſchmelzung von Wirbeln entſtanden iſt, ſo iſt es leicht begreiflich, daß im allgemeinen die Verbindung des Schädels mit dem erſten Wirbel ebenſo geſchieht wie die Verbindung der Wirbel untereinander. Im urſprünglichen Falle, bei den Fiſchen, iſt es eine einfache Bandverbindung, die nur eine geringe Beweglichkeit des Schädels ge— ſtattet. Eine ſolche Feſtigung des Schädels iſt mechaniſch nicht unwichtig, da dieſer bei der Be— wegung gegen den Widerſtand des Waſſers voran— geht und gleichſam den Weg bahnen muß. Wo Tiere mit freierer Beweglichkeit des Kopfes ſich wieder an das Leben im Waſſer anpaſſen, ſtellt ſich häufig von neuem eine Verkürzung und Verſteifung des Halsteiles ein wie bei den Walen (vgl. oben). Bei höheren Tieren tritt eine gelenkige Verbindung . ö zwiſchen Schädel und erſtem Wirbel auf: bei den Abb. os. Atlas und Epiſtropheus eines 2 er . ur 8 jungen Bären Ursus americanus Pall.) Reptilien und Vögeln iſt am Schädel ein Gelenk— von der Ventralſeite. kopf an der unteren Begrenzung des Hinterhaupt. eee aa loches gelegen, der in eine Pfanne des erſten Wirbels eingreift; bei den Amphibien und Säugern ſind, abweichend von der Verbindung der Wirbel untereinander, zwei ſeitliche Gelenkköpfe am Schädel, durch Teilung eines urſprünglich einheitlichen, entſtanden, und zwei ſeitliche Pfannen am erſten Halswirbel vorhanden. Eine geſteigerte Beweglichkeit des Kopfes, die naturgemäß eine größere Verwendbar— keit der Sinnesorgane mit ſich bringt, wird von den Reptilien an einmal durch die größere Beweglichkeit der Halswirbelſäule, beſonders aber durch die eigentümliche Ein— richtung der beiden erſten Halswirbel ermöglicht. Dieſe unterſcheiden ſich von den übrigen durch eigenartige Formausbildung und werden als Atlas (weil er den Kopf trägt wie der Rieſe Atlas das Himmelsgewölbe) und Epiſtropheus (Dreher) bezeichnet. Der Atlas ſtellt etwa einen Ring vor; ſein Wirbelkörper bleibt von den zugehörigen Bögen geſondert und verwächſt mit dem Körper des zweiten Wirbels, an dem er den nach vorn vorſpringenden Zahnfortſatz bildet; bei jungen Tieren ſind die Verwachſungsnähte noch ſichtbar (Abb. 93). Die dorſalen Bögen des erſten Wirbels bilden durch Verbindung mit einer ventralen Knochenſpange, die vielleicht den ventralen Bögen entſpricht, den Ring, und dieſer dreht ſich um den Zahnfortſatz in der zur Wirbelſäule ſenkrecht ſtehenden Tr: * MI NN . NN 152 Gliedmaßen. Ebene. So erlaubt das Zuſammenwirken der beiden Gelenke eine große Beweglichkeit des Schädels bei großer Sicherheit der Verbindung, wie ſie ein einzelnes Gelenk mit ſolcher Bewegungsfreiheit nicht hätte gewähren können. Je ſchwerer der Schädel iſt, um ſo kräftiger müſſen die Muskeln und Bänder ſein, die von ihm zum Atlas und Epiſtropheus gehen. An dieſen bilden ſich dann größere Anſatzflächen: beim Atlas ſind es die Querfortſätze, beim Epiſtropheus der Dornfortſatz, die in ſolchem Falle eine ſtarke Ausbildung erfahren. Sie ſind am meiſten unter den Säugern bei Raubtieren und manchen Huftieren entwickelt. Nur ſolche Einrichtungen ermöglichen es dem raſenden Kaffernbüffel, daß er mit den Hörnern ein Pferd in die Luft wirft „als wäre es ein Hund“, nur dank ſolcher Befeſtigung vermag der Löwe ein Rind im Maule fortzuſchleppen oder der Hund mit ſchüttelndem Ruck dem Haſen das Genick zu brechen. — An die Wirbelſäule ſchließt ſich das Skelett der vorderen und hinteren Gliedmaßen an, meiſt durch Vermittlung eines Schulter- und Beckengürtels. Es kann wohl kein Zweifel beſtehen, daß die Gliedmaßen der luftatmenden Wirbeltiere den paarigen Floſſen der Fiſche homolog ſind. Ihre Ableitung von dieſen iſt jedoch dunkel, und deshalb ſollen die Hypotheſen, die darüber erdacht ſind, hier übergangen werden. Von den Amphibien aufwärts iſt die Zuſammenſetzung der Gliedmaßen überall in den Grundzügen die gleiche: ſie bilden eine gegen das Ende ſtetig an Breite zunehmende Knochenreihe. Wir finden an der Vordergliedmaße ſtets einen Oberarmknochen (Humerus), zwei nebeneinander lie— gende Unterarmknochen (Radius und Ulna), zwei Querreihen von drei und fünf Hand— wurzelknochen, zwiſchen die noch ein zentraler Knochen eingeſchoben iſt (Handwurzel oder Carpus), an dieſe anſchließend eine Reihe von fünf Mittelhandknochen (Metacarpus), an denen die urſprünglich fünf gegliederten Finger anſitzen. Dementſprechend beſteht die Hintergliedmaße aus einem Oberſchenkel-(Femur) und zwei Unterſchenkelknochen (Tibia und Fibula), zwei Querreihen von drei und fünf Fußwurzelknochen (Tarſus), einer Reihe von fünf Mittelfußknochen (Metatarſus) und den fünf gegliederten Zehen. Vorder- und Hintergliedmaßen zeigen alſo in der Zahl der ſie zuſammenſetzenden Stücke völlig den gleichen Plan; ſie ſind untereinander gleichwertig, ſerial homolog. Entſprechend der ver— ſchiedenen Verwendung und Beanſpruchung der Gliedmaßen geſtaltet ſich einerſeits ihre Verbindung mit dem übrigen Skelett verſchieden, anderſeits aber wechſeln die Längen— und Dickenverhältniſſe der einzelnen Knochen einer Gliedmaße bei verſchiedenen Tier— formen, von extremſter Ausbildung bis zu völligem Schwund, und es treten vielfach Verſchmelzungen urſprünglich geſonderter Knochen ein, ſo daß dadurch das ganze Ausſehen der betreffenden Tiere in hervorragendem Maße beeinflußt wird. Da die Formen der Gliedmaßen ſpeziell mit der Art der Bewegung in Zuſammenhang ſtehen und bei ähnlich ſich bewegenden Tieren meiſt ähnliche Umbildungen erfahren, ſo ſoll erſt weiter unten bei der Betrachtung der verſchiedenen Bewegungsarten näher darauf eingegangen werden. — c) Die Haut. Die Haut, die den Wirbeltierförper nach außen begrenzt, hat natürlich damit auf die geſamte äußere Erſcheinung und auf den Zuſammenhalt der Teile einen Einfluß, der um ſo ſtärker hervortritt, je kräftiger ſie ausgebildet iſt. Die Haut der Wirbeltiere be— ſteht, wie bei manchen niederen Tieren, aus einer ektodermalen Epithellage, der Oberhaut oder Epidermis, und einer darunter gelegenen meſodermalen Bindegewebsſchicht, der Schichten der Wirbeltierhaut. 153 Lederhaut oder Kutis. Die Epidermis unterſcheidet ſich von der aller übrigen Tiere da— durch, daß ſie aus mehreren bis zahlreichen Zellagen geſchichtet iſt; nur beim Amphioxus iſt ſie einſchichtig wie bei den Wirbelloſen. In den tieferen Lagen ſind die Zellen gleich— mäßig polyedriſch; nach außen zu flachen ſie ſich zunehmend ab, und in den oberfläch— lichſten Schichten ſind ſie ganz abgeplattet und zugleich in ihrer Beſchaffenheit verändert: ihr Inhalt iſt nicht mehr plasmatiſch, ſondern in Horn— A ſubſtanz verwandelt. Die = see % oberflächliche Hornſchicht iſt S oo 3 bei den Waſſerti dü 2 009 60 Goo ä ei den Waſſertieren dünn ee und beſteht bei Fiſchen und 00000000000 0009090000 Amphibien nur aus einer „„ einzigen Zellage, bei den Luft— tieren dagegen iſt ſie dicker (Abb. 94). Bei jenen bildet ſie einen Schutz für die Epi— dermis gegen die chemiſchen Einflüſſe des Waſſers, bei dieſen mehr einen Schutz gegen das Vertrocknen und bewirkt mit zunehmender Dicke auch eine mechaniſche Feſtigung. Wo die verſchiedenen Lagen der Epidermis ſchärfer von— 4 einander getrennt ſind, wie I bei den Lufttieren, kann man | / 56g 9 % (88e doo 5 0 von innen nach außen eine A 77 20,0 5 N Keimſchicht (Stratum muco- fi " 8 9 e e 6 sum), eine Übergangsſchicht! 3 e 65 AN G N mit beginnender Veränderung , , WENN Al des Zellinhalts (Str. granu- fi e Fe ZN losum) und eine Hornſchicht N 2 nes (Str. corneum) unterscheiden ee om (CHE ,, ß Be er rn rer ee Die oberſten Zellagen der Abb. 94. Haut vom Feuerſalamander (4), Menſchen (B) und Seihwal , f (Balaenoptera borealis Less, C) im Querſchnitt. Hornſchicht werden von Zeit 1 Hornſchicht, 7 Übergangsſchicht, 2 Keimſchicht, 3 Lederhaut (nur in einem kleinen Teil ihrer Dicke gezeichnet), 4 Lederhautpapillen. zu Zeit abgeſtoßen und der A und B etwa 100 fach, etwa 50 fach vergrößert. C nah Japha. Abgang wird erſetzt durch Zellvermehrungen, die in der Keimſchicht ſtattfinden. Bei Embryonen und jungen Larven haben die Zellen der äußerſten Lage einen Kutikularſaum nach außen; wenn dieſe Lage aber abgeſtoßen iſt, tritt ein ſolcher Saum nicht mehr auf. Die Epidermis iſt der Mutterboden für die Hautdrüſen. Bei den Fiſchen bilden ſich einzelne ihrer Zellen in Schleimzellen um, deren Sekret den Körper überzieht und ſchützt gegen chemiſche und mechaniſche Schädigungen. Bei den Amphibien treten daneben vielzellige Drüſen auf, die bei den Säugern die allein vorkommenden und als Talgdrüſen allgemein verbreitet ſind, als Schweißdrüſen aber auch fehlen können. Reptilien und 154 Hautifelett. Vögel beſitzen keine diffus verbreiteten Hautdrüſen; nur ſolche Gebilde wie die Moſchus— drüſe der Krokodile und mancher Schildkröten und die Bürzeldrüſe der Vögel können hierher gerechnet werden. Die Lederhaut iſt bei allen Wirbeltieren gut ausgebildet. Sie beſteht aus ſtraffen Lagen faſrigen Bindegewebes, die in der Tiefe in das lockrere, ſubkutane Bindegewebe übergehen. Sie hat großen Anteil an der Feſtigung der Körperbedeckung. Da die Ober— haut keine Blutgefäße enthält, ſo empfängt ſie die Stoffe zu ihrer Ernährung aus der Lederhaut, die reichlich mit Blutgefäßen verſorgt iſt. Je dicker die Epidermis iſt, um ſo mehr Nahrung beanſprucht ſie. An Stellen, wo die Epidermis eine bedeutende Entwick— lung erreicht, erhebt ſich daher die Lederhaut gegen ſie in hügelförmigen Papillen, ſo daß die Berührungsfläche beider und damit die Ernährungsfläche für die Epidermis ver— größert wird. Je dicker die Epidermis der Säuger iſt, um ſo dichter und höher ſind die Kutispapillen; in die verhältnismäßig ſehr mächtige Epidermis der Dickhäuter und Wale, die bei letzteren über 5 mm Dicke erreichen kann, ragen ſehr zahlreiche lange faden— förmige Papillen herein (Abb. 940). In der Lederhaut treten bei vielen Wirbeltieren Knochenbildungen auf, die ein mehr oder weniger zuſammenhängendes Hautſkelett, einen Hautpanzer, bilden können. Je nied— riger eine Wirbeltierordnung ſteht, um ſo zahlreicher ſind in ihr die Arten mit Haut— panzerung. Unter den Fiſchen fehlen nur wenigen Arten Hartgebilde in der Haut; Amphioxus und die Rundmäuler ſowie manche Rochen und Chimären und einige Knochen— fiſche laſſen ſolche vermiſſen. Knochenſubſtanz tritt bei den Wirbeltieren überhaupt zuerſt im Hautſkelett auf: bei den Plagioſtomen (den Haien, Rochen uſw.), wo das Binnenfſkelett noch durchaus knorpelig iſt, finden ſich in der Lederhaut zahlreiche Knochenplättchen, die jedes für einen Hautzahn als Sockel dienen; der Zahn ſelbſt iſt in ſeiner Hauptmaſſe eben— falls ein Kutisgebilde und erhält von der Epidermis nur einen Schmelzüberzug. Die großen Knochenplatten in der Haut der Ganoidfiſche find wahrſcheinlich durch Verſchmel— zung ſolcher Sockel unter Rückbildung der Zähnchen entſtanden; ihrer geſchah ſchon Er— wähnung bei der Beſprechung der Knochen des Schädeldaches. Auch manche Knochenfiſche beſitzen einen eigentlichen Hautpanzer, jo manche Welſe, viele Haftkiefer (Ostracion, Dio- don) und die Büſchelkiemer (Hippocampus). Von den Knochenplatten in der Haut ſolcher Fiſche kann man eine Reihe von Übergängen finden zu den Schuppen der meiſten Knochen— fiſche. Bei einem Panzerwels (Loricaria) beſtehen die großen Knochenplatten aus echtem Knochen mit Knochenkörperchen, in den kleinen Platten fehlen die Knochenkörperchen; ebenſo beſtehen die Schuppen des Flughahns (Dactylopterus) nur aus gleichmäßiger Kalkſubſtanz, und in den Schuppen andrer Knochenfiſche bildet die verkalkte Maſſe nur eine dünne Deckſchicht auf der bindegewebigen Unterlage des Schuppenplättchens. — Unter den Amphibien beſaßen die ausgeſtorbenen Stegocephalen meiſt ein wohlausgebildetes Hautſkelett aus verknöcherten Schuppen und Stäbchen, das gewöhnlich die Bauchſeite, bei manchen auch noch die Rückenſeite ſchützte. Von den noch lebenden Amphibien beſitzen die Schleichenlurche in ihrer Haut Reſte von Knochenſchuppen; den Schwanzlurchen fehlt jedoch ein ſolcher Schutz und unter den Froſchlurchen ſind nur wenige, die Knochenein— lagerungen in der Haut beſitzen. Weit verbreitet iſt der Beſitz knöcherner Schuppen, Schilder und Platten bei den Reptilien: bei den Krokodilen ſind mächtige Knochenpanzer vorhanden; der Rückenſchild der Schildkröten geht aus einer Verbindung von Binnen— und Hautſkelett hervor, während ihr Bauchſchild eine reine Hautverknöcherung iſt. Auch manche Eidechſenartige haben knöcherne Schilder, während bei anderen und bei den Feder- und Haarkleid. 155 Schlangen die Körperbeſchuppung nur aus Kutisbildungen ohne Knocheneinlagerung be— ſteht. Auch die Bauchrippen vieler ausgeſtorbener Reptilien und der Krokodile und Rhynchocephalen ſind Kutisverknöcherungen. Bei den Vögeln fehlt ein Hautſkelett völlig. Unter den Säugern ſind Knochenbildungen in der Kutis ganz auf die altertümlichen Gürteltiere beſchränkt, und bei manchen Walen finden ſich Gebilde, die ſich als Reſte einer Hautpanzerung deuten laſſen, deren Vorhandenſein bei alttertiären Walen nachge— wieſen iſt. Den Übergang vom Waſſer- zum Landleben konnten nur ſolche Tiere ausführen, bei denen die Epidermis einen Schutz gegen das Vertrocknen erhielt. Schon bei den Amphibien erſcheint die Hornſchicht der Epidermis ſtärker ausgebildet. Aber ſie ſind immer noch Feuchtlufttiere; dauernder Aufenthalt in trockener Luft bringt ihnen den Untergang. Dagegen iſt bei den Reptilien, Vögeln und Säugern die Hornlage ſo gut entwickelt, daß ſie ein Vertrocknen der Epidermis ausſchließt. Sie ſind wie die meiſten Inſekten und Spinnentiere zu Trockenlufttieren geworden. Zugleich erfährt bei dieſen Tieren die Epidermis noch reichere Differenzierungen. An der Bildung der Reptilien— ſchuppen iſt zwar die Lederhaut noch ſtark beteiligt; viel geringer iſt dagegen ihr Anteil an der Bildung der Federn, und die Haare vollends ſind ganz vorwiegend Abkömmlinge der Epidermis, und die Lederhaut hat für ſie als Haarpapille nur die ernährende Be— deutung, die ja der Lederhaut gegenüber der Epidermis überhaupt zukommt. In dem Maße nun, wie die Epidermis für den Körperſchutz an Bedeutung gewinnt, tritt die Kutis zurück. Die Verknöcherungen in der Kutis geben die Epidermis Ver— letzungen und Schädigungen preis; bei hautgepanzerten Landbewohnern, wie vielen Rep— tilien und den Gürteltieren, bedarf dieſe daher noch eines beſonderen Schutzes durch Hornbildungen. Feder- und Haarkleid aber bieten einerſeits einen bedeutenden mecha— niſchen Schutz, andrerſeits haben ſie den Vorzug, daß ſie die freie Beweglichkeit des Körpers nicht behindern, wie das die Knochenplatten eines Hautpanzers oder die mächtigen Horn— platten der Rhinozeroshaut oder ſelbſt die Schuppenpanzer der Reptilien und der Schuppentiere unter den Säugern tun. Gerade für Landtiere mußte auch die Belaſtung durch den Panzer der Bewegung hinderlich werden im Gegenſatz zu den Waſſerbewohnern, wo das Waſſer am Tragen des Körpergewichts weſentlich mithilft. So find z. B unter den Schildkröten die waſſerbewohnenden Formen durchaus die behenderen und lebhafteren. Das Fehlen ſolcher Belaſtung erhöht die Behendigkeit der Feder- und Haartiere in einem ſolchen Maße, daß demgegenüber die geringere mechaniſche Feſtigkeit ihrer Hautbewehrung nicht in Betracht kommt. Dazu kam noch als ſehr wichtiges Moment, um dem Feder— und Haarkleid zum Übergewicht zu verhelfen, ſeine hohe Bedeutung für den Wärmeſchutz, die die Entwicklung einer konſtanten geſteigerten Körpertemperatur erſt möglich machte (vgl. unten bei Kreislauf). Wo die Haut mit Federn oder Haaren bedeckt iſt, bleibt die Epidermis und meiſt auch die Kutis viel dünner als an nackten Stellen, und die Kutispapillen fehlen zwiſchen den Federn und Haaren; feder- und haarloſe Haut dagegen bleibt dicker und iſt reich mit Kutispapillen verſehen, ſo am Hals mancher Vögel und an den Sohlenballen und der Schnauze bei den Säugern. Dementſprechend iſt auch die Epidermis ſehr dick in jenen Säugerabteilungen, wo wenige oder gar keine Haare vorhanden ſind, wie bei den Nashörnern, Elefanten und Walen. Indem die Keimſchicht der Epidermis beſtändig wuchert, und ihre oberflächlichen Zellen immer wieder zu Hornſchüppchen umgewandelt werden, erneuert ſich die Horn— 156 Feder. ſchicht fortwährend; damit wird ein ſteter Erſatz geſchaffen für ihre Abnutzung durch äußere mechaniſche Einflüſſe. Die äußerſten Lagen der Hornſchicht werden abgeſtoßen, und zwar periodiſch bei den Amphibien und vielen Reptilien in großen Fetzen, bei den Schlangen im Zuſammenhange als einheitliche Haut, die als Natternhemd bekannt iſt. Bei Vögeln und Säugern geht die Loslöſung in einzelnen kleinen Partien fortwährend vor ſich. Der periodiſchen Häutung bei den Reptilien entſpricht bei den Vögeln der Federwechſel oder die Mauſer. Die Feder iſt der Schuppe der Reptilien homolog, gleich— ſam eine Schuppe mit beſonders reichlich ausgebildetem und zerſchliſſenem Epidermis— anteil. Sie wird ebenſo angelegt wie die Schuppe, als Vorſtülpung der Epidermis A Abb. 95. Schema der Federentwicklung. A—C Medianſchnitte durch verſchieden alte Federanlagen; in C beginnt die Einſenkung der Anlage in die Haut. D Puderdune halbiert. 1 Epidermis, 2 Kutis, 3 Federpapille. Z zeigt die Differenzierung der epidermalen Röhre bei Entſtehung der bleiben— den Feder: die Wandung verdickt ſich in einer Längslinie zum Schaft 4 und liefert im übrigen die beiden Hälften des Feder— bartes, deſſen Aſte 5 mit dem Schaft zuſammenhängen. Durch Abſtoßen des umhüllenden Oberhäutchens werden die Aſte frei und legen ſich von der durch den Pfeil bezeichneten Linie aus nach beiden Seiten auseinander. durch eine Kutispapille, die ſich über die Oberfläche erhebt (Abb. 95 A—C). Die jo entſtandene, von Kutisgewebe erfüllte Epidermisröhre ſenkt ſich mit ihrer Baſis in die Haut ein, und durch Differenzierung ihres epidermalen Mantels entſteht zunächſt die Dune (Abb. 95 0D) und im weiteren Verlauf ihres Wachstums die Feder mit ihren zwei— ſeitig angeordneten Fiedern (Abb. 95 E). Das, was von der Feder über die Oberfläche hervorragt, iſt zum größten Teil Produkt der Epidermis; nur die ſogenannte Seele im Innern des Schaftes iſt eine Bildung der Federpapille. Wenn die Feder fertig iſt, zieht ſich die Papille aus dem Schaft zurück. Die Erneuerung der Feder geſchieht in der Weiſe, daß ihre Papille neues Leben bekommt und eine junge Feder hervorbringt, die bei ihrem Vorwachſen die alte herausſchiebt und zum Abfallen bringt. — Ahnlich ſind auch die Vorgänge bei dem Erſatz der Haare, obgleich dieſe den Federn und Reptilien— ſchuppen nicht ohne weiteres gleichgeſtellt werden dürfen. Nur die Schuppen, wie ſie z. B. am Schwanz der Ratten und Mäuſe und bei vielen andern Säugern, in weiterer Ausbildung bei den Schuppentieren vorkommen, ſind den Reptilienſchuppen homolog zu achten. Dagegen iſt die phyletiſche Herkunft des Haares noch dunkel; ſeine Ab— leitung von Hautſinnesorganen der Amphibien, die neuerdings verſucht wurde und Haar. Mauſer und Haarwechiel. 157 vielfach angenommen iſt, begegnet doch bedeutenden Schwierigkeiten. Die Haare ent ſtehen aus Epidermisknoſpen, die in die Kutis hineinwachſen und an ihrem Ende von einer ernährenden Kutispapille eingeſtülpt werden. Die axialen Zellen des Keims differenzieren ſich zum Haar, während die oberflächlichen Zellagen zur Wurzelſcheide werden (Abb. 96). Am fertigen Haar atrophiert die Papille; ſpäter entſteht durch Zellwucherungen an deren Stelle ein neuer Keim mit neuer Papille, und dieſer bringt ein neues Haar hervor, wodurch das alte aus der Wurzelſcheide herausgedrängt wird. Nach anderen Angaben ſollen auch Nebenkeime, die ſich ſeitlich am Haarkeim bilden, beim Haarwechſel beteiligt ſein. Mauſer und Haarwechſel finden für 4 5 jede Art zu beſtimmten, periodiſch wieder— F 1 Dee 210008000 fehrenden Zeiten ſtatt. Die meijten 1 D284 0000000 ee, Vögel mauſern ſich nur einmal im Jahre, und zwar im Herbſt. Bei anderen aber ſind zwei vollſtändige Mauſerungen mit Sicherheit beobachtet worden, im Herbſt 8 und im Frühjahr, je vor dem Zug: jo | 7 ee ee iſt es bei den Tauben, dem Kuckuck, dem 859 Mauerſegler und unſeren Sängern (Syl- viinae). Ahnlich verhält ſich der Haar— wechſel: bei manchen Säugern kennt man nur einen einmaligen Haarwechſel, ſo beim Schneehaſen (Lepus timidus L.); dagegen bekommt das Hermelin zwei— mal im Jahre, im März und Oktober, ein neues Haarkleid, und das gleiche Abb. 96. Schema der Haarentwicklung. Querſchnitte durch e ji e gegeben. Bei den Vögeln iſt es wohl hauptſächlich die Erſatzbedürftigkeit der abgenutzten Federn, beſonders für den Flug, was die Mauſer notwendig macht und ihr zeitliches Eintreten beeinflußt. Bei den Säugern dagegen wird durch den Haarwechſel beſonders dem verſchiedenen Bedürfnis nach Wärme— ſchutz je nach der Jahreszeit Rechnung getragen. 4. Allgemeine Bemerkungen über die Bewegungen der Metazo£en. Für die Bewegungsleiſtungen der vielzelligen Tiere kommen die gleichen Mittel in Betracht wie bei den einzelligen, nämlich die amöboide Bewegung, die Flimmerbewegung und die Muskelbewegung. Nur tritt die erſtere, welche hüllenloſe Einzelzellen voraus— ſetzt, in den Zellverbänden der Metazoen natürlich ſehr zurück und kommt hauptſächlich bei der Bewegung von freien Einzelzellen im Körper vor: die Eier mancher niederer Metazoen, der Schwämme und Cölenteraten, können auf dieſe Weiſe ihre Stelle im Körper verändern; auch enthält die Leibesflüſſigkeit oft freie Zellen, denen noch amöboide Bewegung zukommt, wie die Lymphkörperchen der Wirbeltiere. Bei manchen niederen Metazoen können die Zellen des Darmepithels durch Ausſenden von Pſeudopodien Nahrungsteilchen aufnehmen. Dagegen liefert dieſe Bewegungsart nie die treibende Kraft für die Ortsbewegung der vielzelligen Tiere. 158 Flimmerung und Muskelbewegung bei den Metazoen. In weiterer Verbreitung hat fich die Flimmerbewegung bei den Metazoen erhalten. Neben ihrer Verwendung zur Fortbewegung von Einzelzellen, nämlich der Samenfäden, dient ſie beſonders häufig bei epithelialer Zellanordnung zur Erzeugung von Wirbeln und Strömungen in Flüſſigkeiten, ſei es bei Waſſertieren zum Herbeiſtrudeln von Nah— rung und Atemwaſſer, ſei es zur Bewegung von exkretoriſchen und ſekretoriſchen Zell— erzeugniſſen im Darmkanal, in Drüſen u. dgl. Zur Fortbewegung des ganzen Tieres dient ſie nur bei den niederſten Tieren und den Larvenformen mancher höher entwickelter. In ihren meiſten Betätigungen wird die Flimmerung bei höheren Metazoen immer mehr zurückgedrängt durch die Muskelbewegung; bei den Wirbeltieren iſt ſie auf ganz wenige Stellen des Körpers beſchränkt, ja im Kreiſe der Gliederfüßler fehlt ſie vollſtändig. Dagegen iſt die Muskelbewegung, die bei den Protozoen eine ſo geringe Rolle ſpielt, bei den vielzelligen Tieren von allerhöchſter Bedeutung und gewinnt in der auf— ſteigenden Tierreihe immer vielfachere Verwendung. Nur den Schwämmen und Diecye— miden fehlt ſie; ſonſt kommt ſie überall vor und dient nicht bloß dazu, die Geſtalt des Körpers durch Verſchiebung ſeiner Teile gegeneinander zu verändern und damit auch, unter beſonderen Bedingungen, das Tier von der Stelle zu bewegen, ſondern ſie tritt mehr und mehr in den Dienſt der Nahrungsaufnahme und -verarbeitung, der Atmung, der Entfernung von Abſonderungen aller Art und der Geſchlechtsfunktionen. Die Muskelelemente ſind teils Zellen, teils Syncytien, in denen die Fähigkeit der Zuſammenziehung auf beſtimmte fädige Differrenzierungen, die Muskelfibrillen, beſchränkt iſt. Ihr Kontraktionsvermögen iſt nicht grundſätzlich von dem der Amöben oder der Lymphkörperchen verſchieden; auch im Herzen des Hühnchens im Ei zeigen bei Beginn ſeiner Tätigkeit die Wandzellen noch keinen fibrillären Bau. Bei ſolchen Zellen aber bewirkt die Zuſammenziehung eine Verkürzung nach vielen Richtungen: die kontraktilen Teilchen ſind gleichſam in ſehr verſchiedener Weiſe orientiert. In den Muskelelementen dagegen finden wir eine faſt mathematiſch genaue Anordnung aller kontraktilen Proto— plasmateilchen in der gleichen Richtung: ſie ſind zu den Fibrillen zuſammengetreten. Dadurch wird die Kontraktionsmöglichkeit zwar auf dieſe eine Richtung beſchränkt; dafür aber wird ihr Erfolg auch beſonders groß: eine Muskelzelle des Regenwurms vermag ſich um 60%, ihrer Ruhelänge, eine Froſchmuskelfaſer ſogar um 72% und mehr zu ver— kürzen. Der abſolute Betrag einer ſolchen Verkürzung iſt natürlich um ſo bedeutender, je länger das Muskelelement iſt; daher ſind dieſe ſtets von ſchlanker, langgeſtreckter Ge— ſtalt, meiſt ſpindelförmig, bandartig oder zylindriſch. Wie die fibrilläre Gliederung der kontraktilen Subſtanz im Muskel für die Rich— tung der Kontraktion beſtimmend iſt, ſo hat ſie zugleich noch eine weitere Bedeutung: ſie bewirkt, daß die Zugfeſtigkeit des Muskelelements in der Richtung der Fibrillen be— deutend geſteigert iſt. Ohne ſolch bedeutende Zugfeſtigkeit wäre es unmöglich, daß der Muskel Laſten hebt und Widerſtände überwindet; er müßte zerreißen. Die ungeheure Leiſtungsfähigkeit der Muskeln in dieſer Hinſicht wird alſo durch die Fibrillenſtruktur bedingt. Neben den Muskelfibrillen bleibt noch eine mehr oder weniger große Menge von Zellprotoplasma in den Muskelelementen unverändert, das ſog. Sarkoplasma. Es iſt in ſeiner Anordnung ſehr wechſelnd und liegt bald mehr nach außen von den Fibrillen, bald wird es von dieſen eingehüllt; ſtets aber enthält es die Zellkerne des Muskel— elements. Wir können wohl annehmen, daß es dem lebhaften Stoffwechſel der kontraktilen Elemente als Vermittler dient, die Nährſtoffe zuführt, die Verbrauchsſtoffe ableitet. Muskelzellen und Muskelfaſern. 159 Die Muskelemente ſind in morphologiſcher Beziehung von zweierlei Art: wir können ſie als Muskelzellen und Muskelfaſern unterſcheiden. Die Muskelfaſern ſind Syneytien, enthalten alſo zahlreiche Kerne und entſtehen, ſoweit dies beobachtet iſt, durch Ver ſchmelzung von mehreren Zellen, während die Muskelzellen einfache Zellen mit einem Kerne ſind. Daher ſind auch die Muskelfaſern ſtets länger als die Muskelzellen. Während dieſe in den Blutgefäßwandungen beim Menſchen etwa 0,01 mm, in den Muskelhäuten des Darmes 0,1—0,22 mm, in der Magenwand des Salamanders bis 1,1 mm lang ſind und beim Regenwurm in der Körperwand ſogar eine Länge von 1 cm und mehr erreichen, kennt man beim Menſchen Muskelfaſern von 12 em und hat Grund zu der Annahme, daß es noch längere gibt. Außerdem ſind die Muskelfaſern ſtets von einer widerſtandsfähigen Hülle, dem Sarkolemm, umſchloſſen, die den Muskelzellen (meiſt) fehlt. Muskelzellen ſowohl wie Muskelfaſern kommen in zweierlei Ausbildung vor: die kontraktilen Fibrillen in ihnen ſind entweder ihrer ganzen Länge nach von gleicher Be— ſchaffenheit, ſie ſind „glatt“; oder es wechſeln in kurzen Abſtänden Strecken von einfach— und doppeltlichtbrechender Subſtanz miteinander ab, die Fibrillen ſind „quergeſtreift“. Die phyſiologiſche Bedeutung dieſer Querſtreifung entzieht ſich noch unſerer Erkenntnis; wir wiſſen nur, daß die Leiſtungen der quergeſtreiften Muskeln von denen der glatten in vielen Punkten abweichen. Die quergeſtreiften Muskeln reagieren ſchnell auf einen zugeführten Reiz, und die Dauer der Zuſammenziehung iſt gering: die Zuckung des Wadenmuskels vom Froſch dauert etwas länger als 0,1 Sekunde, die mancher Inſekten— muskeln nur 0,0033 Sekunden; wenn ſie länger in zuſammengezogenem Zuſtande ver— harren ſollen, müſſen ſich zahlreiche Reize kurz aufeinander folgen; dagegen vergeht beim glatten Muskel viel längere Zeit zwiſchen Reiz und Kontraktion, z. B. bei der Muskel— wand des Froſchmagens 1½ —10 Sekunden, und die Zuſammenziehung erreicht langſam ihren Höhepunkt, um noch langſamer herabzuſinken: beim Froſchmagen kann die Kon— traktion bis zu 120 Sekunden dauern. Die Muskulatur der Wirbelloſen, mit Ausnahme der Gliederfüßler, beſteht faſt ausſchließlich aus Muskelzellen, und zwar meiſt aus glatten. Querſtreifung zeigen die Muskelzellen beſonders an Stellen, wo ſchnelle und kräftige Kontraktionen ausgeübt werden: ſo finden wir ſie bei den Ringmuskeln auf der Unterſeite des Schirms der Quallen, dann in den Schließmuskeln der im Waſſer flatternden Kamm- und Pfeil— muſcheln (Pecten und Lima) (ſ. u. S. 186), in den Floſſen der Floſſenſchnecken, im Herzen ſehr vieler Weichtiere, in der Körpermuskulatur der Pfeilwürmer und bei manchen Räder— tierchen, z. B. im Fuße des ſich lebhaft fortſchnellenden Scaridium longicaudatum Ehrbg., und ſchließlich im Ruderſchwanz der Appendicularien und in der Körperwand der Salpen. Auch bei den Wirbeltieren find die Muskelzellen meiſt glatt; ſie ſetzen die jog. unwill— kürliche Muskulatur des Darms, der Blutgefäße, der Drüſen uff. zuſammen. Aber die Herzmuskulatur, die doch nur eine beſonders ausgebildete Blutgefäßmuskulatur iſt, be— ſteht aus quergeſtreiften Muskelzellen, entſprechend ihrer unausgeſetzten lebhaften Be— wegung, und im Auge der Vögel, das ſchnell ſeine Einſtellung auf verſchiedene Ent— fernungen wechſelt, ſind die Akkomodationsmuskeln quergeſtreift, während ſie bei allen übrigen Wirbeltieren aus glatten Zellen beſtehen. Die Muskelfaſern ſind faſt ganz auf die Gliederfüßler und die Skelettmuskulatur der Wirbeltiere beſchränkt; nur bei den Rippenquallen kommen ebenfalls welche vor. In den allermeiſten Fällen zeigen ſie Querſtreifung; glatt ſind ſie nur bei den Rippen— quallen und unter den Gliederfüßlern bei Peripatus. 160 Sarfoplasmareiche und arme Muskelelemente. Noch ein zweiter Unterſchied wird bei allen Arten von Muskelelementen durch die Menge des zwiſchen den Faſern vorhandenen Sarkoplasmas bedingt; aber er iſt nicht in dem Maße augenfällig wie der eben beſprochene. Sarkoplasmareiche Muskulatur findet ſich in vielen Fällen an jenen Stellen, wo eine beſonders anſtrengende Arbeit auf lange Dauer verlangt wird. Kraft und Ausdauer iſt bei dieſen Muskeln, nach genauen Unterſuchungen bei Säugetieren, größer als bei den ſarkoplasmaarmen; dieſe haben da— gegen den Vorzug der ſchnelleren Reaktion und größeren Zuſammenziehbarkeit, ermüden aber ſchneller. Die erhöhte Arbeitsfähigkeit jener Muskeln mag mit der Ernährungs— funktion des Sarkoplasmas, mit dem ſchnellen Erſatz der Verbrauchsſtoffe und dem raſchen Entfernen der Stoffwechſelprodukte zuſammenhängen. So ſind die Herzmuskeln in der ganzen Tierreihe ſarkoplasmareich; unter den Vögeln haben die beſten Flieger im großen Bruſtmuskel ſarkoplasmareiche, die ſchlechtfliegenden Hühnervögel dagegen vor— wiegend ſarkoplasmaarme Faſern. In den Skelettmuskeln der Säugetiere kommen beiderlei Faſern in verſchiedenem Verhältnis gemiſcht vor; aber auch hier ſind die ſarkoplasma— reichen Faſern am zahlreichſten in den Muskeln, denen die anhaltendſte Tätigkeit obliegt, ſo beim Menſchen im Zwerchfell und in den Augenmuskeln. Am auffälligſten ſind die Unterſchiede dort, wo die Lokomotion auf Rech— nung eines beſonders ſtark bean— ſpruchten Organes geht: ſo ſind die Floſſenmuskeln des Seapferdchens überaus reich an Sarkoplasma, während die Körpermuskeln nur wenig davon enthalten (Abb. 97), en und ebenſo iſt es mit den Flügel— Abb. 97. Querſchnitt durch eine Faſer der Rumpfmusku⸗ muskeln lebhaft fliegender Inſekten beben png, Bes Leer cb bnd SEHEERSER im Gegenſaß etwa zu ihren e 5 muskeln. Bei manchen Muskeln beſteht eine auffallende Neigung, in der Verkürzung zu be— harren, während andre gleich nach der Zuſammenziehung wieder erſchlaffen; jener an— dauernde, ſtetige Verkürzungszuſtand wird als Tonus bezeichnet. Toniſche Zuſammen— ziehungen können bei quergeſtreiften Muskeln vorkommen, z. B. beim Schließmuskel der Krebsſchere, ſind aber viel häufiger bei glatten Muskeln. Man denke nur an die oft lange anhaltende Verkürzung der Schließmuskeln bei den Muſcheln, die das Offnen der Schale durch die Elaſtizität des Schloßbandes verhindert. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß die toniſche Zuſammenziehung ohne beſtändigen Energieaufwand beſteht, daß ſie gleichſam nur eine andre Form der Ruhe iſt, daß ſich alſo dabei nicht fortwährend jene Vorgänge wiederholen, die zunächſt die Verkürzung herbeigeführt haben. Tonus- oder Sperrmuskeln und Bewegungsmuskeln ſind nicht qualitativ verſchieden, ſondern durch viele Übergänge verbunden. Sie kommen aber zuweilen geſondert nebeneinander vor und teilen ſich in die Arbeit derart, daß die ſchnelle Lageveränderung eines Organs durch die Bewegungsmuskeln herbeigeführt, das Verharren in der neuen Lage aber durch die Sperrmuskeln gewährleiſtet wird. So beſchreibt v. Uexküll am Gelenk der Stacheln bei den Seeigeln einen doppelten Muskelmantel: die äußere Schicht bewegt den Stachel, die innere ſtellt ihn feſt und ſperrt ihn gegen äußeren Druck und Zug; bringt man den Anordnung der Muskeln. 161 inneren Muskelmantel zum Zerreißen, ohne den äußeren zu ſchädigen, ſo bewegt ſich der Stachel wie ein normaler, gibt aber jedem Druck ohne weiteres nach, während der normale Stachel ſofort feſtgeſtellt wird, wenn er einen Widerſtand findet. Der Muskel antwortet auf einen Reiz mit Verkürzung. Die dadurch hervorgebrachte Wirkung iſt verſchieden, je nach der Anordnung des Muskels. Der gewöhnliche Erfolg iſt, daß ſich ſeine beiden Enden einander nähern und dabei die mit ihnen verbundenen Teile nachziehen. Kontrahiert ſich z. B. die dorſoventrale Muskulatur eines Strudel— wurms, ſo wird ſeine Rückenfläche der Bauchfläche genähert, das Tier wird abgeflacht. Verbindet ein Muskel zwei ſonſt nicht zuſammenhängende Skeletteile, ſo verſchiebt er den einen gegen den andern: auf dieſe Weiſe kommt das Vorſtrecken des Bienenſtachels und das Herausſchleudern der Spechtzunge zuſtande. Zieht ſich ein Muskel zuſammen, der an zwei durch ein Gelenk verbundene Skeletteile anſetzt, z. B. am Ober- und Unter— arm, ſo ändert ſich der Winkel, den dieſe Teile einſchließen: es tritt Beugung oder Streckung des Armes ein, je nachdem der Muskel auf deſſen konkaver oder konvexer Seite angebracht iſt. Komplizierter werden die Verhältniſſe und mannigfacher der Erfolg der Muskelkontraktion, wenn zwiſchen Urſprungs- und Anſatzſtelle des Muskels am Skelett zwei Gelenke liegen: es kann dann der Muskel entweder auf beide Gelenke gleichzeitig wirken, z. B. ein am Becken und Unterſchenkel befeſtigter Muskel ſtreckt das Hüftgelenk und beugt das Knie; oder wenn der Muskel durch die Stellung des einen Gelenkes ge— ſpannt wird, erzielt ſeine Zuſammenziehung eine ſtärkere Bewegung des andern, wie in unſerem Beiſpiel bei Beugung des Hüftgelenks eine ſtärkere Beugung des Knies mög— lich wird. Es können aber auch die beiden Enden des Muskels an unnachgiebigen Punkten befeſtigt ſein. Dann wird die Spannung des zuvor ſchlaffen Muskels erhöht und die Wölbung, die vorher vorhanden war, mehr abgeflacht oder ganz ausgeglättet, wie bei den Muskeln der Bauchwand bei den Säugern und Vögeln. Ganz ähnlich iſt der Erfolg, wenn der Muskel einen Ring bildet, ſo daß ſeine beiden Enden ſich berühren: dies iſt der Fall bei zahlreichen Schließmuskeln röhrenförmiger Organe. Wird durch ſolche Ringmuskeln ein ganzer Hohlzylinder zuſammengeſetzt, ſo bewirkt die gleichzeitige Zuſammenziehung einen Druck auf deſſen Inhalt, der eine Entleerung, oder bei beiderſeitigem Schluß des Zylinders unter Einfluß des Binnendrucks eine Verlängerung des Rohres zur Folge hat; ſo wirkt die Ringmuskulatur im Hautmuskelſchlauch der Würmer, z. B. des Regen— wurms. Schreitet aber eine Kontraktionswelle in beſtimmter Richtung über das Rohr fort, ſo kann dadurch eine Flüſſigkeit im Rohr fortbewegt werden: ſo geſchieht es vielfach in den Blutgefäßen der Würmer oder im Herzen der Salpen. Die bisher betrachteten Fälle beziehen ſich auf einzelne Muskeln oder Muskelhäute, die aus parallel verlaufenden Elementen zuſammengeſetzt ſind; dabei kann immer nur eine einſinnige Wirkung erzielt werden. Häufig aber ſind Muskeln von verſchiedener Richtung zu einer Einheit verflochten und damit eine Mannigfaltigkeit der Wirkung er— reicht, indem entweder zahlreiche, bzw. alle, oder nur wenige Elemente dieſes Komplexes in Tätigkeit treten. Die verſchieden gerichteten Muskeln können entweder alle in einer Ebene liegen und ſich überkreuzen, wie beiſpielsweiſe in den Scheidewänden zwiſchen den Körperſegmenten der Ringelwürmer; durch ein derartiges Muskelgeflecht kann eine allſeitige Verkürzung einer ſolchen Membran ausgeführt werden. Oder die Muskeln verflechten ſich nach verſchiedenen Richtungen des Raumes und bilden ein Gerüſtwerk, dem eine überaus große Beweglichkeit zukommt: indem ſeine Beſtandteile in wechſelnden Kombi— Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. { 11 162 Musfel und Sehne. nationen ſich zuſammenziehen oder unbewegt bleiben, kann eine ſolche Muskelmaſſe ſich faſt allſeitig bewegen. Eine ſolche Anordnung zeigt die Säugetierzunge: die ungeheure Mannigfaltigkeit der Stellungen, die die Zunge des Menſchen beim Sprechen einnimmt, kennzeichnet dieſe Beweglichkeit; bei manchen Wiederkäuern, z. B. der Giraffe, hat dieſe einen ſo hohen Grad erreicht, daß die Zunge geradezu als Greiforgan verwendet wird. Der Elefantenrüſſel bietet ein weiteres Beiſpiel für die Beweglichkeit ſolcher Muskel- gerüſte. Der Betrag der Arbeit, deren ein Muskel fähig iſt, ſteht in geradem Verhältnis zu ſeiner Maſſe. So beſitzt von zwei gleichgroßen Säugetieren, von denen das eine lebhaft, das andre träge iſt, das erſtere ſtets das ſchwerere Herz (vgl. Kapitel Kreislauf); ja durch ſtärkere Tätigkeit wird ſogar eine Vergrößerung des Herzens hervorgerufen, wie bei Bergſteigern und andren Sportsleuten. Die Arbeit eines Muskels wird ausgedrückt durch das Produkt aus Hubhöhe und gehobener Laſt. So kann ein Muskel, der 10 Gramm 200 Millimeter hochzuheben vermag, eine Arbeit von 2000 Grammillimetern leiſten; die gleiche Arbeit leiſtet ein andrer Muskel, der eine Laſt von 20 Gramm 100 Millimeter hoch hebt. Aber die beiden Muskeln werden in ihrem Ausſehen ver— ſchieden ſein. Es iſt nämlich die Strecke, um die ein Muskel ſich zuſammenziehen kann, ſeiner Länge proportional; die Kraft der Zuſammenziehung jedoch iſt abhängig von der größeren oder geringeren Dicke des Muskels. Denkt man ſich den Muskel zuſammen— geſetzt aus völlig vom einen zum andern Ende durchlaufenden Faſern — was den Tat— ſachen nicht entſpricht —, ſo könnte man ſagen, die Ausdehnung der Bewegung ent— ſpricht der Länge, die Kraft der Bewegung dagegen der Anzahl der Faſern. Der erſtere Muskel wird alſo etwa noch einmal ſo lang ſein wie der zweite, dieſer dagegen im Mittel noch einmal ſo dick. Die Länge ſowohl wie die Dicke eines Muskels ſind alſo mit den Leiſtungen gegeben, die er an einer beſtimmten Stelle, etwa am Skelett, zu er— füllen hat. Häufig aber ſind die beiden feſten Punkte, an denen er angreift, weiter voneinander entfernt, als die erforderliche Länge des Muskels beträgt: dann geht der Muskel mit einem Ende in eine Sehne über, die ſich bis zu dem Anſatzpunkte ausdehnt. Dieſe iſt viel dünner als der Muskel und beſteht aus ſtraffaſerigen Bindegewebsbündeln; ſie zieht ſich nicht aktiv zuſammen, ſondern dient nur dazu, den Angriffspunkt der Muskeltätigkeit über die eigentliche Länge des Muskels hinaus zu verſchieben. Eine ſolche Verſchiebung der Angriffspunkte kann verſchiedene Gründe haben: der Muskel kann durch die Verlängerung eine günſtigere Bemeſſung der Hebelarme, an denen er angreift, erreichen; oder die Verlängerung ergibt ſich, bei gleichbleibenden Anſatz— punkten, als notwendige Folge einer Veränderung im Skelettbau, etwa der Ver— längerung eines Knochens, die ſich im Laufe der Artentwicklung ergeben hat, oder die Lage des Muskels fern von feinem Angriffspunkt kann durch enge Raumverhältniſſe an dieſem Punkte bedingt ſein. An den Zehen der Vögel z. B. findet ſich kein einziger fleiſchiger Muskel, ſondern die zahlreichen Zehenbeuger und -ſtrecker greifen nur ver— mittels ihrer Sehnen an. Die Muskeln ſelbſt entſpringen teils am Becken, teils am Ober- und Unterſchenkel und teils am Lauf. Daher die ſchlanke Form der Zehen bei aller Beweglichkeit, daher zugleich die Entbehrlichkeit eines Wärmeſchutzes für ſie, ohne den die Muskeln bei niederer Temperatur nicht arbeiten können. Wie das gegenſeitige Längenverhältnis von Muskel und Sehne durch die jedesmal geforderten Leiſtungen bedingt iſt, möge ein Beiſpiel zeigen. Die Tatſache, daß die Neger dünnere Waden, d. h. einen flacheren und längeren Wadenmuskel (Musc. gastro- Antagoniſten. 163 enemius) haben als die Europäer, ohne daß ihre Marſchleiſtungen geringer ſind, ver— anlaßte Marey zu der Überlegung, daß bei ihnen der Wadenmuskel ſich auf eine größere Strecke, aber mit geringerer Kraft zuſammenziehen müſſe, daß er alſo wohl an einem längeren Hebelarm angreife. In der Tat zeigte die Unterſuchung, daß infolge der größeren Länge des Ferſenbeins jener Hebelarm, vom Mittelpunkt des Sprunggelenks bis zum Anſatz der Sehne des Wadenmuskels gemeſſen (Abb. 98), beim Neger im Ver— hältnis von 7: 5 länger iſt als beim Weißen. Die Spitze des Ferſenbeins beſchreibt alſo bei derſelben Schrittleiſtung einen größeren Weg, und der Muskel muß ſich dazu ſtärker verkürzen; aber infolge der Verlängerung des Hebelarmes iſt die an ihm angreifende Belaſtung geringer. Das Verhältnis in der Länge von Muskel und Sehne reguliert ſich durch aktive Anpaſſung: Marey verkürzte bei einem jungen Kaninchen durch eine Operation das Ferſenbein etwa um die Hälfte und ließ das Tier mit einem unverletzten Altersgenoſſen aufwachſen. Nach einem Jahre wurden beide getötet: bei dem operierten Tiere betrug am Waden— muskel die Länge des Muskelfleiſches etwa ein Drittel (27: 77 mm), beim normalen dagegen etwa die Hälfte (37: 73 mm) der ganzen Muskellänge. Die Sehne war alſo im erſteren Falle, wo infolge des kürzeren Hebelarms nur geringe Verkürzung notwendig war, auf Koſten des Muskelfleiſches bedeutend verlängert. Der Zuſtand der Zuſammenziehung dauert ſo lange, bis die Er— regung im Muskel aufhört; dann erſchlafft er und verliert ſeine Spannung. Er wird dann zwar durch ſeine eigene Elaſtizität etwas länger; aber damit kann er nicht zu dem früheren Zuſtande der Dehnung, den er vor der Zuſammenziehung hatte, zurückkehren. Er bedarf dazu einer Hilfe, einer ſogenannten antagoniſtiſchen Ein— wirkung. Die Dehnung kann erfolgen durch die Zu— ſammenziehung eines anderen, entgegengeſetzt wirkenden Muskels, der als Antagoniſt bezeichnet wird: ſo wirken N N) ſich die Armbeuger, die auf der konkaven Seite des & AO U Armes angreifen, und die Armſtrecker auf der kon— ee 15 vexen Seite entgegen, oder die Scherenſchließer eines! Wadenmuskels beim Menſchen (rechtes Krebſes den Scherenöffnern. Wenn die Ringmuskel— e e et lage beim Regenwurm durch ihre Zuſammenziehung elle eine Streckung des Wurmes veranlaßt hat, ſo tritt die Dehnung der Ringmuskeln und die Verkürzung des Körpers durch die Kontraktion der Längsmuskeln ein. So bilden die beiden entgegengeſetzt wirkenden Muskeln oder Muskel— komplexe ein zuſammengehöriges Paar. Die gegenſeitigen Stärkeverhältniſſe der Anta— goniſten ſind verſchieden und hängen von den Lebensbedingungen des Tieres ab. Beim Regenwurm, für den das ſchnelle Zurückziehen in ſein Loch ein viel wirkſameres Schutz— mittel iſt als lebhaftes Ausſtrecken, ſind die Längsmuskelſchichten viel ſtärker entwickelt als die Ringmuskulatur; bei der Chamäleonzunge dagegen ſind die ausſtoßenden Muskeln viel ſtärker als die Rückzieher; beim Vogelflügel, deſſen Niederſchlag den Vogel in der Luft trägt und vorwärts treibt, übertreffen die Senker die Heber um vieles (9 bis über 50 mal) an Stärke. In vielen Fällen wirkt bei einer Leiſtung, die ſcheinbar nur einem Muskel zuzuſchreiben iſt, zugleich ſein Antagoniſt mit, indem er durch leichten Wider— 11* 164 Antagoniſten. Turgor. ſtand einen größeren Kraftaufwand jenes Muskels ermöglicht und ſo eine erhöhte Ruhe, Sicherheit und Modulationsfähigkeit der Bewegung herbeiführt. Die Dehnung eines Muskels bei ſeiner Erſchlaffung kann aber auch durch andre antagoniſtiſche Mittel als Muskelzug bewirkt werden: nämlich durch elaſtiſche Gegen— wirkung. So wird der Vorticellenſtiel, wenn er durch Verkürzung des Myophanfadens ſpiralig zuſammengerollt war (vgl. oben S. 118), nach dem Nachlaſſen der Kontraktion durch die Elaſtizität ſeiner Wandung wieder geſtreckt und der 4 Muskel wieder in fontraftionsfähigen Zuſtand verſetzt. Die N Schalenſchließer der Muſcheln haben keinen antagoniſtiſchen Muskel; die Muſchelſchalen klaffen beim Nachlaſſen der Kon— Be _-_ 7 traktion infolge der Elaſtizität des Schloßbandes, das die Schalen „ auseinander drängt und die Schließmuskeln ſtreckt. Die Ring— 3 muskeln der Salpen werden nach der Kontraktion durch Elaſti— 4 zität des Zelluloſemantels wieder geſtreckt. Bei den Säugetieren 1 dehnt ſich das bei der Einatmung angeſpannte Zwerchfell wieder aus, indem nach dem Nachlaſſen der Kontraktion die Luft aus den Lungen durch elaſtiſche Zuſammenziehung derſelben entfernt und ſo im Bruſtkorb ein luftverdünnter Raum erzeugt wird, der . das Zwerchfell gleichſam anſaugt und damit wieder wölbt. Bei den Spulwürmern iſt nur Längsmuskulatur vorhanden, die alſo den Körper verkürzt; als Antagoniſt wirkt die Körperkutikula, die durch die pralle Füllung des Leibesraums mit Flüſſigkeit in Spannung iſt. Die vollſtändige, pralle Füllung von Hohlräumen mit Flüſſig— Abb. 99. Einſchnappvor⸗ richtung am Intertarſal— gelenk des (rechten) Beines beim Storch. 1 Unterjchenfel, 2 Lauf, 3 elafti- ſches Band, 4 und 5 deſſen An⸗ ſätze an den beiden Knochen. Der mit dem Abſtand —5 um 4 geſchlagene Kreisbogen nähert ſich zunächſt der Gelenkfläche und entfernt ſich dann wieder von ihr; das zeigt, daß eine Drehung des Laufes im Gelenk nur unter Dehnung des Bandes geſchehen kann, die nach Über— windung einer beſtimmten Stel— lung wieder nachläßt. keit, der Turgor, iſt gerade wegen der Antagoniſtik ein wichtiges Moment für manche Bewegungen. Hierdurch wird bei vielen ſkelettloſen Tieren und Körperteilen erſt die Feſtigkeit und Elaſti— zität hergeſtellt, ohne die ein Eingreifen der Muskeltätigkeit gar nicht von Wirkung begleitet iſt. Wenn man einen lebenden Regenwurm mit einem ſolchen vergleicht, der durch narkotiſche Mittel oder verdünnten Alkohol abgetötet iſt, ſo fällt ohne weiteres der Unterſchied in der Prallheit des Körpers auf: es beſitzen hier beim lebenden Tier die Muskeln eine gewiſſe kon— ſtante Spannung, einen Tonus, durch den bewirkt wird, daß die Leibeshöhlenflüſſigkeit unter einem gewiſſen Drucke ſteht, daß alſo ein Turgor beſteht; mit dem Tode des Tieres hört mit dem Nachlaſſen dieſer Spannung auch der Turgor auf. Ebenſo iſt es bei den Weichtieren: ein toter Tintenfiſch iſt eine gallertige Maſſe, ſeine Arme ſchlaffe Stränge, während das lebendige Tier mit ſeinen prall angeſpannten elaſtiſchen Armen zu kraftvollen Bewegungen fähig iſt. Die Ambulakralfüßchen der Stachel— häuter ſind röhrenartige Ausſtülpungen flüſſigkeithaltender Kanäle und bedürfen der Schwellung durch eingepreßte Flüſſigkeit, um ſich bewegen zu können; es iſt dazu am Grunde jedes Füßchens eine kontraktile, mit Flüſſigkeit gefüllte Blaſe (Ampulle) vorhanden. Ebenſo muß der Fuß der Muſcheln den nötigen Turgor erhalten, ehe er die kräftigen Bewegungen ausführen kann, die wir von ihm kennen; dies geſchieht hier dadurch, daß Blut in den Fuß hineingetrieben und durch Klappenvorrichtungen am Sperrvorrichtungen. 165 Zurückweichen verhindert wird. In ſolchem Zuſtande kann z. B. der Fuß der Herz— muſchel dieſe durch lebhafte Kontraktion durch das Waſſer ſchnellen. Beim Zurückziehen des Fußes wird das Blut, das bei unſeren Teich- und Flußmuſcheln (Anodonta und Unio) etwa die Hälfte des Körpergewichts beträgt, zurückgepreßt und in weiten Räumen, beſonders des Mantels, aufgeſpeichert. Verſuche zeigen, daß längeres Verharren im kontrahierten Zuſtand, ſogenannte Dauer— zuſammenziehung (Tetanus), bei den quergeſtreiften Muskelfaſern einen verhältnismäßig großen Aufwand von Energie erfordert und zu baldiger Ermüdung führt. Daher be— gegnen wir vielfach Einrichtungen, die es geſtatten, beſtimmte Skeletteile andauernd in einer gegenſeitigen Lage feſtzuhalten, auch wenn die Muskelkontraktion nachgelaſſen hat, durch die ſie in dieſe Lage gebracht wurden. Es ſind das Einſchnapp- oder Sperr— vorrichtungen. Eine ſolche Einſchnappvorrichtung befindet ſich z. B. am Beine der Stelz— vögel, etwa des Storches, und geſtattet ihnen, Unterſchenkel und Lauf gegeneinander feſtzuſtellen, ſo daß ſie auf einem Beine ruhend ſchlafen, ohne zu deſſen Streckung ihre Muskeln anzuſtrengen. Wenn man ein Storchbein durch Beugung des Gelenkes zwiſchen jenen Knochen, des Intertarſalgelenkes, aus dem geſtreckten in den gebeugten Zuſtand überführen will, ſo muß man zunächſt einen Widerſtand überwinden; dann gleitet plötzlich der Lauf von ſelbſt in die Beuge— lage weiter. Die Urſache dieſes Einſchnappens iſt leicht zu erkennen (Abb. 99): an der Außen— ſeite des Intertarſalgelenkes befindet ſich ein ſtraff geſpanntes elaſtiſches Band, das am Unter— ſchenkel in einiger Entfernung vom Gelenk, am Lauf nahe unter demſelben befeſtigt iſt. Der Gelenkkopf des Unterſchenkels hat nun eine ellip— Abb. 100. Sperrvorrichtung an den Floſſen— tiſche Oberfläche derart, das ſich bei der Bewegung ſtacheln des Heringskönigs (Zeus faber L.). des Gelenkes aus der Streck- in die Beugelage 1 Zacken des zweiten Floſſenſtachels, der in eine Grube des dritten paßt— der Abſtand zwiſchen den beiden Befeſtigungs— punkten des Bandes zunächſt vergrößern muß, das Band alſo noch ſtärker geſpannt wird; es wird daher der Beugung Widerſtand entgegenſetzen, zu deſſen Überwindung ein Muskelzug notwendig iſt; ohne ſolchen hält das Band die beiden Knochen in der Streckſtellung feſt. Durch Sperrvorrichtungen verſchiedener Art werden auch bei vielen Fiſchen die Stacheln, beſonders am Vorderrande der Rückenfloſſe in aufgerichtetem Zuſtande gehalten, ſo beim Stichling, bei Triacanthus und bei dem Heringskönig (Zeus faber L.). Der Stichlingsſtachel läuft an ſeiner Baſis in zwei ſäbelartig nach hinten gekrümmte Fortſätze aus, die in Scheiden verlaufen; ein Druck gegen ſeine Spitze vermag ihn daher nicht umzulegen, er ſcheitert am Widerſtand der Scheiden; ſchiebt man aber an der Baſis des Stachels eine Nadel in den Raum zwiſchen jene Fortſätze und dreht ſie dadurch in ihren Scheiden wie einen krummen Säbel, ſo kann man den Stachel umlegen. — Bei der Aufrichtung des Rückenſtachels von Triacanthus wird ein kleines Knöchelchen, das mit dem Stachel durch ein Band verbunden iſt, automatiſch unter ſeine Baſis geſchoben; das Umlegen des Stachels wird dadurch in gleicher Weiſe verhindert, wie ein Fenſterflügel 166 Sperrvorrichtungen. durch ein eingeklemmtes Holzſtück offen gehalten wird; der Stachel kann nur niedergelegt werden, wenn das Sperrknöchelchen zurückgezogen wird, was beim lebenden Tier durch ein beſonderes Muskelchen geſchieht. — Beim Heringskönig (Abb. 100) endlich entſpringt hinten an der Baſis des zweiten Rückenfloſſenſtachels ein Zacken (7), der in eine Grube an der Vorderfläche des dritten Stachels eingreift und den Stachel ſo in ſeiner aufrechten Stellung feſthält; ein Umlegen des Stachels iſt nur möglich, wenn zuvor durch leichtes Vorwärtsziehen desſelben und Rückbiegen des dritten Stachels der Zacken aus der Grube herausgezogen iſt. Durch die Floſſenhaut werden aber auch alle übrigen Floſſenſtacheln aufrecht gehalten, ſolange der zweite geſtellt iſt. Eine Sperrvorrichtung durchaus andrer Art hat Schaffer an den Zehen der Vögel entdeckt, wo ſie in weiter Verbreitung vorkommt. Es iſt bekannt, daß ſich die Zehen eines toten Vogels zuſammenkrallen, wenn man ihm das Knie beugt. Das kommt daher, daß die Sehne eines am Becken entſpringenden Zehenbeugers (Musc. ambiens) ſo über die Vorderfläche des Kniegelenkes geht, daß ſie durch deſſen Krümmung geſpannt wird. Wenn alſo ein Vogel aufſitzt und dabei in Hockſtellung übergeht, krümmen ſich ſeine Zehen von ſelbſt, und durch die Zuſammenziehung der übrigen Zehenbeuger wird der Griff gefeſtigt. Die Sehne des tiefen Beuge— muskels (M. flexor profundus) trägt nun auf ihrer unteren, der Sohle zugekehrten Seite einen eigentümlichen Knorpelüberzug mit raſpel— artig gerauhter Oberfläche; die gegenüberliegende Wand der Scheide, in der die Sehne gleitet, trägt an mehreren Zehengliedern in beſtimmten Abſtänden zahnartige, nach dem Zehenurſprung zu geneigte Rippen, ſogenannte Sperrſchneiden (Ab. 101 A u. B). Wenn ſich der Vogel auf 4 Teil der Unterſeite der Sehne des tiefen Zehenbeugers, einen Zweig niederläßt, werden die Sperr⸗ Speiſhnelben. e f Saen ſchneiden der Sehnenſcheide durch das Gewicht des Vogels gegen die gezahnte Sehnenfläche und mit dieſer gegen die knöcherne Achſe des Zehengliedes gepreßt: die Schneiden greifen in die Rauhigkeiten ein, und dieſe Verzahnung hindert ein Zurückweichen der Sehne, ſolange der Gegendruck des Zweiges dauert. Dieſe Vorrichtung wirkt völlig automatiſch und hält den Vogel ohne Muskelanſtrengung auf dem Zweige feſt. Eine intereſſante Sperrung findet ſich nach Doflein an den Händen der Baum— affen (Semnopithecus, Colobus, Cercopithecus, Ateles). Beim Ergreifen eines Aſtes übt der „Druck desſelben gegen die Fingerknochen einen Zug auf eine eigenartig angebrachte Sehne aus, ſo daß die Fingerglieder ſich automatiſch umbiegen, ſich in einen Haken um— wandeln, an dem ſich das Tier aufhängen kann“. So kann es vorkommen, daß ge— ſchoſſene Affen mit den Händen an einem Aſt hängenbleiben, ohne herunterzufallen. Eine beſondere Art der Bewegung erfordert wegen ihrer Bedeutung für die Lebens— führung der Tiere ſowie wegen der mannigfachen und engen Beziehungen, die ſie ſtets zu deren Formbildung hat, unſere beſondere Aufmerkſamkeit: es iſt die Ortsbewegung oder Lokomotion. Es gibt kein Tier, dem nicht mindeſtens in ſeinen Jugendzuſtänden die Fähigkeit der Ortsbewegung zukäme. Ortsbewegung. 167 Wenn die Bewegungen eines Tierkörpers oder ſeiner Teile ſich ſo umſetzen ſollen, daß es zu einer Verſchiebung des Tieres gegenüber ſeiner Umgebung kommt, ſo müſſen ſie Widerſtände finden, durch deren Gegenwirkung einerſeits der Körper aus ſeiner Lage verſchoben und andrerſeits die einer ſolchen Verſchiebung entgegenſtehenden Reibungs— widerſtände überwunden werden. Deshalb geſtaltet ſich die Ortsbewegung in ihren Grundbedingungen verſchieden, je nachdem ſich das Tier inmitten eines einheitlichen Me— diums oder auf der Grenze zweier verſchiedener Medien bewegt: die Bewegungen im Boden oder im Waſſer oder in der Luft ſind anders, als die auf der Grenze zwiſchen Waſſer und feſtem Untergrund oder zwiſchen Luft und feſtem Untergrund, oder auf der Grenze von Luft und Waſſer. Luft ſetzt der Verſchiebung des Körpers den geringſten, Waſſer einen größeren, der feſte Boden einen oft gar nicht zu überwindenden Widerſtand entgegen; aber Luft bietet auch die geringſten Stützpunkte und Widerſtände für das Fort— ſchieben des Körpers, während dieſe im Waſſer größer, auf dem feſten Lande am größten ſind. So hat jede dieſer Bewegungen ihre Vorteile und ihre Nachteile: die Bewegung in der Luft erlaubt die größten Geſchwindigkeiten, aber verlangt die bedeutendſten Muskel— leiſtungen; die Bewegung im Waſſer geſtattet die andauerndſten Bewegungen bei geringſter Anſtrengung, fördert aber bei weitem weniger; die Bewegung auf feſtem Boden in Luft oder Waſſer verlangt einen großen Aufwand von Kraft, um die Reibung am Boden zu verringern, während die ſonſtigen Hemmniſſe gering ſind. Sie ſteht aber zugleich der freien Bewegung in Waſſer und Luft darin weit nach, daß ſie nur in den zwei Rich— tungen einer Fläche ſtattfindet, während jenen die drei Richtungen des Raumes offen ſtehen. 5. Die Bedingungen des paffiven Schwebens im Waffer und in der Luft. Zuerſt mögen die Bewegungen im Waſſer betrachtet werden. Denn hier iſt die Urheimat der Lebeweſen zu ſuchen, und wir finden daher die niedrigſten Organismen und zugleich die urſprünglichſten Bewegungsarten gerade hier. Sind doch von den ſieben großen Tierſtämmen gerade die vier am wenigſten hoch organiſierten, die Urtiere, Hohl— tiere, Würmer und Stachelhäuter, in ihrem Vorkommen ganz oder doch faſt ganz auf das Waſſer beſchränkt, und von den drei anderen lebt je ein beträchtlicher Teil im Waſſer, von den Weichtieren wohl die Hälfte, von den Arthropoden beſonders die Krebſe, und von den Wirbeltieren in der Hauptſache die Fiſche und ein Teil der Amphibien. Zunächſt müſſen wir auf die ſtatiſchen Verhältniſſe im Waſſer einen Blick werfen. Verſchiedenartige Körper verhalten ſich im Waſſer ungleich, je nach ihren Eigentümlich— keiten: entweder ſinken ſie zu Boden oder ſie ſchwimmen ſo, daß ein Teil von ihnen über die Waſſeroberfläche herausſieht. Der Körper ſinkt, wenn ſein Gewicht größer iſt als das der Waſſermenge, die er beim völligen Eintauchen verdrängt, d. h. wenn er ein Übergewicht hat; er ſchwimmt an der Oberfläche, wenn ſein Gewicht kleiner iſt als das jener Waſſermenge, und zwar taucht er ſo tief ein, daß das Gewicht der dabei verdrängten Waſſermenge ſeinem Gewicht gleich iſt. Wiegt ein Körper genau ſo viel als die Waſſer— menge, die er verdrängt, ſo ſinkt er weder, noch ſchwimmt er oben, ſondern er ſchwebt im Waſſer, ſo daß er an jeder Stelle des Waſſers im Gleichgewicht iſt. Nun iſt aber das Waſſer verſchieden ſchwer, je nach ſeiner Temperatur und vor allem je nach der Menge der Salze, die darin gelöſt ſind. Während 1 Liter reinen Waſſers ein Gewicht von 1 kg hat, wiegt 1 Liter Meerwaſſer mit 3,5% Salzgehalt bei 0% C 29 g, bei 168 Sinkgeſchwindigkeit eines Körpers in Waſſer. 15° 26 g mehr, und das Waſſer von ſtark verdunſtenden Salzſeen der Steppen kann ein noch bedeutend höheres Gewicht erreichen. Ein Körper, der im Flußwaſſer von 0,02% Salzgehalt eben unterſinkt, kann alſo im Meerwaſſer oben ſchwimmen. | Die Geſchwindigkeit, mit der ein Körper im Waſſer ſinkt, iſt um jo größer, je be— deutender ſein Übergewicht iſt; aber ſie hängt noch von anderen Bedingungen ab. Läßt man eine Eiſenkugel und ein Stück Eiſenblech von gleichem Gewicht im Waſſer unter— ſinken, wobei man letzteres mit der Fläche parallel zur Waſſeroberfläche eintaucht, ſo ſinkt die Kugel ſchneller. Körper von gleichem Gewicht und gleichem Übergewicht erfahren alſo beim Sinken verſchieden ſtarke Hemmungen, je nach ihrer Geſtalt; ſie müſſen dabei die Waſſerteilchen verdrängen, an deren Stelle ſie treten, und zwar ſind das je nach der Geſtalt des ſinkenden Körpers verſchieden viele, und der Weg, den ſie zurücklegen müſſen, iſt verſchieden groß. Je größer die Summe der von den verdrängten Waſſerteilchen zurückgelegten Wege iſt, um ſo größer iſt der Widerſtand, den ein ſinkender Körper fin— det, um ſo geringer ſeine Sinkgeſchwindigkeit. Die Größe dieſes Widerſtandes hängt alſo von der Form des Körpers ab, wir können ihn Formwiderſtand nennen, und zwar wird dieſer um ſo größer ſein, je größer die Projektion des Körpers auf die Horizontalebene iſt, die wir als ſeine „Unterfläche“ bezeichnen wollen. Die verdrängten Waſſerteilchen erfahren nun bei ihrer Bewegung Reibungswider— ſtände: zunächſt an der Oberfläche des Körpers — aber da an dieſer durch Adhäſion eine Schicht von Waſſerteilchen haftet und ſo der Körper gleichſam von einer Waſſerhülle umgeben iſt, ſo kommt nur die Reibung der Waſſerteilchen aneinander in Betracht. Dieſe innere Reibung iſt bei verſchiedenen Flüſſigkeiten ungleich groß, ſo auch bei Waſſer von ungleicher Beſchaffenheit. Sie vermindert ſich im Waſſer bei zunehmender Temperatur: ſetzt man ſie für Waſſer von 0-100, jo beträgt ihre Abnahme für die erſten 30—40° auf einen Grad je 2— 3%, jo daß fie für Waller von 25“ nur halb jo groß iſt als für ſolches von 0%. Mit zunehmendem Salzgehalt ſteigt die innere Reibung. Sie ſteht aber durchaus nicht in Abhängigkeit von der Dichte einer Flüſſigkeit, wie folgender Verſuch zeigt: wenn man eine gleiche Menge fein geſchlämmter Kreide in gleichgroßen Gläſern, deren eines Ol, das andere Waſſer, das dritte eine ſtarke Zuckerlöſung enthält, verteilt und die Gläſer, nachdem die Maſſe ſich zu Boden geſetzt hat, gleichzeitig umdreht, ſo daß die Kreide wiederum in der Flüſſigkeit ſinken muß, ſo geht das Sinken im Waſſer ſchneller als in der Zuckerlöſung, und in dieſer wiederum ſchneller als im Ol, obgleich dieſes weniger dicht iſt als die beiden anderen. Ol hat eben die größte innere Reibung. So hängt alſo die Sinkgeſchwindigkeit eines Körpers auch von der inneren Reibung der betreffenden Flüſſigkeit ab. Die Sinkgeſchwindigkeit im Waſſer iſt alſo direkt proportional dem Übergewicht des ſinkenden Körpers über ein gleiches Waſſervolumen, und umgekehrt proportional dem Form— widerſtand des Körpers und der inneren Reibung des Waſſers. Man kann das in fol— Übergewicht Formwiderſtand & innere Reibung a dieſer Quotient größer als Null iſt, jo ſinkt der Körper zu Boden, iſt er gleich Null, ſo ſchwebt der Körper im Waſſer; wird der Quotient kleiner als Null, ſo hat der Körper Auftrieb, er ſteigt wieder auf, wenn er eingetaucht wird, und ſchwimmt auf der Oberfläche. Aus dieſer Formel kann man die Bedingungen entnehmen, unter denen ein Lebe— weſen im Waſſer ſchweben oder doch ſeine Sinkgeſchwindigkeit ſo weit verringern kann, daß es nur geringer Anſtrengungen bedarf, um ſich ſchwebend zu erhalten. Die lebende gende Formel faſſen: Sinkgeſchwindigkeit = Mittel zur Verminderung des Übergewichts. 169 Subſtanz iſt ſchwerer als Waſſer; trotzdem werden vielfach Lebeweſen im Waſſer ſchwe— bend gefunden: die ganze Maſſe der Planktonorganismen ſchwebt im Waſſer, manche ganz ohne ſich zu regen, andre mit Hilfe leichter Bewegungen. In demſelben Waſſer, wo alſo die innere Reibung gleich groß iſt, wird ein Lebeweſen um ſo leichter ſchweben, je ge— ringer ſein Übergewicht und je größer ſein Formwiderſtand iſt. Eine Verminderung des Übergewichts kommt dadurch zuſtande, daß ein quellbarer Körper reichlich Waſſer aus der Umgebung aufnimmt; denn er verdrängt dann eine ent— ſprechend größere Waſſermenge, und ſein Übergewicht verteilt ſich auf ein größeres Vo— lumen. Das iſt die Bedeutung der rieſigen Waſſermengen, die in der Gallertſubſtanz ſo vieler pelagiſch lebender Meeresbewohner enthalten ſind: ſo haben manche Radiolarien (die Thalaſſicollen und die koloniebildenden Formen) einen Gallertmantel; bei den Quallen, Siphonophoren und Rippenquallen und bei den Schwimmſchnecken (Heteropoden) haben Abb. 102. Acanthonia tetracopa J. Müll., ein Radiolar. A mit eingezogenem, B mit ausgeſpanntem Gallertmantel. 1 erihlaffte, “ kontrahierte Myophanfäden. Nach Schewiakoff. wir außerordentlich waſſerreiches Bindegewebe. Im Süßwaſſer finden wir ähnliches bei dem Krebschen Holopedium gibberum Zadd. mit ſeiner Gallerthülle (Abb. 103, B). Unter dieſem Geſichtspunkte wird uns verſtändlich, daß die Ohrenqualle (Aurelia aurita L.) in der Oſtſee mehr Waſſer enthält als in der Adria (97,9% gegen 95,3— 95,7%), weil das Waſſer der Oſtſee leichter iſt, der gleiche Körper dort alſo ein größeres Übergewicht hat. Mit der Vergrößerung des Tieres, die durch ſolchen Waſſerreichtum bewirkt wird, erhöht ſich zugleich auch der Formwiderſtand, den es erfährt. Bei allen dieſen Tieren iſt jedoch die Menge des in ihrer Gallerte enthaltenen Waſſers beſtändig und kann nicht vermehrt oder vermindert werden. Bei einer Gruppe der Ra— diolarien jedoch, den Acanthometriden, iſt eine Einrichtung vorhanden, die es geſtattet, das Volumen durch Waſſeraufnahme zu vergrößern und wieder zu verringern. Ihr Skelett beſteht aus 20 im Zentrum verbundenen Stacheln. An das Ende jedes Stachels ſetzt ſich unter Vermittlung ektoplasmatiſcher Bänder ein Kranz von Myophanfäden an (Abb. 102); durch deren Zuſammenziehung wird das ektoplasmatiſche Maſchenwerk angeſpannt und damit der Gallertmantel des Radiolars, der von jenem nach allen 170 Mittel zur Verminderung des Übergewichts. Seiten durchzogen wird, ausgedehnt: er kann dieſem Zug nur folgen unter Waſſer— aufnahme. Läßt die Kontraktion der Myophanfäden nach, ſo zieht ſich das ektoplas— matiſche Maſchenwerk zurück, und der Gallertmantel folgt, wobei das aufgenommene Waſſer wieder ausgepreßt wird. In dieſer Weiſe kann das Übergewicht auf äußere Reize hin vermindert oder vermehrt werden, je nach Kontraktion oder Erſchlaffung der Myophanfäden. Eine andre Art, das Übergewicht im Waſſer zu verringern, finden wir beſonders bei der Mehrzahl der Radiolarien: ſie enthalten in dem äußeren ſchaumigen Protoplasma ihres Zellkörpers eine Menge von kleinſten Bläschen, die mit einer wäßrigen Löſung gefüllt ſind. Dieſe iſt leichter als das Meerwaſſer; aber ein Ausgleich des Dichtigkeits— unterſchiedes durch Diffuſion iſt dadurch verhindert, daß fie mit dem Meerwaſſer äqui— molekular iſt, ſo daß Diffuſionsſtrömungen nicht auftreten. Dieſe Einrichtung hat den Vorteil, daß durch die Entleerung einer Anzahl der Bläschen nach außen das Gewicht des Geſamtkörpers reguliert werden kann, ohne daß dadurch beſondre Subſtanzverluſte entſtehen. Auf ſolche Weiſe können die Radiolarien auf einen Reiz hin im Waſſer ſinken. Ahnlich ſcheint bei Bero& unter den Rippenquallen durch Gehalt der Gallerte an weniger dichten Salzlöſungen das Übergewicht vermindert und ſo das Schwimmen unterſtützt zu ſein. Weit wirkſamer für die Verringerung des Übergewichts ſind größere oder geringere Mengen von Fett oder Ol, die ſich in den Geweben von Lebeweſen finden. Manche frei im Meere treibende Fiſcheier ſchließen einen großen, oft lebhaft orangerot gefärbten Oltropfen ein, der ihre Schwebefähigkeit bedingt. Bei vielen kleinen Krebschen und Krebslarven in der Schwebefauna des Süßwaſſers und Meeres finden wir reichlich Fett— tropfen im Bindegewebe, die ihnen oft lebhafte Färbungen verleihen. Fettanſammlungen ſind es auch, wodurch den großen Waſſerſäugern, den Walen und Robben, ein ſo an— dauerndes Schwimmen im Waſſer ermöglicht wird. Ein Mittel, das ſehr häufig zur Verminderung des Übergewichts dient, iſt das Vor— handenſein von Gaſen im Tierkörper, und zwar iſt, wegen der großen Leichtigkeit der Gaſe im Vergleich mit Waſſer, dieſes Mittel ſehr wirkſam. Bei vielen Siphonophoren treffen wir Gasbehälter, die den Tierſtock ſo erleichtern, daß er an der Oberfläche des Waſſers dahintreibt, wie Forskalia, Physophora (Abb. 14, S. 36) und vor allem die Segelqualle Velella. An einem kleinen beſchalten Protozoon, Arcella (vgl. Tafel 7), be— obachtet man, daß ſich zuweilen in ſeiner Schale Gasbläschen bilden und es dann vom Grunde des Waſſers an die Oberfläche emporgehoben wird. Die Lungenſchnecken des ſüßen Waſſers können die in ihrer Atemhöhle enthaltene Luft durch Muskeldruck auf ein geringeres Volumen zuſammenpreſſen und vermehren damit ihr Übergewicht durch Vermin— derung ihrer Waſſerverdrängung, was zur Folge hat, daß ſie zu Boden ſinken; laſſen ſie jedoch mit dem Druck nach, ſo dehnt ſich die Luft aus, die verdrängte Waſſermenge nimmt zu, und damit wird das Übergewicht vernichtet: ſo werden ſie an die Oberfläche gehoben. Beſonders bei Physa, einer kleinen Schlammſchnecke unſerer Rinnſale und Sümpfe, kann man das oft beobachten. Teichſchnecken (Limnaea), die ihre Atemhöhle am Waſſerſpiegel mit Luft gefüllt haben, ſind leichter als Waſſer und können daher, dank der Oberflächen— ſpannung des Waſſers, am Waſſerſpiegel entlang kriechen. Stößt man ſie ab, ſo ſinken ſie nicht zu Boden, ſondern ſteigen von ſelbſt wieder empor; ſie können ſich aber durch Kompreſſion der Luft in der Atemhöhle ſinken laſſen. Mindert man aber bei einer am Waſſerſpiegel kriechenden Schnecke die Luftmaſſe durch Entfernen des Luftbläschens am Verminderung des Übergewichts durch Luftblaſen. 171 Atemloch, ſo ſinkt ſie unter und kann ſich nicht mehr auftreiben laſſen, ſondern muß erſt an einer feſten Unterlage in die Höhe kriechen, um die Atemhöhle wieder zu füllen. So ſinken die Inſekten dank der Luftmenge in ihren Tracheen, die meiſten lungenatmenden Wirbeltiere infolge ihrer luftgefüllten Lungen im Waſſer nicht unter. Bei den Vögeln wird durch die große Maſſe Luft, die nicht nur in den Lungen und Luftſäcken, ſondern auch zwiſchen dem Gefieder enthalten iſt, eine ſolche Verminderung des Gewichts, dem Waſſer gegenüber, bewirkt, daß auch Vögel, die nicht Schwimmvögel find, im Waſſer nur ſehr wenig eintauchen. Gaetke beobachtete, daß Zugvögel (Droſſeln, Ammern, Finken), die vom Fliegen erſchöpft waren, ſich beim Flug über das Meer auf das Waſſer nieder— ließen, um auszuruhen, und nach einiger Zeit munter weiter flogen, und von den Tauben am oberen Nil wird berichtet, daß ſie an Stellen, wo ſie wegen der Steilheit des Ufers ihren Durſt vom Lande aus nicht löſchen können, ſich auf das Waſſer ſetzen und auf deſſen Oberfläche treibend trinken. Eine ganz beſondere Rolle ſpielt bei den Fiſchen die Verringerung des Übergewichts durch einen Luftvorrat im Körper. Bei Goldfiſchen oder Karpfen kann man leicht be— obachten, daß ſie, ohne die leiſeſte Bewegung zu machen, an einer Stelle im Waſſer ſtehen und weder ſteigen noch ſinken. Sie haben ihr Übergewicht ſo weit vermindert, daß ihre Sinkgeſchwindigkeit gleich Null iſt. Die Einrichtung, die das ermöglicht, iſt die Schwimmblaſe. Nicht alle Fiſche beſitzen eine Schwimmblaſe: ſie fehlt den Rundmäulern, allen Selachiern und unter den Knochenfiſchen z. B. den Makrelen, vor allem aber vielen Grundbewohnern, die, auf dem Boden des Gewäſſers ruhend, auf Beute lauern, ſo den Schollen, den Himmelsguckern, Seeſchmetterlingen und Petermännchen (Uranoscopus, Blennius, Trachinus), unter unſeren Süßwaſſerfiſchen dem Kreßling (Gobio gobio L.) und manchen anderen. Dieſe können dann nur auf dem Boden liegend ruhen, und zum Schwimmen brauchen ſie weit mehr Kraft als andere Fiſche, weil ſie außer dem Wider— ſtande, den das Waſſer der Vorwärtsbewegung entgegenſetzt, auch noch die herabziehende Wirkung der Schwerkraft überwinden müſſen. Die Schwimmblaſe der Fiſche iſt eine Ausſtülpung des Vorderdarmes, die bei den Stören durch einen ziemlich weiten, bei manchen Knochenfiſchen, den Phyſoſtomen, durch einen engen Luftgang mit dem Schlunde verbunden bleibt; bei anderen Knochenfiſchen verſchwindet dieſe beim Embryo vorhandene Verbindung, ihre Schwimmblaſe beſitzt alſo keinen Luftgang (Phyſokliſten). Mindeſtens bei den letzteren alſo muß das in der Schwimmblaſe enthaltene Gas ein Ausſcheidungsprodukt des Körpers, d. h. der Blaſenwand ſein, und daß ſie dies auch bei den anderen mindeſtens teilweiſe iſt, geht daraus hervor, daß die Zuſammenſetzung der Schwimmblaſengaſe eine andere iſt als die der atmosphärischen Luft, daß vor allem häufig ein viel höherer Prozentſatz von Sauerſtoff darin enthalten iſt. Die Luft in der Schwimmblaſe ſteht unter dem Drucke, der in der Umgebung des Fiſches im Waſſer herrſcht, alſo der Summe von Luftdruck und dem Druck der jedes— maligen Waſſerhöhe; dieſer Druck pflanzt ſich auf die Gewebe des Fiſches und ſo auch auf die Schwimmblaſe fort. In verſchiedener Waſſertiefe iſt dieſer Druck ungleich und nimmt mit je 10 m Tiefe um eine Atmoſphäre zu. Wenn alſo ein Fiſch im Waſſer eine größere Tiefe aufſucht, ſo vermehrt ſich der auf ſeiner Schwimmblaſe laſtende Druck; infolgedeſſen wird die Blaſe zuſammengedrückt, und damit nimmt das Körpervolumen ab; die vom Körper verdrängte Waſſermaſſe vermindert ſich daher, das Übergewicht nimmt zu, und er müßte daher weiter ſinken. Dabei würde ſich aber der umgebende Druck 142 Schwimmblaſe der Fiſche. immer ſteigern, alſo die Urſache, die das Zunehmen des Übergewichtes herbeiführt, ſich vermehren, und das Sinken würde mit zunehmender Geſchwindigkeit fortgehen, bis der Fiſch den Boden erreichte. Umgekehrt gerät ein Fiſch, der im Waſſer aufſteigt — etwa der Hering, wenn er zur Eiablage aus den Tiefen, die er bewohnt, in die oberen Waſſer— ſchichten kommt —, unter geringeren Druck; ſeine Schwimmblaſe muß ſich alſo ausdehnen, ſein Volumen und damit die verdrängte Waſſermaſſe zunehmen, ſein Übergewicht alſo ſich vermindern. Die Folge wäre, daß der Fiſch unaufhaltſam nach oben getrieben würde, bis er die Oberfläche erreicht hätte. Das ſehen wir nun für gewöhnlich nicht eintreten. Allerdings werden durch ſchnelle große Veränderungen des umgebenden Druckes ähnliche Wirkungen hervorgebracht, wie ſie eben theoretiſch entwickelt wurden. Wenn Fiſche aus großen Tiefen mit dem Netze emporgebracht werden, dehnt ſich ihre Schwimmblaſe oft ſo ſtark aus, daß ſie aus dem Maule herausgepreßt wird: die Fiſcher des Bodenſees bezeichnen dieſe Erſcheinung bei dem Kilch (Coregonus hiemalis Jur.) als Trommelſucht. Ahnliches wird bei Tiefſee— fiſchen oft beobachtet. Im übrigen aber beſitzen die Fiſche Vorrichtungen, um die Druck— und Volumſchwankungen in ihrer Schwimmblaſe zu regulieren. Ein einfaches Mittel dazu ſind die Muskeln der Schwimmblaſenwand: viele Fiſche (Hecht, Barſch, Schellfiſch; Stör) haben einen zuſammenhängenden Belag von glatten Muskeln, bei den karpfen— artigen ſind wenigſtens Längsſtreifen querverlaufender glatter Muskelzellen vorhanden, bei einigen Seefiſchen (Knurrhahn, Heringskönig) liegen der Schwimmblaſe ſogar ſcharf begrenzte Platten quergeſtreifter Muskulatur auf. Durch deren Zuſammenziehung kann wenigſtens eine Volumvermehrung der Blaſe bei vermindertem Außendruck verhindert werden, ſoweit ein ſolcher unter natürlichen Verhältniſſen eintritt. Aber der Fiſch hat noch weitere Einrichtungen zur Regelung des Luftdrucks in der Schwimmblaſe: die Volumvergrößerung bei vermindertem Außendruck verhindert er durch Entfernung von Gas aus der Blaſe; der Volumverkleinerung bei erhöhtem Außendruck arbeitet er durch Abſcheidung von Gas in die Schwimmblaſe entgegen. Beides iſt durch Verſuche bewieſen. Wenn man einen Hecht, alſo einen Fiſch mit Schwimmblaſengang, in einem Waſſerbecken unter den Rezipienten einer Luftpumpe bringt und die Luft ver— dünnt, ſo ſieht man, wie er Gasblaſen unter ſeinen Kiemendeckeln hervortreten läßt und dabei am Boden bleibt; ein Barſch ohne Schwimmblaſengang kann ſo ſchneller Luft— verdünnung nicht entſprechend folgen: er wird an die Oberfläche des Waſſers empor— gehoben. Andererſeits wurde von zwei in ſeichtem Waſſer gehaltenen Fiſchen gleicher Art der eine in eine Tiefe von 7—8 Metern verſenkt, wobei der auf der Schwimmblaſe laſtende Druck ſich faſt verdoppelt. Nach 48 Stunden wurden die Schwimmblaſengaſe bei beiden unterſucht: bei dem im ſeichten Waſſer belaſſenen enthielten ſie 16% Sauer— ſtoff, bei dem in die Tiefe verſenkten dagegen 52%. Damit iſt es ſehr wahrſcheinlich gemacht, daß der letztere in ſeine Schwimmblaſe Sauerſtoff abgeſchieden, alſo die Gas— maſſe in derſelben dadurch vermehrt und ſo der Schwimmblaſenverkleinerung entgegen— gearbeitet hatte. Wenn alſo Gas, beſonders Sauerſtoff, in die Schwimmblaſe hinein ausgeſchieden wird, ſo kann das nirgends anders herſtammen als aus dem Blut des Fiſches. Durch einfache Diffuſion aber kann der Sauerſtoff nicht aus den Blutgefäßen in die Schwimm— blaſe gelangen; denn der Partialdruck des Sauerſtoffes iſt in der Schwimmblaſe viel höher als im Blut, und Diffuſion kann nur von Stellen höheren zu ſolchen niederen Druckes ſtattfinden. Es muß alſo ein beſonderes Organ vorhanden ſein, deſſen Aufgabe Schwimmblaſe der Fiſche. 173 es iſt, den Sauerſtoff des Blutes zu verdichten und ihn in den Binnenraum der Schwimm— blaſe überzuführen. Als ſolches Organ kann man vielleicht das außerordentlich blut— gefäßreiche Gebilde anſehen, das man als roten Körper bezeichnet, und das bei allen Fiſchen in mehr oder minder deutlicher Ausbildung gefunden wird. Der Vorgang der Abſcheidung aber, der vielleicht mit dem beobachteten Untergang roter Blutkörperchen in den Gefäßen des roten Körpers zuſammenhängt, iſt noch unerklärt. Die Verminderung der Gasmaſſe in der Schwimmblaſe, durch die beim Nachlaſſen des äußeren Druckes eine Ausdehnung der Blaſe verhindert wird, geſchieht bei den Phy— ſoſtomen offenbar durch den Luftgang, wie der Verſuch mit dem Hecht zeigt. Bei den Phyſokliſten aber findet man in der Schwimmblaſe ein Organ, das den Phyſoſtomen fehlt, das ſogenannte Oval, das ſich ebenfalls durch reiche Blutgefäßverſorgung auszeichnet: hier könnte der Ort der Gasreſorption ſein. Die Blutgefäße des Ovals können abgeklemmt werden, ſo daß damit die Gasreſorption verhindert iſt; bei Zutritt von Blut aber wird infolge des hohen Partialdruckes des Sauerſtoffes in der Blaſe dies Gas durch Diffuſion in das Blut übertreten und ſo der Inhalt der Blaſe vermindert werden. Die Luft in der Schwimmblaſe der Fiſche ſteht gewöhnlich unter etwas höherem Druck als der iſt, der in dem betreffenden Waſſerniveau herrſcht. Der Fiſch kann dann durch entſprechende Entſpannung ſeiner Schwimmblaſenmuskulatur eine gewiſſe Ver— größerung der Schwimmblaſe und damit eine bedeutendere Waſſerverdrängung herbei— führen: er ſteigt; oder er kontrahiert die Muskeln der Schwimmblaſe ſtärker, verkleinert damit deren Volum, verdrängt weniger Waſſer und erhöht damit ſein Übergewicht: er ſinkt. Nur bei der Überwindung größerer Niveauunterſchiede wird die Vermehrung oder Verminderung der Schwimmblaſengaſe in Frage kommen. Bei manchen Fiſchen, nämlich bei den karpfenartigen und den Characinen, iſt die Schwimmblaſe in eine vordere und hintere Abteilung geteilt, die miteinander durch eine enge Offnung zuſammenhängen. Die vordere Abteilung hat elaſtiſche Wandungen, während die der hinteren Abteilung unnachgiebig ſind. Wird durch den Druck der in zwei Längs— ſtreifen angeordneten Muskeln Luft aus der hinteren Abteilung in die vordere gepreßt, ſo dehnt ſich dieſe aus: der Fiſch wird in ſeinem vorderen Teil ſein Übergewicht ver— mindern und ſich vorn heben; umgekehrt wird eine Kontraktion der vorderen Abteilung dieſe verkleinern, den Vorderkörper ſchwerer machen und zum Sinken bringen. Auf dieſe Weiſe können z. B. Goldfiſche ohne Bewegung ihrer Floſſen durch Hebung oder Senkung ihres Vorderkörpers in andere Waſſerſchichten übergehen. — In gleicher Weiſe wie die Verminderung des Übergewichtes kann auch die Ver— mehrung des Formwiderſtandes dazu beitragen, die Geſchwindigkeit des Sinkens im Waſſer zu vermindern. Schon mit der Bildung von Gallertſubſtanz iſt außer der Ver— ringerung des Übergewichts eine nicht unbedeutende Vergrößerung des Körpers verbunden; dieſe vermehrte Maſſe iſt bei den Quallen durch Bildung des Schirmes im Sinne einer wirkſamen Vergrößerung der Projektionsfläche und damit einer großen Vermehrung des Formwiderſtandes angeordnet. Die gleiche Wirkung ergibt ſich auch bei anderen Ein— richtungen des Tierkörpers. So ſind die Skelettbildungen der Radiolarien oft derartig angeordnet, daß ſie nach dieſer Richtung wirkſam ſind: urſprünglich als Stütz- und Schutzorgane des Zellkörpers entſtanden, werden ſie durch Verlängerung und Veräſtelung, alſo durch Entwicklung großer „Unterflächen“, zu Hilfsapparaten für das Schweben im Waſſer. Eine bedeutende Vergrößerung der Unterfläche kommt bei manchen Tierkörpern durch Abflachung zuſtande: ſo erklärt ſich der ganz flache, faſt papierdünne Körper bei den 174 Vermehrung des Formwiderſtandes. Phylloſomalarven mancher Krebſe, der Palinuriden und Scyllariden (Abb. 103 6), als eine Anpaſſung an das Treiben im offenen Ozean, und unter den Ruderfußkrebſen zeigen die Saphirinen eine ſolche Abplattung zugleich mit der Erleichterung durch Oltropfen. Über— aus häufig aber begegnet uns gerade bei kleinen Krebschen und bei Krebslarven eine Vergrößerung der Projektionsfläche durch Verlängerung und Verbreiterung der vor— handenen und Erzeugung neuer Körperanhänge: die Fühler und Gliedmaßen erhalten im Vergleich zum übrigen Körper eine unverhältnismäßige Länge und werden weit ab— geſpreizt. Durch einen Beſatz gefiederter Borſten kann ihre Unterfläche noch vermehrt werden; Gliedmaßen und Leib tragen ſtachelige Fortſätze, die an Länge den eigentlichen Körper oft um ein Vielfaches übertreffen: es entſtehen dadurch ſo ſonderbare und aben— teuerliche Formen, wie ſie unſere Abbildung 103 in einer kleinen Auswahl zeigt. In bezug auf ihre Oberflächenentwicklung haben kleine Tiere von vornherein gün— ſtigere Bedingungen als große; denn bei ihnen iſt die Oberfläche im Verhältnis zur Maſſe größer als bei großen. Nehmen wir als einfachſten Fall ein kugelförmiges Ge— bilde, jo beträgt deſſen Oberfläche Ar’, wobei r den Halbmeſſer der Kugel bedeutet; der Inhalt dagegen iſt Zr’. Das Verhältnis beider iſt alſo =, d. h. die Oberfläche iſt im Vergleich zur Maſſe um ſo größer, je kleiner der Halbmeſſer der Kugel iſt. Wenn alſo von zwei Kugeln bei der einen der Halbmeſſer lem, bei der anderen 3 em mißt, ſo kommt auf die Maſſeneinheit bei der erſten eine dreimal ſo große Oberfläche als bei der zweiten. Und genau ſo verhalten ſich verſchieden große Körper von anderer, aber untereinander ähnlicher Geſtalt. Das Mittel der Oberflächenvermehrung und der damit verbundenen Vergrößerung des Formwiderſtandes iſt daher bei kleineren Tieren viel wirk— ſamer als bei großen. Die Hauptmaſſe der Schwebefauna, d. h. der Tiere, die ohne oder mit nur geringen Bewegungen im freien Waſſer leben ohne unterzuſinken, beſteht daher auch in der überwiegenden Maſſe aus kleinen und kleinſten Weſen, und ſpeziell werden ſolche Mittel der Unterflächenvergrößerung wie Stacheln, Dornen, Borſten u. dgl. faſt nur bei kleinen Tieren gefunden. Im übrigen wirken häufig verſchiedene Hilfsmittel zuſammen, um die Sinkgeſchwin— digkeit zu vermindern. In vielen Fällen genügen die beſprochenen Mittel, um ſie gleich Null zu machen, alſo das Tier im Waſſer ſchwebend zu halten. Wenn ihre Kombination dazu nicht ausreicht, ſo muß aktive Bewegung ergänzend eintreten, und wir finden viele Tiere in der Schwebefauna, die ſich nur durch ſolche, durch Wimperſchlag oder Muskel— arbeit, vor dem Sinken bewahren. Es kommen aber für unſere Betrachtungen noch zwei wichtige Momente in Rech— nung, die außerhalb des Tierkörpers liegen, aber hier doch im Zuſammenhange kurz berührt werden ſollen: das ſind die Schwere und die innere Reibung des Waſſers. Die— ſelbe Tierart wird in ſalzreicherem, alſo ſchwererem Waſſer andere Bedingungen für ihre Ortsbewegung finden als in ſalzärmeren und paßt ſich dem mit Veränderungen ihres Körpers, alſo Vermehrung oder Verminderung des Formwiderſtandes an. Ebenſo rufen Veränderungen in der inneren Reibung des Waſſers durch Temperaturwechſel entſprechende Reaktionen im Verhalten ſeiner Schwebefauna hervor. Das wird im 2. Bande nähere Ausführung finden. Die Bedingungen für die Geſchwindigkeit des Sinkens und für das Schweben in der Luft ſind die gleichen wie für Waſſer; nur iſt das Übergewicht der Lebeweſen der Luft gegenüber außerordentlich groß, dagegen die innere Reibung ſo gering, daß der 175 in —— \ U N 2 S Ni FED \ 1 VE * 5 ! % N 7 2 5 \ N \ * * \ WU \ NNMILNL ULM DPD ine / ; Abb. 103. Vergrößerung der Unterfläche (des Formwiderſtandes) bei Schwebetieren. A Bythotrophes longimanus Leyd., ein Waſſerfloh; B Holopedium gibberum Zadd.; C Calocalanus pavo Dana 2 und D Augaptilus filigerus Ols. , Copepoden; E Nauplius eques Chun, Larve einer Entenmuſchel; F Elaphocaris-Larve eines Dekapoden; 6 Phylloſoma-Larve eines Seyllariden. 176 Schweben in bewegter Luft. Nenner des Bruches nur durch den Formwiderſtand gebildet wird. Die Werte nähern ſich auch nicht näherungsweiſe der Null: es gibt keinen organiſierten Körper, der in ruhiger Luft ohne Aufwand von lebendiger Kraft ſchweben könnte etwa ſo wie die Fiſche mit Schwimmblaſe im Waſſer. Dagegen kann bei bewegter Luft die lebendige Kraft dieſer Bewegung zum Tragen von Organismen ausgenutzt werden. Aber nur ganz kleine Körper, wie die Dauerzuſtände von Protozoen, können ohne bejondere Vorrichtungen in bewegter Luft ſchweben. Sonſt iſt auch hier eine Vergrößerung der Unterfläche not— wendig. Solche Einrichtungen zum paſſiven Schweben in bewegter Luft, wie ſie von ſo vielen Pflanzenſamen bekannt ſind, finden wir auch bei den Tieren, wenn auch ſeltener. So ſcheinen die langen Beine mancher Mücken, wie der Tipuliden und Culiciden, ihre Bedeutung darin zu haben, daß ſie die Unterfläche dieſer Tiere vermehren und damit den Flügeln die Arbeit erleichtern. Durch Verbreiterung der Flügel wird bei Inſekten. und Vögeln die Schwebfähigkeit erhöht: ſo vermögen die Tagfalter, insbeſondere die Papilioniden wie unſer Segelfalter und die tropiſchen Ornithoptera-Arten, mit ihren breiten Flügeln ſtreckenweit ohne Flügelſchlag zu ſchweben, was den fluggewandteren, aber ſchmalflügligen Schwärmern verſagt iſt, und unter den Vögeln iſt der Schwebeflug ohne Flügelſchlag gerade von breitflügligen Formen in höchſter Ausbildung geübt, wäh— rend ſchmalflüglige weniger dazu geeignet ſind. Dem paſſiven „Fliegen“ der Pflanzen— ſamen in bewegter Luft ſind die Luftreiſen junger Spinnen an den Fäden, die wir als Altweiberſommer bezeichnen, direkt vergleichbar: das Spinnchen allein würde durch mäßig bewegte Luft nicht getragen werden können; aber der leichte lange Faden, den das Tier aus ſeinen Spinndrüſen ausſtößt und an deſſen Ende es hängt, vergrößert die Ober— fläche, die dem Winde geboten wird, und ermöglicht das Schweben. 6. Die Ortsbewegung der Metazoen durch flimmerung. Organismen, die im Waſſer oder in bewegter Luft zu ſchweben vermögen, können ihre Stelle im Raum paſſiv verändern, wenn ſie durch Strömungen des umgebenden Mediums mitgeriſſen werden. Die aktive Ortsbewegung aber erfordert eine Verwendung der ſchon beſprochenen Bewegungsmittel, alſo bei vielzelligen Tieren der Flimmerbewegung oder der Muskeltätigkeit. Es liegt in der Natur der Flimmerbewegung, daß ſie nur in feuchter Umgebung ſtattfinden kann; denn die Flimmerzellen würden in trockener Luft dem Untergange ge— weiht ſein. Bei Trockenlufttieren kommt daher die Flimmerung nur im Innern des Körpers vor, wo die Flimmerzellen vor dem Vertrocknen geſchützt ſind. Zur Ortsbe— wegung müſſen die Flimmern oberflächlich liegen: ſie werden daher in der Hauptſache nur für Waſſertiere als Mittel der Ortsbewegung in Betracht kommen; bei Landtieren kommen ſie nur in ſeltenen Fällen zu ſolcher Verwendung, nämlich bei den feuchtigkeits— liebenden Landſtrudelwürmern, und hier ſind ſie durch Sekretmaſſen vor dem Vertrocknen geſchützt. Die Kraftleiſtung durch Flimmerung iſt beſchränkt, wie ſchon oben bei der Bewegung der Protozoen ausgeführt wurde. Durch Flimmerbewegungen können daher nur ſolche Tiere im Waſſer getragen werden, bei denen die Sinkgeſchwindigkeit eine geringe iſt, die alſo nur wenig Aufwand an lebendiger Kraft notwendig haben, um ihr entgegenzu— wirken und zu ſchweben. Daher find es auch bei den Metazoen faſt ausſchließlich kleine Tiere, die ſich durch Flimmerung frei im Waſſer ſchwebend bewegen. Eine große Zahl Flimmerbewegung als Mittel der Ortsbewegung— 177 der pelagiſch lebenden Schwimmer ſtellen, beſonders im Süßwaſſer, die Rädertiere. Sie ſind nicht auf der ganzen Oberfläche bewimpert, ſondern ſchwimmen nur mit Hilfe ihres einſtülpbaren paarigen Wimperapparats, dem ſie ihren Namen verdanken; daher ver— mögen im allgemeinen nur die kleineren Vertreter der Gruppe frei zu ſchwimmen, die 0,3—0,5 mm Länge erreichen. Der größte dieſer Schwimmer, Asplanchna myrmeleo Ehrbg., wird zwar bis 2 mm lang; dieſe Form zeichnet ſich aber auch vor den übrigen durch ein ſehr geringes Übergewicht aus: ihr Körper iſt ſehr waſſerreich, wie man ſchon an / / N N N NY Nr \ ) 1 g Ir? . Il < NM nr FAN) = . N a . 2 ||" % _ E | EN ya de || EN rn N an 111 En , 134411404 7 V ESS III MN 7777 ern GEHE ieee l ent . Ama 25511 W N | N 1 N nz > . A 165 E Abb. 104. Eucharis multicornis Eschz., eine Rippenqualle. 1 Tentakel, 2 ſogenanntes Aurikel, 3 und 3’ die zwei Paar Lappenfortſätze des Körpers. ½ nat. Größe. Nach Chun. der großen Durchſichtigkeit erkennt. — Von den über den ganzen Körper bewimperten Strudelwürmern vermögen nur jo kleine Formen wie Castrada, die wenig über 2 mm lang wird, ſich durch Flimmerung ſchwebend zu erhalten. Am höchſten ausgebildet iſt die Flimmerbewegung als Lokomotionsmittel bei den Rippenquallen (vgl. Abb. 57, S. 93). Die Ruderplättchen, die hier in acht Reihen, den ſog. Rippen, über den Körper verteilt ſtehen, beſtehen aus reihenweiſe verklebten Wimpern epithelialer Zellen; ſie ſind von bedeutender Länge, und ihr Schlag, der in Geſtalt von Wellen über die Plättchenreihe läuft, wird durch das Nervenzentrum am aboralen Pole geregelt. Die Rippenquallen ſind die größten Schwimmer, die ſich mit Hilfe von Flimmerung bewegen. Ihr Körper beſteht aus einer überaus waſſerreichen Gallerte, ſo daß eine verhältnismäßig geringe Kraftleiſtung dazu gehört, ihn ſchwebend Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 12 178 Schwimmen der Rippenquallen und Echinodermenlarven. zu halten. Aber auch jo können nur bei den kleinſten Formen bis etwa 3 mm Körper— durchmeſſer (Abb. 105) beſondere Vorrichtungen zur Erhöhung des Formwiderſtandes fehlen; alle größeren Formen ſind entweder zu ganz flachen Bändern mit ſehr großer Oberfläche ausgezogen, wie der bekannte Venusgürtel (Cestus veneris Les.), der bis 1,5 m lang wird, oder ſie tragen lappenförmige Anhänge, die um ſo gewaltiger ausgebildet ſind, je größer das Tier wird: die mächtigſte Entwicklung erreichen ſie bei Eucharis multicornis Eschz. (Abb. 104), die bis 25 cm, und bei Ocyro& trachea Rang, die bis 38 em größte Längenausdehnung hat. Bei den Larven ſolcher Arten (Abb. 105) fehlen die Lappen noch, ſie entſtehen erſt bei zunehmender Größe. Nur bei Bero& treten, trotz einer Größe von 20 em, ſolche Bildungen nicht auf. Aber ſie enthält, wie ſchon oben erwähnt, in ihrer Körpergallerte dünnere Salzlöſungen, die zur Ver— minderung ihres Übergewichts beitragen. Es ſind alſo nur Angehörige der niedrigſten Klaſſen der Metazoen, die ſich mit Hilfe von Flimmerung frei im Waſſer bewegen. Dazu kommen aber noch eine große Reihe von Larven— formen, denen bei ihrer geringen Größe dieſer Antrieb genügt, und die die Flimmerung gleichſam als Erbſtück von früheren Ahnenformen überkommen haben, während ſie für die Bewegung der fertigen Tiere nicht mehr ausreicht. Die Larven der Stachelhäuter beſitzen meiſt zwei ring— förmig geſchloſſene flimmernde Streifen, ſogenannte Wimperſchnüre, die über den ganzen Körper in beſtimmter Anordnung hinziehen. Mit dem Wachs— tum der Larve nehmen dieſe anfangs ſehr ein— fachen Flimmerorgane in ſchnellerem Tempo an Länge zu, indem ſie ſich dabei in Windungen legen (3. B. Auricularialarve) oder ſich auf ſchmale, ſtachelartige Fortſätze des Körpers ausdehnen (Pluteuslarve), durch deren Verlängerung zugleich der Formwiderſtand vermehrt wird. Die Wimper— ſchnur wird dadurch bei der 1,7 mm langen Auri— Abb. 105. Larve von Eucharis multicornis Eschz. Vergrößerung 25 fach. cularialarve von Synapta (Abb. 106 C) etwa tach € . 6 | an 7,5 mal ſo lang als der Larvenkörper; bei der größten bekannten Echinodermenlarve, der Bipinnaria des Seeſterns Luidia, beträgt die Länge des ſehr waſſerreichen Körpers 7 mm, die Länge der Wimperſchnur läßt ſich auf 8,3 em berechnen. Wie ſehr die Windungen der Wimperſchnüre mit zunehmender Größe der Larve ſich komplizieren müſſen, um das Tier im Waſſer zu tragen, zeigt ein Vergleich der ſchon erwähnten Synaptalarve (1,7 mm; Abb. 1060) mit verſchiedenen Altersſtufen der Auricularia nudibranchiata (Abb. 106 A u. B), die Chun bei den Kanariſchen Inſeln fiſchte, und die bis 6 mm Länge erreicht. — Die zahlreichen Larvenformen der verſchie— denſten Wurmgruppen, der Strudel- und Schnurwürmer, und vor allem die Trocho— phoralarve der Ringelwürmer, Sternwürmer, Weichtiere und Molluskoiden, bewegen ſich ebenfalls mit Hilfe der in zwei oder mehr Wimperkränzen angeordneten Flimmern; bei ihnen kommen Größen über 0,5 mm kaum vor. Wie auch hier der präorale Wimper— kranz durch Schlängelung verlängert werden kann, zeigt die nach dem Trochophoratypus gebaute Veligerlarve der Schwimmſchnecke Atlanta (Abb. 62, S. 97). Gleiten der Strudelwürmer. 179 Abb. 106. Verlängerung des Wimperkranzes mit zunehmender Größe bei Larven von See— gurken. jüngeres (kleineres) und B oberes Stück eines älteren (größeren) Exemplars (bis bb in A reichend) von Auri- cularia nudibranchiata Chun, ( Auricularia von Synapta. A u. B nach Chun, nach Semon. Bei keiner von all dieſen durch Flimmerung frei im Waſſer ſchwebenden Formen iſt die Kraft des Bewegungsantriebs ſo groß, daß ſie auch nur gegen leichte Strömungen im Waſſer erfolgreich ankämpfen können. Sie treiben mit dem Strom und bilden einen Teil der Schwebefauna oder des tie— riſchen Planktons. Zum Gleiten auf feſter Grundlage oder an der Waſſeroberfläche dient die 2 50 1 x Ra 8 Abb. 107. Schema des Kriechens eines Strudelwurms. Flimmerbewegung den größeren Stru⸗ 1 Wimpern der Bauchſeite; 2 Schleimſchicht; die Größe von 1 und 2 delwürmern vor allem den Trikladen iſt im Vergleich zum Tier ſehr übertrieben; 3 Unterlage. Der Pfeil 7 — 5 = F — zeigt die Richtung des Kriechens. Nach R. Pearl. (Planarien), die teils im Waſſer, teils in und auf feſtem Boden leben. Die Flimmern, mit denen die Kriechſohle bei dieſen Tieren beſetzt iſt, ſchlagen kräftig gegen das hintere Körperende; zugleich wird ein zäher Schleim abgeſondert, der ſofort an der Unterlage feſtklebt (Abb. 107). In dieſem Schleimband erfolgt der Schlag der Flimmern. Sie würden den Schleim nach rückwärts drängen, wenn er nicht feſtgeklebt wäre; ſo aber iſt das Ergebnis ein Vorwärtsgleiten des Wurmkörpers. Die Strudelwürmer erreichen dabei eine Geſchwindig— keit bis zu 2,5 mm in der Sekunde. Eine Rückwärtsbewegung in dieſer Weiſe iſt un— möglich, da der Schlag der Flimmern hier nur in einer Richtung ſtattfindet. In gleicher 12* 180 Schrittweiſe und ſchlängelnde Ortsbewegung. Weiſe wie an feſten Gegenſtänden gleiten dieſe Tiere, ſoweit ſie Waſſerbewohner ſind, auch an der Oberfläche des Waſſers, mit der Sohle nach oben; den Halt bietet ihnen das Schleimband. Da aber der Waſſerſpiegel eine weniger feſte Grundlage bietet, geht die Bewegung hier bedeutend langſamer, und auch Anderungen der Richtung ſind aus dem gleichen Grunde ſehr ſchwierig. Außerdem vermögen ſich die Strudelwürmer auch durch Muskelkontraktion zu bewegen; ja die größeren meerbewohnenden Formen ſind ganz auf dieſe angewieſen. 7. Die Ortsbewegung der Metazoen durch Muskeltätigkeit. Während ſomit die Flimmerbewegung nur in recht beſchränktem Maße bei der Orts— bewegung der vielzelligen Tiere zur Verwendung kommt, iſt die Muskelbewegung hier das faſt allgemein verbreitete Mittel der Fortbewegung. Die Ortsbewegung mit Hilfe der Muskeln iſt nun überaus vielſeitig: ſie kommt vor als Kriechen, Schwimmen, Laufen, Springen, Fliegen; ſie iſt verſchieden, je nachdem ſie im Waſſer, in der Luft oder auf dem feſtem Boden ſtattfindet, und wechſelt mit der wechſelnden Anordnung und Ver— wendung der Muskulatur am Tierkörper. Nach den äußeren Bedingungen die Orts— bewegungen unterſcheiden zu wollen, dürfte nicht angehen: die Bewegungsart des Pinguins und der Seeſchildkröte im Waſſer und der Flug des Vogels in der Luft ſind einander ſehr ähnlich; das Schlängeln des ſchwimmenden Aales und das Kriechen der Blind— ſchleiche auf feſtem Boden kommen im Grunde auf die gleiche Weiſe zuſtande, und ein Hund ſchwimmt im Waſſer ganz ähnlich, wie er auf dem Lande läuft. Wir werden alſo beſſer von der Art, wie die Bewegungen zuſtande kommen, ausgehen, wenn wir die ver— ſchiedenen Arten der Ortsbewegung überſichtlich zuſammenſtellen wollen. a) Die schrittweise Ortsbewegung. Die einfachſte Art der Ortsbewegung beſteht in einem Wechſel von Zuſammen— ziehung und Streckung beim ganzen Körper oder einem Teile desſelben; beim Zuſammen— ziehen wird durch Feſtheftung am Vorderende ein Nachziehen des Hinterendes bewirkt, beim Strecken dagegen wird das Hinterende feſtgelegt und das Vorderende vorgeſtoßen. Charakteriſtiſch für dieſe ganze Bewegung iſt, daß ſie ruckweiſe erfolgt. Hierher gehört ebenſo das Kriechen des Regenwurms und die Fortbewegung der Muſchel mit Hilfe ihres Fußes; hierher gehört die Bewegung mit gegliederten Hebelgliedmaßen, wie ſie bei Arthropoden und vierfüßigen Wirbeltieren die gewöhnliche iſt; hierher gehört ferner auch das Schwimmen durch Rückſtoß, wie bei Quallen oder beim Oktopus: in dieſem Falle iſt es nicht eine feſte Unterlage, ſondern das Waſſer, wogegen ſich das muskulöſe Organ anſtemmt. Man kann alle dieſe Bewegungen als unterbrochene, ruck- oder ſchritt— weiſe bezeichnen. Ihnen gegenüber ſteht die kontinuierliche oder zuſammenhängende Ortsbewegung: hier ſind nicht alle Bewegungsmuskeln im gleichen Zuſtande der Kon— traktion oder Erſchlaffung, ſondern es laufen Kontraktionswellen über einen Körper, die ſich auf der einen und andern Seite alternierend folgen: es iſt das die weitverbreitete Bewegungsart, die wir als Schlängelung bezeichnen. Als Grundform einer ſchrittweiſen Ortsbewegung wollen wir zuerſt das ſog. Spannen eines Egels betrachten (Abb. 108). Das Tier beſitzt zwei Saugnäpfe, den Mundſaugnapf am Vorderende, in deſſen Mitte der Mund ſteht, und den Endſaugnapf hinter dem After; mit dieſen kann es ſich an der Unterlage feſtheften. Durch eine Kon— Spannen. Kriechen des Regenwurms. 181 traktion der Ringmuskulatur ſtreckt ſich das am Hinterende feſtgeſaugte Tier, um ſich dann mit dem Mundſaugnapf vorn am Boden zu fixieren. Sobald dies geſchehen iſt, läßt der Endſaugnapf los; es zieht ſich die Längsmuskulatur zuſammen, und zwar an der Bauchſeite ſtärker als an der Rückenſeite, ſo daß ſich der Körper aufkrümmt und der Endſaugnapf nahe dem vorderen zur Anheftung gelangt; damit iſt der Schritt be— endet, und jetzt beginnt das Spiel aufs neue mit Loslaſſen des vorderen Saugnapfes und Strecken des Wurms. Die Bewegung ſieht aus, wie wenn wir mit der ſpannenden Hand eine Strecke abmeſſen: daher der Name „Spannen“. Alle Egel ohne Ausnahme bewegen ſich auf feſter Unterlage in ſolcher Weiſe, aber außer ihnen noch viele andere Tiere. So kann unſer Süßwaſſerpolyp Hydra ſeinen Platz ſpannend wechſeln, indem er ſich abwechſelnd mit ſeiner Fußſcheibe und ſeinen Fangarmen feſthält. Spannend kriechen auch viele Rädertierchen. Das eilige Kriechen größerer Strudelwürmer des Meeres ſowie des Dendrocoelum lacteum Oerst. unſerer Binnengewäſſer, wobei ſie durch zähen Schleim abwechſelnd Vorder- und Hinterende feſtkleben, erinnert ebenfalls an das Spannen. Ein echtes Spannen begegnet uns auch bei der tropiſchen Landſchneckengattung „ =, Abb. 108. Die verſchiedenen Bewegungszuſtände beim Spannen des Blutegels. Nach v. Uexküll. Pedipes, und eine Schmetterlingsfamilie hat ja ihren Namen „Spanner“ (Geometrae) dadurch erhalten, daß ihre Raupen, denen in der Mitte des Körpers die Beine fehlen, ſich dieſer Bewegungsart bedienen; außerdem wird auch von der Larve einer Fliege (Leucopis puncticornis Meig.) berichtet, daß fie ſich ſpannend bewegt. Eine ſchrittweiſe Bewegung iſt auch das Kriechen des Regenwurms und vieler anderer Borſtenwürmer. Der Wurm ſtreckt und kontrahiert ſich abwechſelnd, beſonders ſeinen vorderen Körperabſchnitt. Beim Ausſtrecken zieht ſich die Ringmuskulatur nicht gleichzeitig zuſammen, ſondern es ſchreitet eine Verdünnungswelle von vorn nach hinten fort; dabei wird ein Ausweichen des Körpers nach hinten durch die nach rückwärts ge— richtete Stellung der Borſten verhindert. Nach ausreichender Streckung zieht dann vom Vorderende, infolge der Kontraktion der Längsmuskeln, eine Verdickungswelle nach hinten, wodurch der hintere Körperteil nachgezogen wird; die Wellen brauchen dabei nicht immer den ganzen Wurm zu durchlaufen. Abweichend von den Egeln vermag der Regenwurm auch rückwärts zu kriechen, wenn ſein Vorderende gereizt wird: dabei richtet er die Borſten durch die an ſie anſetzenden Muskeln nach vorn. Da die Regenwürmer ſich meiſt in ihren Erdröhren bewegen, ſo ſtehen die vier Borſtenpaare, die jeder Körperring trägt, nicht alle auf der Bauchſeite, ſondern die äußeren Paare rücken an die Seiten— fläche, ja ſie können ſich bei einzelnen Arten ziemlich weit gegen den Rücken verſchieben. 182 Kriechen der Muſcheln. Bei manchen ausländiſchen Regenwürmern (Gattung Perichaeta) ſtehen ſogar die Borſten in mäßigen Abſtänden als zuſammenhängender Ring um das Segment, ſo daß ſich dieſe Würmer ringsum an der Röhrenwand anſtemmen können. Auch bei anderen Borſten— würmern ſpielen die Borſten wohl urſprünglich dieſelbe Rolle und dienen zum Anſtemmen bei der Ortsbewegung. Indem ſich aber die borſtentragenden Stellen an den Seiten jedes Segments zu beweglichen Wülſten, den Parapodien, erheben, (Abb. 64 A, S. 100), kommt es bei den polychäten Ringelwürmern geradezu zur Entſtehung gliedmaßenartiger Bildungen, die dann das Anſtemmen in der Hauptſache übernehmen und von den Borſten darin nur unterſtützt werden; ja bei noch weiterer Vergrößerung können ſie ſogar als Ruder beim freien Schwimmen dienen (Abb. 109). In ähnlicher Weiſe wie die Regenwürmer bewegen ſich viele fußloſe Inſektenlarven, beſonders ſolche von Fliegen und Käfern; bei ihnen findet der Körper bei ſeiner Ver— kürzung den nötigen Widerſtand an der Unterlage durch unbewegliche chitinige Härchen, Dornen, Höcker und Borſten, die entweder in kranzförmiger Anordnung um die Körper— ringe oder in beſonderen Gruppen auf Erhebungen und Wülſten ſtehen; je nachdem die Unterlage feſter oder lockerer iſt, ſind dieſe Fortſätze kürzer oder länger. Meiſt ſind ſie nach hinten gerichtet; aber bei Larven, die ſich auch rückwärts bewegen können, wie denjenigen der Borkenkäfer z. B., tragen manche Ringe auch nach vorn ge— richtete Dornen. Auch die Ortsbewegung vieler Mol— lusken geſchieht in den Grundzügen ſchritt— weiſe. Am deutlichſten iſt das bei vielen \ Muſcheln. Der Fuß der Muſcheln iſt bb ingelwuems (Vanadis farmosa Clap), infolge der vielfach verflochtenen Musku— 1 Dorſaler VVV latur ein ſehr bewegliches Organ, das darin wohl mit der Zunge der Säuger verglichen werden kann. Nicht überall iſt er ſo kräftig ausgebildet, daß er als Be— wegungsorgan in Tätigkeit treten kann: bei den Kammuſcheln (Pecten) und bei den mit einer Schalenklappe feſtſitzenden Auſtern iſt er ganz zurückgebildet, bei anderen nur ſchwach entwickelt. Das Hervorſtrecken des Muſchelfußes aus den Schalen ge— ſchieht durch Hineinpreſſen von Blut; man ſieht dann bei unſerer Teichmuſchel (Ano- donta) Kontraktionswellen über ihn hingleiten, vom Anſatz gegen die Spitze, „als werde Flüſſigkeit in einen hohlen Körper mit elaſtiſcher Wandung durch Zuſammenpreſſen der Wand am hinteren Ende in die vordere Spitze getrieben“. Der Fuß kann dabei eine bedeutende Länge erreichen: bei der Teichmuſchel kann er ſich bis über den Schloßrand der Schale umlegen, bei einer kleinen Muſchel Crenella discors L. vermag er ſich auf die ſechsfache Länge der Schale auszuſtrecken. Mit ſeiner Spitze verankert ſich der Fuß an einer widerſtandleiſtenden Unterlage, und zieht dann durch Kontraktion ſeiner Rück— ziehmuskeln, die von der Schalenwand entſpringen, das Tier mit der Schale nach. Der alte Réaumur vergleicht das mit der Fortbewegung eines Menſchen, der auf dem Boden liegend ſich, ohne Benutzung der Beine, nur mit den Armen von der Stelle bringt, indem er irgendeinen feſten Gegenſtand ergreift und ſich an dieſen heranzieht. Unſere Flußmuſchel, Unio, kann in 4 Minuten 5 ſolcher Schritte machen und kommt Kriechen der Schnecken. 183 fait 5 mm vorwärts. Auf dieſe Weiſe können ſich unſere Teichmuſcheln in den Schlamm, viele Meeresmuſcheln (Solen, Psammobia) auch in den Sand hineinziehen. Unſere kleinen Kreismuſcheln (Sphaerium) klettern ſogar an Pflanzenſtengeln innerhalb des Waſſers in die Höhe. Bei manchen Muſcheln des Meeres, Cardium, Donax u. a,, zeigt der Fuß eine ausgeſprochen knieartige Krümmung; dieſe können ſich durch kurze wieder— holte Sprünge im Waſſer fortſchnellen, indem ſie den Fuß anſtemmen und plötzlich ſtrecken. Viele Muſcheln beſitzen im Fuß eine Byſſusdrüſe, deren im Waſſer gerinnendes Sekret Fäden bildet, mit denen ſie ſich an einer feſten Unterlage anheften (Abb. 112, links). Die Verankerung mit Byſſusfäden braucht aber nicht dauernd zu ſein; vielmehr kann die Muſchel den alten Byſſus abſtoßen und an einer anderen Stelle ſich mit neuen Fäden feſtheften. Ja ſie können ſogar auf dieſe Weiſe wandern; man ſah die Mies— muſcheln allmählich an der Wand eines Aquariums aufſteigen, indem ſie einige Male die alten Byſſusfäden ablöſten und neue yon 4 mehr in der Höhe anklebten. Während der Fuß bei den kriechenden 2 a Muſcheln kräftig und groß iſt, kann er bei denen, die ſich mit Byſſus 4 N anheften, mehr oder weniger rückgebildet jein. Ruckweis geſchieht auch die Kriechbewegung der Schnecken, ob— gleich ſie beim erſten Anblick eine gleitende Bewegung zu ſein ſcheint wie die der Strudelwürmer des Süßwaſſers. Läßt man eine Weinbergſchnecke an einer Glasſcheibe kriechen, ſo ſieht man über die Sohle des Fußes von hinten nach vorn dunklere Streifen fortſchreiten, die ſich quer über den Fuß erſtrecken und ſich in der Zahl von 8—10 in kurzen Abſtänden folgen (Abb. 110); am Vorderende laufen ſie aus, um ſich am Hinterende ſtets neu zu bilden. Jeder ſolche Streifen entſteht durch Abheben eines ent— ſprechenden Stückes der Sohle von ihrer Unterlage: er iſt eine > Falte und verdankt ſeine Entſtehung einer entſprechenden Zus 4 ſammenziehung der Längsmuskeln des Fußes, die als Kontrak— e tionswelle ebenfalls von hinten nach vorn verläuft und die Falte Weinbergſchnecke . 8 3 x ; 5 (Helix pomatia L.) vor ſich herdrängt. Durch eine ſolche Zuſammenziehung wird Bon der kia ee das Hinterende um ein Stück vorgezogen, und indem die Falte nach vorn geſchoben wird, rückt jedes Teilchen der Sohle, über das ſie hinläuft, um das gleiche Stück nach vorn. Man kann auf der Sohle der Weinbergſchnecke, die auf Glas kriecht, mit der Lupe kleine weiße Pünktchen, Drüſenmündungen, erkennen, und ſieht, wenn man ein einzelnes davon ins Auge faßt, wie es durch die Falte ein Stück weit vorgeriſſen wird und dann wieder bis zur Ankunft der nächſten Falte ruht. Die Kontraktionswelle beſorgt im Fortſchreiten zugleich die Dehnung der hinter ihr liegenden erſchlafften Muskelpartien, wobei ſie durch Kontraktion der Quermuskeln der Sohle unterſtützt wird. Nur wenn die Welle am Vorderende angelangt iſt, muß die Dehnung auf andre Weiſe geſchehen: außer den Quermuskeln wirkt hier beſonders der Druck der ins Vorderende eingepreßten Blutflüſſigkeit. Wenn einer ſolchen Falte ein Vorrücken von etwa 0,5 mm entſpricht und in der Minute 80— 100 Falten über die Sohle der Weinbergſchnecke laufen, ſo rückt ſie alſo um 4—5 em vorwärts, was etwa ihrer Durchſchnittsgeſchwindigkeit entſpricht. Kleinere Schnecken kriechen ſchneller: ſo macht die gelbe Gartenſchnecke (Hel. hortensis Müll.) in der Minute 6—7 em und 184 Kriechen der Schneden. als Höchſtleiſtung 9 em, die kleine nackte Ackerſchnecke (Limax agrestis L.) mehr als 13 em. Für ſolche Art der Fortbewegung iſt ein Haften des Fußes an der Unterfläche notwendig, und das wird durch reichliche Schleimabſonderung durch die Schleimdrüſen— zellen der Sohle vermittelt. Der Schleim, der am Boden anklebt, bleibt als Kriechſpur zurück; er ſchützt zugleich die Sohle vor Verletzungen und vor Anhaften von Fremd— körperchen: ſie kriecht nicht auf dem Boden, ſondern auf ihrer Schleimbahn. Das Kriechen unſerer Teichſchnecken am Waſſerſpiegel (vgl. oben S. 170) wird wahrſcheinlich weſentlich durch dieſes Schleimband ermöglicht, das ihren Halt an der Oberfläche verſtärkt. Man kann das Schleimband durch Aufſtreuen von Bärlappſamen auf den Waſſerſpiegel ſichtbar machen. Rückwärtskriechen können die Schnecken nicht. Dieſem Kriechen der Schnecken ähnelt die Fortbewegung einer kleinen fußloſen Schmetterlingsraupe, die zu Limacodes testudo Fab. gehört, und einer ſonderbaren zu Mierodon mutabilis L. gehörigen Fliegenlarve, die man an feuchten Stellen, unter lockrer Baumrinde z. B., findet. Wegen ihrer ſeltſamen ſchildförmigen Geſtalt und des ſchnecken— artigen Kriechens wurde die letztere zuerſt von Spix als Nacktſchnecke beſchrieben. Ob ihre Bewegung in den Einzelheiten ebenſo zuſtande kommt wie bei den Schnecken, bedarf noch der Unterſuchung. N In eigenartiger Weiſe weicht die Bewegung mancher Kiemenſchnecken von dem hier geſchilderten Kriechen ab. Cyelostoma elegans Drap. z. B., eine in den Mittelmeerländern überall häufige Landſchnecke, die auch in Deutſchland an einzelnen Stellen vorkommt, hat eine der Länge nach zweigeteilte Sohle. Sie bewegt ſich derart, daß ſie abwechſelnd die eine Hälfte der Sohle vorſchiebt, während die andre feſt haften bleibt; ſo kommt ſie ſchrittweiſe vorwärts und erinnert damit an ein Pferd im Paßgang. Anhangsweiſe ſei hier erwähnt, daß die Zähigkeit des Schleims manchen kleinen Schnecken ermöglicht, ſich an einem Schleimfaden von einem Zweig oder dergleichen herabzulaſſen, wie Spinnen und manche Raupen es an einem Spinnfaden tun. In unſerer Fauna iſt das bei kleinen Nacktſchnecken der Gattung Limax öfters beobachtet. Eine Landſchnecke der Antillen, Megalomastoma suspensum Sw., ſcheint dies weit häufiger zu üben; denn ſie hat davon ihren wiſſenſchaftlichen Artnamen (suspensum — aufgehängt). Übrigens benutzen manche Strudelwürmer ihren zähen Schleim in gleicher Weiſe: Planarien, die am Waſſerſpiegel kriechen, können ſich an einem Schleim— faden auf den Boden herabſinken laſſen, und von einer Landplanarie Placocephalus kewensis Mos., die öfters bei uns in Gewächshäuſern auftritt, weiß man, daß fie wie Limax „abſpinnt“. Eine ganz eigenartige Bewegungsweiſe, die auch in abwechſelndem Ausſtrecken, Fixieren und Nachziehen beſteht, finden wir bei vielen Stachelhäutern (Tafel 8). Da nämlich, wo der gepanzerte Körper dieſer Tiere gar keine oder doch nur eine ſehr geringe freie Beweglichkeit beſitzt, wie bei den Seeigeln und Seeſternen, werden beſondere aus dem Panzer herausragende Organe dazu benutzt, den Körper von der Stelle zu bewegen, die Ambulakralfüßchen. Sie ſtellen eine Einrichtung vor, die allen Stachelhäutern und nur ihnen eigen iſt; aber nicht bei allen ſtehen ſie im Dienſte der Ortsbewegung, ſondern dienen oft als Greif-, Atmungs- und Rezeptionsorgane. Die Ambulakralfüßchen bilden Ausſtülpungen der fünf (ev. mehr) radialen Kanäle des ſogenannten Waſſergefäßſyſtems; an dieſen ſind ſie in paarigen Reihen angeordnet und erſtrecken ſich je durch eine enge Durchbohrung des Panzers nach außen. Durch kontraktile Blaſen, deren zu jedem Füßchen eine gehört, wird die Flüſſigkeit aus den Waſſergefäßkanälen in die Füßchen Ortsbewegung der Stachelhäuter. 185 eingepreßt; dadurch werden dieſe geſchwellt und zu oft bedeutender Länge ausgeſtreckt und können ſich mit Hilfe ihrer Muskulatur in ſehr verſchiedenen Richtungen bewegen. Beim „Kriechen“ werden ſie in der Bewegungsrichtung ausgeſtreckt und heften ſich mit ihren Enden feſt, um dann durch Verkürzung den Körper nachzuziehen. So ſind ſehr zahlreiche kleine Organe nebeneinander tätig, und während ſich die einen zuſammenziehen, ſtrecken ſich andre aus, noch andre löſen ſich zur gleichen Zeit los oder heften ſich an, und durch dieſes Zuſammenkommen kleiner Schritte entſteht ein ununterbrochenes Fort— rücken. Neben dem Ziehen kommt vielleicht auch ein Stemmen der Füßchen durch Streckung mit ins Spiel. Zur Anheftung tragen die Füßchen an ihrem Ende bei den kletternden Formen einen Saugnapf, der oft mit ſolcher Kraft an der Unterlage feſthält, daß man beim Loslöſen eines Seeigels oder Seeſterns eher die Füßchen zerreißt als das Tier zum Loslaſſen zwingt. Wo dieſe Saugnäpfe fehlen, iſt ein Klettern mit Hilfe der Ambulakralfüßchen unmöglich; ſie können ſich dann nur auf ebenem Boden durch Einbohren in den ſandigen Grund oder Anſtemmen an Unebenheiten verankern. So hat Asterias glacialis Müll., der ein eifriger Kletterer iſt, ſtarke Saugnäpfe an den Füßchen, bei Astro— pecten, der auf Sand— grund lebt, ſind die Füßchen am Ende ſpitz kegelförmig. Wenn jedoch die Beweglichkeit des Kör— pers durch die Pan— zerung weniger beein⸗ Abb. 111. Bewegungen der Arme bei der Fortbewegung der Schlangenſterne. trächtigt iſt, dienen Die punktierten Linien zeigen die Lage der Arme zur Scheibe am Ende eines Schritte A unpaar voran, B paarig voran. Nach v. Uexküll. die Ambulakralfüßchen nicht zur Ortsbewegung. Die Schlangenfterne z. B. verändern ihren Platz mit Hilfe der ſehr beweglichen dünnen Arme, denen ſie den Namen verdanken: die Arme heben den Körper von der Unterlage ab und werfen ihn unter Einbiegung nach vorne, ſo daß der Schritt eine Art Sprung vorſtellt; dann ſchlagen ſie in flachem Bogen durch das Waſſer wieder nach vorn (Abb. 111). Man wird durch das Rückſchlagen der Arme an die Arm— bewegungen eines ſchwimmenden Menſchen erinnert. Dabei arbeiten die Arme ſtets paar— weiſe zuſammen, aber in wechſelnder Kombination. Wenn der fünfte, unbewegte Arm, in der Bewegungsrichtung vorangeht, macht das hintere Armpaar nur geringe Bewegungen (A); iſt dagegen der unpaare Arm hinten, ſo greifen die beiden Gangarmpaare kräftig aus (B). Auf ſolche Weiſe wird eine viel größere Geſchwindigkeit erreicht als bei dem Gang mit den Ambulakralfüßchen: die Schlangenſterne ſtellen unter den Stachelhäutern die ſchnellſten Läufer. Aber auch hier ſind die Füßchen nicht ganz unbeteiligt: ſie geben Stützpunkte für die Arme ab. Bei manchen Arten geht die Mithilfe der Füßchen ſo weit, daß ſie das Ende des Armes durch ſchwaches Feſtſaugen fixieren. Solche Formen können auch an ſteilen Gegenſtänden, z. B. an den Glasſcheiben der Aquarien, in die Höhe klettern, mit den gleichen Armbewegungen wie beim Gang auf flachem Boden: jo beſonders Ophiocoma nigra Abildg. u. a. Auch das Klettern geht auf dieſe Weiſe viel ſchneller als bei anderen Stachelhäutern. * 186 Schwimmbewegung durch Rückſtoß. Die meiſten Holothurien führen ihre langſamen Kriech- und Wühlbewegungen durch Verkürzung und Streckung ihres Körpers aus, wobei die „pedaten“, mit Füßchen ver— ſehenen Formen durch dieſe unterſtützt werden. Dagegen können Cucumaria (Taf. 8) u. a. auch langſam klettern, mit Hilfe ihrer veräſtelten, den Mund umſtehenden Fühler. Die freibeweglichen Haarſterne, die ſich aus feſtſitzenden, geſtielten Larven entwickeln, haben in ihren gegliederten Cirren am aboralen Körperpol beſondere Bewegungsorgane, mit denen ſie wie auf Beinen laufen und klettern. Durch Schlagen mit ihren Armen aber können die Haarſterne beſchränkte Strecken in ruhigem Waſſer ſchwimmend zurücklegen (vgl. Taf. 8), wobei ſie von einem erhöhten Punkte ausgehen. Manche Seeigel mit langen Stacheln, z. B. Centrostephanus longispinus Ptrs., gebrauchen dieſe wie Stelzen und kommen daher auf ebenem Boden ſchneller von der Stelle als ihre Verwandten. In den gleichen Betrachtungskreis der ſchrittweiſen Bewegungen gehört auch das Laufen der Gliederfüßler und Wirbeltiere mit Hilfe ihrer gegliederten Beine. Ehe wir jedoch zur Schilderung dieſer Verhältniſſe übergehen, die wegen der mannigfaltigen Ver— wendung der Gliedmaßen uns länger beſchäftigen wird, wollen wir zuvor die Schlängel— bewegung betrachten, nachdem wir noch, im Anſchluß an die ſchrittweiſe Bewegung, der Bewegung durch Rückſtoß im Waſſer einige Aufmerkſamkeit geſchenkt haben. Bei zahlreichen im Waſſer frei beweglichen Tieren aus ſehr verſchiedenen Klaſſen kommt eine Ortsbewegung dadurch zuſtande, daß ſie durch die Muskelkontraktion eine Strömung im Waſſer erzeugen, die an dem umgebenden ruhenden Waſſer Widerſtand findet und ſo einen Rückſtoß auf den Körper ausübt, der dieſen in entgegengeſetzter Richtung fortſtößt. Es iſt dasſelbe Prinzip der Fortbewegung, das die Ingenieure in der Turbine und dem Waſſerſtrahlpropeller ausgenutzt haben. Wunderbar erſcheint die Vielfältigkeit der Abänderungen, worin bei ganz verſchieden gebauten Tieren und mit ganz verſchieden gearteten Organen dieſe Bewegungsweiſe ausgeübt wird. Am weiteſten verbreitet iſt ſie bei den Quallen: hier wird die Waſſerſtrömung durch ſtärkere Wölbung des glockenförmigen Schirmes erzeugt, die durch Kontraktion der auf der unteren Schirm— fläche gelegenen Ringmuskeln zuſtande kommt. Bei den Randquallen (Hydromeduſen) wird beim Zuſammenziehen durch einen oft breit einſpringenden Saum am Schirmrand, das Waſſer im Schirmraum gleichſam gefangen; die Ausflußöffnung wird dadurch enger, und damit die Geſchwindigkeit des ausgepreßten Waſſers größer, ebenſo wie man Waſſer aus einem Gummiball mit enger Offnung bei gleichem Druck weiter ſpritzen kann, als wenn man die Offnung erweitert. Die der Kontraktion folgende Abflachung des Schir— mes geſchieht durch die Elaſtizität der Schirmgallerte langſam, ſo daß dadurch keine ent— gegengeſetzte Strömung im Waſſer verurſacht wird. Unter rhytmiſchen Pulſationen ihrer Glocken können die Quallen im Waſſer ſchwimmen. — Seltſamerweiſe begegnen wir der gleichen Bewegungsart bei manchen Muſcheln, vor allem bei der Kammuſchel (Pecten) (Abb. 112): kleinere Pecten ſchwimmen unter ſchnell aufeinanderfolgendem Schließen der Schale; wie bei den Randquallen der Schirmrand, ſo hindert hier eine vom Mantelrande aus einſpringende Falte den Abfluß des Waſſers; dies ſtößt gegen die Falte an und treibt die Muſchel in der Richtung des freien Schalenrandes vor— wärts, während es ſelbſt durch die Lücken beiderſeits vom Schloß abfließt. Das ſchwankende, flatternde Schwimmen der Kammuſcheln, das ſie meiſt nur über kleinere Strecken trägt, erinnert an den gaukelnden Flug eines Tagfalters. Außer den Kammuſcheln können auch einige Arten der Feilenmuſcheln (Lima) in dieſer Weiſe ſchwimmen. Rückſtoßſchwimmen bei Tintenfiſchen und Libellenlarven. 187 Das Schwimmen der zehnfüßigen Tintenfiſche geſchieht durch ſchlängelnde Floſſen— bewegung, wir werden es unten kennen lernen. Wenn aber die achtfüßigen Kopffüßler ſchwimmen, ſo geſchieht das durch Rückſtoß (Tafel 3). Sie entleeren das Atemwaſſer, das bei weit offener Mantelhöhle eingeſogen wird, nach Verſchluß der letzteren durch den Trichter. Für gewöhnlich findet dieſe Ausſtoßung langſam ſtatt; das Tier kann aber das Waſſer auch mit kräftigem Druck ausſtoßen und wird dann durch den Rückſtoß mit ziemlicher Geſchwindigkeit durch das Waſſer getrieben. Es kann dabei nicht nur rück— wärts, ſondern auch nach anderen Richtungen ſchwimmen, indem es das Rohr des Trichters nach verſchiedenen Seiten biegt, ja ſelbſt bei rückwärts gebogenem Trichter nach vor— wärts. Die Achtfüßler handhaben das Schwimmen nur gelegentlich; für gewöhnlich be— Abb. 112. Kammuſcheln ([Pecten); oben links durch Byſſus am Felſen befeſtigt; oben rechts ſchwimmend in der Pfeilrichtung; unten am Boden liegend: die Mantelrandfalte und die Augen ſind hier deutlich. wegen ſie ſich am Boden unter Vorſtrecken und Verkürzen der ſaugnapfbewehrten Arme. Nur junge Moſchuspulpe (Eledone) ſchwimmen dauernd, da bei ihnen der Rückſtoß viel wirkſamer iſt als bei den ſchweren erwachſenen Tieren. In ähnlicher Weiſe können ſich manche Libellenlarven, z. B. die von Aeschna und Libellula, durch kräftiges Ausſtoßen des Atemwaſſers fortbewegen. Hier liegen nämlich die Atmungsorgane (Tracheenkiemen, vgl. Atmung) im Enddarm, und es wird durch deſſen abwechſelnde Ausdehnung und Verengerung die fortwährende Erneuerung des Atem— waſſers beſorgt. Wird nun dieſes Waſſer kräftig entleert, ſo bekommt, da der Waſſer— ſtrom nach hinten gerichtet iſt, die Larve einen Stoß nach vorn (Abb. 187). Die Aus— leerung kann bei großen Larven heftig ſein, daß, wenn man einer Larve zur rechten Zeit den Kopf herunterſtößt und ſo den Hinterleib ſchräg nach oben richtet, ein Waſſerſtrahl in großem Bogen bis zu 20 und mehr Zentimeter weit über den Rand des Glaſes geſpritzt wird. 188 Mechanik der Schlängelbewegung. Schließlich iſt die Bewegung durch Rückſtoß auch bei den Salpen und Feuerwalzen allgemein verbreitet und bildet für ſie die einzige Art der Ortsbewegung. Die Salpen nehmen durch den Mund Atemwaſſer auf und treiben es unter jedesmaligem Schluß der Mundöffnung durch die ſehr regelmäßigen rhythmiſchen Kontraktionen der Muskelreifen des Körpers aus der am Hinterende gelegenen Kloakenöffnung heraus, wobei jedesmal der Körper ein Stück weit nach vorne ſchießt. Durch die Elaſtizität des Zelluloſemantels werden nach jeder Zuſammenziehung die Muskeln wieder gedehnt und aufs neue Waſſer durch den Mund eingeſaugt. Bei den Feuerwalzen ergießt ſich das Atemwaſſer der Einzel— tiere, die in der Wand eines vorn geſchloſſenen Hohlzylinders angeordnet ſind, in den Hohl— raum des Zylinders; nur dadurch, daß alle Einzeltiere gleichzeitig ihr Atemwaſſer entleeren, kann es zu einem ſtarken Waſſerſtrom und damit zu einem kräftigen Rückſtoß kommen. b) Die Ortsbewegung durch Schlängelung. In ſehr weiter Verbreitung findet ſich die Schlängelung als Mittel der Fort— bewegung, und zwar hauptſächlich im Waſſer. Sehr viele Würmer, zahlreiche Weichtiere, manche Larven von Inſekten ſowie die Appendikularien und Aſzidien— larven, vor allem aber die meiſten der im Waſſer lebenden Wirbeltiere und unter den landbewohnenden die Schlangen und ſchlangenähnlichen bewegen ſich ſchlängelnd. Der ſchlängelnde Körper wird in ſchwingende Bewegung verſetzt, und die Bewegungswellen ſchreiten in beſtimmter Richtung über ihn fort. Wenn z. B. in Abb. 113 A das Bild eines ſchlängelnden Körpers iſt, von oben geſehen, ſo wird derſelbe bald darauf die Lage B einnehmen, wobei der Wellenberg a bis at, das Wellental b bis b! vorgerückt iſt. Die ſchlängelnden Körper ſchwingen alſo nicht etwa, wie eine Saite, in ſtehenden Wellen mit beſtimmten, in Ruhe verharrenden Knotenpunkten; durch ſolche Art zu ſchwingen würde keine Vorwärtsbewegung zuſtande kommen können. Das Weſentliche an der Schlängelbewegung iſt gerade das Fortſchreiten der Wellen. Wenn die vorderſte Biegung von A, die mit 1 bezeichnet iſt, in B bis 1“ fortgeſchritten iſt, jo hat das etwa die gleiche Wirkung wie wenn eine Ruderplatte 1 von der Höhe des ſchlängelnden Körpers mit der gleichen Geſchwindigkeit bis 1“ im Waſſer rückwärts bewegt wäre, und ebenſo 2 bis 2° und 3 bis 5. Da dieſe Ruderplatten ſchräg zur Bewegungsrichtung ſtehen, ſo kommt von ihrer Wirkung auf das Waſſer für die Fortbewegung nur eine Komponente in ir. ln Betracht, die ſenkrecht zur Bewegungsrichtung ſteht, und dieſe wirkt wie wirtung bei der eine Ruderplatte, deren Höhe ebenfalls die des ſchlängelnden Körpers iſt, Sch anden; deren Breite aber der Amplitude der Schwingungen gleichkommt. Der ſchlängelnde Körper wird alſo durch den Widerſtand, den das Waſſer dem Fortſchreiten ſeiner Bewegungswellen entgegenſtellt, vorwärts bewegt, und zwar in einer Richtung, die der Fortpflanzungsrichtung der Wellen entgegengeſetzt iſt. Für die vorwärtstreibende Wirkung der Schlängelbewegung im Waſſer iſt es ohne Belang, in welcher Ebene die Schlängelung ſtattfindet, ob in einer horizontalen, wie beim Aal, Fadenwurm, oder in einer vertikalen, wie bei der Scholle und dem Blutegel, oder in einer beliebig ſchiefſtehenden. Dagegen iſt leicht zu erkennen, daß die Wirkung um ſo größer wird, je höher der ſchlängelnde Körper iſt, d. h. mit je breiterer Fläche er das Theorie der Schlängelbewegung. 189 Waſſer Schlägt, denn dann wird die Ruderplatte in unſerer ſchematiſchen Darſtellung höher, und je weiter der Ausſchlag der Wellen, die Schwingungsamplitude iſt, denn dann ſteigert ſich die Breite der wirkſamen Ruderplatte. Der Widerſtand des Waſſers wächſt ja proportional der Oberfläche des bewegten Körpers. Ebenſo muß die vorwärtstreibende Wirkung ſteigen mit der Zahl der Schlängelungswellen, die zu gleicher Zeit über den Körper hinziehen: denn das bedeutet eine Vermehrung der Ruderplatten; für die Schlängel— bewegung iſt daher große Körperlänge vorteilhaft. Von beſonderer Wichtigkeit aber iſt die Geſchwindigkeit, mit der die Wellen dem Körper entlang laufen, d. h. in unſeren Vergleich überſetzt die Geſchwindigkeit, mit der die Ruderplatten durch das Waſſer Abb. 114. Heimiſche Egel. 1 Fiſchegel (Piscicola geometra L.), ſchwimmend. 2 vier Rollegel (Glossosiphonia complanata I.), das oberſte Tier mit Brut auf der Bauchſeite, links eines eine Sumpfſchnecke ausſaugend, unten zuſammengerollt. 3 Pferdeegel (Haemopis sanguisuga L.), ſchwimmend und 3’ einen Regenwurm verſchlingend. * kleiner Pferdeegel (Herpobdella atomaria Carena) jpannend. gezogen werden; denn der Widerſtand des Waſſers ſteigert ſich mit dem Quadrate der Geſchwindigkeit des darin bewegten Körpers. Es kann daher bei einem Schlängler im Waſſer die Beſchleunigung der Fortbewegung auf ſehr verſchiedene Weiſe erreicht werden: einmal durch Vergrößerung der Ruderfläche, wie ſie durch hohe Floſſenſäume (Fiſche, Waſſermolche) und durch größere Amplitude der Schlängelwellen (vgl. den niedrigen Aal mit dem hohen Karpfen) erreicht wird; oder durch Vermehrung der Einzel— wellen; das iſt der Erfolg der bedeutenden Längenausdehnung bei ſo vielen ſchlängelnden Tieren; oder durch die Beſchleunigung des Fortſchreitens der Wellen, wie ſie bei jedem fliehenden Fiſch oder bei dem rundlichen Fiſchegel im Vergleich zu dem breiten Blutegel zu beobachten iſt. Dieſe verſchiedenen Mittel können in allerhand Kombinationen zu— ſammenwirken oder einander vertreten. 190 Schlängelung bei Würmern und Tintenfiſchen. Am reinſten tritt die Schlängelung als ſolche zutage, wenn der ganze Tierkörper in die Wellenbewegung eingeht. Dies iſt bei vielen Würmern der Fall. Am bekannteſten dürfte das in der Vertikalebene ſchlängelnde Schwimmen der Egel ſein (Abb. 114, J u. 3); dieſe vermehren beim Schwimmen durch Kontraktion ihrer dorſoventralen Muskulatur die Breite ihrer Ruderfläche, was beim Fiſchegel (Piscicola) beſonders auffällig am Mund— und Endſaugnapf hervortritt. Der kleine Borſtenwurm Nais des Süßwaſſers ſchlängelt in der Horizontalebene, wobei die geringe Breite der Ruderfläche durch große Amplitude der Schlängelwellen erſetzt wird (Tafel 10); auch die freilebenden Fadenwürmer und manche Mückenlarven bewegen ſich ähnlich. Ganz beſonders günſtig iſt für ſolche Be— Abb. 115. Freiſchwimmende Schnecken. Oben: Ruderſchnecke Carinaria mediterranea Per. Lsr., einen Ringelwurm (Alciopiden) ergreifend. Unten: Phyllirhoè bucephala Per. wegungsart eine Nacktſchnecke des Meeres, Phyllirho& bucephala Per. (Abb. 115), gebaut, deren Körper ganz flachgedrückt iſt, wobei er infolge des Waſſerreichtums ſeiner Gewebe ſehr durchſichtig wird. Doch iſt für das Zuſtandekommen der Fortbewegung ein Schwingen des ganzen Körpers nicht nötig; es genügt häufig, wenn einzelne Teile in ſolche ſchlängelnde Be— wegungen verſetzt werden, Floſſenſäume oder floſſenartige Anhänge. Auf ſolche Weiſe bewegen ſich z. B. die zehnfüßigen Tintenfiſche (Tafel 3). Bei Sepia und ihren Ver— wandten iſt es ein Floſſenſaum, der den Eingeweideſack ſeitlich und hinten umgibt; wenn das Tier ruhig im Waſſer ſchwebt, laufen die Schlängelungswellen langſam auf der einen Seite von vorn nach hinten, auf der anderen von hinten nach vorn. Es würde alſo durch die erſten der Körper nach vorn, durch die letzteren nach hinten getrieben, ſo daß ſich beide Bewegungsimpulſe aufheben; zur Wirkung kommt nur eine kleine, nach oben wirkende Komponente, die das Tier ſchwebend erhält. Sobald aber das Tier ſich fort— Schwimmen der Fiſche. 191 bewegt, ſieht man, wie ſich die Schlängelwellen am Floſſenſaum in gleicher Richtung fortpflanzen, von vorn nach hinten bei Vorwärtsbewegung und umgekehrt beim Rückwärts— ſchwimmen. Auch die Kalmare, Loligo und Verwandte, ſchwimmen durch ſchlängelnde Bewegung ſeitlicher Floſſen; nur iſt die Länge der Floſſen verhältnismäßig gering, dafür die Breite bedeutender und der Ausſchlag ſehr ſtark. Daß man es mit fortſchreitenden Wellen zu tun hat, iſt hier nicht ſo leicht zu erkennen wie bei Sepia, weil nicht mehrere Wellenberge zugleich an einer Floſſe ſichtbar werden. Aber die Höhe und Breite der wirkſamen Ruderfläche bietet hier einen ſehr gründlichen Erſatz für eine größere Zahl gleichartiger Wellen. Während Sepia nur zeitweiſe ſchwimmt und ſich dabei immer nahe am Boden hält, ſind die Kalmare Tiere des freien Meeres, die beſtändig in Bewegung bleiben; ja ihre Fortbewegung iſt ſo kräftig, daß manche ſich, ähnlich wie die fliegenden Fiſche, durch ſchräges Anſchwimmen gegen den Waſſerſpiegel zuweilen bis zu einem halben Meter und höher in die Luft herausſchnellen können, wobei ſie ſogar in einzelnen Fällen an Bord von Schiffen kommen. Auch Loligo kann die Richtung, in der die Wellen auf ſeinen Floſſen fortſchreiten, umkehren und ſo wechſelweiſe vor- und rückwärts ſchwimmen. Schlängelnd geſchieht auch die Bewegung der unpaaren Floſſe bei den Schwimmſchnecken (Heteropoden), z. B. Carinaria (Abb. 115); ſie läuft in der Horizontalebene ab, wobei die Schnecke, die mit dem Rücken nach unten ſchwimmt, die Floſſe aufwärts kehrt. Die Fiſche bewegen ſich ebenfalls durch Schlängelung im Waſſer, und zwar it entweder ihr Leib jeiner ganzen Abb. 116. Schwimmbewegungen des Katzenhaies. Länge nach in ſchlängelnder Bewegung Das Fortſchreiten der Wellen 1 und 2 über den Körper von vorn wie bei den aalartigen Fiſchen (Aal, e ne Muräne u. a.), oder es beſchränkt ſich die Schlängelung mehr und mehr auf den Schwanz, während der Vorderkörper nur wenig hin⸗ und herſchwankt wie beim Haifiſch (Abb. 116), dem Karpfen oder der Forelle. Die Bewegung erfolgt ſtets ſo, daß die Wellen ſenkrecht zur Medianebene des Tieres ver— laufen, alſo bei den meiſten Fiſchen in der Horizontalebene; eine Wellenbewegung in der Medianebene gibt es bei den Fiſchen nicht. So verlaufen zwar bei den flachen Schollen die Wellen in der Vertikalebene wie beim Blutegel, d. h. ſie ſchwimmen mit der Breitſeite nach oben; aber dabei ſteht eben ihre Medianebene horizontal, denn ſie ſind ſeitlich flachgedrückt (vgl. Abb. 45, S. 82). Die Rochen dagegen, die von der Rücken— zur Bauchſeite abgeplattet ſind, können die Abflachung ihres Körpers nicht für die Schlängelung nutzbar machen, ſondern ſie rudern auf geringe Strecken durch Seitwärts— bewegungen des flachgedrückten Schwanzes; bei kräftigerem Schwimmen dagegen bewegen ſie die breiten Bruſtfloſſen ſchlängelnd mit weitem Ausſchlag (Abb. 117), etwa wie ein Kalmar, aber ohne daß die Rumpf-Wirbelſäule ſich an der Schlängelung beteiligt. Bei allen Fiſchen, die ſich durch Schlängelung des Körpers oder Schwanzes vorwärts treiben, ſind die großen Seitenrumpfmuskeln das Bewegende, und dieſe ſind daher ſehr ſtark und gleichmäßig ausgebildet. Für den Erfolg der Schlängelung bietet eine flache, ſeitlich zuſammengedrückte Geſtalt große Vorteile; andererſeits aber hat der Seitenrumpf— muskel günſtigere Arbeitsbedingungen, wenn ſich ſeine Hauptmaſſe in der Höhe der 2 Formen des Fiſchſchwanzes. Wirbelſäule konzentriert: das wirkt auf eine Vermehrung der Dicke des Fiſches hin. Vermehrung der Muskulatur erhöht die Kraft und Fortpflanzungsgeſchwindigkeit der Abb. 117. Floſſen bewegungen eines Rochen, zeigen das Fortſchreiten der Wellen 1 ; SEE an hinten über die zuſammenhängenden Floſſenſaum umzogen: der Schwanz Floſſe bei unbewegter Wirbelſaule. heißt diphyzerk; bei den Selachiern und vielen Schmelz⸗ Wellen und bewirkt damit einen verhältnismäßig ſtärkeren Waſſerwiderſtand als Vermehrung der Höhe des Fiſches. Die beſten Schwimmer, wie Makrelen und große Haie, haben daher einen abgerundeten Körper. Ja in be— wegtem Waſſer iſt eine abgeflachte Geſtalt für einen Fiſch ganz ungeeignet, da ſie den verſchieden gerichteten Bewegungen des ſtrudelnden Waſſers eine zu große Angriffsfläche bietet: in einem Gebirgsbache würde ein flacher Fiſch um ſo leichter aus ſeiner Gleichgewichtslage gebracht und um die Längsachſe gedreht werden, als er ja im Waſſer „gewichtslos“ iſt. Daher finden wir, daß in ruhigem Waſſer Fiſche mit flachgedrücktem Körper häufig ſind, wie das bei Karpfen, Karauſche, Brachſen, Bitterling (Abb. 1184) und den Felchen (Coregonus) beſonders auffällig hervortritt; im bewegten Waſſer da— gegen iſt der Leib faſt walzenförmig, ſo bei der Barbe, dem Greßling (Gobio gobio L.), der Ellritze (Abb. 118) und der Forelle. Da der Schwanz für die meiſten Fiſche das wichtigſte Bewegungsorgan iſt, ſo hat die Geſtalt des Schwanzendes auf den Erfolg der Ruderſchläge einen großen Einfluß. Wir unterſcheiden dreierlei Formbildungen beim Fiſch— ſchwanz (Abb. 1194 — P). Bei Amphioxus, den Neun- augen, den Lungenfiſchen (A), dem Aal endet die Chorda bzw. Wirbelſäule hinten gerade und wird von einem Nach Momentaufnahme von Marey. ſchuppern iſt das Ende der Wirbelſäule etwas nach oben gebogen, und der Floſſenſaum hat auf der Ventralſeite eine beſondere Breite: der Schwanz heißt heterozerk (B); bei den Knochenfiſchen iſt das Ende der Wirbelſäule zwar ebenfalls 4 B € Abb. 118. Querſchnitt durch den Bitterling (4) und die Ellritze (5). aufgebogen, aber durch Floſſenträger, die daran anſetzen, ver— breitert, und die Anordnung der Schwanzfloſſe iſt eine gleich— mäßige, ſo daß äußerlich eine Symmetrie der Floſſe hergeſtellt iſt: der Schwanz heißt homozerk (C und D). Im urſprüng⸗ licheren Zuſtand bleiben dabei die letzten Schwanzwirbel getrennt (Amia, C); meiſt aber verwachſen ſie zu einer einheitlichen Knochenſpange (D). Die Knochenfiſche durchlaufen in ihrer Ent— wicklung alle dieſe Stufen: gleich nach dem Ausſchlüpfen iſt ihr Schwanz diphyzerk, wird dann heterozerk und ſchließlich homozerk (vgl. Abb. 46, S. 83). Die Schlängelung der homozerken Schwanz— floſſe wird um ſo wirkſamer, je kräftiger der Floſſenteil iſt und je mehr er ſich nach oben und unten erſtreckt; daher iſt bei den mächtigſten Schwim— mern, den Makrelen und dem Schwertfiſch, der Floſſenteil halbmondförmig geſtaltet und von großer Starrheit. Wirkung der Heterozerfie. 193 — = == II IS SS ND D Abb. 119. Skelette der Schwanzfloſſen vom Jjelleh (Ceratodus, 4), Stör (Acipenser, B), Schlammfiſch (Amia, C) und der Forelle (Salmo, D). Die Aſymmetrie der heterozerken Floſſe macht ſich für die Bewegung in beſtimmter Weiſe geltend: da der dorſale Rand der Floſſe, durch die Wirbelſäule geſtützt, widerſtands— fähiger iſt als die ventrale „Fahne“, ſo wird dieſe infolge des Waſſerwiderſtandes bei dem ſchlängelnden Hin- und Herſchlagen des Schwanzes nachgeſchleppt; gegen die abgebogene, ſchräggeſtellte Fahne übt nun der Waſſerwiderſtand (2) mit einer ſenkrechten Komponente (3) einen Druck nach oben aus, wodurch das Hinterende des Fiſches gehoben und der Fiſch um ſeinen Schwerpunkt derartig gedreht wird, daß ſich ſein Kopfende ſenkt (vgl. Schema Abb. 120K). Wenn der Fiſch geradeaus ſchwimmt, hält er dieſer Drehwirkung mit ſeinen Bruſtfloſſen das Gegengewicht. Jedenfalls aber iſt das Schwimmen gegen den Boden durch dieſe Einrichtung der Schwanzfloſſe ſehr erleichtert. So begegnen wir denn auch den heterozerken Schwanz— floſſen gerade bei den Fiſchgruppen, die meiſt als Grundfiſche leben und durch ihr unterſtändiges Maul zum Aufnehmen der Nahrung vom Boden eingerichtet ſind, bei den Selachiern und Knorpelganoiden; durch das automatiſche Heben des Hinterendes wird zugleich die Schwanzfloſſe vor Anſtoßen am Boden und damit vor Ver— letzungen bewahrt. Die Anpaſſung von Haien an pelagi— ſches Leben darf ſicher als neuerworben aufgefaßt werden. Abb. 120. Schema der Kraftwirkung an der heterozerken Schwanzfloſſe. A bei ventraler und B bei dorſaler Floſſen— fahne. Der Pfeil 1 zeigt die Bewegung der Floſſenachſe, Pfeil 2 die Richtung des Waſſer— widerſtandes ſenkrecht zur Fahne, der ſich in zwei Komponenten, eine horizontale, von der Achſenbewegung überwundene, und eine ver— tikal (3) nach oben (A) bzw. unten (5) wirkende zerlegen läßt. Eine Einrichtung nach der entgegengeſetzten Richtung finden wir bei den ausgeſtor— benen meerbewohnenden Reptilien der Familie der Ichthyoſaurier (Abb. 121). Man fand an ihren Skeletten die Wirbelſäule ſtets etwas vor dem Hinterende unter ſtumpfem Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 13 194 Heterozerkie mit dorſaler Floſſenfahne. Winkel ventralwärts abgeknickt. Die Erklärung hierfür hat man bekommen, ſeitdem man an den Ichthyoſauren von Holzmaden die Abdrücke der Weichteile entdeckt hat (Tafel 4): es ſetzt an der Abknickung eine dorſal gerichtete Floſſenfahne an, ſo daß der Schwanz in umgekehrter Richtung als bei den Selachiern heterozerk iſt. Durch den Waſſerwider— ſtand wird hier alſo die nachſchleppende Floſſenfahne des Schwanzendes nach unten gedrückt, das Vorderende alſo gehoben, was für luftatmende Tiere von großer Bedeutung iſt; das Hinunterdrücken des Hinterendes bewahrt zugleich die Schwanzfloſſe vor einem Auftauchen aus dem Waſſer und vor Luftſchlägen. Ahnlich haben auch andere waſſer— Abb. 121. Rekonſtruktion von Ichthyoſauriern (Ichthyosaurus quadriscissus Qu.) bei der Jagd auf Ganoidfiſche (Pachycormus) bewohnende Luftatmer den beweglichen Abſchnitt der Schwanzfloſſe dorſal von der Wirbel— ſäule, jo die ausgeſtorbenen Meerkrokodile (Thalaſſoſuchier), z. B. Geosaurus, die Krokodile und die Waſſerſchlange Platurus laticaudatus L. — In ähnlicher Weiſe wirkt der Schwanz des fliegenden Fiſches Exocoetus (Abb. 122). Hier iſt die in ihrer Anlage homozerke ſtraffe Schwanzfloſſe tief gegabelt, und der ventrale Zipfel des Gabel— ſchwanzes iſt viel größer als der dorſale: es iſt wahrſcheinlich, daß dies Übergewicht der ventralen Hälfte zu einem Hinunterdrücken des Hinterendes und Emporheben des Vorder— endes führt, wodurch dem Fiſch automatiſch die für das Herausſchnellen aus dem Waſſer erforderliche Richtung ſchräg gegen den Waſſerſpiegel gegeben wird. Er kann dann bei Verfolgung durch Feinde mit möglichſt einfachen Mitteln zum rettenden Flug ſeine Zu— flucht nehmen. Tierbau u. Tierleben. I. im, ‚ofle Ichthyosaurus quadriseissus Qu. aus dem unteren Jura, mit Erhaltung der Haut. (Exemplar der paläontologiſchen Sammlung in Tübingen.) Rücken- und Afterfloſſe; paarige Floſſen der Fiſche. 195 Rücken⸗ und Afterfloſſe der Fiſche dienen urſprünglich der Verbreiterung der Ruderfläche beim Schlängeln. Dies wird aber mindeſtens für den vorderen Ab— ſchnitt der Rückenfloſſe illuſoriſch, wenn die Schlängelung mehr und mehr auf den Schwanz beſchränkt wird. Indem aber dieſe unpaaren Floſſen, durch ſtarke Floſſen— ſtrahlen geſtützt, eine bedeutendere Widerſtandsfähigkeit erreicht haben, ſind ſie zu Kielen geworden, die die Richtung und Lage des Fiſches zu erhalten ſtreben; deshalb werden auch bei ſcharfen Wendungen die vordere Rückenfloſſe und oft auch die hintere und die Afterfloſſe niedergelegt und ſo ihr Widerſtand gegen die Richtungsveränderung ausgeſchaltet. Die paarigen Floſſen der Fiſche, die Bruſt- und Bauchfloſſen, ſind für die Fort— bewegung allermeiſt ganz ohne Bedeutung; doch ſind ſie wichtig als Steuer, um dem Körper eine ſteigende oder fallende Richtung zu geben, je nachdem ſie dem entgegenſte— Abb. 122. Fliegender Fiſch, Exocoetus volitans L. henden Waſſerwiderſtand ihre Unter- oder Oberſeite darbieten. Manche Fiſche, wie der Karpfen, brauchen ſie auch als Ruder zu langſamer Rückwärtsbewegung. Daneben dienen Bruſt⸗ und Bauchfloſſen der Erhaltung des Gleichgewichts. Bei vielen Fiſchen wird zwar die Rückenbauchlage einfach dadurch aufrechterhalten, daß der Schwerpunkt der Schwimmblaſe höher liegt als der Schwerpunkt des Körpers; ſolche Fiſche, zu denen Barſch, Schleie und Döbel (Leueiscus cephalus L.) gehören, befinden ſich im ſtabilen Gleichgewicht und behalten, auch wenn man ſie der Bruſt- und Bauchfloſſen beraubt, ſtets ihre Lage mit dem Rücken nach oben. Bei anderen dagegen, wo der Schwerpunkt der Schwimmblaſe tiefer liegt als der des Körpers, z. B. beim Ukelei (Alburnus al- burnus L.) und der Plötze (Leuciscus rutilus L.) (Abb. 123) iſt das Gleichgewicht bei ihrer gewöhnlichen Stellung labil: ſie müſſen balancieren und drehen ſich nach Verluſt jener Floſſen leicht mit dem Bauche nach oben. Entſprechend den geringen 13 * 196 Abweichende Schwimmweiſe bei Fiſchen. Leiſtungen. Leiſtungen, die ihnen obliegen, haben alle jene Floſſen nur eine ſchwache und einfache Muskulatur, und ihre Befeſtigung am übrigen Skelett geſchieht nur durch Weichteile. Das iſt ganz anders bei einigen Fiſchen, wo die Fortbewegung lediglich durch Schlängelungen der Rücken- und unter Umſtänden auch der Afterfloſſe ſowie durch unter— ſtützendes Schlagen der paarigen Floſſen bewirkt wird, während die Körperachſe völlig unbewegt bleibt oder doch wenigſtens keine vorwärtstreibenden Bewegungen macht: ſo iſt es bei dem Hornfiſch (Balistes), dem Heringskönig (Zeus faber L.), den Panzerwelſen u. a., ſo iſt es auch bei Seepferdchen und Seenadel (Hippocampus und Syngnathus). Das Skelett der Rückenfloſſe iſt hier in viel wirkſamerer Weiſe geſtützt als bei anderen Fiſchen: die Floſſenträger ſind mit den Dornfortſätzen der Wirbelſäule durch Verknöcherung feſt verbunden (vgl. Abb. 124 A u. B). Die Floſſenmuskulatur iſt ſtark entwickelt, findet am Skelett feſte Stützpunkte, und beim Seepferdchen, wo ſie genauer unterſucht iſt, zeigt ſich ihr feinerer Bau für anhaltende Inanſpruchnahme eingerichtet (vgl. oben S. 160). Die Kleinheit der Ruderfläche erfordert hier aber auch eine große Geſchwindigkeit im Ab— lauf der Wellen, ſo daß die Floſſenbewegungen bei allen dieſen Fiſchen ungeheuer ſchnell, faſt zitternd, geſchehen. So ſchlägt beim Seepferdchen die Rückenfloſſe zwiſchen 15 und 25 mal in der Sekunde hin und her, und ſind in jedem Moment etwa zwei ganze Wellen auf der Floſſe ſichtbar, die vom Kopfende gegen das Schwanzende ablaufen. Trotzdem iſt die Geſchwin— digkeit hier nur gering: beim Hinauf- und Hinab- Abb. 123. Plötze mit eingezeichneter Schwimmblaſe. ſchwimmen beträgt ſie 1 Schlund; 2 Schwimmblaſengang; 3 Schwimmblaſe, deren vorderer Abſchnitt 3° durch 1 eine Einſchnürung von ihr abgeteilt iſt. beim Seepferdchen nur 4 em in der Sekunde. Bei trägen Schwimmern kommt es kaum in Betracht, wie ihre Oberfläche be— ſchaffen iſt: ſie kann hier rauh und uneben ſein, wie bei Stören, Rochen, Karpfen. Dagegen finden wir bei den ſchnellſten Fiſchen eine ganz glatte Oberfläche mit ſehr kleinen oder gar keinen Schuppen, ſo daß die Geſchwindigkeit möglichſt wenig durch geſteigerte Reibung herabgeſetzt wird: ſo beim Lachs, dem Schwertfiſch und dem Tunfiſch und ſeinen Verwandten. Ja bei den letzteren find ſogar beſondere Gruben vorhanden, in die Bruſt— Bauch-, Rücken- und Afterfloſſen eingelegt werden können, fo daß ſie nicht über die Ober— fläche vorſpringen. Über die Geſchwindigkeit der Fiſche fehlen uns zahlenmäßige Angaben. Nur vom Lachs iſt durch Beobachtung ermittelt, daß er ſtromaufwärts in 24 Stunden 40 Kilometer zurücklegt, alſo in einer Sekunde 4,6 m; rechnet man die entgegenſtehende Geſchwindigkeit der Waſſerſtrömung mit 1 m in der Sekunde, jo ergibt ſich eine Eigen— geſchwindigkeit von 5,6 m für den Lachs. Wie gewaltige Geſchwindigkeiten bei ſolchen Meiſtern der Schwimmkunſt erzielt werden können, erkennen wir aus den erſtaunlichen Leiſtungen des Schwertfiſches (Xiphias gladius L.). Es iſt verbürgt, daß dieſer Fiſch einen badenden Mann mit ſeinem ſchwertförmigen Oberkiefer durchbohrt hat, und im Muſeum of the Royal College of Surgeons in London wird das Belegſtück dafür aufbewahrt, daß ein Schwertfiſch ſeine Waffe durch 35 em Eichenholz ſtoßen konnte, Schwimmen der Wale. 197 nachdem er vorher den Kupferbeſchlag des Schiffes, 10 em Planke und eine Lage Filz durchbohrt hatte. Auch das Schwimmen der Wale beruht auf ſchlängelnder Bewegung wie das der Fiſche. Aber ihre Schwanzfloſſe, die das treibende Organ iſt, ſteht wagrecht und wird in der Vertikalebene bewegt. Außer der Biegung und Streckung der knöchernen Achſe, die durch das Ende der Wirbelſäule gebildet wird, nehmen auch die beiden ſeitlichen \ Tae “ 7 Abb. 124. Skelett vom Hornfiſch (Balistes) (A) und von der Forelle (Salmo fario L.) (B) B nach Vogt. Fahnen der Schwanzfloſſe an der Lokomotion tätigen Anteil: ſie werden ſelbſtändig durch kräftige Muskeln in Bewegung geſetzt. Dadurch, daß die Schwanzfloſſe nach oben und unten ausſchlägt, wird gewöhnlich auch der ganze Körper in dieſem Sinne bewegt, und es kommt zu der für die Walbewegung charakteriſtiſchen welligen Bahn; mit jedem zweiten Floſſenſchlage wird der Kopf an die Oberfläche gehoben, und damit bekommt das auf Luftatmung angewieſene Tier Gelegenheit zum Atemholen. Der träge Grönlandswal (Balaena mysticetus Cuv.) macht auf dieſe Weiſe bei ungeſtörtem Schwimmen kaum mehr als 2 m in der Sekunde; die Finnwale (Balaenoptera) find ſchneller; ja bei voller Flucht 198 Schlängelung auf feſtem Boden. können dieſe ihre Geſchwindigkeit auf 5—7 m ſteigern; die Delphine dagegen erreichen eine noch viel höhere Geſchwindigkeit. Während die Schlängelbewegung bei den Waſſertieren außerordentlich verbreitet iſt, finden wir ſie bei den Landtieren verhältnismäßig ſelten. Sie geht hier naturgemäß ſtets in der Horizontalebene vor ſich. Wir finden ſie beſonders bei den Schlangen Abb. 125), aber auch bei anderen fußloſen Reptilien und Amphibien, wie Blindſchleichen und Blindwühlen. Sie dient aber auch den mit ſchwachen Füßen verſehenen Skinken und Salamandern zur Unterſtützung der Fortbewegung, um ſo mehr, je ſchwächlicher ihre Füße ſind. Bei der Schlängelung des geſamten Körpers iſt eine große Länge desſelben von Vorteil, weil dadurch die Zahl der Schlängelwellen vermehrt wird (vgl. oben); ſo beſitzen alle dieſe Tiere, beſonders die Schlangen, im Verhältnis zu ihrer Breite eine bedeutende Länge; bei der Blindſchleiche kommt dieſe durch Verlängerung des Schwanzes zuſtande, der die Länge des Rumpfes übertrifft (vgl. S. 145). Aber die Schlängelung allein vermag nicht genügend zu fördern ohne Hinzutreten beſonderer Hilfsmittel. Die Blindſchleiche z. B. kommt auf einer glatten Straße, wo ſie nicht genügend Widerſtand findet, viel langſamer vorwärts als auf bewachſenem Boden. Bei den Schlangen dagegen ſind Einrichtungen vorhanden, die den Widerſtand, den der ſchlängelnde 8 Körper am Boden findet, erhöhen (Abb. 126). Die Haut nämlich ſitzt der Leibeswand an den 2 > Seiten und am Bauch ſehr locker an, jo daß fie ſich gegen dieſelbe verſchieben kann. In der Haut 2 ſtecken die den Körper überziehenden Schuppen und ragen nur mit ihrem hinteren Rande ein / Stück weit aus ihr hervor; auf der Bauchjeite ſind bei den meiſten Schlangen die Schuppen breiter und nehmen faſt die ganze Fläche ein, die ee eee neee ene, gewöhnlich mik dem Boden in Berührung Man ſieht, wie die Wellenberge 7, 2 und z über den man nennt ſie Bauchſchienen (Abb. 126 A). An n dieſen und an den benachbarten Schuppenreihen greift nun eine ſtarke Hautmuskulatur an, die ſich vom Hals bis zum After erſtreckt; auf der Rückenſeite fehlt ſie. Die Hautmuskeln verbinden teils die aufeinander folgenden Bauchſchienen bzw. Schuppen miteinander (D 3”), teils gehen fie von dort nach hinten und vorn zu den Rippen (D 3 und 3). Die Muskeln von Schiene zu Schiene richten bei ihrer Zuſammenziehung die vordere Schiene auf, ſo daß ſie ſenkrecht zur Unterlage ſteht, und ziehen die folgende an ſie heran; indem dann durch Muskelzug von ſeiten der zu den Rippen gehenden Muskeln die Schiene wieder niedergelegt wird, rückt der Körper um ein kleines Stück vorwärts (e). In der gleichen Weiſe wirken zahlreiche Schienen, und durch die Haut-Rippenmuskeln (3) wird der Leib nachgezogen, oder es wird, wenn dieſer fixiert iſt, die Haut nach vorne gezogen, um dann durch Aufrichtung ihrer Schienen wieder neue Stützpunkte für die Vor— wärtsbewegung zu gewinnen. Auf dieſe Weiſe wird die Schlängelbewegung nachdrücklich unterſtützt. Mit der Wichtigkeit der Rippen für die Lokomotion hängt es zuſammen, daß ſie bei den Schlangen über die ganze Länge des Rumpfes bis zu dem weit hinten gelegenen After gut ausgebildet ſind (Abb. 127). Man kann aber auch Schlangen ohne Schlänge— lung, mit ausgeſtrecktem Körper, fortſchreiten ſehen, etwa beim Kriechen durch ein enges Bewegung der Schlangen. Loch, das ſamer als bei Schlängelung. für die Schlängelbewegung keinen Platz bietet; 3 nur iſt die Bewegung lang— 2 Wenn man einer ſo „kriechenden“ Schlange die Hand in den Weg legt, ſo fühlt man die Ränder der Bauchſchienen, die aufgerichtet und wieder angelegt werden. wegungsart der unterirdiſch lebenden Blindſchlangen, der Typhlopiden, die im Boden wühlend ihren Weg finden wie Regenwürmer. Bei A. ihnen ſind keine Bauchſchienen vor— handen, ſondern der ganze Körper iſt mit Schuppen bedeckt (Abb. 126); aber auch die Hautmusku— latur iſt über die ganze Innenfläche der Haut verbreitet und nicht auf die Bauchſeite beſchränkt: denn bei der Lebensweiſe dieſer Schlangen € finden auch die Rückenſchuppen Stützpunkte zum Anſtemmen; ſo erinnert die Einrichtung an die ringsum gehenden Borſtenkränze der Regenwurm— gattung Perichaeta. Die Geſchwindigkeit der Schlangen beim Gleiten iſt erſtaunlich. Durch einen Menſchen ſind die meiſten von ihnen auf der Flucht nicht einzuholen, ja manchen kann man kaum mit dem Auge folgen; es iſt in den Tropen bekannt, daß eine fliehende Schlange einen Menſchen umſtoßen kann. Das gilt allerdings für unſere heimiſchen Schlangen nur in beſchränktem Maße. In unſeren gemäßigten Breiten ſind die Reptilien eigent— lich Fremdlinge, zu voller Lebensentfaltung fehlt ihnen die nötige Wärme. So ſagt Lenz von ihnen: „Keine Schlange bewegt ſich ſo ſchnell, daß man nicht, ohne zu laufen, nur mit ſtarken Schritten nebenher gehen könnte. Verhältnismäßig ſind ſie langſamer als Eidechſen, Fröſche, Mäuſe u. dgl.“ In andrer Richtung ſind manche Waſſer— ſchlangen angepaßt. Viele Schlangen halten ſich nur zeitweilig im Waſſer auf, wo ſie wegen der in den Lungen enthaltenen Luft nicht unterſinken, zu anderen Zeiten gehen ſie ans Land; ſo macht es unſre Ringel— natter, ſo auch unter den Seeſchlangen Pla— turus, die zwar mit einem ſeitlich abge— Eine ſolche Fortbewegung ohne Schlängelung iſt die regelmäßige Be— g g oh 9 9 9 Ad —aAd db S [4 ZT Abb. 126. Bewegungsorgane der Schlangen. A—C Anordnung der Schuppen und Schienen bzw. Schilder auf der Bauchſeite A der Ringelnatter (Tropidonotus), B der Wurmſchlange (Typhlops) und € der Seeſchlange (Hydrus) J Hautrippenmuskulatur der Schlangen. 1 Wirbel, 2 Rippen, Muskel von den Rippen zu den Bauchſchildern 4 3° dgl. zu ſeitlichen Schuppen 5, 3” Hautmuskeln. Die verſchiedene Lage der Schienen a und 5 zueinander bei der Bewegung. In J iſt die Verbindungshaut der Schienen e locker, in // ift Schiene a aufgerichtet und vorgezogen und ſtützt ſich mit ihrer Kante gegen das Hindernis 4, in III iſt die Schiene a niedergelegt und die Schiene “ nachgezogen, letztere iſt dabei um die Strecke vorwärtsgekommen. Nach Buffa. 200 Eigentümlichkeiten der Waſſerſchlangen. ar“ 2 2 2 5 “2 Abb. 127. Röntgenaufnahme einer Ringelnatter (Tropidonotus natrix Boie). platteten Ruderſchwanz ausgeſtattet iſt, aber doch auch Bauchſchienen mit Hautmuskeln beſitzt wie eine Landſchlange. Bei der nie ans Land gehenden Seeſchlange Hydrus (Abb. 128) dagegen iſt die Hautmuskulatur faſt völlig rückgebildet, und ihr Körper iſt nicht mit freirandigen Schuppen, ſondern mit ſechseckigen Schilden bedeckt, die überall feſt anliegen (Abb. 1260): dies allein ſchon wäre ein deutlicher Hinweis Baumſchlangen. 201 Abb. 128. Seeſchlange (Hydrus pla- turus L.) im Meere ſchwimmend. auf die Wichtigkeit der Bauch— ſchienen und der Hautmusku— latur für die Bewegung auf feſtem Boden. Auch den kletternden Baum— ſchlangen kommt nur eine ganz rudimentäre Hautmuskulatur zu; aber ſie zeigen dafür eine andre, für ihre Bewegungsart ſehr wichtige Anpaſſung. Ihr Körper iſt außerordentlich lang und dünn; ſie ſind richtige Schlinger, die durch Umwicklung Zweige faſſen und den Körper nachziehen. Ein Abgleiten verhindern die winkligen Kanten oder Kiele, die zu beiden Seiten der Bauchſchienen hinlaufen. Wie beweglich ihr Leib iſt, geht auch daraus hervor, daß ſie mehrere Beuteſtücke zugleich mit verſchiedenen Teilen ihres Körpers umringeln und feſthalten oder er— drücken können. So finden wir bei den Schlangen, obgleich ihnen wahre Gliedmaßen fehlen, eine geradezu wunderbare Bewegungsfähigkeit: ſie gleiten, ſie wühlen, ſie klettern, ſie ſchwimmen. Und alles das dank der weitgehenden Segmentierung und daher Beweglichkeit ihrer Wirbelſäule und der wunderbaren Anpaſſung ihrer Muskulatur. IN c) Die Bewegung mit Hilfe von Hebelglied maßen. Der Bewegung mit hebelartig wirkenden Gliedmaßen, die wir als die erfolg— reichſte aller Bewegungsarten anſehen müſſen, begegnen wir aus naheliegenden Gründen nur bei Tieren, die ein Skelett beſitzen, mag es nun ein äußeres oder inneres ſein. Wenn wir von den Stachelhäutern abſehen, bei denen die Stacheln einiger Seeigel und die Cirren auf der aboralen Fläche der Haarſterne als bewegende Hebel wirken (vgl. oben S. 186), jo find es nur die Gliederfüßler und die Wirbeltiere, die mit gegliederten hebelartig wirkenden Gliedmaßen ausgerüſtet ſind, deren Anordnung bei ihnen ſtets paarig iſt. In unendlicher Mannigfaltigkeit ſind die Gliedmaßen hier ausgebildet und dienen nicht nur der Bewegung auf feſter Unterlage, ſei es dem Laufen, Springen oder Hüpfen, ſondern auch dem Schwimmen im Waſſer und dem Fliegen in der Luft. 202 Herkunft der Gliedmaßen. ) Das Schwimmen mit Hebelgliedmaßen. Da dieſe beiden Tierſtämme in gleicher Weiſe von Waſſertieren abſtammen, ſo kann es uns nicht wundernehmen, daß in beiden Fällen Ruderorgane den Ausgang für die Entſtehung der paarigen Gliedmaßen bildeten. Bei den niederſten Vertretern beider Stämme, den niedren Krebſen und den Fiſchen, werden dieſe auch noch zum Rudern benutzt. Die Grundform des Beines der Gliederfüßler iſt eine gegabelte Gliedmaße, der ſogenannte Spaltfuß, bei dem ſich an den mit dem Körper gelenkig verbundenen Stamm zwei gegliederte Aſte, ein Innen- und ein Außenaſt, anſetzen. Jedes Körperſegment eines Gliederfüßlers kann ein Paar ſolcher Gliedmaßen tragen, und wenn dieſelben auch häufig an einer Anzahl Segmenten verſchwunden ſind, ſo iſt doch die ſegmentale Anordnung mit höchſter Wahrſcheinlichkeit der urſprüngliche Zuſtand. Die Gliederfüßler haben in ihrer Organiſation zahlreiche Vergleichspunkte mit den Ringelwürmern; man darf wohl auch die ſegmentalen Parapodien der letzteren, die an jedem Segment in einem Paare vorkommen und die beiden Borſtenbündel der betreffenden Seite tragen, als die Organe anſehen, aus denen die Spaltfüße entſtanden ſind (vgl. Abb. 64. S. 100). Dieſe find denn Abb. 129. Schema der Entſtehung der paarigen Gliedmaßen aus paarigen Floſſenſäumen bei den Vorfahren der Lurchfiſche und Amphibien. 1 Vorder-, 2 Hintergliedmaßen. Nach C. Rabl. auch an allen Segmenten urſprünglich Bewegungsorgane, und auch am Vorderende, wo ſie beim fertigen Krebs zu Sinnes- oder Freßwerkzeugen umgebildet ſind, bilden ſie doch bei der Naupliuslarve (Abb. 66, S. 101) Ruder zur Fortbewegung. Die zwei Gliedmaßenpaare der fingertragenden Wirbeltiere und die paarigen Floſſen, die allen Fiſchen mit Ausnahme des Amphioxus und der Cykloſtomen zukommen, ſind wohl ſicher untereinander gleichwertig. Aber es iſt damit durchaus nicht geſagt, daß jene ſich aus irgendeiner Floſſenform der jetzigen Fiſche entwickelt hätten; vielmehr dürften beide auf die gleiche Grundlage zurückgehen. Wie dieſe Grundlage beſchaffen war, dafür haben wir keinen ſicheren Anhalt; von den verſchiedenen Hypotheſen, die das Entſtehen der Wirbeltiergliedmaßen erklären ſollen, ſcheint uns die von Balfour aufgeſtellte und von C. Rabl modifizierte Seitenfaltentheorie am beſten begründet zu fein. Die Ahn— lichkeit, die im Skelettbau der paarigen und der unpaaren Floſſen beſonders bei den Selachiern beſteht, macht es wahrſcheinlich, daß beide auf die gleiche Weiſe entſtanden ſind, daß ſich alſo die paarigen Floſſen ebenſo aus Hautfalten entwickelt haben wie die unpaaren. Ihre embryonale Anlage iſt auch jetzt noch nicht auf ein einzelnes Körper— ſegment beſchränkt, ſondern es beteiligen ſich an ihrem Aufbau eine Anzahl hintereinander gelegener Segmente. Die gleiche Bedeutung wie die balancierenden paarigen Floſſen konnte für das Schwimmen der Fiſche ein an der Körperſeite entlang ziehender Floſſen— ſaum haben (Abb. 129). Von dieſem erhielten ſich nur das vordere und das hintere Ende, die durch Skeletteile ſchon vorher gefeſtigt waren, wie ja auch der urſprünglich Verwendung der Gliedmaßen als Ruder. 203 zuſammenhängende unpaare Floſſenſaum in mehrere Rückenfloſſen, die Schwanzfloſſe und die Afterfloſſe zerfällt. Von einem ebenſolchen paarigen Floſſenſaum leiten ſich auch die Gliedmaßen der fingertragenden Wirbeltiere ab; indem nur das wegen ſeiner Stützaufgabe durch Skeletteile gefeſtigte Vorder- und Hinterende des Floſſenſaums beſtehen blieb, er— klärt ſich die Vierzahl dieſer Gliedmaßen. Die Vorder- und Hintergliedmaßen ſind alſo aus gleicher Grundlage entwickelt, und ſo erklärt ſich uns ihre große Ahnlichkeit im Auf— bau, die wir ſchon oben betrachtet haben. Die Gliedmaßen der Gliederfüßler ſind bei vielen Krebſen noch in ihrer urſprüng— lichen Verwendung als Ruder verharrt und haben dann die Spaltfußform beibehalten, oder aber ſie ſind wieder zu Rudern geworden, wenn luftatmende Gliederfüßler nach— träglich wieder zum Leben im Waſſer übergegangen ſind. Ebenſo gibt es fingertragende Wirbeltiere, die ſich wiederum dem Waſſerleben angepaßt und deren Gliedmaßen ent— ſprechende Umänderungen erfahren haben. Ein Ruder wird um ſo kräftiger wirken, je größer ſeine Fläche iſt. Die Vergrößerung der Fläche kommt häufig ſo zuſtande, daß die Gliedmaßen plattgedrückt ſind, wie das bei den Spaltfüßen der Krebſe und bei den Gliedmaßen der Seeſchildkröten und der Wale ſo auffällig iſt. Oft wird die Verbrei— terung durch einen Saum ſteifer Borſten bewirkt, wie bei vielen Krebſen und vor allem bei Waſſerinſekten und Waſſermilben. Auch unter den Säugetieren kommt das vor: bei der Waſſerſpitzmaus ſtehen am Außenrande der Hinterfüße Reihen ſteifer Borſten. Ge— wöhnlich aber geſchieht die Herſtellung des Ruderfußes bei den Wirbeltieren, von den Amphibien bis zu den Säugern, durch ſogenannte Schwimmhäute, Hautfalten zwiſchen den Fingern oder Zehen, die durch Spreizen derſelben ausgeſpannt werden. Die Handhabung des Ruders iſt nur dann von Erfolg, wenn es bei der Rückwärts— bewegung möglichſt großen, bei der Vorwärtsbewegung jedoch, der Rückkehr in die Aus— gangsſtellung, möglichſt geringen Widerſtand findet; der Menſch, der ein Boot rudert, erhebt daher beim Vorwärtsführen ſein Ruder in die Luft; er könnte es auch mit der ſcharfen Kante nach vorn durch das Waſſer führen. Bei den Krebſen iſt dieſe Aufgabe durch die Gliederung des Ruders gelöſt: die Gelenke der einzelnen Glieder haben ihren Drehpunkt an der Hinterfläche des Ruders, ſo daß eine Bewegung derſelben nur nach hinten, nicht nach vorn möglich iſt; ſo ſtellt ſich automatiſch das Ruder beim Rückwärts— führen durch den Widerſtand des Waſſers feſt, beim Vorwärtsziehen dagegen beugen ſich die Gelenke durch den von vorn wirkenden Waſſerdruck, und das Ruder wird, ohne großen Widerſtand zu finden, durch das Waſſer gezogen. Bei den meiſten Schwimmern unter den Krebſen haben die Beine die Geſtalt von Spaltfüßen beibehalten; bei den Fußgängern dagegen iſt dieſe Form durch Verſchwinden des Außenaſtes vereinfacht. Die Entomoſtraken, die niederen Krebſe, bewegen ſich nie eigentlich gehend, auch wenn ſie an den Grund des Waſſers gebunden ſind, ſondern ſie krabbeln oder kriechen; hauptſächlich aber beſteht ihre Fortbewegung im Schwimmen, und manche von ihnen ſind recht kräftige Schwimmer. Ein nahezu gleichmäßiges Dahin— ſchwimmen wird bei ihnen durch die Bewegungen der Thoraxfüße erreicht, die ſtets als Schwimmfüße ausgebildet ſind, bei den feſtſitzenden und ſchmarotzenden Formen wenigſtens während des freibeweglichen Larvenzuſtandes. Zu kräftigeren Bewegungen dienen den Waſſerflöhen (Daphniden) und beſonders den Hüpferlingen (Kopepoden) die großen An— tennen. Bei den Kopepoden iſt die Schwimmfähigkeit direkt abhängig von der Länge der Vorderantennen (Abb. 130): die auf den Boden der Gewäſſer beſchränkten, meiſt in Waſſerpfützen und -gräben vorkommmenden Canthocamptus-Arten (A) mit ihren kleinen 204 Schwimmen der Gliederfüßler. Antennen bewegen ſich eher ſchlängelnd als richtig ſchwimmend; von der Gattung Cyclops (B) beſitzen Pfützenbewohner wie C. fimbriatus Fisch. und C. bisetosus Rehb. Antennen, ö N \ I ce — \ / Nee AN N 1 l z PDS a eee DARIN FR \ TE 2 RE 7 N WITH, g \ 4 N 1 Y N ad BR 78 F = ASIEN. Fe | — 0 —— BEN } * = 3 5 — 1} 2 * k A Vi S B 5 4 er F = II ei LE 2 * 1 7 2 — x * AN > 5 ) N 9 F AN N Gun 4 N \ N N 1 4 / x | I \ Abb. 130. Drei Kopepoden. A Canthocamptus trispinosus Brady %; B Cyclops albidus Jur. Weibchen mit Eier- ſäckchen; C Diaptomus gracilis Sars Weibchen mit Spermatophore links am Abdomen. Nach Schmeil. die ein Viertel bis ein Drittel von der Länge des Körpers meſſen, während ſie bei den im freien Waſſer vorkom— menden Arten (C. fus- cus Jur. u. a.) über halb ſo lang als der Leib ſind; die überaus beweglichen, in mäch— tigen Sprüngen ſchwim— menden Diaptomus— Arten (C) unſerer Teiche und Seen endlich beſitzen Ruderantennen, die nach hinten gelegt oft bis ans Hinterleibende, ja noch über dieſes hinaus reichen, und unter den Kopepoden des Hoch— ſeeplanktons gibt es Formen, deren Antennen mehreremal ſo lang ſind als der Körper. | Abb. 131. Steingarneele (Palaemon serratus Fab.) ein Schwimmer, oben und Bärenkrebs (Seyllarus arctus Fab.), ein Fußgänger, unten. Unter den höheren Krebſen ſind die Spaltfußkrebſe (Schizopoden) gewandte Schwimmer; bei ihnen ſtehen alle Füße im Dienſt dieſer Bewegung. Die Heuſchreckenkrebſe (Stoma— topoden) dagegen und die Garneelen (Penaeiden und Crangoniden) unter den Zehn— Schwimmen der Gliederfüßler und Wirbeltiere. 205 füßern Schwimmen nur mit Hilfe ihrer Hinterleibsfüße, während die Thoraxfüße zu Gang— und Scherenfüßen umgewandelt ſind; ihr Schwimmen iſt nicht ſehr kräftig: bei den Heuſchreckenkrebſen geſchieht es nur gelegentlich, unter den Zehnfüßern reicht die Schwimm— fähigkeit nur für kleine, zierliche Formen (Abb. 131) aus, die ſelten über 10 em Länge erreichen. Kraftvollere Bewegungen vollführen ſie, wie auch unſer Flußkrebs, der Hummer und andere Fußgänger unter den langſchwänzigen Zehnfüßern, durch Schlagen mit dem muskulöſen Hinterleibe. Die Beugemuskeln des Hinterleibes oder „Schwanzes“, wie die Krebseſſer ſagen, ſind ſehr viel ſtärker als die Strecker; der wirkſame Schlag geſchieht daher durch plötzliches Einbiegen des Hinterleibes, wobei das abgeflachte Beinpaar des vorletzten Hinterleibsringes geſpreizt wird und mit dem Endring eine breite Schwanz— floſſe bildet, und der Krebs wird dadurch nach rückwärts geſchnellt. Dieſe Bewegung iſt bei unſerem Flußkrebs die ſchnellſte, die ihm zur Verfügung ſteht: er bedient ſich ihrer daher ſtets auf der Flucht. Unter den Krabben, die ganz aufs Gehen eingerichtet er— ſcheinen, gibt es einzelne Schwimmer, die ſich dazu des blattartig verbreiterten letzten Thoraxfußpaares bedienen; wie ſie laufen, ſo ſchwimmen ſie auch ſeitwärts, wobei die vorderen Füße der vorangehenden Seite ein— geſchlagen, die der anderen geſtreckt nach— gezogen werden. — Bei den Waſſerinſekten iſt es meiſt das hintere Fußpaar, das zu Rudern umgewandelt iſt, während ſchwim— mende Spinnentiere, wie die Waſſerſpinne (Argyroneta) und die Waſſermilben ſich unter Strampeln mit allen vier Beinpaaren fortbewegen. Von den fingertragenden Wirbeltieren ſchwimmen manche mit breitgedrücktem Ruder— Abb. 132. Füße des Schwans beim Rudern. 8 = 2985 » + Der rechte wird zurückgeführt, der linke wird vorgezogen. ſchwanze ausgerüftete Formen, wie Waſſermolche der rechte wird zur aper w. er und Krokodile, durch Schlängelbewegungen ihres Hinterendes wie die Fiſche, wobei ſie die Vorderbeine an den Leib anlegen, die Hinterbeine als Steuerruder ausſtrecken. Meiſt aber dienen als Ruder die Gliedmaßen, deren Finger und Zehen durch Schwimmhäute verbunden ſind: ſo bei den Froſchlurchen, den Waſſerſäugern wie Schnabeltier, Biber, Fiſchotter und Robben, und bei den auf dem Waſſer ſchwimmenden Vögeln: es werden dann beim Rückführen des Fußes die Zehen geſpreizt und durch Ausſpannen der Schwimmhaut ein Ruder geſchaffen, beim Vorziehen werden die Zehen zuſammengelegt und damit der Waſſerwiderſtand vermindert (Abb. 132). Viele Sumpfvögel und die Lappentaucher (Steißfüße) haben nur Hautſäume um die Zehen, die ſich automatiſch ausbreiten und zuſammenlegen: da ſie ſich nur nach der Sohlenſeite des Fußes, nicht aber nach deſſen Rücken anlegen können, werden ſie durch den Waſſerwiderſtand beim Rudern von ſelbſt ausgebreitet bzw. zuſammengefaltet. Aus der Umbildung der Gliedmaßen läßt ſich deutlich ableſen, wie ſehr ein Wirbel— tier dem Waſſer angepaßt iſt: Waſſerfroſch und Unke, die ſich ſehr behende im Waſſer bewegen, haben viel größere Schwimmhäute als Grasfroſch und Kröte, die faſt nur zur Begattungszeit das Waſſer aufſuchen. Derartig umgewandelte Füße dienen gleicherweiſe dem Gehen und Springen auf dem Lande wie dem Schwimmen im Waſſer. Da aber, wo ein Lufttier ganz zum Waſſerleben übergeht und ſelten oder gar nicht mehr ans Land kommt, ſind die Gliedmaßen meiſt viel weiter umgebildet und zur Bewegung auf dem 206 Umwandlung der Rudergliedmaßen bei Wirbeltieren. Lande oft unbrauchbar geworden. Bei den ausgeſtorbenen Ichthyoſauren und Pleſioſauren, bei den Seeſchildkröten, den Robben und Walen ſind die Finger und Zehen mehr oder weniger feſt verbunden und der Schaft der Gliedmaßen meiſt ſtark verkürzt. Die See— ſchildkröten und Ohrenrobben können den Körper mit Hilfe der Gliedmaßen tragen, aber ziemlich ungeſchickt. Die übrigen Robben dagegen ſind unfähig, ſich am Lande vom Boden zu erheben: ihre Hinterbeine ſtehen ganz am Ende des Körpers und bilden zu— Abb. 133. Waſſerſtar (Cinelus merula J. C. Sch.), rechts tauden:. ſammen eine Ruderfläche, die, in geſpreizter Haltung ausgeſtoßen, das Tier vorwärts treibt. Bei den Walen endlich hat der Schwanz die Rolle des Ruders übernommen; die zuweilen durch die rieſigen Finger mächtig verlängerten Vordergliedmaßen dienen wie bei den Fiſchen als Steuer, die hinteren dagegen ſind völlig verſchwunden bis auf geringe Skelettreſte. Alle luftatmenden Waſſerwirbeltiere werden durch den Luftgehalt ihrer Lungen im Waſſer getragen wie die Fiſche durch die Schwimmblaſe. Bei den Vögeln aber iſt die Leichtigkeit des Körpers ſo groß, daß ſie im Waſſer nur wenig einſinken: hier ſind nicht bloß die Lungen mit Luft gefüllt, ſondern auch die an ſie anſchließenden umfangreichen Tauchen der Vögel. 207 Luftſäcke, deren Ausläufer ſich bei vielen Vögeln bis in die Hohlräume der Knochen er- ſtrecken, und zwiſchen den Daunen des lockeren Untergefieders iſt eine Menge Luft ent— halten. Gegen das Naßwerden ſind die Federn durch das ölige Sekret der Bürzeldrüſe geſchützt, das mit Hilfe des Schnabels aufgetragen wird. Um untertauchen zu können, müſſen daher die Schwimmvögel einen großen Auftrieb überwinden; es koſtet ſie An— ſtrengung, ja für manche iſt es eine Unmöglichkeit: Schwäne, Albatroß, Pelikan können überhaupt nicht tauchen. An den Hausenten beobachten wir, daß ſie ſich aufrichten und mit einem Ruck untertauchen; ſie kommen aber dabei nicht ganz unter Waſſer, und an den fortgeſetzten Ruderbewegungen der Beine ſehen wir, daß ſie ſich mit Kraftaufwand in dieſer Lage halten müſſen. Sturmvögel, Möwen, Seeſchwalben, Fiſchadler ſind Stoß— taucher, d. h. ſie können nur dank der Geſchwindigkeit, die ſie im Fluge erlangt haben, in das Waſſer tauchen, und da dieſe lebendige Kraft ſchnell durch den Widerſtand des Waſſers aufgezehrt wird, können ſie nicht tief tauchen. Meiſter im Tauchen ſind dagegen die Tauchenten, Alken, Steißfüße und Pinguine. Die Tiefe, bis zu der z. B. die Eider— ente taucht, wird auf 100 m berechnet. Dieſe Taucher ſind für ſolche Lebensweiſe be— ſonders eingerichtet: ihr Federkleid liegt dicht an, beſonders bei Steißfüßen und Pin— guinen, ſo daß nur wenig Luft zwiſchen den Federn bleibt — der dadurch verminderte Wärmeſchutz wird durch ein dickes Fettpolſter unter der Haut erſetzt; ihre Knochen ent— halten keine Lufträume, höchſtens im Schädel iſt ein wenig Luft vorhanden. Ferner aber ſind ihre Bewegungseinrichtungen ſehr vervollkommnet: die Beine ſind kurz und weit hinten eingelenkt — daher das ungeſchickte Gebaren auf feſtem Boden und die aufrechte Haltung beim Stehen — die Zehen mit ihren Schwimmhäuten dagegen ſind lang; bei den Steißfüßen und Pinguinen werden ſogar die Flügel zum Rudern unter Waſſer benutzt (vgl. Taf. 1) und die Beine dann nur als Steuer gebraucht. Dabei erreichen ſie eine bedeutende Geſchwindigkeit: den Haubenſteißfuß ſah Alfr. Brehm beim Schwimmen unter Waſſer mit einem Dampfſchiffe gleichen Schritt halten. Der Eisvogel, der in unſeren fließenden und ſtehenden Gewäſſern den Fiſchchen nachſtellt, iſt ein Stoßtaucher: er ſtürzt ſich von erhöhtem Sitz herab ins Waſſer und taucht nur momentan. Der Waſſerſtar dagegen vermag 15 bis 20 Sekunden unter Waſſer zu verweilen, und es erſcheint rätſelhaft, wie der kleine Vogel ſich ſo lange unter der Oberfläche halten kann. Genauere Beobachtung klärt uns darüber auf: der Waſſerſtar lebt nur an lebhaft fließendem, flachem Waſſer und läuft auf dem Grunde mit vor— geſtrecktem Kopfe und oft noch mit ausgebreiteten Flügeln dem Strome entgegen (Abb. 133); ſo wird er durch den Druck des Waſſers, der auf Rücken und Flügel wirkt, unten ge— halten. In ruhigem Waſſer kann er nicht tauchen und käme ſomit nicht zu ſeiner Nah— rung wie Inſektenlarven, zuweilen auch kleinen Fiſchchen, die er am Boden des Waſſers ſucht. Daher iſt ſein Aufenthalt auf kleine, lebhaft fließende Waſſerläufe und ſomit meiſt auf gebirgige Gegenden beſchränkt. — 6) Springen, Laufen, Klettern. Die Bedingungen für die Bewegung auf feſtem Untergrund ſind durchaus andere als für die freie Schwimmbewegung im Waſſer oder auch für das Fliegen in der Luft: hier iſt das Medium, das den Widerſtand für das Anſtemmen der Gliedmaßen liefert, das gleiche, deſſen Widerſtand auch die Geſchwindigkeit der erreichten Bewegung herab— ſetzt; dort aber liefert die feſte Unterlage einen Rückhalt für die vorwärtsſchiebenden und ⸗ziehenden Gliedmaßen, der viel bedeutender iſt als der Widerſtand des den Körper um— 208 Bedingungen der Bewegung auf feſtem Untergrund. gebenden Mediums, ſei es Waſſer oder Luft. Bei der Bewegung mit Gliedmaßen auf feſtem Boden fallen alſo jene Bedingungen fort, die den Bau der Ruder im Waſſer — und auch in der Luft — beherrſchen, daß nämlich die Vorwärtsbewegung der Gliedmaßen weniger Widerſtand finden muß als die Rückwärtsbewegung. Die Anforderungen ſind einfacher und der Bau der Bewegungsorgane daher viel mannigfaltiger. Schon eine geringe Reibung der Bewegungsorgane am Boden reicht aus zur Überwindung des Wider— ſtandes von ſtehendem Waſſer oder ruhiger Luft. Auf der anderen Seite übertrifft die Reibung der Körperflächen am feſten Boden die Reibung am Waſſer bei weitem, und die Vorwärtsbewegung kann ſtark behindert werden, wenn die Berührungsfläche mit dem Untergrund zu groß wird. Das iſt eben der Vorteil, den die Bewegung mit hebelartigen Gliedmaßen mit ſich bringt, daß die Reibungsfläche vermindert wird: eine Landſchnecke, die mit ihrer ganzen Sohle dem Boden aufliegt, wird von dem langſamſten Inſekt, z. B. von einer Raupe, an Geſchwindigkeit übertroffen. Aber auch unter den Tieren mit Gliedmaßen zeigt ſich eine deutliche Abſtufung in der Weiſe, daß diejenigen, die die kleinſten Stützflächen brauchen, ſich am ſchnellſten bewegen können: die Bock, Blatt- und Rüſſelkäfer mit ihren bebürſteten, feſt haftenden Sohlen werden von den Lauf- und Blatthornkäfern überholt; der ſchnellfüßige Strauß iſt durch die auf zwei verminderte Zahl ſeiner Zehen von allen anderen Vögeln verſchieden; Pferd und Hirſch mit ihren ſchmalen Hufen ſind dem Moſchus— ochſen oder Elch an Geſchwindigkeit weit überlegen, und die Zehengänger unter den Raub— tieren übertreffen darin die Sohlengänger. Wo bei den fingertragenden Wirbeltieren nicht die ganze Sohle der Gliedmaßen, ſondern nur die Unterfläche der Finger und Zehen oder gar nur deren Spitze den Boden berührt, unter Aufrichtung der Fußwurzel oder des ganzen Fußſkeletts, beſonders wenn zugleich die Zahl der Zehen verringert wird wie bei den Vögeln und Huftieren, da wird nicht nur die Reibungsfläche vermindert, ſondern zugleich die Zahl der freiſtehenden, dem Boden nicht aufliegenden Gelenke der Gliedmaßen um ein weiteres vermehrt, das Ferſen— gelenk. Es muß daher die Stärke der einzelnen Gelenke geſteigert werden, wenn nicht die Feſtigkeit der Gliedmaßen not leiden ſoll; an Stelle des Kugelgelenktypus, der vor allem bei den Gliedmaßen der Amphibien und Reptilien vorherrſcht, treten Rollengelenke, bei denen der Ausſchlag der verbundenen Skelettſtücke in der Hauptſache auf eine Ebene beſchränkt und die Möglichkeit ſeitlicher Bewegungen ſehr vermindert iſt. So iſt es an den Gliedmaßen der Huftiere wie an dem Fuße der Vögel. Eine Verbreiterung der Reibungsfläche auf Koſten der Geſchwindigkeit muß eben dann von Vorteil ſein, wenn die Unterlage nicht völlig feſt, ſondern nachgiebig iſt. Die Laſt des Körpers muß dann auf eine größere Fläche verteilt werden, um ein Nachgeben der Unterlage und ein Einſinken der Stützen zu verhindern. Moſchusochs und Elch bewegen ſich oft auf moorigem, ſchwankendem Boden; daher die Verbreiterung ihrer Sohlen. Deshalb finden wir bei vielen Stelzvögeln Schwimmhautbildungen, die ihnen das Laufen auf dem waſſerdurchtränkten Boden ermöglichen. Deshalb hat einer der gemeinſten Sumpfvögel Südamerikas, die Jaſſana (Parra jagana L.), die auf den ſchwimmenden Blättern der Waſſerroſen hinlaufen kann, Zehen von einer Länge, daß die Entfernung von der Spitze des Nagels der Mittelzehe bis zu der gleichen Stelle der Hinterzehe der Länge des Fittichs gleichkommt. Einen noch unſichereren Untergrund für das Laufen bietet der Waſſerſpiegel ſelbſt; auf ihm können nur kleine und leichte Tiere laufen und auch die nur unter gewiſſen Gelenkigkeit und Länge der Gliedmaßen. Bedingungen. Die Oberflächenſpannung, die auf dem Kohäſions— druck der Waſſerteilchen beruht, verleiht dem Waſſerſpiegel einen Halt, als ob ein zartes, elaſtiſches Häutchen über ihn ausgeſpannt wäre. Dieſe Spannung wird geſtört, wenn die Waſſerteilchen an einem Körper adhärieren: Fu N f \ man kann eine Nähnadel, die durch einen leichten . man Fettüberzug vor dem Benetzen geſchützt iſt, auf die ö BE Waſſeroberfläche legen, ohne daß ſie unterſinkt; reinigt man ſie aber zuvor ſorgfältig mit Alkohol, ſo daß das Waſſer an ihr haftet, ſo wird ſie ſtets ſinken. So wird denn auch bei den Tieren, die auf der Waſſeroberfläche laufen, wie den Waſſer— läufern (Hydrodromici, Abb. 134) unter den Wanzen, einigen Fliegen (Dolichopoden und Ephydrinen) und Spinnen, vor allem die Unterſeite und das Ende Abb. 134. Waſſerläufer der Füße vor Benetzung geſchützt; vermöge ihrer o langen Beine aber verteilen ſie die Laſt ihres Körpers auf eine möglichſt große Fläche, ſo daß die einzelnen Bezirke der Oberfläche weniger ſtark in Anſpruch genommen werden. Für die Ausgiebigkeit der Fortbewegung auf feſtem Boden iſt die Beſchaffenheit der Gliedmaßen im einzelnen in hohem Maße beſtimmend. Zunächſt iſt die Beweglichkeit der Gliedmaßen, ihre Gelenkigkeit, ſehr fördernd für die Bewegung; die Gelenkigkeit hängt ihrerſeits ab von der Zahl der Gelenke an einer Gliedmaße und der Stellung ihrer Achſen zueinander ſowie von dem Bewegungsumfang, den das einzelne Gelenk beſitzt. Andererſeits aber iſt die Länge der Gliedmaßen von hervorragendem Einfluß, weil die Länge der fördernden Schritte dadurch bedingt wird. Bei allen Lauftieren mit großer Geſchwindigkeit finden wir lange Gliedmaßen: bei den Käfern ſind die Laufkäfer, bei den Spinnentieren die Wolfsſpinnen und die Kanker, unter den Vögeln ſind die Lauf— vögel vor anderen durch die Länge der Beine ausgezeichnet; unter den Säugern iſt es ebenſo bei den Huftieren, oder die jagenden Hunde ſind langbeiniger als die lauernden, kletternden Katzen. Freilich kann die Länge der Gliedmaßen auch aus anderen Rückſichten wichtig ſein: den Stelzvögeln ermöglichen die langen Beine und der lange Schnabel, ihrer Beute im Waſſer nachzugehen, ohne ihr Gefieder zu benetzen, und die Giraffe wird durch ihre langen Vorderbeine in Verbindung mit dem langen Hals inſtand geſetzt, Nahrung zu erreichen, die anderen Pflanzenfreſſern ihrer Verwandtſchaft unzugänglich iſt. Die Erhebung des Rumpfes auf ſtützende Gliedmaßen hat aber auf den Bau des geſamten Stützgerüſtes einen auffälligen Einfluß. Sowohl bei den Gliederfüßlern wie bei den Wirbeltieren tritt die Segmentierung des Körpers um ſo mehr zurück, je kräftiger entwickelt die Gliedmaßen und je mehr ſie durch reiche Gliederung inſtand geſetzt ſind, den Körper ohne ſchlängelnde Bewegungen der Körperachſe von der Stelle zu bewegen. Unter den Krebſen nimmt in der Reihe Ringelkrebſe (Aſſeln)-Heuſchreckenkrebſe-lang— ſchwänzige Zehnfüßer die Gliederung ſtändig ab, bis die äußerlich ganz ungegliederten Krabben den Höhepunkt der Gangkrebſe darſtellen. Die Bewegungen der homonom ge— gliederten Tauſendfüßer geſchehen noch unter Zuhilfenahme der Schlängelung; der Käfer mit feſtem Thorax iſt ſeiner beweglicheren Larve überlegen; unter den Spinnentieren iſt die gelenkige Spinne mit ihren langen Beinen kompakter als der kurzbeinige trägere Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 14 210 Gang der Krebſe. Skorpion, und beim Kanker iſt auch die Zweiteiligkeit der Spinne geſchwunden. Bei den Wirbeltieren läßt ſich in den höheren Gruppen eine Abnahme in der Beweglichkeit der Rumpfwirbelſäule und Hand in Hand damit ein Zurücktreten der Muskelſegmentierung beobachten, die der Schlängelung dient. Es hängt das aufs engſte damit zuſammen, daß bei den niederen Wirbeltieren die ſchwachen Gliedmaßen den Körper noch nicht ganz von der Unterlage abheben können und ſo bei den Salamandern und vielen Reptilien Schlängelung in die Bewegung eingeht; beſonders die kurzbeinigen Skinke und die ſchwer— fälligeren Eidechſen, wie unſere Zauneidechſe im Gegenſatz zur Mauereidechſe, ſchlängeln noch ſehr ausgeſprochen. Ja von ſolchen Zuſtänden aus iſt die Schlängelung wieder zur Hauptbewegungsart mancher Reptilien geworden: bei der Blindſchleiche weiſt das Vor— handenſein eines Schulter- und Beckengürtels, bei den Schlangen das Vorkommen von Beckenreſten bei den Rieſenſchlangen auf die Abſtammung von gliedmaßentragenden Formen hin. Jene Beweglichkeit der Rumpfwirbelſäule nimmt jedoch in dem Maße ab, wie ſie vom Boden erhoben und durch Gliedmaßen geſtützt wird: ſie wird kürzer und ſtarrer; bei den Vögeln ſind die Bruſtwirbel durch Bandmaſſe faſt unbeweglich verbunden oder feſt verwachſen, bei den Säugern geſchieht die Verbindung der Wirbel nicht durch Gelenke, ſondern durch die Zwiſchenwirbelſcheiben, die nur eine beſchränkte Bewegung geſtatten. — Fußgänger finden ſich bei den Krebſen nur in den höher differenzierten Abteilungen, von den Ringelkrebſen an: es iſt ſchon eine fortgeſchrittene Kräftigung der Thoraxglied— maßen erforderlich, damit ſie den Körper von der Unterlage abheben und ſo tragen können. Die Aſſeln haben noch einen ziemlich biegſamen Thorax, deshalb iſt auch die Unterſtützung desſelben reichlicher: ſie tragen den Körper auf ſechs Beinpaaren. Bei den Langſchwänzern unter den Zehnfüßlern iſt die Kopfbruſt ſtark gepanzert, und die Beine find ſtärker: es genügen vier Beinpaare, den Körper zu tragen; das vorderſte mit den Scheren iſt nicht dabei beteiligt; das zweite und dritte Beinpaar ziehen, das vierte und fünfte ſchieben, den nachgezogenen Hinterleib ſtützt die nach unten geſchlagene „Schwanzfloſſe“, d. h. der letzte Hinterleibsring mit dem Beinpaar des vorletzten, das allein von allen Hinterleibsbeinen kräftig ausgebildet iſt. Die Kurzſchwänzer (Krabben) endlich ſind den Gehbewegungen am beſten angepaßt. Die Einlenkung ihrer Beine iſt durch höhere Ausbildung des Gelenkes eine freiere geworden; um den kompakten, beim Anblick von oben völlig unſegmentiert erſcheinenden Körper zu tragen, genügen je nach den Arten vier, drei oder nur zwei Beinpaare: das vorderſte, als Scherenfußpaar, wird nicht zum Gehen benutzt, die hinteren Paare dienen häufig zum Feſthalten von Fremdkörpern auf dem Rücken, womit ſich manche Arten maskieren und unſichtbar machen. Die oft kielförmig geſchärften Seitenkanten machen den Körper geeignet zur Seitwärtsbewegung; Vorwärtsgang tritt faſt nur als kurze Zwiſchenſtufe zwiſchen Rechts- und Linksgang ein. Dabei werden die Beine ſehr ſchnell geſetzt, ſo daß ſie bis zu acht Schritten in der Sekunde machen; die der einen Seite wirken ziehend, die der andern ſchiebend (Abb. 135), und je nach Reihenfolge und Ordnung ihres Zuſammenwirkens laſſen ſich vier verſchiedene Gangarten unterſcheiden. Die Geſchwindigkeit vieler Krabben iſt ſehr be— deutend; die gemeine Strandkrabbe (Careinus maenas Leach.) vermag die ſchnell ſchwim— menden Garneelen einzuholen und im Sprung zu packen; ſie legt dabei in der Sekunde Strecken bis zu 1 m zurück. Bei den luftlebenden Gliederfüßlern ſind die Gangbeine allgemein verbreitet. Am zahlreichſten ſind ſie bei den Tauſendfüßlern, wenngleich ſie ſchon niemals auch nur an— Laufen der Tauſendfüßer und Inſekten. 211 nähernd die Zahl erreichen, die der Name angibt. Die Verſchiedenheit ihrer Einlenkung bewirkt einen bedeutenden Unterſchied in der Bewegungsart (Abb. 136). Bei den Diplo— poden (A) ſtehen die Beine auf der Unterſeite und bilden in ihrer großen Anzahl eine faſt bürſtenartige Sohle, auf der der Leib ruht; die Ortsbewegung geſchieht, indem eine Anzahl Bewegungswellen über die Beinreihe laufen: etwa fünf oder ſechs Beine an ver— ſchiedenen Stellen des Körpers ſind immer im gleichen Stadium der Beugung oder Streckung; der Leib ſelbſt bleibt dabei geſtreckt und hat keinen Anteil am Zuſtande— kommen der Fortbewegung. Anders bei den Chilopoden (): dort ſind die Beine mehr ſeitlich eingelenkt und ſchräg nach außen gerichtet und vermögen daher den Leib nicht ſo leicht von der Unterlage zu er— heben; dieſer kann daher die Fortbe— wegung durch ſeitliche Schlängelung unterſtützen. Wieviel mehr für die Ge— ſchwindigkeit der Bewegung die Länge Abb. 135. Schema des Seitwärtsgangs bei der der Hebel als deren große Zahl in Be— Strandfrabbe (Careinus maenas Leach). f Nor 5 50 Die Ausgangsſtellung iſt ſchraffiert, die Übergangsitellung mit .., tracht kommt, zeigt der Vergleich zwiſchen die Endſtellung mit - - - gezeichnet. Nach Bethe. dem behenden Lithobius mit jeinen 15 Beinpaaren und dem langſamen Julus mit etwa 100 Beinpaaren. — Bei den Inſekten und Spinnentieren ſind die Beine viel ſtärker, und obgleich ſie ſchräg ſeit— wärts gerichtet ſtehen und nur in der Sechs- bzw. Achtzahl vorhanden ſind, vermögen ſie doch den Leib kräftig über den Boden zu erheben. Bei den Inſekten ſitzen die Beine den drei Bruſtringen an; doch liegt der Schwerpunkt, beſonders bei umfangreichem Hinterleib, meiſt hinter dem dritten Bruſtſegment; dadurch aber, daß die Baſalplatte 4 5 Abb. 136. Anbringung der Beine am Rumpf der Tauſendfüßer. A bei Julus, 5 bei Lithobius. dieſes Segments bei den Fußgängern ſich weit nach hinten erſtreckt und das dritte Beinpaar, das die andern an Länge übertrifft, ſich wiederum ſchräg nach hinten ge— richtet an ſie anſetzt, findet der Schwerpunkt ſeine Unterſtützung und der Körper läßt ſich tragen. Das Gehen der Inſekten ſpielt ſich in der Weiſe ab, daß je drei Beine gleichzeitig oder doch in ſchneller Folge zuſammenwirken: das vordere und hintere der einen und das mittlere der andern Seite; während die eine Dreiergruppe feſtſteht und den Körper trägt, greifen die Beine der andern Gruppe nach vorn. Anders das Springen der Inſekten. Bei den Springern iſt meiſt das hintere Beinpaar beſonders kräftig ausgebildet: Schenkel und Schiene haben eine bedeutende Länge; die Muskulatur, die die Schiene gegen den Schenkel ſtreckt, iſt ſehr ſtark aus— gebildet und deshalb der ſie umſchließende Schenkel mächtig verdickt. Beim Springen 14 * 212 Springen der Inſekten. wird der Leib durch gleichzeitige plötzliche Streckung der Springbeine nach vorn und oben geſchleudert, und die langen Hebelarme machen die Bewegung zu einer ſehr wirkſamen. In vielen Inſektenordnungen begegnen wir ſolchen Springbeinen: am verbreitetſten ſind ſie bei den Geradflüglern, wo alle Heuſchrecken und viele Grillen ſpringen können; von den Schnabelkerfen ſpringen die Zikaden und gewiſſe Blattläuſe (Psyllidae); auch in der Reihe der Käfer gibt es einige Springer: z. B. die Springrüßler (Orchestes) und Erd— flöhe (Haltica), von Hymenopteren ſpringen wenige Schlupfweſpchen, unter den Fliegen einige Mücken, z. B. Ceratopogon; die Sprungkraft des Flohes ſchließlich iſt bekannt und viel beſungen. Anders aber iſt die Art, wie die niederſten Inſekten, die Apterygoten, ſpringen. Bei den Springſchwänzen gelenkt an der Bauchſeite des drittletzten Körper— ſegments ein gegabelter Anhang, die Springgabel; in der Ruhe liegt ſie der Bauchſeite an, kann aber durch eine ſtarke Muskulatur, die in dem zugehörigen, meiſt verlängerten Segment entſpringt, mit großer Kraft nach hinten und unten geſchlagen werden, wobei das Tier auf- und vorwärts geſtoßen wird. Bei den Steinhüpfern (Machilis) ent AA ſpringen an der Bauchſeite der Hinterleibsringe je ein Paar griffelförmige Anhänge, die wohl mit Recht als Reſte der Abdominalbeine der Vorfahren angeſehen werden: ſie liegen beim ruhenden Tiere an der Unterſeite des Hinterleibs nach vorn zu und wirken zuſammen ebenſo wie die Springgabel der Springſchwänze. — Eine ſonderbare Art zu ſpringen kommt der Ameiſengattung Strumigenys in Neuguinea zu: ſie können ſich mit Hilfe ihrer Kiefer 30—45 em weit fortſchnellen. Hier ſei auch des merkwürdigen Hüpfens gedacht, Abb 17 Hnpfen des Schnelltäfers dem die Schnellkäfer (Elateriden) ihren deutſchen Namen A Vorbereitung, B Abſtoßen. verdanken. Legt man einen ſolchen Käfer auf den Rücken, auf die Grube nen jo vermag er ſich wegen der Kürze ſeiner Beine nicht brust, ideen ben Spree umzudrehen; er bewerkſtelligt dies aber durch ein Empor- ſchnellen, bei dem man ein lautes Knipſen hört. Wenn man den Käfer dabei beobachtet (Abb. 137), ſieht man, daß er „einen hohlen Rücken macht“, d. h. daß er die Mitte des Körpers hebt, ſo daß er mit dem erſten Bruſtring und der hinteren Hälfte der Flügeldecken der Unterlage aufliegt (A). Die Einknickung geſchieht zwiſchen erſtem und zweitem Bruſtring; an der Bauchſeite des erſten Bruſtrings entſpringt vom Hinterrande ein ſtarker Dorn, der in eine Grube am Vorderrande des zweiten Bruſt— rings paßt; der Käfer ſtemmt zum Schnellen den Dorn gegen den Vorderrand der Grube und läßt ihn, unter ſtarker Anſpannung der Streckmuskulatur, plötzlich abgleiten, wobei, durch das Hineinfahren des Dorns in die Grube (B), der knipſende Ton ent— ſteht. Dabei ergibt ſich ein heftiges Zuſammenknicken des gebeugten Gelenkes, ſo daß der vorher konkave Teil der Rückenſeite jetzt konvex vorſpringt und gegen die Unterlage ſtößt; durch deren Rückſtoß wird der Käfer in die Höhe geſchleudert. Da dieſer Stoß aber nicht im Schwerpunkte angreift, ſondern vor demſelben, ſo wird das Tier in der Luft um die durch den Schwerpunkt gehende Querachſe gedreht und kommt mit der Bauch— ſeite nach unten herab. Die Gehbewegung iſt bei den Wirbeltieren nur dort möglich, wo Gliedmaßen den Rumpf, wenn auch nur unvollkommen, vom Boden abheben können. Der Erwerb einer ſolchen Einrichtung bringt außer den einſchneidenden Anderungen im Bau des Stütz— Allgemeines über den Gang der Wirbeltiere. 213 gerüſtes, deren ſchon mehrfach gedacht wurde, vor allem Umwandlungen der Muskulatur hervor. Bei den Fiſchen ſchaffen die Schlängelbewegungen des Rumpfes das Tier vor— wärts, und ſie werden durch zwei faſt einheitliche, mächtige ſegmentierte Muskelmaſſen, die großen Rumpfmuskeln, bewirkt. Von den Amphibien an wird die Muskulatur bei weitem mannigfaltiger: die Gliedmaßen, deren geringe Bewegungsmuskulatur bei den Fiſchen im Rumpf enthalten iſt, werden von Muskeln überzogen, und die Rumpfmus— kulatur konzentriert ſich an ihrer Einlenkung. Die Längsmuskeln des Rumpfes aber nehmen ſehr an Maſſe ab; an Stelle ihrer früheren Bedeutung für die Bewegung tritt jetzt eine neue Funktion in den Vordergrund: ſie werden den vegetativen Verrichtungen dienſtbar und ſind bei der Atmung und als Bauchpreſſe bei der Entleerung der Nah— rungsrückſtände, des Kotes, tätig. Am Hinterende der Wirbelſäule aber tritt die Mus— kulatur um ſo mehr zurück, je weniger die Schlängelung bei der Bewegung noch eine Rolle ſpielt: bei den Schwanzlurchen und Reptilien noch allmählich in den Rumpf über— gehend, ſetzt ſich daher bei Vögeln und beſonders Säugern der Schwanz auch äußerlich ganz ſcharf vom Rumpfe ab. Die zwei Gliedmaßenpaare der fingertragenden Wirbel— tiere ſind nicht überall in gleicher Weiſe eingelenkt: bei den Amphibien und Reptilien liegen Oberarm und Oberſchenkel wagerecht und treten von der Seite, nicht von unten her an den Rumpf heran; ſie können dieſen daher nur wenig und mit Anſtrengung über den Boden erheben und laſſen ihn, wenn ſie nicht in Bewegung ſind, auf der Unterlage aufliegen. Bei den Vögeln und Säugern aber, und unter den Reptilien beim Chamäleon treten die Gliedmaßen von unten an den Rumpf heran und tragen ihn, auch bei ruhigem Stehen, hoch über den Boden. In ihrer Gliederung find die Gliedmaßen ſchon bei den niederen Vierfüßlern jo eingerichtet, daß die Hauptbiegung der Vordergliedmaßen, die zwiſchen Ober- und Unterarm, in ihrer Richtung derjenigen der Hintergliedmaßen zwiſchen Ober- und Unterſchenkel genau ent— gegengeſetzt iſt; bei jenen iſt der Beugewinkel nach vorn, bei dieſen nach hinten gerichtet. Dieſe Eigentümlichkeit tritt in ihrer Bedeutung erſt bei den Säugern recht hervor: hier ergänzen ſich Vorder- und Hintergliedmaßen beim Tragen des Körpers, indem einer nach vorn wirkenden Kraft die vordere, einer nach hinten wirkenden die hintere Glied— maße vermöge ihrer Beugung entgegenwirkt. Zuſammen wirken ſie wie eine Kniepreſſe und drücken ſo beim Strecken den Rumpf nach oben. Wo an den Vordergliedmaßen noch eine nach vorn gerichtete Hauptbeugung vorhanden iſt, da wird eine von hinten wirkende Kraft viel leichter ein Nachgeben der Stützen bewirken; deshalb knickt z. B. das Pferd mit dem vorderen „Knie“, dem Gelenk zwiſchen Unterarm und Lauf, beim Stolpern leicht ein und fällt auf die „Knie“. In der Bewegung ſelbſt verhalten ſich die Gliedmaßen bei den niederen Vierfüßlern anders als bei den Säugern. Wo Oberarm und Oberſchenkel wagerecht anſetzen, be— wegen ſie ſich in einer wagerechten Ebene um den ſenkrechten Unterarm und Unterſchenkel, wobei das Ellbogen- bzw. Kniegelenk den Drehpunkt bilden. Wenn die Drehung rechts ſtattfindet, wird die linke Gliedmaße vorgeſetzt und umgekehrt, und das Vorſchreiten der linken Vordergliedmaße geſchieht gleichzeitig mit dem der rechten Hintergliedmaße. Der Rumpf beteiligt ſich an der Bewegung durch wellenförmiges Ausbiegen, womit ſowohl der drehenden Bewegung der feſtſtehenden als auch der vorgreifenden Bewegung der ſchreitenden Beine Vorſchub geleiſtet wird (Abb. 138). Aber es ſind keine fortſchreiten— den Wellen, die über den Körper laufen, ſondern nahezu ſtehende Wellen, deren Knoten— punkte in der Schulter- und Beckengegend liegen; eine zu große Inanſpruchnahme der 214 Verwendung der Gliedmaßen. Knotenpunkte, ein Zerren an ihnen, wird durch das Mitſchwingen des Kopfes und be— ſonders des Schwanzes verhindert, die ſich ausgleichend nach der entgegengeſetzten Seite als der Rumpf bewegen. Daher iſt der Schwanz für die Bewegungen der Eidechſen z. B. wichtig. Je ſchneller die Schritte aufeinander folgen, deſto geringer iſt die Schwingungs— weite der Wellen: eine ſchnell laufende Eidechſe erſcheint faſt ganz geſtreckt. Große Ge— ſchwindigkeit wird dabei weniger durch die Länge der Schritte, als durch ſchnelle Folge derſelben erreicht; doch iſt das für das Tier ſo anſtrengend, daß eine verfolgte Eidechſe z. B. ſchnell ermüdet und, wenn ſie nicht bald einen Schlupfwinkel erreicht, ihren Feinden zum Opfer fällt. Wo die Gliedmaßen aber den Leib hoch tragen, iſt die Rolle der beiden Paare bei der Bewegung durchaus verſchieden. Die Hintergliedmaßen ſtemmen den Leib nach vorn, ſie übernehmen die Hauptarbeit der Fortbewegung. Wenn daher die Fortbewegung am Boden nur mit einem Gliedmaßenpaare geſchieht, wie bei hüpfenden und aufrecht gehenden Wirbeltieren, z. B. Fröſchen, Känguruhs, allen Vögeln, dem Menſchen, ſo ſind dafür ſtets die Hintergliedmaßen, nie die vorderen in Anſpruch genommen. Die Vordergliedmaßen der Vierfüßler wirken zwar hie und da ziehend, in der Hauptſache aber ſind ſie bei der Bewegung paſſiv und helfen nur die Laſt des Körpers tragen. Daher iſt eine ſtärkere Belaſtung der Vorderglied— maßen zugunſten der hinteren bei der vierfüßigen Fortbewegung von Vorteil, weil dann die Hintergliedmaßen einen größeren Teil ihrer Kraft für die Vorwärtsbewegung verwerten können. Bei den Säugern ſind dementſprechend die Vordergliedmaßen meiſt niedriger als die hinteren und werden obenein durch den gewichtigen Kopf, der über ſie hinausragt, belaſtet; ſie tragen beim Pferd und Schwein etwa ½, beim Hund ſogar ' der Körperlaſt. Dieſe Laſt wird um ſo leichter zu tragen ſein, je größer der Winkel in den Gelenken iſt, d. h. je mehr die einzelnen Knochen in gleicher Richtung ſäulen— artig übereinander ſtehen; denn bei ſtärkerer Beugung der Ge— lenke wirkt die Laſt an einem viel größeren Hebelarm, und die Streckmuskeln der Gliedmaßen haben eine viel größere Arbeit zu leiſten, um deren Einknicken zu verhindern. Die Vordergliedmaßen nähern ſich daher um ſo mehr der Säulenform, je ſchwerer das Tier Abb. 138. ee iſt (vgl. Fig. 83 und 84). Bei den Hintergliedmaßen dagegen ſind einer dechſe. 8 5 8 2 . . ‚ 1 und 2 die Knotenpunkte die einzelnen Knochen viel mehr im Winkel zueinander geſtellt als für bie Drehung von ber“ bei den vorderen; die ſcharfe Abknickung in den Gelenken bietet ſehr arm und Oberschenkel. N a 2 günſtige Hebelarme für den Zug der Muskeln dar, und das ent— ſpricht der Aufgabe der Hintergliedmaßen, die Triebkraft für die Bewegung zu liefern. Beim Menſchen freilich, wo den Hintergliedmaßen außer der Fortbewegung auch das Tragen der ganzen Körperlaſt zufällt, ſind ſie ſäulenförmig ſteil, und ebenſo nähern ſie ſich dieſer Stellung bei den großen Vögeln wie Stelz- und Laufvögeln. Für die Rieſenlaſt des Elefantenkörpers ſind nicht nur die Vordergliedmaßen, ſondern auch die hinteren ſehr ſteil gebaut, unter Verzicht auf geſteigerte Geſchwindigkeit der Bewegung. Faſt allgemein iſt bei den Säugern die Hintergliedmaße ſchwerer als die vordere, vor allem iſt ihre Muskelverſorgung reicher. Beim Menſchen iſt die Muskelmaſſe an Befeſtigung der Gliedmaßen am Rumpf. 215 ihnen noch einmal jo groß als an den Vordergliedmaßen: 56%, der geſamten Körper— muskulatur gehören zu jenen, nur 28%, zu dieſen. Entſprechend der Verwendung der hinteren Gliedmaße zum Vorwärtsſchieben, der vorderen zum Ziehen, überwiegen dort die Strecker, hier die Beuger; bei der Katze z. B. ſind an den Hintergliedmaßen die Streckmuskeln 1½ mal ſo ſchwer als die Beuger, an den vorderen dagegen weniger als als halb jo ſchwer; ähnlich iſt es bei einem Halbaffen (Lemur). Den Leiſtungen der beiden Gliedmaßenpaare entſpricht auch ihre Befeſtigung am Rumpf. Das Becken, der Aufhängeapparat der Hintergliedmaße, beſteht jederſeits aus drei engverbundenen Knochen, dem Sitzbein hinten (Ischium), dem Darmbein dorſal (Ileum) und dem Schambein ventral (Pubis); die beiden Beckenhälften ſind meiſt ventral verwachſen und dorſal mit der Wirbelſäule mehr oder weniger eng verbunden. Dieſe Verbindung iſt bei den Amphibien und Reptilien gelenkig, und es iſt nur ein Wirbel, der Kreuz- oder Sakralwirbel, der das Becken trägt. Wo dagegen der Hintergliedmaße die Hauptarbeit bei der Fortbewegung zufällt, iſt die Befeſtigung des Beckens an der Wirbelſäule ſtärker: bei den Säugern ſind mindeſtens zwei, meiſt aber mehr, bis zu ſechs Kreuzwirbel vorhanden, die untereinander verwachſen einen ſtarken Halt geben und mit dem Becken eng durch ſtraffe Bänder, zuweilen auch durch Verknöcherung verbunden ſind. Beſonders ſtark iſt die Befeſtigung des Beckens an der Wirbelſäule dort, wo die Hintergliedmaßen den Rumpf aufrecht tragen, wie bei den menſchenähnlichen Affen und beim Menſchen, auch bei den Bären, die bis zu ſechs Kreuzwirbel beſitzen, und beſonders überall bei den Vögeln. Dieſe letzteren haben ſtets zahlreiche Kreuzwirbel, die unter— einander und mit dem Becken feſt verwachſen ſind. Dadurch wird der Antrieb, der von der Hintergliedmaße ausgeht, unmittelbar auf die Wirbelſäule übertragen und jo dem ganzen Körper mitgeteilt. Der Aufhängeapparat der Vordergliedmaßen, der Schultergürtel, iſt im allgemeinen viel lockerer mit dem Skelett verbunden, und wo ein direkter Zuſammenhang vorhanden iſt, befindet er ſich nicht an der Wirbelſäule, ſondern auf der Ventralſeite des Körpers, am Bruſtbein, ſo daß erſt mittelbar, durch die Rippen, die Verbindung mit der Wirbel— ſäule hergeſtellt wird. Drei Skelettſtücke ſind es jederſeits, die in den Schultergürtel eingehen: dorſal das Schulterblatt (Skapula), ventral das Rabenbein (Coracoid) und weiter nach vorn das Schlüſſelbein (Clavicula); dieſe beiden können ſich mehr oder we— niger eng an das Bruſtbein anſchließen. Da, wo die drei Stücke zuſammenſtoßen, liegt die Gelenkpfanne für den Oberarm. Das Schulterblatt iſt ſtets vorhanden; das Raben— bein kann ſehr reduziert ſein, das Schlüſſelbein fehlt vielfach ganz. Bei Amphibien und Reptilien iſt die Arbeitsteilung zwiſchen den beiden Gliedmaßenpaaren noch nicht weit gediehen und die Vordergliedmaße nimmt an der Vorwärtsbewegung des Körpers weſent— lichen Anteil; hier hängen die beiden Hälften des Schultergürtels ſtets zuſammen: das gut ausgebildete Rabenbein ſetzt ſich jederſeits an das Bruſtbein an, bei den Froſchlurchen kommen auch noch Schlüſſelbeine dazu. Bei den Säugern dagegen iſt das Rabenbein, außer bei den Kloakentieren, zu einem kurzen Fortſatz des Schulterblatts umgebildet, und das Schlüſſelbein fehlt in vielen Fällen. Es iſt dort vorhanden, wo die Vorderglied— maßen eine ausgiebigere Bewegungsfähigkeit behalten haben, bei den Beutlern, Inſekten— freſſern, Fledermäuſen, den meiſten Nagern, den mit den Vordergliedmaßen kletternden und greifenden Katzen und Primaten. Wo aber deren Bewegungsrichtung auf ein ein— faches Pendeln beſchränkt iſt, wie bei vielen Raubtieren und den Huftieren, fehlt das Schlüſſelbein und die beiden Hälften des Schultergürtels ſind geſondert und nur durch 216 „Lauf.“ Krallenbildungen. Muskeln und Bänder mit dem Rumpf verbunden. Dieſer ruht bei den Säugern in dem vorderen Trageapparat wie in einer Hängematte; die große Elaſtizität, die dadurch er— langt wird, iſt beſonders dort von hoher Wichtigkeit, wo bei Springern die Vorderbeine, die zuerſt den Boden berühren, den Stoß der ganzen Körperlaſt auffangen müſſen; denn wegen der geringen Winkelung ihrer Gelenke ſind die Vordergliedmaßen an ſich weniger elaſtiſch als die hinteren. Bei den Vögeln ſind ſowohl Rabenbein als Schlüſſelbein ſehr kräftig; die Rabenbeine ſetzen an das ſtarke Bruſtbein an, die Schlüſſelbeine vereinigen ſich in der Mitte zu dem V-förmigen Gabelbein (Furcula), deſſen Spitze ſich auch durch Bänder mit dem Bruſtbein verbindet oder ganz mit ihm verwächſt; ſo wird der Schulter— gürtel zu einem feſten Gerüſt, das für die lebhaften Bewegungen der Flügel kräftige Stützen und Anſatzpunkte für die Flugmuskeln bietet. Die Gleichgewichtslage des Körpers iſt ſicherer, wenn die Gliedmaßen kürzer ſind, alſo der Schwerpunkt dem Boden näher iſt. Dagegen bieten lange Gliedmaßen den Vor— teil des größeren Schrittes und der großen Hebelarme für ausgiebige Muskelwirkung. Die langen Hebel werden zunächſt von Ober- und Unterarm bzw. von Ober- und Unter— ſchenkel gebildet. Durch Aufrichtung von Mittelhand und Mittelfuß jedoch, die urſprüng— lich mit ihrer ganzen Länge dem Boden aufgeſetzt wurden, wird bei vielen Säugern und bei den Vögeln ein dritter langer Hebel gewonnen: er iſt von mäßiger Länge bei den Halbſohlengängern, wie Katzen und Hunden, verlängert ſich aber durch weitere Aufrichtung bei den Zehengängern; der Hebel gewinnt an Länge auf Koſten der Breite, unter Re— duktion ſeitlicher Finger und Zehen und der zugehörigen Mittelhand- und Mittelfuß— knochen und ſchließlich entſteht ein einheitlicher langer Knochen, der an Feſtigkeit den Arm- und Schenkelknochen gleichkommt: jo finden wir es bei allen Vögeln, jo unter den Säugern bei manchen Springern, wie der Springmaus, ſo vor allem bei den meiſten Huftieren. Im Stammbaum der Pferde (vgl. oben S. 72 und Abb. 38) kann man die eben angedeutete Entwicklung vom Sohlengänger zum Einhufer tatſächlich verfolgen. Der ſo entſtehende „Lauf“ kommt morphologiſch verſchieden zuſtande: bei den Vögeln entſteht er durch Verwachſung von vier Mittelfußknochen und der zweiten Reihe der Fußwurzel— knochen und trägt vier Zehen — bei dem aufrechten Gang auf zwei Füßen iſt eine breite Stützfläche für den Körper notwendig. Bei den Einhufern iſt der mittlere (dritte) Mittel— hand- und -fußknochen zum Lauf geworden und in ſeiner Verlängerung Mittelfinger und ⸗Zehe aufgerichtet; Hand- und Fußwurzel bleiben geſondert beſtehen. Bei den Paarhufern ſind es der dritte und vierte Mittelhand- bzw. Mittelfußknochen, die zum Lauf ver— ſchmelzen. So hat die gleiche Funktion auch eine Umbildung nach derſelben Richtung zur Folge gehabt und auf verſchiedenen Wegen dasſelbe Ergebnis herbeigeführt. Den ſtark in Anſpruch genommenen Endgliedern der Finger und Zehen wird von den Reptilien an aufwärts dadurch eine beſondere Feſtigkeit verliehen, daß ſie an ihrer Spitze einen tütenförmigen hornigen Überzug, die Kralle, tragen. Das erleichtert ihnen gleichzeitig das Anſtemmen gegen die Unebenheiten des Bodens. Wie alle Hornbildungen ſind die Krallen ein Umwandlungsprodukt der Epidermis. Die Kralle iſt verſchieden gebildet je nach der Art, wie die Gliedmaße aufgeſetzt wird, und nach dem Untergrund, auf dem das Tier ſich bewegt. Bei allen Sohlen- und Halbſohlengängern ſind die Krallen in ihrer urſprünglichen Form beſtehen geblieben; nur iſt ihre Länge und Schärfe hier und da geſteigert, wenn ſie als Hilfswerkzeuge zum Graben oder Klettern benutzt werden. Nur bei den Affen iſt der Sohlenteil der Kralle bis auf ein kurzes vorderes Stück zurück— gebildet, ſo daß die Ballen der Endglieder an Fingern und Zehen freier ihre Funktion Gang, Lauf, Sprung bei Wirbeltieren. 217 als Taſtwerkzeuge ausüben können: die Kralle iſt zum Nagel geworden. Bei den baum— lebenden Vögeln ſind die Krallen der Zehen gebogen und helfen beim Umklammern der Aſte, bei den bodenbewohnenden Arten ſind ſie geſtreckt. Diejenigen Säuger, die auf den Endgliedern der aufgerichteten Finger und Zehen gehen, bei denen alſo die auf den Boden aufgeſetzte Fläche möglichſt verkleinert iſt, beſitzen einen beſonders ſtarken Horn— ſchutz: die Kralle iſt zum Hornſchuh des Hufes geworden. Aber auch beim Huf iſt nicht die ganze aufgeſetzte Spitze des Fingers oder der Zehe mit Horn bekleidet; es bleibt ein weicherer Ballenteil, und dieſer iſt bei den Zweihufern, wo ſich die Laſt auf die doppelte Zahl der Hufe verteilt, und wo entſprechend der kleineren Berührungsfläche eine geringere Anpaſſung an die Unterlage erforderlich iſt, größer als bei den Einhufern. Dadurch, daß die Hornplatte des Hufes, die das Zehenendglied oben und ſeitlich bekleidet, härter iſt als das „Sohlenhorn“, nutzt ſich die dem Boden aufgeſetzte Fläche ungleich ab, und es gibt eine unebene, ſicherer eingreifende Sohlenfläche mit etwas vorſpringendem Rand. Ganz fehlen die Krallen an den Rudern der Walfiſche. Am Vogelflügel ſind ſie vielfach rückgebildet; doch beſtehen bei gar nicht wenigen Vögeln (vielen Tagraubvögeln, Hühnern, Sumpf- und Schwimmvögeln) am Daumen Reſte der Krallen, und bei einigen Formen, wie beim Strauß, Kaſuar und den Wehrvögeln Südamerikas (Chauna und Palamedea) iſt nicht nur die Daumenkralle ſehr groß, ſondern auch noch am zweiten Finger eine kräftige Kralle vorhanden. Der Gang beſteht, auch bei den auf hohen Gliedmaßen daherſchreitenden Wirbel— tieren, in abwechſelndem Vorſetzen der Gliedmaßen, wobei gewöhnlich die einander dia— gonal gegenüberſtehenden gleichzeitig oder nahezu gleichzeitig arbeiten. Das Vorſetzen bedeutet für die betreffende Gliedmaße ein Ausruhen, da die Bewegung z. T. wenigſtens eine einfache Pendelbewegung iſt; die eigentliche Arbeit wird mit dem Strecken der ge— beugt vorgeſetzten Hintergliedmaße geleiſtet. Der Lauf iſt im allgemeinen nur eine Beſchleunigung der zeitlichen Aufeinanderfolge der Einzelbewegungen, die entſprechend ſchneller fördert; ein Pferd, das im Schritt etwa 2 m in der Sekunde macht, legt im Trab 3 m zurück. Anders jedoch der Sprung. Hier arbeiten die beiden Hinterglied— maßen gleichzeitig mit großem Kraftaufwand und ſtoßen den Körper nach vorn; er iſt die energiſchſte Vorwärtsbewegung der Vierfüßler, wobei oft auch noch andere Muskeln als die der Gliedmaßen in Mitleidenſchaft gezogen werden. Springen können Vierfüßler, bei denen die Hintergliedmaßen lang und kräftig genug ſind, den ganzen Körper vorwärts zu ſchleudern. So kann die Feldmaus (Mierotus arvalis Selys) gar nicht ſpringen, dagegen vermag dies unſere Hausmaus (Mus musculus L.) und noch beſſer die Waldmaus (Mus silvaticus L.); man kann an ihren Spuren im Schnee Sprünge bis zu einem halben Meter Länge feſtſtellen. Die Waldmaus hat auch von den dreien die längſten Hinterglied— maßen: bei etwa gleicher Rumpflänge der drei Arten (50 mm) meſſen die Hinterbeine der Waldmaus 58 mm, die der Hausmaus 50 mm, die der Feldmaus 43 mm. Wahr— ſcheinlich unterſtützt die Waldmaus ihre Sprünge mit dem Schwanz, deſſen Abdrücke man regelmäßig bei den Sprungſpuren im Schnee findet. Dies iſt für die Ratte beobachtet: ſie ſtützt zum Sprung das letzte Drittel oder Viertel des Schwanzes auf den Boden und beugt ihn ſo, daß er eine Kurve mit faſt nach hinten offenem Winkel bildet; wenn ſie ſich dann mit den Hintergliedmaßen abſtößt, kontrahiert ſie gleichzeitig die Strecker des Schwanzes, der damit den Stoß der Beine vermehrt. Auch bei den Katzen müſſen noch andere Muskeln die Wirkung der Gliedmaßenſtrecker vermehren, um die Sprungbewegung ausgiebiger zu machen; die geſamte Wirbelſäule nimmt an der Bewegung teil: die Katze 218 Sprung der Wirbeltiere. kauert ſich zuſammen, beugt den Rücken und zieht Hals und Gliedmaßen an und legt den Schwanz an den Körper; dann plötzlich treten mit den Streckern der Beine auch die kräftigen Rückenſtrecker in Tätigkeit, die an den langen Dorn- und Querfortſätzen aus— gezeichnete Anſatzvunkte haben. Im Sprung iſt das Tier lang ausgeſtreckt, mit vor— geſtreckten Vordergliedmaßen und ausgeſtrecktem Schwanz. Der Löwe, deſſen Sprung— weite meiſt überſchätzt wird, ſpringt 4, höchſtens 5 m weit, der Tiger nicht weiter als 5 m. Die Wirkung dieſer allgemeinen Streckung iſt wie bei einer gebogenen Rute, die an einem Ende angeſtemmt und plötzlich losgelaſſen, davon ſchnellt. Eine Folge von Sprüngen iſt auch der Galopp des Pferdes; zwar überwiegt hier beim Abſtoßen die eine Hintergliedmaße, die der anderen zeitlich etwas voran abſpringt; beim Renngalopp aber wirken beide Hinterbeine faſt gleichzeitig; der gewöhnliche Galopp fördert in der Sekunde um 5—9 m, der Renngalopp um 12— 14 m, bei hervorragenden Rennern noch mehr. Die ausgezeichnetſten Springer ſind jene Vierfüßler, bei denen die Hintergliedmaßen eine ganz außerordentliche Entwicklung erfahren haben auf Koſten der Vordergliedmaßen, die nur wenig oder gar nicht mehr zur Fortbewegung gebraucht werden. Eine Mittel— ſtellung nehmen Formen wie die Haſen ein; den ausgeprägteſten Typus der Springer aber zeigen Tiere wie Froſch, Känguruh, Springmaus, Springrüßler und ähnliche. Beim Froſch iſt das Becken mit dem Kreuzwirbel gelenkig verbunden (Abb. 89), und das Steiß— bein, das die Verlängerung der Wirbelſäule über den Kreuzwirbel hinaus bildet, ſteht beim ruhig ſitzenden Froſch unter einem Winkel über das langgeſtreckte Becken hinaus; die Kraft des Abſprungs wird noch dadurch erhöht, daß die Muskeln, die von der ganzen Länge des Steißbeins entſpringend zum Darmbein des Beckens gehen, ſich zuſammen— ziehen und zur allgemeinen Streckung beitragen. Der amerikaniſche Ochſenfroſch (Rana mugiens Merr.) kann Sprünge von 2 m Länge machen, die ſo ſchnell aufeinander folgen, daß ihn der laufende Menſch nicht einholen kann, und vermag eine Hecke von 1½ m Höhe zu überſpringen. Bei Springmaus und Känguruh ſind die Dorn- und Querfortſätze der Lendenwirbel verbreitert und bieten maſſige Anſatzpunkte für die Beinſtrecker. Eine Springmaus (Dipus aegyptius H. E.), die von der Schnauzenſpitze bis zur Schwanzwurzel 130 mm mißt, hat Hintergliedmaßen von 162 mm Länge und kann Sprünge von 2,5 m Länge machen. Verfolgte Rieſenkänguruhs (Macropus giganteus Shaw.) ſpringen 6—10 m in einem Satz. Bei beiden hilft der Schwanz den Sprung verſtärken, bei der Springmaus ähnlich wie bei den Ratten; ein Känguruh, dem der Schwanz angeſchoſſen iſt, ſoll leichter gefangen werden können. Bei manchen Vögeln können wir bei der Bewegung am Boden ein Hüpfen beob— achten: ſo beim Sperling oder der Amſel; aber es fördert hier nicht in dem Maße wie bei ſpringenden Säugern; die ſchnellſten Vögel, wie Trappe oder Strauß, bewegen ſich ſchreitend. Es iſt leicht feſtzuſtellen, daß die Länge der Sprünge im Vergleich zur Körperlänge mit zunehmender Größe der Tiere abnimmt. Wenn man ein Tier, unter Beibehaltung ſeiner Proportionen, vergrößert denkt, ſo vermehrt ſich ſeine Maſſe proportional dem Kubus des Längenausmaßes, die Kraft der einzelnen Muskeln aber, die dem Querſchnitt derſelben entſpricht, wächſt nur proportional dem Quadrate der Längendimenſion; nimmt alſo die Länge auf das Doppelte zu, ſo ſtänden zur Beförderung der achtmal ſo großen Maſſe nur viermal ſo ſtarke Muskeln zur Verfügung. Es kann alſo nicht überraſchen, wenn der Sprung des Flohs das 200fache ſeiner Länge ausmacht, der der Heuſchrecke das 30 fache, der Springmaus vielleicht das 15fache, des Ochſenfroſchs das 10 fache, des Klettern. 219 Känguruhs das 5fache; oder wenn wir ſchlechtere Springer untereinander vergleichen, ſpringt die Waldmaus das S fache, das Mauswieſel das 6fache, der Fuchs das 4,3 fache, der Tiger und Löwe etwa das Zfache ihrer Körperlänge, von der Schnauzenſpitze bis zur Schwanzwurzel gemeſſen. Als Klettern dürfen wir nur jene Bewegungen auf feſter Unterlage bezeichnen, wo der unterſtützende Halt nicht in der Richtung der Schwerkraft unter dem Tiere liegt; alſo der „kletternde“ Steinbock und der kraxelnde Bergſteiger gehören in dieſem Sinne nicht zu den Kletterern, wohl aber der Marder und der Specht. Klettertiere fin— den ſich in allen Ordnungen der Vier— füßler. Unter den Amphibien ſind es die Laubfröſche, auch klettern manche Schwanzlurche, z. B. Spelerpes fuscus Bp. (Abb. 139), nicht ungeſchickt. Bei den Reptiliengibteszahl— reiche Kletterer, die mit großer Geſchick— lichkeit an Bäumen, an ſteilen Wänden u. dgl. hinaufeilen, wie die Mauereidechſe (Lacerta muralis Laur.), oder gar wie die Geckonen mit dem Rücken nach unten i N RR an wagrechten Flä⸗ Abb. 139. Spelerpes fuscus Bp., ein ſüdeuropaiſcher Molch. chen laufen. Sehr groß iſt ihre Zahl unter den Vögeln, und in der Reihe der Säuger gibt es nur ganz wenige Ordnungen (Huftiere, Waltiere, Sirenen), die keine kletternden Vertreter auf— zuweiſen haben. Die Mittel, die ein Klettern ermöglichen, ſind ſehr verſchieden. Im einfachſten Falle ſind es ſtark ausgebildete ſpitze Krallen, die ein Anheften und Vorwärtsbewegen an ſteilen rauhen Flächen möglich machen, ſo bei der Mauereidechſe, dem Kleiber oder dem Eich— horn und Marder (Abb. 140). Die Katzen ſind nur gelegentlich Kletterer und bewegen ſich daneben viel auf dem Boden; daher wird das Krallenglied gewöhnlich durch ein 220 Klettern. ſtarkes elaſtiſches Band in erhobener Lage gehalten, ſo daß die Kralle beim Laufen den Boden nicht berührt und ihre Schärfe nicht abgenutzt wird (Abb. 141); nur zum Klettern, oder wenn ſie als Waffe gebraucht werden ſollen, werden ſie durch den Streckmuskel des Endgliedes vorgezogen, um nach Erſchlaffung des Muskels wieder zurück— zuſchnellen. Auch bei ein paar Gecko— nidenformen (Aeluronyx und Aeluro- saurus) ſind die Krallen in eine Scheide zurückziehbar. Bei den Vögeln iſt der Fuß zum Umfaſſen von Zweigen ſo ein— gerichtet, daß von den vier Zehen drei nach vorn und eine nach hinten gerichtet iſt; ganz beſonders feſt iſt der Griff dann, wenn die Verteilung der Zehen nach vorn und hinten gleichmäßig iſt, d. h. wenn entweder die äußere Vorder— zehe nach hinten gedreht werden kann wie beim Kuckuck und bei den Eulen, oder wenn gar zwei Zehen beſtändig nach hinten gerichtet ſind, wie bei Papa— geien und Spechten. Ein Fuß mit ſolcher Einrichtung, der zum Gehen auf dem Boden weniger geeignet iſt, wird als Kletterfuß bezeichnet; er iſt jedoch u nicht allen kletternden Vögeln eigen und chen o Eee de sung bl Yen Klettern. 221 gibt auch denen, die ihn beſitzen, nicht ohne weiteres die Fähigkeit zum Klettern in dem Sinne, wie wir es oben begrenzt haben. Von dem Schreiten und Hüpfen im Gezweig gibt es manche Übergänge zum Klettern; das Auf- und Abſchlüpfen an den ſenkrechten Rohrſtengeln, wie wir es bei den Rohrſängern (Acrocephalus) ſehen, muß als Klettern gelten. Für ein Klettern aber an Wänden und Flächen ſind auch hier ſtarke und ſpitze Krallen, die in die Unebenheiten der Unterlage eingeſchlagen werden können, und kräftige Zehen die Grundbedingung; ſie ermöglichen es z. B. dem Kleiber (Sitta), an ſenkrechten Baumſtämmen hinauf- und herabzulaufen. Beim Baumläufer (Certhia) und den Spechten (Abb. 142) kommt dazu noch als ſtarke Stütze der Schwanz, ſo daß der Körper an drei Punkten geſtützt iſt; die Schwanzfedern dieſer Tiere haben dicke Schäfte von hoher Elaſtizität, die an dem kräftig ausgebildeten Pygoſtyl (vgl. oben S. 146) einen feſten Rückhalt haben. Wie ſehr der Schwanz beim Klettern mitwirkt, läßt ſich auch daraus entnehmen, daß beim Schwarzſpecht die zwei mittleren Schwanz⸗ federn unmittelbar vor der Mauſer, alſo am Ende einer zwölfmona— tigen Abnutzungszeit, faſt um ein Drittel kürzer ſind als gleich nach vollendeter Mauſer. Die Papageien ziehen ſich im Gezweig nicht ſelten mit Hilfe ihres Schnabels in die Höhe, und der Pinguin be— Abb. 141. Skelett einer Katzenzehe, mit zurückgezogener (A) dient ſich des Schnabels und vorgeſtreckter (3) Kralle. 1 2 1 elaſtiſches Band, das das Krallenglied zurückzieht, in 5 durch den Zug des Streckmuskels Beim Crifettern des gedehnt Ra A 9 ff ’ Ufers (vgl. Tafel 1). Die beſondere Stellung der Zehen, wie wir fie bei den Vögeln finden, und die ein Umgreifen von Zweigen geſtattet, kommt auch vielen Vierfüßlern zu, die im Geäſt und Zweiggewirr der Büſche und Bäume klettern. Bei den Chamäleons ſind die Finger und Zehen in je zwei einander gegenüberſtehende Gruppen geteilt. Unter den Säugern iſt die Gegenſtellung (Oppoſition) der Finger und Zehen bei vielen Formen aus verſchiedenen Ordnungen zu beobachten, ſo bei vielen Beuteltieren, bei Chiromeles unter den Fleder— mäuſen, bei den Nagern Lophiomys und Pithecheir und bei vielen Primaten, wenn nicht dieſe Zehe bei ihnen rudimentär iſt. Stets iſt es der erſte (innere) Finger und die erſte Zehe, die den übrigen gegenübergeſtellt werden; nur bei dem Beutelbär (Phas- eolaretus) iſt an den Vordergliedmaßen außer dem Daumen noch der zweite Finger den drei übrigen entgegengeſtellt. Dabei iſt der Ausdruck, daß der Fuß damit zur Hand geworden ſei, durchaus abzuweiſen; denn die Anordnung und Form der Skeletteile und Muskeln an der greifenden Hintergliedmaße iſt trotz der Veränderung in der Einlenkung der Zehe die eines typiſchen Säugerfußes geblieben. Beim Klettern der Vierfüßler kommt die ziehende Tätigkeit der vorderen Gliedmaßen mehr zur Geltung als beim Gehen, ja die beſten Kletterer unter den Affen haben Arme, die an Länge und Stärke die Beine 222 Klettern. übertreffen; bei Schimpanſe, Gorilla, Gibbon und Orang ſind fie 1,1, 1,17, 131 und 1,4 mal jo lang wie dieſe. Beſonders bei den Gibbons wird die Ausbildung der Arme in einer Weiſe zur Fortbewegung ausgenutzt, wie wir es von keinem anderen Tiere kennen: zu dem Schwingen von Aſt zu Aſt. Durch die Tätig— keit des einen Armes und des Rumpfes wird der am andern Arme hängende Leib in Pendelſchwingungen ver— ſetzt, bis der Schwung das Tier eine Strecke weit durch die Luft trägt; der andre ausgeſtreckte Arm greift nach einem Zweig, und der Schwung wird gleich benutzt, das Manöver zu wiederholen. Sie können ſo mit einem Schwung Strecken von 12— 14m durchſauſen. Daß bei manchen amerikaniſchen Baumſäugern das Ende des Schwanzes zu einem Greiforgan umgebildet iſt und zur Unterſtützung des Kletterns dient, wurde ſchon erwähnt (S. 147). Verſchiedene Ab— ſtufungen ſolcher Umbildung ſehen wir bei neuweltlichen Affen nebeneinander vorkommen: während bei den Kapuzineraffen (Cebus) das Schwanzende noch ringsum behaart iſt und ſich nur durch Verbreiterung der Wirbel zum Greifen angepaßt zeigt, iſt es bei den Brüllaffen (Mycetes), Wollaffen (Lago— thrix) und Klammeraffen (Ateles) auf der Unterſeite nackt und dient zugleich, dank ſeinem Reichtum an Nervenendi— gungen, als wichtiges Taſtorgan; be— ſonders bei den Klammeraffen ſtellt ſich der Schwanz geradezu als einfingrige Hand dar. Die ſonderbarſten Klettervorrichtungen ſind diejenigen, die ein Haften an glatten Flächen geſtatten. Wir ſehen Fliegen und Abb. 142. Kletternder Schwarzſpecht : eo en Dryocopus martius I). Bienen an den Fenſterſcheiben, den Laub— Haftvorrichtungen bei Gliederfüßlern und Wirbeltieren. 223 froſch an der Wand ſeines Glaſes, den Gecko an der Zimmerdecke ſich bewegen. Was hält ſie dort feſt? Bei den Bienen ſteht zwiſchen den Krallen am letzten Fußglied ein häutiger Haftlappen, der Pulvillus (Abb. 143); wenn nun eine Oberfläche zu glatt iſt, als daß die Krallen dort einen Halt finden könnten, ſo klappen ſie ein und werden unter den Fuß gezogen, und zugleich ändert dieſer ſeine Lage und heftet den Pulvillus an die Unter— lage an; dieſer klebt durch Adhäſion, die durch ein feuchtes Sekret erhöht wird. Ahn— liche Haftlappen finden ſich bei den Zweiflüglern und Wanzen in der Zweizahl an jedem Fuß. In anderen Fällen ſind es die Sohlenflächen der Tarſalglieder, die angeheftet werden: bei den Heuſchrecken z. B. ſind ſie nackt und von weicher Beſchaffenheit, bei vielen Käfern aber ſind ſie mit zahlreichen Härchen bürſtenartig beſetzt. Das Sekret, das zur Erhöhung der Adhäſion abgeſchieden wird, kann unmöglich klebrig ſein und die Tiere geradezu feſtleimen; denn ſonſt müßte ja eine Fliege, die eine ganze Nacht hindurch auf der gleichen Stelle an einem Spiegel ſitzt, am Morgen dort feſtgeklebt ſein. Für größere Tiere reichen natürlich ſo kleine Haftvorrichtungen, wie ſie die Inſekten haben, nicht aus. Beim Gecko ſtehen auf der Sohle der verbreiterten Finger und Zehen birnförmige Haftſcheiben, die aus querverlau— fenden, je nach den Gattungen in einer oder zwei Reihen parallel ange- 1. ordneten Haut— läppchen be— ſtehen. Dieſe Läppchen ſind 2 auf der Unter⸗ Abb. 143. Endglied des Fußes der Honigbiene von unten (4) und die Haltung feiner 5 2 R Anhänge bei Bewegung an glatter (B) und an rauher (C) Unterlage. ſeite mit einem 1 Kralle, 2 Pulvillus. Nach Cheſhire— dichten Polſter feinſter Börſtchen beſetzt und können allen Unebenheiten der Unterlage genau angedrückt werden durch Vermittlung eines Schwellapparats, der ſich in Geſtalt von einer oder mehreren Blutkammern zwiſchen Zehenſkelett und -ſohle einſchiebt. Früher wurde meiſt angenommen, daß es durch anfängliches Anpreſſen und darauf folgendes Aufrichten der Plättchen zur Verdünnung der Luft zwiſchen ihnen kommt, daß alſo eine Art Saug— wirkung ſtattfinde; doch die Anſicht wird dadurch widerlegt, daß eine einzige, mit zehn Gramm belaſtete Haftzehe, die an Schreibpapier angedrückt iſt, auch im luftverdünnten Raume nicht abfällt. Drüſen zum Anfeuchten der Haftlappen fehlen hier ſicher. Die Vermutung, daß durch elektriſche Kräfte eine Anziehung zwiſchen Zehen und Unterlage erzeugt werde, iſt vielleicht nicht ganz abzuweiſen; doch fehlt noch jeder experimentelle Nachweis dafür. Auch beim Haften des Laubfroſches handelt es ſich nicht um ein Feſthalten der verbreiterten Zehenballen infolge von Luftdruck. Vielmehr wirkt einfach die Adhäſion, die noch durch das Sekret der Ballendrüſen vermehrt wird; der Haftballen wird dabei nicht einfach der Unterlage angedrückt, ſondern daran ein wenig vorbeigezogen. Auch der Bauch und die Kehle adhärieren an der Unterlage, der ſie ſich eng anſchmiegen, und 224 Allgemeines über den Flug. unterjtügen jo die Zehen; beim Anſpringen fungieren aber zunächſt nur dieſe. In ähn— licher Weiſe, durch Anhaften ſeiner feuchten Unterſeite an der Unterlage, klettert auch der Molch Spelerpes (Abb. 139), und unſere Waſſermolche vermögen auf ſolche Weile aus Aquariengläſern mit ſenkrechten Wänden zu entkommen. Ein Feſthalten an glatten Flächen wird auch von einem primitiven Verwandten der Huftiere, dem Klippſchiefer (Hyrax) berichtet. „Hat man einen geſchoſſen und will ihn packen, ſo haftet er mit ſeinen Füßen im Todeskampf am glatten Fels, als ſei er an— gewachſen“. Die elaſtiſchen Sohlen des Tieres tragen mehrere, durch tiefe Spalten ge— trennte ſchwielige Polſter, die bei großer Weichheit ſich eng an das Geſtein anlegen können; auf ihnen münden ſehr zahlreiche Schweißdrüſen, die fünfzehnmal dichter ſtehen als auf der Handfläche des Menſchen. So wird alſo auch hier wohl das Haften durch das Sekret befördert. — Manche Affenformen, wie Inuus und Cexcopithecus, vermögen ſteile und glatte Flächen zu erklimmen und können z. B. an ſteilſtehenden Brettern hinauf— laufen. Ob die Haftballen ihrer Sohlen ebenſo wirken wie beim Klippſchiefer, bedarf noch der genaueren Unterſuchung. 7) Der Flug. Für die Bewegung in freier Luft, den Flug, kommen dieſelben Nachteile und Vor— teile wie für die Bewegung im Waſſer in Betracht, nur jedes in verſtärktem Maße. Dasſelbe Medium dient durch ſeinen Widerſtand dem fliegenden Körper als Stütze für die Fortbewegung und hemmt ſeine Bewegungen; nur iſt hier die Hemmung ſehr gering, andrerſeits aber die Stütze, die ſich den Bewegungsorganen in der Luft bietet, in eben dem Maße vermindert. Die Schwierigkeiten der Bewegung in der Luft ſind aber durch die wunderbaren Anpaſſungen in der Körperausſtattung der Flugtiere über— wunden, und ſo iſt der Flug zur vollendetſten Form der Ortsbewegung geworden: die höchſten Geſchwindigkeiten, die lebende Weſen erreichen können, erlangen ſie im Flug — es iſt nicht zu viel geſagt, daß der Mauerſegler mit dem Sturmwind um die Wette die Luft durcheilt — und bei dem ununterbrochenen Zuſammenhange des Luftmeers bietet ſich dieſer Fortbewegung kein Hindernis, wie es für die Waſſertiere das Land, für die Landtiere das Waſſer bedingt. Überdies wird durch die Anpaffung an den Flug nur ſelten die Bewegung auf feſtem Boden, oft auch nicht die auf dem Waſſer, ja zuweilen nicht einmal die im Waſſer unmöglich gemacht. So bietet die Bewegung in der Luft überaus günſtige Exiſtenzbedingungen, und es iſt kein Wunder, daß zwei von den drei Tiergruppen, bei denen das Flugvermögen faſt allgemein iſt, eine ſo ungemeine Entwick— lung und Artenmannigfaltigkeit aufweiſen: die Zahl der lebenden Inſektenarten wird auf 280000, die der Vogelarten auf 13000 geſchätzt, und rechnen wir davon 30—40000 Arten ab, bei denen das Flugvermögen wieder verkümmert iſt, ſo bleiben etwa 260000 Arten lebender Tiere, die 600 Fledermausarten eingerechnet, welche fliegen können; das iſt, wenn nach der gleichen annähernden Schätzung die Geſamtzahl der lebenden Tier— arten 420000 beträgt, mehr als 60%. Ja, da für die Ausübung eines dauernden Fluges die Waſſerbewohner, wie Cölenteraten, Stachelhäuter, Würmer, Krebſe, Fiſche und auch die trägen Mollusken nicht in Betracht kommen, können wir ſagen, daß Dreiviertel aller Landtiere Flugfähigkeit beſitzen. Nicht ein eigentlicher Flug iſt die Bewegung der fliegenden Fiſche durch die Luft. Beſonders in den tropiſchen Meeren gibt es eine reiche Menge dieſer Tiere; ſie gehören den Gattungen Exocoetus (Abb. 122, S. 195) und Dactylopterus an, die einander ver— „Flug“ der fliegenden Fiſche. 225 wandtſchaftlich ferne ſtehen, und es kann kein Zweifel ſein, daß ſie ihr Schwebvermögen unabhängig voneinander erworben haben. Durch ſtarke Ruderbewegung des Schwanzes erreicht der Fiſch, im Waſſer ſchräg noch oben ſchwimmend und ſo gleichſam einen An— lauf nehmend, eine große Beſchleunigung. Wenn er dann über die Oberfläche heraus— ſchießt, ſo iſt plötzlich der Widerſtand, der ſeiner Fortbewegung entgegenſteht, ganz er— heblich verringert, und der Fiſch durcheilt die Luft mit größter Geſchwindigkeit: auf dieſe Weiſe kann er nicht nur augenblicklich ſeinen Verfolgern entgehen, ſondern ihnen auch einen nicht unbeträchtlichen Vorſprung abgewinnen. Dieſen „Flug“ oder beſſer Sprung durch die Luft zu verlängern, dienen bei beiden Gattungen die außerordentlich vergrößerten Bruſtfloſſen. Beim Anſturm durch das Waſſer liegen ſie zuſammengefaltet der Körper— ſeite an und werden in dem Augenblick ausgebreitet, wo der Fiſch das Waſſer verläßt. Hier dienen ſie nur als Fallſchirme und helfen durch Vermehrung der Unterfläche den Fiſch in der Luft tragen. Die heftig vibrierenden Bewegungen, die man zuweilen an den Bruſtfloſſen bemerkt, ſind keine aktiven Flugbewegungen, ſondern entſtehen durch den ſtarken, beim Sprung entſtehenden Gegenwind. Die Floſſenmuskulatur würde für ſolche Bewegungen viel zu ſchwach ſein. Dagegen kommen vielleicht langſame aktive Bewegungen der Floſſen vor, wodurch eine Veränderung der Flugrichtung oder auch, wenn der Vorder— rand der Floſſen etwas erhoben und dem Gegenwind die Unterſeite geboten wird, eine geringe Erhebung der Flugbahn unter Verkürzung ihrer Länge erreicht wird. Wenn der Fiſch ſich beim Dahinſchwirren über einen entgegenkommenden Wellenkamm erhebt, ſo geſchieht das nicht durch Eigenbewegung, ſondern die über die Kämme hinwegſtreichenden Luftſchwaden erreichen den Fiſch ſchneller als die Wellen und heben ihn über die ſeinem „Fluge“ gefährliche Stelle hinweg. Wenn der Fiſch während des Fluges das Waſſer mit dem Schwanz berührt, kann er ſich durch Ruderbewegungen mit demſelben einen neuen Anſtoß geben. Auf dieſe Weiſe können die Fiſche bis zu 18 Sekunden in der Luft ſchweben und dabei bis 120 m und mehr durcheilen. Mit dem Wind iſt ihre Ge— ſchwindigkeit größer als gegen den Wind; ja kleine Formen werden durch Gegenwind wieder in das Waſſer zurückgeworfen. Das wirkliche Fliegen in der Luft kann nie in der Weiſe geſchehen, wie vielfach das Schweben im Waſſer, oder wie die Luftreiſen, die der Menſch mit ſeinen Luftſchiffen zu machen imſtande iſt: durch Verringerung des ſpezifiſchen Gewichts. Wenn der Fiſch durch die Luft in ſeiner Schwimmblaſe leichter wird als Waſſer, ſo kann doch das Inſekt durch Aufnahme von Luft in ſeine Tracheenblaſen (vgl. unter Atmung) oder der Vogel durch Füllung ſeiner Luftſäcke ſein Übergewicht gegenüber der Luft nicht vermindern. Ein Körper verliert in einem Medium ſo viel von ſeinem abſoluten Gewicht, das er im luftleeren Raume hat, als das Gewicht der verdrängten Maſſe jenes Mediums beträgt. Wenn alſo ein Tier ſein Volumen durch Aufnahme einer gewiſſen Luftmenge vergrößert, ſo verdrängt es um die gleiche Menge mehr Luft als zuvor; aber ſein abſolutes Gewicht nimmt auch um das Gewicht dieſer mehr verdrängten Luftmenge zu: ſein Übergewicht bleibt unverändert. Im Vogelkörper erwärmt ſich zwar die aufgenommene Luft und dehnt ſich dabei aus; aber die geringe damit erreichte Erleichterung hat man für einen Vogel von 1 kg Gewicht auf 0,1 g berechnet; fie wird durch wenige Nahrungsbrocken, die der Vogel aufnimmt, wett gemacht. So muß alſo der Körper des Fliegers durchaus durch die Kraft ſeiner Flugorgane getragen werden. Dieſe ſind ſtets ſo gebaut, daß ſie durch ſchnelle Bewegungen in der Luft einen Widerſtand erzeugen, der ſie und mit ihnen den Körper zugleich hebt und Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 1155 226 Wirkung des Flügelſchlags. vorwärts treibt. Die Mittel dazu ſind große Flugflächen, die, am Körper des Fliegers eingelenkt, ſich von oben nach unten bewegen. Der vordere Rand dieſer Flächen iſt ver— ſteift, bei den Inſekten durch eine ſtärkere Randader, bei den Vögeln und Fledermäuſen durch das Knochengerüſt der zum Flügel umgewandelten Vordergliedmaßen. Beim Herunterſchlagen gibt der elaſtiſche hintere Teil der Flugfläche dem Luftwiderſtande nach und ſtellt ſich ſchräg nach oben: der Widerſtand der Luft wirkt ſenkrecht gegen dieſe ſchräge Fläche und treibt ſo nach oben und vorwärts. Gerade alſo auf dieſer Einrichtung beruht die Triebkraft des Flügelſchlags. Wenn man an dem Flügel einer Libelle durch Auf— ſtreichen von Gummi arabikum den Hinterrand verſteift, ſo daß er dem Vorderrande an Stärke gleichkommt, wird das Tier unfähig zu fliegen; trägt man die gleiche Maſſe Gummi auf den Vorderrand auf, ſo iſt die Flugfähigkeit nicht beeinträchtigt, ein Zeichen, daß es nicht die Mehrbelaſtung iſt, was hindernd wirkt. An dem in ausgeſpanntem Zuſtande getrockneten Flügel eines größeren Vogels, etwa eines Buſſards, kann man ſich von der vorwärts treibenden Kraft mit Leichtigkeit überzeugen: zielt man mit einem ſolchen Flügel, der in der Stellung wie beim fliegenden Vogel durch die Luft geſchlagen wird, etwa nach einer Tiſchecke, ſo wird er ſtets durch den Luftwiderſtand in der Rich— tung ſeiner ſtarren Vorderkante an dem Ziel vorbeigedrängt. Die nach oben drückende, hebende Komponente des Luftwiderſtands wirkt der Schwere des Körpers entgegen: wenn ſie ſie einfach überwindet, ſo geht der Flug geradeaus, wenn ſie ſie übertrifft, ſteigt er an. Die horizontale Komponente findet in dem Luftwiderſtand, der der Vorwärtsbewegung entgegenſteht, nur eine geringe Gegenwirkung: ſie treibt alſo den Flieger nach vorn. Aus dem geſchilderten Bau der Flugflächen ergibt es ſich ohne weiteres, daß ein Rückwärts— flug unmöglich iſt. Die Flugorgane ſind ſtets vor und über dem Schwerpunkte des Körpers eingelenkt; beim Fluge erſcheint der Körper an den durch den Luftwiderſtand geſtützten Flügeln aufgehängt und befindet ſich ſo im ſtabilen Gleichgewicht: er wird von den Flügeln durch die Luft geſchleift. Die Wirkung des Flügelſchlages hängt von der Größe des Luftwiderſtandes ab, und dieſer wird bedingt durch die Größe der Flügelfläche und durch die Geſchwindigkeit, mit der ſie durch die Luft geführt wird. Der Luftwiderſtand würde der Größe der Flügel— fläche proportional ſein, alſo z. B. doppelt ſo groß bei doppelter Fläche, wenn dieſe bei der ganzen Bewegung horizontal geſtellt bliebe, alſo alle ihre Punkte gleiche Geſchwindig— keit hätten. In Wirklichkeit aber bewegt ſich ja der Flügel um ein Gelenk, das an ſeinem einen Ende liegt, und die von dieſem entfernteſten Teile haben die größte, die ihm nächſten die geringſte Geſchwindigkeit. Daher kommt es, daß von zwei Flügeln mit gleichem Flächeninhalt, von denen der eine kürzer und breiter, der andere länger und ſchmäler iſt, bei gleichem Ausſchlagswinkel und gleicher Schlagdauer der längere eine größere Wir— kung erzielt als der kürzere. Die beſten Flieger in allen drei fliegenden Tiergruppen haben daher lange ſchmale Flügel, ſo unter den Inſekten die Libellen und die Schwärmer, unter den Vögeln Mauerſegler, Schwalben und Falken, und unter unſeren Fledermäuſen die frühfliegende Vesperugo noctula Keys.-Bl. Die Geſchwindigkeit, mit der der Flügel durch die Luft geführt wird, iſt von höchſtem Einfluß auf die Größe des Luftwiderſtandes; denn dieſer wächſt mit dem Quadrate der Geſchwindigkeit, iſt alſo bei doppelter Geſchwindigkeit viermal, bei dreifacher neunmal ſo groß als bei einfacher. Deshalb finden gerade die Enden der Flügel den größten Wider— ſtand; ſo ſind denn die äußerſten Schwungfedern für einen Vogel am wichtigſten: die 4 oder 5 erſten Schwingen für ſich allein können für den Flug einer Taube genügen; Größe der Flugfläche. 227 aber ihre Wegnahme macht ihr das Fliegen mit dem Reſt des Flügels unmöglich. Was an Flugfläche fehlt, kann durch Geſchwindigkeit des Flügelſchlags teilweiſe ausgeglichen werden. Inſekten mit verkürzten Flügeln, Vögel mit beſchnittenen Schwingen müſſen die Zahl ihrer Flügelſchläge und damit die Geſchwindigkeit der Flügelbewegung ſteigern, um fliegen zu können. Weil bei großen Tieren eine im Verhältnis gleichgroße Flügelfläche, wegen ihrer abſolut größeren Länge und daher größeren Geſchwindigkeit, eine viel be— deutendere Wirkung üben würde als bei kleinen, ſo iſt es erklärlich, daß kleine Tiere eine im Verhältnis zu ihrer Maſſe viel größere Flügelfläche haben als große. Bei einer Fliege (Tabanus infuscatus Lw.) von 0,16 g Gewicht kommen auf 1 g 11000 qmm Flügelfläche, bei einer großen Libelle (Aeschna cyanea Müll.) von 0,92 g ebenſo etwa 2500 qmm, beim Liguſterſchwärmer (Sphinx ligustri L.) von 1,92 g entſprechend etwa 1000 qmm, bei der Rauchſchwalbe von 20 g 675 qmm, beim Mauerſegler von 33 g 425 qmm, beim Turmfalken von etwa 260 g 260 qmm und beim Seeadler von 5000 g entſprechend 160 qmm. Aber dieſe relative Vergrößerung der Flügelfläche bei kleinen Fliegern genügt nicht; ſie müſſen zugleich auch viel zahlreichere Flügelſchläge in der Se— kunde ausführen als die größeren, um ſich ſchwebend zu erhalten. Bei gleichgroßen Tieren iſt natürlich die Flugleiſtung je nach Größe und Form der Flügel und nach der Aus— bildung der Flugmuskulatur, oder was gleichbedeutend iſt, der Häufigkeit und Ausſchlags— weite der Flügelſchläge wiederum verſchieden. Die Silbermöwe, eine Meiſterin des Fluges, hat 230 qmm, der gleichſchwere Faſan, der ſehr ungeſchickt fliegt, dagegen nur 88 amm Flügelfläche auf 1 4 Körpergewicht. Wie für die Bewegung von Ruderfloſſen, etwa der Ruderfloſſe eines Schwimmvogels, im Waſſer, ſo gilt es auch für die Bewegung des Flügels in der Luft, daß die Aufwärts— bewegung, das Heben des Flügels, anders geſchehen muß als das Senken; ſonſt würde der Flügelfläche durch den Widerſtand der Luft beim Heben dieſelbe Beſchleunigung nach unten erteilt werden wie beim Senken nach oben. Es muß alſo der Flügel beim Hub ſo durch die Luft geführt werden, daß der Widerſtand, dem er begegnet, möglichſt gering iſt. Dieſer Aufgabe dienen Einrichtungen, die bei jeder der drei Gruppen von Fliegern wieder anders ſind, und wir werden das im folgenden in jedem Falle beſonders zu erörtern haben. o) Die Entwicklung des Flugvermögens. Die fliegenden Tiere müſſen wir, vom Standpunkte der Abſtammungslehre, natur— gemäß von ungeflügelten Formen ableiten. Die primär flügelloſen Inſekten, die in der Gruppe der Apterygota zuſammengefaßt werden, erweiſen ſich durch gar manche Punkte ihres Körperbaues als urſprünglichſte Formen der Klaſſe, und ihnen ſchließen ſich in mancher Hinſicht die Geradflügler an, ſo daß wir ſie von ähnlichen Formen ableiten dürfen. Ebenſo ſind die Vögel mit den Reptilien ſo nahe verwandt, daß man ſie mit ihnen als Sauropſiden zuſammengefaßt hat, ja daß man vielleicht ſogar verſucht ſein könnte, ſie in dieſe formenreichſte Wirbeltierklaſſe direkt mit einzubegreifen. In der Archaeopteryx haben wir eine Form, in der Kennzeichen beider Klaſſen vereinigt ſind (vgl. oben S. 74). Die Fledermaäuſe vollends müſſen wir von vierfüßigen Säugern ab— leiten. Wie können wir uns nun eine allmähliche Entſtehung der Flügel und des Flug— vermögens bei dieſen Tieren vorſtellen? Was die Inſekten angeht, ſo läßt ſich ſehr wenig Sicheres über den Urſprung der Flügel ſagen. Sie ſind nicht wie bei den Wirbeltieren umgebildete Gliedmaßen. Sie ſitzen urſprünglich in je einem Paar an der Rückenſeite des mittleren und hinteren Bruſt— 15* 228 Herkunft der Inſektenflügel. Abb. 144. Fliegendes Eichhorn, Sciuropterus volucella Pall. ſegments und find flache Platten, die aus zwei miteinander verklebten Chitin— häuten beſtehen und durch die ſtärker chitiniſierten, mit Blutbahnen, Luft— röhren und Nerven verſehenen „Adern“ geſtützt werden. Wo nur ein Paar vorkommt, wie bei den Fliegen oder den ſchmarotzenden Strepſipteren (Sty- lops), da iſt das andere Paar zurück— gebildet, bei den Fliegen das hintere, bei Stylops das vordere. Lubbock glaubte, daß die abgeplatteten, beweglichen Tracheenkiemen, die ſich am Abdomen mancher Eintagsfliegen— larven finden, den Flügeln weſensgleich ſeien, daß mit anderen Worten die Flügel als Tafel V. Fliegender Drache (Draco fimbriatus Kuhl). Männchen „fliegend“, Weibchen ſitzend. — gr eſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. Fallſchirme bei Wirbeltieren. 229 Umbildungen von Tracheenkiemen der Bruſtſegmente aufzufaſſen ſeien. Dieſe Anſicht ſtößt auf mancherlei Schwierigkeiten. Einmal ſind wir nicht berechtigt, die geflügelten Inſekten von Vorfahren mit waſſerbewohnenden Larvenformen, denen ja allein Tracheenkiemen zukommen können, abzuleiten; dann aber bilden ſich die Tracheenkiemen bei den Eintags— fliegen aus den Embryonalanlagen abdominaler Beine, und es müßten alſo gleichwertige Tracheenkiemen der Bruſtſegmente den Beinen anſitzen. Eher erſcheint die Hypotheſe wahrſcheinlich, daß ſich die Inſektenflügel bei ſpringenden Inſekten aus ſelbſtändigen Ver— breiterungen und Verlängerungen der Rückenſchilder von Mittel- und Hinterbruſt durch Abgliederung ausbildeten, und daß ſie anfangs nichts anderes waren als fallſchirmartige Einrichtungen, die zur Verlängerung der Sprünge dienten, ähnlich wie auch jetzt noch bei vielen Grasheuſchrecken die Flügel nur beim Sprung gebraucht werden. Ganz anders bei den Wirbeltieren! Hier ſind die Flugorgane nicht völlige Neu— erwerbungen, ſondern Umbildungen ſchon vorhandener Organe, und zwar ſtets der vorderen Gliedmaßen. Ihre ſkelettliche Grundlage beſitzt in aller Deutlichkeit die Knochen des Wirbeltierarmes; deren Verwendung aber für das Zuſtandekommen der Flugfläche iſt verſchieden, je nachdem wir eine der ausgeſtorbenen geflügelten Echſen aus der Jura— und Kreidezeit oder einen Vogel oder eine Fledermaus vor uns haben (Abb. 29 S. 62). Bei den Flugſauriern iſt ein Finger, der fünfte, in erſtaunlicher Weiſe verlängert und dient dazu, eine ſeitliche Hautfalte des Rumpfes und Armes als Flugfläche auszuſpannen; der 2.—4. Finger bleiben kurz und tragen kräftige Krallen. Die Fledermäuſe haben eine ähnliche Flughaut; aber fie wird durch vier Finger, den 2.—5., in Spannung geſetzt und erſtreckt ſich bis zur Hintergliedmaße, ja kann auch noch den Schwanz umgeben; der ſtark bekrallte Daumen bleibt kurz. Bei den Vögeln endlich ſind die drei noch vor— handenen Finger nicht beſonders verlängert; die Knochen der Hand ſind teilweiſe ver— wachſen und tragen, zuſammen mit dem Unterarm, die Schwungfedern, von denen die Flügelfläche gebildet wird. Die Umwandlung der Vordergliedmaßen zu einem Flügel konnte nicht mit einem Schlage vor ſich gehen; es müſſen allmähliche Übergänge vorhanden geweſen ſein. Wir kennen nun zwar kein Wirbeltier mit der Vorſtufe eines Flügels, das wir als direkten Vorfahren einer der drei fliegenden Gruppen auffaſſen dürften. Wohl aber haben wir bei zahlreichen anderen Wirbeltieren unvollkommenere Flugeinrichtungen, Fallſchirme, die dazu geeignet ſind, einen Sprung zu verlängern, wie etwa die großen Bruſtfloſſen der fliegenden Fiſche. Alle luftlebenden Wirbeltiere, die ſolche Einrichtungen beſitzen, ſind Klettertiere, und ebenſo ihre nächſten Verwandten: ſo der „fliegende“ Froſch der Sunda— inſeln (Rhacophorus reinwardtii Boie), ein Verwandter der Laubfröſche, die Flugdrachen (Draco) (Tafel 5) und der fliegende Gecko (Ptychozoon) und unter den Säugetieren die Flug— beutler (z. B. Petaurus), die Flughörnchen (Pteromys, Sciuropterus u. a., Abb. 144), die Flugbilche (Anomalurus) und der Flattermaki (Galeopithecus). Die Vergrößerung der Unterfläche, die als Fallſchirm wirkt, wird beim Froſch durch Hautfalten zwiſchen den langen Zehen und beim Flugdrachen durch eine ſeitliche, durch die langen Rippen aus— geſpannte Hautfalte des Rumpfes gebildet; bei den Säugern ſind es überall ſeitliche Falten am Rumpfe, die durch Spreizen der Gliedmaßen geſpannt werden. Den Fall— ſchirm gebrauchen dieſe Tiere, wenn ſie von hohen Bäumen herab ſchräg nach unten ſpringen. Die kleinen Drachen mit ihrem etwa 10—15 em langen Rumpf können auf dieſe Weiſe Sprünge von 6—8 m machen; der Flattermaki kann bis 65 m weit ſpringen, wobei er auf 5 m nur um I m ſinkt. 230 Flügelbewegung der Inſekten. Ahnlich mögen die kletternden Vorfahren der Flugſaurier und Fledermäuſe ihre Flughäute zum Schweben benutzt haben, während die Vogelahnen die verbreiterten Vorder— gliedmaßen ſelbſt als Fallſchirme brauchten. Bei allen drei Gruppen laſſen ſich jeden— falls noch Anzeichen von ehemaliger großer Kletterfähigkeit nachweiſen, die es wahr— ſcheinlich machen, daß ſie von Baumtieren abſtammen. Bei Fledermäuſen beſteht die Bewegung, wenn ſie nicht fliegen, im Klettern; an Baumrinden und Felswänden bewegen ſie ſich recht geſchickt, auf dem Boden dagegen ſind ſie ſchwerfällig. Für die Kletter— fähigkeit der Flugſaurier ſprechen die ſtarken Krallen der Finger und Zehen. Bei den Vögeln iſt die Gegenſtellung der erſten Zehe gegen die drei anderen und die Sperr— vorrichtung, die den Klammergriff der Zehen fixiert (vgl. oben S. 166), jo weit verbreitet, daß man ſie als Erbſchaft von dem gemeinſchaftlichen Ahnen anſehen kann; es ſind das aber Einrichtungen, die nur für ein baumbewohnendes Tier von Bedeutung ſind. Der Urvogel Archaeopteryx hat noch an drei Fingern des Flügels auffallend kräftige Krallen, die zum Klettern gedient haben mögen, wie ja auch jetzt noch die Jungen eines braſilia— niſchen Hühnervogels, Opisthocomus hoazin Müll., die ſpäter verſchwindenden Fingerkrallen ausgiebig zum Klettern benutzen. Der lange, zweizeilig befiederte Schwanz der Archae- opteryx diente wohl auch zur Vergrößerung der Unterfläche beim Schweben, ebenſo wie der breitbehaarte Schwanz des Eichhörnchens; bei dieſem verzögert der Schwanz das Sinken und verlängert den Sprung; Eichhörnchen, die des Schwanzes beraubt ſind, vermögen nicht halb ſo weit zu ſpringen. Wenn bei den echten Fliegern, beſonders bei den Vögeln, die Kletterorgane ſehr zur Rückbildung neigen, ſo kann das unbeſchadet der Bewegungsfähigkeit des Tieres geſchehen, da die hochausgebildeten Flügel den vollkommenſten Erſatz bieten. 8) Der Flug der Inſekten. Über die Vorgänge beim Flug der Inſekten haben eine Anzahl Unterſuchungen, beſonders diejenigen von Marey, Klarheit geſchafft. Hält man ein Inſekt, etwa eine Weſpe oder Fliege, feſt, ſo daß es ſeine Flügel ſchwirrend bewegt, ſo beſchreiben die Flügelſpitzen eine Figur von der Form einer 8; beim Senken ſchiebt ſich die Flügel— ſpitze nach vorn, unten wird ſie nach hinten gezogen, um ſich beim Hub wieder nach vorn zu bewegen, worauf oben wieder eine Verſchiebung nach hinten erfolgt. Marey machte dieſen Weg deutlich ſichtbar, indem er die Flügelſpitze einer Weſpe vergoldete und das Tier im hellen Sonnenſchein vor dunklem Hintergrund ſchwirren ließ. Bei der Vorwärtsbewegung des Inſektes muß ſich dieſe Figur in eine Zickzacklinie mit kleinen Schleifen an den Wendepunkten auflöſen. Der Inſektenflügel behält ſeine Länge und Breite bei der Bewegung, er wird nicht zuſammengefaltet oder durch Einbiegung verkürzt, wie wir das beim Flügel der Vögel und Fledermäuſe kennen lernen werden. Der Wider— ſtand, der dem Heben entgegenſteht, wird dadurch möglichſt vermindert, daß der Flügel vom Tier aktiv in die Lage eingeſtellt wird, die ihm der Luftwiderſtand zu geben ſtrebt. Beim Senken jedoch muß ein möglichſt großer Widerſtand erſtrebt werden, um den Schlag wirkſam zu machen. Die Zahl der Flügelſchläge iſt bei den Inſekten ſehr groß. Ein Weißling (Pieris) macht 9, eine Libelle 28, ein Taubenſchwänzchen (Macroglossa) 72, eine Biene 190 und eine Stubenfliege 330 Schläge in der Sekunde; die Zahl der Schläge mehrt ſich alſo mit Abnahme der Flügelfläche. Indem man an der bewegten Flügelſpitze ein berußtes Papier in beſtimmter Geſchwindigkeit vorbeizieht, bekommt man eine Anzahl von An— ſchlägen, an denen durch die vorbeiſtreichende Flügelſpitze der Ruß entfernt iſt; zählt Zahl der Flügelſchläge. Faltung der Flügel. 231 man dieſe auf einer Strecke, die in einer Sekunde beſchrieben wurde, ſo kann man daraus die Zahl der Flügelſchläge entnehmen. Bei den ſo ſchnell ſchlagenden Inſekten wie Fliegen und Bienen ſind die Luftſchwingungen, die durch die Schläge hervorgebracht werden, ſo zahlreich, daß ſie für uns als Ton wahrnehmbar ſind; wenn man dieſen in ſeiner Höhe genau beſtimmt, ſo muß die Zahl der Flügelſchläge der bekannten Schwin— gungszahl des Tones gleich ſein. Die Ergebniſſe dieſer Unterſuchungsweiſe wurden mit denen der anderen übereinſtimmend gefunden; ſomit iſt es ſicher, daß jene erſtaunliche Zahl von Flügelſchlägen wirklich gemacht wird. Wie ungeheuer die Leiſtung iſt, das wird uns recht deutlich, wenn wir uns bemühen, den Finger möglichſt oft hin und her zu bewegen; über 10 Bewegungen in einer Sekunde kommen wir kaum hinaus! Bei den Fliegen erklärt ſich die überaus hohe Zahl der Flügelſchläge damit, daß die Flugfläche infolge der Rückbildung des hinteren Flügelpaares beſonders klein iſt. Bei den Käfern iſt zwar ebenfalls nur ein Flügelpaar in Tätigkeit, denn die zu Flügel— decken umgewandelten Vorderflügel machen keine Flugbewegungen; hier iſt aber der Erſatz nicht durch Vermehrung der Schwingungszahl, ſondern durch Vergrößerung der Fläche der Hinterflügel erreicht: dieſe haben eine ſolche Länge bekommen, daß ſie unter den Flügeldecken keinen Platz finden, wenn ſie nicht gefaltet werden. Die Faltung beſteht in der Hauptſache in einer queren Einknickung des äußerſten Flügelendes, neben der auch leichte Längsfaltungen einhergehen. Das Zuſammenfalten und Entfalten geſchieht auto— matiſch zugleich mit dem Zurücklegen und Ausſpannen der Flügel, wovon man ſich an einem friſch getöteten Käfer überzeugen kann. Beim Zurücklegen wird die Vorderrand— ader (Koſtalader) der ihr parallelen folgenden Ader (Diskoidalader) genähert; der zwiſchen ihnen gelegene Teil der Flügelmembran faltet ſich nach unten, und zugleich klappt die Flügelſpitze nach unten um. Umgekehrt wird beim Ausſpannen die Flügelmembran zwiſchen Koſtal- und Diskoidalader geſpannt und damit zugleich das Aufklappen der Flügelſpitze bewirkt. Die Flügeldecken werden bei den meiſten Käfern im Fluge aus— geſtreckt gehalten und dienen ſowohl zur Vermehrung der Unterfläche als auch zur Er— höhung der Stabilität des Käfers beim Flug, zum Balancieren. Nur die Roſenkäfer (Cetonia) halten nach Entfaltung der Flugflügel die Flügeldecken über dem Hinterleib geſchloſſen; dieſe haben am Vorderende ihres Seitenrandes einen Ausſchnitt, der eine ungehinderte Bewegung der Flugflügel geſtattet. Längsfaltungen der Flügel in der Ruhelage kommen häufig vor: ſo der Vorderflügel bei den Weſpen, der Hinterflügel bei Heuſchrecken u. a.; Längs- und Querfaltungen ſind mehrfach kombiniert bei den Hinter— flügeln der Ohrwürmer (Forfieula), die in der Ruhe unter den kleinen Flügeldecken geborgen liegen. Die Bewegung der Flügel geſchieht nur bei den Libellen durch Muskeln, die an den Flügeln ſelbſt angreifen. Bei den meiſten anderen Inſekten wird ſie indirekt hervor— gebracht; die Bewegungsmuskeln verändern hier die Form des zweiten und dritten Bruſt— ſegmentes: ein längs verlaufender Muskel ſteigert die Wölbung derſelben, ein ihm ent— gegenwirkendes, vom Rücken zur Bauchſeite verlaufendes Muskelpaar zieht die Rückenfläche wieder herab (Abb. 145). Da nun die Flügel an der Grenze der Rücken- und Seiten— platten mit dieſen beiden verbunden ſind, werden ſie dabei geſenkt und gehoben. Kleinere Muskeln, die an der Baſis der Flügel angreifen, dienen dann dazu, den Flügeln während dieſer Hauptbewegung eine beſtimmte Richtung zu geben, ſie bei ihrer höchſten und tiefſten Stellung von vorn nach hinten zu ziehen und ſie beim Heben mit der Fläche in die Bewegungsrichtung einzuſtellen. Bei den Immen (Hymenopteren) mit bedeutend kleineren 232 Flügelbewegung. Einfluß der Flügel auf die Bruſtringe. Hinterflügeln ſind jene Hauptbewegungsmuskeln nur im mittleren Bruſtſegment vorhanden; die Hinterflügel ſind durch zahlreiche Häkchen an ihrem Vorderrande mit den vorderen BR e e eee N — N) — e Se Abb. 145. Schematiſcher Querſchnitt durch das zweite Bruſtſegment einer Ameiſe zur Er⸗ läuterung der Flügelbewegung. Die dorſoventralen Muskeln 1 flachen die dorſale Wölbung der Bruſt ab (4), die Längsmuskeln 2 erhöhen unter Bei— hilfe der ſchrägen Muskeln 3 die Wölbung (40. Dabei wird die Baſalplatte, der der Flügel aufſitzt, mitbewegt, ſo daß bei abgeflachter Rückenwölbung (4) der Flügel er— hoben (5), bei geſteigerter Wölbung (3) der Flügel geſenkt wird (5). Die feineren Richtungsänderungen des Flügels werden durch die kleinen an ſeine Baſis anſetzenden Muskeln 3 eng verbunden und werden bei ihrer Bewegung mitgeriſſen. Wo die Flügel indirekt durch Form— veränderung der Bruſtſegmente be— wegt werden, geſchieht die Be— wegung ſtets gleichzeitig und im gleichen Sinne. Dagegen kommt es dort, wo jeder Flügel ſeine eigene Muskulatur hat, vor, daß Vorder— und Hinterflügel ſich unabhängig vonein— ander bewegen, daß z. B. die Hinterflügel die Senkung gerade beendet haben, wenn die Vorderflügel damit beginnen; das gibt dem Flug mancher kleinen Libellen (Agrion) ſein eigenartiges Gepräge (Abb. 146). Die Größen- und Feſtigkeitsverhält— niſſe der beiden hinteren Bruſtringe werden weſentlich durch die Ausbildung der Flügel bedingt; denn ſie bilden den Urſprungspunkt für die Flugmuskeln und umſchließen dieſe, ſo daß deren Größe auf ſie zurückwirken muß (Abb. 147). So iſt bei den Libellen (A) mit gleich großen Vorder- und Hinterflügeln der zweite und dritte Bruſtring etwa gleich gut ausgebildet; bei Fliegen (B) dagegen überwiegt der zweite Bruſtring, der die bewirkt. der Fall iſt. Nach Janet, verändert. Flugflügel trägt, den dritten bei weitem, während bei den Käfern (C) das Umgekehrte Bei den flügelloſen Arbeiterinnen der Ameiſen fällt die ſchwache Ent— wicklung der beiden hinteren Bruſtringe im Gegenſatz zu ihrer guten Ausbildung bei Abb. 146. Schlankjungfer (Agrion). Flugbild einer Die Vorderflügel geſenkt, die Hinterflügel erhoben. Nach einer Momentaufnahme v. Lucien Bull. den geflügelten Geſchlechtstieren auf, und dasſelbe beobachtet man an ungeflügelten Schmetterlingsweibchen im Vergleich mit ihren geflügelten Verwandten, z. B. in manchen Spannergattungen. Ganz beſonders lehrreich aber ſind die Verhältniſſe bei manchen Blattläuſen: bei Aphis padi L. bekommen vivipare Weibchen einer Generation Flügel, während daneben andere der gleichen Gene— ration ungeflügelt bleiben (Abb. 148). „Bei dieſen Formen ſieht man, wie der Bruſtabſchnitt während des Wachstums der In— dividuen ſich verändert: bei den ungeflügelt bleibenden wird mit jeder Häutung der Bruſtabſchnitt kleiner, der Hinterleib größer; bei denen, die Flügel bekommen, wird der Bruſtabſchnitt größer, der Hinterleib bleibt im Wachstum verhältnismäßig zurück.“ — Natürlich hat daneben auch die Ausbildung der Beine einen Einfluß auf die Geſtal— tung der Bruſtringe: wo z. B. die Vorderbeine zu Grab- oder Raubbeinen ausgebildet Richtung des Inſektenflugs. 233 find, wird der vordere Bruſtring beſonders groß, wie bei der Maulwurfsgrille (Gryllo— talpa) und Gottesanbeterin (Mantis); im übrigen hat bei Geradflüglern und Käfern der Erle e ee eee r bedeutende Größe, ohne daß dafür beſonders augenfällige Gründe zu erkennen wären, während er bei anderen Gruppen, z. B. Libellen und Fliegen, unbedeutend bleibt. Anderungen in der Richtung des Fluges können die Libellen, bei denen alle Flugmuskeln unmittelbar an die Flügel anſetzen, durch Modi— fikationen des Flügelſchlags bewirken; daneben nimmt wahrſcheinlich der bewegliche Hinterleib an der Steue— rung teil, indem durch ſeine Lage— veränderungen der Schwerpunkt ver— legt wird. Die letzte Art, den Flug zu lenken, handhaben viele andre Inſekten, z. B. Hymenopteren und Schmetterlinge. Bei den Käfern je— doch, deren Hinterleib wenig beweg— lich iſt, geſchieht die Verlegung des Schwerpunktes und damit die An— derung der Flugrichtung durch Be— wegung der Flügeldecken; werden dieſe weggeſchnitten, ſo kann der Käfer ſeinen Flug nicht mehr richten. Bei den Zweiflüglern ſcheinen die Schwingkölbchen, die Reſte der Hinter— flügel, bei der Richtung des Fluges eine Rolle zu ſpielen; doch iſt nicht feſtgeſtellt, ob ſie unmittelbar, durch eigne Bewegungen, oder nur mittelbar, als Organe des Gleichgewichtſinns, den Flug beeinfluſſen. Die ſteigende oder fallende Richtung des Flugs hängt von der Schwingungsebene der Flügel ab; % F e e e ee... ee nähert, je mehr alſo die Körperachſe Abb. 147. Größen verhältnis der drei Bruſtringe bei einer ä Libelle (Aeschna) (A), einer Diptere (Sicus) (B) und einem ſenkrecht ſteht, um jo mehr ſteigt das o a f R DR .Die Mittelbruſt ift punktiert, Vorder- und Hinterbruſt find einfach getönt, Inſekt in die Höhe; je mehr dagegen die die Baſis des Hinterleibs ſchwach getönt. Die Anſätze der Beine ſind ſchräg 1 1 : : ſchraffiert, in B ebenſo die Anſätze der Flügel und Schwingkölbchen. Flügel in der Vertikalebene ſchwingen, B nach Streiff, 0 teilweiſe nach Strauß Dürckheim. um ſo mehr geht der Flug geradeaus. Die Flugleiſtungen der Inſekten ſind ungemein verſchieden. Manche Heuſchrecken wie der Warzenbeißer (Decticus) oder die Schnarrheuſchrecke (Psophus) können ſich ſelb— 234 Flugleiſtungen der Inſekten. ſtändig, mit alleiniger Hilfe der Flügel, gar nicht in die Luft erheben; ſie bewirken durch ihre Flugbewegung nur eine bedeutende Verlängerung und Erhebung ihrer Sprünge. Der unſichere, kurzdauernde Flug mancher Eintagsfliegen, das taumelnde Schweben der meiſten Tagfalter fördern nur mit ſehr mäßiger Geſchwindigkeit. Andere Formen da— gegen ſind ſehr ſchnelle und ausdauernde Flieger. Die Wanderheuſchrecken vermögen Hunderte von Kilometern weit zu fliegen und kamen z. B. bei mäßigem Winde auf Schiffe, die ſich über 300 km vom Lande entfernt befanden; die Libellen (Libellula quadrimaculata L. u. a.) machen zuweilen weite Wanderungen, und der Oleanderſchwärmer (Sphinx nerii L.), der nördlich der Alpen nicht zum Ausſchlüpfen kommt, iſt ſchon bei Riga gefangen worden, muß alſo eine Strecke von mehr als 1200 km durchflogen haben. Über die Geſchwindigkeit des Inſektenflugs haben wir nur ganz wenige genaue Unterſuchungen; meiſt ſind es nur Schätzungen, bei denen auf wichtige Momente, wie befördernden oder hemmen— den Wind, keine Rückſicht ge— nommen iſt. Standfuß be— obachtete, daß Männchen des Abendpfauenauges (Smerinthus ocellata L.) zu den in 2040 m Entfernung ausgeſetzten Weibchen in nicht ganz 6 Minuten ge— langten; das bedeutet eine Ge— ſchwindigkeit von 6 m in der Sekunde, was auch durch einen anderen Verſuch beſtätigt wurde. Die Geſchwindigkeit der Stuben— fliege ſoll zwiſchen 1,5 und 1,7 m in der Sekunde betragen. Die Libellen flogen nach Hagen bei Abb. 148. Verwandlung bei einer Blattlaus (Aphis padi L.) einer Wanderung mit der Ge⸗ zu ungeflügelten (4) und geflügelten (5) Geſchlechtstieren. Nach Kratz. ſchwindigkeit eines kurzen Pferde⸗ trabs, alſo nur etwa 3,5 m in der Sekunde. Gewöhnlich fliegen ſie jedenfalls viel ſchneller: nach einer Beobachtung von Leeuwenhoek jagte eine Schwalbe in einem langen Gange einer Libelle nach, ohne ſie erhaſchen zu können; das würde, wenn wir bei ſo beſchränkter Flugbahn die Geſchwindigkeit der Schwalbe niedrig veranſchlagen, doch immerhin mindeſtens 15 m in der Sekunde bedeuten. Daß Stechfliegen mit ſchnell laufenden Pferden gleichen Schritt halten und ſie ſogar umfliegen können, weiſt auf immerhin Am und mehr Geſchwindigkeit in der Sekunde hin. Aus allem geht jedenfalls hervor, daß Inſekten ſehr bedeutende Geſchwindigkeiten erreichen können. So tüchtige Flieger wie die großen Libellen, die Schwärmer und viele Fliegen können im Fliegen auch unter beſchleunigtem Flügelſchlag an einer Stelle in der Luft ſtill ſtehen, wie die Raubvögel es beim Rütteln tun. Die größeren ſchnellfliegenden Inſekten mit breiten Flügeln vermögen auch nach erlangter größerer Geſchwindigkeit den Flügelſchlag einzuſtellen und einige Zeit von ihren Flügeln getragen dahinzuſchweben, wie Flügelform der Fledermäuſe. 235 z. B. die Segelfalter und die tropiſchen Ornithoptera- und Morpho-Arten unter den Tagſchmetterlingen; die ausgebreiteten Flügel wirken dabei wie Papierdrachen. 5) Der Flug der Fledermäuſe. Die Fledermäuſe haben eine Flughaut, die im Verhältnis zum Körper ſehrägroß iſt (Abb. 149); fie find darin mit den Tagfaltern unter den Schmetterlingen vergleichbar. Ihre Unterfläche wird häufig noch durch eine von den Beinen zum Schwanz geſpannte Haut vermehrt, und die ſtarke Entwicklung der Ohrmuſcheln bei manchen Formen dient wohl, außer zur Verfeinerung des Gehörs, auch mit zur Vergrößerung der Unterfläche. Als Urſprungsort der ſtarken Flugmuskulatur iſt der Bruſtkorb ſehr umfangreich, die Rippen Abb. 149. Gemeine Fledermaus (Vespertilio murinus Schreb.). flachgedrückt und engſtehend; auch der Schultergürtel iſt ſehr gut ausgebildet, was be— ſonders im Vergleich zu dem ſchwachen Beckengürtel auffällt. Beim Aufwärtsheben wird die Fläche der Flügel ziemlich ſtark zuſammengeklappt, das einzige Mittel, wodurch bei ſolcher Anordnung der Flughaut der Luftwiderſtand im Hub vermindert werden kann. Der Flug der Fledermäuſe iſt bei den einzelnen Gattungen und oft auch Arten ver— ſchieden und hängt mit der Form des Flugapparats auf engſte zuſammen. Die Flügel ſind bald geſtreckt und ſpitz, bald breit und ſtumpf (Abb. 150) und wir können dem— entſprechend Schmalflügler (A, Gattung Vesperugo) und Breitflügler (5, Gattungen Rhinolophus und Vespertilio) unterſcheiden. Wenn wir mit Blaſius die Länge des 3. Fingers (a) als Vielfaches des 5. (b), und die Länge des Flügelrandes zwiſchen 4. und 5. Finger (e) als Vielfaches des Randes zwiſchen 3. und 4. Finger (d) berechnen und dabei b = 10 und d—=1 ſetzen, jo laſſen ſich unſere heimiſchen Arten nach der 236 Unterſchiede im Flug der Fledermäuſe. Summe à ge in eine Reihe anordnen, die genau die Abſtufung ihrer Flugfähigkeit angibt. Für die frühfliegende Fledermaus (Vesperugo noctula Keys.-Bl.), unſeren beiten Flieger, iſt dieſe Summe 16 3 - 19; für unſre anderen Vesperugo-Arten ſchwankt ſie zwiſchen 17 und 15,4; dagegen hat der beſte Flieger unter den Breitflüglern, die Bartfledermaus (Vespertilio mystacinus Leisl.) den Index 14, 6, die anderen Vesper- tilio-Arten meiſt nur 14,2. Die Schmalflügler mit ihren langgeſtreckten derben Flughäuten, und beſonders die früh— fliegende Fledermaus (V. noctula Keys.-Bl.) fliegen ſchnell, in geſtreckter Bahn, mit ſcharfen, plötzlichen Wendungen; der Ausſchlag der Flügel iſt meiſt gering, und nur bei ſcharfen Wendungen wird er vergrößert; ſie können auch mehr oder weniger weite Strecken ohne — —Fhlügelſchlag dahinſ che fliegen hoch und ſcheuen auch vor Sturm und Regen nicht zurück. Die Breitflügler dagegen müſſen mit ihren zarten Flügeln weit ausholen und flattern mehr gemächlich; ihr Flug ſieht ungeſchickt ſchwankend aus, geht meiſt niedrig und ermüdet ſchnell, ſo daß ſie häufig ausruhen müſſen. Mit dem Steuern des Fluges dürfte die Flughaut zwiſchen Hintergliedmaßen 3 und Schwanz zu tun haben; ſie iſt bei den inſektenfreſſenden Fleder— mäuſen, die bei der Jagd ſcharfe Wendungen machen müſſen, gut ent— wickelt, fehlt aber den fruchtfreſſenden fliegenden Hunden. In der Ruhe hängen ſich die Fledermäuſe mit den e Krallen ihrer Hintergliedmaßen an einer breitflügligen Fledermaus (Ves- Felsvorſprüngen, Aſten, Dachſparren S . er aue (der U. dgl. auf und bekommen die zum 2. Finger liegt dem dritten dicht an). Nach Altum. | Abfliegen nötige Anfangsgeſchwindig— keit, indem ſie ſich mit ausgebreiteten Flügeln fallen laſſen. Ihre Bewegungen am Boden ſind ſehr ungeſchickt, da die Knie ihrer ſchwachen Hintergliedmaßen, wegen ihrer Haltung beim Ausſpannen der Flughaut, nach der Seite und etwas nach hinten gerichtet find. Sie ſuchen daher, wenn ſie auf den Boden gelangen, möglichſt einen erhabenen Gegenſtand zu erklettern, um ihre Flughäute gebrauchen zu können. Für die Geſchwindigkeit der Fledermäuſe ſind genaue Zahlen noch nicht ermittelt; jeden— falls iſt es übertrieben, wenn man den Flug von V. noctula Keys.-Bl. mit dem der Schwalben gleichſtellt. Die Flugleiſtungen aber, die ſie erreichen, ſind nicht unbedeutend. Für eine Anzahl unſerer Fledermäuſe iſt es feſtgeſtellt, daß ſie jährliche Wanderungen unternehmen, wenn auch von geringerer Ausdehnung als der Vogelzug. Von manchen fliegenden Hunden, z. B. Pteropus medius Temm. und Cynonycteris amplexicaudata E. Geoff, weiß man, daß ſie, trotz ihrer nicht beſonders hervorragenden Flugfertigkeit, lange Reiſen machen können; letztere fliegen in einer Nacht bis 90 km und ebenſoviel zurück, um zu ihrer Früchtenahrung zu gelangen. 5 Ruder- und Segelflug. 237 n) Der Vogelflug. Wenn wir den Flug die vollkommenſte aller Bewegungsarten genannt haben, ſo muß man dem Fluge der Vögel wiederum die Krone vor den anderen Arten des Fluges zuerkennen. An Schnelligkeit, an Ausdauer und an Eleganz übertrifft er den Flug der Inſekten wie der Fledermäuſe bei weitem, und die wunderbare Anpaſſungsfähigkeit der Flugapparate bei den Vögeln ermöglicht es, daß hier viel größere Laſten bewegt werden als bei den anderen Fliegern. Allerdings haben die mächtigen Flugeidechſen der Jura— und Kreidezeit noch weit größere Dimenſionen erreicht als unſere größten Vögel: der Kondor ſpannt 2,75 m bei einem Körpergewicht von 8½ kg; der bei Greenwood ge— fundene Pterodactylus dagegen hatte eine Spannweite von 9 m, und ſein Gewicht wird auf 116 kg geſchätzt — immerhin aber wiſſen wir nicht, wie weit ſeine Flugfähigkeit ging. Man muß zwei durchaus verſchiedene Arten des Vogel— flugs unterſcheiden: der eine geſchieht mit Hilfe der Flügel— ſchläge; der andre beſteht in einem Dahingleiten ohne Flügel— bewegung mit ausgebreiteten Flügeln. Jenen, den Ruderflug, können alle flugfähigen Vögel ausüben; die Flugarbeit wird hier durch die Muskulatur des Vogels geleiſtet, ſie iſt alſo von äußeren Momenten unabhängig. Dieſer, der Segelflug, iſt in ſeiner höchſten Vollendung, dem Kreiſen, nur einer geringeren Anzahl größerer Vögel möglich und kann auch von dieſen nicht zu jeder Zeit, ſondern nur bei bewegter Luft ausgeführt werden: das Kreiſen beſteht in der Ausnützung der lebendigen Kraft des Windes zum Tragen und zur Fortbewegung des Vogels; die Flugmuskeln müſſen nur die Flügel ausgeſpannt halten, im übrigen beſchränken ſich die aktiven Bewegungen auf Wendungen und Drehungen des Körpers, ſie ſind gleichſam nur ein Balancieren. Wir betrachten zuerſt den Ruderflug. = : 5 5 8 R Abb. 151. Ende des Oberarm Zum Verſtändnis der Vorgänge beim Flug iſt eine vom Pelikan. Der 1 Gelenkkopf für die Elle und E 2 für die Speiche. Kenntnis des Baues der Flugwerkzeuge unentbehrlich. Flügel iſt ein im Schultergelenk drehbarer einarmiger Hebel, an dem die Muskelkraft nahe beim Drehpunkt angreift. Er iſt, wie ſchon betont, durch Umbildung der vorderen Gliedmaßen entſtanden. Sein Knochengerüſt zeigt alſo die typiſchen Teile des Wirbeltierarms: den einfachen Oberarm, den aus der ſtärkeren Elle und der ſchwächeren Speiche zuſammengeſetzten Unterarm und die Hand mit Handwurzel, Mittelhand und Fingern. Die Knochen der Hand ſind im Vergleich mit denen der nahe verwandten Reptilien ſehr reduziert: die Handwurzel ſetzt ſich aus nur 2 Knochen zuſammen, damit gelenkt ein Knochenſtück, das aus drei Mittelhandknochen beſteht, wo— von der erſte ganz, die beiden anderen teilweiſe ihren Sonderbeſtand eingebüßt haben, und daran ſetzen ſich drei Finger an, der Daumen nahe am Handgelenk, die beiden anderen, durch Bänder verbunden, am Ende des Mittelhandſtückes. Sowohl das Ellenbogen— gelenk als auch die Gelenke der Hand ſind Scharniergelenke und geſtatten Bewegungen nur in einer Ebene, nämlich in der des ausgeſtreckten Flügels. Das Ellbogengelenk iſt durch die Abſchrägung des Gelenkkopfes für die Speiche am Oberarm (Abb. 151) ſo 238 Bau des Flügels. eingerichtet, daß bei Beugung des Flügels die etwas kürzere Speiche bis an das Ende der Elle reicht (Abb. 152), bei der Streckung dagegen nicht ſo weit: ſie wird zurück— gezogen und übt dabei einen Zug auf den mit ihr verbundenen Handwurzelknochen und ſomit die ganze Hand aus. Dadurch hat die Streckung des Ellbogengelenkes gleichzeitig eine wenigſtens teilweiſe Streckung der Hand zur Folge; die vollkommene Streckung der Hand wird dann durch beſondere Muskeln bewirkt. Das Schultergelenk dagegen über— trifft an Ausgiebigkeit der Bewegung alle übrigen Gelenke am Körper der Vögel, ja vielleicht aller Wirbeltiere überhaupt, und beſitzt zugleich eine beſondere Widerſtandsfähigkeit. Die l Geelenkgrube, die in der Hauptſache 5 I des Buſſords pom Rabenbein unter geringerer Be— en, See we ese, A. eber dee teiligung des Sıhulterblattes gebildet wird, iſt nicht wie ſonſt von hyalinem Knorpel überzogen, ſondern von Faſerknorpel mit elaſtiſchen Einlagerungen; infolgedeſſen vereinigt ſie eine geſteigerte Zähigkeit mit größter Elaſtizität. Die Gelenkhöhle iſt ſehr geräumig und erweitert ſich an mehreren Stellen über den Rand der Gelenkflächen hinaus, Abb. 153. Skelett des Buſſardflügels mit anſetzenden Schwungfedern; die Weichteile und Deckfedern ſind fortgenommen. 1 Oberarm, 2 Elle, 3 Speiche, 4 Daumen, 5 Daumenfittig, 6 zweiter Finger, 7 Armſchwingen, & Handſchwingen, 9 Band, das die Spulen der Schwungfedern verbindet. und ein ungewöhnlich reich entwickelter Bandapparat dient zur Feſtigung des Gelenkes. Die Fläche des Flügels wird nur zu ganz geringem Teil durch eine Hautfalte ge— bildet, die den Winkel des Ellbogengelenkes einnimmt und oft noch durch eine zweite, die vom Oberarm zur Körperflanke geht. In der Hauptſache beſteht ſie aus Federn, deren größte an der Hand und am Unterarm (Elle) anſetzen (Abb. 153): es find die Anordnung und Bau der Schwungfedern. 239 Hand- und Armſchwingen oder Schwungfedern erſter und zweiter Ordnung; die am Oberarm anſetzenden großen Federn bilden den ſogenannten Schulterfittich. Die Hand— ſchwingen liegen bei ausgeſtrecktem Flügel am weiteſten nach außen; ſie erreichen beim Flügelſchlag die größte Geſchwindigkeit und finden ſo auch den größten Widerſtand. Demgemäß iſt ihr Anſatz, die Hand, beſonders ſtark ausgebildet und übertrifft bei guten Fliegern den Oberarm an Lange; die Schwingen ſelbſt ſind kräftiger gebaut als die Armſchwingen, und dieſe wieder kräftiger als die des Schulterfittichs. Schließlich ſind die Handſchwingen auch am feſteſten eingepflanzt: ſie ſitzen mit ihren Enden in Gruben des Knochens, während die Armſchwingen dieſen nur an der Oberfläche berühren. In beiden Fällen ſind ſie durch elaſtiſches Binde— gewebe ſo befeſtigt, daß ihnen noch eine gewiſſe Beweglichkeit bleibt. Die Schwungfedern ſtimmen in den Grundzügen ihres Baues überein mit den übrigen Federn des Körpers und beſtehen wie ſie aus einem ſtabförmigen Schaft und einer nach zwei entgegegen— © gelegten Seiten davon entſpringenden aD: 184. Schema des Baues einer Konturfeder. Federfahne, die den unterſten Teil des die ſch iber die e Schaftes, die Spule, freiläßt. Die Fahne aſtes (3“) herüberlegen i an ihnen verankern. iſt nicht ſolid, ſondern beſteht aus zwei— zeilig angeordneten, vom Schaft ſchräg nach vorn verlaufenden Aſten, die wiederum zweizeilig geordnete Strahlen tragen. (Abb. 154). Die Strahlen benachbarter Aſte ſind miteinander verbunden: die der Federſpitze zugekehrten Strahlen tragen feine Häkchen, die über die hinteren Strahlen des vorderen Aſtes herübergreifen und ſie feſt— halten. Wenn der Zuſammenhang der Aſte gelockert iſt, ſo kann ihn der Vogel, dank der zahlreichen Häkchen, leicht durch Ordnen der Federn mit dem Schnabel wieder herſtellen, wie = b wir das durch Durchziehen der Federfahne zwiſchen den Fingerſpitzen tun können. Die Feder— fahne bildet ſomit zugleich eine ſehr elaſtiſche, dichte und e mechaniſche Eingriffe A Abb 155. Querſchnitte durch den Schaft findliche Fläche. An den Schwungfedern nun ſind einer Schwungfeder. e daß ſie einem ſtarken Druck ne gender re Nac uhr n von der Unterſeite her Widerſtand zu leiſten ver— mögen. Der Schaft iſt ſtark und etwas nach oben ausgebogen, ſo daß er ſeine Konkavität nach unten kehrt; an der Spule iſt der Querſchnitt eine Ellipſe, deren längere Achſe ſenkrecht zur Flügelfläche ſteht (Abb. 155); wo der Schaft die Fahne trägt, beſteht ſeine Ober- und Unterſeite aus dicken Horntafeln, und die hochkantigen Seitenplatten wirken einem Druck von unten entgegen. Die Aſte der Federfahne find ſchmal, aber hoch, und die ganze Fahne iſt unterſeits gewölbt. Welche Feſtigkeit dadurch erreicht wird, zeigt 240 Anordnung der Schwungfedern. am beſten der Vergleich mit irgendeiner Deckfeder des Körpers. Bei verſchiedenen Vögeln iſt die Feſtigkeit der Schwingen ungleich: bei denen, die nur Ruderflug ausüben, wie den Falken, werden ſie mehr in Anſpruch genommen und ſind daher feſter als bei den Seglern, wie dem Buſſard, deren Flugart geringere Anforderungen an die Wider— ſtandsfähigkeit der Flügel ſtellt. Die Lücken, die zwiſchen den Spulen der Schwingen bleiben (vgl. Abb. 153), werden von oben und unten her durch dichtgeſtellte, ſich dachziegelig überlagernde Deckfedern überſpannt und die Flugfläche ſo in einer Weiſe gedichtet, daß man ſie faſt als undurch— läſſig für Luft bezeichnen kann. An den Schwungfedern iſt die Fahne auf der einen Seite, die der vorderen Flügel— kante zuliegt, bedeutend ſchmäler als auf der gegen den Körper gerichteten, und jede Schwinge übergreift mit dieſem Rande die folgende von der Rückenſeite her (Abb. 156). Beim zuſammengelegten Flügel ſind die Schwingen übereinander geſchoben und decken ſich zum größten Teil; beim ausgeſtreckten Flügel dagegen breiten ſie ſich aus wie die Stäbe eines entfalteten Fächers, indem ſich ihre Ränder nur wenig decken. Dieſe Aus— breitung geſchieht in Verbindung mit der Streckung des Flügels durch die Zugwirkung eines elaſtiſchen Bandes, das parallel mit dem Skelett von Spule zu Spule läuft (vgl. Abb. 153, 9): dieſes lockert ſich bei Faltung, A. W ſpannt ſich dagegen an bei Streckung des Flügels und ſtellt ſo die Schwungfedern ſelbſtändig, ohne beſondere Muskelein— ef: A . . wirkung, in beſtimmter gegenſeitiger Lage feſt. a 156. Schema der Anordnung der Schwungfedern, Die Bedeutung dieſer Einrichtungen im Querſchnitt, und Einwirkung des Luftwiderſtandes, deſſen iſt leicht einzuſehen. Die Feder iſt ſo be⸗ Richtung die Pfeile ER a () und Hebung (B) feſtigt, daß fie ſich um ihre Achſe, den Schaft, etwas drehen kann. Da nun ihre beiden Fahnen ungleich ſind, wirkt der Luftwiderſtand ſtärker gegen die breitere und dreht dieſe nach oben, wenn die Feder nach unten bewegt, drückt ſie aber nach unten, wenn die Feder gehoben wird (Abb. 156). Bei der Senkung des Flügels werden alſo überall die breiten Teile der Federfahne nach oben, die ſchmalen nach unten gegen ihre Nachbarn gedreht, ſo daß die Flügelfläche nur dichter und feſter geſchloſſen wird. Umgekehrt iſt die Wirkung beim Heben des Flügels: jalouſienartig öffnet ſich dann die Fläche, durch den Luftdruck auseinandergepreßt; dies geſchieht um ſo leichter, als beim Hub der Flügel etwas an— gezogen und gebeugt, das die Schwingen feſtſtellende Band alſo gelockert und die Be— weglichkeit der Federn dadurch freigegeben wird. So wird durch den Bau des Vogelflügels in vollſtem Maße den allgemeinen For— derungen genügt, die oben an das Verhalten der Flugflächen geſtellt wurden: der Flügel bietet für den wirkſamen Niederſchlag eine möglichſt große, luftdichte Fläche und findet daher großen Widerſtand; bei der Hebung wird dagegen ſeine Fläche durch Beugung ihrer knöchernen Achſe verkleinert und durch Drehung der Schwingen luftdurchläſſig gemacht, und ſo wird der Luftwiderſtand möglichſt verringert. Das ſpricht ſich auch in dem zeitlichen Verhältnis von Hebung und Senkung aus: die Hebung dauert infolge ver— minderten Widerſtandes kürzere Zeit als dieſe, und zwar iſt das Verhältnis der Dauer bei Taube und Buſſard z. B. wie 2:3. Der Flügel bewegt ſich in der Weiſe, daß an dem ruhend gedachten Vogel die Spitze des Oberarmes etwa eine Ellipſe chi deren große Achſe, leicht nach vorne Flügelhaltung. Flugmuskeln. 241 und unten geneigt, nahezu wagrecht ſteht (Abb. 157). Beim Niederſchlag bildet der vor— ſpringende Vorderrand des Flügels eine Schranke, die ein Abfließen der verdrängten Luft nach vorn verhindert; das freie Ende der Schwingen aber wird durch den Luft— widerſtand etwas aufgebogen Abb. 157 rechts); ſie ſtellen ſich aber beim Beginn der Hebung wieder ſchräg nach unten gegen die Horizontalebene. Bei der Senkung des Flügels wirkt alſo der Luftwiderſtand ſenkrecht gegen eine ſchräge Fläche und kann in eine von unten nach oben und in eine von hinten nach vorn wirkende Komponente zerlegt werden: er hebt den Vogelkörper und treibt ihn zugleich vorwärts. Der Hub des Flügels (Abb. 157 links) dagegen bietet dem durch die Bewegung entſtehenden Gegenwind die untere Flügelfläche dar: dabei wird der Körper ſo weit gehoben, daß der Schwere entgegengewirkt wird, er wird in der Schwebe gehalten in der Art, wie ein Papierdrache durch den entgegen— ſtehenden Luftſtrom getragen wird; zugleich aber werden die Flügel automatiſch in die Höhe gedrückt. Aber dies geſchieht auf Koſten der Vorwärtsbewegung; denn die ſchräg von vorne und unten gegen die Flügel wirkende Kraft des Gegenwindes enthält eine horizontale, nach hinten wirkende Komponente, wodurch die Fluggeſchwindigkeit vermindert wird. Die Muskeln, von denen die Bewegung des Flügels bewirkt wird, ſind ungemein ſtark: die geſamte Flugmuskulatur wiegt bei der Taube und dem Rebhuhn etwa ½ der Körpergewichts, beim Regenpfeifer, dem Star und dem Storch mehr als Y,, beim Buſſard ½ und bei der Lerche /. Die Senker der Flügel find die großen Bruſtmuskeln, die vom Bruſtbein, Raben— bein und Schlüſſelbein entſpringen und an den Oberarm anſetzen; ſie machen im allgemeinen etwa die Hälfte der geſamten Körpermuskulatur * 2 6’ 3 n i 5 1 Abb. 157. Weg und Haltung des Flügels beim aus. Ihre jedesmalige Größe erlaubt aber ruhend gedachten Vogel. ie einen Schluß auf die Flugfähigkeit er dm cbenenung Nach Mare ß des Vogels: kleinere, ſchnell fliegende Vögel beſitzen verhältnismäßig viel größere Bruſtmuskeln als größere, ruhig ſchwebende Formen; bei der Taube z. B., die faſt ſtets nur mit Hilfe des Flügelſchlages fliegt, wiegen die Bruſtmuskeln faſt Y,, bei der Möwe dagegen, die viel mit ausgeſtreckten Flügeln ſegelt, nur ½0o des Körpergewichts. Die Flugfähigkeit hängt eben, außer von der Muskelkraft, auch noch von anderen Momenten ab, ſo vor allem von dem günſtigen Bau der Flügel und der Fähigkeit zum Segelflug: ſo kommt es, daß das Rebhuhn mit ſeinen kurzen breiten Flügeln für ſeinen ungeſchickten Flug weit mehr Muskelarbeit verbraucht als die ſchlankflügelige Möwe für ihr elegantes, von Segeln unterbrochenes Dahinfliegen. Für den Anſatz der großen Bruſtmuskeln reicht bei den Fliegern die Fläche des Bruſtbeins nicht aus; es entwickelt ſich daher auf dem Bruſtbein ein Längskiel, deſſen Höhe von der Größe der Bruſtmuskeln abhängig iſt und damit in einer gewiſſen Be— ziehung zur Flugfertigkeit ſteht; ſo iſt er z. B. bei der flugentwöhnten Hausente niedriger als bei ihrer Stammutter, der Stockente. Aber ebenſowenig wie aus der Größe der Flug— muskeln kann man aus der Höhe des Bruſtbeinkiels einen direkten Schluß auf die Flug— fähigkeit des Vogels ziehen. Bei den großen Laufvögeln (Ratiten) fehlt der Bruſtbein— kamm, und ebenſo haben ihn ſolche Flugvögel ganz oder teilweiſe eingebüßt, die ihre Flugfähigkeit verloren haben, wie die erſt in hiſtoriſcher Zeit ausgeſtorbene Rieſentaube Heſſe u Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 16 242 Flugmuskeln. Flugarbeit. der Inſel Mauritius, der Dronte (Didus ineptus I.), oder die auſtraliſche Ralle Oey- dromus, oder die im Pleiſtozän Neuſeelands gefundene Cnemjornis, die den Gänſeartigen verwandt iſt. Die Heber der Flügel ſind weit ſchwächer als die Senker: letztere ſind beim Reb— huhn 3 mal, bei der Taube 5,45, beim Star etwa 9, bei der Krähe 14, beim Buſſard 18 und beim Falken über 50 mal ſo ſchwer als die Heber. Die Hebung des Flügels ſtellt eben geringere Anforderungen an die Muskeln, da ſie durch den Gegenwind unterſtützt wird; ja wenn der Flug ſeine volle Geſchwindigkeit erlangt hat, brauchen die Muskeln dem Flügel nur die entſprechende Richtung zu geben; der Flügel wird dann paſſiv durch den gegen ſeine Unterfläche ſtehenden Gegenwind gehoben; die Bewegung iſt dann ſo ſchnell, daß der Flügel an ſeiner Oberfläche bei der Hebung gar keinen Luftwiderſtand mehr findet. Abb. 158. Momentaufnahmen einer fliegenden Möwe in gleichen Intervallen (1-19), ſchräg von vorn (A), von der Seite (B) und von oben (0). Die Geſchwindigkeit (— der Entfernung der Linien 7—19) ſteigt mit dem Niederſchlag des Flügels und nimmt mit dem Hub ab; zugleich hebt ſich in 3 der Vogel über die horizontale Linie oder ſinkt unter fie. Nach Maren. Die gewaltige Muskelmaſſe, die im Dienſt der Flugbewegung ſteht, legt den Schluß nahe, daß kaum ein anderes Tier ſo viel Arbeit bei der Lokomotion leiſtet wie der Vogel; denn die Arbeitsleiſtung eines Muskels iſt ſeinem Gewicht proportional. Damit ſtimmt die Berechnung, daß der 4 kg ſchwere Storch beim Flug in einer Sekunde eine Arbeit von etwa 6 kgm leiſtet, etwa ebenſoviel wie der 16 mal ſchwerere Menſch beim gewöhnlichen Gang; beim ſchnellſten Lauf leiſtet der Menſch in der Sekunde etwa 56 kgm, das iſt im Verhältnis zu ſeinem Körpergewicht noch nicht ?, ſo viel wie der Storch beim Flug, und dieſe Arbeitsleiſtung vermag der Menſch nur ſehr beſchränkte Zeit, der Storch viele Stunden lang durchzuführen. Die Wirkung des Niederſchlages der Flügel bedeutet Hebung des Vogelkörpers und Beſchleunigung desſelben nach vorn, der Flügelhub dagegen geht auf Koſten der Ge— ſchwindigkeit; daher iſt die Geſchwindigkeit des fliegenden Vogels keine gleichmäßige: Erzeugung des notwendigen Luftwiderſtands. 243 während des Hubes nimmt ſie ab, während des Niederſchlages wächſt ſie. Eine Reihe von Momentaufnahmen, die in außerordentlich kurzen, aber gleichen Zwiſchenräumen genommen ſind, zeigt dies in der ungleichen Entfernung der Einzelbilder; in der Abb. 158 hat dies ſeinen Ausdruck gefunden. Ebenſo iſt auch die Bahn eines geradeaus fliegenden Vogels, etwa einer Möwe, nicht genau horizontal, ſondern wellig: der Vogel hebt ſich ein wenig durch den Niederſchlag der Flügel, um ſich beim Hub wieder etwas zu ſenken, was ebenfalls in der Abb. 158 deutlich wird. Das Fliegen beruht, wie oben ausgeführt, auf Erzeugen von Luftwiderſtand. Der Widerſtand, den ein Körper in der Luft findet, kommt dadurch zuſtande, daß er einer An— zahl Luftteilchen eine beſtimmte Beſchleunigung erteilt. Der Widerſtand iſt um ſo größer, je mehr Luftteilchen der Gegenſtand trifft und je größer die Beſchleunigung iſt, die er ihnen erteilt. Die Beſchleunigung iſt gleich der Geſchwindigkeit, womit der Gegenſtand die Luft durchſchneidet. Die Zahl der Luftteilchen, die er in Bewegung ſetzt, richtet ſich einmal nach der Größe ſeiner Fläche; ſie kann aber noch geſteigert werden, wenn immer neue Luftteilchen mit dem Gegenſtand in Berührung kommen, wenn er z. B. auf Luft einwirkt, die ſenkrecht zu ſeiner Bewegungsrichtung unter ihm wegſtrömt, oder wenn er ſelbſt während der Schlagbewegung in ſolchem Sinne ſeinen Platz ändert. Dieſe Überlegung bringt gar manche Erſcheinung des Vogelfluges unſerem Ver— ſtändnis näher. Marey machte folgenden Verſuch: er ließ eine Möwe, der eine lange, aufgerollte Schnur an den Beinen be— feſtigt war, fliegen; a 6 e fie fliegt zunächſt, als ob ſie frei wäre. u.a. Sobald aber die ee gute eee Hola. Ven aden Big an Une de beh. as mere und der Vogel durch ſie an weiterer Vorwärtsbewegung gehindert war, konnte er ſich nicht mehr in der Luft ſchwebend halten, trotz beſchleunigter Flügelſchläge, ſondern ſank zu Boden. — Der Flügel des Vogels findet im allgemeinen in ruhiger Luft nicht genügend Widerſtand; nur wenn der Vogel eine Geſchwindigkeit hat, die immer neue „unverbrauchte“ Luftſäulen unter ſeine Flügel bringt, kann er der Einwirkung der Schwere erfolgreich entgegenarbeiten, oder wenn er eine Luftſtrömung gegen ſich hat, was ja in der Wirkung auf das gleiche hinauskommt. Die Bewegung des Vogels und der ihn umgebenden Luftteilchen gegeneinander bezeichnet man als Flugwind; dieſer kann relativ ſein, d. h. durch die Bewegung des Vogels in ruhender Luft bewirkt werden oder abſolut durch die Bewegung der Luft gegen den Vogel verurſacht werden oder durch beides zugleich. Die Zahl der Flügelſchläge, die ein Vogel machen muß, wechſelt demgemäß im Laufe des Fluges: ſie iſt im Anfang, ehe eine entſprechende Geſchwindigkeit erreicht iſt, ſolange alſo der Flugwind noch gering iſt, größer, und der Ausſchlag der Flügel iſt bedeutender (Abb. 159), ſpäter nimmt ſie ab, denn mit zunehmender Fluggeſchwindigkeit ſteigert ſich von ſelbſt die Größe des Widerſtandes, den der Flügel findet. Die Abnahme der Zahl der Flügelſchläge iſt von einer gewiſſen Grenze an erzwungen durch den ver— mehrten Luftwiderſtand. An einem kleinen Flugmodell, das in gewiſſer Geſchwindigkeit Flügelſchläge machte, konnte nämlich Marey nachweiſen, daß die Zahl der Schläge in der Zeiteinheit abnahm, wenn er das Modell mit einiger Geſchwindigkeit von der Stelle 165 244 Zahl der Flügelſchläge. Abflug. bewegte, und zwar war die Abnahme um ſo größer, je ſchneller das Modell bewegt wurde. Möwen machen beim Beginn des Fluges 5, ſpäter nur 3 Flügelſchläge in der Sekunde, und die Weite des Flügelſchlages iſt anfangs die dreifache. Unter der Voraus— ſetzung, daß jeder Flügelſchlag von gleicher Weite die gleiche Arbeit erfordert, daß aber die Arbeit entſprechend der verringerten Weite abnimmt, iſt hier die Flugarbeit A, im vollen Fluge nur ein Teil derjenigen beim Abflug A, und zwar it A. A 2 3 = = Die Flugarbeit wäre demnach beim Abflug fünfmal fo groß als die im vollen Flug geleiſtete. Ganz ſtimmt dieſe Rechnung nicht, denn bei den gemachten Vorausſetzungen iſt die Ver— ſchiedenheit des Luftwiderſtandes nicht in Anſchlag gebracht. Im übrigen wird die Zahl der Flügelſchläge bei ruhigem Fluge für jeden Vogel innerhalb enger Grenzen ſchwanken, und zwar müſſen kleine Flügel, wie oben entwickelt, zahlreichere Schläge machen als große. Die Flugbewegung der kleinen und kurzflügeligen Kolibris iſt ein Schwirren, ſo ähnlich dem mancher Schwärmer unter den Schmetterlingen, daß Bates der Beobachtung mehrerer Tage bedurfte, ehe er Kolibri und Kolibriſchwärmer (Sesia titan Cram.) im Fluge zu unterſcheiden vermochte; „wenn der Vogel ſich vor irgendeinem Gegenſtande ins Gleichgewicht ſetzt, ſo geſchieht die Bewegung der Flügel ſo raſch, daß es dem Auge unmöglich iſt, jedem Flügelſchlage zu folgen, und ein nebliger Halbkreis von Undeutlichkeit auf jeder Seite des Körpers iſt alles, was ſich wahrnehmen läßt,“ ſagt Gould (vgl. Abb. 160). Auch unſer Eisvogel (Alcedo ispida L.) mit ſeinen kurzen, breiten Flügeln macht ſo zahlreiche Flügelſchläge, daß man die einzelnen Be— wegungen nicht mehr zu erkennen vermag; der Sperling macht etwa 13 Schläge in der Sekunde, die Ente 9, die Taube 8, der Schleierkauz 5, die Rabenkrähe 3—4, der Sing- ſchwan 3½, der Storch 1% und der Pelikan 1¼,. Den zum Fliegen nötigen Flugwind zu bekommen, das iſt die Aufgabe, deren ver— ſchiedene Löſung dem Abflug ſein charakteriſtiſches Ausſehen gibt. Die Vögel ſuchen eine gewiſſe Anfangsgeſchwindigkeit zu erlangen, und dieſe bekommen ſie auf verſchiedene Weiſe. Manche ſpringen mit Hilfe ihrer Beinmuskeln vom Boden ab. Das Einknicken zum Sprung vor dem Abflug kann man z. B. bei Haubenlerchen oder bei Krähen (vgl. auf Tafel 6 den Vogel links) ſehr deutlich ſehen; Krähen, die durch einen Schuß geflügelt waren, hat man faſt meterhohe Sprünge machen ſehen, in dem Beſtreben, aufzufliegen. Andere Vögel nehmen auf dem Boden einen Anlauf, ſo z. B. Stelzfüßer wie Kranich, Storch oder Flamingo und manche Raubvögel. Bei einem auffliegenden Adler konnte man die Kralleneindrücke auf eine Strecke von 18 m am Boden verfolgen; die Anden— bewohner fangen den Kondor, indem ſie ihm eine Lockſpeiſe in eine enge Grube legen, von wo aus der Vogel nicht auffliegen kann, weil ihm die Möglichkeit zum Anlauf fehlt. Vögel, deren Füße zum Abſprung wie zum Anlauf zu ſchwach ſind, können nur ſchwer vom Boden auffliegen: es iſt bekannt, daß ſich unſere Mauerſegler (Cypselus), wenn ſie durch einen Unfall auf den flachen Boden gekommen ſind, häufig nicht mehr erheben können, obgleich ſie ruhig weiterfliegen, wenn man ſie aufnimmt und in die Luft wirft. Solche Vögel, die gewöhnlich auf Bäumen oder Felſen ruhen, nehmen ihren Abflug, indem ſie ſich einfach fallen laſſen und damit durch die Wirkung der Schwere die zum wirkſamen Gebrauch ihrer Flügel nötige Beſchleunigung bekommen. Eine andre Art, Flugwind zu bekommen, iſt die Benutzung des abſoluten Windes als Gegenwind, d. h. das Auffliegen gegen den Wind. Krähen, die vor dem mit dem Winde kommenden Menſchen entfliehen wollen, fliegen zuerſt ein Stück weit gegen ihn afel VI. Krähen an einem verendeten jungen Paſen. 1 ierleben. 855 2 terbau ıı — eſſe u. Doflein, H Abflug. 245 und wenden dann erſt um. Bei völlig wind— ſtillem Wetter ſind die Rebhühner wenig zum Auffliegen geneigt, weil bei dem Mangel von Gegenwind der Abflug ſie viel mehr an— ſtrengt, und „halten“ viel beſſer, d. h. laſſen den Jäger herankommen. Andrerſeits gibt es aber auch Vögel, die direkt auffliegen können. Die ſteifflügeligen Enten erheben ſich von windſtillen, waldum— ſtandenen Weihern in die Luft. Auch die Lerchen ſteigen ja ziemlich ſenkrecht in die Luft empor: aber ſie können dies nur unter Be— nutzung des Windes und halten ſich dabei mit dem Schnabel der Windrichtung ent— gegen; ſie fliegen gleichſam ſchräg nach aufwärts mit einer horizontalen Teilgeſchwindig— keit, die der des Gegenwindes gleichkommt und von dieſem gerade aufgehoben wird; nahe dem Boden dagegen, wo der Wind ſchwach iſt, fliegen ſie ſchräg in die Höhe. Dagegen kann ſich ein Sperling aus einem Luftſchacht von 2 m im Quadrat Grund— fläche nicht erheben; bei der Unmöglichkeit, eine entſprechende horizontale Beſchleunigung zu erlangen, kann er unter äußerſter Anſtrengung nur wenige Meter hoch fliegen und fällt dann ermattet zu Boden. Abb. 160 Kolibri (Cyanolesbia caudata Berlp.). Rechts ſchwirrt das Männchen vor einer Blume, links ſitzt das Weibchen. 246 Rütteln. Flug in Schwärmen. Ebenſo erklärt es ſich, daß manche Raubvögel, wie Buſſard und Turmfalke, auch der große Würger (Lanius excubitor L.) auf der Suche nach Beute oft eine Zeitlang an einer Stelle ſchweben, „rütteln“. Das „Rütteln“ iſt nur bei bewegter Luft möglich, nicht bei Windſtille; der Vogel ſtellt ſich dabei ſtets mit dem Schnabel gegen den Wind, ſo daß er den nötigen Flugwind bekommt; immerhin iſt dieſer Flugwind gegen den beim freien Flug gering, und deshalb müſſen die Vögel beim Rütteln die Zahl der Flügel— ſchläge vermehren. Die Kolibris können auch ohne Gegenwind ſich vor Blumen ſchwirrend in der Luft halten, etwa in gleicher Weiſe wie der Windig, das Taubenſchwänzchen und andre Schwärmer; bei der geringen Körpergröße und der ſehr großen Zahl von Flügel— ſchlägen ſind die Bedingungen etwas andere. Vielleicht geben uns dieſe Betrachtungen über die Wichtigkeit des Gegenwindes auch den Schlüſſel für die Erſcheinungen des Fliegens in Geſellſchaften und Schwärmen. Es iſt bekannt, daß manche Vögel in beſtimmten linearen Anordnungen fliegen: die Enten meiſt in einer Linie hintereinander, die Kraniche, Gänſe und Schwäne in ſpitzem Winkel; auch berichten die Vogelkundigen, daß der vorn fliegende Vogel, der Führer, wenn er ermüdet iſt, von einem anderen abgelöſt wird — doch wiſſen wir nicht, weshalb das Voranfliegen mehr ermüden ſollte als das Folgen. Mouillard ſagt, daß ein Schwarm Staare ſchneller fliegt als ein einzelner. Bemerkenswert iſt auch, daß Schwärme von Tauben, Rebhühnern, Kiebitzen in gleichem Tempo mit den Flügeln ſchlagen: ein Flug Kiebitze, deren Flügel von unten hell, von oben dunkel ausſehen, erſcheint daher ab— wechſelnd ſchwarz und weiß, je nachdem die Flügel von oben oder von unten ſichtbar ſind. Die Erklärung dieſer Erſcheinungen iſt vielleicht folgende: man weiß aus Verſuchen und Beobachtungen, daß durch den Flügelſchlag die Luft nicht nach unten, ſondern hori— zontal nach hinten ausweicht; wenn z. B. ein Pelikan dicht über dem Waſſer hinfliegt, bewirken ſeine Flügelſchläge keine Kräuſelung der Fläche. Von einem fliegenden Vogel geht alſo bei jeder Flügelſenkung ein Luftſtrom nach hinten, der beim Flügelhub unter— brochen wird. Dieſer Luftſtrom verſtärkt für den dahinter fliegenden Vogel, wenn er rechtzeitig ſchlägt, den Flugwind, und zwar nur für den Zeitpunkt, wo er fördernd wirkt, für die Flügelſenkung; der Flügelhub, wenn er zur rechten Zeit ausgeführt wird, fällt in die Pauſe zwiſchen zwei Luftſtößen, und ſomit wird die Verzögerung, die ſtarker Flugwind beim Hub ſowohl auf die Vorwärtsbeſchleunigung als auf die Zahl der Flügel— ſchläge ausübt, geringer. Solche unterbrochene Luftſtöße dürften alſo die Flügelſenkung wirkſamer, den Flügelhub weniger nachteilig machen: ſie erleichtern dem folgenden Vogel das Fliegen. Aber nach dieſer Auffaſſung müßte ja jeder folgende Vogel etwas ſpäter mit den Flügeln ſchlagen, nicht alle gleichzeitig! Das iſt ſicher richtig! Aber die Be— ſchleunigung, die die Luft durch den Flügelſchlag bekommt, iſt ſehr groß; eine Taube wird durch den Luftwiderſtand, den ihr Flügelſchlag erzeugt, faſt 20 m in der Sekunde vor- wärts getrieben; ebenſogroß muß die Geſchwindigkeit ſein, die fie den Luftteilchen erteilt; jo wird alſo der 20 cm hinter ihr fliegende Genoſſe ſchon nach ½100 Se kunde den Luftſtrom bekommen, und ſomit, wenn er ihn richtig ausnutzt, für unſer Auge gleichzeitig ſchlagen; bei beſſeren Fliegern wird das in noch höherem Maße zutreffen. Nur dem vorderen oder den vorderſten Vögeln wird keine Exleichterung geboten; daher ermatten ſie ſchneller und werden von anderen abgelöſt. Ein Säugetier verfügt über ſehr verſchiedene Abſtufungen in der Geſchwindigkeit ſeines Ganges, vom langſamſten Schritt bis zum eiligſten Rennen. Der Vogel aber kann gar nicht beliebig langſam fliegen; er muß eine gewiſſe Geſchwindigkeit haben, Steuerung. Fluggeſchwindigkeit. 247 damit er den unentbehrlichen Flugwind von einer beſtimmten Stärke bekommt. Über dieſe Minimalgeſchwindigkeit kann er den Flug durch ſchnellere und weiter ausholende Flügelſchläge, wenn es ſeine Muskelkraft erlaubt, beſchleunigen; aber er kann nicht unter ſie herabgehen. Nur wenn der Vogel gegen den Wind fliegt, kann es auf uns den Ein— druck machen, daß er langſam fliege; er wird dann eben immer mit der jeweiligen Ge— ſchwindigkeit des Windes zurückgeriſſen. Richtungsänderungen beim Flug können auf ſehr verſchiedene Weiſe zuſtande kommen. Es iſt richtig, wenn der Schwanz als Steuerruder des fliegenden Vogels bezeichnet wird, aber er iſt es nicht allein. Jede Bewegung, die zu einer Verlegung des Schwerpunktes führt, bewirkt auch eine Anderung der Richtung: eine Wendung des Halſes ſo gut wie eine Drehung des Schwanzes oder eine Verſchiebung langer Stelzbeine bei den Stelz— vögeln. Langer Schwanz und lange Beine kommen nicht miteinander vor; ſie haben beide die gleiche Aufgabe, für die das eine oder das andere ausreicht. Aber auch durch verſchiedenes Schlagen der beiden Flügel iſt eine Anderung der Flugrichtung möglich, ſo daß dem Vogel ſehr verſchiedene Mittel zu Gebote ſtehen. Nicht richtig iſt es aber, wenn man den Daumen mit den daran anſetzenden Federn als „Lenkfittich“ bezeichnet hat. Dieſer Daumenfittich kann über den Vorderrand des Flügels herabgedrückt werden und vermehrt die Wölbung desſelben, indem er den Vorderrand tiefer legt: das macht den Flügelſchlag wirkſamer. Deshalb wird der Daumenfittich zu Anfang des Fluges ſtärker in Anſpruch genommen als im vollen Dahinfliegen, wo ſchon ſchwächere Flügelſchläge genügen, den Vogel zu tragen und ſeine Geſchwindigkeit zu erhalten. All dieſe Einrichtungen wirken zuſammen, um die ſtaunenswerten Leiſtungen zu er— möglichen, die wir an dem Fluge der Vögel bewundern, die große Geſchwindigkeit und die ungeheuren Strecken, die in ununterbrochener Reiſe zurückgelegt werden. Die Geſchwindigkeit eines fliegenden Vogels zu beſtimmen, iſt durchaus nicht leicht. Am beſten iſt ſie bekannt für die Brieftauben. Von den Taubenzüchter-Vereinen werden alljährlich Wettfliegen veranſtaltet, deren genau kontrollierte Ergebniſſe ein einwandfreies Material zur Beſtimmung der Fluggeſchwindigkeit der Brieftauben liefern. Doch muß man die Zahlen mit Kritik betrachten; ſie weichen nämlich ſo ſehr voneinander ab, daß man zunächſt Mißtrauen gegen ihre Richtigkeit faſſen könnte: verſchiedene Wettflüge zwiſchen Hildesheim und Hannover z. B. ergaben als höchſte Geſchwindigkeit bis zu 2000 m, als geringſte 333 m in der Minute. Dieſe Verſchiedenheiten ſind auf den Einfluß des Windes zurückzuführen, und die Vergleichung der Flugergebniſſe mit den Angaben der Wetterwarte für die betreffenden Tage zeigen, daß die hohen Zahlen beim Flug mit dem Winde, die niederen beim Fluge gegen den Wind herauskamen. Die Geſchwindigkeit des Windes addiert ſich beim Flug mit dem Winde zur Geſchwindigkeit des Vogels, beim Fluge gegen den Wind kommt ſie davon in Abzug. Ein Luftballon, der ſich ohne Eigen— bewegung in bewegter Luft befindet, wird von ihr mitgetragen, und die Inſaſſen merken ſelbſt bei heftigem Wind keinen Zug: ſo auch der Vogelkörper, der ſich außerdem noch durch Rudertätigkeit der Flügel fördert. Die hier und da wiederholte Angabe, der Vogel müſſe ſtets gegen den Wind fliegen, da ihm der vom Rücken her wehende Wind die Federn aufblaſen müßte, nimmt ſich etwa aus wie die Behauptung, bei einem Boote, das mit der Strömung fährt, müſſe der Strom die Ruder nach vorne drücken! Die Eigengeſchwindigkeit der Brieftauben berechnet ſich danach bei Flügen auf große Ent— fernungen (100 —600 km) zu 11001150 m in der Minute oder zu etwa 18—19 m in der Sekunde. 248 Fluggeſchwindigkeit. Flughöhe. Das iſt nun durchaus keine hohe Geſchwindigkeit für einen Vogel, obgleich ſie höher iſt als die Geſchwindigkeit unſrer Expreßzüge. Eine Schwalbe, die ein Antwerpener Taubenzüchter bei einem Brieftaubenflug von Compiegne nach Antwerpen mitfliegen ließ, legte dieſe Strecke von 235 km in 1 Stunde 8 Minuten zurück und erreichte ihr Neſt 3 Stunden vor dem Eintreffen der Tauben; ſie machte 58 m in der Sekunde, und da die ſchnellſte der mitfliegenden Tauben nur 16 m in der Sekunde zurücklegte, muß man mit einem Gegenwind von 2—3 m rechnen und die Geſchwindigkeit der Schwalbe auf etwa 60—61 m in der Sekunde anſetzen. Mit ſolcher Geſchwindigkeit würde die Schwalbe bei ihrem Zug auch ohne Mithilfe des Windes in 10 Stunden von Mitteldeutſchland nach Nordafrika gelangen. — Eine etwas größere Geſchwindigkeit als die Schwalben haben die beſtfliegenden Falken, wie der Baumfalke (Falco subbuteo L.), dem die Schwal— ben bisweilen zum Opfer fallen. Die Geſchwindigkeit des Mauerſeglers (Cypselus) ſchätzt man im Vergleich zu derjenigen der Schwalbe wohl richtig auf SO m in der Sekunde. Die ſonſtigen, nicht gerade ſpärlichen Angaben über Geſchwindigkeit von Vögeln ſind meiſt nicht zu brauchen, weil dabei auf den Wind keine Rückſicht genommen iſt: ſo ſchwanken die Geſchwindigkeitsangaben für Krähen zwiſchen 8,3—11 und 55 m in der Sekunde, für Wildenten zwiſchen 16 und 27 m. Zuverläſſig dürfte jedoch die Beobachtung jein, daß der Eisvogel (Alcedo ispida L.) 16 m in der Sekunde macht; dies iſt ermittelt durch Vergleich mit der Geſchwindigkeit einer Lokomotive, deren Weg parallel dem Flug des Vogels ging, und bei dem Flug des Eisvogels ganz nahe über der Waſſerfläche dürfte Windwirkung kaum in Betracht kommen. Es iſt wohl kein Zweifel, daß viele unſerer Zugvögel den Wind beim Zuge benutzen, d. h. daß ſie mit dem Winde fliegen. So treffen eine Anzahl unſerer kleinen Sänger im Frühjahr mit föhniger Wetterlage, alſo ſtarkem Südwind bei uns ein. Ein Vogel von etwa 24 m Geſchwindigkeit kommt mit einem Winde von S m in der Sekunde noch einmal ſo ſchnell voran als gegen denſelben. Ja Vögel können ihre Reiſe ſogar noch beſchleunigen, indem ſie in höhere Regionen aufſteigen; denn nach den Erfahrungen der Luftſchiffer nimmt die Stärke des Windes im allgemeinen mit der Höhe zu: wenn nahe dem Erdboden die Windgeſchwindigkeit 5 m in der Sekunde beträgt, iſt ſie in 1000 m Höhe 9, in 2000 m 10, in 3000 m 12, in 4000 m 14 m. Da ferner die Wind— richtung in verſchiedener Höhe verſchieden ſein kann, können ſie ſogar günſtige Flug— bedingungen in der Höhe finden, wenn dieſe weiter unten ungünſtig ſind. So gibt es eine Anzahl von Gründen, die es einleuchtend machen, daß häufig der Vogelzug in be— deutenden Höhen ſtattfindet. Allerdings dürfte die Annahme Gätkes, daß die Zugvögel in Höhen von S—15000 m fliegen, doch ſehr weit über das Ziel hinausſchießen; in einer Höhe von 8000 m herrſcht eine Durchſchnittstemperatur von — 46“ C, bei 10000 m eine ſolche von — 530, und der Luftdruck beträgt dort nur 268 bzw. 198 mm Queck— ſilber. Dieſe Temperatur würde kleine Vögel erſtarren machen, und es iſt ſehr unwahr— ſcheinlich, daß Vögel niederer Regionen ſich an ſolchen niedrigen Luftdruck anpaſſen können. Wenn Al. v. Humboldt am Cotopaxi in einer Höhe von 4350 m einen Kondor ſo hoch über ſich ſah, daß er ſeine Flughöhe auf 7300 m ſchätzte, ſo muß man bedenken, daß es ſich hier um einen Gebirgsvogel handelt, der an dünnere Luft gewöhnt iſt, ebenſo wie bergbewohnende Menſchen und Säugetiere von der Bergkrankheit, die infolge der Luftverdünnung eintritt, viel länger verſchont bleiben, als Bewohner der Ebene. Dasſelbe gilt von den Adlern, Geiern und Krähen, die die Brüder Schlagintweit in 7000 m Höhe am Himalaya beobachteten. Bei wiſſenſchaftlichen Ballonfahrten hat man neuerdings der Flugleiſtungen. Flugbild. 249 Flughöhe der Vögel einige Aufmerkſamkeit geſchenkt: es wurde eine Lerche bei 1900 m, ein Adler bei 3000 m Höhe beobachtet, darüber hinaus aber kein Vogel geſehen. Immerhin iſt es ſicher, daß die Vögel den Ballon weit eher ſehen als ſie von den Inſaſſen desſelben er— blickt werden, und wahrſcheinlich weichen ſie der ungewöhnlichen Erſcheinung in den meiſten Fällen aus. Mit einer gewiſſen Wahrſcheinlichkeit wird man nach alledem annehmen dürfen, daß die Vögel oft 1000 — 2000 m hoch, unter Umſtänden auch noch höher ziehen. Die in einem Flug zurückgelegten Strecken haben ſchon früh Erſtaunen erregt. Bei einer Jagd in Fontainebleau entflog dem König Heinrich II. von Frankreich ein Falke, der am übernächſten Tage auf der Inſel Malta, alſo in einer Entfernung von etwa 1400 km gefangen wurde. Eine berühmte Brieftaube, der „Gladiateur“, legte den Weg von Toulouſe nach Verſailles, 530 km, in weniger als einem Tage zurück. Aber das will nichts bedeuten gegenüber den Leiſtungen mancher Zugvögel. Hier ſei als ſicherſtes Beiſpiel ein amerikaniſcher Regenpfeifer, Charadrius virginicus Naum, angeführt; er brütet in Labrador und überwintert im nördlichen Braſilien; ſein Zug führt über das Meer hin, jo daß er keine Ausruhepunkte hat: 250 km öſtlich von den Bermudas wurden unendliche Scharen dieſes Vogels ſüdlich ziehend beobachtet. Sie legen alſo wahrſchein— lich ihre Reiſe von über 5500 km in einem Fluge zurück. Das Flugbild, das die Vögel bieten, iſt für jede Gattung, ja faſt für jede Art charakteriſtiſch, und Meiſter der Beobachtung, wie es Joh. Andreas Naumann war, können am Flug den Vogel erkennen. Es wäre ein Triumph für die analytiſche Deu— tung des Baues und der Bewegungsweiſe des Flügels, wenn man die verſchiedenen Flugformen auf die anatomiſchen Unterſchiede des Flugapparats zurückführen könnte. Das gelingt auch ſchon in manchen Stücken. So hängt das beſtimmte Gepräge des Flugs nicht zum wenigſten von der größeren oder geringeren Zahl der Flügelſchläge ab, und deren Beziehung zur Größe des Flügels iſt bekannt: zwiſchen dem ſchnurgeraden, mit ſchnurrendem Flügelſchlag ſchwerfällig hineilenden Flug des Eisvogels und Waſſerſtars und dem eleganten, mannigfach wechſelnden, auf- und abſteigenden Dahinfliegen einer Schwalbe iſt ein gewaltiger Unterſchied. Bei den kurzen Schwingen kleiner Flügel, be— ſonders wenn ſie mit der Achſe des Armes einen großen Winkel bilden, werden die Feder— enden nicht ſo leicht aufgebogen wie bei den langen Schwingen großer Flügel, bei denen der Luftdruck an einem viel größeren Hebelarm wirkt; daher ſtellen ſie ſich beim Nieder— ſchlag weniger ſchräg gegen die Horizontalebene als dieſe, und die hebende Komponente des Luftdrucks überwiegt die vorwärts treibende. So erklärt ſich wahrſcheinlich der eigentümliche Wellenflug kleinerer Vögel, wie wir ihn bei unſeren Meiſen, Finken und Spechten ſo leicht beobachten können: ſie machen ſchnell nacheinander eine Anzahl Flügel— ſchläge und ſteigen dabei etwas auf; dann legen ſie die Flügel an und ſchießen eine Strecke weit, unter Benutzung der erworbenen lebendigen Kraft, ohne Flügelſchlag durch die Luft, wobei ſie wieder ſinken, um ſich dann von neuem durch Flügelſchlag zu heben und vorwärts zu treiben, und ſo im rhythmiſchen Wechſel weiter. Der ſchnell fördernde Flug der echten Ruderflügler wie Taube, Schwalbe und Falke unterſcheidet ſich im Aus— ſehen deutlich von dem gemächlicheren Flug der zum Segeln befähigten Vögel wie Storch und Adler: jene haben ſtraffe Handſchwingen, und im eiligen Flug können ſie ſo weit ausholen, daß ſich die Spitzen der Flügel über dem Rücken faſt berühren; die ſchwäche— ren Handſchwingen der Segler geſtatten ſo ſtarke Beanſpruchung nicht; mit mäßiger Schlagweite fliegen ſie dahin, und die nachgiebiger gegen den Luftdruck ſich ſtark auf— biegenden Schwingen vergrößern die vorwärts treibende Komponente des Luftdrucks. 250 Schwebeflug und Segelflug. Schweben und Gleiten ohne Flügelſchlag iſt beim Flug der Vögel gar keine ſeltene Erſcheinung: viele ſchnellfliegende Vögel, wie Schwalben und Raubbögel, ſchalten in ihren Flug Strecken ruhigen Dahingleitens ein; die Taube, die ſich beim Fluge dem Schlage nähert, oder die Krähe, die von einem Baume herabſchwebt, halten dabei die Flügel unbewegt. Dort iſt es die Geſchwindigkeit, die im Fluge erlangt war, hier, bei der Krähe, die Beſchleunigung durch die Schwere, die den Körper auch ohne Flügelſchlag vorwärts treibt; der damit erlangte Gegenwind drückt gegen die ſchräge Fläche der Bruſt und trägt den Vogel, während er zugleich deſſen Geſchwindigkeit vermindert: der Vogel wird von der Luft getragen wie ein Papierdrache, nur daß der Drache am Faden ge— zogen, der Vogel durch ſeine durch Flügelſchlag oder Schwere erlangte lebendige Kraft gleichſam geſchoben wird. Solches Schweben kann natürlich nur von kurzer Dauer ſein und iſt darin grund— verſchieden vom Segelflug, bei dem der Vogel ſtundenlang ohne Flügelſchlag die Luft durchzieht; für den Schwebeflug genügt der relative Wind, der Segelflug braucht auch noch den abſoluten Wind. Deshalb beobachten wir den Segelflug hauptſächlich in den höheren, bewegten Luftregionen und ſehen dort Raubvögel oder Störche ihre Kreiſe ziehen, oder an und auf dem Meere, wo ebenfalls die Luft immer bewegt iſt. Es gibt keinen Segler, der nicht auch den Ruderflug handhaben könnte; denn zur Erreichung der bewegten Luftſchichten muß der Geier ſich des Flügelſchlages bedienen, und die Möwe, die ſegelnd plötzlich in den Windſchutz eines Vorgebirges kommt, iſt auf die Arbeit ihrer Flügel angewieſen. Verſuchen wir es nun zu verſtehen, wie ſich der ſegelnde Vogel die lebendige Kraft des Windes dienſtbar macht. Der ſpringende Punkt dabei iſt, wie Ahlborn trefflich auseinandergeſetzt hat, daß er ſeine Flugflächen ſchräg gegen den Wind ſtellt. Denn nur ſo kann er die lebendige Kraft des Windes ausnützen. Das iſt nicht ohne weiteres möglich, denn die Schwere ſucht den Vogelkörper mit den ausgebreiteten Flügeln ſo zu ſtellen, daß dieſe horizontal ſind; es bedarf alſo einer beſonderen Kraft, um die Schrägſtellung zu ermöglichen, das iſt die Zentrifugalkraft. Die Zentrifugalkraft kann nur bei Bewegungen auf kreisförmigen, elliptiſchen, ſchleifenförmigen oder ſonſt gekrümmten Bahnen einſetzen, und deshalb findet der Segelflug nie in gerader Linie, ſondern ſtets auf mindeſtens teilweiſe gekrümmten Bahnen ſtatt. Wir wiſſen, daß das Pferd in der Manege des Zirkus, daß der Radfahrer auf der elliptiſchen Rennbahn, daß wir ſelbſt, wenn wir im Lauf einen ſcharfen Bogen beſchreiben, den Körper ſchräg gegen die Mitte des Bogens einſtellen, ſo daß einer Kraft das Gegengewicht gehalten wird, die am Schwerpunkte ſchräg nach unten und außen angreift. Dieſe Kraft iſt die Reſultierende aus zwei Einzel— kräften, aus der ſenkrecht wirkenden Schwere und aus der nach außen wirkenden Zentri— fugalkraft. Um die Kreisbahn einzuhalten, iſt in jedem Augenblicke eine Richtungs— änderung notwendig; ohne ſolche würde der auf gebogener Bahn bewegte Körper in der Tangente ſeiner Bahn weiterſchießen, dem Beharrungsvermögen folgend; dieſe Außerung des Beharrungsvermögens iſt es eben, was als Zentrifugalkraft bezeichnet wird. Die Zentrifugalkraft allein iſt beſtrebt, den Schwerpunkt des Vogels möglichſt weit nach außen zu verlegen, d. h. den Vogel ſo einzuſtellen, daß die Medianebene des Körpers in die Horizontalebene, der Rücken nach innen, der Bauch nach außen zu liegen kommt; die Schwerkraft ſucht den Schwerpunkt möglichſt tief zu legen, den Rücken nach oben, den Bauch nach unten. Die gemeinſame Wirkung beider Kräfte ſtellt der Vogel ſchräg mit dem Rücken nach oben und innen (Abb. 161). Das Segelflug. 2 Beharrungsvermögen oder die Zentrifugalkraft wächſt mit der Schwere des betreffenden Körpers mit ſeiner Geſchwindigkeit und mit der Krümmung der Bahn. Da nun die ſchräge Einſtellung des Vogelkörpers durch die Zentrifugalkraft für das Segeln weſentlich iſt, ſo ſind nur große, ſchwere Vögel zum Segeln geeignet; bei ſtärkerem Winde erhalten ſie größere Geſchwindigkeit und ſie müſſen kleinere Kreiſe beſchreiben, damit die Zentri— fugalkraft vergrößert wird und der ſtärker abtreibenden Kraft des Windes die Wage hält. An der Kreisbahn, die der ſegelnde Vogel beſchreibt, kann man zwei Bögen unter— ſcheiden, in denen ſich der Vogel unter ganz verſchiedenen Bedingungen befindet: den Bogen, der dem Winde zugekehrt iſt, und den, der dem Winde abgekehrt iſt, oder den Luvbogen und Leebogen (Abb. 162). Im Luvbogen bietet der Vogel dem Winde ſeine Unterſeite, und der Wind erteilt ihm beſtändig eine Beſchleunigung, ſo daß ſeine Ge— ſchwindigkeit beſtändig zunimmt; die Beſchleunigung iſt am größten in der Mitte des Luv— bogens und nimmt gegen deſſen Ende ab. Wenn die Stellung des Vogels verhältnismäßig Abb. 161. Schrägſtellung des Vogelkörpers beim Kreisflug. Der Vogel wird getragen durch die Kraft des Windes, die ſenkrecht zur Unterſeite der Flügel wirkt und in der Höhe der Flügel an der Mitte des Körpers angreift (7); fie kann in eine ſenkrechte, tragende (2) und eine wagrechte, beſchleunigende Kompo— nente (3) zerlegt werden. Andrerſeits wirken am Vogelkörper, und zwar in deſſen Schwerpunkt angreifend, die Schwerkraft (5) ſenkrecht und die Zentrifugalkraft (6) wagrecht; wenn ihre Komponente (4) der Windwirkung entgegengeſetzt und gleich iſt, befindet ſich der Vogel im Gleichgewicht (4). Wird durch Zunehmen der Windſtärke (2) dieſes Gleichgewicht vorübergehend geſtört (2), ſo kann es wieder hergeſtellt werden, indem der Vogel kleinere Kreiſe beſchreibt und dadurch die Wirkung der Zentrifugalkraft vergrößert; dabei wird dann durch die gegeneinander wirkenden Kräfte (Z u. ) ſein Körper ſchräger geſtellt (0). Nach Ahlborn— ſchräg iſt, kann die vertikal von unten nach oben wirkende Komponente des Windes zu— gunſten der vorwärtstreibenden verringert ſein, und der Vogel ſinkt im Luvbogen etwas. Auf der Grenze von Luv- und Leebogen iſt der Höhepunkt der Geſchwindigkeit erreicht und zugleich der tiefſte Punkt der Bahn; eine Beſchleunigung tritt hier nicht mehr ein. Mit Hilfe der im Luvbogen erlangten Geſchwindigkeit muß nun der Vogel den Leebogen durchſegeln und ſie zugleich benutzen, um die im Luvbogen verlorene Höhe einzubringen, zu ſteigen. Die größte Schwierigkeit, die dabei zu überwinden bleibt, iſt die Gefahr des Rückenwindes: wenn der Vogel einfach in der Stellung, die ihm Schwere und Zentri— fugalkraft geben, im Luvbogen fliegen würde, ſo würde der Wind gegen ſeinen Rücken wehen und ihn in die Tiefe drücken. Solange noch ſeine Geſchwindigkeit in der dem Wind parallelen Bewegungsrichtung größer iſt als die des Windes, ſicher alſo im erſten Viertel des Leeboges, merkt er nichts vom Rückenwind; je mehr aber ſeine Bahn ſich ſenkrecht zur Windrichtung ſtellt, um ſo mehr wird der Wind auf ihn einwirken können. Der Vogel hat zwei Mittel, dies zu vermeiden: einmal dadurch, daß er ſich ſchräg zu ſeiner Bahn ſtellt, in die Richtung, aus der für ihn der Wind kommt, nicht der abſolute, ſondern der Flugwind, der ſich aus dem abſoluten Winde und dem entgegengeſetzt zur 252 Segelflug. Bewegungsrichtung wirkenden Luftwiderſtand, dem Gegenwind, zuſammenſetzt. Er nimmt alſo eine Stellung wie ein traverſierender Reiter. Dieſe Einſtellung gelingt dem Vogel leicht bei großem Kreiſe und ſchwachem Winde, wo die neue Richtung nicht ſehr von der Bahn abweicht. Das zweite Mittel iſt Schrägſtellung der Längsachſe zur Horizontal— ebene, wodurch der Neigungswinkel der Flugflächen zum Winde vergrößert und der Wind auf der Unterſeite der Flügel gefangen wird. Die Wirkung iſt, daß der Vogel im Lee— bogen gehoben wird. Am Ende des Leebogens iſt die Geſchwindigkeit des Vogels ſehr vermindert; er hat den höchſten Punkt ſeiner Bahn erreicht und bekommt nun im Luv— Beſchleunigung maximal Fluggeſchwindigkeit zunehmend Sinkende Tendenz der Flugbahn. Luvbogen Beſchleunigung = 0 Fluggeſchwindigkeit minimal Höchſte Stelle der Flugbahn. Beſchleunigung = 0 Fluggeſchwindigkeit maximal Tiefſte Stelle der Flugbahn— Windrichtung Leebogen D ISE Hemmung maximal Fluggeſchwindigleit abnehmend Steigende Tendenz der Flugbahn. Abb. 162. Schema des Segelflugs auf kreisförmiger Bahn. Nach Ahlborn. bogen beim Sinken durch die Schwere und durch die Einwirkung des Windes, der wieder auf die Unterſeite ſeiner Flugflächen vorwärtstreibend einwirkt, aufs neue eine große Eigengeſchwindigkeit, die bis zum Ende des Luvbogens zunimmt, um im Leebogen wieder verbraucht zu werden, und ſo fort. Wenn die im Leebogen erreichte Steigerung im Luvpbogen nicht aufgebraucht wird, ſo kann ſich der Vogel mit Hilfe des Windes zu immer bedeutenderen Höhen hinaufſchrauben. Wenn der Vogel die im Luvbogen erlangte Geſchwindigkeit dazu benutzt, um zunächſt erſt eine Strecke weit in der Tangente weiterzuſchweben und dann erſt mit ſchleifenförmiger Biegung der Bahn im Leebogen zu ſteigen, dann aufs neue dem Winde ſeine Flugflächen zu bieten und neue Geſchwindigkeit zu erwerben, die er wieder ebenſo ausnutzt, ſo kann Flugfähigkeit und Bau des Vogelkörpers. 253 er ohne Flugbewegung auch größere horizontale Strecken zurücklegen. Solche Manöver ſind bei Störchen und Raubvögeln, beſonders aber bei Möwen vielfach zu beobachten. Bei den Segelvögeln ſind die Flugmuskeln ſchwächer entwickelt als bei den Ruderern, weil ſie ihre Flügel weniger rudernd verwenden und beim Segeln überhaupt keine äußere Arbeit mit den Flugmuskeln verrichten, ſondern nur durch ſtarke Spannung derſelben eine Bewegung der Flügel durch den Winddruck verhindern. Auch die Handſchwingen werden weniger in Anſpruch genommen und brauchen daher nicht ſo ſtark zu ſein wie bei den Ruderfliegern. An ihren Bruſtmuskeln verlaufen die Faſern mehr ſenkrecht zum Bruſtbeinkamm, während ſie bei den Ruderern mehr ſchräg nach vorn gerichtet ſind, damit ſie dem Druck nach vorn, den der Flügel bei ſeiner Senkung erleidet, Widerſtand leiſten können. Die Flügel ſelbſt ſind bei den Seglern flacher gebaut und haben ver— hältnismäßig größere Flächen: ſie ſind geeignet, ſtarke Flugwinde bei geringer Neigung der Flügelflächen auszunutzen. Wo horizontal oder ſchräg aufſteigende Luftſtrömungen vorkommen, kann der Vogel natürlich auch dieſe benutzen und mit einer erlangten Geſchwindigkeit große Strecken geradeaus ſegeln, ohne einen Flügelſchlag zu tun, da ja der Schwere durch den von unten drückenden Luftſtrom das Gleichgewicht gehalten wird. Ein ſolches Geradeausſegeln ohne Flügelſchlag kann alſo nicht als Beweis dafür angeführt werden, daß der Vogel ſich durch eine in der Entfernung unſichtbare, zitternde Flugbewegung in der Höhe erhalte und vorwärts bewege. Derartige Luftſtrömungen ſind es auch, die den nahe der Meeresober— fläche ſegelnden Albatros über die Wellenberge hinwegheben. Bisher haben wir nur den Flug und die ſpezifiſchen Flugwerkzeuge in ihren gegen— ſeitigen Beziehungen betrachtet. Aber dem ganzen Körper des Vogels iſt ſeine charak— teriſtiſche Geſtaltung im Zuſammenhang mit ſeiner Flugfähigkeit gegeben. Die Knochen ſind bei möglichſter Feſtigkeit mit größter Materialerſparnis aufgebaut; die langen Knochen ſind Röhrenknochen, enthalten aber im Inneren nicht Mark, wie bei den Säugetieren, ſondern Lufträume; auch in die übrigen Knochen erſtreckt ſich das Luftraumſyſtem, das den ganzen Vogelkörper durchzieht und deſſen beſondere Beziehungen zur Atmung beim Flug wir ſpäter noch zu betrachten haben. Infolge davon iſt das Knochengerüſt leichter geworden, als es bei gleich ſchweren Säugetieren iſt: bei der Hausgans (etwa 3800 g Körpergewicht) macht das Skelett 13,4% des Geſamtgewichtes aus, bei dem gleich ſchweren Makak (Inuus cynomolgus L.) dagegen 16,8%; beim Zeiſig macht es 6,6%, bei der Haus— maus von gleichem Gewicht 8,4%; beim Zaunkönig wiegt es 7,14%, bei der gemeinen Spitzmaus (Sorex vulgaris) 8%. Das Knochengerüſt würde durch die geringe Maſſigkeit eine Einbuße an Feſtigkeit erleiden, wenn nicht bei den Vögeln die Knochenſubſtanz im allgemeinen härter wäre als bei den Säugern. Das kommt durch den reicheren Gehalt an Salzen: während bei den Säugern die Knochen des Haſen mit 75,15%, anorganiſcher Subſtanz die aſchereichſten ſind, haben bei den Vögeln die der Waldſchnepfe etwa 80, die der Turteltaube ſogar 84,3% Knochenaſche. Durch ihren hohen Gehalt an Salzen werden die Vogelknochen ſpröder als die der Säuger und ſplittern leichter, ein Grund, weshalb ſie z. B. von den Hunden ungern gefreſſen werden. Dadurch, daß die Vordergliedmaßen zu Flügeln umgewandelt ſind, werden ſie den anderen Funktionen, beſonders der Beteiligung am Tragen des Körpers entzogen; dieſe Aufgabe fällt den Hintergliedmaßen allein zu. Wie bei allen Zweifüßlern mußten dieſe dazu entſprechend feſt mit dem Körper verbunden werden: das geſchieht durch die Größe des Beckens und ſeine enge Verbindung mit der Wirbelſäule. Der Oberſchenkel iſt vom 254 Flugfähigkeit und Bau des Vogelkörpers. Hüftgelenk aus ſtark nach vorn gerichtet, und dadurch wird der Fuß ſo weit nach vorn gerückt, daß er den Schwerpunkt wirkſam unterſtützt, ohne daß, wie bei anderen Zwei— füßlern (Menſch, Känguruh) eine Aufrichtung der Wirbelſäule notwendig wäre. Aber auch die Greiffunktion der Vordergliedmaßen ging bei ihrem Funktionswechſel verloren; ſie übernahm der Schnabel, der dem Vogel gleichſam eine Hand iſt, die Beute fängt, das Gefieder ordnet, das Neſt baut. Die Länge und Beweglichkeit des Halſes, die gegen— über den kurzhalſigen Reptilien und den auf 7 Halswirbel beſchränkten Säugern beſonders auffällt, iſt aufs engſte verknüpft mit der Vielſeitigkeit in der Verwendung des Schnabels. Die ungemein kräftige Verdauung, die durch einen drüſenreichen Sekretmagen und einen ſtarken Muskelmagen gefördert wird, verhindert eine längere Beſchwerung des Fliegers durch zu reichlichen Darminhalt. Während bei allen anderen Wirbeltiergruppen wenig— ſtens eine Anzahl Arten lebendige Junge zur Welt bringen, ſind die Vögel ohne Aus— nahme eierlegend, und zwar wird ſtets nur ein Ei auf einmal legereif. Das längere Tragen einer größeren Anzahl von Jungen im Eileiter würde für die Flugbewegung eine ſehr hinderliche Belaſtung bilden. Die Fledermäuſe ſind ja lebendig gebärend; aber ihre Fruchtbarkeit iſt entſprechend gering: die beſſer fliegenden Schmalflügler bringen zwei, die ſchlechter fliegenden Breitflügler ſogar nur ein Junges jährlich zur Welt. Unter den Inſekten haben in der Tat bei manchen Arten die Weibchen wegen zu jtarfer Be— laſtung durch die Eier das Fliegen aufgegeben und z. T. ſogar die Flügel nahezu oder ganz verloren, jo bei den Leuchtkäfern (Lampyris) und bei einer Anzahl von Schmetter- lingen aus den Familien der Spinner und Spanner (vgl. S. 64). — So beherrſcht der Flug, die charakteriſtiſchſte Lebensäußerung des Vogels, die geſamte Ausbildung des Vogelkörpers und hat zu weitgehenden Umbildungen der Organiſation geführt; wir ver— ſtehen den Bau des Vogels recht eigentlich erſt unter dieſem Geſichtspunkte. Zweites Buch Der Stoffwechfel und feine Organe N or — Die Geſamtheit der chemiſchen Umwandlungen, die ſich im Dienſt eines tieriſchen Organismus und unter deſſen Vermittlung vollziehen, bezeichnen wir als den Stoffwechſel des Tieres. Sie beſtehen, wie ſchon oben (S. 4f.) auseinandergeſetzt wurde, teils im Aufbau, teils in der Zerſetzung komplizierter chemiſcher Verbindungen. Nach der zeitlichen Aufeinanderfolge dieſer Vorgänge und nach der Bedeutung, die ſie für den Tierkörper haben, können wir verſchiedene Phaſen des Stoffwechſels unterſcheiden. Die erſte Stufe, ſowohl zeitlich wie auch inſofern, als ſie für die weiteren Stoffwechſelvorgänge als Grund— lage dient, iſt die Aufnahme und die vorbereitende mechaniſche und chemiſche Verarbei— tung der Nahrung; ihr folgt die Einverleibung der für den Körper brauchbaren Stoffe und deren weitere Umwandlung für die Bedürfniſſe des Körpers, und ſchließlich der Transport der entſprechend vorbereiteten Stoffe an die Verbrauchsſtellen, alſo mit kurzen Bezeichnungen die Ernährung (in engerem Sinne), der intermediäre Stoffwechſel und die Zirkulation. Damit parallel verlaufen die Zerſetzungsvorgänge in den arbeitenden Or— ganen und die Fortſchaffung der dabei entſtandenen Zerſetzungsprodukte, die Exkretion. Von der Tatſache ausgehend, daß der Stoffwechſel die Quelle iſt, aus der die Energie, die ſich als Leben äußert, ihren Urſprung nimmt, könnten wir auch ſagen, daß wir als Vorgänge des Stoffwechſels Anhäufung, Transport und Auslöſung von Energie zu be— zeichnen haben. A. Die Ernährung. 1. Die Nährſtoffe und ihre Einverleibung. Zum Aufbau des tieriſchen Organismus und zur Erhaltung ſeiner Lebensäußerungen ſind beſtimmte Stoffe erforderlich, die wir Nährſtoffe nennen. Jede Subſtanz, die ge— eignet iſt, einen zur Zuſammenſetzung des Organismus beſtimmten Stoff zum Anſatz zu bringen oder die Abgabe eines ſolchen zu verhüten, iſt ein Nährſtoff. Die vorzüglichſten Nährſtoffe ſind diejenigen, die in ſich alle jene Urſtoffe, aus denen die lebende Subſtanz ſich zuſammenſetzt, in direkt verwertbarer Form enthalten: das ſind die Eiweißſtoffe. Mit bloßer Eiweißnahrung kann ein Tier leben und wachſen; aus Eiweiß können alle die verſchiedenen Subſtanzen im Tierkörper gebildet werden, auch z. B. Fette und Kohlen— hydrate, wie Glykogen. Es iſt die Urnahrung der Tiere, die Nahrung, die ihnen für den Aufbau neuer tieriſcher Subſtanz, alſo für das Wachstum und den Erſatz abgenutzter Körperteile unbedingt notwendig iſt; es unterhält den Bauſtoffwechſel. Ja es gibt ſogar einige Protozoen, die eine andre Nahrung gar nicht zu verarbeiten vermögen. Die Kohlenhydrate dagegen, wie Stärke und Zucker, und die Fette ſind nicht imſtande, für ſich allein den Tierkörper zu erhalten, da ſie ihm einen wichtigen Beſtandteil jeglichen Protoplasmas, den Stickſtoff, nicht zuführen. Sie ſind aber imſtande, die Koſten für manche Verrichtungen des Organismus zu tragen und dienen zur Erzeugung von Arbeit und Wärme, die ſonſt von der wertvolleren Eiweißnahrung oder, beim Fehlen von Nah— rung, unter Zerſetzung protoplasmatiſcher Körperbeſtandteile geliefert würden. So iſt Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 17 258 5 Nährſtoffe. ein Kohlenhydrat, das Glykogen, im ruhenden Muskel reichlich vorhanden und wird ver— braucht, wenn der Muskel in Tätigkeit iſt; andrerſeits iſt es bekannt, daß bei fehlender oder unzureichender Nahrungsaufnahme die Fettvorräte im Körper ſchnell aufgebraucht und zur Unterhaltung gewiſſer Lebensvorgänge verwendet werden. Kohlenhydrate und Fette werden daher, weil ſie den Verbrauch ſtickſtoffhaltiger Beſtandteile des Körpers oder der zu ihrem Aufbau unentbehrlichen Nährſtoffe verhindern, als Erſatznahrung bezeichnet. Sie kommen für den Bauſtoffwechſel nicht in Betracht, ſondern nur für den Betriebsſtoffwechſel. Auch das Waſſer iſt an der Bildung von Körperſubſtanz unmittelbar und mittel— bar beteiligt, indem es einerſeits ſelbſt einen Beſtandteil derſelben ausmacht, andrer— ſeits aber die ſonſtigen Verbrauchsſtoffe löſt und damit deren Zufuhr ermöglicht. Nicht minder iſt der Sauerſtoff als Nährſtoff anzuſehen. Zwar können manche Tiere, z. B. Fröſche, ohne Zufuhr freien Sauerſtoffs von außen dauernd oder doch wenigſtens eine Zeitlang am Leben bleiben; aber ſie leben dann nicht ohne Sauerſtoffverbrauch, ſondern verſchaffen ſich den erforderlichen Sauerſtoff auf Koſten von lebender Subſtanz, die dabei zerſtört wird. Sauerſtoff iſt alſo ebenfalls im Sinne der oben angeführten Definition ein Nährſtoff. — Es kommen noch mancherlei andere Stoffe hinzu, insbeſon— dere gewiſſe Salze, in denen verſchiedene, zum Aufbau von Körperſubſtanz notwendige Mineralbeſtandteile, Kalium, Natrium, Eiſen, Phosphor u. a., enthalten ſind. Von einem etwas anderen Geſichtspunkte betrachtet man die Ernährung, wenn man alle diejenigen Stoffe als Nährſtoffe bezeichnet, die in unſerem Körper eine Energiequelle bilden. Auf den erſten Blick ſcheint damit die gleiche Umgrenzung gegeben zu ſein. Bei genauerer Prüfung aber ergibt ſich, daß im einzelnen zwiſchen dem, was die beiden Definitionen unter Nährſtoffen begreifen, doch manche Abweichungen beſtehen. So iſt Waſſer eine Verbindung, die ſich nur unter Zufuhr von Energie weiter zerſetzen läßt: es kann daher unmöglich als Energiequelle dienen, und doch wird man dieſen in aller lebenden Subſtanz enthaltenen und zur Erhaltung des Lebens unbedingt erforderlichen Stoff als Nährſtoff anſehen müſſen. Dagegen wird dem Körper durch Oxydation von auf— genommenem Alkohol Energie in Geſtalt von Wärme geliefert, ohne daß damit die Abgabe notwendiger Körperbeſtandteile verhütet würde; Alkohol iſt als Energiequelle für den Körper nicht zweckmäßig verwertbar, wir können ihn alſo nicht unter die Nährſtoffe einbeziehen. Die Einverleibung der Nährſtoffe in den Körper nennen wir Ernährung. Es iſt darunter nicht bloß die grobe Aufnahme der Nahrungsmittel in den Körper, alſo das Freſſen und Trinken der Tiere verſtanden. Denn damit iſt ja nur eine ſcheinbare Auf— nahme gegeben: auch im Darmkanal befinden ſich dieſe Stoffe noch außerhalb der Körper— ſubſtanz. Nahrungsmittel ſind auch nicht gleichbedeutend mit Nährſtoffen: ſie enthalten neben dieſen noch gar mancherlei Stoffe, die überhaupt nicht aufnahmefähig ſind, z. B. die verholzten Teile der pflanzlichen Nahrung. Zur Ernährung gehört vielmehr noch die endgültige Aufnahme, die Aufſaugung oder Reſorption der Nährſtoffe. Dieſe iſt aber nur beim Waſſer und den in Waſſer gelöſten bzw. löslichen Stoffen direkt möglich. Die meiſten Nährſubſtanzen müſſen erſt in löslichen, reſorptionsfähigen Zuſtand übergeführt werden, und das geſchieht durch chemiſche Umwandlungen, die durch gewiſſe, von der lebenden Subſtanz gebildete Stoffe hervorgerufen werden. Dieſen chemischen Aufſchluß, der Nahrung nennen wir Verdauung. Ihr geht häufig noch ein mechaniſcher Aufſchluß voraus, der durch Zerkleinern und Zermalmen der Nahrung dem Eindringen der che— miſchen Löſungsmittel die Wege ebnet. Fermente. 259 Eine Verdauung iſt naturgemäß nicht bei allen Nahrungsmitteln notwendig. Manche zuckerhaltige Löſungen, die die Tiere an Pflanzen lecken, kommen ohne Vorbereitung zur Aufnahme. Die Darmparaſiten, die von Nahrungsſaft umgeben ſind, brauchen nicht zu verdauen; ihnen bieten ſich die Nährſtoffe ſofort reſorptionsfähig dar. Unter die Nähr— ſtoffe, die keiner weiteren Vorbereitung bedürfen, um in den Körper aufgenommen zu werden, gehört auch der Sauerſtoff. Die Sauerſtoffaufnahme bildet naturgemäß einen Teil der Ernährung. Da aber die Organe dafür von den übrigen Ernährungsorganen bei den höheren Tieren, von denen die Naturbetrachtung hiſtoriſch ihren Ausgang nahm, durchaus geſondert ſind, ſo iſt der Vorgang der Sauerſtoffaufnahme von dem der übrigen Ernährung als Atmung abgetrennt, und es empfiehlt ſich aus methodiſchen Gründen, dieſe Trennung beizubehalten. Andre Nährſubſtanzen ſind unlöslich in Waſſer, oder ſie befinden ſich in kolloidalem Zuſtande, d. h. ſie ſind zwar mit Waſſer miſchbar, können aber in dieſem Zuſtande nicht durch tieriſche Membranen diffundieren und ſind daher nicht reſorptionsfähig. Um ſie chemiſch aufzuſchließen und reſorptionsfähig zu machen, werden im Organismus beſtimmte Stoffe gebildet, die eine Löſung derſelben herbeiführen. So wird z. B. der Kalk, der für viele Lebeweſen notwendig iſt, meiſt als im Waſſer unlösliches kohlenſaures Salz aufgenommen und durch Salzſäure, die der Körper ausſcheidet, in lösliches Chlorcalcium verwandelt. Bei den meiſten Nährſtoffen jedoch geſchieht die chemiſche Vorbereitung durch eine beſondere Art von Stoffen, die nur den Lebeweſen eigen ſind, in der anorga— niſchen Natur aber nicht in gleicher Weiſe angetroffen werden, durch die Fermente. Die Fermente ſind für den chemiſchen Aufſchluß der aufgenommenen Nahrung, d. h. ihre Verwandlung in waſſerlösliche, aufſaugbare Stoffe, und für die weitere Um— wandlung dieſer Stoffe an den Verbrauchs- und Stapelplätzen im Körper von hervor— ragender Wichtigkeit. Ihre Wirkſamkeit im einzelnen iſt eine ſehr mannigfaltige; im allgemeinen aber ſind fie darin gleich, daß ſie chemiſche Vorgänge veranlaſſen, die den Zerfall komplizierterer, weniger beſtändiger Verbindungen in weniger komplizierte, be— ſtändigere zur Folge haben. Ein ſolches Ferment, die Diaſtaſe, die u. a. im Mundſpeichel bei Säugetieren vorkommt, ſpaltet die unlösliche Stärke in einfacher zuſammengeſetzte, lösliche Zuckerarten. — Die Schleimhaut des wahren (vierten) Magens der Kälber oder Schafe und manche Pflanzen, z. B. das Labkraut (Galium verum L.) wurden ſchon lange bei der Käſebereitung dazu verwendet, die Milch zum Gerinnen zu bringen. Der wirk— ſame Beſtandteil dieſer Mittel iſt ein Ferment, das Labferment, das auch im menſchlichen Magen abgeſondert wird; dieſes ſpaltet das in der Milch gelöſte, aber nicht diffundier— bare Kaſein, einen Eiweißkörper, in den ſchwerer löslichen Käſeſtoff, der als Niederſchlag ausfällt, und einen zweiten Beſtandteil, der in den Molken in Löſung bleibt. Die ge— nannten Spaltungen gehen unter Aufnahme von Waſſer vor ſich; man bezeichnet ſie als hydrolytiſche. Andre fermentative Vorgänge ſind mit Aufnahme von Sauerſtoff verbun— den: ſo wird durch die Einwirkung des Hefepilzes (Saccharomyces), mit Hilfe eines in ſeinen Zellen enthaltenen Ferments, der ſogenannten Zymaſe, Zucker unter Sauerſtoff— verbrauch in Alkohol und Kohlenſäure geſpalten; das iſt ein oxydativer Fermentierungsprozeß. Die Ausgangsſtoffe, die durch Fermente geſpalten werden, beſitzen eine größere la— tente Energie als die entſtehenden Spaltprodukte: z. B. iſt die Verbrennungswärme des Zuckers größer als die des daraus durch Gärung entſtehenden Alkohols — die Kohlen— ſäure beſitzt keine Verbrennungswärme mehr. Daher wird bei der Umſetzung Energie frei, und zwar in Geſtalt von Wärme. 1 260 Fermente. Für die Wirkungsweiſe der Fermente iſt es bezeichnend, daß bei den chemiſchen Veränderungen, die ſie veranlaſſen, ſie ſelbſt nicht aufgebraucht werden, ſondern unver— ändert übrigbleiben. Es können daher mit kleinen Mengen eines Fermentes außer— ordentlich große, wenn auch nicht unbegrenzte Wirkungen erzielt werden. Diaſtaſe ver— mag ihr 2000 faches Gewicht an Stärke in Zucker umzuwandeln, und ein Teil Labfer— ment bringt die 400 000 fache Menge Kaſein zur Abſcheidung. — Für dieſe Art Wirkung fehlt es durchaus nicht an Parallelen in der anorganiſchen Chemie. So wird das Waſſerſtoffſuperoxyd (HO.) durch viele Körper, wie Gold, Silber oder Manganjuper- oxyd, beſonders wenn ſie fein verteilt ſind, in Waſſer und Sauerſtoff zerſetzt, oder Ameiſenſäure wird durch den Staub gewiſſer ſeltner Metalle (Iridium u. a.) in Kohlen— ſäure und Waſſer geſpalten, ohne daß die anſtoßgebenden Mittel ſich verändern. Einen ſolchen Vorgang nennt der Chemiker Katalyſe, die Wirkungsweiſe katalytiſch. Wie dieſe Wirkung zuſtande kommt, darüber weiß man nichts Sicheres, und die Hypotheſen, die man zur Erklärung dieſer Erſcheinungen erdacht hat, ſind noch ſo wenig durch Tatſachen geſtützt, daß wir hier von ihnen abſehen können. Sehr wahrſcheinlich aber iſt es, daß die Wirkſamkeit der Fermente auf denſelben Grundlagen beruht, wie die der anorganiſchen katalyſierenden Stoffe. g Jedes Ferment hat nur einen ſehr beſchränkten Wirkungskreis; meiſt iſt es nur ein Stoff, zuweilen einige nahe verwandte, die der Einwirkung eines beſtimmten Fermentes unterliegen. Das Ferment iſt einem Schlüſſel vergleichbar, der nur ein ganz beſtimmt gearbeitetes Schloß ſchließt, alle andren dagegen nicht zu öffnen vermag. Man hat früher einen ſcharfen Unterſchied zwiſchen zwei Arten von Fermenten ge— macht. Bei dem einen iſt die Wirkung des Fermentes unabhängig von der Verbindung mit der lebenden Zelle, in der es erzeugt wird. Man kann z. B. aus der Bauchſpeichel— drüſe der Wirbeltiere einen Stoff ausziehen, der vollkommen frei iſt von lebenden Zell— reſten und neben anderen, wirkſamen Beſtandteilen auch das eiweißſpaltende Ferment des Bauchſpeichels, das Trypſin, in ungeſchwächter Kraft enthält. Ja man kann ſogar aus dieſer Löſung durch Alkohol oder andre Mittel einen Niederſchlag ausfällen und dieſen trocknen; das Pulver, das man bekommt, bewahrt die Fähigkeit, bei erneuter Wieder— auflöſung in Waſſer Eiweiß zu zerlegen. Dagegen iſt es nicht möglich, aus den Hefe— zellen, welche die alkoholiſche Gärung des Zuckers hervorrufen (ſ. o.), die wirkſamen Beſtandteile durch Waſſer oder ähnliche Mittel auszuziehen; man glaubte, daß die fer— mentative Wirkung hier mit dem Leben der Zelle aufs engſte verknüpft, daß ſie ein Lebensvorgang ſei. Danach unterſchied man ungeformte Fermente oder Enzyme, die in ihrer Tätigkeit nicht an den Zuſammenhang mit der erzeugenden Zelle gebunden ſind, und geformte Fermente oder Fermentorganismen, die als lebende Zelle wirken. Dieſer Unterſchied iſt durch neuere Unterſuchungen verwiſcht. Buchner iſt es gelungen, aus den Zellen des Hefepilzes durch hohen Druck einen Saft herauszupreſſen, der die zuckerſpaltende Kraft der Hefe beſitzt, ohne irgendwelche lebendigen Beſtandteile zu enthalten. Man hält es daher für wahrſcheinlich, daß auch in den Fermentorganis— men enzymartige Stoffe das wirkſame Element bilden, daß dieſe aber, ſei es durch die Undurchdringlichkeit der Zellmembran, ſei es durch ihre eigene Unlöslichkeit in der Zelle zurückgehalten werden und nur durch Zertrümmern derſelben aus ihr befreit werden können. Im Tierreiche treffen wir einerſeits intrazellular wirkende, andererſeits nach außen abgeſchiedene, ſezernierte Fermente. Schon bei den Einzelligen begegnet uns dieſer Unter— Fermente. 261 ſchied: viele Bakterien bereiten den Nährboden, auf dem ſie leben, durch ausgeſchiedene Fermente zur Aufnahme vor, d. h. verdauen ihn außerhalb ihres Körpers; bei den meiſten Protozoen aber ſpielt ſich die Verdauung aufgenommener Nahrungskörper innerhalb der Zelle ab. Der gleiche Unterſchied findet ſich bei den Vielzelligen wieder: bei manchen geſchieht die Verdauung in den Darmzellen, intrazellular; bei anderen wird die ver— dauende Flüſſigkeit, in der die Fermente enthalten ſind, von den Zellen in den Darm— raum abgeſchieden und ſpaltet dort die Nährſtoffe. Es iſt aber kein Grund vorhanden, zwiſchen den intra- und den extrazellular wirkenden Fermenten einen Unterſchied zu machen, um ſo weniger, als ſie oft einander mindeſtens in ihrer Wirkungsweiſe, vielleicht auch in ihrer Zuſammenſetzung, vollkommen gleich ſind. Über die chemiſche Natur dieſer fermentativ wirkenden Zellbeſtandteile ſind wir noch ſehr wenig unterrichtet; es iſt bisher nicht einmal geglückt, dieſe Stoffe von allen Ver— unreinigungen zu befreien und für ſich allein rein darzuſtellen. Man hat ſie früher für eiweißartige Subſtanzen gehalten; es waren aber wahrſcheinlich nicht die Fermente ſelbſt, ſondern fremde Beimengungen, auf welche die Eiweißreaktion zurückzuführen iſt. Für einige Fermente iſt es jetzt ſicher, daß ſie keine Eiweißſtoffe ſind. Damit iſt aber durch— aus nicht geſagt, daß dies für alle gelten müſſe; es iſt vielmehr ſehr N denkbar, daß die Fermente verſchiedenen chemiſchen Gruppen angehören. Fermente finden wir überall, wo es Leben gibt, im Pflanzen- wie im Tierreich, im niederſten Pilze wie im Waldbaum, im einfachſten Bakterium wie im Menſchen. In derſelben Zelle können ſogar mehrere Fermente nebeneinander vorkommen. Ihre Wirk— ſamkeit erſtreckt ſich nicht bloß auf die Nahrungsaufnahme, ſondern auf den geſamten Stoffwechſel; wir begegnen ihnen daher bei höheren Tieren nicht bloß im Verdauungs— kanal und ſeinen Anhangsdrüſen, ſondern auch an vielen anderen Stellen des Körpers, z. B. in der Milz, in den Muskeln. Wenn auch nicht, wie es ſchon geſchehen, das Leben überhaupt als Fermenttätigkeit bezeichnet werden darf, ſo ſind doch die Fermente für das Leben unentbehrlich. Wir wollen kurz einen Blick auf die für die Ernährung des tieriſchen Körpers wich— tigſten Fermentwirkungen werfen. Es ſind naturgemäß jene, die eine Zerlegung der wichtigſten ungelöſten Nährſtoffe, der Eiweißſubſtanzen, Kohlenhydrate und Fette bewirken und damit deren Löſung und Reſorption ermöglichen. Überall verbreitet finden wir die Spaltung von Eiweiß in einfachere, ſtickſtoffhaltige Verbindungen: in dem ganzen Tier— reiche begegnen uns tryptiſche Fermente, Verwandte des Trypſins der Wirbeltiere, die das Eiweiß in Ammoniak, Aminoſäuren (z. B. Leucin, Tyroſin) und Hexonbaſen zerlegen. Dazu kommt bei den Wirbeltieren noch ein anderes eiweißlöſendes Ferment, das Pepſin; es unterſcheidet ſich vom Trypſin dadurch, daß es zu ſeiner Wirkſamkeit freier Säure bedarf, während jenes am beſten in neutraler oder alkaliſcher Löſung wirkt, und daß es das Eiweiß bei weitem nicht ſo energiſch ſpaltet: die Endergebniſſe der Pepſinverdauung, die Peptone, ſind noch recht kompliziert gebaute Körper. Sehr wichtig iſt die Spaltung vieler Kohlenhydrate, nämlich mancher Zuckerarten, beſonders aber der Stärke. Stärke, die einen Hauptbeſtandteil der pflanzlichen Nahrungsſtoffe bildet, iſt unlöslich und daher nicht reſorbierbar; durch die Einwirkung der Diaſtaſe, eines im Pflanzen- und Tierreiche ſehr verbreiteten Fermentes, wird ſie in lösliche Zuckerarten (Dextrin und Maltoſe) zer— legt. Auch den Zellſtoff der Pflanzen, die Zelluloſe, deren Zuſammenſetzung derjenigen der Stärke ſehr ähnlich iſt, können manche Tiere (Schnecken, Fiſche) durch ein Ferment, die Cytaſe, in lösliche Verbindungen verwandeln. Schließlich iſt für den tieriſchen Stoff— 262 Holophyten, Saprozoen, Schmarotzer, Frejier. wechſel die Zerſetzung des Fettes durch Fermente von höchſter Wichtigkeit: die Fette find in Waſſer unlösliche Verbindungen von Glpyzerin mit verſchiedenartigen Fettſäuren, der Palmitin-, der Stearin- und der Olſäure. Durch die als Lipaſen bezeichneten Fermente, wie ein ſolches z. B. im Bauchſpeichel vorkommt, wird Fett verſeift, d. h. es wird in Glyzerin und freie Fettſäure geſpalten, die beide waſſerlöslich und reſorbierbar ſind. 2. Ernäbrungsweilen der Tiere. Nicht allen Tieren find die Fermente als unentbehrliche Hilfsmittel bei der Ernäh— rung nötig; es gibt auch ſolche, die ſich lediglich von löslichen, ohne weiteres aufſaug— baren Stoffen ernähren, die alſo der Fermente zum chemiſchen Aufſchluß ihrer Nahrung gar nicht bedürfen. Manche Geißeltierchen, deren Einbeziehung in die Reihe der Tiere freilich nicht unbeſtritten iſt, und auch einige andere Infuſorien beſitzen Chlorophyll (ſ. o. S. 43) und bauen mit deſſen Hilfe aus anorganiſchem Nährmaterial, aus Kohlen— ſäure und Waſſer, höhere organiſche Verbindungen auf, die ſich mit ſtickſtoffhaltigen Salzen zu eiweißartigen Stoffen zu kombinieren vermögen. Eine ſolche Ernährungsart, die ſonſt nur den grünen Pflanzen zukommt, nennen wir holophytiſch, die Tierchen ſelbſt Holo— phyten. In ſtehendem, fauligem Waſſer ferner und in feuchtem Boden, wo pflanzliche und tieriſche Stoffe verweſen, d. h. unter Einwirkung niederſter Organismen ſich zerſetzen, ſind häufig ſo viele organiſche Stoffe in Löſung vorhanden, daß Lebeweſen durch Aufnahme derſelben alle zum Aufbau von Protoplasma notwendigen Subſtanzen gewinnen können. Meiſt ſind es freilich Pflanzen, die ſogenannten Saprophyten, vorwiegend Spaltpilze und andere Pilze, aber auch einzelne Blütenpflanzen, die ſich ſo ernähren. Aber auch einige Tiere vermögen ſo zu leben: ſicher weiß man das von manchen Einzelligen, vor allem manchen Geißeltierchen (Chilomonas, Astasia); aber vielleicht beſitzen auch manche In— fuſorien und ſelbſt niedere Würmer die gleiche Ernährungsweiſe. Man kann dieſe Tiere als Saprozoön bezeichnen. Schließlich machen ſich manche Tiere, die den Darm anderer Tiere bewohnen, den durch dieſe vorbereiteten Speiſebrei zunutze und nehmen aus ihm die zur Reſorption fertigen Nährſtoffe auf. Es ſind Schmarotzer oder Paraſiten, wie etwa Bandwürmer, Spulwürmer oder darmbewohnende Infuſorien. Aber nicht alle Paraſiten, ja nicht ein— mal alle Darmparaſiten gehören hierher. Denn diejenigen, die ſich z. B. vom Blute ihres Wirtstieres nähren, nehmen, ganz abgeſehen von der feſten Subſtanz der Blut— körperchen, auch in dem flüſſigen Blutſerum einen Stoff auf, der nicht einfach reſorbiert werden kann, da er durch organiſche Membranen nicht zu diffundieren vermag; auch ſie alſo müſſen mit Hilfe von Fermenten die Nährſtoffe zur Löſung bringen. Diejenigen Tiere, welche feſte Nahrung aufnehmen, könnte man, im Gegenſatz zu den eben aufgezählten, Freſſer nennen. Die Freſſer nehmen ihre Nahrung entweder nur aus dem Pflanzenreiche, wie der Maikäfer oder das Schaf; oder ſie beſchränken ſich auf tieriſche Nahrung, wie die Seeſterne oder der Hecht; oder ſie machen keinen Unterſchied und nehmen ſowohl pflanzliche wie tieriſche Nahrung zu ſich, wie wir das beim Raben oder beim Menſchen ſehen. Wir unterſcheiden danach Pflanzenfreſſer oder Herbivoren, Fleiſchfreſſer oder Karnivoren und Allesfreſſer oder Omnivoren. Die von den Freſſern aufgenommenen Nahrungsmittel ſind meiſt derart, daß ſie nicht in ihrem ganzen Umfange in Löſung gebracht werden können; manche Teile von ihnen Nahrungsaufnahme bei Protozoen. 263 ſind unverdaulich. Der Chitinpanzer eines Käfers wird im Magen eines Vogels der Auf löſung ebenſo wiederſtehen wie die Kieſelhülle der Diatomee im Plasma eines Infuſors oder die Zellmembranen pflanzlicher Nahrung im Magen des Menſchen. Auch die um— wandlungsfähigen Subſtanzen werden durchaus nicht alle gelöſt, ſondern nur ſo weit, als fie den Spaltungs- und Löſungsmitteln zugänglich find: ein mehr oder weniger großer Teil derſelben kann unverändert zurückbleiben. Schließlich nehmen auch die reſorbierenden Zellen nicht unterſchiedlos alles auf, was gelöſt iſt, ſondern treffen eine Auswahl unter den Stoffen, die ſie aufſaugen, ſo daß auch gelöſte Stoffe bleiben können, ohne reſorbiert zu werden. Dieſe Reſtſtoffe müſſen aus dem Darme wieder entfernt werden: ſie werden als Kot ausgeſtoßen. Es ſteht alſo der Vorgang dieſer Ausſtoßung, die Defäkation, in notwendigem Zuſammenhang mit der Aufnahme feſter Nahrung. Bei den Tieren, welche gelöſte Nahrung aufnehmen, iſt eine Defäkation unnötig: wir finden bei den Holophyten, den Saprozoen und vielen Darmparaſiten nichts davon. Die bei weitem größte Mehrzahl der Tiere gehört zu den Freſſern. Bei Betrach— tung ihrer Ernährung haben wir alſo einzelne Stufen zu unterſcheiden: 1. die Nahrungs— aufnahme und den mechaniſchen Aufſchluß der Nahrung, ſoweit ein ſolcher ſtattfindet 2. den chemiſchen Aufſchluß der Nahrung; 3. die Reſorption und 4. die Defäkation. Die Verſchiedenheiten dieſer Vorgänge in den einzelnen Abteilungen der Tiere ſollen uns jetzt näher beſchäftigen. 3. Die Ernährung der Protozoen. Unter den einzelligen Tieren finden wir, wie ſchon oben erwähnt, einige Holophyten und wenige Saprozoen. Zahlreiche von ihnen leben als Paraſiten innerhalb der Gewebe und in den Körperhöhlen anderer Tiere oder ſchmarotzen auf deren Oberfläche: ſo beſteht die ganze Ordnung der Sporozoen aus Zellparaſiten, und unter den Geißel- und Wimper— infuſorien finden wir eine ziemliche Anzahl ſolcher, die der ſchmarotzenden Lebensweiſe angepaßt ſind und nur flüſſige Nahrung aufnehmen. Die meiſten aber ſind Freſſer. Die Art der Nahrungsaufnahme hängt von der Beſchaffenheit der Oberfläche des Zellkörpers ab. Bei den nackten Protozoen fehlt eine geſonderte feſte Zellmembran; die Begrenzung des Körpers wird durch ein hüllenloſes, zäheres Ektoplasma gebildet, welches das weiche Entoplasma rings umgibt. Bei ihnen iſt jeder Teil der geſamten Oberfläche zur Aufnahme feſter Nahrungsteilchen geeignet, und die unverdaulichen Stoffe können ebenſo an jeder Stelle aus dem Körper ausgeſtoßen werden. Wo aber der Körper des Protozoons von einer feſteren Hüllmembran, einer Pellikula, umgeben iſt, da kann feſte Nahrung nur an ſolchen Stellen eingeführt werden, wo dieſe Hülle ein Loch hat, wo alſo die Oberfläche wie bei der vorigen Abteilung beſchaffen iſt, ebenſo wie auch die unver— dauten Reſte nur an einer ähnlich beſchaffenen Stelle nach außen befördert werden können. Wir haben hier alſo an der Einzelzelle geradezu einen Mund und einen After, wie bei den mit beſonderem Darm verſehenen vielzelligen Tieren; dieſe Einrichtungen heißen Zell— mund (Cytoſtoma) und Zellafter (Cytopyge). Die Nahrungsaufnahme bei den nackten Protozoen läßt ſich ſehr ſchön an einer Amöbe beobachten. Die mit Hilfe ihrer lappenförmigen Scheinfüßchen fließend ſich be— wegende Amöbe umſchließt dabei alle möglichen Fremdkörperchen, die auf ihrem Wege liegen (Abb. 163): es werden ebenſogut kleine Algen und Bakterienhäufchen aufgenommen wie etwa Quarzkörnchen und Farbſtoffteilchen, die man im Waſſer verteilt hat. Um— ſtändlicher iſt die Aufnahme größerer Nahrungsteilchen, etwa von Algenfäden; unſere 264 Ernährung der Foraminiferen und Geißeltierchen. untenſtehende Abbildung 164 zeigt, wie durch immer erneute Geſtaltveränderungen, unter Ausſendung und Wiedereinziehung von Scheinfüßchen, die Amöbe dergleichen Gebilde in ihren Körper hereinzieht. In ähnlicher Weiſe wird die Nahrung von allen amöboid be— weglichen Protozoen aufgenommen, alſo auch von manchen Geißeltierchen. Bei den Foraminiferen und den Sonnentierchen, wo feine Protoplasmaſtrahlen nach allen Richtungen vom Körper ausgehen, liegt dieſen die Nahrungsaufnahme ob. Sobald ſolch ein Pſeudopodium mit einem Nahrungs— körper in Berührung kommt, ſtrömt ſein Proto— plasma nach dieſer Stelle zuſammen, und die benachbarten Strahlen neigen ſich herzu und helfen die Beute ganz in Plasma einhüllen. Unter Verkürzung der Strahlen kann die Nahrung dann in den Körper einbezogen werden; wo aber eine nur von engen Offnungen durchſetzte harte a ieee ehesten eg Schale dies hindert, wie bei vielen ſchalentragen⸗ aufnimmt. Nach Rhumbler. den Foraminiferen, da kann die Verdauung auch außerhalb des eigentlichen Zellkörpers ſtattfinden, in der kleinen Protoplasmamaſſe, die ſich um den Nährungsbrocken angeſammelt hat. Die Sonnentierchen nähren ſich nur von tieriſcher Beute, meiſt von Wimperinfuſorien, die beim Berühren der Protoplasmaſtrahlen daran feſtkleben und ſehr ſchnell bewegungslos werden, wahrſcheinlich gelähmt durch einen Giftſtoff, der hier ausgeſchieden wird. Diejenigen Geißelinfuſorien, bei denen eine Körperpellikula ausgebildet iſt, beſitzen, ſoweit ſie Freſſer ſind wie die Mehrzahl der Monadinen, einen Zellmund, der gewöhn— lich an der Baſis der Geißel, zuweilen in einer kleinen Vertiefung liegt. Durch den Schlag der Geißel werden Nah— rungsteilchen gegen dieſe Stelle geſchleudert und gelangendortentwederin ein oberflächlich gelege— nes Bläschen, die Mund— Abb. 164 Amo ebe, die einen Algenfaden „frißt“, vakuole, oder direkt in in vier aufeinanderfolgenden Zuſtänden. Nach Rhumbler. das Protoplasma. Am mannigfaltigſten ſind die Ernährungsverhältniſſe bei den Wimperinfuſorien. Sie nehmen ihre Nahrung ſowohl aus dem Pflanzenreich wie aus dem Tierreich. Von Pflanzen werden faſt alle einzelligen Pflanzen und Algen von ihnen gefreſſen; die Fleiſchnahrung bilden Geißel— tierchen, andre Wimperinfuſorien und vielfach auch vielzellige Tiere wie kleine Räder— tierchen und Würmer, kleine Krebschen, Krebslarven und Schneckenlarven. Die Wimper— infuſorien ſind unerſättliche Freſſer; bei Tag und Nacht ſind ſie auf der Nahrungsſuche und wachſen dementſprechend erſtaunlich ſchnell. Bei gewöhnlicher Zimmertemperatur (17— 20° ) teilt ſich das Pantoffeltierchen (Paramaecium caudatum Ehrbg.) binnen 24 Stunden zweimal, hat alſo in 12 Stunden ſein Volumen etwa verdoppelt. Andere wachſen unter den gleichen Bedingungen noch ſchneller: Stylonychia pustulata Ehrbg. Ernährung der Wimperinfuſorien. 265 teilt ſich dreimal, Glaucoma ſogar fünfmal in derſelben Zeit; ja mit ſteigender Tem— peratur nimmt die Wachstumsgeſchwindigkeit für manche Tiere noch zu: Leucophrys patula Ehrbg. zweiteilt ſich bei 23—26° 0m ſogar ſiebenmal in 24 Stunden, jo daß aus einem Individuum in dieſer Zeit 128 werden. Dieſe Zahlen zeigen, welch rieſige Nahrungsmaſſen im Ver hältnis zu ihrer Größe dieſe Zwerge vertilgen. Da bei allen Wimperinfuſorien der Körper von einer Pellikula über— zogen iſt, finden wir überall — mit Ausnahme weniger Paraſiten wie Opalina, die nur flüſſige Nahrung aufnehmen — einen vorgebildeten Zell— mund. Um die Beute an dieſer Stelle in den Körper einzuführen, ſind Hilfs— apparate wechſelnder Art in der Um— gebung des Mundes angebracht; von der Beſchaffenheit dieſer Einrichtungen wird die Art der Nahrungsaufnahme Abb. 165. Pantoffeltierchen (Paramaecium bursaria Ehrbg.), einen Strudelerzeugend. Nach Maupas. beſtimmt. Die Einrichtungen ſind von zweierlei Art. Entweder iſt die Mundöffnung und der daran anſetzende Schlund im Grunde einer muldenförmigen Vertiefung der Oberfläche, einer Periſtomeinſenkung, gelegen, z. B. bei Paramaecium bursaria Ehrbg. (Tafel 7), und es ſind in der Nachbarſchaft Vorrichtungen angebracht, die einen Waſſerſtrom in den Grund der Einſenkung hinein— treiben. Solche Vorrichtungen ſind entweder Wimpern, die ſtärker ausgebildet ſind als die Wimpern der übrigen Körper— oberfläche und häufig in Form einer Spirale das Periſtom umgeben (vgl. Stentor auf Tafel 7), oder es ſind Wimper— plättchen oder Membranellen, die durch Verſchmelzung einer Anzahl benachbarter Wimpern gebildet ſind; oder endlich ſind es undulierende Membranen. Mit dem ſchwächeren oder ſtärkeren Waſſerſtrom, den die Bewegung dieſer Gebilde erzeugt (Abb. 165), wird eine Menge kleinerer oder größerer Nahrungskörperchen in die Periſtomeinſenkung hineinge— trieben; in dem Schlundrohr jedoch, das im Grunde des Periſtoms anſetzt, iſt das Waſſer unbewegt, und hier ſammeln ſich die feſten Teilchen an, wie bei einem ſchnell fließenden Waſſer Holzſtückchen in einer ſtillen Bucht ſich anhäufen. Von da gelangen ſie in die am Grunde des Schlundes ge— bildete Mundvakuole. Dabei werden natürlich auch unver— 7 2 2 7 1707 Mi — INN Abb. 166. Nassula elegans Ehrbg. 1 Großlern, 2 Kleinkern, 3 adorale Wimperzone, 2 Reuſenapparat. Nach Schewiakoff. dauliche Teilchen, wie etwa im Waſſer verteilte Farbſtoffkörnchen, mit aufgenommen. Die ſo ausgerüſteten Wimperinfuſorien wollen wir Strudler nennen. Dem gegenüber iſt bei anderen die Bewimperung von nebenſächlicher Bedeutung für die Nahrungsaufnahme. Die Mundöffnung iſt hier von beweglichen Lippen umgeben, 266 Strudler und Packer. die aktiv die Nahrung ergreifen. Häufig iſt, wie bei Nassula (Abb. 166), durch Be— waffnung der anſchließenden Schlundwand mit reuſenartig angeordneten Verdickungen die Wirkſamkeit dieſes Packapparates erhöht. Manche beſitzen ſogar beſondere Geſchoſſe, die in der Umgebung des Mundes angehäuft ſind, die ſogenannten Trichocyſten, die ſie herausſchleudern können, um damit ihre Beute zu betäuben. Wir bezeichnen dieſe Formen als Packer. Den verſchiedenen Einrichtungen entſpricht nun im allgemeinen auch eine verſchiedene Nahrungsauswahl bei Strudlern und Packern. Reine Pflanzenfreſſer treffen wir haupt— ſächlich unter den Strudlern, und nur kleine Packer ſind daher zu zählen. Meiſt ſind es träge Tiere, die ſich langſam bewegen und auf einem engen Bezirk ſo lange verweilen, bis der Nahrungsvorrat dort erſchöpft iſt. Viele von ihnen ſind für gewöhnlich feſt— ſitzend, wie die Glockentierchen (Vorticella, Taf. 7) und löſen ſich nur dann von ihrer Unterlage los, wenn Nahrungsmangel eine Ortsver— änderung wünſchenswert macht. Von den Packern ge— hört die ſchon erwähnte Gattung Glaucoma hierher. Dieſe pflanzenfreſſenden Formen ſind die erfolg— reichen Reiniger der fauligen Gewäſſer; ſie nähren ſich von den Bakterien, die dort auf den Reſten von Tieren und Pflanzen üppig gedeihen. Ein einfacher Verſuch kann uns darüber belehren: ſetzen wir in einen Waſſer— tropfen, der von der Fülle der Bakterien milchig weiß ausſieht, einige Pantoffeltierchen (Paramaecium) und verhindern das Aus— trocknen, ſo iſt nach einigen Stunden der Tropfen rein wie Quellwaſſer, und die Para— mäcien ſind gewachſen und haben ſich ver— 0, I n mehr Abb. 167. Großes Paramaecium, von vier Didi- Manche Strudler, deren Wimperapparat Es wird dabei rn ſeltner zwingt ein kräftiger entwickelt iſt, vermögen auch lebende Didinium bie anderen Tosgulafien, und verſchüngt das Ganze. Beute neben pflanzlichen Nährſtoffen ein⸗ 55 zuſtrudeln: ſie ſind omnivor. Dahin gehören die Trompetentierchen (Stentor) und viele andre, und ihnen gleicht in bezug auf die Zuſammenſetzung der Nahrung eine Anzahl Packer mit ſtärkeren Lippen und mit Reuſen— einrichtungen im Schlund, wie Nassula (Abb. 166). Die ſtärkeren Packer aber ſind ausſchließlich Fleiſchfreſſer. Sie greifen die lebende Beute, oft auch ſtärkere Tiere, an und bewältigen ſie. Der kleine Coleps hirtus Ehrbg. wird mit ſeiner ſtarken Mundbewaffnung ſelbſt der ſechzehnmal größeren Paramäcien Herr, beſonders wenn ſie etwas ausgehungert ſind. Dileptus greift einen kleinen Ringelwurm unſerer Gewäſſer, Chaetogaster, an und vermag ihn zum Abſterben zu bringen. Didi- nium nasutum St. (Taf. 7 u. Abb. 167), um noch ein Beiſpiel anzuführen, ſchießt gegen ſeine Beute aus der Mundöffnung einen Plasmaſtrang von beſonderer Beſchaffenheit, den ſogenannten mittleren Strang, hervor, der auf den Körper anderer Wimperinfuſorien ätzend und giftig wirkt: dieſer bohrt ſich in das Beutetier, etwa ein Paramäcium, ein, tötet es und dient zugleich dazu, es in die ſehr dehnbare Mundöffnung hineinzuziehen; erſt wenn die Beute größtenteils verdaut iſt, was nach 2—3 Minuten geſchehen iſt, kehrt der Strang in ſeine Lage im Zellſchlund zurück. — Wenn man in Zuchtgläſern In— Verdauung bei Protozoön. 267 fuſorien zur Unterſuchung hält, jo treten zuerſt Pflanzenfreſſer auf; ihnen folgen dann bald die Fleiſchfreſſer, und wenn ſie mit der vorhandenen Beute aufgeräumt haben, um— geben ſie ſich mit einer ſtarren Hülle, ſie kapſeln ſich ein und können ohne Nahrung längere Zeit im Scheintod liegen, bis inzwiſchen meiſt beſſere Ernährungsverhältniſſe eingetreten ſind und ſie wieder Beute finden. Eine beſondere Art, ihre Nahrung aufzunehmen, haben die meiſt feſtſitzenden Saug— infuſorien, wie Aeineta (Tafel 7) u. a. Sie ernähren ſich ausſchließlich von lebender Beute, meiſt von Wimperinfuſorien. Von ihrem Körper geht eine Anzahl röhrenförmiger Greif- und Saugtentakel aus, die aus hellem Protoplasma beſtehen und offen endigen. Wenn ein vorbeiſtreichendes Infuſor an den klebrigen Enden dieſer Tentakel haften bleibt, ſo wird es durch ein giftiges Sekret des Acinetenkörpers ſchnell ſtarr, und durch die Saugröhrchen wird ſein Protoplasma in den Körper des Räubers eingeſogen. Es iſt intereſſant, zu ſehen, daß ſich bei Tieren auf jo niedriger Stufe doch ſchon eine genaue Auswahl der Nahrung findet. Man kennt unter den Protozoen eine Anzahl Spezialiſten, die ſich ſtets an die gleiche Nahrung halten: Vampyrella spirogyrae Cienk., ein Wurzelfüßler, ſaugt nur die Zellen der Alge Spixogyra aus; unter den Geißeltierchen frißt Bodo caudatus St. nur Chlamydomonas, ein andres Geißelinfuſor, und Multieilia hält ſich an Chlamydomonas und Pandorina, auch wenn ihr Wohnort von andren Geißelinfuſorien wie Euglena, Trachelomonas u. dgl. wimmelt. Die weiteren Schickſale der aufgenommenen Nah— rungsbrocken ſind bei allen Protozoen etwa die gleichen. Entweder gelangen die Nahrungskörper von vornherein Abb. 168. Schema des Wegs der auf in ein Flüſſigkeitsbläschen, eine Mundvakuole, die ſich l 55 dann von Zeit zu Zeit loslöſt und in den Körper Die durch den Zellſchlund () ins Proto plasma gelangende Nahrung wird abwärts hineinwandert, wie bei manchen Geißeltierchen und den geführt (0 © O), bleibt auf der mit +++ I ae ER: vg: 2 10 bezeichneten Strecke eine Zeit lang in Ruhe, Strudlern unter den Wimperinfuſorien (ſiehe bei Stentor, zerfällt dann . und wird im Zellinnern Tafel 7), oder es bildet ſich eine beſondre Nahrungs- aa den m vakuole um das aufgenommene Nahrungsteilchen. Wenn 2 re 1 man Protozoen mit blauen Lackmuskörnchen füttert, ſo N verfärben ſich dieſe meiſt in der Vakuole und werden rot, ein Zeichen, daß in der Vakuolenflüſſigkeit eine Säure vorhanden iſt. Dieſe muß von dem umgebenden Proto plasma dahinein abgeſondert ſein; das Protoplasma ſelbſt reagiert, wie alle lebende Subſtanz, alkaliſch. Die ſaure Reaktion währt einige Zeit, bei der Amöbe z. B. 20 Minuten. Die Säure dient zum Töten der aufgenommenen Nahrung; Verſuche an Amöben haben gezeigt, daß der Extrakt des Tieres lebende Bakterien nicht zu ver— dauen vermag, wohl aber abgetötete. Erſt dann ſetzt die Verdauung ein, indem ſich nach Aufhören der ſauren Reaktion ein tryptiſches Ferment in die Vakuole ergießt. Hier geht nun die Auflöſung der verdaulichen Beſtandteile vor ſich, und dieſe werden aufgeſaugt, während die unverdaulichen Reſte ſchließlich ausgeſtoßen werden. Während— deſſen wird die Nahrungsvakuole durch eine Protoplasmaſtrömung fortgeführt und zir 268 Arbeitsteilung im Verdauungsapparat. kuliert durch den Körper, um dann nach beendigter Verdauung nach außen entleert zu werden (Abb. 168). Bei den mit einer Pellikula ausgeſtatteten Formen geſchieht dies an der vorgebildeten Afterſtelle. a Von hohem Intereſſe iſt es, daß bei den Protozoen, nach den bisherigen Unter— ſuchungen, faſt nur Eiweißſtoffe verdaut werden, die Urnahrung, die alle zum Leben nötigen Subſtanzen enthält; Fett wird gar nicht reſorbiert; dagegen iſt in einzelnen Fällen beobachtet worden, daß Stärkekörner etwas anverdaut waren, korrodiert, wie die Stärke— körner in keimenden Samen. 4. Die Ernährung der Metazo£n. a) Allgemeine Betrachtungen. Die vielzelligen Tiere, die Metazoen, unterſcheiden ſich von Protozoenfolonien be- ſonders dadurch, daß bei ihnen zwiſchen den Zellen des Verbandes eine Arbeitsteilung und damit auch eine Verſchiedenheit im Ausſehen eingetreten iſt, während hier alle Einzel— zellen ſowohl der Geſtalt nach wie auch in ihren Verrichtungen einander gleichen. So wird denn auch die Nahrungsaufnahme und Verdauung bei den Vielzelligen charakteri— ſiert durch die Bildung beſonderer Organe, denen dieſe Verrichtungen obliegen. Bei vielen Tieren ſpiegelt ſich der Schritt von der Protozoenkolonie zum Metazoon, den ihre Ahnen vor unendlich langer Zeit machten, noch jetzt in der Entwicklung wieder. Bei der Blaſtulalarve, die eine Hohlkugel mit einer einſchichtigen Wandung von geißel— tragenden Zellen darſtellt, ſind oft noch alle Zellen gleichgeſtaltet und ſtehen im gleichen Verhältnis zur Geſamtheit; mit dem Übergang zur Gaſtrula, der doppelwandigen becher— förmigen Larve, wird die Arbeit für die Erhaltung des Individuums ſo zwiſchen den zwei Zellagen geteilt, daß die äußere Schicht, das Ektoderm, die motoriſchen und ner— vöſen Verrichtungen übernimmt, während die innere Lage, das Entoderm, in den aus— ſchließlichen Dienſt der Ernährung tritt (Abb. 53, S. 88). Dies frühzeitige Auftreten be— ſonderer ernährender Zellen entſpricht ganz der hohen Bedeutung, die der Ernährung für den Organismus zukommt. Trotz dieſer Spezialiſierung bleibt den ernährenden Zellen immerhin noch eine Viel— heit von Verrichtungen zugeteilt. In der Stufenreihe der Tiere ſind daher auch zwiſchen ihnen wieder mannigfache Arbeitsteilungen eingetreten, und ſchließlich kommt es zu einer außerordentlich weitgehenden Anpaſſung einzelner Zellbezirke an beſondere, einfache Auf— gaben. Die verſchiedenen Einrichtungen, die dabei entſtehen, laſſen ſich am leichteſten überblicken, wenn wir ſie nach der Stufe der Arbeitsteilung anordnen, die unter den Zellen des Ernährungsapparates Platz greift. Die Gaſtrula mit ihren zwei Primitivorganen, der ektodermalen Körperhülle und dem entodermalen Darm, iſt das Urbild eines Metazoons. So bleiben denn auch die einfachſten Metazoen faſt ganz auf der Stufe einer Gaſtrula ſtehen. Der Darm ſteht nur durch eine einzige Offnung, die zugleich als Mund und als After dient, mit der Außenwelt in Verbindung. Der Darmraum bewahrt in manchen Fällen ſeine urſprüng— liche Einfachheit und ſtellt einen einheitlichen Sack dar; wenn er aber bei anderen auch durch einſpringende Scheidewände oder durch Ausſackungen eine kompliziertere Geſtalt annimmt, ſo ſind doch die Zellen, die ihn auskleiden, im allgemeinen von gleicher Be— ſchaffenheit in den verſchiedenen Abſchnitten. Die Art und Weiſe der Nahrungsverar— beitung durch die Zellen bleibt bei den einfach organiſierten Tieren, die hierher gehören, Intrazellulare Verdauung. 269 noch ganz die gleiche wie bei den Protozoen: die Nahrungsteilchen werden in das Proto— plasma der Zelle aufgenommen; dort werden ihre verwertbaren Beſtandteile aufgelöſt und reſorbiert, die unverdaulichen Reſte werden aus der Zelle wieder in den Darmraum ausgeſtoßen und durch den Mund entleert. Die Aufnahme der Nahrungsſtoffe geſchieht gewöhnlich in der Weiſe wie bei den Amöben: das hüllenloſe Plasma der Darmzelle ſendet Fortſätze aus, wie es die nebenſtehende Abbildung 169 von den Darmzellen des Leberegels (Distomum hepaticum IL.) zeigt; die Fortſätze umfließen das Futterteilchen, und indem ſie ſich wieder zurückziehen, führen ſie es in die Zelle ein. Durch Verſchmelzen der benachbarten freien Zellenenden werden in ſolchen Fällen häufig die Zellgrenzen un— deutlich. Nur bei den Schwämmen, die auch ſonſt eine Sonderſtellung einnehmen, ent— ſpricht die Nahrungsaufnahme derjenigen, wie wir ſie bei vielen Geißeltierchen kennen lernten: es wird das Nahrungsteilchen durch den Schlag der Geißel gegen das Zell— plasma geſchleudert und gelangt ſo in das Innere der Zelle. In beiden Fällen bildet ſich im Plasma um das aufgenommene Körperchen eine Nahrungsvakuole und in dieſe ergießen ſich die verdauenden Säfte. Man hat dieſe Tat— . ſache meiſt ſo ermittelt, i daß man Farbſtoffkörnchen dem ee 0 ) Futter der betreffenden Tiere beimiſchte oder in dem Waſſer 1 So verteilte, in dem die Verſuchstiere gehalten werden. Dieſe Ne SE Körnchen kann man bei durchſichtigen Tieren auf ihrem N N Wege verfolgen, bei undurchſichtigen findet man ſie nach dem Zerzupfen in den Darmzellen. Die Anweſenheit von Fer— menten in den Darmzellen iſt mit Sicherheit nachgewieſen; man kann ſolche aus der Darmſchleimhaut extrahieren. Bei den Aktinien hat Mesnil in der aus den Darmzellen aus— gezogenen Flüſſigkeit ſogar vier verſchiedene Fermente neben— einander nachweiſen können, ein eiweißlöſendes, ein zucker— e 1 . 85 2 . - Abb. 169. bildendes, ein fettverſeifendes und ein Lab-Ferment. Darmzellen des Leberegels Die Tatſache, daß bei den niederſten Metazoen die be der Nahrungsaufnahme Verdauung der Nahrung eine intrazellulare iſt, hat durchaus nichts Überraſchendes für den, der die Tierwelt vom Standpunkte der Abſtammungs— lehre betrachtet. Sie ſteht in vollkommener Übereinſtimmung mit der Annahme, daß die Metazoen von Protozosnkolonien ihren Urſprung genommen haben; von dieſen haben ſie auch die Art der Nahrungsverarbeitung als Erbſtück übernommen. Ja bei den oben erwähnten Fütterungsverſuchen mit Farbkörnchen hat es ſich ſogar ergeben, daß bei einzelnen Tieren auch manche Ektodermzellen die Fähigkeit behalten haben, Fremdkörper aus dem umgebenden Waſſer aufzunehmen. Am auffälligiten iſt dieſe Erſcheinung bei den Larven der lebendig gebärenden Aktinie Bunodes sabelloides Andr,, die mittels ſehr kurzer Pſeudopodien Karminkörnchen in ihre Ektodermzellen ein— ziehen, und zwar um fo zahlreichere, je jünger fie find. Ebenſo ſind die Epithelien der Tentakelſpitzen von Actinia equina L. imſtande, ſolche Körnchen zu „freſſen“. Bei dem Hydroidpolypen Plumularia ſind an einzelnen Teilen, den ſogenannten Nema— tokalyces, die Ektodermzellen mit der gleichen Fähigkeit in hohem Maße aus— geſtattee; wenn beim längeren Halten der Plumularia im Aquarium die Polypen— köpfchen abſterben, werden ſie von den Nematokalyces förmlich aufgefreſſen, und zwar nur durch die Tätigkeit des ektodermalen Epithels; denn eine Mundöffnung exiſtiert an dieſen Gebilden nicht. Es bleiben dann die Weichteile des Stammes und die 270 Intrazellulare Verdauung. Nematokalyces am Leben und können beim Eintritt günſtigerer Bedingungen wieder Polypenköpfchen bilden. Die Entdeckung der intrazellularen Verdauung im Darm von Metazoen, die um die ſiebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hauptſächlich durch die Unterſuchungen des vorzüglichen ruſſiſchen Gelehrten Metſchnikoff begründet wurde, kam der wiſſenſchaft— lichen Welt überraſchend. Die Neigung, bei der Beurteilung der Tierwelt die Verhält— niſſe, die wir beim Menſchen finden, zugrunde zu legen, dieſe ſo natürliche, aber auch ſo unſelige, erkenntnishemmende Neigung war damals noch viel mehr feſtgewurzelt als heute, und wir haben ſie noch keineswegs ganz überwunden, trotzdem wir uns bewußt ſind, welche Gefahr der Irreführung darin gelegen iſt. So einfach gebaute Verdauungsorgane, bei denen die Nahrungsſtoffe intrazellular verdaut werden und für Aus- und Einfuhr nur eine Darmöffnung vorhanden iſt, finden wir nur bei Angehörigen der beiden niederſten Tierkreiſe, den Cölenteraten und den Plattwürmern. Die Schwämme, die wir dem Gebrauche gemäß den Cölenteraten an— gliedern, nehmen auch hier eine Sonderſtellung ein durch den Beſitz einer Ausfuhröffnung, und von den Plattwürmern zählen diejenigen nicht hierher, bei denen eine für die Defäkation beſtimmte zweite Darmöffnung vorhanden iſt, die Schnurwürmer (Nemertinen) und die Rädertiere. Intrazellulare Verdauung iſt außerdem noch in den Mitteldarm— blindſäcken, der ſogenannten Leber der Schnecken beobachtet worden, und zwar nur für Eiweißſubſtanzen, während Stärke und Fett, nachdem die Fermenteinwirkung im Hohl— raum des Darmes ſie umgewandelt hat, in gelöſtem Zuſtande zur Aufnahme kommen. Ob auch ſonſt noch bei höheren Tieren eine intrazellulare Verdauung im Darmepithel vorkommt, iſt nicht bekannt; jedenfalls läßt es ſich nicht von vornherein ausſchließen. Die Annahme aber, die eine Zeitlang viel Beifall fand, daß ſelbſt bei den Wirbeltieren eine intrazellulare Aufnahme wenigſtens von Fett ſtattfinde, indem die Darmzellen das— ſelbe mittels Pſeudopodien umflöſſen, hat mehr und mehr an Anhängern verloren; wir halten ſie für höchſt unwahrſcheinlich. Eine höhere Stufe in der Bildung des Darmes wird durch einen Fortſchritt nach zwei Richtungen erreicht: durch das Aufhören der intrazellularen Nahrungsaufnahme und durch das Entſtehen einer Afteröffnung. Die intrazellulare Verdauung iſt natürlich nur möglich, wenn die Darmzelle mit dem Nahrungsſtoffe in unmittelbare Berührung kommt. Ferner muß die Nahrung ent— weder ſchon in Form winziger Partikelchen in den Darm gelangen, oder die Zellen müſſen von größeren Stücken geradezu abbeißen. Die Neuerwerbung nun beſteht darin, daß das Verdauungsſekret der Darmzelle in den Darmraum hinein abgeſchieden, ſezerniert wird; dort wirken die darin enthaltenen Fermente löſend auf die verſchiedenen Nahrungs— mittel ein, und nur die gelöſten Stoffe gelangen an die Oberfläche der Zelle und werden reſorbiert. Damit werden die Leiſtungen, die den Zellen zugemutet werden, weit weniger vielſeitig und können von ihnen gründlicher ausgeführt werden. Es iſt auch nicht mehr notwendig, daß die aufgenommenen Nahrungsſtoffe in engſten Kontakt mit den Darmzellen kommen: der chemiſche Aufſchluß derſelben geſchieht eben, ſoweit der ſezernierte Darmſaft ſie durchdringt. Die Zellen ſelbſt können fortwährend ihrer ſezernierenden und reſor— bierenden Tätigkeit obliegen, ohne daß dieſe jeweils unterbrochen wird durch die Not— wendigkeit, unverdauliche Reſte wieder nach außen zu befördern. Schließlich iſt damit der weitere Vorteil verbunden, daß Verletzungen der Zellen durch ſcharfe Ränder und Kanten aufgenommener Nahrungsteilchen ganz hinwegfallen. Die Zellen ſind jetzt nicht Afteröffnung. Zu mehr nackt gegen den Darmraum zu, ſondern beſitzen auch dort eine Membran, die für die flüſſigen Stoffe, die ſie ja lediglich durchzulaſſen hat, paſſierbar iſt; oft ſind ſie gegen Verletzungen durch einen dickeren Grenzſaum geſchützt, der aus dichtſtehenden, feinen Stäbchen von feſter Beſchaffenheit beſteht und zwiſchen dieſen die flüſſigen Stoffe durchläßt. Durch die Bildung der Afteröffnung an dem dem Munde entgegengeſetzten Ende des Darmes wird der Mund entlaſtet: er dient jetzt lediglich der Nahrungsaufnahme; die Ausſtoßung der unverdauten Stoffe geſchieht durch den After und unterbricht nicht mehr in gewiſſen Zwiſchenräumen die Nahrungsaufnahme. Die Zufuhr findet kein Hindernis mehr durch die zeitweilige Notwendigkeit der Ausfuhr, die jetzt ihre eigenen Bahnen hat. Es iſt ein richtiger Darmkanal geſchaffen, durch den ſich ein langſamer Strom von Nahrungsſtoffen in ſtets gleicher Richtung hinzieht; die Bewegung dieſer Stoffe im Darmkanal geſchieht durch die wellenförmig fortſchreitenden, periſtaltiſchen Zu— ſammenziehungen der Darmmuskulatur. Damit iſt zugleich die Grundlage für einen weiteren Fortſchritt gegeben: bei günſtigen Nahrungsverhältniſſen können größere Nah— rungsvorräte in den zu dieſem Behufe oft erweiterten vorderen Abſchnitten des Darmes aufgenommen werden, ohne daß dieſe Maſſen den verbrauchten, unverdaulichen Stoffen den Ausweg verſperrten. In allen Tierklaſſen mit Ausnahme der Cölenteraten und Plattwürmer und außer— dem bei den Schnurwürmern und Rädertieren unter den Plattwürmern ſind dieſe beiden Fortſchritte gemeinſam verwirklicht. Zwar finden wir bei manchen Cölenteraten, z. B. gewiſſen Quallen (Rhizostoma) und bei einigen Plattwürmern aus der Abteilung der meerbewohnenden Polykladen außer der Hauptöffnung des Darmes noch andere, oft ſehr zahlreiche kleinere Offnungen, die auch in manchen Fällen ſicher zur Ausſtoßung unverdaulicher Stoffe benutzt werden. Auf eine ſolche Bildung iſt offenbar auch die Entſtehung des Afters zurückzuführen. Aber das ſind nur unvollkommene Anfänge; ein allgemeiner Beſitz iſt der After bei jenen Formen nirgends. Wenn jedoch in der Verwandtſchaft der Tiergruppen, die einen After beſitzen, hie und da dieſe Bildung ganz, wie bei den Schlangenſternen unter den Stachelhäutern, oder zeitweiſe, wie bei Bienen— larven und dem Ameiſenlöwen, fehlt, ſo iſt das nicht ein Stehenbleiben auf urſprüng— licherer Entwicklungsſtufe, ſondern eine Rückbildung, deren Nachteile durch irgendwelche anderen Vorteile ausgeglichen werden. Allerdings iſt die Ausnutzung der brauchbaren Beſtandteile des Futters bei intra— zellularer Ernährung eine gründlichere; was in die Zelle gelangen kann, wird aufgelöſt, ſoweit es löslich iſt. Aber die Reihe der dazu brauchbaren Stoffe iſt eben eine be— ſchränkte: nur winzige Zerfallsprodukte von pflanzlichen und tieriſchen Stoffen oder kleinſte Organismen und unter günſtigen Umſtänden die leichter angreifbaren Körperteile größerer Tiere waren für die Aufnahme geeignet. Teile höherer Pflanzen, Blätter und vor allem die an Eiweiß und Stärkemehl ſo reichen Samen waren davon ganz ausgeſchloſſen. Bei der neuen Art der Verdauung iſt die Zahl der möglichen Nahrungsſtoffe viel größer, wird aber die Ausnützung der Nahrung vermindert, ſo wird das auf der anderen Seite gut gemacht durch die viel reichlichere Nahrungsaufnahme, die jetzt möglich iſt. Die geſchilderten Verhältniſſe bilden nun die Grundlage für weitere Fortſchritte. Ein ſehr gewichtiges Moment für die gründlichere Ausnützung der Nahrung iſt es, daß zu der chemiſchen die mechaniſche Erſchließung des Futters hinzukommt. Bei den Cö— lenteraten und den meiſten Plattwürmern fehlen jegliche Kauwerkzeuge; nur bei den Rädertierchen ſind gegeneinander wirkende „Kiefer“ vorhanden. Bei den Würmern und 212 Fortſchreitende Arbeitsteilung im Darmkanal. Stachelhäutern treten ſolche auf, bei den Weichtieren, den Gliederfüßlern und den Wirbel— tieren gelangen ſie zu immer höherer Vollkommenheit. Es ſind meiſt Werkzeuge, die ſich vom Ektoderm ableiten wie Kiefer, Zähne und Kaumägen, und die ſinngemäß in den Anfangsteilen des Darmrohres vor dem Munde oder im Vorderdarm angebracht find — nur bei den Vögeln iſt durch beſondere Einrichtungen ein Teil des entodermalen Darmrohres zum Kaumagen umgeſtaltet. Wir haben es hier alſo mit akzeſſoriſchen Organen des Verdauungsapparates zu tun, die in den einzelnen Tierkreiſen unabhängig erworben und daher jedesmal wieder nach einem anderen Plane gebaut ſind. Wir werden ſie erſt bei den folgenden ſpeziellen Betrachtungen näher beſchreiben. Aber auch innerhalb des entodermalen Darmrohres treten Differenzierungen ein, die deſſen Leiſtungsfähigkeit erhöhen. Sie gründen ſich wiederum auf Arbeitsteilung unter den Entodermzellen. Im urſprünglichen Falle ſind alle Zellen der Darmwand gleich beſchaffen und, ſoweit ſie nicht wie bei den paraſitiſchen im Darm ihrer Wirtstiere im Nahrungsſaft lebenden Spulwürmern ſchon vorbereitete Stoffe nur aufzuſaugen brauchen, muß aus dieſer Gleichheit gefolgert werden, daß jede ſowohl ſezernierend als reſorbierend tätig iſt. Solch völliger Gleichheit der entodermalen Zellen begegnen wir unter anderen mit Sicherheit bei manchen Stachelhäutern, den Egeln und einigen niederen Borſtenwürmern (3. B. Polygordius). In anderen Fällen treten verſchiedene Arten von Zellen gemiſcht auf. Dann läßt es ſich freilich ohne nähere Unterſuchung nicht mit Sicherheit behaupten, daß die einen fermentbildend, die anderen reſorbierend tätig ſeien. Manchmal iſt vielmehr die zweite Art von Zellen mit großer Wahrſcheinlichkeit als Schleimzellen anzuſprechen; ſie ſcheiden ein Sekret ab, das mit der Verdauung als ſolcher wenig oder gar nichts zu tun hat, dem aber trotzdem eine wichtige Wirkung zukommt: der Schleim hüllt die Nahrungsmaſſen in eine weiche, glatte Hülle, erleichtert damit ihre Bewegung im Darmrohr und verhindert eine Verletzung des Darmepithels durch ſcharfe Ecken und Kanten der Nahrungsteilchen. Dabei behalten die Zellen der erſten Art doch die Funktionen der Fermentausſcheidung und Reſorption nebeneinander; eine Arbeits— teilung in dieſer Hinſicht iſt noch nicht eingetreten. Solche Verhältniſſe dürften etwa im Darm der Regenwürmer vorliegen. Wenn aber die beiden Funktionen der Entodermzellen, die wir bisher in den gleichen Zellen vereinigt ſahen, auf verſchiedene Zellindividuen verteilt werden, ſo iſt damit ein weiterer Fortſchritt gegeben. Denn wie bei aller Arbeitsteilung wird auch hier die Fähigkeit der Zelle für eine Verrichtung vollkommener werden, wenn ſie dieſer allein obliegt und nebenbei nichts weiter zu beſorgen hat. So finden wir z. B. in den Mittel— darmſäcken der Schnecken fermentbildende und reſorbierende Zellen nebeneinander; bei Tieren, die längere Zeit gehungert haben, ſind die erſten mit großen Vorräten von Sekret— ſtoff erfüllt, die man nach Fütterung der Tiere ſchnell abnehmen ſieht. Auf dieſen Zuſtand, die Arbeitsteilung zwiſchen fermentbildenden und reſorbierenden Zellen, gründet ſich dann der weitere Fortſchritt, der zu der höchſten Ausbildung des Verdauungsſyſtems in der Tierreihe führt. Bisher ſtanden die beiderlei weſentlichen Zellen des Darmepithels vermiſcht neben- und durcheinander, etwa wie die weißen und ſchwarzen Felder eines Schachbretts. Der Höhepunkt der Arbeitsteilung wird dort erreicht, wo auch eine räumliche Sonderung der zwei Zellarten eintritt. Anſtatt des einheitlichen Darmrohres bilden ſich verſchiedene zuſammenwirkende, aber getrennte Organe, deren Anordnung ihrer Aufgabe entſpricht. Die fermentbildenden Organe, deren Epithel nur aus ſezernierenden Zellen beſteht, werden an den Anfang des Darmkanals verlegt, die Fortſchreitende Arbeitsteilung im Darınfanal. 273 reſorbierenden Abſchnitte folgen auf fie: es iſt daher die Nahrung, wenn ſie zu ihnen kommt, ſchon von Fermenten durchſetzt und mindeſtens zum Teil in Löſung gebracht und reſorptionsfähig gemacht. Für die fermentabſcheidenden Zellen iſt es nun völlig unnötig, daß ſie mit den auf— genommenen Nährſtoffen in Berührung kommen; es genügt, wenn ihr Sekret dorthin abfließt, wo es ſich der Nahrung beimiſchen und ſie chemiſch zerſetzen kann. Anders mit den reſorbierenden Zellen: ſie müſſen mit dem Speiſebrei in unmittelbare Berührung kommen, damit ſie ſeine aufſaugbaren Beſtandteile in ſich aufnehmen können. Dieſe Überlegung erklärt uns die verſchiedene Anordnung der ſezernierenden und reſorbierenden Organe, die wir bei den höheren Tieren finden. Epithelbezirke, die der Abſcheidung dienen, werden von ihrem Mutterboden, dem Darmrohr, abgetrennt: ſie kommen in Aus— ſackungen und Nebenräume zu liegen, die ſich durch Ausſtülpung bilden. So ſind die Leber und die Bauchſpeicheldrüſe bei den Wirbeltieren Anhangsorgane des Darmkanals geworden, die nur noch durch ihre Ausführungsgänge mit dem eigentlichen Darm ver— bunden ſind; wir würden vielleicht ihren engen morphologiſchen Zuſammenhang mit dieſem gar nicht kennen, wenn uns nicht die Entwicklung zeigte, daß ſie ſich beim Embryo aus Teilen der Darmwandung herausbilden, daß alſo dort der Mutterboden für ſie zu ſuchen iſt. 5 Das Vorhandenſein geſonderter Verdauungsdrüſen, die mit der Reſorption als ſolcher gar nichts zu tun haben, iſt auf die Wirbeltiere mit ihren nächſten Verwandten, den Manteltieren, und auf die Tintenfiſche beſchränkt. Wenn man früher gewiſſe Ausſackungen des Darmes bei Weichtieren und Krebſen als Leber bezeichnet hat, ſo geſchah dies ohne genaue Kenntnis ihrer Verrichtung. Die Annahme, daß es fermentbildende Drüſen ſeien, wurde nur durch den oberflächlichen Vergleich mit den Organiſationsverhältniſſen der Wirbeltiere nahegelegt. Neuere Forſchungen aber haben den ſicheren Beweis gelie— fert, daß dieſe Nebenräume des Darmes reſorbierende ſowohl wie ſezernierende Zellen neben- und durcheinander enthalten, daß ſie alſo keine reinen Drüſen ſind, und daß die höchſte Stufe der Arbeitsteilung hier nicht erreicht iſt. Der Übelſtand, den die extrazellulare Verdauung gegenüber der intrazellularen mit ſich brachte, nämlich die geringere Ausnutzung der von Fermenten durchſetzten Nahrungs— ſtoffe, wird durch dieſe Einrichtungen um ſo vollſtändiger ausgeglichen, als in dem re— ſorbierenden Abſchnitt des Verdauungsapparates eine bedeutende Vermehrung der auf— ſaugenden Oberfläche durch oft große Verlängerung des eigentlichen Darmrohrs und durch Bildung von Zotten und Falten der Darmſchleimhaut erreicht wird. Damit iſt die höchſte Stufe der Leiſtungsfähigkeit des Darmkanals gegeben. Die Möglichkeit der Verarbeitung großer Nahrungsmengen iſt mit gründlicher Ausnutzung derſelben verbunden. Das bietet naturgemäß im Kampf ums Daſein einen nicht geringen Vorteil. Wenn zur Erreichung der gleichen Körpergröße bei ſo „zweckmäßiger“ Ein— richtung des Verdauungsapparates geringere Maſſen von Fraßſtoffen nötig waren, ſo mußten in Zeiten des Mangels die ſo organiſierten Tiere vor ihren weniger begünſtigten Mitbewerbern einen Vorſprung haben. Andrerſeits iſt es nicht unwahrſcheinlich, daß gerade durch dieſe vorzüglichen Ernährungseinrichtungen erſt die Möglichkeit geboten wurde, jenes hohe Maß von Körpergröße zu erreichen, das wir faſt nur bei den Wirbel— tieren finden. Auch unter den Tintenfiſchen kommen einige Formen vor, die ebenfalls die übrige Schar der Wirbelloſen an Größe gewaltig übertreffen, jene rieſigen Pulpen, deren Leichname wir bisweilen an den Küſten der Meere geſtrandet finden, während wie Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 18 274 Fortſchreitende Arbeitsteilung im Darmfanal. von ihrem Leben ſo wenig wiſſen, daß wir nur vermuten können, ſie ſeien mit den immer wieder hier und da geſehenen „großen Seeſchlangen“ identiſch. Aber auch bei ihnen begegnet uns ja jene weitgehende Arbeitsteilung im Verdauungsapparat. Daß bedeutende Körpergröße ohne ausgiebige Ernährung nicht erreichbar iſt, bedarf keines weiteren Beweiſes, und ſo läßt ſich die Annahme wohl kaum zurückweiſen, daß die hohe Entwicklung der Verdauungsorgane ihren beträchtlichen, wenn nicht den Hauptanteil an der Erreichung ſolcher Höchſtleiſtungen hat. Wir haben in kurzem Überblick die verſchiedenen Stufen der fortſchreitenden Arbeits— teilung oder, was gleichbedeutend iſt, der zunehmenden Vervollkommnung des Verdauungs— apparates nebeneinander geſtellt. Es iſt faſt überflüſſig, noch hinzuzufügen, daß wir nicht ſcharf voneinander geſonderte Typen haben, wie ſie hier, der Darſtellung wegen, heraus— gegriffen wurden, ſondern daß mancherlei Übergänge von den niederen zu den höheren Bildungen führen. Die Einzelforſchungen ſind noch nicht überall ſo weit gediehen, daß wir in jedem Fall genau die Verrichtungen jedes Teiles des Darmes bei einem Tiere angeben könnten, und ſo läßt ſich noch nicht für jede Form zweifellos entſcheiden, ob ſie in dieſe oder jene Gruppe oder zwiſchen zwei ſolche gehört. Das wird ſich denn auch fühlbar machen, wenn wir im folgenden bei den einzelnen Tierklaſſen die Verdauung und ihre Organe näher betrachten. Was die Aufnahme der Nahrung angeht, ſo laſſen ſich, abgeſehen von denen, die ſchon gelöſte Nahrung als Paraſiten aus dem Darmſaft des Wirtstieres aufnehmen, bei den Metazoen ganz wie bei den Wimperinfuſorien Strudler und Packer unterſcheiden Benennungen, die keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Der Einfluß, den der Verdauungsapparat auf die Geſtaltung des übrigen Körpers hat, iſt mit der oben angedeuteten Beziehung zur Größenentwicklung der Tiere nicht er— ſchöpft. An den primitivſten vielzelligen Tieren iſt der Darm wie das ſtammesgeſchichtlich. älteſte ſo auch das umfangreichſte Organ; der übrige Körper iſt, etwa bei einer Aktinie oder einem Schwamm, faſt nichts als eine einfache Hülle um den Magen; die Verdauungs— organe ſind formbeſtimmend für das ganze Tier. So bleibt es, ſolange die Beſchaffung der Nahrung keine großen Bewegungsleiſtungen erfordert. Je ſpezieller aber die Nahrung wird, je mehr das Tier eine Wahl übt und ſich an beſtimmte Koſt anpaßt, um ſo mehr muß es ſich zur Erlangung derſelben bewegen, um ſo wichtiger werden die Bewegungs— organe. Sie ſind es jetzt, die den Haupteinfluß auf das geſamte Ausſehen des Tieres bekommen. Nach dieſem allgemeinen Überblick über die Ernährungsverhältniſſe bei den viel— zelligen Tieren wollen wir einzelne Beiſpiele aus der unendlichen Mannigfaltigkeit der Kombinationen vorführen, die uns in der Tierreihe begegnen. Allerdings iſt da eine Beſchränkung unbedingt nötig, und für die hier getroffene Auswahl ſind neben der Rück— ſicht auf den verfügbaren Raum auch vielfach die Grenzen von Bedeutung geweſen, die unſere mangelhaften Kenntniſſe an vielen Stellen von ſelbſt ſetzen. b) Die Ernährung der Hohltiere, Plattwürmer, Stachelhäuter und Würmer. Die Hohltiere (Coelenteraten) ernähren ſich durchweg von tieriſchen Stoffen, deren ſie ſich auf verſchiedene Weiſe bemächtigen. Die feſtſitzenden Formen haben Fangarme, die bei Berührung mit der Nahrung dieſe ergreifen und in die Mundöffnung einführen. Die freiſchwimmenden Meduſen und Rippenquallen ſind zwar auch teilweiſe mit ſogenann— ten Tentakeln ausgeſtattet; meiſt aber ſind dieſe zum Feſthalten einer Beute nicht kräftig Ernährung der Hohltiere. 275 genug: ſie dienen nur als Spürorgane; die Mundöffnung aber liegt an der Spitze eines beweglichen Stieles, oder aber der ganze Körper des Tieres iſt beweglich genug, ſo daß die Beute direkt mit dem Munde gepackt werden kann. Die Bewältigung der Fraßtiere geſchieht vielfach mit Hilfe der mikroſkopiſchen Waffen, über die die Cölenteraten verfügen, nämlich der Neſſelkapſeln bei den Neſſeltieren (Polypen und Quallen) und der Klebzellen bei den Rippenquallen. Auf ihre nähere Betrachtung muß hier verzichtet werden, ſie gehört in den zweiten Band dieſes Werkes. Der Darmraum erſtreckt ſich bei den Neſſeltieren durch die ganze Ausdehnung des Tieres; damit wird eine gleichmäßige Ernährung aller Teile ermöglicht, und es fällt Abb. 170. Seeroſe (Anemonia sulcata Penn), einen Fiſch mit den Fangarmen packend (links) und in den Darmraum einführend (rechts). hier dem Darmepithel noch eine Aufgabe zu, die bei höher entwickelten Tieren durch ein beſonderes Gefäßſyſtem und die damit gegebene Säftezirkulation übernommen wird, näm— lich die Nährſtoffe den Verbrauchsſtellen zuzuführen. Der Darm beſitzt nur eine Haupt— öffnung nach außen, die zugleich der Einfuhr des Futters und der Ausfuhr der unver— dauten Reſte dient. Die Mannigfaltigkeit ſeiner Ausbildung im einzelnen haben wir ſchon früher (S. 90) kennen gelernt. Überall iſt die Nahrungsverarbeitung die gleiche: die Verdauung iſt intrazellular. An durchſichtigen Formen, wie der Siphonophorengattung Praya, iſt durch direkte Beobachtung feſtgeſtellt worden, daß die Zellen der Darmwand zahlreiche und ſehr lange Protoplasmafortſätze ausſenden, die um die Nahrungspartikelchen herumfließen und dieſe in den Zelleib einführen. Daß auf ſolchem Wege kleine und 18 * 276 Ernährung der Hohttiere. weiche Beutetierchen, wie ſie die Korallen und Hydroidpolypen fangen, zerſtückt und auf— genommen werden können, iſt leicht verſtändlich. Das Überraſchende bei dieſer Art der Verdauung aber iſt, daß ſelbſt große und harthäutige Tiere, Krebſe, Mollusken und Fiſche, wie fie den größeren Anthozoen und Meduſen zum Opfer fallen (Abb. 170), völlig ausgefreſſen werden, ſo daß nur die leeren Panzer, Schalen und Skelette übrig— bleiben. Das erſchien faſt unerklärlich ohne die Annahme, daß ſich im Darmraum ein verdauendes Sekret anſammle, durch das die Nahrung durchtränkt und aufgelöſt würde. Durch genaue Unterſuchungen an Aktinien hat Mesnil dieſe Verhältniſſe jetzt aufgeklärt. Die Flüſſigkeit, die den Magenraum einer Aktinie erfüllt, unterſcheidet ſich in ihrem Einfluß auf verdauliche Stoffe in age, D nichts vom Seewaſſer. Wenn man die Aktinien mit Blutkuchen, d. h. den aus ſtehendem Blute ſich abſetzenden zuſammen— hängenden Maſſen von Blutkörperchen füttert, ſo findet man nur die intrazellular aufge— nommenen Blutkörperchen aufgequollen und ihres Farbſtoffes beraubt, die im Darmraum liegenden dagegen ſind unverändert geblieben, ſelbſt wenn ſie in enger Berührung mit den Zellen der Wandung waren. Das Vorhanden— ſein eines verdauenden Darmſaftes iſt daher nicht wahrſcheinlich. Dabei zeigt ſich, daß zur Nahrungsaufnahme zwar alle Zellen der Darm— wand in gleicher Weiſe befähigt ſind, mit Aus— nahme der Schleim- und Neſſelzellen am Rande der Darmſcheidewände, daß ſich aber in den meiſten Fällen nur die Zellen der Meſenterial— | filamente daran beteiligen, breiter, knäuelartig RN gewundener Bänder, die nahe den freien Rän— We dern der Scheidewände hinziehen (Abb. 171). bb Ui Wedianſchnitk durch eine Akkinie Dieſe Filamente beſitzen eine wundern; 1 Fangarme, 2 Schlundrohr, 3 Darmſcheidewände 8 5 . = 0 ni (Septen), 4 Meſenterialſilamente. Nach Chun. weglichkeit und Plaſtizität: fie ſchmiegen ſich der Beute allſeitig dicht an, dringen an den Stellen des geringſten Widerſtandes in dieſelbe ein, ſenken ſich in die Weichteile und ſprengen deren Beſtandteile auseinander, deren Trümmer die Zellen ſich einverleiben. Schließlich ziehen ſie ſich nach vollbrachter Arbeit zurück, und von dem Opfer iſt nichts übrig geblieben als die Hartteile. Die aufgenommenen Nahrungsteilchen aber werden in den Zellen zunächſt von Va— kuolen umgeben, deren Reaktion gegen Lackmusfarbſtoff das Vorhandenſein von Säure beweiſt. Wahrſcheinlich iſt die Bedeutung dieſer Säure darin zu ſuchen, daß etwaige mit aufgenommene Mikroorganismen, wie Bakterien u. dgl., abgetötet werden und damit eine Desinfektion der Nahrung vorgenommen wird. Danach erſt tritt die Verdauung der aufgenommenen Stoffe in den Vakuolen ein. Aus der Magenwand läßt ſich eine Flüſſig— keit auspreſſen, die eine Anzahl verſchiedener Fermente enthält: ein eiweißlöſendes, ein ſtärkeumwandelndes, ein fettzerſetzendes und ſchließlich ein Labferment. Die Haupt— U N Ernährung der Schwänmme. 277 menge der Verdauungsfermente wird in den Meſenterialfilamenten gefunden, und man geht wohl nicht fehl mit der Annahme, daß in den beſchriebenen Nahrungsvakuolen ſolche Fermente vorhanden ſind. Die Zellen entleeren dann die nicht verdauten Teile der auf— genommenen Brocken in den Darmraum, und von dort werden ſie, wie die Hartteile der Beute, durch den Mund ausgeſtoßen. Da an der Nahrungsaufnahme vorwiegend die Zellen der Meſenterialfilamente beteiligt ſind, hier aber ſicherlich nicht ein entſprechend großer Stoffverbrauch ſtattfindet, ſo läßt ſich die Annahme einer Fortleitung der Säfte in den Körperwandungen, auch ohne zirkulierende Körperflüſſigkeit, nicht umgehen. In ähnlicher Weiſe dürfte ſich die Verarbeitung des aufgenommenen Futters bei allen Cölenteraten abſpielen. Für die Rippenquallen iſt jedenfalls eine intrazellulare Aufnahme der in den Darmraum eingeführten Karminkörnchen nachgewieſen. Die Schwämme oder Spongien, die man meiſt zu dem Tierkreis der Cölenteraten ſtellt, weichen von den bisher geſchilderten bezüglich der Ernährung in weſentlichen Punkten ab. Wie früher ſchon dargeſtellt wurde, hat der Binnenraum ihres Körpers zahlreiche Offnungen, von denen bei einfachen Schwammindividuen die größte, axial ſtehende, das Oskulum, den ausführenden Weg, die zahlreichen engen Poren aber die zuführenden Wege bilden (S. 91 und Abb. 55). Die Schwämme ſind ausgeſprochene Strudler; der Hauptraum oder bei anderen Formen die zwiſchen dieſen und die Poren eingeſchalteten Geißelkammern ſind mit Geißelzellen ausgekleidet, und dieſe erregen durch ihr fortwährendes Schlagen einen Waſſerſtrom, der durch die Poren ein- und durch das Oskulum austritt. Das Waſſer bringt kleine Nahrungsteilchen mit ſich, kleinſte Lebe— weſen und Zerfallſtoffe von größeren Tier- und Pflanzenleichen, ſogenannten organiſchen Detritus. Der Schlag der Geißeln aber iſt nicht gleichzeitig und gleichgerichtet; ſonſt würden ja dieſe Teilchen einfach mit dem Waſſerſtrom den Schwammkörper wieder ver— laſſen. Vielmehr wird ein Waſſerwirbel in den Geißelkammern erzeugt; die feſten Teil— chen ſammeln ſich hier, werden durch den Schlag der Geißeln gegen die Zellen der Wandung geſchleudert und von dieſen aufgenommen, ähnlich wie das bei manchen Geißel— infuſorien geſchieht. Hier verbleiben aber die Nahrungspartikelchen nicht, ſondern ſie gelangen weiter in die Parenchymzellen des Schwammes, wo wahrſcheinlich die Ver— dauung ſtattfindet. Bringt man nämlich in das Waſſer, worin ein Schwamm ſich be— findet, Karminkörnchen oder Milch, ſo findet man nach einer halben bis zwei Stunden die Geißelzellen mit Farbkörnchen oder Fetttröpfchen ausgefüllt; nach 24 Stunden finden ſich mehr Körnchen im Parenchym als in den Geißelzellen, und wenn man während der letzten zwei Stunden den Schwamm in reinem Waſſer gehalten hat, fo ſind die letzteren überhaupt leer von aufgenommenen Stoffen und nur in den Parenchymzellen ſind ſolche zu finden. Von den Plattwürmern haben wir hier zunächſt nur die Strudelwürmer (Turbel— larien) und Saugwürmer (Trematoden) zu betrachten. Die Bandwürmer (Ceſtoden) kommen, bei ihrer paraſitiſchen Lebensweiſe, ganz ohne Darmkanal aus; ſie ſind von Nährſtoffen in gelöſtem oder leicht löslichem Zuſtand, ſei es dem Darminhalt oder den Körperſäften ihrer Wirtstiere, ganz umgeben und nehmen dieſe mit ihrer geſamten Ober— fläche auf. Bei den ebenfalls zu den Plattwürmern zählenden Schnurwürmern (Nemer— tinen) und Rädertieren (Rotatorien) liegen inſofern andere Verhältniſſe vor, als hier außer dem Munde noch eine zweite Darmöffnung, der After, vorhanden iſt. Bei den Strudel- und Saugwürmern hat der Darm nur eine Offnung und iſt in das Parenchym des Körpers eingebettet. Meiſt dehnt er ſich in reicher Veräſtelung 278 Ernährung der Plattwürmer— durch den ganzen, plattgedrückten Körper aus (Abb. 172) und bietet dadurch einerſeits eine große verdauende Oberfläche dar; andererſeits aber wird damit für eine Verteilung der Nährſtoffe durch den ganzen Körper geſorgt, ſo daß der Weg der reſorbierten Nah— rung bis zu den Verbrauchsſtellen nur kurz iſt. Damit iſt, wie bei den Cölenteraten, das fehlende Zirkulationsſyſtem erſetzt. Die ſogenannten rhabdocoelen Strudelwürmer haben allerdings einen unverzweigten Darm; aber mit der geringen Entwicklung der Darmoberfläche hängt wohl auch ihre beſchränkte Größe — ſie ſind meiſt nur wenige Millimeter lang — zuſammen; für größere Tiere würde die ernährende Oberfläche des einfach ſchlauchförmigen Darmes nicht ausreichen. Nahe der Darmöffnung iſt meiſt ein kräftiger, muskulöſer Apparat vor— handen, der Schlundkopf, der bei den paraſitiſchen Saugwürmern und bei rhabdocvelen Strudelwürmern als Saugapparat wirkt, bei den größeren Strudelwürmern dagegen einen mehr oder weniger kompliziert gebauten Rüſſel bildet, der herausgeſtreckt werden kann und die Nahrung umfaßt und einſaugt. Nur bei wenigen Strudelwürmern beſteht die Nahrung aus eeinzelligen Algen und ähnlichen Pflanzenſtoffen; die allermeiſten ſind Fleiſchfreſſer. Die Süßwaſſerplanarien nähren ſich von Flohkrebſen und andern kleinen Waſſertieren, machen ſich aber auch über Leichen von Fiſchen und Fröſchen her; die Land— planarien freſſen kleine Regenwürmer und Nacktſchnecken; die meerbewohnenden Polykladen verfolgen unter anderem Ringel— und Schnurwürmer. Die Strudelwürmer ſenken ihren Rüſſel, wenn er röhrenförmig iſt (Planarien), an einer weicheren Stelle in das Opfer ein; andere Formen (Polykladen des Meeres) umgeben mit ihrem krauſenartig gefalteten Rüſſel die Beute wie mit einem Tuch. Am Rande des Rüſſels münden zahlreiche einzellige Drüſen, deren Sekret vielleicht zur Erweichung und Auflöſung der Nahrung beiträgt; die fein verteilten Nahrungs— maſſen werden dann in den Darm eingeſaugt und in die Zellen aufgenommen, wie man bei durchſichtigen Tieren (Dendrocoelum) wahrnehmen kann. Zuweilen läßt ſich eine Zuſammenziehung des Ace e Hauptdarms beobachten, wodurch eine ſchmutzige Flüſſigkeit durch Leptoplana aleinoi 0. Schm. den Mund nach außen entleert wird; das iſt die Entfernung der Sch een iunverdauten Reſte aus dem Körper. — Bei den Saugwürmern wird die aufgenommene Nahrung ebenfalls intrazellular verdaut. Die Fortſätze der Darmzellen, welche die Futterteilchen umfließen, ſind beim lebenden Leberegel direkt beobachtet worden (Abb. 169 S. 269). Es iſt bemerkenswert, daß mit dem Auftreten eines Afters die intrazellulare Nah— rungsaufnahme im Darm aufzuhören ſcheint. Bei den Schnurwürmern und Rädertieren iſt zwar früher für einige Formen intrazellulare Verdauung behauptet worden; neuere Forſcher jedoch ſtellen das Vorkommen einer ſolchen in Abrede. Sie begegnet uns nur noch einmal in beſchränkter Verwendung bei den Schnecken. Stachelhäuter und Würmer zeigen nichts davon. Die Stachelhäuter beſitzen einen Darm, der Mund- und Afteröffnung hat; nur bei manchen Seeſternen (Astropeeten) und bei den Schlangenſternen fehlt der After. Ernährung der Stachelhäuter. 279 Der Darm zerfällt meiſt in einen Schlund, eigentlichen Darm und Enddarm, wozu bei den Seegurken hinter dem Schlund noch ein muskulöſer und drüſenreicher „Magen“ kommt. Er beſitzt eine Ring- und Längsmuskulatur, durch die der Darminhalt in Be— wegung geſetzt wird, und hängt, durch eine Anzahl von Meſenterien gehalten, frei in der Leibeshöhle. Die Sekretion der Verdauungsſäfte und Reſorption beſorgt das Darm— epithel; bei den Seeſternen beteiligt ſich an beidem auch das Epithel der fünf Paar großen radialen und ebenſo vielen kleineren interradialen Blindſäcke, in die übrigens feſte Nahrung nicht hineinkommt. Die gelöſten Nährſtoffe gelangen — wie wenigſtens für See- und Schlangenſterne wahrſcheinlich gemacht iſt — durch Diffuſion in die Leibeshöhle, um dort von amöboid beweglichen Freßzellen aufgenommen und den Organen zugeführt zu werden. Die überaus abwechſlungsreiche Art der Ernährung bei den Stachelhäutern iſt ein recht deutliches Beiſpiel dafür, ein wie großer Spielraum in dieſer Hinſicht durch die Abſonderung des Verdauungsſaftes in den Darmraum gegeben wird. Räuberiſch leben vor allem die Seeſterne, denen Muſcheln und Schnecken, Krebſe, Würmer, ja ſelbſt kleine Fiſche und ſtachelbewehrte Seeigel zur Beute fallen. Von lebenden und toten Tieren nähren ſich die Ophiuren. Bei den Seeigeln begegnet uns zum erſtenmale ein beſonderer Kauapparat, der aber mehr zum Ergreifen als zum Zer— kleinern der Nahrung dient: den Mund umſtehen fünf kräftige Zähne, die mit 15 andern Skelettſtücken zuſammen den pyramidenförmigen Kauapparat aufbauen, der als „Laterne des Ariſtoteles“ bekannt iſt; kräftige Muskeln und Bänder verbinden das Ganze. Die Spitzen der Zähne ſchauen aus der Mundöffnung heraus und ergreifen entweder die lebende Beute, wie kleine Würmer, Krebſe, Schwämme u. dgl., oder weiden bei andern Formen die Algenraſen der Felſen ab. Die zahnloſen Herzigel (Spatangoiden) dagegen füllen ihren Darm mit Sand und Schlamm und verdauen die darin enthaltenen Tiere und Tierreſte. In gleicher Weiſe ſchaufeln die meiſten Seegurken (Holothurien) mit Hilfe der den Mund umſtehenden Tentakeln Sand oder Schlamm in ihren Darm, wegen der darin enthaltenen organiſchen Beſtandteile. Anders die ſogenannten Dendrochiroten unter den Seegurken, mit ihren vielfach veräſtelten Fühlern, die wie ein zierlicher Algen— buſch ausſehen (Taf. 8); ſie ſitzen auf Steinen, Korallen u. dgl. und breiten ihre Fühler aus, auf denen ſich kleine Tiere, wie Krebschen, Quallen, Larven aller Art und In— fuſorien, zum Ausruhen niederlaſſen; von Zeit zu Zeit wird jeder Fühler langſam in die Mundöffnung eingebogen, dieſe verengt ſich, einer der beiden kleinen Mundtentakel deckt ſich darüber und jetzt zieht ſich der Fühler wieder heraus, wobei die Beute ab— geſtreift wird; ſo geſchieht es in faſt rhythmiſcher Reihenfolge mit allen Fühlern, nie zweimal nacheinander mit dem gleichen. Ein beſonderes Intereſſe bietet die Art der Seeſterne, ſich ihrer Beute zu bemäch— tigen. Die Formen mit breiter Mundſcheibe und weniger beweglichen Armen, wie Astropecten, haben einen großen Mund und führen die Nahrung direkt in den Darm ein, wo die Weichteile verdaut werden; die Schalen werden wieder ausgeſpieen. Astro— pecten iſt zuweilen jo vollgefreſſen, daß ſeine Rückenhaut buckelartig aufgetrieben iſt; in einem wurden zehn Kammuſcheln, ſechs Tellinen, etliche Kegelſchnecken und fünf Den— talien gefunden. Bei den Seeſternen mit ſchmaler Mundhöhle dagegen, z. B. Asterias glacialis Müll., iſt der Mund zu eng, um ſolche Beute zu verſchlingen; ſie ſtülpen ihren Darm aus und umhüllen damit das Beuteſtück, übergießen es mit dem verdauenden Sekret und ſaugen die gelöſte Nahrung ein. Eine ſolche Verdauung außerhalb des Körpers, der wir noch öfter begegnen werden, iſt natürlich nur bei Abſcheidung verdauender Säfte 280 Ernährung der Egel. in den Darmraum möglich. Bemerkenswert iſt, wie dieſe Seeſterne die Muſcheln öffnen: ſie beugen ihre Mundſcheibe auf, ſo daß die Arme von zwei Seiten her die Muſchel umfaſſen, derart, daß die Mitte ihrer Schalenöffnung dem Munde des Seeſterns zuge— kehrt iſt; dann heften ſie ihre Saugfüßchen an die Schalenklappe und ziehen, bis der Wederſtand des Opfers erſchlafft und die Schale geöffnet wird — bei einer Venus von etwa 4 em Länge dauert das 15—20 Minuten. Nun ſtülpen ſie den Darm vor und verzehren die Weichteile in der angegebenen Weiſe; eine Auſter von 2½ em Durchmeſſer (die, da ſie am Boden angewachſen iſt, etwas anders gefaßt wird, vgl. Taf. 8) iſt in vier Stunden verdaut. An Auſternbänken werden die Seeſterne auf dieſe Weiſe überaus ſchädlich; in Connecticut berechnet ſich der jährliche Schaden im Durchſchnitt auf zwei Millionen Mark. Aus der großen Fülle der Würmer ſollen nur wenige Beiſpiele herausgegriffen werden: etwas genauer bekannt ſind die Vorgänge der Verdauung nur bei einer Anzahl von Ringelwürmern, namentlich bei den Egeln und einigen Borſtenwürmern. Die Egel nähren ſich zumeiſt von Blut und Körperſäften anderer Tiere; einige, wie die Rollegel (Glossisiphonia, Abb. 114. S. 189) ſaugen Schnecken aus; andere, wie die Fiſchegel (Piscicola) und die Blutegel (Hirudo), heften ſich an niedere und höhere Wirbeltiere an, um deren Blut zu ſaugen; nur wenige leben räube— riſch und verſchlingen ihre Beutetiere ganz, wie die in den Waſſergräben und Tümpeln häufig vorkommenden Pferdeegel (Haemopis) und Herpobdella. Dabei haben ſie verſchiedene Abb. 173. Vorderende des Blutegels (Hirudo medieinalis L.), Mittel, ihren Opfern beizukommen. Die einen von der Bauchſeite her aufgeſchnitten, um die Kiefer zu 12 0 0 5 nn 1 8 zeigen. Nach Pfurtſcheller— beſitzen, ähnlich wie die Strudelwürmer, einen vorſtreckbaren muskulöſen Rüſſel, der eine Ring— falte des Schlundes vorſtellt und in den vorderen Abſchnitt desſelben wie in eine Rüſſelſcheide zurückziehbar iſt: es ſind die Rüſſelegel. Die Leiſtungsfähigkeit des Rüſſels iſt erſtaunlich: ſelbſt die Haut von Fiſchen und Schildkröten hält ihm nicht ſtand; nur die dicke verhornte Epidermis der Säugetiere vermag er nicht zu durch— dringen. Im Gegenſatz dazu beſitzen die Kieferegel im Schlund anſtatt der zuſammen— hängenden Ringfalte drei niedrigere, geſonderte Falten der Schlundwand, die aber zuſammengenommen jener Ringfalte entſprechen, die ſogenannten Kiefer (Abb. 173). Dieſe Falten ſind halbmondförmig und ſtehen mit ihrer Längsrichtung parallel der Körper— achſe; ſie ſind von knorpeliger Konſiſtenz und tragen auf ihrem Rande eine Anzahl harter, ſpitzer Zähnchen, deren Zahl beim Pferdeegel 14, beim mediziniſchen Blutegel da— gegen bis 90 beträgt. Dieſe Kiefer ſind, wie der Rüſſel, mit einer reichen Muskulatur ver— ſehen und bewegen ſich rotierend wie Kreisſägen; wenn ſie die nötige Feſtigkeit haben, können ſie ziemlich dicke Haut durchſchneiden: der mediziniſche Blutegel und die tropiſchen Land— blutegel durchſägen mit Leichtigkeit die Haut des Menſchen. Die Wunde, die ſie hervor— bringen, beſteht aus drei in der Mitte zuſammenſtoßenden Schnitten, deren je einer von einem Kiefer ſtammt; fie hat die Form eines umgekehrten Y. Aus der jo erzeugten Wunde ſaugen die Würmer das Blut. Auf dem Rande des Rüſſels und ebenſo zwiſchen den Zähnen am Rande der Kiefer münden zahlreiche einzellige Drüſen nach außen — ein Umſtand, der für die Ernährung der Egel. 281 ſchon betonte Gleichwertigkeit von Rüſſel und Kiefern ſpricht. Das Sekret dieſer Drüsen ergießt ſich in die Wunde und hat bei unſerem Blutegel, und wahrſcheinlich bei allen blutſaugenden Egeln, eine eigentümliche Wirkung: es verhindert, daß das Blut gerinnt und dadurch die Wunde ſchließt; deshalb bluten Egelbiſſe ziemlich lange nach, wenn der Egel ſchon abgenommen iſt. Bei den Saugern unter den Egeln iſt die Muskulatur der Schlundwände für das Saugen eingerichtet: radiäre Erweiterer des Schlundes wirken den verengenden Ringmuskeln entgegen; beim Pferdeegel dagegen, der ſeine tieriſche Beute verſchlingt, iſt der Schlund weit, und die abwechſelnden Zuſammenziehungen von Längs- und Ringmuskulatur befördern die Nahrung nach innen. Der eigentliche Darm der Egel beſteht aus zwei Abſchnitten, die man als Magen— darm und Dünndarm unterſchieden hat (Abb. 174). Der Magendarm iſt ſehr umfang reich: eine Anzahl (zwiſchen 5 und 10 Paar) Blindſäcke vermehren ſein Volumen, nur bei den räuberiſch lebenden Formen iſt er kleiner; der Dünndarm ſteht ihm an Umfang bei weitem nach. Beide ſind einfach gebaut und haben ſehr dünne Wandungen. Die innere Zellauskleidung des Darms beſteht beim Blutegel aus nur einer Art von Zellen; beim Pferdeegel dagegen hat ſich, im Zuſammenhang mit der räuberiſchen Lebensweiſe und der ſchnelleren Verdauung, der Darmkanal ſtärker differenziert: der Magendarm enthält in ſeinem vorderen Abſchnitt Schleimzellen, gegen ſein Ende aber, ebenſo wie der Dünndarm, große Drüſenzellen, die wahrſcheinlich einen fermenthaltigen Saft abſcheiden. Der Magendarm bildet das Nahrungsreſervoir und iſt daher bei Blutſaugern ſehr groß. Denn dieſen bietet ſich, beſonders wenn ſie auf Warmblüter angewieſen ſind, nicht beliebig oft Gelegenheit, Nahrung aufzunehmen, und ſie benutzen dieſe dann, um einen Vorrat anzuhäufen. Ein erwachſener mediziniſcher Blutegel vermag das Vier- bis Sechsfache ſeine Körpergewichts an Blut einzuſaugen. Abb. 174. Rollegel a 8 E . (Hemiclepsismargi- Der Reichtum dieſer Nahrung an brauchbaren Beſtandteilen erlaubt nata Müll) mit einge- 5 e 8 5 2 & nen = Nee zeichnetem Darm. ihnen, ſehr lange damit auszudauern. Im Freien dauert die Ver- Schlund, 2 Magendarm, dauung eines ſolchen Vorrats bei den jüngſten Formen 5—6 Wochen, eee RR CE 2 : 7 5 BEE x Nach Leuckart. bei einjährigen 3—6 Monate, bei zwei- bis dreijährigen 5—9 Monate und bei ausgewachſenen Blutegeln ſogar 6—15 Monate. Bei dem räuberiſchen Pferdeegel dagegen iſt ein verſchluckter Regenwurm ſchon nach wenigen Tagen ganz verdaut. Das Blut, das an der Luft ſo leicht in Fäulnis übergeht, bleibt im Egelmagen während dieſer ganzen Zeit unverdorben. Einmal wirkt nämlich das beigemiſchte Sekret der Kiefer— drüſen fäulnisverhindernd, wie durch Verſuche feſtgeſtellt iſt. Dann aber iſt, wenigſtens bei einigen Formen (Haementeria costata Müll.), nachgewieſen, daß die Wandung des Vorratsdarms ein ſaures Sekret abſcheidet; Säure aber wirkt kräftig desinfizierend, und ſo wird auch hierdurch das Blut vor Fäulnis bewahrt. Durch die Säure wird auch eine teilweiſe Zerſetzung des Blutes bewirkt. Die eigentliche Verdauung aber erfolgt wahrſcheinlich erſt im Dünndarm; wenigſtens kann man bei einem durchſichtigen Rüſſel— egel beobachten, daß die im Magendarm noch ziemlich grobkörnigen Inhaltsmaſſen hier eine feinere und hellere Beſchaffenheit annehmen und in immer kleinere Ballen zerfallen. Bei den Borſtenwürmern begegnet uns entſprechend der Formenfülle auch eine große Verſchiedenheit in der Ernährungsweiſe. Da haben wir Räuber, die lebender 282 Ernährung der Borſtenwürmer. Beute nachgehen und zur Bewältigung derſelben einen muskelſtarken, vorſtülp¾haren Rüſſel beſitzen, der oft noch ein Paar gegeneinander beweglicher Chitinhaken, ſogenannte Kiefer trägt: es ſind die Raubanneliden des Meeres. Da treffen wir friedliche Pflanzenfreſſer wie die kleinen Naideen unſeres Süßwaſſers. Andere, die in feſtſitzenden Röhren wohnen, ſind Strudler: die Serpuliden (Spirographis, Protula u. a., Tafel 9); die trichterartig ausgebreitete, mit Wimpern beſetzte Tentakelkrone, die ſie aus der Röhre herausſtrecken, iſt nach Bounhiols Unterſuchungen an der Atmung nicht ſtärker beteiligt als andere Teile der Körperhaut von gleicher Oberfläche; ihre Hauptbedeutung iſt die Entwicklung einer großen Strudelfläche für die Nahrungszufuhr, wie ſie für feſtſitzende Tiere vorteilhaft iſt. Schließlich finden wir Schlammfreſſer, die ihren Darm mit Maſſen von Meeresſand oder Ackererde füllen, um die darin enthaltenen Nahrungsmaſſen zu verdauen, dort kleine Lebeweſen, hier vor allem zerfallende Pflanzenſtoffe: dazu zählen die meerbewohnenden Sandpiere (Arenicola, Tafel 9) und die Regenwürmer. Der Regenwurm verzehrt neben humusreichem Boden auch halbverweſte und friſche Pflanzenteile, ja in der Gefangenſchaft nimmt er auch gern rohes Fleiſch und Fett. Er ergreift nachts mit Hilfe eines ausſtülpbaren Schlundkopfes Blätter und zieht ſie in ſeine Löcher hinein; nach Darwins Beobachtungen befeuchtet er ſie dabei mit einem alkaliſch reagierenden Saft, der vielleicht aus den Schlunddrüſen ſtammt, wahrſcheinlicher aber wohl erbrochener Darmſaft iſt, und bewirkt dadurch an ihnen eine Veränderung, eine Erweichung, die man als Vorverdauung außerhalb des Körpers bezeichnen kann. Die Differenzierung des Darmes iſt beim Regenwurm größer als bei den bisher be— trachteten Tieren; aber er bleibt inſofern primitiv, als er die Form eines einfachen Rohres ohne ſeitliche Ausſackungen bewahrt hat. An der Speiſeröhre, die auf den Schlund folgt, findet man drei Paar von Kalkſäckchen, als deren Aufgabe vermutungs— weiſe angegeben wird, die Humusſäure der aufgenommenen Erde zu neutraliſieren. Der dann eingeſchaltete „Kropf“ wird als Nahrungsreſervoir gedeutet. Ein ſtarker Muskel— magen dient wohl dazu, zuſammenhängende Maſſen aufgenommener Nahrung zu zer— trümmern. Am eigentlichen Darm iſt eine Vergrößerung der reſorbierenden Oberfläche durch eine Einfaltung der dorſalen Darmwand, die ſogenannte Typhloſolis, erreicht, die tief in das Lumen des Darmrohres hineinragt und dieſes verengt, ein Vorteil für die gründliche Ausnutzung der Nahrung. Während die Zellen der übrigen Darmwand, ab— geſehen von den Drüſenzellen, mit Wimpern ausgeſtattet ſind, werden ſolche an denen der Typhloſolis meiſt vermißt, was für Beſonderheiten in ihrer Verrichtung ſpricht. Ein Extrakt des Regenwurmdarmes verdaut Eiweiß, wandelt Stärke um und greift angeblich auch Zelluloſe an, was für die hier gegebene Nahrung nicht unweſentlich iſt. Von einer Koſt, die jo verhältnismäßig arm an ernährenden Stoffen iſt, müſſen natürlich außer— ordentliche Mengen verſchlungen werden, die ja aber dem Wurme mühelos zu Gebote ſtehen. Berechnungen ergeben, daß in einem Jahre auf einem Hektar Land 25000 kg Erde den Darm der Würmer paſſieren; die nach der Oberfläche entleerten Exkrement— haufen bilden oft große Maſſen von beträchtlichem Gewicht im Vergleich zu dem der Würmer. Auch bei den polychaeten Ringelwürmern iſt der Darm meiſt ein einfaches Rohr, in deſſen Wand gleichzeitig die Sekretion der Verdauungsſäfte und die Reſorption der Nährſtoffe ihren Sitz hat. Durch Gegenwart von Blindſäcken kann der Darmkanal ein kompliziertes Ausſehen bekommen. Manche von ihnen haben nur die Aufgabe, ein be— ſtimmtes Produkt wie Schleim abzuſcheiden, während die Geſamtverdauung nach wie vor Ernährung der Borſtenwürmer. 283 der Darmwand obliegt; jo beim Spierwurm (Arenicola). Weiter geht die Arbeitsteilung bei der ſogenannten Seeraupe (Aphrodite aculeata L.). Ein dicker, mit ſtarker Kutikula ausgekleideter Oeſophagus beſorgt die mechaniſche Zerkleinerung der Nahrung, die dann in den eigentlichen Darm gelangt. An dieſen ſetzen ſich 18 Paar Blindſäcke mit engen Mündungen an: ein Filterapparat an der Mündung verhindert das Eindringen gröberer Nahrungsteilchen in die Blindſäcke. Die Nahrung wird im Hauptdarm der Einwirkung der Verdauungsſäfte ausgeſetzt und die gelöſten Stoffe dann durch ſtarke Kontraktion in die Blindſäcke gepreßt, wo neben der Sekretion auch die Reſorption ſtattfindet, während im Hauptdarm eine ſolche nicht nachweisbar iſt. Die Einrichtung erinnert an den Darm der Seeſterne mit ſeinen Blindſäcken, wenn auch da die Arbeitsteilung noch nicht ſo fortgeſchritten iſt; noch ausgeſprochener wird uns dieſe Differenzierung bei den Schnecken und den Gliederfüßlern entgegentreten. Ein kräftigwirkender Kauapparat iſt uns bei den bisher beſprochenen Tieren nur ausnahmsweiſe begegnet: die „Kiefer“ der Rädertierchen können bei ihrer geringen Größe nur verhältnismäßig unbedeutende Wirkungen entfalten; die „Laterne des Ariſtoteles“ bei den Seeigeln iſt mehr zum Packen, Abzupfen und Zerſchneiden als zum richtigen Kauen geeignet, und die Kaumägen beim Regenwurm und bei Aphrodite ſind ſchwach ausgebildet. Die meiſten räuberiſchen Tiere in den betrachteten Gruppen verſchlingen ihre Beute ganz oder vermögen von ihr nur Stücke abzuzupfen; die Pflanzenfreſſer nähren ſich entweder von einzelligen Algen oder von weichen oder zerfallenden Teilen höherer Pflanzen. — Bei den Gliederfüßlern und den Weichtieren aber tritt uns nahezu allgemein verbreitet eine Mundbewaffnung von oft ſehr kräftiger Ausbildung entgegen. Damit erweitert ſich der Kreis der Stoffe, namentlich der pflanzlichen Stoffe, die ihnen zur Nahrung dienen. Die räuberiſch lebenden Arten werden gefährlicher, ihr Beute— bereich iſt ein großer, die Ernährung infolgedeſſen nachhaltig, ihre Lebhaftigkeit und Stärke geſteigert. Die Pflanzenfreſſer aber ſind nicht mehr auf kleine oder weiche oder faulende Pflanzenteile beſchränkt; ſie ſind jetzt auch fähig, Blätter von feſterem Bau, Stengel, Samen und Holzteile zu bewältigen. So iſt ihr Lebensgebiet vergrößert, und es iſt nicht zu verwundern, daß uns gerade bei den Gliederfüßlern und Weichtieren eine jo ungemeine Formenfülle entgegentritt, die entſtanden iſt in Anpaſſung an die Mannig— faltigkeit der Exiſtenzbedingungen. - c) Die Ernährung der Gliederfüßler. Die Gliederfüßler beſitzen Kauwerkzeuge vielfach in der doppelten Geſtalt äußerer Kiefer und eines inneren Kaumagens. Der Kaumagen kommt freilich bei weitem nicht allen Formen zu; dagegen iſt der Beſitz der Kiefer, vielfach freilich in umgewandelter Geſtalt, allgemein verbreitet und geht bei den Spinnen einerſeits, bei den übrigen Gliederfüßlern andererſeits auf gleiche morphologiſche Grundlagen zurück. Wie die Gliederfüßler überhaupt einen unerſchöpflichen Geſtaltenreichtum aufweiſen, der ſich aber immer wieder von wenigen Grundformen ableiten läßt, ſo ſind auch ihre Kauwerkzeuge in mannigfachſter Weiſe verſchieden, laſſen ſich aber insgeſamt unter ge— meinſame Geſichtspunkte zuſammenfaſſen. Alle ſind ſie nämlich als umgewandelte Glied— maßenpaare einer Urform anzuſehen; ſie dienten urſprünglich der Fortbewegung und ſind erſt in zweiter Linie in den Dienſt der Ernährung getreten; daher zeigen ſie in primitiven Fällen die Beſtandteile einer typiſchen Krebsgliedmaße und beſtehen aus einem zweigliedrigen Stamm, an den ſich je ein gegliederter Innen- und Außenaſt (Endo- und 284 Mundwerkzeuge der Gliederfüßler. Exopodit) anſetzen. Bei den jungen Larven der Krebſe, den Nauplien (Abb. 66, S. 101), haben die ſpäteren Kiefer ebenſo wie die ſpäteren Fühler oder Antennen noch die ur— ſprüngliche Bedeutung beibehalten und werden als Ruder verwandt. Ja außer den überall vorkommenden drei Kieferpaaren ſind bei manchen Formen, z. B. den zehnfüßigen Krebſen und manchen Tauſendfüßern, auch noch weitere Gliedmaßenpaare als Mund— gliedmaßen oder Kieferfüße in Verwendung, und dieſe haben dann in ihrem Ausſehen meiſt noch mehr Ahnlichkeit mit den Bewegungsfüßen. Ihrer Herkunft entſprechend ſind die Mundwerkzeuge der Gliederfüßler paarig vorhanden, und die zuſammengehörigen Paarlinge wirken von den Seiten her gegeneinander, nicht wie die Kiefer der Wirbel— tiere von oben nach unten; das iſt zu bedenken, damit der auch für ſie gebrauchte Name „Kiefer“ nicht zu Mißverſtändniſſen führt. Die Verhältniſſe der Mundwerkzeuge bei den Krebſen bilden die Grundlage für das Verſtändnis derjenigen bei den übrigen Gliederfüßlern, von den Spinnentieren abgeſehen. Dort haben wir ſtets ein Paar Mandibeln oder Oberkiefer, ein Paar vordere (oder erſte) Marillen oder Mittelkiefer und ein Paar hintere (oder zweite) Maxillen oder Unterkiefer. Während die Oberkiefer ſehr einfach gebaut ſind und nicht mehr oder nur noch ſehr undeutlich die typischen Spaltfußteile erkennen laſſen, erinnern die Mittel- und Unterkiefer ſchon mehr an Spaltfüße und beſitzen oft außer den an das baſale Stammglied anſetzenden Kauladen noch einen Innen- und Außenaſt; die bei den zehnfüßigen Krebſen darauf folgenden drei Paar Kieferfüße bilden vollends den Übergang zu den Bewegungsfüßen. Bei den beiden Hauptabteilungen der Tauſendfüßer haben die Mundwerkzeuge eine verſchiedene Ausbildung. Bei den Chilopoden ſind die drei Kieferpaare wie bei den Krebſen vorhanden, aber das dritte Paar iſt zu einem einheitlichen Gebilde, der „Unter— lippe“, verſchmolzen; außerdem tritt das erſte folgende Beinpaar als kräftiger Kieferfuß mit ſtark entwickelter Giftdrüſe in den Dienſt der Nahrungsaufnahme. Bei den Chi— lognathen dagegen beſitzt das fertige Tier nur die Mandibeln und die vorderen Ma— xillen; die hinteren Maxillen werden zwar beim Embryo angelegt, aber noch während der Entwicklung zurückgebildet. Bei den Inſekten ſind die drei Kieferpaare vorhanden, aber wie bei den Chilopoden ſind die Paarlinge des dritten Paares zu einer unpaaren Unterlippe verwachſen. Bei den Spinnentieren endlich finden wir nur zwei Paar Mund— gliedmaßen, die ſich vielleicht mit den Mandibeln und den vorderen Maxillen der übrigen Gliederfüßler vergleichen laſſen; dem hinteren Maxillenpaare entſpräche dann das erſte Gehfußpaar, das bei den Walzenſpinnen (Solpugiden), wo ein geſonderter Kopf vor— handen iſt, ſich an dieſen anſetzt. Dieſe in dem Grundplane jo übereinſtimmenden Mundwerkzeuge zeigen eine geradezu proteusartige Veränderlichkeit und erſcheinen den jeweiligen Bedürfniſſen ihrer Beſitzer aufs engſte angepaßt. So kommen neben den kauenden und beißenden in allen Gruppen ſtechende und ſaugende Mundteile vor, die durch Umbildung jener entſtanden ſind: unter den Krebſen bei den paraſitiſchen Kopepoden, unter den Tauſendfüßern bei den Poly— zoniden, unter den Inſekten in verſchiedenen Abteilungen und unter den Spinnentieren bei den Milben. Überall bilden die drei (bzw. zwei) Kieferpaare einzeln oder zuſammen das Material für die Umwandlungen. Unter den Krebstieren ſind die meiſten kleineren Formen, viele Phyllopoden, Kopepoden und Oſtrakoden ſowie die Aſſeln und ihre Verwandten Pflanzenfreſſer; Räuber ſind ſeltner, z. B. Apus und Leptodora. Die höheren Krebſe aber ſind meiſt Fleiſch— freſſer, z. T. halten ſie ſich an Aas. Die feſtſitzenden Entenmuſcheln und Seepocken ſind Ernährung der Krebſe. 285 Strudler, die aber nicht durch wimpernde Zellen, ſondern durch die Bewegungen ihrer reich mit Haaren und Borſten beſetzten Rankenfüße die feine im Waſſer verteilte Nah— rung herbeiſtrudeln. Dazu [kommen eine Menge ſchmarotzender Krebſe verſchiedenſter Ordnungen: Kopepoden, Rankenfüßler und Aſſeln haben ſich dieſer Lebensweiſe angepaßt; wir werden ihrer noch an anderer Stelle (im 2. Bande) zu gedenken haben. Am beſten bekannt ſind die Einzelheiten der Nahrungsverarbeitung und Verdauung bei den zehnfüßigen Krebſen, dem Flußkrebs und ſeinen Geſippen. Bei dieſen iſt der entodermale Darmabſchnitt, der als Mitteldarm bezeichnet wird, nur von verhältnismäßig geringer Länge (Abb. 175); er mißt beim Flußkrebs nur ein Zwanzigſtel der geſamten Darmlänge, bei den Krabben iſt er länger. Der Vorder- und Enddarm ſind ekto dermaler Abſtammung und beſitzen dementſprechend eine Chitinauskleidung, die in un— mittelbarem Zuſammenhange mit dem äußeren Panzer ſteht und wie dieſer bei den zeit— weilig eintretenden Häutungen abgeſtoßen wird. Die Nahrungsaufnahme geſchieht mit Abb. 175. Medianſchnitt durch den Flußkrebs (Potamobius astacus L.). 1 Oberſchlundganglion, 2 Schlundkonnektive, 3 Bauchganglienkette, “ Mund, 5 Kaumagen, 6 Mitteldarm (verhältnismäßig zu groß gezeichnet), 7 Mitteldarmſack, ſogenannte Leber, 8 Enddarm, 9 Herz. Nach Leuckart-Nitſches Wandtafeln. Hilfe der Kiefer und der drei Kieferfußpaare; die letzteren beſorgen hauptſächlich das Abreißen der Brocken und bleiben dann unter dem Munde geſchloſſen, um ein Ausgleiten des Biſſens zu verhindern, den die Kiefer zerkleinern. Durch den kurzen Schlund gelangt die Nahrung in eine Erweiterung des Vorderdarmes, den Kaumagen. Die Wandung dieſes Abſchnittes zeigt eine Anzahl dicker, feſter Chitinleiſten und Zähne, die von der ſtarken Muskulatur der Magenwand gegeneinander bewegt werden und die von den Kiefern ſchon vorbereitete Nahrung gründlich zerreiben und mit dem Darmſaft durch— kneten, der vom Mitteldarm her in den Kaumagen gelangt. Der Mitteldarm beſteht aus einem kurzen, axialen Abſchnitte und zwei mächtigen, vielfach veräſtelten und gelappten Ausſtülpungen, die nach beiden Seiten von dieſem ausgehen. Man hat dieſe früher als Lebern bezeichnet; aber da dieſer Name von der Bedeutung der Bildungen einen falſchen Begriff geben muß, nennt man ſie beſſer Mittel— darmſäcke. Sie ſind von höchſter Wichtigkeit für die Verdauung: in ihnen wird der ſehr wirkſame, fermentreiche Darmſaft abgeſondert, durch den auf fermentativem Wege Eiweiß geſpalten, Fett verſeift, Stärke in Zucker verwandelt und endlich auch Zelluloſe gelöſt wird. Die Durchknetung des Futters mit dieſem Saft, die im Kaumagen ſtattfindet, — 286 Munddrüſen bei den durch Tracheen atmenden Gliederfüßlern. bewirkt eine ſchnelle Löſung der verdaulichen Teile. Durch einen trichter- oder reuſen— artigen Anſatz des Kaumagens, der den Mitteldarm durchzieht, wird ein direktes Über— führen der unverdaulichen Überbleibſel in den Enddarm ermöglicht und dadurch die weiche Zellauskleidung des Mitteldarmes vor Verletzung geſchützt. Der gelöſte Nahrungs— ſaft aber gelangt in den Mitteldarm und von da in die Anhangsſäcke. Wie die Ab— ſonderung des verdauenden Saftes, ſo findet nun in dieſen auch die Aufſaugung der verdauten Nahrung ſtatt; nur an der Fettreſorption beteiligt ſich auch die Wandung des axialen Mitteldarmabſchnittes. 5 Die Mitteldarmſäcke haben aber noch eine weitere wichtige Eigentümlichkeit: ſie halten nämlich gewiſſe Giftſtoffe feſt und laſſen ſie nicht in den Kreislauf gelangen. Man hat Landkrabben (Gecarcinus ruricola L.) mit Arſenik füttern können, ohne daß ſie daran zugrunde gingen, und fand nach einem Monat bei Abtötung der Verſuchstiere reichlich Arſenik in der Wand der Mitteldarmſäcke aufgeſpeichert. Da die Krebſe vielfach Aasfreſſer ſind, ſo ſind ſie wahrſcheinlich, dank dieſer Eigenſchaft ihrer Mitteldarmſäcke, vor Schädigung durch die in fauligem Fleiſch entſtehenden Giftſtoffe (Btomaine) geſchützt. Die Länge des Enddarms iſt bei den langſchwänzigen Krebſen nur durch die Länge des Hinterleibs bedingt, auf deſſen Endſegment er nach außen mündet; für die Reſorption verdaulicher Stoffe hat er keine Bedeutung. Am Beginne des Enddarms münden eine Anzahl Drüſen, offenbar von eftodermaler Abſtammung wie die Epithelauskleidung dieſes Abſchnittes; ihrem Sekret fällt wahrſcheinlich die Aufgabe zu, die unverdaulichen Stoffe zu den Kotballen zu verkleben, auf deren Oberfläche man ſtets einen ſchleimigen Sekret— überzug bemerkt. — Bei den durch Tracheen atmenden Gliederfüßlern, die im allgemeinen nicht im Waſſer leben, tritt eine neue Art von Hilfsorganen auf: nämlich Drüſen, die ihr Sekret in die Mundhöhle ergießen. Es ſind keine eigentlichen Darmdrüſen: ſie leiten ſich nicht vom Entoderm her, und ihr Sekret hat keinerlei verdauende Wirkung. Die urſprüngliche Bedeutung dieſes Sekretes mag wohl ſein, die trockene Nahrung anzufeuchten, damit ſie ſich zum Biſſen formen und leichter ſchlucken läßt, und waſſerlösliche Teile des Futters ſchnell in Löſung zu bringen. Es iſt daher erklärlich, daß ſie bei den waſſerbewohnenden Krebſen fehlen, und daß z. B. auch die im Waſſer lebende Libellenlarve ihrer entbehrt, während die fertigen Libellen ſie beſitzen. Aber das iſt nicht die alleinige Bedeutung dieſes Sekretes geblieben; es hat ſeine Beſchaffenheit und Wirkſamkeit mannigfach ver— ändert bei Inſekten, die flüſſige oder genügend feuchte Nahrung aufnehmen. In manchen Fällen, z. B. bei Schmetterlingsraupen, ſind die Drüſen zu Spinndrüſen geworden, d. h. ſie bringen ein zähes Sekret hervor, deſſen Fäden an der Luft erhärten. Andre ſind Giftdrüſen und finden ſich beſonders auch bei blutſaugenden Tieren (Schnaken, Wanzen, Flöhen): ihr Sekret erzeugt an der Stichſtelle eine Entzündung und veranlaßt damit einen reichlichen Zufluß von Blut, das durch den Rüſſel aufgeſaugt wird. Noch andre, wie ſie bei den Arbeitsbienen vorkommen, bereiten Speiſebrei zum Auffüttern der Brut. Der Name „Speicheldrüſen“, der für ſie allgemein gebraucht wird, paßt daher nicht und ſollte beſſer durch Munddrüſen erſetzt werden. Indem wir die noch wenig unterſuchten Vorgänge der Verdauung bei den Tauſend— füßern übergehen, wenden wir uns gleich zu den Inſekten. Dem Reichtum an Arten in dieſer Klaſſe und der Unerſchöpflichkeit der Geſtaltung entſpricht die Mannigfaltigkeit der Ernährung. Wir finden Fleiſchfreſſer, Pflanzenfreſſer, Allesfreſſer, Außen- und Binnen— ſchmarotzer; manche leben von Aas, zahlreiche von Miſt, nicht wenige freſſen Holz; im Ernährung der Inſekten. 287 Staub unſerer Zimmer finden einzelne ihre Nahrung, die getrockneten Inſekten unſerer Sammlungen werden von ihnen angegangen, ſogar die Federn der Vögel, die Haare der Säuger und die verarbeitete Wolle finden Liebhaber. Viele ſaugen das Blut anderer Tiere oder die verſchiedenartigſten Säfte der Pflanzen. Bei manchen Inſekten iſt die Nahrungsaufnahme auf eine beſtimmte Lebensperiode beſchränkt, wie bei den Eintagsfliegen, vielen Netzflüglern und den Spinnern und Spannern unter den Schmetter— lingen. Die Larve iſt dann das Freßtier, das Nahrungsvorräte für das ganze übrige Leben in Geſtalt mächtiger Fettkörper anſammelt; das ausgebildete, fertige Inſekt dagegen iſt dann nur das Geſchlechtstier, das keine Nahrung nimmt, nur für kurze Zeit lebt und alsbald ſtirbt, wenn es für die Erhaltung der Art ge— ſorgt hat. Nach der Art der Nahrungsaufnahme können wir die Inſekten in Beißer und Sauger einteilen. Beißende Kauwerkzeuge (Abb. 176) ſtellen die fe Kopf der Grille (Gryllus campestris L.) urſprüngliche Art der Mundbewaffnung dar; ſie von hinten, mit beißenden Mundteilen. 8 8 Hı Hinterhauptsloch, 07 Oberlippe, Mand. Mandibel, kommen, mit Ausnahme der Schnabelkerfe (Rhyn— l bee ee e tr + fan 2 DR N UI Unterlippe, Lit Lippentaſter, 7, Kauladen, F Fühler. choten) und vieler Fliegen, allen Larven zu, auch Wie bier find in Abb. 180—183 die Oberlippe jent- wenn die fertigen Tiere ſaugende Mundteile recht, die Mandibeln wagrecht die 7. Marillen gekreuzt. beſitzen Es find die Bon dent gemeinſamen Vor geſtrichelt und die Unterlippe punktiert. Nach Muhr. fahren ererbten drei Kieferpaare, zu denen vor den Mandibeln noch eine einfache Hautfalte, die Oberlippe (Ol), kommt. Die Mandibeln (Mand) ſind einfach und un— gegliedert; die vorderen Maxillen (J. Max) tragen urſprünglich auf einem zweigliedrigen . Me. UL). Abb. 177. Anlagen der Mundwerkzeuge bei verſchieden alten Embryonen des Kolbenwaſſerkäfers (Hydrophilus). 0! Oberlippe, M Mund, F Fühler, Mand Mandibeln, J. Max vordere Maxillen, II. Max hintere Marillen, U! Unterlippe. Nach Deegener. Stamme zwei Kauladen und einen gegliederten Taſter, der Sinneswerkzeuge trägt. Das dritte Kieferpaar erleidet eine Umbildung; bei jungen Embryonen findet man die hinteren Maxillen noch geſondert angelegt (Abb. 177), aber ſchon vor dem Aus— ſchlüpfen der Larve verſchmelzen fie miteinander zu der unpaarigen Unterlippe (U)), die aber oft ihre paarige Anlage beim fertigen Inſekt noch durch ihre Zweiteiligkeit, 288 Beißende Mundwerkzeuge der Inſekten. die zwei Kauladenpaare (L) auf dem Endglied des zweigliedrigen Stammes und die beiden Taſter (Ult), die ſogenannten Lippentaſter, erkennen läßt. Die Oberkiefer zeigen in ihrem Bau Beziehungen zu der Beſchaffenheit der Nahrung. Bei räuberiſchen Inſekten, die keine anderen Fangapparate, z. B. Raubbeine, beſitzen, dienen ſie zum Ergreifen und Verwunden der Beute und ſind dann lang, ſpitz, oft mit ſcharfen Zähnen beſetzt und greifen übereinander, wie beim Sandlaufkäfer (Cicindela) (Abb. 178); bei Pflanzenfreſſern dagegen, z. B. beim Maikäfer (Abb. 178) oder den Schmetterlingslarven, ſind fie breit kegelförmig und dienen zum zerkleinernden Kauen der Nahrung; bei Allesfreſſern ſtehen ſie in der Mitte zwiſchen dieſen Extremen. Diejenigen Raubinſekten, die zum Packen und Verletzen ihrer Opfer mit Raubbeinen ausgerüſtet ſind, wie die Gottesanbeterin (Mantis religiosa L), haben Oberkiefer wie die Allesfreſſer. Die Oberkiefer des pollenfreſſenden Roſenkäfers (Cetonia) find zu Abb. 178. Obertieſer (Man- bürſtchenartigen Gebilden umgewandelt und führen den Pollen dibeln) des Maikäfers und dem Munde zu. des Sandlaufkäfers. u Die Kraft der beißenden Oberkiefer iſt oft eine außer— ordentlich große. Die großen Lederlaufkäfer (Procrustes) beißen ſtarke Schneckenſchalen durch, um des Weichkörpers habhaft zu werden; die Larven des Heldbocks (Cerambyx cerdo L.) freſſen Gänge durch das Eichenholz; ja die Holzweſpen (Sirex), die in ver— arbeiteten Fichtenbalken verpuppt lagen, vermögen ſogar dicke Bleiplatten zu durchnagen, die ihnen den Ausgang aus der Puppenwiege ins Freie verwehren. Hohe Leiſtungs— fähigkeit der Oberkiefer erfordert neben ſtarker Entwicklung ihres Chitinſkeletts auch eine kräftige Muskulatur, und da der Kopf für dieſe nicht nur Platz, ſondern auch feſte Anſatzpunkte bieten muß, ſo iſt er bei ſolchen Formen dicker und ſtärker chitini— ſiert. Man vergleiche nur die dicken Köpfe der Libellen und der kauenden Käfer mit den kleinen Köpfen der Eintagsfliegen und Köcherfliegen, oder den Kopf des Maikäfers mit dem des Roſenkäfers, oder den Kopf vieler Raupen mit dem des zuge— hörigen Schmetterlings. Die „Soldaten“ der Ameiſen und Termiten haben zu ihren ſtarken Oberkiefern Abb. 179. Kopf der Larve einer Libelle auch einen gewaltigen Kopf; bei den nagenden und ESsse kn ſchräg von unter. beißenden Larven iſt der Kopf auch dann ſtark 1 Mandibeln, 2 vordere Maxillen, und 4 Stanım- ru 1 25 8 Te 2 glieder der Unterlippe, 5 äußere Kauladen. chitiniſiert, wenn der übrige Körper weichhäutig bleibt, wie bei den Larven der Bockkäfer und vieler Schmetter— linge, während Bienen- und Weſpenlarven auch einen weichen Kopf haben. Die Mittelkiefer ſind durch ihre Gliederung beweglicher als die Oberkiefer, dafür aber weniger kräftig; ſie mögen zur Formung des Biſſens beitragen und ſich dann, wenn ihre Kauladen gut ausgebildet ſind, auch am Zerkleinern der Nahrung beteiligen. Auch ſie haben verſchiedene Geſtalt je nach der Form der Nahrung. Beim Hirſchkäfer konnten die mächtigen Oberkiefer der Nahrungsaufnahme entzogen und beim Männchen zu Geweihen ausgebildet werden, da die Endglieder der Mittelkiefer verlängert und durch lange dichte Behaarung zu Pinſeln umgewandelt ſind und allein ausreichen, um die ſüßen Säfte aufzulecken, denen der Käfer nachgeht. Saugende Mundwerkzeuge von Inſekten. 289 Die Unterlippe deckt den ganzen Apparat von unten und verhindert ein Ausgleiten der Nahrungsbrocken, die von den beiden Kieferpaaren verarbeitet werden. Sie hat alſo meiſt nur die Bedeutung eines Hilfsorgans, kann aber auch zu wichtigerer Betätigung herangezogen ſein: bei den Libellenlarven iſt ſie zu einem gewaltigen Fangapparat aus— gebildet (Abb. 179 u. 187). Die beiden Stammglieder der Unterlippe, die ſich ſonſt we— nig gegeneinander verſchieben, ſind untereinander und mit dem Kopf durch leicht beweg— liche Gelenke verbunden, und das diſtale Glied trägt an ſeinem Ende jederſeits einen beweglichen Haken, der einer Kaulade der zweiten Mapille gleichzuſetzen iſt. In der Ruhe liegt dieſe Unterlippe zuſammengeklappt der Unterſeite des Kopfes an; nähert ſich aber eine Beute, ſo wird ſie vorgeſchleudert, ergreift mit den Haken wie ein ausgeſtreckter Arm das Opfer (Abb. 187, A. S. 295) und zieht es heran. Die Vorder- und Mittel— kiefer beſorgen die weitere Verarbeitung. Durch Umbildung dieſes Kauapparates, der ſich aus Oberlippe, Oberkiefern, Mittelkiefern und Unterlippe zu— ſammenſetzt, können nun auf ſehr verſchiedene Weiſe ſaugende Mundteile zuſtande kommen. Damit ein Saugen möglich iſt, muß ein Rohr vorhanden ſein, durch das die Nahrungsflüſſigkeit in den Mund eingeſogen werden kann. Dieſes Saugrohr wechſelt in ſeinem Bau bei den ver— ſchiedenen Abteilungen, ja man kann ſagen, daß jeder Teil der Mundwerkzeuge an ſeiner Zuſammenſetzung beteiligt ſein kann. Bei den honigſaugenden Bienen (Abb. 180) zerfällt das Saugrohr in zwei Abſchnitte; das Endſtück wird von der Zunge, d. h. den verwachſenen Innenladen der Unterlippe [UL(L,)] gebildet, die nach der Ventralſeite zu einer Röhre eingerollt iſt (Abb. 180); an ihrer Wurzel wird die Flüſſigkeit durch die Nebenzungen, d. i. die Außenladen der Unterlippe [UL(L,)] auf deren Oberſeite übergeleitet, wo die Lippen— taſter (Ult) und Mittelkiefer (I. Max.) ſich mit dem Unterlippenſtamm zu einem ge— ä = es 5° IS S = = > X) Y x 2 Zei 5% I 5% 25 Abb. 180. Kopf einer Arbeiterin der Honigbiene von vorn (4). F Fühler, 07 Oberlippe, Mand Oberkiefer (Mandibel), J. Max Mittelkiefer (vordere Maxille), Mat Kiefertaſter (Maxillar— taſter), /) innerer Laden der Unterlippe, zur Zunge ver— wachſen, 07 (072) äußerer Laden der Unter— lippe, /, Lippentaſter. B Querſchnitt durch die Zunge. ſchloſſenen Rohr zuſammenlegen. Die Oberkiefer (Mand) bleiben beißend und dienen zum Kneten des Pollens und zur Bearbeitung des Wachſes. Eine Reihe von Übergängen führen zu den beißenden Mundteilen, wie ſie andre Hymenopteren beſitzen. Bei den Schnabel— kerfen (Abb. 181) bilden die beiden langen, borſtenförmigen Mittelkiefer (I. Max.) das Saug— rohr: ſie tragen jeder auf der Innenſeite zwei Rinnen, wodurch beim Aneinanderlegen zwei Kanäle entſtehen, deren einer zum Ausfluß des Speichels dient, der andre zum Aufſteigen des Nahrungsſaftes (C, 2 und 1); dieſes Rohr und die ebenfalls borſtenförmigen ſtechenden Oberkiefer (0, Mand) liegen in einer von der Unterlippe gebildeten und der Oberlippe gedeckten Rinne (Abb. 181), die als Führung dient und ein Umbiegen der elaſtiſchen Stechborſten verhindert, wenn dieſe beim Einſtechen einem ſtärkeren Widerſtand begegnen. Bei den Schmetterlingen (Abb. 182) find es die Innenladen der Mittelkiefer (I. Mas L.), Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 19 290 Saugende Mundwerkzeuge von Inſekten. die miteinander den einrollbaren Rüſſel bilden; aber jede Lade hat immer nur eine Rinne, ſo daß ſie eine einfache Röhre umfaſſen (C, 1). Die Unterlippe iſt klein und bildet nur das Anſatzſtück für die Taſter (Ult); die Oberkiefer (Mand) ſind zu winzigen funktions— loſen Stummeln oder ganz rückgebildet. Bei den Fliegen (Abb. 183) trägt die Ober— lippe (Ol) auf ihrer Unterſeite eine Rinne, die bei manchen durch die zuſammengelegten und eingefalzten Oberkiefer zur Röhre geſchloſſen wird, bei anderen durch den Hypo— pharynx (Hyp.) oder die Speichelröhre, ein Organ, das ſich bei anderen Inſekten nur in geringer Ausbildung findet und hier eine lang ausgezogene Papille der Mundhöhle iſt, auf deren Spitze die Munddrüſen münden; die Mittelkiefer (I. Max) bilden auch hier Stechborſten, und die Unterlippe (Ul) umgibt das Ganze rinnenförmig, ähnlich wie bei den Schnabelkerfen. — Schließlich beſitzen einige Inſektenlarven paarige Saugrohre. Bei der Larve des gelb— randigen Schwimmkäfers (Dytiscus marginalis L.) ſind die ſpitzigen Ober— kiefer auf ihrer Innenſeite mit einer tiefen Rinne verſehen, deren Ränder ſich übereinander legen, ſo daß in jedem Kiefer ein Kanal zuſtande kommt. Anders iſt die Bildung bei der be— kannten Larve der Ameiſenjungfer (Myr- meleo), dem Ameiſenlöwen (Abb. 184): hier haben ebenfalls die Oberkiefer (Mand) auf der Innenſeite eine Rinne, die aber offen iſt und durch die ſich dicht anlegenden Mittelkiefer (I. Max) ge— deckt und zum Rohr umgewandelt wird. Wir ſehen alſo, in welch ver— ſchiedenartiger Weiſe die Saugrohre bei 7 e den Inſekten gebildet werd Abb. 181. Kopf einer Feldwanze (Pentatoma) von vorn 5 5 ; und von der Seite (A). durch die Oberlippe zuſammen mit F Fübler, 0 Oberlivve (abgehoben), Mand + I. Max die vier Stech. dem Oberkiefer oder der Speichelröhre boriten = Ober- + Mittelkiefer, UI Unterlippe. 5 ſtellt einen Quer— 3 8 8 8 ſchnitt durch Mundtelle in der Höhe der Oberlippe dar, C zeigt den (Fliegen), durch die Oberkiefer allein grobe, 2 Spelcelerhe fach Mreſchee. Dytiscus⸗ Larve), durch die Ober⸗ kiefer zuſammen mit den Mittelkiefern (Ameiſenlöwe), durch die Mittelkiefer allein (Schmetterlinge und Schnabelkerfe) und durch die Unterlippe mit den Mittelkiefern (Bienen). Die übrigen nicht zum Saugrohr ver— wendeten Mundwerkzeuge ſind daneben mehr oder weniger deutlich vorhanden, wirken als Hilfs- oder Schutzapparate, ſind ſelbſtändig geblieben oder zurückgebildet. Verſtehen können wir dieſe Verhältniſſe am beſten durch die Annahme, daß ſich der Saugapparat bei den einzelnen Gruppen unabhängig von anderen aus den Mundwerkzeugen der Ur— inſekten entwickelt hat, die ſich offenbar in den beißenden Mundteilen der heutigen Inſekten ziemlich unverändert erhalten haben. Das Darmrohr der Inſekten durchzieht den Körper nicht immer in geſtrecktem Ver— lauf; oft iſt es länger als der Körper und muß ſich daher in der Leibeshöhle in Win— dungen legen. Es iſt ſehr ſchwierig, hier zu ſagen, inwieweit die Länge des Darmes Länge des Inſektendarmes. 291 mit der Beſchaffenheit der Nahrung zuſammenhängt, wie das ja bei höheren Wirbeltieren oft deutlich zutage tritt. Pflanzenſtoffe, beſonders Blätter oder gar Holzteile, ſind ja bei weitem ärmer an Nähr— ſtoffen als Fleiſchkoſt; ſie müſſen daher in größerer Maſſe aufgenommen werden und erfordern ſchon aus räumlichen Rückſichten einen längeren und weiteren Darm; damit die in ihnen enthaltenen Nährſtoffe beſſer ausgenutzt werden, iſt eine große Ober— fläche der Darmwand von Vorteil. Wenn z. B. bei den pflanzen- und miſtfreſſenden Blatthornkäfern der Darm beſonders lang iſt, oder wenn bei der räuberiſch lebenden Larve des Kolbenwaſſerkäfers (Hydrophilus piceus L.) der VVV Darm gerade verläuft, bei au Born; B bon der Seite, © Omerfhnitt des Rüffels. F Fühler, o. Cberlippe, dem fertigen Käfer aber, der ane afl G. n reinen aan de Meter, den Be ſich von Pflanzen nährt, ein gewundenes Darmrohr vorhanden iſt, ſo erſcheint es als eine ganz einleuchtende Erklärung, daß die Länge des Darmes abnehme bei leichterer Verdaulichkeit der Nahrung. Aber es gibt mancherlei Aus— nahmen: bei den pflanzen— freſſenden Schmetterlings— raupen z. B. iſt der Darm geſtreckt, aber allerdings ſehr weit, bei den fertigen Faltern, die Blütennektar aufnehmen, iſt er etwas gewunden, oder bei den fleiſchfreſſenden Laubheu— ſchrecken iſt der Darm im Hyp. Mand. I.Max Abb. 183. Kopf einer weiblichen o 7 18 . Nm = 7 N Verhältnis zur Körper— N Stechmücke (Culex) länge im allgemeinen j 1 N a auseinandergelegten Mundteilen 5 i ) und ftärfer vergrößertem Quer— länger als bei den pflan— | ſchnitt durch die Mundteile (2). e 5 3 | F Fühler, 01 Oberlippe, Mand Ober: zenfreſſenden Grasheu— tiefer, Jar Mittelki fer und Zyp ſchrecken. Wenn man aber a (dypopharynx), alle 0 orſtenartig, Maxt Kiefertaſter, 77 bedenkt, daß die Larve Unterlippe und Z deren Laden, ISaug— rohr. Nach Nitſche. des Kolbenwaſſerkäfers faſt noch einmal ſo lang it als der fertige Käfer (75: 40 mm), und daß bei den Schmetterlingsraupen das Längenverhältnis im Vergleich zu den Faltern etwa ebenſo iſt (Weidenbohrer Cossus 19* Ti 292 Länge des Inſektendarmes. cossus L., Raupe 100 mm, Falter 40 mm; Weidenſpinner, Liparis salicis L., Raupe 40, Falter 22 mm), ſo ergibt ſich, daß für die gleiche Körpermaſſe der geſtreckte Darm der Abb. 184. Linke Kieferzange des Ameiſenlöwen von unten. Maud Oberlippe, I Max Mittel⸗ kiefer, Mart Klefertaſter, dahinter der Fühler, 1 Auge. Nach Leuckart-Nitſches Wandtafel. Larve doch noch länger iſt als der gewundene des fertigen Inſekts. Unter den Geradflüglern aber haben die mit ge— drungenem Körper einen gewundenen, die mit ſchlankem Körper einen geraden Darm: zu erſteren gehören ſowohl Fleiſch-, wie Pflanzenfreſſer, neben den Laubheuſchrecken auch die Grillen und Küchenſchaben, und unter den letzteren ſteht neben den pflanzenfreſſenden Grasheuſchrecken die räuberiſche Gottesanbeterin (Mantis). Außer der Körpergeſtalt kommen noch mancherlei Nebenumſtände in Betracht, ſo daß es un— möglich wird, eine kurze, allgemeingültige Formel für die Erklärung der Mannigfaltigkeit zu geben. Wenn eine pflanzen— freſſende Larve von ſehr nährſtoffarmer Koſt lebt und einen kurzen Darm beſitzt, ſo daß ſie die Nahrung nur ungenügend ausnützen kann, ſo muß ſie eben entſprechend länger freſſen, bis ſie erwachſen iſt. Die Generation der größeren in Holz lebenden Inſekten iſt immer mehrjährig, diejenige von Fleiſch— freſſern dagegen nur einjährig: ſo brauchen die Pappelböcke (Saperda carcharias L. u. populnea L.) zwei Jahre, der Heldbock (Cerambyx cerdo L.) drei bis vier Jahre zur Entwicklung vom Ei bis zum fertigen Inſekt, die Raubkäfer aber, bei denen auch die Larven räuberiſch leben, nur ein Jahr; der Weidenbohrer (Cossus cossus L.) hat eine zweijährige Generation, — am 2 7 Abb. 185. Schematiſcher Längsſchnitt durch eine ſaugende Stechmücke (Culex). 1—3 die drei Beinpaare, 4 Oberlippe und Stechborſten, mit dem unteren Ende in die Haut eingebohrt, 5 Unterlippe, 6 Kiefertaſter, 7 Fühler, 5 Muskel des Saug— apparates, 9 Buccaldrüſe, 1) unpaarer und 10 paariger Vorratsraum, 11 Mittel- darm, 12 Malpighiſche Gefäße, 73 Herz. Nach Schaudinn, verändert. der gleich große Kiefernſpinner (Lasiocampa pini L.) iſt einjährig, und ebenſo ver— halten ſich die Holzweſpe (Sirex gigas L.) und die Horniſſe (Vespa crabro L.) zueinander; ja eine amerikaniſche Zikade, deren Larve an Wurzeln ſaugt, ſoll ſogar 17 Jahre Darmrohr der Inſekten. 293 zu ihrer Entwicklung brauchen (Cicada septemdecim Fab.). Nur wenn bei zwei Inſekten, einem pflanzen- und einem fleiſchfreſſenden, die Anforderungen, denen der Darmkanal zu genügen hat, etwa gleich ſind, wenn die Tiere gleich groß, gleich lebhaft ſind, wird man mit Sicherheit erwarten können, daß bei dem Pflanzenfreſſer Einrichtungen zu beſonders gründlicher Ausnutzung reichlicherer Nahrung vorhanden ſind, alſo ein wei— terer und längerer Darm als beim Fleiſchfreſſer. Man unterſcheidet am Darmrohr der Inſekten einen Vorder-, Mittel- und Enddarm. Daß Vorder- und Enddarm vom äußeren Keimblatt abſtammen, wird allgemein anerkannt. Dagegen ſind die Forſcher über die Herkunft des Mitteldarms nicht einig: früher wurde er für entodermal gehalten; Heym ons jedoch behauptet auf Grund genauer Unterſuchungen, trotz der entgegenſtehenden theoretiſchen Bedenken, die ektodermale Abſtammung des Mitteldarmepithels. Am Vorderdarm können ſich eine Reihe von / af Differenzierungen finden (Abb. 185). An jeinem % Anfang münden die ſchon erwähnten Buccaldrüſen < („Speicheldrüſen“, 9) in einem oder mehreren Paaren; | der auf dem Munddarm folgende Schlund kann ſich in einen Kropf erweitern oder einen geſtielten „Saug— magen“ (1% tragen, und der Abſchnitt unmittelbar vor dem Mitteldarm (11) bildet ſich oft zu einem Kaumagen um. Der Enddarm beginnt an der Stelle, wo die ſogenannten Malpighiſchen Gefäße (12) in den Darm münden. E Bei Inſekten, welche wenig, namentlich nur flüſſige Nahrung aufnehmen, iſt der Vorderdam | / einfach gebaut und ſehr eng; bei Fleiſch- und Pflanzen— | 51. 180 freſſern dagegen iſt ſeine Weite bedeutender; hier ein Quadrant der Wandung iſt er manchmal zu einem Kropf erweitert, der als e Vorratsraum dient. Als ſolcher kann er natürlich bei Formen fehlen, die leicht jederzeit eine genügende Menge Nahrung finden, wie blatt— und miſtfreſſende Käfer. Bei der Biene dient er als Honigmagen, in dem der ge— ſammelte Honig aufgeſpeichert wird, um dann durch Erbrechen in die Honigzellen der Waben entleert zu werden. Auch der durch einen feinen Ausführungsgang mit dem Schlunde verbundene „Saugmagen“ der Schmetterlinge, Netzflügler und Fliegen (Abb. 185) iſt ein Reſervoir für flüſſige Nahrung und kein Saugorgan, wie man früher glaubte; an durchſichtigen Stechmücken läßt ſich beobachten, wie er ebenſo wie der Verdauungs— magen mit Blut angefüllt wird; wenn der Inhalt des letzteren aufgebraucht iſt, wird dann durch Zuſammenziehung des Hinterleibes der Vorrat aus dem „Saugmagen“ allmählich herübergepreßt. Ein Kaumagen findet ſich naturgemäß nur bei Inſekten mit feſterer Nahrung, nicht bei Saugern; er kommt vielen Käfern, einer Anzahl Geradflüglern und manchen Ameiſen zu. Die Chitinhaut iſt in ihm ſtreckenweiſe zu zahnartigen Leiſten verdickt und dazwiſchen zu bürſtenartigen Reibplatten umgewandelt (Abb. 186). Eine ſtarke Muskelmaſſe ver— mag dieſe Teile gegeneinander in Bewegung zu ſetzen. Vielleicht dient dieſe Einrichtung weniger zum nochmaligen Zerkleinern der Nahrung als zum Durchkneten derſelben mit Magenſaft und weiterhin zum Abpreſſen der gelöſten Nährſtoffe von dem unverdaulichen 294 Verdauung der Inſekten. Rückſtand. Dieſe Auffaſſung wird dadurch unterſtützt, daß vom Kaumagen aus in den Mitteldarm ein ſogenannter Trichter hineinragt, der einen Filtrierapparat wie beim Fluß— krebs vorzuſtellen ſcheint und eine Beſchädigung der Magenwände durch harte Nahrungs- teilchen hindert, die gelöſten Subſtanzen aber durchläßt. Am Mitteldarm unterſcheidet man oft zwiſchen einem vorderen erweiterten Abſchnitt, dem Chylusmagen und einem engeren Chylusdarm. Durch die ſpärlichen vorliegenden Unterſuchungen iſt es wenigſtens für eine Anzahl Inſekten ſichergeſtellt, daß der ver— dauende Magenſaft durch den Zerfall von Zellen des Mitteldarmepithels entſteht. Beim Mehlwurm, der Larve des Mehlkäfers (Tenebrio molitor L.) und einigen Blatthorn— käfern iſt es immer nur ein Teil der Zellen des Epithels, der dazu verbraucht und durch neugebildete Zellen erſetzt wird; bei dem mit zelligen Anhangsſchläuchen beſetzten Chylus— magen des Kolbenwaſſerkäfers (Hydrophilus) wird in verhältnismäßig kurzen Zwiſchen— räumen, etwa alle zwei Tage, das geſamte Darmepithel zur Bildung von Magenſaft abgeſtoßen und von den Zellſchläuchen aus durch Wucherung von Zellen erneuert. Dieſer Magenſaft wirkt beim Mehlwurm, nach den Unterſuchungen von Biedermann, ſtark eiweißverdauend und enthält außerdem ſtärkelöſende und fettzerſetzende Fermente. Ahnlich wirkt das Mitteldarmſekret der Schmetterlingsraupen. Merkwürdigerweiſe, möchte man ſagen, findet ſich in ihm kein zelluloſelöſendes Mittel, wie es ja im Magenſaft des Fluß— krebſes vorkommt und auch bei unſeren Landſchnecken (Helix, Limax) gefunden iſt. Da— her kann nur der Inhalt derjenigen Blattzellen verdaut werden, die beim Kauen angeſchnitten und eröffnet ſind; zu den meiſten, noch von ihrer Zelluloſemembran umſchloſſenen Zellen jedoch findet der Verdauungsſaft keinen Zugang. Der Kot der Raupen z. B. beſteht daher aus vielen kleinen Blattſtückchen, die meiſt noch gut erhalten ſind mit Ausnahme der Randzellen. Die aufgenommene Nahrung wird hier ſehr unvollkommen ausgenutzt, und damit erklärt ſich der außerordentliche Futterverbrauch der Raupen: frißt doch die Raupe des Kiefernſpinners (Lasiocampa pini L.) nach Ratzeburgs Schätzung vom Ei bis zur Verpuppung im Durchſchnitt 1000 Kiefernnadeln. Im Mitteldarm findet auch die Reſorption der verdauten Stoffe ſtatt, und zwar ſcheinen nicht alle Teile desſelben völlig gleichwertig zu ſein; ſo wird beim Mehlwurm das Fett nur im vorderen und mittleren, nie jedoch im hinteren Abſchnitt aufgenommen. Die Blattläuſe und Zikaden ſaugen Pflanzenſäfte, die an Kohlehydraten (Stärke und Zucker) ſehr reich, an Eiweiß dagegen verhältnismäßig arm ſind. Nun kann der tieriſche Körper zwar bei reiner Eiweißnahrung beſtehen, jedoch nicht bei Ernährung mit Kohle— hydraten oder Fetten, die jene nur teilweiſe vertreten, aber nie ganz erſetzen können (vgl. oben S. 257). Damit nun jene Sauger zu der für ihr Wachstum notwendigen Eiweiß— menge kommen, müſſen ſie einen großen Überſchuß an Kohlehydraten mit aufnehmen, die dann durch den After wieder entleert werden. Die Exkremente der Blattläuſe, der „Honigtau“, enthalten daher noch eine Maſſe verwertbarer Nährſtoffe, namentlich reiche Mengen Zucker, nach einer Berechnung 22% der trocknen Subſtanz an Traubenzucker und 30% Rohrzucker. Auf blattlausbeſetzten Gebüſchen ſammelt ſich daher eine Menge von Kerbtieren, beſonders Weſpen und Fliegen, die den angetrockneten Honigtau gierig aufſuchen; ja die Ameiſen wiſſen ihn ſogar am Orte ſeines Austritts zu finden. Eine beſondre Art der Nahrungsaufnahme findet bei einigen Inſektenlarven ſtatt. Die Larven des gelbrandigen Schwimmkäfers (Dytiscus marginalis L.) ſind kühne und gefräßige Räuber, die alle kleineren Lebeweſen, die ihren Aufenthaltsort teilen, bis hinauf zu jungen Fiſchchen und Kaulquappen, anfallen und ausſaugen mit Hilfe ihrer ſchon Verdauung der Inſekten. 295 geſchilderten Oberkiefer (Abb. 187). Aber ſie nehmen nicht etwa bloß die flüſſigen Stoffe, Blut und Körperſäfte, aus ihnen auf; es bleibt vielmehr von einer Inſektenlarve z. B. nichts übrig als die Chitinhaut. Die Larven laſſen nämlich durch ihre Saugkiefer, die ſie mit den ſcharfen Spitzen in die Beute einſchlagen, einen braunen Saft, der ein eiweiß— löſendes Ferment enthält, in den Leib des Opfers eintreten. Der Saft kann, bei dem Fehlen von Buccaldrüſen, nur als erbrochener Magenſaft angeſprochen werden. Dadurch werden die Muskeln und die übrigen Weichteile der Beute gelöſt, alſo außerhalb des Abb. 187. Larven einer Libelle (Aeschna) links und des gelbrandigen Schwimmkäfers (Dytiscus marginalis L.) rechts. Die eine Libellenlarve hat mit ihrer vorgeſchleuderten Unterlippe einen Egel ergriffen, die andre ſchwimmt unter kräftigem Ausſtoßen des Atemwaſſers einer Waſſeraſſel nach. Die obere Schwimmkäferlarve zeigt die Ruheſtellung, mit den end— ſtändigen Luftlöchern (Stigmen) an der Waſſeroberfläche, die untere bohrt ihre Kiefer in eine Kaulquappe. Körpers der räuberiſchen Larve verdaut, und die gelöſte Subſtanz eingeſogen und im Darm reſorbiert. Der gleiche Vorgang ſcheint ſich beim Ameiſenlöwen abzuſpielen, der ebenfalls ſeine Beutetiere völlig ausſaugt bis auf die unverdaulichen Reſte. Mit dieſer Art der Ernährung hängen noch einige Beſonderheiten im Bau unſerer Larve zuſammen: die Mundöffnung zwiſchen den Kiefern iſt zwar vorhanden, aber außerordentlich eng, da ſie ja mit der Nahrungsaufnahme nichts zu tun hat; der Mitteldarm aber iſt hinten blind geſchloſſen und tritt erſt während der Verwandlung der Larve zum fertigen Inſekt, alſo im Puppenzuſtand mit dem Enddarm in Verbindung; die geringen Mengen unver— daulicher und ausgeſchiedener Stoffe, die ſich am Ende des ul anſammeln, werden erſt nach der Verwandlung nach außen entleert. 296 Ernährung der Spinnentiere. Ein ähnlicher Zuſtand des Mitteldarms beſteht bei den Larven der höheren Hymen— opteren: der Ameiſen, Weſpen und Bienen. Dieſe Larven werden durch erwachſene Tiere, die Arbeiterinnen, gefüttert, und es iſt für die Honigbiene nachgewieſen, daß das Futter der Königinnen-Larven aus einem homogenen dicklichen Saft beſteht, der durch den Ver— dauungsſaft des fütternden Tieres ſchon völlig gelöſt und daher von Pollenkörnern und anderen feſten Beſtandteilen frei iſt und ſofort reſorbiert werden kann; ebenſo iſt das Futter der übrigen Larven wenigſtens in den erſten vier Tagen beſchaffen; weiterhin iſt es nur unvollkommen verdaut und enthält noch zahlreiche Pollenkörner. Die Reſte, die von ſolchem Futter bleiben, ſind ſo unbedeutend, daß ihre Entleerung während der Larven— zeit nicht notwendig iſt. Der Enddarm iſt bei den Käfern und Schnabelkerfen von einem typiſchen Drüſen— epithel ausgekleidet. Die meiſten übrigen Inſekten dagegen beſitzen einen kutikularen Überzug der Enddarmwand; dagegen bildet dieſe hier eine wechſelnde Anzahl von Aus— ſtülpungen, die ein Drüſenepithel tragen: es ſind die ſogenannten Rektaldrüſen. Sie haben offenbar die gleiche Aufgabe wie das Enddarmepithel der Käfer und Schnabelkerfe, nur ſind die Drüſenzellen hier der direkten Berührung mit den Exkrementen und damit der Verletzung durch darin enthaltene Hartteile entzogen. Vielleicht ſind die Sekrete des End— darms und ſeiner Drüſen für die Bildung der Exkrementballen von Bedeutung; Genaueres iſt darüber nicht bekannt. Die Spinnentiere haben nur zwei Paare von Mundwerkzeugen, die Kieferfühler (Cheliceren) und die Kiefertaſter (Pedipalpen). Dieſe treten zwar nicht in ſolchem Geſtaltenreichtum auf wie die Mundwerkzeuge der Inſekten; immerhin aber zeigen ſie große Verſchiedenheiten in der Ausbildung. Zu ſcherenartigen Beißwerkzeugen ſind die Cheliceren der Skorpione geſtaltet, während die Pedipalpen bei ihnen mächtige Fang— ſcheren zum Ergreifen der Beute bilden, die an Krebsſcheren erinnern. Bei den Spinnen tragen die Kieferfühler ein einſchlagbares klauenartiges Endglied, auf deſſen ſcharfer Spitze die Giftdrüſen münden: ſie bilden das Werkzeug, um die Beute zu töten; das Baſalglied der Kiefertaſter trägt, wie in vielen andren Fällen, eine beißende Lade, der übrige ge— gliederte Teil dient als Taſtorgan. Bei den Milben begegnen uns allerhand Übergänge von beißenden zu ſtechend-ſaugenden Mundteilen, deren Grundlage auch ſtets durch die beiden Kieferpaare gebildet wird. Der faſt gerade, nur in der Medianebene gebogene Darm zerfällt bei den Spinnen— tieren in Vorder-, Mittel- und Enddarm, und der Mitteldarm iſt durch ſeine Neigung zur Bildung blindſackartiger Ausſtülpungen ausgezeichnet, die durch ihre reiche Entwick— lung die größte Maſſe der Eingeweide ausmachen und ſich vielfach bis in die Anfangs— glieder der Beine erſtrecken; bei den Spinnen, wo der Mitteldarm durch den engen Stiel zwiſchen Kopfbruſt und Hinterleib in zwei Abſchnitte zerfällt, trägt jeder dieſer beiden ſolche Anhänge. Die Blinddärme ſind nicht einfache Drüſen, wofür man ſie früher an— ſah, ſondern ſie bilden zuſammen mit dem Mittelſtück den verdauenden Darm; neben der ſekretoriſchen kommt ihnen auch aufſaugende Tätigkeit zu, und die gelöſten Nährſtoffe gelangen bis in ihre letzten Enden hinein; ſchon dadurch wird die Nahrung weit im Körper verbreitet. Die Skorpione, Afterſpinnen und Spinnen ernähren ſich ausſchließlich von tieriſchen Stoffen, hauptſächlich von lebenden Tieren, die Milben dagegen nehmen z. T. auch pflanzliche Nahrung ein. Die Aufnahme und Verarbeitung der Nahrung iſt verſchieden. Bei den Skorpionen und Afterſpinnen wird die Beute zerkaut; aber da der Schlund ſehr eng iſt, muß ſie fein zerkleinert werden; in die Magenblindſäcke gelangen Ernährung der Muſcheln. 297 keine feſten Nahrungsteilchen, ſondern nur die durch den Verdauungsſaft gelöſten Stoffe. Die Spinnen dagegen beißen nur in die Beute ein, um ſie dann mit Hilfe des Saug apparats, der am Ende ihres Vorderdarms liegt, auszuſaugen; aber ſie ſaugen dabei nicht etwa nur Blut und Säfte ihrer Beutetiere; ſondern durch die Wunde fließt ein ver— dauendes Sekret, höchſtwahrſcheinlich der fermentreiche Mitteldarmſaft, in das Opfer und löſt deſſen verdauliche Teile auf; die gelöſten Stoffe werden dann eingeſaugt: alſo eine Verdauung vor dem Munde, wie bei Schwimmkäferlarve und Ameiſenlöwen. Das ergibt ſich mit Sicherheit aus den Beobachtungen Reys an der Vogelſpinne (Mygale avicularia I.): dieſe tötete eine kleine Eidechſe mit dem Gift ihrer Kieferdrüſen, zerfleiſchte fie förm— lich durch Einſchlagen ihrer Kiefer, von vorn nach hinten fortſchreitend, und ſaugte dann die gelöſten Teile auf: es blieben nur Schuppen und Knochen zurück. d) Die Ernährung der Ueichtiere. Etwa die gleiche Höhe in der Ausbildung des Verdauungsapparates, die wir bei den Gliederfüßlern finden, tritt uns auch bei den Weichtieren entgegen: ja in ihren höchſtſtehenden Formen, den Tintenfiſchen, übertreffen ſie jene hierin noch um ein Be— deutendes. Nach der Art ihrer Ernährung können wir die Weichtiere in zwei große Gruppen ſondern, Strudler und Packer. Strudler ſind nur die Muſcheln, langſame, ſtumpfſinnige Tiere, die ſtets nur eine verhältnismäßig geringe Bewegungsfähigkeit beſitzen, wenn ſie nicht gar, feſtgewachſen oder in Höhlungen eingebohrt, gänzlich an die Stelle gebannt ſind. Ihnen gegenüber ſind alle übrigen Weichtiere Packer, mit Ausnahme der wenigen Arten, die zur paraſitiſchen Lebensweiſe übergegangen ſind. Die Organe, die bei den Muſcheln den nahrungbringenden Waſſerſtrom erzeugen, ſind die gleichen, die bei den übrigen Weichtieren als Kiemen tätig ſind; aber im Zu— ſammenhang mit ihrer Rolle bei der Nahrungszufuhr ſind die Muſchelkiemen unvergleich— lich mächtiger ausgebildet als die der Schnecken und Tintenfiſche und haben eine bedeu— tendere Größe, als es das Sauerſtoffbedürfnis der trägen Tiere erfordern würde. Am hinteren Körperende klaffen die Ränder der beiden Mantelhälften, die ſonſt hier anein— ander ſchließen, in einen doppelten Spalt auseinander, wovon der obere in den Kloaken raum, der untere in die Kiemenhöhle führt. Bei manchen Formen ſind die Mantelränder um jeden dieſer Spalte, und oft noch in größerer Ausdehnung, verwachſen, und oft ſind dann die Ränder der Spalte zu Röhren von verſchiedener Länge, den Siphonen (Kloaken— und Atemſipho) ausgezogen (Abb. 188 u. 189). Das Schlagen der reichlichen Wimpern auf den Kiemen bewirkt, daß ein Waſſerſtrom durch den Atemſipho eintritt. Das Waſſer tritt in die beiden Kiemenräume ein und ſtrömt zwiſchen den Kiemenfilamenten hindurch in den intralamellaren Raum der Kiemen, der mit dem Kloakenraum Verbindung hat (Abb. 190, vgl. unten); dabei werden durch die ſtarken Randwimpern der Kiemenfila— mente die mitgebrachten Fremdkörper und Nahrungsteilchen vom Atemwaſſer abfiltriert; ſie werden mit einer Schleimhülle umgeben und durch die Tätigkeit beſonderer Wimper— züge zu den Mundlappen gebracht, die zu beiden Seiten der Mundöffnung ſtehen. Die Mundlappen tragen parallele Leiſten, auf denen in gewiſſen ſtreifenförmigen Zonen die Wimpern gegen den Mund zu ſchlagen, während ſie auf anderen Zonen einen Strom vom Munde weg erzeugen; durch Aufrichten oder Anlegen dieſer Leiſten kann die eine oder andre Schlagrichtung wirkſam werden. An der Mundöffnung ſammeln ſich die herbeigeſtrudelten Teilchen an und werden von Zeit zu Zeit aufgenommen, indem das 293 Ernährung der Muicheln. Tier ſeinen Mund öffnet und ſie einſchluckt. Nimmt die Muſchel keine Nahrung mehr, ſo können die Teilchen durch die abführende Wimperſtrömung der Mundlappen dem vor den Kiemen gelegenen Kloakenraum zugeführt und mit dem veratmeten Waſſer aus— geſtrudelt werden. Die Mundlappen üben aber keine Auswahl, ſondern führen alles, auch unverdauliche Kohle- und Farbſtoffkörnchen, dem Munde zu; widrig ſchmeckende Stoffe dringen gar nicht bis zum Munde, ſondern veranlaſſen ſofort, wenn ſie auf die Sinneszellen der Kiemenblätter reizend wirken, ein Zuſammenziehen der Schließmuskeln und werden dadurch mit dem Überſchuß des im Kiemenraum vorhandenen Waſſers aus— geſtoßen. Da die Ein- und Ausfuhröffnung dicht beieinander liegen, ſo iſt die Ernährung Abb. 188. Muſcheln mit verſchieden ausgebildeten Siphonen. 4 Cardita calyculata L. (Siphonen links, nach rechts iſt der Fuß ausgeſtreckt), B Herzmuſchel, Cardium edule L., C Serobicularia piperata Gm. der Muſchel auch dann unbehindert, wenn ſie mit dem Körper in Schlamm oder Sand vergraben liegt, oder in Fels oder Holz eingebohrt iſt, wenn nur das Hinterende mit den beiden Offnungen, oder die Enden der Siphonen allein in das freie Waſſer ragen. Andererſeits iſt eine Wiederaufnahme der durch den Kloakenſpalt ausgeſtoßenen Exkremente dadurch verhindert, daß das Waſſer hier mit größerer Gewalt ausſtrömt und jene feſten Teilchen mitreißt; bei einer Flußmuſchel von 7,5 em Länge werden, nach Wallengrens Verſuchen, durch das Auswurfswaſſer Karminteilchen 40 em weit fortgetrieben, während ſolche durch den Atemſipho erſt eingeſaugt werden, wenn ſie bis auf 1,5 em in die Nähe ſeiner Mündung kommen. Die herbeigeſtrudelte Nahrung beſteht aus winzigen Zerfallpartikeln und kleinſten Lebeweſen; daher iſt eine vorbereitende Verarbeitung derſelben völlig überflüſſig. Den Muſcheln fehlt demnach, in Abweichung von allen andern Weichtieren, jegliche Kau— Ernährung der Muſcheln. 299 einrichtung, und in ihren Vorderdarm ergießt ſich kein Drüſenſekret. Der Schlund führt in den erweiterten Magen. In dieſen ragt, als gallertiges Abſonderungsprodukt einer röhrenartigen Magenausſtülpung, der ſogenannte Kriſtallſtiel hinein; ſeine Subſtanz iſt eiweißartig und enthält vielleicht ein Ferment. Trotz zahlreicher Unter— ſuchungen iſt die Bedeutung dieſes Organs noch ſtrittig. In den Magen mündet mit zwei Offnungen ein ſack— artiger Anhang von großer Aus— dehnung, die ſogenannte „Leber“; nach Analogie mit den Verhältniſſen, die wir bei den Schnecken kennen lernen werden, iſt es höchſt wahr— ſcheinlich, daß hier der Verdauungs— 4 Abb. 189. Klaffmuſchel (Mya arenaria L.) ſaft abgeſondert wird und zugleich mit aufgeſchnittenem Mantelraum. 5 ol: { . = 1 und 2 vorderer und hinterer Schließmuskel, 3 Herzkammer, 4 Vorhof, 5 0 * 8 > 1 U ’ ein Teil der Reſorption der ge 5 Kieme, 6 Mantelränder, die miteinander verwachſen find bis auf den löſten Nährſtoffe hier ſtattfindet. Fußſchlitz (19) und die Mündungen der hier miteinander verbundenen 50 ; Er, Siphonen, des Atemſipho 7 und des Kloakenſipho s, 9 Fuß. Nach Goette. Der verhältnismäßig lange Darm, N der wohl auch an der Reſorption teilnimmt, mündet in den Kloakenraum, von wo die Exkremente mit dem veratmeten Waſſer durch den Kloakenſipho nach außen gelangen. Von den übrigen Weichtieren ſollen uns nur die beiden großen Abteilungen der Schnecken und Tintenfiſche beſchäftigen. Die Beſchaffenheit des Darmkanals iſt bei ihnen in den Grundzügen die gleiche wie bei den Muſcheln; aber in Anpaſſung an die feſtere Nahrung iſt der Anfang des Schlundes zu einem muskulöſen Schlundkopf oder Pharynx umgewandelt und mit Kauorganen, nämlich einem Zungenwulſt mit Reibplatte und einem „Kiefer“, oder einem Paar von ſolchen, ausgerüſtet, und es münden beſondere Drüſen, die Speicheldrüſen oder beſſer Buccaldrüſen, in den Schlund. Bei den Schnecken iſt das Vorderende häufig mit einer verlängerten Schnauze verſehen, auf deren Spitze der Mund liegt, oder es iſt ein einziehbarer Rüſſel vorhanden, der aus der Mundöffnung ausgeſtülpt werden kann; bei manchen Arten kann di ſer ſehr lang ſein, ja mitunter ſogar die Länge des N 2 HE PORT RER did = Arltatn Se arfo 1 * tier Abb. 190. Tieres übertreffen. So ausgerüſtete Schnecken ſind Raubtiere. Schein tiſcher Au sch Schnell bewegliche Beute, wie Krebſe und Fiſche, wird ja von durch eine Muſchel. 1 Kiemenraum, 2 intralamellarer ihnen nicht gefährdet; ſie halten ſich hauptſächlich an die trägen faum der Kiemen, 3 ſupra— Seeſterne, die Seegurken und die Muſcheln — manche von ihnen, Juakenrenm ke ennänt wie die Wellhornſchnecke (Buceinum), Stachelſchnecke (Murex), ee, eee Purpu ſchnecke (Purpura) und Nabelſchnecke (Natica) ſind ver— haßte Feinde der Auſternparks. Ihren Beutetieren kommen ſie bei, indem ſie die kalkige Haut, den Panzer oder die Schale durchbohren oder auch die Muſchelſchalen aufklemmen durch einen eingepreßten Zahn ihres Gehäuſes und durch die geſchaffene Offnung den Rüſſel einſenken und die Weichteile auffreſſen. Das Vorhandenſein eines Rüſſels weiſt alſo auf die räuberiſchen Gewohnheiten ſeines Beſitzers hin. 300 Schlundkopf der Schnecken. Der Schlundkopf kommt durch ſtarke Verdickung der Muskelwand des Schlundes zuſtande. Hier finden wir ventral den Zungenapparat und dorſal den oder die Kiefer, hier münden auch die Buccaldrüſen. Die Größe des Schlundkopfes wechſelt je nach der Aufgabe, die er erfüllt. Wo ihm, bei Anweſenheit eines Rüſſels, nur geringe Leiſtungen zugemutet werden, iſt er klein; wo ein Rüſſel fehlt, iſt er meiſt größer. Seine höchſte Ausbildung erlangt er dort, wo der ausgeſtülpte Zungenapparat als Fangwerkzeug dient, wie bei den Raublungenſchnecken, der Gattung Testacella (Abb. 191 und C) und der auch bei uns vorkommenden Daudebardia, die ſich von andern Schnecken und von Regen— würmern nähren; hier kann der Schlundkopf die halbe Länge des Tieres erreichen, ja ſogar ſie übertreffen. Am Boden des Schlundkopfes befindet ſich ein länglicher polſter— artiger Wulſt, der im Innern eine Anzahl knorpelartiger Körperchen ent— hält und durch Verſorgung mit reichlicher, verſchieden gerichteter Muskulatur eine größere Beweg— lichkeit bekommt. Dieſem Polſter, dem Zungenwulſt, liegt ein eigen— artiges Gebilde feſt auf, die Reib— platte oder Radula (Abb. 191). Sie beſteht aus einer chitinigen Haut, auf welcher zahlreiche harte Chitin— zähne, mit der Spitze rückwärts ge— richtet, in Längs- und Querreihen regelmäßig angeordnet ſtehen, und bildet ſo ein raſpelartiges Werkzeug . [Abb. 192). Der Zunge n ee 955 Heiz) aus dem Munde hervorgeſtoßen und 1 Zungenwulſt (in C ausgejtülpt) mit der Reibplatte, 2 Kiefer, 3 Buccal— wieder eingezogen werden und mit e ale f be e oer ee in den Darm, ihm die Reibplatte; die Tätigkeit des Apparats läßt ſich mit dem Lecken einer Katze vergleichen, nur iſt das Tempo der Bewegung langſamer. Man kann ihn in Funktion beobachten bei einer Teichſchnecke (Limnaea), die den Algenbelag einer Aquariums— ſcheibe abweidet, oder man kann ſolche leckende Bewegungen leicht bei ihr hervorrufen, indem man mit einer Pipette eine 10—20prozentige Traubenzuckerlöſung gegen den Kopf der an der Glaswand kriechenden Schnecke fließen läßt. Wenn in einem „Schneckengarten“, wo Weinbergſchnecken (Helix pomatia L.) für den Gebrauch als Speiſe gemäſtet werden, gefüttert wird, verurſacht das Raſpeln der vielen tätigen Reibplatten ein Geräuſch, als ob ein Regen niederfiele. Die Form und Anordnung der Zähne auf der Reibplatte iſt ſehr mannigfaltig und meiſt bei verwandten Schnecken ſehr ähnlich; ſie iſt daher für die ſyſtematiſche Zuſammen— gehörigkeit der Gattungen von großer Wichtigkeit. Andrerſeits ſteht die Beſchaffenheit der Reibplatte im engſten Zuſammenhang mit den Anforderungen, die die Ernährungs— weiſe des Tieres an ihre Leiſtungen ſtellt; denn ihre Wirkungsweiſe iſt verſchieden, je nachdem die Zähne groß und ſpitz oder klein und ſtumpfer, ſpärlich oder zahlreich ſind. Reibplatte und Kiefer. 301 Bei den Fleiſchfreſſern, wo es nicht darauf ankommt, die Koſt fein zu zerreiben, ſind die Zähne groß, ſpitz und gering an Zahl, bei den Pflanzenfreſſern klein und meiſt ſehr zahlreich, und die ganze Radula iſt breit. Letzteres gilt z. B. für die meiſten unſerer Lungenſchnecken, wie Helix (Abb. 192 A4), Arion, Limnaea. Bei manchen Helix Arten ſteigt die Zahl der Zähne bis zu 40000, bei gewiſſen pflanzenfreſſenden Meeresnackt— ſchnecken aus der Gruppe der Pleurobranchiden ſogar bis 70000, während deren Ord— nungsgenoſſen, die räuberiſchen Aeolis-Arten, nur 16 Zähne auf der Radula haben. Da, wo ein Rüſſel vorhanden iſt, hat die Radula meiſt nur nebenſäch iche Bedeutung; wo ſie aber für die Bewältigung lebender Beute eine Rolle ſpielt, wie bei den räube— riſchen Schwimmſchnecken des Meeres (Heteropoden), iſt ſie ausgedehnt, und die Einzel— zähne ſind groß und ſehr ſpitz (Abb. 1928). Bei den Giftſchnecken, zu denen die prächtigen Kegelſchnecken (Conus) gehören, ſtehen nur drei Zähne in einer Querreihe; ſie ſind groß, nach vorn ge— sen richtet und jeder von einem A Kanal durchbohrt, in dem der Ausführgang einer Giftdrüſe mündet; eine Verwundung mit dieſen Zähnen vermag kleinere Tiere zu töten und auch beim Menſchen heftige Entzündungen hervorzurufen. Die Reibplatte wird in einer taſchenförmigen Einſen— kung, der Radulataſche, ge— bildet, die hinter dem Zungen— polſter am Grunde des Pharynx liegt; die Epithelzellen dieſer Taſche ſind der Mutterboden teils für die Grundmembran, Abb. 192. 3 Zah e aus den 5 v 5 Schnecken. e en A A von der Weinbergſchnecke (Helix pomatia L.) (es iſt nicht die teils für die Zähne. Der Bil⸗ ganze Breite der Reihen gezeichnet), Seer 5 37 B von einer Schwimmſchnecke (Carinaria mediterranea Per. Les.). dungsprozeß geht auch beim A ö fach, B 15 fach vergrößert. fertigen Tier weiter, und in dem Maße, wie die Reibplatte durch den Gebrauch abgenutzt wird, findet ein Erſatz derſelben von hier aus ſtatt. Meiſt iſt die Radulaplatte kürzer als der Schlundkopf, entſprechend einer langſamen Abnutzung der Radula; bei jenen Schnecken aber, die in der Brandungszone den dünnen, oft kalkhaltigen tieriſchen und pflanzlichen Bewuchs von der felſigen Unterlage abweiden, wie Patella und Littorina, geſchieht die Abnutzung viel ſchneller als bei Blatt- und Fleiſchfreſſern, und damit erklärt ſich, daß hier zu ausgiebigem und ſchnellem Erſatz der Reibplatte die Radulataſche eine bedeutende Länge erreicht, ja zuweilen die Körperlänge weit übertrifft und dann ſpiralig aufgerollt iſt. Der Kiefer, der an der dorſalen Wand des Schlundkopfes liegt, beſteht entweder aus einem oder aus zwei ſymmetriſch gelegenen Stücken und iſt nichts als eine lokale Verdickung des kutikularen Wandüberzugs. Er dient dem Zungenapparat als Widerlager und bewirkt ein Durchreißen oder Abſchneiden des Biſſens, wenn er durch den Ringmuskel des Schlundkopfes gegen die Reibplatte gepreßt wird. Bei den Lungenſchnecken ſteht die Bewehrung von Radula und Kiefer gewöhnlich in umgekehrtem Verhältnis. Die 302 Speicheldrüſen der Schnecken. Agnathen (Testacella, Daudebardia) mit gewaltig bewaffneten Reibplatten haben gar keine oder nur rudimentäre, glatte Kiefer. Bei den echten Pflanzenfreſſern, wie Helix und Arion, ſind die Kiefer kräftig entwickelt und mehr oder weniger ſtark gerippt, die Radula hat viele, aber kleinzackige Zähne. In der Mitte ſtehen Vitrina, Hyalina und Limax, die vorwiegend Fleiſchfreſſer ſind; ſie haben am Rande der Radula die großen Hakenzähne der Agnathen und einen glatten Kiefer mit einem Mittelzahn. Zur Bewältigung der Beute dienen bei den Raubſchnecken meiſt auch die Buccal— drüſen. Der Name „Speicheldrüſen“ für ſie iſt deshalb verfehlt, weil ſie, ſo weit das unterſucht iſt, keine nennenswerten Mengen von Ferment enthalten, auch bei den Pflanzen— freſſern nicht und daher nicht in direkter Beziehung zur Verdauung ſtehen wie die Speicheldrüſen der Säugetiere. Die Meeresſchnecken können dies Sekret meiſt willkürlich entleeren: die Drüſen ſind mit einem ſtarken Muskelmantel verſehen, deſſen Kontraktion bei der Tonnenſchnecke (Dolium) die Abſonderung in der Luft einen halben Meter weit fortſpritzen kann. Bei den räuberiſchen Heteropoden enthält das Sekret wahrſcheinlich ein ſpezifiſches Gift zur Betäubung der Beute. Bei manchen Meeresſchnecken dagegen iſt es durch ſeinen hohen Säuregehalt ausgezeichnet: der Zoologe Troſchel machte bei einem Aufenthalt in Meſſina die merkwürdige Beobachtung, daß ein großes Dolium galea L. einen Saft von ſich gab, der auf dem Marmor des Fußbodens ein ſtarkes Aufbrauſen verurſachte; die nähere Unterſuchung zeigte, daß dieſer Saft aus den Buccal— drüſen ſtammte und reichlich freie Schwefelſäure enthielt. Dieſe Entdeckung wurde mehr— fach beſtätigt: bei Dolium, Cassis und ihren Verwandten hat man im Speichel 2 — 4, ja faſt 5% Schwefelſäure nachweiſen können; bei Tritonium dagegen iſt er reich an einer organiſchen Säure, der Aſparaginſäure. Durch Reizen kann man ſolche Schnecken zum Ausſpritzen dieſes Saftes veranlaſſen, und wenn das Waſſer, in dem ſie ſich be— finden, durch Lackmusfarbſtoff blau gefärbt wurde, ſieht man dann eine rote Wolke vom Munde der Tiere ausgehen, da die Säure den Farbſtoff rötet. In den Magen gelangt dieſe Säure nicht; denn dort findet man oft Kalkſtückchen von Seeſternſchalen u. dgl., die nicht aufgelöſt oder in ſchwefelſauren Kalk verwandelt ſind. Das Sekret dient viel— mehr einmal zur Betäubung von Beutetieren: Seeſterne z. B. werden durch ſchwache Säure bewegungslos. Von Wichtigkeit iſt es aber beſonders, daß das ſaure Sekret den Panzer von Seeſternen und Muſcheln und die kalkreiche Haut der Seegurken angreift und den Kalk entweder löſt (Aſparaginſäure) oder in krümeligen Gips verwandelt (Schwefel— ſäure), welcher der Radula keinen nennenswerten Widerſtand entgegenſetzt. Die aufgenommene Nahrung gelangt bei unſerer Weinbergſchnecke, die am ein— gehendſten, beſonders neuerdings von Biedermann und Moritz, unterſucht worden iſt und uns deshalb als Objekt für die weitere Schilderung dienen ſoll, in einen erweiterten Darmteil, den Vormagen oder Kropf. Etwas weiter zurück liegt der blindſackförmige eigentliche Magen, der durch die Einmündung zweier großer, vielverzweigter Säcke, der ſogenannten Lebern oder beſſer Mitteldarmſäcke, gekennzeichnet iſt (Abb. 191 A). In dieſen Säcken wird von beſondern Zellen, den ſogenannten Fermentzellen, eine Flüſſigkeit abge— ſondert, die ſich durch ihren Gehalt an Fermenten als Verdauungsſaft erweiſt; ſie gelangt in den Vormagen und verwandelt dort Stärke in Zucker, zerſetzt Fett und löſt Zelluloſe auf. So vorbereitet, kommt der Speiſebrei in den Magen, von wo aus die gelöſten Stoffe und mit ihnen auch feine Teilchen ungelöſter Nahrung in die Mitteldarmſäcke eingepreßt werden, ein Vorgang, der nach Entfernung der Schale unmittelbar beobachtet werden konnte. Wie die Bildung des Verdauungsſaftes, ſo geſchieht in den Mittel— Verdauung der Schnecken. 303 darmſäcken auch die Reſorption der gelöſten Stoffe, und zwar durch eine andere Zellart, die Reſorptionszellen; das aufgenommene Fett wird teils in Speicherzellen, teils in dem Bindegewebe um die „Leber“ angehäuft; außerdem enthält die Wand der Säcke Vorräte an Glykogen und Kalk. Nur die Aufnahme der Eiweißſtoffe geſchieht auf' andre Weiſe. Der Darmſaft löſt Eiweiß bei den Verſuchen im Reagenzglas nicht; dagegen umgreifen die Zellen der Mitteldarmſäcke Eiweißteilchen, z. B. Chlorophyllkörner, die in ihre Nähe gelangen, mit ihrem Plasma wallartig und verdauen ſie intrazellular; bei einer Meeres— nacktſchnecke, Calliphylla, ſind, wie Brüel angibt, nach einer reichlichen Mahlzeit dieſe Zellen ſo gefüllt, daß die Säcke dunkelgrün ausſehen. Die unverdauten Reſte werden von den Zellen ausgeſtoßen und durch die Wimperung des Magens und Darms nach außen befördert. So ſind die Mitteldarmſäcke nicht bloß abſondernde Organe, Drüſen, ſondern auch Reſorptionsorgane, ebenſo wie bei den höheren Krebſen; wie dort hat auch hier die Verlegung der Sekretion und Reſorption in Anhangsſäcke des Darmkanals den günſtigen Erfolg, daß die zarten Zellen, denen dieſe Verrichtungen obliegen, nicht durch feſte, ſcharfkantige Futterteilchen verletzt und geſchädigt werden können. Bei der Weinbergſchnecke ſcheint der auf den Magen folgende Darmabſchnitt nicht an der Reſorption der verdauten Nahrung beteiligt zu ſein. Bei anderen Schnecken aber wird ihm wahrſcheinlich neben den Mitteldarmſäcken ein Anteil an der Reſorptions— arbeit zukommen; es wäre ſonſt nicht erklärlich, warum dieſer Darmteil bei manchen Schnecken bedeutend verlängert und mehrfach in Windungen gelegt iſt, und zwar gerade bei ſolchen, die eine magere und nährſtoffarme Koſt haben wie Käferſchnecken (Chiton) und Napfſchnecken (Patella) und bei denjenigen, wo Seetang einen regelmäßigen Teil der Nahrung bildet. Es iſt anzunehmen, daß die Vermehrung der Darmoberfläche eine gründlichere Aufſaugung der brauchbaren Stoffe geſtattet; kommt doch auch bei den Säugern den Pflanzenfreſſern im allgemeinen ein längerer Darm zu als den Fleiſch— freſſern. Die meiſten Schnecken zeigen in der Anordnung des Darmes ähnliche Verhältniſſe wie die Weinbergſchnecke. Nur bei den Nacktkiemern unter den Meeresnacktſchnecken liegen die Dinge etwas anders. Hier trägt der an ſich kurze Darm zwei oder drei vielver— zweigte Aſte. Sie ſpielen wahrſcheinlich die Rolle der Mitteldarmſäcke, d. h. ſie ſind gleichzeitig ſezernierende und reſorbierende Organe; aber man findet ſie ſtets mit Futter gefüllt, ſo daß offenbar auch die Verdauung in ihnen ſtattfindet. Es iſt nicht unwahr— ſcheinlich, daß ſich hierin ein primitiver Zuſtand des Weichtierdarmes bei dieſer ſonſt ſo vielfach abgeänderten Gruppe erhalten hat. Die Aufnahme von Nahrungsteilchen ins Innere der Zellen der Darmäſte wurden bei Calliphylla, wie oben ſchon angeführt, nach— gewieſen. — Bei anderen Meeresnacktſchnecken iſt ein Abſchnitt des Vorderdarmes zu einem Muskelmagen umgebildet, der an der Innenwand mit kutikularen Zähnen oder Kieferplatten ausgeſtattet iſt und bald zur Zerkleinerung der pflanzlichen Nahrung wie bei den Meerhaſen (Aplysia), bald (bei Bulla) zum Zermalmen der Schalen von ge— freſſenen Muſcheln dient. Die am höchſten entwickelten Weichtiere, die Tintenfiſche, übertreffen die übrigen auch in der Organiſation des Darmkanals (Abb. 193). Sie ſind durchweg räuberiſche Tiere. Hinter der Mundöffnung, die von den ſtarken, ſaugnapfbewehrten Fangarmen umgeben iſt, ſteht der Schlundkopf. Seine zwei kräftigen, von oben nach unten gegeneinander wirkenden Kiefer verſchließen jene mit ihren ziemlich ſcharfen Spitzen; ſie erinnern in ihrer Form an einen umgekehrten Papageienſchnabel. Da ihre Schneiden nicht aufeinander treffen, S 304 Ernährung der Tintenfiſche. ſondern der Oberkiefer tief in den Unterkiefer hinabtaucht, ſo ſind ſie zum Zerſchneiden der Beute wenig geeignet, ſondern dienen zum Feſthalten derſelben und bei Krebſen zum Eröffnen des Panzers; wer ihre Kraft am eigenen Finger geſpürt hat, weiß, daß ſie tüchtig packen können. Zwiſchen und hinter den Kiefern enthält der Schlundkopf einen Zungenapparat mit Reibplatte, die ähnlich wie bei den Schnecken gebaut iſt. In den Schlundkopf mündet der Reibplatte gegenüber der unpaare Ausführgang der ein oder zwei Paare Buccaldrüſen. Ob das Sekret dieſer Drüſen eine verdauende Wirkung hat, iſt bei den vielfach widerſprechenden Angaben der Forſcher noch unentſchieden; ſicher iſt, daß dasjenige der hinteren Speicheldrüſen bei den Achtfüßern eine Gift— wirkung auf die Beute ausübt: der Octopus drückt eine ergriffene Krabbe gegen den Mund, ſein Körper zieht ſich drei- bis viermal konvulſiſch zuſammen, und wenn man ihm jetzt die Beute entreißt, zuckt ſie noch ein wenig und iſt tot, ohne daß Verletzungen an ihr zu entdecken wären; Verſuche zeigen, daß ſolche Wir— kungen durch den „Speichel“ hervorgebracht werden, der bei einem Krebs, an die Kiemen geſpritzt, augen— blicklich Starrkrampf hervorruft. Die Beute wird nun nicht ganz verſchluckt, auch nicht zerſtückelt, ſondern es tritt offenbar wie bei manchen Inſekten und Spinnentieren eine Verdauung vor dem Munde ein; der Tintenfiſch läßt jedenfalls nach einiger Zeit den Panzer eines Krebſes z. B. fahren, aus dem dann alle Weichteile entfernt ſind, ohne daß er erhebliche Verletzungen aufwieſe. Höchſt wahrſcheinlich erbricht der Räuber ſeinen Magenſaft, der durch eine Offnung in den Krebs einfließt und mit den aufgelöſten Weich— teilen dann wieder eingeſogen wird. In den Magenblindſack mündet das ſogenannte Spiralcoecum (7) ein; es bildet die Sammelblaſe für das Sekret zweier Drüſen, die den Mitteldarmſäcken Abb. 193. Darmkanal des Moſchuspulps (Eledone mos cha ta Leach). der übrigen Mollusken gleichzuſetzen ſind, der ſo— 1 Schlundkopf, 2 Speicheldrüſe, 3 Giftdrüſe, 0 5 Nohprdi 8 N AD 8 Send f e Min Spire genannten Leber“ und des „Pankreas „das nur 8 Leber, 9 Pankreas, 19 Darm, 11 Tinten- einen beſonders differenzierten Abſchnitt der „Leber“ beutel, 12 After. Nach Jammes. darſtellt. Beides ſind echte Drüſen: in ihnen findet nur Sekretion ſtatt, nicht auch Reſorption der verdauten Nahrung wie ſonſt in den Mitteldarmſäcken. Es iſt zwiſchen ihnen eine Arbeitsteilung derart eingetreten, daß das „Leber“-Sekret zugleich ein diaſtatiſches und ein eiweißlöſendes tryptiſches Ferment enthält, während im Sekret des „Pankreas“ nur Diaſtaſe vorkommt. Das Spiralcoecum beſitzt an ſeiner Mündung eine Klappe, die das Eintreten von Stoffen hindert, dagegen die in ihm enthaltene Flüſſigkeit austreten läßt. Die Verdauung, ſoweit ſie vor dem Munde noch nicht vollendet iſt, geht im Magen vor ſich, und an der Reſorption beteiligt ſich der Darm, deſſen geringe Länge bei der an Nährſtoffen reichen Fleiſchkoſt genügt. — So treffen wir hier zum erſten Male mit Sicherheit geſonderte Verdauungsdrüſen, denen Sonderung der Verdauungsdrüſen— 305 keine andere Funktion obliegt als die Abſonderung eines verdauenden Saftes. Dieſe Höhe der Arbeitsteilung im Verdauungsapparat ſtellt die Tintenfiſche unmittelbar den niederen Wirbeltieren an die Seite, wie es ja außer Zweifel iſt, daß ſie auch in anderer Beziehung mit den Wirbeltieren am höchſten organiſiert ſind. In der Reihe der Wirbeltiere wird dann die Verdauungsarbeit noch weiter differenziert, bis ſie ſchließlich bei den Säugern auf den ganzen Darmkanal verteilt iſt. e) Die Ernährung der Chordatiere. 4 Allgemeines. Der Verdauungsapparat der Chordatiere iſt durch ſeinen engen Zuſammenhang mit dem Atmungsapparat ausgezeichnet, mag dieſer nun in Kiemen beſtehen, an denen durch den Mund und die ſeitlichen Durchbrechungen der Vorderdarmwand ein Strom von Atemwaſſer vorbeigeführt wird, oder mag er bei den Luftatmern in Geſtalt von ſack— förmigen Ausſtülpungen des Vorderdarmes als Lungen auftreten. Ja bei den niederen Gruppen der Chordaten, bei den Manteltieren und bei Amphioxus, iſt dieſe Verbindung mit dem Atmungsapparat weſentlich für die Ernährung: ſie ſind Strudler, und der be— ſtändige Strom des Atemwaſſers bringt die feinen Teilchen und Organismen mit, die ihnen zur Nahrung dienen; durch klebrigen Schleim werden die Nahrungspartikelchen feſtgehalten und gelangen mit den Schleimfäden in den Endoſtyl, eine Flimmerrinne auf der ventralen Seite des Kiemendarmes, von wo ſie in den Darm befördert werden. Bei den Wirbeltieren iſt die ererbte Verbindung von Atmungs- und Ernährungsapparat bei— behalten; aber da ſie als Packer auf anderem Wege zu ihrer Nahrung kommen, iſt der innere Zuſammenhang beider Einrichtungen geſchwunden. Von den Wirbelloſen unterſcheiden ſich die Chordatiere und beſonders die Wirbel— tiere in bezug auf ihren Verdauungsapparat vor allem dadurch, daß nicht nur die Bil— dung der Verdauungsſäfte und die Reſorption an verſchiedene Zellindividuen gebunden ſind, ſondern daß auch eine örtliche Sonderung dieſer beiden Zellarten im allgemeinen ſtreng durchgeführt iſt. Die Fermentzellen ſind in größeren oder kleineren Nebenräumen des Darmrohres gelegen; die Anfänge davon ſehen wir bei den Manteltieren in der in den Magen mündenden ſogenannten Pylorusdrüſe und bei Amphioxus wahrſcheinlich in der „Leber“. Die höchſte Stufe der Arbeitsteilung im Verdauungsapparat aber iſt bei den Wirbeltieren erreicht, wo überall Leber und Bauchſpeicheldrüſe (Pankreas) und oft auch noch die Magendrüſen, ja vielfach auch die Speicheldrüſen jede ihren beſon— deren Anteil an der Verdauung nehmen; die reſorbierenden Zellen aber grenzen un— mittelbar an das Lumen des Darmrohres. Übergänge zu dem Verhalten, das wir von den Wirbeltieren kennen, ſind mit Sicherheit zu erwarten; die Sonderung der ferment— bildenden Zellen in den Anhangsdrüſen des Darmes bei den Tintenfiſchen wurde ſchon oben als ſolcher bezeichnet. Das beeinträchtigt aber die Bedeutung des großen Unter— ſchiedes nicht. Mehr als bei anderen Tieren wird bei den Wirbeltieren die Arbeit des eigentlichen Darmkanals durch Hilfsapparate unterſtützt, die im unmittelbarſten Dienſt der Nahrungs— bewältigung und Verdauung ſtehen. Außer bei den paraſitiſch lebenden Rundmäulern ſind dieſe Hilfsapparate ſtets nach dem gleichen Grundplane gebaut: wir finden allgemein die Kiefer mit Zähnen oder anderer Bewaffnung, zum Teil auch mit muskulöſen Lippen, die Zunge und vielfach Drüſen der Mundhöhle. Die Strudler freilich unter den Chor— Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 20 306 Abſchnitte des Darmrohrs bei den Wirbeltieren. daten, die Manteltiere und Amphioxus, bedürfen beſonderer Pack- und Kauapparate für ihre feinverteilte Nahrung ebenſowenig wie die Muſcheln oder andere ähnlich lebende Wirbelloſe. Der Darmkanal der Wirbeltiere läßt ſich in verſchiedener Weiſe gliedern. Wie bei den Wirbelloſen können wir von Vorder-, Mittel- und Enddarm in dem Sinne reden, daß der Vorder- und Enddarm vom äußeren Keimblatt, der Mitteldarm vom inneren Keimblatt ausgekleidet iſt. Überträgt man dieſe Art der Einteilung auf die Wirbeltiere, ſo würde der Mitteldarm ſo weit zu rechnen ſein, als der Darmkanal ein einſchichtiges Epithel beſitzt. Die Teile aber mit geſchichtetem Epithel gehörten dem Vorder- und Enddarm an; denn es iſt wahrſcheinlich, daß von der ektodermalen Mundbucht des Embryos das äußere Keimblatt verſchieden weit ins Innere des Darmkanales hinein— wuchert. Ein ſolches Einwuchern in die Mundhöhle iſt ſchon nachgewieſen; aber es dürfte ſich ſo weit erſtrecken wie die Schichtung des Epithels, alſo bei vielen Säugetieren bis in den Magen hinein. Für den kurzen Enddarm iſt die Herkunft der geſchichteten Epithelauskleidung vom äußeren Keimblatt anerkannt. — Dieſer morphologiſchen Ein— teilung ſteht eine andere gegenüber, die ſich auf die verſchiedenen Verrichtungen der Darmabſchnitte gründet. Die erſte Abteilung bilden dann Mundhöhle, Schlund und Magen; wenn in ihnen Verdauungsvorgänge ſtattfinden wie durch den Magenſaft und bei den Säugern durch das Sekret der Speicheldrüſen, ſo ſind ſie nur vorbereitender Natur und werden als Vorverdauung der Hauptverdauung gegenübergeſtellt. Sitz der Hauptverdauung iſt der Dünndarm, in den Leber und Bauchſpeicheldrüſe ihre fermentreichen Abſonderungen ergießen; er beginnt bei der Einmündung dieſer beiden Drüſen, durch die zugleich die hintere Grenze des Magens bezeichnet wird. Der dritte Abſchnitt, der Dick- und After— darm, läßt ſich vom Dünndarm beſonders bei Fiſchen und Amphibien nicht ſcharf trennen; bei den höheren Wirbeltieren iſt ſein Beginn durch den Anſatz des unpaaren oder paarigen Blinddarmes bezeichnet, zuweilen auch durch eine Klappe. Der Dickdarm be— teiligt ſich an der Aufſaugung der Nährſtoffe ebenſo wie der Dünndarm, und auch dem Blinddarm dürfte ein Anteil daran zukommen; aber die fermentativen Zerſetzungen treten in ihm ganz zurück, und vielfach finden Gärungs- und Fäulniszerſetzungen dort ſtatt; der Dickdarm iſt auch der Ort, wo der Darminhalt zu Kotballen geformt wird. Zur mechaniſchen Bearbeitung der Nahrung dienen die Kiefer und die Zähne, ſelten auch die Zunge, häufig aber beſondere, als Kaumagen ausgebildete Abſchnitte des Darmes. Die chemiſche Löſung der Nährſtoffe geſchieht durch die Fermente, die ſich im Magenſaft, im Pankreasſaft und in der Galle, zuweilen auch im Mundſpeichel finden. Die Auf— ſaugung der gelöſten Nährſtoffe wird durch die Oberfläche verſchiedener Darmabſchnitte vermittelt. Indem alle dieſe Mittel ſich an den Aufgaben, die für die Ernährung des Tieres bewältigt werden müſſen, bald mehr oder weniger gleichmäßig beteiligen, bald aber die einen unter Entlaſtung der anderen in den Vordergrund treten, iſt eine große Zahl von Verſchiedenheiten möglich, ſo daß ſchon unter gleichen Anforderungen die Ver— dauungswerkzeuge ſich ähnlich ernährender Tiere doch ziemlich verſchieden ſein können. Wo eine mechaniſche Zerkleinerung harter Nahrung durch Zähne nicht ſtattfindet, tritt oft ein Kaumagen ſtellvertretend ein wie bei den Krokodilen, vielen Vögeln und unter den Säugern bei manchen Zahnarmen. Die Vorverdauung kann z. B. bei den Säugern dem Verdauungsvorgang im Dünndarm ſchon gewaltig vorarbeiten; in anderen Fällen aber, wie bei manchen Fiſchen, fehlt ſie ganz. Die zur Reſorption notwendige Oberfläche kann durch einen kurzen weiten oder durch einen langen engen Darm geboten werden, Kiefer. 307 oder durch mächtige Entwicklung des Blinddarmes kann eine beſondere Vergrößerung der übrigen Darmoberfläche unnötig werden. So ſind der Wege viele zum gleichen Ende. Die Anforderungen aber, die bei verſchiedenen Tieren an dieſen Apparat geſtellt werden, ſind ſehr ungleich, je nach der Art der Nahrung, die ein Tier aufnimmt. Eine nährſtoffreiche, weiche, leicht lösliche Nahrung, wie ſie die Fleiſchfreſſer haben, und eine magere und ſchwer aufſchließbare Koſt, wie z. B. die der Grasfreſſer, bedürfen natürlich zu ihrer Bewältigung ganz verſchiedener Mittel. Bei den Fleiſchfreſſern ſind die Nah— rungsmengen verhältnismäßig gering, daher iſt der Magen klein, der Darm kurz, die Blinddärme ſind meiſt klein oder fehlen ganz, die Verarbeitung iſt vorwiegend chemiſch. Bei den Pflanzenfreſſern dagegen iſt im allgemeinen der Magen groß, der Darm lang, die Blinddärme oft von bedeutender Entwicklung, die Verarbeitung der Nahrung wird durch nachdrückliche mechaniſche Zerkleinerung dieſer oder jener Art unterſtützt. Die An— paſſung an die gegebenen Ernährungsverhältniſſe iſt im allgemeinen ſo vollſtändig, daß man geradezu die Er— nährungsweiſe eines Tieres aus dem Bau des Verdauungsappa— rates ableſen kann. Kiefer fehlen dem ſtrudelnden Amphi— oxus und den ſchma— rotzend ſaugenden Rundmäulern, z. B. I E dem Neunauge; aber T I ur 7 m III auch bei den Larven Abb. 194. Schädel und Visceralſtelett eines Haifiſches, 5 a in den Umriß gezeichnet. der letzteren, die ihre 1 naſaler, 2 orbitaler, 3 auditiver Abſchnitt des Schädels, 2 Wirbelſäule. — VII erite bis Beute wie lebende ſiebente Visceralſpange. 7 Kieferſpange (7 Palatoquadratum, mit aufliegenden Lippenknorpeln, 10 & J“ Mandibulare), // Zungenbeinſpange, ZII—VII 1.—5. Kiemenſpange; zwiſchen dieſen find Würmer, Inſekten⸗ die Kiemenſpalten angedeutet. larven u. dgl. mit den 8 Lippen packen, ſind keine Kieferbildungen vorhanden. Alle übrigen Wirbeltiere, im Gegen— ſatz zu jenen als Gnathoſtomen, „Kiefermäuler“, bezeichnet, beſitzen ſolche. Der Kiefer— apparat muß daher als eine Erwerbung angeſehen werden, die erſt innerhalb der Reihe der Wirbeltiere gemacht wurde. Die Kiefer, die die Mundöffnung umſchließen, ſind in ſich ſymmetriſch, und der bewegliche Unterkiefer wirkt von hinten nach vorn, bzw. von unten nach oben gegen den meiſt unbeweglichen Oberkiefer. Bei den Selachiern mit ihrem bauchſtändigen Maule ſpringt die Ahnlichkeit des Kieferſkelettes (I) mit der unmittelbar dahinterſtehenden Reihe von Skelettſtücken, den knorpeligen Visceralſpangen (II- VII), ohne weiteres in die Augen (Abb. 194); die Kieferſpange bildet ſelbſt das Anfangsglied dieſer Reihe und ver— dankt ihre etwas abweichende Geſtalt nur der Anpaſſung an ſeine beſonderen Leiſtungen. Die Visceralbögen enthalten hier knorpelige Spangen, jederſeits aus mehreren Stücken ge— bildet, die in der Schlundwand liegen und die Kiemenſpalten nach vorn und hinten be— grenzen. Auf der Bauchſeite des Schlundes ſtoßen der rechte und linke Seitenteil einer Spange zuſammen, und zwiſchen ſie und ihren vorderen und hinteren Nachbar ſchalten ſich Verbindungsknorpel, ſogenannte Copulae, ein; jede Copula grenzt daher an vier Spangen— hälften, zwei vordere und zwei hintere. Die erſte Visceralſpange, die Kieferſpange, be— grenzt vorn die erſte Kiemenſpalte, das ſogenannte Spritzloch (zwiſchen I’ u. 3), und trägt 20 308 Umbildungen des Kieferapparates. auch eine Kiemenbildung, die Spritzlochkieme; ſie beſteht jederſeits aus zwei Knorpelſtücken, die gelenkig miteinander verbunden ſind, dem der Schädelkapſel benachbarten Palato— quadratum (J) und dem ventralen Mandibulare (J“); die beiden Palatoquadrata ſtellen zuſammen das Oberkieferſkelett, die beiden Mandibularknorpel das Unterkieferſkelett dar. Beiden liegen noch einige Knorpelſtücke, die ſogenannten Lippenknorpel, auf, die wegen der Umbildung, die ſie bei höheren Fiſchen erfahren, bemerkenswert ſind. Die Befeſtigung des Kieferapparates an der Schädelkapſel iſt im einfachſten Falle eine ganz lockere und wird nicht durch Skelettſtücke bewirkt. Bei manchen Haififchen aber vermittelt der obere Abſchnitt des zweiten Visceralbogens oder Zungenbeinbogens einen feſteren Zuſammenhang des Kieferapparates mit der Schädelkapſel, indem er ſich als Kieferſtiel (Hyomandibulare) einerſeits mit dem Schädel, andererſeits mit dem Palatoquadratum verbindet; der Reſt des Zungenbeinbogens, das Hyoid, bleibt frei N — bei den höheren Tieren geht daraus der größte Teil des Zungenſkeletts hervor. Bei der Seekatze (Chimaera) bekommt der ſtarkbezahnte Kieferapparat, der Schnecken— ſchalen knacken kann, ſeine Stärke durch völliges Verſchmelzen des Palatoquadra— tums mit der Knorpelkapſel des Schädels. Die Teile, die bei den Selachiern das „ Bann 5 WIN Mühe Kieferſkelett aufbauen, erfahren nun in der Reihe der übrigen Wirbeltiere höchſt inter— eſſante Umbildungen. Der Manpibular- knorpel bleibt durchweg die Grundlage des Unterkiefers, indem ſich die Beſtandteile des knöchernen Unterkiefers als Belegknochen auf ihm bilden. Die obere Begrenzung des Mundes aber entſpricht bei den höheren Formen nicht mehr dem Palatoquadratum. Schon von den höheren Fiſchen an, die ein Knochenſkelett beſitzen, ſcheinen ſeine Teile, die beiden Zwiſchenkieferknochen (Intermaxillare) und die eigentlichen Oberkieferknochen (Maxillare) ſich als Beleg— knochen auf jenen Lippenknorpeln anzulegen, die dem Oberkiefer der Haifiſche auf— liegen. Sie verbinden ſich feſt mit den Knochen, die die knorpelige Schädelkapſel um— ſcheiden und fortan den Knochenſchädel bilden. Von dem Palatoquadratum aber leitet ſich außer einigen Knochen der Schädelbaſis auch das Quadratum ab, der Knochen, mit dem bis hinauf zu den Vögeln der Unterkiefer gelenkt. Das Quadratum kann in ge— lenkiger Verbindung mit dem Schädel verharren; wo es mit ihm feſt verwächſt, wie bei den Froſchlurchen, vielen Reptilien und den Vögeln, wird die Befeſtigung des Unterkiefers kräftiger. Auch bei den Embryonen der Säuger (Abb. 195) iſt die knorpelige Anlage des Unterkiefers, der Meckelſche Knorpel (1), an dem Quadratum (4) eingelenkt; aber ihr endgültiger Unterkiefer (2) entſpricht nur einem Teile der Unterkieferknochen, die bei den übrigen Wirbeltieren vorhanden ſind; er trennt ſich von dem Gelenkende des Meckel— ſchen Knorpels ab und bekommt eine neue Einlenkung weiter vorn am Schädel, an der Abb. 195. Visceralſkelett, bei einem menſchlichen Embryo von 18 Wochen freigelegt. 1 Meckelſcher Knorpel, 2 knöcherner Unterkiefer, 3 Gelenk— ende des Meckelſchen Knorpels, das zum Hammer wird, 4 Quadratum S Amboß, 5 Steigbügel, 6 Griffelfortſatz des Felſenbeins, durch ein Band (7) mit dem kleinen Horn des Zungenbeins (8) im Zuſammenhang; ſie bilden die beiden übrigbleibenden Teile des Zungenbeinbogens. 9 PBaufenring. Nach Kölliker. Kiefergelenk der Säuger. 309 Schläfenſchuppe (Squamosum). Das Gelenk aber zwiſchen dem Quadratum und dem inneren Ende des Meckelſchen Knorpels (zwiſchen + und 3), bzw. dem Belegknochen des— ſelben (dem Articulare), alſo das Kiefergelenk der übrigen Wirbeltiere, bleibt auch beim ausgewachſenen Säuger beſtehen. Dieſe Teile treten, vom Unterkiefer losgetrennt, als Gehörknöchelchen, Amboß (4) und Hammer (3), in den Dienſt des Gehörorganes; ſie verbinden ſich dabei mit dem oberſten Ende (5) des Zungenbeinbogens, das bei den Säugern zum „Steigbügel“ wird und auch bei anderen Wirbeltieren, von den Amphibien bis zu den Vögeln, als Kolumella ein Hilfsorgan des Hörapparates bildet. Den Übergang müſſen wir uns wohl ſo denken, daß ur— ſprünglich bei locker am Schädel eingelenktem Qua— dratum der Kiefer da— durch zu kräftigen Beißbe— wegungen geeignet wurde, daß er ſich mit einem Fortſatz gegen einen Wulſt des Squamoſum an— ſtemmte; dieſe Stelle wurde dann zum Hauptgelenk und erſt dann konnte das urſprüngliche Gelenkende losgetrennt werden und noch ſpäter ſeine Verbin— dung mit dem Hörapparate eingehen. Eine ſolche wurde begünſtigt durch die Lage jenes Gelenkes in der Wand der urſprünglichen erſten Kiemenſpalte, des 2 ze PER u Abb. 196. Bewegung des Oberſchnabels bei der Schnepfe Spritzloches, deren Anlage (Seolopax rusticola L.) O 5 t i e , 2 san = ae Me Wirbeltieren Zu einem Ab⸗ c Schematiſche Darſtellung des Mechanismus der Schnabelbewegung: wenn 3 durch ſchnitt des Gehörorganes Muskelzug nach 3“ bewegt e 1 1 2“ und der Punkt * nach „. geworden war, zum Mittel— ohr und ſeinem Verbindungskanal mit der Mundhöhle, der Euſtachiſchen Röhre. — Mit dem Schickſal, das die übrigen Visceralſpangen in der Reihe der Wirbeltiere haben, werden wir uns bei der Beſprechung der Zunge und des Atmungsapparates noch zu beſchäftigen haben. Während bei den meiſten Wirbeltieren der mit der Schädelkapſel feſt verbundene Oberkiefer unbeweglich iſt, können viele Vögel die Spitze ihres Oberſchnabels aufbiegen. So iſt es z. B. bei der Schnepfe; ſie bohrt, Nahrung ſuchend, den geſchloſſenen Schnabel in den lockeren Boden, und wenn ſie mit dem Taſtapparat an der Schnabelſpitze einen Wurm entdeckt, kann ſie, ohne den Unterkiefer zu ſenken, den vorderen Teil des Schnabels öffnen und die Beute ergreifen. „Der Schnepf hat in ſeinem oberen Schnabel ein Ge— werbe gleich einer Drahtzange“, ſagt ein alter Jagdſchriftſteller. Der Mechanismus iſt 310 Beweglichkeit des Oberſchnabels der Vögel. folgender (Abb. 196): die Quadratjochſpange (Quadrato-jugale) (3) bildet mit dem Joch⸗ bein (2) die gleichen Seiten eines gleichſchenkligen Dreiecks; wenn ſie durch einen Muskel gehoben wird (von 3 nach 3“ in C), ſo wird die Baſis des Dreiecks kürzer, die Höhe damit länger, und dadurch wird der Oberkiefer (1) nach vorn geſchoben, der Punkt x kommt nach y; dem ſo ausgeübten Druck weicht das Vorderende des Oberſchnabels aus, indem es ſich nach oben biegt. Dieſe Schnabelbewegung läßt ſich an jedem Schnepfen— ſchädel durch einen geeigneten Druck auf das Quadratojugale hervorbringen. Eine ähn— liche Einrichtung findet ſich unter anderen bei Enten, Papageien und Kolibris. Die Kiefer begrenzen das Maul. Bei den Knorpelfiſchen, den Haien, Rochen (Abb. 197) und Stören, liegt dieſes noch auf der Unterſeite des Kopfes, direkt vor dem Abb. 197. Katzenhai (Seyllium canicula Cuv.) oben und Sternrochen (Raja asterias Rond.) unten, der rechte ſchwimmend, von unten gejehen. Kiemenkorb, faſt wie durch Verſchmelzung eines vorderſten Paares von Kiemenſpalten entſtanden. Sonſt iſt es bei den Wirbeltieren an das Vorderende des Körpers gerückt und ändert ſeine Lage nur bei manchen Knochenfiſchen in Anpaſſung an die beſonderen Lebensverhältniſſe: auf der Unterſeite liegt es wieder bei vielen Fiſchen, die ihre Nah— rung vom Boden aufnehmen wie der Barbe (Barbus barbus L.), dem Brachſen (Abra- mis brama L., Abb. 200), dem Näsling (Chondrostoma nasus L., Abb. 198 B) u. a.; nach der Rückenſeite iſt es oft bei ſolchen gerichtet, denen die Nahrung von oben kommt, bei lauernden Grundfiſchen wie Petermännchen (Trachinus draco), Sterngucker (Ura- noscopus), Angler (Lophius piscatorius L., Abb. 199) und bei Oberflächenfiſchen wie der Ziege (Pelecus eultratus L., Abb. 198A) und der kleinen Maräne (Coregonus albula L.). Um eine Beute vom Boden aufzunehmen oder von feſten Gegenſtänden ab— zupflücken, beſitzt bei manchen Fiſchen das Maul vorſtreckbare Lippen, die es zu einem rüſſelartigen Greifſchlauch verlängern können: ſo beim Stör, ähnlich bei den Lippenfiſchen Maul der Fiſche. a (Labrus) und unter unſeren Süßwaſſerfiſchen beim Karpfen und vor allem beim Brachſen (Abb. 200); durch Führung der knorpeligen Stützen in beſtimmten Bahnen geſchieht dies Vorſtülpen automatiſch bei weiterem Offnen des Maules. Die Größe des Maules hängt mit der Art der Nahrung zuſammen; gerade unter den Fiſchen tritt das deutlich hervor: Abb. 198. A Kopf der Ziege (Pelecus cultratus L) und B des Näslings (Chondrostoma nasus L.). Raubfiſche wie Hecht, Zander, Angler und viele Tiefſeefiſche haben ein weitgeſchlitztes, mächtiges Maul; bei Friedfiſchen dagegen wie Karpfen und Weißfiſchen iſt die Mund— öffnung klein. Der Unterſchied zeigt ſich ſelbſt bei nahen Verwandten; unter den Sal— Abb. 199. Angler (Lophius piscatorius L.). moniden hat die räuberiſche Forelle ein weitgeſchlitztes Maul, während es bei den fried— lichen, planktonfreſſenden Felchen und Maränen eng iſt (Abb. 201). Unter den Reptilien zeichnen ſich die Schlangen durch die ungemeine Erweiterungs fähigkeit ihres Maules aus. Es kommt eine Anzahl von Einrichtungen zuſammen, um dieſes zu ermöglichen (Abb. 202): der Unterkiefer (7) iſt lang und reicht über die Grenze des Schädels nach hinten hinaus, ſo daß die Mundſpalte ſehr groß iſt; der Träger des * 312 Maul der Schlangen. Unterkiefers, das Quadratum (6), iſt ſehr frei beweglich und durch das vorſpringende Squamoſum (5), an dem es eingelenkt iſt, vom Schädel abgerückt; der Oberkieferknochen 1) und die ihn mit dem Quadratum verbindenden Knochenſpangen (4) ſind nach außen verſchiebbar; die beiden Hälften des Unterkiefers ſind vorn nur durch loſe Bandmaſſe miteinander verbunden und können weit auseinander weichen und ſich unabhängig von— einander bewegen. So kann die knöcherne Umgrenzung des Maules derart ausgedehnt 47 4% 777 Abb. 200. Brachſen (Abramis brama L.); der Fiſch links nimmt mit vorgeſtrecktem Maul eine Schnakenlarve vom Boden auf. werden, daß Fraßſtücke von größerem Umfang als die Schlange ſelbſt hindurchgehen können; eine Rieſenſchlange, Python reticulatus Gray, von etwa 8 m Länge, deren Kopf man beinahe mit einer Hand umſpannen kann, verſchlingt eine Beute von 1,4 bis 1,5 m Umfang. — Unter den Vögeln beſitzen hauptſächlich jene ein tief geſchlitztes Maul, die in eiligem Fluge Inſekten ſchnappen, wo alſo die Sicherheit im Ergreifen der Beute durch eine weit klaffende Mundſpalte vermehrt wird wie Schwalben, Segler (Cypselus) und Ziegenmelker (Caprimulgus). — Bei den Säugern iſt die Mundſpalte meiſt durch die Entwicklung muskulöſer Backen eingeſchränkt, und das Maul klafft bei weitem nicht bis zur Einlenkung der Kiefer; aber auch hier iſt es bei den Raubtieren weiter geſchlitzt Länge der Kiefer. 313 als bei den Pflanzenfreſſern. Abſolut und vielleicht auch relativ am weiteſten iſt es bei den Bartenwalen; dementſprechend iſt die Menge der Planktontiere, die bei einem Offnen des Maules hineingeraten, gewaltig groß. Große Ausdehnung der Kiefer iſt nicht förderlich für die Kraft der Kieferbewegung; das ergibt ſich aus der Betrachtung der Kiefermuskulatur. Für das Offnen des Maules, alſo das Herabziehen des Unterkiefers iſt nur ein ſchwacher Muskel nötig; denn der Unterkiefer wird ſchon durch ſeine eigene Schwere 4 B nach unten gezogen, ſo— bald die ſchließenden Muskeln erſchlaffen, und der Offnungsmuskel re— guliert nur Kraft und Schnelligkeit dieſer Be— wegung. Von der Stärke 5 : : 9 - 5 Abb. 201. Kopf 4 der Bachforelle (Salmo fario L.) und der Schließer aber hängt B des Blaufelchen (Coregonus wartmanni Bl.) in erſter Linie die Kraft des Kieferſchluſſes ab. Sie entſpringen vom Schädel, teils von deſſen Oberſeite (Schläfenbein, Jochbogen), teils von der Schädelbaſis (Keilbeinflügel) und ſetzen, die erſteren von außen, die letzteren von innen, an den Unterkiefer an. Ihr Anſatz iſt natur— gemäß verhältnismäßig nahe am Kiefergelenk, da ſie andernfalls die Mundöffnung ver— kleinern würden, und ihre Wirkung wird um ſo weniger kräftig, je länger der Hebelarm iſt, an dem der Widerſtand, d. h. das ergriffene Beuteſtück, angreift. Wenn alſo die Stärke der Muskeln und ihr Angriffspunkt gleich ſind, werden kurze Kiefer kräftiger zubeißen können als lange. Durch dieſe Überlegung wird uns eine Reihe von Erſcheinungen beſſer verſtändlich. Kurze Kiefer ſind dort vorhanden, Abb. 202. ER der Puffotter wo eine ſtarke Kraft⸗ (Bitis arietans Merr.), von der Seite (g) g 2 und von oben (5). wirkung erreicht werden 1 Oberkiefer, 2 Giftzahn, 3 Erſatzzahn des— 5 : ſelben, 4 Spange aus Flügel- und Gaumen— ſoll: ſo unter den Sela— bein (Pterygoid und Palatinum); ſenkrecht : 2 : 7 über 3 das Transverſum, das die Spange 4 chiern bei Chimaera, die mit dem Oberkiefer verbindet, 5 Schläfenbein mit den Kiefern Muſcheln (Squamoſum), 6 Quadratum, 7 Unterkiefer. aufknackt, bei den Haft- kiefern (Pleetognathi) mit ihren ſcharfen Zähnen (vgl. Abb. 123) und bei dem biſſigen Schleimfiſch Blennius, der Krebſen ihre Augen, Röhrenwürmern ihre Kiemen wegbeißt; ſo auch bei den Körnerfreſſern unter den Vögeln. Die zum Kauen verwendeten Kiefer der Säuger ſind meiſt weit kürzer als die Fangkiefer der übrigen Wirbeltiere, vor allem dank der Vorverſchiebung des Kiefergelenkes; eine Ausnahme aber machen jene Säuger, die keine Zähne haben oder doch dieſe nicht zum Kauen gebrauchen wie die meiſten Zahnarmen, Ameiſenbär (Abb. 203), Gürteltier, Erdferkel und die Wale (Abb. 204) mit ihren langgeſtreckten Kiefern. Bei den kauenden Säugern aber ſtehen die breitkronigen 314 Zähne. Mahlzähne der Kiefereinlenkung am nächſten, und wenn größerer Widerſtand zu über— winden iſt, kommt gerade dieſer Kieferabſchnitt zur Verwendung: die Hyäne zerbricht hier die Knochen, der Menſch knackt hier die Nüſſe, Huftiere und Nager zermalmen im Kieferwinkel ihr Futter, das des gründlichſten Aufſchluſſes bedarf. Die Zähne ſind in den meiſten Fällen nichts als Fangapparate, die zum Feſt— halten der Beute dienen. Sie ſind dazu ſpitz kegelförmig und meiſt etwas nach hinten gebogen, ſo daß eine widerſtrebende Beute ſie ſelbſt tiefer in ihren Leib preßt. Bei den Amphibien und Reptilien finden ſie faſt durchaus dieſe Verwendung; den jetzigen Vögeln , c — rr — 23533 —— = u Abb 203. Schädel des Ameiſenbären (Myrmecophaga jubata L.). fehlen ſie ganz, aber bei den Zahnvögeln der Kreidezeit waren ebenfalls nur Fangzähne vorhanden. Auch von ſehr vielen Fiſchen gilt das gleiche; bei anderen ſind die Zähne breit und pflaſterförmig und werden zum Zerquetſchen der Nahrung verwendet. Unter den Säugern haben die Zahnwale ebenfalls Fangzähne (Abb. 204); bei den meiſten Säugern aber iſt dieſe urſprüngliche Funktion nur einigen Zähnen des Gebiſſes ver— blieben; die größere Zahl iſt faſt ſtets zum mahlenden Zerkleinern der Nahrung ein— gerichtet. Es ſei hier gleich auf den großen Unterſchied in der Wirkung des Gebiſſes bei den meiſten Säugern gegenüber dem der übrigen Wirbeltiere hingewieſen: bei allen anderen Wirbeltieren iſt das Kiefergelenk ein Scharnier— gelenk und nur zu der einen ſtets gleichen Bewegung des Auf⸗ und Zuklappens geeignet. So iſt es unter den en Säugern auch bei den Raubtieren, Walen und 2 Abb. 204. Schädel des Delphins (Delphinus delphis L.). Zahnarmen; meiſt aber iſt bei ihnen das Kiefergelenk freier beweglich und vermag ſich auch nach vorn oder nach der Seite zu verſchieben. Dadurch können die breit— kronigen Backenzähne nach Art von Mühlſteinen zum Zerreiben der Nahrung benutzt werden, während bei den übrigen Wirbeltieren auch die breiten, flachen Zähne nur gegeneinander drückend wirken, wie die Backen eines Nußknackers. So vermögen die Chimären, die Lippfiſche (Labrus) und die Geißbraſſen (Sargus) des Meeres mit ihren pflaſterzähnigen Kiefern hartſchalige Muſcheln und Schnecken aufzuknacken — bei den Knochenfiſchen treten dabei auch die Schlundknochen helfend ein. Eine große Echſe der afrikaniſchen Tropen, Varanus niloticus L., nährt ſich von Gehäuſeſchnecken, be— ſonders Achatinellen, und im Zuſammenhang damit ſind die bei ihren Verwandten Kauhöhle der Weißfiſche. 315 ſpitzigen Zähne abgeſtumpft. Ein wahres Kauen mit den bezahnten Kiefern iſt außer bei den Säugern nirgends beobachtet. Wohl aber kann bei manchen Knochenfiſchen durch Reibetätigkeit der Schlundknochen, d. h. gewiſſer Beſtandteile des Kiemenſkeletts, ein Zerreiben der Nahrung ſtattfinden. Bei den Weißfiſchen (Cyprinoiden) beſteht am Hinterende des Kiemenkorbes eine beſon— dere Kauhöhle (Abb. 205), die durch Ringmuskeln nach vorn gegen den Kiemendarm und nach hinten gegen den Schlund abgeſchloſſen werden kann. Die dorſale Wand der Kau— höhle trägt eine hornige Kauplatte, die der Schädelbaſis von unten her aufliegt; in der ventralen Wand liegt zu beiden Seiten ein bezahnter ſogenannter Schlundknochen, d. h. eine Umwandlung der hinterſten Kiemenſpange. Die Kauhöhle iſt von einem Ringmuskel umgeben, und die Schlundknochen werden durch 5 Paar Muskeln gegen die Kauplatte bewegt. Hier wird die Nahrung unter komplizierten Kaubewegungen für die weitere Bearbeitung im Darm vorbereitet; zugleich werden die unverdaulichen Beſtandteile von den verdaulichen geſondert und wieder ausgeſpien. Bei vorwiegend pflan— zenfreſſenden Weiß— fiſchen wie dem Karpfen ſind die Schlundzähne breitundtragen Schmelz- falten, ſind alſo zum Zerreiben der Nahrung beſonders geeignet, während ſie bei den mehrräuberiſch lebenden Leuciscus-Arten mehr hakige Form beſitzen. Abb. 205. Auch bei den pflanzen⸗ Halbſchematiſcher Querſchnitt durch die Kauhöhle eines Weißfiſches. 5 1 Knochen der Schädelbaſis, 2 Schlundepithel. 3 Kauplatte (ſogenannter Karpfenſtein), freſſenden Skariden, von 4 Schlundknochen mit Zähnen 5 und Erſatzzähnen 6, 7 Ringmuskeln, 5 Muskeln der denen die Alten be⸗ Schlundknochen. Nach Heincke. richten, daß ſie wiederkäuen, werden in der Tat die abgebiſſenen Ledertange in fein zerkleinertem Zuſtande im Magen gefunden; die Schlundknochen find bei Scarus mit pflaſterartig angeordnetem Zähnen beſetzt. Die Herkunft der Kieferzähne können wir bei den Selachiern mit Sicherheit nach— weiſen. Die ganze Haut iſt, wie bei den Knochenfiſchen mit Schuppen, ſo hier über und über mit feineren und gröberen ſpitzen Zähnen beſetzt (Abb. 206), die nichts andres ſind als Schutzorgane. An jüngeren Embryonen kann man die Hautzähne ununter— brochen in diejenigen der Kiefer übergehen ſehen (Abb. 207). Beide Arten von Zähnen haben auch vollkommen den gleichen Bau: der ſpitze, hakenförmig gebogene Zahn beſteht ſeiner Hauptmaſſe nach aus Zahnbein oder Dentin, das außen mit einer Schicht von Schmelz überzogen iſt; im Innern enthält der Zahn einen Hohlraum, den ein blutgefäß— reiches Bindegewebe, die Papille, erfüllt; das ſo gebaute Gebilde ſitzt auf einer Baſal— platte von Knochenſubſtanz oder Zement, die unter der Papille durchbrochen iſt. Auch die Entſtehung der Kieferzähne gleicht derjenigen der Hautzähne vollkommen darin, daß ſich Oberhaut und Lederhaut an ihrem Aufbau beteiligen; von der Oberhaut ſtammt der Schmelz; Zellen der Lederhaut, die Odontoplaſten, ſondern das Zahnbein ab, und andere 316 Abſtammung der Zähne von Hautzähnen. Kutiszellen bilden den knöchernen Zement. Nur entſtehen die Kieferzähne nicht an der Oberfläche, ſondern an einer eingeſtülpten Epidermisleiſte, die an der Innenſeite des Kieferknorpels dieſem parallel läuft. Dort bilden ſich die Zähne in einer Anzahl von Reihen, deren oberſte auf dem Kieferrand ſteht und ſich im Gebrauch befindet, bis ſie abgenutzt iſt und durch die nachrückenden Zähne der tieferen Reihe erſetzt wird, während an der tiefſten Kante der Eptthelleiſte die Neubildung ununterbrochen weiter geht. So löſen zahlreiche Zahngenerationen einander ab: die Selachier ſind polyphyodont, ſie haben das ganze Leben hindurch ſtändigen Zahnwechſel. Wo die Zähne flach ſind, wie bei manchen Rochen und bei Chimaera, wird die Abnutzung der Oberfläche durch beſtän— diges Wachstum an der Baſis ausgeglichen. | Während bei den übrigen Wirbeltieren die Hautzähne verloren gegangen ſind, haben Eh 206. 4 Haut eines Haifiſches ſich die Zähne in der Mundhöhle in der— Itmopterus princeps Collett). 2 7 n : — 2 , e Gollert ſelben Weiſe wie bei den Selachiern erhalten, * und ( ſogenannte Plakoidſchuppe eines Rochen ja ſogar noch weiter ausgedehnt, denn bei (Raja clavata L.) von der Seite und im Längsſchnitt. . 2 i Br 5 . 85 1 Zahn, 2 Baſalplatte, 3 Pulpahöhle des Zahns. dieſen tragen nur die beiden Kieferknorpel Zähne, bei den höheren Fiſchen und den Amphibien aber können außer den Kiefern faſt alle Knochen in der Umgebung der Mundhöhle, die des Kiemenapparates eingeſchloſſen (Abb. 202), mit Zähnen beſetzt ſein. Bei den Knochenfiſchen ſind die Zähne mit der knöchernen Unterlage, auf der ſie ſtehen, meiſt feſt verwachſen. Häufig können die großen Raubzähne durch den Druck 3 beim Schluß der Kiefer einwärts umgelegt 5 „ werden und richten ſich beim Offnen des Mauls durch die Elaſtizität des befeſtigenden Gewebes von ſelbſt auf. Ihre Größe und Sl er Geſtalt wechjelt in weiten Grenzen: teils ,, ſind ſie fein ſpitzig, faſt wie Borſten, und VVV = ſtehen dann dicht beieinander (Hechel- an — — ee zähne), teils größer, kegelförmig bei den Raubfiſchen, und ſind dann für die Beute PFE TamerneT gefährliche Waffen und geeignet, wider— 4 2 3 4 ſtrebende Opfer feſtzuhalten, aber auch Abb. 207. Längsſchnitt durch den Untertiefer eines ſtumpfe plattenförmige Zähne, zum Zer— jungen Katzenhaies (Seyllium). ti N Nahr eignet, k 1 Unterkieferknorpel, 2 Oberhaut, 3 Lederhaut, 4 Hautzähne, que ſchen der kahrung geeignet, nen 5 Kieferzähne, 6 Zahnpapillen für die Erſatzzähne der Kiefer- vor ſo bei den Skariden, den Labriden zähne, 7 Vorderrand des Unterkiefers. Nach Gegenbaur. { 2 a 3 re und Sargiden Fund dem Lungenfiſch Cera- todus, oder es entſtehen durch das Zuſammenwachſen zahlreicher Einzelzähne ſcharf— kantige breite Schneiden an den Kiefern von ſchnabelartigem Ausſehen, wie bei den Haftkiefern (Plektognathen). Auch bei den Knochenfiſchen dauert der Zahnerſatz das ganze Leben hindurch; neben den funktionierenden Zähnen ſind die Erſatzzähne ſchon vorhanden (Abb. 205). Zähne der Amphibien und Reptilien. Sl Die Zähne der jetzt lebenden Amphibien und Reptilien dienen ebenfalls fait aus ſchließlich zum Feſthalten der Beute und ſind gewöhnlich kegelförmig, bei Reptilien öfters hakenartig gekrümmt und bei manchen Echſen zweiſpitzig (Eidechſe) oder dreiſpitzig (manche Agamen). Manchen Froſchlurchen, z. B. der Wabenkröte (Pipa), fehlen die Zähne ganz. Ihre Anordnung auf den Kiefern zeigt mehr Regelmäßigkeit als bei den Fiſchen: fie ſtehen, außer bei den Schleichenlurchen (Gymnophionen), in einer Reihe, nicht zu mehreren nebeneinander. Daneben finden ſie ſich zuweilen auch auf anderen Knochen der Mundhöhle, beſonders bei den Amphibien auf dem Pflugſcharbein, oft auch bei Reptilien. Die Zähne ſind meiſt mit ihrer Grundlage durch verknöchertes Gewebe feſt verbunden. Bei manchen Reptilien (Abb. 208) ſtehen die Kieferzähne auf der Kante der Kiefer und ſind nur mit ihrer kleinen Baſalfläche feſtgewachſen (akrodonter Typus); bei andern dagegen ſind ſie der inneren Fläche der Kiefer mit einer Seitenfläche angewachſen, ſo daß die Verbindung ne von größerer Ausdehnung und ſomit feſter iſt (pleurodonter 1 ee Typus). Nur bei den Krokodilen ſind die Zähne nicht mit dem Kiefer verwachſen, ſondern ſtecken in entſprechenden Löchern, den Alveolen, in denen ſie durch Bindegewebe befeſtigt ſind (thekodonter Typus). Dieſe Befeſtigungsart iſt bei den Säugern allgemein verbreitet; ſie bietet gegenüber der ſpröden Anheftung durch verknöchertes Gewebe den Vorteil, daß der Zahn allſeitig geſtützt iſt und von einer etwas nachgiebigen, gleichſam federnden Maſſe umgeben, durch kräftige Stöße nicht aus ſeiner Verbindung losgebrochen werden kann; ſelbſt wenn er gelockert wird, kann das lebendige Gewebe, das ihn zunächſt umhüllt und hält, durch Wachstumsvorgänge ihn wieder feſtigen. Bei thekodonter Befeſtigung der Zähne ent— ſtehen die Erſatzzähne unter dem N F { funftionierenden Zahn in der Alveole und drängen ihn, wenn er abgenutzt iſt, heraus, nachdem durch den Druck, den ſie auf ſein Gewebe ausüben, der innere Abſchnitt desſelben zugrunde ge— gangen und reſorbiert iſt (Abb. 209). j - Re * Abb. 209. Längsſchnitt durch den Unterkiefer eines Auch die Amphibien und Reptilien Krokodils, den Zahnerſatz zeigend. haben wie die Fiſche einen Zahnerſatz In den Alveolen ſitzen verſchieden große Erſatzzähne unter den 7 7 U I funktionierenden Zähnen der das ganze Leben hindurch fort— dauert. Aber je ſtärker die Einzelzähne ausgebildet ſind, um ſo größer iſt ihre Halt— barkeit, um ſo geringer die Zahl der aufeinander folgenden Zahngenerationen. Man kann geradezu ſagen: die Stoffmenge, die dem Tier während ſeines Lebens für die Zahnbildung zur Verfügung ſteht, kann entweder zu zahlreichen Generationen kleiner oder zu weniger zahlreichen Generationen großer Zähne verbraucht werden. Das Verſchlingen der oft rieſigen Beutetiere bei den Schlangen wird, außer durch den beſonderen Bau ihres Kieferapparates (vgl. oben S. 311), weſentlich durch die Rich tung ihrer Fangzähne ſchräg nach hinten ermöglicht. Bei Fluchtbewegungen der Beute bohren ſich die Zähne immer tiefer ein; dagegen laſſen ſie ſich leicht herausziehen, wenn der Kiefer nach vorn geſchoben wird. So greifen denn die überaus beweglichen Kiefer abſchnitte abwechſelnd vor, um ſich wieder mit ihren Zähnen zu verankern; die Schlange 318 Giftzähne der Schlangen. ſchiebt ſich gleichſam ſchrittweiſe immer weiter über ihr Fraßtier herüber, eine recht mühevolle Arbeit, bis der ganze Biſſen hereinbefördert iſt, und die Schlundmuskulatur mit kräftiger Unterſtützung der Körpermuskeln das Weitere beſorgt. Bei einer Rieſen— ſchlange (Python reticulatus Gray) nahm das Verſchlingen einer Steinziege 2½ Stunden in Anſpruch. Durch die Gewohnheit vieler Schlangen, die Beute mit engen Spiral— windungen ihres Körpers zu umſchlingen, wird dieſe allerdings in die Länge geſtreckt und dabei auch in der Weiſe für den Schlingakt vorbereitet, als die Gelenke der Rippen und Gliedmaßen ausgerenkt werden. Trotzdem iſt die Stelle, wo ſolch große Beute im Magen der Schlange ruht, dick aufgetrieben (Abb. 210). Eine beſondere Betrachtung verdienen noch die Giftzähne der giftigen Schlangen und die Mechanik ihres Biſſes (Abb. 211). Die Oberkiefer der Giftſchlangen ſind kurze, am Schädel beweglich angebrachte Knochen, und jeder trägt einen fertigen Giftzahn, hinter dem, in zwei Reihen angeordnet, eine Anzahl von verſchieden weit entwickelten Erſatzzähnen ſteht (A). Der leicht gebogene Gift— zahn hat an ſeiner Vor— derfläche entweder eine tiefe Rinne (bei den „pro= teroglyphen“ Schlangen, z. B. der Brillenſchlange, Naja; C und D) oder einen Kanal, der ſowohl nahe der Wurzel wie vor der Spitze des Zahnes eine Offnung beſitzt (bei den r > „ſolenoglyphen“ Schlan— „5 — — gen, z. B. Kreuzotter, Abb. 210. Rieſenſchlange (Python reticulatus Gray), Viper; A, B). Die Gift⸗ die ein Wildſchwein verſchluckt hat. zähne find bei den Solen⸗ oglyphen die einzigen Zähne in dem kleinen Oberkiefer. Sie übertreffen die übrigen Zähne bedeutend an Länge und würden, in aufgerichteter Stellung, das Schließen des Maules ver— hindern, wenn ſie dabei nicht durch eine Drehung des Oberkiefers mit dieſem umgelegt würden. Der Oberkiefer kann nämlich aufgerichtet und zurückgelegt werden durch die Bewegung der Knochenſpange, die ihn mit dem Quadratum verbindet und aus zwei feſt vereinigten Knochen (Pterygoid und Transverſum, Abb. 202) beſteht; dieſe Spange wird durch kräftige Muskeln vor- und rückwärts verſchoben und bietet dieſen günſtigere Anſatzbedingungen als der Oberkiefer ſelbſt, ſo daß unter Aufwendung von weniger Kraft die Bewegung ſtärker ausgeführt und der Oberkiefer gegenüber den Abwehrbewegungen der widerſtrebenden Beute ſicherer feſtgeſtellt werden kann. Von einem Biß wie etwa bei einem Hund, wo die Ober— und Unterkiefer wie die Backen einer Zange zuſammengepreßt werden, kann bei einer Gift— ſchlange nicht die Rede ſein, da der nachgiebige Unterkiefer kein entſprechend ſtarkes Widerlager bietet und die glasartig ſpröden Giftzähne bei ſolchem Druck in Gefahr kämen. Viel— mehr iſt der Schlangenbiß eher als ein Zuhauen mit dem Oberkiefer zu bezeichnen und es wird dabei der Zahn im Moment des Einſchlagens etwas zurückgelegt und durch das Zurückziehen des ganzen Kopfes der Schlange ſowie durch die zerrenden Flucht— bewegungen der Beute tief in deren Körper hineingetrieben. Durch die Zerrung entſteht Zähne der Säuger. 319 eine Gewebelücke, in die reichlich Gift einfließen kann. Der Ausfluß des Giftes ge— ſchieht in folgender Weiſe: die Giftdrüſe, der eigene Muskeln fehlen, iſt allſeitig von der Verbreiterung eines bindegewebigen Bandes, des Jochbandes, umſchloſſen, das, nach außen von den Kaumuskeln oder beſſer Unterkieferhebern, zwiſchen dem Unterkiefergelenk und dem Oberkiefer ausgeſpannt iſt. Wenn die Unterkieferheber ſich zuſammenziehen, werden ſie dicker und üben ſo von innen her auf dies Band einen Druck aus; zugleich wird beim Umlegen des Oberkiefers und dem damit verbundenen Zurückſtoßen des Unterkiefergelenkes das Band angeſpannt; beides wirkt zuſammen und veranlaßt einen Druck auf die Giftdrüſe, der zum Ausfließen des Sekretes führt. | Das Gift wird aljo beim Schließen des Mauls aus der Drüſe heraus— gepreßt. Der Giftzahn iſt vorn und ſeitlich von einer Schleimhaut— falte umgeben (Abb. 212, 1), in deren Grund die Giftdrüſe frei, ohne direkte Verbindung mit dem Zahnkanal, mündet; durch die dem Zahn aufliegende Schleimhaut wird das beim Biß ausfließende Sekret wie durch einen Trichter in den Zahnkanal geleitet und fließt durch dieſen in die Bißwunde. Bei der Kreuzotter wechſeln die Giftzähne im Sommer etwa alle ſechs Wochen, und der Erſatzzahn ſteht nicht genau an der Stelle ſeines Vorgängers, ſondern nehen dieſem; . ale Abb. 211. 4 Oberkiefer der Lanzettſchlange ſprochene Schleimhautfalte wird (Lachesis lanceolata Lacey) 7ͥͤ mündung mit dem jeweiligen Gift- Giftzahn einer Brillenſchlange (Naja) ganz und im Querſchnitt, 15 0 3 Einfluß und Ausflußöffnung für das Giſt, 5 Giftfanal, 6 Pulpahöhle zahn gewährleiſtet. des Zahns. 4 nach Kathariner, ZB nach Leydig, 0 und Y nach Boas. Bei den Säugern ſind die Kiefer mehr oder weniger verkürzt, und das hat zur Folge, daß nur eine geringere Zahl von Zähnen in ihnen Platz findet; dieſe wird noch dadurch beſchränkt, daß große Kiefer— abſchnitte keine Zähne tragen und ſomit eine weite Zahnlücke, das Diaſtema, vorhanden iſt wie bei Nagern und Wiederkäuern. Auch die Zahl der aufeinander folgenden Zahn— generationen iſt eine beſchränkte: es ſind im allgemeinen nur zwei, die Milchzähne und die bleibenden Zähne; die Säuger ſind diphyodont. Das geſamte für die Zahnbildung verfügbare Material iſt auf zwei Folgen von wenig zahlreichen Zähnen konzentriert. Dieſer beſchränkte Zahnwechſel hat ſich offenbar aus einem unbeſchränkten bei den Vorfahren entwickelt; denn die genauere Unterſuchung lehrt uns Reſte von weiteren Zahngenerationen bei den Säugern kennen, die aber nicht mehr zur vollen Ausbildung und zur Verwendung kommen. Der Milchbezahnung geht eine ſogenannte prälakteale Generation von Zahnanlagen voran, die bei den Beuteltieren ſogar verkalken, dann aber zurückgebildet werden, und nachdem die bleibenden Zähne ſich von ihrem Mutterboden, 320 Zähne der Säuger. der epithelialen Zahnleiſte abgetrennt haben, entwickeln ſich an dieſer zuweilen die An— lagen einer vierten Generation, die aber nie über die erſten Andeutungen hinauskommen. Bei den Zahnwalen iſt die Reduktion ſo weit gegangen, daß überhaupt nur eine Gene— ration funktionierender Zähne auftritt. Dies konnte bei einem Gebiß von Fangzähnen eintreten, wo ein Zuſammenſchluß der Zähne unnötig, ja ſogar unzweckmäßig iſt; bei dem differenzierten Gebiß der meiſten Säuger iſt jedoch der Zahnwechſel nötig, um beim Wachstum der Kiefer die Kette der Schneidezähne einerſeits, der Backenzähne andererſeits für die Beiß- und Kautätigkeit enggeſchloſſen zu halten. Daß die Zähne der Säuger ſich von denen der meiſten übrigen Wirbeltiere durch ihre Befeſtigungsart, nämlich die Ein— keilung in Alveolen der Kiefer, unterſcheiden, wurde ſchon erwähnt. Hand in Hand geht damit ein weiterer Unterſchied, nämlich N die Ausbildung einer beſonders geſtalteten Wurzel. Als S WMWurzel bezeichnet man nicht ſchlechthin den in der AI Alveole ſitzenden Teil des Zahnes. Es gibt bei manchen Säugern auch wurzelloſe Zähne, die ebenfalls ea in einer Alveole ſtecken. Bei diejen geht das Wachs— 2 1 e tum beſtändig weiter; die auf der Oberfläche der Zahn— 1 Schleimhautfalte über dem Giftzahn 2, papille ſtehenden Zellen, die Zahnbildner oder Odonto— ſchede, 5 Zunge. een plaſten, fahren in der Abſonderung von Zahnbein fort, e und auch die Schmelzbildung auf der Oberfläche dauert an. Der Zahn nimmt damit an Länge zu, und ſein freies Ende wird durch die nachwachſende Maſſe immer weiter aus der Alveole heraus— geſchoben; er kann entweder eine mächtige Größe erreichen wie die Stoßzähne von Elefant und Narwal und die Hauer des Ebers, Walroſſes und Moſchustieres, oder D E F mama. 44210 8 13 9 KH e 2 D , 1 GE GE N INN . , NH EN Abb. 213. Medianſchnitte durch verſchiedene Zähne von Säugern. 4—0 Entwicklung eines bewurzelten Schneidezahns. A jung, B fertig, C abgefaut. D Schneidezahn eines Nagers. E Backenzahn des Menſchen. F Schmelzfaltiger Backenzahn eines Rindes. Die Pulpa— höhle iſt ſchwarz, das Zahnbein enger, der Schmelz weiter geſtrichelt, der Zement punktiert. Nach Zittel. er wird durch ſtarken Gebrauch fortwährend abgenutzt, wie die Schneidezähne der Nager (Abb. 213 D) und die Backenzähne mancher Nager (Wühlmäuſe) und Huftiere (3. B. Pferde). Hier bewahrt alſo der in der Alveole ſteckende Teil am inneren Ende einen embryonalen Zuſtand; ſeine Pulpahöhle bleibt in der Tiefe der Alveole weit offen, wie es bei jungen, noch nicht ausgewachſenen Säugerzähnen (Abb. 213 A) allgemein Verſchiedenheit der Zähne im Säugergebiß. 321 der Fall iſt. Aber dieſer Abſchnitt iſt ſonſt von dem freien Ende nicht ſehr verſchieden; bei weiterem Wachstum kommt er ebenfalls aus der Alveole heraus. In den meiſten Fällen aber iſt das Wachstum der Säugerzähne ein beſchränktes: die Pulpahöhle des Zahnes wird gegen den Kiefer durch die Entwicklung einer oder mehrerer zapfenförmiger Wurzeln abgeſchloſſen, die in der Alveole verbleiben (Abb. 213 B, E, F); fie werden nie von Schmelz überzogen, ſondern ſind von einer knochenähnlichen Maſſe, dem Zement, bekleidet, und nur ein enger Kanal geſtattet Nerven und Blutgefäßen den Zutritt zu den Weichteilen in der Pulpahöhle. Weiter ſind die Zähne eines Säugergebiſſes nicht, wie zumeiſt bei Amphibien und Reptilien, alle untereinander gleich, ſondern je nach ihrer Stellung im Kiefer verſchieden: das Gebiß iſt nicht iſodont, ſondern heterodont; nur die Delphine (Abb. 204) und manche Edentaten wie die Gürteltiere mit ihren langen Kiefern machen davon eine Ausnahme. Sonſt unterſcheiden wir an einem vollſtändigen Säugergebiß drei Arten von Zähnen, Schneidezähne (Inciſiven), Eckzähne (Caninen) und Backenzähne, die in dieſer Reihenfolge vom Kieferende gegen das Kiefergelenk aufeinander folgen. Die vorderen Backenzähne werden ebenſo wie die Schneide- und Eckzähne beim Zahnwechſel erſetzt; ſie ſind oft etwas einfacher als die hinteren; man unterſcheidet ſie als Lücken— zähne (Prämolaren) von den eigentlichen Backenzähnen (Molaren). Die Schneidezähne ſind meiſt meißelförmig zugeſchärft und wirken dann wie die Blätter einer Schere ſchneidend gegeneinander; ſie ſtehen oben im Zwiſchenkiefer und ſind bis zu vier jederſeits vorhanden. Bei den Inſektenfreſſern haben ſie die urſprüngliche Kegelform des Fangzahns noch bewahrt. Hier und da, wo ſie eine andere Funktion übernommen haben, iſt auch ihre Form verändert; ſie haben dann keine Schneide, ſon— dern ſind kegelförmig mit rundem Querſchnitt, wie der Stoßzahn des männlichen Nar— wals oder die großen Zähne der Elefanten, die zu Angriffswaffen umgebildet ſind. Sehr merkwürdig iſt das eine Paar Schneidezähne im Unterkiefer des Känguruhs: ſie ragen ziemlich weit vor und ſind an ihrer Innenkante, wo ſie ſich berühren, zugeſchärft; die Känguruhs vermögen die beiden Hälften des Unterkiefers gegeneinander zu drehen, wie das unten von manchen Nagern beſchrieben wird, und benutzen ſo dieſe beiden Zähne wie eine Kneipzange zum Abſchneiden von Grashalmen u. dgl. N Die Eckzähne, ſtets nur einer jederſeits oben und unten, ſind kegelförmig, oft kräftig und viel größer als die Schneidezähne, ſo daß ſie dann nicht einander gegenüber Platz haben, ſondern der untere vor dem oberen ſteht und in eine Lücke eingreift, die zwiſchen dieſem und den Schneidezähnen klafft. Bei den Raubtieren dienen ſie ſtets als ſtarke Waffe zum Feſthalten der Beute; bei den Pflanzenfreſſern ſind ſie meiſt klein und oft ganz verloren gegangen, ſoweit ſie nicht ebenfalls als Waffe ausgebildet ſind wie im Unterkiefer beim Nilpferd, im Oberkiefer beim männlichen Moſchustier, und in beiden Kiefern beim Eber. Die Schneidezähne ſind ſtets, die Eckzähne allermeiſt einwurzelig. Die Backenzähne dagegen mit ihrer breiten Krone ſind mehrwurzelig (Abb. 213 E u. F). Vielleicht haben wir in dem Vorhandenſein mehrerer Wurzeln eine Andeutung dafür zu ſehen, daß ſie durch Verſchmelzung mehrerer einwurzeligen Zähne entſtanden ſind; dieſe Anſicht wird auch dadurch geſtützt, daß bei ihrer Entſtehung die Schmelzkappen ſich anfangs in getrennten Stücken anlegen, die aber bald verſchmelzen. Sie ſind die eigentlichen Kauzähne, und da ſie der Einlenkung des Kiefers und dem Angriffs— punkte der Kaumuskeln am nächſten ſtehen, ſind ſie der größten Kraftleiſtungen fähig. Gerade ſie zeigen in ihrem Bau am auffälligſten die Beziehungen zur Nahrung. Die Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 21 322 Formen der Backenzähne. urſprünglichſte Form, in der die Backenzähne auftreten, ſind Höckerzähne mit drei höckrigen Erhebungen auf der Kaufläche. Die Vergleichung der Reſte ausgeſtorbener Abb. 214. Entwicklung der Zahnformen in der Stammreihe des Pferdes: Obere und untere Backen— zähne von Eohippus (A), Mesohippus (B) und unſerem Pferd (0). Pır Pa, Pa 1, 2., . Lückenzahn (Praemolar). A und B nach Matthew. Säuger zeigt, daß ſich alle verſchiedenen Formen der Backenzähne von dieſem ſogenannten trituberkularen Typus ableiten laſſen. Die einfachſte Abänderung beſteht in einer Ver— mehrung der Höcker. Kompliziertere Formen ergeben ſich dadurch, daß die zwiſchen den Höckern gelegenen Furchen ſich vertiefen und mannigfach gewunden werden, während die Formen der Backenzähne. 323 Höcker ſelbſt ſtark in die Breite gezogen werden, bogenförmig geſchwungen oder unregel— mäßig gebuchtet ſind; die Furchen zwiſchen ihnen können mit Zement ausgefüllt werden. Wird ein ſolcher Zahn abgekaut, dann bildet auf der Kaufläche der Schmelzüberzug der Höcker wegen ſeiner größeren Härte erhabene Linien, und die von dieſen Schmelzfalten inſelförmig umgebenen Felder beſtehen aus Zahnbein, die Zwiſchenräume zwiſchen meh— reren Falten beſtehen aus Zement (Abb. 215). Die Entwicklungsreihe der Backenzähne in der Ahnenreihe des Pferdes, wovon auf Abb. 214 einige Stufen wiedergegeben ſind, zeigen dieſe allmähliche Umwandlung mit großer Deutlichkeit. Höckerzähne mit ſpitz kegelförmigen Höckern finden wir im Gebiß der Inſektenfreſſer und Fledermäuſe; ſolche mit ſtumpfen flacheren Höckern (bunodonter Typus) haben die Allesfreſſer (Schweine, Primaten) und primitive Pflanzenfreſſer wie der Tapir und die Vorfahren des Pfer— des (Abb. 214K). Im Raubtiergebiß ſind die Backenzähne in der Richtung der Kiefer langgezogen (Abb. 215A, B); die Höcker ſind ſpitz und ſcharfkantig und ſtehen in einer Reihe (ſekodonter Typus). Höcker von V-Ge— ſtalt, zwiſchen denen die Furchen, die mehr oder weniger quer ſtehen, mit Zement ausgefüllt ſind kennzeichnen Abb. 215. 4 und B Oberer Reißzahn der Hyaene, von der Seite und von der Be = Krone; C—E Abgefaute Backenzahnfläche mit Schmelzfalten von Nagern: O vom die Backenzähne von Haſen, D vom Biber, Evon einer Wühlmaus. F und 6 Backenzahn vom Rind, lophodontem Typus Der 891 1 en e ar (Abb. 215 0, D, E). Bei den ſelenodonten Backenzähnen ſind die Höcker halbmondförmige Joche, die mit ihrer Längsrichtung parallel der Achſe der Kiefer, zu zweit nebeneinander und hintereinander ſtehen (Abb. 215 F, G). Bei lophodonten und ſelenodonten Backenzähnen werden die Kronen ſchnell abgekaut, und die zwiſchen den Dentin- und Zementfeldern ſtehenbleibenden harten Schmelzleiſten machen die Kaufläche rauh und ſteigern die Reibwirkung beträchtlich (vgl. auch Abb. 213 F). Dieſe Backenzahnformen findet man dementſprechend bei ausgeſprochenen Pflanzenfreſſern: die lophodonten bei den Nagern, die ſelenodonten bei den Wiederkäuern. Man kann die Anordnung der Zähne im Gebiß ſchematiſch in einer Formel dar— ſtellen; wenn man die Schneidezähne mit i (Inciſiven), die Eckzähne mit e (Caninen), die Prämolaren mit p und die Molaren mit m bezeichnet, wäre die vollſtändige Formel für das menſchliche Gebiß 159 rare Daß die Zahl der Zähne derſelben Art im Ober- und Unterkiefer gleich iſt, wie beim Menſchen, iſt durchaus nicht die Regel; wohl aber iſt die rechte und linke Hälfte des Gebiſſes regelmäßig gleich, außer beim 21* 324 Anpaſſung des Gebiſſes. männlichen Narwal, wo meiſt der linke obere Schneidezahn zum Stoßzahn wird, während der rechte verkümmert. Es genügt daher, die Hälfte der Formel zu ſchreiben, und zwar wählt man die rechte Hälfte, wobei noch die Zahnbezeichnungen fortbleiben können: 2123. datürlich muß man bei ſolcher Abkürzung dann, wenn eine Zahnart nicht vertreten tft, eine 0 dafür einfügen; jo würde die Zahnformel für die Maus lauten: 1003, d. h. es ſtehen in Ober- und Unterkiefer jederſeits ein Schneidezahn und drei Molaren, Eckzahn und Lückenzähne fehlen. Ein Blick auf einige große Säugerordnungen ſoll uns zeigen, wie ſehr im einzelnen Fall die Geſtaltung des Gebiſſes und ſeine Verrichtung zuſammenſtimmen. Der urſprünglichen trituberku— laren Backenzahnform kommen die Höckerzähne der Allesfreſſer noch am nächſten. Die Ausnutzung dieſer Zähne zu mahlenden Bewegungen wird durch die ziemlich freie Beweg— lichkeit des Kiefergelenkes ermöglicht: dieſes geſtattet außer der Auf- und Abwärtsbewegung auch ſeitliche Ver— ſchiebungen und Vorwärtsbewe— gungen des Unterkiefers gegen den Oberkiefer. Beim Menſchen z. B. wird dieſe Mannigfaltigkeit der Be— wegungen dadurch möglich, daß ein verſchiebbarer Zwiſchenknorpel im Gelenk gleichſam eine transportable Pfanne für den Gelenkkopf des Unterkiefers darſtellt. Von ſolchem univerſell beweglichen Kiefergelenk leiten ſich dann die ſpezialiſierten Gelenkformen ab, die bei anderen Abb. 216. Zähne des linken Oberkiefers von 4 Hund, B Bär, Sz . f = 232 7 Shwermon FM Oyaene, a Söme. Säugern gefunden werden. Der Reißzahn (hinterſte Lückenzahn) iſt durch die verbindende Linie Die Raubtiere haben die Zahn⸗ gekennzeichnet. Nach Boas. = 31 3 5 75 8 formel 31 Die Schneidezähne im Zwiſchen- und Unterkiefer wirken ſenkrecht gegeneinander und ſind geeignet, Haut und Gefäße durchzubeißen und ſo das Beutetier tödlich zu verletzen. Die rieſig ausgebildeten Eckzähne dienen zum Feſthalten. Die Backenzähne ſind ſekodont; ihre Zahl und Größe iſt wechſelnd, beſonders die der Molaren. Regelmäßig ſind oben der letzte Lückenzahn und unten der erſte Mahlzahn, die ſogenannten Reißzähne, von hervorragender Größe. Sie werden zum Zerbeißen großer Stücke und zum Zerbrechen der Knochen verwendet; man kann an jedem freſſenden Raubtier ſehen, wie es unter ſchräger Haltung des Kopfes mit den Reißzähnen die Biſſen abſchneidet. Wie die Blätter einer Schere dicht aneinander vorbei— ſtreichen müſſen, damit ſie gut ſchneidet, ſo auch die Reißzähne. Dementſprechend ſind die Kiefergelenke der Raubtiere ſo geſtaltet, daß dem Unterkiefer jede Möglichkeit ſeitlichen Ausweichens genommen iſt. Der Gelenkkopf des Unterkiefers iſt ein quergeſtellter Zy— linder, der in eine rinnen- oder halbröhrenförmige Gelenkpfanne am Schädel genau ein— Gebiß der Raubtiere. 325 paßt, ja zuweilen von ihr ſo umfaßt wird, daß z. B. an einem Marderſchädel nach Ent— fernung aller Weichteile der Unterkiefer ohne beſondere Befeſtigung ſeine Verbindung mit dem Schädel bewahrt. Die Molaren ſind, mit Ausnahme des unteren Reißzahns, bei den reinen Fleiſchfreſſern ſehr reduziert; bei den Formen, die auch pflanzliche Koſt ge— nießen, wie Dachs und Bären, ſind ſie nach Zahl und Größe beſſer aus— gebildet (Abb. 216; vgl. A B D gegen die übrigen). Das Gebiß der Katzen iſt 3121, das des Dachſes 3142, wobei die Molaren ſehr lang und groß ſind, das des Waſchbären 3142, das des braunen Bären 3143. Entſprechend dieſer Bezahnung haben die Bären auch im Bau des Kiefergelenkes eine mehr urſprüngliche Form bewahrt und bilden gleichſam den Übergang zu den Allesfreſſern: die Gelenkpfanne ſtellt bei ihnen keine quere Rinne, ſondern eine nach vorn verlängerte Grube dar, die auch ſeitliche Mahl— bewegungen geſtattet. Das gewaltige Gebiß der Raubtiere wird von rieſigen Kaumuskeln bewegt, und dieſe haben auf die geſamte Geſtaltung des Schä— dels wiederum einen merklichen Ein— fluß (Abb. 217A). Die Urſprungs— ſtelle des Schläfenmuskels, der an den Kronenfortſatz des Unterkiefers anſetzt, wird durch eine ſtarke Knochen— leiſte in der Mittellinie des Schädels vergrößert, ähnlich wie bei den Hunds— fopf- und Menſchenaffen (Abb. 217 B) mit ihrem kräftigen Gebiß; die Joch— bogen, an denen ein andrer Kau— muskel, der Maſſeter, entſpringt, ſind ſtark, und da der Schläfenmuskel unter ihnen durchzieht, ſind ſie weit aus⸗ Abb. 217. Seitenanſicht des Schädels vom gebogen, um ihm den nötigen Spiel— Luchs (4), Makak (B) und Biber (0). raum zu gewähren. Mit der Kraft— leiſtung beim Beißen ſteht es offenbar auch im Zuſammenhang, daß bei den gewaltigſten Räubern, den katzenartigen, der Kieferteil des Schädels merklich kürzer iſt als bei Hunden, Hyänen und Bären. Die Nager ſind ausgezeichnet durch die Ausbildung der Schneidezähne als Nagezähne. Dieſe erlangen eine ſehr bedeutende Größe, womit es zuſammenhängen mag, daß oben und unten in jeder Kieferhälfte nur einer ſteht — nur bei den Haſenartigen iſt oben ein ſehr kleiner zweiter Schneidezahn vorhanden — und daß die Eck- und oft auch die 326 Gebiß der Nager. Lückenzähne fehlen (Eichhorn 1013, Maus 1603). Die Nagezähne haben keine geſchloſſene Wurzel, ſondern wachſen dauernd weiter, wobei ſie immerfort durch den Gebrauch abge— nutzt werden. Sie ſtecken außerordentlich tief im Kiefer (Abb. 2170 bis *) und haben die Form eines Kreisbogens; daher wird der ſtarke Druck, der beim Nagen auf ihre Schneiden wirkt, nicht unmittelbar auf ihr inneres Ende übertragen, wie das ja bei einem geraden Zahn ſein würde, ſondern verteilt ſich auf die ganze Wandung der Alveole und wird ſo von einem großen Teil des Kiefers getragen, während andererſeits das lebende Gewebe an der Wachs— tumsſtelle nicht dadurch beeinträchtigt wird. Da der Schmelzbelag nur auf der Vorderſeite ſtark, an den übrigen Seiten dagegen ſehr dünn iſt oder ganz fehlt und da das Zahnbein ſich ſchneller abnutzt als der Schmelz, ſo bleibt die Schneide infolge der beſtändigen Abnutzung ſehr ſcharf. Ein ſtetes Nagen iſt dieſen Tieren Bedürfnis, um dem fortwährenden Wachstum der Zähne die Wage zu halten, und bei ſolchen Nagern, die zeitweilig eine weichere Nahrung genießen, tritt dann die Notwendigkeit ein, auf andere Weiſe die Abnutzung zu beſchleunigen: ſo nagen Eichhörnchen allerhand harte Gegenſtände, wie Knochen und abgeworfene Geweihſtangen an, ohne daß ſie die abgenagten Stoffe zu ihrer Ernährung not— wendig hätten; ein afrikaniſches Eichhorn (Sciurus ebenivorus Duchaillu) benagt das Elfen— bein der Elefantenzähne; ja Mäuſe hat man beim Benagen von Schiefer beobachtet. Wenn aber ein ſolcher Zahn wegen Abb. 219. Verſchiedene Stellung der Nagezähne des Unterkiefers Verletzung ſeines Gegenüber 1 ee ee nicht mehr a Nagen benutzt Nach Krumbach. werden kann — wie etwa bei einem Haſen, dem ein Schuß die Nagezähne des einen Kiefers zerſchmettert hat — ſo wächſt er, mangels irgend— welcher Abnutzung, zu einem hauerartigen Gebilde heran (Abb. 218). Höchſt merkwürdig iſt es, daß bei manchen Nagern die Schneidezähne des Unter— kiefers durch Drehung der Kieferhälften gegeneinander ihre gegenſeitige Lage verändern können; dies iſt der Fall bei Eichhörnchen, Ratte und Murmeltier (Abb. 219). In der Ruhelage (A) ſtehen die Zähne einander parallel, wobei eine Lücke zwiſchen ihnen vor— handen iſt; durch die Zuſammenziehung eines Muskels (2), der die Unterkanten der locker Abb. 218. Schädel eines Feldhaſen (Lepus europaeus L.), bei dem infolge mangelnder Abnutzung die Schneidezähne hauerartig ausgewachſen ſind. 2: C. Gebiß der Nager und Huftiere. 327 verbundenen Kieferhälften einander nähert, werden die Zähne geſpreizt (), durch die entgegengeſetzte Wirkung eines Abſchnitts der Kaumuskeln werden ſie einander genähert (C). Dadurch wird ihre Verwendbarkeit erhöht. Geſpreizt wirken die Zähne wie Fang— zähne und mögen Eichhörnchen und Ratten bei Bewältigung lebender Beute gute Dienſte leiſten; zuſammengepreßt erlangen ſie größere Feſtigkeit zum Benagen härterer Stoffe. Die Beweglichkeit der unteren Nagezähne findet bei dem Eichhörnchen noch eine andere Verwendung: harte Pflanzenſamen, wie Haſel- und Zirbelnüſſe, werden von ihnen auf die Weiſe geöffnet, daß ſie nur ein kleines Loch nagen; dahinein ſtecken ſie die ge— ſchloſſenen Zähne, um durch kräftiges Auseinanderſpreizen derſelben die Schale zu ſprengen. Die Nagetätigkeit erfordert eine Verſchiebbarkeit der Kiefer von vorn nach hinten; denn bei dem ſcherenartigen Vorbeigleiten der unteren Zähne an der abgeſchrägten Hinterfläche der oberen werden jene und mit ihnen der Unterkiefer nach hinten gedrängt. In der gleichen Weiſe verſchieben denn auch die Nager ihre Kiefer beim Kauen; ihre Kaubewegungen ſind reine Schlittenbewegungen von vorn nach hinten, wobei der ſeitlich zuſammengedrückte Gelenkkopf in einer Rinne auf der Unterſeite der Schläfenſchuppe gleitet. Durch ſolche Bewegung kommen die quergerichteten Schmelzleiſten der lopho— donten Backenzähne zu ſehr kräftiger Wirkung, da ſie ſenkrecht zur Bewegungsrichtung ſtehen, wie die Leiſten einer Feile; dazu ſind bei vielen Formen, z. B. dem Biber und den Wühlmäuſen (Arvicoliden), die Backenzähne unten offen und wachſen beſtändig fort wie die Nagezähne. Die echten Mäuſe (Muriden) dagegen und die Eichhörnchen ſind weniger weit fortgeſchritten in der Anpaſſung ihrer Zähne; ihre Molaren ſind Höcker— zähne mit geſchloſſenen Wurzeln, und ihre Kaufähigkeit iſt daher geringer; das wird auch der Grund ſein, weshalb ſie ſich von gemiſchter Koſt nähren, gegenüber der ausſchließ— lichen Pflanzenkoſt jener anderen. Sie vermitteln damit den Anſchluß an die Allesfreſſer. In Anpaſſung an harte Pflanzenkoſt ſind auch bei einzelnen Arten aus anderen Klaſſen Nagegebiſſe zur Ausbildung gekommen, die denen der Nager ſehr ähnlich ſind, ſo unter den Beutlern beim Wombat (Phascolomys), unter den Halbaffen beim Finger— tier (Chiromys). In ganz andrer Weiſe als die Nager ſind die Huftiere an die Pflanzenkoſt angepaßt. Während dort die Schneidezähne an der Zerkleinerung der Nahrung bedeutenden Anteil haben, treten ſie hier durchaus zurück und ſind teilweiſe verſchwunden, und den Backen— zähnen, die ſtets in großer Zahl vorhanden ſind, kommt die Hauptrolle zu. Bei primi— tiven Pflanzenfreſſern wie dem Tapir, die ſich von ſaftreichen weichen Pflanzenteilen nähren, begegnen uns noch Höckerzähne, und ſolche kommen auch bei ausgeſtorbenen Rüſſeltieren vor, z. B. dem Mastodon; beim Elefanten aber erinnern die Backenzähne mit ihren quergeſtellten Schmelzfalten an die Nager, und dem entſpricht Vor- und Rück— wärtsbewegung der Kiefer beim Kauen. Meiſt aber werden bei den Huftieren die Kiefer ſeitlich verſchoben, und in Übereinſtimmung damit verlaufen auf den Kauflächen der Zähne die Schmelzleiſten vorwiegend in der Längsrichtung der Kiefer. Die Backenzähne der Pferde mit ihren breiten, faſt ebenen Kauflächen zerreiben die aufgenommene trockne Nah— rung aufs gründlichſte; da ſie ſehr lange Kronen und ganz kurze Wurzeln haben, halten ſie einer langdauernden Abnutzung ſtand. — Von beſonderem Intereſſe iſt Kieferbewaff— nung und Kauakt bei den Wiederkäuern. Schneidezähne finden wir hier meiſt nur im Unterkiefer, oben fehlen ſie in der Regel. Sie ſind daher nicht nach oben, ſondern nach vorn gerichtet und dienen mit ihren meſſerartigen, vorn verbreiterten Schneiden zum Ab— ſchneiden des mit der Zunge ergriffenen und in den Mund gezogenen Futterbündels; 328 Gebiß der Wiederkäuer und Beuteltiere. die Wirkung kommt alſo nicht wie bei der Schere durch Zuſammenarbeiten zweier Klingen zuſtande, ſondern wie beim Meſſer. Die Eckzähne ſind wenig ausgebildet und fehlen nicht ſelten. Die Backenzähne ſind nach ſelenodontem Typus gebaut. Ihre Kaufläche aber iſt nicht eben, ſondern oben nach der Zungenſeite, unten nach der Lippenſeite ſtufen— förmig abgeſetzt (Abb. 213 F); ſie wirken daher weniger zerreibend als zerquetſchend, und das iſt ganz angemeſſen bei Verarbeitung einer Nahrung, die ſchon mit Speichel durch— tränkt und durch Gärungsvorgänge in den Vormägen aufgeſchloſſen iſt. Beim Wieder— käuen wird der Unterkiefer von der Seite her mit ſchlagartiger Wucht gegen den Ober— kiefer geführt, und zwar arbeitet er in ſtreng dreizeitigem Takt; die beiden Vorbereitungs— bewegungen beſtehen in Offnen und Seitwärtsführen des Unterkiefers, die Hauptbewegung führt wieder zum Schluß des Maules. Dabei wechſelt entweder regelmäßig eine Be— wegung nach rechts mit einer nach links (Kamel, Lama), oder auf eine Reihe Rechts— bewegungen folgt eine ſolche nach der anderen Seite; oft wird ein Biſſen rechts, der nächſte links gekaut. Der großen Beweglichkeit der Kiefer entſpricht der Bau des Gelenks: der flache Gelenkkopf des Unterkiefers kann auf einer ziemlich großen Fläche frei gleiten, ohne durch vorſpringende Ränder einer engen Pfanne behindert zu werden. Wie labil das Gebiß in ſeinen Formen iſt, und wie leicht es Umbildungen erfährt, in Anpaſſung an die beſondere Art der Nahrung, das zeigt recht deutlich das Beiſpiel der Beuteltiere. Alle beſitzen in ihrem Gebiß wichtige gemeinſame Merkmale wie die große Zahl von Zähnen und die Beſchränkung des Zahnwechſels auf den letzten Prä— molaren, während im übrigen durchaus eine Generation von Zähnen ausdauert; über deren Deutung, ob ſie dem Milch- oder dem bleibenden Gebiß der Säuger entſpricht, gehen die Anſichten auseinander. Trotz augenſcheinlich gleicher Herkunft weichen aber die Gebißformen ſehr voneinander ab. Die inſektenfreſſenden Beutelmarder und Beutelratten haben ein zuſammenſchließendes Gebiß mit Höckerzähnen, und ihre Kieferbewegungen zeigen deutliche Rotationen. Der fleiſchfreſſende Beutelwolf (Thylacinus) zeigt in ſeinem Gebiß durch den ſekodonten Typus ſeiner Backenzähne und die mächtigen Eckzähne eine ungemeine Ahnlichkeit mit den Raubtieren, und ebenſo ſind ſeine Kieferbewegungen durch— aus ſchneidende Scherenbewegungen, ohne Exkurſionen des Unterkiefers nach vorn und nach der Seite. Die Zahnbewaffnung des Wombat (Phascolomys), der ſich von Wurzeln und Gras nährt, gleicht auffällig einem Nagergebiß: in jeder Kieferhälfte iſt nur ein großer Schneidezahn vorhanden und die Eckzähne fehlen, wodurch eine große Lücke vor den Backenzähnen entſteht; die Schneidezähne tragen nur vorn und ſeitlich Schmelz und wachſen ebenſo wie die Backenzähne beſtändig fort, ſo daß eine kräftige Abnutzung mög— lich wird. Beim Känguruh aber, einem echten Pflanzenfreſſer, finden wir in der Bildung der Zähne und dem Fehlen der Eckzähne Anklänge an das Gebiß der Wiederkäuer, und ſeine Kieferbewegungen erinnern an das Kauen des Lamas. So ſind alſo die Säuger durch ihr hochdifferenziertes Gebiß allen übrigen Wirbel— tieren in der vorbereitenden Verarbeitung der Nahrung überlegen. Ein Zerſchneiden und Zerreiben der Nahrung im Munde finden wir nur noch bei manchen Fiſchen, aber auch dort nicht in ſolcher Vollkommenheit. Meiſt wird die Beute ganz verſchlungen oder es werden größere Teile von ihr abgezupft und unzerkleinert geſchluckt. An eine genügende Ausnutzung der Nahrung iſt unter ſolchen Umſtänden nur bei Fleiſchkoſt zu denken. Daher gehören unter den niederen Wirbeltieren die Pflanzenfreſſer zu den großen Aus— nahmen: einige Fiſche ernähren ſich ſo, unter den Reptilien eine Anzahl Schildkröten und wenige Echſen, wie die Meerechſe Amblyrhynchus und die Landechſe Conolophus Rückbildung des Gebiſſes bei Säugern. 329 von den Galapagos-Inſeln; erſt unter den Vögeln nimmt eine größere Anzahl ihre Nahrung aus dem Pflanzenreiche, aber vorwiegend Samen und Früchte mit ihren reichen Eiweiß- und Stärkevorräten, weit ſeltner Blätter, wie die Gänſe und Trappen. Unter den Säugern dagegen iſt die Zahl der Pflanzenfreſſer ſo groß, daß man wohl ſagen kann, mehr als die Hälfte der Arten ernähren ſich auf dieſe Weiſe; von 3648 lebenden Säugerarten ſind etwa 229 Arten Allesfreſſer, 1488 ſind Fleiſchfreſſer, 1931 Pflanzen— freſſer; nach der Individuenzahl ſind die Pflanzenfreſſer noch weit zahlreicher. Die Aus— rüſtung mit kauenden Zähnen iſt es, die den Säugern dieſes Nahrungsgebiet in ſolcher Ausdehnung zugänglich gemacht hat. Im Zuſammenhang mit der Kautätigfeit ſtehen eine Anzahl von Bildungen bei den Säugern, durch die ſie ſich ebenfalls von anderen Wirbeltieren unterſcheiden. Damit die Nahrungsbrocken gründlich zerrieben werden, müſſen ſie immer wieder zwiſchen die zermalmenden Zahnreihen geſchoben werden. Das geſchieht von innen her durch die Zunge, von außen her durch die muskulöſen Wangen. In keiner anderen Abteilung iſt die Eigenmuskulatur der Zunge ſo hoch entwickelt wie hier, und nirgends ſonſt finden wir wie hier eine muskulöſe Hautfalte, die den inneren Mundſpalt überdeckt und die äußere Mundöffnung oft ſehr ſtark in ihrer Erſtreckung einſchränkt. Die Wangen ſind auch bei nichtkauenden, ſekundär zahnloſen Säugern geblieben, z. B. bei dem Ameiſen— bären, deſſen kurze Mundſpalte zu der Länge ſeiner Kiefer (Abb. 203) in ſonderbarem Mißverhältnis ſteht. Auch der ſchon bei Schildkröten und Krokodilen in ähnlicher Aus— dehnung vorhandene harte Gaumen, der das Dach der Mundhöhle gegen den Naſenraum bildet, erhält bei den kauenden Säugern eine erhöhte Bedeutung als Widerlager für die Zunge beim Zerquetſchen der Nahrungsballen. In einigen Fällen aber wird auch bei den Säugern die Nahrung unzerkaut ver— ſchlungen, und das geht Hand in Hand mit Rückbildungen in der Kieferbildung und Bezahnung. Es zählen hierher die Ameiſen- und Termitenfreſſer, der eine Honigſauger unter den Säugern und die Waltiere. Die Ameiſen- und Termitenfreſſer gehören recht verſchiedenen Ordnungen an; alle aber zeigen Umbildungen nach der gleichen Richtung: eine lange Fangzunge dient ihnen zur Aufnahme der Beute; der langgeſtreckten Mund— höhle entſpricht die Länge der Kiefer; in dieſen aber ſind die Zähne ſpärlich vorhanden oder ganz geſchwunden; der Unterkiefer iſt ſchmal geworden und die Anſatzſtellen für die ſchwache Kaumuskulatur, der Jochbogen und der Kronfortſatz des Unterkiefers, ſind ſehr zurückgebildet. Das Erdferkel (Orycteropus) Afrikas beſitzt noch Zähne, die aber ſchmelz— los ſind; die Schuppentiere (Manis) Aſiens und Afrikas und die Ameiſenbären (Myrme- cophagidae) Südamerikas haben die Zähne ganz verloren, und ſelbſt die Anlagen der— ſelben treten bei Manis ganz vorübergehend auf, bei Myrmecophaga ſcheinen ſie zu fehlen. Man hat wegen ſolcher Konvergenzen dieſe drei Formen mit noch andren zu der Gruppe der Zahnarmen vereinigt; die neuere Syſtematik aber ſtellt ſie zu drei beſonderen Ord— nungen. In ähnlicher Weiſe hat der Ameiſenigel (Echidna), einer der Vertreter der Kloakentiere, die Zähne verloren, und nur die Andeutung der Schmelzleiſte iſt in embryo— naler Zeit nachweisbar. — Bei dem auſtraliſchen Beuteltier Tarsipes, das mit Hilfe ſeiner langen Zunge Inſekten und vor allem Nektar aus den Blüten holt, iſt das Gebiß nach Größe und Zahl der Zähne ſehr zurückgegangen. Eine beſondere Betrachtung erfordern die Waltiere. Wir haben zwei Gruppen, die in der Fiſchgeſtalt und anderen Anpaſſungen an das Waſſerleben einander ſehr ähneln, aber wohl verſchiedener Abſtammung ſind: die Zahnwale und die Bartenwale. Infolge 330 Mundbewaffnung der Wale. der freiſchwimmenden und tauchenden Lebensweiſe iſt wahrſcheinlich zuerſt die Kaubewe— gung bei ihnen zurückgebildet und damit zugleich ihre Kieferbewaffnung verändert. Die Zahnwale (Delphine, Pottwal) leben von größeren, wehrhaften Waſſertieren mit glatter Oberfläche, wie Seehunden und Fiſchen, und ihr Gebiß iſt trefflich geeignet zum Er— greifen und Feſthalten ſolcher Beute; das heterodonte und einem einmaligen Zahnwechſel unterworfene Gebiß ihrer Vorfahren, das man noch bei dem alttertiären Zeuglodon findet, iſt zu einer homodonten Bezahnung mit lauter kegelförmigen Fangzähnen (Abb. 204) geworden, die nicht gewechſelt werden; ſie erinnert an die eines Reptils, eines Krokodils oder Ichthyoſaurus; die Zahl der Zähne iſt größer als bei anderen Säugern, manchmal ſehr groß, bei Delphinus longirostris faſt 250. Andrerſeits kann auch bei den Zahn— walen die Bezahnung faſt ganz zurückgebildet werden: beim Weißwal (Delphinapterus leucas Gray) ſind die Zähne hinfällig, beim Narwal (Monodon) fehlen ſie den Weibchen ganz, bei den Männchen iſt nur einer der Eckzähne des Oberkiefers zu einem Stoßzahn ausgebildet, der andre bleibt rudimentär; dieſe beiden Wale nähren ſich von kleinen Fiſchen, Tintenfiſchen, Weichtieren, Krebſen u. dgl. — Dagegen leben die Bartenwale von kleinen ſchwarmweiſe frei herumſchwimmenden Tieren, wie kleinen Fiſchen, Flügelſchnecken (z. B. dem ſogenannten Walfiſchaas, Clio borealis Brug.), Quallen, Krebschen; größere Beute kann ihren engen Schlund nicht paſſieren. Um ſich dieſer Nahrung zu bemächtigen, haben ſie ein ungeheuer weites Maul — beim Grönlandwal nimmt es faſt ein Drittel der Körperlänge ein; ihr ver— breiterter Oberkiefer iſt mit dicht hintereinander ſtehenden Barten beſetzt, d. h. mit hornigen Abb. 220. Querſchnitt durch den Kopf Platten von Geſtalt eines rechtwinkligen Dreiecks, 0 1 e b die mit der kleineren Kathete der oberen Mund— 7 ädelknochen, 2 Barten, 3 Unterkieferknochen, = 5 55 0 4 Zunge. Nach De lage. wand anſitzen und die größere Kathete lippen— wärts kehren; ihr Hypotenuſenrand iſt aufgefranſt und begrenzt ſeitlich den Raum, in den die ungefüge Zunge hineinpaßt (Abb. 220). Die Barten bilden einen gewaltigen Seihapparat: die mit dem Waſſer ins Maul ge— langenden Tiere werden durch die aufgefranſten Ränder zurückgehalten, während das Waſſer beim Schließen des Mauls ſeitlich zwiſchen den Barten hinausgepreßt wird. Zahnanlagen, und zwar ſolche von beträchtlicher Größe, werden bei den Embryonen der Bartenwale wohl gefunden, aber ſie werden vor der Geburt der Jungen zurückgebildet. Ganz unabhängig voneinander haben eine Anzahl von Wirbeltiergruppen bald ver— einzelt, bald in größerer Ausdehnung oder ganz allgemein unter Rückbildung der Zähne eine andre Kieferbewaffnung erhalten, nämlich hornige Scheiden, die den Ober- und Unterkiefer überziehen und zu Schnabelbildungen werden. Sie ſtellen einfach ſtarke Ver— hornungen der die Kiefer und ihre Nachbarſchaft bekleidenden Haut vor. Unter den Amphibien beſitzt der ſogenannte Armmolch der Sümpfe Karolinas, Siren lacertina L., eine ſolche Hornſcheide über den Kiefern, die feine Hornzähne trägt, und einen Hornſchnabel haben die Larven vieler Froſchlurche, z. B. die Kaulquappen unſerer Fröſche und Kröten. In der Reihe der Reptilien zeigen die Schildkröten ganz regelmäßig eine ſolche Schnabel— bildung (Abb. 221), und bei einigen ausgeſtorbenen Flugſauriern trugen wahrſcheinlich Schnabelbildungen. 331 die langen Kiefer Hornſchnäbel. Unter den Zahnvögeln der Kreidezeit hatte wohl Hesperornis um das unbezahnte Vorderende ſeines Oberkiefers eine Hornſcheide, während das bezahnte Hinterende und der ebenſo bewehrte Unterkiefer davon frei waren. Die 5 f jetzigen Vögel haben ausnahmslos Hornſchnäbel, und von den Zähnen, die ihre Vorfahren Abb. 221. Kaſpiſche Waſſerſchildkröte (Clemmys caspia Gmel.) bei der Fiſchjagd. ſicher beſaßen, iſt auch embryonal keine Spur mehr zu entdecken. Unter den Säugetieren endlich hat das merkwürdige Schnabeltier Auſtraliens eine ſolche Kieferbewehrung. Die Schnabelbildungen kommen Tieren von ganz verſchiedener Lebensweiſe zu, Waſſer-, Land— und Luftbewohnern, Fleiſch- und Pflanzenfreſſern. Bei den Schildkröten z. B. haben die fleiſchfreſſenden Formen ſcharfe Schnabelſcheiden, bei den pflanzenfreſſenden dagegen ſind die Ränder der Schnäbel breit. Jedenfalls hat der Schnabel gegenüber den Fangzähnen eine mannigfachere Verwendung, da er einerſeits ebenſo wie jene einen kräftigen Pack— 332 Schnabelbildungen. Abb. 222. Fichtenkreuzſchnabel (Loxia curvirostra Gmel.). apparat bildet, andrerſeits aber auch ſchneidend wirkt und vor allem in ſeiner Ausbildung bei den Vögeln mit ihrem beweglichen Halſe auch im geſchloſſenen Zuſtand eine kräftige Schlagwaffe darſtellt. Der Vogelſchnabel beſitzt überdies eine ungemeine Anpaſſungsfähigkeit in ſeiner Geſtalt; es ſeien aus der Fülle der Verſchiedenheiten nur einige angeführt: der mit herabgebogener ſcharfer Spitze verſehene Packſchnabel der Naubvögel, Würger und Fliegenſchnäpper; der kurze ſtarke Knackſchnabel der Körnerfreſſer; der Scheren— ſchnabel des Kreuzſchnabels (Abb. 222); der Meißelſchnabel der Spechte; der Seihſchnabel der Enten, der durch randſtändige quergeſtellte Hornlamellen im Ober- und Unterſchnabel im kleinen ebenſo zu einem Seihapparat wird wie das Maul der Bartenwale im großen. Ahnlich wie den Enten dient auch dem Schnabeltier ſein breiter Schnabel, wenn es tauchend allerhand Getier, Würmer, Inſektenlarven und Muſcheln vom Boden der Flüſſe heraufholt; die acht breitkronigen Zähne, die bei jungen Tieren hinten im Ober- und Unterkiefer ſtehen, werden bald abgenutzt und fallen aus; mit dem Schnabel vermag das Tier harte Muſchelſchalen aufzuknacken. Zunge. 333 Um die aufgenommene Nahrung im Munde zu bewegen und nach hinten zu Schaffen, bedarf der Boden der Mundhöhle einer gewiſſen Beweglichkeit. Bei den Fiſchen iſt dieſe dadurch gegeben, daß Teile des Kiemenſkeletts, die gegeneinander verſchiebbar find, in die ventrale Mund- und Schlundwand eingebettet und von der Mundſchleimhaut überzogen ſind; ein mehr oder weniger vorragendes Polſter auf der vorderſten Kopula, dem Verbindungsſtück zwiſchen den Spangenhälften des zweiten Schlundbogens (Zungen— beinbogens) bildet die erſte Spur jenes Organs, das bei den höheren Wirbeltieren als Zunge entwickelt iſt. Da ſie keine freie Beweglichkeit beſitzt, ſondern nur im Zuſammen— hang mit dem ganzen Kiemenſkelett verſchoben werden kann, geht dieſer primitiven Fiſch— zunge eine ausgiebigere Verwendbarkeit ab. Erſt da, wo mit Eintritt der Lungenatmung der Kiemenbogenapparat eine Rückbildung und funktionelle Umwandlung erfährt, wird die Zunge ſelbſtändig. Die Kopula mit den ihr anhängenden Reſten der zweiten und dritten Schlundſpange erhält eine große Bewegungsfreiheit und bildet jetzt das Zungenſkelett, das als Zungenbeinkörper (Kopula) mit den daran anſetzenden Zungenbeinhörnern (Schlundſpangenreſten) bekannt iſt; die von ihnen ausgehenden Muskeln bilden die Außenmuskeln der Zunge. Indem ſich vorn aus dem Mundhöhlenboden zwiſchen Ko— pula und Unterkiefer neue muskel- und drüſenreiche Beſtandteile an die primitive Zunge angliedern, nimmt bei den Amphibien die Zunge an Umfang und Leiſtungsfähigkeit zu. Bei den Reptilien treten auch noch von den Seiten her Gewebspartien in den Verband der Zunge ein, und ſo wird dieſe zu einem immer bedeutenderen Organ, das durch weitere Ausbildung dieſer Beſtandteile in der Muskelzunge der Säuger den Höhepunkt ſeiner Entwicklung erreicht. Die an die primitive Zunge, wie ſie bei den Fiſchen und Amphibienlarven dauernd vorhanden iſt, angegliederten Abſchnitte übertreffen dieſe ſchon bei manchen Amphibien an Umfang; ſie erhalten eine mehr oder weniger reiche Binnenmuskulatur, deren Faſern im Innern der Zunge ſowohl Urſprung als Ende finden, ohne an Skeletteile anzuſetzen, und damit bekommt die Zunge eine reiche Beweglichkeit und wird in ihrer Verwendung immer vielſeitiger. Ein Schluckorgan bleibt fie in den meiſten Fällen; nur dort, wo ſie, wie bei den Schlangen, bei der Maſſigkeit der auf— genommenen Nahrung gar nicht als Hilfe für das Schlucken in Betracht kommt, hat ſie dieſe Art der Betätigung eingebüßt. Wo die Zunge ungenügend ausgebildet iſt, werden daher andre Mittel für die Beförderung des Biſſens in den Schlund notwendig. Wie dies bei den Schlangen durch abwechſelndes Vorgreifen der Kiefer geſchieht, wurde ſchon oben (S. 317) auseinandergeſetzt. Der Eisvogel und der Wiedehopf können die ergriffene Beute wegen der Kleinheit ihrer Zunge nicht im Schnabel drehen und befördern; ſie werfen ſie daher in die Luft und fangen ſie mit hochgeſtrecktem Kopfe auf, ſo daß ſie gleich bis zum Anfang des Schlundes gelangt. Häufig aber kann die Zunge weit aus dem Maule herausgeſchleudert werden und dient dazu, kleinere Beute zu erfaſſen: ſie iſt zur Fangzunge geworden. Solche Fang— zungen finden wir in der Reihe der Amphibien z. B. bei dem ſüdeuropäiſchen Molch Spelerpes (Abb. 139, S. 219) oder bei unſeren Fröſchen, unter den Reptilien bei den Chamäleons (Taf. 14), unter den Vögeln bei den Spechten, Kolibris (Abb. 160) und Pinſelzünglern und in der Klaſſe der Säuger bei den Ameiſen- und Termitenfreſſern verſchiedener Ordnungen, jo bei dem ſeltſamen Ameiſenigel (Eehidna), dem Ameiſen— beutler (Myrmecobius), den Schuppentieren (Manis), dem Erdferkel (Oryeteropus) und den Ameiſenbären (Myrmecophaga u. a. Gattungen, Abb. 90, S. 147). Dieſe Zungen werden teils durch beſondere Drüſen ihrer Oberfläche, teils durch das Sekret der Mund— 334 Hervorſtrecken der Zunge. drüſen klebrig gemacht und dienen nun als Leimrute zum Feſthalten der getroffenen Beutetierchen. Bei Eidechſen und Schlangen kann die Zunge ebenfalls aus dem Maul vorgeſtreckt werden; außer zum Aufſchlappen von Waſſer wird ſie hier als empfindliches Taſtorgan verwendet. Das Hervorſtrecken der Zunge kann auf verſchiedenem Wege zuſtande kommen. Beim Froſch iſt der hintere Teil der Zunge mit dem Mundhöhlenboden verwachſen, der vordere Teil iſt frei und liegt in der Ruhelage nach hinten umgeklappt im Maul; durch Ver— kürzung des Kinnzungenmuskels (M. genioglossus) wird dieſer Teil wie eine Fliegenklappe nach außen herausgeſchleudert; ſeine Klebrigkeit, die auf reicher Verſorgung mit Drüſen beruht, wird noch dadurch vermehrt, daß er beim Herausklappen die Mündung der Zwiſchenkieferdrüſe ſtreift und mit deren Sekret benetzt wird. Da das freie Ende des ausflappbaren Zungenteiles kompakt iſt und bei der Schleuderbewegung an dem weichen baſalen Abſchnitt zieht, wird die Zunge dabei nicht unbeträchtlich verlängert. — In allen anderen Fällen geſchieht das Ausſchleudern der Zunge durch Vorwärtsziehen des Zungen— ſkeletts; an die Hörner des Zungenbeins ſetzen ſich Muskeln an, die vom Unterkiefer entſpringen, und ihre Verkürzung zieht die Zunge um ſo weiter nach vorn, je länger die Hörner und damit auch dieſe Muskeln ſind. Im einzelnen ſind die Einrichtungen mannig— fach verſchieden. Bei Spelerpes umgreifen die langen Zungenbeinhörner ſeitlich die Hals— gegend und erſtrecken ſich weit unter die Haut des Rückens; dem ſtielförmigen Zungen— körper, der in eine Scheide zurückziehbar iſt, ſitzt die ovale eigentliche Zunge wie ein Pilz— hut auf. Bei den Schlangen liegen die Abb. 223. Röntgenbild des Vorderendes der langen Zungenbeinhörner zu beiden Seiten Ringelnatter (Tropidonotus natrix L.). 2 a 55 Unter den Rippenenden ſind die Zungenbeinhörner ſichtbar. des Halſes (Abb. 223). Beim Chamäleon wird das blitzſchnelle Herausſchleudern der Zunge zwar auch durch Vorwärtszucken des Zungenſkeletts bewirkt; aber das umfang— reiche, kolbige Endſtück der Zunge macht dabei einen viel größeren Weg als die Spitze des Zungenbeinkörpers. Dieſer Kolben hat nämlich einen Hohlraum, mit dem er der Spitze des Zungenbeinkörpers aufſitzt wie ein Fingerhut der Fingerkuppe, und ſetzt ſich in eine Schleimhautſcheide fort, die in zahlreiche Querfalten gelegt über den Zungen— beinkörper hinzieht; durch Kontraktion der Eigenmuskulatur des Kolbens verengt ſich ſein Hohlraum, und damit wird ein kräftiges Abgleiten vom Stiel bewirkt. Dies fällt zu— ſammen mit dem Vorzucken des Zungenſkeletts; das kommt hier dadurch zuſtande, daß ſich die kurzen Zungenbeinhörner, die in der Ruhelage mit dem Zungenbeinkörper einen ſpitzen Winkel bilden, um ihr freies Ende drehen, und ſo der Körper vorgeſtoßen und der ganze Apparat geſtreckt wird (Abb. 224, vgl. 1 und 2 mit 1“ und 2). Dadurch wird der Kolben weggeſchleudert, ſoweit das die Länge der Scheide, die er mitreißt, geſtattet. Zugleich wird dabei die Klebſcheibe an der Spitze des Kolbens entfaltet, die bei ruhender Zunge eingeſtülpt iſt. Ein Chamäleon, das von der Schnauze bis zum Hüftgelenk 157 mm mißt, kann ſeine Zunge bis auf 144 mm verlängern. In der Wand der Scheide liegt der Rückziehmuskel der Zunge. Das Zungenſkelett der Vögel iſt in den drei Familien, wo ein Hervorſtrecken der Zunge vorkommt, ſtets ſo angeordnet, daß ſich die langen Zungenbeinhörner unter der Hervorſtrecken der Zunge. 335 Haut um den Schädel herumlegen und auf deſſen Rückenſeite bis zwiſchen die Augen und weiter reichen. Je länger dieſe Hörner ſind, um ſo weiter läßt ſich die Zunge herausſtrecken. Unter den Spechten haben die ameiſenfreſſenden Arten, der Wendehals, Grün- und Grauſpecht, die längſten Zungen, die vorwiegend meißelnden Buntſpechte da— gegen die kürzeſten; der Schwarzſpecht hält die Mitte; beim großen Bunt— ſpecht iſt der Zungenbeinapparat 2½ mal ſo lang als der Oberſchnabel, beim Schwarzſpecht dreimal, beim Grünſpecht viermal, beim Wendehals ſogar fünfmal. Beim Buntſpecht reichen die „ Zungenbeinhörner bis zwiſchen die Augen, beim . Grünſpecht und Wendehals legen ſich ihre Enden zu— Do ſammen und dringen gemeinſam durch ein Naſenloch 1 (und zwar das rechte beim Grünſpecht, öfter das linke beim Wendehals) in den Hohlraum des 5 > Oberſchnabelknochens (Zwiſchenkiefers) ein, in dem ſie faſt bis zur Spitze reichen (Abb. 225); trotz— 0 Abb. 224. Schema des Vorſchnellens der Zunge beim Chamäleon. 3 8 Das Zungenbein mit feinem Körper 1 und den Hörnern 2 geht in die 1 ſchraffierte Lage 7° 2’ über; dabei wird der Kolben 3 nach ' vorgeſchleudert und reißt die in der Ruhelage gefältelte Scheide mit, die im Innern den Hohlraum 4 zeigt. dem ſind ſie beim Grünſpecht immer noch zu lang, um dem Schädel dicht anzuliegen, ſie bilden vielmehr zu beiden Seiten des Halſes eine nach unten gerichtete Schlinge. Die Verſchiebung des Zungenſkeletts beim Vorſtrecken der Zunge zeigt das umſtehende Schema (Abb. 226). Die Zunge ſelbſt iſt bei den u durch einen langen, dünnen Zungenbeinkörper (2) geſtützt, dem nach vorn ein kleines Knöchelchen an— ſitzt, das Os entoglossum (1), das durch Verſchmelzung der geringen Reſte des zweiten Schlundbogens 1——— entſtanden iſt. Sie bildet ein feſtes Stilett, mit dem die Tiere weich— häutige, holzbohrende Inſektenlarven oder Puppen aufſpießen können; ihr Hornüberzug trägt dazu an der Spitze kleine Widerhäkchen, die beim Wendehals fehlen. Beſondere Muskeln ermöglichen allerhand Be— wegungen der herausgeſtreckten Zunge; bei den Ameiſenfreſſern ſind die Unterſchnabel— drüſen (Abb. 225, 3) ſehr groß und benetzen die Zunge mit ihrem klebrigen Schleim, ſo daß ſie zur Leimrute wird. — Bei der Kolibrizunge bleiben Zungenbeinkörper und Os entoglossum kurz, und die Zunge wird durch einen langen, hornigen Anſatz verlängert und in einen langſtieligen Pinſel verwandelt, mit dem die Tierchen Inſekten aus dem Grunde der Blumenkelche herausholen (Abb. 160, S. 245). — Während die Zungenbein— Abgebalgter Kopf des Grün— ſpechts (Picus viridis L.). 1 Zungenbeinhorn, das im Ober— ſchnabel bis zu dem Pfeil reicht, mit ſeiner Muskelſcheide 2; 3 Unter— ſchnabeldrüſe. Nach Leiber. 336 Zunge der Säuger. hörner bei all dieſen Vögeln um den Schädel aufgebogen ſind, liegen ſie bei den mit Fangzungen verſehenen Säugern ebenſo wie bei den Schlangen zu ſeiten des Halſes. Die wurmförmige Zunge der ameiſenfreſſenden Säuger weicht von der typifchen Säugetierzunge ſehr ab; dieſe iſt vielmehr breit und flach und füllt den Boden der Mundhöhle ſowohl der Länge wie der Breite nach vollkommen aus; ſie kann mehr oder weniger weit aus dem Maule vorgeſtreckt werden, wenn auch nie ſo weit wie bei den Ameiſenfreſſern. Dazu ermöglicht ihr die reiche Binnenmuskulatur eine große Beweglich— keit: jo kann die Spitze beim Waſſerſchlappen aufgebogen werden, jo daß fie ein Näpfchen bildet, und bei den Wiederkäuern ſtellt die Zunge einen Greifapparat dar, mit dem Grasbüſchel u. dgl. umfaßt und gegen die Schneidezähne des Unterkiefers gedrückt werden. Die eigenartigſte Betätigung der Säugerzunge iſt das Lecken, und damit tritt ſie vielfach in den Dienſt der Nahrungsaufnahme oder der Hautreinigung. Für ſolche Verwendung iſt die Oberfläche der Zunge rauh gemacht durch kleine verhornte Vorſprünge der Schleim— haut, die in ihrer Form oft an kleine Hautzähnchen bei Haifiſchen erinnern und mit der Abb. 226. Schema der Bewegung des Zungenſkeletts beim Vorſtrecken der Zunge des Grünſpechts. 4 Ruhelage. B Vorſtrecken der Zunge. 1 Os entoglossum, 2 Zungenbeinkörper, 3 und 4 unteres und oberes Glied der Zungenbeinhörner. Nach Leiber. Spitze gegen den Zungengrund gerichtet ſind (Abb. 227); ſie ſtehen über papillenförmigen Erhebungen der Lederhaut, und ihr Epithelbelag iſt beſonders auf ihrer konvexen Seite jo ſtark verhornt, daß fie eine bedeutende Widerſtandskraft erlangen können. Dieſe mechaniſch wirkenden Zungenpapillen werden herkömmlich als fadenförmige Papillen be— zeichnet; fie erreichen auf der Zunge des Rindes z. B. ein Länge bis zu 4mm. Am ſtärkſten find die Fadenpapillen bei den Raubtieren und den Wiederkäuern ausgebildet; ſie machen die Raubtierzunge zu einer Raſpel, mit der die letzten Fleiſchreſte von den Knochen abgekratzt werden, und den Wiederkäuern ſind ſie für die Gewohnheit des Salz— leckens von Wichtigkeit. Ihre Wirkung ſpüren wir im kleinen, wenn wir uns von einer Katze lecken laſſen; wie kräftig ſie werden kann, erhellt daraus, daß die Kalbszunge in Schweden als Marterwerkzeug benutzt wurde in der Weiſe, daß man auf der Fußſohle des unglücklichen Delinquenten eine Salzlecke anlegte. Bei den Wiederkäuern ſind außer— dem die inneren Lippenränder und die Wangenſchleimhaut mit ebenſolchen Papillen beſetzt; da ſie beim Kauen die Lippen nicht ſchließen, mögen die Papillen dazu beitragen, das Herausfallen der Nahrung aus dem Munde zu verhindern. Sicherlich aber kommen ihnen auch Aufgaben bei der Verarbeitung der Nahrung zu. Zunge der Säuger. 337 Die Hauptbedeutung der fleiſchigen Zunge bei den Säugern ſteht im Zuſammen— hange mit der Kautätigkeit; ſie dient zuſammen mit den muskulöſen Wangen dazu, die Nahrung beim Kauen zwiſchen die Backenzähne zu bringen und muß deshalb die volle Breite und Länge des Mundhöhlenbodens beſitzen. Von dieſer gewöhnlichen Form kann ſie nur bei Tieren abweichen, die nicht kauen, alſo bei den Ameiſenfreſſern und den Waltieren; bei jenen iſt ſie lang, wurmförmig, bei dieſen aber bleibt ſie vorn und hinten kürzer als der Mundhöhlenboden und iſt in ihrer Bewegungsfähigkeit beſchränkt. Ja, in vielen Fällen iſt die Zunge der Säuger an der Verarbeitung der Nahrung noch un— mittelbar beteiligt, indem ſie weichere Nahrungsbrocken durch Anpreſſen an den harten Gaumen zerdrückt und der Durch— FFF ſpeichelungzugäng JJC. lich macht; die Schleimhaut, die den Gaumen über— zieht, iſt durch ver— hornte Querleiſten zu ſolcher mecha— niſchen Betätigung ausgerüſtet. Die Scheidewand des Abb. 227. Fadenpapille von der Zunge der Hauskatze, 80 fach vergrößert. 1 Oberhaut, 2 Lederhaut (die zahlreichen Kerne darin ſind nicht gezeichnet, um den Unterſchied zwiſchen ihr und der Oberhaut deutlicher hervor— treten zu laſſen), 3 verhornte Teile der Oberhaut, 4 Papillen ER = der Lederhaut. Der Pfeil zeigt knöchernen Gau— die Richtung der Beanspruchung; 8 9 8 75 IN 7500 5 die Hornkappe der Papille iſt alſo mens wird nach 85 8 ö fl INN 7 %, in 3” auf Biegungsfeſtigkeit be- hinten noch durch 2 % ) NEIN 2 anſprucht und deshalb verdickt, x . e, „ in 3’ dagegen auf Druck und er- das muskulöſe DEN hält deshalb ein Widerlager in 8 N nn dem Zellpolſter links, auf das Gaumenſegel ver— ſich der Druck verteilt. längert; dieſes ragt ſo weit in die Mundhöhle herab, daß es den nach oben vorſtehenden Kehlkopf mit ſeinem Kehldeckel von vorn her deckt und ſo den Luftweg vom Speiſeweg trennt (Abb. 252 B). Auch das iſt eine Beſonderheit der Säuger, die durch das Zerkleinern der Nahrung im Munde notwendig wird. Für die zerkaute Nahrung wird dadurch ein paariger Weg geſchaffen, der zu beiden Seiten um den Kehl— kopf herum in den Schlund führt; nur bei den Menſchenaffen und dem Menſchen iſt der Kehlkopf herabgedrückt und hat den Anſchluß an das Gaumenſegel verloren, ohne daß zunächſt ein Grund dafür erkennbar wäre; damit iſt für ſie die Möglichkeit des „Verſchluckens“ gegeben, vor der die übrigen Säuger bewahrt ſind. Bei den Säugern iſt die Zunge zugleich Hauptträger der Geſchmacksorgane, die hier vorwiegend auf ihr angeſammelt ſind; bei den übrigen Wirbeltieren ſind ſie auch auf anderen Teilen der Mundſchleimhaut in regelmäßiger Anordnung vorhanden und können auf der Zunge ganz fehlen, bei den Fiſchen ſind ſie allgemein im Munde verteilt. Sie ſollen uns an anderer Stelle näher beſchäftigen. Hier ſei nur darauf hingewieſen, daß ihnen eine Schutzfunktion für den Verdauungsapparat zukommt, indem ſie ſchädliche und giftige Speiſen ſignaliſieren und deren Genuß verhindern. Wie wichtig ihre Aufgabe iſt, geht aus der Menge der vorhandenen Geſchmacksorgane hervor: beim Rind z. B. ſind 22 Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 338 Speicheldrüſen. nicht weniger als 32 500 Einzelorgane (Geſchmacksknoſpen) vorhanden, beim Schwein deren faſt 10000. Im Dienſte der Ernährung ſtehen weiterhin auch die Drüſen, die ihr Sekret in die Mundhöhle ergießen, und die allgemein als Speicheldrüſen bezeichnet werden. Dies Sekret, der Speichel, beſteht bei den meiſten Wirbeltieren mit Ausnahme der Mehrzahl der Säuger und vielleicht mancher Vögel einfach aus Schleim und enthält keine ver— dauenden Fermente. Es hat vor allem die Aufgabe, die Nahrung anzufeuchten und ſchlüpfrig zu machen, um die Formung des Biſſens zu erleichtern und das Schlucken zu befördern. Daher fehlen den waſſerlebenden Wirbeltieren die Speicheldrüſen entweder ganz oder ſind doch nur wenig ausgebildet. Die Fiſche beſitzen keine zuſammengeſetzten Speicheldrüſen; nur die Becherzellen der Mundſchleimhaut ſondern hier Schleim ab; den Seeſchildkröten fehlen dieſe Drüſen ebenfalls, und bei den Krokodilen ſind ſie ſehr klein; bei ſolchen Vögeln, die ihre Nahrung im Waſſer ſuchen, ſind ſie gering ausgebildet oder fehlen ganz; ebenſo laſſen die Waltiere ſie vermiſſen, und bei den Robben ſind ſie ſehr zurückgebildet. Dagegen finden wir bei ſolchen Tieren, die eine trockene Nahrung genießen, gut entwickelte Speicheldrüſen: ſo bei den herbivoren, beſonders den körnerfreſſenden Vögeln, und bei den Grasfreſſern unter den Säugern. Auch betreffs der Speicheldrüſen nehmen die Säuger gegenüber den anderen Wirbel— tieren eine Sonderſtellung ein; wir treffen bei ihnen neben den ſchleimbildenden, muköſen Speicheldrüſen mit ihrem zähen, fadenziehenden Sekret regelmäßig auch ſogenannte ſeröſe Speicheldrüſen, die einen wäſſerigen, eiweißhaltigen und, was beſonders wichtig iſt, meiſt fermentreichen Saft liefern; das Ferment des Säugetierſpeichels iſt ein diaſtatiſches und verwandelt Stärke in Zucker. Eine Speicheldrüſe kann entweder nur Schleim oder nur ſeröſes Sekret abſondern, oder ſie liefert als „gemiſchte“ Drüſe beiderlei Sekrete. Die Beſonderheit fermenthaltigen Speichels ſteht im engſten Zuſammenhang damit, daß bei den Säugern die Nahrung ſchon im Munde mehr oder weniger gründlich zerkleinert und dem Ferment damit der Zutritt zu den ſtärkehaltigen Zellen ungemein erleichtert wird. Die Verdauung beginnt daher gleich nach der Aufnahme des Futters ſchon in der Mundhöhle. Bei den Säugern ſind ſtets drei bis vier Paare von größeren Mundhöhlendrüſen vorhanden, nämlich die in der Ohrgegend liegende Ohrſpeicheldrüſe (Parotis), deren Ausführgang an der Wange mündet, die zwiſchen Zungenbein und Wirbelſäule gelegene Unterkieferdrüſe (Submaxillaris), deren Mündung nahe den unteren Schneidezähnen liegt, und eines der beiden oder beide Paare von Unterzungendrüſen (Sublingualis), von denen die eine, die Bartholiniſche Drüſe, mit einem einfachen, die andere, die 11 Drüſe, mit zahlreichen kleinen Ausführgängen ihr Sekret unter die Zunge ergießt. Außer— dem ſtehen noch kleinere Drüſenkomplexe an den Wangen, den Lippen, am nen und auf der Zunge. Die Parotis iſt ſtets eine ſeröſe Drüſe; die übrigen können ſerös oder mukös ſein oder auch gemischt, wobei wiederum die eine Art des Sekrets überwiegen kann. Die Größe der Drüſen überhaupt und das Verhältnis der ſeröſen zu den Schleim— drüſen wird durch die Art der Nahrung beſtimmt. Trockne Koſt erfordert reiche Entwick— lung der Speicheldrüſen; ſaftige Koſt, wie ſie die Fleiſchfreſſer haben, bedarf geringerer Durchſpeichelung. Bei den Pflanzenfreſſern mit ihrer ſtärkereichen Nahrung, wie Wieder— käuern, Unpaarhufern und Nagern, überwiegen die Drüſen mit fermenthaltigem Sekret. So haben faſt alle pflanzenfreſſenden Landtiere große Parotiden: beim Pferd iſt die Parotis viermal ſo groß als die Submaxillaris und macht 75% der geſamten Drüſen— Speicheldrüſen. 339 maſſe aus; beim Rind iſt ihre abſolute Größe noch bedeutender, dazu iſt bei ihm die Unterkieferdrüſe vorwiegend ſerös; beim Biber iſt die Parotis 20 mal jo groß als die Submaxillaris; beim Kaninchen iſt nur die kleine Sublingualis mukös. Die rein muköſe Sublingualis der Wiederkäuer iſt klein, und beim Pferd, wo die Sublingualis vorwiegend mukös iſt, macht ſie nur 5% der geſamten Drüſenmaſſe aus. Der Speichel iſt daher bei all dieſen Tieren fermentreich und leiſtet eine nicht unbedeutende Verdauungsarbeit. — Bei den Fleiſchfreſſern iſt die geſamte Drüſenentwicklung geringer; die Parotis iſt bei ihnen klein und ihr ſeröſes Sekret iſt arm an diaſtatiſchem Ferment, das bei der Armut der Nahrung an unerſchloſſenen Kohlehydraten hier kaum notwendig iſt. Die Riviniſche Sublingualis der Fleiſchfreſſer iſt mukös, Submaxillaris und die Bartho— liniſche Sublingualis wenigſtens gemiſcht. Die Speicheldrüſen, die ein ſchleimiges Sekret abſondern, dienen bei den ameiſen— freſſenden Vögeln und Säugern dazu, die lange Fangzunge klebrig zu machen. Zu die— ſem Behufe haben ſie hier eine ſtärkere Ausbildung erfahren als bei verwandten Formen: beim Grün- und Schwarzſpecht (Abb. 225, 3) ſind ſie weit größer als bei den Bunt— ſpechten; bei den ameiſenfreſſenden Säugern iſt die Submaxillaris z. T. von außer— ordentlicher Ausdehnung, z. B. beim Ameiſenigel (Echidna) und vor allem beim Ameiſen— bären (Tamandua tetradactyla L.), wo ſie vom Unterkieferwinkel bis zum Bruſtbein reicht. Eine beſondere Verwendung finden die Mundhöhlendrüſen bei manchen Reptilien als Giftdrüſen; ihr Sekret iſt da nicht mukös, ſondern eiweißhaltig und enthält ein ſpezifiſches, nach den Arten verſchiedenes Gift. Bei den Giftſchlangen liegt die Gift— drüſe am Oberkiefer und wird, wie die Oberkieferdrüſe der Säuger, als Parotis bezeichnet; bei der einzigen giftigen Eidechſe, dem Heloderma suspectum Cope in Texas, iſt die Giftdrüſe eine Unterkieferdrüſe. Das Sekret fließt in die Bißwunde ein durch die Rinnen oder Kanäle der Giftzähne, die bei den Schlangen im Oberkiefer (vgl. oben S. 318), bei Heloderma im Unterkiefer ſtehen. Die Beſonderheit der Säuger, daß im allgemeinen nur bei ihnen die Nahrung zer— kaut wird, macht ſich weiterhin auch in der Beſchaffenheit des Schlundes geltend. Bei den Säugern allein iſt der Schlund eng; denn große Brocken gelangen gar nicht in ihn hinein, das Futter wird vorher zerſchnitten und zerrieben. Bei den übrigen Wirbel— tieren dagegen iſt der Schlund meiſt weit, denn er muß die Nahrung gewöhnlich unzer— kleinert hindurchlaſſen: der Hai verſchlingt den Dorſch, der Waſſerfroſch den Grasfroſch, die Rieſenſchlange das Wildſchwein, der Reiher den Fiſch, ohne ihn zu zerbeißen; nie aber verſchluckt ein Säuger, die Zahnwale ausgenommen, größere Beute ganz. Die Länge des Schlundes wechſelt; ſie hängt nur von der Länge des Halſes ab, hat aber keine Beziehung zur Art der Nahrung; denn der Schlund beſitzt weder Verdauungsdrüſen noch reſorbierendes Epithel, ſondern iſt mit einem geſchichteten Epithel ausgekleidet, wie die Mundhöhle. 6) Der Magen. Der Magen bildet im allgemeinen eine Erweiterung des Darmrohrs unmittel— bar vor der Einmündung der Ausführgänge von Leber und Bauchſpeicheldrüſe und iſt phyſiologiſch durch die in ihm ſich abſpielenden Verdauungsvorgänge gekennzeichnet, nämlich eine Eiweißverdauung durch das Ferment Pepſin in Gegenwart von Salzſäure— Pepſin iſt ein Ferment, das den Wirbeltieren eigentümlich iſt. In der Reihe der Wirbelloſen kommen höchſt wahrſcheinlich nur tryptiſche eiweißlöſende Fermente vor, wie ſie bei den Wirbeltieren von der Bauchſpeicheldrüſe geliefert werden; dieſe wirken am 59 * * 340 Magen. beſten in alkaliſcher oder neutraler Löſung und werden durch Säure unwirkſam; Pepſin dagegen iſt in ſaurer Löſung wirkſam. Dadurch iſt es möglich, daß die Zeit, während deren die Nahrung im Magen mit ſeiner ſtarken Säureabſcheidung verweilt, für die Verdauung nutzbar gemacht wird. Übrigens iſt die Eiweißſpaltung durch Pepſin nur eine Vorverdauung; die Spaltung der Eiweißſtoffe durch Trypſin iſt viel energiſcher. Der Pepſin und Salzſäure enthaltende Magenſaft wird durch beſtimmte Drüſen, die Magen- oder Fundusdrüſen, abgeſondert. Nur wo dieſe vorhanden ſind, kann man in phyſiologiſchem Sinne von einem Magen ſprechen; eine bloße Erweiterung des Darm— rohres, in die ſich kein Magenſaft ergießt, verdient dieſe Bezeichnung nicht. Die Fundus— drüſen liegen in der Magenwand, und zwar ſtets nur an ſolchen Stellen, wo dieſe, wie der Darm, ein einſchichtiges Epithel trägt. Man darf aber keineswegs die Grenze des Magens mit derjenigen dieſes Drüſenvorkommens gleichſetzen. Wir finden vielmehr im Magen Gebiete, die mit andersartigen Drüſen beſetzt ſind, und oft ſind, im Anſchluß an den Schlund, Teile der Magenwand ganz frei von Drüſen; ja bei einem Schuppentier (Manis javanica Desm.) ſind die Fundusdrüſen ſogar in einen Blindſack verlegt, der einen Anhang des Magens bildet, der eigentliche Raum aber, in dem die Magenverdauung ſtattfindet, enthält keine ſolchen Drüſen. Wir bezeichnen alſo als Magen jenen Abſchnitt des Darmrohrs, in den ſich das Sekret der Magendrüſen ergießt. Manchen Wirbeltieren fehlen nun die Magenſaft bildenden Drüſen ganz. Unter den Fiſchen gibt es ſolche, bei denen zwar eine magenartige Erweiterung des Darmrohres vorhanden iſt, Magendrüſen aber nicht vorkommen, während bei anderen die Drüſen da ſind, ohne daß der betreffende Darmabſchnitt erweitert wäre. Außer beim Amphioxus fehlt der Magen namentlich in den Familien der Rundmäuler, Karpfenartigen und Lipp— fiſche. Nahe Verwandte verhalten ſich zuweilen ganz verſchieden: der Schlammpeitzger (Cobitis fossilis L.) hat keinen Magen, bei der Bartgrundel (Cobitis barbatula IL.) iſt ein ſolcher vorhanden; ebenſo fehlt er beim Zwergſtichling (Gasterosteus pungitius L.) im Gegenſatz zum gemeinen und Meerſtichling (G. aculeatus L. und spinachia L.). Man darf daher wohl annehmen, daß in vielen Fällen der Mangel des Magens nicht ein - von alten Vorfahren ererbter urſprünglicher Zuſtand, ſondern daß er erſt ſekundär auf— getreten iſt. Auch einigen Säugern, nämlich den Kloakentieren (Ornithorhynchus und Echidna) fehlt ein Magen mit Magendrüſen. Die oben ſchon erwähnte Tatſache, daß die Eiweißverdauung im Magen nicht der einzige Vorgang dieſer Art iſt, ſondern daß ihr noch die wichtigere Darmverdauung durch das Sekret der Bauchſpeicheldrüſe folgt, macht es uns verſtändlich, daß jene ausfallen kann. Ja ſogar dort, wo ein Magen vor— handen iſt, kann ſeine Funktion unter Umſtänden entbehrt werden. Ermutigt durch Ver— ſuche an Hunden, die nach Herausnahme des Magens ſich lange am Leben erhalten ließen, haben die Chirurgen bei Menſchen, wo Magenkrebs den ganzen Magen zerſtört hatte, dieſen herausgenommen und die Patienten noch Jahre lang am Leben erhalten können. Die Verdauung der Eiweißſtoffe durch peptiſche Fermente iſt eben nur eine Neben— funktion des Magens; wichtiger iſt ſeine Aufgabe, einen Schutzapparat für den Darm zu bilden. Die Salzſäure des Magens iſt ein ſtarkes Antiſeptikum, das für viele der mikroſkopiſchen Fäulnis-, Gärungs- und Krankheitserreger tödlich wirkt. Cholerabazillen z. B. werden dadurch vernichtet; wenn man einen Hund mit ſolchen füttert, ſo erkrankt er nicht, ſolange der Magen gut funktioniert; pumpt man ihm aber den Magen aus und führt dann die Bazillen ein, ſo daß ſie den Magen ſchnell paſſieren und von der Säure ungeſchädigt in den Darm gelangen können, ſo kommt es zur Infektion. Magen der Säuger. 341 Die Größe des Magens ſteht in Beziehung zur Beſchaffenheit der Nahrung. Iſt dieſe reich an Nährſtoffen und leicht aufſchließbar, ſo genügt die Aufnahme geringer Mengen; iſt ſie dagegen nährſtoffarm oder iſt ſie ſchwer verdaulich und bedarf längerer Vorbereitung, ſo muß viel aufgenommen werden. Schwer verdauliche und nährſtoffarme Koſt genießen außer manchen Vögeln beſonders viele Säuger. Bei den Vögeln wird der Magen als Nahrungsreſervoir entlaſtet durch eine Erweiterung des Schlundes, den Kropf. Bei den Säugern aber laſſen ſich die Beziehungen der Nahrung zur Größe des Magens aufs deutlichſte erkennen: während die Fleiſchfreſſer den verhältnismäßig kleinſten Magen haben, zeigt er bei Tieren mit gemiſchter Koſt, wie den Primaten, ſchon ſtärkere Erweiterung; bei den Pflanzenfreſſern aber, vor allem bei den Grasfreſſern, nimmt er zuweilen ganz außerordentlich an Umfang zu. Die Erweiterung des Magens der Säuger bedeutet aber durchaus nicht eine Ver— mehrung der drüſenbeſetzten Schleimhaut. Während kleine Mägen in ihrer ganzen Aus— dehnung von einem einſchichtigen drüſenreichen Epithel ausgekleidet ſind, enthalten viel— mehr die vergrößerten Magen in der Umgebung der Schlundeinmündung einen mehr oder weniger umfangreichen Abſchnitt, der mit demſelben drüſenloſen geſchichteten Epithel bedeckt iſt, wie es den Schlund auskleidet (Abb. 228). Es iſt offenbar der Endabſchnitt des Schlundes erweitert und in den Magen einbezogen; nicht um Vergrößerung der ſezernierenden Oberfläche und damit Vermehrung des Magenſaftes, ſondern um räum— liche Ausdehnung handelt es ſich. In dieſem Schlundabſchnitt des Magens kann die durch den Mundſpeichel eingeleitete Auflöſung der Kohlenhydrate noch eine Zeitlang weiter gehen, ehe durch die Säure des Magenſaftes die Wirkſamkeit des Speichelferments vernichtet wird. Aber auch bei einem Magen, der ganz von Darmſchleimhaut ausgekleidet iſt, kommt, wenn ſchon Nahrung im Magen vorhanden iſt, das neu aufgenommene Futter nicht ſogleich in Berührung mit den ſezernierenden Magenwänden, ſondern lagert ſich zu— nächſt in die Mitte des Mageninhalts ein und bleibt dort eine Zeitlang vor der Ein— wirkung des Magenſaftes geſichert. Ein Schlundabſchnitt fehlt ganz im Magen der Raubtiere (Abb. 228, B) und In— ſektenfreſſer einſchließlich der Fledermäuſe; bei den Allesfreſſern iſt das Verhalten ver— ſchieden: Menſch (A) und Schwein haben keinen Schlundabſchnitt, beim Pekari (Dicotyles) iſt ein ſolcher vorhanden. In verſchiedener Ausdehnung tritt der Schlundabſchnitt regel— mäßig bei den Pflanzenfreſſern, beſonders den Nagern (C, PD) und Huftieren (E, P) auf, kommt auch den pflanzenfreſſenden Känguruhs und Faultieren (Bradypus) zu und iſt nicht unbedeutend bei einigen Schuppentieren (Manis longicaudata Shaw und tricuspis Rafın.). Lehrreich iſt es, den Umfang der Schlundabteilung bei verſchiedenen Nagern zu verglei— chen: dem allesfreſſenden Eichhorn fehlt ſie ganz und iſt bei den echten Mäuſen mit ihrer gemischten Koſt (C) viel kleiner als bei den ausſchließlich pflanzenfreſſenden Wühlmäuſen. Bei der Schermaus (Microtus terrestris L.) erſcheint der Magen durch eine ſeichte Einſchnürung in zwei Abſchnitte geteilt, einen Schlundabſchnitt und einen drüſigen Ab— ſchnitt, und noch deutlicher wird dieſe Teilung beim Hamſter (D). In der Gruppe der Waltiere läßt ſich eine zuſammenhängende Reihe aufſtellen, die von einem einfachen Drüſenmagen zu ſolchen führt, wo der Schlundabſchnitt als Vormagen ſcharf von dem Drüſenmagen geſondert iſt. Bei Pferd (E) und Eſel nimmt die Schlundabteilung etwa ein Drittel, beim Nashorn die Hälfte des Magens ein. Bei den Wiederkäuern (F) über— trifft ſie den Drüſenmagen bei weitem an Ausdehnung und iſt nicht bloß von ihm ge— ſondert, ſondern zerfällt wiederum in mehrere Abſchnitte mit verſchiedener Verrichtung. 342 Magen der Wiederkäuer. Die größten von ihnen, der Panſen (Abb. 229, 2) und der ihm anhängende kleinere Netz— magen (Haube, 3), ſo genannt wegen der netzförmig angeordneten leiſtenförmigen Erhebungen ſeiner Schleimhaut, liegen in unmittelbarer Fortſetzung des Schlundes. Von der Schlund— mündung führt in der Richtung gegen den Drüſenmagen die ſogenannte Rinne (4), die von ,, \ 8 55 5 5 7 iR. + 2 : ut Se 5 i 85 3 + et Abb. 228. Schemata der Mägen von Menſch (4), Hund (B), Ratte (C), Hamſter (P), Pferd (Z) und Wiederkäuer (F). Das geſchichtete Epithel des Schlundes und des Schlundabſchnittes des Magens iſt durch wagrechte Linien bezeichnet; das einſchichtige Epithel des Magens zeigt verſchiedene Drüſenbildungen (ſchräg geſtrichelt Kardiadrüſen, punktiert Fundus— drüſen, gekreuzt Pylorusdrüſen). 4 5 F nach Oppel, CE nach Edelmann, D nach Toepffer. zwei ſtarken Schleimhautfalten gegen den Panſen begrenzt wird; ſie mündet in den Blätter— magen (Pſalter, Buch, 5), deſſen Schleimhaut hohe, dichtſtehende, parallele Falten trägt, die wie Blätter eines Buches nebeneinander ſtehen. An ihn ſchließt ſich dann der eigentliche oder Labmagen an. Bei Kamel und Lama fehlt der Blättermagen, und die Rinne führt in einen drüſenloſen, aber von einſchichtigem Epithel ausgekleideten Abſchnitt des Lab— magens, der wahrſcheinlich den Blättermagen funktionell erſetzt. — Die aufgenommene Nahrung, die meiſt aus Gras und Blättern beſteht, gelangt, ohne gründlich zerkaut zu werden, in den Panſen und Netzmagen (Abb. 229). Dort wird die Zelluloſe der Zellwände zum Teil gelöſt, aber nicht wie 50g bent en eben Gen delten ante bei der Weinbergſchnecke oder dem Fluß⸗ 1 Schlund, 2 Banjen, 3 Netzmagen 4 Rinne, 5 Blätter krebs durch ein Ferment, das die Zelluloſe in W lösliche Zuckerarten überführt und ſo für die Ernährung nutzbar macht, ſondern durch Gärung, die durch Bakterien hervorgerufen wird. Dadurch zerfällt die Zelluloſe in Kohlenſäure und Sumpfgas (0, 1. , [Zelluloſe + H,0 Waſſer]! = 300, [Kohlenſäure] - 30 H, (Sumpfgas]). Der in den Zellen der Futterpflanzen eingeſchloſſene Inhalt, Eiweißſtoffe und Stärke, wird damit frei und den Fermenten der Speicheldrüſen, des Magens und der Bauchſpeicheldrüſe zugänglich. Im Magen der Vögel. 343 Panſen und im Blinddarm, wo ähnliche Gärungen vor ſich gehen, verſchwinden ſo drei Viertel der aufgenommenen Zelluloſe. Die im Panſen derart vorbereitete Maſſe wird in hühnereigroßen Brocken wieder in den Mund heraufbefördert und jetzt gekaut und mit Speichel durchſetzt: das iſt das Wiederkäuen. Nach 50—80 Mahlbewegungen wird der Biſſen geſchluckt und durch neuen Vorrat aus dem Panſen erſetzt; er wird durch die Rinne in den Blättermagen geleitet, wo die gegeneinander beweglichen Blätter etwaige gröbere Teile noch vollends zerreiben und die reichlich darin enthaltene Flüſſigkeit ab preſſen; ſie fließt in den Labmagen ab und wird dort reſorbiert. Dieſe trocknende Tätig keit des Blättermagens ſcheint bei den Kamelen der vordere Abſchnitt des Labmagens zu beſorgen. So getrocknet gelangt der Speiſebrei in den Labmagen und wird vom Magenſaft durchſetzt, ohne daß dieſer zu ſehr verdünnt würde. Die Säure des Magen— ſaftes tötet die Gärungsbazillen ab und bewahrt ſo den Darm vor Schädigung. — Das Wiederkäuen geſchieht, wenn das Tier ausruht, im ſicheren Schlupfwinkel. So können dieſe flüchtigen, meiſt wenig wehrhaften Tiere große Mengen von Nahrung in kurzer Zeit aufnehmen, um ſie dann in Sicherheit gründlich zu verarbeiten. Hier wird alſo der Vorratsmagen zu— gleich dem Aufſchluß der mageren, ſchwer verdaulichen Koſt dienſtbar als Gärungsmagen. Bei den Vögeln, wo mangels kauender Zähne nur eine ſehr unvollkommene Zer— kleinerung der Nahrung durch den hornigen Schnabel ſtattfindet, übernimmt ein Teil des Magens mechaniſche Aufgaben und wirkt als Kaumagen. Es iſt aber hier nicht der dem Schlund benachbarte Abſchnitt, der in Fortſetzung des geſchichteten, oberflächlich verhornten Schlundepithels eine harte, widerſtandsfähige Wandung bekommen hätte, ſondern die drüſen— beſetzte Schleimhaut des hinteren Magenabſchnittes mit ihrem einſchichtigen Zylinderepithel iſt in eigentümlicher Weiſe zur Bildung eines Reiborgans umgeſtaltet: das Sekret der Drüſen erſtarrt nämlich zu einer lederartig harten, hornähnlich ausſehenden Maſſe, die den Kaumagen auskleidet und in dem Maße, wie ſie ſich beim Gebrauch abnützt, durch die fortdauernde Tätigkeit der Drüſen wieder erſetzt wird. Während ſich bei den Raubvögeln dieſer Magenabſchnitt wenig vom eigentlichen Drüſenmagen abſetzt, ſeine Wände dünn und die auskleidende Sekretmaſſe verhältnismäßig weich iſt, bildet bei Pflanzen- und beſonders bei Körnerfreſſern der Muskelmagen einen wohl geſonderten Darmteil mit ſtark muskulöſen Wandungen (Abb. 230). Auf beiden Flächen des linſenartig flachgedrückten Organs befinden ſich Sehnenplatten, von denen die Muskelfaſern, z. T. unter ſpitzwinkliger Kreuzung, zu der anderen Seite hinüberziehen. So entſtehen zwei dicke Muskelhalbringe (Abb. 230), deren Zuſammenhang an der vorderen und hinteren (roſtralen und kaudalen) Kante des Magens je durch einen dünneren Zwiſchenmuskel mit anderer Faſerrichtung unter— brochen wird. Der Magen arbeitet in der Weiſe, daß ſich zuerſt die Zwiſchenmuskeln zuſammenziehen und die in ihrem Bereich gelegenen Speiſemaſſen in die eigentliche Magenhöhle ſchieben; dann werden durch gleichzeitige Kontraktion der beiden Haupt— muskeln die Magenwände mit gewaltigem Druck gegeneinander gepreßt und zugleich ver— ſchoben, wobei die Speiſemaſſe wieder in den Bereich der Zwiſchenmuskeln entweicht; von 20 zu 20 Sekunden folgen ſich dieſe Bewegungen in regelmäßiger Wiederholung. Wie gewaltig die Kraft des Muskelmagens iſt, haben zahlreiche Verſuche gelehrt; ſo ſtellte Reaumur feſt, daß im Magen eines Truthuhns Eiſenröhren plattgedrückt werden, die einer Belaſtung von 437 Pfund ſtandhielten. Dadurch wird die vegetabiliſche Nahrung gründlich zermahlen, die Zelluloſehüllen der Zellen werden geſprengt und den Fermenten der Weg geöffnet. Die Wirkung der gegeneinander geriebenen Wände wird noch durch aufgenommene Steinchen erhöht, die nach längerem Verweilen im Kaumagen durch die 344 Muskelmagen der Vögel. Reibtätigkeit abgeſchliffen und aller Kanten und Ecken beraubt erſcheinen. Die Aufnahme von Steinchen iſt bei den Körner- und Geſämefreſſern am reichlichſten, entſprechend der bedeutenden Härte und Widerſtandsfähigkeit ihres Futters; an den allesfreſſenden Krähen hat man beobachtet, daß ſie bei pflanzlicher Koſt mehr Steine aufnehmen als bei tieriſcher. Vielleicht hängt das Verſchlingen von Steinchen bei Pflanzenfreſſern auch mit dem Koch- ſalzbedürfnis des Körpers zuſammen, das durch pflanzliche Nahrung erhöht wird. — Einen Kaumagen, der dem der Vögel ähnlich iſt, finden wir auch bei Krokodilen, und auch dieſe verſtärken ſeine Wirkung durch Aufnahme von Steinen. Ja man hat auch — u IS EI 64% % „ At 1600000 _ 2 104 0 | I WG, A, , Mere \ , s * \ 7 , N N % % 7 \ N 7 15 \ W / Q; 7 Abb. 230. Magen des Schwans von der Seite (4) und Querſchnitt des Muskelmagens (2). 1 Drüſenmagen, 2 Muskelmagen, 3 Sehnenplatte, in 5 Zwiſchenmus— kel, 4 Dünndarm, 5 Muskelmaſſen, 6 Sekretlamelle, die den Muskel- magen auskleidet. an beſtimmten Stellen in den verſteinerten Reſten der krokodilähnlichen Teleoſaurier der Jurazeit abgeſchliffene Steinchen gefunden und daraus den Schluß gezogen, daß ſie eben— falls einen ſolchen Kaumagen beſaßen. Im Muskelmagen werden auch bei den fleiſch- und inſektenfreſſenden Vögeln ſowie bei vielen Fiſchfreſſern die verdaulichen Teile der Nahrung von den harten, unverdaulichen Beſtandteilen, wie Haaren und Knochen, Fiſchſchuppen, Inſektenpanzern u. dgl., Kgeſondert; dieſe Reſte werden zu länglichen Klumpen zuſammengepreßt und durch den Mund als Gewölle nach außen geſchafft. y) Der Darm und ſeine Anhänge. Die bisher betrachteten Verdauungsvorgänge, die durch die Fermente des Speichels und Magenſaftes veranlaßt werden, ſind mehr akzeſſoriſcher Natur, wie ſich ſchon daraus ergibt, daß ſie nicht allgemein bei den Wirbeltieren verbreitet ſind, ſondern mehrfach Vergrößerung der inneren Darmoberfläche. 345 fehlen. Damit iſt ihre Bezeichnung als Vorverdauung gerechtfertigt. Die Hauptver— dauung dagegen findet im Mitteldarm ſtatt; aber der wirkſame Verdauungsſaft iſt nicht etwa das Sekret der Darmſchleimhaut, der Darmſaft, ſondern dasjenige der Bauchſpeichel drüſe oder des Pankreas und in zweiter Linie das der Leber. Dieſe beiden Verdauungs— drüſen kommen allen Wirbeltieren ohne Ausnahme zu; nur beim Amphioxus iſt bloß eine Anhangsdrüſe des Darms vorhanden, die man hergebrachterweiſe als Leber be— zeichnet, ohne ihre Verrichtung genauer zu kennen. Der Darm bietet ſomit den wichtigſten Verdauungsraum. Er muß daher geräumig ſein, wo große Nahrungsmengen aufgenommen werden, wie bei den Pflanzenfreſſern, und kann dort eng ſein, wo eine geringe Maſſe Nahrung genügt, wie bei den Fleiſchfreſſern. Aber er hat noch eine andere hervorragende Bedeutung: er iſt das Hauptreſorptionsorgan. Für die Reſorptionstätigkeit des Darmes kommt die Größe ſeiner Oberfläche in Betracht; je mehr Oberflächenteile reſorbierend tätig ſind, um ſo ener— giſcher wird die Reſorption vor ſich gehen. Natürlich iſt für die Größe der Oberfläche in erſter Linie die Länge und Weite des Darmrohrs von Bedeutung; dort wo wegen großer Mengen magerer Nahrung ein weiter und langer Darm vorhanden iſt, wird damit auch eine größere Oberfläche zur gehörigen Aus— nutzung der geringen vorhandenen Nährſtoffe gegeben. Überall aber in der Wirbeltierreihe, Amphioxus wiederum ausgenommen, iſt die Darmſchleimhaut nicht einfach glatt, ſondern ihre Ober— fläche wird durch Bildung von Falten oder noch bedeutender durch feine kegelförmige oder zylindriſche Erhebungen, ſo— genannte Zotten, vermehrt, bei den Fiſchen und Amphibien in geringerem Maße, bei den Reptilien und beſonders den Vögeln und Säugern ausgiebiger. Im Fiſchdarm begegnen wir meiſt Schleimhautfalten, in wechſelnder Zahl und Anordnung. Nur eine große, der Darmrichtung parallele Falte enthält der . 5 8 2 AR ; * Darm des glatten Haies Darm der Rundmäuler; bei den Selachiern iſt die Länge (Mustelus laevis Risso) . 8 5 8 ey Yy 0 fgeſchnitten, die dieſer einen Falte und damit ihre Oberfläche dadurch beträchte "Sykrattatte zu seinen. lich vermehrt, daß ſie in mehr oder weniger engen Spiral— In das Darmlumen iſt eine Sonde () eingeführt. windungen verläuft (Abb. 231). So macht die Spiralfalte in dem 16 em langen Mitteldarm des Heringshaies (Lamna cornubica Flem.) 40 Um- drehungen und bewirkt damit eine Vergrößerung der Oberfläche dieſes Darmabſchnittes auf das Sechsfache; freilich wird durch eine ſo eng gewundene Spiralfalte die Be— wegung der Nahrung im Darm ſehr verlangſamt. Eine Spiralfalte finden wir auch bei Schmelzſchuppern und Lurchfiſchen, und in früheren Perioden kam ſie auch höheren Tierformen zu; daß z. B. die Ichthyoſaurier und andere alte Reptilien eine ſolche be— ſaßen, geht aus der gedrehten Form ihrer verſteinerten Kotballen, der Koprolithen mit Sicherheit hervor. Bei den Knochenfiſchen find zahlreiche, aber niedrigere Falten vor-“ handen, die oft netzartig miteinander verbunden ſind. Zotten ſind bei den Fiſchen ſelten und fehlen bei den Amphibien; bei den Reptilien kommen ſie nur wenigen Formen zu, faſt allgemein aber ſind ſie bei den Vögeln und den Säugetieren verbreitet, deren Darm— ſchleimhaut dadurch ein ſamtiges Ausſehen erhält. Sie bewirken die ausgiebigſte Ver— mehrung der Oberfläche; beim menſchlichen Dünndarm z. B. iſt dieſe durch den Beſatz 346 Blinddärme. mit Zotten mindeſtens doppelt jo groß (über 1 m), als ſie bei glatter Schleimhaut ſein würde. Eine Vermehrung der Kapazität und Oberfläche des Darmes wird durch die Blind- därme herbeigeführt. Sie fehlen den meiſten Selachiern und Knorpelganoiden. Bei den Knochenfiſchen finden wir gleich hinter dem Magen eine wechſelnde Anzahl von Blind— ſäcken, die als Pylorusanhänge (Appendices pyloricae) bekannt ſind; ſie können ganz fehlen (karpfen- und welsartige Fiſche), nur in geringer Zahl vorkommen (Lophius piscatorius L. 1, Flußbarſch 3) oder bis faſt 200 vorhanden fein (Makrele 191). Ihre Funktion iſt nicht genauer bekannt, doch ſcheint ſie von der des Darmes wenig ab— zuweichen, da ihr Epithelbelag ganz dem der Darmſchleimhaut gleicht. Gegen eine be— ſonders hohe Wichtigkeit ſpricht die große Verſchiedenheit in ihrem Vorkommen, das auch bei nahen Verwandten wechſelnd ſein kann; ſo kommen ſie manchen Arten der Gattung Ophidium zu, anderen fehlen ſie, und innerhalb der Familie der Salmoniden ſchwankt ihre Zahl von 5 (Stint) bis über 150 (manche Felchen). — Die höheren Wirbeltiere beſitzen Blinddärme weiter hinten am Darm, am Übergang des Dünndarms in den Dick— darm. Bei Amphibien vermiſſen wir ſie, bei manchen Reptilien treten ſie auf und ſind bei Vögeln und Säugern faſt regelmäßig vorhanden. Reptilien und Säuger haben ſtets nur einen Blinddarm, bei den Vögeln iſt er paarig, und nur bei einigen (z. B. dem Bläßhuhn Fulica) kommt noch ein unpaarer Blinddarm an anderer Stelle dazu. Be— ſonders gut ſind die Blinddärme bei den pflanzenfreſſenden Vögeln ausgebildet, unter den fleiſchfreſſenden haben nur die Eulen lange Blinddärme. Ahnlich iſt der Blinddarm bei den fleiſchfreſſenden Säugern ſehr klein; den karnivoren Beutlern fehlt er, bei den frucht— und pflanzenfreſſenden iſt er lang. Bei den herbivoren Nagern und Huftieren zeichnet er ſich durch ſtarke Entwicklung aus, beim Pferde z. B. mißt er über 60 em in der Länge und hat mehr als die doppelte Kapazität des Magens. Bei den Primaten iſt er kurz, und ſein Ende iſt zu einem dünnen Anhang des eigentlichen Blinddarms, dem ſo— genannten Wurmfortſatz, zurückgebildet, der ein funktionsloſes Organ darſtellt. Bei fleiſchfreſſenden Wirbeltieren wird ein geringerer Darmraum und eine geringere Schleimhautfläche notwendig ſein als bei Pflanzenfreſſern. Nun iſt uns über dieſe Größen noch wenig bekannt; bisher hat man oft die Länge des Darmrohrs als Maß ſeiner Leiſtungen angenommen und die relativen Längen des Darmes im Vergleich zur Körperlänge bei verſchiedenen Tieren verglichen; die Länge des menſchlichen Darmes z. B., der 9,5 mal jo lang iſt als der Rumpf vom Scheitel bis zum Darmbein, wird alſo dabei mit 9,5 in Anſatz gebracht. Aber weder Darmraum noch Schleimhautfläche müſſen bei gleicher abſoluter Länge des Darmes ebenfalls gleich ſein; jene Größen wechſeln mit dem Durchmeſſer und mit der Geſtaltung der Innenfläche. So erklärt es ſich vielleicht, daß bei drei ſich in ganz ähnlicher Weiſe ernährenden Säugern aus der Ordnung der In— ſektenfreſſer, dem Igel, dem Maulwurf und dem Biſamrüſſler (Myogale) die relativen Darmlängen ſehr verſchieden ſind, nämlich der Reihe nach 7, 10—11 und 13; denn im Darmkanal des Biſamrüſſels fehlt die Flächenvergrößerung durch Zotten ganz, und beim Maulwurf ſind die Zotten äußerſt klein, beim Igel dagegen normal ausgebildet; der Unterſchied in der Schleimhautfläche iſt daher wahrſcheinlich nur gering bei dieſen drei Tieren. Aber auch die Berechnung der gebrauchten Vergleichszahlen iſt nicht rationell; bei einem langgeſtreckten Tiere wie einer Schlange oder Blindſchleiche wird im all— gemeinen die relative Darmlänge viel kleiner ſein als bei einem kurzen, gedrungen ge— bauten, etwa der Schildkröte; die Körperlänge ſteht bei ihnen nicht im gleichen Ver— Länge des Darmes. 347 hältnis zur Körpermaſſe. Es iſt erklärlich, daß bei jenen der Darm wenig gewunden und nicht viel über körperlang iſt, während er bei einer Schildkröte mehrere Schlingen bildet und die fünf- bis neunfache Körperlänge erreicht. Dazu kommt noch eines. Wenn man bei zwei Tieren von gleicher Ernährungsart auf die Maſſeneinheit des Körpers eine gleichgroße Fläche der Darmſchleimhaut erwarten darf, etwa auf 1 kg Körpermaſſe 200 em?, jo wird bei dem kleineren Tiere, bei geometriſcher Ahnlichkeit des Baues, der Darm kürzer ſein müſſen als beim größeren; denn mit dem Wachſen der Längeneinheit nehmen die Oberflächen weniger ſchnell zu als die Maſſen, jene im Quadrat, dieſe im Kubus (vgl. oben S. 46). In der Tat haben auch die kleinſten Säuger den relativ kürzeſten Darm, nämlich die Fledermäuſe (Vespertilio murinus Schreb. mit 1,9 relativer Darmlänge) und die Spitzmäuſe. Wollte man daher die Wirbeltiere einfach nach der relativen Länge ihres Darm— kanals anordnen, ſo würde man in bunter Miſchung fleiſch- und pflanzenfreſſende Formen nebeineinander bekommen. Immerhin wird mancher Fehler ausgeſchaltet, wenn man Tiere von nicht zu bedeutendem Größenunterſchied vergleicht, beſonders wenn ſie einander verwandtſchaftlich nicht zu fern ſtehen. Es zeigt ſich dann im allgemeinen, daß der Darm der Pflanzenfreſſer in der Tat länger iſt als der der Fleiſchfreſſer. Bei den Zahnkarpfen (Cyprinodonten) z. B. haben die fleiſchfreſſenden Gattungen (Cyprinodon, Fundulus) einen kurzen Verdauungskanal, bei den pflanzenfreſſenden dagegen (Girardinus, Poecilia) bildet er zahlreiche Windungen. Die allesfreſſende Kaulquappe hat einen Darm, der die Länge des Körpers vielfach übertrifft und in ſpiraliger Aufrollung in der Leibeshöhle Platz findet (Abb. 232), bei dem fleiſchfreſſenden Froſch dagegen iſt der Darm nur wenig länger als der Körper. So haben unter den Beutlern der Beuteldachs (Perameles 1 nasuta Geoffr.) und eine Beutelratte (Didelphys philander L.), die ſich Froſchlarve von Fleiſchkoſt nähren, eine relative Darmlänge von 3,5 bzw. 3,3, während deren ade deren Darm bei dem pflanzenfreſſenden Wombat (Phascolomys wombat Per. Les.) und durch Eutfer Flugbeutler (Petauroides volans Kerr.) dieſe Zahlen 8 bzw. 9,2 betragen. en Unter den Vögeln iſt die relative Darmlänge bei den Fleiſch- und . Fruchtfreſſern meiſt kleiner als 5, bei den Körner- und Pflanzenfreſſern dagegen meiſt größer als 8; aber es gibt zahlreiche Ausnahmen, die nicht ohne weiteres durch ſchwächere Ausbildung der Blinddärme erklärbar ſind. Auch die bekannte Zu— ſammenſtellung der Darmlängen der Haustiere in abgerundeten Zahlen (Hund und Katze 5, Pferd 10, Schwein 15, Rind 20, Schaf 25) gibt uns kein befriedigendes Bild. Weshalb ſteht das allesfreſſende Schwein nach dem pflanzenfreſſenden Pferd, und woher der große Unterſchied zwiſchen Pferd, Rind und Schaf? Hier ſind neue Grundlagen für die Vergleichung nötig. Daß ſich der Einfluß der Nahrung in der Längenentwicklung des Darmkanals zeigen kann, geht viel unzweideutiger aus einigen anderen Zahlen hervor. So iſt nach Dauben— ton der Darmkanal der Hauskatze, die im gezähmten Zuſtande kein ausſchließlicher Fleiſch— freſſer iſt, weiter und um ein Drittel länger als bei der Wildkatze, und beim Wolf beträgt nach Gurlt die relative Darmlänge 4, dagegen beim Hund, der faſt zum Allesfreſſer geworden iſt, 5—6. Neuerdings aber iſt dieſer Einfluß direkt durch Verſuche bewieſen worden. Die Kaulquappen des Froſches und ſeiner Verwandten ſind Allesfreſſer; ſie nehmen im allgemeinen Schlammerde auf und verdauen die darin enthaltenen pflanzlichen 348 Darmdrüſen. und tieriſchen Organismen. Babak und Yung fütterten, unabhängig voneinander, Kaul— quappen gleicher Herkunft teils mit rein pflanzlicher, teils mit rein tieriſcher Nahrung. Einige Wochen vor der Metamorphoſe fand Babaf die relative Darmlänge im Durch— ſchnitt bei den Pflanzenfreſſern 7, bei den Fleiſchfreſſern 4,4 (Abb. 233); der kürzeſte Darm eines Pflanzenfreſſers maß 5,7, der längſte eines Fleiſchfreſſers 4,9 Körperlängen. Babak verſuchte weiter, die bewirkenden Urſachen der Darmverlängerung zu erforſchen. Dabei erwieſen ſich mechaniſche Reize als unwirkſam: eine Beimiſchung von Zelluloſefaſern oder Glaspulver zur Fleiſchnahrung bewirkte keinerlei Unterſchiede; ſolche wurden jedoch durch Beimiſchung chemiſch wirkender Mittel erzielt: Miſchung der Fleiſchkoſt mit Pflanzen— eiweiß oder mit Salzen, die aus pflanzlichen Stoffen extrahiert waren, hatten eine Ver— längerung des Darmes zur Folge. Es ſind alſo wohl chemiſche Reize, denen wir dieſe Veränderungen zuſchreiben dürfen. Dem Darmſaft, der von der Darmſchleimhaut abgeſondert wird, kommt, wie ſchon erwähnt, keine verdauende Kraft zu, mit Ausnahme einer ganz geringen diaſtatiſchen Wir— kung. Er iſt ſehr reich an Schleimſtoff oder Mucin, der das Gleiten der Nahrungsmittel erleichtert, die Epithelien ſchützend überzieht und ſie durch ſeine Eigenſchaft, nicht zu faulen, vor Schädigungen ſichert. Außerdem enthält der Darmſaft reichlich kohlenſaures Natron und dient ſo einerſeits zur Neutraliſierung und Alkaliſierung des im Magen an— geſäuerten Speiſebreis, andererſeits zur Seifenbildung mit den aus dem Fett der Nahrung abgeſpaltenen Fettſäuren. Gebildet wird er durch die Becherzellen, die im Epithel der Abb. 289. Darmtnäuel von Froſch⸗ Schleimhaut und der zwiſchen den Falten oder Zotten larven, die mit Pflanzenkoſt () mündenden ſogenannten Lieberkühnſchen Drüſen verſtreut und mit Fleiſchkoſt (5) ernährt 85 . 55 8 Es 5 , A wurden. Nach Babät. ſind. Die Lieberkühnſchen „Drüſen“ haben kein eigentüm— liches Sekret; bei den Amphibien ſind ſtatt ihrer nur ſolide Zellknoſpen vorhanden, die in das Schleimhautbindegewebe hineinragen. Ihre Aufgabe iſt vielmehr, nach der jetzt verbreiteten Anſicht, eine andre: man findet in ihrem Epithel ſtets reichlich Zellteilungen, die ſonſt im Schleimhautepithel ſpärlich ſind oder ganz fehlen; es geht alſo hier eine Zellwucherung vor ſich, die den Erſatz für abgängige Epithelzellen, vor allem wohl für die ausgebrauchten Becherzellen ſchafft. Die verdauenden Säfte des Darmes werden in der Hauptſache vom Pankreas, der ſogenannten Bauchſpeicheldrüſe, geliefert. Dieſes, die eigentliche Verdauungsdrüſe, liegt am Beginn des Dünndarmes und mündet durch einen oder mehrere Ausführgänge in den— ſelben ein. Es iſt bei allen Wirbeltieren vorhanden, und wenn man es früher bei vielen Fiſchen vermißt hat, ſo kommt das daher, daß es ſich dort nicht als kompakte, auffällige Drüſe darbietet, wie bei den höheren Wirbeltieren, ſondern aus weit im Meſenterium verbreiteten, an den Blutgefäßen entlang kriechenden Drüſenſchläuchen beſteht. Sein Sekret iſt reich an kohlenſaurem Natron und enthält eine Anzahl von Fermenten: ein Eiweiß verdauendes, das Trypſin, ein diaſtatiſches und ein Fett löſendes. Bei manchen Fiſchen, ſicher wenigſtens beim Karpfen, kommt dazu ein Zelluloſe zerſetzendes Ferment, eine Cytaſe, durch die die Zelluloſe nicht wie bei der Bakteriengärung im Wiederkäuermagen bis zu Kohlenſäure und Sumpfgas geſpalten, ſondern wie bei der Weinbergſchnecke in lösliche Zuckerarten übergeführt und damit für die Ernährung nutzbar gemacht wird. Die Leber iſt mit ihrem Sekret an der Verdauung weniger beteiligt. Ihre Haupt— aufgaben ſind ganz anderer Art: ſie ſorgt für die gleichbleibende Zuſammenſetzung des A 5 Leber und Bauchſpeicheldrüſe. 349 Blutes, dient als Umwandlungsſtätte und Speicher für gewiſſe Vorratsſtoffe wie Glykogen, hält ſchädliche, vom Darm aufgenommene Subſtanzen zurück oder macht ſie unſchädlich und hat außerdem exkretoriſche Funktionen. Ihr Sekret, die Galle, iſt im Verhältnis zu ihrer Größe gering; beim Menſchen bildet die 1500—2000 g ſchwere Leber in 24 Stunden nur 400—800 & Galle, während die 24— 30 g ſchwere Ohrſpeicheldrüſe 800 —1000 g Speichel liefert. Das Leberſekret ſpielt bei der Darmverdauung in der Hauptſache keine ſelbſtändige Rolle, ſondern unterſtützt die Tätigkeit der Verdauungsfermente; es wirkt hemmend auf die Fermente des Magenſaftes und begünſtigt die des Bauch— ſpeichels. Daher ergießt es ſich an der gleichen Stelle in den Dünndarm wie dieſer. Beſonders das fettſpaltende Ferment des Pankreasſaftes wird durch die Galle verſtärkt, in geringerem Grade die übrigen. Beim Hunde geht zwar die Fettreſorption auch dann vor ſich, wenn infolge von Unterbindung des Gallenganges keine Galle in den Darmkanal eintreten kann; aber ſie iſt viel geringer als beim Zuſammenwirken von beiden Sekreten: es wird nur 40— 50% des vorhandenen Fettes aufgeſogen gegen 92— 95% beim normalen Zuſtand. Die Galle ſammelt ſich bei den meiſten Wirbeltieren in einem Reſervoir, der Gallenblaſe, und wird von dort aus, dem Bedürfnis entſprechend, in den Darm entleert. Bei einer Anzahl von Vögeln und Säugern jedoch fehlt die Gallenblaſe, und das Leber— ſekret fließt in demſelben Maße ab als es gebildet wird; bezeichnenderweiſe iſt das nur der Fall bei Pflanzenfreſſern, (aber durchaus nicht bei allen!), bei denen die aufgenommenen Fettmengen ſo gering ſind, daß die ſtetig gebildete Menge Galle zur Mithilfe bei ihrer Verſeifung ausreicht. So fehlt die Gallenblaſe den meiſten Tauben und Papageien, den Kolibris und den großen Laufvögeln (Straußen) und unter den Säugern den Unpaarhufern (Pferd uff.), dem Elefanten und dem Kamel, den Hirſchen und vielen Nagetieren. Die Tätigkeit der Verdauungsdrüſen iſt durchaus nicht gleichbleibend, gleichſam me— chaniſch; ſie harmoniert vielmehr in wunderbarer Weiſe mit den Bedürfniſſen und ihr Sekret erſcheint der Art und Menge der Nahrung angepaßt, wie beſonders von Pawlow und ſeinen Schülern durch Verſuche an Hunden bewieſen iſt. Die Abſonderung von Mundſpeichel iſt reichlich bei trocknen Speiſen, z. B. Brot, gering bei ſaftigen wie Fleisch. Der Speichel iſt dünnflüſſig und waſſerreich, wenn irgendwelche Stoffe wie Sand oder bittre Subſtanzen aus dem Munde zu entfernen ſind; er iſt mucinreich und zäh, wenn eßbare Subſtanzen zu einem ſchlüpfrigen Speiſeballen geformt werden müſſen. Die Ver— dauungskraft des Magenſaftes iſt verſchieden je nach der Verdaulichkeit des zugeführten Eiweißes: gering bei Milch, größer bei Fleisch, am größten bei Brot; die Fermentmengen verhalten ſich in dieſen drei Fällen wie 11:16:44. Im Pankreasſaft wechſelt die relative Menge der verſchiedenen Fermente nach der Beſchaffenheit der Nahrung. Das Eiweiß— ferment iſt am reichlichſten bei Zufuhr von Milch, das Stärkeferment bei Aufnahme von Brot; Fettferment iſt am meiſten in dem bei Milchkoſt abgeſchiedenen Saft vorhanden, am wenigſten bei Brotkoſt, während es bei Fleiſchkoſt die Mitte hält. Die feine Ab— ſtimmung des Sekrets entſprechend dem Bedürfnis geſchieht nicht etwa durch unmittelbare Reizung der Schleimhaut, ſondern durch Vermittlung der Drüſennerven, insbeſondere des Nervus vagus, z. T. auch des ſympathiſchen Nervenſyſtems. Die Reſorption der durch dieſe Mittel gelöſten Nahrung iſt kein einfacher Diffuſions— vorgang, wie er an toten tieriſchen Membranen beobachtet wird, die zwiſchen zwei ver— ſchiedenen Salzlöſungen ausgeſpannt ſind. Sonſt wäre es unerklärbar, daß aus Kochſalz— löſungen von ein bis zwei Prozent, deren osmotiſcher Druck niedriger iſt als derjenige der Blutflüſſigkeit, noch Kochſalz reſorbirt wird. Für ſolche einfache osmotiſche Vorgänge würde 350 Reſorption. Periſtaltik. eine Auskleidung des Darmes mit breiten, flachen Epithelzellen, wie die Blutgefäße ſie haben, völlig ausreichend ſein. Die Reſorption iſt vielmehr eine Lebensfunktion der Darmzellen, die deshalb dichtgedrängt in großer Zahl, als hohes Zylinderepithel den Darm bekleiden; ſie ſind die Träger der Triebkraft, die die Stoffe anzieht und auswählt. Wenn man ſie durch Gift ſchädigt, folgt die Reſorption nur den Diffuſionsgeſetzen und es treten bedenkliche Störungen ein. Vielleicht iſt es eine chemiſche Affinität des Darm— epithels zu den im Protoplasma löslichen Stoffen, die ſolche Stoffe in die reli Zellen Bineinicht Die Reſorption geht in geringem Maße jchon im Magen vor ſich; am regſten iſt ſie im Dünndarm, aber auch im Dick- und Blinddarm findet ſie ſtatt, wenn auch weit weniger lebhaft. Die reſorbirten Stoffe ſchlagen verſchiedene Wege im Körper ein. Die als Zucker reſorbirten Kohlenhydrate gelangen direkt in die Blutgefäße der Darmſchleim— haut. Ebendahin kommen die Eiweißſtoffe. Da ſie aber in Geſtalt von Spaltprodukten, von Peptonen, aufgeſogen werden, im Blut des Darmes jedoch keine Peptone nachweis— bar ſind, ſo liegt die Annahme nahe, daß in den Darmzellen aus den Peptonen wieder Eiweißſtoffe aufgebaut und dieſe an das Blut weiter gegeben werden. Das Fett dagegen, das wahrſcheinlich in Form von Seifen, d. h. von Alkaliſalzen der Fettſäuren aufgenommen und ebenfalls in den Darmepithelien regenerirt wird, gelangt in die Lymphwege des Darms, die ſogenannten Chylusgefäße, die überall die Darmſchleimhaut durchſetzen und bei Vögeln und Säugern blinde Aſtchen in die Zotten ſchicken; bei der Aufnahme von Fett durch die Darmſchleimhaut beobachtet man an dem Inhalt dieſer Gefäße eine milchige Trübung durch zahlreiche kleine Fetttröpfchen. Da die Lymphgefäße an beſtimmten Stellen in die Venen einmünden, gelangt auch das reſorbierte Fett auf dieſem Wege in— direkt in den Blutkreislauf. Durch das Blut werden die Nährſtoffe nach den Verbrauchs— und Speicherſtellen befördert. Die Fortbewegung der Speiſemaſſen im Darmrohr vom Schlund bis zum Enddarm geſchieht durch die Tätigkeit der Darmmuskulatur, die in einer äußeren Lage von Längs— muskeln und einer inneren Ringmuskellage beſteht. Nur am Anfange des Schlundes können dieſe Muskeln quergeſtreift ſein; in den übrigen Teilen des Darmrohres ſind ſie glatt. Sie ſtehen unter dem Einfluß eines beſonderen Nervengeflechts, das ſeinerſeits dem Nervus vagus untergeordnet iſt. Die Bewegungen des Darms ſind ſogenannte periſtaltiſche; ringförmige Einſchnürungen laufen, gegen das Hinterende fortſchreitend, über das Darmrohr hin und ſchieben dabei den Darminhalt vor ſich her. Bei den Schlangen iſt die Darmmuskulatur deutlich ſchwächer entwickelt als bei den anderen Reptilien; die Körpermuskulatur liegt bei der Schlankheit des Schlangenkörpers überall dem Darm jo nahe, daß ſie, beſonders beim Verſchlingen der Beute, die Periſtaltik des Darmrohrs unter— ſtützen kann. Wenn der wäſſerig-breiige Darminhalt in den Dickdarm gelangt, find die in ihm enthaltenen Nährſtoffe zum größten Teil reſorbiert. Durch die aufſaugende Tätigkeit der Dickdarmwandung verliert er jetzt viel von ſeiner Flüſſigkeit, wird konſiſtenter und bildet den Kot, durch Abſonderungen der Darmſchleimhaut vermehrt. Die Waſſerentziehung iſt bei verſchiedenen Tieren mehr oder weniger gründlich; die Exkremente des Schafes ent— halten nur noch 56% Waſſer, die des Pferdes 77% q die des Rindes 82%. Die Er- kremente nehmen im Dickdarm beſtimmte Formen an, die für die Tiere charaktere ſind, ſo daß ſie der Jäger bei den Säugern geradezu als „Loſung“ bezeichnen kann. Im Dickdarm des Pferdes ſind durch zahlreiche Falten kleinere Taſchen gebildet, wodurch Kot. 351 die Kotmaſſen zu einzelnen Ballen abgeteilt werden; jeder Ballen erhält von der an liegenden Schleimhaut einen Schleimüberzug; daher bleiben die Ballen auch im Enddarm geſondert, wo fie dicht beieinander lagern. Bei Schaf, Ziege, Reh, Haſe u. a. wird das gleiche Ergebnis durch ringförmige Kontraktionen der Darmmuskulatur erreicht, die dem Dickdarm ein perlſchnurartiges Ausſehen geben, dadurch werden die einzelnen kleinen Kotballen voneinander getrennt. Die Exkremente der Rinder ſind zu flüſſig, um eine feſte Form an— zunehmen. Bei vielen Tieren mit einfachem Dickdarm formt ſich der Kot zu walzen förmigen Maſſen, die bei der Entleerung durch Kontraktionen des Afterſchließmuskels in einzelne Stücke zerſchnitten werden. Daß die verſteinerten Exkremente, die Koprolithen der Ichthyoſaurier, durch ihre Form einen Rückſchluß auf den Bau ihres Darmes geſtatten, wurde oben (S. 345) erwähnt. Die Entleerung des Kotes geſchieht durch kräftige peri— ſtaltiſche Bewegungen des Enddarmes, die meiſt noch durch die willkürliche Tätigkeit der Bauchpreſſe unterſtützt werden. Die Maſſe des Kotes wird direkt durch die Art der Nahrung bedingt; groß iſt ſie bei Pflanzenfreſſern, wo in der Nahrung viele unverdauliche Teile enthalten ſind; Alles— freſſer halten die Mitte; bei den Fleiſchfreſſern dagegen iſt ſie gering, ja bei Schlangen werden die ganz verſchluckten Beutetiere ſo völlig verdaut, daß kaum eine Spur davon durch den After abgeht; was hier entleert wird, iſt vielmehr faſt nur das Sekret der Nieren. Der den Exkrementen eigene Geruch hängt zum Teil mit der Beſchaffenheit der Nahrung zuſammen (z. B. flüchtige Fettſäuren), und mit der Art der Fäulnisprozeſſe, die im Dickdarm vor ſich gehen, z. T. wird er von Abſonderungen des Darms und der Afterdrüſen (Viverren, Marder u. a. Raubtiere) bedingt. Bei den Fleiſchfreſſern überwiegt meiſt ein fauliger Geruch des Kotes, der bei den Pflanzenfreſſern nicht in dem Maße hervortritt. 5. Speicherung und Stoff wanderungen; Nahrungsmenge. Im Tierkörper finden Stoffwanderungen in großer Ausdehnung ſtatt. Die von der Darmwandung aufgeſogenen und in den Blutkreislauf beförderten Nährſtoffe gelangen nicht direkt an die Verbrauchsſtellen, ſondern werden zum großen Teil, ja vielleicht ganz aufgeſpeichert, um ſpäter verbraucht zu werden. Es iſt nicht ſicher, ob normalerweiſe die eben aufgenommenen Stoffe ſofort zur Verwendung kommen, ſolange noch Vorräte vorhanden ſind; wahrſcheinlich lebt das Tier überhaupt aus Vorrat und ergänzt die Vor— räte ſtändig aus den Nährſtoffen. Die Form, in der die Kohlenhydrate geſpeichert werden, iſt das Glykogen, die ſogenannte tieriſche Stärke, eine ſchwer diffundierende kolloide Sub— ſtanz; wenn ſie angegriffen werden ſoll, muß ſie zuvor durch Fermente in leicht lösliche Zucker, Maltoſe und Traubenzucker, geſpalten und in dieſer Form an die Verbrauchs ſtellen befördert werden. Andre Vorräte werden in Form von Fett aufgeſtapelt, und zwar an beſtimmten Stellen des Körpers, wo das Fett in Geſtalt von großen, oft ge färbten Tropfen in den Zellen liegt, die dadurch zu Fettzellen werden; die Fetttropfen ſind gewöhnlich gelblich bis braun, bei vielen Krebſen orangerot, bei manchen Inſekten rot, bei den Krokodilen grün. Fett und Glykogen vertreten einander, wie Fett und Stärke z. B. in den Pflanzenſamen, die ihre Vorräte teils in dieſer, teils in jener Form mit— bekommen. Ja ſie können ineinander übergehen: am erſten Tage der Verpuppung ent— hält die Puppe des Seidenſchmetterlings (Bombyx mori L.) noch einmal ſoviel Glykogen als ihre Raupe beim Beginn des Einſpinnens; da in dieſer Zeit eine Nahrungsaufnahme nicht erfolgt, muß dies Glykogen aus Leibesſubſtanz gebildet ſein; daß es ſich auf Koſten 352 Speicherung. von Fett bildet, geht mit Wahrſcheinlichkeit daraus hervor, daß der größte Vorrat an Glykogen im Puppenſtadium mit dem geringſten Beſtand an Fett zuſammenfällt. Schon bei Protozoen findet man beiderlei Speicherſtoffe, gefärbte Fetttropfen z. B. bei der Foraminifere Discorbina, Glykogen bei Amoeben, Pantoffel- und Glockentierchen (Paramaeeium, Vorticella) u. a. Über den Fettgehalt niederer vielzelliger Tiere iſt wenig bekannt. Bei den Gliederfüßern iſt allgemein ein mehr oder weniger mächtiger Fett— körper vorhanden; dies iſt der Speicher, in dem die Larven, das eigentliche Freßſtadium der Inſekten, die Nährſtoffe anhäufen, aus denen die Puppe und das oft gar keine Nahrung aufnehmende fertige Inſekt ihre Ausgaben beſtreiten, vor allem die Bildung der Geſchlechts— produkte, beſonders der Eier. Bei den Mollusken wird das Fett beſonders in der Um— gebung der Mitteldarmſäcke, der ſogenannten Leber, aufgehäuft. Die Verbreitung des Glykogens iſt uns beſſer bekannt. Reich an Glykogen ſind die Muſcheln; die Herzmuſchel (Cardium) z. B. enthält 14% ihrer Trockenſubſtanz, die Auſter 9½% an Glykogen. Bei Schnecken wird es in der Umgebung der Mitteldarmſäcke aufgeſtapelt; nach 24ſtündiger Fütterung enthält dieſe zehnmal ſoviel Glykogen als ein gleichſchweres Stück des übrigen Körpers; auch bei Tintenfiſchen iſt Glykogen nachgewieſen. Unter den Würmern ſind beſonders die Eingeweidewürmer mit ihren überaus günſtigen Ernährungsbedingungen reich an Glykogen; beim Spulwurm (Ascaris) kann es bis ein Drittel (20-34%), beim Bandwurm (Taenia) faſt die Hälfte (15 — 47%) der Trockenſubſtanz ausmachen; auch beim Regenwurm und in der Markſubſtanz der Muskeln beim Blutegel findet es ſich. Große Mengen von Glykogen ſtapeln die Fliegenlarven in ihrem Fettkörper auf. Bei den Wirbeltieren iſt das Glykogen beſonders in der Leber und in den Muskeln enthalten. Das Fett hat ſeinen Hauptſtapelplatz in der Leber, deren Fettreichtum („Leber— tran“) bei Fiſchen z. B. ja allbekannt iſt, und unter der Haut. Beim Froſch ſitzt jeder— ſeits ein gelappter Fettkörper vor den Nieren. Bei Vögeln und Säugern bilden ſich Läppchen der Fettkörper am Darm und entlang den Blutgefäßen des Meſenteriums, um reiche Kapillargebiete derart, daß beinahe jede Fettzelle an eine Blutkapillare ſtößt und jedes Läppchen ſein eigenes Kapillarſyſtem hat. Überall iſt bei ihnen Unterhautfett vor— handen, am reichlichſten bei Waſſervögeln und Waſſerſäugern, wo es zugleich als Wärme— ſchutz dient; beſondere Anhäufungen des Hautfetts ſind die Höcker der Kamele und des Buckelochſen (Bos indicus L.), die bei guter Ernährung prall gefüllt, in Zeiten des Mangels aber ſchlaff und leer ſind. Reiche Fettmaſſen enthält auch das Knochenmark. Der Abbau dieſer Vorräte geſchieht ſtändig, wird aber nicht bemerkbar, wenn zu— gleich der Erſatz weiter geht. Sobald aber dieſer aufhört, ſobald das Tier hungert, werden die Vorräte gemindert. Beim Spulwurm ſchwindet das Glykogen, wenn das Wirtstier hungert oder wenn er ſelbſt dem Hunger ausgeſetzt wird, und zwar in dieſem Fall, nach Weinlands Unterſuchungen, um 0,73% täglich; bei dem Krebschen Leptodora hyalina Lillj. beobachtete Weismann fortwährende tägliche Schwankungen des Fettes im Fettkörper je nach dem augenblicklichen Ernährungszuſtand. Bei Fiſchen (Plötze, Barſch, Stichling); bemerkte Flemming den Beginn des Fettſchwundes ſchon nach halb— tägiger Gefangenſchaft. Der Fettkörper der Fröſche iſt vor der Winterruhe prall gefüllt, im Frühjahr dagegen faſt leer. Der Glykogengehalt des Froſchkörpers iſt am größten im September; im März ſind noch zwei Drittel davon vorhanden; nach der Eiablage tritt der tiefſte Stand ein, um dann allmählich wieder anzuſteigen. Die Menge des Glykogens in den einzelnen Muskeln des gleichen Tieres iſt verſchieden, ſie entſpricht den Anforderungen, die an den betreffenden Muskel geſtellt werden; durch angeſtrengte Stoffwanderungen. 353 Arbeit ſchwindet das Glykogen im Muskel, wird aber ſofort wieder aus der Leber erſetzt, ſo daß dadurch zunächſt das Leberglykogen vermindert wird. Zu einer völligen Aufzehrung von Glykogen und Fett kommt es meiſt nicht. Beim Hungern wird das Glykogen zwar ſtark vermindert, kann aber nicht ganz zum Schwinden gebracht werden; es entſteht wahrſcheinlich fortgeſetzt neues Glykogen auf Koſten anderer Körperbeſtandteile. Der Abbau allen Fettes bedeutet für den Menſchen eine ſchwere Geſundheitsſchädigung. Nach Verbrauch der Vorräte werden beim Hunger die Organe des Körpers angegriffen, um die zur Erhaltung des Lebens nötigen Stoffe zu liefern, aber nicht alle gleichmäßig; vielmehr werden die lebenswichtigſten Organe, beſonders das Nervenſyſtem und bei den Wirbeltieren das Herz, am wenigſten beeinträchtigt. Hungernde Strudelwürmer (Trikladen) können bis auf ein Zehntel ihres Volums zuſammenſchrumpfen; am ſchnellſten tritt die Degeneration im Bereiche ihrer . auf: zuerſt werden die Dotterſtöcke, dann der Begattungsapparat, ſchließlich Hoden und Ovarien angegriffen; die übrigen Organe bleiben möglichſt lange erhalten, am längſten das Nervenſyſtem. Beim Menſchen unterliegen die verſchiedenen Gewebe, auch die Knochen, der Einſchmelzung in ungleichem Maße, am wenigſten die roten Blutkörperchen und das Nervenſyſtem; letzteres beherrſcht mit dem Blutkreislauf auch den Stofftransport und zwingt gewiſſer— maßen die übrigen Organe, für ſeinen Unterhalt zu ſorgen. Gewaltige Stoffumſetzungen und -wanderungen ſpielen ſich beim Lachs (Salmo salar L.) ab, wenn er zum Laichen vom Meere in die Flüſſe aufſteigt; ſie ſind am Rheinlachs von Mieſcher ſehr genau verfolgt. Der Lachs betritt das Flußgebiet des Rheines mit minimalem Eierſtock oder Hoden; er bleibt je nach den Umſtänden 5, 10, 12, ja 15 Monate und nimmt während dieſer ganzen Zeit keine Nahrung zu ſich. Da— bei leiſtet er die mächtige Arbeit, ſtromaufwärts bis in die ſchnellfließenden Zuflüſſe, über Straßburg und Baſel hinaus, zu ſchwimmen, während zugleich bei den Weibchen der Eierſtock, der anfangs nur Y,,, der feſten Körperbeſtandteile ausmacht, auf ein Drittel der Körpermaſſe anwächſt. Die Stoffquelle für dieſe Ausgaben iſt der große Seiten— rumpfmuskel; die Fibrillen desſelben lockern ſich unter fettiger Degeneration und ſein Gewicht nimmt mit dem Wachſen des Eierſtocks ab, während das Gewicht der Floſſen— muskeln und des Herzens gleich bleibt. Ahnlich ſtellt, nach Pflügers Unterſuchungen, die Larve der Geburtshelferkröte (Alytes), wenn fie eine Länge von etwa 8,1 em erlangt hat, die Nahrungsaufnahme ein, lebt fünf Wochen lang auf Koſten ihres 5 em langen Ruderſchwanzes und bildet während dieſer Zeit ihre Gliedmaßen. Die Stoffwanderungen beim Lachs und das Aufzehren des Schwanzes in der Metamorphoſe der Froſchlurche geſchieht nicht auf die gleiche Weiſe; während beim Lachs der Blutſtrom die aufgelöſten Stoffe ihrer Verbrauchsſtelle zuführt, ſind es bei den Kaulquappen die beweglichen Blut— körperchen, die Leukozyten, die als Freßzellen oder Phagozyten die Beſtandteile des Larven— ſchwanzes aufzehren und durch aktive Wanderung in den Körper hinein transportieren. Ahnlich wie bei der Umwandlung der Froſchlarven gehen die Stoffwanderungen bei der Verpuppung der Inſekten durch Hilfe von Phagozyten vor ſich, wobei es auch zur Auf— löſung und Neubildung des größten Teils der Organe kommt. Die Möglichkeit der Stoffſpeicherung bildet für den Organismus eine Sicherung für Zeiten des Nahrungsmangels. Bei Pflanzenfreſſern iſt ein Freſſen auf Vorrat viel weniger leicht als bei Fleiſchfreſſern; denn ihre Nahrung muß wegen des geringeren Nährſtoffgehalts in viel größeren Maſſen aufgenommen werden als bei dieſen und be— anſprucht ſchon normalerweiſe einen ſo großen Raum, daß eine Steigerung nur in Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 23 354 Nahrungsbedürfnis. geringem Maße möglich iſt; aber andrerſeits ſteht auch den Pflanzenfreſſern die Nahrung leichter zu Gebote, da ſie am Boden feſtgebannt iſt und ihnen nicht aktiv entgehen kann. Tiere mit nährſtoffreicher Nahrung können leichter in Vorrat freſſen: ſo z. B. die Blut— ſauger; der Blutegel, der das vier- bis fünffache ſeines Körpergewichts an Nahrung auf— nehmen kann, reicht damit neun Monate, und von der Bettwanze berichtet ſchon der Paſtor Goeze, daß ſie nach reichlicher Nahrungsaufnahme ſechs Jahre lang ohne Nahrung weiter leben kann. Rieſenſchlangen (Python reticulatus Gray) halten drei viertel Jahr ohne Futter aus; aber große Stücke können auch auf einmal Nahrungsmaſſen bis zu 50 kg hinunterwürgen. Ebenſo können Raubtiere große Futtermengen aufnehmen; Al tum be— richtet von einer Füchſin, die, durch einen blinden Schuß erſchreckt, 42 Mäuſe von ſich gab. Unter den Reptilien müſſen nach Werner die pflanzenfreſſenden viel öfter Nah— rung zu ſich nehmen als die fleiſchfreſſenden: Uromastix acanthinurus Bell. fraß in der Gefangenſchaft mindeſtens jeden zweiten Tag bis zur Sättigung und gab ſchon nach zwei— bis dreitägigem Hungern deutliche Zeichen von Schwäche und Unbehagen, während Varanus griseus Daud. an 285 Beobachtungstagen nur 41 mal Futter nahm und ſelbſt mehr— wöchiges Hungern gut aushielt. Von den Fleiſchfreſſern ſind die Inſektenfreſſer wohl zu ſcheiden; ihre Nahrung enthält ſehr reichlich unverdauliche Hartteile, die wahrſcheinlich wieder als Reiz für den Darm wirken und dieſen zu lebhafter Arbeit veranlaſſen; daher hält die Nahrung nicht lange vor. Ein Maulwurf kann nicht länger als zwölf Stunden ohne Nahrung bleiben und verzehrt täglich mindeſtens ſein Eigengewicht an friſcher Nahrung; kleine inſektenfreſſende Vögel halten das Hungern kaum einen halben Tag aus, Fink und Fliegenſchnäpper noch nicht einen Tag, eine fette Droſſel etwa zwei Tage, dagegen große Raubvögel zwei bis drei Wochen. Überhaupt ſpielt bei den Warmblütern die Körpergröße eine große Rolle für das Nahrungsbedürfnis: das Kaninchen z. B. be— anſprucht unter ſonſt gleichen Verhältniſſen doppelt ſo viel Nahrung als das Rind; kleine Tiere haben eine verhältnismäßig größere Körperoberfläche als große und oft einen geringeren Wärmeſchutz, und verausgaben daher mehr Wärme als jene, die dann durch Stoffwechſelwärme erſetzt werden muß. Daher werden ihre Vorräte ſchnell aufgebraucht. Daß das geſamte Nahrungsbedürfnis bei den Pflanzenfreſſern viel größer iſt als bei den Fleiſchfreſſern, iſt leicht zu zeigen. Die Raupe des Kiefernſpinners (Lasiocampa pini L.), die erwachſen 3—4 g wiegt, braucht vom Verlaſſen des Eies bis zur Verpuppung 900— 1000 Kiefernadeln, das bedeutet eine Nahrungsmenge von 25—30 g; der Seiden— wurm, die Raupe von Bombyx morix L. erreicht im Durchſchnitt ein Gewicht von 2,68 & und verzehrt während ihres Lebens etwa 12,5 kg Maulbeerblätter, ein allerdings waſſer— reiches Futter, alſo das 4659 fache ihres Gewichts. Dagegen erreicht die Schlupfweſpe Rhyssa persuasoria L., die ſich im Innern der Larve einer Holzweſpe auf Koſten von deren Körperſäften entwickelt, ein Gewicht, das kaum kleiner als ein Fünftel des Wirts— tieres ſein dürfte; ſie braucht alſo nur das Fünffache ihres Gewichts an Nahrung. Die Fiſchzüchter rechnen für den Karpfen auf 1 kg Gewichtszunahme eine Zugabe künſtlicher Futtermittel von 2 kg bei Verwendung tieriſcher Mittel (wie Fiſchmehl u. dgl.), von 3— 4 kg dagegen bei Verwendung pflanzlichen Futters (Lupinen, Mais). Die Geſamt— futtermenge wird bei den Kleintierfreſſern unter den Fiſchen auf das Fünffache des Zu— wachsgewichts, bei Pflanzenfreſſern dagegen auf das Zwanzigfache veranſchlagt (Walter). Ein Pferd bekommt täglich 13— 15,25 kg Futter, ein Löwe dagegen dagegen erhält in unſeren zoologiſchen Gärten 6—7 kg Fleiſch mit Einſchluß der Knochen täglich. Die 2 Leben ohne Sauerſtoff. 355 Inſektenfreſſer ſtehen in der Größe ihres Nahrungsbedürfniſſes wiederum den Pflanzen— freſſern näher. Kleine Vögel wie Goldhähnchen und Zaunkönig ſollen täglich 30% ihres Körpergewichts an trocknen Nahrungsſtoffen verzehren; bei größeren inſektenfreſſenden Vögeln iſt die Maſſe geringer, und zwar nimmt, nach Rörig, wenn das Körpergewicht in geometriſchem Verhältnis ſteigt, die Menge der aufgenommenen Trockenſubſtanz in arithmetiſchem Verhältnis ab: ein Vogel von 4 g Körpergewicht würde 28%, ein ſolcher von 8g 24%, ein ſolcher von 16g 20% feines Gewichts an Nahrung brauchen. B. Atmung. 1. Allgemeine Bemerkungen. Unter die Nahrungsmittel der Tiere iſt auch ein Gas zu rechnen, der Sauerſtoff. Er iſt ſo wichtig für den Lebensvorgang, daß man früher glaubte, es könne ohne Zu— fuhr dieſer „Lebensluft“ überhaupt kein Leben beſtehen. Erſt neuere Unterſuchungen haben gezeigt, daß gar nicht wenige niederſte Organismen den Sauerſtoff gänzlich ent— behren können; fie führen ein Leben ohne Sauerſtoff, leben „anaeérobiotiſch“. Solche „Anasérobien“ kennen wir aus der Reihe der Bakterien und Pilze; die Cholerabazillen und die Hefepilze gehören daher. Sie gewinnen die zum Leben nötige Energie offenbar aus Spaltungsprozeſſen, die ohne Oxydationen ablaufen. Viele von ihnen können auch bei Gegenwart von Sauerſtoff, unter Oxydationen, weiter leben; für manche aber, wie den Rauſchbrandbazillus und den Bazillus des malignen Odems, iſt der Sauerſtoff Gift, ſie gehen an der Luft zugrunde. Auch für höher differenzierte Tiere iſt dauerndes Leben ohne Sauerſtoff nachgewieſen. Im Darminhalt der Säugetiere, wo ſich bei genaueſter Unterſuchung keine quantitativ beſtimmbaren Mengen von Sauerſtoff nachweiſen laſſen, leben eine Anzahl tieriſcher Paraſiten, wie Bandwürmer und Spulwürmer. Verſuche haben gezeigt, daß der Spulwurm außerhalb des Darms am längſten lebendig bleibt, wenn er in einer mit Kohlenſäure geſättigten Kochſalzlöſung gehalten wird. Die Lebens— energie gewinnt er durch Spaltung des Glykogens, das ihm ja bei den günſtigen Er— nährungsbedingungen in größten Mengen zur Verfügung ſteht; es wird zerſetzt unter Bildung von Kohlenſäure und niederen Fettſäuren, beſonders Valerianſäure. Bei höheren Pflanzen und Tieren findet zwar eine dauernde Anaerobioſe nicht ſtatt; aber manche können doch nach Entziehung der Sauerſtoffzufuhr noch eine Zeitlang weiter leben. Pflüger konnte Fröſche unter einer Glasglocke, die mit Stickſtoff gefüllt war und keinen Sauerſtoff enthielt, viele Stunden am Leben erhalten, wobei ſie eine ziemlich beträchtliche Menge Kohlenſäure abgaben. Die nachgewieſene Möglichkeit dauernden Lebens ohne Sauerſtoff liefert den Beweis, daß der Sauerſtoff nicht unbedingt und unmittelbar zur Erhaltung der Lebensverrich— tungen erforderlich iſt. Aber der Zutritt von Sauerſtoff ermöglicht einen viel weiter— gehenden Zerfall der Nährſtoffe, der ſchließlich, ebenſo wie die Verbrennung organiſcher Subſtanzen, zu Kohlenſäure und Waſſer als Endprodukten führt; damit wird erſt die völlige Ausnutzung der in den Nährſtoffen gebundenen Energie möglich. Valerianſäure z. B., das Stoffwechſelprodukt des Spulwurms, enthält noch latente Energie, die durch Zerfall unter Sauerſtoffaufnahme entbunden werden kann; bei der Oxydation der Valerian— ſäure zu Kohlenſäure und Waſſer würde noch dreimal ſo viel Wärme entſtehen, als bei 53 * 2 * — 30 356 Menge des Sauerſtoffs in Luft und Waſſer. der Zerſetzung des Glykogens in Kohlenſäure und Valerianſäure frei wurde; es iſt un— ökonomiſch, einen ſolchen Stoff ungenutzt abzugeben. Aber ſolche Verſchwendung, wie fie die Anacrobioje mit ſich bringt, kann dort dauernd vorkommen, wo nahezu unbe— ſchränkte Nährſtoffmengen zur Verfügung ſtehen, wie bei Hefepilzen und bei Paraſiten. In der Regel aber iſt der Sauerſtoff für die Tiere unentbehrlich, und zwar auch des— halb, weil die intermediären Spaltprodukte meiſt ein ſtärkeres Gift für den Organismus vorſtellen als die Kohlenſäure, das Endprodukt der Oxydation. Der Sauerſtoff bildet eine wichtige Energiequelle und ſein Fehlen hat meiſt ein ſchnelles Aufhören der Lebens— tätigkeit zur Folge, ein um ſo ſchnelleres, je energiſcher die Lebensäußerungen des Tieres ſind: ein warmblütiges Tier ſtirbt faſt ſofort bei Entziehung des Sauerſtoffs; eine Amoebe ſtellt erſt nach 24 Stunden ihre Bewegungen ein und ſtirbt dann bald; ein Vogelei, das man im Brutſchrank in einer ſauerſtofffreien Waſſerſtoffatmoſphäre hält, geht dabei nicht ſofort zugrunde und entwickelt ſich noch normal, wenn nach 24 Stunden Sauerſtoff zugeführt wird. Der Gasſtoffwechſel der Lebeweſen, ſpeziell die Aufnahme von Sauerſtoff und die Abgabe von Kohlenſäure, wird als Atmung bezeichnet. Jede Zelle entzieht den Sauer— ſtoff, den ſie braucht, ihrer nächſten Umgebung; die Zellen an der Oberfläche des Kör— pers entnehmen ihn dem Waſſer oder der atmoſphäriſchen Luft, die tiefer gelegenen Zellen vielzelliger Tiere müſſen ihn von den ſie umſpülenden Körperſäften oder von den Nachbarzellen erhalten; für ſie müſſen andre Zellen des Verbandes den Sauerſtoff von außen aufnehmen. So kann man zwiſchen einer äußeren Atmung oder Atmung im engeren Sinne und einer inneren oder Gewebeatmung unterſcheiden; ein Weſensunter— ſchied zwiſchen beiden beſteht jedoch nicht. Ob der Sauerſtoff aus dem Waſſer oder aus der atmoſphäriſchen Luft entnommen wird, iſt für das Weſen der Atmung völlig gleichgültig. Immerhin gründen ſich darauf ſo wichtige biologiſche Unterſchiede, daß man mit Recht zwiſchen einer Waſſeratmung und einer Luftatmung unterſcheiden kann. Vor allem iſt die Sauerſtoffmenge in dieſen beiden Medien ſehr verſchieden groß. Die Luft iſt eine Miſchung von etwa 21 Raumteilen Sauerſtoff und 79 Raumteilen Stickſtoff, wozu noch ein wenig Kohlenſäure (0,03 Raum— teile) und wechſelnde Mengen Waſſerdampf kommen; in einem Liter Luft ſind demnach 210 em? Sauerſtoff enthalten. Im Waſſer löſen ſich die Beſtandteile der Atmoſphäre nicht ſehr reichlich. Die Geſamtmaſſe des in einem Liter Waſſer gelöſten Sauerſtoffs und Stickſtoffs beträgt nur 20—25 ems; ſie iſt bei niedriger Temperatur am höchſten und nimmt bei zunehmender Erwärmung ſehr ſchnell ab, ebenſo bei abnehmendem Luft— druck. Die Verhältniſſe geſtalten ſich jedoch für die Atmung dadurch etwas günſtiger, daß der Sauerſtoff ſich im Waſſer leichter und reichlicher löſt als der Stickſtoff: die durch Erwärmen aus dem Waſſer ausgetriebene Luft enthält 34,9 Raumteile Sauerſtoff und 65,1 Raumteile Stickſtoff; es kommen alſo hier auf 100 Teile Stickſtoff 54 Teile Sauerſtoff, in der Luft jedoch nur 26. Immerhin iſt die Menge des in Waſſer ge— löſten Sauerſtoffs recht gering; bei normalem Luftdruck und 0% enthält ein Liter mit Luft geſättigten Waſſers 9,6 ems Sauerſtoff, bei T 5/0 nur noch 8,6, bei + 10 7,6, bei + 15° 6,8 und bei + 206,2 ems. Bei den freien Gewäſſern ſtellen ſich dieſe Mengen im allgemeinen geringer, da die Temperatur oft höher iſt, der Luftdruck ſchwankt und durch die darin lebenden Tiere fortwährend Sauerſtoff verzehrt wird. Der Luft— gehalt lebhaft fließenden Bachwaſſers kommt dieſen Zahlen am nächſten, da hier die Temperatur niedrig und die Oberfläche verhältnismäßig ſehr groß iſt und durch die Sauerſtoffverbrauch der Tiere. 357 ſtarke Bewegung immer neue Teile mit der Luft in Berührung kommen. Für andere Gewäſſer ergaben die Analyſen folgende Zahlen: bei mittlerer Temperatur enthält 1 Liter Flußwaſſer (Seine) 6—8 em? Sauerſtoff, 13—17 ems Stickſtoff 1, Teichwaſſer em 15 15 cm? = 1 „ Meerwaſſer 4,8 6,8 ems „ 12,5 — 14,1 cm? 5 Der Sauerſtoffgehalt kann aber unter dem Einfluß äußerer Einwirkungen noch tiefer ſinken; die bei 25% im Waſſer lösliche Sauerſtoffmenge iſt z. B. nur etwa halb jo groß als bei 0%. Auch mit dem abnehmenden Luftdruck vermindert ſich die Menge des gelöſten Sauerſtoffs; daß in den hochgelegenen Seen der ſüdamerikaniſchen Anden keine Fiſche vorkommen (Bouſſignault), glaubt man durch den geringen Sauerſtoff— gehalt des Waſſers infolge des niedrigen Luftdrucks erklären zu können. Auch die Ver— unreinigung des Waſſers durch tote organiſche Stoffe vermindert ſeinen Vorrat an Sauer— ſtoff, da er zur Oxydation jener Subſtanzen aufgebraucht wird. Während z. B. das Themſewaſſer oberhalb Londons 7,1 cm? Sauerſtoff im Liter enthält, iſt unterhalb dieſer Stadt, deren Abwäſſer in den Fluß entleert werden, nur noch 0,25 ems darin enthalten. — Dagegen iſt der Sauerſtoffgehalt ſehr hoch in Wäſſern, die reich an grünem Pflanzen— wuchs ſind; unter dem Einfluß des Lichts ſcheiden die Pflanzen oft mehr Sauerſtoff aus, als das Waſſer in Löſung enthalten kann, ſo daß er in Blaſen an die Oberfläche ſteigt. Wie die Luft, ſo enthält auch das Waſſer eine gewiſſe Menge Kohlenſäure. Dieſe iſt allerdings zum größten Teil gebunden und als gelöſtes kohlenſaures oder doppelt— kohlenſaures Salz vorhanden. Das Waſſer vermag freilich auch ſehr viel freie Kohlen— ſäure zu löſen, abſorbiert jedoch aus der Luft nicht viel davon (0,3 —0,5 ems auf ein Liter), da der Partialdruck der Kohlenſäure in der Atmoſphäre außerordentlich gering iſt. Nur wenn es ſich ſchon im Erdinnern reichlich mit Kohlenſäure beladen hat, kommt es als „Säuerling“ zutage; in ſolchen kohlenſäurereichen Gewäſſern kann tieriſches Leben nicht beſtehen, ebenſo wie es in kohlenſäurereicher Luft zugrunde gehen müßte. Die Aufnahme von Sauerſtoff aus der Umgebung wird nun nicht durch eine be— ſondere Tätigkeit der Zelle bedingt, ſondern ſie geht paſſiv vor ſich, ebenſo wie das Waſſer Sauerſtoff aus der Luft aufnimmt: ſie iſt ein Diffuſionsvorgang, der auf einen Ausgleich der Sauerſtoffſpannung außerhalb mit derjenigen innerhalb des Zellkörpers abzielt und zum Stillſtand kommt, ſobald dieſer Ausgleich erreicht iſt. Wenn alſo viel Sauerſtoff in der Zelle verbraucht wird, d. h. wenn der Stoffwechſel rege iſt, dann wird die Sauerſtoffſpannung im Innern fortwährend vermindert gegenüber der äußeren: die Atmung iſt lebhaft. Iſt der Verbrauch aber gering, ſo wird auch der Zufluß von Sauerſtoff unbedeutend ſein. Das gleiche gilt für die Ausſcheidung von Kohlenſäure, die mit zunehmendem Stoffwechſel ſteigt. So iſt die Atmung des unbebrüteten Hühner— eies, das auf nahezu dem gleichen Zuſtande verharrt, nur ſehr gering; ſie ſteigt aber bedeutend, ſobald mit beginnender Bebrütung der Keim im Ei ſich zu entwickeln beginnt. Sehr genau iſt der enge Zuſammenhang zwiſchen dem Sauerſtoffverbrauch oder, was auf das gleiche hinausläuft, der Abgabe von Kohlenſäure und der Lebhaftigkeit des Stoff— wechſels für die verſchiedenen Lebensſtufen des Seidenſpinners (Bombyx mori L.) bekannt. Die von dem Weibchen im Sommer abgelegten Eier entwickeln ſich erſt im nächſten Frühjahr; doch ſpielen ſich in ihnen immerhin ſchon vorher ſtoffliche Veränderungen ab, deren äußeres Kennzeichen in einer Verfärbung der anfangs ſtrohgelben Eier zu ſchiefer— grauer Färbung beſteht (Sommerperiode); die Raupe wächſt dann heran unter wieder— 358 Sauerſtoffverbrauch der Tiere. holten Häutungen, denen jedesmal ein Zuſtand der Trägheit vorangeht; am 30. Tage ihres Lebens etwa beginnt die Raupe ſich in einen Kokon einzuſpinnen, und nach weiteren acht Tagen verpuppt ſie ſich; nach 9—14 Tagen ſchlüpft dann der Schmetterling aus, der nur wenige Tage lebt, ohne Nahrung aufzunehmen, und nach der Paarung bzw. Ei— ablage ſtirbt. In der Kohlenſäureabgabe kommt die Verſchiedenheit der phyſiologiſchen Leiſtungen während der einzelnen Lebensabſchnitte deutlich zum Ausdruck. Während der Sommerperiode der Eier iſt die Gasabgabe ſehr lebhaft; ſie nimmt dann ab und erreicht während der Überwinterung, die in einem kühlen Raume ſtattfindet, ihren geringſten Betrag: 1 kg Eier produziert bei 0“ nur 0,05 g Kohlenſäure binnen 24 Stunden. Im Frühjahr ſteigert ſich der Stoffwechſel erheblich, und kurz vor dem Ausſchlüpfen der Raupen kann die abgegebene Gasmenge auf mehr als das 200 fache jenes Minimums ſteigen. Die Raupen ſind im Licht lebhafter als bei Nacht; dementſprechend beobachtet man Tag- und Nachtſchwankungen der abgegebenen Kohlenſäuremengen; auch während der Ruhezeiten, die den Häutungen vorangehen, iſt die Gasproduktion vermindert. In der Kohlenſäureabgabe bei der Puppe machen ſich ebenfalls regelmäßige Schwankungen bemerkbar, von denen ein ſtarkes Anſteigen der Gasmenge unmittelbar vor dem Aus— ſchlüpfen am meiſten auffällt. Der Falter liefert, entſprechend ſeiner abnehmenden Lebens— fähigkeit, am erſten Tage 90 emé, am zweiten 76 cm?, am dritten nur noch 59 ems Kohlenſäure. Da die Lebhaftigkeit des Stoffwechſels mit ſteigender Innentemperatur in gewiſſen Grenzen zunimmt, ſo muß ſich bei wechſelwarmen Tieren, deren Temperatur von der— jenigen der Umgebung abhängt, auch der Sauerſtoffverbrauch mit wechſelnder Außen— temperatur ſteigern. Wenn dieſe von 2“ auf 30% ſteigt, wächſt das Atembedürfnis beim Regenwurm auf das Vier- bis Sechsfache, bei der Weinbergſchnecke und bei Fiſchen etwa auf das Zehnfache; bei einer Steigerung von 10° auf 24° vermehrt es ſich bei Fiſchen auf das Dreifache. Ein Froſch, der bei einer Innentemperatur von etwa 1,5° in 24 Stunden etwa 0,15 ems Kohlenſäure auf ein Gramm feines Gewichts produziert, liefert bei 15° etwa lem’, bei 33“ etwa 14,5 em? Kohlenſäure. Bei warmblütigen Tieren iſt durch die konſtante Körpertemperatur dieſer Einfluß der Außentemperatur aufgehoben. Da der Eintritt von Sauerſtoff in den Körper ſo lange fortgeht, als die Sauer— ſtoffſpannung im Innern unter der durchlaſſenden Oberfläche geringer iſt als in der äußeren Umgebung, ſo wird durch ſtetige Fortführung des Sauerſtoffs bzw. des damit geſättigten Löſungsmittels und durch ſtetige Erneuerung ſauerſtoffarmer Flüſſigkeit unter der auf— nehmenden Oberfläche die Menge des aufgenommenen Sauerſtoffs geſteigert. Dies wird bei vielen Tieren durch die Bewegung der Körperflüſſigkeit, meiſt durch den Blutſtrom bewirkt. Dieſe Wirkung wird noch geſteigert, wenn in der die Atemfläche innen beſpülenden Flüſſigkeit Subſtanzen enthalten ſind, die den Sauerſtoff ſofort leicht chemiſch binden, ſo daß der freie Sauerſtoff ſtets ſogleich verſchwindet; ſolche Subſtanzen ſind der rote Blut— farbſtoff oder das Hämoglobin und verwandte Eiweißkörper, die im Blute vieler Tiere vorhanden ſind. | Abgeſehen von ſolchen inneren Urſachen haben auch äußere Umſtände einen Einfluß auf die Intenſität der Sauerſtoffaufnahme. Unter ſonſt gleichen Verhältniſſen bewirkt größerer Sauerſtoffreichtum des umgebenden Mediums eine reichlichere Atmung; bei den Eiern des Seidenſpinners z. B. läßt ſich die Kohlenſäureabgabe durch Einbringen in reinen Sauerſtoff nicht unbedeutend ſteigern, in reinem Stickſtoff iſt ſie äußerſt gering. Damit mag es zuſammenhängen, daß die Atmung der Landtiere, denen größere Sauer— Diffuſe und lokaliſierte Atmung. 359 ſtoffmengen zur Verfügung ſtehen, im allgemeinen lebhafter iſt als die der Waſſerbewohner. Fische produzieren in ſechs Stunden auf 100 g ihres Körpergewichts 0,17—0,25 & Kohlen— ſäure, Inſekten 0,44—1,76 g, Vögel und Säuger bis zu 5g und mehr. Wenn daher mit der Entnahme von Sauerſtoff die nächſte Umgebung des atmenden Lebeweſens an dieſem Gaſe ärmer wird, ſo müßte die Atmung an Lebhaftigkeit mehr und mehr abnehmen. Wir finden daher überall Einrichtungen, deren Aufgabe es iſt, dieſem Übelſtande abzu— helfen und für ſtetige Erneuerung der Atemluft bzw. des Atemwaſſers an den atmenden Oberflächen Sorge zu tragen. Eine Atmung im engeren Sinne, d. h. eine Sauerſtoffaufnahme aus der Luft oder dem Waſſer, wird am lebenden Körper überall dort ſtattfinden, wo der Sauerſtoff die Möglichkeit zu diffundieren vorfindet, d. h. wo nur eine dünne organiſche Membran das lebende Protoplasma von dem umgebenden Medium trennt. Bei vielen Waſſertieren beſitzt die ganze Körper- und Darmoberfläche oder doch der größte Teil derſelben dieſe Eigenſchaft. So iſt bei den Protozoen die Zellmembran meiſt überall für diffundierende Gaſe durchläſſig. Bei den Coelentraten ſteht nicht nur die weiche äußere Oberfläche über— all mit dem Waſſer in Berührung, auch der Darmraum (Gaſtrovaskularraum) iſt von ſolchem angefüllt; ebenſo durchzieht bei den Spongien ein ſteter Waſſerſtrom den Körper. Das Wimperkleid der Strudelwürmer ſorgt auf ihrer ganzen Oberfläche für ſtetige Er— neuerung des die Epidermis umſpülenden Atemwaſſers, und auch die Darmoberfläche wird bei manchen, wenn auch in geringerem Maße an der Atmung beteiligt ſein, da man ein zeitweiliges Einpumpen von Waſſer in den Darm bei einigen Formen beobachtet hat. Auch die meiſten Ringelwürmer ſind weichhäutig und atmen durch ihre ganze Oberfläche, wie der Regenwurm, die Egel und viele andere. Eine ſolche gleichmäßige Verteilung der Sauerſtoffaufnahme über die ganze Körperoberfläche läßt ſich als diffuſe Atmung be— zeichnen. Tiere mit weichhäutiger Oberfläche ſind jedoch mechaniſchen Schädigungen aller Art ausgeſetzt; ſie ſind auch den Angriffen ihrer Feinde in hohem Maße preisgegeben; ſie ſind vom Leben in trockner Luft völlig ausgeſchloſſen, weil dort der große Waſſerverluſt bei durchläſſiger Haut zum Austrocknen und damit zum Tode führen müßte. Dieſe Ge— fahren ſind bei vielen Tieren dadurch vermieden, daß ihre Oberfläche mit einem Haut— panzer oder einem Gehäuſe geſchützt oder durch aufgelagerte Abſonderungen und hornige Umbildungen der oberſten Hautſchichten für Diffuſionsſtröme undurchläſſig gemacht iſt. Solche Schutzeinrichtungen wie der Panzer der Stachelhäuter und Krebſe, die Chitinkutikula der Tauſendfüßer, Inſekten und Spinnentiere oder die Hornhaut der landbewohnenden Wirbeltiere müſſen natürlich den Gasaustauſch durch die geſamte äußere Oberfläche ver— hindern oder doch ſehr beeinträchtigen. In ſolchen Fällen kommt es zur Bildung be— ſonderer Atmungsorgane, der Kiemen bei den waſſeratmenden, der Lungen und Luftröhren bei den luftatmenden Tieren. Dies ſind Stellen, wo eine durchdringbare (diffuſible) weichhäutige Oberfläche mit dem ſauerſtoffhaltigen Medium (Waſſer oder Luft) in Be— rührung tritt. Die Verhältniſſe für eine reichliche Aufnahme von Sauerſtoff liegen hier ſehr günſtig: die Oberfläche iſt durch Faltungen und Einſtülpungen möglichſt vermehrt — man hat z. B. berechnet, daß die innere Oberfläche der Lungen des Menſchen etwa 200 m? beträgt, alſo 125 mal fo viel als ſeine geſamte äußere Oberfläche, — eine reich liche Blutverſorgung dient zur ſchnellen Fortführung des aufgenommenen Sauerſtoffs, ſo daß der Diffuſionsſtrom nicht durch den Ausgleich der Spannungen zum Stillſtand kommt, und die Membranen, die das Blut vom umgebenden Medium trennen, ſind ſehr dünn, 360 Sauerftofftransport im Körper. fo daß das Gas ſchnell hindurchdiffundieren kann. Solche Atmungsorgane find aber wegen der Zartheit ihres Baues meiſt noch mehr der Gefahr mechaniſcher Verletzungen und der des Austrocknens ausgeſetzt, als die weiche Haut der Tiere mit diffuſer Atmung. Daher ſind ſie meiſt in verſteckter Lage angebracht, im Innern des Körpers geborgen wie die Wirbeltierlungen und die Luftröhren der Landgliederfüßer, oder durch überragende Hautfalten, Panzer oder Skeletteile geſchützt, wie die Kiemen der Weichtiere, höheren Krebſe und Knochenfiſche; oder ſie werden, wie die Kiemenſchläuche bei manchen Würmern und Stachelhäutern, nur zeitweiſe ausgeſtülpt und können bei Gefahr eingezogen werden. Damit aber eine genügende Sauerſtoffaufnahme ſtattfinden kann, iſt noch mehr als bei der diffuſen Atmung für eine fortgeſetzte Zufuhr friſchen Atemwaſſers bzw. friſcher Luft geſorgt: es kommt zu beſonderen Atembewegungen. Eine ſolche Atmung durch beſondre Organe wird im Gegenſatz zu der diffuſen als lokaliſierte Atmung bezeichnet. Lokaliſierte und diffuſe Atmung ſchließen einander keineswegs aus, ſondern können nebeneinander beſtehen. Bei zahlreichen Tieren, z. B. beim Froſch und anderen Am— phibien, ſind beide vorhanden. Dem geringen Stoffwechſel während der Winterruhe ge— nügt beim Froſch die Hautatmung; er liegt dann bewegunslos auf dem Grunde des Waſſers und die Lungenatmung ruht vollkommen; auch bleibt ein Froſch mit abgebundener Lunge lange Zeit am Leben. Zur Zeit größter Lebhaftigkeit dagegen ſpielt die Lungen— atmung die Hauptrolle; aber zu voller Leiſtungsfähigkeit müſſen beide zuſammenwirken. Durch die äußere Atmung werden zunächſt nur die an der Oberfläche gelegenen Gewebsteile mit Sauerſtoff verſorgt Aber auch die übrigen Gewebe bedürfen des Sauer— ſtoffs, ihnen muß er ſekundär zugeführt werden. Dieſe Zufuhr geſchieht im einfachſten Falle ebenfalls durch Diffuſion. So finden wir es bei den Coelenteraten und Platt— würmern, bei denen eine Zirkulation von Körper- oder Blutflüſſigkeit noch nicht vorhanden iſt; aber die Schichten lebhaft funktionierenden Gewebes ſind hier nur dünn: die Coelen— teraten enthalten zwiſchen den beiden an der Sauerſtoffaufnahme beteiligten Epithelien, dem Ektoderm und Entoderm, eine Stützſubſtanz, deren Stoffwechſel nur gering iſt, und bei den Plattwürmern iſt durch ihre Körpergeſtalt, der ſie den Namen verdanken, dafür geſorgt, daß die Verbrauchsſtellen des Sauerſtoffs nirgends weit von den Aufnahme— ſtellen entfernt ſind. Aber auch bei manchen Luftatmern kann der Sauerſtoff unmittel— bar durch bloße Diffuſion an die Verbrauchsſtellen gelangen: bei den luftatmenden Arthropoden, den Tauſendfüßern, Inſekten und vielen Spinnentieren durchziehen luft— führende Röhren, die ſich nach außen öffnen, den ganzen Körper und dringen mit ihren feinſten Zweigen und Aſtchen tief in die einzelnen Organe ein, ihnen die Luft zuleitend. Die übrigen Tiere jedoch beſitzen meiſt eine Körperflüſſigkeit, die ſich in ſteter Bewegung von den Aufnahmeſtellen des Sauerſtoffs zu den Verbrauchsſtellen befindet und als Sauerſtoffträger den Transport dieſes Gaſes beſorgt, wozu ſie häufig durch beſondere Aufnahmefähigkeit für dasſelbe in hohem Maße geeignet iſt. Bei der Betrachtung des Blutkreislaufs werden wir dieſe Verhältniſſe genauer kennen lernen. Atmungsorgane vermiſſen wir alſo bei Tieren mit ausſchließlich diffuſer Atmung. Wir lernten ſchon oben die hierher gehörigen Formen im allgemeinen kennen; es ſind meiſt Waſſertiere, doch reihen ſich ihnen eine Anzahl Landbewohner an, die durch ihr nächt— liches Leben und durch den Aufenthalt an feuchten Ortlichkeiten vor dem Austrocknen bewahrt ſind. Meiſt ſind es Tiere von geringer Beweglichkeit und dem entſprechend wenig lebhaftem Stoffwechſel; denn die Art ihrer Atmung geſtattet keine beſonders reich— liche Sauerſtoffverſorgung, ſelbſt wenn die Verhältniſſe ſo günſtig liegen, wie es oben Atmung der Stachelhäuter. 361 für die Coelenteraten und Plattwürmer geſchildert wurde. Aus anderen Tierkreiſen zählen nur kleine Formen hierher, wie manche Weichtiere (kleine Meeresnacktſchnecken) und Gliederfüßer (kleine Milben) und einige wenige Wirbeltiere, die lungenloſen Salamander Spelerpes und Salamandrina. Bei kleinen Tieren iſt ja die Oberfläche im Verhältnis zur Körpermaſſe, d. h. das Sauerſtoff aufnehmende im Vergleich zum Sauerſtoff ver— zehrenden Element beträchtlich mehr ausgedehnt als bei größeren, wie oben (S. 46) ſchon auseinandergeſetzt wurde; daher liegen für kleine Tiere die Bedingungen für die diffuſe Atmung weit günſtiger als für große. 2. Bau der Atmungsorgane. a) Die Wafferatmung bei den Wirbellofen. Die beſonderen Organe, die der lokaliſierten Atmung dienen, find nach verſchiedenen Prinzipien gebaut. Bei den Waſſeratmern ſind die Atmungsoberflächen im allgemeinen nach außen entwickelt; ſie bilden gefaltete oder baumförmig veräſtelte Anhänge, die frei im Waſſer flottieren. Bei den Luftatmern würden ſolche Bildungen zu ſehr dem Ver— trocknen ausgeſetzt ſein. Hier findet die Oberflächenentfaltung nach innen ſtatt; es bilden ſich Einſtülpungen der Körper- oder Darmoberfläche in Geſtalt von Luftröhren oder Säcken, in deren Inneren der Gasaustauſch ſtattfindet. Die Schicht waſſerdampfreicher Luft, die ſich den Atemepithelien auflagert, wird hier nicht ſo leicht beim Gaswechſel entfernt, und das Austrocknen wird dadurch verhindert. Ausnahmen kommen allerdings hie und da vor: ſo werden gewiſſe ſackartige, baumförmig veräſtete Darmanhänge bei den Holothurien, die ſogenannten Waſſerlungen, wohl mit Recht als Atmungsorgane an— geſehen; es iſt aber nicht unwahrſcheinlich, daß ihre urſprüngliche Verrichtung eine andre war, daß ſie nämlich als Exkretionsorgane dienten und daß erſt mit der periodiſchen Aufnahme und Entleerung von Waſſer ſich ſekundär die Atmungsfunktion bei ihnen aus— bildete. Andrerſeits gibt es Krebſe, die ſich dem Landleben angepaßt haben und doch durch ihre nach außen entfalteten Kiemen atmen; dieſe ſind jedoch nachträglich in einen Hohlraum verlegt, ſo daß ſie inneren Oberflächenentfaltungen im ganzen ähnlich ſind. Die Kiemen der Waſſeratmer ſind ihrer Lage nach unendlich verſchieden, oft ſogar bei verwandten Tieren. Sie können vorn oder hinten oder über den ganzen Körper verteilt, auf dem Rücken, auf der Unterſeite oder ſeitlich ſtehen; ſelbſt im Vorder- oder Enddarm können ſie angebracht ſein. Es iſt ja ſchließlich jeder weichhäutige Teil der Ober— fläche zur Sauerſtoffaufnahme geeignet, und ſo können Teile verſchiedner Organſyſteme zur Atemfunktion herangezogen werden. Das beſte Beiſpiel dafür bieten die Stachelhäuter: es gibt bei ihnen keine Atmungsorgane, die durch den ganzen Stamm hindurch homolog wären. Allerdings kommt zweifellos überall dem Waſſergefaßſyſtem mit ſeinen weichhäutigen Ambulakralfüßchen und den Ambulakraltentakeln eine gewiſſe Fähigkeit der Sauerſtoffaufnahme zu, und die Epidermis, die den Panzer außen überzieht, ſorgt offenbar für den eigenen Sauerſtoff— bedarf. Weit verbreitet ſind dünnwandige, mit Leibeshöhlenflüſſigkeit gefüllte Schläuche, Ausſackungen der Leibeswand, die ausgeſtülpt und eingezogen werden können, wie die ſogenannten Papulae der Seeſterne und die veräſtelten Kiemen am Mundfeld der See— igel; in ihnen wird durch innere Flimmerung die Leibeshöhlenflüſſigkeit in beſtändiger Bewegung erhalten, während Wimpern auf ihrer Oberfläche durch ihr Schlagen das Meerwaſſer fortwährend erneuern. Bei den Schlangenſternen bildet auf der Unterſeite 362 Atmung der Ringelwürmer. die Körperwand fünf am Grunde der Arme gelegene dünnhäutige Einſtülpungen in die Leibeshöhle, die Burſae, in die durch Flimmerung ihrer Wand beſtändig ein Strom des umgebenden Waſſers hineingeleitet wird. Von den ſogenannten Waſſerlungen, die den meiſten Holothurien zukommen und in der Minute ein- bis dreimal entleert und wieder mit Waſſer gefüllt werden, wurde oben ſchon geſprochen. Die große Mehrzahl der Ringelwürmer beſitzt eine diffuſe Hautatmung; reich— liche Blutgefäße, die ſich dicht unter der Haut ausbreiten, wie bei unſeren Tubifieiden und Regenwürmern (Abb. 281), oder bei den Egeln (Abb. 234) gar zwiſchen die Zellen der Epidermis eindringen, führen den aufgenommenen Sauerſtoff den Geweben zu. Manche der Süßwaſſerformen bewirken durch ſchwingende Bewegungen ihres Körpers eine ſtetige Erneuerung des Atemwaſſers: die Tubificiden ſitzen mit ihren Vorderenden im Schlamm eingegraben (Abb. 266), das herausragende Hinterende ſchlägt fortwährend hin und her, ſo daß eine ſtarke Kolonie dieſer Tiere an ein wogendes Kornfeld erinnert; die Egel heften ſich oft mit ihrem Endſaugnapf feſt und ſetzen den Körper in wellenförmige Bewegungen. Bei vielen marinen Borſtenwürmern und einigen des ſüßen Waſſers iſt die Atemoberfläche durch beſondere Anhänge (Cirren) ver— mehrt, die bei erſteren meiſt an den Parapodien ſitzen, ohne daß in ihnen eine beſonders energiſche Sauerſtoff— aufnahme ſtattfände. Bei einer verhältnismäßig geringen Zahl begegnen wir echten Kiemen, die ſich morphologiſch durch reiche Veräſtelung und Blutverſorgung, ſowie durch Flimmerepithel zur Erneuerung des Atemwaſſers aus— zeichnen: jo iſt es bei den Eunieiden und Arenicoliden (Taf. 9) unter den Raubanneliden und bei den Terebelliden (Taf. 9) unter den feſtſitzenden Anneliden. Bei vielen Abb. 234. Intraepitheliale Blut anderen, z. B. den Cirratuliden und Serpuliden (Taf. 9), gefäße in der Haut des Butegels 5 5 5 ; 8 (Hirudo medieinalis I), wird den früher als Kiemen bezeichneten Organen eine A auf e e e Evi beſonders ausgebildete Atemfunktion neuerdings abge— ſprochen: ſie dienen der Atmung nicht mehr als andre Teile der Oberfläche; der Trichter, den die bilden, dient vielmehr dem ausgiebigen Zuſtrudeln von Nahrung zum Munde. Auch unter den Egeln beſitzen einige Meeres— formen (Branchellion, Pseudobranchellion) büſchelig veräſtelte, blutgefäßreiche Kiemen zu beiden Seiten an einer Anzahl von Körperringeln; vielleicht ſind auch die ſeitlichen Bläschen am Hinterabſchnitt unſres Fiſchegels (Piscicola), die ſich beim Eintritt von Blut vorſtülpen, als Atmungsorgane anzuſehen. In eigenartiger Weiſe iſt die der Atmung dienende Fläche bei den Naideen des ſüßen Waſſers vermehrt, indem Waſſer in den Enddarm ein- und ausgeſtrudelt und ſo auch ein Teil der inneren Oberfläche für die Atmung nutzbar gemacht wird. Die Krebſe beſitzen faſt durchweg beſondere Atmungsorgane; daneben findet natür— lich an allen dünnhäutigen Stellen der Körperbedeckung ebenfalls ein Gasaustauſch ſtatt, vor allem an der Innenfläche der vom Kopfe ausgehenden Hautfalte, die bei den ver— ſchiedenen Formen als Mantel, Rückenſchild, zweiklappige Schale oder Kopfbruſtſchild vorhanden iſt. Bei den Copepoden, die der Kiemen entbehren, ſcheint das durch ſeine helle Fär— bung ausgezeichnete erſte freie Thoraxſegment den Gasaustauſch zu vermitteln; dafür ſpricht die Beobachtung, daß die Leibesflüſſigkeit ſich hauptſächlich in dieſem Segment Atmung der Krebſe. 363 angehäuft findet, und zwar in unmittelbarer Nähe der Körperoberfläche. Setzt man die Krebschen in ganz dünne Methylenblaulöſung, ſo bleibt der übrige Körper farblos, nur dieſes eine Segment nimmt tiefblaue Färbung an, was auf reichliches Vorhandenſein von Sauerſtoff deutet. Als Kiemen dienen bei weitaus den meiſten Krebſen die Gliedmaßen oder Anhänge derſelben; ſie ſind dazu beſonders geeignet, weil durch ihre Bewegung ein fortwährender Strom ſauerſtoffreichen Waſſers an ihnen vorbeigeführt wird. Bei den Blattfüßern (Phyllopoden) ſind die geſamten Füße plattgedrückt und tragen dünnhäutige Kiemenſäckchen. Bei den Waſſer-Aſſeln dienen die zarten abgeflachten Endäſte der Abdominalfüße als Kiemen; auch wenn das Tier ſich nicht bewegt, ſchlagen dieſe fortwährend zur Erneuerung des Atemwaſſers. Bei den Heuſchreckenkrebſen (Stomatopoden) tragen die Schwimmfüße des Hinterleibs an ihren Außenäſten veräſtelte Kiemenanhänge. Bei den Flohkrebſen, vielen Spaltflußkrebſen und den zehnfüßigen Krebſen ſind die Kiemen da— 15 gegen Anhänge der Bruſtfüße, und zwar ſind Nee ſie bei den Flohkrebſen platt oder ſchlauch— \ — förmig, bei den übrigen vielfach veräſtelt. Als Beiſpiel ſollen die Atmungsver— hältniſſe beim Flußkrebs näher geſchildert werden. Die Kiemen ſtehen hier, teils als gefiederte Stämme, teils als Fadenbüſchel an den Baſalgliedern des 2. und 3. Kiefer— fußes und der vier vorderen Gehfüße, und dazu kommen noch 11 Kiemenbüſchel, die zu je zwei an der Gelenkhaut des 3. Kiefer— fußes und der vier vorderen Gehfüße und VG; , . einzeln ebenda am 2. Kieferfuß ſtehen; ) ſchließlich ſteht noch eine Kieme über der Abb. 235. Querſchnitt durch die Kopfbruſt 4 des 2 2 8 2 ee Flußkrebſes (Potamobius astacus IL.) und 5 des Einlenkung des 5. Gehfußes am Körper— Palmendiebs (Birgus latro Hbst). ſtamm; ſo ſind jederſeits 18 Kiemen vor- Kiemen, 2 Hautfalten an der Wand des Kiemenraums, 3 Herz, 0 = N > 72 Darm, 5 Bauchmarf. handen. Das ganze Kiemengebiet iſt von nach Hatſchet u. Cori, B nach Semper. den Seitenteilen des Kopfbruſtſchildes über— dacht, ſo daß die Kiemen geſchützt in einer Höhle liegen, die hinten und unten ſich durch einen ſpaltförmigen Schlitz öffnet (Abb. 235 A.). Dieſe abgeſchloſſene Lage macht eine Ein— richtung zur Waſſererneuerung dringend notwendig: an der Baſis der zweiten Mapille ſteht eine ſchaufelförmige Platte, die in ſteter Bewegung iſt und das Waſſer nach vorn auswirft; ſie kann drei bis vier Schwingungen in der Sekunde machen und ihre Schlagfrequenz paßt ſich dem Atembedürfnis an. Wie wichtig dieſe Einrichtung iſt, geht daraus hervor, daß der Krebs erſtickt, d. h. an Sauerſtoffmangel ſtirbt, wenn die Muskeln der zweiten Mapille durchgeſchnitten und ſo die Bewegungen der Platte lahmgelegt werden. Wenn das Tier ſich fortbewegt, kommen die ſechs an den Beinen angebrachten Kiemen in ſtärkere 9 Mi 757 „ . * — 7 Bewegung und rühren zugleich die anderen Kiemen auf, ſo daß entſprechend dem größeren Bedürfnis bei geſteigerter Lebhaftigkeit eine geſteigerte Sauerſtoffverſorgung eintritt. 9 0 364 Luftatmung bei zehnfüßigen Krebſen. Die Kiemenhöhle der kurzſchwänzigen Krebſe, der Krabben, iſt noch vollkommener abgeſchloſſen als die des Flußkrebſes und der übrigen Langſchwänze: es legt ſich nämlich der freie Rand des Kopfbruſtſchildes ſo eng an die Bauchſeite des Körpers an, daß nur am vorderen Ende des Kiemenraums eine Offnung bleibt, die den Waſſerwechſel erlaubt. Die ungemein geſchützte Lage der Kiemen iſt es, die es gerade vielen Krabbenarten er— möglicht, ſich zur Ebbezeit auf dem von Waſſer entblößten Strande herumzutreiben, ohne durch Austrocknen der Kiemen gefährdet zu werden. Dieſe Einrichtung der Kiemenhöhle bildet die Grundlage für weitergehende Umbildungen. Es gibt eine Anzahl von Krabben— gattungen (Gecareinus, Grapsus, Ocypoda, Gelasimus) — und ihnen ſchließt ſich der Abb. 236. Palmendieb (Birgus latro Hbst.) aus Oſtindien. Palmendieb (Birgus latro Hbst. Abb. 236) aus der Verwandtſchaft der Einſiedlerkrebſe an — die ſich ſtändig teils an feuchten, teils aber auch an trocknen Stellen außerhalb des Waſſers aufhalten und ſelbſt in glühender Sonnenhitze auf trocknem Sande herum— laufen; das Waſſer ſuchen ſie z. T. nur noch zur Ablage ihrer Eier auf. Manche von ihnen haben Einrichtungen, das im Kiemenraume zurückgehaltene Waſſer wieder mit Sauerſtoff zu ſättigen. Meiſt aber iſt die Kiemenhöhle durch ſtarke Auftreibung ver— größert und an ihrer Decke mit blutgefäßreichen Wucherungen bedeckt, an denen beim Luftaufenthalt der Gasaustauſch mit der aufgenommenen Luft ſtattfindet (Abb. 235 B). Die Kiemen ſind daneben meiſt in funktionsfähigem Zuſtande erhalten; in manchen Fällen aber (Ocypoda) geht die Anpaſſung an die Luftatmung jo weit, daß die Tiere im Waſſer erſticken. Im einzelnen ſind die Einrichtungen für die Luftatmung, da Luftatmung bei Aſſeln. 365 ſie ſich bei den verſchiedenen Gattungen ſelbſtändig ausgebildet haben, mannigfach ver— ſchieden. Bei keinem langſchwänzigen Krebs treffen wir eine ſo weitgehende Anpaſſung an die Luftatmung; offenbar bietet die Einrichtung des Kiemenraums keine günſtige Grund— lage für entſprechende Umbildungen. Nur die Potamiiden und Paraſtaciden führen eine Art amphibiſchen Lebens; ſie halten ſich in ſelbſtgegrabenen Löchern auf, die zwar auf dem Trocknen münden, deren Boden aber regelmäßig mit Waſſer erfüllt iſt, ſo daß ſich die Krebſe jederzeit dorthin zurückziehen können. Dagegen haben ſich eine Anzahl Aſſeln dem Leben auf dem Lande und damit der Luftatmung angepaßt. Soweit ſie dafür ganz auf ihre Kiemen, d. h. auf die von den Außenäſten zum Schutz überdeckten Innenäſte der Hinterleibsfüße angewieſen ſind, wie Ligidium, können ſie nur in ſehr feuchter Luft leben. Bei vielen Landaſſeln aber, vor allem bei Porcellio und Armadillidium, kommen dazu noch beſondere Einrichtungen für die Luftatmung. An den Außenäſten des 1. und 2. Hinterleibsfußpaares fällt die äußere Hälfte durch ihre weiße Färbung auf; dieſer „weiße Körper“ iſt im Innern durchzogen von einem Syſtem baumförmig veräſtelter dünnwan— 5 a diger Röhrchen, das durch Einſtülpung der äußeren z 185 : > EISEN Haut entjtanden iſt und frei nach außen e mündet (Abb. 237). Die Röhrchen ſind mit Luft erfüllt; ſie ragen in den inneren Blutraum hinein, und ſo kann ein Gaswechſel ſtatt— 8 finden; das Blut > 5 5 Abb. 237. Querſchnitt durch den Außenaſt des 1. Abdominalbeins nimmt Sauerſtoff der Kelleraſſel (Porcellio scaber Latr.). A 1 weißer Körper, 2 Atemöffnung, 3 Luftraum, von dem die veräftelten Röhrchen abgehen. Die aus dieſer Luft auf Bluträume ſind punktiert; in ihnen Blutkörperchen. Nach Stoller. und gibt Kohlen⸗ ſäure in die Röhrchen ab. Sehr lebhaft iſt dieſe Atmung nicht, denn es fehlt an Vor— richtungen zu ſchnellem Wechſel der Atemluft. Durch die Entwicklung der Atemflächen nach innen iſt die Gefahr des Austrocknens ſehr vermindert, und die Aſſeln vermögen ſo in mäßig feuchter Luft ziemlich lange zu leben. Während bei den bisher betrachteten Formen die Atmung bald an dieſer, bald an jener Stelle lokaliſiert iſt und ihre Atmungsorgane verſchiedenen Urſprungs ſind, begegnet uns in der vielgeſtaltigen Reihe der Weichtiere eine dieſem Tierkreis eigentümliche, von den gemeinſamen Vorfahren ererbte Kiemenform, das Ktenidium (Abb. 63, 1 S. 98). Die Ktenidien ſind zweizeilig gefiederte, bewimperte Auswüchſe der Leibeswand, die zu beiden Seiten des Afters in die Leibeshöhle hineinragen; ihre Oberfläche iſt in Falten gelegt, die oft ihrerſeits wieder Falten zweiter und dritter Ordnung tragen, oder zwiſchen denen es, wie bei vielen Muſcheln, zu Durchbrechungen der Ktenidienwand kommt, ſo daß eine ſehr ausgiebige Vergrößerung der Atmungsfläche erreicht wird. Aus den Sinuſſen des Körpers erhalten ſie einen Strom kohlenſäurehaltigen Blutes und entſenden dieſes, ge— reinigt und mit Sauerſtoff beladen, zum Herzen. Sie ſind urſprünglich paarig vor— handen, vielleicht ſogar in mehreren Paaren, wie ſie jetzt noch bei den Käferſchnecken (Chitonen) und bei Nautilus vorkommen. Die paarigen Ktenidien ſind durchweg erhalten geblieben bei den Chitonen, den Tintenfiſchen (Abb. 238) und den Muſcheln. In der Reihe der Schnecken finden ſich paarige Ktenidien nur noch bei den Zygobranchiern, zu 366 Atmung der Weichtiere. zu denen z. B. Haliotis, das Midasohr, gehört; nur eine Kieme, die aber noch die typische zweizeilige Fiederung beſitzt, haben die Diotocardier (z. B. Trochus, Patella); einzeilig gefiedert iſt das Ktenidium der Monotocardier (z. B. im Süßwaſſer Vivipara und Val- vata, bei der die Kieme aus der Atemhöhle heraustritt, vgl. Abb. 266, 2; im Meere Fusus, Conus und viele andere). Auch manche Meeresnacktſchnecken, die Tectibranchier, haben nur ein Ktenidium. Im allgemeinen wird der Wechſel des Atemwaſſers durch das Schlagen der Flimmern beſorgt, mit denen die Epithelzellen des Ktenidiums ausgerüſtet ſind. Als Beiſpiel mögen die Muſcheln, ſpeziell unſere Süßwaſſermuſcheln (Anodonta und Unio) dienen. Bei ihnen ſtrömt das Waſſer durch die Mantel— öffnungen infolge des kräftigen Schlagens der Kiemenwimpern in die ſogenannte infrabranchiale Kam— 920 EN 1 A : 5 „„ / mer (Abb. 190, 7), wird durch das e,, a f 8 e — /f von Cirren verengte Faden- oder Gitterwerk der Kiemenblätter geradezu filtriert (vgl. oben S. 297) und ge— 80 langt in den interlamellären Raum AX. 4 und von dort in die ſuprabranchiale 19 1 8 Kammer, die mit der Ausfuhröffnung kommuniziert. Eine Waſſerzirkulation findet vielfach auch bei der mit geſchloſſenen Schalen daliegenden Muſchel ſtatt, wenigſtens bei den großen Süßwaſſermuſcheln (Najaden); das Waſſer gelangt dann aus dem ſuprabranchialen Raum nicht zur Aus— fuhröffnung, ſondern durch Spalten an den Rändern der aufſteigenden Abb. 238. Tintenfiſch (Sepia) mit geöffneter Mantelhöhle Kiemenlamellen wieder in den infra⸗ 2 Kieme (Ktenidium), 2 After, 3 Nierenmundung 4 Mündung des branchialen Raum zurück. So können Tintenbeutels, 5% Knopf“, der bei geſchloſſenem Mantel in die „Grube“ 6 ; 5 paßt, 7 Trichter. Nach Pfurtſcheller, verändert. Najaden, trocken verpackt, weite Transporte aushalten, ohne einzu— gehen. — Eine kräftiger wirkende Einrichtung zum Waſſerwechſel beſitzen, entſprechend ihrer größeren Lebhaftigkeit, die Tintenfiſche: durch Erweiterung der Mantelhöhle wird am ganzen Umfang des Mantelrandes ein Einſtrömen von Waſſer bewirkt; dann legt ſich der Mantelrand dem Körper feſt an, ſo daß die Mantelhöhle nur noch durch das median gelegene Trichterrohr (Abb. 238, 7) nach außen geöffnet iſt, und eine ſtarke Zu— ſammenziehung des Mantels treibt das Waſſer durch den Trichter in einem Strahl heraus, der nach dem Belieben des Tieres ſo ſtark ſein kann, daß der Rückſtoß den ſchwimmenden Tintenfiſch energiſch in entgegengeſetzter Richtung forttreibt (vgl. oben S. 187). In manchen Fällen ſind die Ktenidien ganz geſchwunden: einige Vorderkiemer und manche Hinterkiemer unter den Schnecken und alle Scaphopoden (die ſogenannten Zahnröhren, Dentalium) ſind ausſchließlich Hautatmer und beſitzen gar keine lokaliſierte Atmung. Bei den Hinterkiemern (Nudibranchiern) iſt häufig durch Vergrößerung der Körperober— fläche mittels hornartiger Fortſätze, der ſogenannten Cerata ein Erſatz für den Ausfall Luftatmung bei Weichtieren. 367 beſonderer Atmungsorgane geſchaffen; bei anderen, den Dorididen, find neue, reich mit Blut verſorgte Kiemen in der Umgebung des Afters aufgetreten, die ſogenannten Anal— kiemen, die zwar funktionell den Ktenidien ähnlich ſind, aber nicht etwa als Umbildungen derſelben angeſehen werden dürfen. Wie unter den Krebſen die Landaſſeln und eine Anzahl Krabben, ſo haben ſich unter den Weichtieren manche Schnecken ganz oder teilweiſe dem Landleben angepaßt. Der Gasaustauſch geſchieht bei ihnen am Dach der Atemhöhle, wo ein reich veräſteltes Blutgefäßnetz dicht unter der Epidermis liegt und ſie faltenartig vordrängt; man hat dieſe Bildung als Lunge bezeichnet. Die Mantelhöhle iſt bis auf eine kleine Offnung, das Atemloch, geſchloſſen, indem der Mantelrand mit dem Körper verwachſen iſt (Abb. 239) — lauter Verhältniſſe, die an die Umbildung der Atem— höhle bei den Landkrabben und Birgus erinnern. Die Erneuerung der Atemluft geſchieht durch Ver— engerung und Erweiterung der Atemhöhle. Bei einem in der Gezeitenzone lebenden Vorder— kiemer, Littorina, iſt ein ſolches Gefäßnetz neben den Reſten des Ktenidiums in der Mantelhöhle vorhanden, ſo daß das Tier nach Bedürfnis Luft oder Waſſer ver— atmen kann. Dagegen haben die anderen landbewohnenden Vorder— kiemer, die bei uns durch die Gattungen Cyelostoma, Acme und Pomatias vertreten ſind, das eren Cenſgdgdgͥuͥuü 0 an en ne iſt es bei den Lungenſchnecken Abb. 239. Weinbergſchnecke (Helix pomatia L.); das Gehäuſe iſt entfernt und in B die Atemhöhle geöffnet. (Pulmonaten), die durch ihren 1 Sammelgefäß der Atemhöhle, das das Blut zum Herzen führt, 2 Niere, Bau, 5 B. durch ihre Zwittrigkeit, Mitteldarmſack, 4 ie 6 Enddarm, 7 Atemloch. durch den Mangel eines ſtändigen, auf der Rückenſeite des Fußes angewachſenen Deckels und durch die Anordnung des Nerven— ſyſtems, von den Vorderkiemern ſcharf geſchieden ſind. Von den Lungenſchnecken haben ſich eine Anzahl Arten, wie die Teich- und Tellerſchnecke (Limnaea, Planorbis) wiederum dem Waſſer— leben angepaßt; ſie müſſen zur Atmung an die Oberfläche des Waſſers kommen (Abb. 265). Aber bei ihnen kann unter Umſtänden die der Luftatmung angepaßte Atemhöhle wieder der Waſſeratmung dienen: in der Tiefe des Bodenſees und des Genfer Sees leben Limnaeen, die nie an die Oberfläche kommen, alſo ihr Sauerſtoffbedürfnis offenbar aus dem Waſſer decken, wie dies ja zunächſt die jungen Limnaeen gleich nach dem Verlaſſen des Eies tun. b) Kiemenatmung bei den Chordatieren. Ein folgenreicher Schritt in der Entwicklung der Tierreihe war die Verbindung der Atmungsorgane mit dem Vorderdarm, wie ſie bei den Chordatieren eingetreten iſt. Die niederen Chordaten, die Manteltiere und Amphioxus, ſind nach der Art ihrer Nahrungs— 368 Atmung der Manteltiere. aufnahme Strudler. Der jtete Zuſtrom von Waſſer, der hierbei zum Vorderdarm ge— leitet wurde, gab wohl die Veranlaſſung dazu, daß ſeine Wandungen unter beſonders günſtige Atmungsbedingungen kamen und hier die Atmung lokaliſiert wurde, während die diffuſe Hautatmung, bei den meiſten Manteltieren wenigſtens, durch die Entwicklung des dicken ſchützenden Zelluloſemantels beeinträchtigt werden mußte; das zuſtrömende Waſſer fand durch ſeitliche Spalten in der Vorderdarmwand einen Ausweg (Abb. 73, S. 107). Bei den Wirbeltieren iſt die Art des Nahrungserwerbs eine andere geworden: ſie greifen die Nahrung; aber die Stelle der Atmung iſt zunächſt bei den Waſſeratmern unter ihnen dieſelbe geblieben. Doch mußten mit dem Nachlaſſen der Wimperbewegung, die bei den Strudlern die Erneuerung des Atmungswaſſers beſorgte, aktive Atembewe— gungen eintreten. Unter den Manteltieren haben die Appendicularien jederſeits nur ein Kiemenloch, das den Vorderdarm mit der Außenwelt verbindet; ein ſtarker Wimperapparat an der inneren Offnung der Kiemenlöcher erzeugt den Waſſerſtrom, der durch den Mund ein— und hier austritt. Da die geſamte Körperoberfläche, der hier kein Zelluloſemantel zu— kommt, wie bei den übrigen Manteltieren, im Dienſte der Atmung ſteht, ſo genügt bei dieſen kleinen Tieren eine ſo einfache Einrichtung. Bei den Aseidien dagegen ſtehen jederſeits in der Wand des Vorderdarmes mindeſtens drei Reihen von Kiemenſpalten, und dieſe öffnen ſich nicht direkt nach außen, ſondern in einen ektodermalen Peribranchial— raum, der mit dem After in den Kloakenraum und durch eine unpaare Offnung nach außen mündet. In der Entwicklung durchlaufen allerdings die Ascidien einen Zuſtand, der dem bei den Appendicularien beſchriebenen ſehr ähnlich iſt. In die paarigen, durch Einſtülpung des Ektoderms entſtandenen Peribranchialbläschen der Ascidienlarven mündet anfangs jederſeits eine Kiemenſpalte, der ſehr bald die zweite folgt; daran ſchließt ſich die Entſtehung zweier Reihen von Kiemenſpalten, während ſich die beiden Peribranchial— bläschen zu einem einheitlichen Raum und ihre geſonderten Mündungen zu einer gemein— ſamen Ausfuhröffnung vereinigen. Durch zunehmende Mehrung der Durchbrechungen wird die zarte Wand des Kiemendarms zu einem Gitterwerk umgebildet, das bei manchen großen Formen, wie Phallusia mamillata Cuv. (Abb. 74), mehrere hunderttauſend Spalten enthalten kann. Das durch ſeine verſteckte Lage im Peribranchialraum geſchützte zarte Gitter wird von dem Atemwaſſer durchſtrömt, und ſo werden die Gefäße in den dünn— wandigen Balken faſt allſeitig von dem ſauerſtoffhaltigen Medium umſpült. Die rieſige Atemfläche, die ſo entſteht, bietet einen Erſatz für den Verluſt der diffuſen Atmung, die durch den dicken Zelluloſemantel unmöglich gemacht wird. — Auch bei den verwandten Salpen iſt die Wand des Vorderdarms von zahlreichen Kiemenſpalten durchbrochen, die aber hier alle auf einer Seite derſelben liegen und ſich direkt in den benachbarten Kloakenraum öffnen. Wie bei den Appendicularien münden auch beim Amphioxus während des Larven— ſtadiums die Kiemenſpalten, die in zwei Reihen die Wand des Vorderdarmes durch— bohren, frei nach außen. Ihre Zahl verharrt eine Zeitlang auf acht bis neun jederſeits und nimmt ſpäter durch Bildung von neuen und Teilung von ſchon vorhandenen Spalten erheblich zu, ſo daß ſich auch hier eine außerordentliche Oberflächenentwicklung ergibt. Der Schutz des zarten Atemepithels wird durch Bildung eines Peribranchialraumes er— reicht; jederſeits erhebt ſich dorſal über der Reihe der Kiemenſpalten eine Hautfalte, die ſich über ſie vorſchiebt und mit ihrem Gegenüber in der ventralen Mittellinie verwächſt; der Peribranchialraum mündet an ſeinem Hinterende durch eine median gelegene Offnung nach außen (Abb. 73 B). Kiemenapparat der Fiſche. 369 Bei allen dieſen Formen bietet jede einzelne Kiemenſpalte nur eine kleine Oberfläche und die große Atemfläche kommt durch die bedeutende Zahl der Spalten zuſtande. Bei den Wirbeltieren ſind nie mehr als acht, meiſt aber nur fünf, bei den Amphibien vier Kiemenſpalten vorhanden; aber die Atemfläche wird hier dadurch vergrößert, daß ſich im Bereiche der Spalten feine blutgefäßreiche und dünnwandige Faltenbildungen erheben, die Kiemenblättchen. Der Erfolg dieſer Neuerung iſt eine bedeutende Raumerſparnis: der Kiemenapparat, der bei den größeren Manteltieren bei weitem mehr Platz als alle übrigen Organe zuſammen einnimmt und der auch beim Amphioxus die volle Hälfte der geſamten Darmlänge beanſprucht, bleibt auf den vorderſten Teil des Darmes beſchränkt. In der Wirbeltierreihe geht die Entwicklung in der gleichen Richtung weiter: beim Neun— auge reicht der Kiemenapparat bis an das zweite Sechſtel des Körpers, bei den Haien und Rochen nimmt er häufig immerhin ein Siebentel bis ein Neuntel der Körperlänge ein, bei den Knochenfiſchen wird er ganz in die Kopfregion einbezogen. Die Kiemenſpalten ſind durch die ganze Reihe der Fiſche morphologiſch gleichwertig; ſie werden als ſackartige Ausſtülpungen des Vorderdarmes angelegt, die dann nach außen durchbrechen. Ebenſo ſind die Gewebsbalken, die zwiſchen den Kiemenſpalten ſtehen bleiben und ſie vorn und hinten begrenzen, die ſogenannten Schlundbogen, bei allen Fiſchen homolog; der vorderſte iſt der Kieferbogen, der zweite der Hyoidbogen, dann folgt eine wechſelnde Anzahl von Kiemenbogen. In dieſen Schlundbogen verlaufen, vom Herzen kommend, die zuführenden Gefäße der Kiemen, die Kiemenarterien, und ihre abführenden Gefäße, die Kiemenvenen, die ſich dorſal vom Schlund zur Körperſchlagader (Aorta) ver— einigen. Die größte Zahl von Kiemenſpalten, acht jederſeits, kommt bei dem Haifiſch— Heptanchus vor. Die Rundmäuler beſitzen nur ſieben; die vorderſte Kiemenſpalte, zwiſchen Kiefer- und Hyoidbogen, wird bei ihnen wohl angelegt, kommt aber nicht zum Durch— bruch und verſtreicht. Bei den Selachiern (Abb. 194, S. 307) und manchen Ganoiden wird dieſe zum ſogenannten Spritzloch, das, von den übrigen Kiemenſpalten geſondert an der Oberſeite des Kopfes, nicht weit hinter den Augen liegt. Im übrigen bleiben bei Hexanchus ſechs, bei den meiſten Selachiern und den Ganoiden jedoch nur fünf Kiemen— ſpalten erhalten, indem die beiden hinterſten der Rückbildung verfallen; ebenſo iſt es bei den Knochenfiſchen, bei denen auch die vorderſte Spalte nicht durchbricht. Die Kiemen jedoch, die im Bereich dieſer Spalten ſtehen, ſind nicht morphologiſch gleichwertig, wenn ſie auch die gleichen Leiſtungen haben und eine große Ahnlichkeit zeigen. Bei den Rundmäulern ſind ſie entodermalen Urſprungs; ſie entſtehen an dem Teile der Kiemenſpalte, der aus der Darmausſtülpung hervorgeht; man kann ſie als Darmkiemen bezeichnen; bei Selachiern, Ganoiden und Knochenfiſchen dagegen bilden ſie ſich an der Außenſeite der Kiemenbogen aus dem äußeren Hautüberzug, dem Ektoderm, zuweilen ſchon zu einer Zeit, wo die Spalten noch nicht oder nur unvollkommen durch— gebrochen find: ſie find Hautkiemer. Eine Ausnahmeſtellung nimmt die Spritzlochkieme ein; ſie ſtammt vom Entoderm, und auch ihre Blutverſorgung iſt anders als bei den übrigen Kiemen: ſie wird nicht direkt von einer Kiemenarterie verſorgt, ſondern erſt von der aus dem folgenden Kiemenbogen austretenden Kiemenvene, erhält alſo Blut, das ſchon ſeine Kohlenſäure abgegeben und Sauerſtoff aufgenommen hat. Die ſieben Paar Kiemenſpalten der Rundmäuler (Abb. 240 A) ſind zu Kiemen— taſchen erweitert und in ihrer ganzen Ausdehnung mit Kiemenblättchen beſetzt; jede mündet mit einer engen Mündung nach außen, mit einer anderen in den Vorderdarm (Abb. 244); dadurch ſind die Kiemen gegen Verletzungen und Verklebungen, durch Fremdkörper von Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 24 370 Kiemenapparat der Fiſche. außen und durch Teile der Nahrung von innen her, geſchützt. — Bei den Selachiern (Abb. 240 B) ſtehen die Kiemenblättchen an der Vorder- und Hinterwand der Kiemen— ſpalte, alſo an der Hinter- und Vorderſeite der Kiemenbögen; von jedem Kiemenbogen geht eine ſchmale Hautfalte nach hinten und überdeckt die nachfolgende Kiemenſpalte; in— dem dieſe Falte oben und unten mit der unterliegenden Haut verwächſt, verengert ſie die Außenöffnung der Spalte und gibt ihr damit größere Sicherheit. — Bei den Gano— iden und Knorpelfiſchen trägt der Schlundbogen, der die fünfte der vorhandenen Kiemen— ſpalten rückwärts begrenzt, keine Kieme mehr, ja manchmal hat auch der vorhergehende nur eine Reihe Kiemenblättchen. Die Länge der mit Kiemenblättchen beſetzten Strecke jedoch und damit die Zahl der Blättchen ſelbſt und die geſamte Atemfläche iſt dadurch vergrößert, daß der Kiemenbogen nicht gerade von oben nach unten verläuft, wie bei den Selachiern, ſondern unter mehr oder weniger ſpitzem Winkel nach hinten geknickt iſt. 2 2 2 RT Abb. 240. Dorſale Hälfte des Kopfes mit dem Kiemenapparat. A bei Rundmäulern, 3 bei Seladiern, © bei Ganbiden und Knochenfiſchen. 1 Kiementaſche, 2 äußere Offnung der Kiemenſpalte, 2° Spritzloch, 3 Schlundſpange, 4 Kieme, 5 Spritzlochkieme, 6 Kiemendeckel mit der zugehörigen Kieme 6“. Nach Goette. Die Lage der Kiemenblättchen in zwei Reihen auf der äußeren Kante der Bögen (Abb. 2400) iſt nur dadurch ohne Gefahr mechaniſcher Verletzungen möglich, daß ſich vom Hyoidbogen aus eine Hautfalte, von Skelettſtücken geſtützt, als Kiemendeckel über die geſamten Kiemen— ſpalten herüberlegt, ſo daß gleichſam jederſeits ein Peribranchialraum gebildet wird, der durch eine lange Spalte nach außen mündet. Andrerſeits können unter ſolchen Umſtänden die Kiemenſpalten enge und die Bögen ſchmal ſein, ſo daß der ganze Kiemenapparat auf engen Raum zuſammengedrängt wird. Die am Hyoidbogen anſitzende Kieme iſt bei den Ganoiden auf die Innenſeite des Kiemendeckels gerückt und zur ſogenannten Opercular— kieme (6°) geworden, bei den Knochenfiſchen iſt ſie geſchwunden. Gegen den Mundraum ſind die Kiemen der Knochenfiſche ebenfalls vor Verletzungen geſichert, die ihnen durch vorbeiſtreichende Nahrungsteilchen drohen könnten: die Kiemen— bogen ſind innen mit ineinandergreifenden oder die Spalten überdeckenden Fortſätzen be— ſetzt, ſie tragen einen Reuſenapparat, der bei den Raubfiſchen, die große Nahrungsbrocken ſchlucken (z. B. Hecht, Zander) nur in einigen Stacheln beſteht, bei Friedfiſchen (3. B. Kiemenblättchen. 371 Karpfen, Maifiſch, Abb. 241) dagegen ſo eng iſt, daß er eine Verunreinigung der Kiemen wirkſam verhütet und zugleich ein Entwiſchen der kleinen Beutetierchen mit dem Atem— waſſer verhindert. Man kann in vielen Fällen aus der Beſchaffenheit dieſes Apparates geradezu einen Schluß auf die Art der Nahrung ziehen. Den feineren Bau der Kiemenblättchen wollen wir von den Knochenfiſchen, wo ſie am eingehendſten unterſucht ſind, eiwas genauer ſchildern. Ein ſolches Blättchen (Abb. 242A) iſt eine ſpitz dreieckige oder lanzettliche Schleimhautfalte und enthält im Innern einen Stütz- und Bewegungsapparat, beſtehend aus einer bald knorpeligen, bald knöchernen Kiemengräte, die von Bindegewebe umhüllt iſt, und aus Muskeln, die die Blättchen zweier Nachbarreihen einander nähern und voneinander entfernen können. Die Haut iſt auf den flachen Seiten in eng ſtehende quergerichtete Fältchen gelegt, auf denen das Epithel dünner iſt als an anderen Stellen des Blättchens. Beim Hecht kommen ſolcher Fältchen etwa 150 auf 10 mm zu ſtehen, und die Oberfläche des Blättchens wird dadurch auf das Vierfache vermehrt. Parallel dem Kiemenbogen ver— laufen die beiden großen Kiemengefäße, Kiemenarterie und bene, an der Berührungsſtelle der beiden Blättchenreihen (Abb. 242 ). Die Arterie gibt an jedes Blättchen ein Gefäß ab, das an der der Nach— barreihe zugewandten Seite des Blättchens bis an deſſen Ende verläuft; an jede der kleinen Schleimhaut— falten ſchickt es ein Nebengefäß, und dieſes löſt ſich in ein Netz von Kapillaren auf, die die Falte durch— ſetzen, ſich an ihrem Ende ſammeln und in das zur Kiemenvene führende Gefäß einmünden. In den dünnen leiſtenförmigen Fältchen des Kiemenblättchens werden die Kapillaren von zwei Seiten vom Atem— waſſer beſpült und auf dieſe Weiſe reicher mit Sauer— ſtoff verſorgt, als wenn ſie unter einer glatten Ober— Abb. 241. Boden des Kiemendarms fläche lägen. vom Maifiſch (Clupea alosa Cur.), Die Atmung verläuft bei den Fiſchen im all⸗ von innen geſehen, mit Kiemenfilter. . z * 2 Nach Zander. gemeinen ſo, daß die Hauptmenge des Waſſers durch das Maul eintritt und durch die Kiemenſpalten hindurch nach außen gepreßt wird. Dieſer Vorgang verläuft in zwei Zeiten folgendermaßen (Abb. 243 A u. B): Zuerſt tritt eine allgemeine Erweiterung ein; die Mundhöhle wird durch Abwärtsbewegen des Mundbodens ausgedehnt, das Maul geöffnet, der Kiemendeckel gehoben; es ſtrömt dabei ſowohl durch den Mund als unter dem Kiemendeckel Waſſer ein, wenn auch an letzter Stelle die bewegliche Branchioſtegalmembran, die den ventralen Rand des Kiemen— deckels bildet, einen Teil der Offnung verſchließt. Darauf folgt eine allgemeine Zu— ſammenziehung; das Entweichen des Waſſers durch den Mund wird durch eine hinter der Mundöffnung ſtehende, ventilartig angebrachte Hautfalte (3) verhindert; es wird alſo alles Waſſer durch die Kiemenſpalten hinausgepreßt, und bei dem Widerſtand, den es an dem ſich ſchließenden Kiemendeckel findet, wird es zwiſchen die einzelnen Kiemenblättchen hineingepreßt und ſtreicht nicht bloß zwiſchen ihnen vorbei. In den Grundzügen ebenſo verläuft die Atmung bei den Haien und Ganoiden. Die Rochen aber, die mit ihrem bauchſtändigem Maule dem Sande aufliegen (vgl. 242 372 Atmen der Neunaugen. Abb. 197 S. 310), ſaugen das Atemwaſſer durch das weite, dorſal gelegene Spritzloch ein und ſtoßen es durch die übrigen bauchſtändigen Kiemenſpalten aus. Auch die frei— .. i llebenden Larven denn? Sn 5 N I (Ammocoetes) gleichen in der Art cn 12 B 7 der Atmung den Knochenfiſchen: das l U © | Atemwaſſer tritt durch Mund und S N = A: 8 3 eh E N Kiemenſpalten ein und nur durch a) = N f Ss die letzteren aus. Die fertigen — m I Neunaugen (Petromyzon) dagegen zz 43 — ſind mit ihrem Saugmund an einen > 7 \ > 8 8 — | | 3 a | Fiſch angeheftet, dem ſie ſaugend — + 1 Säfte entziehen; ſie können alſo Br 1 | icht i i i Se —2 — nicht in der gleichen Weiſe atmen — 0 5 = wie ihre Larven, ſondern es tritt — 5 0 7 N unter Erweiterung und Verengerung Se, 1 des Kiemenkorbes das Waſſer durch 3 > die Kiemenſpalten ſowohl ein als aus. Zugleich aber ſind bei der Metamorphoſe die anatomiſchen Ver— hältniſſe des Vorderdarms andre geworden (Abb. 244 Au. B): während — Ü—ũ.ꝛ ĩßꝛ—ö³;r—Xpsẽůw — bei der Neunaugenlarve wie bei den JJ)VVV)VVVVVVVVVTVTTVV Da Sn A von der Fläche geſehen, B mit eingezeichnetem Gefäßverlauf; ſchematiſch. zugleich von der aufgenommenen 1 Kiemenarterie, 2 Kiemenvene, 3 Kiemenſpange. 5 AR 2 A 8 Nahrung paſſiert wird, iſt er bei den fertigen Neunaugen durch eine Schleimhautfalte in zwei Abſchnitte geteilt, einen dorſalen Speiſeweg und einen ventralen Atemraum, in den ſich die Kiementaſchen öffnen. Bei manchen Knochenfiſchen, z. B. dem Karpfen, dem Gründling (Gobio gobio L.) und der Schmerle (Cobitis barbatula L.) kann man beobachten, daß ſie in ſauerſtoff— armem Waſſer an der Oberfläche Luft ſchnappen, die, bei den Atem— bewegungen mit dem Atemwaſſer geſchüttelt, deſſen Sauerſtoffgehalt erhöht und dann in Blaſen durch die Kiemenſpalten wieder austritt. Sie atmen alſo nicht direkt Luft; vielmehr ſterben die meiſten Fiſche Abb. 243. Schema der Atmung bei einem Knochenfiſch. ſehr ſchnell an der Luft. Das kann 4 Einatmung, 5 Ausatmung, 1 Kiemenbögen, 2 Schlund, 3 Mundfalte, ; 5 R 4 Branchioftegalmembran. Nah Dahlgren. nicht durch Vertrocknen der Kiemen bewirkt werden, ſondern es iſt wahr— ſcheinlich die Verminderung der Atemfläche durch Verkleben der Kiemenblättchen mit— einander, was den Tod herbeiführt. Im übrigen iſt die Schnelligkeit, mit der Fiſche in der Luft ſterben ſehr verſchieden: der Hering geht zugrunde, ſobald er aus dem Luftatmung bei Fiſchen. 373 Waſſer genommen wird, der Aal kann viele Stunden außerhalb des Waſſers aus— halten — es ſind offenbar uns noch unbekannte Unterſchiede in der Organiſation, die eine größere oder geringere Lebenszähigkeit bewirken. Aber wie bei Krebſen und Schnecken, ſo ſind auch bei den Fiſchen manche Arten zur direkten Veratmung von Luft befähigt, und zwar ſind verſchiedene Wege zum gleichen Ziel eingeſchlagen; dadurch wird ihnen teils das Leben in verdorbenem Waſſer ermög— licht, teils auch ein längerer oder kürzerer Aufenthalt außerhalb des Waſſers geſtattet. In eigenartiger Weiſe geſchieht die Luftatmung beim Schlammpeitzger (Cobitis fossilis L.) und z. T. auch beim Steinbeißer (Cobitis taenia L.). Der Schlammpeitzger (Abb. 245) lebt in ſchlammigen Bächen und Gräben, deren Waſſer oft ſehr arm an Sauerſtoff iſt. Er kommt oft an die Oberfläche, um Luft zu ſchnappen; dieſe läßt er aber nicht unter den Kiemendeckeln wieder 1 3 austreten, jondern er NN, verſchluckt fie: wenn fie 5 . beim nächſten Aufitieg durch den After wieder ausgeſtoßen wird, ent— hält ſie nur noch 10 7 2 bis 13 Raumteile Sauer- ſtoff, hat alſo etwa die Hälfte ihres Sauerſtoffs abgegeben. Die Unter— ſuchung zeigt, daß bei dieſen Fiſchen der mitt— lere und hintere Ab— ſchnitt des Mitteldarms ſehr reichlich mit Blut— kapillaren verſorgt iſt Abb. 244. Medianſchnitt durch die Kiemenregion der Neunaugenlarve 3 5 4 4 (Ammocoetes) und des erwachſenen Neunauges (Petromyzon). die bis dicht unter das 1 Naſengrube, 2 Gehirn, 3 Rückenmark, 4 Chorda, 5 Herz, 6 Kiemendarm, der beim er— 1 N 2 : wachſenen Tier durch eine Hautialte in einen Speiſeweg 6“ und einen Atemraum 6” ge— hier niedrige Epithel ſondert iſt, 7 Mundſegel, 8 Saugmuskulatur. 7775 8 el F, N . 6 NH 2 mul E reichen, daß er alſo zum Atemdarm geworden iſt, während der vordere Teil des Mitteldarms allein oder doch in der Hauptſache der Verdauung dienſtbar iſt. Die Ausſcheidung von Kohlenſäure geſchieht jedoch nicht in der Darmſchleimhaut, ſondern geht nur durch die Kiemen vor ſich. Normalerweiſe greifen Kiemen- und Darmatmung ineinander. Wenn aber der Fiſch genug ſauerſtoffreiche Luft aufgenommen hat, kann er die Kiemendeckelbewegungen zeit— weiſe ganz einſtellen; das Blut wird dann vom Darm aus genügend mit Sauerſtoff verſorgt; andrerſeits übt er in gutem Waſſer bei niedriger Temperatur (+ 5°C) faſt nur Kiemenatmung, die aber bei geſteigertem Stoffwechſel das Sauerſtoffbedürfnis nicht zu decken vermag. Der Steinbeißer aber benutzt die Darmatmung nur zur Aushilfe; wir ſehen in ihm gleichſam eine Vorſtufe der beim Schlammpeitzger ſoweit gediehenen An— paſſung verkörpert. Ebenſo wie unſer Schlammpeitzger ſollen auch die ſüdamerikaniſchen Panzerwelſe der Gattungen Callichthys, Hypostomus und Doras Darmatmung zeigen. In andrer Weiſe geſchieht die Veratmung atmoſphäriſcher Luft bei den Labyrinth— fiſchen, von denen jetzt viele von den Liebhabern in Aquarien gehalten werden. Zu 374 Labyrinthfiſche. Abb. 245. Schlammpeitzger (Cobitis fossilis L.). Das obere Exemplar ſchnappt an der Oberfläche Luft und läßt zugleich Luftblaſen durch ſeinen After entweichen. ihnen gehören z. B. der Kletterfiſch (Anabas scandens Daldorff), die Makropoden (Polya- canthus), der Gurami (Osphromenus) und die Schlangenköpfe (Ophiocephalus). Das Organ für die Luftatmung iſt der Labyrinthapparat, der ihnen allen zukommt. Er beſteht Abb. 246. Labyrinthapparat des Kletterfiſches (Anabas), durch Entfernen des Kiemendeckels und der benachbarten Körperwand freigelegt. Die Labyrinthtaſche iſt in A geſchloſſen geblieben, in B geöffnet. 7 erſte Kiemenſpange. Nach Henninger. in einer Erweiterung der Kiemenhöhle über dem 1. und 2. Kiemen- bogen (3. und 4. Schlundbogen): ein taſchenartiger Raum umſchließt ein lamel— löſes, zierlich gefal— tetes Skelettſtück, das Labyrinth, das durch Umwandlung eines Gliedes der erſten knö— chernen Kiemenſpange entſteht (Abb. 246). Die Labyrinthtaſche öffnet ſich ſowohl unter dem Kiemendeckel nach außen wie auch in die Mundhöhle. Der Haut— überzug des Labyrinthknochens und die Taſchenwand ſind überaus reich mit zierlichen Blut— gefäßnetzen ausgeſtattet; die zuführenden Gefäße kommen von den Kiemenvenen des 1. und Labyrinthfiſche. Lurchfiſche. 375 2. Kiemenbogens, und das hier mit Sauerſtoff beladene Blut fließt durch die Kopfvene zum Herzen zurück. Daß die Fiſche neben der Kiemenatmung wirklich Luft atmen, läßt ſich durch Beobachtung und Verſuche erweiſen. Sie kommen von Zeit zu Zeit an die Oberfläche, um Luft zu ſchnappen, Anabas z. B. bei mitt— lerer Temperatur etwa alle drei Minuten. In ausgekochtem Waſſer kann Anabas beliebig lange aushalten, wobei er aller— dings öfter als ſonſt zum Luftſchnappen aufſteigt; dagegen geht er auch in ſauerſtoffreichem Waſſer bald zugrunde, wenn man ihn durch ein ausge— ſpanntes Netz hindert, an der Oberfläche Luft auf— zunehmen. Dementſpricht die freie Lebensweiſe der Labyrinthfiſche; ſie ſind alle mehr oder weniger ausgeprägte Schlamm— fiſche und manche können ein zeitweiliges Aus— trocknen ihrer Wohnge— biete während der heißen Zeit vertragen; einige vermögen bis zu fünf Tagen, vielleicht noch länger außerhalb des Waſſers zu leben, und vom Kletterfiſch wird be— richtet, daß er weite Wanderungen über Land macht. Einer dritten Art von Luftatmung begegnen . — wir ſchließlich bei den Abb zur. Senkrechter Schnitt durch den Boden eines ausgetrockneten Ge- Dipnoörn oder Lurch⸗ wäſſers mit dem e e Schlamm⸗ fiſchen: bei ihnen iſt die Schwimmblaſe neben den Kiemen zum Atmungsorgan geworden; ihre Schleimhaut hat durch maſchige Erhebungen eine reich entwickelte Oberfläche bekommen und iſt mit einem dichten Blutkapillarnetz ausgeſtattet, ſo daß ſie an die Lungen mancher Amphibien erinnert. Ceratodus, der Lungenfiſch Auſtraliens, kommt alle 30 bis 40 Minuten an die Oberfläche, um unter dumpfgrunzendem Geräuſch ſeine Schwimmblaſenluft zu erneuern; dank dieſer 376 Kiemenatmung bei Amphibien. Luftatmung kann er während der heißen Jahreszeit in Pfützen und Lachen ausdauern, deren Waſſer durch Fiſchleichen und faulende Algen verpeſtet iſt. Der afrikaniſche Lungenfiſch Protopterus (Abb. 247) wühlt ſich beim Austrocknen der Gewäſſer in den Schlamm ein und deckt ſein Sauerſtoffbedürfnis während dieſes Sommerſchlafes ganz durch Luftatmung. Die Amphibien haben als Larven (Abb. 266, 10) ebenfalls Kiemenatmung; aber nur die Perennibranchiaten, zu denen u. a. der Olm der Karſtgrotten (Proteus anguineus Laur.) und der japaniſche Rieſenſalamander (Megalobatrachus maximus Schleg.) gehören, behalten dieſe zeitlebens neben der Lungenatmung bei. Es ſind in der Regel drei Paar gefiederte veräſtelte Kiemen vorhanden, an deren Wurzeln bei den Larven vier Paar, bei den Perennibranchiaten nur ein bis drei Paar Kiemenſpalten ausmünden. Die Kiemen ſind nach dem Ort ihres Entſtehens und nach ihrem Urſprung vom Ektoderm denen der Selachier und Knochenfiſche gleich zu ſetzen; von entodermalen Kiemen finden ſich noch Spuren in Geſtalt von kiemenartigen Querleiſten an der Wand der Kiemenlöcher. Bei den Larven der Froſchlurche ſind die Kiemen anfangs frei, wie ſie es bei den meiſten Schwanzlurchen bis zur Metamorphoſe bleiben; ſie werden aber im weiteren Verlauf der Entwicklung von Hautfalten überwachſen, die wie die Kiemendeckel der Fiſche eine be— ſondere Kiemenkammer umſchließen. Bei den afrikaniſchen Krallenfröſchen (Nenopus) be— halten dieſe Kiemenkammern jede ihre beſondere Offnung; bei den Larven der Unke (Bombinator) und der Geburtshelfskröte (Alytes) fließen dieſe beiden Offnungen in der Mitte der Bauchſeite zuſammen, während bei unſeren übrigen Froſchlurchen die beiden Kiemenkammern durch einen Quergang verbunden werden und nur die Offnung der linken Kammer beſtehen bleibt, während die der rechten verſchwindet. Dabei bilden ſich die zuerſt vorhandenen Kiemen zurück und es entſtehen auf dem gleichen Mutterboden neue, den vorigen ähnliche; ein Gegenſatz zwiſchen jenen „äußeren“ und dieſen „inneren“ Kiemen iſt aber keineswegs vorhanden. Die Atmung verläuft ganz ähnlich wie bei den Fiſchen: die Inſpiration geſchieht unter Offnen des Mundes, Senken des Bodens der Mundhöhle und Heben des ſeitlichen Teiles des Kiemenkorbs, die Exſpiration unter den entgegen— geſetzten Bewegungen. Mit der Metamorphoſe verſchwinden die Kiemen, die Kiemen— ſpalten ſchließen ſich und nur die vorderſte, zwiſchen Kiefer- und Zungenbeinbogen, bleibt in großer Ausdehnung als Mittelohr und Euſtachiſche Röhre beſtehen. Damit erfolgt das Aufgeben des Waſſerlebens, und die ſchon vorher ausgebildeten Lungen übernehmen die Atmung. Die morphologiſchen Grundlagen des Kiemenapparates ſind dem Wirbeltiertypus ſo feſt aufgeprägt, daß ſie ſich auch bei den niemals durch Kiemen atmenden Tieren, den Reptilien, Vögeln und Säugern, erhalten haben und in ihrer Entwicklung auf das deutlichſte wiederkehren: vom Vorderdarm der Embryonen gehen Schlundtaſchen aus, die in der Fünf-, bei den Säugern in der Vierzahl angelegt werden und manchmal auch unter Durchbruch der Wandung zu wirklichen Kiemenſpalten werden (Abb. 34, S. 66). Auch die Bildung der Schlundbögen und der ſie ſtützenden Skeletteile und der Verlauf der Gefäße ſind noch ganz ſo geblieben wie bei den Fiſchen; nur die eigentlichen Atmungsorgane, die Kiemenblättchen, fehlen. Der ganze Apparat kann nur als Erbteil von kiemenatmenden, fiſchähnlichen Vorfahren aufgefaßt werden; die Umwandlung ſeiner einzelnen Abſchnitte unter Übernahme neuer Ver— richtungen haben wir teils ſchon kennen gelernt (S. 307 f.), teils werden wir fie noch zu betrachten haben. Vorteile der Luftatmung. | c) Die Luftatmung der Uirbeltiere. Wir jahen, wie bei mehreren großen Abteilungen, den Krebſen, den Schnecken und den Fiſchen, die Luftatmung neben der ererbten Waſſeratmung auftritt und ſie hie und da ſogar ganz verdrängt. Der viel reichlichere Sauerſtoffgehalt der atmoſphäriſchen Luft gegenüber dem Waſſer bietet bedeutende Vorteile für einen energiſchen Gasſtoffwechſel; wir begegnen daher gleichſam Verſuchen, dieſe bei weitem ausgiebigere Art der Atmung einzuführen. Dieſe Verſuche ſind aber nur bei den Landſchnecken, den Landgliederfüßlern (Tauſendfüßern, Inſekten und Spinnen) und den Landwirbeltieren „völlig geglückt“. Der bei weitem reichere Gasſtoffwechſel der Landtiere gegenüber den Waſſeratmern iſt durch die Verſuche von Jolyet und Regnard zahlen— mäßig nachgewieſen. Wenn man das Gewicht der Kohlen— ſäure berechnet, die ein Tier für ein Gramm ſeines Körper— gewichts in einer Stunde ausſcheidet, ſo erhält man Zahlen, die für die Waſſertiere ſehr niedrig, für die Landtiere dagegen zehn- bis hundertmal höher find. Jene Kohlenſäuremenge beträgt für den Blutegel 0,03 0,0 mg, für die Auſter 0,02 mg, für die Mießmuſchel 0,05 mg, für den Flußkrebs 0,06 mg, für den Flohkrebs (Gam- marus) 0,18 mg, für den Katzenhai (Scyllium stellare L.) 0,09 mg, für die Schleihe 0,06 mg, für die Ellritze 0,22 mg; von Landwirbeltieren dagegen produziert die Eidechſe 2,81 mg, das Huhn 22 mg, das Kalb 7,8 mg, das Kaninchen 14 mg und der Menſch 6,48 mg Kohlen— ſäure. Der Sauerſtoff aber iſt ein Mittel zur Aktivierung der in den Nährſtoffen enthaltenen latenten Energie. Die alſo mit dieſem reicheren Gaswechſel naturgemäß ver— Abb. 218. Horizontaler Durch: 15 5 Br 8 8 5 8 ſchnitt durch die Vorderhälfte bundene größere Leiſtungsfähigkeit und Lebhaftigkeit gibt einer Amphibienlarve. den Landtieren einen Vorſprung im Kampfe ums Daſein;ſo 1 bemendarm > Kiementaſche (dome 4 Lungenanlage, 5 Darm, 6 Leibeshöhle, %%% ᷣ d Der Re arnaur anne Luftatmer weit bedeutender iſt als die der Waſſeratmer; ver Borniere, Mundbucht. Nach Goette. wenn die Geſamtzahl der bekannten Arten vielzelliger Tiere auf 412 600 angeſetzt wird, fo kommen davon auf Luftatmer 330 250, alſo volle vier Fünftel. Von den Organen der Luftatmung ſollen hier zunächſt die Lungen der Landwirbel— tiere beſprochen werden, da ſie ſich in ihrer Entſtehung eng an die Kiemen anſchließen. Die Lungenanlage liegt nämlich bei den Larven der Froſchlurche in unmittelbarem Anſchluß an das letzte Paar der Darmkiementaſchen und erſcheint dadurch dieſen morphologiſch gleich- wertig. Bei den Neunaugen nämlich entſtehen hinter der achten Kiementaſche, die als letzte durchbricht, noch die Anlagen zweier rudimentärer Kiementaſchenpaare; das hinterſte liegt ganz im Bereich der Leibeshöhle, und ſeine Paarlinge verwachſen zu einem Gebilde, das der Lungenanlage bei den Amphibien (Abb. 248), gleicht. Die Lungen der Amphibien wären demnach durch Umwandlung ihres ſechſten Kiementaſchenpaares entſtanden zu denken, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ihnen die Lungen der Sauropſiden und Säuger gleichwertig find. In ähnlicher Weiſe ſcheint die Schwimmblaſe der Ganoiden und Knochenfiſche gebildet zu ſein. Zwar iſt ſie meiſt unpaar und liegt dorſal vom Darm; aber es kommen auch paarige Schwimmblaſen vor, wie bei den Lurchfiſchen 378 Herkunft der Lungen. Luftwege. Protopterus und Lepidosiren; ja in einem ſolchen Falle, bei Polypterus, einem Knochen— ganoiden, liegt fie zugleich ventral vom Darm. Auch dorſal gelegene Schwimmblaſen münden nicht immer auf dieſer Seite, ſondern bei Ceratodus, dem dritten der lebenden Lurchfiſche, mündet der Ausführgang der Schwimmblaſe auf der Ventralſeite des Darmes. Die Verlagerung der Schwimmblaſe nach der Rückenſeite läßt ſich aus ihrer ſtatiſchen Bedeutung (vgl. oben S. 195) unſchwer erklären. So erſcheinen alſo Lungen und Schwimm— blaſen gleichen Urſprungs, hervorgegangen aus rudimentären Kiementaſchen, und haben ſich nach verſchiedenen Seiten ausgebildet. Die Erhaltung dieſer Kiementaſchen gründet ſich auf die Übernahme neuer Funktionen: ſie wurden zu Luftbehältern; als ſolche dienten ſie entweder ſtatiſchen Zwecken und bildeten ſich zu Schwimmblaſen aus, oder ſie traten in den Dienſt der Atmung und wurden zu Lungen. Die Lungenatmung mag zunächſt nur als Ergänzung der Kiemenatmung gedient | haben, wie jetzt noch die Schwimmblaſen— atmung bei den Lurchfiſchen. Ihre Allein— herrſchaft iſt aufs engſte mit dem Über—⸗ gang zur vierfüßigen Bewegung verknüpft, die erſt eine volle Ausnutzung der Vorteile des Luftlebens geſtattete. Die beiden Lungen münden gemeinſam in den Vorderdarm ein. Dieſer gemein— ſame Abſchnitt iſt bei den Amphibien ſehr kurz; gleich unter der Mündung ſondern ſich die beiden Lungenſäcke von— einander. Von den Reptilien an kommt es aber zu einer gemeinſamen Luftröhre, der Trachea, die ſich in zwei zu den Lungen führende Röhren, die Bronchen, ſpaltet. In den kurzen gemeinſamen Ab— | ſchnitt der Lungen find bei den Amphibien Abb. 249. Schematiſche Darſtellung der zunehmenden zwei ſtützende Knorpelſtücke eingebettet, die 8 ce ſich durch ihre Lage im Vergleich zu den übrigen Schlundſpangen und durch ihre Muskelverbindung mit der vorhergehenden Spange als Reſte der ſiebenten Schlund— ſpange (fünften Kiemenſpange) erweiſen. Das bildet eine weitere Stütze für die Ab— leitung der Lungen von dem rudimentären ſechſten Schlundtaſchenpaare. Beim Olm (Proteus) noch einheitlich, ſind ſie bei anderen Amphibien geteilt und werden zur Grundlage für zwei ſtets wiederkehrende Bildungen, den Ring- oder Krikoidknorpel, der die Luftröhrenmündung umſchließt, und die beiden Stellknorpel (Aryknorpel). Dieſe Teile bilden zuſammen einen primitiven Kehlkopf, wie er z. B. den Fröſchen zukommt; durch Muskeltätigkeit können die beiden Stellknorpel bewegt werden und bewirken damit die Spannung zweier an ſie anſetzender Schleimhautfalten, der ſogenannten Stimm— bänder, die dabei den Luftweg verengen; beim Ausſtrömen aus der engen Spalte gerät die Luft in ſtehende Wellen und es kommt auf dieſem Wege zur Erzeugung von Tönen, wie bei den Zungenpfeifen. — Durch weitere Abſpaltungen vom Ringknorpel bilden ſich wahrſcheinlich weiterhin die Knorpelringe, die bei den Sauropſiden und Säugern die Luftröhre und die Bronchen ſtützen und damit die Offenhaltung der Luftwege gewähr— Oberflächenvermehrung in den Lungen. 379 leiſten; bei den Vögeln kommt es teilweiſe zu einer Verknöcherung der Ringe. Drei weitere Schlundſpangen treten bei den Säugern in den Dienſt der Luftwege: die vierte und fünfte verſchmelzen zu dem Schild- oder Thyreoidknorpel, der ſich dem primitiven Kehlkopf aufſetzt; damit wird alſo der ſtimmbildende Abſchnitt in die Tiefe verſenkt und vor Verletzungen geſichert; die ſechſte Schlundſpange bildet ſich zum Kiemendeckel um. Die urſprüngliche Sackform der Lunge hat ſich in ganz reiner Form nur bei Schwanz— lurchen, z. B. bei Triton, erhalten, wo die Wände des Lungenſackes vollkommen glatt ſind. Bei den übrigen Amphibien und bei dem niederſten Reptil, 0 der Brückenechſe (Sphenodon Abb. 250 A) iſt zwar noch ein weiter einheitlicher Raum vorhanden; die Wand desſelben aber iſt mit einem Wabenwerk von Falten bedeckt. Dieſes wird bei den höheren Formen immer komplizierter, ſo daß der Hauptraum mehr und mehr zurücktritt und die Lunge nicht mehr mit einem Sack vergleichbar iſt, ſondern eher eine ſchwammige Beſchaffenheit erhält. Entwicklungs— geſchichtlich iſt aber auch bei ſo kompli— 5 ziert gebauten Lungen der Binnenraum zunächſt immer einfach: er bildet eine direkte Fortſetzung des Luftröhrenaſtes (Bronchus) in die Lunge und kann als intrapul- monaler Bronchus dem extrapulmonalen gegen— übergeſtellt werden; von ihm aus bilden ſich Aus— ſtülpungen, die zu Neben— räumen (Kammern) wer— den, und indem ſich an dieſen der gleiche Prozeß wiederholt, erhalten wir Kammern zweiter Ord— nung oder Niſchen, an denen bei nochmaligem Eintreten der gleichen 4 N er * * Oberflächenvermehrung Abb. 250. Reptilienlungen, der Länge nach halbiert. Kammern dritter Ord— von der Brückenechſe (Sphenodon), B von einer Erdagame (Uromastix), € von einem Varan (Varanus bengalensis Daud.). nung oder Krypten ent- ſtehen (Abb. 249 u. 250). Der Binnenraum der Lunge wird alſo nicht verengt durch Einwucherung von Scheidewänden, ſondern erweitert ſich mehr und mehr vom Stamm— bronchus aus durch Bildung von Nebenräumen. Dieſe Differenzierung hält nicht not— wendig in allen Teilen der Lunge gleichen Schritt; beſonders am hinteren Ende erhalten ſich oft Räume mit weniger differenzierter Wandung (Abb. 250 C und 254). Die Lungen der Amphibien haben die größte Einfachheit bewahrt, aber ſie ſind durchaus nicht bei allen gleich gebildet: glatt ſind ihre Wände bei den Tritonen, und während ſonſt die mit einfachen Kammern beſetzte Wandung, wie beim Froſch, vorherrſcht, erinnern die höchſt ausgebildeten Amphibienlungen, die der Knoblauchskröte (Pelobates), 380 Geſtalt der Lungen. Reſidualluft. ſchon an Reptilienlungen. Auch bei dieſen laſſen ſich verſchiedene Stufen der Ausbildung unterſcheiden: am niedrigſten ſtehen, neben Sphenodon Abb. 250 A.) die Lungen der Eidechſen mit Kammern und Niſchen, höher die der Varaniden (Abb. 250 C), wo der freie Binnenraum bis auf den engen intrapulmonalen Bronchus verdrängt iſt, am höchſten die der Schildkröten und Krokodile, denen ſich die Lungen der Vögel und der niederſten Säuger (des Ameiſenigels Echidna) unmittelbar anſchließen laſſen. Der inneren Differenzierung geſellt ſich bei den Säugern noch ein äußerer Zerfall in einige große Lappen bei. Im allgemeinen paßt ſich die Geſtalt der Lungen der Körpergeſtalt an. Bei den Salamandern ſind ſie ſchlanker als bei den Fröſchen; bei den Schildkröten ſind ſie breit und kurz, bei den Eidechſen und beſonders den Schlangen lang und ſchmal. Enge Raum— verhältniſſe der Körperhöhlen können die Rückbildung der einen Lunge bewirken. So haben die Schlangen nur eine Lunge, mit alleiniger Ausnahme der Rieſenſchlangen (Boiden und Pythoniden), bei denen zwei erhalten bleiben; andre ſchlangenähnliche Reptilien zeigen Ahnliches: bei der Blindſchleiche (Anguis) iſt die linke Lunge etwa um 5 ein Drittel kleiner als die rechte, bei den Blindwühlen Be (Amphisbaeniden) dagegen iſt die rechte Lunge nur ganz klein, die linke normal ausgebildet; bei den fußloſen, wurmgeſtaltigen Schleichenlurchen (Gymnophionen) iſt wiederum die rechte Lunge viel ſtärker entwickelt als die linke. Im Bruſtkorb der Säuger bewirkt die etwas nach links verſchobene Lage des Herzens, daß die linke 4 i Lunge kleiner iſt als die rechte. Abb. 251. Unterieite | Die Erneuerung der Luft in den Lungen iſt für die des Kopfes eines J 5 : 8 . 5 Haifiihes(Seyllium). \ Atmung von allergrößter Wichtigkeit. Könnte durch völlige Von der Naſengrube 2 führt 0 7 . 8 8 eine Pan einer Gontfalke Zuſammenziehung der Lungen die geſamte Luftmenge F ausgeſtoßen und durch die darauffolgende Erweiterung neue Luft eingeſogen werden, ſo wären die Atmungs— bedingungen außerordentlich günſtige. Das iſt aber in keinem Falle möglich; die zarte blutgefäßreiche Wandung würde ſolche Zuſammenpreſſungen nicht aushalten. Immer wird nur ein Teil der Luft entfernt, und die neu aufgenommene vermiſcht ſich mit dem ſauerſtoffärmeren und kohlenſäurereicheren Rückſtand, der ſogenannten Reſidual— luft. Wenn wir alſo früher darauf hingewieſen haben, daß die Luftatmer eine ſo viel— mal größere Menge von Sauerſtoff zur Verfügung haben als die Waſſeratmer, ſo iſt das doch dahin zu beſchränken, daß für den Gasaustauſch in den Lungen nicht eigentlich die freie Atmoſphäre, die zu einem Fünftel aus Sauerſtoff beſteht, ſondern die ziemlich ſauer— ſtoffärmere Lungenluft in betracht kommt. Vielleicht ſind gerade jene einfacher gebauten, blutgefäßarmen Endabſchnitte der Reptilienlungen (Abb. 254) ſo zu deuten, daß dorthin der größte Teil der Reſidualluft verdrängt wird und die ſtärker reſpiratoriſch tätigen Teile der Lunge ſo lange in den vollen Genuß der ſauerſtoffreicheren Luft treten, bis ſich eine ausgleichende Miſchung hergeſtellt hat. Eine ſolche Einrichtung hat aber nur Sinn bei Lungen mit weitem Binnenraum; die veräſtelten Bronchen dagegen geſtatten auch der Reſidualluft, nach allen Seiten gleichmäßig auszuweichen. Bei den luftatmenden Wirbeltieren hat ſich ein neuer Weg für die Aufnahme des ſauerſtofführenden Mediums gebildet. Während bei den Fiſchen das Atemwaſſer durch den Mund eingeführt wird, gelangt bei ihnen die Atemluft im allgemeinen durch den Choanen. 381 Naſenraum in die Lungen. Ermöglicht iſt das durch die Ausbildung der Choanen, einer Verbindung der Riechgrube mit der Mundhöhle, die bei den Selachiern in der Weiſe angebahnt iſt, daß die von jeder Naſengrube zum Munde verlaufenden Rinnen durch Hautfalten überdeckt ſind (Abb. 251); unter den Fiſchen finden ſich Choanen ſonſt nur bei den luftatmenden Lurchfiſchen. Die innere Mündung der Choanen liegt bei ihnen und den Amphibien ganz vorn im Mundhöhlendach, ſo daß Luftweg und Speiſeweg auf eine weite Strecke zuſammenfallen; bei manchen Reptilien und den Vögeln (Abb. 252 A, 17) e e e r e mg DE ae hinten in größere Nähe 6 = des Luftröhreneingangs verſchoben durch die Bil— dung des knöchernen Gaumens, wobei ein dorſaler Abſchnitt der Mundhöhle durch die ſeitlich hereinwuchernden Knochenplatten der Gau— menbeine abgekammert wird. Bei den Säugern endlich ſchließt ſich dem knöchernen Gaumen nach hinten noch eine Haut— falte, der weiche Gaumen, an (Abb. 252 B, 3), der ſich von vorne her dem Kehldeckel (4) anlegt und ſo die völlige Abkamme— rung des Luftwegs von dem Speiſeweg herbei— führt, die für dieſe Tiere bei ihrer fein zerkauten Nahrung beſonders wich— tig iſt. Die Nahrung nimmt ihren Weg in den N Sig en ten des Kehldeckels; nur „Schlund, 7 Niſenloch (durch den Pfeil angezeigt), 10 Naſenmuſcheln, 17 Choanen, : 0 (in B durch Pfeile angezeigt). 4 nach Goeppert, 5 nach Ellenberger verändert. bei den Primaten be— rühren ſich weicher Gaumen und Kehldeckel nicht, und die Nahrung wird über den Luftröhreneingang hinweg in den Schlund befördert. Die Durchführung des Luftweges durch die Naſenhöhle iſt wichtig für das Riech— organ, da der Strom der Atemluft dem Riechepithel beſtändig Riechſtoffe aus der Um— gebung zuführt; zugleich wird dabei die Atemluft ſelbſt der Kontrolle des Riechorgans unterworfen und das Tier vor der Einatmung verdorbener, etwa mit Fäulnisgaſen er— füllter Luft bewahrt. Bei den Amphibien, inſonderheit beim Froſch, geſchieht die Einatmung nach dem Prinzip der Druckpumpe; die Luft wird nicht in die Lungen eingeſogen, ſondern geradezu 382 Atmung der Amphibien. geſchluckt. Dieſe Art der Atembewegung gleicht etwa derjenigen, die das Waſſer durch die Kiemenſpalten preßt; man kann faſt ſagen, das Tier hat die Atembewegungen ſeiner larvalen Kiemenatmung auch für die Lungenatmung beibehalten. Im einzelnen verläuft die Atmung beim Froſch in folgender Weiſe: zunächſt wird bei geſchloſſenem Munde durch Senkung des Mundhöhlenbodens die Mundhöhle mit Luft gefüllt, die ihren Weg durch die Naſenlöcher und Choanen nimmt; dann wird die Lunge unter Zuſammenzie— hung der Bauchmuskeln entleert (Exſpiration) und gleich darauf bei geſchloſſenen Naſen— löchern die in der Mundhöhle befindliche Luft, die ſich mit der Exſpirationsluft nicht vermiſcht hat, durch Hebung des Mundbodens und die dadurch bewirkte Verengerung der Mundhöhle in die Lungen gepreßt, wo ſie bei geſchloſſenem Kehlkopf bis zur nächſten Exſpiration verweilt. In der Pauſe zwiſchen zwei Inſpirationen erneuert der Froſch be— ſtändig unter fortwährenden „oszillierenden“ Kehlbewegungen die Luft in der Mundhöhle. Unter dem Epithel des Mundes befindet ſich nämlich ein reiches Kapillarnetz, von dem aus blinde Gefäßzapfen zwiſchen die Zellen des Epithels hinein ragen, ſo daß das Blut der Epitheloberfläche näher kommt. Alſo auch hier geht Sauerſtoffaufnahme und Kohlenſäureabgabe vor ſich. Neben Lungen- und Mund— höhlenatmung kommt aber den Amphibien bei der Weichheit ihrer Haut noch eine diffuſe Hautatmung zu. Bei dem Froſch iſt ſie gering; während er bei normaler Atmung in der Stunde für Ikg Gewicht bis 450 cm? Sauerſtoff aufnimmt, erhält er durch die Hautatmung 1 2 Abb. 253. Rippen einer Rieſen⸗ 5 5 5 1 Alt- N chungen . allein unter gleichen Verhält⸗ I in Inſpirationsſtellung, vorgezogen, 0 niſſen nur 70—80 em? Sauerſtoff. EN 2 in Exſpirationsſtellung, A = ; he > S rückwärts gerichtet. 5 Immerhin genügt die Hautatmung zu Zeiten geringen Stoffwechſels zur Deckung des geſamten Sauerſtoffverbrauchs, ſo daß die Fröſche auf dem Grunde der Ge— wäſſer in Höhlungen oder im Schlamm überwintern können. Die Hautatmung ſetzt natürlich ein Kapillargefäßnetz dicht unter der Epidermis voraus und iſt um ſo aus— giebiger, je beſſer dieſes ausgebildet iſt. Eine Reihe von Salamandern iſt völlig auf Mundhöhlen- und Hautatmung angewieſen, da die Lungen bei ihnen ganz zurückgebildet ſind; bei dem dahingehörigen Spelerpes (Abb. 139 S. 219) iſt daher die Weite der Kapillargefäße unter der Haut dreimal ſo groß wie bei dem lungenatmenden Feuer— ſalamander. Einer durchaus anderen Atmungsweiſe begegnen wir bei den Reptilien. Hier wird die Leibeshöhle, in der die Lungen liegen, abwechjelnd erweitert und verengert; bei der Erweiterung preßt der Atmoſphärendruck die Luft in die elaſtiſchen, ausdehnungsfähigen Lungen hinein; bei der Verengerung zieht ſich die Lunge zuſammen, da ihre Wand reich— lich elaſtiſche Faſern enthält und infolge deren Spannung beſtrebt iſt, einen kleineren Raum einzunehmen, und dabei wird die Luft ausgetrieben. Das Einatmen geſchieht alſo nach dem Prinzip der Saugpumpe, die Luft wird eingeſogen. Der Mechanismus, der dies ermöglicht, iſt folgender: Die Rippen, die die Leibeshöhle ſeitlich umfaſſen und ſich zum Teil auf der Ventralſeite mit dem Bruſtbein verbinden, ſind beweglich an der Atmung der Reptilien. 383 Wirbelſäule eingelenkt; in der Ruhe geht ihre Richtung ſchräg nach hinten, durch den Zug der Rippenheber- und der Zwiſchenrippenmuskeln können ſie nach vorn bewegt werden. Dabei iſt ihre Einlenkung ſo, daß ſich die Enden der Rippen eines Paares voneinander entfernen und zugleich etwas ſenken, wie man am beſten an den nicht mit dem Bruſtbein verbundenen Schlangenrippen ſieht (Abb. 253); es wird durch dieſe Be— wegung beſonders der Querdurchmeſſer, in geringerem Maße auch der ſenkrechte (dorſo— ventrale) Durchmeſſer der Leibeshöhle vergrößert. Das Bruſtbein wird durch die Rippen— bewegung von der Wirbelſäule entfernt und ihr wieder genähert. Da die Rippen der Amphibien nur kurze Stummel find (vgl. Abb. 8g, S. 146), iſt eine ſolche Art der Atmung bei ihnen gar nicht möglich. Bei den Schildkröten, deren Rippen mit dem knöchernen Rücken— ſchild feſt verwachſen ſind, iſt naturgemäß eine Atmung durch Rippenbewegung unmöglich; bei ihnen kommt die Erweiterung der Leibeshöhle durch Verſchiebungen des ſehr beweglichen Bruſtbeins und nebenbei des Beckengürtels zuſtande; die Ausatmung geſchieht unter Zuſammenziehung der Bauchmuskeln. Die Zahl der Atemzüge wechſelt bei den Reptilien mit der Größe der Tiere, indem kleinere Formen raſcher und energiſcher atmen als größere; auch die Lebhaftigkeit der Tiere bedingt natur— gemäß Unterſchiede. Außerordentlich langſam folgen ſich die Atem— züge beim Chamaeleon; ſie wiederholen ſich etwa jede halbe Stunde einmal. Dabei bläht ſich das Tier, deſſen Lunge durch anhängende Luftſäcke zur Aufnahme einer beſonders großen Luftmenge fähig iſt (Abb. 254), außerordentlich ſtark auf, um dann im Laufe vieler Minuten langſam zuſammen zu fallen. Dieſe Atmungsweiſe trägt bei dem trägen, lange Zeit unbeweglich ausharrenden Tiere dazu bei, den Schutz zu erhöhen, den ihm die bekannte Farbenanpaſſung an die Umgebung gewährt; durch lebhaftere Atembewegungen könnte es eher die Aufmerkſamkeit ſeiner Beutetiere und Feinde erregen. Neben der Saugatmung kommt bei den Reptilien auch eine Schluckatmung unter Kehlbewegung nach Art der Amphibien vor. Sie iſt unter normalen Lebensverhältniſſen nur beim Chamaeleon 50 0 0 5 beobachtet; bei Eidechſen und Schildkröten hat man ſie bis jetzt Nach Wieders heim— nur infolge experimenteller Eingriffe, wie Verhinderung der Rippen— bewegung, auftreten ſehen — doch iſt das vielleicht nur eine Lücke in unſeren Beobachtungen. Sie dürfte als ein Erbſtück von amphibienähnlichen Vorfahren, als eine Art phyſio— logiſchen Rudimentes zu betrachten ſein. Die Atmungsweiſe, wie wir ſie bei den Reptilien finden, hat ſich bei den Vögeln und Säugern zu höherer Vollkommenheit ausgebildet, und zwar auf verſchiedenen Wegen. Eigentümlich geſtaltet ſich die Atmung bei den Vögeln. Die Lunge hat hier ihre Elaſtizität faſt ganz verloren; unter außerordentlicher Vermehrung ihrer inneren Ober— fläche und ihres Gefäßreichtums iſt ſie zu einem ſtarren Gebilde geworden und liegt der dorſalen Wandung des Bruſtkorbs ſo dicht an, daß die Rippen tiefe, bleibende Eindrücke auf ihrer Rückenſeite bewirken. Der aus der Gabelung der Luftröhre hervorgehende d & SIUTES 8 I 5500 * OS N Se Ye SE SIOIIIS D — FEN 384 Atmung der Vögel. Hauptbronchus tritt meiſt im Beginn des zweiten Drittels der Ventralſeite in die Lunge ein; von ihm gehen eine Anzahl Nebenbronchen (Kammern“ vgl. oben S. 379) ab, die ſich teils auf der dorſalen, teils auf der ventralen Seite der Lunge nahe der Oberfläche ausbreiten und mäßig veräſteln; von dieſen entſpringen, ein— ander parallel verlaufend, die eigentlich reſpiratoriſchen Abſchnitte, die Lungen— pfeifen (Parabronchien, „Niſchen“); ihre dicke Wandung beſteht ganz aus reſpi— ratoriſchem Gewebe und wird radiär von ſich dichotomiſch teilenden Kanälen („Krypten“) durchſetzt, die von flachem reſpiratoriſchen Epithel ausgekleidet ſind. x Die Kanäle löſen ſich in ein Maſchen— Abb. 255. Schnitt durch eine Vogellunge, bei der die werk von feinen Luftkapillaren auf, die Luftwege injiziert ſind. : 3 5 Es ſind zwei Lungenpfeifen getroffen, deren Veräſtelungen durch innerhalb des Bezirks der gleichen Lungen- ein Syſtem feinſter ee ſind. 1 Blutgefäße. pfeife und bei guten Fliegern auch in aus⸗ gedehnteſter Weiſe zwiſchen benachbarten Lungenpfeifen in Verbindung treten (Abb. 255); ſo entſteht ein zuſammenhängendes feinſtes Gerüſtwerk von Luftkapillaren, deſſen Lückenräume von Blutkapillaren aufs engſte durch— flochten werden. Bei ſchlechten Fliegern, wie Boden— und Schwimmvögeln, iſt die Verbindung der Luft— kapillaren verſchiedener Lungenpfeifen nur auf kleinen Strecken durchgeführt. Auf ſolche Weiſe kommt es zur Entwicklung einer Atemfläche, wie ſie in gleicher Ausdehnung im Verhältnis zu dem beanſpruchten Raum ſonſt in keinem Atmungsſyſtem erreicht iſt. Die Vogellunge beſitzt, ähnlich wie die des Chamaeleons und einiger anderer Reptilien, dünn— wandige Anhänge, welche blutgefäßarme Aus— ſtülpungen des Lungenſackes vorſtellen (Abb. 256); dieſe ſogenannten Luftſäcke entſpringen jederſeits zu fünf von der Ventralſeite der Lunge; zu jedem führt einer der Hauptluftwege, der Stammbronchus, die vorderſten dorſalen und einige ventrale Neben— bronchen. Die Luftſäcke dehnen ſich nach verſchiedenen Richtungen im Körper aus (Abb. 257): fie liegen zwiſchen den Eingeweiden und der Leibeswand, drängen ſich z. T. zwiſchen die Windungen des Darms, ragen mit Ausläufern unter die Furcula i und unter das Schulterblatt, ſowie zwiſchen den 63 großen und kleinen Bruſtmuskel; ihre Fortſätze f mlelgen gute zwiſchen die Gelenke, ſie dringen in die 2 Interclavicularſack, 3 vorderer und 4 hinterer Röhrenknochen ein und durchſetzen die Halswirbel, thoracaler Sack, 5 abdominaler Sack, 6 Luftröhre, 7 Lunge, 5 Oberarm. Nach C. Heider. kurz ſie breiten ſich weit im ganzen Vogelkörper aus. Huna 1 cervifaler Sack, 2 erweitert. Atmung der Vögel. 385 So lange nun der Vogel nicht fliegt, wirkt der Atemmechanismus in ähnlicher Weiſe wie bei den Reptilien: durch die Bewegung der Rippen wird der Raum der Leibeshöhle mm — = >= 5 = 2 >. a ö ä x mi N A A „AB . au = 4 7 I ml: = un x I a 0 IR . I I EN 0 IN re RN N E 2 EN N AN \ f ) j, } V 1 i 9 8 m N $ an iR ö 1 In . N — N \ mn N \ N N en 11 et 75 Aua Abb. 57. Luftſäcke der Taube, in den Körperumriß eingezeichnet. 2 feld vinllgrer Sack mit Nebenräumen 2, 3 vorderer und 4 hinterer thorakaler Sack, 5 linker und 6 rechter abdominaler Sack, 7 Luftröhre, 8 Lunge. Nach Br. Müller. Die Rippen beſtehen hier, ſoweit ſie ſich an das Bruſtbein anſetzen, aus zwei , 2 Teilen, einem vertebralen, der mit der Wirbelſäule gelenkt, und einem ſternalen, der ſich Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 25 386 Atmung der Vögel. am Bruſtbein befeftigt; beide ſtoßen unter einem Winkel beweglich zuſammen. Wenn nun der Vertebralteil der Rippen nach vorn bewegt wird, verbreitert ſich der Quer— durchmeſſer des Bruſtkorbes, wie bei den Reptilien; wenn der Winkel zwiſchen den beiden Rippenabſchnitten vergrößert wird, ſo entfernt ſich das Bruſtbein von der Wirbelſäule, und der Vertikaldurchmeſſer des Bruſtkorbes nimmt zu (Abb. 258). Die Bewegung des Bruſtbeins iſt um ſo wirkungsvoller, als es bei vielen Vögeln ſehr lang iſt und weit nach hinten reicht; zugleich wird damit auch der Teil der Bauchdecken, der zwiſchen Bruſt— bein und Becken ausgeſpannt iſt, von der Wirbelſäule entfernt, ſo daß insgeſamt eine bedeutende Erweiterung des Leibesraumes zuſtande kommt. Die Luftverdünnung, die dabei in den Luftſäcken, beſonders in den drei großen hinteren Paaren, entſtehen müßte, wird ſofort dadurch ausgeglichen, daß Luft durch die Trachea in die Lunge und dieſe paſſierend in die Luftſäcke einſtrömt: das iſt die Einatmung. Durch die entgegengeſetzte Rippenbewegung kommt es zur Verengerung der Leibeshöhle und zur Auspreſſung der Luft aus den Luftſäcken. Somit iſt bei den Vögeln die Arbeit, die bei den Reptilien den Lungen allein obliegt, zwiſchen Lungen und Luftſäcken geteilt: die Lungen beſorgen lediglich den Gas— austauſch, die Luftſäcke den Wechſel der Atemluft. Die einſtrömende Luft wird nun zunächſt die in den größeren Luftwegen und den Luftkapillaren befindliche ver— atmete Luft in die Luftſäcke verdrängen = und ſich an ihre Stelle jegen, dabei „ aber noch ſo reichlich in die Luftſäcke Abb. 258. Schematiſche Darſtellung der Bewegungen ſtrömen, daß dieſe von einer immer von Rippen und Bruſtbein bei der Atmung des Vogels. Exſpirationsſtellung ausgezogen, Inſpirationsſtellung punktiert. noch verhältnismäßig ſauerſtoffreichen 1 Wirbelſäule, 2 vertebraler und 2 1 Abſchnitt der Rippe, Luft erfüllt ſind; dieſe tritt nun bei 3 Du 4 Coracoid. der Ausatmung in die Lunge, verdrängt die veratmete Luft nach außen und ſtrömt, da ſie infolge des beſchränkten Raums der Trachea nicht ſchnell abfließen kann, durch das Gerüſtwerk der Luftkapillaren, um dort ihren Sauerſtoff abzugeben. Es wird alſo nicht bloß die Einatmung, wie bei den Reptilien, ſondern auch die Ausatmung dem reſpiratoriſchen Gaswechſel dienſtbar gemacht. Im einzelnen ſtellen ſich aber für das Verſtändnis dieſer Atmungsweiſe noch eine Anzahl Schwierigkeiten ein. Die Luftſäcke ſaugen die Luft nur durch eine geringe Anzahl von Luftwegen, im ganzen jederſeits durch fünf von 13 bis 17. Die größere Zahl der Nebenbronchen endet blind, und auch das die Lungenpfeifengebiete verbindende Luft— kapillarnetz ſtellt meiſt keine Verbindung zwiſchen ventilierten und nichtventilierten Bronchen— bezirken her. Aus dieſen wird die veratmete Luft bei der Einatmung durch die Saug— kraft der Luftſäcke entfernt, bei der Ausatmung aber dadurch, daß der Luftſtrom, der an ihrer Ausmündung in den direkt ventilierten Hauptbronchus vorbeiſtreicht, die in ihnen enthaltene Luft mitreißt. Die Ventilierung der auf der Dorſalſeite der Lunge gelegenen Abſchnitte wird noch durch andere Momente unterſtützt. Wie ſchon erwähnt, iſt hier ein Teil des Lungengewebes zwiſchen die Rippen eingepreßt; bei der inſpiratoriſchen Vor— wärtsbewegung der Rippen nehmen die Zwiſchenräume zwiſchen ihnen zu, wie das Schema Abb. 258 zeigt; dadurch müſſen die dazwiſchenliegenden Lungenteile eine Dehnung erfahren Atmung der Vögel im Flug. 387 und ſomit Luft anſaugen, während ſie bei der Exſpirationsbewegung zuſammengedrückt und ſomit entleert werden. — Die bedeutende Erweiterungsfähigkeit des Leibesraumes und die Ausdehnung der Luftſäcke bewirken, daß die Menge der Reſidualluft verhältnis— mäßig gering iſt, und machen ſo, im Verein mit der ungeheuren reſpiratoriſchen Ober— fläche und ihrer ungemein reichen Blutverſorgung, die Atmung der Vögel ſehr ausgiebig. So iſt es erklärlich, daß trotz des regen Stoffwechſels eine Taube nur 30— 60, ja ein Kondor nur 6, ein Pelikan und Marabu nur 4 und ein neuholländiſcher Kaſuar ſogar nur 2—3 Atemzüge die Minute macht. Anders geſchieht die Atmung beim fliegenden Vogel. Das Bruſtbein bildet den Anſatzpunkt für die Flugmuskeln; es kann alſo beim Flug nicht auf- und abbewegt werden, ſondern muß durch Feſtſtellung der Rippen in ſeiner Lage fixiert werden. Wie geſchieht alſo jetzt die Atmung? Ein einfacher Verſuch gibt darüber Aufklärung: Legt man einen Vogel, etwa eine Taube oder eine Krähe, ruhig auf den Rücken, ſo atmet er zunächſt, wie zu erwarten, unter Hebung und Senkung des Bruſtbeins; verhindert man die Be— wegung des Bruſtbeins, ſo tritt ſchnell Atemnot ein und der Vogel wird ſehr unruhig; leitet man aber gegen ſeine Naſenlöcher mit Hilfe eines Gebläſes einen Luftſtrom, ſo hören die Atembewegungen faſt ganz auf, der Bruſtkorb bleibt in der Inſpirationsſtellung und der Vogel liegt da, ohne die geringſte Atemnot zu zeigen. Unter den gleichen Be— dingungen befindet ſich aber der Vogel beim Flug; denn es kommt auf dieſelbe Wirkung heraus, ob der Vogel ſich gegen die Luft oder die Luft ſich gegen den Vogel bewegt. Bei der großen Geſchwindigkeit fliegender Vögel (15—90 m in der Sekunde) ſteht ein ſtarker Luftſtrom gegen ihren ſtets nach vorn geſtreckten Kopf bzw. die Naſenlöcher; dieſer bläſt die Luftſäcke auf. Dann iſt es nur notwendig, daß von Zeit zu Zeit Luft aus den Säcken entleert wird, und dies geſchieht wohl durch Zuſammenziehung der Bauchmuskeln; direkte Beobachtungen darüber liegen nicht vor. Wohl aber ſpricht dafür die Tatſache, daß bei Flugvögeln das Bruſtbein nie ſo weit nach hinten reicht wie bei manchen Läufern, den Tinamus (Crypturus vgl. Abb. 259), ſo daß für die Wirkſamkeit der Bauchmuskeln reichlich Spielraum bleibt; für die Atmung am Boden iſt ja eine ſolche weite Erſtreckung des Bruſtbeins förderlich. Ob durch jeden Flügelſchlag die am Fluggelenk und zwiſchen den Bruſtmuskeln liegenden Luftſackabſchnitte abwechſelnd erweitert und verengert werden und dadurch ein Luftwechſel bewirkt werden kann, erſcheint ſehr zweifelhaft. Je ſchneller der Vogel fliegt, deſto energiſcher iſt auch der Gegenſtrom der Luft und damit die Sauer— ſtoffverſorgung; daher kommt auch beim ſchnellſten Flug der Vogel nicht außer Atem, wohl aber, wenn er in einem beſchränkten Raume, z. B. einem Zimmer, gejagt wird und an der Decke und der Wand herumflattert und mangels einer freien Flugbahn keinen Gegenwind findet. Vielleicht erklärt ſich damit auch die Fähigkeit der Vögel, in ungeheuren Höhen (ſicher bis 4000 m und mehr) zu fliegen und ſo eine große Arbeit zu leiſten, während doch Säuger ſchon bei Höhen von 3—4000 m infolge der Verdünnung der Luft ermatten und der Bergkrankheit verfallen. Verſuche mit der Luftpumpe zeigen, daß in verdünnter Luft Vögel ſchneller, ſchon bei 120 mm Queckſilberdruck, ſterben als Säuger, die erſt bei 40 mm zugrunde gehn. Tauben, die im Luftballon mitgenommen wurden, zeigten ſich in großer Höhe unbehaglich und ſaßen mit geſchloſſenen Augen zuſammengekauert da. Anders wenn der Vogel fliegt; bei der großen Geſchwindigkeit hochfliegender Vögel ſteht ein Luftzug von wohl 50 m Geſchwindigkeit in der Sekunde ihnen entgegen und verſorgt ihre Lungen reichlich mit Luft, ja er bewirkt wohl auch eine gewiſſe Verdichtung der 25 338 Atmung der Säuger. Luft in Lungen und Luftſäcken, ſo daß dadurch die Druckverminderung wenigſtens teil— weiſe ausgeglichen werden kann. Bei den Säugern wirkt neben der Bewegung der Rippen für den Luftwechſel in den Lungen noch ein andres Mittel mit, die Bewegung des Zwerchfells. Das Zwerch— fell iſt eine muskulöſe Querwand, die den Leibesraum vollſtändig in zwei Abſchnitte teilt, die Bruſthöhle, in der die Lungen und das Herz liegen, und die Bauchhöhle, die haupt— ſächlich von dem Darm- kanal und ſeinen An⸗ hangsdrüſen ausgefüllt wird. Die Mitte des Zwerchfells nimmt das ſehnige Centrum tendi- neum ein, und von hier ſtrahlen nach allen Seiten Muskelbündel aus, die ſich an den hinterſten Rippen und dem Ende des Bruſtbeins anſetzen. Die Einatmung geſchieht hier durch Erweiterung der Bruſthöhle allein. Dieſe wird z. T. durch die Bewegung der Rippen bewirkt, wie bei den Sau— ropſiden; einen großen Anteil aber hat die Be— wegung des Zwerchfells daran. Im Zuſtande der Ausatmung ſind ſeine Muskeln erſchlafft, und es wölbt ſich kuppel— Skelett des Bruſtkorbs 4 vom 1 B vom Tinamu (Crypturus). förmig in die Bruſt⸗ 1 Bruſtbein, 2 Bruſtbeinkamm, 3 Korakoid, 4 Schlüſſelbein, 5 Schulterblatt, 6 Sternat- Höhle vor; die Wölbung abſchnitte der Rippen. Die geringe Zahl der an das Bruſtbein anſetzenden Rippen und die Zuſammendrängung ihrer Anſatzpunkte nach vorn beim Tinamu wäre für einen fliegenden wird ausgeglichen und Vogel ſehr ungünſtig, weil dadurch die Feſtſtellung des Bruſtbeins als Stützpunkt für die das Zwerchfell geſpannt, arbeitende Flügelmuskulatur ſehr erſchwert wird. wenn die Muskeln ſich zuſammenziehen. Dieſe Kontraktion fällt zeitlich mit der inſpiratoriſchen Vorwärts— drehung der Rippen zuſammen, und die dadurch erzielte Erweiterung der Bruſthöhle addiert ſich zu jener. Die dehnbaren Lungen folgen dieſer Erweiterung unter dem Drucke der äußeren Luft, die dabei einſtrömt. Durch dieſes Zuſammenwirken wird es ermöglicht, daß z. B. beim Menſchen mehr als die Hälfte der Luft, die die Lungen faſſen können, bei ſtarker Ausatmung ausgeſtoßen, und der Binnen— raum der Lungen alſo auf weniger als die Hälfte ver— kleinert wird; für gewöhnlich allerdings beträgt die ge— wechſelte Luftmenge nur etwa ein Sechſtel der höchſten Kapa— zität. Die Ausatmung geſchieht durch Rückwärtsbewegung der Rippen, und indem die Lungen ſich infolge der Spannung der elaſtiſchen Faſern in ihrer Wand zuſammenziehen, nimmt das Zwerchfell, deſſen Muskeln gleichzeitig erſchlaffen, wieder ſeine gewölbte Lage ein; bei heftiger Ausatmung wird es durch Zuſammenziehung der Bauchdecken in dieſe Lage gepreßt. Das Verhältnis von Rip— pen- und Zwerchfelltätigkeit bei der Atmung iſt nicht bei allen Säugern gleich: bei manchen überwiegt die erſtere, bei an— deren die letztere. Bei den großen Säugern wie dem Elefanten, den Pferden und den großen Wiederkäuern ſind die Vorderbeine ſo ſtark be— laſtet, daß der Schultergürtel, an dem ſie eingelenkt ſind, und der ſeinerſeits an den Rippen befeſtigt iſt, die Beweglichkeit der Rippen, beſonders der vorderen, weſentlich beeinträch— tigt. Daher iſt bei dieſen Tieren die Rippenatmung, be— ſonders für den vorderen Teil der Lungen, unbedeutend, und die Zwerchfellatmung ſpielt die Hauptrolle. Dagegen macht Atmung der Säuger. 389 NUDE =] 4 3 3 3 N! a 7 ) S a Abb. 260. Halbaffen (4, Lemur mongos L.), vom Lunge mit teilweiſe freigelegten Bronchen von einem Schnabeltier (C, Ornithorhynchus). Hausrind (5) Nach Aeby. und vom 390 Stimmwerkzeuge der luftatmenden Wirbeltiere. ſich bei kleineren Säugern der Einfluß des Körpergewichts auf den Bruſtkorb in ver— hältnismäßig weit geringerem Maße geltend. Vor allem aber ſind die Belaſtungs— verhältniſſe des Bruſtkorbes für zweibeinig ſpringende, für kletternde und aufrecht— gehende Säuger, wie Känguruh und Springmäuſe, Faultiere und Halbaffen, höhere Affen und Menſchen, durchaus andere: die Beweglichkeit der Rippen iſt hier un— behindert, und die Rippenatmung ſpielt neben der Zwerchfellatmung eine bedeutende, ja zuweilen eine überwiegende Rolle. Auch bei Waſſertieren, wie Seeotter, Robben und Delphinen, wird die Rippenatmung nicht durch die Vordergliedmaßen beein— trächtigt. Das Verhältnis der Rippen- zur Zwerchfellatmung iſt beim Menſchen genau feſtgeſtellt. So atmen wir beim Heben großer Laſten faſt nur mit dem Zwerchfell; ferner iſt beim Weib die Rippentätigkeit ſtärker an der Atmung beteiligt als beim Mann; wir haben darin offenbar eine Anpaſſung an die Schwangerſchaft zu ſehen, wo die Be— weglichkeit des Zwerchfells durch die Füllung der Bauchhöhle beeinträchtigt wird; im Schlaf atmet der Menſch nur durch Rippenbewegung. Dieſe verſchiedene Art der Atmung ſpiegelt ſich, wenigſtens teilweiſe, im Bau der Lungen wieder. Im allgemeinen iſt nämlich die Richtung der Hauptluftwege durch die Zugrichtung der Wände des Bruſtkorbs bedingt: ſie ſtehen gleichſam in der Richtung des Anſaugens, d. h. bei Rippenatmung mehr nach vorn und quer zur Längsachſe, bei Zwerchfellatmung mehr nach hinten gerichtet, bei einer Vereinigung beider in Über— gangsrichtungen (Abb. 260 A—C). Ferner ſind da, wo die Rippenatmung überwiegt, die vorderen Abſchnitte der Lunge beſonders ſtark entwickelt, und die Weite der Seiten— bronchen iſt hier größer als in den hinteren Teilen (Abb. 260A); bei vorwiegender Zwerchfellatmung findet das Umgekehrte ſtatt, vor allem iſt der vordere Lungenabſchnitt zurückgebildet (Abb. 2600). Bei ſehr vielen luftatmenden Wirbeltieren ſind mit dem Atemapparat die Werkzeuge zur Stimmerzeugung verbunden. Durch den Luftſtrom, der die Luft zu oder von den Lungen fort führt, werden elaſtiſche Membranen, ſogenannte Stimmbänder, die in einem feſten Rahmen von Knorpel- oder Knochenſpangen ausgeſpannt ſind, in Schwingungen verſetzt, und es kommt zu abwechſelnden Verdichtungen und Verdünnungen der Luft: es entſtehen Töne in der Art wie bei Zungenpfeifen. Durchaus nicht alle luftatmenden Wirbeltiere beſitzen ſolche Einrichtungen: ſie fehlen vielen Amphibien und den meiſten Reptilien; unter den Vögeln ſind die meiſten Straußenvögel, die Störche und die Neu— weltsgeier ohne Stimmbänder; bei den Säugern ſind die Waltiere ſtimmlos. Übrigens ſind die Stimmorgane, wo ſie vorkommen, nicht durchweg gleich gebaut: bei den Amphibien, Reptilien und Säugern finden ſich die Stimmbänder in dem Anfangsabſchnitt der Luft— röhre, der durch Beſonderheiten des Stützapparates ausgezeichnet iſt und als Kehlkopf bezeichnet wird; bei den Vögeln dagegen liegt die Stimmlade, der „untere Kehlkopf“ oder beſſer Syrinx, an der Gabelungsſtelle der Luftröhre und enthält, den beiden Bronchen entſprechend, zwei Paar Stimmbänder. Nicht nur der Strom der ausgeatmeten Luft, der beim Menſchen ausſchließlich zur Stimmbildung dient, ſondern daneben zuweilen auch der einſtrömende Luftſtrom kann Stimme erzeugen, ſo beim Schreien des Eſels oder der Rohrdommel oder beim ununterbrochenen Geſang der Lerche oder dem der Garten— grasmücke. Damit die Stimmbänder durch den verſtärkten Luftſtrom in Schwingungen geraten können, müſſen ſie geſpannt und der Spalt zwiſchen ihnen, die Stimmritze, verengert Stimmwerkzeuge der luftatmenden Wirbeltiere. 391 3 ů * ̃ X—ͤ 55 5 Abb. 261. Waſſerfroſch (Rana esculenta L.). Im Waſſer das Männchen quakend (mit ausge— ſtülpten Schallblaſen), am Lande das Weibchen. werden; dagegen muß ſie für das ruhige Atmen offen ſein. Die Länge der Stimmbänder und der Grad ihrer Spannung iſt beſtimmend für die Höhe der erzeugten Töne: längere und ſchlaffere Bänder geben tiefere, kürzere und ſtraffere dagegen geben höhere Töne; daher haben größere Tiere im allgemeinen eine tiefere Stimme als kleine. Da jedoch auch durch kräftiges Anblaſen die Spannung erhöht wird, können auch große Tiere verhältnismäßig hohe Töne erzeugen, die dann beſonders laut und durchdringend ſind, z. B. beim heftigen Brüllen der Rinder. Je reicher die Muskulatur für die Spannung der Stimmbänder iſt, um ſo mehr läßt ſich deren Spannung abſtufen, und um ſo zahlreichere Töne ſtehen dem Tier zur Verfügung. Beim Froſch und bei den meiſten Vögeln iſt nur ein Paar ſolcher Muskeln vorhanden; dagegen beſitzen die Papageien drei Paar, die Singvögel ſogar bis ſieben Paare von Stimmladenmuskeln, und am Kehlkopf des Menſchen findet ſich eine reich differenzierte Muskulatur. Die beſondere Klangfarbe erhalten die Stimmen durch die Geſtalt des Raumes, der von den Stimmbändern nach außen zu liegt, des „Anſatzrohres“ der 392 Reſonanzvorrichtungen. Zungenpfeife: dieſes wird bei Amphibien, Reptilien und Säugern durch die Mundrachen— höhle gebildet, während bei den Vögeln noch die Luftröhre dazu kommt. Beim Menſchen wird durch Stellung der Zunge die Geſtalt des Anſatzrohres und dadurch der Klang der Laute mannigfach verändert. Die Verlängerung der Luftröhre, die ſich bei manchen Vögeln findet und zu eigenartigen Schlingenbildungen derſelben Anlaß gibt, z. B. beim Kranich, iſt nicht ohne Einfluß auf die Eigenart der Stimme. Der Tonfall der Froſch— ſtimme wird mit dadurch bedingt, daß das Tier bei geſchloſſenem Munde quakt, während das eigenartige Stoßen („Brekekekex“) dadurch entſteht, daß der Kehlſpalt im Mund— höhlenboden ſich abwechſelnd mit großer Geſchwindigkeit öffnet und ſchließt. Bei manchen Wirbeltieren wird die Stimme noch durch Reſonanzvorrichtungen ver— ſtärkt. So ſtülpt ſich beim quakenden Waſſerfroſch jederſeits eine Schallblaſe unterhalb des Mundwinkels kugelig hervor (Abb. 261); beim Laubfroſch vereinigen ſich ähnliche Blaſen zu einem Kehlſack. Bei einer Anzahl von Säugern finden ſich umfangreiche Schallverſtärker am Kehlkopf: beim Schimpanſe, Orang und Gorilla ſind es ſeitliche Ausſtülpungen der Kehlkopfſchleimhaut, die ſich bei alten Gorillamännchen am Halſe herab bis in die Achſelhöhle ziehen können; beim Brüllaffen (Mycetes) erſtreckt ſich vom Kehlkopf aus eine Schallblaſe bis in den hohlen, aufgetriebenen Körper des Zungenbeins; Erweiterungen des Kehlkopfs finden ſich auch bei den männlichen Hirſchen und Renn— tieren. Unter den Vögeln beſitzen beſonders manche Enten eine Auftreibung der Luft— röhre mit verknöcherter Wandung, die ſogenannte Trommel. d) Die Atmung durch Tracheen. Wie die Wirbeltiere von den Amphibien aufwärts, ſo nehmen auch mit Ausnahme der Krebſe alle Gliederfüßler den Sauerſtoff, den ſie brauchen, aus der atmoſphäriſchen Luft. Aber nicht bei allen geſchieht die Atmung in der gleichen Weiſe. Einige wenige kleine Formen, wie manche Milben, einzelne Tauſendfüßer (Pauropoden) und die meiſten Springſchwänze (Collembola) haben gar keine beſonderen Atmungsorgane; die bei der Kleinheit des Körpers verhältnismäßig große äußere Oberfläche genügt für den Gas— austauſch. Im übrigen nehmen die Spinnentiere durch den Bau der Atmungsorgane ebenſo wie durch die Art ihrer Atmung gegenüber den Tauſendfüßern und Inſekten eine Sonderſtellung ein. Bei den Skorpionen, die ſich durch die ſtark ausgeprägte Gliederung ihres Körpers und ihr frühes Auftreten in der Erdgeſchichte (Silur) als ſehr urſprünglich organiſierte Spinnentiere erweiſen, und bei den echten Spinnen findet die Atmung in ſogenannten Tracheenlungen oder Fächertracheen ſtatt, von denen jene vier, dieſe zwei oder ein Paar beſitzen. Die Tracheenlungen (Abb. 69, S. 104) ſind Säcke, die unter der Haut liegen und durch ein ſchmales Luftloch, ein Stigma, nach außen münden; ihr Hohlraum wird durch ſeine kräftige Kutikularauskleidung offen gehalten und iſt durch eine Anzahl paralleler dünnwandiger Scheidewände, Falten der auskleidenden Wand, in zahlreiche ſchmale Räume geteilt, die wie die Fächer einer Brieftaſche nebeneinander liegen und durch zarte Stützbälkchen in beſtimmtem Abſtand gehalten werden. Durch die Blätter geht der Blutſtrom, der ſomit hier eine große Oberfläche findet, um aus der Luft, die die Tracheenlunge erfüllt, Sauerſtoff aufzunehmen und an ſie Kohlenſäure ab— zugeben. Die reſpiratoriſche Oberfläche iſt hier dem Stigma ſehr nahe; daher genügt für die Erneuerung der Atemluft in den Tracheenlungen vielleicht der Diffuſionsſtrom, der eine fortwährende Miſchung der eingeſchloſſenen mit der äußeren Luft bewirkt; jedenfalls hat die genaueſte Beobachtung bei Spinnen und Skorpionen keine Atembewegungen feſt— Anordnung des Tracheenſyſtems. 393 ſtellen können; es wäre nur noch die Möglichkeit, daß durch innere Bewegungen in den Tracheenlungen, etwa durch paſſive Bewegungen der Blätter infolge des Blutſtroms, die Lufterneuerung befördert würde. Bei den übrigen Spinnentieren gehen von den Luftlöchern des Hinterleibs Büſchel dünnhäutiger, unveräſtelter Röhren aus, ſogenannte Tracheen, und auch viele Spinnen beſitzen ein Paar ſolcher Büſchel neben einem Paar Tracheenlungen; ſie werden vom Blut umſpült, und durch ihre Wände findet der Gasaustauſch ſtatt, und die Luft— erneuerung in den Tracheen ſcheint ebenfalls nur durch den Diffuſionsſtrom bewirkt zu werden. Ob die Tracheenlungen oder die Röhrentracheen das Urſprünglichere ſind, iſt ſchwer zu entſcheiden. Beide entſtehen als Einſtülpungen der äußeren Haut. Röhren— tracheen von gleicher Entſtehung und ähnlichem Bau kommen auch bei Tauſendfüßern und Inſekten vor, und wenn man nach den ſonſtigen Bauverhältniſſen die Spinnentiere aus der gleichen Wurzel ableiten könnte, ſo wäre die nächſtliegende Folgerung, daß die Röhrentracheen von den gemeinſamen Vorfahren ererbt und die Tracheenlungen durch Umbildung, d. h. durch Verbreiterung und Abplattung der Röhren, aus ihnen entſtanden ſeien. Schon oben aber (S. 103f.) wurde auseinandergeſetzt, daß ſich die Spinnentiere getrennt von jenen entwickelt haben. Ob allerdings die Tracheenlungen durch Umwand— lung gefiederter Kiemenfüße ihrer krebsartigen Vorfahren entſtanden ſind oder durch Um— bildung von Röhrentracheen, läßt ſich zurzeit nicht entſcheiden. Jedenfalls iſt eine ſelb— ſtändige Entwicklung von Röhrentracheen in verſchiedenen Abteilungen der Gliederfüßler höchſt wahrſcheinlich. So beſitzt Peripatus, der Vertreter der kleinen Gruppe der Onycho— phoren, Büſchel von Röhrentracheen, aber nicht in ſegmentaler Anordnung, ſondern in größerer Anzahl unregelmäßig über die Körperringe verteilt; er dürfte kaum mit den luft— atmenden Vorfahren der Inſekten unmittelbar verwandt ſein. Bei den Chilopoden unter den Tauſendfüßern trägt die Mehrzahl der Körper- ſegmente und bei den Inſekten jedes Körperſegment mit Ausnahme der vorderſten und hinterſten jederſeits ein Stigma, bei den Chilognathen jedes Doppelſegment deren zwei, von denen die Luftröhren ausgehen. Die Inſekten haben im ganzen meiſt zehn Stigmen— paare, und zwar zwei oder drei am Thorax und acht oder ſieben am Abdomen, an letzterem bei Verminderung der Ringe weniger. Bei den Chilognathen entſpringt ein Bündel dünnwandiger, unveräſtelter Luftröhren von einem an das Luftloch ſich an— ſchließenden Vorraum; ſie verlaufen eine Strecke weit im Körper, ohne ſich zu veräſteln oder Anaſtomoſen zu bilden oder ſich einzeln zwiſchen die Organe zu verteilen (Abb. 262A). Bei den Chilopoden und Inſekten dagegen führt jedes Stigma in eine dickwandigere Luftröhre von größerem Durchmeſſer, die ſich vielfach veräſtelt und ihre zartwandigen Enden zu den einzelnen Organen ſendet. Bei den Chilognathen wird zwar durch die ſegmentalen Tracheenbüſchel der Sauerſtoff in die Nähe der Organe gebracht, aber immerhin muß das Blut noch den Transport des Sauerſtoffs an die letzten Verbrauchs— ſtellen übernehmen. Anders bei Chilopoden und Inſekten: hier dringen die Luftröhren tief in alle Organe ein und endigen in ihnen mit feinſten Aſtchen, von denen es nicht völlig ausgemacht iſt, ob ſie im Innern von Zellen oder zwiſchen den Zellen liegen. Bei manchen Chilopoden (Henicops, Lithobius) und bei niederen Inſekten (Machilis) haben die zu den einzelnen Stigmen gehörigen Tracheenbäumchen ihre urſprüngliche Un— abhängigkeit voneinander bewahrt; dagegen wird meiſt bei Chilopoden und Inſekten das Atmungsſyſtem dadurch vereinheitlicht, daß ſich Längsverbindungen zwiſchen den ſeg— mentalen Tracheenſtämmchen bilden und ſo ein oder mehrere (drei) Paare von Tracheen— 394 Bau der Tracheen. längsſtämmen den Körper durchziehen, die wiederum durch Querverbindungen unterein- ander verknüpft ſind (Abb. 262 B und C). Damit wird der Störung vorgebeugt, die durch etwaige Unwegſamkeit eines einzelnen Stigmas in der Atmung des betreffenden Segments eintreten müßte; es können ſogar eine Anzahl Stigmen dauernd verſchloſſen bleiben, wie das bei vielen Inſektenlarven der Fall iſt; die Maden der echten Fliegen z. B. haben nur ein vorderes und am Endſegmente ein hinteres Paar Luftlöcher. Die Tracheen ſind epitheliale Röhren aus flachen Zellen, die bei Chilopoden und Inſekten innen mit einer je nach dem Durchmeſſer mehr oder weniger dicken Chitin— 7 4 ,, 2 , N e ee n — 8 RN — TEEN a = WENDEN CE, 7 NN , , & / N . 9 A 2 0 2 N < 2 Y z 92 GR 5 5 N DAMM \% 8 7 G , 0 79 - AG, . ER: 5 1 , 9 V OH = 8 7 . 1 am A z IE? x A MR 7 , 19 GT 5 & ö Abb. 262. Tracheenſyſtem A eines Chilognathen (Polyxenus lagurus L.), B der Küchenſchabe (Periplaneta orientalis L.) und der Honigbiene. 1 Stigma, 2 Tracheenblaſe. 4 nach Bode, 3 nach Hatſchek u. Cori, nach Kellen. ſchicht ausgekleidet ſind; ein ſpiralig verlaufender Chitinfaden, der zu innerſt liegt, ſorgt durch ſeine Elaſtizität dafür, daß die Röhre offen bleibt und ſich ſtets wieder ausdehnt, wenn ſie zuſammengedrückt wird; in den feineren Aſten kann daher die Chitinwandung ſo dünn ſein, daß ſie in den Zwiſchenräumen der Chitinſpirale für Gaſe leicht durch— gängig bleibt. Nur den letzten feinſten Ausläufern fehlt der Spiralfaden. Bei den Häutungen, wo die Gliederfüßler die Chitinhaut ihres Körpers abſtreifen, wird auch die chitinige Auskleidung der Tracheen mit entfernt und durch Zelltätigkeit erneuert. Die Stigmen ſind verſchieden gebaut. Im einfachſten Falle ſtellen ſie ein Loch vor, das von einem Chitinringe ſtets offen gehalten wird, z. B. am Hinterleib der Käfer. Dieſes kann durch übergelagerte oder radiär hineinragende, oft fein veräſtelte Reuſen- und Verſchlußapparate der Tracheen. 395 oder gar verfilzte Borſten, die einen ſehr wirkſamen Filter bilden, gegen das Eindringen von Fremdkörpern geſchützt ſein (Abb. 263 und 264 C und D 5); auch können mehrere Löcher in einer Chitinplatte liegen, und die von ihnen ausgehenden Röhrchen ſich zu einem Tracheen— ſtamm vereinigen, z. B. beim ſo— genannten Engerling, der Larve des Maikäfers. Häufig ſind die Fälle, wo das Stigma von ein paar Lippen begrenzt wird, die übereinander weggreifen oder ſich aneinander legen können und ſo einen Verſchluß herbeiführen (3. B. Libellen); auch dann iſt durch Härchen und Borſten ein Seihapparat hergeſtellt, durch den die Atemluft hindurchſtreichen muß. Die Stigmen haben eine mehr oder weniger verſteckte Lage: die einfachen ungeſchützten Stigmen am Hinterleib der Käfer liegen ſo, daß ſie von den Flügeldecken völlig bedeckt werden; bei den 22 / Ie N Abb. 263. ovinus L.) von oben. 1 Reuſenapparat, 2 S —— G; Th eu N W | | | N N 5 . 177 2 IQ IR N — 2 Tas 2 N ot A Erſtes Bruſtſtigma der Schafzecke (Melophagus B Durchſchnitt durch ein Stigma der Raupe des Weidenbohrers (Cossus ligniperda L.). u. 3 Zeile der Verſchlußvorrichtung, 4 Luftröhren. Nach Krancher. Hymenopteren, die ſich vielfach in Erdlöchern aufhalten und ihren Leib mit dem Pollen der Blüten beſtäuben, liegen die abdominalen Stigmen am Vorderrande der Segmente, ſo daß ſie durch das Übergreifen des vorhergehenden Segments vollkommen bedeckt ſind, ohne von der Luftzufuhr abgeſchnitten zu ſein; bei vielen Zweiflüglern, Netz— flüglern und Schmetterlingen gewährt die dichte Behaarung des Körpers den unbedeckten Stigmen Schutz. Eine für die Atmung ſehr wichtige Einrichtung ſind die Verſchlußapparate der Tracheen, die bei Inſekten nirgends fehlen. Sie ſitzen an dem Haupt— tracheenſtamm nahe unter dem Stigma und ſind nach verſchiedenem Plane gebaut: bei den Holzweſpen ſind es Klappen, beim Floh Pinzetten, bei den Fliegenlarven ein Ring mit Ring— muskeln, in ſehr vielen Fällen ein aus mehreren Stücken beſtehender Apparat (Abb. 264), deſſen die Trachee ringförmig umgreifende Teile, Verſchlußbügel (1), Hebel (2) und Band (3), durch einen Muskel gegeneinander bewegt werden. Abb. 264. Avon der Küchenſchabe, 5 vom Pappelſchwärmer, Cu. D vom Hirſch— käfer (C oſſen, D geſchloſſen). 1 Verſchlußbügel, 2 Verſchlußhebel, 3 Verſchlußband, 4 Muskel, Reuſenapparat, 6 Luftröhren. A nach Landois, 5 nach Krancher, Cu. D nach Nitſche. Tracheenverſchlußvorrichtungen. 396 Tracheenblaſen fliegender Inſekten. Bei den fliegenden Inſekten find die Tracheen ſtellenweiſe zu Luftblaſen (Abb. 262 C) erweitert, die aber keinen Spiralfaden enthalten. Am größten und zahlreichſten ſind ſie bei den Hymenopteren, Schmetterlingen und Fliegen; auch bei den Libellen und manchen Wanzen ſind ſie reichlich entwickelt; an Zahl und Größe geringer erſcheinen ſie bei den Eintagsfliegen und Netzflüglern. Unter den Käfern beſitzen nur die fliegenden Arten Luftblaſen, beſonders die Lamellicornier (Maikäfer, Miſtkäfer) und die Prachtkäfer; von den Geradflüglern kommen ſie nur den wandernden Arten zu, bei den Springern ſind ſie ſpärlich ausgebildet. Den Tauſendfüßern und Spinnentieren fehlen ſie ganz. Daß 4 TER N F KIN Abb. 265. Atmung niederer Waſſertiere. 1 Gelbrand (Dytiscus marginalis L.), unten das Männchen (mit Haftſcheiben an den Vorderfüßen), eine Perla-Larve packend, oben das Weibchen, Luft ſchöpfend. 2 Kolbenwaſſerkäfer (Hydrophilus piceus L.), Luft ſchöpfend. 3 Waſſerſpinne (Argyroneta aquatica Cl.), eine Luftblaſe am Hinterleib in ihre „Taucherglocke“ 3“ tragend. 4 Teichſchnecke (Limnaea stagnalis L.), am Waſſerſpiegel ſchwimmend. die Tracheenblaſen mit dem Fluge der Inſekten in engſtem Zuſammenhange ſtehen, wird beſonders dadurch höchſt wahrſcheinlich, daß ſie den flügelloſen Weibchen fliegender Männchen fehlen, dieſen ſelbſt aber zukommen, ſo bei manchen Spinnern (Orgyia) und Spannern (Cheimatobia) und dem Leuchtkäferchen (Lampyris). Auch finden wir bei keiner Inſektenlarve Tracheenblaſen; ſie bilden ſich erſt bei der Verwandlung zum fertigen Inſekt aus. Da die Hauptſtämme des Tracheenſyſtems bei den Inſekten eine zu dicke Wandung haben, als daß ein ausgiebiger Gasaustauſch durch ſie hindurch ſtattfinden könnte, ſo muß die Luft oftmals einen langen Weg bis zu den Stellen der Atmung machen. Diffuſionsſtrömungen allein würden nur einen langſamen Luftwechſel bewirken können; Atembewegungen der Inſekten. 397 dieſer wird daher mechaniſch befördert, durch Atembewegungen. Die Atmung geſchieht bei den Juſekten durch abwechſelnde Zuſammenziehungen und Erweiterungen des Hinter— leibs, bisweilen unter geringer Beteiligung des Thorax (manche Käfer). Meiſt werden die Decken des Hinterleibs durch Muskeltätigkeit geſenkt und dann durch die Elaſtizität des Chitinſkeletts wieder gehoben, eine rhythmiſche Bewegung, die man beim Maikäfer be— ſonders lebhaft vor dem Abfliegen am Senken und Heben der Flügeldecken, bei den Libellen und Heuſchrecken unter begleitendem Offnen und Schließen der Stigmen be— obachten kann; nur die Hymenopteren erweitern den Hinterleib durch Verlängerung und Abb. 266. Atmung niederer Waſſertiere. 1 Rückenſchwimmer (Notonecta glauca L.). 2 Waſſerſkorpion (Nepa einerea L.). 3 Waſſeraſſel (Asellus aquaticus L.). 4 Larve einer Libelle (Calopteryx) mit drei Tracheenkiemen am Hinterende. 5 Eintagsfliegenlarve mit ſeitlichen Tracheenkiemen. 6 Kammſchnecke (Valvata piscinalis Müll.) mit ausgeſtreckter Kieme. 7 Larve der Waffenfliege (Stratiomys). & Kolonie des Schlammwurms (Tubifex tubifex Müll.). 9 Strudelwurm (Planaria gonocephala Dug.). 70 Molchlarve. verengern ihn durch Verkürzung. Die Zahl der Atembewegungen wechſelt; ſie beträgt beim Hirſchkäfer und Wolfsmilchſchwärmer etwa 20, bei einer Libelle 30 bis 35 in der Minute, und kann je nach den Umſtänden beſchleunigt oder verlangſamt werden. Er— weiterung des Hinterleibs muß eine Erweiterung der Tracheen und ein Einſtrömen von Luft durch die Atemlöcher bewirken, dient alſo der Einatmung. Verengerung des Hinter— leibs kann eine doppelte Wirkung haben; geſchieht es bei offenem Verſchlußapparat, ſo wird die Luft ausgepreßt, das Inſekt atmet aus; Zuſammenziehung bei geſchloſſenen Tracheen dagegen preßt die Luft aus den Hauptſtämmen in die feinſten Endigungen hinein. Die Vermehrung der Atembewegungen vor dem Abfliegen, die beim Maikäfer z. B. als „Zählen“ bekannt iſt, aber ebenſo bei vielen anderen Inſekten vorkommt, dient der 398 Atmung der Waſſerinſekten. Füllung der Tracheenblaſen. Daß durch die Füllung der Blaſen mit Luft das ſpezifiſche Gewicht des Inſektenkörpers gegenüber der Luft verringert werde, iſt ganz ausgeſchloſſen, und die damit erreichte Ausdehnung des Körpers in die Breite iſt auch nicht ſo be— deutend, daß dadurch die Unterfläche weſentlich vergrößert würde (vgl. oben S. 176). Wahrſcheinlich handelt es ſich um die Schaffung eines Luftvorrats für die Dauer des Fluges, weil während desſelben, wie wenigſtens für den Maikäfer und die Libelle be— obachtet iſt, der Hinterleib zuſammengepreßt wird und demnach eine Lufteinfuhr wahr— ſcheinlich nur durch die wenigen Stigmen des Thorax ſtattfindet. Das iſt um ſo wahrſcheinlicher, als das Sauerſtoffbedürfnis der Inſekten im all— gemeinen ein ſehr großes iſt, entſprechend der großen Regſamkeit und Beweglichkeit dieſer Tiere. Es übertrifft das aller andren Wirbelloſen und der Fiſche und kommt dem der Amphibien mindeſtens gleich; ja es ſoll der Sauerſtoffverbrauch des Maikäfers etwa dem des Hundes gleich ſein, und der des fleiſchfreſſenden Schwimmkäfers noch größer. Solche Vergleiche ſind freilich ſehr vorſichtig aufzunehmen; im allgemeinen haben bei gleicher Lebhaftigkeit kleinere Tiere einen regeren Stoffwechſel als größere, und es ſollten nur Tiere von gleicher Größe verglichen werden; der Vergleich des Sauerſtoffverbrauches von Ukg Hund und 1 kg Maikäfer iſt irreführend. Immerhin läßt ſich aus jenen An— gaben entnehmen, daß die Atmung der Inſekten eine vergleichsweiſe ſehr intenſive iſt. Auch die im Waſſer lebenden fertigen Inſekten ſind darauf angewieſen, ihren Sauer— ſtoff der atmoſphäriſchen Luft zu entnehmen und müſſen daher zur Atmung an die Oberfläche kommen, wobei der Mechanismus der Atmung übrigens von demjenigen bei den luftlebenden Inſekten kaum abweicht. Der Gelbrand (Dytiscus marginalis L.) tut dies etwa alle 8 Minuten, der kleinere Acilius suleatus L. durchſchnittlich alle 3 Minuten. Sie verſorgen ſich dann in irgendwelcher Weiſe mit einem Luftvorrat, den ſie mit ſich ins Waſſer nehmen. So trägt der Gelbrand und ſeine Verwandten die Luftblaſe unter den gewölbten Flügeldecken, wo die Stigmen des Hinterleibs liegen; man kann an dem ſchwimmenden Käfer den ſilberglänzenden Rand der Blaſe am Hinterende ſehen. Die verbrauchte Luft wird während des Schwimmens im Waſſer ausgeſtoßen. Dann kommt der Käfer herauf und ſtreckt ſein Hinterende aus dem Waſſer (Abb. 265, 7); zwiſchen den ringsherum mit dem Rande feſt anſchließenden Flügeldecken und dem Hinterleibs— ende entſteht ein ſchmaler Spalt, und durch Einziehen der dorſalen Wand des Hinter— leibs ſaugt der Käfer Luft ein. Durch Abſchneiden der Flügeldecken wird das Luft— reſervoir des Käfers zerſtört; er geht dann im Waſſer ſchnell zugrunde, er „ertrinkt“; in feuchter Luft dagegen bleibt er ſo wochenlang am Leben. — Der Kolbenwaſſerkäfer (Hydrophilus) dagegen nimmt die Luft an ſeinem Vorderende mit Hilfe der Fühler auf (Abb. 265, 2); ſie tritt auf die Unterſeite, wird dort zwiſchen ſeidenartigen Härchen feſtgehalten und durch die Thoraxſtigmen eingezogen, die diejenigen des Hinterleibs hier an Größe weit übertreffen; der Luftvorrat auf der Unterſeite reflektiert unter Waſſer das Licht wie ein Spiegel und glänzt ſilberig. Ebenſo trägt unter den Waſſerwanzen der Rückenſchwimmer (Notonecta) (Abb. 266, 7) ſeinen Luftvorrat zwiſchen den Här— chen der Bauchſeite des Hinterleibs und erneuert ihn, indem er an die Oberfläche kommt und die Bauchſeite aus dem Waſſer hebt. Bei einigen anderen Waſſerwanzen, z. B. dem Waſſerſkorpion (Nepa) (Abb. 266, 2), mündet das letzte Stigmenpaar des Hinter- leibs auf der Spitze zweier langer Atemröhren, die wie ein Schwanz dem Tiere an— hängen und zum Atmen aus dem Waſſer herausgeſtreckt werden. Auch manche im Waſſer lebende Inſektenlarven atmen direkt den Sauerſtoff der Atmung der Waſſerinſekten. 399 atmoſphäriſchen Luft. Aber bei ihnen iſt nicht eine ſo große Zahl von Stigmen vor— handen, wie gewöhnlich bei den fertigen Inſekten, ſondern meiſt nur das hinterſte Paar. Die übrigen Stigmen ſind zwar angelegt; es geht von der Stelle, wo ſie ſpäter zum ab kommen, ein Zellenſtrang mit einem ſoliden Chihnfaden im Innern zu dem Längsſtamm des Tracheenſyſtems, aber ein Hohlraum ebenſo wie eine äußere Offnung fehlen, und nur bei der Häutung werden die Chitinauskleidungen des benachbarten Tracheenbezirkes durch dieſen Strang hindurch nach außen befördert. Das Hinterende mit dem funktionierenden Stigmenpaar bringen dann ſolche Larven an die Waſſerober— fläche und können in dieſer Lage lange Zeit verweilen, gleichſam am Waſſerſpiegel hängend. So geſchieht die Atmung bei vielen Käferlarven, z. B. der des Gelbrands (Abb. 187) und einer großen Anzahl Fliegenlarven, wie denen 5 2 der Waffenfliegen (Stratiomys) (Abb. 266, 7), der Stechmücken (Culiciden) (Abb. 267,7) u. a. Die beweglichen, i den Puppen (Abb. 267, 2) der Stechmücken tragen auf dem Vorderende des Thorax dorſal zwei „Hörnchen“, mit denen ſie „am Waſſerſpiegel hängen“; auf deren Spitze befinden ſich Stigmenöffnungen, ſo daß auf ER, Q N ſolche Weiſe die Aufnahme ate. D en . , ii ſphäriſcher Luft möglich iſt. Im Zug" N 2 einzelnen findet ſich eine un— . Larve und Puppe einer geheure Mannigfaltigkeit in den ö Y N UN re Anpaſſungen, die der Vielge— N N n ſtaltigkeit des Heeres der In— ſekten entſpricht. Die meiſten der im Waſſer lebenden Inſektenlarven ſind aber ihrem Aufenthalt noch vollkommener angepaßt, indem ſie imſtande ſind, den im Waſſer gelöſten Sauerſtoff zu veratmen. Ihr Tracheenſyſtem iſt vollkommen geſchloſſen und ſie beſitzen dünnhäutige Ausſtülpungen auf ihrer Körperoberfläche oder im Enddarm, die von einem reichen Ge— flecht feinſter Tracheen durchzogen ſind, ſogenannten Tracheenkiemen: aus dem umſpülen— den Waſſer diffundiert Sauerſtoff in die Tracheen, aus dieſen Kohlenſäure nach außen; der Gaswechſel vollzieht ſich alſo hier zwiſchen dem Luftraum der Tracheen und dem Waſſer ebenſo wie in den Kiemen andrer Waſſeratmer zwiſchen dem Blut und dem Waſſer. Tracheenkiemen finden wir bei allen Larven der Eintagsfliegen (Abb. 266, 5), Perliden (Abb. 265, 7), Libellen, Köcher- und Florfliegen, ſoweit ſie nicht eine diffuſe Atmung beſitzen, ſowie bei manchen im Waſſer lebenden Käfer- und Fliegenlarven und einigen Schmetterlingsraupen. Sie ſind verſchieden gebaut, bald flache Blätter, bald fadenförmige oder zylindriſche Anhänge, zuweilen, wie bei den Larven der Florfliege (Sialis) gegliedert; ſie ſtehen einzeln, paarweiſe oder in Büſcheln, zuweilen auf eine ſeit— liche Linie jederſeits beſchränkt, wie bei den Eintagsfliegen, wo ſie am hinteren Rande der ſieben erſten Hinterleibsſegmente jederſeits in einem Paar ſitzen, öfters auch auf 400 Tracheenkiemen. Rücken⸗ und Bauchſeite verbreitet. Bei manchen Libellenlarven (3. B. Libellula, Aeschna) ſtehen die Tracheenkiemen (Abb. 268) im Enddarm und ſind Umbildungen der bei den Inſekten weit verbreiteten ſogenannten Rektaldrüſen; andre Libellenlarven (z. B. Calop- teryx, Agrion, Abb. 266, 4) tragen fie als drei fiederartige Anhänge am letzten Hinter— leibsring. Die Verſchiedenheit der Stellung am Körper zeigt, daß die verſchiedenen Tracheenkiemen einander morphologiſch nicht gleichwertig ſein können. Auch die Erneuerung des Atemwaſſers um die Tracheenkiemen geſchieht in ver— ſchiedener Weiſe. Bei den Eintagsfliegen ſind die blattförmigen Tracheenkiemen zeitweiſe in ſchwirrender Bewegung und erzeugen dadurch einen Waſſer— ſtrom. Die Libellenlarven mit Tracheenfiemen im Enddarm ſaugen Waſſer in dieſen ein und ſtoßen es wieder aus, nach Willkür ſo heftig, daß ſie durch den Rück— ſtoß mit einem Ruck nach vorn ge— trieben werden (Abb. 187, S. 295). Die in ihren Röhren ſitzenden „Sprockwürmer“ der Köcherfliegen erneuern durch ſchlängelnde Be— wegungen ihres Körpers das um— gebende Waſſer, und in ähnlicher Weiſe geſchieht dies bei Perliden-, Sialiden- und einigen Käferlarven. Die Tracheenkiemen werden meiſt bei der Metamorphoſe ab— geſtoßen. Die Stelle, wo ſie ſaßen, wird aber nicht etwa zu einem Stigma; ſondern dieſe ſind Abb. 268. Tracheenkiemen aus dem Enddarm der Libelle in gleicher Weiſe vorgebildet, wie Aeschna cyanea Müll. (900 fach vergrößert). das b ER di 3 ; 1 Tracheenſtamm. Nach Ouſtalet. as oben für ie Larven mit nur einem Paar funktionierender Stigmen geſchildert wurde, und werden bei der letzten Häutung geöffnet. Bei den Perliden aber und manchen Köcherfliegen, ſowie im Enddarm der Libellen bleiben auch beim fertigen Tier die Tracheenkiemen beſtehen; aber ſie ſchrumpfen zuſammen und werden funktionslos. Einzelne waſſerbewohnende Larven haben als Atemwerkzeuge dünnwandige Hautaus— ſtülpungen, in denen Blut reichlich zirkulirt, die alſo als echte Kiemen anzuſehen ſind; ſie kommen am Hinterende bei den Larven der Mückengattung Chironomus und manchen Larven und Puppen von Köcherfliegen vor; auch werden beſtimmte Anhänge der Larve eines kleinen Waſſerkäfers ſo gedeutet. C. Exkretion. Die Energie, die in den aufgenommenen Nährſtoffen, den Eiweißkörpern, Fetten und Kohlenhydraten, gebunden enthalten iſt, wird für den Tierkörper dadurch verfügbar, daß jene Stoffe in einfachere Verbindungen zerlegt werden, und das geſchieht in der Hauptſache unter Aufnahme von Sauerſtoff Die Endprodukte dieſes Abbaus werden Chemiſche Beſchaffenheit der Exkretſtoffe. 401 aus dem Körper entfernt, und dieſe Tätigkeit des Protoplasmas heißt Exkretion. Die Organe, die bei den Wirbeltieren die Exkretion zum größten Teil beſorgen, ſind die Nieren, und dieſer Name iſt auch vielfach auf die Exkretionsorgane der niederen Tiere übertragen worden. Die Abbauprodukte des Stoffwechſels ſind von verſchiedener Art. Fette und Kohlen— hydrate, die nur Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff enthalten, können durch voll— ſtändige Oxydation bis zu Kohlenſäure und Waſſer zerlegt werden; andre Oxydations— produkte ſind vor allem Oxalſäure und Milchſäure. Die Kohlenſäure wird zum größten Teil in gasförmigem Zuſtande nach außen befördert, meiſt an den gleichen Stellen, an denen der Sauerſtoff in den Körper aufgenommen wird und die wir bei der Betrachtung der Atmung kennen gelernt haben. Ein andrer Teil der Kohlenſäure jedoch, ebenſo wie die anderen genannten Säuren, geht Verbindungen ein, teils mit Alkalien, teils mit den Endprodukten der Eiweißzerſetzung. Die letzteren enthalten außer Kohlenſtoff, Waſſer— ſtoff und Sauerſtoff vor allem auch noch Stickſtoff, nebenbei auch Schwefel und etwas Phosphor; die ſtickſtoffhaltigen Endprodukte bilden die Hauptmaſſe der aus dem Körper ausgeſchiedenen feſten und flüſſigen Exkretſtoffe. Dabei wird Stickſtoff nicht als Gas ausgeſchieden, ſondern in Verbindungen, die vielfach aus Ammoniak und ſeinen Abkömm— lingen beſtehen und meiſt noch Kohlenſtoff und Sauerſtoff enthalten In den Aus— ſcheidungsſtoffen finden ſich außerdem mancherlei Subſtanzen, die aus der Nahrung in den Körper aufgenommen worden ſind und ihn unbenutzt, wenig verändert wieder ver— laſſen, z. B. aromatiſche Verbindungen aus der Pflanzennahrung. Die Kohlenſäure ebenſo wie die ſtickſtoffhaltigen Exkrete ſind für das Protoplasma ſchädlich und müſſen daher gleich, wenn ſie entſtehen, unſchädlich gemacht, am beſten ent— fernt oder doch wenigſtens in ungelöſtem Zuſtande an beſtimmten Körperſtellen aufge— ſpeichert und ſo an der Einwirkung auf das lebende Protoplasma verhindert werden. Wenn dies z. B. beim Menſchen infolge von Erkrankungen der Nieren nicht oder nur unvollkommen geſchieht, ſo treten ſchwere Vergiftungserſcheinungen auf, die ſchließlich zu einem qualvollen Tode führen können. Obgleich nun die Zuſammenſetzung des Protoplasmas überall eine ſehr ähnliche iſt, ſind doch bei verſchiedenen Tieren die ausgeſtoßenen oder geſpeicherten ſtickſtoffhaltigen Stoffwechſelprodukte in ihrer genaueren chemiſchen Zuſammenſetzung mannigfach ver— ſchieden. Teils ſind es Ammoniakſalze, teils Harnſäure und die ihr nahe verwandten Stoffe Guanin und Hypoxanthin, teils der einfacher zuſammengeſetzte Harnſtoff. Harn— ſtoff findet ſich als Hauptmaſſe der Exkrete bei den Fiſchen, Amphibien und Säugern, iſt aber bisher bei keinem wirbelloſen Tier mit Sicherheit als Exkretionsprodukt nach— gewieſen worden. Bei den übrigen Wirbeltieren, den Reptilien und Vögeln, beſteht der Harn hauptſächlich aus Harnſäure, und dieſe finden wir auch bei Echinodermen, manchen Mollusken und vielen Gliederfüßlern, ſo bei Tauſendfüßern und Inſekten, zum Teil auch bei Spinnentieren vorherrſchend. Guanin enthalten die Exkrete mancher Schnecken und Spinnentiere, vielleicht auch die der Krebſe; Hypoxanthin iſt zuſammen mit Ammoniak ſalzen bei Tintenfiſchen nachgewieſen, und aus Ammoniakderivaten beſtehen auch die Ex— krete der Spulwürmer. In vielen Fällen ſind genauere Unterſuchungen noch gar nicht vorhanden. Dieſe Verſchiedenheiten werden leichter verſtändlich, wenn man ſich bewußt wird, daß die ausgeſchiedenen Stoffe ſich durchaus nicht mehr in dem Zuſtand befinden, in dem ſie die arbeitenden Organe verlaſſen haben. Von der Bildungsſtätte in den Or— Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 26 402 Exkretion bei den Einzelligen. ganen bis zur Ausſcheidungsſtätte iſt oft ein weiter Weg, auf dem die Stoffwechſel— produkte noch umgearbeitet und durch Syntheſe verändert werden können. So iſt in den tätigen Organen bei Säugern kein Harnſtoff, bei Vögeln keine Harnſäure nachweisbar; wir wiſſen vielmehr, daß dieſe, ihrer Hauptmaſſe nach, erſt in der Leber, durch die Tätigkeit von deren Zellen gebildet werden, vielleicht aus milchſaurem oder karbamin— ſaurem oder kohlenſaurem Ammoniak, alſo Stoffen, die mit den Exkreten mancher niederen Tiere (Spulwürmer, Tintenfiſche) mehr Ahnlichkeit haben. Oder: die Hippurſäure, die reichlich im Harn mancher pflanzenfreſſenden Säuger vorhanden iſt, wird wahrſcheinlich erſt in der Niere gebildet durch Syntheſe zweier vom Blute geſondert dorthin gebrachter Stoffe, der Benzosſäure und des Glykokolls. Bei den Protozoen geſchieht die Exkretion im einfachſten Falle durch die geſamte Oberfläche der Zelle; die gelöſten Stoffwechſelprodukte diffundieren nach außen und werden ſo aus dem Körper entfernt. Dieſer Vorgang wird aber häufig dadurch befördert, daß beſtändig ein Waſſerſtrom durch den Leib des Protozoons hindurchgepumpt wird; das geſchieht durch die ſogenannte kontraktile Vakuole. Bei vielen Rhizopoden, Geißeltierchen und Wimperinfuſorien ſieht man im Protoplasma an einer vorgebildeten Stelle einen membranloſen Lückenraum auftreten, der mit Flüſſigkeit gefüllt iſt und ſich mehr und mehr erweitert, bis er, zu einer gewiſſen Ausdehnung gelangt, ſich zuſammenzieht, wo— bei ſein Inhalt verſchwindet. Eine genaue Unterſuchung zeigt, daß dieſer nach außen entleert wird. Beobachtet man nämlich ſolche Protozoen in einem Waſſertropfen, worin reichlich feinſte Körnchen chineſiſcher Tuſche verteilt ſind, ſo ſieht man bei Individuen, deren kontraktile Vakuole am Körperrande zu liegen kommt, wie der Inhalt der Blaſe bei ſeinem Ausſtrömen die Tuſchekörnchen an jener Stelle verdrängt. Die Vakuole füllt ſich nach erfolgter Entleerung aufs neue, und die Flüſſigkeit, die ſie enthält, wird dem Körperplasma entzogen. Sie gelangt dorthin teils mit den Nahrungsvakuolen (vgl. S. 267), teils wohl auch durch die geſamte Körperoberfläche. Mit dem ſo aufgenommenen Waſſer wird einerſeits dem Protoplasma Sauerſtoff zugeführt, andrerſeits werden dadurch höchſt wahrſcheinlich die gelöſten Exkretſtoffe aus dem Protoplasma entfernt; der experi— mentelle Beweis dafür ſteht freilich noch aus. Zu manchen Fällen ſind mehrere kon— traktile Vakuolen vorhanden, z. B. bei dem Pantoffeltierchen Paramaecium (Abb. 269), deren zwei, die ſich abwechſelnd zuſammenziehen. Zu der Vakuole führen zuweilen be— ſondre zuführende Kanäle, jo bei Stentor (Tafel 7) ein ſehr langer, bei Paramaecium deren ſechs in ſtrahliger Anordnung. Wie ausgiebig die Pumptätigkeit der Vakuole wirkt, ergibt ſich aus der Berechnung von Maupas, daß Paramaecium aurelia Ehrbg. bei 27°C in 46 Minuten, Stylonychia mytilus Ehrbg. bei 18°C in 45 Minuten, Euplotes patella Ehrbg. bei 25% in nur etwa 15 Minuten ein dem Zellkörper gleiches Volum Waſſer auf dieſem Wege entleert. Durch ſteigende Temperatur wird die Aufeinanderfolge der Kontraktionen beſchleunigt; das ſtimmt zu der allgemeinen Erfahrung, daß damit die Intenſität des Stoffwechſels zunimmt. — Manchen Rhizopoden, den Sporozoen und einigen wenigen Wimperinfuſorien fehlen die kontraktilen Vakuolen; fie ſind alſo kein unumgänglich notwendiges Organ. Sehr verbreitet bei den Protozoen verſchiedenſter Ordnungen iſt das Vorkommen feſter Exkretkörner und Kryſtalle im Protoplasma; ſie ſind von Süßwaſſer-Rhizopoden, Heliozoen, Geißel- und Wimperinfuſorien bekannt. Bei Paramaecium z. B. find ſie in mannigfacher Geſtalt, als Kryſtalldruſen, kreuzförmige Konkretionen und unregelmäßige Bildungen, beſonders an den Körperenden in der Nähe der beiden kontraktilen Vakuolen Exkretion bei den vielzelligen Tieren. 403 angehäuft (Abb. 269). Eingehende Prüfung macht es ſehr wahrſcheinlich, daß ſie aus phosphorſaurem Kalk beſtehen. Nach der Anſicht mancher Forſcher verlaſſen dieſe Exkret— körner den Körper als Ganzes mit den Nahrungsreſten; wahrſcheinlicher aber iſt, daß ſie allmählich gelöſt und mit dem Waſſer der kontraktilen Vakuolen nach außen befördert werden. Wie der ſelbſtändige Zellkörper eines Protozoons, ſo produziert auch jede Einzel— zelle im Zellverbande eines Metazoons Exkretſtoffe und ſtößt ſie aus. Dort, wo alle oder doch die allermeiſten Einzelzellen an der Begrenzung der äußeren und inneren Ober— fläche des Tieres teilnehmen, wie bei den Coelenteraten, kann jede ihre Stoffwechſel— produkte unmittelbar in das umgebende oder den Darm— raum erfüllende Waſſer entleeren. Es ſind alſo keine beſonderen Exkretionsorgane vorhanden, durch deren Tätigkeit die Exkrete aufgenommen und nach außen befördert werden; man kann hier von einer diffuſen Exkretion, wie früher von einer diffuſen Atmung, ſprechen. Dem gegenüber iſt die Entfernung der Exkret— ſtoffe bei den übrigen vielzelligen Tieren auf be— ſtimmte Organe beſchränkt, denen die Stoffwechſel— produkte der Einzelzellen durch die den Körper durchdringende Flüſſigkeit zugeführt werden. Sie be— ſorgen teils dieſe Funktion neben anderen, teils dienen ſie ausſchließlich der Exkretion. Reine Exkretions— organe vermiſſen wir in der Hauptſache bei den Stachel— häutern. Hier ſcheint beſonders das Waſſergefäßſyſtem die Ausſcheidung als Nebenfunktion zu haben; auch durch die Atemſäcke der Schlangenſterne und andre dünnhäutige Stellen der Körperoberfläche werden wahrſcheinlich auf osmotiſchem Wege Exkretſtoffe ent— fernt. Vor allem aber iſt die exkretoriſche Tätigkeit = freibeweglicher Körperzellen, der ſogenannten Phagos enz mit Gnteettoenern cyten, bei den Stachelhäutern weit verbreitet; dieſe (Großtern, 2 Mundbucht, 3 kontraktile Vakuolen. nehmen Exkretkörnchen, die in der Leibeshöhle oder V 5 den Geweben liegen, Reſte unbrauchbar gewordener Gewebsſtücke oder auch experimentell eingeführte Farbſtoffpartikelchen, auf und be— fördern ſie nach außen, indem ſie durch die Körperwand auswandern. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Vielzelligen aber iſt ein Exkretionsorganſyſtem vorhanden, das durchweg aus röhrenartigen Bildungen beſteht, die ſich im Körper aus— breiten und frei nach außen münden. Sie zeigen eine große Mannigfaltigkeit in ihrer Erſcheinung; aber die einzelnen Formen ſind oft in überraſchender Weiſe durch Über— gänge miteinander verbunden, ſo daß wir eine faſt lückenlos zuſammenhängende Reihe haben. Zwar iſt es unſicher, ob wir es durchweg mit homologen Bildungen zu tun haben; durch weitere Forſchung wird ſich aber wohl noch vielfach eine morphologiſche Verwandtſchaft nachweiſen laſſen, wo wir einſtweilen nur nach äußerer Ahnlichkeit und gleicher Funktion eine ſolche vermuten. Wir unterſcheiden unter dieſen röhrenförmigen, auf der Körperoberfläche mündenden Exkretionsorganen zwei Grundformen. Bei den 26* 404 Protonephridien. einen iſt die Röhre im Körper blind geſchloſſen; wir nennen ſie Protonephridien. Die anderen öffnen ſich frei in die Leibeshöhle mit einer mehr oder weniger erweiterten Mündung, deren Zellen mit Wimperhaaren beſetzt ſind, einem ſogenannten Wimper— trichter; ſie heißen Nephridien. Protonephridien finden wir zunächſt in den Fällen, wo keine Leibeshöhle vorhanden iſt, vor allem bei den Plattwürmern. Hier, wo die Körperflüſſigkeit meiſt auf engſte Räume, die Interzellularräume, beſchränkt iſt und ſich nicht frei im Körper bewegt, müſſen . ZZ, 1093 Fe 2 Abb. 270. Protonephridien. drei ſolche von einem Bandwurm (Taenia erassicollis Rud.). B Exkretionszelle eines Strudelwurms, ſtärker vergrößert. 0 Protonephridium des Embryos einer Lungenſchnecke (Planorbis). 0 Stück eines Nephridiums des Meeresringelwurms Glycera mit drei „Solenocyten“; der Nephridialkanal 6 iſt aufgeſchnitten. 7 Kern der Wimperzelle, 1“ Zelleib derſelben, 2 Wimperflamme, 3 Kern eines Ausführungskanals, 4 deſſen Mündung, 5 Körperepithel, 6 Nephridialkanal. Anahb Bugge, B nach Lang, nach Meiſenheimer, D nach Goodrich. die Exkretionsorgane gleichſam die Bildungsſtätten der Exkrete aufſuchen, wie ja auch bei den größeren freilebenden Formen der Darm ſich durch den Körper hin mannigfach ver— äſtelt, um die Nährſtoffe den Verbrauchsſtellen zuzuführen. So finden wir ein ver— zweigtes Kanalſyſtem mit einem mittleren oder zwei ſeitlichen Hauptſtämmen, die, meiſt am Hinterende des Körpers, nach außen münden; vor der Mündung können ſie ſich zu einer Sammelblaſe erweitern. Nach mehrfacher Verzweigung enden die Seitenäſtchen blind. Dieſe Enden ſind durch ein charakteriſtiſches Zellgebilde, die ſogenannte Wimper— flammenzelle, gebildet. Der Körper dieſer Zelle ſendet veräſtelte Ausläufer in das um— gebende Gewebe, ſo daß ſie aus einem weiten Gebiete Stoffe aufſaugen kann (Abb. 270 Protonephridien. 405 A und B); andrerſeits zieht ſie ſich in eine ſchlanke Röhre aus, die ſich dem Kanalſyſtem angliedert, und in die am blinden Ende verbreiterte Lichtung der Röhre ragt von der Zelle ein protoplasmatiſches Läppchen hinein, die ſogenannte Wimperflamme, die, breit und dünn, durch ihre Streifung den Eindruck macht, als ſei ſie aus einer Anzahl einzelner Wimperhaare verſchmolzen. An durchſichtigen Würmern, z. B. der Larve Cercariaeum helicis Brn., die vielfach paraſitiſch in der Niere unſerer Gartenſchnecke getroffen wird, kann man die unaufhörlich ſchlängelnden Bewegungen dieſer Wimperflamme beobachten. In dem Zellkörper liegen häufig Vakuolen, die mit Flüſſigkeit erfüllt ſind und offenbar Exkret— ſtoffe enthalten, die in die Röhre entleert werden ſollen; letztere iſt zuweilen nahe an der Zelle von einer Vakuole umfaßt, aus der wohl Flüſſigkeit in die Röhre hineindiffun— dieren kann. Die Wellenbewegung der Wimperflamme dient zur Fortbewegung der aus— geſonderten Stoffe in den Röhren. Die Wimperflammenzellen ſind es, denen die Exkretion obliegt; ihre Zahl in einem Plattwurm iſt außerordentlich groß. Die Wandungen des Kanalſyſtems ſind ſehr dünn und beſtehen aus wenigen, oft außerordentlich langgeſtreckten Zellen, die mit aktiver Exkretion nichts zu tun haben und höchſtens Diffuſionsvorgänge geſtatten. Auch die Hauptſtämme ſind nichts weiter als Sammelgänge; bei den Band— würmern enthalten ſie in jedem Glied eine ventilartige Klappe, die ein Rückſtauen des Inhalts bei Bewegungen des Körpers verhindert. Bei höher organiſierten Strudelwürmern, den Trikladen (3. B. Planaria) bilden ſich an den paarigen Hauptſtämmen eine Anzahl ſekundärer Ausmündungen in beſtimmten Abſtänden unter Wegfall der endſtändigen Haupt— mündung. Damit wird ein Zuſtand vorbereitet, der ſich bei manchen Schnurwürmern findet: der Zerfall des urſprünglich einheitlichen Exkretionsſyſtems in eine Anzahl ſelbſt— ſtändiger Abſchnitte, deren jeder geſondert nach außen mündet. Während bei denjenigen Plattwürmern, denen ein Blutgefäßſyſtem fehlt, die Protonephridien durch den ganzen Körper verteilt ſind, liegen ſie bei den Schnurwürmern an eng umſchriebenen Stellen in unmittelbarſter Nachbarſchaft der Blutgefäße; das Blut trägt ihnen die Exkretſtoffe aus dem Körper zu. Protonephridien finden wir außer in dem Kreiſe der Plattwürmer (Strudel, Saug— Band-, Schnurwürmer, Rädertiere) noch vielfach verbreitet. Vor allem beſitzen jene Larven, die mit der freiſchwimmenden Müllerſchen Larve der Strudelwürmer ſo viel Ahnlichkeit haben, die Trochophoralarven der Ringelwürmer, Sternwürmer und Weich— tiere, ein Paar Protonephridien als typiſche Larvenorgane. Solche finden ſich ferner in mehreren Paaren bei den Larven der Egel; auch die Exkretionsorgane der fertigen Egel ſchließen ſich hier an. Ferner finden wir Protonephridien unter den Ringelwürmern bei einigen Familien der Polychaeten, den Phyllodociden, Nephthyiden und Glyceriden, im ausgewachſenen Tiere; bei denjenigen Ringelwürmern, wo die Leibeshöhle entſprechend der äußeren Segmentierung durch Scheidewände in einzelne Abſchnitte geteilt iſt, muß jeder ſolcher Abſchnitt ſeinen Exkretionsapparat haben, und ſo ſind die Protonephridien, und ebenſo bei anderen Ringelwürmern die Nephridien, ſegmental angeordnet, zu einem Paare in jedem Körperring; wo aber, wie bei den Terebelliden, jene Scheidewände ge— ſchwunden ſind, da iſt auch die Zahl der Exkretions röhren viel geringer als die der Seg— mente, bei Lanice z. B. nur ſieben Paar. Während in der Reihe der Plattwürmer dieſe Organe ziemlich gleichartig gebaut ſind, finden wir hier mannigfache Abänderungen, die bei einem Teil jener Formen wohl damit zuſammenhängen, daß die Exkretionsröhren nicht im dichten Zellgewebe, ſondern frei in Hohlräumen liegen und von Leibeshöhlenflüſſigkeit allſeitig umſpült werden. Es 406 Umbildungen der Protonephridien. übernehmen zunächſt neben der Wimperflammenzelle auch die Zellen, die die Röhre des Protonephridiums bilden, exkretoriſche Funktionen; ſie werden zahlreicher und damit die Röhrenwand dicker, und ſie enthalten Exkretvakuolen in ihrem Protoplasma: ſo iſt es bei den Larven mancher Lungenſchnecken (Abb. 270 C). Weiterhin erliſcht die exkretoriſche Tätigkeit der Wimperflammenzelle ganz, ſie bildet nur noch das bewegende Element im Exkretionsorgan; dabei wird der Zellkörper reduziert, anſtatt der breiten Wimperflamme tritt nur noch eine einzige lange Geißel in ihnen auf; der an ſie anſetzende, ihr zu— gehörige Röhrenabſchnitt mit ſeiner dünnen Wandung mag vielleicht Flüſſigkeit in die Röhre hineinfiltrieren, Harnwaſſer, das die Exkretſtoffe verdünnt und nach außen fort— ſpült. Solche Wimperflammenzellen — man hat ihnen den beſonderen Namen Soleno— cyten gegeben — finden wir an den Protonephridien mancher Trochophoralarven, z. B. derjenigen von Polygordius und an denen mancher Polychaeten (Abb. 270 D). — Nach— dem ſo die Tätigkeit der Wimperflammenzellen mehr und mehr beſchränkt iſt, können ſie ſchließlich ganz fehlen: ſo iſt es bei den innen blindgeſchloſſenen Exkretionsröhren der Regenwurmlarven, Egellarven und der ausgewachſenen Egel, die man trotzdem wohl den Protonephridien der Plattwürmer und der übrigen Ringelwürmer gleichſetzen muß. Bei der nahen Verwandtſchaft, die zwiſchen Ringelwürmern und Gliederfüßlern in vielen Teilen ihres Baues zutage tritt, hat man die röhrenförmigen Exkretionsorgane, die bei vielen Gliederfüßlern an der Baſis der Gliedmaßen münden, den ſeg— mentalen Exkretionsröhren der Ringelwürmer gleichgeſtellt. Solche Exkretionsröhren treffen wir als ein Paar Antennendrüſen mit der Ausmündung an der Baſis der zweiten Antenne bei einer Abb. 271. Inneres Ende Reihe von Krebſen (Phyllopoden, Amphipoden, Schizopoden und des Nepbridiuns eines Dekapoden), als ſogenannte Schalendrüſe, die an der Baſis der jungen Ringelwurms, Rhynchelmis. zweiten Maxille mündet, bei anderen Krebſen (Phyllopoden, 1 Trichteröffnung, 2 Geißel, ER 5 - 0 > 3 Nephridialkanal. 4 Scheide. Cirripedien, Iſopoden und Stomatopoden); als Unterlippendrüſe wand Tac n. S. Berg. bei Chilognathen und niederſten Inſekten (Thyſanuren), als Hüftdrüſen (Coxaldrüſen) an der „Hüfte“ der Beine mündend bei vielen Spinnentieren und vor allem als „Segmentalorgane“ bei Peripatus. Alle dieſe Drüſen ſind innen blind geſchloſſen, wären alſo als Protonephridien auf— zufaſſen. Das Fehlen von Wimperflammenzellen bei ihnen, das durch die ſtetig ver— minderte Bedeutung dieſer Bildungen erklärbar wäre, fällt hier um ſo weniger auf, als nirgends im Organismus der Gliederfüßler wimpernde Epithelien oder Einzelzellen vorhanden ſind. Bei den meiſten borſtentragenden Ringelwürmern finden ſich da, wo die Phyllo— dociden u. a. ſegmental angeordnete Protonephridien beſitzen, röhrenförmige Organe, die ſich mit einem bewimperten Trichter in die Leibeshöhle öffnen, denen aber eigentliche Wimperflammen fehlen. Es liegt daher die Annahme nahe, daß dieſe Nephridien aus Protonephridien entſtanden ſind; dem entſpricht auch die Tatſache, daß bei den jungen Borſtenwürmern die ſegmentalen Exkretionsröhren zunächſt Protonephridien ſind und dann erſt die innere Offnung bekommen, und zwar derart, daß ſie in das vorher— gehende Segment durchbrechen. Bei den fertigen Nephridien finden ſich dann zuweilen, z. B. bei Rhynchelmis, noch Reſte der Solenocyten in Geſtalt einer in die Lichtung der Röhre hineinragenden langen, wellenförmig ſchlagenden Geißel (Abb. 271). Nephridien. 407 Auch das Weſen des Überganges vom geſchloſſenen Protonephridium zum offenen Nephridium wird durch folgende Überlegung klarer. Bei der Ringelwurmgattung Glycera und bei den Egeln begegnet uns ein Gebilde, das ſich eng an das Protone— phridium anſchließt: es iſt ein wimpernder Trichter, deſſen Höhlung in einen ſackför— migen Anhang führt; dieſer Sack ſchmiegt ſich dicht an das innere Ende des Protone— phridiums, ohne mit ihm in offene Verbindung zu treten. Der Sack iſt in der Regel gefüllt mit kleinen Zellen, wie ſie auch in der Leibeshöhle vorkommen; wenn man einem Egel fein verteiltes Karmin injiziert, findet man nach einiger Zeit die Zellen in dem Sack mit Karminkörnchen beladen. Wir haben es hier offenbar mit Phagocyten zu tun, die ſich in der Leibeshöhle mit Exkretſtoffen beladen und dann durch den Wimpertrichter in deſſen Anhangſack einwandern; hier geben ſie entweder ihre Laſt ab oder ſie zer— fallen, und die Exkretſtoffe werden durch die Wand des Sackes dem Protonephridium zugeführt und zur Ausſcheidung gebracht. Es tritt alſo die Exkretion mittels Phago— cyten in Verbindung mit dem röhrenförmigen Exkretionsorgan. Dieſe Verbindung ge— ſtaltet ſich noch einfacher, wenn die Röhren der Protonephridien eine innere Offnung bekommen. Es liegt uns ferne zu behaupten, daß dieſe durch einen Durchbruch der Exkretionsröhre in einen derartigen Nephridialſack mit Wimpertrichter entſtanden jet; die Offnung mag ſich ſelbſtändig entwickelt haben; ſie mag vielleicht in manchen Fällen auch dadurch zuſtande gekommen ſein, daß der bisher geſondert nach außen mündende Ausführgang der Geſchlechtsprodukte, der Genitaltrichter, ſich mit dem Protonephridium verband, wie das für eine Anzahl meerbewohnender Ringelwürmer nachgewieſen iſt. Die Wirkung aber wird ſtets die ſein, daß die funktionellen Beziehungen zwiſchen exkre— toriſchen Phagocyten und Nephridium dadurch vereinfacht werden. In der Tat findet man den Flimmertrichter der Nephridien beim Regenwurm faſt ſtets angefüllt mit frei— beweglichen Zellen aus der Leibeshöhle, ohne daß ſolche in die Röhre ſelbſt eintreten. Mit einer ſolchen Mündung des Nephridiums in die Leibeshöhle werden die Wimper— flammenzellen, deren Verrichtung ohnedies ſchon auf die Fortbewegung des Röhren— inhalts und vielleicht die Filtration von Harnwaſſer beſchränkt war, überflüſſig gemacht und ſchwinden bis auf Reſte wie bei Rhynchelmis. Die Leibeshöhlenflüſſigkeit kann ja etzt frei in das Nephridialrohr eintreten und die Fortbewegung der Stoffe in der Röhre geſchieht leicht durch Verengerung der Leibeshöhle. Es ſind die Ausſcheidungen der Nephridien bei den Ringelwürmern noch nicht unterſucht, und daher iſt es ungewiß, ob fie Eiweißſtoffe enthalten, wie etwa der Harn von Octopus, was ja der Fall ſein müßte, wenn als Harnwaſſer einfach die Leibeshöhlenflüſſigkeit fungierte. Es iſt aber auch ſehr wohl möglich, daß das Harnwaſſer durch die Röhrenwand abgeſchieden wird und die Trichteröffnung mit der Beſchaffung desſelben gar nichts zu tun hat. Auch bei den Weichtieren ſind die Exkretionsorgane des fertigen Tieres Röhren, die ſich mit einem Trichter in die Leibeshöhle, hier durch den Herzbeutel dargeſtellt, öffnen und nach mehrfachen Windungen mit ihrem andern Ende frei nach außen, d. h. in die Mantelhöhle münden; ihr mittlerer Teil iſt gewöhnlich erweitert und hat eine durch Epithelfalten ſehr vergrößerte Oberfläche. Bei den ſymmetriſch gebauten Weichtieren iſt ein (bei Nautilus zwei) Paar ſolcher Nephridien vorhanden; die meiſten Schnecken aber haben nur ein einzelnes. Durch die ganze Reihe der Weichtiere ſind dieſe Nephridien homolog; Beziehungen zu den Nephridien anderer Gruppen ſind bisher nicht nachweisbar. Die Einzelausbildung der Exkretionsröhren iſt ſehr verſchieden. Die Kanäle ver— laufen meiſt im Inneren der Zellen, und zuweilen, wie bei den Egeln, gehen von ihnen 408 Exkretionsorgane des Amphioxus. ausgedehnte Endverzweigungen in die Zellkörper hinein. Die Röhre ſelbſt kann ſich in mehrere Abſchnitte ſondern, die in Bau und Verrichtung verſchieden ſind. Bei dem Regenwurm z. B. (Abb. 272) beſorgt nur der mittlere Teil der langen, mehrfache Schlingen bildenden Röhre die Exkretion; ſeine Zellen ſind ſogar imſtande, nach Art von Phagocyten Fremdkörper, etwa feine Körnchen eingeſpritzter Farbſtoffe, aufzunehmen. An der Antennendrüſe der zehnfüßigen Krebſe läßt ſich ein blaſenförmiger Endabſchnitt, der Sacculus, von dem vielfach gewundenen „Labyrinth“ unterſcheiden; injiziert man einem Krebſe eine Miſchung von karminſaurem Ammon und Indigkarmin, ſo wird erſteres durch den Sacculus ausgeſchieden, der ſich dabei rot färbt, das Indigkarmin dagegen wird im Laby— rinth angehäuft und abgeſondert und färbt dieſes blau. Schließlich ſcheint in einzelnen Fällen die Exkretionstätigkeit der Nephridienwand auch ganz ſchwinden zu können; bei den Moostierchen (Bryo— zoen) ſoll nach Cori die geſamte Exkretion durch Phagocyten beſorgt werden, und die Nephridien würden nur die Pforten bilden, durch die jene Zellen aus dem Körper auswandern. Eine eingehendere Betrachtung verlangen die Exkretionsorgane des Amphioxus und der Wirbel— tiere. Sie zeigen bei den niederen Formen eine überraſchende Ahnlichkeit mit denen der Borſten— würmer, erleiden dann aber im weiteren Verlauf der Stammesentwicklung eine Reihe von Um— bildungen und werden dadurch aus urſprünglich ſegmental angeordneten, über den ganzen Körper verteilten Einzelorganen ſchließlich zu örtlich be— ſchränkten kompakten Gebilden; dieſe Wandlung zu verfolgen gehört zu den feſſelndſten, wenn auch — ſchwierigſten Aufgaben der vergleichenden Anatomie Abb. 272. Nephridium eines Regen wurms, der Wirbeltiere. 1 Wimpertrichter, e 3—8 die Die Exkretionsorgane des Amphioxus über- nn ng Br 275 1 raſchen durch ihre Ahnlichkeit mit den Protonephridien tanals (Schleifenfanal 3, Wimpertanal 4, Ampulle 5, gewiſſer Borſtenwürmer, der Phyllodociden; es ſind N . a Röhren, die an ihrem inneren Ende leicht verzweigt ſind und an den Spitzen dieſer Zweige einen dichten Beſatz von Solenocyten tragen. Sie liegen in Abſchnitten der Leibeshöhle, die zu beiden Seiten der Chorda dorſal vom Peribranchialraum ſich hinziehen und ſich eine Strecke weit in die Seitenwand dieſes Raumes hineinſenken; ſie münden einerſeits in den Peribranchialraum aus, andrerſeits öffnen ſie ſich auch frei in die Leibeshöhle und ſind dadurch von den Protonephridien der Phyllodociden unterſchieden. In dem Abſchnitt der Leibeshöhlenwand, der von dieſen Nephridien gegen die Chorda zu liegt, bilden die Blutgefäße in der Nachbarſchaft der Nephridien ein dichtes Kapillarnetz, einen Glomerulus, wie man das bei den Wirbeltieren nennt, das zu den exkretoriſchen Funktionen des Nephridiums offenbar in Beziehung ſteht. Die Nephridien reichen im Körper ſo weit Exkretionsorgane der Wirbeltiere 409 wie die Kiemenſpalten: auf je zwei der endgültigen Spalten kommt ein Nephridium. Da die Kiemenſpalten urſprünglich ſegmental angelegt werden, ſo darf man wohl ver— muten, daß urſprünglich auf ein Körperſegment auch nur ein Nephridium kam, und daß ſie ſich mit der nachträglichen Vermehrung der Kiemenſpalten ebenfalls ſekundär ver— mehrten; beim fertigen Tiere ſind jederſeits etwa 100 vorhanden. Die Ausmündung in den Peribranchialraum iſt gleichbedeutend mit einer Mündung frei nach außen; denn dieſer Raum iſt ja nur ein durch Hautfalten abgekammertes Stück der Außenwelt. All das begünſtigt die Annahme, daß die Nephridien des Amphioxus mit den ſegmentalen Exkretionsorganen der Ringelwürmer morphologiſch gleichwertig ſind. Schwieriger liegen die Verhältniſſe bei den Wirbeltieren. Die Niere der Amnioten (Reptilien, Vögel und Säuger) iſt eine andre als die der Anamnier (Fiſche und Amphi— bien); aber bei den Embryonen der Amnioten finden wir vorübergehend ein Exkretionsorgan in Tätigkeit, das der Anamnierniere völlig entſpricht, die ſogenannte Urniere. Der Urniere aber geht bei allen Wirbeltieren ein drittes Exkretionsorgan voraus, die Vorniere, die nur noch bei den Schleimfiſchen (Myxine) zeit— lebens als alleiniges Harnorgan in Tätigkeit bleibt. Wir haben alſo drei in der Stammes— und z. T. auch in der Einzelentwicklung ein— ander ablöſende Nierenorgane zu unterſcheiden: die Vorniere (Pronephros), dauernd bei den Myxinoiden, vorübergehend bei allen übrigen Wirbeltieren, die Urniere (Meſonephros), dauernd bei den übrigen Fiſchen und den Am— 0 phibien, vorübergehend bei Reptilien, Vögeln Stück von ee I ſche matiſch— und Säugern, und endlich die Nachniere Rechts iſt ein Stück F um die „Urwirbel“ e von der Seite ſichtbar zu machen. (Metanephros), das bleibende Exkretionsorgan 1 Epidermis, 2 Rückenmarksrohr, 3 Chorda, “ Darm, d A „ 5 Muskelplatte des „Urwirbels“ oder Myotoms, 6 Hohl— er mnioten. raum des Myotoms = Myocvel, 7 Nephrotom, & viscerales P wer Steihen nr ueceln So ne eienpiaiien ſegmental angeordneter kurzer und kaum ge- wundener Röhrchen, der Harnkanälchen; ſie münden zu beiden Seiten der Wirbelſäule jedes mit einem Wimpertrichter in die Leibeshöhle und ſind auf der andren Seite mit einem Paar Sammelgängen, den Vornierengängen, verbunden, die den Körper durch— ziehen und ſich bei den Fiſchen mit Ausnahme der Selachier und Lurchfiſche hinter dem After nach außen öffnen, bei den Selachiern, Lurchfiſchen, Amphibien, Sauropſiden und den Kloakentieren unter den Säugern in den Endabſchnitt des Darms, die Kloake, münden. Die Vornierenkanälchen entſtehen aus dem ſogenannten Urſegmentſtiel (Nephro— tom, Abb. 273, 7), d. h. dem Abſchnitt des mittleren Keimblatts, der die dorſalen ſegmen— tierten Portionen desſelben, die Urſegmente, mit dem ventralen unſegmentierten Teile verbindet, der die ſekundäre Leibeshöhle einſchließt; die Mündung des Stiels in die Leibes— höhle wird dabei zum Trichter des Vornierenkanälchens. Dem Wimpertrichter gegen— über liegt in der Leibeshöhlenwand ein dichtes Blutkapillarnetz, ein Glomerulus (Abb. 274, links); dazu kann noch ein ähnlicher Glomerulus in einer kammerartigen ſeitlichen Erweiterung des Vornierenkanälchens, der ſogenannten Bowmanſchen Kapſel, 410 Vorniere und Urniere. kommen; man bezeichnet ihn als inneren Glomerulus im Gegenſatz zu jenem, dem äußeren Glomerulus oder Glomus. Nur bei den Myxinoiden erſtreckt ſich dieſes Organ durch die ganze Leibeshöhle; bei den übrigen Wirbeltieren iſt die Anlage der Drüſen— kanälchen der Vorniere auf wenige vordere Körperſegmente beſchränkt, bei den Selachiern z. B. auf das 3.—5, bei einer Blindwühle (Hypogeophis) auf das 4.—15.; beim Neun⸗ auge nimmt ſie 6, bei den Schmelzſchuppern 2—3, bei den Knochenfiſchen ſogar nur ein Segment ein. Der Vornierengang aber, der im vorderſten Abſchnitt durch Verſchmelzen der Enden der Vornierenkanälchen entſteht, bildet ſich auch noch in den folgenden Seg— menten, wo die Kanälchen fehlen, aus ſegmentalen Strecken, um ſich weiter hinten, ohne daß man eine ſcharfe Grenze beſtimmen könnte, zuſammenhängend vom Mutterboden loszulöſen. Darauf gründet ſich die Annahme, daß man in der weiteren Anlage des Vornierenganges eine abge— kürzte Entwicklung der Vor— niere ſehen darf, wobei die Ausbildung der Kanälchen unterdrückt iſt. Die Urniere beſteht in ähnlicher Weiſe aus Kanälchen, die dem gleichen Mutterboden entſtammen wie die Vor— nierenkanälchen; ſie können ſich auch mit einem Trichter in die Leibeshöhle öffnen, bei den Embryonen der Am— nioten fehlt ein ſolcher. Einen Abb. 274. 5 Vorniere (links) und Urniere (rechts) eines Wirbeltierembryo, Schema. äußeren Glomerulus haben Die linke Hälfte der Zeichnung ſtellt ein weiter kopfwärts gelegenes Querſchnittsbild dar. 1 1 1 Rückenmark, 2 Chorda, 3 Körperſchlagader (Aorta), 2 Darm, 5 Muskelſegment ſie niemals, ſtets aber einen (Myotom) mit feinem Hohlraum, dem Myocoel 6, links ſteht das Myocoel 6’ mit inneren (Abb. 274, rechts). der Leibeshöhle § in offener Verbindung durch das Nephrotom 7, 9 Vornieren— 9 trichter, 10 Vornierenkanälchen, 77 Vornierengang, 12 Glomus, 13 Urnierentrichter, Sie entſtehen erſt nach Aus⸗ 14 . De 16 Keimdrüſe. bildung des Harnleiters und verbinden ſich ſekundär mit ihm. Die Urnierenkanälchen übertreffen die der Vorniere an Höhe der Entfaltung, ſie ſind ſtets mehr oder weniger gewunden und kommen in größerer Zahl vor (Abb. 275); dabei wird nur in ſeltenen Fällen eine ſegmentale Anordnung gewahrt, wie bei den Selachiern, wo eine gewiſſe Zahl von Kanälchen zu ſegmentalen Gruppen vereinigt gemeinſam in den Harnleiter einmündet. Häufig iſt zwiſchen dem hinterſten Vornieren— kanälchen und dem vorderſten Urnierenkanälchen eine Lücke von einigen Segmenten; bei anderen Formen dagegen ſollen Urnierenkanälchen in Segmenten vorkommen, die auch ein Vornierenkanälchen enthalten. Sie ſind daher nicht als umgebildete Vornierenkanälchen aufzufaſſen, ſondern als eine zweite Generation Harnkanälchen, die entſprechend den ver— mehrten Anſprüchen an die Exkretion leiſtungsfähiger und zahlreicher ſind. Die Offnung in die Leibeshöhle, die bei den Vornierenkanälchen regelmäßig vorhanden iſt, fehlt in vielen Fällen; ſie iſt ein Erbſtück von Ahnen, deren Leibeshöhle mit Flüſſigkeit erfüllt war; bei den Wirbeltieren hat dieſe Einrichtung ihre Bedeutung im Dienſte des Harn— organs ganz verloren und kann daher rückgebildet werden. — Wenn auch die Urniere ihrer Anlage nach weit nach vorne reicht, ſo werden bei den ausgebildeten Tieren die Nachniere. Konzentration des Exkretionsſyſtems. vorderen Abſchnitte meiſt zurückgebildet, ſo daß ſie ſich auf die mittleren und hinteren Teile der Leibeshöhle beſchränkt. Die Nachniere der Amnioten leitet ſich direkt von ihrer Urniere ab (Abb. 276). Aus dem Vornierengang ſproßt nahe ſeiner Mündung ein ſeitlicher Kanal, der von einer Gewebsmaſſe umgeben iſt, die dem Mutter— boden der Urniere entſtammt. Indem dieſer Sproß weiter wächſt, wird er zum Harnleiter der Nachniere, zum Ureter. Aus ſeinem blinden Ende entſpringen Aſtchen, aus denen ſich die Sammelröhrchen der bleibenden Niere entwickeln. Die Harnkanälchen jedoch und die Bowmanſchen Kapſeln mit den Glomeruli entſtehen aus dem den Harnleiter umgebenden Bildungs— gewebe und münden erſt ſekundär in die Sammelröhrchen ein. Eine Ver— bindung der Harnkanälchen mit der Leibeshöhle kommt nicht vor. Die Bildung einer Nachniere iſt ſchon bei manchen Anamniern vorbereitet; bei den Blindwühlen entſtehen in dem hinteren Abſchnitt der Urniere Aus— ſtülpungen des Vornierenganges, mit denen ſich nachgebildete Urnieren— kanälchen in Verbindung ſetzen. Die Nachniere der Amnioten iſt eine Bildung gleicher Art, die aber nur von einer einzigen ſolchen Ausſtülpung am Ende des Vornierenganges ausgeht und eine ſo hohe Entwicklung erfährt, daß ſie die ganze Urniere erſetzt. Bei dem Erſatz der Vorniere durch die Urniere und bei dem der Urniere durch die Nachniere drängt ſich das anfangs über die ganze Länge des Körpers verteilte Exkretionsorgan mehr und mehr in den hinteren Abſchnitt der Leibeshöhle zuſammen und wird ſchließlich zur kompakten Nachniere. Die Verteilung der Vorniere über den ganzen Körper mag mit urſprünglicher Kammerung der Leibeshöhle beim Wirbeltierahnen zu— ſammenhängen, wie ſie ja in der Entwicklung von Amphioxus noch vor— übergehend auftritt; nach Fortfall dieſer Kammerung iſt eine Konzen— tration des Exkretionsorgans möglich, und die teilweiſe Entfernung der Harnkanälchen von den Bildungsſtellen der Exkrete kann ohne Schädigung ihrer Funktion geſchehen, da das lebhaft zirkulierende Blut den Transport der Exkretſtoffe zu den Ausſcheidungsſtellen übernimmt. Die Verbindung der Harnkanälchen mit der Leibeshöhle, die für die Exkretion bei den Wirbeltieren bedeutungslos iſt, bleibt von Wichtigkeit für eine Neben— funktion der Vorniere, die Ausführung der weiblichen Geſchlechtsprodukte: aus den Offnungen der Vorniere entwickelt ſich der Trichter des Eileiters. Auch beim männlichen Geſchlechte treten Nierenkanälchen, und zwar ſolche der Urniere, mit dem Hoden in Verbindung, und das Organ übernimmt die Ausleitung des Samens bei den Anamniern als Nebenfunktion, bei den Amnioten bleibt ihm dies als einzige Verrichtung. Näheres darüber erfahren wir bei der Beſprechung der Geſchlechtsorgane. Es liegt nahe, die Vorniere mit den ſegmentalen Nephridien der Ringelwürmer und denen des Amphioxus zu vergleichen, nur daß die äußere Ausmündung der einzelnen Röhren geſchwunden und dafür ein Abb. 275. Vor⸗ niere (mit vier Trich⸗ tern) und Ur⸗ niere einer Larve des Neunauges (Petromyz on). Die Glomeruli der Urniere ſind als dunkle Punkte erfenn- bar. Nach Wheeler. Paar gemeinſamer Sammelgänge aufgetreten wäre; Beiſpiele ſolcher Sammelgänge kommen auch bei Meeresringelwürmern (Lanice, Loimia) vor. Eine große Schwierigkeit für einen ſolchen Vergleich erwächſt aber daraus, daß die verglichenen Organe von 412 Verhältnis der drei Harnorgane zueinander. verschiedenen Keimblättern ſtammen: die Nephridien der Ringelwürmer entwickeln ſich aus dem äußeren Keimblatt, die Harnkanälchen der Wirbeltiere aber ſtammen aus dem mittleren Keimblatt. Dieſem Unterſchied mißt man, vielleicht mit Recht, einen großen Wert bei. Manche glauben daher die Vornierenkanälchen eher mit den ebenfalls ſegmental angeordneten Geſchlechtsausführgängen der Ringelwürmer, die aus dem Meſo— derm ſtammen, vergleichen zu dürfen; dann wäre die exkretoriſche Funktion ſekundär erworben und die Tätigkeit der Vor- und z. T. auch der Urniere bei Ausführung der Geſchlechtsprodukte wäre ererbt. Jedenfalls iſt die Frage noch nicht ſpruchreif. Die Aufeinanderfolge zweier oder dreier verſchieden ausgebildeter Harnſyſteme bei den Wirbeltieren würde nicht erklärlich ſein, wenn nicht jedes folgende den geſteigerten Anſprüchen des weiter entwickelten Körpers beſſer genügen würde. Ver— gleicht man bei einer Tritonlarve etwa Vorniere und Urniere beim gleichen Individuum, ſo erſcheint ein Glomerulus der Vorniere un— gefähr doppelt ſo groß als ein ſolcher der Urniere und der Durchmeſſer eines Vornierenkanälchens iſt etwa um ½ weiter als der eines Ur— nierenkanälchens, und wenn man dort, wo Urniere und Nachniere nebeneinander vorkommen, z. B. bei Abb. 276. Hinterende eines Säugerembryos, halbiert, einem Säugerembryo, deren Teile die Entwicklung der Nachniere zeigend. Schema. vergleicht, ſo findet man eine ähn⸗ 1 Leibeshöhlenwand, 2 Rückenmark, 8 Chorda, 4 Muskelmaſſe, 5 Darm, liche Abnahme der Ausmaße. Nun 6 Kloale (bricht erſt ſpäter nach außen durch), 7 Einmündung des linken 8 8 = 8 Ä Urnierenganges, der abgeſchnitten it, s rechter Urnierengang, 9 der iſt ja zweifellos ein größerer Glo—⸗ anch 9 umgibt uno De Harnfanäligen der Mafniere leser 27 Sehen, merulus und ein weiteres Nieren⸗ 11 a a Tocälepen, Teifuugejspwen peu In Anlehnung an Reibel. kleinerer Glomerulus und ein gleich langes engeres Kanälchen; denn ſie haben eine größere ſezernierende Oberfläche. Aber zwei kleinere Glomeruli, zu denen nicht mehr Subſtanz verbraucht wird als zu einem größeren, übertreffen dieſen an Oberfläche und damit an Leiſtungsfähigkeit, und zwei engere Kanälchen, bei denen die Summe der Querſchnitte dem des weiteren gleich iſt, haben zuſammen eine größere ſowohl aufnehmende als ausſcheidende Oberfläche als letzteres und ſind ihm daher in der Leiſtung überlegen. So wird die Funktionsfähigkeit geſteigert, indem bei der Urniere mit der gleichen Maſſe von Bildungsmaterial eine größere Wirkung erreicht wird als bei der Vorniere, und bei der Nachniere eine größere als bei der Urniere. Dazu kommt die größere Zahl und Länge der Kanälchen; bei einem Haifiſchembryo (Acanthias) von 9 em Länge z. B. finden ſich in jedem Segment, in dem die Urniere Bau und Funktion der Nachniere. 413 vorhanden iſt, jederſeits 6 Urnierenkanälchen, während bei der Vorniere ſtets nur 1 Paar Kanälchen auf ein Körperſegment kommt. Ganz außerordentlich iſt die Zahl der Kanäl— chen in der Nachniere geſteigert, ſo daß dieſe unter äußerſter Beſchränkung des Zwiſchen— gewebes faſt nur aus Harnkanälchen und Blutgefäßen beſteht. Die Zahl der Glomeruli in der Nachniere der Katze wird auf etwa 16000 geſchätzt. So bedeutet alſo ſtets der Übergang von einem Nierenſyſtem zum andern zugleich eine Steigerung der Geſamt— leiſtung. Ein ſolcher Übergang geſchieht aber nicht plötzlich. Während die Vorniere noch in voller Leiſtungsfähigkeit iſt, entſteht ſchon die Urniere, und erſt wenn dieſe reich— lich den Bedürfniſſen des Tieres genügt, kann jene rückgebildet werden, und ebenſo geht der Erſatz der Urniere durch die Nachniere vor ſich. Anfangs nur ein Hilfs— organ, wird die nachfolgende Niere ſchließlich der Erſatz für ihre Vor— gängerin. Die Funktionsweiſe der Wirbel— tiernieren iſt für die Nachniere der Säuger genauer unterſucht (Abb. 277). Hier ſchließt ſich an die Bowmanſche Kapſel, die den Glo— merulus umgibt, zunächſt das ge— wundene Harnkanälchen (Tubulus contortus), und dieſes ſetzt ſich in das ſchlingenförmig zurücklaufende gerade Harnkanälchen (Tub. rectus) fort, das durch ein Schaltſtück in ein Sammelröhrchen einmündet. Letztere ergießen ſich in den er— weiterten Endteil des Harnleiters, das Nierenbecken. Die eigentlichen Harnbeſtandteile werden durch die Zellen des gewundenen Kanälchens aus dem Blute aufgenommen und ausgeſchieden; dabei wirkt das vom Glomerulus abgeſonderte, aus der Bowwmanſchen Kapſel herabſickernde Harnwaſſer mit, indem es die abgegebenen Löſungen der Harnſalze beſtändig verdünnt und wegſpült und damit die Bedingungen ſchafft für die Fortdauer des Diffuſionsſtromes aus den ſezernierenden Zellen in das Harnkanälchen hinein. Das durch die Glomeruluswand tretende Waſſer muß denſelben Kochſalzgehalt haben wie das Blut, nämlich 0,5 /; im Harn iſt jedoch 1% Kochſalz enthalten; es wird alſo dem Harn wieder Waſſer entzogen, und zwar mindeſtens die Hälfte, vielleicht mehr, da ja vielleicht auch ein Teil des Kochſalzes wieder reſorbiert wird. Wahrſcheinlich geſchieht dieſe Aufſaugung in den geraden Kanälchen. Die Abſonderung des Harnwaſſers wird durch erhöhten Blutdruck vermehrt; aber ſie beruht nicht lediglich auf einer Filtra— tion durch die Gefäßwände des Glomerulus, ſondern iſt außerdem von anderen, noch ungenügend bekannten Verhältniſſen abhängig. Die Sammelröhrchen münden auf kegel— förmigen Vorſprüngen in das Nierenbecken, ſo daß bei gefülltem Becken durch den Druck Abb. 277. A Schema der Harn- kanälchen in der Säugerniere. 1Nierenkörperchen (ſogenannten Mal- pighiſches Körperchen) mit Glomerulus und Bow manſcher Kapſel, 2 gewun— denes und 3 gerades Harnkanälchen, 4 Schaltſtück, 5 Sammelröhrchen, das in das Nierenbecken mündet. B Nierenkörperchen bei ſtärkerer Vergrößerung, ſchematiſch. A nah Ludwig, verändert, B nach Stöhr. 414 Harnblaſe. der Flüſſigkeit ihre Mündungen verſchloſſen und ein Rückſtauen des Harns in ſie hinein verhindert wird (Abb. 278). Faſt überall, wo von der Wirbeltierniere flüſſiger Harn ausgeſchieden wird, kommt es zur Bildung einer Sammelblaſe, der Harnblaſe. Bei den meiſten Fiſchen iſt eine ſolche vorhanden; ſie entſteht als Erweiterung der verſchmolzenen Enden der Harnleiter und mündet bei den Selachiern in den Enddarm, der damit zur Kloake wird, bei den übrigen Fiſchen hinter dem After nach außen. Bei den Amphibien wird eine Harnblaſe durch Ausſtülpung der ventralen Kloakenwand gegenüber der Einmündung der Harnleiter gebildet; eine ſolche Einrichtung wiederholt ſich bei allen höheren Wirbeltieren und iſt ſchon im embryonalen Leben derſelben von hervorragender Wichtigkeit. Dieſer Harnſack oder die Allantois der Embryonen, die nichts iſt als eine Ausſtülpung des End— darms, füllt ſich bei den Embryonen der Sauropſiden mit dem Harn, der durch die Urniere ausgeſchieden wird; in ihrem Inhalt laſſen ſich harnſaures Ammoniak und Natron, Harnſtoff und Salze nachweiſen; ſie wächſt aus der noch nicht geſchloſſenen Leibeshöhle weit heraus und legt ſich der Eiwand an (Abb. 45, S. 85). Ihre Wandung iſt reichlich von Blut— gefäßen durchzogen, deren Blut durch die poröſe Eiſchale hindurch Kohlenſäure nach außen abgibt und Sauerſtoff aufnimmt; daher bildet die Allantois in der zweiten Hälfte des Embryonallebens zugleich das Hauptatem— organ des Embryos der Sauropſiden. Bei den Säuger— embryonen findet durch die nachbarliche Berührung des Blutes der Frucht mit dem mütterlichen Blute in dem Mutterkuchen oder der Placenta ein Stoffaustauſch zwiſchen beiden ſtatt und dabei werden die Exkret— ſtoffe des erſteren an das letztere abgegeben. Die Allantois wird hier ebenfalls gebildet. Ihre urſprüng— aon des der lh nerten.. Fans liche Funktion aber als Harnſack hat fie nur in be— 1 Rinde, 2 Mark, zu Sapillen erhoben, ſchränktem Maße beibehalten; ſie beſitzt nur eine ge— 3 Nierenbeden, 4 Harnleiter, ® 1 R 2 8 ; 5 Fettanhäufungen. ringe Höhlung; im übrigen bildet ſie als embryonaler Anteil an der Placenta das Ernährungs-, Atmungs— und Exkretionsorgan des Embryo. Soweit ſie außerhalb des Embryokörpers liegt, hat ſie nur in erſter Zeit eine Höhlung; ſpäter finden ſich im Nabelſtrang nur noch unbedeutende Spuren davon. Beim jungen Tiere wird dann nicht die ganze, ſondern nur der der Kloake benachbarte Abſchnitt der Allantois zur Harnblaſe (Abb. 276). Bei den Vögeln aber und bei den Krokodilen, Schlangen und manchen Sauriern wird der Harnſack ganz zurückgebildet, ſo daß dem erwachſenen Tiere eine Harnblaſe fehlt und der Harn ſich in der Kloake anſammelt; in dieſen Fällen aber iſt der Harn nicht flüſſig, ſondern bildet eine weiße kriſtalliniſche Maſſe, die z. B. bei den Schlangen faſt ganz aus Harnſäure beſteht. Das bei der Exkretion mit abgeſchiedene Waſſer wird hier offen— bar in der Niere wieder vollſtändig aufgeſaugt, wodurch eine große Menge Waſſer erſpart und das Waſſerbedürfnis des Tieres entſprechend vermindert wird. — Bei den Säugern iſt die Mündung der Harnleiter von der embryonalen Kloake auf den Anfangsteil der Allantois übergetreten und führt ſo beim geburtsreifen Tier direkt in die Harnblaſe (Abb. 276). Die Ausmündung der Harnblaſe iſt zuſammen mit der Ausmündung des Malpighiſche Schläuche der Inſekten uſw. 415 Geſchlechtsapparats bei den Säugern mit Ausnahme der Kloakentiere vom Enddarm ab— getrennt und mündet geſondert vor dem After. Die Harnblaſe bleibt zeitlebens durch einen bindegewebigen Strang, gleichſam den Schrumpfungsreſt eines Allantoisabſchnittes, mit dem Nabel als der Verſchlußſtelle der Leibeshöhle verbunden. Während bei vielen Gliederfüßlern die Exkretionsorgane an der Baſis der Glied— maßen münden und ſich mit Protonephridien vergleichen laſſen, beſitzen die Inſekten keine derartigen Organe. Bei ihnen münden dünne ſchlauchförmige Exkretionsorgane, die ſogenannten Malpighiſchen Schläuche, am Beginn des Enddarms in dieſen ein. Außer den Inſekten kommen ſolche auch den Tauſendfüßern und manchen Spinnentieren zu. Ihre Zahl wechſelt bei verwandten Formen meiſt nur in engen Grenzen, iſt jedoch nach den verſchiedenen Gruppen außerordentlich ſchwankend: es können nur zwei vor— handen ſein, andererſeits aber bis 150. Wenn die Zahl der Schläuche groß iſt, ſo ſind die einzelnen kurz; ſind ſie aber in geringerer Anzahl da, ſo iſt ihre Länge ziemlich bedeutend. Gewöhnlich ſind die Schläuche unveräſtelt; zuweilen aber, bei manchen Schmetterlingen, Fliegen, den Spinnen und Skorpionen, verzweigen ſie ſich etwas. Bei manchen Inſekten finden wir zweierlei Malpig hiſche Schläuche, die nach ihrer weißen und gelben Färbung und wahrſcheinlich auch nach ihrer Funktion verſchieden find. Die Zellen der Schlauchwandung haben meiſt eine ziemlich anſehnliche Größe und beſitzen oft einen vielfach veräſtelten Kern (vgl. oben S. 30). Der Inhalt der Schläuche beſteht aus runden Körnern von harnſaurem Natron und harnſaurem Ammoniak, daneben finden ſich oxalſaurer Kalk und andere Exkretſtoffe; die Stoffe werden in den Enddarm entleert. Neben röhrenförmigen Exkretionsorganen, wie es die Protonephridien, Nephridien und Malpighiſchen Schläuche ſind, können ſich auch noch andere Organe an der Exkre— tion beteiligen. Am häufigſten ſind es gewiſſe Teile der Darmoberfläche, die in den Dienſt der Ausſcheidung treten. So iſt für die ſogenannten gelben Zellen des Darm— epithels bei den Regenwürmern und ihren Verwandten, für beſtimmte Zellformen in den Mitteldarmſäcken, der ſogenannten Leber, der Schnecken und der höheren Krebſe und für das Epithel der Magenblindſäcke bei Afterſkorpionen und Laufmilben eine exkretoriſche Funktion durch Verſuche nachgewieſen. Auch die äußere Körperoberfläche mag ſich hie und da an der Exkretion beteiligen. Jedenfalls wiſſen wir, daß bei den Säugern das Sekret der Schweißdrüſen, die ja Einſtülpungen der Epidermis ſind, etwas Harnſtoff und Spuren von Harnſäure enthält; bei reichlicher Schweißabſonderung findet man die Harn— ſtoffmenge im Harn vermindert. Als Exkretionsorgane im engeren Sinne können wir nur ſolche anſehen, durch deren Tätigkeit die Abfallſtoffe aus dem Körper herausgeſchafft werden. Daneben aber finden ſich häufig Organe, die zeitweiſe oder dauernd Stoffwechſelprodukte in ſich anhäufen und damit der ſchädlichen Wirkung vorbeugen, die durch Anweſenheit dieſer Stoffe im Getriebe des Organismus hervorgebracht würde. Man könnte dieſe Hilfseinrichtungen ſekundäre Exkretionsorgane nennen. Sie ſammeln und verwandeln bisweilen Exkretſtoffe, die dann an anderer Stelle zur Ausſcheidung kommen. Solche Gebilde ſind z. B. die grünlich— braunen ſogenannten Chloragogenzellen, die beim Regenwurm und vielen anderen Borſten— würmern auf den Wänden des den Darm überziehenden Blutgefäßnetzes und der mit ihm zunächſt verbundenen Gefäße ſtehen; ſie nehmen aus dem Blute Stoffwechſelprodukte 416 Speichernieren. auf und ſpeichern fie als gelbe, halbflüſſige Kügelchen; ob dieſe dann durch die Nephri- dien zur Ausſcheidung kommen, iſt nicht ſicher feſtgeſtellt. Bei den zehnfüßigen Krebſen werden zu den Seiten der Kiemen Gewebſtreifen beſchrieben, in denen Farbſtoffe, die experimentell in die Leibeshöhle gebracht werden, ſich anhäufen, um dann allmählich durch die Antennendrüſen entfernt zu werden. Im Dienſte der Exkretion ſtehen in gleicher Weiſe die ſogenannten Perikardialzellen der Inſekten und entſprechende Zellen bei anderen Gliederfüßlern, die gemeinſam als Nephrocyten bezeichnet werden und in ver— ſchiedenen Körperteilen verbreitet ſein können; bei den Inſekten überziehen ſie die Wände des Herzens und die ſogenannten Flügelmuskeln desſelben in zuſammenhängender Lage. Man kann zu den ſekundären Exkretionsorganen auch mit vollem Rechte die Leber der Wirbeltiere zählen, die dem Blute die in den Geweben gebildeten Stoffwechſelprodukte entzieht und daraus diejenigen Stoffe bildet, die dann in der Niere zur Ausſcheidung kommen. Auch die Phagoeyten find hier noch zu nennen; wir erwähnten ihre Beteiligung an der Exkretion ſchon bei den Echinodermen und Würmern, aber auch bei vielen anderen Tieren, insbeſondere auch bei den Gliederfüßlern, ſpielen ſie eine wichtige Rolle als exkretoriſche Hilfsorgane. Während wir es in dieſen Fällen nur gleichſam mit Durchgangsſtationen für die Exkretſtoffe zu tun hatten, gibt es bei einigen Tieren auch Organe, die ſolche Stoffe in ſich aufſpeichern und ſtändig feſthalten, ohne ſie zu entleeren; man bezeichnet ſie als „Speichernieren“. Solche finden ſich bei manchen Schnecken: Cyclostoma elegans Drap. beſitzt ein derartiges Organ, das ſich zwiſchen den Darmwindungen hinzieht und durch die in ihm aufgeſpeicherten Harnſäurekonkremente eine kreidigweiße Farbe hat; in der Niere ſelbſt iſt hier keine Harnſäure nachweisbar, die ſonſt in der Niere der Vorder— kiemer reichlich vorhanden iſt. Eine ähnliche Bedeutung haben zwei auffallende drüſen— artige Stränge an der Floſſenwurzel der freiſchwimmenden Carinaria, und auch bei der Meeresnacktſchnecke Pleurobranchus iſt ein entſprechendes Organ gefunden. — Reichliche Maſſen von Harnſäure finden ſich als Natriumſalz in gewiſſen Zellen des Fettkörpers bei den Inſekten und den chilognathen Tauſendfüßern aufgeſpeichert und bleiben dort für das ganze Leben des Individuums. Auch von den Ascidien ſind Speichernieren bekannt, bei Phallusia als kleine, mit Harnkonkrementen gefüllte Bläschen zu beiden Seiten des Kiemenſacks, bei Molgula als ein großer Harnſack auf der rechten Seite neben dem Herzen. Bei anderen ſind die mit Exkretkörnern beladenen Zellen im Körper zerſtreut. Eine beſondere biologiſche Bedeutung erhalten die aufgeſpeicherten Exkrete, wenn ſie in Geſtalt gefärbter Körperchen nahe der Körperoberfläche abgelagert werden und ſo die Färbung des Tieres mitbedingen. Farbige Exkretſtoffe ſind mehrfach bekannt; ſie finden ſich z. B. in den Darmzellen bei Ringelwürmern und Krebſen oder werden vom Baum— weißling (Aporia erataegi L.) als rote flüſſige Maſſen kurz nach dem Ausſchlüpfen aus der Puppe entleert. Als Körperpigment dienen ſolche Exkrete vielfach bei den Egeln, und das Pigment des Spritzwurms (Sipunculus nudus L.) beſteht vorwiegend aus Harn— ſäure. Auch die Flügelpigmente mancher Schmetterlinge, beſonders der Weißlinge, ſind reich an harnſauren Salzen. Vor allem aber begegnet uns bei den niederen Wirbel— tieren, den Fiſchen, Amphibien und Reptilien, häufig Guanin als jarbgebender Stoff in Geſtalt von glänzenden iriſierenden Kriſtallen oder von amorphen kreideartigen Maſſen, die ſich beſonders im Unterhautbindegewebe finden. Die Fiſche verdanken dieſem Stoff den Silberglanz der Haut; er iſt bei ihnen aber auch im Bauchfell, in der Schwimm— blaſe und im Tapetum des Auges abgelagert. Das Guanin, das ſich im Kote des Vermittlerrolle der Körperflüſſigkeit. 417 Fiſchreihers und vieler Seevögel (daher auch im Guano) findet, geht auf dieſe Quelle zurück; in den Exkrementen von Hühnern und Gänſen hat man dieſen Stoff nicht nach— weiſen können. Dieſer Silberglanz wird aus den Schuppen unſerer Alburnus-Arten (Ukelei u. a.) durch Auswaſchen gewonnen und als „Perleneſſenz“ bei Herſtellung künſtlicher Perlen verwendet. D. Die Körperflüffigkeit. 1. Allgemeines über die Körperflüffigkeit. Der Geſamtſtoffwechſel eines vielzelligen Organismus iſt die Summe der Stoff— wechſelvorgänge aller Zellen, die ihn zuſammenſetzen. Je nach ihrer Lage im Körper befinden ſich aber die Zellen unter ſehr verſchiedenen Bedingungen. Die an die äußere Körperoberfläche grenzenden Zellen ſind für die Sauerſtoffaufnahme, die Zellen des Darmepithels für die Ernährung und beide für die Exkretion mehr begünſtigt als die tiefer im Körper gelegenen Zellen; die einen kommen mit Sauerſtoff, die anderen mit Nahrung direkt in Berührung, und ihre Exkrete können ſie unmittelbar nach außen ent— leeren. All dies trifft nicht in gleichem Maße zu für die tiefer gelegenen Zellen des Körpers. Ihnen ſteht Nahrung und Sauerſtoff nur mittelbar zu Gebote, und ihre Exkrete gelangen auch nur mittelbar aus dem Körper heraus. Da aber auch ihr Stoff— wechſel, entſprechend ihren Leiſtungen für die Geſamtheit des Körpers, oft bedeutend iſt, ſo muß eine Leitung von den direkt aufnehmenden und ausgebenden Zellen zu ihnen gehen; es wird ihnen Nahrung und Sauerſtoff zugeführt, und ihre Exkretſtoffe werden fortgeſchafft. Dieſe Leitung geht nur in den einfachſten Fällen von Zelle zu Zelle; meiſt wird die Vermittlung von einer Flüſſigkeit übernommen, die den Körper durchdringt und die einzelnen Organe, Organteile und Zellen umſpült. Wir nennen ſie Körperflüſſigkeit oder Körperſaft; alles, was als Blut, Lymphe oder Leibeshöhlenflüſſigkeit bezeichnet wird, iſt unter dieſem allgemeinen Namen inbegriffen. Dieſe Flüſſigkeit übernimmt von den atmenden Zellen Sauerſtoff, von den Darmzellen Nährſtoffe, macht ſie zum Allgemein— beſitz des Körpers und führt ſie den minderbegünſtigten Zellen zu, ebenſo wie ſie die Stoffwechſelprodukte von dieſen wegleitet. Der Körperſaft bildet das innere Medium, in dem die Elemente des Körpers leben: gegen die äußere Umgebung, gegen Waſſer, Erde, Luft, ſchließt ſich das Protoplasma mehr oder weniger ab; das Leben mit ſeinen Außerungen ſpielt ſich in der Hauptſache im inneren Medium ab, mag das Tier als Fiſch im Waſſer ſchwimmen, als Wurm in der Erde bohren oder als Vogel die Luft durcheilen. Eine derartige Vermittlerrolle des Körperſaftes iſt natürlich nur in ſehr beſchränktem Maße bei ſolchen vielzelligen Tieren erforderlich, deren geſamter Zellbeſtand an der Be— grenzung der Oberfläche, teils der äußeren, teils der Darmoberfläche teilnimmt. Bei den Coelenteraten mit ihren zwei Keimblättern (Abb. 18, S. 46) ſind für Atmung und Exkretion faſt alle Zellen unter gleichen Bedingungen; ohne unmittelbaren Zuſammen— hang mit der Oberfläche ſind nur die verhältnismäßig wenigen Zellen, die bei manchen Formen in der ſtützenden Gallerte liegen; dieſe werden aber, bei dem geringen Betrag ihrer Leiſtungen, auch nur einen geringen Stoffwechſel haben. Wir finden demnach weder die Atmung noch die Exkretion in beſonderen Organen lokaliſiert. Bei der Ernährung freilich iſt auch hier ſchon eine Arbeitsteilung vorhanden. Die an der äußeren Oberfläche gelegenen und die inneren Zellen ſind Koſtgänger der Darmzellen, von denen offenbar Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 27 418 Räume und Bahnen für die Körperflüſſigkeit. durch die wäſſerige Gallerte der Stützlamelle ein Diffuſionsſtrom von Nährmaterial zu ihnen geht. Speziell an ſolchen Stellen, wo das Ektoderm größere Leiſtungen zu voll— bringen hat, wie an der Schirmunterſeite der Quallen, an der Mundſcheibe und den Tentakeln der Seeroſen, iſt die Gallertſchicht zwiſchen ihm und dem Entoderm dünner als an andern Körperſtellen, die Zuleitung von Stoffen daher leichter. Wichtiger wird die Vermittlerrolle des Körperſaftes dort, wo der Leib ſich nicht bloß aus zwei Keimblättern aufbaut, ſondern ſich zwiſchen Ekto- und Entoderm eine reichliche und für das Leben des Organismus wichtige Zellmaſſe, das Meſoderm, einſchiebt. Hier ſind die Gewebslücken und Körperhohlräume mit Flüſſigkeit erfüllt; dieſe erleichtert die Verſchiebbarkeit der Organe und ihrer Teile gegeneinander und bildet den Vermittler beim Stoffwechſel. Bei den niedrigſten Formen mit ſolchem Bau, den meiſten Platt— würmern, ſind es nur enge und engſte interſtitielle Spalt- und Lückenräume ohne be— ſtimmte Anordnung, die der Körperſaft einnimmt. Eine Bewegung desſelben durch dieſe Räume findet zumeiſt nicht ſtatt; aber da der Körper flach, der Darm weit veräſtelt und auch das Syſtem der Protonephridien durch den ganzen Leib verbreitet iſt, ſind die inneren Zellen nirgends weit von den Stellen der Sauerſtoff- und Nahrungsaufnahme und der Exkretion entfernt, ſo daß Diffuſionsſtrömungen im Körperſaft für den Trans— port der verſchiedenen Stoffe völlig ausreichen. Bei höherſtehenden Plattwürmern aber, den Schnurwürmern (Nemertinen) bildet ſich ein Syſtem beſtimmter zuſammenhängender Bahnen und Räume aus, die von Körperflüſſigkeit erfüllt ſind und von wo aus dieſe zu den Geweben dringt; vielleicht ſind dieſe Saftbahnen durch Vereinigung urſprünglich getrennter Spalträume entſtanden. Weit geräumiger aber werden die Binnenräume des Körpers dort, wo eine ſogenannte ſekundäre Leibeshöhle, ein Coelom auftritt. Unter dieſem Namen verſteht man paarige, zunächſt mit Flüſſigkeit erfüllte Räume, die in einem Paar (z. B. bei den Weichtieren) oder in zahlreichen Paaren hintereinander (z. B. bei den Ringelwürmern) zwiſchen Darm- und Körperwand auftreten und das Körperparen— chym verdrängen. Die wahrſcheinlichſte Annahme, daß es Erweiterungen der Hohlräume der Gonaden (Eierſtöcke und Hoden) ſind, haben wir ſchon oben (S. 99) beſprochen. Wo die ſekundäre Leibeshöhle mit Körperflüſſigkeit erfüllt iſt, ſpielt ſie für die Vermittlung des Stoffwechſels eine bedeutende Rolle. Dazu können noch Flüſſigkeitsbahnen kommen, die ſich zwiſchen die Wände der Coelomabſchnitte oder zwiſchen dieſe und die Darmwand einſchieben und ſich in jene Körperteile fortſetzen, in die das Coelom nicht hineinreicht: es ſind die Blutgefäße. In dieſen Räumen und Bahnen wird der Körperſaft in Bewegung geſetzt. Im einfachſten Falle ſind es Zuſammenziehungen der Köper- und Darmmuskulatur, die dies bewirken. Während bei völliger Ruhe der Körperſaft in der Umgebung des Darmes beſonders reich an Nährſtoffen, in der Nähe der atmenden Oberfläche mit Sauerſtoff geſättigt und um die arbeitenden Muskeln herum mit Abbauprodukten des Stoffwechſels erfüllt wäre und ein Ausgleich nur langſam durch Diffuſion ſtattfände, wird durch ein Fluten der Flüſſigkeit im Körper eine fortwährende Durchmiſchung und damit eine gleich— mäßige Verteilung der in ihr enthaltenen Stoffe bewirkt. Noch gründlicher kann der Körperſaft ſeine Vermittlerrolle erfüllen, wenn er in beſtimmt gerichteten Bahnen in ſtetig kreiſender Bewegung erhalten wird und dabei etwa nacheinander die Ernährungs— und Atmungsorgane durchſtrömt, wo er Nahrung und Sauerſtoff aufnimmt, dann zu den Muskeln und Nerven gelangt, wo er jene Stoffe abgibt und Stoffwechſelprodukte fort— führt, die er auf ſeiner weiteren Bahn den Exkretionsorganen zur Ausſcheidung über— Verſchiedene Arten von Körperflüſſigkeit. 419 liefert, um dann den Weg von neuem zu beginnen. Dieſe durch ſelbſtändige Triebkräfte bedingte, beſtimmt geregelte Flüſſigkeitsbewegung im Körper in feſten Bahnen bezeichnen wir als Kreislauf oder Zirkulation. Die Bahnen können entweder nur röhrenförmige Gefäße, oder daneben weitere Hohlräume, Lakunen oder Sinuſſe, und endlich ſelbſt Ab— ſchnitte des Coeloms ſein. In vielen Fällen finden wir nur einerlei Körperſaft bei einem Tiere. Aber es können auch zwei, ja ſelbſt drei getrennte Räume vorhanden ſein, deren jeder mit einer beſonderen Art von Körperſaft gefüllt iſt. Dies iſt der Fall, wenn ein gegen die Leibes— höhle vollkommen abgeſchloſſenes Gefäßſyſtem entwickelt iſt, wie bei den meiſten Ringel— würmern, oder außerdem noch ein weiteres Röhrenſyſtem, wie das Ambulakralſyſtem (Waſſergefäßſyſtem) bei den Stachelhäutern. Der Inhalt der Leibeshöhle wird dann als Leibeshöhlen- oder Coelomflüſſigkeit, ſeltener als Lymphe bezeichnet im Gegenſatz zu dem Inhalt der Gefäße, dem Blut. Wo aber das Gefäßſyſtem mit der Leibeshöhle in offener, mehr oder weniger weiter Verbindung ſteht, iſt der Inhalt beider identiſch und wird wohl Hämolymphe, wenn nicht kurzweg ebenfalls Blut genannt. Die Körperſäfte enthalten ſtets Salze und mehr oder weniger Eiweiß in Löſung und ſind verſchieden reich an Zellen, die in ihnen flottieren. Im Blut wird den Zellen gegenüber die Flüſſigkeit als Blutplasma unterſchieden. Die Blutzellen oder Blutkörper— chen, wie ſie gewöhnlich heißen, können eine feſte Form beſitzen oder ſind amöboid beweglich, eine Eigentümlichkeit, die ihnen die Aufnahme feſter Körperchen nach Art der Amöben geſtattet; damit werden fie zu Phagocyten und treten in den Dienſt der Er— nährung und Exkretion. Sind mehrere Arten von Körperſäften vorhanden, wie etwa Leibeshöhlenflüſſigkeit und Blut bei den Ringelwürmern, ſo verteilt ſich die Vermittlung der Stoffwechſelfunktionen meiſt in verſchiedener Weiſe auf ſie: es tritt eine, wenn auch nicht vollkommene, Arbeitsteilung zwiſchen ihnen ein. 2. Das Blut und feine Beſonderheiten. Das Blut, dem wir beſondre Aufmerkſamkeit ſchenken müſſen, iſt ſeinen Aufgaben, die in Vermittlung von Ernährung, Atmung und Exkretion beſtehen, in verſchieden hohem Grade angepaßt. Beſonders als Atemblut beſitzt es häufig Eigenſchaften, die ihm geſtatten, mehr Sauerſtoff aufzunehmen, als bei einfach phyſikaliſcher Bindung des— ſelben möglich wäre. Es enthält dann gewiſſe Stoffe, die mit dem Sauerſtoff dort, wo er reichlicher vorhanden iſt und daher größere Spannung hat, alſo in den Atemorganen, leicht eine chemiſche Bindung eingehen; dieſe iſt wenig beſtändig und gibt an den Ver— brauchsſtellen, wo geringe Sauerſtoffſpannung herrſcht, den Sauerſtoff wieder ab. Der bekannteſte unter dieſen Sauerſtoffträgern iſt der rote Blutfarbſtoff des Wirbel— tierblutes, das Hämoglobin, ein eiſenhaltiger Eiweißkörper, der in der Tierreihe ziemlich weit verbreitet iſt. Schon bei manchen Schnurwürmern kommt es vor; es bewirkt die Rotfärbung der Blutflüſſigkeit beim Regenwurm und vielen anderen Borſtenwürmern, beim Blutegel und einigen ſeiner Verwandten und bei den Sternwürmern (Gephyreen). Hämoglobin iſt es auch, wodurch das Blut der Tellerſchnecken (Planorbis) und mancher Muſcheln ſowie niederer Krebstiere (Branchipus u. a.) gefärbt iſt. Durch Aufnahme von Sauerſtoff, alſo z. B. beim Schütteln mit Luft, färbt ſich hämoglobinhaltiges Blut ſchön hochrot, während es nach Abgabe von Sauerſtoff und Aufnahme von Kohlenſäure dunkel blaurot ausſieht; man kann alſo an der Farbe ſolchen Blutes erkennen, ob es rl 420 Sauerſtoffträger im Blut. reich oder arm an Sauerſtoff iſt. Wird die Aufnahmefähigkeit des Hämoglobins für Sauerſtoff dadurch vernichtet, daß es mit einem andren Gas eine feſte Verbindung ein— geht, wie mit Kohlenoxydgas (C0) bei Vergiftung durch Kohlendunſt, ſo kann eine der— artige Beeinträchtigung der Sauerſtoffverſorgung des Körpers ſtattfinden, daß der Tod eintritt. Ein anderer weitverbreiteter Sauerſtoffträger, das Hämocyanin, iſt von blauer Farbe und enthält Kupfer an einen Eiweißkörper gebunden. Auch hier bewirkt die Anweſenheit reichlichen Sauerſtoffs ein lebhafteres Blau; im Vakuum aber, wo die Gaſe aus dem Blut ausgeſogen werden, entfärbt ſich das Hämocyanin. Wir treffen dieſen Stoff im Blute mancher Muſcheln, z. B. unſerer Teich- und Flußmuſcheln (Anodonta und Unio), ſowie bei manchen Schnecken (Helix, Limnaea; Murex, Triton u. a.) und bei Tinten- fiſchen; ebenſo enthält das Blut der höheren Krebſe (Squilla und Dekapoden, z. B. Fluß— krebs, Hummer), der Skorpione und einiger Spinnen dieſen Blutfarbſtoff. Außer dieſen beiden verbreitetſten Sauerſtoffträgern gibt es noch andere ſauerſtoff— bindende Eiweißſtoffe von mehr gelegentlichem Vorkommen, ſo das rötliche Echinochrom in den Blutzellen mancher Seeigel (Sphaerechinus u. a.), das grüne Chlorocruorin mancher Borſtenwürmer (Sabella, Spirographis u. a.) und das an die Blutkörperchen mancher Gephyreen (Sipunculus) gebundene rote Hämerythrin. Aber auch ungefärbte Eiweißſtoffe beſitzen hie und da die Fähigkeit lockerer Sauerſtoffbindung, und bei ihrer ſchwierigen Erkennbarkeit ſind ſie wahrſcheinlich viel weiter verbreitet als man jetzt weiß; ſolche Achroglobine ſind bisher bei manchen Schnecken (Patella, Chiton), bei der Steck— muſchel (Pinna) und bei Aseidien aufgefunden. In den meiſten der genannten Fälle iſt der Sauerſtoffträger dem Blutplasma bei— gemiſcht; in einzelnen Fällen aber, bei den Nemertinen, den Seeigeln, bei den Capitelliden und einigen andren Familien der Borſtenwürmer, bei Sipunculus und vor allem überall bei den Wirbeltieren iſt innerhalb des Blutes eine Arbeitsteilung derart eingetreten, daß ein Teil der Blutzellen, und zwar meiſt ſolche von feſter Form, den reſpiratoriſchen Eiweißſtoff enthalten und nun die Sauerſtoffbindung größtenteils beſorgen: ſie ſind Sauerſtoffſpeicher. Das Blutplasma iſt zwar immer noch an der Vermittlung der Atemtätigkeit beteiligt; ſeine Hauptaufgabe iſt aber jetzt die Übertragung der Nähr— und Exkretſtoffe, wobei es durch die meiſt ungefärbten amoeboiden Blutkörperchen, joweit ſie phagocytär ſind, unterſtützt wird. Die Rotfärbung des Wirbeltierblutes beruht alſo lediglich auf der Färbung der formbeſtändigen Blutkörperchen, und im Gegenſatz zu ihnen werden die amöboiden Blut— körperchen ſchlechthin als weiße bezeichnet. Die roten Blutkörperchen der Wirbeltiere ſind abgeflachte Zellen von ovalem oder rundem Umriß; aber ſie ſind entſprechend ihrer beſonderen Verrichtung auch im Bau ſtark ſpezialiſiert: ſie beſtehen aus einer farbloſen, wahrſcheinlich zähflüſſigen Membran und einem flüſſigeren Inhalt, der eine Löſung von Salzen, Eiweiß und vor allem Hämoglobin iſt. Der Kern iſt klein und bei den Säugern nur in den Jugendzuſtänden der Blutkörperchen vorhanden; beim fertigen Blutkörperchen fehlt er hier, er iſt ausgeſtoßen oder degeneriert. Ihr Umriß iſt meiſt elliptiſch; rund ſind ſie nur bei den Säugern mit Ausnahme der Kameliden (Kamel und Lama) und bei den Neunaugen. Ihre Oberfläche iſt nicht eben, ſondern durch flache Einſenkungen vergrößert, am ſtärkſten bei den Säugern, deren im Umriß runde Blutkörperchen im lebendfriſchen Blut glockenförmig aufgebogen ſind und ſich durch äußere Einflüſſe bei der Präparation ſchnell ſcheibenförmig abplatten. Die roten Blutkörperchen der Wirbeltiere. 421 Bei den verſchiedenen Gruppen der Wirbeltiere wechſeln Größe, Zahl und Hämo— globingehalt der roten Blutkörperchen. Die Größe iſt am bedeutendſten bei den niederen Amphibien und bei den Selachiern, geringer iſt ſie bei den Froſchlurchen, den Reptilien und den Knochenfiſchen, noch geringer bei den Vögeln; am kleinſten ſind die Blut— körperchen der Säuger. Zur Vergleichung diene folgende Tabelle, in der der große und kleine Durchmeſſer (bei den Säugern der eine Durchmeſſer) des Blutkörperchens in Mikren (1 u = 1 Mikron = 1 tauſendſtel Millimeter) angegeben ſind und zugleich die Zahl der in 1 mm? enthaltenen roten Blutkörperchen in Millionen angegeben iſt. u Millionen u Millionen Zitterrochen en,, ͤ e Rochen. ee iche a2 136228722045 er f . E63 il Aal. 18 i r 2.0470.501158-1 2249 e , , 220,619 4=2715713:06 ee /r Lama (Guanako) . 7,6 4,4 13,19 CC%%ͤ1nj 10,93 I 02220982233, 0,036 Elefanktt 94 2002 Feuerſalamander .. 43,1><25,5 0,09 Schwein. 528-79 6,96 Kammolch. .. 31,2><21,5 0,164 a MN 6 628 Grasfroſch. 23, 16,1 040 Schaf... 39-59 9,13 Gin rte 21,828 15,9 0,39 Ziege 1 35 18,00 Eichhorn 2 9 Griech. Landſchildkröte 21,2 12,4 0,63 Siebenſchläfer .. 62 8,41 gener 14,6 11, 097 Hauskatze 4,5 — 7, 8,22 Mauereidechſe .. 15,48 10,3 0,96 Haushund 1-8 6,65 Zauneidechee . . 15,94 99 142 Menſch, Weib 6692 | 4,50 „ Mann) 5,00 Die in der Tabelle aufgeführten Werte für die Zahl der Blutkörperchen ſtammen von verſchiedenen Unterſuchern und ſind leider nicht alle nach der gleichen Methode ge— wonnen; immerhin läßt ſich aus ihnen ſchon mancherlei entnehmen. Im allgemeinen, wenn auch nicht ausnahmslos, ſteht die Menge der roten Blutkörperchen im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Größe; wo kleinere Blutkörperchen vorkommen, da iſt auch ihre Zahl entſprechend höher. Die wenigſten Blutkörperchen finden wir bei den Schwanz— lurchen und den Selachiern, mehr ſchon bei den Froſchlurchen; bei den Knochenfiſchen ſteigt ihre Zahl, und wir finden bei ihnen Werte wie bei den Reptilien; noch höher ſind die Zahlen bei den Vögeln, am höchſten bei den Säugern, und es iſt wiederum bemerkenswert, daß die Ziege mit den kleinſten Blutkörperchen unter den aufgeführten Tieren (das Moſchustier hat noch kleinere) auch die zahlreichſten hat. Außerdem ſcheint es, daß, wenigſtens bei den Warmblütern, größere Tiere verhältnismäßig weniger zahl— reiche Blutkörperchen haben als ihre kleineren Verwandten. Unter den Vögeln hat der Strauß, unter den Säugern der Elefant die geringſte Zahl von Blutkörperchen; das Guanako hat mehr Blutkörperchen als das Kamel, die Ziege mehr als das Schaf und dieſes mehr als das Rind; unter den Nagern hat die Hausmaus 8,9 Millionen, der Siebenſchläfer 8,4, das Eichhorn 7,5, das Murmeltier 4,4 Millionen Blutkörperchen in einem Kubikmillimeter; die Ente hat mehr als der Schwan (3 gegen 2,3 Millionen), 422 Oberfläche und Hämoglobingehalt der Blutkörperchen. der Löffelreiher (3,4 Millionen) mehr als der Fiſchreiher (2,5 Millionen) und dieſer mehr als der Storch (2,2 Millionen). Doch ſind noch genauere, gerade hierauf ge— richtete Unterſuchungsreihen nötig. Bei der Beſprechung der Größe des Herzens bei den Wirbeltieren werden wir auf dieſe Verhältniſſe noch zurückkommen. Bei ähnlicher Form hat aber ein größeres Blutkörperchen eine geringere Oberfläche als eine Anzahl kleiner, die dieſelbe Stoffmaſſe vorſtellen. Das Kleinerwerden der Blut— körperchen in der Tierreihe bedeutet alſo eine Vermehrung der Oberfläche bei gleichem Stoffaufwand. Da ſich aber die Menge des in der Zeiteinheit gebundenen Sauerſtoffs entſprechend der Oberfläche der Blutkörperchen ſteigern wird, ſo wird eine gewiſſe Maſſe, etwa 1 mm?, kleiner Blutkörperchen unter ſonſt gleichen Verhältniſſen mehr Sauerſtoff aufnehmen können als eine gleiche Maſſe größerer. Bei den höheren Wirbeltieren iſt alſo der zur Bildung der Blutkörperchen verwendete Stoff beſſer ausgenutzt als bei den niederen. Wie rieſig die von den Blutkörperchen dargebotene Oberfläche ſein kann, zeigt eine für den Menſchen durchgeführte Berechnung. Die Oberfläche eines Blutkörperchens beträgt 126,4 u, alſo die Oberfläche der in 1 mm? enthaltenen 5 Millionen Blut- körperchen 6,32 eme; die in den 4,4 1 Blut des Menſchen enthaltenen Blutkörperchen haben alſo zuſammen eine Oberfläche von 2781 m?, alſo etwa wie die Fläche eines Quadrates von 53 m Seitenlänge. Die Menge des Hämoglobins in gleichen Maſſen von Blutkörperchen iſt bei niederen Wirbeltieren geringer als bei den höheren; am größten iſt ſie wiederum bei den Säugern. Die Trockenſubſtanz der Blutkörperchen beſteht nach Hoppe-Seyler beim Menſchen zu 94,3%, beim Hund zu 86,5%, beim Igel zu 92,25% aus Hämoglobin, bei der Gans dagegen nur zu 62,65%, bei der Ringelnatter zu 46,7%. Die Blutkörperchen der Säuger ſind alſo auch in ihrer chemiſchen Zuſammenſetzung am meiſten für ihre Sonder— leiſtungen ſpezialiſiert. — Über die Blutmenge verſchiedener Wirbeltiere fehlen uns leider noch vergleichende Angaben. Im Blute der Wirbeltiere iſt überall Hämoglobin enthalten; nur beim Amphioxus und bei den Larven des Aales und ſeiner Verwandten fehlt es. In der Reihe der Wirbelloſen dagegen konnte in ſehr zahlreichen Fällen das Vorhandenſein reſpiratoriſcher Eiweißſtoffe im Blut nicht nachgewieſen werden, und man weiß häufig keinen Grund dafür anzugeben, weshalb bei nahe verwandten Formen bei der einen die Oxydation des Blutes durch die Gegenwart eines Sauerſtoffträgers erleichtert iſt, bei der anderen nicht. Beſonders auffallen muß es aber, daß in der großen Klaſſe der Inſekten, zu der mehr als zwei Drittel aller bekannten Tierarten gehört, keinerlei derartige. Stoffe gefunden werden, während ſie bei den waſſeratmenden Gliederfüßlern, den Krebſen, häufig ſind und auch bei den Spinnentieren vorkommen. Dieſe Tatſache wird uns verſtändlich wenn wir bedenken, daß hier dem Blute eine reſpiratoriſche Aufgabe gar nicht oder doch nur in geringem Maße zukommt. Die Sauerſtoffverſorgung des Organismus geſchieht ja durch die Tracheen in der Weiſe, daß der Sauerſtoff direkt an die Verbrauchsſtellen, in die Organe hinein, geleitet wird, ohne daß dabei das Blut als Transportmittel in Anſpruch genommen wird; dieſem fällt nur die Vermittlung der Ernährung und Exkre— tion zu. Nur bei den Larven von Chironomus, einer Mücke, die am Boden ſtagnierender Pfützen leben und neben der allgemeinen Hautatmung noch Blutkiemen beſitzen, hat man Hämoglobin im Blute nachweiſen können, nicht aber bei ähnlich lebenden Verwandten. Ebenſo iſt bei den Maden der gemeinen Fliegen (Musca) ſolches gefunden — doch iſt ein beſonderer Grund, weshalb es gerade hier vorhanden iſt, nicht erkennbar. Gerinnung des Blutes. 423 Wenn das Blut in die Atmungsorgane eintritt, iſt es arm an Sauerſtoff, reich an Kohlenſäure; nachdem es dieſelben durchſtrömt hat, hat es die Kohlenſäure abgegeben und Sauerſtoff aufgenommen, oft auch ſeine Farbe verändert. Für dieſe verſchiedenen Zuſtände des Blutes hat man beſondere Bezeichnungen: das ſauerſtoffarme Blut heißt venös, das ſauerſtoffreiche arteriell. Dieſe Namen ſind den Verhältniſſen bei den Wirbel— tieren, ſpeziell beim Menſchen entnommen, wo die zum Herzen führenden Gefäße Venen, die vom Herzen wegführenden Arterien heißen; jene führen, ſoweit ſie das Blut aus dem Körper bringen, ſauerſtoffarmes Blut, dieſe, ſoweit ſie das Blut in den Körper führen, ſauerſtoffreiches. Aber nicht jede Vene hat venöſes, nicht jede Arterie arterielles Blut; das Blut der Lungenarterie, das vom Herzen zur Lunge fließt, iſt venös, das Blut der Lungenvene arteriell. Die Bezeichnungen decken ſich alſo nicht, was zur Ver— meidung von Verwirrungen ſtreng zu beachten iſt. Eine wichtige Eigenſchaft des Blutes, die von den Wirbeltieren her allgemein be— kannt iſt, aber auch manchen Wirbelloſen zukommt, iſt die Gerinnungsfähigkeit. Läßt man etwa Rinderblut kurze Zeit an der Luft ſtehen, ſo ſondert ſich eine zuſammen— hängende Maſſe, die ſich zu Boden ſenkt, der ſogenannte Blutkuchen, von einer darüber— ſtehenden klaren Flüſſigkeit, dem Blutſerum. Im Blutkuchen ſind alle zelligen Beſtand— teile des Blutes, die roten und weißen Blutkörperchen, enthalten, daneben aber noch ein geronnener Eiweißſtoff, der Faſerſtoff oder das Fibrin, der jene untereinander zu einer Maſſe verbindet. Das Fibrin ſchlägt ſich aus dem Blut gleich beim Verlaſſen des Körpers nieder; es entſteht aus einem im Blutplasma enthaltenen flüſſigen Eiweißſtoff, dem Fibrinogen, das alſo der eigentliche Träger der Gerinnbarkeit iſt. Die Blut— gerinnung iſt ein Schutzmittel gegen größere Blutverluſte; wenigſtens kleinere Wunden der Gefäße werden durch Fibrinpröpfe alsbald verſchloſſen. Die Wichtigkeit dieſer Ein— richtung erhellt daraus, daß ſich Menſchen mit der ſogenannten Bluterkrankheit (Hämo— philie), bei denen die Gerinnbarkeit des Blutes fehlt, ſchon an geringfügigen Wunden verbluten können. Unter den Wirbelloſen beſitzt das Blut vor allem bei den höheren Krebſen eine ausgeſprochene Gerinnbarkeit: das Blut von Hummern und Languſten erſtarrt zu einer kompakten Gallerte. Auch das Inſektenblut gerinnt an der Luft, und bei Mollusken hat man hie und da Fibrinogen im Blute nachgewieſen. Da aber bei den meiſten Wirbelloſen das Blut viel weniger eiweißhaltig iſt als bei den Wirbeltieren und leichter durch Aufnahme von Flüſſigkeit erſetzt werden kann, ſind Blutverluſte hier weit weniger verderblich, und daher der Schutz vor ſolchen weniger wichtig. 3. Die Blutbewegung. Die dreifache Aufgabe des Körperſaftes, die Vermittlung von Ernährung, Atmung und Exkretion, wird um ſo vollkommener erfüllt werden, je mehr die einzelnen Teile der Flüſſigkeit einerſeits mit den Aufnahmeſtellen, andrerſeits mit den Verbrauchs- und Abgabeſtellen in abwechſelnde Berührung kommen. Wir haben ſchon geſehen, daß dies in den einfachſten Fällen durch bloße Fluktuationen, meiſt aber durch einen mehr oder weniger hoch ausgebildeten Kreislauf in beſtimmten Bahnen und nach beſtimmter Rich— tung erreicht wird. Bei ſehr kleinen Tieren liegen die Aufnahme- und Verbrauchsſtellen, die Produktions- und Abſcheidungsſtellen einander ſo nahe, daß für den Stoffaustauſch die bloße Diffuſion ſchon viel leiſtet und der Kreislauf gegenüber dem der größeren Verwandten ſehr unvollkommen iſt; ſo fehlt ein regelrechter Kreislauf unter den Muſchel— 424 Herz. krebſen bei Cytheriden und Cypriden, unter den Ruderfußkrebſen bei Cyelops und Canthocamptus, unter den Spinnentieren bei den meiſten Milben. Das treibende Element bei den Fluktuationen des Körperſaftes, wie wir ſie am Blute der niedrigſten Schnurwürmer, an der Coelomflüſſigkeit der Ringelwürmer und dem Körperſaft der Cyclopiden beobachten, bildet die Muskulatur der Leibeswand und des Darmes mit ihren, in erſter Linie andren Zwecken dienſtbaren Zuſammenziehungen. Beim Kreislauf aber finden wir ſtets eine eigene Muskulatur innerhalb der Blutbahnen aus— gebildet, die durch ihre Kontraktionen den Blutſtrom in Bewegung ſetzt. Die Kontraktions— fähigkeit kann ſich auf lange Strecken des Blutgefäßes verteilen — bei den meiſten Schnurwürmern ſind die Hauptgefäße in ihrer ganzen Länge von einer Ringmuskellage umgeben, bei den Ringelwürmern iſt das ganze Rückengefäß und einige von ihm aus— gehende Gefäßſchlingen kontraktil — oder ſie bleibt auf eine kurze Strecke des Gefäß— ſyſtems beſchränkt und iſt dann hier um ſo kräftiger ausgebildet. Von den Verhältniſſen bei den Wirbeltieren ausgehend hat man für ſolche zentrale Pumpwerke allgemein den Namen Herz eingeführt. In den einfachſten Fällen, wie bei manchen niederen Borſtenwürmern (z. B. Chaeto- gaster), iſt die betreffende Gefäßſtrecke von Wandzellen umgeben, die in ihrer Totalität kontraktil ſind, wie eine Amöbe, ohne daß darin Muskelfibrillen nachweisbar wären. Auch am embryonalen Wirbeltierherzen ſieht man rhythmiſche Kontraktionen ablaufen, lange ehe eine Differenzierung kontraktiler Fibrillen nachweisbar iſt. Meiſt aber ſind ſolche entweder in den Wandzellen ſelbſt vorhanden, oder es lagern ſich der Gefäß— wandung neben Bindegewebszellen auch Muskelzellen auf: ſo beim Rückengefäß der höheren Würmer. Je mehr ſich das Pumpwerk auf eine kurze Strecke konzentriert, deſto dicker wird ſeine Muskelhülle. Die Muskelzellen des Herzens ſind von beſonderer Be— ſchaffenheit: ſie ſind meiſt ſehr protoplasmareich, und bei den Wirbeltieren zeichnen ſie ſich vor der übrigen „unwillkürlichen“ Muskulatur dadurch aus, daß ſie wie die Skelett— muskeln eine Querſtreifung beſitzen — es mag ihre beſonders hohe Leiſtungsfähigkeit mit dieſen Eigentümlichkeiten zuſammenhängen. Die Arbeit des Herzens beſteht in ununterbrochenen rhythmiſchen Zuſammenziehungen, die in der Richtung des Blutſtroms über den Muskelſchlauch fortſchreiten. Sie iſt aus— dauernder als die irgendeines andren Muskels. So iſt für die naive Naturbetrachtung das Herz geradezu eine Verkörperung des Lebensprinzips: es iſt das erſte, was im Embryo zuckt, das „primum movens“, es iſt das letzte, was ſich beim Sterbenden noch bewegt, das „ultimum moriens“. Wie die Darmmuskulatur jo empfängt auch die Muskulatur des Herzens den Anreiz zur Bewegung nicht von außen: das gilt ſowohl für die höheren Wirbelloſen, die Gliederfüßler, Weichtiere und Manteltiere, wie für die Wirbeltiere; kann man doch das herausgenommene Herz eines Froſches bei geeigneter Behandlung noch tagelang lebend und ſchlagend erhalten. Die Beeinfluſſung von äußeren Nervenzentren aus beſchränkt ſich auf Regelung des Herzſchlags, auf Hemmung oder Beſchleunigung. Ja, manche Forſcher nehmen ſogar an, daß der Bewegungsanreiz nicht nervöſer Natur ſei, ſondern durch Stoffwechſelvorgänge innerhalb der Muskelelemente ſelbſt erzeugt werde. Es ſind zwar im Herzen der Wirbeltiere Ganglienzellen nachgewieſen; aber auch Herz— abſchnitte, in denen man ſolche nicht gefunden hat, fahren in ihren Zuſammenziehungen fort, wenn man ſie iſoliert. In den Herzen der Wirbelloſen wurden bisher Ganglien— zellen überhaupt nicht aufgefunden. Die Vermittlerrolle, die das Blut bei den Stoffwechſelvorgängen ſpielt, hat auf Stoffwechſel und Herzgewicht. 425 ſeinen Kreislauf natürlich bedeutenden Einfluß; je größer der Verbrauch an Sauerſtoff und Nährſtoffen, je größer die Menge der produzierten Zerfallſtoffe iſt, um ſo mehr wird die Vermittlung des Blutes in Anſpruch genommen und um ſo lebhafter geſtaltet ſich ſein Umtrieb. Die Erfahrungen an unſerem eigenen Körper beſtätigen uns dies: das Herz ſchlägt am langſamſten, der Puls geht am ruhigſten, wenn wir liegen, ſchneller beim Stehen, noch ſchneller beim Gehen und ſteigert ſich ganz außerordentlich beim Laufen oder Bergſteigen; auch nach den Mahlzeiten iſt die Herztätigkeit lebhafter, bei länger dauerndem Falten dagegen nimmt die Zahl der Pulſe in der Minute um 10—12 ab. Ein Pferd, das beim ruhigen Stehen etwa 40 Pulſe in der Minute hat, zeigt nach einer Viertelſtunde Trab deren 48—56, in der zweiten Viertelſtunde deren 60; nach 7 Minuten Karriere hat die Zahl der Pulsſchläge 90 — 100 erreicht. Wenn alſo bei dem gleichen Tier das Herz, das den Blutumtrieb beſorgt, bei verſchieden lebhaftem Stoffwechſel ver— ſchieden ſtark in Anſpruch genommen wird, ſo iſt auch zu erwarten, daß bei verſchiedenen Tierformen mit ungleich ſtarkem Stoffwechſel das Herz um ſo leiſtungsfähiger iſt, je lebhafter der Stoffwechſel iſt. Das Herz aber beſteht faſt ganz aus Muskelzellen, und die Leiſtungsfähigkeit eines Muskels hängt, unter ſonſt gleichen Bedingungen, von ſeiner Maſſe ab. Danach wäre zu vermuten, daß bei Tieren mit ſtarkem Stoffwechſel das Herz verhältnismäßig größer iſt als bei ſolchen mit weniger lebhaftem Stoffwechſel. Die Unterſuchung des Herzgewichts beſtätigt dieſe Schlüſſe im vollſten Umfang. Am leichteſten iſt das dort erſichtlich, wo der Stoffwechſel in der Hauptſache nur die Energie für die Bewegung des Körpers liefert, wie bei den Fiſchen; kompliziert dagegen liegen die Ver— hältniſſe dort, wo die Stoffwechſelenergie nur zum Teil als Bewegung, zum Teil aber als Wärme zur Erhaltung einer beſtimmten Körpertemperatur verwertet wird. Wir werden im folgenden das relative Herzgewicht in Promillen des Körpergewichts angeben; die betreffende Zahl zeigt dann, wieviel Gramm Herz auf je 1 Kilogramm Körper kommen. Einige Herzgewichte von Weichtieren ſtimmen ſehr gut zu unſeren Forderungen: eine langſame, pflanzenfreſſende Meeresnacktſchnecke, Aplysia depilans Gm., hat 0,43% Herzgewicht; der kräftige, räuberiſche, aber träge lauernde Pulp (Octopus vulgaris Lam.) hat 0,72 ¾ ; der in raſtloſer Bewegung befindliche, ſchnellſchwimmende Kalmar (Loligo vulgaris Lam.) hat dagegen 1,16%. Ahnliche Unterſchiede finden ſich bei den Fiſchen. Unter allen Wirbeltieren zeigen ſie die niedrigſten Herzgewichte: das Waſſer trägt und ſtützt ihren Körper; mit Hilfe der Schwimmblaſe können die meiſten ihr Gewicht dem des Waſſers gleichmachen, ſo daß ſie Muskeltätigkeit nicht zum Tragen und Erheben des Körpers, ſondern in der Hauptſache nur zur horizontalen Bewegung notwendig haben. Am kleinſten iſt das Herz bei einigen aalartigen Meerfiſchen, die mit dem Rumpf im Sande eingewühlt auf leichte Beute lauern: bei Ophisurus beträgt das Herzgewicht nur 0,15%, bei Sphagebranchus 0,28% des Körpergewichts. Andre lauernde Grundfiſche von größrer Kraft haben ein etwas be— deutenderes Herzgewicht, jo der Himmelsgucker (Uranoscopus) 0,52%, das Petermännchen (Trachinus) 0,62%. Die meiſten freiſchwimmenden Friedfiſche des Meeres haben ein Herzgewicht, das zwiſchen 0,6 und 0,8% ſchwankt. Die kräftigen Schwimmer und gewaltigen Räuber aber aus der Verwandtſchaft der Makrelen, denen auch noch dazu die Schwimm— blaſe fehlt, beſitzen bedeutend größere Herzen: bei Trachurus wiegt es 1,56%, beim un— echten Bonite (Pelamys sarda C. V.) ſogar 2,12%. Wie lebhaft bei dieſen Tieren der Stoffwechſel iſt, geht daraus hervor, daß beim Thunfiſch die Temperatur im Innern des Körpers um 10°C höher als die Waſſertemperatur ſein kann. — Merkwürdig iſt, daß 426 Herzgewicht bei „Warmblütern“. bei Haien und Rochen, von denen ich nur verhältnismäßig träge, wenig bewegliche Formen unterſuchen konnte, das Herz größer iſt als bei den meiſten Knochenfiſchen; es wiegt zwiſchen 0,75 und 1,2% des Körpergewichts; das hängt vielleicht damit zuſammen, daß dieſen Tieren die Schwimmblaſe fehlt und ſie daher nicht bloß für die Vorwärtsbewegung, ſondern auch für das Schweben im Waſſer auf Muskelarbeit angewieſen ſind, alſo durch das Schwimmen ſtärker angeſtrengt werden. Weniger leicht laſſen ſich dieſe Verhältniſſe bei jenen Wirbeltieren überſehen, bei denen ein beträchtlicher Teil der durch den Stoffwechſel gewonnenen Energie als Wärme auftritt. Bei den Fiſchen iſt das Herzgewicht für alle Individuen das gleiche, mit eng— begrenzten Schwankungen, unabhängig von Alter und Größe der Tiere: ſieben Rochen (Raja asterias Rond.) zwiſchen 140 und 1100 g Körpergewicht wieſen durchweg etwa 1% Herzgewicht auf, und fünf Seeteufel (Lophius piscatorius L.) von 268 bis 17000 g hatten mit geringen Abweichungen ein Herz von 1,14% des Körpergewichts. Anders bei den Warmblütern: das Herzgewicht eines friſch ausgeſchlüpften Hühnchens beträgt etwa 9%, das eines halbwüchſigen Huhnes 6,7%, das einer ausgewachſenen Henne 6,3%; oder beim neugebornen Kaninchen wiegt das Herz 5,85%, nach 14 Tagen 3,91%, nach 4 Wochen 3,77% und beim ausgewachjenen Tier 2,74% des Körpergewichts. Und während bei den Fiſchen nahe verwandte Formen ein verhältnismäßig gleich großes Herz haben, ſieht man bei den Warmblütern die relative Herzgröße in den Verwandtſchafts— reihen von den großen zu den kleinen Formen zunehmen. So iſt das Herz eines 1875 g ſchweren Uhu 4,7%, das des Waldkauzes von 441g 5,07%, das des Steinkauzes von 170g 8,25% „ ſchwer; oder bei dem Iltis (Putorius foetidus Gray) (1268 g) wiegt es 6,73% , bei dem Hermelin (P. ermineus Ow.) (139,5 g) dagegen 11,02%; oder bei der Wanderratte (391g) 4.02% gegen 6,85% bei der Hausmaus (20,3 g). Dieſe Geſetzmäßigkeiten hängen aufs engſte damit zuſammen, daß der Wärmeſtoff— wechſel bei kleinen Vögeln und Säugern im Verhältnis zu ihrer Maſſe viel intenſiver iſt als bei großen. Dieſe Tiere, deren Körpertemperatur höher iſt als die der Um— gebung, verlieren durch Strahlung eine Menge Wärme, die durch Stoffwechſeltätigkeit erſetzt werden muß. Unter ſonſt gleichen Verhältniſſen aber iſt die Menge der aus— geſtrahlten Wärme proportional der Oberfläche, da die Oberfläche bei kleinen Tieren im Verhältnis zur Maſſe größer iſt als bei ähnlich geſtalteten größeren Tieren (vgl. oben S. 46), ſo erleiden kleine Tiere einen verhältnismäßig größeren Wärmeverluſt. Rubner ſtellte an verſchieden großen ausgewachſenen Hunden feſt, wieviel Wärme jeder für 1 kg ſeines Körpergewichts täglich produziert. Zwei Fälle ſeien aus ſeiner Verſuchsreihe her— ausgegriffen; der eine Hund wog 20 kg, der andre 3,2 kg; bei dem großen betrug die Oberfläche 7500 cm? bei dem kleinen 2423 cm?; ſomit kamen bei dem großen auf 1 kg 375 cm? Oberfläche, bei dem kleinen 757 em?, alſo noch einmal jo viel. Dem entſpricht das Ergebnis des Verſuchs: der große Hund produzierte auf Ikg Maſſe 45 Kalorien, der kleine 88, alſo das Doppelte. — Dazu kommt, daß bei kleinen Vögeln und Säugern das Feder- und Haarkleid meiſt weniger dicht, der Schutz gegen Wärmeverluſt alſo geringer iſt. Die verhältnismäßig größeren Wärmerverluſte kleinerer Warmblüter bedingen alſo einen lebhafteren Stoffwechſel und damit ein verhältnismäßig größeres Herz. Wenn man alſo die Herzgrößen warmblütiger Wirbeltiere vergleichen will, ſo kann man in doppelter Weiſe vorgehen. Entweder vergleicht man Tiere von gleicher Lebens— weiſe und Lebhaftigkeit, alſo Angehörige desſelben Verwandtſchaftskreiſes wie Habicht und Sperber, Ratte und Maus; dann wird das kleinere Tier ein verhältnismäßig größeres Herzgewicht bei Amphibien. 427 Herzgewicht aufweiſen. Oder man vergleicht Tiere von gleicher Größe, alſo etwa gleicher Wärmeabgabe: dann wird das lebhaftere Tier auch das größere Herzgewicht haben. In der zuerſt angegebenen Weiſe haben wir ſchon ein paar Beiſpiele aufgeführt und fügen noch einige weitere hinzu: die Ringeltaube (Columba palumbus L.) von 500 g Körper— gewicht, hat 10,63 % Herzgewicht, die Hohltaube (Col. oenas L.) von 247g hat 13,8 , 0ũ ; der Habicht (Astur palumbarius L.) von etwa 1200 & hat 8,65%, der Sperber (Accipiter nisus L.) von 125 g hat etwa 12 % Herzgewicht; bei der gemeinen Fledermaus (Vespertilio murinus Schreb.) von 21 g Körpergewicht wiegt das Herz etwa 10% , bei der Zwergfledermaus (Vesperugo pipistrellus Keys.-Bl.) von 3,73 g wiegt es 14,360. Es iſt bezeichnend, daß dieſer kleinſte der unterſuchten Säuger auch das verhältnismäßig größte Herz hat. Intereſſanter noch ſind die Vergleiche des Herzgewichts bei gleich großen Tieren von verſchiedener Lebhaftigkeit. Bei einem Körpergewicht von etwa 200 gr iſt das Herz— gewicht bei der Elſter 9,34%, beim Turmfalken 11, %, bei dem weit ſchnelleren Baumfalken (Falco subbuteo L.) 17%. Das wilde Kaninchen von 1500 gr Körper: gewicht hat 3,16% Herzgewicht, der gleichſchwere Edelmarder 7,66 0. Vögel, deren Stoffwechſel den der Säuger an Intenſität übertrifft, die vor allem beim Flug beſonders hohe Bewegungsleiſtungen verausgaben, beſitzen im allgemeinen ein ſchwereres Herz als gleichgroße Säuger: bei etwa 20 g Körpergewicht hat die Waldmaus (Mus sylvaticus L.) ein Herz von 7,16 %, die gemeine Fledermaus (V. murinus Schreb.) ein ſolches von 10 %%, die Rauchſchwalbe (Hirundo rustica L.) von 14,5 %, (vergleiche dazu den etwa gleich ſchweren Feuerſalamander mit 1,86 !); der Maulwurf von 65 g Körpergewicht hat noch nicht 6% Herzgewicht, der gleichſchwere Wiedehopf etwa 120, der große Buntſpecht 17,26% (Weibchen des Waſſerfroſchs von etwa gleichem Gewicht haben 1,65 /). Im gleichen Sinne kommt manchen Haustieren ein ſchwereres Herz zu als ihren frei— lebenden Stammeltern: ſo hat eine Hausente mit 1100 g Körpergewicht ein Herz von 6,35 0, ihre wilde Stammform, die Stockente (Anas boschas L.), mit etwa 1000 g ein ſolches von 8,5 % und das zahme Kaninchen von 1800 g Körpergewicht hat 2,78 ,, das wilde Kaninchen von 1600 g hat 3,16 %% Herzgewicht. Die Amphibien mit ihrer feuchten, drüſenreichen Haut erleiden in der Luft durch Verdunſten der Hautfeuchtigkeit beſtändig Abkühlung, die um ſo größer iſt, je weniger Waſſerdampf die umgebende Luft enthält. Dieſe Wärmeverluſte müſſen durch Stoff— wechſelenergie ausgeglichen werden. Im Waſſer finden ſolche Wärmeverluſte nicht ſtatt. Daher haben die mehr landlebenden Amphibien im allgemeinen ein größeres Herz als ihre überwiegend waſſerbewohnenden Verwandten. Bei dem Feuerſalamander, der ſeine Verſtecke nur bei ganz feuchter Luft verläßt, iſt ein Unterſchied gegen den ſommers im Waſſer lebenden Kammolch (Triton eristatus Laur.) nicht zu bemerken (1,86% : 1,9 ¼%); wohl aber iſt das Herz des Grasfroſches (Rana fusca Rös.) mit 2,73% größer als das des ſtets an und im Waſſer weilenden Waſſerfroſches (R. esculenta L.) mit 2,01%, das Herz der gemeinen Kröte mit 3,2% größer als das der waſſerbewohnenden Unke (Bom- binator pachypus Boul.) mit 2,77 %%. Da mit größerer Oberfläche die Verdunſtung und damit die Abkühlung zunimmt, ſo müſſen die kleineren Formen unter den land— bewohnenden Amphibien bei relativ größerer Oberfläche auch einen verhältnismäßig größeren Wärmeverluſt und daher ein größeres Herz haben: vom Grasfroſch mit 2,73 9% und der Kröte mit 3,2% ſteigt das Herzgewicht beim Laubfroſch auf 4,06 9/0. Alle dieſe Zahlen beziehen ſich auf männliche Tiere. 428 Diffuſionsbahnen und Leitungsbahnen. Anders bei den Reptilien: ſie haben trotz ihrer Behendigkeit nur ein geringes Herz— gewicht, das kleiner iſt als bei vielen Amphibien, ja ſelbſt von manchen Fiſchen über— troffen wird. Während die Amphibien auch bei kühler Witterung lebendig ſind und viele von ihnen ſchon früh im Jahre aus den Winterquartieren kommen, ſind die Reptilien Sonnentiere; ſie erleiden bei ihrer trocknen Haut keine Wärmeverluſte durch Verdunſtung; nur in der Wärme ſind ſie beweglich und beziehen wahrſcheinlich einen Teil ihrer Energie nicht durch Stoffwechſel, ſondern unmittelbar von der Sonne; bei kühler Witterung ſind ſie träge, ihr Stoffwechſel ſcheint für ſich allein zu gering zu ſein zur Beſtreitung leb— hafter Bewegungen. So hat die Blindſchleiche nur 1,48 , die grüne Eidechſe (Lacerta viridis Gessn.) 2,11%, die Zauneidechſe (L. agilis L.) 2,32% Herzgewicht. So entſpricht die Größe des Herzens ganz der wichtigen Rolle, die es als Pump— werk für den Kreislauf des Stoffwechſelvermittlers, des Blutes, ſpielt; es bildet als ſolches wirklich einen Lebensmittelpunkt, für den es nach landläufiger Anſicht gilt, und man kann ſein Gewicht, wenigſtens bei den Wirbeltieren, geradezu als Maßſtab für die Energie des Stoffwechſels betrachten. 4. Die Blutbahnen und ihre Anordnung. Die Bahnen, die das Blut durch den Körper leiten, ſind von verſchiedener Be— ſchaffenheit. Überall dort, wo das Blut mit den Geweben in Stoffaustauſch treten ſoll, müſſen fie dünnwandig ſein, um eine ſchnelle Diffuſion der zugeführten und abzuleitenden Stoffe zu ermöglichen: es ſind dann entweder Lückenräume zwiſchen den Geweben, ſo— genannte Sinuſſe, die gar keine oder eine ſehr dünne Eigenwandung haben, oder es ſind ſogenannte Haargefäße oder Kapillaren, Röhrchen von geringem Durchmeſſer, deren Wände aus einer Lage ſehr flacher Zellen beſtehen. Bei manchen kleinen, wenig differenzierten Tieren, z. B. kleinen Würmern wie Aeolosoma und Chaetogaster, mögen alle oder doch die Mehrzahl der Blutbahnen ſo beſchaffen ſein; wo aber die Hauptgefäße große Blutmengen führen, wo die Differenzierung fortgeſchritten iſt und die Organe mehr auf umſchriebene Stellen im Körper beſchränkt ſind, da kommen zu jenen Diffuſionsbahnen noch andere Blutbahnen hinzu, Leitungsröhren, deren Aufgabe ſich darauf beſchränkt, das Blut an die Stellen des Stoffaustauſches und wieder von dieſen fortzuführen. Dieſe Leitungs— bahnen ſind ſtarkwandig, und das um ſo mehr, je höhere Anſprüche durch den Druck des umgetriebenen Blutes an ihre Wandungen geſtellt werden. Der Druck iſt naturgemäß am größten dort, wo das Blut aus dem treibenden Pumpwerk in die Bahnen eintritt: bei großen Säugern herrſcht in den direkt an das Herz anſchließenden Gefäßen, die das Blut zu den Kapillarſyſtemen führen, ein Druck bis zu 250 mm Queckſilber, alſo ein Drittel Atmoſphärendruck; in größerer Entfernung vom Herzen iſt der Druck geringer, da er durch die Widerſtände verſchiedener Art innerhalb des Gefäßſyſtems abgeſchwächt wird; in den Kapillaren beträgt der Druck nur noch etwa 20— 40 mm Queckſilber, und nach dem Paſſieren derſelben iſt er durch die großen Reibungswiderſtände ſo verringert, daß er nur noch wenige Millimeter Queckſilber mißt. Bei den übrigen Wirbeltieren liegen die Druckverhältniſſe ähnlich. Demgemäß iſt der Bau der von dem Herzen zu den Kapillaren führende Leitungsgefäße ein anderer als derjenigen, die von dort zum Herzen zurückführen; man hat jene als Arterien von dieſen, den Venen, unterſchieden. Die Wandung der Arterien iſt um ſo dicker, je näher ſie dem Herzen ſind, alſo je ſtärker der auf ihrer Wand laſtende Blutdruck iſt. Die drei Schichten ihrer Wandung, deren Blutgeſchwindigkeit in den Kapillaren. 429 mittelſte eine mehr oder weniger dicke Ringmuskellage enthält, ſind von elaſtiſchem Gewebe reichlich durchſetzt. Die Ringmuskulatur der Arterien hat mit der Vorwärtsbewegung des Blutes nichts zu tun; durch ihre Zuſammenziehung oder Erſchlaffung wird vielmehr die Lichtung des Gefäßes verengt oder erweitert und damit die Menge des durchſtrömen— den Blutes reguliert. In der Wand der Venen dagegen tritt das elaſtiſche und muskulöſe Gewebe ſehr zurück; ſie iſt vorwiegend bindegewebig, weit dünner als bei gleich dicken Arterien und beſitzt eine größere Dehnbarkeit. N 8 Die Beſchaffenheit der Diffuſionsbahnen, der Sinuſſe und Kapillarnetze, zeigt 1 eine Beſonderheit, die für den Ablauf des Stoffaustauſches zwiſchen Blut und I Geweben förderlich iſt. Die Querſchnitte der Kapillaren, in die ſich eine Arterie auflöſt, — J übertreffen zuſammen bei weitem den Quer— ſchnitt der zuführenden Arterie; für den Men— 17 8 2 ee Abb. 279. Grundriß eines Grabens, der, ſchen iſt berechnet, daß der Geſamtquerſchnitt bei gleichbleibender Tiefe, ſich bei CD des Kapillarſyſtems der großen Körperſchlag⸗ auf das Beantume etter egen ader 500, nach anderen gar 800 mal jo groß die Flüſſigkeitsmenge ABCD nimmt im erwei iſt als der Querſchnitt jenes Gefäßes ſelbſt. Eo hender deren gan el aft In ahnlicher Weiſe überteift der Ouerſchnitt dente e uwe der Blutſinuſſe bei den Wirbelloſen den des zuführenden Gefäßes bedeutend. Die Folge davon iſt, daß ſich das Blut hier viel lang— ſamer bewegt. Man denke ſich einen Waſſergraben von Im Breite und 1 m Tiefe, der in einen ebenſo tiefen, mit Abfluß verſehenen Teich von LO m Breite einmündet (Abb. 279). In derſelben Zeit, wo das Waſſer in dem Graben um 10 m vorwärts ſtrömt (von AB bis CD), wird ſeine Strom— geſchwindigkeit in dem Teiche nur Um betragen; denn die einſtrömenden 10 m? Waſſer breiten ſich auf einen Raum von 10 m Breite aus, drängen daher das im Teich vor— handene Waſſer um Um vor— wärts (von EF bis GH); jo iſt alſo die Geſchwindigkeit umgekehrt proportional dem Querſchnitt des Stroms, wo— bei aber noch außerdem die Abb. 280. Ventileinrichtungen an Blutgefäßen. 2 ARückengefäß mit abgehenden Gefäßſchlingen von einem Regenwurm, mit Klappen— Verlangſamung des Stroms ventilen. Nach R. S. Berg. B Stück einer menſchlichen Vene, der Länge nach ee eee , zu ziehen iſt. Das gleiche gilt für die Strömung in einem Syſtem röhrenartiger Hohlräume. In dem Kapillarſyſtem der Körperſchlagader wäre demnach die Strömung mindeſtens 500 oder 800 mal ſo langſam als in dieſer ſelbſt. Dies längere Verweilen des Blutes geſtattet eine gründ— lichere Ausnützung der in ihm enthaltenen Stoffe und eine ausgiebigere Sättigung mit den wegzuführenden Stoffen. Für den Stoffaustauſch ſind die Kapillaren noch günſtiger ,. hy 5 430 Gefäßſyſtem bei Schnur- und Ringelwürmern. beſchaffen als die Sinuſſe der Wirbelloſen; denn bei ihnen iſt die Oberfläche, an der das Blut mit dem umgebenden Gewebe in Berührung tritt, außerordentlich vermehrt. Aus demſelben Grunde iſt aber andrerſeits auch die Reibung, die der Blutſtrom erfährt, viel höher bei Kapillaren als bei Sinuſſen, und es iſt daher eine viel größere Arbeit erforderlich, um das Blut durch die Kapillaren hindurchzutreiben. Daher ſind die Herzen bei den Wirbeltieren im allgemeinen viel ſtärker als bei den Wirbelloſen. Die Stromrichtung in den Gefäßen iſt ſtets gleichbleibend; eine Ausnahme davon machen nur die Manteltiere. Ja, es ſind häufig Einrichtungen vorhanden, die ein Strö— men in anderer Richtung unmöglich machen: Klappen- oder taſchenförmige Ventile (Abb. 280), die von der Gefäßwand aus vorſpringen, ſind ſo angebracht, daß ſie durch den normal gerichteten Blutſtrom an die Wand gedrückt werden und ſo den Durchgang offen laſſen; bei einem Rückſtauen des Blutes aber werden ſie durch dieſes von der Wand abgedrängt und ſperren den Weg. Klappenventile finden ſich beſonders an Stellen, wo ein Gefäß in ein anderes einmündet; Taſchenventile ſtehen zu zwei, drei oder mehreren auf gleicher Höhe in der Blutbahn und wirken zum Abſperren derſelben zuſammen. Ihre höchſte Vollkommenheit erreichen dieſe Bildungen in den Herzen der höheren Wirbeltiere, wo ſie mit erſtaunlicher Sicherheit arbeiten. a) Die Blutbahnen bei den Virbelloſen. Eine kurze Schilderung des Verhaltens der Saftbahnen und -räume in der Tier— reihe wird uns Gelegenheit geben, die allgemeinen Betrachtungen durch Beiſpiele zu er— läutern. Den Coelenteraten fehlt ein Blutgefäßſyſtem ebenſo wie eine Leibeshöhle. Beide vermiſſen wir auch bei den meiſten Plattwürmern, mit Ausnahme der Schnurwürmer. Eine Körperflüſſigkeit aber, die die Lücken und Spalten zwiſchen den Zellkomplexen und Geweben füllt, iſt bei ihnen ſicher vorhanden; größere Hohlräume, in denen ſie ſich an— ſammeln könnte, fehlen allerdings; wohl aber finden ſich kleinere, vakuolenartige Anſamm— lungen derſelben, z. B. um die Protonephridien der Bandwürmer. Eine eiweißreiche Körperflüſſigkeit findet ſich bei den Fadenwürmern, z. B. dem Spulwurm, in dem Raum zwiſchen Darm und Körperwand; doch fehlt da eine beſondere Zirkulation. Erſt bei den Schnurwürmern begegnen wir den Anfängen eines Blutgefäßſyſtems. Im einfachſten Falle beſteht es freilich nur aus einem Paar beiderſeits vom Darm längs— verlaufender Lakunen, die vorn und hinten miteinander verbunden ſind; ein regelmäßig gerichteter Umlauf der Flüſſigkeit in ihnen iſt noch nicht beobachtet; wahrſcheinlich findet nur ein unregelmäßiges Fluten infolge der Körperbewegungen ſtatt. Meiſt aber kommt dazu noch ein Längsgefäß, das über dem Darme verläuft und vorn wie hinten mit jenen Seitenſtämmen verbunden iſt; es beſitzt kontranktile Wandungen, deren Zuſammen— ziehung ſeinen Inhalt von hinten nach vorn treiben, während er in den beiden Seiten— gefäßen wieder nach hinten fließt. So kommt es hier zu einer geregelten Zirkulation. Von den Würmern mit gut ausgebildeter ſekundärer Leibeshöhle beſitzen beſonders die Ringelwürmer ein hoch entwickeltes Gefäßſyſtem. Bei den Borſtenwürmern iſt es mit ſeinem oft reich entfalteten Gefäßnetz völlig von der Leibeshöhle geſondert: wir haben eine beſondere Leibeshöhlenflüſſigkeit neben einem meiſt ganz anders beſchaffenen, viel eiweißreicheren Blut. In den Grundzügen beſtehen die Blutbahnen aus einem Rücken— und aus einem Bauchgefäß, von denen das erſtere über dem Darm, das letztere zwiſchen Darm und Bauchmark verläuft; ſie ſind untereinander durch ſegmental angeordnete Ge— fäßſchlingenpaare verbunden, und das Rückengefäß hängt mit einem ausgedehnten, den Gefäßſyſtem bei Borſtenwürmern und Egeln. 431 reſorbierenden Teil des Darmes überziehenden Blutraum zuſammen. Außer dem Rücken— gefäß, in dem auch hier das Blut von hinten nach vorn getrieben wird, ſind oft ein oder mehrere Paare der Gefäßſchlingen kontraktil und beteiligen ſich am Blutumtrieb. Indem ſich die Gefäßſchlingen bei den kleineren Formen der dünnen Körperwand eng anſchmiegen, kann ſich das Blut hier mit Sauerſtoff beladen (Abb. 2814). Die urſprüng⸗ lichſte Anordnung, die z. B. bei Polygordius und Tubifex vorhanden iſt, kann ſich bei kleinſten Formen noch durch den Verluſt der meiſten Gefäßſchlingen vereinfachen Wo aber mit zunehmen— der Körpergröße die Dicke der Leibeswand und der Umfang der Organe ſich ſteigert, genügt die Diffuſion zu und von den Hauptgefäßſtämmen aus nicht mehr, um den Stoffaustauſch in ausreichendem Maße zu erhalten; zu den Darmblutbahnen, die die Er— nährung vermitteln, geſellt ſich noch eine periphere Gefäßausbreitung: Kapillaren treten in die Körper— wand und dringen bis dicht unter das Epithel, ja hier und da in dieſes hinein, ſie dienen der Atmung (Abb. 281 B.); auch die übrigen Organe, das zentrale Nervenſyſtem und die Muskulatur, werden von feinen Gefäßen durchzogen, ebenſo breiten ſich an den Nephridien Kapillaren aus, um dort Exkret— ſtoffe abzugeben. So iſt z. B. das Gefäßſyſtem der Regenwürmer beſchaffen. Im übrigen dürfte auch bei dieſen höheren Formen, wie ſie es bei den niederen tut, die Leibeshöhlenflüſſigkeit die Ver— mittlung der Exkretion zum größten Teil über— nehmen; die darin enthaltenen Zellen ſind jeden— falls, wenigſtens in gewiſſen Entwicklungsſtufen, als Phagocyten exkretoriſch tätig. Meiſt ſteht zwar die Leibeshöhlenflüſſigkeit dem Blut an Bedeutung nach; N das dürfte z. B. auch daraus hervorgehen, daß ſie bei den Regenwürmern unter Umſtänden zur Be— feuchtung der Oberfläche durch rückenſtändige, ſeg— mentale Poren ausgeſtoßen werden kann. Dort aber, wo das Blutgefäßſyſtem durch Rückbildung verloren gegangen iſt, wie bei manchen Meeres— ringelwürmern (Capitelliden, Glyceriden, Polycir— rhiden), gewinnt ſie naturgemäß an Bedeutung, 281. Gefäßverlauf bei oligochaeten Borſten würmern. Abb. Segment eines Süßwaſſerwurms (Limnodrilus), von der Rückenſeite geſehen; 5 Gefäßapparat eines Segments bei einem Regenwurm (Urochaeta) auf den Querſchnitt projiziert. 1 Rückengefäß, 2 Gefäßſchlingen, 3 Gefäßknoſpen, bis in die Epidermis reichend, 4 Bauchgefäß, „Gefäßkapillaren in der Körperwand (Muskelſchicht), 6 ſubneurales Längsgefäß, 7 Septum, 8 Bauchgan glienkette, 9 Typhloſolis des Darms (vgl. S. 282). Anah Vejdovski, ZB nach Perrier. vermittelt auch die Ernährung und Atmung und enthält gefärbte hämoglobinhaltige Zellen, wie ſie ſonſt nur im Blutgefäßſyſtem gefunden werden. Unter den Egeln haben wenigſtens die Rüſſelegel ein von der Leibeshöhle völlig abgeſchloſſenes Blutgefäßſyſtem nach Art der Borſtenwürmer. Bei den Kieferegeln (3. B. dem Blutegel und Haemopis) ſollen zahlreiche Verbindungen zwiſchen der Leibes— höhle und dem Blutgefäßſyſtem vorhanden ſein. Jedenfalls iſt auch hier eine Sonderung von Leitungs- und Diffuſionsbahnen eingetreten: weite Bluträume umgeben vielfach die Organe, z. B. den Darm und das Bauchmark, und in die Haut erſtreckt ſich ein dichtes 432 Blutverlauf bei den Gliederfüßlern. Netz feinſter Kapillaren, die bis nahe unter die Oberfläche reichen und ſo der Atmung dienen (Abb. 234, S. 362). Der enge Anſchluß des Blutgefäßſyſtems an den Darm wiederholt ſich auch bei anderen, gewöhnlich zu den Würmern geſtellten Abteilungen. So bildet in dem geſchloſſenen Gefäßſyſtem der Echiuriden die Wand des den Darm umgebenden Blut— ſinus wahrſcheinlich das umtreibende Pumpwerk. Bei den Brachiopoden, wo die Gefäße nur ein mit der Leibeshöhle zuſammenhängendes Lückenwerk im Bindegewebe vorſtellen, iſt gerade der Darm reich mit ſolchen ausgeſtattet, und auch das Herz, ein muskulöſer Blindſack, liegt dem Darm an und treibt, unterſtützt durch zwei Nebenherzen, das Blut in die Arme und zu den Geſchlechtsorganen. Die Kreislaufsorgane der Gliederfüßler ſtimmen mit denen der ſtammverwandten Ringelwürmer inſofern überein, als überall ein Rückengefäß mit kontraktilen Wandungen vorhanden iſt, in dem das Blut von hinten nach vorn getrieben wird. Grundſätzlich unterſcheiden ſie ſich von dieſen aber dadurch, daß auf kürzere oder längere Strecken die Leibeshöhle in die Blutbahn eingeſchaltet, das Gefäßſyſtem alſo nicht geſchloſſen und Blut und Leibeshöhlenflüſſigkeit identiſch iſt. Das bewegende Pumpwerk aber iſt höher ausgebildet als bei den Ringelwürmern: das Rückengefäß der letzteren iſt zu einem „Herzen“ mit ſtärkerer Muskelwandung geworden, das keine zuführenden Gefäße beſitzt, ſondern ſein Blut aus einem von der Leibeshöhle abgetrennten Blutraum, dem Perikar— dialſinus, erhält; das Blut tritt in das erweiterte Herz durch ſeitliche, urſprünglich ſegmental angeordnete Spaltenpaare, die Oſtien, die bei der Zuſammenziehung des Her— zens entweder durch beſondere Schließmuskeln (höhere Krebſe) oder durch innere, vom Blutdruck bewegte Klappen geſchloſſen werden. Die Erweiterung des Herzens findet durch beſondere Muskeln, bei den höheren Krebſen durch die Perikardialmuskeln, bei den Tauſendfüßern und Inſekten durch die ſogenannten Flügelmuskeln ſtatt; dadurch wird das Blut angeſaugt und gelangt unter Aufdrücken der Oſtienklappen ins Herz. Entſprechend ſeiner Abſtammung vom Rückengefäß ringelwurmartiger Vorfahren erſtreckt ſich das Herz der Gliederfüßler urſprünglich durch den ganzen Körper, eine Aus— dehnung, die es bei manchen niederen Krebſen (z. B. Branchipus Abb. 65, S. 101) und Tauſendfüßern ganz oder nahezu beibehalten hat. Häufig aber hat der vordere Teil ſeine Kontraktilität und die ſeitlichen Oſtien ganz verloren und führt nur noch als „Aorta“, wie er nach der großen Körperſchlagader der Wirbeltiere benannt iſt, das Blut dem Kopfe zu, der ſo mitſamt den Hauptſinnesorganen beſonders reichlich mit Ernährungs— flüſſigkeit verſorgt wird; ſo iſt es bei den Inſekten und Spinnentieren. Die Ausdehnung des Krebsherzens iſt in den einzelnen Ordnungen ſehr wechſelnd und wird meiſt durch die Verbreitung der Kiemen am Körper beſtimmt, aus denen das Blut zum Herzen ſtrömt: bei den größeren Branchipoden reicht es noch in urſprünglicher Weiſe durch den ganzen Körper; die Aſſeln, deren Kiemen am Abdomen ſitzen, haben das Herz nur im hinteren Körperabſchnitt, die Flohkrebſe mit den Kiemen an den Thoraxbeinen haben es nur im vorderen; bei den Stomatopoden, wo die Abdominalbeine die Kiemen tragen, iſt auch das Herz im Abdomen am beſten ausgebildet, bei den zehnfüßigen Krebſen dagegen liegt das verkürzte Herz im Thorax, da hier die Kiemen Anhänge der Thoraxbeine ſind. Auch bei den Spinnentieren liegt das Herz im Abdomen, wo der Sitz der Tracheenlungen iſt. Das periphere Gefäßſyſtem iſt bei den Gliederfüßlern ſehr ungleich ausgebildet. Bei den Krebſen, wo das Blut eine hohe Bedeutung für die Atmung als Sauerſtoff— überträger hat, beſitzen die höheren Abteilungen ein reich veräſteltes Syſtem von Gefäßen, Blutkreislauf bei den Weichtieren. 433 die das Blut vom Herzen in den Körper bringen, von wo es durch weite Lakunenräume zu den Kiemen gelangt; von den Kiemen kommt es in den Peribranchialraum und ſo in das Herz zurück (Abb. 235 A); dieſes bekommt alſo ſauerſtoffreiches Blut, es iſt ein arterielles Herz. Vom Herzen der Spinnentiere gehen zahlreiche Gefäße ab, wenn die Atmung auf lokaliſierte Organe, die Tracheenlungen, beſchränkt iſt; bei Tracheen- oder Hautatmung iſt die Zahl der Gefäße geringer. Die Tauſendfüßer beſitzen bei ihrer Tracheenatmung außer dem Herzen noch ein Bauchgefäß und eine Anzahl weiterer Gefäße, die die Organe verſorgen. Bei den Inſekten aber macht ſich, wie in der Beſchaffenheit des Blutes (vgl. oben S. 422), ſo auch in der geringen Ausbildung des Gefäßſyſtems die geringe reſpira— toriſche Bedeutung des Blutes geltend; außer der Aorta, der Verlängerung des Herzens kopfwärts, ſind keine Gefäße vorhanden; das Blut, bei dem es den Unterſchied zwiſchen arteriellem und venöſem nicht gibt, bewegt ſich lediglich in lakunären Bahnen. Die Kreislaufsorgane der Weichtiere zeigen in den Grundzügen eine große Gleich— förmigkeit. Die ſekundäre Leibeshöhle iſt auf den Herzbeutel beſchränkt und die Blut— bahnen ſind teils röhrenförmige Gefäße, teils engere und weitere kanalartige Lücken— räume im Gewebe. Das Herz, das überall vorhanden iſt, ſtellt einen Sack vor, von dem zwei große Gefäße abgehen, eines nach dem Kopf, das andere an die Eingeweide. Bei allen Mollusken, die paarige Kiemen beſitzen, hat das Herz zwei Vorkammern, die das Blut aus je einer Kieme aufnehmen und ihm zuführen (vgl. Abb. 63, S. 98), bei Nautilus mit zwei Paar Kiemen auch zwei Paar Vorkammern. Bei den Schnecken dagegen, wo infolge der Aſymmetrie des Körpers eine Kieme rückgebildet iſt, bleibt auch nur eine Vorkammer übrig und nur in ſeltneren Fällen iſt ein Reſt Abb. 282 Lage des von einer zweiten vorhanden (Haliotis, Fissurella); auch bei den Sei are zurn An Lungenſchnecken iſt nur eine Vorkammer vorhanden. An der Ein- gezogenen Stauden⸗ mündung der Vorkammern in die Herzkammer ſind Klappenventile . angebracht, die ſich bei Kontraktion der Herzkammer ſchließen. Das ee une” Herz liegt gewöhnlich dorſal vom Enddarm, in der Nachbarſchaft der Kiemen; bei den Schnecken, wo die Mündung des Darms mit den Kiemen nach der Seite und nach vorn gerückt iſt, hat auch das Herz dieſe Verſchiebung mitgemacht, liegt aber neben dem Enddarm. Bei vielen Muſcheln und einigen Schnecken umwachſen Herzbeutel und Herz den Enddarm ſo, daß er von ihnen rings umgeben iſt, ſie alſo durchſetzt, eine Erſcheinung, deren phyſiologiſche Bedeutung nicht klar iſt. Das muskel— ſtarke Herz — man kann ſeine Pumptätigkeit an hellſchaligen Schnecken, z. B. Helix fruticum Müll. (Abb. 282) leicht beobachten — empfängt das Blut unmittelbar aus den Kiemen oder Lungen, iſt alſo arteriell, und treibt dasſelbe in den Körper, von wo es zu den Kiemen zurückkehrt, nachdem es zuvor die Nieren paſſiert und dort die auf ſeinem Wege aufgenommenen exkretoriſchen Beſtandteile abgegeben hat. Bei den Tintenfiſchen genügt die Kraft des Herzens nicht für das ausgedehnte reich verzweigte Gefäßnetz, in dem, wie bei den Wirbeltieren, die Arterien durch eingeſchaltete Kapillarbezirke in die Venen übergehen; es liegen daher an der Baſis der Kiemen beſondere kontraktile Gefäßabſchnitte, die Kiemenherzen, die das Blut durch die Kiemen hindurch zu den Vorkammern des Herzens pumpen. Eine eigenartige Sonderſtellung nehmen, wie in allem übrigen, ſo auch betreffs ihrer Körperflüſſigkeit die Stachelhäuter ein. Wir finden hier drei Arten von Körper— Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 25 434 Körperſäfte der Stachelhäuter. ſäften, die Leibeshöhlenflüſſigkeit, die des Waſſergefäßſyſtems und das Blut. Alle drei enthalten gelöſte Eiweißkörper, die beiden erſten nur 0,5—2 /, das Blut aber mehr, und in allen ſind amöboid bewegliche Zellen als Blut- oder Lymphkörperchen enthalten, von denen wir ſchon oben bei Gelegenheit der Exkretion zu ſprechen hatten. Die Pro— duktion dieſer Zellen geſchieht in dem als Lymphdrüſe dienenden „Axenorgan“ der Leibes— höhle, ſowie in den ſogenannten Poliſchen Blaſen und Tiedemannſchen Körperchen des Waſſergefäßſyſtems. Die drei Flüſſigkeitsſyſteme haben verſchiedene Verrichtungen. Dem Waſſergefäßſyſtem kommt außer ſeiner Haupttätigkeit bei der Körperbewegung (j. oben S. 184) eine mehr oder weniger große Bedeutung für die Atmung zu. Die Leibes— höhlenflüſſigkeit ſpielt meiſt die Hauptrolle bei der Vermittlung von Atmung und Exkre— tion: ſie füllt jene vorſtülpbaren Kiemenorgane, die als Papulae bei den Seeſternen, als periſtomale Kiemen bei den Seeigeln bekannt ſind; ſie umſpült die Atemkammern (Burſae) der Schlangenſterne und die Waſſerlungen der Holothurien. Für die Bewegung und Durchmiſchung der Leibeshöhlenflüſſigkeit wird durch verſchiedenartige Wimperorgane geſorgt: die ausſtülpbaren Kiemen tragen innen Flimmerepithel; die Wimperbänder in den Armhöhlen der Schlangenſterne, die „Wimperurnen“ an der Leibeswand der Haar— ſterne und der Synaptiden unter den Holothurien er— zeugen Strömungen, und bei den Seeigeln geſchieht dies ſogar durch freie, ſich nach Art der Samenfäden bewegende Zellen. — Das Blutgefäßſyſtem endlich be— ſteht aus einem Netz enger 1 9 S es 4 ln: 5 1 1 55 110 Lücken in der Bindegewebs⸗ öffnung. Der Blutſtrom geht e der Pfeile K- und 0. hülle verſchiedener Organe; vor allem umgibt es ſehr eng den Darm, und von hier aus gehen größere Stämme hauptſächlich zu den Geſchlechts— organen, aber auch ſonſt in den Körper. Dem Blut ſcheint, entſprechend der Lage ſeiner Bahnen und ſeinem Reichtum an Eiweißſtoffen, vorzüglich die Vermittlung der Ernährung obzuliegen: es übernimmt den Transport der aus dem Darm aufgenommenen Nährſtoffe zu den Verbrauchsſtellen. Ein ſehr primitiver Zuſtand zeigt ſich darin, daß ein bewegendes Pumpwerk, ein Herz, fehlt; nur unregelmäßige und undeutliche Zu— ſammenziehungen der Darmgefäße ſind beobachtet, und zwar bisher nur bei den Holo— thurien. Die Seeſterne und Haarſterne ſcheinen kein Blutgefäßſyſtem zu beſitzen; die Leibeshöhlenflüſſigkeit wird hier auch die Vermittlung der Ernährung übernehmen. Ganz beſonders eigentümlich geſtaltet ſich der Kreislauf bei den Manteltieren da— durch, daß das Blut in den Gefäßen nicht immer die gleiche Stromrichtung innehält, ſondern abwechſelnd nach der einen und nach der anderen Richtung getrieben wird. Das ſchlauchförmige Herz liegt in der Nachbarſchaft des Eingeweideſacks, und es gehen von ihm nach beiden Seiten Gefäße aus, deren Veräſtelungen ineinander übergehen, ſo daß eine geſchloſſene Kreislaufbahn beſteht (Abb. 283). Das Herz arbeitet in der Weiſe, daß zunächſt eine Anzahl Kontraktionswellen darüber hinlaufen, die in der Richtung gegen die Eingeweide fortſchreiten und das Blut dorthin drängen; dann, nach einer kurzen Pauſe, beginnen die Einſchnürungen des Herzſchlauchs auf der den Eingeweiden Kreislauf bei den Manteltieren. 435 zugekehrten Seite und verlaufen in entgegengeſetzter Richtung, bis wiederum eine Umkehr geſchieht. Selbſt das aus dem Körper herausgeſchnittene Herz arbeitet in dieſer Weiſe weiter, indem es die Richtung ſeiner Zuſammenziehungen von Zeit zu Zeit wechſelt: es ſcheint dieſe Kreislaufumkehr auf automatiſcher Herztätigkeit zu beruhen, da Nervenzellen im Herzen ganz fehlen. Die bei den Salpen vom Herzen gegen den Eingeweideſack ausgehenden Gefäße durchſetzen dieſen und die Kiemen und gelangen am anderen Ende zum Hirnganglion; die nach der anderen Seite gehenden verſorgen zunächſt die ventrale Mantelſeite und die Endoſtylgegend. Bei andauernden Zuſammenziehungen vom Ein— geweideſack fort wird der Endoſtylbezirk des Mantels mit nährſtoffreichem Blut viel reicher verſorgt als Hirnganglion und Kieme, während bei umgekehrter Richtung des Blutlaufs wiederum die letzteren den Vorteil reicherer Ernährung genießen zuungunſten jener; und ebenſo iſt es mit der Sauerſtoffverſorgung. Die periodiſche Umkehrung des Blutſtroms hat alſo wohl die Bedeutung, daß eine gleichmäßige Verſorgung der ver— ſchiedenen Körperteile erreicht wird. b) Das Gefäßſyſtem der Wirbeltiere. Wenn man die Wirbeltiere von ringelwurmartigen Vorfahren ableitet — eine An— nahme, die unter allen Hypotheſen über den Urſprung der Wirbeltiere trotz mancher Schwierigkeiten immerhin noch den meiſten Beifall verdient — ſo iſt ihr Blutkreislauf inſofern mit dieſer Ableitung in Übereinſtimmung, als bei Ringelwärmern und bei Wirbeltieren das Blut auf der neuralen Seite, d. h. auf der Seite des zentralen Nervenſyſtems, alſo bei jenen auf der Bauch- bei dieſen auf der Rückenſeite, von vorne nach hinten fließt, in einem Gefäße, das zwiſchen Nervenzentrum und Darm liegt, auf der entgegengeſetzten abneuralen Seite jedoch von hinten nach vorn; das treibende Pumpwerk des Kreis— laufs liegt beide Male abneural. Aber auch wenn wir uns ganz auf die Betrachtung des Kreislaufs innerhalb der Wirbeltierreihe beſchränken, müſſen wir ihm eine her— vorragende phylogenetiſche Bedeutung zuſprechen. Denn die Anordnung der Gefäße, wie wir ſie bei den Fiſchen 1 im Zuſammenhang mit der Kiemenatmung ausgebildet Schema des Verlaufs der Kiemen⸗ 5 ; : 2 £ : { gefäße bei einem Knochenfiſch. finden, hat ſich in zäher Weiſe vererbt und bildet auch bei 2 Herzkammer, 2 Vorkammer, den höchſten, ihr ganzes Leben nur durch Lungen atmenden uud Wirbeltieren, den Reptilien, Vögeln und Säugern, die für den Verlauf der Hauptgefäße maßgebende Grundlage; ja ſie wird in der individuellen Entwicklung der Lungenatmer in ſo auffälliger Weiſe wiederholt, daß wir in ihr die ſtärkſte Stütze für die Ableitung der letzteren von fiſchartigen, kiemenatmenden Vorfahren zu ſehen haben. Das Herz der Fiſche liegt unmittelbar hinter und unter dem Kiemenapparat; das einfache Gefäßrohr, dem wir bei Amphioxus an dieſer Stelle begegnen und das ſich auch in der Embryonalentwicklung der Fiſche regelmäßig wiederholt, hat beim erwachſenen Fiſch einen gebogenen Verlauf genommen und iſt in mehrere, durch Einſchnürungen getrennte und in der Stärke ihrer Muskelwand verſchiedene Abſchnitte zerfallen (Abb. 284): der hinterſte Teil wird zu dem dünnwandigen Venenſinus, in dem ſich das Körperblut ſammelt; er mündet in die muskulöſere Vorkammer, die von der Rückenſeite her ſich in 28 * 436 Kreislauf bei den Fiſchen. die dickwandige Herzkammer ergießt. Das von dieſer zu den Kiemen führende Gefäß iſt verſchieden ausgebildet: der bei den Selachiern ſehr lange, mit mehreren Klappen— reihen ausgerüſtete „Arterienſtab“ (Conus arteriosus) iſt bei den Knochenfiſchen rück— gebildet; bei dieſen ſchließt ſich an den kurzen, klappenführenden Abſchnitt der dickwandige Arterienbulbus, und von deſſen Fortſetzung, dem Truncus arteriosus, gehen die Kiemen— bogengefäße ab. Durch je ein zuführendes Kiemengefäß in die Kiemen geleitet, gelangt das Blut durch die Kiemenkapillaren je in ein abführendes Gefäß, und dieſe vereinigen ſich über dem Schlund zur großen Körperſchlagader (Aorta descendens) (Abb. 287 B, 4). Solcher Kiemenbogengefäße oder kurz Aortenbögen find urſprünglich ebenſoviele vorhanden als Visceralbögen, alſo bei den meiſten Fiſchen ſechs (Abb. 287 A). Der erſte gehört zum Kieferbogen und ſomit urſprünglich zur Spritzlochkieme; aber überall, wo dieſe noch vorhanden iſt, wird ſie beim erwachſenen Tier ſekundär von dem abführenden Gefäße des nächſten Visceralbogens verſorgt, erhält alſo ſchon ſauerſtoffreiches Blut; dieſer zweite Aortenbogen, zum Zungenbeinbogen gehörig, führt das Blut zu deſſen Kieme, alſo bei den Ganoiden zur Opercularkieme, die folgende zu den meiſt vier eigentlichen Kiemen— bögen. Durch die hohe Ausbildung von Gehirn und Auge wird das Blut der beiden erſten Aortenbögen weniger oder mehr vollſtändig zum Kopf abgelenkt, und aus ihnen bilden ſich die Halsſchlagadern oder Carotiden; die ihnen urſprünglich zugehörigen Kiemen verlieren damit an Bedeutung und werden bei den Knochenfiſchen ganz rückgebildet. Das Fiſchherz (Abb. 285 A) iſt verhältnismäßig klein und feine Arbeitsleiſtung dementſprechend gering; die umzutreibende Blutmenge iſt nicht groß und wird nur lang— ſam bewegt; bei kleineren Weißfiſchen finden etwa 18 Zuſammenziehungen in der Minute ſtatt. Die Hauptenergie wird für das Durchtreiben des Blutes durch die Kiemenkapillaren verbraucht, die wohl auch einem ſtärkeren Drucke nicht ſtandhalten könnten; jenſeits der— ſelben, an der Aorta, ſind nur ganz ſchwache Pulſe bemerkbar. Die Rückbeförderung des Blutes aus dem Körper zum Herzen geſchieht nicht durch Druck, ſondern durch Saug— wirkung: die Wände des Herzbeutels, in dem Vor- und Herzkammer liegen, ſind ziemlich ſtarr; eine Zuſammenziehung der Herzkammer, wodurch deren Volum verkleinert wird, muß alſo ein Nachſtrömen des Blutes in die Vorkammer und ſo deren Füllung bewirken — das Herz wirkt alſo als Druck- und Saugpumpe zugleich. Als Weg des venöſen Blutes zum Herzen iſt nur in wenigen Fällen ein medianes Bauchgefäß, eine Subinteſtinalvene wie bei Amphioxus vorhanden; das Blut der Ur— nieren ſammelt ſich in zwei ſeitlichen hinteren Cardinalvenen, aus dem Kopfe führt ein Paar vorderer Cardinalvenen das Blut zurück; die vordere und hintere Cardinalvene jeder Seite vereinigen ſich zu einem Cuvierſchen Gang, und dieſe münden in den Venenſinus ein, der auch das Blut aus der Leber aufnimmt und das geſamte Venenblut zum Herzen führt. Dieſe urſprünglichſte Anordnung iſt aber in der Reihe der Fiſche vielerlei Abänderungen unterworfen. Mit dem Aufhören der Kiemen- und dem Eintritt der Lungenatmung erleidet der Blutlauf eine durchgreifende Anderung: es wird das Blut von dem Herzen einerſeits durch den Körper und wieder zum Herzen zurück, andererſeits durch die Lungen und zum Herzen zurück befördert; ſo entſteht ein doppelter Kreislauf, ein großer und ein kleiner. Der Übergang iſt kein plötzlicher; ſchon bei den Dipnobrn, den Lurchfiſchen, geht vom hinterſten Aortenbogen jederſeits ein Gefäß an die der Luftatmung dienende Schwimmblaſe, ohne daß dabei die Kiemenatmung beeinträchtigt wird; ſo bildet ſich auch bei den Lungenatmern die Lungenarterie als ein Aſt des hinterſten Aortenbogens aus Umbildung des Wirbeltierherzens. 437 (Abb. 237,3); der periphere, in die Aortenwurzel mündende Teil dieſes Gefäßbogens bleibt zunächſt beſtehen und verſchwindet ſowohl phylogenetiſch wie ontogenetiſch erſt allmählich; er beſteht z. B. bei den Schildkröten während des ganzen Lebens, bei den übrigen Sauropſiden und den Säugern wenigſtens während des embryonalen Lebens als Botalloſcher Gang (Ductus Botalli) fort, eine Verbindung zwiſchen Lungen- und Körperkreislauf bildend (7). Die Sonderung der Blutbahnen führt allmählich zu einer Sonderung des Herzens in eine Körper- und eine Lungenabteilung, oder in einen arteriellen und einen venöſen Teil. Dieſe Sonderung beginnt an der Vorkammer; durch eine Scheidewand wird ſie bei den Amphibien (Abb. 285) in zwei Teile getrennt, einen rechten, der das venöſe Blut aus dem Körper aufnimmt, und einen linken, der arterielles, ſauerſtoffreiches Blut aus den Lungen empfängt. In der einheitlichen Herzkammer tritt zwar eine teilweiſe Miſchung der beiden Blutarten ein; da aber die von dort abführenden Gefäße durch eine Scheidewand derart geteilt ſind, daß die zu den Lungen führenden weiter rechts, Abb. 285. Geſtaltung des Herzens bei den Wirbeltieren, ſchematiſch. A Fiſche, 5 Amphibien, C Reptilien, D Vögel und Säuger. 1 Venenſinus, 2 Vorkammer, 2“ rechte, 2“ linke Vorkammer, 3 Herzkammer, 3’ rechte, 3” linke Herzkammer. Die Pfeile zeigen die Richtung des Blutſtroms, K vom bzw. zum Körper, Z von bzw. zu den Lungen. Arterielles Blut iſt hell gelaſſen, venöſes Blut doppelt ſchraffiert, gemiſchtes Blut einfach ſchraffiert die in den Körper führenden weiter links von der Kammer abgehen, ſo bekommen die letzteren dennoch aus der linken Kammerhälfte ein mehr arterielles Blut als jene, denen es hauptſächlich aus der rechten Kammerhälfte zuſtrömt. Bei den Reptilien (Abb. 285 C) iſt nicht nur die Vorkammer, ſondern auch die Herzkammer mehr oder weniger vollſtändig durch eine Zwiſchenwand in zwei Kammern geteilt. Vollendet iſt die Trennung bei den Krokodilen; meiſt aber beſteht noch ein Loch in der Zwiſchenwand und damit eine offene Verbindung zwiſchen den beiden Herzkammern, ſo daß dem arteriellen Blut der linken ſich venöſes aus der rechten Kammer beimiſchen kann. Die Unvollſtändigkeit der Tren— nung hängt aufs engſte mit dem Maße der Ausbildung der Lungen zuſammen. Bei vollſtändiger Sonderung eines rechten und eines linken Herzens bzw. eines Lungen- und eines Körperkreislaufs muß, da die Zuſammenziehungen der beiden Herzhälften im gleichen Tempo geſchehen, mit jedem Herzſchlag aus der rechten Kammer ebenſoviel Blut durch die Lungen in die linke Vorkammer befördert werden wie aus der linken Kammer durch den Körper in die rechte Vorkammer. So lange aber die Lungen noch nicht ſo weit ausgebildet ſind, daß ihr Kapillarnetz für eine ſolche Blutmenge Raum genug bietet, muß etwas von dem venöſen Blut, das dem rechten Herzen aus dem Körper zugeführt wird, 438 Herz der Wirbeltiere. wieder an den Körperkreislauf abgegeben werden. Dies geſchieht teils durch das Loch in der Kammerſcheidewand, teils durch den Botalloſchen Gang, der die Lungenarterie mit der Aortenwurzel verbindet. Bei den Vögeln und Säugern (Abb. 285 PD) endlich iſt das Herz beim erwachſenen Tier ſtets vollkommen in eine arterielle und eine venöſe Hälfte geſchieden, und der Bo— talloſche Gang iſt völlig rückgebildet; der Körper wird hier alſo mit rein arteriellem Blut verſorgt und das geſamte Blut fließt bei jedem Umlauf ganz durch die Lungen (Abb. 287 Eu. F), ein Zuſtand, der mit der Steigerung der Lebensenergie in beiden Klaſſen eng verknüpft zu ſein ſcheint. Beim Embryo tritt jedoch, wegen der Unvoll— kommenheit des Lungenkreislaufs, noch Blut aus der rechten in die linke Herzhälfte hinüber, und zwar hier durch ein Loch in der Vorkammerſcheidewand; dies Blut iſt jedoch nicht venös, vielmehr bringen hier die Venen, die aus dem Dotterſack und der Allantois bzw. aus der Placenta bei den Säugern zum rechten Herzen zurückkehren, Blut mit, das wie an Nährſtoffen ſo auch an Sauerſtoff reich iſt; denn die Allantois dient ſowohl im Ei bei den Vögeln wie auch als Placenta im Uterus bei den Säugern als Atmungs— organ (vgl. S. 414); dies Blut miſcht ſich dem aus dem Körper zurückſtrömenden Blut bei, ſo daß das rechte Herz gemiſchtes Blut empfängt. Da die Strecke, die das Blut im Körperkreislauf zurücklegt, eine viel bedeutendere iſt und dabei ein viel größerer Betrag von Widerſtänden überwunden werden muß als im Lungenkreislauf, ſo iſt die Arbeit, die die linke Herzkammer zu leiſten hat, bedeutend größer als die der rechten. Der Blutdruck in jener iſt denn auch, Abb. 286. Querſchnitt durch die nach Meſſungen am Hund, mehr als 2½ mal ſo groß als in dieſer, Kammern des menſch— lichen Herzens. und bei der Katze hat ein anderer Unterſucher den Druck in der klinke. rechte Kammer. Carotis fünfmal jo hoch gefunden als in der Lungenarterie. So Nach H. v. Meyer. 1 Ä £ * 3 ſtehen alſo die Lungenkapillaren dort, wo Lungen- und Körperkreis— lauf völlig getrennt ſind, unter verhältnismäßig geringerem Druck als dort, wo die Trennung nur unvollkommen iſt; ihre Wände können daher ſehr fein ſein, ohne daß eine Gefahr daraus entſtände, und dadurch wird wiederum der Gasaustauſch erleichtert. Die Ver— ſchiedenheit in der Arbeitsleiſtung der beiden Herzkammern findet ihren deutlichen Ausdruck in der Maſſe der tätigen Muskulatur: die Wand der linken Herzkammer zeigt eine viel größere Dicke als die der rechten, wie ein Querſchnitt durch das Herz zeigt (Abb. 286). Die vom Herzen ausgehenden Gefäße der lungenatmenden Wirbeltiere entſprechen morphologiſch beſtimmten Aortenbögen der Fiſche. Dieſer Nachweis iſt durch entwicklungs— geſchichtliche Unterſuchungen möglich; denn bei den Embryonen der Lungenatmer wird die Gefäßanordnung, wie ſie die Fiſche zeigen, in allen Zügen wiederholt, und die zwiſchen den einzelnen Aortenbögen auftretenden Kiemenſpalten oder Kiementaſchen (Abb. 34, S. 66) liefern den vollgültigen Beweis, daß dieſe Übereinſtimmung in der Anordnung nicht etwa neu entſtanden iſt, ſondern auf Vererbung alter Einrichtungen beruht, die funktionell bedeutungslos geworden, morphologiſch aber erhalten ſind (Abb. 287). Beim fertigen Tier ſind die beiden erſten Aortenbögen bis auf geringe Reſte ſtets, der fünfte allermeiſt geſchwunden. Aus dem dritten Aortenbogen entwickeln ſich die Blut— bahnen, die das Blut dem Kopfe zuführen, die innere und äußere Carotis (Ju. 2). Aus dem vierten Aortenbogen wird bei allen Lungenatmern der Gefäßbogen, der das Blut des linken Herzens der Aorta und damit dem Körper zuführt (4); bei den Amphibien (C) bleibt er beiderſeits beſtehen; bei manchen Reptilien (D) entſpringt der linke Bogen, Aortenbögen. 439 unter Kreuzung mit dem rechten, aus der rechten Herzkammer und führt ſomit einen Teil des venöſen Blutes in die Aorta, während das zum Kopfe gehende Blut nicht vermiſcht wird. Bei den Vögeln (E) wird der rechtsſeitige vierte Bogen zur alleinigen Aorten— wurzel, während der linke ganz ſchwindet, bei den Säugern (F) verſorgt umgekehrt der linke Bogen allein die Aorta, der rechte wird unbedeutend und dient nur als Anfangs— teil für die Arterie der rechten Vordergliedmaße (Arteria subelavia). Der ſechſte Aorten— bogen liefert überall den Anfang der Lungenarterie (3); er iſt in ſeinem Urſprung aus Abb. 287. Schema der Aortenbögen bei verſchiedenen Wirbeltierklaſſen, von der Rückenſeite geſehen. A Grundſchema, unter Weglaſſung der Lungenarterien (3) für Selachier geltend, B Knochenfiſch, C Froſch (links junges, rechts erwachſenes Tier), D Reptil (neuseborne Eidechſe), E Vogel, “ Säuger. I— VI erſter bis ſechſter Aortenbogen. 7 innere, 2 äußere Halsſchlagader (Carotis), 3 Lungenarterie, 4 Körperſchlagader (Aorta) 5 Wurzel der Lungenarterien, 6 Aortenwurzel, 6° rechte Aortenwurzel, 7 Botalloſcher Gang. dem Kammerteil des Herzens von den anderen durch eine Scheidewand getrennt, die ſich ſo dreht, daß das Blut aus der rechten Herzkammer in die dorſal gelegenen Lungen— arterien einfließen muß; drei aufeinanderfolgende Querſchnitte machen dieſe Drehung verſtändlich (Abb. 288). Die dauernde oder zeitweilige Verbindung der Lungenarterie mit der Aortenwurzel, der ſogenannte Botalloſche Gang, wurde ſchon oben erwähnt. Während ſo im Arterienſyſtem die gleichen, von den Fiſchen ererbten Grundzüge durch die ganze Wirbeltierreihe wiederkehren, hat das Venenſyſtem bei weitem mehr Veränderungen erlitten. Zwar während der Fötalzeit finden wir bei den höheren Wirbeltieren dieſelben Verhältniſſe, wie wir ſie oben als Grundlage für die Venen— 440 Lymphſyſtem der Wirbeltiere. anordnung der Fiſche geſchildert haben: die paarigen vorderen und hinteren Cardinal— venen vereinigen ſich jederſeits zu den Cuvierſchen Gängen, die in den Venenſinus am Herzen einmünden, ebenſo wie die Lebervene, die das in der Pfortader vereinigte und in die Leber geleitete Darmblut von dort dem Herzen zuführt. Sobald aber die Ur— nieren durch die Nachnieren erſetzt ſind, verlieren die hinteren Cardinalvenen, die das Urnierenblut zurückleiten, an Bedeutung; die unpaare untere oder beſſer hintere Hohlvene, die die abführenden Gefäße der Nachnieren aufnimmt, ſpäter auch das Blut aus den hinteren Gliedmaßen erhält und näher am Herzen auch noch durch die Lebervenen ver— ſtärkt wird, bildet den Hauptvenenſtamm. Die Cuvierſchen Gänge verſchwinden, indem die beiden vorderen Cardinalvenen ſich zur oberen, beſſer vorderen Hohlvene vereinigen. Auch ſonſt wird dadurch, daß das Blut im allgemeinen den kürzeſten Weg zum Herzen zurück wählt, die Anordnung des e beeinflußt. Da bei den höheren Wirbel— tieren der Venenſinus in die rechte Vorkammer einbezogen wird, gelangt das Blut der hinteren wie der vorderen Hohlvene unmittelbar in dieſe Vorkammer. Bei den Wirbeltieren iſt eine ſekundäre Leibeshöhle vorhanden; aber ſie iſt nicht von Flüſſigkeit erfüllt, ſondern enthält nur Gaſe und Waſſerdampf. Eine beſondere Coelom— flüſſigkeit iſt alſo nicht vorhanden. Wohl aber unterſcheidet man im Wirbeltierkörper neben dem Blut noch eine andere Flüſſigkeit, die Lymphe. Durch die feinen Wände der Blutkapillaren in den Organen filtriert nämlich aus dem Blut- O D Er plasma eine Flüſſigkeit hindurch, die nicht ganz die Zuſammen— Abb. 288. Drei ſchematiſche ſetzung des Blutplasmas beſitzt, und mit ihr wandern durch feine Querſchnitte durch die Lücken in der Kapillarwand weiße Blutkörperchen vermöge ihrer Aortenwurzel, um den Ver— | a 8 9 19 amöboiden Bewegung aus, während die roten Blutkörperchen dazu arterie (0 zu zeigen. nicht imſtande ſind. Die Lymphe durchdringt die Gewebe und echter Aortendagenn. führt ihnen Nahrung zu; was davon nicht zur Ernährung ver— braucht wird, ſammelt ſich in Lückenräumen, den ſogenannten Lymphgefäßen, die ein durch den Körper weit verbreitetes Syſtem bilden. In ihnen finden ſich an manchen Stellen Zellwucherungen, die Lymphdrüſen, in denen es zur Neubildung von weißen Blutkörperchen kommt, zum Erſatz für diejenigen, die fortwährend im Dienſte des Körpers zugrunde gehen, indem ſie teils zerfallen, teils auch durch die Darmepithe— lien hindurch auswandern. Die Darmſchleimhaut iſt außerordentlich reich an Lymph— gefäßen, deren Ausläufer in die Falten und Zotten hineinragen. Dieſe ſind von hoher Bedeutung für die Ernährung; denn in ihnen wird ein Teil der aufgenommenen Nahrung, ſpeziell das Fett, dem Blute zugeleitet. Die Lymphbahnen ſammeln ſich nämlich zu Hauptgefäßen, die in die Venen einmünden, und zwar bei den meiſten Wirbel— tieren an zwei Stellen, in der Schwanzgegend und nahe am Kopfe; bei den Säugern iſt nur eine ſolche Einmündung vorhanden, in der Nähe des Herzens, wo der Druck im Gefäßſyſtem ſehr niedrig iſt, in die Vena brachio-cephalica, die das Blut von Kopf und Vordergliedmaßen dem Herzen zuführt. Die anſaugende Wirkung des Blutſtroms in der Vene iſt, neben der Zuſammenziehung der Muskulatur, beſonders der des Darmes und der Darmſchleimhaut, die Urſache für die allerdings langſame Bewegung der Lymphe; zahlreiche Klappen in den Lymphgefäßen geſtatten nur eine Fortbewegung der Lymphe in der Richtung gegen das Herz. Bei Fiſchen, Amphibien und Reptilien ſind außerdem einzelne Bezirke der Lymphgefäße kontraktil und unterſtützen die Fortbewegung des Lymphſtroms; ſolche Lymph— herzen fehlen bei Vögeln und Säugern. Die Lymphe, die alle Teile des Körpers durch— dringt, bildet das eigentliche innere Medium, das milieu intérieur des Wirbeltierkörpers. Wechſelwarme und eigenwarme Tiere. 441 5. Die Körpertemperatur. Die Unterſcheidung der Vögel und Säuger als warmblütiger Tiere gegenüber den kaltblütigen iſt dadurch, daß ſie Linne als diagnoſtiſches Merkmal in ſeinem Syſtem verwandt hat, allen geläufig. Die Unterſcheidung ſelbſt beſteht vollkommen zu Recht, die Benennung aber iſt in mehrfacher Hinſicht verfehlt. Einmal iſt es nicht das Blut allein, das kalt oder warm iſt; auch iſt das Blut nicht etwa der beſondere Träger der Wärme oder der Ort, wo allein Wärme entſteht. Die Wärme entſteht bei der mechaniſchen Arbeit z. B. der Muskeln; auch unter Reibung kommt es zu Wärmeentwicklung: ſo wird faſt die geſamte Arbeit des Herzens, ſoweit ſie in der Überwindung der Reibung des Bluts an den Gefäßwänden beſteht, in Wärme umgeſetzt. Hauptſächlich aber wird Wärme bei den chemiſchen Zerſetzungen frei, die im lebenden Körper fortwährend vor ſich gehen, und zwar am meiſten in den Teilen, wo die Zerſetzungen am regſten ſind: es ſteigt die Temperatur in den Drüſen bei der Sekretion und daher auch in der Darmwand bei der Verdauung, bei geiſtiger Arbeit im Gehirn, bei vermehrter Oxydation im Blut. Das die betreffenden Organe durchſtrömende Blut wird dabei freilich erwärmt und kann auf ſeinem Wege wieder von dieſer Wärme abgeben. — Aber auch die ſogenannten kalt— blütigen Tiere können zeitweilig eine hohe Körpertemperatur haben, unter Umſtänden, wenn ſie etwa von der Sonne beſtrahlt werden, ſo hoch oder ſelbſt höher als die „Warm— blütler“. Nur iſt dieſe Wärme faſt nur von außen aufgenommen, und die Temperatur ſinkt ſofort, wenn die äußere Wärmequelle verſagt; die Wärme der ſogenannten Warm— blütler dagegen entſteht beinahe ausſchließlich im Körper. Man ſpricht daher beſſer von wechſelwarmen (poekilothermen) und dauerwarmen oder eigenwarmen (homoeothermen) Tieren, inſofern als bei den erſteren die Binnentemperatur innerhalb weiter Grenzen ſteigt und ſinkt, meiſt entſprechend dem Wechſel der äußeren Temperatur, während ſie ſich bei letzteren, unabhängig von der Außentemperatur, auf nahezu der gleichen Höhe hält. Da bei den Bewegungen und Stoffwechſelvorgängen Wärme erzeugt wird, ſo kann natürlich auch bei den wechſelwarmen Tieren dieſe Wärme nicht ausgeſchaltet ſein, und es muß ſich ihre Temperatur von der der Umgebung um ſo mehr unterſcheiden, je leb— hafter gerade ihr Stoffwechſel iſt, je ſchneller ſie ſich bewegen, je energiſcher ſie verdauen. Verſuche zeigen, daß Blutegel durch die Wärme, die ſie bei anhaltenden Bewegungen erzeugen, das Gefrieren des Waſſers in ihrer nächſten Umgebung ein Zeitlang hintan— halten können. Kochs beſetzte drei Bechergläſer, die je ein Liter Waſſer enthielten, mit einem, zwei und drei Blutegeln und ſetzte ſie der Winterkälte aus. Bei Annäherung der Waſſertemperatur an 0° begannen die Tiere, die vorher wie tot dalagen, ſich unaus— geſetzt zu bewegen. Nach 24 Stunden war der einzelne Egel vom Eis faſt umſchloſſen; die zwei Egel hatten noch einen eigroßen Waſſerraum um ſich, in dem ſie ſich bewegten, und wurden erſt nach 48 Stunden ganz eingeſchloſſen; bei den drei Egeln war der Waſſerraum nach 24 Stunden noch größer und auch nach 48 Stunden war noch ein ſolcher, wenn auch von geringer Größe, vorhanden. — Bei den niederen wechſelwarmen Tieren mit ihrem geringen Stoffwechſel iſt allerdings der Unterſchied zwiſchen Innen— und Außentemperatur ſehr gering; jo beträgt er bei Coelenteraten 0,20, bei Stachel— häutern 0,4“, bei Weichtieren 0,5%. Bei anderen aber kann er zuzeiten ganz bedeutend anſteigen, je nach der Intenſität des Stoffwechſels. Während die Temperatur eines ruhenden Inſekts die der Umgebung nur wenig übertrifft, ſteigt ſie beim tätigen: bei fliegenden Windenſchwärmern (Sphinx convolvuli L.) war bei einer Lufttemperatur von 442 Die Eigenwärme und ihre Schwankungen. 17°C die Temperatur des Thorax auf 27°C geſtiegen; dabei übertrifft ſie die des Hinterleibs um 4—6°, ja bis 10°. Bekannt iſt, daß im Winter auch bei niedriger Außen— temperatur im Bienenhaufen eines Bienenſtockes ein Thermometer 12— 15“, an der Peri— pherie des Haufens 7— 10% zeigt; werden die Bienen durch Beunruhigung zu lebhafterer Bewegung gebracht, ſo ſteigt die Temperatur noch höher. Ein Froſch zeigt, auch wenn er ſich nicht bewegt, bei niederer Außentemperatur eine Binnenwärme, die etwa um 10 höher iſt; an Karettſchildkröten (Chelone imbricata Schweigg.) iſt ein Überſchuß der Binnenwärme über die Waſſertemperatur von 0,6—3°C gemeſſen worden. Der höchſte Betrag, um den die Eigenwärme ſich gelegentlich über die der Umgebung erhebt, iſt bei Amphibien 4—5½“, bei Reptilien 4—8 ); ja Thunfiſche, die zu den kräftigſten Schwim— mern gehören, waren ſogar um 10° wärmer als das Waſſer. Bei den dauerwarmen Tieren ſind die Temperaturerhöhungen durch Stoffwechſel— vorgänge nicht bloß etwas Gelegentliches; vielmehr dient ſtetig ein Teil des Stoffwechſels zur Schaffung und Erhaltung der Eigenwärme. Dieſe beträgt bei den Säugern etwa zwiſchen 35 und 40°, bei den meist lebhafteren Vögeln bis zu 45°C. Die Eigenwärme iſt nicht bloß das Ergebnis des Stoffwechſels, ſie bildet auch die Grundlage für deſſen Fortgang: nicht nur daß ſie alle chemiſchen Reaktionen, die dem Stofſwechſel dienen, bedeutend erleichtert, iſt ſie ſogar oft, infolge weitgehender Anpaſſung des Tier— körpers an die gleichmäßige Binnentemperatur, die Bedingung für das Eintreten dieſer Reaktionen. Die meiſten dauerwarmen Tiere verfallen bei ſtärkerer Abkühlung zunächſt der Erſtarrung, bei längerer Dauer derſelben dem Tode. Es laſſen ſich in der ver— ſchiedenen Ausbildung der Wärmeökonomie bei verſchiedenen Säugern jetzt noch die Zuſtände verfolgen, die von urſprünglich wechſelwarmen Vorfahren bis zur Höhe kon— ſtanter Eigenwärme durchlaufen wurden. Der Ameiſenigel (Echidna), der auch in manchen Teilen ſeines anatomiſchen Baues und in der Art ſeiner Entwicklung den Säugerahnen am nächſten ſteht und gleichſam einen Übergang zu wechſelwarmen reptilien— artigen Vorfahren bildet, iſt auch bezüglich ſeiner Eigenwärme am niedrigſten organiſiert: wenn die Temperatur ſeiner Umgebung von 5°—35° wechſelt, ſchwankt ſeine Eigenwärme im gleichen Sinne um 10°C; das ihm nahe verwandte Schnabeltier macht zwar keine ſo ausgedehnten Temperaturſchwankungen mit, aber ſeine Eigenwärme iſt noch verhältnis— mäßig niedrig. Bei den Beuteltieren begegnen wir ſchon Einrichtungen, die einer ſtrengeren Regulierung der Binnentemperatur dienen, und dieſe ſind bei den höheren Säugern ſo ausgebildet, daß ſich beim geſunden Menſchen z. B. die Temperaturſchwan— kungen in den Grenzen von 1°C halten. Gleichſam eine Reminiszenz an die Zuſtände wechſelwarmer Vorfahren iſt der Winterſchlaf, in den eine Anzahl Säuger, wie Echidna, manche Inſektenfreſſer, Flattertiere und Nager verfallen, wobei ihre Temperatur faſt bis auf + 1°C ſinken kann und die Stoffwechſelvorgänge außerordentlich verlangſamt ſind. Wenn wir den Winterſchlaf als Reſt von Poekilothermie bei Säugern anſehen, ſo beſtärkt uns darin die Tatſache, daß neugeborne Säuger gegen Temperaturerniedrigung viel widerſtandsfähiger ſind als erwachſene, alſo darin noch eine urſprünglichere Eigenſchaft bewahrt haben, die ſie ſpäter verlieren. Um die Eigenwärme auf gleicher Höhe zu halten, ſind beſondere Einrichtungen nötig, die einerſeits ein Sinken bei niedriger Außentemperatur, andererſeits ein Steigen bei äußerer Hitze und lebhaftem Stoffwechſel verhindern. Vor Abkühlung nach außen ſind die dauerwarmen Tiere in verſchiedener Weiſe geſchützt. Meiſtens beſitzen ſie ein dichtes Haar- oder Federkleid, das zwiſchen feinen Beſtandteilen eine Schicht vom Körper erwärmter Regulierung der Eigenwärme. 443 Luft feſthält, die als ſchlechter Wärmeleiter den wirkſamſten Schutz gegen Ausſtrahlung bildet. In kalten Gegenden ſind Haar- und Federkleid im allgemeinen mehr ausgebildet, und in den gemäßigten Zonen iſt das Winterkleid gewöhnlich dichter als das Sommer— kleid. Waſſerſäuger und tauchende Vögel mit dichtanliegendem Gefieder, bei denen ſich im Haar- oder Federkleid keine oder nur eine unbedeutende Luftſchicht hält, ſind durch eine beſonders dicke Fettſchicht gegen zu große Wärmeabgabe geſchützt. Bei den Vögeln — bei denen in unſerem Klima auch die kleinſten Formen mit dem ungünſtigſten Ver— hältnis zwiſchen Körpermaſſe und ausſtrahlender Oberfläche, wie Goldhähnchen und Zaun— könig, ſich der Winterkälte ausſetzen, wahrend die kleinen Säuger entweder Winterſchläfer ſind oder in Schlupfwinkeln der Kälte entgehen — iſt offenbar der Wärmeſchutz, den die Luftſäcke den inneren Organen, beſonders den Baucheingeweiden und dem Herzen, gewähren, beſonders hoch anzuſchlagen. Ein wirkſames Mittel zur Verringerung der Wärmeabgabe iſt die Verkleinerung der Oberfläche; unter den Säugern iſt fie am auf- fälligſten bei den ſtändigen Waſſerbewohnern, den Robben und Walen, mit ihrem meiſt glatt drehrunden Rumpf und den kurzen Gliedmaßen; eine Geſtalt wie die Giraffe oder die Gibbons mit größter Oberfläche iſt ſo typiſch für die Tropen, wie der gedrun— gene Moſchusochs für den Polarkreis. Viele Säuger kugeln ſich wenigſtens im Schlaf oder Winterſchlaf zu einer Maſſe mit möglichſt kleiner Oberfläche zuſammen. Sehr gering iſt verhältnismäßig die Oberfläche der Vögel, da die Vordergliedmaſſe dem Leib glatt angelegt wird; der Fuß, d. h. Lauf und Zehen, die allein eine größere Oberfläche bieten, brauchen nur geringe Blutverſorgung, da in ihnen keine blutreicheren Organe, wie Mus— keln und Drüſen, vorkommen und nur Sehnen hier verlaufen; ſie entbehren daher meiſt ſogar des Federſchutzes. — Wechſelwarmen Tieren fehlen auch in der gemäßigten und kalten Zone alle ſolche Schutzmittel gegen Abkühlung. Aber auch eine Steigerung der Eigenwärme wird für die dauerwarmen Tiere ſehr ſchnell verderblich; ſchon eine Erhöhung der Körpertemperatur um verhältnismäßig wenige Grade iſt tödlich für ſie. Um ſie vor ſolchen Schädigungen zu ſchützen, ſind mannigfache Einrichtungen zur Abkühlung vorhanden: bei erhöhter Außenwärme oder geſteigerter Muskelarbeit mehrt ſich die Zahl der Atemzüge, ſo daß das Blut in den Lungen durch vermehrte Verdunſtung und Berührung mit der kühleren Luft mehr Wärme abgibt. Durch nervöſe Einflüſſe wird bei ſtärkerer Erwärmung die Weite der oberflächlichen Gefäße vermehrt und damit der Blutreichtum an der Oberfläche geſteigert, was eine reichere Wärmeausſtrahlung zur Folge hat. Bei denjenigen Säugern ferner, die wie der Menſch eine reiche Menge von Schweißdrüſen beſitzen, wird bei ſtarker Erhitzung viel Schweiß produziert, deſſen Verdunſtung dem Körper Wärme entzieht: das iſt die Be— deutung der Schweißabgabe bei Hitze oder großen Anſtrengungen. Manchen Säugern aber fehlen Schweißdrüſen ganz, z. B. dem Ameiſenigel (Echidna), oder ſie haben deren nur wenige, wie die Ratte oder der Hund. Bei letzterem mag auch das lange Heraushängen der Zunge bei ſtarker Erhitzung durch die Verdunſtung der Flüſſigkeit des Drüſenſekretes dazu beitragen, das Blut abzukühlen und damit die geſamte Körpertemperatur herab— zuſetzen. — Für die Vögel kommt die Abkühlung durch Drüſenſekretion in Wegfall: ſie beſitzen keine Hautdrüſen; dagegen iſt ihre innere Fläche dank der Ausdehnung der Luft— ſäcke viel bedeutender, ſo daß ſie die Abkühlung durch die mehr oder weniger reichliche Einatmung kühlerer Luft regulieren können. Durch die Fähigkeit, ihre Körperwärme unabhängig von der Außentemperatur auf gleicher Höhe zu erhalten, ſind die Vögel und Säuger mit ihrer Eigenwärme den 444 Biologische Bedeutung der Eigenwärme. wechſelwarmen Tieren in vieler Beziehung überlegen. Während dieſe vielfach bei Nacht oder in der kühleren Jahreszeit träge, ja oft unbeweglich werden, während ſie durch plötzliche Temperaturumſchläge oft in ungeheuren Maſſen vernichtet werden und ihre höchſte Beweglichkeit und äußerſte Kraftleiſtung oft nur im warmen Sonnenſchein ent— falten können, werden die dauerwarmen Tiere im allgemeinen weder durch den Wechſel von Tag und Nacht, noch durch den der Jahreszeiten in ihrer Lebendigkeit beeinträchtigt und vermögen jederzeit ihrer Nahrung nachzugehen und ſich den Nachſtellungen ihrer Feinde zu entziehen. Ihre Ausſichten im allgemeinen Wettbewerb ſind durch ſolche aus— gedehnte Anpaſſungsfähigkeit ſehr erhöht, und ihnen ſtehen Lebensgebiete offen, die wenigſtens den luftatmenden Wirbeltieren aus der Reihe der Wechſelwarmen gänzlich verſchloſſen ſind, wie die Polargebiete und die Höhen der Gebirge. Da ferner auch bei großer innerer Wärmeproduktion durch Anſtrengungen die Körperwärme durch die Ab— kühlungsvorrichtungen doch konſtant erhalten wird, iſt ihre Ausdauer bedeutend geſteigert. Aber dieſe Vorteile müſſen erkauft werden: die dauerwarmen Tiere verbrauchen eine weit größere Energiemenge, und ſie müſſen, um dieſe ausgeben zu können, viel reicher ernährt werden; ſie ſind daher gegen Nahrungsmangel viel empfindlicher als wechſelwarme und ſterben leicht Hungers, während jene oft erſtaunlich lange zu faſten vermögen. Drittes Buch Fortpflanzung und Vererbung 447 A. Die verfchiedenen Arten der fortpflanzung. Das Leben zehrt den Organismus auf; abgenutzt durch die vollbrachte Arbeit, geht er zugrunde. Es muß daher eine beſtändige Erneuerung des Lebens ſtattfinden: wenn die altersſchwachen Eltern den Anforderungen des Daſeins nicht mehr gewachſen ſind, räumen ſie der lebensfriſchen Nachkommenſchaft das Feld, die ihrerſeits wieder nach kürzerer oder längerer Zeit einer neuen Generation weichen muß. So folgen beſtändig Generationen auf Generationen. Aber es iſt nicht neues Leben, das da entſteht; ſondern in ununterbrochenem Zuſammenhange folgt ein Lebeweſen dem anderen: die Vorfahren ſterben nicht ganz; ſie tragen die Grundlage der neuen Generation in ſich; in jedem Individuum ihrer Nachkommenſchaft lebt ein Stück von ihnen weiter; die alte Flamme des Lebens brennt weiter und wird neu angefacht: es iſt keine Neuſchaffung, ſondern Fortpflanzung des Lebens. „Alles Lebendige ſtammt von Lebendigem, omne vivum ex vivo.“ Jedes normale Lebeweſen trägt von Natur die Fähigkeit in ſich, Nachkommen hervorzubringen. Wie man von einem Trieb der Selbſterhaltung ſpricht, kann man auch einen Trieb der Arterhaltung feſtſtellen. Aber nicht alle Lebeweſen erreichen wirklich den Höhepunkt ihres Daſeins, der durch die Fortpflanzung gegeben iſt; die Mehrzahl findet meiſt zuvor durch Nahrungsmangel, Feinde, Krankheiten oder widrige klimatiſche Verhältniſſe ihren Untergang. Fortpflanzung iſt die Entſtehung neuer Individuen aus Grundlagen, die von ſchon vorhandenen Individuen herkommen. Sie kann — und das gilt für Pflanzen wie für Tiere — in recht verſchiedener Weiſe vor ſich gehen. An einem kleinen Borſtenwurm unſerer Süßwaſſerteiche, der „züngelnden Najade“, wie ſie wegen des dünnen rüſſelartigen Taſtfortſatzes am Kopfende genannt wurde (Nais proboscidea aut. — Stylaria lacu- stris L.) können wir zuzeiten beobachten, wie mitten am Körper eine in der Farbe abweichende Zone entſteht, ein neuer Rüſſel ſproßt und ein paar Augenflecke auftreten (vgl. Taf. 11); es bildet ſich hier ein neues Kopfende. Wenn dies weit genug entwickelt iſt, bricht das Tierchen an dieſer Stelle entzwei, und wir haben zwei Würmer anſtatt des einen, deren jeder durch Wachstum wieder an Segmentzahl zunimmt. So kann es noch öfter weitergehen, ja an den noch nicht abgetrennten Stücken läßt ſich häufig ſchon die Anlage eines neuen Kopfes erkennen; man ſieht dann zwei oder drei zukünftige Teilſtellen hintereinander am gleichen Tier. Zu anderen Zeiten aber legt dieſes Würm— chen Eier ab, aus denen ſich allmählich junge Würmer entwickeln. So haben wir zwei Fortpflanzungsarten nacheinander beim gleichen Tier. Im erſteren Falle wird die Grundlage für das neue Individuum durch einen Zellkomplex gebildet, deſſen Einzelzellen aber nicht etwa die geſamte Nachkommenſchaft einer einzelnen Zelle vorſtellen. Dies ſcheint die einfachere Art der Fortpflanzung zu ſein, aber ſie iſt deshalb keineswegs die urſprünglichere oder die verbreitetere; es gibt ganze Tierkreiſe, wo ſie nicht vorkommt, 3. B. bei den Gliederfüßern und den Wirbeltieren. Bei den Pflanzen iſt ſie ſehr häufig und uns viel vertrauter; wenn der Gärtner einen Weidenzweig als Steckling zum Weiter— wachſen bringt, oder eine Erdbeerpflanze an ihren Ranken neue Pflanzen entſtehen läßt, 448 Agamogonie und Gamogonie. ſo iſt dieſe Fortpflanzungsart der Teilung von Stylaria ähnlich. Man bezeichnet ſie daher als vegetative Fortpflanzung. Bei der anderen Fortpflanzungsart aber iſt es nur eine Zelle, die befruchtete oder unbefruchtete Eizelle, die die Grundlage des neuen Individuums bildet. Sie wird als Fortpflanzung durch Einzelzellen, cytogene Fortpflanzung, bezeichnet und iſt bei den vielzelligen Tieren allgemein verbreitet; bei den Einzelligen iſt ſie die einzige Fortpflanzungsart, da hier naturgemäß nicht ein Zell— komplex die Grundlage eines neuen Individuums bilden kann. 1. Die cytogene fortpflanzung. Die cytogene Fortpflanzung iſt allen Organismen gemeinſam. Bei den einzelligen Weſen iſt im allgemeinen jede Teilung der Zelle zugleich eine Fortpflanzung: es entſtehen dabei neue, ſelbſtändig lebende, voneinander unabhängige Individuen. Die Vielzelligen entwickeln ſich aus dem einzelligen Ei ebenfalls durch Zellteilungen; aber dieſe Zellen bleiben beieinander, ſie bilden einen Zellenſtaat; gegenſeitig aufeinander angewieſen, gehen ſie zugrunde, wenn ſie getrennt werden. Die wiederholten Zellteilungen führen hier nur zum Wachstum des Zellenſtaates und zur Ausgleichung der Verluſte, die durch Abnützung und Tod ſtark beanſpruchter Zellen entſtehen. Nur einzelne dieſer Zellen, die Geſchlechtszellen, ſind unter Umſtänden zu ſelbſtändigem Weiterleben fähig und bilden dann die Grundlage für ein neues Individuum. Von cytogener Fortpflanzung wurden zwei Formen unterſchieden, aber nicht nach Beſonderheiten der Zellteilung, ſondern nach einem hinzutretenden Moment, das mit der Fortpflanzung als ſolcher nichts zu tun hat, nach dem vorherigen Schickſal der Zelle, die ſich teilt. Dieſe Zelle iſt entweder unmittelbar aus einer Zellteilung hervorgegangen, oder ſie iſt dadurch entſtanden, daß zwei Zellen zu einer einzigen verſchmolzen ſind. Die Protozoen pflanzen ſich im allgemeinen durch Zellteilung fort, die ſich nach dem Heran— wachſen der Teilſtücke wiederholt. Zwiſchen zwei Teilungen aber kann ſich von Zeit zu Zeit eine Vereinigung zweier Individuen der gleichen Art einſchalten; ihre Zellkörper fließen zuſammen, ihre Kerne verſchmelzen, und die ſo entſtandene Zelle teilt ſich nach einiger Zeit wieder weiter. Solche Verſchmelzung heißt Kopulation; die verſchmelzen— den Zellen werden Gameten genannt, das Produkt der Verſchmelzung Zygote. Das Ein— treten einer Kopulation iſt die faſt allgemeine Regel bei der cytogenen Fortpflanzung der vielzelligen Tiere: die Vereinigung von Ei und Samenfaden, die ſogenannte Be— fruchtung des Eies, iſt nichts anderes als die Kopulation zweier Zellen. Daß die Zellen hier einander nicht gleichen, daß ſie geſchlechtlich differenziert find zu einer weib- lichen und einer männlichen Zelle, ſtellt nur einen beſonderen Fall vor und macht keinen grundſätzlichen Unterſchied. Man kann daher für die Fortpflanzung mit vorhergegangener Kopulation nicht allgemein die Bezeichnung geſchlechtliche Fortpflanzung verwenden, ſie paßt nicht für viele Protozoen, bei denen die kopulierenden Zellen keine Unterſchiede zeigen, wie Ei und Samenfaden. Daher wählen wir beſſer die Bezeichnung Gamo— gonie oder gametiſche Fortpflanzung. Die cytogene Fortpflanzung ohne vorhergegangene Kopulation heißt im Gegenſatz dazu Agamogonie oder agametiſche Fortpflanzung. a) Die eytogene Fortpflanzung bei den Einzelligen. Agamogonie kommt im Tierreich faſt ausschließlich bei den Protozoen vor, hier aber ganz allgemein; nur allerprimitivſte vielzellige Tiere, die Dicyemiden, haben dieſe Art der Fortpflanzung von den Protozoen herübergenommen. Als Beiſpiel dafür wollen Zweiteilung und Zerfallteilung von Protozoen. 449 wir eine Amöbe betrachten. Die Teilung der Zelle wird durch Vorgänge am Kern ein— geleitet. Im einfachſten Falle tritt eine Kernzerſchnürung ein: der Kern zieht ſich in die Länge und nimmt Bisquitform an; die beiden Kernhälften treten mehr und mehr aus— einander, und die ſie verbindende Brücke wird immer dünner, ſo daß die Form einer Hantel entſteht; ſchließlich zerreißt die Brücke, die beiden neuen Kerne entfernen ſich von— BER OS 902 Abb. 289. Teilung von Amoeba cerystalligera Grbr. mit Kernzerſchnürung. Nach Schaudinn. einander, und der Kernteilung folgt die Teilung des Zellkörpers durch eine immer tiefer einſchneidende Ringfurche. Jeder der beiden Teile iſt nun eine neue Amöbe, nimmt Nahrung auf, wächſt und teilt ſich nach Erreichung einer beſtimmten Größe aufs neue. Die obenſtehende Abbildung 289 zeigt dieſe Vorgänge bei einer meerbewohnenden Amöbe (A. erystalligera Grbr.). Nicht immer aber ge— ſchieht die Kernteilung ſo einfach: nicht ſelten tritt, auch bei Amöben, ein komplizierter Teilungs— mechanismus auf: es ordnet ſich die färbbare Subſtanz des Kernes in beſtimmter Weiſe an; mit ihr treten von zwei entgegengeſetzten Seiten her garben- oder ſpindelförmige Fibrillenbündel in Verbindung, und wahrſcheinlich durch Zug— wirkung dieſer Fibrillen wird die eine Hälfte jener Kernſubſtanz nach der einen, die andere Hälfte nach der anderen Seite befördert und dort entſteht wieder ein gewöhnlicher Kern daraus. Dieſe Art der Kernteilung, deren charakteriſtiſches Ausſehen wir in Abb. 333 Be ſehen und die uns ſpäter noch genauer be— n 3744 8 II 9 x Abb. 290. Schnitt durch eine in Zerfallteilung ſchäftigen wird, heißt mitotiſche, wohl auch begriffene Cyſte (Cyſtenwand nicht gezeichnet) indirekte Kernteilung (Mitoſe, Karyokineſe). — von Amoeba proteus Pall. q au £ 5 junge Amöben, 2 ebenſolche in Ablöſung begriffen, Der Teilung des Kernes in zwei braucht die 3 zerfallender Protoplasmareſt. Nach Scheel. Teilung der Zelle nicht gleich zu folgen; häufig kommt es bei Protozoen vor, daß ſich wiederholte Kernteilungen, ſeien es Zerſchnürungen, ſeien es Mitoſen, folgen, ſo daß zunächſt eine vielkernige Zelle entſteht; es grenzen ſich ſchließlich um die Kerne beſtimmte Bezirke des Protoplasmas ab, und dieſe löſen ſich als kleine Zellen voneinander los. Abb. 290 zeigt dieſe Erſcheinung für eine Amöbe unſeres Süßwaſſers, Amoeba proteus Pall.: es entſtehen alſo viele kleine Amöben aus einer großen. Obgleich der ganze Vorgang grundſätzlich nicht von der Zweiteilung verſchieden Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 29 450 Knoſpungsteilung. Iſogamie. iſt, hat er doch ein durchaus anderes Ausſehen: es tritt der Zerfall der Zelle in viele Teilſtücke auf einmal auf; man nennt dieſe Teilung daher Zerfallteilung. Amoeba pro- teus Pall. vermehrt ſich gewöhnlich durch Zweiteilung; dazwiſchen aber kann es zu ſolcher Zerfallteilung kommen, der eine Einkapſelung der Amöbe unter Abrundung ihres Körpers und Ausſcheidung einer feſten äußeren Hülle vorausgeht. Was für Verhältniſſe das Eintreten der Zerfallteilung veranlaſſen, iſt noch unbekannt. Bei der gewöhnlichen wie bei der Zerfallteilung ſind die Teilſtücke gleich groß. Es kommt aber auch vor, daß ſich die Zelle in zwei ſehr ungleiche Stücke teilt und das größere Stück dieſe Teilung öfter wiederholt. Es trennen ſich gleichſam Knoſpen von einem Individuum ab. Ein Beiſpiel einer ſolchen Knoſpungsteilung bei einem Sonnen— tierchen, Acanthocystis, zeigt die Abb. 291. Die eigentümliche Erſcheinung der Kopulation, wodurch die Gamogonie von der Agamogonie unterſchieden iſt, hat mit der Vermehrung unmittelbar nichts zu tun; ſie bedeutet im Gegenteil eine Verminderung der Individuenzahl. Auch hat dieſe Ver— ſchmelzung nicht notwendig eine beſchleunigte Folge von Tei— lungen in unmittelbarem Gefolge, häufig tritt ſogar gleich danach das Verſchmelzungsprodukt in einen Ruhezuſtand ein — aber wir werden unten ſehen, daß immerhin die Kopu— lation für die Erhaltung der Teilungsfähigkeit der Zelle von Wichtigkeit iſt und daher zur Fortpflanzung in gewiſſer Be— ziehung ſteht. Die urſprünglichen Zuſtände der Gamogonie begegnen uns wiederum bei den Protozoen: zwei Individuen, wie ſie im Laufe der gewöhnlichen Zweiteilungen entſtehen, können Abb 291 miteinander verſchmelzen. Die Gameten ſind in ſolchem Falle Knoſpungsteilung bei Acantho— = N i 255 A 8 eystis aculeata Hertw. Lesser. gleich groß, von völlig gleicher Beſchaffenheit, und heißen weiteres, in Abtrennung begriffen, denn daher Iſogameten; dieſe Art der Gamogonie heißt Iſogamie. vor der Zerſchnürung. Iſogamie kommt aber auch dann zuſtande, wenn gewöhnliche Nach Schaudinn. . EN 2 3 . 710150 Individuen vor der Kopulation in zahlreichere Teilſtücke zer— fallen und zwei ſolche gleich große Teilſtücke, gewöhnlich von verſchiedenen Individuen abſtammend, miteinander verſchmelzen. Für beide Fälle ſeien hier Beiſpiele angeführt. Das Sonnentierchen Actinophrys sol Ehrbg., das ſich auch durch gewöhnliche Zwei— teilung agametiſch fortpflanzen kann, zeigt zu gewiſſen Zeiten die Neigung zu kopulieren (Abb. 292). Zwei Individuen legen ſich aneinander, ziehen ihre Pſeudopodien ein und ums geben ſich mit einer äußeren Gallerthülle und einer beſonderen inneren Zyſtenhülle; inner— halb dieſer Hüllen bleiben ſie zunächſt noch getrennt, und mit ihnen geht eine merkwürdige Vorbereitung vor ſich: jedes ſchnürt auf mitotiſchem Wege zwei ſehr kleine Zellen ab; dieſe Zellen ſpielen keine Rolle weiter; es ſind die ſogenannten Polkörperchen, die wir ſpäter noch zu betrachten haben. Die beiden großen Zellen verſchmelzen danach, ihre Kerne vereinigen ſich, und aus den beiden Sonnentierchen iſt eines geworden, das inner— halb der Zyſtenhülle liegt. Alsbald aber teilt ſich deſſen Kern wieder, unter Umſtänden zweimal nacheinander; ſo entſtehen zwei oder vier Tochterindividuen, die ſich mit beſon— deren Zyſten umgeben, und nach einigen Tagen Ruhe ſchlüpft aus jeder von ihnen das junge Sonnentierchen aus, bildet wieder Pſeudopodien und lebt weiter. Für die Iſogamie mit vorhergehender Vermehrung der Individuen möge ein Geißel— tierchen, Stephanosphaera pluvialis Cohn, als Beiſpiel dienen. Stephanosphaera iſt Iſogamie. 451 ein koloniebildendes Flagellat aus der Gruppe der Volvocineen, von dem acht gleiche Einzelindividuen in einer faſt kugeligen Gallerthülle mit feſter Oberfläche zuſammenliegen. Die agametiſche Vermehrung geſchieht ſo, daß jedes Einzelindividuum durch drei auf— einander folgende Zweiteilungen in acht Teile zerfällt, die in einer gemeinſamen Hülle zuſammenbleiben und eine neue Kolonie bilden. Zuzeiten aber geht die Teilung aller Einzelindividuen weiter: es folgen ſich zahlreiche Zweiteilungen, ſo daß eine große An— zahl kleiner Geißeltierchen entſtehen; dieſe ſchwärmen aus und konjugieren mit anderen, gleich großen Individuen, die aus einer anderen Kolonie ſtammen. Die Zygote wächſt, kapſelt ſich dann ein und läßt nach einiger Ruhezeit durch drei aufeinander folgende Abb. 292. Kopulation des Sonnentierchens Actinophrys sol Ehrbg. Zwei freiſchwimmende Individuen legen ſich aneinander (4) und enzyſtieren ſich (5), indem fie ſich mit einer äußeren Gallert— hülle (7) und einer inneren Zyſtenhülle (8) umgeben. Ihre Kerne (7) teilen ſich in E mitotiſch zweimal nacheinander, und es kommt dadurch (D) zur Abtrennung je zweier kleiner Zellen (3), der ſogenannten Polkörperchen (in der Abb. iſt nur eines gezeichnet). Die verkleinerten Kerne (4) verſchmelzen in E zum kopulierten Kern (5), der ſich dann (T) mitotiſch teilt (6) und damit die Teilung der Zygote in zwei neue Individuen einleitet. Nach Schaudinn. Zweiteilungen wieder eine neue Kolonie aus ſich hervorgehen. Iſogamie im Zeugungs— kreis von Trichosphaerium sieboldi Schn. zeigt Abb. 330 IX XI. Bei ganz nahen Verwandten von Stephanosphaera, bei Eudorina elegans Ehrbg., finden wir eine andere Art von Gamogonie, die ein beſonderes Intereſſe bietet. Eudorina iſt eine kugelige Flagellatenkolonie, bei der 32 Einzelindividuen in der Wand einer Gallerthohlkugel gleichmäßig verteilt liegen. Wenn die einzelnen Individuen eine ge— wiſſe Größe erreicht haben, treten ſie gleichzeitig in Vermehrung ein und laſſen jedes durch fünfmalige Zweiteilung eine neue Kolonie von 32 Zellen entſtehen; die neuen Kolonien ſchwärmen dann aus der Hohlkugel der aufgelöſten Mutterkolonie aus; ſo die agametiſche Vermehrung. Die Gamogonie verläuft hier anders als bei Stephanosphaera. In einer Eudorina-Kolonie teilen ſich alle Individuen nicht nur in 32, ſondern in zahl— reichere und daher kleinere Teilſtücke. Dieſe ſchwärmen aus und dringen in andere, un— 29 * — 452 Heterogamie. veränderte Kolonien ein; dort verſchmilzt jedesmal ein ſolch kleines Teilſtück mit einem ungeteilten Individuum der Kolonie, das ſeine Geißeln eingezogen hat. Die Zygote bildet ſich dann innerhalb der Hohlkugel, wie bei der agametiſchen Fortpflanzung, in eine neue Kolonie um. Hier ſind alſo die Gameten ungleich; man unterſcheidet die großen, ungeteilten Individuen als Makrogameten, die kleinen als Mikrogameten; ihre Kopulation wird als Heterogamie bezeichnet. Die Verſchiedenheit der Gameten hat eine beſondere Bedeutung. Bei der Iſogamie ſchwärmen alle Gameten aus, um einen Paarling für die Kopulation zu ſuchen. Bei der Heterogamie dagegen behält im all— gemeinen nur der Mikrogamet die Bewegungsfähigkeit; das genügt ja, um die Kopu— lation zu bewerkſtelligen; der Makrogamet jedoch bleibt unbeweglich. Die Verkleinerung des einen Gameten erhöht einerſeits deſſen Beweglichkeit, andererſeits ermöglicht ſie die Bildung einer größeren Zahl von Gameten aus der gleichen Maſſe von Material; beides trägt dazu bei, die Begegnung von beiderlei Gameten und ſomit die Kopulation wahr— ſcheinlicher zu machen. Auf der anderen Seite kann der Makrogamet, wenn er nicht ausſchwärmen und einen Paarling ſuchen muß, viel maſſiger gebaut ſein; er behält die Größe bei, die er als Kolonialindividuum hatte, ja kann unter Umſtänden noch mehr heranwachſen. Dadurch wird die Zygote von vorherein größer, als das bei der Iſo— gamie meiſt der Fall iſt, und die aus ihr hervorgehenden neuen Individuen bzw. die Kolonie haben um ſo günſtigere Exiſtenzbedingungen. Es iſt alſo zwiſchen den beiden Gameten eine Arbeitsteilung eingetreten: auf der einen Seite Steigerung der Zahl und der Beweglichkeit auf Koſten des Umfanges, auf der anderen Vermehrung der Größe auf Koſten der Beweglichkeit. Während bei Eudorina der Größenunterſchied zwiſchen Makro- und Mikrogameten bedeutend iſt, gibt es auch andere Formen, wo er viel geringer iſt; bei der verwandten Pandorina z. B. ſind die beiderlei Gameten nur wenig verſchieden. So find alſo Iſo— gamie und Heterogamie durch eine Reihe von Zwiſchenformen verbunden. — Es wurde ſchon verſchiedentlich erwähnt, daß auch die Iſogameten, die miteinander verſchmelzen, von verſchiedener Herkunft ſind, alſo nicht in nahem Verwandtſchaftsverhältnis zuein— ander ſtehen. Bei Eudorina, wo in einer Kolonie nur Mikro- in anderen nur Makro— gameten entſtehen, iſt von vornherein die Konjugation von Gameten verſchiedener Her— kunft ſchon deshalb geſichert, weil nie Mikro- und Makrogameten mit ihresgleichen, ſon— dern ſtets die einen mit den anderen konjugieren. In intereſſanter Weiſe iſt die Heterogamie bei den Wimperinfuſorien abgeändert. Hier legen ſich zwei Individuen aneinander und verbinden ſich durch eine Plasmabrücke. Nach einer Reihe von vorbereitenden Vorgängen an den Kernen erfolgt in jedem der beiden Individuen eine Kernteilung; von den beiden Teilſtücken des Kernes wandert von jeder Seite das eine in den anderen Paarling hinüber und verſchmilzt mit dem dort verbliebenen Teilſtück des eben geteilten Kernes. Man bezeichnet dieſe Art der Kopu— lation als Konjugation. Dieſer Vorgang, der ſich als gegenſeitiger Austauſch je einer Kernhälfte darſtellt, kommt auf das gleiche hinaus, wie wenn jedes der beiden Individuen ſich in einen großen Makro- und einen ſehr kleinen Mikrogameten mit verſchwindend wenig Protoplasma teilte, und dieſer Mikrogamet mit dem andern Makrogameten kopulierte. Das dürfte wohl auch der Urſprung des ſonderbaren Vorgangs ſein. Nur wird durch dieſe Abänderung das Auftreten zahlreicher Mikrogameten, wie in anderen Fällen, überflüſſig; denn ein Aufſuchen des Makrogameten iſt nicht notwendig, der Mikrogamet kann ſeinen Weg nicht verfehlen. Das Zuſammentreten der Individuen wirkt darin wie Beſondere Fortpflanzungszellen bei Volvox. 453 die Begattung der Metazoen, die ebenfalls eine geringere Produktion von Mikrogameten, hier Samenfäden, ermöglicht. Zugleich iſt die Kopulation zwiſchen nicht unmittelbar verwandten Gameten auf dieſe Weiſe geſichert. Bei Stephanosphaera und Eudorina waren alle Individuen der Kolonie fähig, agametiſch eine neue Kolonie zu bilden, oder ſich an der Bildung einer ſolchen als Gameten zu beteiligen. Anders liegt die Sache bei einer nahe verwandten Form, bei Volvox (Abb. 13 S. 35). Auch Volvox bildet eine Hohlkugel, in deren gallertiger Wandung geißeltragende Einzelzellen von ähnlichem Ausſehen wie bei jenen eingebettet liegen: deren Zahl aber iſt viel größer, ſie beträgt bis 12000, ja nach anderer Berech— nung bis 20000. Alle dieſe Zellen ſind wie dort aus einer einzigen Mutterzelle durch fortgeſetzte Zweiteilung hervorgegangen. Aber ſie ſind nicht gleichwertig geblieben: ſie können nicht alle der Fortpflanzung dienen. Nur eine kleine Zahl der Zellen entwickelt ſich weiter, und dieſe liegen bei Volvox aureus Ehrbg. zu acht auf die eine Hälfte der Zellkugel beſchränkt: ſie wachſen an, ziehen ihre Geißeln ein und gleiten dann in den Binnenraum der Kugel. Man bezeichnet ſie als Parthenogonidien. Jede von ihnen bildet ſich durch Teilung in eine neue Zellhohlkugel um, die oft jo lange von der Mutterkugel umſchloſſen bleibt, bis auch in ihr ſelbſt wieder eine ebenſolche Vermehrung vor ſich geht. Neben dieſer agametiſchen Vermehrung kommt zeitweilig auch eine ſolche durch Gamogonie vor. Einzelne Individuen der Kolonie wachſen zu großen, in das Innere gelangenden Zellen aus, den Makrogameten, die ſich von den Parthenogonidien dadurch unterſcheiden, daß ſie, ähnlich wie oben für Actinophrys vor der Kopulation angegeben, ein Polkörperchen abſchnüren. In andern nicht zu ſolcher Größe gelangenden Zellen gehen zahlreiche Teilungen vor ſich; ſie zerfallen in kleine, geißeltragende Mikro— gameten. Dieſe ſchwärmen aus und kopulieren mit den Makrogameten. Entweder iſt die Bildung von beiderlei Gameten auf verſchiedene Volvox-Kugeln verteilt, z. B. bei V. aureus Ehrbg., oder aber, wenn ſie in der gleichen Kolonie ſtattfindet, wie bei V. globator St., ſchwärmen die Mikrogameten ſchon aus, ehe die Makrogameten derſelben Kolonie ihre volle Entwicklung erlangt haben. Damit iſt alſo eine Kopulation von Gameten gleicher Herkunft erfolgreich verhindert. b) Die eytogene Fortpflanzung bei den Vielzelligen. ) Eier und Spermatozoen. Bei den vielzelligen Tieren kann die Kopulation natürlich nur mit dem einzelligen Zuſtande verknüpft ſein, der bei der cytogenen Fortpflanzung den Ausgangspunkt der Entwicklung bildet; bei den vielzelligen Zuſtänden bei der vegetativen Fortpflanzung iſt Konjugation ausgeſchloſſen. Wir finden hier nirgends Iſogameten; die Arbeitsteilung zwiſchen den Gameten iſt überall, und zwar in weitgehendſtem Maße, durchgeführt. Die Makrogameten oder, wie ſie hier heißen, Eier ſind auch dort, wo ſie verhältnismäßig klein ſind, große Zellen im Vergleiche zu den übrigen Körperzellen und können in manchen Fällen das Vieltauſendfache der Ausmaße gewöhnlicher Zellen erreichen; ſie ſind in den meiſten Fällen unbeweglich. Die Mikrogameten dagegen ſind klein, im Vergleiche zu den Eiern winzig, und haben ſtets Vorrichtungen, die eine mehr oder weniger leb— hafte Bewegung geſtatten; ſie heißen Samenkörper oder Spermatozoen (Spermien). Als Beiſpiel für den Größenunterſchied der beiderlei Gameten ſeien die Verhältniſſe beim Menſchen angeführt: das menschliche Ei hat im Durchſchnitt 0,003 mms (30 Millionen u?) 454 Geſchlechter. Inhalt, das Spermatozoon nur etwa 12,5 u?; jenes iſt alſo mehr als 2 Millionen mal ſo groß. Die größten Eier, etwa das Eigelb des Straußeneies, ſind unendlich viel größer; die größten Spermatozoen erreichen zwar eine bedeutende Länge — fie meſſen bei einem Muſchelkrebschen 5—7 mm, bei dem ſüdeuropäiſchen Froſchlurch Discoglossus pietus Otth. 2½ mm —, find aber ganz dünn fadenförmig, jo daß ihre Maſſe immer— hin unbedeutend iſt. Eier und Spermatozoen ſtellen jedes eine einzige Zelle vor; ihre Vereinigung, die Befruchtung des Eies, iſt nichts anderes als eine Kopulation. Die Individuen, in denen Eier ausgebildet werden, bezeichnet man bei den Meta— zoen allgemein als weiblich, diejenigen, in denen Spermatozoen entſtehen, als männlich. Aber es gibt auch Fälle, wo beiderlei Gameten im gleichen Individuum entſtehen, wie bei unſeren Landſchnecken oder Regenwürmern; dann ſpricht man von Zwittern oder Hermaphroditen. Die Bezeichnungen weiblich und männlich könnte man auch auf jene Eudorina-Kolonien und Volvox-Kugeln (V. aureus Ehrbg.) anwenden, die nur Makro— oder nur Mikrogameten hervorbringen, ebenſo wie man Volvox globator St,, der beides zugleich enthält, Zwitter nennen kann. Die Verſchiedenheit der „Geſchlechtsprodukte“, wie man hier die Gameten nennt, bildet den Grundunterſchied zwiſchen männlichen und weiblichen Individuen und bei vielen niederen Tieren den einzigen Unterſchied. Es beſteht zwiſchen den beiden Geſchlechtern wohl eine Arbeitsteilung, aber kein Gegenſatz, ähnlich dem zwiſchen poſitiver und negativer Elektrizität, wie es die Naturphiloſophen wohl aus— drückten. Bei zwei kopulierten Heliozoen kann man nicht jagen, die eine Zelle ſei männlich, die andere weiblich. Der allmähliche Übergang von Iſogameten zu Makro— und Mikrogameten aber, den wir in der oben vorgeführten Beiſpielreihe wahrnehmen, macht es von vornherein wahrſcheinlich, daß auch da, wo die Unterſchiede zwiſchen den beiderlei Geſchlechtszellen als ſehr große erſcheinen, ſie doch nur äußerlich ſind und ſich durch die Arbeitsteilung erklären, daß aber Weſensunterſchiede nicht beſtehen. Wir werden ſpäter auf anderem Wege zu dem gleichen Ergebnis kommen. So ſind auch die Unterſchiede zwiſchen den Trägern der beiderlei Geſchlechtsprodukte, zwiſchen Weibchen und Männchen, die bei den höheren Tieren oft ſo bedeutend ſind, erſt allmählich in der Tier— reihe ausgebildet. Jedes Ei ſtellt eine Zelle vor; während dies bei kleinen Eiern ohne weiteres deut— lich iſt, läßt es ſich durch die Unterſuchung der Entwicklung auch dort nachweiſen, wo es durch die mächtige Maſſenentwicklung zweifelhaft erſcheinen könnte. Die Eier ſind meiſt rund oder oval, ſeltener von anderer Geſtalt. An kleinen Eiern erkennt man leicht die Teile einer Zelle: ihr Protoplasmakörper enthält einen großen Kern, in dem gewöhnlich ein Kernkörperchen ſichtbar iſt; man findet für dieſe Teile häufig noch die alten Be— zeichnungen Dotter, Keimbläschen und Keimfleck gebraucht. Die Keimzellen, durch deren Wachstum die Eier entſtehen, ſind anderen Körperzellen an Größe meiſt nicht viel über— legen. Kleine Eier haben durchaus protoplasmatiſchen Inhalt. Die bedeutende Größen— zunahme jo vieler Eier beruht auf der Ablagerung von Nährmaterial, „Nahrungsdotter“, im Zellkörper; dieſes beſteht teils in Eiweißkörpern, teils in fettartigen Stoffen, von denen jene entweder als ungeformte Maſſen oder in Geſtalt von Dotterplättchen, dieſe als Tropfen, zuweilen von bedeutender Größe, auftreten. Das Wachstum ſolcher Eier wird meiſt durch die Tätigkeit von Hilfszellen befördert; ſie unterſtützen das Ei teils durch Aſſimilation der von den Verdauungsorganen gelieferten Nährſtoffe, die ſie ihm in vorbereitetem Zuſtande übermitteln, teils wird ihre eigene Maſſe als Nahrung für das Ei verwendet. Bei kleineren Eiern fehlen ſolche Hilfszellen meiſt; bei dem kleinen Zahl der Eier. 455 Säugerei, wo fie auftreten, ſtammt ihr Vorhandenſein von Ahnen her, die dotterreiche Eier produzierten, wie das die übrigen Wirbeltiere und unter den Säugern die Kloakentiere jetzt noch tun. Die Hilfszellen ſind in vielen Fällen ebenfalls Keimzellen, Geſchwiſterzellen der Eier, zu deren Gunſten ſie benachteiligt werden; zuweilen treten aber auch andere Zellen in den Dienſt der Eier, wie z. B. die Follikelzellen der Inſekteneiröhren (Abb. 7 A S. 30). Die Zahl der Eier ſteht im engſten Zuſammenhang mit den Lebensverhältniſſen des betreffenden Tieres. Je günſtiger die Ausſichten für das Davonkommen der Brut ſind, deſto geringer braucht die Zahl der Eier zu ſein. Je größer der Dottergehalt eines Eies iſt, um jo weiter kann ſich der Embryo auf Koſten des mitgegebenen Vor— rats entwickeln; er iſt dann, wenn er ſelbſtändig auf die Nahrungsſuche geht, ſchon kräftiger, kann unter Umſtänden länger hungern, vermag ſich ſeine Nahrung ſicherer zu verſchaffen und feindlichen Nachſtellungen leichter zu entgehen. Daher ſind in ſolchen Fällen weniger Eier nötig, um die Erhaltung der Art zu ſichern, als wenn die Eier klein und dotterarm ſind. So bringt der Flußkrebs, deſſen Eier verhältnismäßig groß ſind, deren nur etwa 100 —300 auf einmal; vom Hummer mit kleineren Eiern liefert ein jüngeres, mit dem Flußkrebs vergleichbares Exemplar von 20 em Länge etwa 4800 Eier; oder die Forelle (Salmo fario L.) bringt 500 —2000 erbſengroße Eier, die verwandte kleine Maräne (Coregonus albula L.) von faſt gleicher Größe legt etwa 10000 Eier von 2 mm Durchmeſſer. Dort, wo Brutpflege das Gedeihen der Jungen ſicherer macht, it die Zahl der Eier geringer: jo legt der Stichling (Gasterosteus), deſſen Männchen die in einem Neſt untergebrachten Eier bewacht, deren nur 80 —- 100; die Groppe (Cottus gobio I.), bei der die Eier in einer vom Männchen geſcharrten und verteidigten Grube geborgen werden, legt deren 1001000; Fiſche dagegen, die ihre Eier frei an Pflanzen und Steinen ablegen, haben viel größere Eizahlen: der Schlamm— peitzger (Cobitis fossilis L.) 100 —150 Tauſend, der Karpfen 2—7 Hunderttauſend, die Aalraupe (Lota lota L.) bis 1 Million. Allerdings ſind die Eier der Fiſche mit geringerer Eizahl größer; immerhin dürfte aber die Stoffleiſtung bei ihnen im ganzen doch ge— ringer ſein; ſie wird gleichſam abgekauft durch körperliche Arbeit bei der Brutpflege. Ein Beiſpiel aus der Inſektenwelt zeigt das gleiche; die brutpflegende Holzbiene (Xylo- copa violacea Lep.) legt 10 — 12 Eier, die Nonne (Liparis monacha L.) deren etwa 150. Wo die Brut im Laufe der Entwicklung großen Fährlichkeiten ausgeſetzt iſt, können nur Arten mit zahlreichen Eiern fortbeſtehen. Das ſehen wir überall bei den Binnen— ſchmarotzern, wo nur ein ganz geringer Bruchteil der Nachkommen wieder den Weg in einen Wirt findet und ſomit zur Reife gelangt: der Menſchenſpulwurm (Ascaris lum- brieoides L.) z. B. fol nach Eſchrichts Berechnung jährlich 64 Millionen Eier ab— legen. Allerdings finden ſich dieſe Tiere unter den denkbar günſtigſten Ernährungs— bedingungen, ſo daß ihnen die ſtoffliche Leiſtung leicht wird. Wie reichliche Nahrung die Eimenge beeinflußt, zeigt die Bienenkönigin, die während ihres Lebens etwa 40—50 Tauſend Eier hervorbringt; gut gehaltene Hühner können es bis zu 247 Eiern im Jahre bringen, während ſonſt kaum ein Vogel mehr als 30 Eier jährlich legt. Die abgelegten Eier beſitzen verſchiedenartige Hüllen, die ihnen gegen allerhand Fährlichkeiten Schutz bieten. Soweit die Eier ihre Entwicklung im Innern des mütter— lichen Körpers durchmachen, oder durch das Muttertier in lebende tieriſche oder pflanz— liche Gewebe untergebracht werden, wie bei Schlupfweſpen oder gallenerzeugenden Tieren, bedürfen ſie nur geringen Schutzes und haben nur weiche Hüllen. Mehr gefährdet ſind ſie bei der Ablage in Waſſer oder in feuchten Boden, wo ſie von großen und kleinen 456 Eihüllen. Freſſern bedroht werden. Wenn die Eier dagegen im Trocknen untergebracht werden, ſo müſſen ſie auch noch gegen Austrocknen, gegen mechaniſche Schädigungen, oft auch gegen Temperaturſchwankungen geſchützt werden. Eier, die der Hüllen ganz entbehren, ſind ſelten; gewöhnlich haben ſie wenigſtens eine Zellmembran, hier als Dotterhaut be— zeichnet, die von ihnen ſelbſt abgeſchieden wird. Eine ſolche fehlt nur den Eiern der Schwämme, mancher Coelenteraten und einiger Muſcheln. Sie kann bei manchen Tieren ziemlich ſtark ausgebildet ſein und die einzige Hülle bilden: ſo bei den Eiern vieler niederer Waſſertiere; das gilt vielfach auch für die ſtarke Zona radiata des Fiſcheies. — Kräftiger find gewöhnlich die Hüllen, die von den umgebenden Zellen, den Follikelzellen, ſchon im Eierſtock dem Ei ſekundär aufgelagert werden; man nennt ſie Chorion. Zu dieſen ſekundären Hüllen gehören die der Krebseier und der Inſekteneier, welch letztere oft eine erſtaunliche Härte erreichen und ſich oft durch zierliche Felderung oder Beſtachelung auszeichnen (Abb. 293). — Schließlich werden dem Ei auf ſeinem Wege nach außen noch weitere Hüllen beigegeben, die ihren Urſprung der drüſigen Wandung der Eileiter oder anhängenden Drüſen verdanken. Solche tertiäre Hüllen ſind z. B. die Gallertſchicht, von der die Eier der Froſchlurche, der Tritonen und mancher Fiſche umgeben und oft zu 1 zuſammenhängenden Laichmaſſen verklebt ſind, die Gallert- ER hüllen der Eier unſerer Teich- und Tellerſchnecken (Limnaea, Planorbis) oder die Schleimmaſſen, die den im Waſſer liegenden Laich mancher Inſekten (Köcherfliegen, Schnafen) einſchließen. Im Vogelei entſpricht nur die gelbe Kugel in der Mitte, der ſogenannte Dotter, dem Eierſtockei und 1 © DZ L 8 K | — \ ift von einer Zellhaut umgeben; Eiweiß und Schale ent- — >) Stehen im Eileiter, ſind alſo tertiäre Hüllen, ebenſo bei IA den Reptilien; auch bei vielen Selachiern wird das Ei im Abb. 293. Oberer Eipol des Kron- Eileiter mit Eiweiß und einer hornartigen Schale verſehen, mit Mecſteuteer der Cbarionoberſtache und auch die Eier unſerer Landſchnecken find mit beidem und Mikropylapparat (2). verſorgt. Das beigegebene Eiweiß iſt ein Nahrungsvorrat Nach Leuckart. A 0 für die Embryonen. Drüſenkomplexen, die im Eileiter oder an der Ausmündung des weiblichen Ge— ſchlechtsapparates ſtehen, verdanken meiſt auch jene Hüllen ihr Daſein, die als Kokons eine ganze Anzahl von Eiern und dazu oft Nährmaſſe oder Nährzellen einſchließen: ſo bei den Strudelwürmern und Saugwürmern, ſo die Eikapſeln mancher Inſekten, wie der Gottesanbeterin (Mantis) oder der Küchenſchabe. In eigentümlicher Weiſe werden die Kokons bei den Regenwürmern und den übrigen Oligochaeten und bei den Egeln ge— bildet. Hier bildet ſich zur Zeit der Geſchlechtsreife die Oberfläche einer Reihe von Körperringeln zu einem drüſigen Ring um, der durch ſeine Verdickung auffällt, dem ſo— genannten Gürtel (Clitellum); zur Eiablage ſondert das Tier eine röhrenförmige Sekret— maſſe ab, zieht ſich aus dieſer ſo weit zurück, bis ſie die Gegend der Eileitermündung umſchließt und dort die Eier aufnimmt, und entleert dann beim weiteren Herausſchlüpfen die Spermatozoen aus den Samentaſchen über die Eier; ſchließlich zieht es ſich ganz heraus, wobei die offenen Enden der Röhre ſich durch die Elaſtizität ihrer Maſſe ſchließen. Die Abb. 294 zeigt einen meerbewohnenden Egel, Pontobdella muricata Lam,, bei Bildung des Kokons, der hier auch noch der Unterlage angeklebt wird. Wo ſchon im Eierſtock eine feſtere Hülle, ſei es als Zellhaut oder als Chorion, um das Ei gebildet wird, da würden die Spermatozoen nicht zur Kopulation mit dem Spermatozoön. 457 Ei gelangen können, wenn nicht hierfür eine beſondere Eingangspforte in der Hülle be— ſtände; dieſe nennt man Mikropyle. Mikropylen in der Zellmembran begegnen uns bei Weichtieren (z. B. Muſcheln), manchen Stachelhäutern (Holothurien) und vielen Fiſchen; Mikropylen im Chorion beſitzen z. B. die Eier der Tintenfiſche und vor allem die hart— ſchaligen Eier der Inſekten, bei denen zuweilen mehrere Kanäle dicht beieinander die Ei— ſchale durchſetzen. Tertiäre Eihüllen enthalten keine Mikropylen; ſie ſind entweder für die Spermatozoen leicht zu durchbohren wie die Gallerthüllen der Froſcheier, oder ſie um— ſchließen das Ei erſt, nachdem die Befruchtung Schon vollzogen iſt, wie beim Vogelei. Wie das Ei ſo ſtellt auch das Spermatozoon eine einzige Zelle vor; aber das läßt ſich bei dem fertigen Spermatozoon meiſt nicht unmittelbar erkennen; es iſt dazu die Unterſuchung früherer Entwicklungsſtufen notwendig. Die Mehrzahl der Spermatozoen iſt fadenförmig — deshalb die Bezeichnung Samenfäden. Man kann an ſolchen drei Teilſtücke unterſcheiden, den Kopf, das Mittelſtück und den Schwanz. Der Kopf enthält den Kern und beſteht faſt ganz aus Kernſubſtanz, wohl mit einem dünnen Überzug von Protoplasma. Im Mittelſtück iſt das Zentralkörperchen enthalten, ein Gebilde, deſſen Bedeutung wir ſpäter noch kennen lernen. Der Schwanz beſteht aus Protoplasma und enthält im Innern einen Achſen— faden, der ſich aus einzelnen Fibrillen zuſammenſetzt; die Beweglichkeit des Schwanzes beruht auf dieſen fibrillären Bildungen. Durch Schlängelung des Schwanzes wird der Samenfaden vor— wärts getrieben in der Weiſe, wie das oben für die Schlängelungsbewegung allgemein geſchildert wurde. Oft auch (3. B. bei man— chen Inſekten, Schwanzlurchen, Vögeln) Abb. 2 4 Pontob della murieata Lam. beider Eiablage. trägt der Schwanz einen leicht krauſen. e r Gete . prertger Zelot, e bee förmig aufgefaßten Saum, über welchen Bewegungswellen entlang laufen, eine undulierende Membran; ihr Rand wird von einer kontraktilen Randfaſer gebildet, und deren Zuſammenziehungen bewirken wahrſcheinlich die Wellenbewegungen der Membran; in folchem Falle iſt dann die Achſenfaſer ſtarr, und die Fortbewegung des Spermatozoons wird nur durch die Membran bewirkt. Die Bewegungs— weiſe wird natürlich durch die geſamte Geſtalt des Spermatozoons, durch das Längen— verhältnis bon Kopf und Schwanz und durch die Geſtalt des Kopfes in beſtimmter Weiſe beeinflußt. — Nicht fadenförmig find die Spermatozoen bei den Fadenwürmern, manchen Krebſen (Abb. 23 S. 53), den Spinnen, Milben und Tauſendfüßern; ihre Be— weglichkeit iſt vielfach beſchränkt, und ſie werden ſtets paſſiv an den Platz ihrer Be— ſtimmung befördert, ſo daß nur Bewegungen auf kurze Strecken zur Erreichung des Eies und zur Kopulation mit ihm notwendig ſind. Die Formenmannigfaltigkeit der Spermatozoen iſt ungeheuer; es wurde ſchon oben (S. 52) darauf hingewieſen, daß ihre Geſtalt nicht bloß für die Gattungen, ſondern oft ſelbſt für die Arten charakteriſtiſch iſt. Die Längen- und Dickenverhältniſſe der einzelnen Abſchnitte variieren ſehr; beſonders aber zeigt der Kopf eine unerſchöpfliche Fülle wech— ſelnder Bildungen: bald iſt er kugelförmig oder zylindriſch, bald zugeſpitzt, zuweilen breit und zugeſchärft, manchmal dolchförmig, andere Male löffelartig ausgehöhlt oder 458 Beziehungen zwiſchen Ei und Spermatozoon. ſchaufelförmig, bei manchen Froſchlurchen (Discoglossus) und Selachiern pfropfenzieher— artig, bei den Singvögeln durch eine Spiralleiſte zu vollkommenſter Schraubenähnlichkeit geſtaltet. Es mag davon gar manches gleichgültige Variation ſein; immerhin aber läßt ſich der Gedanke nicht von der Hand weiſen, daß viele dieſer Eigentümlichkeiten eine Anpaſſung an das bohrende Eindringen in das Ei vorſtellen, und daß das Spermato— zoon einer Art zu dem zugehörigen Ei paßt wie der Schlüſſel zu einem beſtimmten Schloß. Das würde uns eine einleuchtende und faßliche Erklärung dafür bieten, warum die Baſtardierung auch verwandter Formen meiſt ſo überaus ſchwierig iſt. Leider iſt, wie der beſte Kenner des Baues der Spermatozoen, Ballowitz, verſichert, bisher noch in keinem Falle der Nachweis geführt, daß die „beſondere Form durch die beſonderen Verhältniſſe, unter welchen der betreffende Samenkörper an und in das zu befruchtende Ei gelangt, mechaniſch bedingt wird“. Wir wiſſen alſo nicht, ob ſolche mechaniſchen Beziehungen vorhanden ſind. Wenn ſie aber in der Tat exiſtieren, ſo ſind ſie ſicher nicht die einzigen, ſondern es gibt noch phyſiologiſche Beziehungen komplizierter Natur zwiſchen Ei und Spermatozoon der gleichen Art, die die Vereinigung beider begünſtigen, das Eindringen eines fremden Spermatozoons in das Ei jedoch verhindern. J. Loeb hat bei Baſtardierungsverſuchen gefunden, daß die Spermatozoen der Seeſterne und Schlangenſterne in normalem See— waſſer überhaupt nicht oder nur äußerſt ſelten in die Eier von Seeigeln eindringen, daß ſie aber mit dem Ei wie ein zugehöriges Spermatozoon kopulieren, wenn dem See— waſſer beſtimmte geringe Mengen Kalilauge zugeſetzt werden, und daß das Wirkſame dabei die in der Kalilauge enthaltenen Hydroxylionen ſind. Es muß alſo hier die phy— ſiologiſche Natur der betreffenden Geſchlechtsprodukte geändert werden, und zwar, wie Godlewski wahrſcheinlich macht, hauptſächlich die der Eier, um eine Baſtardierung zu ermöglichen. Die zugehörigen Spermatozoen haben daher vor fremden normalerweiſe das Übergewicht; ſo hat Lang die Erfahrung gemacht, daß bei Paarung einer Garten— ſchnecke (Helix hortensis Müll.) mit einer Hainſchnecke (H. nemoralis L.), die ſchon von früher her Samen der eigenen Art in ihrer Samentaſche enthielt, die Eier ausſchließlich von dem Samen der eigenen, nicht von dem jüngeren Samen der fremden Art be— fruchtet werden. Die Maſſe der produzierten Spermatozoen oder, wie man kurz ſagt, des Samens oder Spermas, iſt verſchieden. Ihre Zahl übertrifft natürlich die der Eier ungeheuer. Denn ſie müſſen das Ei aufſuchen, damit es zur Kopulation kommt, und die weit über— wiegende Mehrzahl wird dabei das Ziel verfehlen und zugrunde gehen; die Befruchtung der Eier iſt alſo nur dann geſichert, wenn ein großer Überſchuß von Spermatozoen vor— handen iſt. So hat man berechnet, daß der Menſch während ſeiner zeugungsfähigen Jahre ungefähr 340 Billionen Samenfäden hervorbringt, das macht auf jedes der etwa 400 Eier, die beim Weib während ſeines Lebens reifen, 850 Millionen Spermatozoen. Im übrigen hängt die Maſſe des Samens auch von der größeren oder geringeren Ge— fahr ab, der die Spermatozoen auf dem Wege zum Ei ausgeſetzt find. Bei jenen Tieren, wo ſie einfach „auf gut Glück“ in das Waſſer entleert werden und die Eier dort aufſuchen müſſen, iſt die Maſſe der Hoden nahezu ebenſo groß wie die der Eierſtöcke, ſo bei den Coelenteraten, den Stachelhäutern, dem Hering. Wo jedoch für die Sper— matozoen die Möglichkeit, ihren Weg zu verfehlen, beſchränkt iſt, da ſind geringere Mengen nötig: beim Lachs, der ſeinen Samen an die Stelle entleert, wo das Weibchen die Eier abgelegt hat, betragen die Hoden 3,3%, die Eierſtöcke 23,3% des Körper— Diffuſe und lokaliſierte Ei- und Samenbildung. 459 gewichtes, alſo ſiebenmal ſoviel; beim Grasfroſch, der ſeinen Samen unmittelbar auf die austretenden Eier ſpritzt, wiegen die reifen Hoden 1,1%, die Eierſtöcke 34,8%, alſo das 30 fache, bei der Kröte mit 0,36% Hoden- und 18,5% Eierſtockgewicht ſogar das 50 fache; beim Sperling mit innerer Begattung macht der reife Hoden 2% des Körper— gewichts, und die im Jahre gelieferte Eimaſſe 120% q das wäre das 60 fache! Warum beim Regenwurm und Blutegel, obgleich hier Begattung ſtattfindet, die Maſſe der Hoden ſo viel größer iſt als die der Eierſtöcke — der Regenwurm hat zwei Paar Hoden, der Blutegel gar 9—10 Paar auf ein Paar Ovarien — bedarf noch der Auf— klärung. 6) Die Gonaden. Wie bei Volvox globator St. die Gameten über die ganze Oberfläche der Kugel verſtreut entſtehen, jo gibt es auch niedere Metazoen, wo fie ſich überall im Körper bilden können; man ſpricht dann von einer diffuſen Ei- und Samenbildung. Solche kennen wir hauptſächlich bei Schwämmen; im Schwammparenchym werden Zellen, die ſich in nichts von den amöboid beweglichen Parenchymzellen unterſcheiden, zu Keimzellen und wachſen entweder zu Eiern aus oder teilen ſich zu Spermatozoen auf. Auch bei manchen Coelenteraten (3. B. Hydroidpolypen) kennt man eine diffuſe Entſtehung der Keimzellen, die ſich dann aber durch amöboide Bewegung an beſtimmten Stellen anſammeln; bei anderen aber bilden ſie ſich gleich am endgültigen Platz aus, und dies ſcheint hier das urſprünglichere Verhalten zu ſein, während die diffuſe Entſtehung wohl darauf zurück— zuführen iſt, daß ſie ein ſchnelleres Reifen der Keimzellen befördert. Bei den Platt— würmern liegen die Anhäufungen der Keimzellen zwar an beſtimmten Stellen im Paren— chym, ſind aber oft nicht ſcharf gegen die Umgebung abgeſondert und bilden noch keine ſtreng lokaliſierten Organe. Die übrigen Metazoen jedoch haben ſtets beſondere, be— ſtimmt gelegene und ſcharf umgrenzte Keimdrüſen, Gonaden. In dieſen liegen dann ent— weder die Keimzellen zu kompakten Haufen beiſammen, wie bei den Ringelwürmern und den meiſten Gliederfüßlern; oder ſie ſind flächenhaft in der Wand von Säcken oder auf der Oberfläche von Bindegewebspolſtern verteilt, wodurch ſie den Vorteil ausgiebigerer Ernährung genießen. Solche Sackgonaden ſind bei den Stachelhäutern, Weichtieren und Amphioxus, Polſtergonaden bei den Wirbeltieren zu finden. — Bei den Coelente— raten entſtehen die Geſchlechtsprodukte teils im äußeren (Hydrozoen), teils im inneren Keimblatt (Scyphozoen). Bei den übrigen Metazoen dagegen iſt ihre Entſtehung auf das mittlere Keimblatt beſchränkt; wo eine ſekundäre Leibeshöhle vorhanden iſt, nehmen die Gonaden ihren Urſprung ſtets aus deren Epithel. Die einfachſte Art, die Geſchlechtsprodukte aus den Gonaden herauszubefördern, iſt die Entleerung der Samenfäden in das umgebende Waſſer, wo ſie entweder die Eier an ihren Bildungsſtätten aufſuchen, wie bei den Spongien, oder den ebenfalls ins Waſſer entleerten Eiern begegnen. Dann bedarf es keiner beſonderen Vorrichtung des aus— führenden Apparates: bei den Coelenteraten werden die Geſchlechtsprodukte frei durch Berſten der Epithelſchicht, die die Gonaden überzieht; bei den Stachelhäutern mündet jede Gonade geſondert nach außen; bei den meerbewohnenden Ringelwürmern enthält jedes Segment, in dem Gonaden vorhanden ſind, urſprünglich ein Paar beſondere Aus— führungskanäle, die ſich mit einem Trichter in die Leibeshöhle öffnen und die dort be— findlichen reifen Eier bzw. Spermatozoen aufnehmen und ausleiten; fie können ſich mit den Nephridien zu einheitlichen Organen verbinden. Wo aber das Sperma nicht be— liebig entleert, ſondern an einen beſtimmten Platz befördert werden muß, ſei es auf die 460 Ausführgänge der Gonaden. friſch abgelegten Eier, ſei es äußerlich an den mütterlichen Körper oder in dieſen hinein, da münden überall, wo mehrere Gonadenpaare vorhanden ſind, dieſe nicht mehr geſondert nach außen, ſondern es ſind gemeinſame paarige Leitungswege vorhanden, die ſich viel— fach noch vor ihrer Ausführung miteinander verbinden: ſo iſt es bei den Plattwürmern, ſo bei den Regenwürmern und den übrigen Oligochaeten und bei den Egeln; auch die Inſekten kann man hierher rechnen, deren Gonaden zwar einheitlich ſind, aber in ihrer Entwicklung zu den ſegmentalen Coelomſäcken des Embryos in Beziehung ſtehen und wohl auf zahlreiche, urſprünglich getrennte ſegmentale Paare zurückzuführen ſind. Wo nur eine Gonade oder ein Paar ſolcher vorhanden iſt, wie bei den Mollusken und den Wirbeltieren, da ergibt ſich die Ein— heitlichkeit der ausführenden Gänge von ſelbſt. Die Gonaden der Wirbeltiere haben ſich den Exkretionsorganen angeſchloſſen und die Geſchlechtsprodukte werden durch deren Gänge nach außen geleitet. Nur bei dem Haifiſch Laemargus fallen Eier | und Samenfäden in die Leibeshöhle und gelangen durch einen abdominalen, hinter dem After gelegenen Porus derſelben nach außen; bei manchen Knochenfiſchen (Sal— moniden, Aalartigen) werden wenigſtens die Eier auf dieſe Weiſe ausgeleitet, während bei den übrigen Knochenfiſchen das leiſtenförmige Polſter, das die Grund— lage des Eierſtocks bildet, ſich jederſeits zu einem Sack zuſammenwölbt, der hinter dem After ausmündet. Bei den übrigen Wirbeltieren werden überall die Ge— Abb. 295. Spermatophoren ſchlechtsprodukte durch Teile der Urniere A eines Rollegels (Glossisiphonia heteroclita ) Aber ausgeführt: die Eier ſtets durch einen vom Weinbergſchnecke (Helix pomatia L.), C eines Tintenfiſches : 3 > Sepia offieinalis E), D einer Krabbe (Porcellana Urnierengang abgeſchnürten Kanal, den ee en en ſogenannten Müllerſchen Gang, der ſich Wag Brumpk; Meifenheimen; bald dee, mit freier, flimmernder Minden Leibeshöhle öffnet und die dahinein fallen— den reifen Eier aufnimmt. Der Hoden dagegen hat ſich mit dem vorderen Teile der Urniere verbunden, und der Urnierengang iſt dadurch überall dort der gemeinſame Ausführgang für Harn und Samen, wo die Urniere zugleich noch dauernd als Exkretionsorgan (vgl. S. 410 ff.) tätig iſt; bei den Reptilien, Vögeln und Säugern aber iſt die Urniere ganz in den Dienſt des Samentransportes getreten, nachdem die Exkretion von der Nachniere über— nommen iſt. Mit den Exkretionsorganen gewinnt der Geſchlechtsapparat die Ausmündung in den Enddarm, der damit zur Kloake wird; erſt bei den Säugern iſt eine Trennung des Darmes und des Urogenitalſyſtems durchgeführt, die Verbindung mit dem Harn— apparat aber iſt geblieben: „inter faeces et urinam nascimur“. Spermatophoren. 461 Im Endabſchnitt der Ausführgänge des männlichen Geſchlechtsapparates finden ſich häufig drüſige Abſchnitte, durch deren Tätigkeit Samenmaſſen in eine Sekrethülle ein— geſchloſſen und ſo zu Samenkokons, ſoge— nannten Spermatophoren (Abb. 295) ver— einigt werden; die Spermotophorenhüllen bilden dann den genauen Ausguß des oft kompliziert geſtalteten drüſigen Abſchnittes. Auf ſolche Weiſe werden die Spermatozoen vor ſchädlichen Einwirkungen geſchützt, wenn ſie äußerlich dem Körper des Weibchens angeheftet werden (vgl. Abb. 1300, S. 204); ſeltener werden die Spermatophoren un— mittelbar in die weibliche Geſchlechtsöffnung eingeführt. Solche Spermatophoren werden bei Strudelwürmern und Egeln gebildet; edi bei den Lungen d e Sumenttäner bon 118 valgarıe Ta, ſchnecken; bei den Tintenfiſchen beſitzen ſie A von hinten, 3 von der Seite mit der Spermatophore 1. 8 . . 5 fach vergrößert. Nach Zeller. einen komplizierten Bau; einfach dagegen ſind ſie bei den Krebſen geſtaltet; höchſt „kunſtvolle“ Gebilde ſind die in der Kloake ge— bildeten glockenförmigen Gebilde der Waſſermolche (Abb. 296), die einem Samenpaket als Sockel dienen. y) Die Einleitung der Befruchtung. Die Befruchtung der Eier durch Entleerung des Samens frei nach außen kann nur im Waſſer ſtattfinden; ſie iſt bei einer Reihe von Waſſertieren verbreitet: Schwämmen, Coelenteraten, Stachelhäutern, Muſcheln, Meeresringelwürmern, Manteltieren, Amphioxus und den meiſten Fiſchen mit Ausnahme der Selachier; Landbewohner, die in dieſer Weiſe ihre Geſchlechtsprodukte entleeren, müſſen dazu das Waſſer aufſuchen, wie die Mehrzahl der Amphibien. Bei den echten Trockenlufttieren, den Inſekten, Spinnen— tieren, Reptilien, Vögeln und Säugern, findet ſtets eine Begattung ſtatt, wodurch der Same in den weiblichen Geſchlechtsapparat übergeführt wird. Es gibt dazu eine Un— menge verſchiedener Wege. — Eine überaus bedeutſame Erſcheinung, die in vielen Fällen die Grundbedingung für das Zuſtandekommen der Befruchtung bildet, iſt die gleichzeitige periodiſche Wiederkehr der Fortpflanzungsfähigkeit, d. h. die gleichzeitige Reifung der Ge— ſchlechtsprodukte bei Weibchen und Männchen der gleichen Art. Für verſchiedene Arten dagegen iſt die Fortpflanzungszeit verſchieden und weicht oft bei ganz nahe verwandten Formen beträchtlich ab; jo fällt die Laichzeit des Grasfroſches (Rana kusca Rös.) auf Mitte März, die des Moorfroſches (R. arvalis Nilss.) 2—3 Wochen ſpäter, die des Waſſerfroſches (R. esculenta L.) ſogar erſt auf Mitte Mai. Es ſind klimatiſche und Witterungsverhältniſſe, durch die das Eintreten ausgelöſt wird; aber weshalb die eine Art unter dieſen, die andere unter jenen Bedingungen reif wird, iſt uns nach ſeinem inneren Zuſammenhange noch verborgen. Bei vielen niederen Meerestieren werden Same und Eier ohne weiteres ins Waſſer entleert, vielleicht mit der Einſchränkung, daß beſondere Beleuchtungsverhältniſſe, etwa der Eintritt der Dunkelheit (z. B. bei Amphioxus) dieſe Entleerung auslöſen und da— durch ihre Gleichzeitigkeit für die Individuen verſchiedenen Geſchlechtes gewährleiſtet iſt. 462 Zunehmende Sicherung des Zuſammenkommens von Ei und Spermatozoon. So iſt es bei den meiſten Coelenteraten, Stachelhäutern, Meeresringelwürmern, Muſcheln und Manteltieren. Die Fiſche finden ſich zum Laichen an beſtimmten Plätzen zuſammen: ſo ſteigen die Felchen (Coregonus wartmanni Bl.) an die Oberfläche des Bodenſees, die Heringe wandern nach beſtimmten Plätzen der Küſte, die Barben kommen an die Sand— bänke und Kiesufer der Flüſſe, alles Mittel, wodurch die Geſchlechter zuſammengeführt werden. Eine noch größere Sicherheit der Befruchtung und damit der Erſparnis an Material tritt ein, wenn die Ablageſtellen der Eier enger beſchränkt ſind: ſo legen die Weibchen des Stichlings ihre Eier in ein vom Männchen gebautes Neſt, und das Männ— chen ſpritzt dort ſeinen Samen darüber; die Weibchen des Bitterlings (Rhodeus ama- rus Bl.) bringen mit Hilfe einer langen, zur Laichzeit auswachſenden Legeröhre ihre Eier in die Atemöffnung der Flußmuſchel (Unio) hinein und dieſe gelangen zwiſchen die Kiemenblätter, wohin der Same des Männchens mit dem Strom des Atemwaſſers zu ihnen geführt wird. Ja bei den Froſchlurchen findet ſogar eine äußerliche Vereini— gung der beiden Geſchlechter ſtatt: das Männchen ſitzt auf dem Rücken des Weibchens und ergießt ſeinen Samen unmittelbar über die aus der Kloakenöffnung austretenden Eier. — In manchen Fällen wird nur der Same ins Waſſer entleert, und die Sper— matozoen dringen in die weiblichen Gonaden oder in beſtimmte Brutbehälter am weib— lichen Körper und befruchten dort die Eier; dieſe durchlaufen dann einen mehr oder weniger großen Teil der Entwicklung im mütterlichen Körper; ſo iſt bei den Schwämmen und den Alcyonaceen unter den Coelenteraten (3. B. Edelkoralle)h, wo die Eier am Ort ihrer Entſtehung befruchtet werden — ferner bei manchen Aktinien und Stachelhäutern, einigen Ringelwürmern (Capitelliden, Spio), einer Reihe von Aſcidien und bei den Salpen; dieſe üben Brutpflege, was im zweiten Bande genauere Beſprechung finden wird. Noch erfolgreicher wird die Befruchtung der Eier dadurch geſichert, daß die Samen— maſſen im Innern des weiblichen Körpers oder doch nahe der Geſchlechtsöffnung an ihm untergebracht werden. Die Vorgänge, die dazu führen, bilden die Begattung. Hier ſind einerſeits den Spermatozoen Irrwege erſpart und ſchon damit große Stofferſparnis erreicht; andererſeits gehen im freien Waſſer die Spermatozoen bald zugrunde, wenn ſie ihr Ziel nicht erreichen; in den Samentaſchen der Weibchen aber, den Receptacula semi- nis, können ſie ſich oft ſehr lange lebend halten. So bleiben in der Samentaſche der Bienenkönigin die Samenfäden von der nur einmaligen Begattung her vier Jahre und länger am Leben; eine Gartenſchnecke, die einmal begattet iſt, vermag oft auch im nächſten Jahre noch befruchtete Eier abzulegen, und auch beim Feuerſalamander (Sal. maculosa Laur.) hat man Samenfäden von der vorjährigen Begattung in der Samentaſche lebend nachgewieſen. Verhältnismäßig einfach verläuft die Begattung bei den Krebſen. Die genaueſten Beobachtungen liegen darüber bei den Hüpferlingen (Copepoden) vor: bei den Männchen unſerer Cyclops- und Canthocamptus-Arten find die beiden vorderen Antennen, bei denen der Diaptomus-Arten nur die rechte davon zu einklappbaren Greifwerkzeugen um— gebildet, mit denen ſie die Weibchen ergreifen, um ihnen eine Spermatophore an das erſtere Hinterleibsſegment anzuheften, auf deſſen Ventralſeite die Samentaſche mündet; Diaptomus greift dabei die Spermatophore mit dem fünften Schwimmbein und klebt ſie nahe der Mündung der Samentaſche feſt; durch Aufquellen des darin enthaltenen Sekrets wird der Sameninhalt aus der Spermatophore herausgepreßt und fließt in die Samen— taſche hinein; von dort wird er ſpäter auf die am gleichen Segment austretenden Eier entleert, und es kommt zur Befruchtung. Bei ſehr vielen Krebſen, auch bei vielen Deka— poden, verläuft die Begattung ähnlich; nur bei Krabben (Maja, Careinus) wird der Begattung. 463 Same direkt in die Endteile der weiblichen Geſchlechtswege eingebracht. Auch die Be— gattung eines Teils der Tauſendfüßer, der Chilopoden, geſchieht in ſolcher Weiſe. Auch beim Regenwurm werden Samentaſchen, die von den weiblichen Geſchlechts— wegen geſondert liegen, mit Samen gefüllt, und die Befruchtung der Eier geſchieht erſt nach ihrer Ablage. Der Begattungsvorgang verläuft eigenartig. Die Regenwürmer ſind Zwitter, haben alſo im gleichen Tier ſowohl einen männlichen wie einen weiblichen Ge— ſchlechtsapparat, und die Begattung iſt gegenſeitig. Zwei Würmer, mit den Hinterenden meiſt noch in ihren Löchern verankert, legen ſich mit der Bauchſeite in entgegengeſetzter Richtung aneinander (Abb. 297). Dem Gürtel (ſ. oben S. 456) des einen liegt jedesmal der 9., 10. und 11. Ring des anderen gegenüber, die Ringe, zwiſchen denen die beiden Paare von Samentaſchen nach außen münden; Schleimmaſſen, beſonders in der Gürtelgegend, ver— binden die beiden Tiere miteinander. Vom Gürtel verläuft nach vorn jederſeits bis zum 15. Segment, wo die Samenleiter münden, eine Längsleiſte, die durch Anſpannung der Muskeln hervortritt und beiderſeits von einer Längsfurche begrenzt wird; in der oberen Furche verlaufen wellenförmig fortſchreitende Muskelkontraktionen von vorn nach hinten. Nach einiger Zeit tritt aus der männlichen Off— nung ein Tröpfchen Samen aus, gelangt in die Leiſte und wird durch die Kontraktionen nach hinten beför⸗ Abb. 297. Regenwürmer in Begattung, ſchematiſch. ö . 0 0 Die männlichen Offnungen befinden ſich auf dem 15. Segment (XP), die dert; in kurzem Abſtande folgt ein Öffnungen der Samentaſchen (Receptacula seminis) in den Furchen 1402 2 5 zwiſchen 9. und 10. (IX, X) und 10. und 11. (X, XI) Segment. Die dicke zweites, ein drittes und ſo fort Linie mit den Pfeilen zeigt den Weg der Samentröpfchen. Der Gürtel iſt jederſeits; fie jammeln ſich in der punktiert; der von ihm ausgehende, die Würmer vereinigende Schleimring 2 iſt nicht gezeichnet. Gegend des Gürtels an und werden dort um die ihm gegenüberliegenden Offnungen der Samentaſchen des anderen Indi— viduums angehäuft; vielleicht wird die Aufnahme des Samens durch Saugen von ſeiten der Samentaſchen befördert. Dann trennen ſich die Tiere. Mit den Eiern kommt der Same erſt ſpäter nach deren Ablage in Berührung: in die vom Gürtel abgeſonderte Kokonhülle werden die Eier abgelegt und dann aus der Samentaſche Samen hinein— geleert; die Befruchtung geſchieht alſo außerhalb des Körpers. Während beim Regenwurm wohl eine Begattung, aber keine innere Befruchtung der Eier ſtattfindet, ſehen wir das Gegenteil bei den Waſſermolchen (Molge). Nach ſtunden-, ja bisweilen tagelangem Liebesſpiel des Männchens (Abb. 298), bei dem das Weibchen faſt untätig iſt, folgt das Weibchen dem mit ſeitwärtsgeſchlagenem Schwanz vorankriechendem brünſtigen Männchen nach. Dieſes hält an und dreht ſeinen Schwanz ſo, daß die aufgeſperrte Kloakenöffnung frei iſt; das Weibchen ſtoßt mit der Schnauzen— öffnung dagegen und im nächſten Augenblick hat das Männchen den Samenträger (Abb. 296) herausgepreßt; es kriecht weiter, das nachkriechende Weibchen ſchreitet über den Samenträger hinweg und nimmt mit den geöffneten Lippen ſeines Kloakenwulſtes die Samenmaſſe von der Gallertglocke ab, die als Ganzes zurückbleibt (Abb. 299). Der Same gelangt in das in die Kloake mündende Rezeptakulum des Weibchens und reicht zur Befruchtung von etwa 100 Eiern, worauf das Weibchen aufs neue dem Werben des Männchens nachgibt. — Auch beim Feuerſalamander nimmt das Weibchen das Samenbündel von dem Samenträger ab, den das Männchen abgelegt hat; am Lande jedoch kann hier auch eine direkte Übertragung des Spermas in die Kloake des Weibchens ſtattfinden. 464 Begattung. Abb. 298. Epijode aus dem Liebesſpiel des Kammolchs (Molge cristata Laur.). Das Männchen ſpringt vor die Schnauze des langſam vorwärts kriechenden Weibchens und vertritt ihm förmlich den Weg, wobei es heftig mit dem Schwanze jchlägt- Am häufigſten geſchieht die Übertragung des Samens bei der Begattung ſo, daß er von der männlichen Geſchlechtsöffnung unmittelbar in die weibliche übergeleitet wird. Das iſt ſchon möglich beim bloßen Aufeinanderpreſſen der beiden Offnungen; ſo geſchieht z. B. die Begattung bei den meiſten Vögeln. Häufig aber iſt das Ende des Samen— leiters muskulös und kann vor— geſtülpt werden; es bildet ein Begattungsorgan, einen Penis, der in die weibliche Geſchlechts— öffnung eingeführt wird und ſo das Einbringen des Samens Abb. 299. Unten ein Weibchen von Molge cristata Laur., das die Samenmaſſe von dem Samenträger abnimmt; oben ein anderes, das ein Ei zwiſchen ein eingefaltetes Blättchen legt. Ein abgelegtes Ei iſt 1,5 em ſenkrecht unter der vierten Vorderzehe dieſes Tieres gezeichnet. Begattungsorgane. 465 in den weiblichen Geſchlechtsapparat ſicherer geitaltet. In ſolcher Weile iſt das Be— gattungsorgan gebaut bei den Plattwürmern, den Egeln und den Schnecken; manche Borſtenwürmer des ſüßen Waſſers haben, entſprechend der paarigen Offnung der Samenleiter, einen paarigen Penis, wie Lumbriculus variegatus Gr. oder Stylodrilus. Bei den Inſekten wird der Penis nicht als vorjtülpbares Endſtück des Samenleiters gebildet, ſondern er legt ſich in Geſtalt zweier Primitivzapfen an, die ſich ſpalten und mit ihren medialen Teilen zum Penisrohr verſchmelzen, während die beiden lateralen Stücke zu den ſogenannten Valvae werden, die dem Penis ſeitlich anliegen. — Unter den Fiſchen haben faſt nur die Selachier ein Begattungsorgan; es iſt entſtanden durch Um— bildung von Abſchnitten der Bauchfloſſen, die zu beiden Seiten der Kloakenöffnung liegen. Ahnliche Umbildung haben die Bauchfloſſen bei manchen Zahnkärpfchen unter den Knochen— fiſchen erfahren. Wo bei den Wirbeltieren ſonſt ein Begattungsorgan vorkommt, diffe— renziert es ſich aus der vorderen Kloakenlippe. Dort nehmen die paarigen ausſtülp— baren Zapfen der Eidechſen und Schlangen ihren Urſprung, die im ausgebildeten Zu— ſtand an der Hinterwand der Kloake liegen und in der Ruhe in dieſe eingeſtülpt ſind; bei der Begattung wird nur einer davon in die Kloake des Weibchens eingeführt; er trägt eine Rinne, die wahrſcheinlich der Überleitung des Samens dient. Aus gleicher Grundlage entwickelt ſich, unter Hinzukommen eines unpaaren ektodermalen Abſchnittes, der unpaare Penis der Krokodile und Schildkröten, dem ſich derjenige der Laufvögel und Entenvögel anſchließen läßt; er ſpringt von den ventralen Kloakenwand nach hinten vor und trägt auf der Dorſalſeite eine Rinne, die der Leitung des Samens dient. Dieſen Bildungen ähnelt das Begattungsorgan bei den Kloakentieren: der Samenweg des Penis iſt hier zum Rohr geſchloſſen; dieſes iſt aber nicht die unmittelbare Fortſetzung des Harn- und Samenweges, des ſogenannten Sinus urogenitalis, ſondern dieſer mündet in die Kloake, und nur bei der Begattung tritt ſeine Mündung mit dem Samenkanal des Penis in Verbindung, während der Harn durch die Kloake ſeinen Weg nimmt. Bei den übrigen Säugern, wo ja die Ausmündung des Harn- und Geſchlechtsapparates vor den Enddarm gerückt und von dem After geſchieden iſt, ſchließt ſich der Samenkanal des Penis unmittelbar an den Sinus urogenitalis an und wird ſomit zum Harn- und Samen— weg zugleich. Überall bei den Wirbeltieren zeichnen ſich die Begattungsorgane durch ein reichentwickeltes Schwellgewebe aus, das ſich für die Begattung mit Blut füllt und damit eine Vergrößerung und Verſteifung des Gliedes bewirkt. — Allgemein wird das Begattungsglied, nicht nur der Wirbeltiere, während der Geſchlechtsruhe in einer Grube, einer Höhle oder einem Hautüberzug geborgen, wodurch die reizbaren Teile geſchützt werden und ihnen die nötige Erregungsfähigkeit erhalten wird. Einiger ſonderbarer Fälle von Begattung wäre noch zu gedenken, bei denen das Begattungsorgan zu der Mündung des Samenleiters in gar keiner örtlichen Beziehung ſteht. Bei den Spinnen nämlich wandelt ſich das Endglied der Kiefertaſter (Pedipalpen) beim Männchen zur Zeit der Geſchlechtsreife in eigenartiger Weiſe um: es bekommt einen blaſenförmigen Anhang, der im einfachſten Falle umgekehrt birnförmig, meiſt aber mit allerhand Fortſätzen und Anhängen viel komplizierter geſtaltet iſt (Abb. 300); mit der letzten Häutung kommt dieſer Apparat zum Vorſchein. Er wird an der Mündung des männ— lichen Geſchlechtsapparats mit Samen gefüllt und dann von dem Männchen in die weib— liche Geſchlechtsöffnung eingeführt, wo er den Samen abgibt. Das Spinnenmännchen nimmt alſo gleichſam eine Maſſe Samen „in die Hand“ und bringt ſie an ihren Be— ſtimmungsort. Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 30 466 Begattung der Tintenfiſche. Damit vergleichbar iſt die Begattung der Tintenfiſche. Bei den Männchen iſt hier ein Arm in beſonderer Weiſe verändert: er bleibt kürzer als die übrigen, iſt ſeiner ganzen Länge nach von einer Rinne durchzogen und beſitzt ein ſpatelartiges Ende (Abb. 301 A); Abb. 300. Begattungsapparate männlicher Spinnen. Avon Tetragnatha extensa L., B von Histopona torpida C. L. Koch, von Cicurina cinerea Panz., D von Amaurobius ferox C. L. Koch, E von Segestria senoculata L. 7 Endglied des Kiefertaſters, 2 deſſen Begattungsanhang. Nach Boejenberg- meiſt iſt es der vierte Arm der linken Seite, bei Octopus und Eledone der dritte rechts— ſeitige. Bei Octopus iſt beobachtet, daß das Männchen dieſen Arm, während es die übrigen angezogen hält, mit der Spitze in die Mantelhöhle des in einiger Entfernung ſitzenden Weibchens einführt und dort Spermatophoren an der Mündung des Eileiters, 3 Abb. 301. 4 Männchen von Octopus groenlandicus Dewh. von der Unterſeite, mit hektokolyſiertem Arm 1, daran 3 die Samenrinne und 4 die Endplatte, 2 Trichter. B Männchen von Argonauta argo L., von links ge- ſehen; der 2. und 4. Arm der linken Seite ſind heruntergelegt, um den 3., der zum Hektokotylus (1) umgewandelt iſt und ſich ſpäter lostrennt, deutlich zu zeigen. 4%½ nat. Größe, B 3 fach | vergrößert. Nach Steenſtrup und H. Müller. die auf einer Papille liegt, befeſtigt; Racovitza vermutet, daß die Spermatophoren von der Papille des Samenleiters in die Armrinne und von dort durch Kontraktionswellen der Muskulatur an das Ende des Armes befördert werden. Sie gelangen in den End— abſchnitt des Eileiters; infolge der Quellung durch das Meerwaſſer in der Mantelhöhle explodiert die Spermatophore und ergießt ihren Sameninhalt in den Eileiter, wo er Begattung durch „Imprägnation“. 467 die Eier auf dem Wege nach außen befruchtet. In anderen Fällen ſind die Spermato— phoren jchon vorher am Begattungsarm befeſtigt. Dadurch wird der ganz wunderbare Vorgang ermöglicht, daß dieſer Arm, mit Sperma beladen, ſich vom Körper des Männchens loslöſt, wie ein beſonderes Tier ſelbſtändig eine Zeitlang umherſchwimmt und dabei ein Weibchen aufſucht, in deſſen Mantelhöhle er eindringt. So iſt es bei Argonauta (Abb. 301) und den Philonexiden; bei ihnen findet man in der Mantelhöhle des Weibchens oft mehrere, bis zu vier ſolcher männlichen Arme. Das Nervenſyſtem iſt bei einem ſolchen Arme nicht höher ausgebildet als bei jedem der übrigen; was ihn auf ſeinem Wege leitet, iſt uns ein Rätſel. Kein Wunder aber, daß man früher dieſe Arme für vollſtändige Tiere, Schmarotzer des Tintenfiſchweibchens und ſpäter für deren Männchen gehalten und ihnen den Gattungsnamen Hectocotylus gegeben hat; der Name iſt ihnen auch jetzt geblieben, und die nicht abtrennbaren Begattungsarme der übrigen Tintenfiſche bezeichnet man daher als hektokotyliſiert. Während in den bisher betrachteten Fällen der Same in Samentaſchen oder in das Ende des Eileiters eingebracht oder doch in deren Nähe angeheftet wurde, kommt bei einzelnen Tieren eine durchaus andere Art der Begattung vor. Lang beobachtete zuerſt bei polykladen Strudelwürmern (Uryptocelis alba Lang), daß Spermatophoren an einer beliebigen Stelle wie ein Spieß in die weiche Haut eines anderen Individuums eingepreßt wurden; ihr Sameninhalt gelangt in das Körperparenchym und dringt ſchließlich > bis zu den Eiern vor; die Spermatophorenhülle fällt ab, und die Wunde . — heilt. Bei anderen Polykladen (den Pſeudoceriden, z. B. Thysanozoon) 2 iſt die Begattung noch einfacher; ein Individuum bohrt einem anderen Abb 302. Stüc der den Penis an einer beliebigen Stelle durch die Haut und ergießt den mesvaſabine ae. Samen ins Parenchym. Auch bei Rädertieren (Hydatina senta Ehrbg.) maria Car, iſt beobachtet, daß der Penis des Männchens die Körperhaut des A weblicher 0 Weibchens durchbohrt und der Same in den Leib eingeſpritzt wird; Knete Sperm die Spermatozoen gelangen in den Eierſtock, indem ſie deſſen Wand Er durchbohren, und befruchten die Eier. Schließlich wird auch bei manchen Egeln die Begattung derart vollzogen, daß eine Spermatophore äußerlich der Haut eingebohrt wird: ihr Inhalt gelangt in die Leibeshöhle und Blutgefäße, und eine Anzahl der Spermatozoen kommen ſchließlich in den Eierſtock und befruchten die Eier. Dieſe Art der Begattung iſt bei unſeren Egeln für Herpobdella, Piscicola und eine Anzahl Gloſſiſiphoniden feſtgeſtellt; bei Hirudo und Haemopis wird der Same durch Einführung des Penis in die weibliche Offnung eines anderen Individuums über— tragen; Protoclepsis tesselata Müll. bildet inſofern einen Übergang, als hier nicht der Penis, ſondern eine Spermatophore in die weibliche Geſchlechtsöffnung eingeführt wird. Die Begattungsorgane ſind nicht nur in den verſchiedenen Klaſſen und Ordnungen der Tiere verſchieden gebaut, ſondern ſie variieren auch, beſonders bei den höher ſtehen— den Tieren wie Gliederfüßlern und Wirbeltieren, innerhalb der einzelnen Gruppe faſt ebenſoſehr wie die Samenfäden. Die Begattungsorgane der Säuger z. B. unterſcheiden ſich durch Anweſenheit oder Fehlen des Penisknochens und der Endverdickung der Schwellkörper, der ſogenannten Eichel; ſie zeigen im übrigen ungemein wechſelnde Form: der Penis des Igels iſt zylindriſch mit Anſchwellung am Ende; die Rutenſpitze vieler Wiederkäuer iſt in einen linksgelegenen, fadenförmigen Fortſatz von verſchiedener Länge ausgezogen, an deſſen Ende die Harnröhre mündet; beim Lama iſt die Spitze ſehr unregel— 30 * 468 Spezifiſche Form der Begattungsorgane. mäßig mit zwei ungleichen Fortſätzen; korkzieherartig geſtaltet iſt die Spitze bei einem Moſchustier (Tragulus meminna Erxl.) und bei dem madagaſſiſchen Inſektenfreſſer Cen- tetes; eine kurze ſchraubenförmige Windung zeigt die Rutenſpitze beim Eber; beim Meer— ſchweinchen ſitzen an der Harnröhrenmündung in einem tiefen Blindſack zwei Stacheln, die bei der Schwellung des Penis frei hervorragen, und ähnlich iſt es bei der Spring— maus (Dipus); die Hauskatze hat am diſtalen Teil des Penis ziemlich ſcharfe, rückwärts gerichtete Stacheln. Kurz, dieſe Bildungen ſind ſo verſchieden, daß man die einzelnen Arten geradezu nach dem Begattungsglied des Männchens beſtimmen könnte. Das gleiche gilt z. B. für den Penis der Schmetterlinge oder für die Anhänge der Kiefer— taſter bei den Spinnen. Es erhebt ſich hier eine Frage, wie wir ſie ähnlich ſchon angeſichts der Art— verſchiedenheiten bei den Spermatozoen erörtert haben: ſteht die ſpezialiſierte Form des männlichen Begattungsorgans in mechaniſcher Beziehung zu entſprechender Ausbildung der weiblichen Geſchlechtsöffnung, derart daß nur dies eine Begattungsglied in die weibliche Offnung der zugehörigen Art hineinpaßte? Bei den Schmetterlingen geht, nach Peterſens Unterſuchungen, in einzelnen Fällen die gegenſeitige Anpaſſung des männ— lichen und weiblichen Apparates ſo weit, daß eine Kreuzung nahe verwandter Arten da— durch unmöglich gemacht wird; bei ferner ſtehenden Arten iſt das natürlich noch weit häufiger der Fall. So zeigte die Beobachtung von Begattungen zwiſchen nahe verwandten Schwärmern, Sphinx elpenor L. als Männchen und Sph. porcellus L. als Weibchen, daß ſich die Paare trotz größter Anſtrengung nicht voneinander trennen konnten. Bei den Spinnen iſt die weibliche Geſchlechtsöffnung mit einer Umrahmung ausgeſtattet, die bezeichnenderweiſe Schloß genannt wird und zu der der Taſteranhang des zugehörigen Männchens wie ein Schlüſſel paßt. Auch bei den Säugern ſind in einigen Fällen ſolche Beziehungen bekannt: die Spaltung des Penis bei vielen Beuteltieren entſpricht offenbar der doppelten Scheide, die bei dieſen Formen vorhanden iſt; die ſchrauben— förmige Rutenſpitze des Ebers paßt genau in das gleichfalls gedrehte Lumen des unteren Uterusabſchnittes; Hornzähne und Stacheln dienen zur Reizung der Schleimhaut. Aber in vielen anderen Fällen iſt bei den Säugern eine ſolche Übereinſtimmung nicht zu finden. Schon die Längenverhältniſſe ſind ungemein verſchieden: während bei Pferd und Tapir der Penis wegen ſeiner bedeutenden Länge und Dicke die ganze Scheide ausfüllt, iſt er bei manchen Wiederkäuern ſehr dünn im Vergleich zur Weite der Scheide, und bei der Katze ſteht die Kürze des Penis zur Länge der Scheide in auffälligem Mißverhältnis. Es ſcheint hier eine freie Variation zu herrſchen, die in hohem Grade von der Anpaſſung an die Verhältniſſe des anderen Geſchlechtes unabhängig iſt. Eines wird ja ſtets durch Selbſtregulierung gewährleiſtet: wenn bei einem Männchen das Begattungsorgan eine Form annimmt, die es zum Eindringen in die Scheide der artzugehörigen Weibchen un— fähig macht, ſo bleibt dieſes Männchen ohne Nachkommen, kann alſo jene Eigentümlich— keit nicht vererben. Solche beſtändige Kontrolle eines variablen Organs iſt es vielleicht, die zu ſo genauer Anpaſſung führt, wie ſie bei manchen Schmetterlingen und Spinnen behauptet wird. o) Baſtardierung. Obgleich nun in der Beſchaffenheit der Geſchlechtsprodukte ſelbſt und in dem Bau der Begattungsorgane Momente genug vorhanden ſind, die eine Kreuzung verſchiedener Tierarten verhindern oder mindeſtens erſchweren, kommen ſolche dennoch vor zwiſchen Arten derſelben oder verwandter Gattungen, und zwar nicht gerade ſelten. Bei den Baſtarde. 469 meiſten Wirbelloſen ſcheinen allerdings Baſtarde zu fehlen. Künſtliche Baſtardierungen ſind freilich, beſonders bei Stachelhäutern, vielfach vorgenommen und haben auch zu— weilen bis zur Bildung von Larven geführt; dagegen iſt die Aufzucht der Larven zu den fertigen Tieren auch bei normaler Befruchtung hier unmöglich; es iſt alſo keine Ge— wißheit zu erlangen, ob ſolche Baſtardlarven auch wirklich dauernd lebensfähig ſind. Sehr gering iſt die Zahl der Baſtarde, die bei Weichtieren bekannt ſind. Nach Kobelt kommen ſolche vielleicht zwiſchen Helix ligata Müll., lucorum Müll. und pomatia L. vor; experimentell iſt die Möglichkeit der Kreuzung zwiſchen unſerer Hain- und Gartenſchnecke, Helix nemoralis L. und hortensis Müll., durch Lang ſichergeſtellt, ja es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß ſolche Baſtarde hie und da auch freilebend vorkommen. Was die Gliederfüßler angeht, ſo ſind hier bisher nur wenige Baſtarde gefunden, außer bei den Schmetterlingen. Fritz Müller vermutet in einer Meereichel den Baſtard zwiſchen Balanus armatus Fr. Müll. und B. improvisus Darw. var. assimilis Darw.; der Copepode Cyclops distinetus Rich. iſt vermutungsweiſe als Kreuzungsform von Cyel. fuscus Jur. und C. albidus Jur. angeſehen worden, doch fehlt eine experimentelle Beſtätigung. In Nordamerika baſtardieren ſich, wie es ſcheint, zwei Arten von Grasheuſchrecken aus der Gattung Trimerotropis dort, wo ihre Verbreitungsgebiete zuſammenſtoßen. Aus der Reihe der Netz— flügler kennt man einen im Freien gefangenen Baſtard zwiſchen Ascalaphus cocajus W. V. und A. longicornis L., und in Agypten ſoll ſich die Honigbiene Apis mellifica L. mit A. fasciata Latr. kreuzen. Dagegen ſind über 100 Schmetterlingsbaſtarde mit Sicherheit bekannt; einige ſind Kreuzungen von Tagfaltern (Colias edusa Fab. g x C. hyale L. 9, Parnassius delius Esp. & P. apollo L. g u. a.), einige von Spannern, die aller— meiſten jedoch von Schwärmern, z. B. Abendpfauenauge und Pappelſchwärmer (Smerinthus ocellata L. & Sm. populi L.) und Spinnern (3. B. den Sichelflüglern Drepana eur- vatula Bkh. K D. faleataria L.), und zwar find dieſe zum größten Teile künſtlich ge— züchtet, und nur einzelne ſind im Freien angetroffen. Paarungen verſchiedener Inſekten— arten ſind, beſonders bei Käfern, aber auch bei Libellen und Heuſchrecken, nicht ſelten beobachtet; aber von einem Erfolg ſolcher Paarungen iſt nichts bekannt. Weit häufiger als bei den Wirbelloſen kommen bei den Wirbeltieren Baſtarde vor. Unter den Fiſchen kennt man ſolche aus den Familien der Weißfiſche und der Lachs— artigen, bei den Schollen und den Sägebarſchen (Serranus); Weißfiſchbaſtarde werden bei uns nicht weniger als 26 verſchiedene aufgezählt, von denen die Karpfkarauſche (Cyprinus carpio L. & Carassius carassius L.) zu den häufigſten gehört; künſtlich ſind vor allem die Lachsartigen verbaſtardiert worden, bei denen ja künſtliche Befruchtung ſo allgemein von den Züchtern ausgeführt wird, z. B. unſere Bachforelle (Salmo fario L.) mit dem amerikaniſchen Bachſaibling (S. fontinalis Mitch.). Von Amphibien findet ſich eine Kreuzung der Molge marmorata Latr. der Mittelmeerländer mit dem Kammolch (M. eristata Laur.) im freien Zuſtande; fie wurde früher als beſondere Art (M. blasii De L'Isle) beſchrieben, ihre Baſtardnatur iſt aber neuerdings experimentell bewieſen. Baſtarde von Froſchlurchen dagegen ſind freilebend nicht bekannt; nur unter Anwendung von allerhand Vorſichtsmaßregeln hat man durch künſtliche Befruchtung der Eier Baſtarde von Teich- und Moorfroſch (Rana esculenta L. ꝙ & R. arvalis Nilss. 2? und umgekehrt) ſowie ſolche der Wechſel- und Erdkröte (Bufo variabilis Pall. & & B. vulgaris Laur. 9) züchten können. Reptilienbaſtarde ſind nicht mit Sicherheit nachgewieſen. Dagegen kommen ſolche bei den Vögeln in größter Zahl vor; beſonders Enten- und Gänſeartige, Hühnervögel, und zwar vor allem Faſanen, Kegelſchnäbler (Finken) und Tauben ſind oft 470 Unfruchtbarkeit der Baſtarde. zu erfolgreicher Begattung gebracht. Man kennt auch eine ganze Anzahl frei vorkom— mender Baſtarde: ſo das Rackelhuhn, eine Kreuzung von Auer- und Birkhuhn, Baſtarde der Droſſelarten und ſolche der Raben- und Nebelkrähe. Von Säugerbaſtarden ſind die zwiſchen Pferd und Eſel allgemein bekannt: das Maultier vom Eſelhengſt aus der Pferdeſtute, und der ſeltener gezüchtete Mauleſel, vom Pferdehengſt aus der Eſelſtute. Auch Zebras ſind neuerdings zu Kreuzungen benutzt, ſowohl mit Pferden wie mit Eſeln. Von Wiederkäuern kennt man eine Anzahl Baſtarde; Nagetiere liefern ebenfalls ſolche, und die Kreuzung von Feld- und Schneehaſe (Lepus europaeus L. x L. timidus L.) wird in Skandinavien zuweilen freilebend gefunden. Am meiſten neigen Raubtiere und Affen zu Kreuzungen, und in den Tiergärten werden ſolche nicht ſelten herbeigeführt; ſo kennt man Baſtarde von Löwe und Tiger, vom Eisbär und braunem Bär, vom Haushund mit verſchiedenen wilden Hundearten, ferner ſolche von Pavianen, Mandrill mit Meerkatze, Makaken und ähnliche. Eine ſehr bemerkenswerte Eigentümlichkeit der Baſtarde iſt es, daß ihre geſchlecht— lichen Funktionen faſt regelmäßig beſchränkt oder gänzlich geſtört ſind. Nur ſehr wenige Baſtardformen ſind untereinander fruchtbar, und dieſe Fruchtbarkeit iſt faſt ſtets geringer als die der Elternarten; etwas häufiger iſt Fruchtbarkeit mit den Elternarten oder Ver— wandten der Elternarten, und die ſo erhaltenen „Blendlinge“ können unter Umſtänden miteinander Nachkommen erzeugen. Am häufigſten aber iſt, ſoweit ein Urteil möglich iſt, gänzliches Fehlen der geſchlechtlichen Leiſtungsfähigkeit. Lang erhielt bei fünf Kreu— zungen der Baſtarde Helix nemoralis L. & hortensis Müll. nur einen einzigen Nach— kommen. Bei den Schmetterlingen ſcheint eine Fruchtbarkeit der Baſtarde unter ſich gar nicht vorzukommen; aber Baſtardmännchen laſſen ſich zuweilen mit Weibchen der Eltern— arten kreuzen, und die Blendlinge ſind untereinander fruchtbar. So bekam Standfuß Nachkommenſchaft von Saturnia-Blendlingen, die aus einer Rückkreuzung der Baſtarde von Saturnia pavonia L. d x S. spini Schiff. ? mit dem Weibchen von S. pavonia L. ſtammten. Beachtenswert iſt, daß bei den Schmetterlingsbaſtarden Sterilität der Weibchen viel häufiger iſt als die der Männchen, und weibliche Baſtarde, die mit Männchen der Stammarten rückgekreuzt werden können, ergeben, wenn ſich überhaupt Brut entwickelt, nur Männchen. — Vollkommene Fruchtbarkeit durch mehrere Generationen ſcheinen die Baſtarde von Lachs und Bachforelle (Salmo salar L. 9 & S. fario L. ꝙ) zu beſitzen; von den Karpfkarauſchen ſcheint ebenfalls Nachkommenſchaft erzielt zu ſein; andere Weiß— fiſchbaſtarde ſind aber wohl nur bei Rückkreuzung mit den Elternarten fruchtbar. Unter den jo zahlreichen Vogelbaſtarden ſollen der Gänſebaſtard Anser anser dom. L. x A. cygnoides L. und der Stieglitz-Kanarienbaſtard fruchtbar ſein. Rückkreuzungen mit Elternarten oder deren Verwandten ſind eher fruchtbar: ſo erzielte im Berliner Zoolo— giſchen Garten ein männlicher Baſtard Ibis melanocephala Lath. d >< Platalea minor 9 Nachkommen mit Platalea ajaja L. P. Unter den Säugern jcheinen völlig fruchtbare Baſtarde nicht bekannt zu ſein; die Kreuzungen zwiſchen Hund und Schakal, deren Nach— kommen durch vier Generationen fruchtbar waren, kommen nicht in Betracht, da unſer Haushund keine reine Art iſt, ſondern höchſt wahrſcheinlich Schakalblut enthält; bei den oft dafür angeführten Haſen-Kaninchen oder Leporiden, Baſtarden zwiſchen Lepus europaeus L. L. cuniculus L., ſind Rückkreuzungen mit den Elternarten untergelaufen. Rückkreuzungen ſind öfter fruchtbar, ſo von Maultier- und Mauleſelſtute mit Pferde- oder Eſelhengſt. Die Urſache dieſer Unfruchtbarkeit der Baſtarde iſt mehrfach unterſucht worden. Bei den Baſtarden Smerinthus ocellata L. 9 > S. populi L. ? zeigen ſich hochgradige Un— Urjachen für die Unfruchtbarkeit der Baſtarde. 471 regelmäßigkeiten und Mißbildungen der inneren und teilweiſe auch der äußeren Ge— ſchlechtsorgane; bei den männlichen Baſtarden ſind vor allem die Ausführungsgänge miß— gebildet, die Hoden zwar normal geſtaltet, aber ſtets kleiner, zuweilen ſehr klein und die Bildung der Spermatozoin geſtört; bei anderen Schmetterlingsbaſtarden können die Männchen normal beſchaffen ſein. Dagegen ſind die Geſchlechtsorgane bei den Weibchen des Smerinthus-Bajtards in noch höherem Maße verkümmert als die der Männchen, beſonders fehlen ſtets die Eierſtöcke; dazu kommt das Auftreten von Spuren ſekundärer männlicher Geſchlechtsmerkmale in der Form mehr oder weniger rudimentärer männlicher Geſchlechtsanhänge an der Hinterleibsſpitze. Bei anderen Schmetterlingsbaſtarden kommen äußerlich gut ausgebildete Weibchen vor; fie produzieren aber nur wenige verkümmerte Eier, oder ſie legen anſcheinend normale Eier ab, denen eine, wenn auch beſchränkte, Entwicklungsfähigkeit zukommt, wie die Weibchen von Drepana curvatula BKkh. c xD. faleataria L. P. — Die Unterſuchung von Vogelbaſtarden hat Störungen in der Samen— produktion ergeben. So ſtehen die Hoden eines Entenbaſtardes (Cairina moschata L. g * Anas boschas dom. L. ę) zwar in der Größe dem normalen Erpelhoden nicht nach, aber die Samenbildung bleibt durch den Mangel weiterer Teilungen auf einer frühen Entwicklungsſtufe ſtehen. — Beim Hengſt von Maultier und Mauleſel fehlen im Eja— kulat, d. h. in der bei der Begattung ausgeſpritzten Flüſſigkeit, die Spermatozoen, oder ſie ſind in unausgebildetem oder deformiertem Zuſtande vorhanden. Ein völliges Fehlen der Spermatozoen zeigte ſich auch bei einem Zebroidenhengſt (Equus caballus L. 9 x E. chapmani Layard g), und die Unterſuchung des Hodens ergab, daß hier nicht einmal Entwicklungszuſtände der Samenfäden vorhanden ſind. Dagegen ſind weibliche Baſtarde mancher Arten der Säuger und Vögel bei Rückkreuzung mit den Elternarten fruchtbar. Die Urſachen für dieſe Verkümmerung gerade der Geſchlechtsorgane bei den Baſtarden, und zwar bei Schmetterlingen vorwiegend der Eierſtöcke, bei den Säugern und wohl auch Vögeln dagegen der Hoden, ſind nicht bekannt. Was an Vermutungen darüber aus— geſprochen wurde, iſt jo wenig durch Tatſachen geſtützt, daß es hier beſſer unerörtert bleibt. Die Baſtarde aus derſelben Kreuzung ſind oft recht variabel, z. B. viele Weißfiſch— baſtarde, und ihre Formen ſchwanken zwiſchen den beiden Eltern hin und her. Wenn ſie aber konſtant ſind, ſo ſtellen ſie wohl Zwiſchenformen zwiſchen den Elternarten dar, aber durchaus nicht immer Mittelformen. Das geht am beſten daraus hervor, daß rezi— proke Baſtarde, d. h. Baſtarde von gleichen Elternarten, aber mit umgekehrter Zugehörig— keit der Geſchlechter der Eltern, durchaus nicht gleich ſind, ſondern oft ausgeſprochene Verſchiedenheiten zeigen. So unterſcheiden ſich die Schwärmerbaſtarde Deilephila elpe- nor L. G X D. porcellus L. ę und D. porcellus L. ꝙ > D. elpenor L. ? derart, daß erſterer mehr Zeichnungselemente von elpenor, letzterer mehr von porcellus hat, alſo vom Vater. Ebenſo ſind Maultier und Mauleſel verſchieden; vom Vater haben ſie Stimme und Schwanz und ähneln ihm in Kopfſchnitt und Schenkelform, in der Größe und allgemeinen Geſtalt ſchlagen ſie mehr nach der Mutter. e) Viviparität. In den meiſten Fällen, wo die Befruchtung der Eier im Innern des mütterlichen Körpers ſtattfindet, werden die befruchteten Eier nach außen abgelegt und machen dort ihre Entwicklung durch. Aber mit der Befruchtung im Innern iſt die Möglichkeit ge— geben, daß die Eier ihre Entwicklung noch im weiblichen Geſchlechtsapparat beginnen und mehr oder weniger weit fördern, entweder an ihrer Bildungsſtätte oder in den Ausführ— 472 Viviparität. wegen. Ja manchmal kommt in Abteilungen, wo ſonſt die Eier außerhalb des Körpers befruchtet werden, ausnahmsweiſe Begattung vor, die dann mit Viviparität verbunden iſt,“ wie bei einigen Knochenfiſchen (Zoarces, Zahnkarpfen). Die Entwicklung der Eier hat auch bei Tieren, die ihre Eier ablegen, oft ſchon begonnen; beim Vogelei z. B. treten die erſten Teilungen ſchon im Eileiter auf. Gelegentlich, wenn eierlegende Tiere genötigt ſind, ihre Eier länger bei ſich zu behalten, entwickelt ſich der Embryo weiter: ſo können bei einer Schmeißfliege (Musca vomitoria J.), die bei der Eiablage geſtört wurde, einzelne Eier zurückbleiben und mit der nächſten Portion abgelegt werden; ſie ſind dann ſchon zu Larven entwickelt; oder Ringelnattern behalten in der Gefangenſchaft, wenn fie keine zuſagende Gelegenheit zur Eiablage haben, die Eier länger im Eileiter, ſo daß die Entwicklung des Embryos bei der ſchließlich erfolgenden Ablage ſchon ziemlich weit fort— geſchritten iſt. Das Lebendgebären, die Viviparität, iſt eine Art Brutpflege und hat mit anderen Formen derſelben ſo viel Gemeinſames, daß ſie beſſer im Zuſammenhang damit im 2. Bande beſprochen wird. Hier ſeien nur noch die Formen aufgezählt, bei denen ſie vorkommt: alle Schwämme ſind vivipar; die Alcyonaceen; einige Schnurwürmer und Stachelhäuter; von Schnecken Paludina, Clausilia und Pupa; von Gliederfüßlern Peri— patus, die Skorpione und einzelne Inſekten (Blattläuſe, die Eintagsfliege Clo&on, ein— zelne Käfer, eine Anzahl Fliegen); unter den Wirbeltieren weiſen alle Klaſſen mit Aus— nahme der Vögel lebendiggebärende Formen auf, bei den Säugern iſt die Viviparität allgemein, mit alleiniger Ausnahme der Kloakentiere, die eierlegend find. c) Unterſchiede der Geſchlechter. Wo die Geſchlechter getrennt ſind, finden ſich bei vielen Tierarten Unterſchiede, wo— durch die männlichen und weiblichen Individuen oft ſchon im äußeren Ausſehen mehr oder weniger leicht kenntlich werden. Daß durch die Gonaden und ihre Ausführungs— gänge ſowie durch die damit verbundenen Organe wie Drüſen, Begattungsorgane und deren Schwellapparate eine ſolche Unterſcheidung möglich iſt, verſteht ſich von ſelbſt. Dies ſind die Organe, die dem betreffenden Geſchlecht für die Fortpflanzung unbedingt notwendig ſind; ſie werden als primäre Geſchlechtsmerkmale (pr. „Sexualcharaktere“) be— zeichnet. Daneben kommen aber Unterſcheidungsmerkmale vor, die mit dem Geſchlechts— apparat in keinerlei anatomiſchem Zuſammenhange ſtehen und meiſt auch für den Akt der Fortpflanzung ſelbſt nur von nebenſächlicherer Bedeutung ſind: es ſind die ſekundären Geſchlechtsmerkmale. Zwar haben einige davon für die Fortpflanzung ſelbſt unentbehr— liche Verrichtungen: der Anhang am Kiefertaſter der Spinnenmännchen und der Hekto— kotylusarm der männlichen Tintenfiſche ſind für die Übertragung des Samens in die weiblichen Geſchlechtsteile ebenſo wichtig wie das Begattungsglied der Reptilien; aber ſie ſtehen in keinem anatomiſchen Zuſammenhang mit dem Geſchlechtsapparat, ſondern ſind durch Umbildung eines Organes von urſprünglich anderer Verrichtung erſt ſpäter in deſſen Dienſt getreten; wir rechnen ſie daher zu den ſekundären Merkmalen. Die primären Geſchlechtsmerkmale ſind oben ſchon beſprochen worden; hier ſollen uns nur die ſekundären beſchäftigen. Bei den niedrigſt organiſierten Tierformen freilich, den Coelenteraten und Stachelhäutern, fehlen ſolche Unterſchiede zwiſchen den Geſchlechtern; bei den Plathelminthen ſind ſie an den zwei Arten, die getrenntes Geſchlecht haben, ſehr deutlich. Unter den Ringelwürmern ſind ſie nicht häufig, während Rädertiere und Faden— würmer ſie öfter zeigen. Auch bei den Weichtieren kommen ſekundäre Geſchlechtsmerk— Sekundäre Geſchlechtsmerkmale. 473 male hie und da vor. Ganz gewöhnlich aber ſind ſie in den großen Kreiſen der Glieder— füßler und der Wirbeltiere. Die Mannigfaltigkeit, in der die ſekundären Geſchlechtsmerkmale auftreten, iſt ge— radezu verblüffend; es gibt keinen Teil des Körpers, der nicht hie und da geſchlechtliche Unterſchiede darbieten würde, und bei verwandten Tieren ſind die Geſchlechtsunterſchiede oft ganz verſchiedener Art. Dabei fällt es von vornherein auf, daß es in der Haupt— ſache die Männchen ſind, an denen dieſe Merkmale in ſolcher Fülle auftreten. Bei den Weibchen kommen im allgemeinen nur Vorrichtungen zur Unterbringung der Eier oder ſolche zur Brutpflege als geſchlechtliche Kennzeichen vor, wie Legebohrer und Legeröhren bei vielen Inſekten und beim Bitterling (Rhodeus amarus Bl.), oder Brutplatten, Brut— hälter und Bruträume der verſchiedenſten Art. Um aber die Merkmale der Männchen überſichtlich erörtern zu können, muß man ſie noch genauer einteilen. Wir unterſcheiden alſo ſolche Merkmale, die mit der Fortpflanzung und mit der Brutpflege unmittelbar zuſammenhängen — jene find ſchon beſprochen, dieſe werden im Zuſammenhang mit der Brutpflege im 2. Bande behandelt werden — dann ſolche, die dem Männchen beim Hab— haftwerden der Weibchen von Vorteil ſind, und ſchließlich ſolche, von denen vielfach, aber nicht unbeſtritten, angenommen wird, daß ſie das Weibchen erregen und damit der Begattung zugänglich machen. So behandeln wir alſo nacheinander die Organe, die zum Feſthalten der Weibchen dienen, diejenigen, die beim Kampf der Männchen um die Weibchen von Nutzen ſind, und ſolche, die das Auffinden der Weibchen erleichtern, und ſchließlich die Merkmale, die vielleicht der Erregung der Weibchen dienen. a) Mittel zum Bewältigen der Weibchen. Solche ſekundäre Geſchlechtsmerkmale, die dem Männchen das Feſthalten der Weib— chen erleichtern, ſind ſehr verbreitet; ſie überwiegen durchaus bei den niederen Formen der Wirbelloſen, während ſie bei den höheren Wirbeltieren ganz fehlen. Sie ſtehen in nächſter Beziehung zur Fortpflanzung, und wir dürfen in ihnen wohl die urſprüng— lichſten ſekundären Unterſchiede der Geſchlechter ſehen. Solcher Art iſt die breite Körper— form des Männchens bei dem getrenntgeſchlechtlichen Saugwurm Schistosomum haema- tobium Bilh. (Abb. 304), womit es das Weibchen umfaßt, ſo auch das gekrümmte Schwanz— ende des Spulwurmmännchens und die Begattungstaſche bei den Männchen vieler anderer Fadenwürmer. Bei den Alciopiden, die unter den Ringelwürmern nahezu allein eine Begattung ausführen, trägt das Männchen in allen Segmenten, die Samenblaſen enthalten, zugleich auch Drüſenhügel auf der Bauchſeite, mit deren Sekret es ſich wahrſcheinlich an das Weibchen anheftet. Überaus häufig ſind derartige Einrichtungen bei den Krebſen. Bei den Ruderfüßlern (Copepoden) ſind es die großen vorderen Antennen, die im männ— lichen Geſchlecht einen Packapparat bilden; ihr Endſtück läßt ſich gegen das Baſalſtück einſchlagen, das durch die ſtarken Muskeln des Apparates dick aufgetrieben iſt; bei Cyelops und Canthocamptus ſind beide Ruderantennen, bei Diaptomus nur die rechte ſo ausgebildet. Bei den männlichen Flohkrebſen iſt der zweite Kieferfuß zum Feſthalten der Weibchen eingerichtet, bei den Männchen der zehnfüßigen Krebſe iſt meiſt eine der Scheren des erſten Gehfußpaares noch vergrößert, bei manchen Verwandten unſeres Flußkrebſes tragen die 2., 3. und 4. Gehfüße hakenförmige Anhänge zu ſolcher Verwendung. Unter den Inſekten haben beſonders die Käfer nicht ſelten verbreiterte Fußglieder an den Vorderbeinen, vor allem die Laufkäfer; bei vielen Schwimmkäfern (Dytisciden) tragen die verbreiterten baſalen Fußglieder der Vorderbeine ſogar Saug— 474 Haft⸗ und Packapparate der Männchen. näpfe, um als Klammerorgane wirkſamer zu werden (Abb. 265). Die Schienen und Füße der Vorderbeine ſind bei den Eintagsfliegen ſehr verlängert und dienen als Fangapparat. Meiſt aber iſt das Hinterleibsende der Männchen zum Feſthalten der Weibchen aus— gerüſtet: die Anhänge desſelben, die Raife, werden bei den Männchen der Libellen, mancher Zweiflügler (Culex), vieler Netzflügler, vor allem bei der Skorpionsfliege (Panorpa) zu Greifzangen. Es iſt leicht zu beobachten, wie das Libellenmännchen ein Weibchen mit dieſer Zange im Genick feſthält und mit ihm im Hochzeitsflug die Luft durcheilt. Das Männchen beſitzt auf der Bauchſeite des zweiten Hinterleibsringes einen ſchon vorher mit Samen gefüllten Begattungsapparat, und die Begattung geſchieht derart, daß das Weibchen ſein Hinterleibsende nach vorn aufbiegt und dort den Samen aufnimmt. Bei einer Anzahl von Fiſchen, z. B. manchen Cottus-Arten, bei Callichthys, den Lori— cariiden (Panzerwelſen) und bei den Cobitis-Arten (dem Schlammpeitzger und ſeinen Verwandten) haben die Männchen kräftiger gebaute Bruſtfloſſen mit verdickten vorderen 8 l | Strahlen und be— JJC nutzen dieſe, um ſich CCC dicht au de JJC nase = —_— — anzufchmiegen oder lie zur Begattung feſtzuhalten; einem ſolchen Anſchmiegen mögen auch die ver— dickten erſten Strah— len an den Bauch— floſſen der Schleie (Tinca tinca L.) dienen. Haftorgane ſind die mächtig ent— wickelten Daumen— ſchwielen der Männ— chen bei Fröſchen und Kröten, wodurch ſie die Umklammerung der laichenden Weibchen feſter machen. Die höheren Wirbeltiere ſind in den Gliedmaßen, den zahnbewehrten Kiefern oder dem Schnabel ſchon mit Pack— apparaten ausgeſtattet, die für das Feſthalten der Weibchen genügen; die Männchen bedürfen dazu keiner beſonderen Einrichtungen. Für die Bewältigung der Weibchen iſt auch bedeutendere Größe von Nutzen. Aber im allgemeinen iſt das Größenverhältnis der Geſchlechter ſehr wechſelnd. In den aller— meiſten Fällen ſind wohl die Männchen kleiner als die Weibchen, ja das geht ſo weit, daß bei manchen Formen Zwergmännchen vorkommen; ſo ſind die Männchen der Räder— tiere klein, ohne funktionsfähigen Darm; bei dem Sternwurm Bonellia (Abb. 303) leben mehrere zwerghafte Männchen, nur 1—2 mm lang, mit mund- und afterloſem Darm, zunächſt paraſitiſch im Schlund und ſpäter in dem ausführenden Abſchnitt des Frucht— halters der Weibchen; bei vielen paraſitiſchen und feſtſitzenden niederen Krebſen aus den Familien der Rankenfüßer, Copepoden und Aſſeln kommen ebenfalls Zwergmännchen paraſitiſch auf den Weibchen vor. Auch bei den Spinnentieren ſind die Männchen oft Abb. 303. Weibchen von Bonellia viridis Rol. Etwa ½ nat. Größe. Größenverhältnis der Gejchlechter. 475 viel kleiner als die Weibchen; bei der Zecke (Ixodes reduvius L.) ſind die Weibchen 3—4 mal fo groß, bei manchen Spinnen beträchtlich größer, ja bei Thomisus eitreus Geer 10 mal, bei einer tropiſchen Kreuzſpinne, Nephila imperialis Dol., ſogar 12 mal jo lang und 1350 mal ſo ſchwer als das Männchen. Auch bei den Inſekten wird im all— gemeinen das Männchen vom Weibchen an Größe überragt: ſo bei den Geradflüglern, Läuſen, Flöhen, Schmetterlingen und Schlupfweſpen; bei den Schildläuſen, Ameiſen und Ameiſenbienen (Mutilla und Verwandte) ſind die Männchen oft nur halb ſo lang wie die Weibchen, bei dem Spinner Aglia tau L., dem Nagelfleck, ſpannt das Weibchen 90 mm, das Männchen nur 57 mm. Auch bei den Weichtieren ſind die Männchen im allgemeinen kleiner als die Weibchen, in manchen Fällen ganz bedeutend; ſo iſt bei der Meeresſchnecke Lacuna pallidula da Costa das Männchen 4 mm, das Weibchen 13 mm lang, und bei dem Tintenfiſch Oeythos tubereulata Raf. mißt das Weibchen 28 em, das Männchen nur 3 cm in der Länge. Um jo mehr muß es verwundern, — . —ʃ wenn in manchen Fällen die Männchen an Größe über— legen find. Bei Schistosomum haematobium Bilh. | A zeigt der Augenſchein (Abb. 304), daß der männliche Körper maſſiger iſt als der des allerdings längeren Weibchens. Unter den Krebſen iſt bei Branchipus Abb. 304. Schistoso mum grubei Dyb. das Männchen 30, das Weibchen 22 mm | haematobium lang; die Männchen der Flohkrebſe und Waſſeraſſeln 5 F übertreffen allgemein die Weibchen an Größe; auch ene San beim Taſchenkrebs iſt das Männchen das größere; beim | Mannchen trägt das 8 er x .. 2 drehrunde Weibchen amerikaniſchen Hummer iſt das Männchen ſtets ſchwerer [in der durch Ein— als ein gleichlanges Weibchen, und während das Mari- Pera lde malgewicht für Weibchen 8,5 kg beträgt, iſt es für den Rinne nat ſich Männchen etwa 11 kg. Unter den Spinnen iſt nur er bei der Waſſerſpinne (Argyroneta aquatica Cl.) das Männchen größer, und zwar im Verhältnis 5: 3. In der Inſektenwelt ſind es vor allem die Käfer, wo ziemlich oft das Weibchen dem Männchen an Größe nachſteht, vor allem bei den Hirſch- und den Blatt— > hornkäfern; bei dem Rieſenkäfer Dynastes hercules L. rg z. B. iſt das Männchen 15 em, das Weibchen 9 em lang. Auch einige wenige Schmetterlinge gibt es, deren Männchen das Weibchen überragt, jo die Zygaene Syntomis phegea L. im Verhältnis 6:5. Unter den Wirbeltieren iſt bei den Fiſchen das Männchen regelmäßig kleiner als das Weibchen, beim Aal ſogar noch nicht halb ſo lang; eine Ausnahme ſcheint jedoch der Großfloſſer Polyacanthus zu machen, wo die Größe des Männchens überwiegt. Das gleiche gilt für die Amphibien, wo ich nur beim Feuerſalamander Männchen und Weib— chen etwa gleich ſchwer finde, während ſie ſich beim Kammolch (8 6,7 g 7 8,8 g), Laub— froſch ( 4,5 g 268), Waſſerfroſch (c 36 g 2 61g) und beſonders bei der gemeinen Kröte (8 46 g ? 124 g) unterſcheiden. Unter den Reptilien ſind bei Schildkröten und Schlangen die Männchen kleiner, bei letzteren meiſt um ein Bedeutendes; bei den Ei— dechſen aber überwiegen die Männchen, wenig bei der Bergeidechſe (Lacerta vivipara Jacg.), mehr bei der Zauneidechſe (L. agilis L.) und beſonders bei den großen ſüdeuro— päiſchen Lacerten, bei den Agamen und bei den Leguanen. In der Reihe der Vögel iſt 476 Kämpfe der Männchen. bei den Raubvögeln die Größe der Männchen meiſt bedeutend geringer als die der Weib— chen (Sperber 8 134g 2 250 g; Wanderfalke c 555 g 2 1052 g); ſonſt aber ſind die Männchen vielfach größer (z. B. Rabenkrähe 8 520 g f 350 g), am ausgeſprochenſten bei den polygamen Arten, den Hühnervögeln und den Straußen. Unter den Säugern iſt das Größenverhältnis der Geſchlechter ſehr wechſelnd; größere Weibchen haben die Spitzmaus (Crocidura aranea Wagn. S 8,7 g 2 9,9 g) und die gemeine Fledermaus (Vespertilio murinus Schreb. 5 18 g 2 30 g); beim Eichhorn finde ich die Geſchlechter etwa gleich, bei der Waldmaus (Mus silvaticus L.) überwiegt das Männchen, und ſo iſt es auch bei den Raubtieren und vor allem bei den polygamen Formen, den Wieder— käuern, Robben, Zahnwalen; bei den Ohrenrobben ſoll der Bulle das ſechsfache Gewicht des Weibchens haben, der männliche Pottwal iſt noch einmal ſo lang als das Weibchen — aber bei den Bartwalen ſind die Weibchen größer. 6) Kampforgane der Männchen. Wenn ſo überaus häufig das Männchen zum Bewältigen des Weibchens beſonders ausgerüſtet iſt, ſo finden wir viel ſeltener Kampforgane bei den Männchen; vor allem fehlen ſie bei den niederen Gruppen. Von Kämpfen der Männchen läßt ſich nur bei höheren Krebſen und den Inſekten ſowie bei den Wirbeltieren ſprechen. Ob es wirklich Kämpfe „um die Weibchen“ ſind, oder nur Temperamentsäußerungen infolge der hoch— geſteigerten geſchlechtlichen Erregung, das läßt ſich kaum objektiv entſcheiden, doch halten wir das letztere für wahrſcheinlicher. Solche Erſcheinungen, wie die Angriffe brünſtiger Männchen auf andere Tiere, z. B. Angriffe von Brunſthirſchen oder Auerhähnen auf Menſchen, machen das wahrſcheinlich. Beobachtet ſind Kämpfe männlicher Inſekten nur verhältnismäßig ſelten: bei einigen Bienen, ſo bei der Pelzbiene (Anthophora pilipes Fab.) und bei Mauerbienen (Osmia) ſowie bei einer Anzahl Käfern; die Kämpfe der Hirſchkäfermännchen ſind bekannt, und oft findet man Männchen, die an den durchbohrten Flügeldecken die Spuren der Kiefer ihrer Gegner tragen; auch die Männchen der Pillen— dreher (Ateuchus sacer L.), der Pillenwälzer (Sisyphus schäfferi L.) und den Reb— ſchneider (Lethrus apterus) find kämpfend beobachtet. Dagegen find bei den Wirbel— tieren die Kämpfe der Männchen häufig. Wir treffen ſie bei ſehr vielen einzellaichen— den Fiſchen, z. B. bei den Lachſen oder dem Kampffiſch (Betta pugnax Cant.). Bei den Amphibien ſcheinen ſie zu fehlen. Die Reptilien dagegen ſind zur Brunſtzeit vielfach ſehr kampfluſtig; ſelbſt die Männchen der trägen Chamäleons befehden ſich dann auf das heftigſte. Unter den Vögeln und Säugern ſind die Kämpfe der Männchen faſt all— gemein verbreitet. Werkzeuge für den Kampf der Männchen finden ſich hier und da, doch nicht beſon— ders häufig. Die eine vergrößerte Schere bei den Männchen der zehnfüßigen Krebſe kann vielleicht bei manchen Formen als Waffe dienen; in anderen Fällen aber iſt der Umfang ſo gewaltig, daß ſie kein geeignetes Kampforgan abgeben kann: bei der Krabben— gattung Uca z. B. übertrifft die vergrößerte Schere den übrigen Körper des Männchens an Größe; ſie iſt daher eher als geſchlechtlicher „Zierat“ anzuſehen. Die Hörner der Hirſchkäfer werden allerdings bei den Kämpfen der Männchen verwendet; aber die Weib— chen vermögen mit ihren kurzen Oberkiefern weit empfindlicher zu zwicken als die Männchen mit den langen Kiefern, wo der Widerſtand an einem ſo langen Hebelarm anſetzt; bei Lethrus haben die Männchen einen großen, nach abwärts gebogenen Fortſatz am Ober— kiefer. Auch bei den Wirbeltieren ſind Kampforgane der Männchen nicht allgemein ver— Kampforgane der Männchen. 477 breitet, ja bei Fiſchen, Amphibien und Reptilien ſucht man ganz vergeblich danach. Bei den Vögeln iſt der Auerhahn durch den ſtarken Schnabel, der Hahn durch ſeinen Sporn vor ihren Weibchen ausgezeichnet. Bei den Säugern ſchließlich kann die ſtärkere Be— zahnung mancher Männchen, ſo die Hauer der Eber und des Moſchustieres, die Stoß— zähne des Elefanten und des Narwals, die Eckzähne der Hengſte und Hirſche und die Ausrüſtung mit Geweihen und Hörnern bei den Wiederkäuern, als Bewaffnung der Männchen zum Kampf gedeutet werden. Aber vielfach iſt ſolchen Waffen durch das Übermaß der Ausbildung die rechte Wirkung genommen: die Hauer des Hirſchebers ſind ſpiralig gewunden, ſo daß ihre Spitze nicht frei vorragt; ebenſo haben die Stoßzähne des Mammuts durch Einbiegung ihrer Spitze ſehr an Wirkſamkeit eingebüßt; die vielfach ver— zackten Geweihe des Edelhirſches ſind im Kampfe nicht ſo wirkſam wie einfache Geweih— ſtangen, und wo zufällig in einem Revier ältere Hirſche ſtatt mit dem normalen Geweih mit ſpießerartigen Stangen ausgerüſtet ſind, da ſind die Verwundungen, die ſie ihren Gegnern beibringen, oft jo gefährlich, daß dieſe Hirſche als ſogenannte „Schadhirſche“ dem Jäger verhaßt find. Bei den Kämpfen werden zwar dieſe Waffen benutzt; aber es iſt mehr die ſtemmende Kraft der Gegner als die Brauchbarkeit der Waffe, wovon der Erfolg abhängt. Es werden daher oft dieſe Waffen eher unter dem Geſichtspunkt der „Zieraten“ zu betrachten ſein. So bleibt im ganzen von einer beſonderen Bewaffnung der Männchen zu ihren Eiferſuchtskämpfen nicht viel Sicheres übrig. y) Organe zum Aufſuchen der Weibchen. In reichem Maße ſind unter den ſekundären Geſchlechtsmerkmalen die Organe ver— treten, die dem Männchen das Auffinden des Weibchens erleichtern: es ſind die Spür— und die Sehorgane. Bei den Waſſertieren ſind die Fühler ein Hauptſitz des chemiſchen Sinnes — von Geruch kann man im Waſſer kaum ſprechen. Sie ſind bei den Männchen des Ringelwurms Autolytus (Abb. 305) weit ſtärker als bei dem Weibchen ausgebildet. Bei den Krebſen ſtehen auf beiden Antennen borſten— artige, zarthäutige Organe, ſogenannte hyaline Schläuche oder Sinneskolben; ſie ſind bei den Männchen oft vermehrt im Vergleich zu den Weibchen, entweder dadurch, daß die Antennen vergrößert ſind, oder dadurch, daß die Organe beſonders dicht ſtehen und länger ſind. So 6 beſitzen die Cumaceen im männlichen Geſchlecht am zweiten Antennenpaar eine Geißel von Körperlänge, während ſie bei dem Weibchen 55 = rg verkümmert iſt; ähnlich iſt es bei den Hype— „„ riden und Phronimiden; bei Nebalia hat dieſe ute ter ren e bea. Nac Menſc. Geißel beim Männchen 80 Glieder, beim Weib— chen deren nur 12—17. Vermehrung und Vergrößerung der Sinneskolben zeigen vor allem die vorderen Antennen der Männchen bei den Blattfußkrebſen und Muſchelkrebſen. — Im Inſektenreich ſind die Fühler der Sitz der Geruchsorgane. Sie ſind ſehr häufig im männlichen Geſchlecht länger als bei den Weibchen, oder ihre Oberfläche iſt durch Ver— dickung oder Erweiterung der Glieder vermehrt. Bei den Gottesanbeterinnen z. B. ſind t — 478 Größere Sinnesorgane der Männchen. im männlichen Geſchlecht die Fühler von Körperlänge, im weiblichen nur halb ſo lang; bei der Zuckmücke (Chironomus plumosus L.) find die Fühler des Männchens 14 gliedrig, die des Weibchens 7gliedrig; auffällig verlängert ſind die Fühler der Männchen bei den Weſpen und den Bockkäfern; bei der Motte Adela degeerella L. find die männlichen Fühler dreimal ſo lang als die Vorderflügel, die weiblichen viel kürzer. Eine ſehr häufige Art, die Oberfläche der Fühler und damit die Zahl der auf ihnen ſtehenden Riechorgane zu vergrößern, iſt die Erweiterung der Fühlerglieder durch borſten- oder lappenförmige Anhänge, wodurch die Fühler geſägt, gefiedert, einfach oder doppelt ge— kämmt erſcheinen. So kommt z. B. bei den Blatthornkäfern die quergeſtellte Blätterkeule der Fühler zuſtande; beim Männchen des Maikäfers ſind es die ſieben Endglieder des Fühlers, beim Weibchen nur ſechs ſolche, die an der Bildung der Keule beteiligt ſind, und die einzelnen Blätter ſind beim Männchen mehr als noch einmal ſo lang wie beim Weibchen; dementſprechend ſtehen auf den Blättern eines männlichen Fühlers 50000, auf denen eines weiblichen dagegen nur 8000 Einzelſinnesorgane. Gekämmte Fühler ſind bei den Inſekten ſehr häufig: ſo finden wir ſie bei den Männchen der ſüdeuropäiſchen Mantide Empusa egena Cbarp. doppelt gekämmt, bei den Weibchen nur einfach; bei zahlreichen Schmetterlingen, beſonders Spinnern und Spannern, haben die Männchen doppelt gekämmte, die Weibchen nur gezähnte Fühler; unter den Stech- und Zuckmücken (Culiciden und Chironomiden) haben die Männchen buſchige, die Weibchen borſtig be— haarte Fühler; die Buſchhornblattweſpen (Lophyrus) haben ihren Namen von den dop— pelt gekämmten Fühlern der Männchen, und bei manchen Käfern (Schnellkäfern u. a.) unterſcheiden ſich die Geſchlechter in ähnlicher Weiſe. Höhere Ausbildung der Sehorgane bei den Männchen iſt bisher auch nur aus der Reihe der Inſekten bekannt, kommt aber dort nicht ſelten vor. Unter den Geradflüglern hat Proscopia radula Klg. im männlichen Geſchlecht größere Facettenaugen als das Weibchen. Auffällig iſt der Unterſchied bei den Leuchtkäferchen (Lampyris splendidula L.), wo das fliegende Männchen 2500, das ungeflügelte Weibchen nur 300 Facettenglieder in einem Auge hat; auch ſonſt kommen bei Käfern ſolche Unterſchiede vor, aber in ge— ringerem Maße, z. B. beim Junikäfer (Rhizotrogus solstitialis L. S 3700, 2 2700 Facetten) oder dem Pappelbock (Saperda carcharias L. S 2200, 2 1775 Facetten). Die mächtigen, zweigeteilten Augen der Eintagsfliegenmännchen, deren einer Abſchnitt zu— weilen als ſogenanntes Turbanauge erſcheint, werden unten (4. Buch) noch beſprochen. Unter den Fliegen haben eine Anzahl Bibioniden (z. B. Bibio marci L., Dilophus vul- garis Meig.) im männlichen Geſchlecht große, auf dem Scheitel zuſammenſtoßende Augen; auch bei manchen Waffenfliegen (Beris), Tanzfliegen (Empis) und zahlreichen Syrphiden ſind die Augen der Männchen größer. Bei der Drohne, dem Männchen der Honig— biene, berühren ſich die Augen auf dem Scheitel, während ſie bei den weiblichen Formen, der Königin und den Arbeitern, durch einen weiten Zwiſchenraum getrennt bleiben. Bei den Wirbeltieren iſt eine höhere Ausbildung der Sinnesorgane im männlichen Geſchlecht nicht bekannt; Männchen und Weibchen ſind hier im allgemeinen gleich gut ausgerüſtet, ſowohl was Riech- als was Sehorgane betrifft. Die Sinnesorgane ſtehen hier auf einer höheren Stufe der Ausbildung, und es bedarf keiner beſonderen Steige— rung im Dienſte der Fortpflanzung. Nur beim Aal ſind im männlichen Geſchlecht die Augen etwas größer und wachſen noch bedeutend an, wenn das Tier im Meere ge— ſchlechtsreif wird; aber vielleicht nehmen auch die Augen der Weibchen in der Tiefſee an Größe zu. Geflügelte Männchen ungeflügelter Weibchen bei Inſekten. 479 Die Männchen FT. ( find im allgemeinen e 8 “Ss beweglicher als die Weibchen und ſuchen dieſe zur Fortpflan— zung auf, beſonders dann, wenn deren Be— weglichkeit irgendwie beeinträchtigt iſt. Dies iſt bei manchen In— ſektenweibchen durch das Gewicht der Eier geſchehen, und viele weibliche Schmetter— linge, beſonders Spin— ner und Spanner, ſind deshalb träge zum Fliegen. So kommt es denn auch in nicht Abb. 306. 8 * Großer Froſtſpan— wenigen Fällen zur |nercHiverniadeto- Verkleinerung, und ger meg das lage Rückbildung der Flü⸗ Weibchen ſitzt am Aſt. gel bei den Weibchen. So ſind die Weibchen der Schabenart Ectobia lapponica L. kurzgeflügelt, während die Männchen lange Flügel haben; bei Mantis religiosa L., der Gottesanbeterin, ſind die Flügel der Männchen länger; bei den Schildläuſen haben die Männchen Flügel, während die Weibchen ungeflügelt ſind. In der Reihe der Schmetterlinge iſt Rückbildung der Flügel beim Weibchen nicht ſelten: wir finden ſie bei den Sackträgern (Pſychiden), manchen Spinnern (Orgyia) und Spannern (Cheimatobia, Hibernia Abb. 306 und S. 64), bei der Eule Agrotis fatidica Hb. und einigen Kleinſchmetterlingen (3. B. Acentropus niveus Ol.). Unter den Hymenopteren haben die Bienenameiſen (Mutilla) ungeflügelte Weibchen; bei den Käfern find es die Leuchtkäferchen (Lampyris), deren Weibchen der Flügel entbehren, und auch in der Gattung Ptinus ſind die Männchen meiſt geflügelt, die Weibchen flügel— los. Andererſeits gibt es aber auch einige Beiſpiele, daß die Flügel bei dem Männchen verſchwinden, während das Weibchen geflügelt bleibt, ſo bei der Perlide Taeniopteryx trifaseiata Pict., dem Getreideblaſenfuß (Thrips cerealium Halid.) und der Feigengall— weſpe (Blastophaga grossorum Grav.). d) Eigenſchaften der Männchen „zur Erregung der Weibchen“. Einen großen Teil der ſekundären Geſchlechtsunterſchiede ſtellen jene Merkmale, als deren Aufgabe es mit mehr oder weniger Wahrſcheinlichkeit bezeichnet wird, das Weib— chen zu erregen und für den Akt der Fortpflanzung gefügig zu machen. Sie nehmen im Verhältnis zu den übrigen Merkmalen bei den höheren Tieren an Zahl zu, ja bei den Reptilien, Vögeln und Säugern bilden ſie faſt die einzigen ſekundären Unterſchiede zwiſchen den Geſchlechtern. Bei niederen Tieren finden wir ſie gar nicht: Würmern und niederen Krebſen fehlen ſie. Dagegen haben wir oben ſchon die mächtigen Scheren der 480 Plaſtiſcher Schmuck der Männchen. Krabbengattung Uca als „Zierate“ bezeichnet, und zahlreich ſind die Einrichtungen „zur Erregung der Weibchen“ bei den Inſekten. Wir teilen dieſe Merkmale ein nach den Sinnesorganen, auf die ſie einwirken: auf das Auge wirken die Merkmale der Körper— plaſtik und Färbung, auf das Geruchsorgan die Sekrete der männlichen Drüſenapparate, auf das Hörorgan die Lautinſtrumente. Die Unterſchiede der Geſchlechter in der Plaſtik des Körpers beſtehen im allgemeinen darin, daß bei den Männchen einzelne Organe beſonders maſſig ausgebildet ſind oder daß Anhänge und Fortſatzbildungen auftreten, die den Weibchen gänzlich fehlen oder bei ihnen nur angedeutet ſind. Schon erwähnt wurde die mächtige Ausbildung der Scheren bei den zehnfüßigen Krebſen; bei der Waſſermilbengattung Arrhenurus haben die Männchen eine ſonderbar geſtaltete hintere Leibeshälfte mit wechſelnd geformten Anhängen (Abb. 316), und beim Männchen des Kankers Phalangium cornutum L. iſt das zweite Glied der Kieferfühler nach oben lang hornartig verlängert. Häufig ſind plaſtiſche Merkmale bei den Inſekten. Die Zangen am Hinterende der Ohrwürmer ſind bei den Männchen mäch— tiger, oft doppelt ſo groß, reicher gezackt und anders gebogen als bei den Weibchen; bei den männlichen Eintagsfliegen ſind die Schwanzfäden viel länger als bei den Weibchen. Manche Hymenopterenmännchen haben zahnartige Auswüchſe auf der Bauchſeite (Anthi- dium, Bembex u. a.). Bei vielen Schmetterlingen weicht der Flügelſchnitt der Männchen von dem der Weibchen durch ſchlankere Form und größere Länge ab, ein Merkmal, das man vielleicht als Verbeſſerung der Flugwerkzeuge deuten könnte. Überaus häufig ſind plaſtiſche Merkmale bei den Männchen der Käfer: die mächtigen Oberkiefer des Hirſchkäfers und ſeiner Verwandten, die Hörner des Nashornkäfers (Oryetes) und ähnliche Verzierungen bei ſehr zahlreichen anderen Blatthornkäfern (3. B. Xylotrupes gideon L., Abb. 315) find am bekannteſten. Bei vielen Bockkäfermännchen find die Ober— kiefer verlängert; auch manche Clythra-Arten haben im männlichen Geſchlecht einen ſtark vergrößerten Kopf und Oberkiefer; bei den Bledius-Arten trägt häufig der Vorderrand des männlichen Halsſchildes ein nach vorn gerichtetes Horn. Häufig beſtehen die Unterſchiede der Geſchlechter bei den Fiſchen in plaſtiſchen Merkmalen der Männchen. Manchen Männchen kommen vergrößerte Floſſen zu, wie den Großfloſſern (Polyacanthus), Geophagus gymnogenys und Callionymus lyra; manche Panzerwelſe (Chaetostomus) tragen im männlichen Geſchlechte haarartige Borſten um den Mund, und bei anderen ſind die Panzerplatten des Bauches ausgedehnter als bei den Weibchen. Die Männchen der Rochen unterſcheiden ſich von ihren Weibchen oft durch ſtärkere Hautzähne und andere Ausbildung der Zähne des Mundes. — Auffallende Hautauswüchſe, Falten und Kämme zeichnen die Männchen vieler Leguane und Agamen (3. B. Draco, Taf. 5) vor den Weibchen aus, und bei den Chamäleons (Taf. 14) ſind hornartige Auswüchſe am Kopfe der Männchen und ähnliche Bildungen nicht ſelten. Bei den Schildkröten iſt der Schwanz der Männchen oft länger als der der Weibchen. Größere Länge von Kopf und Hals und ſtärkere Ausbildung der hinteren Gliedmaßen bei den männlichen Eidechſen iſt wohl auch hierher zu rechnen. — Unendlich mannigfaltig ſind die plaſtiſchen Auszeichnungen der Männchen bei den Vögeln: man braucht nur den Hahn mit der Henne, die männlichen Faſanen oder Auer- und Birkhahn mit ihren Hennen, oder die Paradiesvögel und Kolibris mit ihren Weibchen zu vergleichen! Schmuck— federn von großer Länge und oft ſonderbarer Form an Kopf, Hals, Schwanz und den Flügeln, in Geſtalt von Hollen, Kragen, Spiegeln und dgl. fleiſchige Kämme und Haut— anhänge an Kopf und Hals, ſelbſt ſchwellbare Säcke wie beim Tragopan oder bei dem Plaſtiſcher „Schmuck“ bei Männchen der Vögel und Säuger. 481 amerikaniſchen Tetrao cupido L. ſind in der verſchiedenſten Weiſe ausgebildet. Bei den Säugern macht vielfach die ſtärkere Behaarung der Männchen einen beträchtlichen Unterſchied: es ſei nur an die Mähnenbildung bei Löwen, Hirſchen und Pavianen, an den dickeren Schwanz des Katers, an Bart- und Kammbildungen erinnert. Die Männchen der „Blaſenrobbe“ (Cystophora cristata Nilss.) haben auf dem Naſenrücken einen aufblasbaren Anhang, der ihnen den Namen „Klappmütze“ eingetragen hat, und die männlichen Elefantenrobben (Macrorhinus) können ihren 30—40 em langen Rüſſel auf das Doppelte verlängern. Hörner kommen oft nur den Männchen zu, wie Abb. 307. Kämpfende Lachsmännchen, ſogenannte Hakenlachſe (Salmo sa lar L.). bei den Schafen und manchen Antilopen, oder ſie ſind wenigſtens bei ihnen größer als bei den Weibchen, wie bei anderen Antilopen und Ziegen. Auch ſtarke Ausbildung einzelner Zähne, ſpeziell Schneide- und Eckzähne, zeichnen oft die Säugermännchen aus, z. B. beim Narwal (Monodon monoceros L.), und dienen wohl auch als Waffen (vgl. oben). Ganz beſonders intereſſant ſind die plaſtiſchen Merkmale der Männchen, die perio— diſch auftreten und nach der Brunſtzeit wieder verſchwinden. Bei den Fiſchen gehört hierher die ſchwartenartige Verdickung der Haut und die ſeltſame Hakenbildung am Unterkiefer bei älteren Männchen der Forellen, Lachſe (Abb. 307) und Saiblinge, ebenſo Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 31 482 Periodiſch auftretende plaſtiſche Bildungen. wie der aus zahlreichen hornigen Warzen beſtehende Laichausſchlag, der bei vielen Weiß— fiſchen auftritt und vor allem beim Frauenfiſch (Leuciscus virgo Heck.) auffällig iſt. Unter den Amphibien zeigen manche Waſſermolche derartige Merkmale; auf ihrem Rücken entſteht zur Brunſtzeit als Hautfalte ein mehr oder weniger hoher Kamm, deſſen Rand bei unſerem Kammolch (Abb. 298) ſägeartig gezackt iſt. Die Männchen des Leiſtenmolchs (Molge palmata Schneid.) erhalten im Hochzeitskleid zwiſchen den Zehen der Hinterfüße Schwimmhäute. Zu den periodiſch ſich erneuernden plaſtiſchen Bildungen der Männchen gehören die Federzierden mancher Vögel, z. B. der Kragen des Kampfläufers (Machetes pugnax L. Taf. 10), der nach der Balzzeit ſchwindet. In gewiſſem Sinne kann man auch Abb. 308. Fegender Rehbock; am Geweih hängen Baitfegen. die knöchernen Geweihe der Hirſche und Rehe hierher rechnen. Sie kommen, mit alleiniger Ausnahme des Renntiers, nur den Männchen zu und werden nach der Brunſtzeit abgeworfen, nachdem durch die Tätigkeit knochenauflöſender Zellen, ſogenannter Oſteoklaſten, an der ſpäteren Bruchſtelle ein querſtehender Spaltraum im Knochen entſtanden und ſo eine Lockerung eingetreten iſt. Die Wundſtelle wird dann ſchnell von der umgebenden Haut überwachſen und es entſteht auf ihr eine kolbige Wucherung des Bindegewebes, wodurch das ſpätere Geweih vorgebildet wird. Im Innern des Kolbens treten Verknöcherungen auf, von der Baſis gegen die Spitze zu vorſchreitend; ſie ſtellen das neue Geweih vor. Wenn ſie fertig ausgebildet ſind, ſtirbt der Hautüberzug ab, vertrocknet und wird als Baſt vom Hirſch durch Reiben an Stangen und Stämmchen „abgefegt“ (Abb. 308): das neue Geweih iſt fertig. Lebhaftere Färbung der Männchen. 483 Sehr häufig unterſcheiden ſich die Männchen durch lebhaftere Färbung von den Weibchen. Bei der Schnarrheuſchrecke (Psophus stridulus L.) iſt der Rumpf des Männ— chens ſchwarz, der des Weibchens braun. Viele Libellula- Arten haben im männlichen Geſchlechte einen lebhafter gefärbten Hinterleib als im weiblichen; bei der Waſſerjungfer Calopteryx virgo L. hat das Männchen tiefblaue, das Weibchen braune Flügel. Die Flügel der männlichen Skorpionsfliege (Panorpa communis J.) ſind durch dunkle Quer— binden geziert, beim Weibchen tragen ſie nur dunkle Flecke. Bei zahlreichen Schmetter— lingen erſtrahlen die Männchen in glänzenderen Farben, ſo bei den prachtvollen tropiſchen Tagfaltern der Gattungen Ornithoptera und Morpho; in unſerer Fauna iſt das Männ— chen des Aurorafalters (Anthocharis cardamines L.) durch orangerote Enden der Vorder— flügel vor dem Weibchen ausgezeichnet, und manche Bläulingsmännchen haben braune Weibchen; bei dem Nagelfleck (Aglia tau L.) iſt das Männchen ſatt gelbbraun, das Weibchen bräunlichweiß gefärbt, bei dem Kiefernſpanner (Fidonia piniaria L.) ſind die Flügel des Männchens ſchokoladebraun mit weiß, die des Weibchens einfach roſtbraun, und bei der Ackereule (Agrotis exclamationis L.) ſind die männlichen Hinterflügel weiß, die weiblichen graubraun. — Auch bei vielen Hymenopteren ſind die Männchen anders gefärbt als die Weibchen, für unſer Urteil freilich nicht immer lebhafter. Bei den Käfern aber ſind Prachtfarben der Männchen nicht häufig. Bei den Wirbeltieren ſticht beſonders im Bereich der Vögel das Männchen ſehr häufig durch ſchönere, oft durch beſonders prächtige Färbung vor dem Weibchen ab, am auffallendſten wohl bei den Hühnervögeln, Paradiesvögeln und Kolibris. Unter den Säugern ſind ſolche Farbenverſchiedenheiten wohl vorhanden, aber weniger häufig. Da— gegen haben bei den Reptilien wiederum die Saurier und manche Schlangen im männ— lichen Geſchlecht ein prächtigeres Farbengewand. Periodiſch zur Brunſtzeit auftretende Farbenpracht zeigen vor allem die Männchen vieler einzellaichender Fiſche und mancher Amphibien: jo Stichling, Bitterling (Rhodeus amarus Bl.), Lachs, Großfloſſer und von Meeresfiſchen beſonders die Lippfiſche, Gobiiden und andere; auch die Männchen der Waſſermolche haben ein lebhafter gefärbtes Hochzeitskleid: ſilbriger Schimmer ziert die Flanken des Kammolchs, und bei den Männchen des Alpenmolchs (Molge alpestris Laur.) werden Rücken und Seiten azurblau, und der Bauch flammt in feurigem Orangerot. Auch bei den Reptilien ſind ſolche Umfärbungen des Kleides zur Brunſtzeit bekannt: ſo wird bei einer Form der Mauereidechſe der Rücken des Männchens kupferbraun, an den Seiten treten laſurblaue Flecke auf und der Bauch wird brennend mennigrot, während er ſonſt blaßrötlich oder fleiſchfarben iſt. Das Hochzeitskleid der Vögel wird nur in einzelnen Fällen durch eine beſondere Frühjahrsmauſer neu gebildet, ſo beim Kuckuck, Wiedehopf, der Waſſerralle und unſeren Grasmücken; meiſt werden die Farben nur in— tenſiver durch Abſtoßung von Hornſchüppchen und oft gleichmäßiger durch Abnutzung andersgefärbter Federränder. Abſonderungen, die auf die chemiſchen Sinnesorgane des Weibchens einwirken, kennen wir bei den Männchen der waſſerbewohnenden Tiere nicht, weder bei den Glieder— füßlern noch bei den Wirbeltieren. Aber man kann ein Vorkommen von ſolchen auch hier nicht als ausgeſchloſſen betrachten; wenigſtens wurden bei dem amerikaniſchen Waſſer— molch Molge viridescens Raf., der bei uns viel in Aquarien gehalten wird, hinter den Augen Gruben mit Drüſenapparaten nachgewieſen, die beim Männchen zur Paarungs— zeit in lebhafte Tätigkeit treten, während ſie beim Weibchen rudimentär ſind. Dagegen werden bei den luftlebenden Gliederfüßlern und Wirbeltieren vielfach Düfte beobachtet, 31* 484 Duftende Abſonderungen bei Inſektenmännchen. die zur Brunſtzeit vom Männchen ausgehen, und man kennt die Organe, von denen ſie erzeugt werden. Am bekannteſten ſind ſie bei den Schmetterlingen: wenn man den Flügel eines männlichen Rübenweißlings (Pieris napi L.) zwiſchen den Fingern reibt, nimmt man einen Duft wahr wie Meliſſengeiſt. Er ſtammt aus beſonders gebildeten Schuppen, ſogenannten Federbuſchſchuppen (Abb. 309 A), die, je mit einer Drüſenzelle verbunden, auf der ganzen oberen Fläche des Flügels verſtreut ſtehen. Solche Duftſchuppen von ver— ſchiedener Geſtalt — man unterſcheidet acht Formen — und Bündel von haarförmigen Schuppen, ſogenannte Duftpinſel finden ſich weit verbreitet und in verſchiedener An— ordnung bei den Schmetterlingen. Die Duftſchuppen ſtehen entweder auf der Oberſeite der Flügel gleichmäßig verteilt, wie bei Weißlingen und Bläulingen, oder in Gruppen angeordnet als Duftflecke, wie bei manchen Colias- und Thecla-Arten; oder ſie ſind in Randumſchlägen der Flügel (bei Syrichthus malvae L. und auslän— diſchen Papilioniden) oder Flügeltaſchen (beim Kaiſer— mantel Argynnis paphia L. Hesperia comma L. und Danaiden, Abb. 3100) vor zu ſchneller Verflüchtigung des Duftſtoffes bewahrt; Haarpinſel ſtehen z. B. auf den Hinterflügeln von Jeuxidia. Aber auch an den Beinen und am Hinter— leib kommen Duftpinſel vor: an den Vorderbeinen ſtehen ſie bei manchen Ordensbändern (Catocala fraxini L., nupta L., electa Bkh.) und bei der Eule Pechipogon barbalis L., an den Mittelbeinen bei manchen Erebiden, an den Hinterbeinen bei Syrichthus malvae L. (Abb. 309 B); ja bei Hepialus hectus L., einem Wurzelſpinner, ſind die Hinterſchienen zu „Klumpfüßen“ mit Duftapparaten verdickt und werden in der Ruhe in ſeitlichen Taſchen am Hinterleib gegen Verduften geſchützt; beim Totenkopf (Acherontia atropos L.), dem Windig (Sphinx convolvuli L.) und dem Liguſterſchwärmer (Sph. ligustri L.) ruhen die Duftpinſel in Taſchen zu ſeiten der beiden erſten Hinterleibsringe, und am Ende des Hinterleibes kommen ausſtülpbare Duftpinſel bei manchen Danaiden vor (Abb. 310 K und B). Der Duft, den dieſe Organe erzeugen, iſt z. T. angenehm für uns, ſo der Moſchusgeruch bei den Schwärmern, der aromatiſche Duft nach Walderdbeeren bei Hepialus, der Vanille— duft der ſüdamerikaniſchen Dicenna xantho; bisweilen jagt er uns weniger zu, wie der Fledermausgeruch von Thecla atys Esp. und Prepona laertes; bei noch anderen vermögen wir ihn nicht wahrzunehmen, was offenbar an der Stumpfheit unſeres Riechorganes liegt. — Auch bei einigen anderen Inſektenmännchen ſind Duftorgane nachgewieſen. Sie N Abb. 309. Duftorgane von Schmetterlingen. A Duftſchuppe vom Flügel des Rapsweißlings (Pieris napi L.), B Linkes Hinterbein eines Heſperiden (Syriehthus malvae L.) mit Duftpinſel 1. 4 260 fach, B 15 fach vergrößert. Nach Iblig. Duftorgane bei Männchen der Wirbeltiere. 485 liegen bei unſerer Küchenſchabe (Periplaneta orientalis L.) und Verwandten (z. B. Aphle- bia bivittata Brullé) auf der Rückenſeite des Hinterleibs beim Männchen, wo in taſchen— förmigen Einſtülpungen Duftborſten ſtehen. Die Köcherfliege Sericostoma personatum Me Lachl. trägt ſolche Borſten auf der Innenſeite der ausgehöhlten Enden der Kiefertaſter, die in der Ruhe dem Kopf angelegt werden, um unnützes Verdunſten des Duftſtoffes zu verhindern; bei dem Netzflügler Isoscelipteron flavicorne findet Me. Lachlan beſondere Schuppen auf den Flügeln des Männchens, die dem Weibchen fehlen, und hält ſie für Duftſchuppen, und ſchließlich kommen Bündel von Duftborſten auf der Ventralſeite des Hinterleibes bei den Männchen des Speckkäfers (Dermestes lardarius L.) und des Toten— käfers (Blaps mortisaga L.) vor. Von Spinnentieren ſind Duftorgane nicht bekannt. Besondere Duftorgaue tan Der . Reihe der Wirbeltiere bei den Rep— tilien und vor allem bei den Säugern ausgebildet. Den Vögeln, deren Riech— vermögen ziemlich ſtumpf iſt, fehlen ſie meiſt; jedoch beim Erpel der auſtra— liſchen Moſchusente (Biziura lobata Shaw.) iſt der Geruch während der Sommermonate ſo ſtark, daß er wahr— genommen werden kann lange, ehe das Tier zu ſehen iſt. Moſchusgeruch be— ſitzt auch das Sekret der Unterkiefer— drüſen bei den Männchen der Krokodile, vorwiegend zur Paarungszeit. Riech— drüſen am After treten bei den männ— lichen Schlangen zur Brunſtzeit in leb— hafte Tätigkeit. Beim Hardun (Stellio) und bei Agama haben die Männchen eine Reihe von Afterporen, die den Weibchen fehlen und wahrſcheinlich die eee eee, ee s ee u ee Schenkeldrüſen kommen bei den Männ- Abb 310. 4 Männchen von Danais septentrionis B. mit 5 Er 5 8 ausgeſpreiztem Duftpinfel. B Duftpinſel zuſammenge— chen vieler Saurier vor; bei unſeren klappt, aber noch nicht eingezogen. ( Dufttaſche auf den Eidechſen erzeugen ſie im weiblichen Hinterflügeln von Danais. Aus Doflein, Oſtaſienfahrt. Geſchlecht und beim Männchen außerhalb der Brunſtzeit nur verhornte Zellen, zur Brunſt liefern ſie bei dieſem ein gelbes fetthaltiges Sekret, das wohl ebenfalls riecht. Häufig ſind bei den Säugern die Männchen vor den Weibchen durch Drüſenorgane aus— gezeichnet, die ein ſtark riechendes Sekret abſondern. Bei unſeren heimiſchen Säugern ſei nur an die Brunftfeige des Gemsbocks und an die Violdrüſe auf dem Schwanzrücken von Fuchs und Wolf erinnert; bei vielen Fledermausmännchen finden ſich Riechtaſchen und Riechdrüſen. Von dem intenſiven Moſchusgeruch der Männchen tragen Moſchustier (Moschus moschiferus L.) und Moſchusochs (Ovibos moschatus Blainv.) ihren Namen. In vielen Fällen jedoch ſind beide Geſchlechter in gleicher Weiſe mit ſolchen Drüſen ausgeſtattet. Schließlich iſt noch der Stimmapparate zu gedenken, wo ſolche entweder bei den Männchen allein vorkommen oder doch hier eine höhere Ausbildung erreichen als bei 486 Stimmorgane bei Inſektenmännchen. dem Weibchen. Unter den Inſekten ſind die Männchen der Heuſchrecken, Grillen und Singzikaden als Muſikanten bekannt. Die Laubheuſchrecken und Grillen bringen ihre abgebrochenen Zirplaute dadurch hervor, daß ſie ihre Vorderflügel, die ſich in der Ruhe decken, anein— ander reiben (Abb. 311). Eine ſtarke Ader an der Baſis des oben liegenden Flügels — bei Laub— heuſchrecken des rechten, bei Grillen des linken — iſt auf der Unter— ſeite mit zähnchenartigen Zirp— platten beſetzt und ſo zur Schrillader geworden, die über die „Schrill— kante“ des unten liegenden Flügels hin- und herſtreicht. Die Ober— Abb. 311. Mufisterende Feldgrille (Grylius eampestris L) flügel der zirpenden Feldgrille be⸗ n wegen ſich in 1 Sekunde 6—8 mal hin und her; da ſich beide Oberflügel gleichzeitig bewegen, iſt die Geſchwindigkeit doppelt ſo groß; es liegen alſo die Verhältniſſe ſo, als ob die Schrillkante 32 mal in der Sekunde über 5 Kirsling — . . Abb. 312. Zirpende Gras heuſchrecke (Stethophyma fuscum Pall.) die 131138 Zähnchen der ruhenden Schrillader vorbeigeführt würden; das gäbe einen Ton von 131 * 32 — 4192 Schwingungen, was mit der beobachteten Tonhöhe (es) Stimmbegabung bei Wirbeltiermännchen. 487 gut ſtimmt. Als ſchwingende Platten wirken beſtimmte „Schrillfelder“ der Flügel ſchall— verſtärkend. Bei den Grasheuſchrecken dagegen wird die ſtarke Randader der Vorder— flügel zum Schwingen gebracht, indem die ſchnell auf- und abbewegten Hinterſchenkel mit der an ihrer Innenſeite angebrachten Zahnleiſte darüber fahren (Abb. 312 u. 313); der Ton hält länger an als bei den vorigen und klingt ſchwirrend. Die Singzikaden bringen ihre Laute in der Weiſe hervor, daß ſie Luft ausblaſen durch die mit Stimm— bändern ausgeſtatteten Stigmen ihrer Hinterbruſt, die in Höhlen verſenkt liegen. Auch die Männchen der Schwimmwanze Corixa erzeugen im Waſſer einen zirpenden Ton, indem ſie mit einer Zahnleiſte 3 auf der Innenfläche der Vorderfüße über die quer— 0 aesierte Dhevjlarye ves vorlegten Schnabelgliedes ur de A sinreentnterhein einer mann reiben. Bei vielen andern Inſekten, z. B. den lichen Grasheuſchrecke (Stauronotus ma- 55 5 5 8 A roccanus Thb.) von der Innenſeite, mit der Bockkäfern, geigen beide Geſchlechter. Das gleiche Schrilleiſe ı und B ein Stück dieſer Leiste ſtärker gilt für die vielfach tonerzeugenden zehnfüßigen vergrößert. Nach Petrunkewitſch und v. Guaita. Krebſe, z. B. OcypodasArten. Intereſſant iſt es, daß bei den Krebſen nur Formen, die den größten Teil ihres Lebens in der Luft zubringen, Töne erzeugen, wie denn überhaupt faſt ausſchließlich Lufttiere tonerzeugende Organe beſitzen. Auch bei den Wirbeltieren iſt das Männchen allein ſtimmbegabt oder doch dem Weibchen in ſolcher Begabung überlegen. Waſſerfroſch und Laubfroſch, Geburtshelfer— kröte und Unke vermögen nur im männlichen Geſchlecht zu muſizieren. Bei den beiden erſten wird die Stimme durch Schallblaſen verſtärkt (vgl. oben S. 391f.); ihr Konzert kann man zur Paarungszeit weithin hören, während die Geburtshelferkröte und die Unke bedeutend ſchwächere Stimmen haben. Unter den Reptilien wird nur von den Kroko— dilen berichtet, daß die Männchen zur Brunſtzeit laut brüllen. Sehr zahlreich ſind da— gegen unter den Vögeln Männchen, die den Weibchen an Stimmitteln überlegen ſind: am auffallendſten iſt ja das Lied des Singvogelmännchens, das nicht ſelten zu hoher Klangſchönheit und Abwechſlung der Motive ausgebildet iſt, während dem Weibchen nur wenige Locktöne zu Gebote ſtehen; aber auch in anderen Ordnungen finden wir ſtimm— liche Begabung der Männchen, man denke nur an das Krähen der Hähne und den Balz— geſang des Auer-, Birk- und Haſelhahns, an den Ruf des Kuckucks, das Ruckſen und Girren des Taubers und das Gebrüll der Rohrdommel. Aber auch Inſtrumentalmuſiker gibt es bei den Vögeln: der Storchenmann klappert mit dem Schnabel; das Meckern der Bekaſſine (Scolopax gallinago L.), jener „zitternde, wiehernde, ſummende, knurrende oder brummende Ton“, dem der Vogel den Namen Himmelsziege verdankt, kommt da— durch zuſtande, daß beim jähen Herabſtürzen während der Flugſpiele die Schwanzfedern in ſchnurrende Schwingungen verſetzt werden; das Spechtmännchen trommelt zur Balz— zeit, indem es durch ſchnell folgende Schnabelhiebe einen Aſtſtummel oder dgl. zu vibrie— rendem Schwingen bringt. Bei weitem nicht ſo ausgeſprochen iſt unter den Säugern die höhere Stimmbegabung der Männchen. Manche Säuger laſſen überhaupt nur ganz wenige oder gar keine Töne hören, wie Maulwurf und Spitzmäuſe; bei anderen läßt ſich auch das Weibchen vernehmen, aber die Stimme des Männchens iſt ſtärker und wird gerade zur Brunſtzeit öfter gehört. Es ſei nur an das Röhren des Brunſthirſches, an die Katerkonzerte und das Brüllen des Löwen oder an den Schrei der ſich jagenden 488 „Brunſtſpiele“ bei Gliederfüßlern und Wirbeltieren. Eichhornmännchen erinnert. Der Kehlkopf der Männchen zeigt einen anderen Bau — jo iſt er z. B. auch beim menſchlichen Mann größer als beim Weib — und wo Kehlſäcke zur Stimmverſtärkung vorhanden ſind, wie beim Renntier und manchen Antilopen und bei vielen Affen, ſind ſie ebenfalls im männlichen Geſchlecht ſtärker ausgebildet. e) Temperamentsunterſchiede der Geſchlechter. Die ungeheure Mannigfaltigkeit der körperlichen Merkmale und der damit ver— knüpften Leiſtungen, wodurch ſich die Männchen vieler Tiere von ihren Weibchen unter— ſcheiden, wird durch unſere Aufzählung, die bei den Einzelheiten nicht verweilen durfte, immerhin genügend beleuchtet. Dazu kommen aber noch Unterſchiede des Temperaments, die ſchon in der faſt überall größeren Beweglichkeit der Männchen ihren Ausdruck finden, die ſich aber außerdem in den oben erwähnten Kämpfen und vor allem auch in aller— hand Bewegungsleiſtungen äußern, die man als Spiele und Balztänze kennt. Bei den Inſekten ſind dergleichen ſexuell beeinflußte Bewegungen in Spuren wohl ſchon in der Abänderung des Fluges zu erkennen, die manche Schmetterlingsmännchen bei der An— näherung an die Weibchen zeigen: der ſonſt ſchwebende Flug wird mehr tanzend und Abb. 314. Tanzſtellungen männlicher Spinnen (Attiden). A Icius mitratus, B und C Synageles picata. Nach Peckham. mit anderem Flügelſchlag ausgeführt. Ganz ausgeſprochen finden ſich ſolche Tänze der Männchen vor den Weibchen bei den Attiden unter den Spinnen (Abb. 314): fie „ſchaukeln ſich von einer Seite zur andern, heben das erſte Beinpaar in die Höhe oder breiten es weit aus, ſtrecken den Hinterleib ſenkrecht zur Kopfbruſt nach oben“ und nehmen andere ſonderbare Stellungen an. Weit häufiger aber ſind Brunſtſpiele bei den Wirbeltieren. Unter den Fiſchen ſind es natürlich nur ſolche, die ſich zur Laichzeit paaren, bei denen man Liebesſpiele beobachtet. Hierher zählt das „Schieben und Drängen“, mit dem unſer Stichling (Gasterosteus) das Weibchen zur Eiablage in das Neſt treibt. Leicht ſind die Liebes— ſpiele des Männchens vor dem „erwählten“ Weibchen bei den viel in Aquarien gehal— tenen Großfloſſern (Polyacanthus) zu beobachten: das Männchen umkreiſt das Weibchen mit geſpreizter Rücken- und Afterfloſſe und gefächerter Schwanzfloſſe und verſetzt ihm wohl auch Stöße und Püffe; ähnliche Paarungsſpiele zeigen der Gurami (Osphromenus olfax Cuv.) und der Kampffiſch (Betta pugnax Cant.). Manche Ahnlichkeit damit haben die Liebesſpiele der Schwanzlurche, wie ſie beim Feuerſalamander und ausge— ſprochener bei den Waſſermolchen bekannt ſind: mit trippelnden, tänzelnden Schritten umkreiſt der Molch ſein Weibchen, ſchwimmt um es herum, ſtellt ſich ihm Naſe gegen Naſe gegenüber, wobei er die Weichen mit dem Schwanze ſchlägt, oder ſchwimmt ſchnell „Brunſtſpiele“ bei Wirbeltieren. 489 auf das Weibchen zu, um kurz vor ihm plötzlich einzuhalten (Abb. 298). Die Froſch— lurche führen keine ſolche Spiele aus. — Bei den Reptilien ſcheinen ſich nur die Schlangen ohne vorhergehende Spiele und Kämpfe der Männchen zu paaren. Von den Krokodilen werden Kämpfe der Männchen berichtet, und der Alligator treibt und dreht ſich zur Paarungszeit aufgeblaſen, mit gehobenem Kopf und Schwanz, vor dem Weib— chen auf dem Waſſer herum. Das Männchen unſerer Zauneidechſe umtrippelt das Weibchen mit eigentümlich gekrümmtem Rücken und bogig erhobener Schwanzwurzel und ſtößt es wohl auch leiſe mit der Schnauze an. Selbſt bei den Schildkröten bilden ſolche Paarungsſpiele die Einleitung zur Begattung. — Am auffallendſten und bekann— teſten ſind die Balzſpiele der Vögel. Der Tanz des balzenden Auer- und beſonders Birkhahns mit ſeinen Drehungen, Verbeugungen und Sprüngen ſind oft geſchildert und bildlich dargeſtellt. Kiebitz, Ziegenmelker, Schnepfe und gar manche andere führen zur Balzzeit ſonderbare Flugſpiele in der Luft aus. Manche Singvögel verbinden mit ihrem Lied einen Balzflug: die Dorngrasmücke, der Steinſchmätzer und der Baumpieper erheben ſich in die Luft, um ſich dann, unter fortwährendem Singen, herabſinken zu laſſen, und das Steigen der Lerche bei ihrem Lied iſt nichts anderes als ein Balzflug. — Die Säuger zeigen kaum eigentliche Brunſtſpiele. Der Paarung geht oft ein Jagen des Weibchens durch das Männchen voraus, und das Männchen iſt zur Brunſtzeit ſtreit— ſüchtig und aufgeregt; ganz ohne Rückſicht auf das Weibchen erſcheint die Beſchädigung von Bäumen durch „Schlagen“ mit dem Geweih, wie es Hirſch und Rehbock beſonders zur Brunſtzeit ausführen, gleichſam ein Ausweg für überſchüſſige Kraft. Wieviel Kraft zu dieſer Zeit in Bewegung und Erregung verpufft wird, geht aus der Abmagerung der Hirſche und Rehböcke während der Brunſt hervor: dem Rehbock bringt die Brunſt— zeit eine Gewichtsabnahme von etwa 9% Mit der Erregung der Männchen und dem dabei gefteigerten Stoffwechſel jcheint auch in manchen Fällen die prächtige Färbung zur Brunſtzeit zuſammenzuhängen. P. Bert machte nämlich die Beobachtung, daß ein Gründling (Gobio gobio L.), den man in reinem Sauerſtoff liegen läßt, Prachtfarben annimmt, wie ſie ſonſt das Hoch— zeitskleid der Fiſche zeigt; es iſt daher wahrſcheinlich, daß dieſes ebenſo der geſteigerten reſpiratoriſchen Tätigkeit der Brunſtzeit zu verdanken iſt, wie es denn auch vergeht, wenn der brünſtige Fiſch an Sauerſtoffmangel zugrunde geht. d) Theoretiſche Betrachtungen über die fekundären Gefchlechtsmerkmale. ) Urſprung der ſekundären Geſchlechtsmerkmale. In allen ſekundären Merkmalen, wodurch die Geſchlechter voneinander abweichen, ſcheint das Weibchen faſt ausnahmslos den urſprünglicheren Zuſtand darzuſtellen als das Männchen. Dieſes letztere hat ſich umgewandelt, ja vielfach ſtellen ſich ſeine be— ſonderen Merkmale, wie Farbenpracht, Hautauswüchſe und Anhänge, duftende Sekrete überhaupt nur zur Brunſtzeit bei ihm ein, um dann wieder zu verſchwinden; vor- und nachher ſehen ſich Männchen und Weibchen oft ſehr ähnlich, wie bei Bitterling, Regen— molch oder den Enten. Ja die Zahl der Fälle, wo die geſchlechtlichen Unterſchiede erſt zur Paarungszeit auftreten, erſcheint noch viel größer, wenn wir bedenken, daß das Kleid der fertigen Inſekten auch ein Hochzeitskleid iſt; denn der fertige Zuſtand kann hier geradezu als Fortpflanzungsform betrachtet werden im Gegenſatz zu der Ernährungsform, die durch die Larve dargeſtellt wird; bei den Larven aber ſind die Geſchlechter äußerlich 490 Größere Variabilität der Männchen. nicht oder ſchwer unterjcheidbar, wenn man von einigen Ausnahmefällen (Schwamm— ſpinner Liparis dispar L. u. a.) abſieht. Nur in ſeltenen Fällen iſt das Weibchen das beweglichere (vgl. oben) oder das lebhafter gefärbte, wie bei den Odinshühnern (Phalaropus). Über die Urſache dieſer Erſcheinung iſt ſchon viel geſtritten worden, und es gibt eine ganze Anzahl von Theorien über die Entſtehung der ſekundären Geſchlechtsmerk— male der Männchen. Wir glauben, daß unſere Erkenntnis weſentlich gefördert wird, wenn wir zuvor noch eine wichtige Tatſache betrachten: das iſt die größere Variabilität der Männchen gegenüber den Weibchen. Zahlenmäßige Unterſuchung hat gezeigt, daß bei dem Einſiedlerkrebs Eupagurus prideauxi Leach das Männchen in bezug auf be— ſtimmte Ausmaße der Kopfbruſt und Scheren beträchtlich variabler iſt als das Weib— chen. Dasſelbe gilt von den Drohnen der Bienen gegenüber den Arbeitern. Sehr auf— fallend iſt die Variabilität bei den Männchen vieler Käfer mit ſtark ausgebildeten ſekun— dären Geſchlechtsmerkmalen: überaus wechſelnd iſt die Größe und Ausbildung der Oberkiefer bei den Hirſchkäfermännchen (Lucanus cervus L.); bei einem Verwandten Cladognathus tarandus Thubg. vari- ieren die großen Oberkiefer ſo ſehr, daß ſich alle Übergänge von den beſtentwickelten Männchen bis zu den Weibchen finden laſſen. In ähnlicher Weiſe variieren die phantaſtiſchen Hörner auf Kopf und Vorderbruſt mancher Blatthornkäfermännchen, z. B. beim Nashornkäfer (Oryetes nasicornis L.), bei dem indiſchen Xylotrupes gideon L. (Abb. 315) oder beim Atlaskäfer (Chalcosoma atlas L.) und vielen anderen. Ganz analoge Verhältniſſe finden ff in einer dritten Käferfamilie, bei den Staphy— liniden: eine Art der Gattung Bledius trägt zwei Abb. 315. Verſchieden geſtaltete Männchen des OR am 8 2 9 ; javaniſchen Blatthornkäfers Xylotrnpes ſeitliche Hörner auf dem Kopfe und ein medianes F Beine. auf dem Halsſchild; es finden ſich am gleichen Ort Stücke, bei denen die erſteren rudimentär und das Horn des Halsſchildes lang iſt, und andere mit langen Vorſprüngen am Kopf und kurzem Horn auf dem Halsſchild, und dazwiſchen Übergänge. Ahnliches zeigt die Gattung Siagonium. Unter den Schmetterlingen kommt die Variabilität der Männchen nicht ſo durchgehends zu deutlichem Ausdruck. Bei den Varietäten des prächtigen tropiſchen Papilioniden Ornithoptera priamus L. ſind die Weibchen einander ſehr ähnlich, während die Männchen in ihrem Farbenkleid beträchtlich vonein— ander abweichen. Dem ſtehen allerdings andere Schmetterlingsarten gegenüber, die zu einer Männchenform eine Anzahl verſchieden gefärbter Weibchenformen beſitzen, wie Papilio merope L., Hypolimnas bolina L. und H. misippus L.; aber hier liegen be— ſondere Verhältniſſe vor: die Variabilität der Weibchen wurde dadurch erhalten und be— fördert, daß ſie anderen Schmetterlingsarten, die ihres üblen Geſchmackes wegen von den Feinden gemieden werden, in Färbung und Zeichnung gleichen und dadurch geſchützt find, und zwar an verſchiedenen Orten anderen Arten (vgl. bei Mimikry im 2. Band). Im übrigen zeigen ſich die Männchen von Hypolimnas bolina L. überaus variabel in der Größe: während man in Amboina oft wahre Rieſen von mehr als 90 mm Spann— afel X. T 2 Kampfläufer (Machetes pugnax L.) Drei verſchieden gefärbte Männchen und rechts hinten ein We L. ierleben. — > 22 Tierbau u eſſe u. Doflein, 8 3 . * Größere Variabilität der Männchen. 491 weite trifft, kommen auf Ceylon zwerghafte Männchen von nur 50 mm vor. Wenn man an unſeren Tagfaltern durch Einfluß erhöhter oder herabgeſetzter Temperatur Ab— änderungen hervorruft, ſo liefern die Männchen die größere Zahl von Aberrationen. Außerſt variabel find die Männchen des Ohrwurms (Forfieula aurieularia L.) in bezug auf die Zange ihres Hinterleibsendes: während bei den Weibchen die Variationsbreite dieſer Gebilde wahrſcheinlich weniger als 1mm beträgt, mißt bei den Männchen die kleinſte Zange 2,5 mm, die größte 9 mm. Auch bei manchen Spinnenarten (aus den Gattungen Linyphia, Theridium u. a.) ſind die Männchen variabel, ſo daß ſie in zwei Formen vorkommen, die einen mit ſchwachen, die andern mit verlängerten und ſtarken Kiefertaſtern. Das auffälligſte Beiſpiel für die Variabilität der Männchen in der Reihe der Wirbeltiere bietet der Kampfläufer (Machetes pugnax L.) (Taf. 10); hier ſind kaum zwei Männchen in der Färbung des Hochzeitskleides einander gleich: die Halskrauſe iſt „auf ſchwarzblauem, ſchwarzem, ſchwarzgrünem, dunkelroſtbraunem, roſtbraunem, roſt— farbigem, weißem oder andersfarbigem Grunde heller oder dunkler gefleckt, gebändert, ge— tuſcht oder ſonſtwie gezeichnet”. Bei dem Sperling wurde in Amerika, wo er unter neuen Bedingungen ſtärker zum Abändern neigt als in Europa, zahlenmäßig die ſtärkere Variation des Männchens nachgewieſen. Eine genaue Unterſuchung einer großen An— zahl unſeres gemeinen Wieſels (Putorius vulgaris L.) ergab eine beſonders ſtarke Variation der Männchen in Körperbau, Größe und Färbung. Von dem Löwen hat man eine Anzahl Unterarten gemacht, die ſich in der Hauptſache durch Ausbildung und Färbung der Mähne bei den Männchen unterſcheiden. Die ungemeine Variabilität in den Geweihen des Hirſches und Rehbocks iſt zur Genüge bekannt. Bei der Unterſuchung der Müllerſchen Drüſen an den Vorderbeinen des Schweines erwieſen ſich die Männ— chen um 2,5% variabler als die Weibchen. Für den Menſchen ſchließlich, das meiſt unterſuchte Lebeweſen, liegen eine große Anzahl von Angaben über die ſtärkere Varia— bilität der Männer vor. So finden ſich Muskelvarietäten bei Männern einhalbmal häufiger als bei Weibern; von 125 Fällen überzähliger Finger kommen 86 auf Männer, 39 auf Weiber; die Vermehrung der Rippenzahl iſt bei den Männern dreimal ſo häufig als bei den Weibern; auch Vermehrung der Zahl der Wirbel vor dem Kreuzbein iſt bei den Männern häufiger. Dieſe größere Variabilität der Männchen muß wohl in den Geſchlechtsverhältniſſen ihre Grundlage haben und bezieht ſich in vielen Fällen gerade auf die ſekundären Ge— ſchlechtsmerkmale. Sie erinnert an die geſteigerte Variabilität bei den domeſtizierten Tieren. Darwin, der deren Variieren auf das genaueſte ſtudiert hat, ſagt darüber: „von allen Urſachen, die Variabilität veranlaſſen, iſt wahrſcheinlich ein Übermaß von Nahrung, mag ſie ihrer Natur nach verändert ſein oder nicht, das wirkſamſte.“ Es liegt nahe zu fragen, ob bei den Männchen ſolcher Tiere, deren Geſchlechter voneinander ab— weichen, eine ähnliche Urſache in Frage kommen kann. Die Antwort darauf iſt früher ſchon in der Richtung gegeben, daß der materielle Aufwand für die Fortpflanzung bei den Männchen ein viel geringerer iſt als bei den Weibchen, und daß ſomit bei ihnen ein Überſchuß bleibt, der nicht verausgabt wird. Dieſe Erſparniſſe an materiellen Leiſtungen könnten dann wie das Übermaß der Ernährung bei den Haustieren wirken und den Grund für die größere Variabilität bilden, wobei ſie zugleich das Material abgeben für die Mehrleiſtungen der Männchen, ſei es an körperlichen Bildungen, ſei es an Temperaments— äußerungen und Bewegungsaufwand. 492 Stoffliche Leiſtungen der Männchen für die Fortpflanzung. Wenn dieſe Theorie zunächſt beſtechend klingt, ſo hat ſie doch große Schwierigkeiten. Eine davon iſt der bedeutende Wechſel im Größenverhältnis der Geſchlechter. Wären überall die Männchen und Weibchen etwa gleich groß, ſo würde es weit mehr einleuchten, daß das Männchen dem Weibchen gegenüber Stofferſparniſſe machen könnte. Aber wir haben oben geſehen, daß es ſehr oft kleiner iſt als das Weibchen. Ja, die viel geringeren Anſprüche, die in ſtofflichen Leiſtungen an das Männchen geſtellt werden, ſind es ja ge— rade, wodurch ſeine oft ſo viel geringere Größe ermöglicht wird. Immerhin muß man aber ſagen, daß auch dann, wenn man die ſtofflichen Leiſtungen auf die Körpergröße berechnet, ſie beim Männchen immer noch viel geringer ſind als beim Weibchen. Der Hoden des reifen Lachſes wiegt 3,3 9% des Körpergewichts, der Eierſtock 24% ͤ alſo das ſiebenfache; bei der Kröte wiegt der Hoden 0,4 %, der Eierſtock dagegen 18,6 %, beim Grasfroſch der Hoden 1,1 %, der Eierſtock 33,3 des Körpergewichts, dort leiſtet alſo das Weibchen 46-, hier 30mal fo viel als das Männchen. Bei einem Sperlingshahn von 25 g Körpergewicht wiegen die Hoden nur 0,68 g; wenn etwa Dreiviertel dieſes Gewichts auf Samen kommt und dieſe Menge etwa viermal im Jahre produziert wird, jo gibt das gegen 2 & Samen, alſo 8 % des Körpergewichts; das Sperlingsweibchen aber legt im Jahre viermal 5—6 Eier, deren jedes 1,5 g wiegt, zuſammen 30 g, alſo 120 % des Körpergewichts; wenn auch die Qualität der Leiſtung nicht unmittelbar vergleichbar iſt, ſo bleibt immerhin die bedeutende Mehrleiſtung des Weibchens einleuchtend. Beim Hund endlich wird das Gewicht der Samenflüſſigkeit bei einer Begattung auf etwas mehr als 1 g zu ſchätzen fein; eine Hündin von 22 kg Körpergewicht bringt mit einem Wurf 10 Junge von je 440 g und liefert damit eine ſtoffliche Leiſtung von 4,4 kg. Selbſt wenn man 20 Begattungen und mehr auf einen Wurf rechnen wollte, ſo wäre die Leiſtung des Weibchens immer noch 200 mal jo groß als die des Männchens. Ein Übergewicht der männlichen Leiſtungen wird aber auch dann bleiben, wenn man annimmt, daß die Bildung der Spermatozoen mit ihrem fein ausgearbeiteten Bau mehr Energie verzehrt als der Aufbau der Eier. Dieſe Annahme ſteht freilich ohne Beleg da, und es wird wahrſcheinlich nie gelingen, für ſolchen Mehraufwand irgend— welche Zahlen anzugeben. Aber wir kommen auf einen ſichereren Boden, wenn wir die Vergleichung etwas anders anſtellen. Unter verwandten Tieren kommen ſolche vor, bei denen der ſtoffliche Aufwand der Männchen ſehr verſchieden iſt. Beim Hering z. B. ſind in beiden Geſchlechtern die Gonaden gleich groß; Fulton gibt das mittlere Gewicht der Eierſtöcke bei 16 Weibchen von 28,5 em Länge auf 35 g, das der Hoden bei 10 Männ— chen von gleicher Länge auf 35,6 g an; ähnlich iſt es bei der Sprotte (Clupea sprattus L.) und beim Wittling (Gadus merlangus I.). Dagegen macht beim Lachs der Eier— ſtock 24%, der Hoden aber nur 3,3 % des Körpergewichts; bei einem Paar Regen— bogenforellen (Salmo irideus W. Gibb.) fand ich den Eierſtock 6,7 , den Hoden 1,6 % des Körpergewichts und bei dem Stichling (Gasterosteus aculeatus L.) den Eierſtock 25,6 9%, den Hoden 0,57%. Es iſt klar, daß die Männchen des Herings, der Sprotte und der Dorſchartigen einen größeren materiellen Aufwand haben als die des Lachſes; bei ihnen aber hat das Männchen keine ſekundären Geſchlechtsmerkmale und Kämpfe um die Weib— chen kommen nicht vor, die geſellig laichenden Fiſche ſind temperamentlos; beim Lachs, der Forelle und dem Stichling jedoch zeigen die Männchen ein ausgeſprochenes Hoch— zeitskleid; beim Lachs ſchwartenartige Hautverdickung, flammende Farbenpracht, bei älteren Männchen Haken des Unterkiefers (Abb. 307); dazu kommen heftige Kämpfe der eifer— ſüchtigen Nebenbuhler. Beim Stichling haben wir außerdem noch die Bemühungen für Stoffliche Leiſtungen der Männchen für die Fortpflanzung. 493 den Neſtbau und die Brutpflege. Im Zuſammenhange damit iſt folgendes bemerkenswert: wo bei den Fiſchen die Geſchlechter ſich paaren, und ſomit die Beſamung der Eier ſpar— ſam, zuweilen durch vorausgegangene Begattung beſorgt wird, wo die Männchen alſo wenig Samen verbrauchen, da führen ſie im allgemeinen auch Liebesſpiele aus, legen ein Hochzeitskleid an, bekämpfen Nebenbuhler und üben zuweilen Brutpflege: ſo der Stich— ling, der Bitterling, die Ellritze und viele unſerer beliebteſten Aquariumfiſche, wie Groß— floſſer (Polyacanthus), Gurami (Osphromenus), Kampffiſch (Betta pugnax Cant.). Die geſellig laichenden Weißfiſche dagegen mit großem Samenverbrauch haben weder Liebes— ſpiele, noch Kämpfe, noch Brutpflege, und das Hochzeitskleid der Männchen iſt ſehr be— ſcheiden (Brunſtausſchlag) und wird zuweilen von den Weibchen geteilt. Im gleichen Sinne läßt ſich die Tatſache deuten, daß bei dem Waſſertreter oder Odinshuhn (Phala- ropus), wo die Weibchen ein farbenprächtigeres Kleid haben als die Männchen, das Weibchen nur vier, im Verhältnis zum Vogel kleine Eier legt und die Ausbrütung der Eier ſowie die Sorge für die Jungen dem Männchen obliegt. Ferner fehlen bei den Vögeln auffälligere Geſchlechtsmerkmale der Männchen überall dort, wo die Eierzahl der Weibchen nur 1 oder 2 beträgt, bei den Alken und Pinguinen, den Tauben und den Papageien. So find auch bei den miſtfreſſenden Blatthornkäfern die Männchen da, wo ſie ſich an der Verſorgung der Brut nicht beteiligen, oft mit Hörnern und Auswüchſen ausgeſtattet (Ontophagus), wo aber beide Geſchlechter arbeiten, wie bei den Gattungen Ateuchus, Sisyphus und Aphodius, fehlen den Männchen ſolche Auszeichnungen. Auf der anderen Seite kommen bei den Coelenteraten, den Stachelhäutern und den meiſten Ringelwürmern ſekundäre Geſchlechtsunterſchiede nicht vor. Hier werden die Eier und die Samenfäden in das Waſſer entleert und die Samenfäden müſſen die Eier auf— ſuchen; es würden ſehr viele Eier unbefruchtet bleiben, wenn nicht die Überzahl der Samenfäden ungeheuer wäre. So ſind denn auch in dieſen Fällen männliche und weib— liche Gonaden gleich groß. Bei einem Seeigel, Strongylocentrotus lividus Lam, war das Gewicht der Eierſtöcke bei 7 Weibchen im Durchſchnitt 5,3 , bei 4 Männchen 5,9 %, oder bei einem Weibchen von 55 g wogen die Eierſtöcke 4,5 f, bei einem gleich— ſchweren Männchen 4,7 g. Auf der anderen Seite ſind in einem Fall von auffallendem Geſchlechtsdimorphismus bei den Ringelwürmern auch die Leiſtungen der Geſchlechter verſchieden. Die durch Sproſſung entſtandenen Männchen und Weibchen von Autolytus find jo verſchieden, daß man ſie früher verſchiedenen Gattungen zugeteilt und jene Poly- bostrychus, dieſe Sacconereis genannt hätte. Bei Autolytus varians Verrill find die Männchen 5 mm, die Weibchen nur 3—4 mm lang, und die großen Unterſchiede im Ausſehen zeigt die Abb. 305; bei den Männchen werden hier die Spermatozoen nur in 3, bei anderen Arten in 5 Segmenten gebildet, während bei den reifen Weibchen die Eier den ganzen Körper füllen und ſelbſt bis in die Parapodien eindringen; wahrſchein— lich findet eine Art Begattung ſtatt, denn das Weibchen übt Brutpflege, indem es die Eier nach der Ablage in einem Sack aus erhärtendem Sekret herumträgt, wo ſie ſich ent— wickeln; es leiſtet alſo noch eine weitere, auf Stoffverbrauch gegründete Arbeit. Ferner zeigt eine Zuſammenſtellung, daß faſt überall bei ſolchen Tieren, wo das Männchen an Größe das Weibchen übertrifft, wo alſo am eheſten an eine Verwendung des Überſchuſſes zu anderen Zwecken als zu gewöhnlichem Wachstum zu denken iſt, deut— liche ſekundäre Geſchlechtsmerkmale bei dem Männchen auftreten; als Ausnahmen kann ich nur die Waſſerſpinne (Argyroneta aquatica Cl.) und einige Zahnwale (3. B. Physeter macrocephalus Lac.) nennen. Dagegen trifft jene Regel zu unter den Käfern bei den 494 Sekundäre Geſchlechtsmerkmale ſtets, wenn die Größe der Männchen überwiegt. Lucaniden und den Blatthornkäfern; bei den Fiſchen iſt mir nur ein Fall von über— wiegender Größe des Männchens bekannt, bei Polyacanthus, wo zugleich neben präch— tigſten Farben im Hochzeitskleid ſtark verlängerte Floſſen auftreten; unter den Schwanz— lurchen ſind gerade die mit mächtigem Rückenkamm verſehenen Formen der Waſſermolche, Molge vulgaris L., cristata Laur. und beſonders M. vittata Gray mit ſeinem extrem entwickelten Kamm, im männlichen Geſchlecht größer; bei den kammloſen Formen da— gegen, wie M. boscae Lat. und M. italica, find die Weibchen größer. Unter den Rep— tilien ſind es ſpeziell die Agamen und Leguane, wo das Männchen oft bedeutend größer iſt als das Weibchen und ſich zugleich durch Kämme, Hautlappen, Hörner u. dgl. Zier— rate vor ihm auszeichnet. Je bedeutender der Größenunterſchied zwiſchen den Männchen und Weibchen bei den Eidechſen, umſo prächtiger iſt ihr Hochzeitskleid: unſere Berg— eidechſe (Lacerta vivipara Jacq.) zeigt wie in der Größe jo auch in der Färbung und Form ſehr wenig Unterſchiede zwiſchen den Geſchlechtern; bedeutender ſind dieſe bei der Zauneidechſe (L. agilis L.), und ſie werden in beiden Beziehungen, Größe und Färbung, ſehr beträchtlich bei den großen Eidechſen des Mittelmeergebiets, der Smaragdeidechſe (L. viridis major BIgr.) und der Perleidechſe (L. ocellata Daud.). Bei den Krokodilen, wo die Männchen größer ſind als die Weibchen, wiſſen wir von ſekundären Geſchlechts— merkmalen und von lebhaften Liebesſpielen und Kämpfen. Unter den Vögeln kennen wir die ausgeſprochenſten Geſchlechtsunterſchiede bei den Paradiesvögeln, den Kolibris, den Hühnervögeln und den Straußen, und überall ſind die Männchen bedeutend größer als die Weibchen. Ja, man kann bei unſeren Waldhühnern in deutlichen Abſtufungen verfolgen, wie Größenunterſchied und Ausbildung der ſekundären Geſchlechtsmerkmale gleichen Schritt halten: bei Auer- und Birkhuhn ſind die Weibchen um ein Drittel kleiner als die Männchen, und die Geſchlechter in Farbe und Befiederung ſehr verſchieden; beim Haſelhuhn iſt der Größenunterſchied etwa 5:4 oder 6:5, und die Unterſchiede ſind ge— ringer; noch unbedeutender ſind fie beim Schneehuhn, wo das Größenverhältnis 15:14 betragt. — Auch bei den Säugern finden wir, daß dort, wo die Männchen an Größe überwiegen, auch die ſekundären Geſchlechtsmerkmale ſtark ausgebildet ſind: ſo bei den in Herden und Rudeln lebenden Wiederkäuern, wie Hirſch und Wiſent, bei den großen Affen, wie Pavianen, bei den Robben und ganz beſonders jenen mit mächtigem Größen— unterſchied zwiſchen den Geſchlechtern, wie dem Seelöwen (Maerorhinus) und der Klapp— mütze (Cystophora). Das iſt mindeſtens ein ſehr intereſſantes Zuſammentreffen, und ich bin der Anſicht, daß es in dem angegebenen Sinne gedeutet werden kann. Aber es iſt ungeheuer ſchwer, eine Vermutung darüber auszuſprechen, weshalb bei ſo vielen Tieren, wo die Männchen kleiner oder doch nicht größer ſind als die Weibchen, wo aber ſonſt die Vorbedingungen für materielle Erſparniſſe beim Männchen zuzutreffen ſcheinen, das männliche Geſchlecht keine ſekundären Geſchlechtsmerkmale zeigt z. B. beim Feuerſalamander, während bei anderen, wo wir keinen ſonderlichen Unterſchied erkennen können, ſolche vorhanden ſind. Wie kommt es, daß ſich bei der Bergeidechſe die Geſchlechter faſt gleichen, während ſie bei der Zauneidechſe verſchieden ſind? Wie kommt es, daß bei der lebendig gebärenden Aalmutter (Zoarces vivipara Cuv.), wo doch eine innere Befruchtung, alſo äußerſte Sparſamkeit von Sperma, ſtattfindet, das Männchen jo geringe ſekundäre Geſchlechts— merkmale, nur Färbungsunterſchiede an Bauch und Floſſen, aufweiſt? Und ſolche Fragen ließen ſich unendlich häufen. Unſere mangelhafte Kenntnis der Bedingungen macht die Aufklärung ſolcher Verhältniſſe zur Zeit noch unmöglich. Ein wichtiges Moment, deſſen Zahlenverhältnis der Geſchlechter. 495 Einwirkung auf die ſekundären Geſchlechtsmerkmale nicht zu verkennen iſt, ſei hier noch erwähnt: das Zahlenverhältnis der Geſchlechter. Die ſtoffliche Beanſpruchung der Männchen ſtellt ſich unter ſonſt gleichen Bedin— gungen natürlich dort am günſtigſten, wo auf ein Weibchen mindeſtens ein Männchen kommt; wenn dagegen die Männchen in der Minderzahl ſind, dann wird die Bean— ſpruchung des einzelnen zunehmen. Das Geſchlechtsverhältnis wird am beſten ſo an— gegeben, daß die Zahl der Weibchen auf 100 angenommen und die entſprechende Anzahl der Männchen berechnet wird. In der Auswahl der Zahlen muß man ſehr vorſichtig ſein; denn nur einwandfreie und vollſtändige Zählungen geben zuverläſſige Ergebniſſe, und die Fehlerquellen ſind ſehr zahlreich. So erſcheinen z. B. beim Maikäfer wie bei ſo vielen anderen Inſekten die Männchen früher als die Weibchen, und es wurden am 11. Mai 65 Männchen auf 35 Weibchen, am 25. Mai nur noch 26 auf 74 Weibchen gezählt. Wenn man die Feuerſalamander nach dem erſten warmen Frühlingsregen ſammelt, wo die Weibchen zur Ablage der Jungen in Scharen zum nächſten paſſenden Gewäſſer eilen, wird man eine große Überzahl von Weibchen bekommen, während man bei einer Prüfung durch die ganze gute Jahreszeit gleiche Zahlen von beiden Geſchlechtern erhält. Hungerzuchten von Schmetterlingen ergaben überwiegend Männchen, weil die weiblichen Puppen dabei leichter zugrunde gehen. In ſehr vielen Fällen hält ſich dies Verhältnis nahe an 100. So ſtellt es ſich bei Schmetterlingen nach ausgedehnten Zuchten aus den Eiern (32000 Stück in 40 Arten) im Durchſchnitt auf 106,9, alſo auf 100 Weibchen kommen 106,9 Männchen. Bei dem Hering iſt es 101, bei der Sardine (Engraulis encrasicholus L.) 115, bei der Makrele (Scomber scomber L.) 85,5; dagegen ſoll es beim Dorſch (Gadus morrhua L.) 75, beim Schellfiſch (G. aeglefinus L.) nur 53, bei der Kroppe (Cottus gobio L.) aber 188, beim Angler (Lophius piscatorius L.) 385 ſein. Bei Kochinchinahühnern iſt etwa 95 ermittelt, für die Lerche und den Stieglitz ſoll es nahe an 100 ſein; 100 iſt es auch beim Turmfalken, 114 bei der Waldohreule, 125 beim Buſſard, 157 beim Eichelhäher, da— gegen 87 beim Habicht, 70 beim Sperber. Bei engliſchen Rennpferden iſt es 99,7, bei engliſchen Windſpielen 110,0, bei Leiceſter-Schafen 96,7, bei Rindern 94,4, bei Schweinen 117. Bei manchen Arten werden aber gewaltige Überzahlen von Männchen angegeben, jo für die Weidenholz-Gallmücke (Cecidomyia saliciperda Duf.) 300, für den Schlehen— ſpinner (Orgyia antiqua L.) 800 und für die Fichten-Geſpinſtweſpe (Lyda hypotrophica Htg.) ſogar 1330. Andererſeits kann aber auch die Zahl der Männchen auffallend gering ſein: bei den Alciopiden unter den Ringelwürmern ſcheinen die Männchen weit weniger zahlreich zu ſein als die Weibchen; bei Tintenfiſchen iſt das Verhältnis ſehr klein, näm— lich beim Kalmar (Loligo) 16,6, beim Pulp (Octopus) 33,3; bei einer Scholle (Hippo— glossoides limandoides Bl.) iſt das Verhältnis nur 12, für den Schlammpeitzger (Cobitis fossilis L.) ermittelte Caneſtrini das Verhältnis 11, für den Flußbarſch ſoll es bei Paris nach Cuvier und Valenciennes nur 2 (2), bei Salzburg 10 fein, während Siebold bei München 47 fand. Solche Fälle ſind für uns beſonders intereſſant, denn ſie bieten eine Erklärung für das Fehlen auffallender Geſchlechtsmerkmale bei dieſen Tieren. Bei den Alciopiden findet eine Begattung ſtatt, denn man findet die zu Samenhältern umgewandelten Segmentanhänge des 5. Körperſegments beim Weibchen mit Samen an— gefüllt; wahrſcheinlich aber begattet ein Männchen zahlreiche Weibchen, denn es hat in 14 oder 15 Segmenten je ein Paar Samenblaſen, und in den gleichen Segmenten finden ſich je ein Paar Drüſenhügel, die offenbar ein Zuſammenkleben mit dem Weibchen bei 496 Kompenſationserſcheinungen. der Begattung bewirken; da jede Samenblaſe eine beſondere Ausmündung hat und Vor— richtungen zu gemeinſamer Ausleitung des Samens aus den zahlreichen Samenblaſen fehlen, findet offenbar die Begattung wiederholt ſtatt, jedesmal unter Leerung eines Paares von Samenblaſen. Auch bei den Tintenfiſchen Oetopus und Loligo findet eine Begattung ſtatt, und wir könnten ausgeſprochene Geſchlechtsmerkmale erwarten, wenn nicht auf ein Männchen 3 bezw. 6 Weibchen kämen. Beim Schlammpeitzger iſt die Befruchtung der Eier ſo, daß ſich das Männchen dem Weibchen eng anſchmiegt; ſie ſcheint alſo ſehr ſpar— ſam zu ſein; aber die Überzahl der Weibchen, 9 auf ein Männchen, erklärt den ver— größerten Aufwand und den Mangel an Auszeichnungen der Männchen. Auch die Kompenſationserſcheinungen beim Auftreten von zweierlei ſekundären Ge— ſchlechtsmerkmalen laſſen ſich zur Begründung der hier vertretenen Auffaſſung anführen. Die Bockkäfer ſind in ihren gewöhnlichen Arten durch ſehr lange Fühler der Männchen ausgezeichnet; bei den urſprünglichſten Formen jedoch haben die Männchen noch kurze Fühler, aber verlängerte Oberkiefer; ſchreitet man in der Reihe dieſer Käfer fort, ſo findet man ſolche bei denen die Fühler länger, die Kiefer aber ſtetig kürzer werden, ja, wir kennen eine Art (Acanthophorus confinis Lameere vom Kongo), bei der zweierlei Männchen vorkommen, das eine mit kürzeren Fühlern und ſtärkeren Oberkiefern, das andere mit längeren Fühlern und kurzen Kiefern. Ein ähnlicher Fall wurde oben für die Hörner auf Kopf und Halsſchild bei den Männchen von Bledius geſchildert. Es iſt weiterhin eine bekannte Tatſache, daß die beſten Sänger unter unſeren Singvögeln, 3. B. Nachtigall und Grasmücken ein anſpruchsloſes Kleid haben, während prächtige Männchen, wie der Gimpel, zu weniger ſtimmbegabten Arten gehören. Es iſt gleich— ſam ein „Fond“ vorhanden, von dem die ſekundären Geſchlechtsmerkmale beſtritten werden, und wird auf der einen Seite mehr verbraucht, muß auf der anderen geſpart werden. Die Hypotheſe, daß die ſekundären Geſchlechtsmerkmale der Männchen Überſchuß— bildungen ſind aus Erſparniſſen bei der Bildung der Geſchlechtsprodukte, bedarf noch weiterer Begründungen, um genügende Wahrſcheinlichkeit zu erlangen. Wie dem aber auch ſei, ſo erklärt ſie immer nur das Vorhandenſein irgendwelcher ſolcher Merkmale, nicht aber, warum ſie nach dieſer oder jener Richtung ausgebildet ſind. Gerade das richtungsloſe Variieren der Männchen wird durch die Hypotheſe verſtändlicher. Die biologiſche Bedeutung iſt nicht für alle ſekundären Geſchlechtsmerkmale die gleiche. Manche von ihnen dienen dazu, die Begattung zu erleichtern, indem ſie entweder beim Feſthalten der Weibchen von Nutzen ſind oder zum Auffinden desſelben oder zum Sieg im Kampfe mit den Nebenbuhlern. Es iſt leicht zu verſtehen, wie Merkmale dieſer Art entſtanden ſind; ſolche Männchen, die in jener Weiſe beſſer ausgerüſtet waren, welche ſtärkere Haft— zangen, ſchärfere Sinnesorgane, größere Muskelkraft und mächtigere Waffen beſaßen, ge— langten bei reichlicher Bewerberſchaft leichter zur Fortpflanzung als ihre Konkurrenten und konnten die Eigenſchaften, die ihnen von Vorteil waren, auf ihre Nachkommen ver— erben, die ihrerſeits bei der Fortpflanzung dadurch im Vorteil waren. So tritt eine Auswahl der für die Fortpflanzung paſſendſten Männchen ein, die allmählich die ver— vollkommneten Geſchlechtsmerkmale zur allgemeinen Eigenſchaft bei den Männchen der betreffenden Art machen muß. Grundbedingung für eine ſolche Ausleſe iſt eine Über— zahl von Männchen, die ja auch bei Arten, deren Geſchlechtsverhältnis jetzt gleich oder kleiner als 100 iſt, zeitweiſe vorhanden geweſen ſein mag oder periodiſch infolge äußerer Verhältniſſe, wie bei den Hungerzuchten der Schmetterlinge, eingetreten iſt. Darwins Theorie von der geſchlechtlichen Zuchtwahl. 497 Sicher aber iſt dieſe Erklärungsweiſe nicht für alle ſekundären Geſchlechtsmerkmale möglich. Schöne Farben, plaſtiſche Bildungen wie Hörner, Rückenkämme, Hautanhänge und dergleichen, beſonderer Duft des Männchens, Temperamentsäußerungen wie Liebesſpiele konnten dem Männchen nicht bei der Auffindung und Gewinnung des Weibchens von Nutzen ſein. Darwin ſuchte ſie vielmehr durch die wählende Tätigkeit der Weibchen zu erklären: die ſchöneren farbenprächtigen oder plaſtiſch geſchmückten Männchen, die ſtärker duftenden oder die beſſer hofierenden gefielen den Weibchen beſſer oder, wie wir jetzt ſagen, erregten ſie ſtärker, wurden von ihnen bevorzugt und konnten ſo dieſe Eigen— tümlichkeiten, die ihnen zu dem Vorzug verhalfen, leichter als die minder ſchönen und daher minder begünſtigſten Konkurrenten auf Nachkommen vererben, die dann in gleicher Weiſe davon Vorteil hatten. Auf dieſe Weiſe konnten auch ſolche „äſthetiſchen“ Merk— male bei den Männchen der Art allgemein werden. Darwin bezeichnet das als ge— ſchlechtliche Zuchtwahl. Wiederum iſt Bedingung für die Wirkſamkeit einer ſolchen Aus— wahl die Überzahl der Männchen; dieſe kann ja vorhanden ſein oder wenigſtens geweſen ſein. Mit großer Wahrſcheinlichkeit iſt eine ſolche Überzahl dort vorhanden, wo die Männchen in Polygamie leben, alſo bei vielen Hühnervögeln, den Straußen, zahlreichen Wiederkäuern, Robben und Affen, und in dieſen Fällen tragen die Männchen in der Tat auffallende Geſchlechtsmerkmale, man vergleiche nur die polygamen Faſanen und den Pfau mit dem monogamen Rebhuhn und Perlhuhn; aber nicht in dieſen Fällen allein. Es iſt nur die Frage, ob wir eine ſolche abſchätzende Urteilsfähigkeit bei Tieren überhaupt annehmen dürfen und ob Tatſachen für ein Auswählen der Männchen durch die Weibchen angeführt werden können. Daß in manchen Fällen eine ſolche Erklärung zutrifft, muß zugegeben werden. Es iſt ſicher und kann jederzeit experimentell dargetan werden, daß bei manchen Tieren der Duft eines Männchens der gleichen Art das Weibchen geſchlechtlich erregt und der Be— gattung zugänglich macht. Darauf gründet ſich z. B. das Verfahren bei der Zucht von Schmetterlingsbaſtarden: das Weibchen läßt ein Männchen einer fremden Art zur Be— gattung nur zu, wenn ſich ein Männchen ſeiner Art in der Nähe befindet und es durch deſſen Geruch gleichſam getäuſcht wird. Ja, manche Abarten ſind der Stammart im Duft entfremdet, z. B. Callimorpha dominula L. und var. persona Hb., ſo daß die Männchen der einen von den Weibchen der anderen nicht zur Begattung zugelaſſen werden. So müſſen auch bei Baſtardierungen von Pferd und Eſel die zur Kreuzung verwendeten Tiere frühzeitig an den Geruch der andern Art gewöhnt werden. Ja, die Vorgänge vor der Begattung des Wurzelſpinners (Hepialus hectus L.) laſſen ſich un— gezwungen ſo deuten, daß hier eine inſtinktive Wahl durch die Weibchen ſtattfindet: die Männchen fliegen jedes an einer beſchränkten Stelle nicht hoch über dem Erdboden hin und her und entfalten dabei ihr Duftorgan; wo mehrere Männchen nebeneinander pen— deln, kann man beobachten, wie ein Weibchen, vom Duft gelockt, anfliegt, das eine Männchen aber nach kurzer Annäherung läßt und mit dem anderen zur Begattung davon— fliegt. Auch die Grillenweibchen ſcheinen, durch die Muſik der Männchen angelockt, dieſe aufzuſuchen. Ob aber auch die Sehorgane der Inſekten ausreichen, um ein Männ— chen als etwas ſchöner gefärbt oder geſtaltet vor dem andern zu erkennen, das iſt eine Frage, die kaum bejaht werden kann. Ja, man kann ſogar behaupten: bei vielen dieſer Inſekten findet gar keine Auswahl unter den Männchen ſtatt; denn es kommen z. B. bei den Käfern aus den Familien der Hirſchkäfer und Blatthornkäfer nebeneinander Männchen vor, die die Zieraten in höchſter Ausbildung beſitzen, und andere, wo dieſe Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 32 498 Kritik der „geſchlechtlichen Zuchtwahl“. eben nur angedeutet ſind, und bei Xylotrupes gideon L. iſt direkt beobachtet, daß die Weibchen zwiſchen großen und kleinen Männchen keinen Unterſchied machen. Es zeigt ſich auch, daß die Spinnerweibchen, die man zum Anlocken der Männchen ausſetzt, das erſte anfliegende Männchen ihrer Art zur Begattung zulaſſen und keinerlei Auswahl üben. Viele Tagfaltermännchen, wie der Feuervogel (Polyommatus phlaeas L.), Schiller- falter und Aurorafalter, kommen gewöhnlich nur in abgeflogenem, unſcheinbarem Zuſtand zur Begattung. Auch bei den Fiſchen und Amphibien iſt es ſehr zweifelhaft, ob eine Wahl von ſeiten der Weibchen ſtattfindet; im Gegenteil wurde bei den prächtig gefärbten und mit verlängerten Floſſen ausgeſtatteten Männchen von Polyacanthus im Aquarium beobachtet, daß er das Weibchen ausſucht und ihm nicht genehme Weibchen jagt, beißt und ſelbſt tötet — allerdings iſt dabei immerhin die Frage, ob die Verhältniſſe in der Gefangenſchaft denen in der freien Natur entſprechen. Bei Reptilien, Vögeln und Säugern können wir vielleicht vorausſetzen, daß die Fähigkeiten für die Ausübung einer Wahl vorhanden ſeien. Wenn man aber die Gleich— gültigkeit der Pfauenhennen gegenüber der entfalteten Pracht des Hahnes betrachtet oder wenn eine Birkhenne ſich mit einem jungen Männchen, das ſich nicht auf den Kampf— platz wagt, hinwegſtiehlt, oder wenn die Alttiere ſich von jungen Hirſchen begatten laſſen, während der Brunſthirſch ein Schmaltier treibt, ſo macht das ſehr zweifelhaft an einer ſteigernden Wahl der Weibchen. Andrerſeits entfalten männliche Vögel zur Brunſt— zeit ihre Reize, auch wenn kein Weibchen zugegen iſt, wie männliche Paradiesvögel, Büffelweber und Seidenſtare, die ohne Weibchen in Gefangenſchaft ſind. Die Kampf— läufer (Machetes) führen ihre Scheinkämpfe häufig in Abweſenheit von Weibchen aus; der Puter kollert und ſchlägt ſein Rad bei jeglicher Erregung, mag ſie durch Anweſen— heit von Weibchen oder durch einen Hund oder einen ihn reizenden Menſchen hervor— gerufen ſein. Dieſe Außerungen entbehren alſo der direkten Beziehung auf das Weibchen. Solche Schwierigkeiten fallen weg durch die Annahme, daß dieſe „Zieraten“, die Farbenpracht und Formenfülle, nur ein Ausfluß des Überſchuſſes ſind, der infolge der geringeren materiellen Leiſtungen bei dem Männchen vorhanden iſt, und daß ſie ſich auch unabhängig von einer Wahl durch die Weibchen bilden können. Sie entſpringen der durch den Überſchuß geſteigerten Variabilität der Männchen. Wo durch geſteigerten Wettbewerb der Männchen um die Weibchen die Größe der Männchen zugenommen hat, wie bei den polygamen Vögeln und Säugern, da iſt auch jener Überſchuß geſtiegen. 6) Korrelation der ſekundären Geſchlechtsmerkmale zu den Gonaden. Wodurch wird nun die eigenartige Verwendung einer gewiſſen Stoffmenge zu ſekun— dären Geſchlechtsmerkmalen, alſo beim Männchen in anderer Weiſe als es bei Weibchen vorkommt, bedingt; wie kommt es, daß dieſe Stoffe nur in dem einen Geſchlechte in ganz beſtimmte Wege geleitet werden? Es ſind zwei Annahmen möglich, daß dieſer Geſchlechtscharakter dem Körper von den primären Geſchlechtsmerkmalen, von den Gonaden, ihren Ausführgängen und deren Anhangsdrüſen aufgeprägt wird, und daß die ſekundären Merkmale zu den primären in Korrelation ſtehen, oder aber der Körper iſt von Anfang an in ſeiner Geſamtheit geſchlechtlich beſtimmt, und die ſekundären Geſchlechtsmerkmale treten infolge dieſer geſchlechtlichen Veranlagung auf, oder wenigſtens wird ein etwaiger be— ſtimmender Einfluß der Gonaden erſt durch dieſe Veranlagung möglich. Die Antwort kann man durch Entfernung der Gonaden, durch Kaſtrationsverſuche zu geben ſuchen. Man Kaſtrationsverſuche und ihre Ergebnijie. 499 weiß, daß Kapaunen, Wallachen, Ochſen, Hammel, kaſtrierte Eber und menſchliche Kaſtraten in ihrem Ausſehen und Benehmen von den normalen männlichen Tieren abweichen; aber ſie gleichen doch nicht den Weibchen. Bei vollſtändig operierten Kapaunen wachſen die Kämme und Lappen am Kopfe nicht nur nicht weiter, ſondern ſie werden ſogar kleiner als bei der Henne, auch krähen die Kapaunen nicht; aber ſie haben die Sporen und Sichelfedern des Hahnes. Bleibt jedoch nur ein erbſengroßes Stück der Hoden zurück, ſo iſt überhaupt kein Einfluß der Kaſtration auf die ſekundären Geſchlechtsmerk— male zu beobachten. So bekommen nach frühzeitiger Kaſtration die Widder keine Hörner und keinen Bocksgeſchmack, die Stiere erhalten eine andere Schädelform und längere Hörner, bei den Ebern wachſen die Eckzähne nicht zu Hauern aus und die Männer be— kommen keinen Bart, ihr Kehlkopf erweitert ſich nicht und die Stimme bleibt daher hoch. Spätere Kaſtration aber hat viel geringeren Einfluß, und dieſer betrifft haupt— ſächlich die periodiſch auftretenden Geſchlechtsmerkmale: beim Hirſch z. B. verhindert frühzeitige Kaſtration völlig das Auftreten von Stirnzapfen und Geweihen; ſpätere Kaſtration aber führt je nach der Zeit, wo ſie geſchieht, zu vorzeitigem Abwurf oder zur Bildung von Perückengeweihen; dabei iſt es intereſſant, daß bei einſeitiger Kaſtra— tion dieſe Mißbildung auch nur einſeitig, und zwar auf der Gegenſeite auftritt. Dagegen hat frühzeitige Kaſtration von Schmetterlingsraupen gar keinen Einfluß auf die ſekun— dären Geſchlechtsmerkmale des ausſchlüpfenden Schmetterlings, ja nicht einmal die ge— lungene Überpflanzung der Gonaden des anderen Geſchlechts vermag ſie zu beeinträch— tigen, wie Meiſenheimers Verſuche an den Raupen des Schwammſpinners mit Sicher— heit zeigen. Ein allgemeingültiges Ergebnis über den Zuſammenhang der ſekundären Geſchlechtsmerkmale mit den Gonaden iſt aus dieſen Tatſachen nicht zu folgern. Im ganzen ſcheint daraus hervorzugehen, daß das Geſchlecht zwar dem ganzen Körper eigen iſt, daß aber die Anweſenheit der Gonaden in manchen Fällen für die Auslöſung der Bildung ſekundärer Geſchlechtsmerkmale von Wichtigkeit ſind. Dort, wo die Gonaden entfernt ſind, wird der den Männern verfügbare Stoff— überſchuß z. T. in andere Wege geleitet. Die kaſtrierten Männchen der Haustiere ſind leichter zu mäſten als ſolche mit normalen Geſchlechtsorganen; die Ochſen werden auch größer als die Stiere. Bei Tieren, deren Gonaden in der Entwicklung gehemmt ſind, tritt ähnlicher Fettreichtum ein, wie bei den Schwebforellen des Bodenſees oder bei den ſterilen Aſchen, und die Fettfülle des Aales hängt wohl auch damit zuſammen, daß im Süßwaſſer ſeine Geſchlechtsorgane unentwickelt bleiben. y) Vererbung männlicher Merkmale auf das Weibchen. Wenn wir eine geſchlechtliche Beſtimmtheit des ganzen Körpers annehmen, ſo muß natürlich die gleiche, ſchon im Ei vorhandene Urſache, die für die Entwicklung der be— treffenden Gonade beſtimmend wirkt, auch die ſekundären Geſchlechtsmerkmale beein— fluſſen. Merkwürdig iſt es aber, daß die Merkmale, die im allgemeinen nur auf das eine Geſchlecht vererbt werden, in manchen Fällen auch auf das andere Geſchlecht über— gehen können. So finden wir bei den Bläulingen Arten, deren Weibchen braun gefärbt ſind und andere, deren Weibchen blau ſind wie die Männchen; es kommen aber auch Arten vor (Lycaena argiades Pall. und L. orion Pall.), wo neben braunen Weibchen blaue, alſo ſolche von der Färbung der Männchen vorhanden ſind: ſie haben von den Männchen die blaue Beſtäubung übernommen. Die Weibchen des Gelbrandes (Dytis- 32 500 Vererbung männlicher Merkmale auf die Weibchen. eus marginalis L.) haben geriefte, die Männchen glatte Flügeldecken; es kommen aber auch vereinzelt Weibchen mit glatten Flügeldecken vor. Bei dem Netzflügler Neurothe- nius haben einige Weibchen gewöhnliche Flügel, während andere die viel reichere netz— förmige Aderung der zugehörigen Männchen zeigen. Die Gabelantilope (Antilocapra americana Ow.) iſt im weiblichen Geſchlecht meiſt hornlos; aber bei 20% der Weibchen treten Hörner auf, wenn auch kleinere als bei den Böcken. Bei dem Tüpfelkuskus (Pha- langer maculatus Geoff.), einem von Neuguinea bis Celebes verbreiteten Beuteltier, ſind im allgemeinen die Männchen weiß gefleckt, die Weibchen einfärbig dunkel; nur auf der Inſel Waigiu, nördlich von Neuguinea, ſind auch die Weibchen gefleckt. Durch ſolche Vererbung auf das andere Geſchlecht iſt es wahrſcheinlich auch zu erklären, daß bei manchen Arten Merkmale, die bei verwandten Arten als ſekundäre Geſchlechtsmerk— male der Männchen auftreten, in beiden Geſchlechtern regelmäßig vorkommen. So haben bei manchen Hühnerraſſen auch die Weibchen Sporne; beim Ohrenfaſan (Crossoptilon auritum Pall.) teilt die Henne das Prachtgewand des Hahnes, es fehlen ihr nur die Sporne; ebenſo ſind beim Stieglitz die Weibchen den Männchen in der ſchönen Färbung gleich. Das Rentier iſt die einzige Hirſchart, die im weiblichen Geſchlechte ebenfalls ein Geweih trägt; die anfangs vielleicht nur gelegentlich aufgetretene Vererbung des Geweihes auf das weibliche Tier ſcheint hier dadurch befördert zu ſein, daß das Geweih den Tieren bei der Nahrungsſuche auf ſchneebedecktem Boden zum Wegſchieben des Schnees von Nutzen iſt. Hier iſt die Korrelation zwiſchen Geweih und Hoden, die bei anderen Hirſchen beſteht, geſchwunden: auch kaſtrierte Renſtiere, Renochſen werfen das Geweih regelmäßig ab und bilden es neu. Während bei den meiſten Laubheu— ſchrecken die Schrillorgane an den Vorderflügeln nur in rudimentärem Zuſtande vor— handen find, beſitzen bei den Sattelheuſchrecken (Ephippigera) beide Geſchlechter funk— tionsfähige Schrillapparate an den bei dieſer Gattung verkürzten Flügeln; allerdings unterſcheiden ſich Männchen und Weibchen im Klang der Stimme. An die beſprochene größere Variabilität der Männchen und die Vererbung männ— licher ſekundärer Geſchlechtsmerkmale auf die Weibchen läßt ſich eine nicht unwichtige Überlegung knüpfen. Es gibt eine ganze Anzahl von Tiergruppen, bei denen die Männ— chen deutlich verſchieden ſind, während die Weibchen nur mit Mühe unterſchieden werden können. So iſt es in einigen Spinnengattungen (Cheiracanthium, Erigone, Micry- phantes u. a.). Bei den Walzenſpinnen (Solpugiden) beruhen die artlichen Unterſchiede oft faſt ganz auf den ſekundären Geſchlechtsmerkmalen der Männchen, und die Weibchen vieler Arten bieten daher der artlichen Unterſcheidung faſt unüberwindliche Schwierig— keiten. Bei den Waſſermilben von der Gattung Arrhenurus ſind die Weibchen kaum zu unterſcheiden, eine Schwierigkeit, die ſogleich behoben wird, wenn die Männchen mit ihren ganz eigentümlich gebauten Hinterleibsanhängen zu Gebote ſtehen (Abb. 316). In der ſüdamerikaniſchen Schmetterlingsgattung Eubagis zeigen die Weibchen durchweg den— ſelben allgemeinen Charakter, ſo daß ſie gewöhnlich untereinander bedeutend ähnlicher find als ihren eigenen Männchen. Ganz Ahnliches beobachten wir z. B. bei den Faſanen, deren Männchen ſo entſchieden voneinander abweichen, und unter den Kolibris unter— ſcheiden ſich bei manchen benachbart vorkommenden Arten, z. B. bei Schistes persona- tus J. Gd. und geoffroyi Boure. Muls. oder bei Eustephanus galeritus Molina, fernan- densis King und leyboldi J. Gd. faſt nur die Männchen. Es läßt ſich der Gedanke nicht von der Hand weiſen, daß hier durch die Variabilität der Männchen das Ent— ſtehen neuer Arten begünſtigt worden iſt. So iſt die Milbengattung Arrhenurus be— Artbildung durch Variation der Männchen. 501 ſonders artenreich; mehr als ½ aller deutſchen Waſſermilben gehören ihr an und mit ihren 53 Arten übertrifft ſie bei weitem die Artenzahl der übrigen Gattungen, die höchſtens 20—21, meiſt aber nur 5—7 Arten enthalten. Auch die Faſanen und be— Abb. 316. a Männchen und Weibchen der Waſſermilben A Arrhenurus globator Müll. und B Arrh. fimbriatus Koenike. Nach Pierſig— ſonders die Kolibris find ſehr artenreiche Gruppen. Wenn dann vollends ein Teil der männlichen Merkmale auf das andere Geſchlecht übergeht und ſo auch die Weibchen verſchiedener werden, iſt von dieſem Wege der Artbildung nichts mehr zu erkennen. 502 Übergänge von Gejchlechtertrennung zu Zwittrigkeit. e) Zwittrigkeit. Während meiſt die männlichen und weiblichen Geſchlechtsprodukte in verſchiedenen Individuen entſtehen, gibt es doch auch zahlreiche Fälle, wo das gleiche Individuum beiderlei Zellen den Urſprung gibt; es iſt ein Zwitter oder Hermaphrodit. Wir haben keinen Tierkreis, in dem nicht wenigſtens einzelne zwittrige Arten vorkämen; ganze Kreiſe, Klaſſen oder Ordnungen, wie die Manteltiere, die Saugwürmer und Bandwürmer, die Lungenſchnecken, die Egel, beſtehen nur oder faſt nur aus Zwittern, in anderen ſind ſie zahlreich. Doch gehört bei den Stachelhäutern, den Gliederfüßlern und den Wirbeltieren Zwittrigkeit zu den ſeltneren Erſcheinungen. Anatomiſch kann die Zwitterbildung ver— ſchiedene Modifikationen zeigen. Eier und Samenfäden entſtehen meiſt in verſchiedenen Gonaden und werden durch geſonderte Gänge nach außen befördert, die eine getrennte (3. B. Regenwurm) oder gemeinſame (z. B. Strudelwürmer) Ausmündung haben. Aber es kommt auch vor, daß in der gleichen Gonade ſowohl Spermatozoen wie auch Eier entſtehen, und zwar entweder zeitlich getrennt, jo daß die Gonade anfangs Hode iſt und ſpäter zum Eierſtock wird, wie bei manchen Muſcheln, oder umgekehrt, oder aber gleich— zeitig nebeneinander, daun wird die Gonade als Zwitterdrüſe bezeichnet; die aus der Zwitterdrüſe ausführenden Gänge können für Spermatozoen und Eier gemeinſam ſein (3. B. bei der Meeresnacktſchnecke Gasteropteron), oder teilweiſe getrennt mit gemeinſamer Mündung (Helix) oder mit getrennter Mündung (Limnaea). Zwittertum und Geſchlechtertrennung ſtehen einander nicht unvermittelt gegenüber. Wir haben häufig den Fall, daß von Angehörigen der gleichen Gattung die einen zwittrig find, die anderen getrennt geſchlechtlich. So find von den Auſtern Ostrea edulis L. und lurida Hermaphroditen, O0. virgmica und angulata dagegen getrennten Geſchlechts; die meiſten Arten der Kammuſcheln ſind Zwitter, aber bei Pecten inflexus Poli und varius L. ſind die Geſchlechter auf verſchiedene Individuen verteilt. Ja, es gibt ſogar Tierarten, die an einem Orte Zwitter ſind, am anderen getrennt geſchlechtlich: der marine Borſtenwurm Nereis dumerilii Aud. Edw. iſt in der Regel getrennten Geſchlechts, aber bei Banyuls am Golf von Lyon findet man auch zuweilen Zwitter; ein kleiner Seeſtern, Asterina gibbosa Forb. iſt am Armelkanal hermaphroditiſch, und zwar produziert er in der Jugend Spermatozoen, nach deren Entleerung aber bringt er für den Reſt ſeines Lebens Eier, die in den gleichen Gonaden entſtehen; in Banyuls ſind die Individuen durch mehrere Jahre hindurch männlich und werden dann erſt weiblich; in Neapel aber findet man rein männliche und rein weibliche Stücke und dazwiſchen Zwitter mit gleich— zeitiger Produktion von Samen und Eiern. Dieſe Übergänge machen es ſicher, daß ſich ein Zuſtand aus dem anderen entwickeln kann. Es iſt aber kaum zu entſcheiden, ob Geſchlechtertrennung oder Zwittrigkeit der urſprünglichere Zuſtand ſei; Schon an der Schwelle der Metazoen, in der Gattung Volvox, kommen beide nebeneinander vor, und ebenſo finden ſich bei ſo einfach organiſierten Tieren wie den Süßwaſſerpolypen (Hydra) ſowohl getrennt geſchlechtliche wie zwittrige Formen. Wohl aber kann man in einzelnen Abteilungen entſcheiden, ob Geſchlechter— trennung oder Hermaphroditismus das primäre ſei. So kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß bei dem einzigen bekannten zwittrigen Inſekt, dem Termitengaſt Termi— tomyia, einer Fliege, die Zwitterbildung einen ſekundären Zuſtand darſtellt, und ebenſo daß bei den beiden einzigen Arten mit getrenntem Geſchlecht in der großen Menge der ſonſt durchweg hermaphroditiſchen Saugwürmer, bei Schistosomum haematobium Bilh. Zwittrigkeit bei feſtſitzenden und ſchmarotzenden Tieren. 503 (Abb. 304) und Distomum filicolle Rud., die Geſchlechtertrennung ſich aus dem zwittrigen Zuſtand entwickelt hat. Auch die wenigen hermaphroditiſchen Knochenfiſche aus den Gat— tungen Serranus und Sargus (Abb. 317) zeigen ſicher einen abgeleiteten Zuſtand. Zwittrigkeit kommt vielfach bei hochſpezialiſierten Formen mit beſonderer Lebens— weiſe vor. Beſonders häufig ſind die zwittrigen Formen unter den feſtſitzenden und ſehr ſeßhaften Tieren: die Schwämme ſind zwittrig, und unter den feſtſitzenden Neſſeltieren finden ſich zahlreiche Zwitter, unter den freiſchwimmenden nur ſehr wenige wie die Qualle Chrysaora; bei den Muſcheln find viele der feſtgewachſenen Ostrea- und Aspergillum- Arten zwittrig, unter den Ringelwürmern eine Anzahl Röhrenwürmer, unter den Krebſen die Rankenfüßer, und ſchließlich alle Ascidien. Auch Schmarotzer ſind ſehr häufig Zwitter: Abb. 317. Hermaphroditiſche Knochenfiſche. Oben Geisbraſſen (Sargus), unten Schriftbarſch (Serranus scriba C. V.), verkleinert. während unter den Schnecken die Vorderkiemer getrennten Geſchlechts ſind, iſt Entoconcha ein ſchmarotzender Vorderkiemer, zwittrig; die Saug- und Bandwürmer ſind Zwitter; der Fadenwurm Rhabdonema nigrovenosum Rud. kommt abwechſelnd in freilebenden und paraſitiſchen Generationen vor: die freilebende iſt getrenntgeſchlechtlich, die in der Lunge der Fröſche ſchmarotzende dagegen iſt zwittrig. Unter den Krebſen iſt bei den ſchmarotzenden Formen Hermaphroditismus häufig: ſo bei den Fiſchaſſeln (Cryptonisciden, Cymothoiden) und den ſogenannten Wurzelkrebſen, den merkwürdig entſtellten Schmarotzern der Krabben (Abb. 16 S. 44). Unter den Fiſchen find die halbparaſitiſchen Schleimfiſche (Myxinoiden) zwittrig. Doch gibt es anderſeits auch hermaphroditiſche Tiere, bei denen man von beſonderer Lebensweiſe, mit der die Zwittrigkeit etwa zuſammenhängen könnte, nicht reden kann, ebenſo wie es feſtſitzende und paraſitiſche Tiere gibt, die nicht Zwitter ſind. 504 Entſtehung der Zwittrigkeit. Sehr lehrreich für die Art und Weiſe, wie ſich der Übergang von der Geſchlechter— trennung zur Zwittrigkeit vollziehen kann, ſind die Geſchlechtsverhältniſſe bei zwei Tier— gruppen, den Myzoſtomiden und den Rankenfüßern. Die Myzoſtomiden ſind Borſten— würmer, die auf Haarſternen ſchmarotzen. Sie ſind meiſt Zwitter, aber es kommen bei einigen Arten, z. B. Myzostoma glabrum F. S. Leuck., neben der Zwitterform noch kleine Männchen vor, die man auf den Weibchen ſitzend findet; bei einer anderen Art, Myzostoma eysticolum Graff, ſind die Geſchlechter getrennt, aber die Männchen ſind kleiner und bei den Weibchen finden ſich Spuren von Zwittrigkeit, und ſchließlich iſt bei ein paar Arten (M. inflator und murrayi) reine Geſchlechtstrennung vorhanden, wobei wiederum die Männchen kleiner ſind. — Dieſelbe Stufenfolge zeigen uns die Ranken— füßer: meiſt ſind ſie Zwitter; bei Scalpellum vulgare Leach aber findet man neben dem Zwitter noch Männchen, die auf demſelben leben, aber zwerghaft und ohne Magen, die daher keine Nahrung aufnehmen können und einen ſehr degenerierten Eindruck machen; bei Scalpellum ornatum Gray ſind die Geſchlechter getrennt und die Männchen wieder klein und ohne Magen, auf dem Weibchen lebend; endlich ſind die Männchen der getrenntgeſchlechtlichen Pla cummingii Darw. zwar auch klein, aber fie haben doch einen Magen und ſind der Nahrungsaufnahme fähig. Die Zwerghaftigkeit der Männchen iſt hier ſicher ein Rückbildungszuſtand; die Getrenntgeſchlechtlichkeit läßt ſich hier nicht ſo ableiten, daß beide Geſchlechter aus Zwittern hervorgingen, die Männchen durch Rück— bildung der Eierſtöcke, die Weibchen durch Schwinden der Hoden. Vielmehr iſt hier ſicher die Geſchlechtstrennung das primäre, und indem die Weibchen zum Zwitterzuſtand übergingen, konnte die Zahl der Männchen abnehmen, dieſe ſelbſt verkümmern und ſchließlich ganz ſchwinden. Gelegentliches Auftreten von Zwitterbildung, deſſen Vorkommen ja die Bedingung für die allgemeine Verbreitung des Hermaphroditismus iſt, treffen wir häufig. So kennt man einzelne Zwitter von unſerer Teichmuſchel Anodonta, von der Kugelſchnecke Ampullaria, von der Languſte (Palinurus), von einer Anzahl von Schmetterlingen und von manchen Knochenfiſchen (Dorſch, Hering, Barſch, Karpfen). Welche beſondere Bedeutung hat nun die Zwittrigfeit für die Tierarten, bei denen ſie vorkommt? Welcher Art mögen die Vorteile und die Nachteile ſein? Das ſind Fragen, die ſich nur annähernd beantworten laſſen, und zwar im allgemeinen nur für die ſimul— tanen Zwitter, bei denen Eier und Sperma gleichzeitig gebildet werden. Zunächſt iſt es wichtig, daß hier die Zahl der Weibchen ſo groß iſt wie die Zahl der Individuen über— haupt, daß alſo damit die Schnelligkeit der Vermehrung erhöht wird; dies wird ſelbſt dann eintreten, wenn die Produktion von Eiern durch die gleichzeitige Hervorbringung von Sperma ein wenig beeinträchtigt werden ſollte. Dabei kommt es aber trotzdem zu einer regelmäßigen Befruchtung der Eier, denn auch Männchen ſind ja in gleicher Zahl vorhanden wie Individuen überhaupt. Aber die Steigerung der Fruchtbarkeit der Art bildet nur eine Seite von der Be— deutung der Zwittrigkeit. Für Tiere, die ſich langſam bewegen, feſtſitzen oder, wie die Binnenſchmarotzer, oft iſoliert vorkommen, iſt die Befruchtung der Eier viel weniger ſicher geſtellt als für Freibewegliche. Sie können andere ihrer Art infolge ihrer Lebensweiſe nicht aufſuchen. Wenn nur zwei Individuen der Art beieinander ſind, ſo können das bei getrenntgeſchlechtlichen Tieren entweder zwei Männchen oder zwei Weibchen oder Mann und Weib ſein; die Wahrſcheinlichkeit, daß ſie gleichen Geſchlechts ſind, iſt ebenſo groß wie die, daß es ein Pärchen iſt — alſo nur in der Hälfte der Fälle, wo nur zwei Indi— viduen der Art an einem Orte ſind, kann eine Befruchtung der Eier ſtattfinden. Anders Wechſelbefruchtung und Selbſtbefruchtung. 505 wenn die Tiere Zwitter ſind: dann iſt ſtets eine Kreuzbefruchtung möglich, auch wenn ſich nur zwei Individuen an einem Orte finden. Ja, wenn nur ein einziges Individuum da iſt, ſo bleibt immer noch die Möglichkeit der Selbſtbefruchtung. Im allgemeinen findet auch bei Zwittern eine Wechſelbefruchtung ſtatt, und die Selbſtbefruchtung iſt in den allermeiſten Fällen eine Ausnahme. Als regelmäßige Er— ſcheinung von großer Häufigkeit iſt ſie bisher nur bei den rhabdocoelen Strudelwürmern durch Sekera nachgewieſen. Aber auch ſonſt iſt ſie in einzelnen Fällen feſtgeſtellt: bei einigen Saug- und Bandwürmern iſt ſie beobachtet; bei Rollegeln (Clepsine), die von ihrem Ausſchlüpfern an iſoliert gehalten wurden, iſt normale Entwicklung der Eier be— obachtet worden, was auf Parthenogeneſe oder wahrſcheinlicher auf Selbſtbefruchtung ſchließen läßt; auch eine Teichſchnecke (Limnaea) iſt gefunden, bei der das Begattungs— glied in die eigene Scheide eingeführt war; daß Befruchtung der Eier mit dem Samen des gleichen Individuums zur Entwicklung führt, iſt vielfach experimentell nachgewieſen. Aber es gibt zahlreiche Fälle, wo eine Selbſtbefruchtung verhindert iſt. Dies kann ſchon durch anatomiſche Verhältniſſe bedingt ſein: bei Tieren, wo die Befruchtung im mütter— lichen Körper vor ſich geht und der Same durch Begattung eingeführt werden muß, kann die Lage der Geſchlechtsöffnungen derart getrennt ſein, daß ein Überführen des Spermas in die weibliche Offnung unmöglich iſt, wie beim Regenwurm. Meiſt aber führt ein anderer Weg zum gleichen Ziel: die verſchiedene Reifezeit der beiderlei Ge— ſchlechtsprodukte. Meiſt ſind die Samenfäden früher reif, ſo bei den zwittrigen Schnur— würmern und Fadenwürmern, den Rundmäulern Myxine und Bdellostoma und den Knochenfiſchen Cbrysophrys und Serranus. Ja, vielfach ſind überhaupt auf einmal nur einerlei Geſchlechtsprodukte vorhanden, die Zwittrigkeit iſt eine ſukzeſſive, und zwar ſpricht man von Proterandrie, wenn die Tiere zuerſt männlich ſind und ſpäter weiblich werden, wie die Auſter oder die Ascidien und Salpen oder das Inſekt Termitomyia. Protogynie, das Auftreten der Weiblichkeit vor der Männlichkeit, iſt weit ſeltener; wir kennen ſie z. B. von den Feuerwalzen (Pyrosoma) und den ſozialen Aseidien. Den Vorteilen der Zwittrigkeit, die wir oben dargeſtellt haben, ſteht ein gewichtiger Nachteil gegenüber: es fällt die Arbeitsteilung zwiſchen männlichen und weiblichen Indi— viduen hinweg, die eine ſo wichtige Ergänzung zu der Arbeitsteilung zwiſchen Ei und Spermatozoon bildet, und damit fehlen die Vorteile, die aus dieſer Arbeitsteilung ſich für die Erhaltung und Weiterbildung der Art ergeben. ) Parthenogeneſe. Bei den Protozoen können ſich überall die einzelnen Individuen auch agametiſch fortpflanzen, ohne vorhergegangene Kopulation. Bei den vielzelligen Tieren dagegen iſt eine ſolche primäre Agamogonie nicht vorhanden. Allerdings können ſich in einzelnen Fällen die Eier auch ohne Befruchtung entwickeln, parthenogenetiſch, wie man das nennt. Aber dieſe Erſcheinung läßt ſich mit der agametiſchen Vermehrung der Protozoen nicht in unmittelbaren Zuſammenhang bringen; ſie erklärt ſich durch nachträgliche Rückbildung der Befruchtungsbedürftigkeit. Die parthenogenetiſch ſich entwickelnden Eier bieten nämlich noch ein deutliches Kennzeichen ihrer früheren Befruchtungsbedürftigkeit: ſie ſtoßen nämlich am Schluß ihrer Ausbildung Polkörperchen ab, wie wir das ſchon bei den kopulierenden Actinophrys und bei den Makrogameten von Volvox kennen lernten. Wir werden ſpäter ſehen, daß die Bildung von Polkörperchen in engſter Beziehung zur Befruchtung ſteht. So kommt auch eine Polkörperbildung bei den Parthenogonidien von Volvox, 506 Vorkommen der Parthenogeneſe. die ſich ſtets agametiſch entwickeln, nie vor, wohl aber bei den Makrogameten, und bei den Eiern der Metazoen finden wir ſie überall. Auch die außerordentliche Beſchränkung im Vorkommen der Parthenogeneſe ſpricht dagegen, daß wir es darin mit einer urſprünglichen Erſcheinung zu tun haben; man kennt fie ganz vereinzelt von Borſtenwürmern (Dodecaceria concharum Oerst.), verbreitet in der Klaſſe der Rädertiere und vielfach in dem Tierkreis der Gliederfüßler. In manchen Fällen kommt ſie bei den Gliederfüßlern nur gelegentlich, als Ausnahme, vor; bei einer ganzen Anzahl von Schmetterlingen, nämlich bei Spinnern und Schwärmern, deren in der Gefangenſchaft ausgeſchlüpfte Weibchen auch ohne vorhergegangene Begattung Eier ablegen, hat man zuweilen beobachtet, daß ſich aus dieſen ſicher unbefruchteten Eiern Raupen entwickeln. Aber das iſt ſicherlich nicht die gewöhnliche Entwicklungsweiſe. Bei anderen Inſekten dagegen ſind die Männchen gänzlich unbekannt oder doch ſo ſelten, daß die Fortpflanzung faſt regelmäßig durch unbefruchtete Eier geſchieht; dahin gehören die Stabheuſchrecke Bacillus rossii Fab., die ſogenannten Sackträger unter den Schmetter— lingen (Psyche, Solenobia) und eine Anzahl kleiner Hymenopterenformen, wie manche Blattweſpen (3. B. Nematus gallieola), Gallweſpen (Gattung Aphilothrix) und wenige Schlupfweſpen. Bei anderen Inſekten wechſelt eine Generation, die aus Männchen und Weibchen beſteht, mit einer rein weiblichen ab, die ſich alſo parthenogenetiſch fortpflanzt, wie bei ſehr vielen Gallweſpen; oder es folgen ſich zahlreiche parthenogenetiſche Gene— rationen, bis nach einiger Zeit wieder Männchen in einer Generation auftreten, wie bei den Blattläuſen. — Unter den Krebſen iſt bei den Branchiopoden die parthenogenetiſche Fortpflanzung ſehr verbreitet, und bei manchen Formen derſelben wie Apus und Artemia salina Leach hat man lange vergeblich nach Männchen geſucht. Bei anderen bleiben die Männchen, wie bei den Blattläuſen, Generationen hindurch aus und treten dann in einer Generation auf, um wiederum längere Zeit zu fehlen: ſo bei den Waſſerflöhen (Cladoceren) und Muſchelkrebſen. Ahnlich verhalten ſich die Rädertierchen. Das Auftreten der Männchen wird hier durch gewiſſe äußere Einflüſſe, wie Nahrungsmangel oder niedere Temperatur veranlaßt; davon im 2. Bande. Bei dieſen Formen war die Fortpflanzung durch unbefruchtete Eier leicht zu erweiſen: die Männchen fehlten, und der Einwand, es ſeien die angeblichen Weibchen zwitterig und produzierten außer den Eiern noch Spermatozoön, ließ ſich durch anatomiſche Unter— ſuchung mit Sicherheit widerlegen. Schwieriger dagegen iſt die Art der Parthenogeneſe zu begründen, wo die gleichen Weibchen ſowohl befruchtete wie unbefruchtete Eier legen, ein Vorgang, der von der Honigbiene und ihren Verwandten, den Weſpen, Hummeln und Ameiſen, bekannt iſt. Bei allen dieſen entſtehen die Weibchen aus befruchteten, die Männchen aus unbefruchteten Eiern; die ſogenannten Arbeiter, die nichts anderes als Weibchen mit rudimentären Geſchlechtsorganen ſind, entſtehen wie die Weibchen und bleiben nur ſteril, weil ſie als Larven weniger gut ernährt werden. Man bezeichnet dieſe Art der Parthenogeneſe, wo das eierlegende Weibchen einem Teil der Eier Spermatozoen beigibt, einem anderen Teile nicht, als fakultative Parthenogeneſe. Der Nachweis dieſer Tatſachen wurde beſonders an der Honigbiene und an der Papierweſpe (Polistes) erbracht. Die Weibchen dieſer Hymenopteren, die ſogenannten Königinnen, werden nur einmal in ihrem Leben begattet, und zwar im Flug, alſo bei den Bienen außerhalb des Stockes. Der Vorrat von Spermatozoen, den fie vom Hoch— zeitsflug heimbringen, bleibt in ihren Samentaſchen lebendig und reicht zur Befruchtung ihrer Eier, bei der Bienenkönigin jahrelang, aus. Iſt eine Bienenkönigin verhindert, den Biologiſche Bedeutung der Parthenogeneſe 507 Hochzeitsflug zu unternehmen, etwa durch Fehler an ihren Flügeln, ſo bleibt ſie un— begattet, ſie kann ihre Eier nicht befruchten und ihre Nachkommen werden lauter Männchen oder, wie der Imker ſagt, Drohnen, der Stock wird drohnenbrütig. Drohnenbrütigkeit kann auch eintreten, wenn bei einer Königin durch Quetſchung des Hinterleibs die Samen— taſche beſchädigt iſt; das gleiche hat man erreicht, indem man eine Königin für 36 Stunden in einen Eiskeller ſperrte, wobei offenbar die Samenfäden in der Samentaſche zugrunde gehen. Bei der Einführung italieniſcher Weibchen, die von Männchen der deutſchen Bienenraſſe begattet wurden, zeigte es ſich, daß die Drohnen ganz nach der Mutter ſchlugen, die Weibchen und Arbeiter aber nach beiden Eltern; bei jenen fehlte eben das von väterlicher Seite ſtammende Spermatozoon im Ei. Wenn nach dem Wegfangen der Weibchen bei den Papierweſpen die unbegatteten Arbeiter Eier ablegen, ſo ſchlüpfen aus dieſen ausſchließlich Drohnen. Zu dieſen biologiſchen Beweiſen kommt noch der mikro— ſkopiſche Nachweis eines Spermatozoons in den Eiern, die aus den deutlich kenntlichen Arbeiterzellen der Bienenwaben entnommen werden, während in den Eiern aus den Drohnenzellen nie ein ſolches gefunden wird; die moderne mikroſkopiſche Technik macht es möglich, dieſen Nachweis mit aller Sicherheit zu führen. — Der Widerſtand, der ſich zuerſt gegen die Möglichkeit parthenogenetiſcher Entwicklung geltend machte, iſt durch alle dieſe Tatſachen überwunden worden. Wo die Parthenogeneſe durch alle oder durch eine Reihe von Generationen einer Tierart ſtändig hindurchgeht, iſt ihre Wirkung auf die Lebhaftigkeit der Fortpflanzung ohne weiteres erſichtlich. Die Nachkommen einer Blattlaus, die 20 Junge zur Welt bringt, würden ſich nach 5 Generationen, falls alle Jungen zur Fortpflanzung kommen, auf 200000 belaufen, wenn jedesmal die Hälfte der Jungen Männchen, die Hälfte Weib— chen wäre; bei parthenogenetiſcher Fortpflanzung, wo dann alle Jungen Weibchen ſind, beträgt ſie unter ſonſt gleichen Vorausſetzungen drei Millionen mehr. Wir ſehen nun, daß die Parthenogeneſe in dieſer Art vielfach bei kleinen Süßwaſſer- und Landbewohnern vorkommt, deren Beſtand von den klimatiſchen Bedingungen ſehr abhängig iſt, wie bei Waſſerflöhen, Muſchelkrebſen und Rädertieren, die durch Austrocknen der Tümpel ge— fährdet ſind, oder bei den Blattläuſen, denen der Winter verderblich wird. Für dieſe Tiere dürfte es einen ſehr großen Vorteil bieten, wenn ſie ſich, ſolange die Verhältniſſe günſtig ſind, ſehr reichlich vermehren. Über die Entſtehung der Parthenogeneſe iſt damit freilich nichts geſagt. Daß ſie aber faſt ganz auf Gliederfüßler beſchränkt iſt, läßt wohl vermuten, daß in anderen Tierkreiſen die Bedingungen für eine Entwicklung der Eier ohne Befruchtung viel weniger günſtig liegen; hier aber ſind, wahrſcheinlich bei den ver— ſchiedenen Formen ſelbſtändig, dieſe günſtigen Verhältniſſe der Organiſation ausgenützt, und gelegentliche Parthenogeneſe hat ſich zu ſtändiger ausbilden und über die Art ver— breiten können infolge des Vorſprunges, den ſie der reichlicheren parthenogenetiſchen Nach— kommenſchaft vor den Artgenoſſen gab. Anders iſt die fakultative Parthenogeneſe bei den ſtaatenbildenden Hymenopteren zu beurteilen, die zur Erzeugung von Männchen führt. Gelegentlich kommen aus den Eiern bei den einzellebenden Blattweſpen, z. B. der Stachelbeerblattweſpe (Nematus ventri- cosus Kl.), wenn ſie infolge ausgebliebener Begattung unbefruchtet abgelegt wurden, nicht Weibchen, wie bei den bisher beſprochenen Fällen von Parthenogeneſe, ſondern Männchen. So iſt es auch bei den geſelligen Hymenopteren; aber die Ablage einer An— zahl der Eier ohne Befruchtung iſt hier zur Regel geworden. Dieſer Zuſtand kann un— möglich zu ſtändig parthenogenetiſcher Fortpflanzung führen; aber er findet hier Ver— 508 Parthenogeneſe bei Protozoen. Vegetative Fortpflanzung. wendung für die Regelung des Zahlenverhältniſſes von Männchen und Weibchen in den Hymenopterenſtaaten, inſonderheit zur Regelung des zeitlich beſchränkten Auftretens der Männchen. Eine unmittelbare Vermehrung der Nachkommenſchaft wird freilich damit nicht erreicht. Auch bei den Protozoen kann man in einzelnen Fällen von Parthenogeneſe ſprechen. Es können nämlich Gameten, die von den gewöhnlichen, ſich agamiſch fortpflanzenden Individuen verſchieden ſind und für gewöhnlich mit einem anderen Gameten kopulieren würden, zu ſelbſtändiger Entwicklung gelangen ohne vorausgehende Kopulation. Bei Protozoen hat man ſolche Entwicklung nur von Makrogameten beobachtet: jo werden z. B. die Malariarückfälle wahrſcheinlich bewirkt durch Makrogameten des die Krankheit erzeugenden Blutparaſiten (Plasmodium malariae Lav.), die ſich parthenogenetiſch ent— wickeln. Bei einigen Algen hat man ſogar Parthenogeneſe von Mikrogameten beobachtet; doch geben ſie nur kümmerliche Pflänzchen. 2. Die vegetative Portpflanzung. Die vegetative Fortpflanzung iſt von Leuckart mit gutem Recht als Fortpflanzung durch Wachstumsprodukte bezeichnet; ſie iſt ein Wachstum über das individuelle Maß hinaus. Das junge Tier ſteht mit dem alten längere Zeit in ununterbrochener Ver— bindung. Dieſe Verbindung kann überhaupt dauernd beſtehen bleiben; wenn ſie gelöſt wird, ſo geſchieht es meiſt erſt dann, wenn das neue Tier vollſtändig die Geſtalt des alten erlangt hat und ſich ſelbſtändig ernähren kann. Die vegetative Fortpflanzung iſt in ihrem Vorkommen auf niedriger organiſierte Tiere beſchränkt. Bei Tierformen mit höherer Differenzierung, bei den Weichtieren, Gliederfüßlern und Wirbeltieren, begegnen wir ihr nirgends, ſehr ſelten bei den Stachel— häutern. Dagegen iſt ſie bei Coelenteraten und Schwämmen, bei Plattwürmern, Würmern und Manteltieren weit verbreitet und kommt in den mannigfachſten Abänderungen vor. Die gewöhnliche Zweiteilung der Protozoen wurde früher auch hierher gerechnet. Sie hat aber ſo viele Berührungspunkte mit der Fortpflanzung durch Einzelzellen bei den vielzelligen Tieren, daß wir ſie mit dieſer als cytogene Fortpflanzung zuſammengefaßt haben. Im allgemeinen können wir daher vegetative Fortpflanzung nur bei Metazoen erwarten. Doch kommen vereinzelte Fälle vor, wo Protozoen, die zahlreiche Kerne ent— halten, ſich in mehrere Teilſtücke zerſchnüren, deren jedes wieder eine Anzahl Kerne be— ſitzt (vgl. Abb. 330, I A und B und VI A und B); dies könnte man mit Fug als vege— tative Fortpflanzung betrachten. Das gleiche gilt für die Zerſchnürung einer Protozoen— kolonie in mehrere, was z. B. bei den koloniebildenden Radiolarien vorkommt. a) Allgemeines über Teilung und Knofpung. Die verſchiedenen Abänderungen der vegetativen Fortpflanzung laſſen ſich auf zwei Grundformen zurückführen, die als Teilung und Knoſpung unterſchieden werden. Ein völlig äußerlicher Unterſchied iſt es, daß bei der Teilung die beiden entſtehenden Indi— viduen meiſt gleiche Größe haben, bei der Knoſpung dagegen das junge Individuum kleiner iſt als das alte. Das Weſentliche an der Teilung iſt, daß dabei funktionierende Körperabſchnitte des alten Tieres in die Teilſtücke eingehen und meiſt die Hauptmaſſe derſelben bilden; dazu kommen allerdings noch Neubildungen, wodurch die Teile zur völligen Ausbildung der Elternform ergänzt werden. Die oben kurz geſchilderte vege— Unterſchiede zwiſchen Teilung und Knoſpung. 509 tative Fortpflanzung von Stylaria iſt eine Teilung; es muß an dem vorderen Teilſtück ein neuer After, an dem hinteren ein neues Vorderende mit Mund, Hirn, Augen und Taſter gebildet werden. Die Knoſpung dagegen wird dadurch charakteriſiert, daß das neue Individuum durch beſondere Wachstumsprozeſſe, die von den gewöhnlichen, für die betreffende Art normalen abweichen, entſteht und einen Auswuchs am Körper des knoſpenden Tieres bildet, der mit deſſen Exiſtenz als ſolchen nichts zu tun hat; das knospende In— dividuum bleibt im übrigen meiſt unverändert. Das typiſche Bild einer Knoſpung bietet unſer Süßwaſſerpolyp Hydra (Abb. 318 und Tafel 11). Hier wölbt ſich die Wand des ſackförmigen Körpers etwas empor; es —— bildet ſich ein hohler Anhang (7), deſſen Wände wie die Körperwände der Hydra aus zwei Zellſchichten, dem Ekto- und Entoderm, beſtehen und deſſen Hohlraum mit dem Darmraum des Tieres verbunden iſt. Dieſer Anhang wächſt, treibt am freien Ende eine Anzahl Tentakeln als Ausſtülpungen ſeiner Wand; zwiſchen dieſen entſteht eine Offnung, durch die der Innenraum nach außen mündet: es iſt der Mund des jungen Tieres. So iſt der Bau der Knoſpe (8) dem des alten Tieres ziemlich ähnlich; er wird es ganz, in— dem die Knoſpe ſich vom Muttertier abſchnürt und ſelbſtändig weiterlebt. Solcher Knoſpen können gleichzeitig mehrere an einem Tier entſtehen. Bei der Teilung iſt die Haupt— maſſe des neu entſtehenden Tieres ſchon als funktionierender Abſchnitt des alten vorhanden, oder ſie wächſt erſt aus dieſem hervor, aber durch einen Vorgang, der völlig der normalen Wachstumsform der betreffenden Art eee eee e e ,,, I Z| wir es nennen wollen, auf die letztere Weiſe entſteht, ſo hat man wohl mißbräuchlich den Namen Knoſpe dafür angewendet und dies Wachstum als Knoſpung bezeichnet. Nach unſerer Begrenzung von Knoſpung auf Vorgänge mit differentiellem Wachstum iſt das jedoch nicht angängig. Allerdings ſpielt in jede Umbildung eines Teilſtückes zu einem ſelbſtändigen Tier ein Prozeß herein, der mit der Knoſpung eine gewiſſe Ahnlich— keit hat: nämlich die Ergänzung der dem Stücke fehlenden Teile durch Neubildungen. Solche Ergänzungs- oder Regenerationserſcheinungen finden ſich im Tierreich ſehr weit verbreitet, auch vollſtändig unabhängig von der Fortpflanzung der Tiere, als Mittel, Wunden zu vernarben und verlorene Teile wieder zu erſetzen. Es kommt zwar nirgends vegetative Fortpflanzung vor bei einer Abteilung, der das Regenerationsvermögen ab— geht. Aber umgekehrt gibt es gar manche Tiergruppe, wo dieſes vorhanden iſt, aber Abb. 318. Längsſchnitt durch einen Süßwaſſerpolypen Hydra mit Knoſpen. 1 Ektoderm, 2 Entoderm, 3 Darm, 4 Mund- öffnung, 5 Fußſcheibe, 6 Fang— arme, 7 junge und & ausge— bildete Knoſpe. 510 Regeneration. keine Fortpflanzung durch Teilung oder Knoſpung gefunden wird. Unter den Stachel— häutern zeigen die Holothurien und Seeſterne eine große Regenerationsfähigkeit. Ab— gebrochene Seeſternarme wachſen wieder zu einem vollſtändigen Individuum aus, indem ſie die Mundſcheibe und die vier übrigen Arme ergänzen; dieſe Regenerationszuſtände ſind als Kometenform der Seeſterne bekannt. Die Holothurien ſtoßen bei unſanfter Be— handlung große Teile ihrer inneren Organe aus und vermögen ſie neu zu bilden. Aber trotzdem iſt die vegetative Fortpflanzung bei den Stachelhäutern nur in ſehr beſchränktem Umfange bekannt. — Die Krebſe ergänzen verlorene Beine und Fühler, die Inſekten wenigſtens Fußglieder und nach neueren Unterſuchungen auch Flügel, wenn ſie im Puppen— ſtadium abgeſchnitten werden. Unſere Schnecken können abgeſchnittene Fühler, ja ſogar größere Teile des Kopfes neu bilden. In geringer Ausdehnung beobachtet man bei den kaltblütigen Wirbeltieren Regenerationserſcheinungen; am beſten ſind ſie bei den Amphi— bien entwickelt; bei denen ganze verlorene Gliedmaßen neu entſtehen können; bei Fiſchen und Reptilien ſind ſie gering. Aber in keinem dieſer drei Tierkreiſe kommt ein Fall von Teilung vor. Nur verhältnismäßig wenige Tierformen kennen wir, bei denen überhaupt keine Regeneration beobachtet iſt, ſo die Rippenquallen und die Egel, und wie zu erwarten, ſind dort auch weder Teilungs- noch Knoſpungsvorgänge bekannt, obgleich ſie bei den nächſten Verwandten reichlich vorkommen. Wenn alſo das Regenerationsvermögen ein faſt allgemeiner Beſitz der Tiere iſt, ſo kann man nicht ſagen, daß die Teilung deshalb von der Knoſpung nicht ver— ſchieden ſei, weil bei ihr ebenſo wie dort ein differentielles Wachstum in Geſtalt von Regenerationsvorgängen ſtattfinde. Am auflfälligſten find die Regenerationserſcheinungen bei den Coelen— teraten, Platt- und Ringelwürmern. Unſer Süßwaſſerpolyp Hydra iſt das klaſſiſche Objekt für das Studium der Regeneration; ihre große Rege— nerationsfähigkeit führte zu dem Vergleich mit der Lernäiſchen Hydra, Zußwafjerten der an Stelle eines abgeſchlagenen Kopfes zwei neue entſtanden. Man delwurm Pla- kann ſie in kleine Stücke zerſchneiden, und jedes ergänzt ſich zu einem naria alpin a e neuen Polypen, ſelbſt Kugeln von / mm Durchmeſſer. Aus abge⸗ Schwanzenden an ſchnittenen Stückchen von Schwämmen entwickeln ſich wieder ganze Nac W Bat: Schwammſtöcke, eine Erſcheinung, die für die künſtliche Vermehrung des Badeſchwamms ausgenutzt wird. Die Strudelwürmer unſerer Bäche und Weiher von der Gattung Planaria ſtehen der Hydra kaum nach; Stücke von mehr als ½9 des Geſamtvolumens vermögen wieder einen ganzen Wurm zu bilden; Wunden, die bei ihrem weichen Leibe häufig vorkommen, heilen binnen kürzeſter Zeit aus. Ja, man kann bei ihnen durch beſtimmt angebrachte Einſchnitte Würmer erzeugen, die mehrere Kopf- und Schwanzenden haben, wie die beiſtehende Abbildung 319 zeigt: eine nach vorn ſchauende Rißſtelle läßt bei Anwendung beſtimmter Vorſichtsmaßregeln einen Kopf entſtehen, eine nach hinten ſchauende einen Schwanz. Regenwürmer kann man in zwei Teile ſchneiden, ohne daß ſie zugrunde gehen; das vordere Stück bildet einen neuen Schwanz, das hintere einen neuen Kopf, und ſo ſind durch die Operation zwei Würmer entſtanden. Ja, bei manchen Verwandten des Regenwurms geht dieſe Fähigkeit noch weiter: Lumbriculus variegatus Gr. kann in 14 Stücke zerſchnitten werden und alle regenerieren Kopf und Schwanz. An ſolchen Objekten wie den genannten, die dem Experiment leicht zugänglich ſind, hat man die Vorgänge bei der Regeneration genau ſtudiert und gefunden, daß gewöhnlich Teilung bei Borſtenwürmern— 511 die Gewebe der ergänzten Teile von den gleichen Geweben des alten Stückes abſtammen, die Epidermis von der Epidermis, der Darm vom Darm; oder ſie entwickeln ſich aus dem gleichen Mutterboden wie bei der Embryonalentwicklung: es entſteht das zentrale Nervenſyſtem auch bei der Regeneration von der Epidermis aus. Teilſtücke von Hydra können nur dann ein vollſtändiges Tier regenerieren, wenn beide Keimblätter, das äußere wie das innere, in ihnen enthalten ſind. Aber dies iſt keineswegs ausnahmsloſe Regel: es können Gewebe vertretend für einander eintreten, die Muskeln z. B. ſich aus epidermalen Zellen bilden oder die Mundhöhle der Ringelwürmer vom Darmepithel aus, während ſie bei der Embryonalentwicklung ektodermal iſt. Die Natur läßt ſich nicht in das Schema der Keimblätter preſſen; Teile des einen Keimblattes haben unter Umſtänden die Fähigkeit, Gewebe zu erzeugen, die gewöhnlich von einem anderen Keimblatt ihren Urſprung nehmen. b) Fortpflanzung durch Teilung. Gerade in jenen drei Tierkreiſen, wo die Regenerationsfähigkeit am höchſten ent— wickelt iſt, bei den Coelenteraten, Plattwürmern und Würmern, kommt auch die Fortpflanzung durch Teilung am häufigſten vor, und zwar find es unter den Coelenteraten die Neſſel— tiere, unter den Plattwürmern die Strudel- und Bandwürmer und unter den Würmern die Borſtenwürmer. Die letzteren ſeien zuerſt beſprochen, weil ſie uns eine große Mannigfaltigkeit der Teilungsvorgänge in überraſchendem engen Zuſammenhange zeigen und ſo für das Verſtändnis am zugänglichſten ſind. Gehen wir aus von Lumbriculus, einem Borſtenwurm unſerer ſtehenden Gewäſſer, deſſen große Regenerationsfähigkeit wir oben ſchon erwähnt haben. In der freien Natur trifft man zu gewiſſen Zeiten faſt nur Exemplare dieſes Wurmes, die regenerierte Teile zeigen; entweder iſt nur das Vorderende oder nur das Hinterende, oder es ſind beide ergänzt, wie man an der helleren Färbung leicht erkennt. Beobachtungen im Aquarium haben gelehrt, daß der Wurm die Fähigkeit beſitzt, von ſelbſt ſeinen Körper plötzlich, ohne Vorbereitungen in Teile zu zerbrechen, offenbar durch beſtimmte Muskelkontraktionen; indem dieſe Teile ſich zu ganzen Tieren regenerieren, wird dieſe Selbſtzerſtückelung oder Autotomie zur Fortpflanzung. — Bei anderen Borſtenwürmern geht der Teilung in einzelne Stücke eine Einſchnürung zwiſchen zwei Segmenten voraus, ſo daß es nicht ge— rade zur Bildung großer Wundflächen kommt. So geſchieht es bei einem kleinen Borſten— wurm des Meeres, Ctenodrilus monostylos Zepp.; die von einander getrennten Teile ergänzen ſich erſt nach der Trennung zum fertigen Wurm, durch Regeneration der feh— lenden Stücke. Es können ſich ſogar Stückchen von 1—3 Körperſegmenten abſchnüren und zu ganzen Würmern auswachſen. In anderen Fällen aber bereitet ſich die Teilung länger vor: es entſtehen die Ergänzungen durch Gewebswucherung, noch bevor die Teil— ſtücke getrennt ſind. Einen ſolchen Fall lernten wir oben jchon für Stylaria kennen. Daß es aber keinen grundſätzlichen Unterſchied macht, ob die Trennung der Regeneration vorausgeht oder folgt, läßt ſich ſchon daraus erſehen, daß bei einem Gattungsgenoſſen des Ctenodrilus monostylos Zepp., bei Ct. pardalis Clap. die Reihenfolge der Vorgänge umgekehrt iſt als dort, daß alſo zuerſt die Regeneration, dann die Trennung eintritt. So geſchieht es auch bei den meiſten unſerer kleinen Ringelwürmer des Süßwaſſers, bei den Naideen, Chaetogaster und Aeolosoma (Taf. 11). Hier kann ſogar die Trennung ſo lange verziehen, daß an dem vorderen oder ſelbſt an beiden Teilſtücken ſchon neue Wucherungszonen auftreten und einen neuen Zerfall vorbereiten, ſo daß ſich zeitweilig kleine Ketten von Sproſſen bilden, die ſpäter zerfallen. 512 Teilungsvorgänge bei den Syllideen. Beſonders intereſſante Erſcheinungen bieten bei manchen Meeresborſtenwürmern die Teilungsvorgänge dadurch, daß fie zu der geſchlechtlichen Fortpflanzung in Beziehung —— uz e, ( , ſei vorausgeſchickt, daß viele Arten der ſehr verbreiteten Gattungen Nereis und Syllis zur Zeit ihrer Geſchlechts— reife in beiden Ge— ſchlechtern eine merk— würdige Metamorphoſe erleiden: im hintern Körperabſchnitt, und zwar in den Segmenten, wo ſich die Geſchlechts— produkte entwickeln, bil⸗ den ſich die Parapodien und ihre Borſten um und nehmen ein merk— lich anderes Ausſehen an als an den vorderen Seg— menten (Abb. 320 D; Abb. 320. Schematiſche Darſtellung der Teilungsvorgänge bei Meeresringelwürmern (Syllideen). 7 Epitolfe Form von Nereis oder Syllis; II Haplosyllis; 777 Autolytus sp., die hintere Region entwickelt vor der Abtrennung einen Kopf; IV Autolytus sp., vor dem 1. Sproſſen eine Wachstumszone 7; Va und „ Autolytus sp. oder Myrianida, à zwiſchen vorletztem und letztem Segment eine Wachstumszone 2, die zur Entſtehung einer Reihe von Sproſſen (0) führt. Die geſchlechtlich entwickelten Abſchnitte find punktiert. Abgeändert nach Malaquin. die Parapodien werden länger und bekommen blattartig flache An— hänge: die Borſten ſind IL — . — ebenfalls verlängert und häufig am Endteile etwas abgeflacht (Abb. 321). Kurz, es entſtehen jetzt aus den bisher zum Kriechen am Boden geeigneten Gliedmaßen Ruder, die dem Tiere ein freies Schwimmen erlauben. Hand in Hand damit treten Veränderungen am Kopf, beſonders JJ ee e eee e Man hat die ſo verwandelten Individuen früher für eine beſondere Wurmart, Hetero- nereis bzw. Heterosyllis ge— halten, bis man den Zu— ſammenhang erkannte: man bezeichnet ſie jetzt als epitoke Form und den vorderen un— geſchlechtlichen Abſchnitt des j — _ _ — ———————— 1.25 0% atofen, den hin— e eee e Den Die, eee e dukte zur Reife bringt, als epitoken Teil. Der Erfolg dieſer Umbildung iſt der, daß durch erhöhte Bewegungs— fähigkeit der vorher kriechenden Würmer das Zuſammenkommen von Männchen und Weibchen erleichtert und die Verbreitung der Art auf neue Gebiete begünſtigt wird. Teilungsvorgänge bei den Syllideen. 513 Durch ganz ähnliche Umbildung verwandelt ſich der kleine Ringelwurm Dodecaceria concharum Oerst.) zur Zeit der Geſchlechtsreife in eine epitoke Form (Abb. 322). Bei einer Syllidee, Haplosyllis, hat man nun beobachtet, daß ſich der epitoke Ab— ſchnitt, wenn die Geſchlechtsprodukte reif find, von dem atoken trennt (Abb. 320 JI), eine Zeitlang frei umherſchwimmt, die Eier bzw. Spermatozoen nach außen entleert und dann zu Boden ſinkt: er hat ſeine Rolle ausgeſpielt und ſtirbt; der atoke Abſchnitt aber wächſt wieder und ergänzt die abgeſchnürten Segmente, um ſich nach einer gewiſſen Zeit mit der Geſchlechtsreife wiederum in die epitoke Form zu verwandeln und die geſchilderten Schickſale zu erleiden. Eine Abſchnürung des hinteren, die Geſchlechtsprodukte enthalten— den Körperabſchnittes iſt auch ſonſt bei Borſtenwürmern beobachtet worden, ohne daß vorher eine Umwandlung der betreffenden Körperſegmente eintrat. Clistomastus, ein im Mittelmeer vorkommender Wurm, entledigt ſich ſeiner Geſchlechtsprodukte durch ſukzeſſive Abſchnürung verſchieden langer Körperabſchnitte ins Waſſer. Beſonders auffällig wird bei dem ſogenannten Palolowurm (Eunice viridis Gr.) der Samoainſeln die Abſchnürung des geſchlechts— reifen Hinterendes dadurch, daß bei den un— geheuer zahlreichen, die Spalten der Korallen— riffe bewohnenden Würmern dieſer Vorgang faſt auf den Tag gleichzeitig geſchieht, und zwar an Tagen, die in deutlichem und genau berechen— barem Zuſammenhang mit den Fluterſcheinungen und ſomit den Mondphaſen ſtehen (vgl. 2. Band); an einem ſolchen Palolotag wimmelt dann beim Eintritt der Dunkelheit das Waſſer des Riffs von Würmern oder vielmehr von Wurmſtücken, aber unter den Millionen findet ſich kein Kopfende: es ſind nur die abgeſchnürten, een omenfäden dicht erfüteenas¶agsgg —— hinteren Körperſegmente; die Kopfenden bleiben Abb. 32. e ee an ihren Wohnſtätten, um aufs neue zu wachſen Etwa adac 1 Fühler (in 2 ftart zurüdpesitbet); und noch zu wiederholten Malen Palolo zu ra 8 lerl liefern. In dieſen Fällen werden alſo die Teilſtücke für ihre ſchnell vorübergehende Selb— ſtändigkeit nicht zu vollkommenen Individuen ergänzt. Eine ſolche Ergänzung des ſchon abgetrennten Stückes tritt aber bei einer anderen Form ein, bei Syllis hyalina Gr.; hier wird das Teilſtück zu einem vollkommenen Wurm, der aber auch nach der Entleerung der Geſchlechtsprodukte zugrunde geht, während der vordere Teil weiter lebt, wächſt und ſich wieder teilt. Die Ergänzung vor der Lostrennung tritt bei anderen Syllideen ein, jo bei Autolytus pietus Ehl. und cornutus Ag. (Abb. 320 III). Der Wachstumsvorgang, der hier zur Ergänzung des Kopfes für das hintere Teilſtück führt, kann aber gleich weiter gehen derart, daß das vordere Individuum ſich ſchon für eine neue Teilung auswächſt, ehe das hintere Teilſtück losgelöſt iſt (Abb. 320 IV); in dieſer Wachstumszone entſteht nach einiger Zeit des Wachstums ein neuer Kopf, eine Strecke weit vor dem zuerſt ergänzten, und wieder nach einiger Zeit noch einer; kurz, die Trennung der Teilindividuen verzögert ſich, die in den bisher betrachteten Fällen nach und nach — Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 33 — 514 Teilungsvorgänge bei den Syllideen. eintretende Loslöſung einzelner Individuen wird gleichſam zuſammengeſchoben. Es ent- ſteht von der Wachstumszone aus eine ganze Kette junger Sproſſen, die bis 15 und mehr zählen kann (Abb 323); der hinterſte davon iſt der älteſte, nach vorn werden ſie zunehmend jünger. Sie ſind entweder lauter Männchen oder lauter Weibchen. Daß dies nur eine leichte Umwandlung der bisher geſchilderten Teilungsarten bedeutet, er— gibt ſich daraus, daß bei manchen Autolytus-Arten zuweilen nur ein Sproß, zuweilen eine Kette von ſolchen gebildet wird. Viele aber erzeugen ſtets Sproßketten, z. B. Autolytus prolifer Müll. Und ſchließlich kann die Ahnlichkeit mit der gewöhnlichen Teilung in zwei gleiche oder nahezu gleiche Teile noch mehr verwiſcht werden: an dem unverſehrten Tier bildet ſich nicht von einem Segment der Mitte aus, ſondern vom vorletzten Segment (Abb. 320 Va, 2) aus eine Wachs— tumszone, von der aus eine Kette von Sproſſen entſteht, und bei dem hinterſten Sproß iſt dann nicht die ganze Kette der Segmente mit Aus— nahme der vorderſten von dem urſprünglichen Tier übernommen, ſondern nur das Endſegment; die anderen ſind auch für dieſen Sproß gleich— ſam neu gebildet. So iſt es bei Myrianida (Abb. 320 F). Aber daß auch hier die ganze Kette, ſo lange ſie zuſammenhängt, einen notwen— digen Beſtandteil des urſprünglichen Wurmes ausmacht, leuchtet am beſten ein durch die Erwägung, daß ja der After des Wurms am Ende der Kette liegt; Speiſereſte müßten alſo den Darm der neuge— BR bildeten Individuen paſſieren, um nach außen zu gelangen; erſt nach I Abtrennung der Kette muß das vorderſte Teilſtück einen neuen After 2 5 bilden. 8 In allen dieſen Fällen ſind die abgetrennten Teilſtücke Geſchlechts— u 3 tiere, die mit der Entleerung der Geſchlechtsprodukte ihr Daſein be— endigt haben und ſterben. Das urſprüngliche Stück enthält zuweilen ebenfalls Eier, meiſt aber nicht. Indem ſo von einem Wurm aus eine Anzahl Geſchlechtstiere zu verſchiedenen Malen entſtehen, iſt es ohne Schaden für die Art möglich, daß dieſe ihre ganze Exiſtenz mit der einmaligen Bildung von Eiern und Samenfäden erſchöpfen; oft wird faſt die geſamte Stoffmaſſe dieſer Sproſſe dazu aufgebraucht: ihr Darm ſchrumpft zu einem Faden ein, ihre Körperwand verdünnt ſich unter Degeneration der Muskulatur, und nur die Muskeln der Parapodien Abb. 323. bleiben unbeeinträchtigt und ſorgen für die Fortbewegung des Indivi— Verr ill, Mutterttermit duums und damit für die Verbreitung der Art. fa e Die weite Verbreitung der Fortpflanzung durch Teilung und viel— 6 Wachstumszone. leicht auch die hohe Regenerationsfähigkeit bei den Borſtenwürmern Nach Menſch. 15 . 1 . , hängt wohl eng mit ihrem Körperaufbau und ihrer Wachstumsweiſe zuſammen. Der Körper beſteht aus im allgemeinen gleichwertigen Einzelabſchnitten, den Ringeln oder Segmenten, und dieſe nehmen während der Lebensdauer des Wurmes durch Wachstum am Hinterende an Zahl zu; die Segmentzahl iſt nicht nur bei den verſchiedenen Arten ſehr wechſelnd — ſie bewegt ſich in der Familie der Regen— würmer z. B. zwiſchen 40 und 400 — ſondern ſchwankt auch für jede einzelne Art in recht weiten Grenzen — Lumbrieus herculeus Sav. hat 110—180 Segmente: Im ſcharfen Gegenſatz dazu ſtehen andre Ringelwürmer, die Egel, die ja von vielen AN (\ G en l Vrrrrrr rr D e Sana ZN \ Teilungsvorgänge bei Plattwürmern. 515 für nahe Verwandte der Oligochaeten erklärt werden; bei ihnen iſt die Zahl der (inneren) Körperſegmente für alle Gattungen und Arten genau die gleiche und beträgt 33; dieſe Anzahl iſt ſchon bei den jungen Tieren vorhanden und findet während des Lebens keine Vermehrung — aber bei ihnen ſind auch kaum Spuren von Regeneration und keine Teilungserſcheinungen bisher gefunden worden. Es geht das ſehr wahrſcheinlich ſchon auf die erſten Anlagen im Embryo zurück; wir werden unten für die Rippen— quallen den Gründen für die mangelnde Regenerationsfähigkeit weiter nachzugehen ſuchen. inoſpung kommt bei den Borſtenwürmern nicht vor. Der einzige Fall, der zu ſolcher Deutung zunächſt verleiten könnte, kann wohl auch anders erklärt werden: es iſt das die ſeltſame Verzweigung von Syllis ramosa M’Int. (Abb. 324). Dieſer im Indiſchen Ozean gefundene Wurm wohnt in einem Kieſelſchwamm, in deſſen Geißelkanäle ſich die einzelnen Aſte des Wurmes erſtrecken. Die vielen Aſte find wohl am beſten als Re— generationsprodukte an verletzten Stellen aufzufaſſen, ſo daß der ganze Wurm ähnlich zuſtande gekommen wäre wie die oben abgebildete Pla— narie (Abb. 319) mit den experimentell erzeugten re— generierten Köpfen und Schwänzen. Von einer an— deren Syllis-Art wurde ge— legentlich ein Exemplar mit zwei Köpfen gefunden, das nur in dieſer Weiſe zu er— klären iſt; an Gelegenheit zu Verletzungen wird es bei den ſcharfen Kieſelnadeln des Schwammes, den der Wurm bewohnt, nicht fehlen. Knoſ— pung und Teilung find im Abb. 324. Stück einer Syllis ramosa M’Int., veräftelt, mit zahlreichen allgemeinen in ihrem Vor⸗ Schwanzenden, von denen hier drei ſichtbar find. Nach Me-Imtoſh kommen ſo ſehr geſchieden, daß dieſe Erklärung einleuchtender iſt, als bei einem einzelnen Borſtenwurm Knoſpung anzunehmen. Der Umſtand, daß es hauptſächlich, ja vielleicht ausſchließlich Schwänze ſind, die hier entſtehen, ſpricht auch dafür, daß wir es nicht mit einer Knoſpung, ſondern mit einem Regenerationszuſtand zu tun haben. Die verſchiedenen Möglichkeiten in der Aufeinanderfolge der einzelnen Momente bei der Teilung, wie wir ſie bei den Borſtenwürmern kennen lernten, kehren auch bei den Platt— würmern, ſpeziell den Strudelwürmern wieder. Von Planaria subtentaculata Drap. wird berichtet, daß die Trennung der Teilſtücke vor der Regeneration erfolgt; bei andren Planarien ſoll die Reihenfolge umgekehrt ſein. Der kleine rhabdocoele Strudelwurm Microstoma (Taf. 11) bildet kleine Sproßketten, indem die beiden Tochtertiere des urſprüng— lichen Individuums wachſen und ſchon wieder neue Trennungsſtellen vorbilden, ehe ihre Trennung erfolgt. Die Trennungsebenen ſtehen in allen Fällen ſenkrecht zur Längsachſe des Tieres. Bekannt iſt die Loslöſung einzelner Körperabſchnitte bei den Bandwürmern; die ſogenannten Glieder oder Proglottiden des Wurmes ſchnüren ſich durch eine Furche gegen einander ab und löſen ſich nach dem Heranwachſen und Reifen der in ihnen ent— haltenen Geſchlechtsorgane und nach der Begattung vom Geſamtkörper des Schmarotzers 33 * 516 Teilung bei Coelenteraten. los, um den Darm des Wirtstieres zu verlaſſen. Es erinnert dies an das ſukzeſſive Lostrennen von Teilen des geſchlechtsreifen Hinterendes bei dem Borſtenwurm Clisto- mastus, das wir oben beſchrieben haben. Ein Bandwurmglied kann man daher wohl als ein losgetrenntes, nicht zum vollſtändigen Individuum ergänztes Teilſtück anſehen und hier von einer Fortpflanzung durch Teilung ſprechen. Die geringe ſelbſtändige Le— bensdauer und mangelnde Regeneration ſprechen ebenſowenig gegen dieſe Auffaſſung wie bei Haplosyllis und dem Palolowurm — dort wird ja bei nahen Verwandten das ab— getrennte Stück zu einem vollkommenen Individuum ergänzt. Schließlich finden wir die Fortpflanzung durch Teilung noch bei den Neſſeltieren verbreitet, und zwar hauptſächlich bei den Scyphozoen; bei den Hydropolypen begegnet ſie nur ganz ausnahmsweiſe, und zwar bei Protohydra leuckartii Greeff, bei Hydra wurde ſie wenige Male beobachtet; bei den Hydromeduſen kommt ſie nur in vereinzelten 5 RE WARE Fällen vor, jo 2 = bei der mit meh- reren Mund— ſtielen ausge— ſtatteten Gastro- blasta raffaeli Lang, wo durch Zerſchnürung des Schirms zwei Individuen aus einem ent⸗ ſtehen können. Bei den Scy- 5 1 : == = phozoendagegen III Ze ift die Teilung = — 6‚B woeit verbreitet: — ——> . — ſie iſt neben der : — = Knoſpung das Abb. 325. Gonactinia prolifera Sars auf einer Muſchelſchale (Scrobicularia). Mittel zur Bil- in Teilung, 2 mit Knoſpe. Vergrößert. In Anſchluß an Blochmann und Hilger. dung der Ko⸗ rallenſtöcke, ſie kommt neben der ſeltneren Knoſpung (Abb. 325) bei den Aktinien vor und führt zur Bildung getrennter Einzelindividuen, und ſie ſpielt in der Entwicklung der Scyphomeduſen eine große Rolle. Bei Korallen verläuft die Teilungsebene parallel zur Symmetrieachſe, bei Aktinien kann ſie auch auf derſelben ſenkrecht ſtehen. Dieſen Fall haben wir z. B. bei Gonactinia prolifera Sars (Abb. 325): in halber Höhe des Körpers tritt eine Einſchnürung auf, an deren Rändern bilden ſich am baſalen Stück kleine Hervorragungen, die Anlagen von Tentakeln, und wenn die Teilungsebene völlig durchſchneidet, ergänzt ſich an dieſem Stück ein Schlundrohr, und es ſind zwei Aktinien vorhanden. Auf die gleiche Art entſteht eine Qualle am Scyphiſtoma-Polypen. Aber hier kann durch Verzögerung der Lostrennung und weitere Teilung dasſelbe ein— treten, was bei den Autolytus-Arten als Bildung von Sproßketten geſchildert wurde: es entſteht eine ganze Reihe von Anlagen junger Ouallen, die übereinander liegen wie ein Satz von Tellern: dieſe „Kettenbildung“ iſt ſogar das Gewöhnlichere und wird als Strobilation bezeichnet. Ein Scyphiſtoma-Polyp in derartig wiederholter Teilung heißt Biologiſche Bedeutung der Teilung. 517 eine vielſcheibige oder polydiske Strobila (Abb. 326); wenn er nur eine einzige Qualle auf einmal abſchnürt, ſo ſtellt er eine einſcheibige, monodiske Strobila dar. Gerade bei den Seyphozoen, wo Längs- und Querteilung nebeneinander bei ver— wandten Formen vorkommen — z. B. Durchſchnürung parallel der Symmetrieachſe bei Gastroblasta und den Korallen, ſenkrecht zu ihr bei den Aktinien — leuchtet es ein, daß durch die Richtung der Teilung kein grundſätzlicher Unterſchied bedingt wird. Dieſe hängt nicht von der ſyſtematiſchen Zugehörigkeit ab, ſondern iſt durch die Körperform gegeben: die Teilung geſchieht meiſt in der Ebene der kürzeſten Achſen. Wieweit etwa der An— ordnung der Muskeln dabei eine Rolle zukommt, wäre noch zu ermitteln. Die biologiſche Bedeutung der Teilung läßt ſich am deutlichſten an der Reihe der Borſtenwürmer erkennen: überall, wo freibewegliche Teilſtücke entſtehen — und das iſt BR == 17 000 = I) 8 / === Abb. 326. Entwicklung einer Scheibenqualle (Aurelia). Die bewimperte Larve (3) ſetzt ſich feſt (2) und wird unter Ausbildung von Tentakeln (3, 4, 5) zum Scyphiſtoma-Polypen (6). Durch wiederholte Einſchnürungen bildet ſich dieſer zur Strobila um (7), von der ſich dann die jungen Scheibenquallen ab— trennen (8), um als ſog. Ephyren (9) frei herumzuſchwimmen. Dieſe wachſen ſich zur fertigen Qualle aus. Alles vergrößert. in den allermeiſten Fällen ſo — unterſtützt die Teilung die geſchlechtliche Fortpflanzung: es werden die Geſchlechtsprodukte, die von einem befruchteten Ei herſtammen und in dem aus ihm entwickelten Individuum geborgen ſind, auf zahlreichere Individuen verteilt; damit ſteigert ſich die Ausſicht, daß die jungen, aus dieſen Geſchlechtsprodukten ſich entwickeln— den Tiere an Stellen günſtiger Exiſtenz gelangen, ebenſo wie die Ausſicht, daß von den Teilſtücken, den Trägern der Geſchlechtsprodukte, möglichſt viele den Nachſtellungen ihrer Feinde entgehen. So tft es auch bei den Scyphomeduſen; jo beſonders bei den Band— würmern, wo die Teilung zur Abſchnürung der geſchlechtsreifen Proglottiden führt: hier, wo es von ſo vielen Zufälligkeiten abhängt, ob die befruchteten Eier bzw. die Larven aus ihnen wieder in den paſſenden Wirt gelangen, iſt gerade die Verteilung der Eier auf mög— lichſt viele Individuen der Weg, auf dem der Fortbeſtand der Art geſichert werden kann. 518 Knoſpung und feſtſitzende Lebensweiſe. c) Knofpung. Die Knoſpung iſt eine viel häufigere Erſcheinung als die Teilung, wenn auch das Gebiet, über das ſie verbreitet iſt, nicht größer iſt als bei jener; es gibt Tiergruppen, wo die Vermehrung durch Knoſpung beinahe die Regel iſt und Fehlen derſelben Aus— nahme iſt, ſo die Hydroidpolypen, die Moostierchen und die Salpen. Sicher iſt es nicht zufällig, daß Knoſpung meiſt bei feſtſitzenden Tieren vorkommt, bei den Schwämmen, den Polypen, den Moostieren und den Aſcidien. Wir kennen allerdings auch frei— ſchwimmende Formen, bei denen die Knoſpung eine große Rolle ſpielt: unter den Coel— enteraten vermehren ſich manche Hydromeduſen durch Knoſpung, und die Siphonophoren ſind Tierſtöcke, die ſich aus Einzelindividuen durch Knoſpung entwickeln; unter den Manteltieren findet ſich bei den Salpen die Knoſpung allgemein verbreitet, und die Feuerwalzen (Pyroſomen) ſind ebenfalls durch Knoſpung entſtandene Tierſtöcke. Aber dieſe Ausnahmen beſtätigen geradezu die Regel; denn Siphonophoren find ſtammes- geſchichtlich von feſtſitzenden polypenartigen Vorfahren abzuleiten und haben wahrſchein— lich dieſe Vermehrungsweiſe als Erbſtück von den Vorfahren übernommen; das gleiche gilt nach allgemeiner Anſicht für die freiſchwimmenden Manteltiere (S. 106), deren Entwicklungsgeſchichte gegenüber der ihrer Verwandten, der feſtſitzenden Aſcidien, ſo ab— geleitete Verhältniſſe zeigt, daß wir dieſe für die urſprünglicheren anſehen müſſen. So liegt der Gedanke nahe, daß die Fortpflanzung durch Knoſpung mit der feſt— ſitzenden Lebensweiſe in nahem Zuſammenhange ſteht. Die feſtſitzenden Tiere haben keine Ausgaben für die Fortbewegung; ihr Muskelapparat braucht daher von vornherein nicht in der Ausdehnung angelegt zu werden wie bei den freibeweglichen — ſo haben z. B. die Moostierchen keinen Hautmuskelſchlauch — und auch die Stoffe, die bei frei— beweglichen Tieren zur Ernährung und Erneuerung der Muskulatur zur Verwendung kommen, können erübrigt werden. So iſt Material zu einem „Wachstum über das indi— viduelle Maß hinaus“ vorhanden. Freilich könnte dies Material auch zur Vergrößerung des Individuums oder für die vermehrte Bildung von Geſchlechtsprodukten verwendet werden, und es wird auch von manchen Tieren der angeführten Gruppen ſo verwendet: die großen Glasſchwämme (Euplectella u. a.), große Hydroidpolypen (Monocaulus), große Aktinien und Ajeidien knoſpen nicht; es ſind nur kleine Arten, die dieſen Weg der Fortpflanzung einſchlagen. Dazu kommt noch: Die durch Knoſpung hervorgebrachten Individuen bleiben meiſt in unmittelbarer Nähe ihres Muttertieres; denn ſie bleiben entweder ſtändig mit ihm verbunden oder ſind doch, wenn ſie frei werden, meiſt nicht ſehr bewegungsfähig. Daher kommt Knoſpung in der Hauptſache bei ſolchen Formen vor, bei denen eine Konkurrenz um die Nahrung nicht ſtattfindet: die allermeiſten knoſpenden Tiere ſind Strudler; fie ernähren ſich beſonders von Detritus, von Zerfall— produkten organiſcher Weſen und ſind geradezu auf das angewieſen, was ihnen in den Mund fällt; der Flimmerſtrom, den ſie erzeugen können, vermag ihre Nahrung nur aus kleinem Umkreiſe heranzuſtrudeln. So führt die Knoſpung hier gerade zur angemeſſenen Ausnutzung günſtiger Exiſtenzbedingungen: je beſſer die Nahrungsbedingungen, um ſo lebhafter die Knoſpung, und wo die Individuen den Rand des günſtigen Gebietes er— reichen und auf knappere Nahrung kommen, wird damit auch lebhaftere Knoſpung ver— hindert; die Beſiedelung zuſammenhängender Gebiete wird damit ſicherer gewährleiſtet als durch freiſchwimmende Larven. Ein knoſpendes Tier aber, das wie Hydra frei— ſchwimmende Beute zu faſſen vermag, iſt nicht durchaus an die Stelle gebannt und Stockbildung. Knoſpung an Stolonen. 519 bleibt auch mit ſeinen Knoſpen nicht in Zuſammenhang; vielmehr trennen ſich dieſe los und entfernen ſich vom Muttertier. Da, wo knoſpende Tiere freiſchwimmend ſind, wie die Salpen, ändern ſich die biologiſchen Bedingungen und ähneln mehr denen, die für die Teilung maßgebend ſind. Die Knoſpung bildet bei den feſtſitzenden Formen eine Ergänzung zur cytogenen Fortpflanzung: aus den befruchteten Eiern entſtehen meiſt freiſchwimmende Larven, die extenſiv für die Verbreitung der Art auf große Strecken ſorgen; die Knoſpung dagegen bewirkt die intenſive Beſiedelung der einmal beſetzten Punkte. Für die geſchlechtliche Fortpflanzung bietet das wiederum den Vorteil, daß zahlreiche Männchen und Weibchen an einem Orte vorhanden ſind. Zwar iſt bei den feſtſitzenden Tieren ja häufig durch hermaphroditiſche Vereinigung beider Geſchlechter auf ein Individuum die Befruchtung der Eier geſichert; aber Fremdbefruchtung iſt, wie wir ſehen werden, erfahrungsgemäß von Vorteil, und dieſer Vorteil wird bei feſt— ſitzenden Tieren am eheſten durch Zuſammen— wohnen in großer Zahl erreicht. Die durch Knoſpung entſtehenden neuen Tiere können ſich von den Muttertieren lostrennen, wie wir das von Hydra geſchildert haben, oder ſie bleiben mit ihnen in dauerndem Zuſammen— hang. Indem dann die alten Individuen ſich mit zahlreichen Knoſpen umgeben, die ihrerſeits wieder Knoſpen treiben, kommt es zur Bildung zuſammenhängender Gemeinſchaften, der Tier— ſtöcke. Die Bildung von Stöcken iſt ſehr häufig bei Schwämmen: ein aus dem befruchteten Ei entwickeltes Schwammindividuum beſitzt zahl— 3 f 5 N 5 8 Abb. 327. Kolonie von zuſammengeſetzten Asci⸗ reiche Zufuhröffnungen (Poren), aber nur eine dienſtöcken Polxexelus cyaneusDrasche) auf große Ausfuhröffnung (Oskulum); durch Wachs⸗ einem Stein. Vergrößert. Nach v. Draſche. tum dehnt ſich ſein Binnenraum aus, und durch Knoſpung kommt es dann zur Bildung neuer Individuen mit neuen Oskula, deren Zahl uns die Zahl der Indi— viduen anzeigt, die den Stock zuſammenſetzen. Durch Knoſpung entſtehen ſo die Ko— rallenſtöcke, zu deren Bildung auch Teilung beitragen kann, ferner die Stöcke der Moostierchen (Taf. 11), die Stöcke der zuſammengeſetzten Aſcidien (Abb. 327) und die Feuerwalzen. Im einzelnen iſt die Bildung der Knoſpen ungemein verſchieden. Häufig geht die Knoſpung des neuen Tieres nicht unmittelbar vom Körper des Muttertiers aus, ſondern von Ausläufern oder Stolonen, die von der Fußſcheibe aus auf der Unterlage entlang wachſen und von Stelle zu Stelle neue Individuen entſtehen laſſen. Stolonenbildung iſt ſehr verbreitet bei den Hydroidpolypen (Abb. 328), hier und da kommt ſie bei Ajcivien (Clavellina) vor. Bei den Salpen entſtehen freie, von dem Muttertier ſich abtrennende Knoſpen in eigenartiger Weiſe, die mit der Entwicklung von Aſcidienknoſpen an Ausläufern vergleichbar iſt und ſich wohl auch aus ähnlichen Ver— hältniſſen feſtſitzender Vorfahren herausgebildet hat. Auch hier iſt ein Ausläufer vor— handen, aber man kann ihn einen inneren nennen; er liegt ventral am Hinterende der Salpe, als Gewebsſtrang, der ſich aus den drei Keimblättern zuſammenſetzt und mit dieſen dauernd in Verbindung bleibt. Dieſer Keimſtrang, der Stolo prolifer, zerfällt von ſeinem freien Ende aus in Abſchnitte, deren jeder ſich in eine junge Salpe um— 520 Polymorphe Tierſtöcke. wandelt; die jo entitandenen neuen Tiere bleiben noch längere Zeit als Kette (Abb. 331 aneinander haften und trennen ſich erſt ſpäter voneinander, um dann Eier und Samen hervorzubringen und ſich „geſchlechtlich“ fortzupflanzen. Durch Knoſpung entſtehen nicht immer, wie bei Hydra, Tiere, die dem Muttertier ähnlich ſind; bei vielen Hydroidpolypen entſtehen am Köpfchen glockenartige Individuen, die ſich als freiſchwimmende Quallen loslöſen (Abb. 22 und 328). In ähnlicher Weiſe können Tierſtöcke, die durch Knoſpung entſtanden ſind, dadurch beſonders bemerkenswert ſein, daß die von dem Muttertiere ausgehenden Einzelindividuen des Stockes nicht untereinander gleich ſind, ſondern verſchiedene Geſtalt und verſchiedene Funktion an- nehmen. Zwiſchen den Individuen iſt eine Arbeitsteilung eingetreten, und ſie verhalten I 9 W 1 2 eo Abb. 328. Hydroidpolypenſtock, Podocoryne carnea Sars. 1 Wurzelausläufer (Stolonen), 2 Freßpolypen, 2“ mit Nahrung im Darm, 5 Geſchlechtspolyven mit Meduſenknoſpen, die ſich ſpäter loslöſen, 2 Skelettpolypen mit Kutikularſkelett, 5 Spiralpolypen mit Neſſelkapſelbatterien am Ende. Vergrößert. Nach Grobben. ſich phyſiologiſch zueinander faſt wie die Organe eines Einzeltieres; da ſie alle unter— einander zuſammenhängen, ſo genügt es, wenn die Nahrungsaufnahme auf einzelne be— ſchränkt bleibt und nur dieſe bekommen eine Mundöffnung; andere bilden die Geſchlechts— organe aus, noch andere übernehmen den Schutz des Stockes durch Ausbildung von Waffen. Der Siphonophorenſtöcke mit ihrer Arbeitsteilung wurde ſchon früher gedacht (S. 35 u. Abb. 14); hier ſei nur noch auf ähnliche Bildungen bei den Hydroidpolypen hingewieſen (Abb. 328). Die Knoſpung mit nachfolgender Abtrennung der Knoſpe, wie wir fie von Hydra ſchilderten, iſt nicht ſo häufig wie die Stockbildung. Die Ausbildung quallenartiger Knoſpen an Hydroidpolypen, die ſich abtrennen, wurde ſchon erwähnt; fie find Geſchlechts— tiere, in denen Eier und Samenfäden reifen. Auch an manchen Schwämmen treten frei— Innere Knoſpung. 921 werdende Knoſpen auf: fie entjtehen als papillenartige Hervorragungen der Oberfläche und enthalten eine Geißelkammer; nach der Lostrennung ſetzt ſich die Knoſpe feſt und wird zu einem jungen Schwamm. Eine ganz eigenartige Knoſpenbildung, eine innere Knoſpung, begegnet uns bei zwei verſchiedenen Tiergruppen, bei den Schwämmen und den Moostierchen. Die Süßwaſſer— ſchwämme ſind Tierſtöcke, deren Leben manchen Fährlichkeiten ausgeſetzt iſt; in den nörd— lichen Ländern ſterben ſie meiſt zu Beginn der kalten Jahreszeit ab, in den Tropen wird ihnen die Trockenheit verderblich. Vorher entſtehen in ihnen Bildungen, die äußer— lich faſt ausſehen wie Dauereier: runde, mit harter Chitinſchale umgebene Körper, die noch durch Kieſelgebilde von verſchiedener Geſtalt, Nadeln oder ſogenannte Amphidisken, geſchützt ſind. Aber die Schale birgt nicht eine, ſondern eine ganze Anzahl Zellen (Abb. 329): es ſind Wanderzellen, mit Vorratsſtoffen beladen, die ſich zur Bildung der Gemmula an einer Stelle verſammelt haben und dort durch die Tätigkeit anderer Zellen des Schwammkörpers mit der Hülle um— geben worden ſind. Von einem Embryo Be a, 2 unterſcheidet ein ſolcher Keim ſich dadurch, 6 EN daß ſeine Zellen nicht das Teilungs— produkt einer einzigen Zelle, des befruch— teten Eies, ſind, ſondern weniger eng zuſammengehören. Die Gemmulae über— dauern, gegen Witterungseinflüſſe un— empfindlich, die ungünſtige Jahreszeit; treten wieder günſtige Bedingungen ein, ſo wandern die Zellen durch eine vorge— bildete Offnung (4) aus der Hülle aus und bilden ſich zu einem kleinen Schwamm um, der dann wächſt und weiter knoſpt. Ahnliche Gemmulae finden wir auch bei einigen meerbewohnenden Schwämmen. F ö f f Abb. 329. Gemmula eines Süßwaſſerſ 3 (Ephy- — Die Dauerkeime der Moostierchen des e eee ſüßen Waſſers, Statoblaſten genannt, Keimzellen, 2 Chitinhülle, “ Schale mit doppelquirlförmigen Kieſel⸗ 2 £ 8 5 5 2 körperchen (Amphidisken), 2 Porus. Stark vergrößert. zeigen in ihrer Entſtehung inſofern noch größere Ahnlichkeit mit anderen Knoſpungserſcheinungen, als die in ſie eingehenden Zellen aus mehreren Keimblättern ſtammen, alſo ſchon eine gewiſſe Differenzierung beſitzen. Sie entwickeln ſich am ſogenannten Funikulus, einem Gewebsſtrang mit ektodermaler Achſe und meſodermaler Hülle, unter Zellwucherung und umgeben ſich mit einer chitinigen Hülle; ſie gelangen paſſiv aus der Elternkolonie heraus, können Hitze, Kälte und Trocken— heit überdauern und entwickeln ſich ſchließlich, wenn die Bedingungen wieder günſtig ſind, zu neuen Kolonien. Wir ſahen, daß bei Hydra ſich beide Keimblätter an der Bildung der Knoſpe be— teiligen: das Ektoderm des alten Tieres liefert das Ektoderm der Knoſpe, und ebenſo ſteht es mit dem Entoderm. Das gleiche finden wir in den meiſten Fällen, wo Knoſpung ſtattfindet. Aber wie bei der Regeneration, ſo zeigt ſich auch hier, daß die Beſtimmt— heit der Keimblätter keine abſolute iſt, daß vielmehr zuweilen ein ſtellvertretendes Ein— treten der Keimblätter für einander möglich iſt: Chun hat nachgewieſen, daß ſich an ge— wiſſen Hydromeduſen, den Margeliden, die Knoſpen nur aus ektodermalem Material aufbauen. 522 Vegetative Fortpflanzung nur bei kleinen Tieren. Die vegetative Fortpflanzung findet ſich im allgemeinen nur bei kleinen Formen. So pflanzen ſich unter den Schwämmen die großen Hexaktinelliden, unter den Hydroid— polypen die wenigen großen Formen wie Monocaulus u. a., unter den Strudelwürmern die größeren Trikladen und die Polykladen nicht vegetativ fort; unter den Hydromeduſen ſind es durchweg kleine Formen, welche Knoſpung zeigen, ebenſo wie die ſich durch Tei— lung vermehrenden Aktinien klein ſind; die Moostierchen ſind durchweg von geringer Größe und bei den Borſtenwürmern zeigen gerade die kleinſten Formen die häufigſte Teilung. Das hängt aufs engſte damit zuſammen, daß die vegetative Fortpflanzung nicht die einzige Art der Vermehrung bei dieſen Tieren iſt; zwiſchen vegetativ entſtan— dene Generationen ſchalten ſich gamogenetiſch entſtandene ein. Wenn nun die geringe Körpergröße, die in der Organiſation begründet iſt, gar manche Vorteile bringt, z. B. für die Bewegung oder Atmung, ſo hat ſie unter anderem den Nachteil, daß die Menge der Eier und des Samens, die in einem ſo kleinen Körper zur Entwicklung kommen kann, nur verhältnismäßig gering iſt. Wir werden nun noch ſehen, daß Eier und Spermatozoen von dem befruchteten Ei, aus dem ſich das Tier entwickelte, in direkter Linie abſtammen, ohne Einſchaltung von Körperzellen. Größere Tierarten bekommen im allgemeinen vom Muttertier im befruchteten Ei eben nicht mehr Keimſubſtanz auf den Weg als kleinere, und doch iſt die Menge der dorther ſtammenden Geſchlechtsprodukte eine weit bedeutendere. Wenn daher bei kleinen Tierarten die Produktion der Ge— ſchlechtsprodukte durch vorhergehende vegetative Vermehrung des vom Ei abſtammenden Tieres auf zahlreichere Individuen verteilt wird, ſo kann die vom befruchteten Ei her— kommende Keimſubſtanz beſſer ausgenutzt, jo können mehr Eier und Spermatozoen pro— duziert werden, als wenn jenes ſich gleich wieder geſchlechtlich fortpflanzte. Der alte Superintendent J. C. Schäffer berechnet, daß aus einer Hydra während einer fünf— monatlichen Vegetationsperiode durch Knoſpung etwa 25000 Individuen geworden ſind; ſie mögen die gleiche Maſſe vorſtellen wie eine große Aktinie und zuſammen etwa ebenſo viel Geſchlechtsprodukte wie eine ſolche produzieren. Der ausgeſprochenen Anſicht, daß nur kleine Tiere ſich vegetativ fortpflanzen, ſcheinen die Salpen zu widerſprechen; für ſie kann auch die eben dargelegte Überlegung nicht gelten. Bei ihnen ſcheint der Vorteil, den die vegetative Fortpflanzung gewährt, ſich darauf zu beſchränken, daß die Geſchlechtsprodukte auf möglichſt viele Individuen verteilt werden und dadurch für ihr Fortkommen beſſere Ausſichten erhalten. Das geht hier ſo weit, daß jedes der geknoſpten Individuen nur ein Ei enthält oder, um es anders auszudrücken, daß für jedes Ei ein beſonderes Individuum als Träger entſteht. 3. Abwechſelndes Auftreten verſchiedener fortpflanzungsarten. Wir kennen viele Fälle, wo im Laufe der Vermehrung bei einer Tierart mehrere Fortpflanzungsweiſen nacheinander auftreten: ein aus einem befruchteten Ei, alſo gamo— genetiſch entſtandenes Individuum z. B. pflanzt ſich, ohne Geſchlechtsprodukte zu erzeugen, nur auf vegetativem Wege fort, ſeine Nachkommen vielleicht ebenſo, bis dann wieder Eier und Samenfäden gebildet werden und aufs neue eine gamogenetiſche Generation auftritt. Wenn die vier Fortpflanzungsweiſen beliebig zu zweien kombiniert werden könnten, müßten ſechſerlei verſchiedene Verknüpfungen auftreten: Gamogonie mit Agamo— gonie, mit vegetativer Fortpflanzung, mit Parthenogeneſe; Agamogonie mit vegetativer Fortpflanzung oder mit Pathenogeneſe; vegetative Fortpflanzung mit Parthenogeneſe. Generationswechſel. 523 In der Natur kommen nur die drei erſten Zuſammenſtellungen vor: alſo ſtets Gamo— gonie mit einer der anderen Weiſen gepaart. Nur dadurch, daß noch eine dritte Weiſe zu einem ſolchen Zyklus hinzukommt, wird die Zuſammenſtellung noch verwickelter. So treffen wir in der Entwicklung von Trichosphaerium (ſ. unten) Gamogonie, vegetative Fortpflanzung und Agamogonie vereinigt, bei dem Malariaparaſiten die beiden erſteren in gelegentlicher Verbindung mit Parthenogeneſe. Doch das ſind Ausnahmefälle. Dieſe Aufeinanderfolge verſchiedener Fortpflanzungsarten bei verſchiedenen Gliedern derſelben Generationsreihe gewinnt meiſt noch dadurch an Interreſſe, daß die beiderlei auf verſchiedene Weiſe erzeugten Individuen verſchieden geſtaltet ſind. Vielfach hatte man die ſo zuſammengehörigen Tierformen zu verſchiedenen Arten, ja nicht ſelten zu ver— ſchiedenen Gattungen geſtellt und mußte dann erkennen, daß ſie in den gleichen Zeugungs— kreis hineingehören, daß es nur ein Wechſel verſchieden ausſehender Generationen derſelben Tierart ſei, was man vor ſich hatte. Generationswechſel hat man dieſe Er— ſcheinung genannt. Wenn nebeneinander bei der gleichen Tierart zwei verſchiedene Fort— pflanzungsweiſen vorkommen, ohne auf verſchiedene Generationen verteilt zu ſein, wie Gamo— gonie und vegetative Fortpflanzung bei Stylaria oder Hydra, ſo iſt das kein Generations— wechſel. Die urſprünglichſte Art des Generationswechſels iſt die Verknüpfung von Gamo— gonie und Agamogonie, die bei den einzelligen Weſen eine ungemeine Verbreitung hat. Sie kommt aber auch nur dort vor; denn die Agamogonie iſt auf die Einzelligen be— ſchränkt. Wenn wir hierbei von primitivem Generationswechſel ſprechen, ſo findet das ſchon ſeine Stütze in dem ausſchließlichen Vorkommen bei den niederſten Lebeweſen; die innere Begründung dafür können wir erſt im Laufe der weiteren Ausführungen geben. Als Beiſpiel für den primitiven Generationswechſel wählen wir den Fortpflanzungs— kreis eines im Meere lebenden Wurzelfüßers, Trichosphaerium sieboldii Schn. (Abb. 330). Das erwachſene Individuum (J) iſt ein zwiſchen Schlamm und Algen lebendes Weſen von kugelförmiger Geſtalt, das von einer gallertartigen Hülle umgeben iſt, durch die eine Anzahl fadenförmiger Protoplasmafortſätze, Pſeudopodien, hervorragen; der Plasma— körper enthält zahlreiche Kerne. Die Art tritt in zwei Formen auf, die ſich haupt— ſächlich durch die Hüllbildungen unterſcheiden: bei der einen (J) iſt die Hülle mit dicht— ſtehenden, radiär gerichteten Stäbchen von kohlenſaurem Magneſium beſetzt, bei der an— deren (VI) iſt ſie nackt. Dieſe beiden Formen verdanken verſchiedenen Fortpflanzungs— arten ihren Urſprung. Die Form mit ſtacheliger Hülle pflanzt ſich agametiſch fort: um jeden der zahlreichen Kerne grenzt ſich eine gewiſſe Maſſe des Protoplasmas ab (II), die ſo entſtandenen Teilſtücke gelangen durch Platzen der Hülle ins Freie (III), umgeben ſich jedes mit einer neuen Hülle und ſenden fadenförmige Pſeudopodien aus (IV): fie bilden junge Trichoſphärien ohne Stachelhülle und werden, unter Vermehrung der Kerne durch Zweiteilung und Zunahme des Protoplasmas (V), zum ausgewachſenen Individuum der zweiten Form (VI). Dieſe ſtachelloſe Form pflanzt ſich gamogenetiſch fort: die Pſeudopodien werden eingezogen, die Kerne teilen ſich zu wiederholten Malen und die Protoplasmamaſſe zerfällt in ſo viele Portionen als Kerne vorhanden ſind (VII). So entſtehen kleine Teilſtücke, deren jedes ein Paar Geißeln bildet und nach Sprengung der Hülle ausſchwärmt (VIII): es find die Gameten; bei Trichosphaerium bilden alle Indi— viduen gleichgroße Gameten. Zwei ſolche Iſogameten, die von verſchiedenen Individuen ſtammen, verſchmelzen miteinander, ihre Kerne vereinigen ſich und das Produkt der Ko— pulation (XI) wächſt wieder unter Bildung einer Hülle, Kernvermehrung und Aus— 524 Zeugungskreis von Trichosphaerium. ſendung von Pſeudopodien (XII ff) zu einem jtacheligen |Trichosphaerium (J) aus. Damit iſt der Zeugungskreis geſchloſſen. Er kompliziert ſich noch dadurch, daß ſowohl Abb. 330. Generationswechſel von Trichosphaerium sieboldii Sehn. Erklärung im Text. Nach Schaudinn. die ſtachelige als die ſtachelloſe Form, die ja vielkernig ſind, ſich durch Zerſchnürung in zwei oder mehrere Teile vegetativ vermehren können. (I A u. B, VI A u. B). Eine Erklärung für den Dimorphismus der beiden Generationen fehlt bei Trichosphaerium. Generationswechſel von Polypen und Meduſen. 525 Ein Generationswechſel ähnlicher Art findet ſich bei den Protozoen faſt allgemein verbreitet; er wird dort beſonders deutlich, wo die Formen mit verſchiedener Fort— pflanzung auch ein verſchiedenes Ausſehen haben, wie bei vielen ſchalentragenden Fora— miniferen und vor allem häufig bei den ſchmarotzenden Sporozoen, wie dem Malaria— paraſiten, den Coccidien u. a. Den Wechſel zwiſchen Gamogonie und vegetativer Fortpflanzung hat man durch den Namen Metageneſe von den anderen Arten des Generationswechſels unterſchieden. Hier produzieren ſtets ungeſchlechtlich bleibende Individuen auf vegetativem Wege die Ge— ſchlechtstiere. Die Metageneſe kann ſich natürlich nur bei jenen Abteilungen der Meta— zoen finden, wo jene Fortpflanzungsweiſe vorkommt. Am auffallendſten wird ſie durch die Verſchiedenheit der beiden Generationen dort, wo die eine derſelben feſtſitzend, die andre frei beweglich iſt. Dies Verhalten iſt unter den Neſſeltieren weit verbreitet. Wir betrachten es zunächſt bei den Schirmquallen, den Seyphomeduſen (Abb. 326). Aus dem Ei einer Meduſe, z. B. einer Ohrenqualle (Aurelia aurita Lam.), geht eine frei— ſchwimmende bewimperte Larve hervor, die ſich nach kurzem Herumſchwärmen feſtſetzt und zu einem Polypen mit Schlundrohr und Magenſepten nach Art der Scyphopolypen wird. Dieſer wächſt zunächſt, bleibt aber im Vergleich zu der Meduſe ſehr klein; man hielt ihn früher für eine beſondere Polypengattung und gab ihm den Namen Scyphistoma. Wie ſchon oben (S. 516) geſchildert, trennt ſich dann die Mundſcheibe des Polypen durch eine Ringfurche ab; der erſten Furche folgt eine zweite, dieſer eine dritte uff, jo daß zahl— reiche Scheiben aufeinander liegen: es entſteht eine ſogenannte Strobila. Die oberſte der Scheiben beginnt zunächſt ſich umzubilden, indem ihr Rand ſich in acht Doppellappen auszieht; zwiſchen dieſen entſtehen Tentakeln und Sinneskolben, und ſchließlich trennt ſich die Scheibe als freiſchwimmende junge Qualle, ſogenannte Ephyra, von der Strobila los. Das Hauptwachstum der Ephyra geſchieht erſt nach dem Freiwerden, und die fer— tige Qualle hat oft einen Durchmeſſer, der den der eben losgelöſten Ephyra um mehr als das Hundertfache übertrifft. Die Qualle wird geſchlechtsreif, und aus den befruch— teten Eiern ſolcher Quallen entſtehen dann wieder Scyphiſtoma-Polypen. Der Vorgang kann ſich noch dadurch verwickelter geſtalten, daß an dem Scyphiſtoma eine Knoſpe ent— ſteht, die ſich loslöſt und wieder zu einem Scyphiſtoma wird, an dem dann ebenfalls Strobilation erfolgt. Den Schlüſſel für die Entſtehung des Generationswechſels der Seyphomeduſen bieten uns analoge Verhältniſſe, die wir bei Hydroiden kennen. An den Hydroidpolypen ent— ſtehen glockenartige Knoſpen als Träger der Geſchlechtsprodukte; dieſe bleiben bei manchen Formen an ihrem Entſtehungsort und werden dort geſchlechtsreif, z. B. bei den Plumu— larien; bei anderen löſen ſie ſich als freiſchwimmende Randquallen (Hydromeduſen) los (Abb. 22 und 328) und kommen erſt dann zur Reife. Im erſten Falle alſo bilden ſie mit dem Mutterpolypen einen Tierſtock mit verſchieden geſtalteten Perſonen, und die freiſchwimmenden Randquallen find freigewordene Perſonen eines ſolchen Tierſtocks, denen die Verbreitung der Geſchlechtsprodukte obliegt. Aus ihren Eiern entwickeln ſich wieder Hydropolypen, und ſo geht der Wechſel zwiſchen gamogenetiſch entſtandenen Polypen und vegetativ entwickelten Meduſen ſtändig weiter. So ſind wahrſcheinlich auch die Seypho— meduſen ſtammesgeſchichtlich von dauernd feſtſitzenden Polypen abzuleiten, und ihr Gene— rationswechſel bietet eine „kurze Rekapitulation“ ihrer Stammesgeſchichte. Die Polypen— form aber iſt hier außerordentlich zurückgetreten gegenüber der Quallenform; ſie bleibt klein und unſcheinbar und iſt gleichſam zum vorübergehenden Entwicklungsſtadium der 526 Generationswechſel bei Autolytus und bei den Salpen. Qualle herabgedrückt. Ja, es gibt Quallen, bei denen ſie ganz unterdrückt iſt, wo ſich alſo aus dem Ei wieder eine freiſchwimmende junge Qualle entwickelt, z. B. Pelagia noctiluca Per. Lsr., die Leuchtqualle der Nordſee. Ahnliches kann auch bei manchen Hydromeduſen eintreten. ’ Deutlicher noch iſt die Entſtehung jenes Generationswechſels, der durch die Teilungs— erſcheinungen bei der Gattung Autolytus zuſtande kommt. Es wurde ſchon geſchildert, daß hier durch Teilung von meiſt geſchlechtlos bleibenden Individuen männliche und weibliche Tiere von anderem Ausſehen entſtehen, aus deren befruchteten Eiern ſich wieder die geſchlechtsloſe Ammengeneration entwickelt. Der Vergleich der oben aufgeführten ver— ſchiedenartigen Teilungsvorgänge bei den Syllideen zeigt, wie hier die Verteilung der JJ ĩͤ v er Abb. 331. Eine ſolitäre Salpe (Salpa africana Forsk.) und ein Stück einer zugehörigen Salpenkette (S. maxima Fors k.). Auf ½ verkleinert. Geſchlechtsreifung auf eine zweite Individuenreihe allmählich erworben iſt: bei vielen Syllideen iſt es einfach der hintere Abſchnitt des Körpers, in dem die Geſchlechtsprodukte reifen und Rudergliedmaßen entſtehen; bei Haplosyllis wird dieſer Teil vom Reſt ab— getrennt wie ein Körperglied; bei Syllis hyalina Gr. wird er zum ſelbſtändigen Tier durch Regeneration ſeines Vorderendes, und bei vielen Autolytus-Arten entſtehen ganze Ketten ſolcher Sproſſen, die ſchon am Muttertier ſich völlig ergänzen. So hat ſich durch allmähliche Übergänge in den beiden letzten Fällen eine echte Metageneſe herausgebildet. Der Ver— gleich der Abſchnürung der Bandwurmglieder mit den Teilungsvorgängen bei dieſen Ringelwürmern (S. 515) läßt auch die Fortpflanzung des Bandwurms als Generations— wechſel erſcheinen. Für die Geſchichte des Generationswechſels iſt beſonders der Zeugungskreis der Salpen von hoher Bedeutung geworden, weil es die erſte, mit genügender Sicherheit Heterogonie. 527 erkannte Form dieſer Erſcheinung war. Wir verdanken dieſe Entdeckung dem Dichter Adalbert von Chamiſſo. Auf ſeiner Weltreiſe mit dem ruſſiſchen Schiffe Rurik fand er, daß Salpen von verſchiedenem Ausſehen zu dem gleichen Zeugungskreis gehörten. Die eine, kleinere Form entſteht durch Knoſpung an dem Stolo prolifer der anderen und heißt wegen des kettenartigen Zuſammenhangs mit ihren an gleicher Stelle geknoſpten Geſchwiſtern die Kettenform (Abb. 331 unten). Dieſe iſt hermaphroditiſch und es ent— wickelt ſich in ihrem Ovar meiſt nur ein Ei, das ſeine Entwicklung im Muttertiere durch— macht; aus dem Ei entſteht wieder die Form mit einem Knoſpungsſtolo (Abb. 331 oben); dieſe „Amme“ ſtirbt nach vollendeter Knoſpung ab, ohne Geſchlechtsorgane zu entwickeln. Die beiderlei Individuen haben verſchiedenes Ausſehen. Der Beſitz des Stolo iſt ſchon an ſich bezeichnend für die vegetativ ſich fortpflanzende Form, die „Amme“; da er aber für ſie noch eine beſondere Belaſtung mit ſich bringt, hat er auch ſonſt einen Einfluß auf ihre Geſtaltung: die Amme hat nämlich beſſer entwickelte Muskeln und mehr Muskel— ringe als das Geſchlechtstier: z. B. bei Salpa democratica-mucronata Forsk. ſechs gegen fünf bei der Kettenform, bei Salpa runeinata-fusiformis neun gegen ſieben. So hängt der Dimorphismus der beiden Generationen mit ihrer verſchiedenen Fortpflanzungsart zuſammen. Es bleibt noch die Form des Generationswechſels zu betrachten, die in einer Ab— wechſlung von Gamogonie und Parthenogeneſe beſteht, die ſogenannte Heterogonie. Bei Rädertieren, Daphniden und Blattläuſen folgen ſich eine große Anzahl parthenogenetiſcher Generationen; dann treten, gewöhnlich auf irgend eine äußere Veranlaſſung hin, wie z. B. ſtarke Erwärmung und damit Gefahr des Austrocknens der bewohnten Waſſertümpel bei den beiden erſteren oder Eintreten der kalten Jahreszeit bei den letzteren, in einer Generation auch Männchen neben den Weibchen auf; dieſe Weibchen unterſcheiden ſich bei den Blattläuſen von den Jungfernweibchen durch den Beſitz einer Samentaſche (Recep- taculum seminis), die für jene ja überflüſſig wäre. Nach Begattung legen die Weibchen befruchtete Eier ab, die häufig vor den unbefruchtet bleibenden durch dickere widerſtands— fähigere Hüllen und reichen Dottergehalt ausgezeichnet ſind; aus ihnen kommen dann wieder ausſchließlich Weibchen, die eine neue Reihe parthenogenetiſcher Generationen eröffnen. Etwas anders geſtaltet ſich die Heterogonie z. B. bei den Gallweſpen, wo ſie weit verbreitet iſt. Als beſtimmtes Beiſpiel nehmen wir jene Gallweſpe, von der die großen kartoffelartigen Knoſpengallen an Eichenbüſchen erzeugt werden (Abb. 332). Die Galle entſteht dadurch, daß ein flügelloſes unbefruchtetes Weibchen (Biorhiza aptera Fab.) aus einer Generation, in der es gar keine Männchen gibt, im Winter eine junge Triebknoſpe mit Eiern belegt; aus den Eiern entwickeln ſich geflügelte Männchen und flügelloſe Weibchen (Biorhiza terminalis Fab.), die von den Jungfernweibchen der vorigen Gene— ration durch geringere Größe und andere Merkmale abweichen. Sie ſchlüpfen im Juli aus, und die begatteten Weibchen bringen ihre Eier in der Rinde von einjährigen Eichen— wurzeln unter. Dadurch entſtehen hier kirſchengroße rötliche Wurzelgallen; in ihnen entwickeln ſich im Laufe des nächſten Jahres ausſchließlich weibliche Weſpchen, die im Dezember ausſchlüpfen und durch Ablage ihrer unbefruchteten Eier in Triebknoſpen wieder Kartoffelgallen erzeugen. So wechſeln regelmäßig parthenogenetiſche und gamogenetiſche Generationen ab. Hier ſind die Generationen nicht nur durch ihr äußeres Ausſehen, ſondern auch durch ihre Lebensgewohnheiten und die von ihnen erzeugten Gallen verſchieden. — 528 Wichtigkeit der Gamogonie. Auffällig bei dem Generationswechſel iſt es, daß ſtets eine der beiden in Wechſel tretenden Fortpflanzungsweiſen die Gamogonie iſt, die andere dagegen iſt eine Fort— pflanzungsweiſe, bei der es nicht zu einer Kopulation zweier Zellen kommt, möge ſie nun cytogen oder vegetativ ſein. Ja, wir kennen ſogar nur ganz wenige Fälle, wo eine der Fortpflanzungsweiſen ohne Kopulation ununterbrochen andauert; gewöhnlich tritt in gewiſſen Zwiſchenräumen die Möglichkeit einer Kopulation ein. Fortgeſetzt agamogenetiſche Abb. 332. Heterogonie bei Biorhiza terminalis-aptera Fab. Unten das Jungferweibchen von B. aptera; es erzeugt durch feine Eiablage Knoſpengallen an der Eiche; feine aus dieſen ausſchlüpfenden Nachkommen (B. terminalis) find zweigeſchlechtig und das befruchtete Weibchen erzeugt Wurzelgallen (rechts), aus denen wieder B. aptera auskommt. Fortpflanzung iſt nur bei einigen wenigen einzelligen Algen wahrſcheinlich. Bei den Protozoen nahm man zwar früher an, daß ſie ſich einfach durch fortgeſetzte Zweiteilung vermehren; man lernte erſt nach und nach die Erſcheinungen der Kopulation bei ihnen kennen und iſt noch weit davon entfernt, ſie bei jeder Einzelform nachgewieſen zu haben. Aber es ſind ſchon ſo viele Fälle von Kopulation in den verſchiedenſten Abteilungen beobachtet worden, daß man gegen die Anſicht, die Kopulation ſei bei den Protozoen allgemein verbreitet, kaum irgendwelche ſtichhaltigen Gründe anführen kann. Man hat zwar Infuſorien durch viele Generationen ohne zwiſchentretende Konjugation gezüchtet; Wichtigkeit der Gamogonie. 529 Calkins erzielte binnen 23 Monaten 742 Generationen von Paramaecium; aber die Experimente endigten ſchließlich ſtets mit Degeneration der Individuen. — Vegetative Fortpflanzung durch langdauernde Zeiträume kennt man ebenfalls mit Sicherheit nur bei einzelnen Pflanzen, wie Trauerweide, Pyramidenpappel und Waſſerpeſt (Heloden canadensis Rich. Mich.). Jene beiden Bäume kamen vom Oſten her zu uns und ſind in Europa bisher nur durch Stecklinge, nie durch Samen vermehrt; das gleiche gilt von der Waſſer— peſt, die im Jahre 1836 von Amerika her nach Europa gelangte. Aber die Zahl der Generationen dürfte bei den langlebigen Bäumen immer noch keine große ſein, und ſchon zeigt ſich bei der Pyramidenpappel die Degeneration, und von der Waſſerpeſt iſt bekannt, daß ihre erſchreckende Wucherungsfähigkeit, die anfangs in manchen Gegenden zu ſchweren Übelſtänden, wie Verſtopfung von Schiffahrtskanälen und Vernichtung des Fiſchbeſtandes führte, ſchon ſehr nachgelaſſen hat. Alſo auch hier iſt das letzte Wort noch nicht geſprochen. Von der kleinen Ringelwurmart Chaetogaster find zwar 45 Generationen in ununter— brochener Folge durch Teilung gezüchtet; doch damit iſt nur gezeigt, daß eine ziemlich große Anzahl von Teilungen aufeinander folgen kann, aber nicht, daß überhaupt das Eintreten der Gamogonie unentbehrlich ſei. Tatſächlich beobachtet man im Freien bei den vegetativ ſich fortpflanzenden Tieren das regelmäßige Wiederkehren der geſchlechtlichen Fortpflanzung, meiſt im Zuſammenhang mit beſtimmten Veränderungen der äußeren Bedingungen. Etwas anders iſt es bei der Parthenogeneſe. Wenn es gelungen iſt, von gewöhn— lichen Blattläuſen der Gattung Aphis in Warmhäuſern durch mehrere Jahre hindurch parthenogenetiſche Generationen zu erziehen, während normaler Weiſe jeden Herbſt eine Generation mit Männchen und Weibchen auftritt, ſo iſt damit ja noch nicht bewieſen, daß überhaupt keine Fortpflanzung durch befruchtete Eier einzutreten brauchte, ſondern nur, daß ſie nicht in ſo kurzen Zwiſchenräumen eintreten muß. Wenn aber bei ſo großen auffälligen und verhältnismäßig häufigen Tieren wie dem Krebs Apus und der Stab— heuſchrecke Bacillus rossii Fab. in kultivierten Gegenden es der Tätigkeit ſo vieler auf— merkſamer Sammler, die ihr beſonderes Augenmerk darauf richten, nur in ganz ver— einzelten Fällen gelingt, ein Männchen zu finden, ſo iſt das ein ſchwerwiegender Grund für die Annahme, daß bei ihnen die parthenogenetiſche Fortpflanzung für die Art völlig ausreicht. Aber es ſind das nur ganz vereinzelte Fälle. Wir können es daher als eine ſehr allgemeine, ja faſt ausnahmsloſe Erſcheinung hinſtellen, daß jene Fortpflanzungsweiſen, bei denen keine Kopulation ſtattfindet, alſo die Agamogonie, die vegetative Fortpflanzung und die Parthenogeneſe für ſich allein nicht genügen, das Fortleben einer Tierart ſicher zu ſtellen, ſondern daß zeitweiſe Gamogonie eintreten muß. Die Fortpflanzung mit Kopulation dagegen, die Gamogonie, iſt bei vielen Metazoen die einzige Fortpflanzungsweiſe, ſie bedarf nicht des Dazwiſchentretens einer der anderen. In ganzen Ordnungen, ja ſelbſt Tierkreiſen, kommt nur ſie vor, ſo bei den Rippenquallen, manchen Würmern, den Armfüßlern, den Weichtieren und den Wirbeltieren. Es kann alſo kein Zweifel ſein, daß ihr den übrigen gegenüber eine hervor— ragende Stellung zukommt. Die kopulationsloſen Fortpflanzungsarten ſind aber andrerſeits der Gamogonie in manchen Hinſichten überlegen, die wir im einzelnen oben ſchon genauer feſtgeſtellt haben. Allen gemeinſam iſt, daß ein Individuum für ſich allein zu ihrem Zuſtandekommen genügt; außerdem bewirken Agamogonie und Parthenogeneſe ein ſchnelleres Tempo der Ver— mehrung gegenüber der Gamogonie; die Knoſpung feſtſitzender Individuen führt zur Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 34 530 Bedeutung der Kopulation. gründlichen Ausnutzung günſtiger örtlicher Verhältniſſe; durch die Teilung wird die Gamogonie inſofern unterſtützt, als die Zahl der aus einem Ei hervorgehenden Geſchlechts— individuen dadurch vermehrt wird. So kann, je nach der Lage der Verhältniſſe, eine kopulationsloſe Fortpflanzung für die Art von Vorteil ſein — aber ſie muß zeitweiſe durch die Gamogonie abgelöſt werden. Die Ablöſung geſchieht in der einfachſten Weiſe ſo, daß das gleiche Individuum, das ſich durch irgendeine der kopulationsloſen Fort— pflanzungsweiſen vermehrt hat, ſich dann auch gamogenetiſch fortpflanzt: jo iſt es z. B. bei den Moostierchen oder bei den verſchiedenen Borſtenwürmern des Süßwaſſers (Stylaria, Lumbriculus). Eine beſtimmte Art, dieſe Einſchaltung gamogenetiſcher Fort— pflanzung zu bewerkſtelligen, iſt der Generationswechſel, und zwar iſt hier im allgemeinen eine Arbeitsteilung eingetreten zwiſchen Individuen, die ſich ohne Gamogeneſe und ſolchen, die ſich gamogenetiſch fortpflanzen; wenn eine der Generationen feſtſitzend oder doch weniger beweglich iſt, die andere freibeweglich, ſo iſt es im allgemeinen die letztere, die ſich gamogenetiſch vermehrt: ſo bei den Rand- und Schirmquallen, ſo bei Autolytus, ſo auch in gewiſſem Sinne bei Biorhiza aptera-terminalis Fab., indem hier wenigſtens die Männchen dieſer Generation geflügelt ſind; denn die Gamogeneſe wird befördert durch das Zuſammenkommen der verſchiedenen Geſchlechtsindividuen. — B. Befruchtung und Vererbung. Aus der Sonderſtellung der Gamogeneſe folgt ohne weiteres eine außerordentlich hohe Bedeutung der Kopulation für die Fortpflanzung der Tiere. Die Kopulation beſteht in der Vereinigung zweier Einzelzellen; bei vielzelligen Tieren iſt ſie alſo möglich in Geſtalt der Kopulation der Geſchlechtszellen, alſo nur am Beginn des Lebens eines Individuums. Da das Eintreten von Kopulation zunächſt nur bei den Vielzelligen bekannt war, als Befruchtung der Eier durch Spermatozoen, jo glaubt man, daß ſie überhaupt mit Vermehrung und Entwicklung im engiten urſächlichen Zuſammenhang ſtehe, man ſah die weſentliche Bedeutung der „Befruchtung“ in der Anregung zur Ent— wicklung. Das Bekanntwerden der Parthenogeneſe, wo die Entwicklung ja ohne Ein— treten einer Kopulation ſtattfindet, zeigte zwar, daß die Entwicklung des Eies auch ohne Kopulation vor ſich gehen könne — aber jene Anſchauung war ſo feſtgewurzelt, daß mancher bedeutende Forſcher direkt veranlaßt wurde, ſich dem Vorhandenſein der Partheno— geneſe gegenüber lange Zeit ungläubig zu verhalten, und mit welchem Widerſtreben man ſich der Wucht der dafür beigebrachten Beweiſe beugte, zeigt folgende Auslaſſung des Phyſiologen Rud. Wagner: „durch die Parthenogeneſis iſt leider eine der aller— unbequemſten und der Hoffnung auf ſogenannte allgemeine Geſetze der tieriſchen Lebens— erſcheinungen widerwärtigſten Tatſachen in die Phyſiologie eingeführt worden“ — und... „kann ich mich eigentlich ſo wenig darüber freuen, als es bei einem Phyſiker der Fall ſein würde, wenn plötzlich ein oder mehrere Ausnahmefälle vom Gravitationsgeſetze entdeckt würden“. Inzwiſchen hat die Entdeckung und genaue Verfolgung der Kopulation bei den Ein— zelligen zu der Erkenntnis geführt, daß Kopulation und Fortpflanzung durchaus nicht in notwendigem Zuſammenhange mit einander ſtehen. Es kann keinem Zweifel unter— liegen, daß hier bei manchen Formen durch die Kopulation die Vermehrungsfähigkeit der Individuen unmittelbar geſteigert wird: die im Darm mancher Wirbelloſen ſchmarotzenden Gregarinen zerfallen nach der mit Encyſtierung verbundenen Kopulation in zahlreiche Kopulation und Fortpflanzung hängen nicht notwendig zuſammen. 531 Teilſtücke, deren jedes zu einem neuen Individuum auswächſt. Aber bei vielen anderen iſt gerade das Gegenteil der Fall: bei Volvox führt die Kopulation zur Entſtehung einer ſogenannten Dauerſpore, eines Ruheſtadiums, das erſt nach längerer Zeit neue Kern— teilungen beginnt; bei Actinophrys sol Ehrbg. hat die durch Kopulation entſtandene Cyſte ein ähnliches Schickſal. Bei den Wimperinfuſorien währt es nach der Konjugation erſt längere Zeit, bis es wieder zu Teilungen kommt, und deren Tempo iſt langſamer als vorher. Das Beiſpiel von Trichosphaerium (S. 523 und Abb. 330) zeigt, daß nach den lebhaften Teilungen, die vor der Kopulation eintraten und zur Bildung von Ga— meten führten, nach der Kopulation das neue Individuum, die Zygote, erſt längerer Zeit bedarf, um heranzuwachſen, ehe ſie wieder zur Teilung ſchreiten kann. Wenn aber oben bei der Einteilung der Fortpflanzungsweiſen von einer gamogenetiſchen Fort— pflanzung bei Einzelligen geſprochen wurde, ſo geſchah das der Überſichtlichkeit wegen; ſtreng genommen, paßt das auf viele Fälle nicht; denn Kopulation und Fortpflanzung hängen hier nicht unmittelbar zuſammen. Alles weiſt darauf hin, daß die Kopulation nicht ohne weiteres als Anregung zur Zellteilung aufgefaßt werden darf. So muß alſo die große Bedeutung, die der Kopulation zweifellos zukommt, anderswo geſucht werden. Wir können aber bei unſeren Betrachtungen nur dann zu einem erſprieß— lichen Ergebnis kommen, wenn wir zuvor die Vorgänge bei der Kopulation genau kennen lernen. Dieſe ſetzen andererſeits eine Kenntnis der Erſcheinungen voraus, die ſich bei der indirekten, ſogenannten mitotiſchen Zellteilung (vgl. oben S. 449) abſpielen. So müſſen wir hier etwas weiter ausholen und werden erſt nach mancherlei Umwegen wieder auf die Frage nach der Bedeutung der Kopulation zurückkommen können. 1. Die mitotiſche Tellteilung. Wenn eine Zelle ſich zur mitotiſchen Teilung anſchickt, ſo laſſen ſich die erſten An— zeichen dafür am Kern wahrnehmen. Das ſogenannte Kerngerüſt beſteht aus zweierlei feſteren Subſtanzen, einer, die am toten Kern der Färbung mit gewiſſen Farbſtoffen widerſteht, dem Achromatin, und einer zweiten, die ſich leicht und kräftig färbt, dem Chromatin; die Lücken des Gerüſtes ſind von einer flüſſigeren Maſſe, dem Kernſaft, erfüllt. Das Chromatin iſt im Ruhezuſtand des Kernes gewöhnlich durch den ganzen Kernraum verteilt und ſitzt in Form von Körnchen auf dem achromatiſchen Gerüſtwerk. Dies Bild des ruhenden Kernes ändert ſich bei den Vorbereitungen zur Teilung (Abb. 333). Das Chromatin zieht ſich mehr und mehr zuſammen zu einer beſtimmten Anzahl von Chromatin— portionen oder zu einem zuſammenhängenden Faden, der ſich dann in eine beſtimmte Zahl von Stücken ſpaltet: es entſtehen zunächſt die ſogenannten Knäuel, die anfangs dichter (A), ſpäter bei ſtärkerer Verdickung und Verkürzung der Fäden lockerer (3) er— ſcheinen. Die Chromotinportionen bezeichnet man als Chromoſomen; zuweilen kann man deutlich ihre Zuſammenſetzung aus einzelnen Chromatinkörnchen erkennen. Die Geſtalt der Chromoſomen wechſelt ſehr nach den Tierformen, und bei dem gleichen Tier wiederum nach den Zellarten und nach der Bedeutung der betreffenden Teilung; ſie ſind faden— förmig, ſchlingen- oder ringförmig, kurz und dick, ja ſelbſt würfelig. Für die Kernteilung haben ſie eine hervorragende Wichtigkeit, ja auf ſie laſſen ſich faſt alle einzelnen Vor— gänge beziehen. Die Chromoſomen ordnen ſich nun in eine Ebene, die jogenannte Aquatorialebene, die zur Teilungsachſe der Zelle ſenkrecht ſteht (0), und zeigen jetzt, oder zuweilen auch ſchon vorher, eine Längsſpaltung in zwei Hälften, die durch eine Spaltung 34 532 Mitotiſche Zellteilung. der einzelnen Chromatinkörnchen zuſtande gekommen iſt. Inzwiſchen iſt mehr und mehr die Kernmembran geſchwunden, und jetzt weichen die beiden Spalthälften jeden Chromo— ſomas in entgegengeſetzter Richtung auseinander (Y)). Es entſtehen dadurch in der Zelle zwei Chromoſomenhaufen (2); jeder von ihnen enthält genau jo viel Chromoſomen, als im urſprünglichen Kern bei Beginn der Teilung aufgetreten ſind, und, können wir viel— leicht ſagen, jedes Chromoſoma beſteht aus genau ſo viel Chromatinkörnchen wie das entſprechende Chromoſoma des Mutterkerns, aus dem es hervorgegangen iſt. Jeder Chromoſomenhaufen bildet ſich zu einem Kern um und umgibt ſich mit einer Kern— membran (7), wobei in umgekehrter Reihenfolge die gleichen Erſcheinungen auftreten, wie wir ſie bei der Umbildung des Mutterkerns in einen Chromoſomenhaufen kennen lernten. Schon ehe die Tochterkerne vollſtändig neu gebildet ſind, kommt es auch zu einer Abb. 333. Schema der mitotiſchen Zellteilung. Teilung der Zelle: dieſe wird meiſt im Aquator durch eine Ringfurche eingeſchnürt, die immer tiefer einſchneidet, bis die beiden Zellhälften vollkommen voneinander getrennt ſind. Während ſich dieſe Erſcheinungen am Chromatin abſpielen, treten auch an der achro— matiſchen Subſtanz des Kernes und am Protoplasma des Zellkörpers gewiſſe Verände— rungen auf. Nahe der Kernmembran liegt im Protoplasma ein Körperchen, das gewöhn— lich von einem Hof homogener Subſtanz umgeben iſt, das Zentralkörperchen oder Zentro— ſoma. Dieſes teilt ſich, während die erſten Umordnungen des Chromatins im Kern vor ſich gehen; die beiden Teilhälften weichen auseinander (BD) und bleiben dabei durch ein Bündel feiner Fäden verbunden, das wegen ſeiner ſpäteren Lage Zentralſpindel genannt wird; von jedem der beiden Tochter-Zentralkörperchen ſtrahlen außerdem nach allen Seiten zahlreiche Fäden aus, die ſogenannte Polſtrahlung bildend. Die Zentralkörperchen ent— fernen ſich voneinander, bis ſie an den entgegengeſetzten Seiten des Kernes angekommen ſind (C). Inzwiſchen iſt die Kernmembran geſchwunden, die Zentralſpindel hat ſich genau in die Verbindungslinie der beiden Zentralkörperchen eingeſtellt und ſteht ſenkrecht zur Kernteilungen bei den Einzelligen. 533 Aquatorialebene; von jedem Zentralkörperchen aus heften ſich jetzt Fäden, die Spindel— faſern, an die ihm zugewandte Spalthälfte eines Chromoſomas. Während die Chromo— ſomen nun auseinander weichen, ſieht man auch zwiſchen den zwei zuſammengehörigen Spalthälften Fäden verlaufen (7). Die Geſamtheit dieſer Gebilde: Zentralkörper, Spindel— faſern, Strahlungen, Verbindungsfaſern wird als achromatiſche Figur zuſammengefaßt. Im einzelnen treten eine ungeheuere Menge von Verſchiedenheiten bei der Teilung verſchiedener Arten von Kernen auf. Faſt jede Einzelheit kann variieren: die Geſtalt der Chromoſomen wechſelt, die Teilung des Zentralkörperchens kann früher oder ſpäter erfolgen, die Form der achromatiſchen Figur kann verſchieden ſein. Den größten Ab— weichungen aber begegnen wir bei den Kernteilungen der Einzelligen (Abb. 334). Da gerade dieſe für das Verſtändnis des Vorganges von großem Werte ſind, ſo müſſen wir ihnen einige Aufmerkſamkeit ſchenken. Im einfachſten Falle (4) ſehen wir gar keine Umordnungen der chromatiſchen Sub— ſtanz der Teilung vorausgehen und eine achromatiſche Figur fehlt ganz. Die Kern— membran bleibt während des ganzen Vorganges beſtehen. Der Kern verlängert ſich und ſchnürt ſich in der Mitte biskuitförmig ein, wahrſcheinlich infolge von Vorgängen in ſeiner achromatiſchen Subſtanz, und indem dieſe Einſchnürung ſich mehr und mehr ver— engt und ſchließlich durchreißt, kommt es zur Bildung zweier Teilſtücke, der Tochterkerne. Die Teilung des Zelleibs geſchieht mittels Durchſchnürung. So ſpielt ſich die Teilung z. B. bei Amoeba erystalligera Grbr. ab. In anderen Fällen, vor allem häufig bei den Infuſorien (Abb. 334 B), geht der Teilung des Kernes eine Längsfaſerung des Kerngerüſtes voraus; die Längsfaſern werden deutlich auf Koſten der quergerichteten Faſern, und das Chromatin ordnet ſich in Längs— fäden an. Der Kern ſtreckt ſich mehr und mehr; an ſeinen beiden Polen können be— ſondere, in ihrem richtenden Einfluß den Zentralkörperchen vergleichbare Platten auftreten, die durch Teilung einer innerhalb des Kernes gelegenen Maſſe und Auseinanderrücken der Teilſtücke entſtanden ſind. Die Kernmembran bleibt auch hier während des ganzen Vorganges erhalten. Die chromatiſchen Längsfäden teilen ſich in der Mitte, der Quere nach, und rücken gegen die Pole vor, wobei ſich der Kern in der Mitte ſtreckt und ver— ſchmälert; ſchließlich tritt auch hier eine Zerſchnürung in zwei Stücke ein, die ſich zu Tochterkernen umbilden. So geſchieht z. B. die Kernteilung bei Paramaecium, dem Pantoffeltierchen. In dieſen beiden Beiſpielen ſind die Vorgänge bei der Kernteilung auf den Kern beſchränkt. Bei manchen Protozoen aber treten außerhalb des Kernes ähnliche Bildungen auf wie bei den Metazoen (Abb. 3340): ein Zentralkörperchen im Zellplasma teilt ſich und die Teilſtücke rücken nach entgegengeſetzten Polen unter Bildung von Spindelfaſern und Andeutung von Polſtrahlungen. Im Kern ordnen ſich die Chromatinportionen in die Aquatorialebene, jede teilt ſich und die Teilſtücke rücken in der Richtung der von den Zentralkörpern ausgehenden Faſern nach entgegengeſetzten Polen. Der Kern ſtreckt ſich dabei in die Länge und zerſchnürt ſich; die Kernmembran aber bleibt während des ganzen Vorganges erhalten. Der Kernteilung folgt die Zerſchnürung des Zellkörpers. Das iſt die Art der Zellteilung, die wir z. B. bei dem Sonnentierchen Actinosphaerium während der zweiten Reifungsteilung treffen. Und ſchließlich finden wir bei einem anderen Sonnentierchen, Acanthocystis, eine Kernteilung (Abb. 334D), die ganz in der oben für die Metazoen geſchilderten Weiſe verläuft, alſo unter Auftreten der gleichen achromatiſchen Figur und Schwinden der Kern— 534 Kernteilung bei den Einzelligen. 2 ie e. 33T) Ay 4 A . e et Ne Abb. 334. Kernteilungen bei Einzelligen: A bei Amoeba crystalligera Grbr., B bei Paramaecium, C bei Actino- sphaerium; D Zellteilung bei Acanthoeystis. A und D nach Schaudinn. B und nach R. Hertmwig. membran während der Teilung. Hier ſind alſo eine Anzahl von Zwiſchengliedern auf— geführt, die zwiſchen der Mitoſe der Metazoenzellen oder der viel einfacheren Kern— durchſchnürung, wie ſie bei Amoeba crystalligera Grbr. ſtattfindet, eine vermittelnde Konſtanz der Chromoſomenzahl. 535 Stellung einnehmen; zwiſchen den herausgegriffenen Beiſpielen gibt es noch mancherlei Übergänge. Wenn wir nun nach dem Mechanismus der Zellteilung fragen, ſo erſcheint der natürlich in den Fällen der Kerndurchſchnürung und dem Beiſpiel von Paramaecium am einfachſten: es ſcheinen Wachstumsvorgänge in der achromatiſchen Subſtanz zu ſein, die die beiden Kernhälften auseinander ſchieben, und zwar Längenwachstum der Längsfaſern auf Koſten der querverlaufenden Faſern des Kerngerüſtes. Solche Vorgänge dürften es auch ſein, die das Auseinanderrücken der Hälften des Zentralkörperchens bei den Tei— lungen der Metazoenzellen bewirken: ſie führen hier zur Bildung der Zentralſpindel; auch die zwiſchen den ſich trennenden Spalthälften der Chromoſomen ausgeſpannten Faſern ſcheinen ebenſo zu wirken und ſchieben durch ihr Längenwachstum die Tochter-Chromo— ſomen auseinander. Wenn ſich nun das Protoplasma des Zelleibs an der Kernteilung beteiligt, wie bei Actinosphaerium, Acanthoeystis und den Metazoen, tritt ein neues Moment hinzu: die von den Zentralkörperchen ausgehenden Strahlungsfiguren. Wenn dieſe Strahlungen mehr ſind als bloße Leitſtränge, an denen entlang die Chromoſomen gegen den Zentralkörper zu gleiten, ſo kann man ſich ihre Wirkungsweiſe nur ſo denken, daß ſich die Fäden verkürzen und damit die Chromoſomen heranziehen. Es iſt auch in manchen Fällen direkt beobachtet, daß eine Verdickung dieſer Fäden beim Auseinander— weichen der Tochter-Chromoſomen ſichtbar wird. Vielfach ſcheint aber auch bei den Metazoenzellen das Stemmen der Verbindungsfaſern noch eine große Rolle zu ſpielen. Aus dem Vergleich der Kernteilungsvorgänge bei den Protozoen und Metazoen geht ferner hervor, daß die achromatiſche Teilungsfigur, wenigſtens ſoweit ſie im Protoplasma des Zelleibs liegt, für den Vorgang inſofern nicht weſentlich iſt, als er in manchen Fällen auch ohne ſie zuſtande kommt. Als das Weſentliche muß durchaus die Verteilung des Chromatins auf die Tochterkerne bezeichnet werden. Dadurch, daß die Chromoſomen und ihre einzelnen Beſtandteile ſich genau zweiteilen, bekommen die Tochterzellen nicht nur genau gleich viel Chromatin, ſondern, wenn wir Verſchiedenheiten zwiſchen den ein— zelnen Chromatinteilen annehmen, — und es wird ſich zeigen, daß wir das müſſen — auch Chromatin von möglichſt genau der gleichen Beſchaffenheit. Der ganze Mechanis— mus mit ſeinen ſchließlich recht komplizierten Einrichtungen ſcheint geradezu für den „Zweck“ eingerichtet, das Chromatin gleichmäßig zu verteilen. Die Gleichmäßigkeit der Chromoſomenverteilung auf Kerne gleicher Abſtammung findet ihre auffälligſte Außerung darin, daß bei der gleichen Tierart alle Zellen, wenn ſie ſich zur Teilung anſchicken, die gleiche Anzahl von Chromoſomen aus dem Kerngerüſt bilden, gleichgültig, ob die Kerne groß oder klein ſind; nicht die Chromatinmenge, ſon— dern die Artzugehörigkeit iſt für die Chromoſomenzahl beſtimmend. Dabei ſind bei ver— wandten Tierarten die Zahlen nicht etwa notwendig gleich oder doch naheſtehend, ſondern oft recht verſchieden, während ſie ſich bei einander ferner ſtehenden gleichen können. So ſind bei einem kleinen Ringelwurm (Ophryotrocha) 4, bei einem Strudelwurm des Süß— waſſers (Dendrocoelum) 8, bei einem Süßwaſſerſchwamm (Euspongilla) 12 Chromo— ſomen vorhanden; 14 Chromoſomen finden ſich bei einer Anzahl Copepoden (Cyelops fuscus Jur., albidus Jur., leuckarti Claus); bei der Wegſchnecke (Lima), dem Kolben— waſſerkäfer (Hydrophilus), wahrſcheinlich auch bei der Ratte find es 16; 18 finden ſich bei einem Seeigel (Echinus), und 20 hat eine Ameiſe (Lasius); 22 zeigt Cyelops strenuus Fisch. Sehr häufig iſt die Zahl 24, die bei der Weinbergſchnecke, beim Ohrwurm, beim Feuerſalamander und beim Menſchen gefunden iſt; 28 hat der Kohlweißling, 32 die Maus 536 Theorie von der Individualität der Chromoſomen. und 168 das Salzkrebschen (Artemia salina Leach). Es ſei ſchon hier darauf hin— gewieſen, daß dieſe Zahlen durchweg gerade ſind; wir werden ſpäter die Erklärung dafür bekommen. Dieſe Konſtanz der Chromoſomenzahl beruht darauf, daß ſich bei der Vorbereitung zur Kernteilung in einem Kern jedesmal wieder ſo viele Chromoſomen ausbilden, als beim Übergang ins Ruheſtadium nach der letzten Teilung in ihn eingegangen waren. Es ſind einfache morphologiſche Verhältniſſe, die das bedingen, nicht aber ſolche der chemiſchen oder molekularen Struktur; es iſt nicht etwa damit zu vergleichen, daß aus einer Mutterlauge ſtets vierſeitige, aus einer anderen ſtets ſechsſeitige Pyramiden heraus— kriſtalliſieren. Das zeigt ſich deutlich in abnormen Fällen, wo mehr Chromoſomen in — ———— ᷣ õ —bä . — den Kern eingehen, als für die betreffende Tierart charakteriſtiſch iſt. Beim Pferde⸗ Spulwurm (Ascaris megalocephala Cloq.) 3. B. können ſich Rieſen⸗ embryonen entwickeln, die durch Verſchmel— zung zweier Eier und ihrer Kerne entſtehen; die Furchungszellen haben dann, anſtatt wie gewöhnlich vier Chromoſomen, deren acht im Kern, da ſich die Chromoſomen der 2 | Abb. 335. beiden Eier addiert ES Zipfelkerne von Ascaris megalocephala Clog. 8 8 * e e 1 en in haben. Ahnliche Un⸗ ſich gun ro auflösen 8 Fund zellen ie 11155 regelmäßigkeiten kom⸗ bereitung zur nächſten Teilung: die Enden der wieder ſichtbar men noch öfter vor. werdenden Chromoſomen liegen in den Kernzipfeln; die Chromo— ſomenanordnung iſt in beiden Zellen gleich. 1 einwertige, 2 zwei— Sie beweiſen, daß die wertige, 3 dreiwertige Kernzipfel (d. h. ſolche mit 1, 2 oder 3 0 8 2 _ Chromoſomenenden). Nach Boveri. Zahl der Chromo— — b m ſomen davon abhängt, wie viele von ihnen in das Kerngerüſt des ruhenden Kernes umgebildet wurden. Die einleuchtendſte Erklärung für dieſe Tatſachen bietet die Annahme, daß die Chromoſomen Einzelgebilde ſind, die eine ſelbſtändige Exiſtenz führen und als Individuen bezeichnet werden können. Sie werden uns in ihrer Individualität nur deutlich zur Zeit der Mitoſe. Während des Ruhezuſtands des Kernes ſind ſie nicht als geſonderte Ge— bilde erkennbar; aber ſie verlieren ihre Individualität nur ſcheinbar. Die Theorie er— hält eine ſtarke Stütze dadurch, daß an manchen Kernen deutliche Anzeichen dafür vor— handen ſind, daß jeder Kernbezirk, der aus einem Chromoſoma entſtanden iſt, ſich auch wieder zu einem ſolchen zuſammenzieht. In den Eiern von Ascaris megalocephala Clog. finden ſich Kerne, die nicht einfach eine runde oder ovale Geſtalt haben (Abb. 335); ſie ſind in eine Anzahl von Zipfeln ausgezogen, und dieſe entſtehen dadurch, daß die Enden der Chromoſomen beim Übergang zum Ruheſtand über die übrige Kernmaſſe hinaus— Direkte Kernteilung bei den Metazoen. 537 ragen. Es iſt leicht zu beobachten, daß bei erneuter Vorbereitung eines ſolchen Kerns zur Teilung ſtets wieder Chromoſomenenden in dieſe Zipfel zu liegen kommen. Wenn ferner in den Tochterzellen des Eies ſich die Kerne zu erneuter Teilung vorbereiten, zeigen in beiden die Chromoſomen im allgemeinen die gleichen Lageverhältniſſe (Abb. 335 C), wie das ja vor dem Eingehen in den Ruhezuſtand gemäß dem Teilungsmechanismus der Fall ſein mußte. Auch kann man beim Feuerſalamander z. B. beobachten, daß die ſchleifenförmigen Chromoſomen bei ihrer Rekonſtruktion aus dem Kerngerüſt gleich von Anfang an mit ihren Umbiegungsſtellen gegen das Zentralkörperchen gerichtet ſind wie vor dem Übergang zum ruhenden Kern. Nicht ſelten kommt es auch vor, daß zwiſchen den Chromoſomen eines Kernes merkliche Größenverſchiedenheiten vorhanden ſind, die in allen Kernen gleicher Art in derſelben Weiſe wiederkehren; beſonders auffällig iſt das bei den Samenbildungszellen (Abb. 336) einer amerikaniſchen Heuſchrecke (Brachystola magna). So hat dann die Theorie von der Individualität der Chromoſomen eine außer— ordentliche Wahrſcheinlichkeit für ſich, die noch vermehrt wird durch ihre erklärende Kraft, die wir noch öfters erproben werden. Neben der Mitoſe gibt es 4 bei den Metazoen auch Fälle ſogenannter direkter oder amito— tiſchen Kernteilung, wo ſich der Kern ohne Umordnung des Chro— matins und ohne Auftreten einer achromatiſchen Figur durch ein— fache Zerſchnürung teilt. Die Zahl dieſer Fälle iſt verhältnis— ee mäßig klein. Vor allem aber Abb. 336. Aquatorialplatte einer Spermatogonie der Heuſchrecke iſt auffällig, daß auf dieſe Weiſe gruppe in der Spermatorhte IL Ordnung desfelben Tiers. Ju Su eee Ans ee e I ee gebildet werden, die infolge be- ſonderer Spezialiſierung eine ſehr intenſive Aſſimilation, Sekretion oder Exkretion beſorgen und dann dem Untergange geweiht ſind: ſo in den Embryonalhüllen der Skorpione und in dem Mutterkuchen der Säuger oder die Hüllzellen der Eier und Nährzellen in den Inſekten— eierſtöcken oder die ſogenannten Dotterzellen bei der Entwicklung des Knochenfiſcheies. Alle dieſe Zellen oder ihre nächſten Nachkommen gehen bald zugrunde. Bei den weißen Blut— körperchen der Wirbeltiere finden wir beiderlei Teilungen, mitotiſche und amitotiſche, und es herrſcht deutlich an den Entſtehungszentren die mitotiſche Teilung vor, ſo daß man wohl an— nehmen darf, daß die amitotiſch entſtandenen nicht mehr lange fähig ſind, ſich zu ver— mehren, ſondern dem Untergange verfallen ſind. Dagegen ſind die ungeheuer zahlreichen Kernteilungsvorgänge bei allen Entwicklungsprozeſſen, inſonderheit bei der Entwicklung eines Embyro aus dem Ei, ſtets nur Mitoſen, nie kommen hier Amitoſen vor. Es iſt nicht richtig, dieſe amitotiſche Teilung von Zellen mit hochdifferenziertem Chromatin zuſammenzuſtellen mit der Kerndurchſchnürung bei den Amoeben. Sie iſt ſekundären Urſprungs; wir dürfen ſie entſtanden denken durch das Mißverhältnis zwiſchen einem kleinen Kern und reichlichem Protoplasma, und urſprünglich dazu beſtimmt, eine Vergrößerung der Oberfläche des Kernes zu bewirken, ähnlich wie die Veräſtelung oder Durchlöcherung von Kernen, die oft in Zellen mit amitotiſcher Kernteilung vorkommen; daher iſt ſie auch häufig nicht von einer Teilung des Zelleibes begleitet. Gerade der 538 Spermatogeneſe. degenerative Charakter der amitotiſchen Kernteilung zeigt wiederum, von wie großer Wichtigkeit für das Leben der Zelle die durch die Mitoſe bewirkte gleichmäßige Ver— teilung des Chromatins auf die Tochterkerne iſt. 2. Samen- und Eientwicklung (Spermatogenele und Oogeneſe). Wiederholte mitotiſche Zellteilungen ſind es auch, durch die ſich Spermatozoen und Eier bei den vielzelligen Tieren entwickeln. Beide ſtammen von den ſogenannten Ur— geſchlechtszellen ab, die ſich oft ſchon ſehr früh in der Entwicklung des Embryos von den Körperzellen unterſcheiden laſſen; ſie ſind in der Ein- oder Zweizahl vorhanden; einen geſchlechtlichen Unterſchied kann man in dieſer frühen Zeit an ihnen noch nicht wahrnehmen. Beim männlichen Geſchlecht gehen durch vielfach wiederholte Teilungen die Ur— geſchlechtszellen in die ſogenannten Spermatogonien über. Nach einer Zeit lebhafter E Abb. 337. Schema der Samenentwicklung von einem Tier mit 4 Chromoſo men in den Körperzellen. A und B Teilung einer Spermatogonie, C—H die beiden Teilungen, durch die aus der Spermatocyte die 4 Samenzellen entſtehen. Vermehrung (Abb. 337 A u. B) tritt dann eine Pauſe ein, während deren dieſe Zellen wachſen; die ausgewachſene Spermatogonie heißt Spermatocyte. Dann folgt durch zwei raſch aufeinanderfolgende Teilungen (C-) die Umbildung der Spermatocyte in vier Samenzellen; die Spermatoeyte iſt alſo gleichſam die Großmutterzelle der Samenzellen. Jene beiden letzten Teilungen unterſcheiden ſich von anderen Mitoſen ſchon äußerlich durch eine leicht wahrnehmbare Eigentümlichkeit: während ſonſt nach jeder Teilung in den Tochterkernen wieder ein Kerngerüſt gebildet wird, und ſie in den Ruheſtand übergehen, bildet ſich hier die Teilungsfigur der zweiten Teilung unmittelbar aus derjenigen der erſten heraus (F, G). Aus der Samenzelle (Spermatide) geht durch einfache Umbildung das Spermatozoon hervor. Der Kern ſtreckt ſich, verliert ſeinen Kernſaft, bildet dadurch eine kompakte Maſſe und wird zum Kopf des Spermatozoons. Der Zentralkörper teilt ſich: aus einem Teil entſteht das Mittelſtück oder doch ein Teil desſelben, das andere Stück liefert den Achſenfaden des Schwanzes. Das Protoplasma der Spermatide end— lich zieht ſich über dieſen Achſenfaden und bildet deſſen Hülle. Oogeneſe. 539 Die Entwicklung des Eies, die Oogeneſe, geht der des Spermatozoons, der Spermato— geneſe, in vieler Beziehung vollkommen parallel. Die Urgeſchlechtszellen teilen ſich in zahlreiche Oogonien, und am Ende der Teilungsperiode tritt jede Oogonie in eine Wachtumszeit ein. Das Wachtum, wodurch die Oogonien zu Oocyten werden, ſpielt hier eine viel be— deutendere Rolle als bei den Spermatogonien; denn auch kleine Eier ſind ſchon ſehr große Zellen; die Oogonien dagegen beſitzen keine beſonders auffallende Größe, ſie wachſen daher ſtets auf das Vielfache ihrer urſprünglichen Maſſe heran, oft auf das Vieltauſend— fache. Wie dies geſchieht, oft auf Koſten urſprünglich gleichberechtigter Zellen, wurde ſchon oben auseinandergeſetzt. Die zur Ooeyte herangewachſene Zelle iſt der fertigen Eizelle äußerlich ſchon ſehr ähnlich. Ehe ſie aber reif iſt, muß ſie noch zwei Teilungen durch— machen (Abb. 338), die mit den beiden Teilungen der Spermatoeyte darin völlig über— einſtimmen, daß ſie ſchnell aufeinander folgen, ohne daß der Ruhezuſtand des Kernes Abb. 338. Schema der Reifungsteilungen des Eies von einem Tier mit 4 Chromojomen in den Körper— zellen. 1 Erſte Polzelle bzw. ihre Tochterzellen, 2 zweite Polzelle, 2 Eikern. zwiſchen ihnen eintritt. Aber ſie unterſcheiden ſich von ihnen dadurch, daß die vier aus den zwei Teilungen hervorgehenden Tochterzellen nicht gleich ſind: drei davon ſind näm— lich außerordentlich klein, man bezeichnet ſie als Polzellen (früher infolge einer falſchen Deutung „Richtungskörper“ benannt); die vierte, das reife Ei, übernimmt von der Oocyte die Hauptmaſſe des Zelleibes. Wenn wir hiermit das Ergebnis der ähnlich charakteriſierten Vierteilung bei der Spermatocyte vergleichen, ſo wird uns die Bedeutung dieſer Polzellen klar (vgl. das Schema Abb. 339): die vier Tochterzellen der Oocyte ſind urſprünglich gleichberechtigt, wie es die der Spermatocyte noch ſind; aber drei dieſer Schweſterzellen werden enterbt zugunſten der vierten, wie das in der Oogoneſe ja auch ſchon beim Wachstum der Oocyte oft vorkommt. Die Polzellen ſind alſo degenerierte Eier und gehen zugrunde. Damit wird der Eizelle eine möglichſt große Maſſe von Material erhalten, und dies ſpielt für die weitere Entwicklung eine große Rolle. Die Polzellenbildung wird gewöhnlich als Reifung des Eies bezeichnet, die beiden letzten Teilungen als Reifungs- oder auch Richtungsteilungen. Sie können entweder Reduktionsteilungen. 540 ſchon vor der Ablage der Eies ſtattfinden oder erſt nach derſelben, ja häufig erſt wäh— rend des Eindringens des Spermatozoons. Die beiden Teilungen, die zur Bildung der Samenzellen führen, und die Reifungs— teilungen des Eies ſtimmen noch in wichtigen Eigentümlichkeiten überein, die ihnen eine Sonderſtellung gegenüber ſonſtigen Mitoſen anweiſen und zugleich ihre ſtrenge Vergleich— barkeit untereinander über allen Zweifel erheben. Während ſonſt bei allen Mitoſen die Chromoſomenzahl der Tierart erhalten bleibt, find hier nach der zweiten Teilung in den reifen Geſchlechtszellen nur halb ſo viel Chromoſomen vorhanden als in den Spermato— gonien oder Oogonien oder in den Körperzellen der betreffenden Tierart. Die Chromo— ſomenzahl iſt reduziert, und die Teil— ungen, durch die das zuſtande kommt, heißen Reduktionsteilungen. 2. Wenn der Kern der Spermato— cyte oder Ooecyte ſich zur erſten Rei— * fungsteilung vorbereitet, erſcheinen m ihn nicht die gewohnlichen Chro moſomen, ſondern vierteilige Chro— matinportionen von der halben Normalzahl (vgl. Abb. 337 A mit C); man nennt ſie Vierergruppen oder Tetraden. Dieſe ſind in der Weiſe entſtanden, daß je zwei Chromo— ſomen zu einem verklebt ſind und zugleich die Chromoſomenſpaltung, die wir von der Kernteilung kennen, bei ihnen eingetreten iſt: die Ver— Teilungsperiode 20 % % % „% „ „ 2 „ 00.0 „ 9, Wachstumsperiode Reifeperiode Abb. 339. Schema zur Vergleichung von Samen- und Eientwicklung. I und 1“ Urgeſchlechtszellen, 2 Spermatogonien, 2’ Oogonien, 3 Spermato— cyte 1. Ordnung, 3“ Oocyte 1. Ordnung, 4 Spermatochte 2. Ordnung, “ Dochte 2. Ordnung, 5 Samenzellen, 5’ reife Eizelle, 6 zweite Polzelle, 7 erſte Polzelle, 8 deren Tochterzellen. Die Zahl der Zellgenerationen in der Teilungsperiode iſt viel zu gering angegeben; von den Spermatogonien und Oogonien iſt jedesmal nur eine in ihrem weiteren Schickſal verfolgt. einigungsebene, die man oft als Lücke erkennen kann, ſteht ſenkrecht zur Spaltebene. Durch die erſte der beiden in Rede ſtehenden Teil— ungen wird jede der Vierergruppen Nach Boveri. 8 5 : 5 in zwei Zweiergruppen, durch die zweite jede Zweiergruppe in zwei Einzelchromoſomen zerlegt. Somit ſind jedesmal in den vier Endzellen — alſo den Spermatiden bzw. der reifen Eizelle und den drei Pol— zellen — nur die halbe Zahl einfacher Chromoſomen vorhanden. Je nachdem die Vierergruppen zuerſt in der Vereinigungsebene oder in der Spalt— ebene der ſie bildenden Chromoſomen auseinandergezogen werden, findet die Chromatin— reduktion ſchon bei der erſten oder erſt bei der zweiten Reifungsteilung ſtatt; das ſcheint bei verſchiedenen Tierarten ungleich zu ſein. Dieſe Reduktion, die jo ſehr der Regel von der Konſtanz der Chromoſomenzahl zu widerſprechen ſcheint, iſt es gerade, die jene Konſtanz ſichert, wie uns die Be— trachtung des Befruchtungsvorganges ſofort zeigen wird; denn bei der Befruchtung vereinigen ſich Ei- und Samenkern, und ihre Chromoſomen addieren ſich, ſo daß das befruchtete Ei und jede der von ihm abſtammenden Zellen noch einmal ſo viel Chromoſomen enthält als Ei und Spermatozoon für ſich, alſo wieder die für die Tierart normale Zahl. Befruchtungsvorgang. 541 3. Die Befruchtung des Metazoëneies und die Kopulation bei den Protozoèn. Die Befruchtung des Metazoeneies beſteht äußerlich in dem Eindringen eines Spermatozoons in dasſelbe. Man kann das bei manchen Tieren direkt unter dem Mikroſkop beobachten. Wenn man z. B. Eier und Samenfäden eines Seeigels in einem Uhrſchälchen mit Seewaſſer zuſammenbringt, ſo ſieht man, wie eine Anzahl von Samen— fäden ein Ei umſchwärmen und unter vorwärtstreibenden Bewegungen ihres Schwanzes in dasſelbe einzudringen verſuchen. Sobald es einem gelungen iſt, die gallertige Eihülle zu durchbohren, wölbt ſich ihm vom Ei aus das Protoplasma entgegen; Kopf und Mittel— ſtück dringen in das Protoplasma ein, der Schwanz wird abgeſchnürt. Sobald ein Abb. 340. Schema der Befruchtung von einem Tier mit 4 Chromoſomen in den Körperzellen. Die Chromoſomen des Eikerns find ſchwarz, die des Samenkerns ſchraffiert. Z erite Polzelle und 1’ ihre Tochterzellen, 2 zweite Polzelle, 3 Spermatozoon. Samenfaden eingedrungen iſt, ſcheidet das Ei eine Hülle ab, die das Eindringen wei— terer Samenfäden unmöglich macht. In ähnlicher, aber in den Einzelheiten vielfach ab— geänderter Weiſe ſpielt ſich der Vorgang auch bei anderen Tieren ab. Sobald das Spermatozoon in das Ei gelangt iſt, bilden ſich ſeine Teile derart um (Abb. 340 A u. B), daß man ihren Wert als Zellorgane wieder erkennt: der Kopf ſchwillt unter Aufnahme von Flüſſigkeit zu einem deutlichen Kern an, mit ruhendem Kerngerüſt, oft von der Größe des Eikerns; das Mittelſtück zeigt ſeine Eigenſchaft als Zentralkörper, indem es ſich mit einer Strahlung umgibt. Beim Eindringen des Spermatozoons kam das Mittelſtück gegen die Peripherie des Eies zu liegen; jetzt aber zeigt es ſich aktiv, bewegt ſich — wohl unter Beteiligung der Strahlen — gegen die Mitte des Eies und zieht den Samenkern hinter ſich drein auf den Eikern zu; dort angelangt, teilt es ſich, und die beiden Teilſtücke weichen auseinander (0) wie bei der mitotiſchen Teilung. 542 Befruchtungsvorgang. Ei⸗ und Samenkern können nun vor Eintritt der Teilung verſchmelzen. Bei manchen Tieren aber bleiben ſie geſondert; jeder von ihnen bereitet ſich, unter Deutlichwerden der Chromoſomen, zur Teilung vor; die Chromoſomen ſpalten ſich im Ei- wie Samenkern der Länge nach; die Spindelſtrahlen von beiden Tochterzentralkörpern verbinden ſich mit den Chromoſomen, und bei dem jetzt eintretenden Auseinanderrücken wird nach jeder Seite eine Spalthälfte ſowohl der väterlichen wie der mütterlichen Chromoſomen ge— zogen (D). In jedem der beiden Tochterkerne, die ſo entſtehen, iſt alſo die Hälfte der Chromoſomen väterlichen, die andere Hälfte mütterlichen Urſprungs (E), und damit ebenſo in allen durch weitere Mitoſen entſtehenden Kernen des aus dem befruchteten Ei hervor— gehenden Tieres. Ja, man kann ſogar in manchen Fällen, z. B. bei unſerem Süß— waſſerkrebschen Cy- clops, ſehr lange in den Teilungsfiguren die väterlichen und mütterlichen Chromo— ſomen als zwei ge— ſonderte Gruppen er— kennen. Daß ſich dieſe Trennung der beiden Chromoſomengruppen durch viele Zellgene— rationen hindurch er— hält, ſpricht wieder ſehr entſchieden zu— gunſten der Theorie von der Individualität der Chromoſomen. Dadurch, daß die R j Abb. ah a „„ N 8 Chromoſomenzahl der ee e e das viele 3 (im © eit ſch d von Körperzellen durch Ad⸗ it Dem dort gebliebenen Keilftit: Diefer Topulierte dern (9-6 37) Bereitet fi) in F zu einer dition von in der Re⸗ neuen Teilung vor, aus der der Stoffwechſel und der Geſchlechtskern hervorgehen, während der gel gleich vielen väter— alte Stoffwechſelkern (7) zerfällt. Nach R. Hertwig und Maupas. R 7 lichen und mütterlichen Chromoſomen in der befruchteten Eizelle zuſtande kommt, erklärt ſich ohne weiteres die oben betonte bemerkenswerte Tatſache, daß die Zahl der Chromoſomen in den Körperzellen der Tiere in der Regel eine gerade iſt. Ganz ähnliche Vorgänge, wie ſie von den Metazoen gejchildert wurden, ſpielen ſich auch bei der Kopulation der Protozoen ab. Oben wurde ſchon die iſogame Kopulation von Actinophrys sol Ehrbg. in den Grundzügen geſchildert. Hier ſei nur darauf hin— gewieſen, daß der Vereinigung der beiden Individuen zwei Zellteilungen in jedem vor— ausgehen. Bei dieſen Teilungen trennt jedes Individuum, gerade wie das Ei bei den Reifungsteilungen, zwei kleine Teilſtücke von ſich, und dieſe gehen zugrunde, ohne irgend welche phyſiologiſche Bedeutung zu erlangen. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir die Konjugation der Infuſorien. 543 Teilungen als Reduktionsteilungen betrachten; die Reduktion der Chromoſomenzahl konnte freilich, bei der außerordentlichen Kleinheit der Objekte, noch nicht nachgewieſen werden. Die ſo „gereiften“ Iſogameten vereinigen ſich dann zur Zygote, indem die Plasmakörper und die Kerne miteinander verſchmelzen. Die Teilung der Zygote läßt freilich länger auf ſich warten als die Teilung des befruchteten Eies. Außerlich ganz andre Verhältniſſe finden wir bei den Wimperinfuſorien; aber um ſo mehr überraſchen ſie durch die grundſätzliche Ahnlichkeit der Vorgänge mit denen bei der Spermato- und Oogeneſe der Vielzelligen. Als Beiſpiel diene Paramaecium, das Pantoffeltierchen (Abb. 341). Wie bei den Wimperinfuſorien im allgemeinen finden wir hier zweierlei Kerne, einen Großkern, den aktiven oder Stoffwechſelkern (1), und eech ode u Geſchlechtskern (2). Die Konjugation be— 2 B. reitet ſich in der Weiſe vor, daß die Tiere 5 paarweiſe dicht nebeneinander herſchwim— BT men und miteinander verkleben (A). Der = Kleinkern teilt fich jetzt zweimal nachein— 5 928 ander ohne Teilung der Zelle (B), und E N er von dieſen vier Teilſtücken gehen drei ſo— 2 \ S 8 fort oder in Vorbereitung zu einer wei— 2 33 => a teren Teilung zugrunde (C). Wir können fie mit den Polzellen der Metazoeéneier vergleichen, um ſo mehr, als wenigſtens in einem Fall (bei Didinium nasutum Trennung St. durch Prandtl) eine Chromoſomen— ee verminderung von 16 auf 3 durch die zweite dieſer Teilungen nachgewieſen iſt. Das vierte Teilſtück aber teilt ſich wiede— rum in zwei (C), deren eines wir ent— ſprechend ſeinem weiteren Schickſale als ſtationären Kern, das andere als Wander— kern bezeichnen. Den Wanderkern deu⸗ — —.uꝛxvxůͥꝛ ͥ ⁵³..ßxðXsmߧ;o⁊ teten wir ſchon oben (S. 452) als Mikro- 7 . e ae ee gameten, den jtationären Kern mit dem kern. Die geſtrichelten Linien bedeuten die Trennung der Individuen. Körper des Infuſors als Makrogameten. 8 Um dieſe Zeit verſchmelzen die bisher nur verklebten Tiere vor der Mundregion durch eine Protoplasmabrücke; auf ihr wandert nun der Wanderkern jedesmal in den anderen Paarling hinüber (D), und verſchmilzt mit deſſen ſtationärem Kern (E). Der ſo ent— ſtandene kopulierte Kern ſtammt alſo von zwei verſchiedenen Individuen her und iſt dem Kern des befruchteten Eies vergleichbar. Nach der Überwanderung der Kerne trennen ſich die beiden verbundenen Individuen; in jedem geht der durch ſeine bis— herige Tätigkeit abgenutzte Großkern durch Zerfall zugrunde, und durch Teilung des kopulierten Kernes wird der Kernapparat regeneriert (F). Sowohl der Haupt- wie der Nebenkern aller Nachkommen bis zur nächſten Konjugation ſtammen von dieſem Kern ab. Im einfachſten Falle (ſo bei Colpidium, vgl. Schema, Abb. 342) teilt er ſich zunächſt zweimal, und von dieſen vier Kernen werden zwei zu Haupt-, zwei zu Neben— kernen für die beiden aus der Teilung des Individuums hervorgehenden Nachkommen; 9 Amphimixis Teilungen des kopulierten Kerns 544 Anregung zur Entwicklung. bei Paramaecium u. a. find dieſe letzten Vorgänge noch komplizierter; aber auf ihre Be— trachtung können wir verzichten, da ihnen allgemeine Bedeutung nicht zukommt. Dieſe beiden Beiſpiele zeigen, daß die bei den Metazoen ganz allgemein vor— kommenden Reifungs- und Befruchtungsvorgänge auch bei den Protozoen ihre Parallele haben; bei der Kopulation findet hier Verminderung des Chromatins durch Polkern— bildung und Vereinigung zweier Kerne verſchiedener Individuen zu einem neuen ſtatt. Es fragt ſich jetzt: wenn die Reduktion der Chromoſomenzahl durch die Polzellenbildung eine Verdoppelung der normalen Zahl bei der Befruchtung verhindern ſoll, wie ſteht es dann mit den Polzellen bei parthenogenetiſch ſich entwickelnden Eiern, wo eine Befruch— tung nicht ſtattfindet? Hier zeigt die Unterſuchung, daß bei Blattläuſen und Waſſerflöhen (Daphniden) die nicht befruchtungsbedürftigen Eier nur eine Polzelle ausſtoßen und damit die Zahl der Chromoſomen nicht reduzieren; bei den Formen aber mit gelegentlicher oder fakultativer Parthenogeneſe, z. B. bei dem Spinner Liparis oder bei den unbefruchtet bleibenden Bieneneiern finden beide Reifeteilungen ſtatt und die Chromoſomenzahl wird reduziert; wahrſcheinlich ergänzt ſie ſich durch Spaltung der übrig gebliebenen Chromo— ſomen. 4. Die Bedeutung der Kopulation. Die weite Verbreitung dieſer Vorgänge weiſt mit größtem Nachdruck auf die wich— tige Rolle hin, die ſie im Leben der Organismen ſpielen, und läßt uns aufs neue die Frage nach dem Weſen und der Bedeutung der Kopulation erheben. Bei ihrer Beant— wortung empfiehlt es ſich, wiederum in der Hauptſache die Verhältniſſe bei den Metazoen ins Auge zu faſſen, da ſie am beſten bekannt ſind. Wir müſſen da zwei Dinge aus— einander halten, die im Gefolge der Kopulation oder, wie wir hier ſagen können, Be— fruchtung eintreten. Das eine iſt die Anregung zur oft wiederholten Kernteilung, wie ſie bei der Entwicklung des Embryo aus dem befruchteten Ei, und zwar als direkte zeit— liche Folge der Befruchtung eintritt, im Gegenſatz zu den Protozoen, wo ja die Kopulation durchaus nicht immer zu beſchleunigter Teilung führt; das andere iſt die Vermiſchung zweier Kernmaſſen von verſchiedener Herkunft, die Amphimixis. Daß die Anregung zur Entwicklung mit der Vereinigung der Kerne nicht weſentlich zuſammenhängt, iſt leicht einzuſehen. Es iſt nämlich gelungen, kernloſe Bruchſtücke von Eiern, z. B. von Seeigeleiern, zu befruchten, und aus dieſen Stücken, die dann alſo nur den Samenkern enthielten, Larven zu erziehen, die den normalen Larven, abgeſehen von der geringeren Größe, vollkommen gleichen. Immerhin aber wird es aus dem Verlauf der Vorgänge wahrſcheinlich, daß gerade das Spermatozoon ein Etwas in das Ei ein— führt, wodurch dieſes zur Teilung angeregt wird; denn das unbefruchtete Ei teilt ſich gewöhnlich nicht, ſondern geht zugrunde. Im allgemeinen iſt es ja der durch das Spermatozoon ins Ei gebrachte Zentralkörper, der bei der Teilung des Eies allein wirkſam iſt und von dem aus alle Zentralkörper des Embryos durch ſukzeſſive Teilung entſtehen; der Zentralkörper des Eies iſt meiſt nach den Reifungsteilungen rudimentär geworden. Es lag alſo der Gedanke nahe, hier die Entwicklungsanregung durch das Spermatozoon lokaliſiert zu denken. Aber bei Blütenpflanzen, wo die Vorgänge der Befruchtung ganz ähnliche ſind, fehlen die Zentralkörper gänzlich, und wir haben auch bei Protozoen Kernteilungen ohne Zentralkörper kennen gelernt. Deshalb kann die An— nahme nicht ſchlechthin Gültigkeit haben, daß das Ei erſt durch Hineinbringen des Spermazentralkörpers entwicklungsfähig werde. Dem entſpricht auch die Tatſache, daß Anteil der Elterntiere an den Nachkommen. 545 bei den fakultativ parthenogenetiſchen Eiern, wo ja auch der Zentralkörper des Eies rudimentär wird, die Entwicklung ohne Befruchtung eintritt. Es widerſprechen ferner die höchſt merkwürdigen Tatſachen, die man als künſtliche Parthenogeneſe bezeichnet. Dadurch, daß man Eier niederer Tiere, z. B. von Stachelhäutern, manchen Würmern und Weichtieren, die befruchtungsbedürftig ſind, alſo ohne Befruchtung abſterben würden, mit gewiſſen chemiſchen Mitteln behandelt, z. B. mit Löſungen von Kalilauge in beſtimmten geringen Konzentrationen oder mit Kohlenſäure, kann man ſie veranlaſſen, ſich mehr oder weniger weit zu entwickeln. Es bildet ſich dann im Protoplasma des Eies ein neuer Zentralkörper, der bei den Teilungen vollkommen die Rolle eines normalen Zentralkörpers ſpielt. Eines der Mittel, künſtliche Parthenogeneſe herbeizuführen, iſt auch ein Extrakt, das aus den Spermatozoen der betreffenden Tierart gewonnen wird. Dadurch wird es höchſt wahrſcheinlich, daß es eine chemiſche Subſtanz iſt, die durch das Spermatozoon in das Ei hineingetragen wird und den Anſtoß zur Entwicklung gibt. Wo dieſe Sub— ſtanz im Spermatozoon ihren Sitz hat, darüber können wir freilich noch nichts ausſagen. a) Die körperlichen Grundlagen der Vererbung. Durchaus verſchieden von der Anregung zur Entwicklung ſind die Folgeerſcheinungen, die mit der Amphimixis, d. h. damit verknüpft ſind, daß ſich zwei Kerne verſchiedener Herkunft in dem befruchteten Ei vereinigen. Es ſind zwei Individualitäten, die hier zu einer einzigen verſchmolzen werden, und das Ergebnis kennen wir aus Erfahrung: die Eigenſchaften des aus dem befruchteten Ei entwickelten neuen Individuums gleichen teils denen der Mutter, teils denen des Vaters: es hat deren Eigentümlichkeiten „ererbt“. Die Tatſachen der Vererbung ſind uns durch alltägliche Beobachtung an Menſchen geläufig; hier iſt unſer Blick für die Unterſchiede geſchärft und wir können beurteilen, welche Züge körperlicher und geiſtiger Art ein Kind von der einen, welche von der an— deren elterlichen Seite übernommen hat. Das Ergebnis iſt ein wechſelndes: bald über— wiegt der mütterliche, bald der väterliche Einfluß. Das eine aber können wir mit Sicherheit ſagen: keineswegs finden wir ſtets ein Übergewicht auf mütterlicher Seite. Das iſt von hoher Wichtigkeit; denn von der Subſtanz des menſchlichen Kindes ſtammt von der Mutter unendlich viel mehr als vom Vater. Schon das Ei übertrifft das Spermatozoon um mehr als das Zwanzigmillionenfache an Maſſe; dann aber geht die Ernährung des Kindes bis zur Geburt ganz auf Koſten des mütterlichen Organismus. Manche Beobachtungen geben uns noch genaueren Aufſchluß über den Anteil, den die Elterntiere an den gemeinſamen Nachkommen haben, nämlich die Betrachtung der Baſtarde, die durch Paarung ungleicher Elternarten entſtanden ſind. Hier hält ſehr häufig das Junge mehr oder weniger genau die Mitte zwiſchen den beiden Stammarten, wenn es auch gar manche Ausnahmen in dieſer Richtung gibt. Die Baſtardmännchen von Smerinthus ocellata L. und Sm. populi L. bewahren ſelbſt in unbedeutenden Einzel— heiten ihre Zwiſchenſtellung. Die Baſtarde unſrer Garten- und Hainſchnecke, Helix hortensis Müll. und H. nemoralis L., die Lang ſehr genau unterſucht hat, halten in vielen Eigenſchaften die Mitte zwiſchen den Eltern; ſo vor allem in den Größenverhält— niſſen: der Länge der Spindel, dem Durchmeſſer des letzten Umgangs, der Größe des Gehäuſes überhaupt, der Länge des Pfeilſacks und Liebespfeils, ſowie des Flagellums, eines Anhangs am männlichen Geſchlechtsapparate; auch die Geſtalt des Pfeiles hält die Mitte (Abb. 343). In anderen Merkmalen, wodurch die Elternformen ſich unterſcheiden, 2 Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 35 546 Materielle Anlagen. neigen fie bald mehr dem einen, bald mehr dem andern Elter zu: ſie bilden alſo darin gleichſam Moſaikformen, wobei ein Teil der Komponenten von einer, ein Teil von der andern Seite genommen iſt. Eine Mittelſtellung zwiſchen den Eltern zeigen auch die — — HBaſtarde zwiſchen Auer- und Birkwild, das Rackel— N B wild; die Abbildung 344 zeigt das z. B. an der Geſtaltung des Schwanzes bei der Henne: in der Biegung der Steuerfedern und in der Erſtreckung der weißen Deckfedern des Bürzels hält die Rackelhenne faſt geometriſch genau die Mitte zwiſchen Auer- und Birkhenne; beim Hahn iſt das noch auffälliger. In ſolchen Fällen kann kein Zweifel ſein, daß das Junge von beiden Eltern gleichviel ererbt hat. Anderemale wird das Ergebnis dadurch weniger deutlich, daß manche Eigenſchaften im individuellen Leben des jungen Tieres latent bleiben können und erſt in der nächſten Generation zum Vorſchein kommen, wohin beim Menſchen der oft beobachtete Rückſchlag von Kindern auf Großeltern gehört und viele andre Fälle von ſogenanntem Atavismus. Es erſcheint daher als e elle, jEhr Wahr, cheinliche Vorausſetzung, daß der Be— moralis L., BHel. nemoralis L.< hor- trag des von jedem der beiden Eltern auf das Kind tensis Müll, Hel. hortensis Müll. 4 Seitenanſicht, Sad vergrößert, 5 Querſchnitt. Vererbten mindeſtens potentiell gleich tft. ne Die Eigenſchaften, die in dem neuen Lebeweſen zum Vorſchein kommen, müſſen in dem befruchteten Ei ſchon latent vorhanden ſein. Wir finden dafür nur eine leuchtende 3 Möglichkeit, nämlich daß ſie ſich dort in Form von materiellen Teilchen vorfinden, die zu den Merkmalen in beſtimmter Beziehung ſtehen; ſolche Teilchen werden als materielle Anlagen bezeichnet. Daß die Anlagen mit den — — Merkmalen, für de 2 B. 6 ſpätere Ausbildung ſie die Grundlage dar— ſtellen, nicht identiſch ſind, wie die alten Evo— lutioniſten (vgl. unten) meinten, iſt durch die Unterſuchung erwieſen: man findet nirgends in dem befruchteten Ei das verkleinerte Abbild des N A, M Mi) 105 MN... 38 ER Tieres, das ſich daraus Schwanz von A Auerhenne, 5 Rackelhenne, C Birk— 1 . henne, von unten. Nach Altum. | entwickeln wird. Viel— mehr müſſen wir an— nehmen, daß darin Plasmaqualitäten enthalten ſind, die bei der Entwicklung die Merk— male entweder direkt erzeugen oder auf andre Teile derart umſtimmend einwirken, daß es zur Entſtehung beſtimmter Merkmale kommt. Die Summe der materiellen An— lagen, die ſtoffliche Unterlage für die Vererbung, wird ſeit Nägeli als Idioplasma oder auch als Keimplasma bezeichnet. Wenn nun aller Wahrſcheinlichkeit nach die Maſſe der Keimplasma. 547 von väterlicher und mütterlicher Seite übertragenen Eigenſchaften gleich iſt, jo haben wir auch Grund zu der Annahme, daß die Maſſe der Vererbungsträger ebenſalls gleich groß iſt. So kommen wir zu der Forderung, daß in Spermatozoon und Ei etwa gleichgroße Mengen von Keimplasma enthalten ſein müſſen. Ei und Spermatozoon ſind aber an Maſſe ſehr ungleich; ſie können daher unmöglich ganz aus Keimplasma beſtehen. Sie ſind auch aus ſehr verſchiedenen Teilen aufgebaut. Das Ei beſitzt ſtets reichlich Protoplasma, einen Kern und mehr oder weniger anſehnliche Vorratsſtoffe; der Zentralkörper iſt im reifen Ei vielfach verſchwunden. Das Spermatozoon beſitzt ſehr wenig Protoplasma, das bei den fadenförmigen auf den Schwanz beſchränkt iſt, ferner ebenfalls einen Kern und einen Zentralkörper. Beiden, dem Ei und dem Spermatozoon, gemeinſam iſt alſo der Kern; dem Ei fehlt der Zentralkörper, für das Spermatozoon kommt das Protoplasma nicht in Frage, da es in manchen Fällen bei der Befruchtung gar nicht mit ins Ei gelangt, ſondern durch Abſchnürung des Schwanzes draußen bleibt. So kommen wir zu dem Schluß, daß das Keimplasma im Kern lokaliſiert ſei. Das ſtimmt gut zu der wichtigen Stellung des Kernes in der Zelle, die wir oben (S. 535) ſchon charakteriſiert haben. Ei- und Spermakern find morphologiſch gleichwertig; denn die Oo- und Spermatogeneſe ſtimmen gerade in den Schickſalen des Kernes in auffälligſter Weiſe überein. Der Unterſchied zwiſchen Ei und Spermatozoon iſt kein urſprünglicher; er iſt erworben und gründet ſich auf die Arbeitsteilung zwiſchen den beiderlei Geſchlechtsprodukten; die all— mählichen Übergänge zwiſchen Iſogamie und Heterogamie bezeugen dies. — Aber auch phyſiologiſch ſind Ei- und Spermakern gleichwertig; denn jeder kann für ſich allein die Entwicklung eines neuen Individuums leiten, ohne Beteiligung des anderen: der Eikern bei der Parthenogeneſe, der Spermakern aber bei der Befruchtung kernloſer Eibruchſtücke. Das ſtützt die Annahme, daß ſie auch gleichwertig als Vererbungsträger auftreten. Im Kern kommt wiederum die flüſſige Maſſe, der Kernſaft, nicht in Betracht, denn dieſer fehlt im Kopf des Spermatozoons. Wir haben alſo nur die Wahl zwiſchen der achromatiſchen und der chromatiſchen Subſtanz des Kernes. Und dieſe Wahl wird uns nicht ſchwer. Wir ſehen, wie die Entſtehung der vielen Zellen, die den Körper eines Individuums zuſammenſetzen, durch fortgeſetzte mitotiſche Teilung der befruchteten Eizelle zuſtande kommt, und wiſſen, daß der Mechanismus der mitotiſchen Teilung ganz für die genaue Verteilung des Chromatins auf die Tochterzellen eingerichtet erſcheint. Wir haben in den Reduktionsteilungen bei der Bildung von Ei- und Samenzellen ein Mittel kennen gelernt, die Konſtanz der Chromoſomenzahlen zu erhalten. Wir haben ferner geſehen, daß von den Chromoſomen des befruchteten Eies und damit aller von ihm ab— ſtammenden Körperzellen des neuen Tieres die Hälfte von väterlicher, die Hälfte von mütterlicher Seite ſtammt. Dagegen ſpielt die achromatiſche Subſtanz, ſoweit wir das überſehen können, bei den Teilungen nur eine Hilfsrolle; auf künſtlichem Wege können neue Zentralkörper und Strahlungen im unbefruchteten Ei hervorgerufen werden. Dieſe Erwägungen weiſen mit großer Einhelligkeit darauf hin, daß wir nicht das Achromatin, ſondern das Chromatin als Keimplasma zu betrachten haben. Bei dem großen Intereſſe, das die Keimzellen als Träger der Vererbungsſubſtanz, des Keimplasmas, verdienen, lohnt es ſich, ihren früheren Schickſalen noch etwas genauer nachzugehen. Am leichteſten iſt ihre Herkunft beim Pferdeſpulwurm, Ascaris megalo- cephala Cloq., zu verfolgen. Hier nämlich unterſcheiden ſich alle Zellen des Embryos, die zu den unmittelbaren Vorfahren der Keimzellen gehören — man bezeichnet dieſe art 99 548 Keimbahn. ganze Zellreihe als Keimbahn — von den übrigen durch die Form ihres Kerns, beſonders ſobald dieſer ſich teilt: in den Zellen der Keimbahn enthält der Kern zwei Chromoſomen (bei einer anderen Varietät desſelben Wurmes vier), bei den Körperzellen zerfällt jedes dieſer beiden Chromoſomen unter Abſtoßung ſeiner Endteile in eine Anzahl kleinerer Chromatinportionen, die ſich im übrigen ganz als Chromoſomen verhalten (Abb. 345). Man kann daher von den erſten Teilungen an die Vorfahrenzellen der Keimzellen ganz genau erkennen; bei der ſechſten oder ſiebenten Teilung entſteht eine Zelle, von der ſich keine Körperzellen mehr abſpalten, die Urgeſchlechtszelle; alle Keimzellen ſtammen von dieſer ab, keine Körperzelle liefert Keimzellen. Die frühzeitige Sonderung der Urgeſchlechts— zellen iſt noch bei einer ganzen Anzahl von Formen bekannt: bei Schwämmen, bei Platt- würmern, bei dem Wurm Sagitta, bei einigen Weichtieren, vielen Gliederfüßlern und einer Anzahl von Wirbeltieren. Keine der Zellen, die in die Keimbahn gehören, leiſtet für das Individuum irgendwelche Arbeit, weder für Bewegung noch für Ernährung noch für Exkretion. Sie beeinfluſſen den Körper in der Hauptſache nur mittelbar, indem ſie ihm Nährſtoffe entziehen. Sie haben keine Funktion, die dem Körper als ſolchem zu— gute käme, ſondern verbleiben durchaus ruhig und werden deshalb in keiner Weiſe abgenutzt, wie es die Körperzellen werden. Ihr Verhalten zu den Körper— zellen iſt ähnlich wie das des Kleinkerns zum Groß— kern bei den Wimperinfuſorien, die deshalb oben als unabgenutzter und als Gebrauchskern bezeichnet wurden. Man kann ſagen: das befruchtete Ei ſcheidet bei Abb. 345. Vierzellenſtadium des Keims ſeinen Teilungen eine Anzahl Stücke ab, die zu Körper Emal geteiltes Ei) von Ascaris megalo- zellen, zum „Soma“, werden und deren Beſchaffenheit cephala CIO q. In den Zellen 1, 2, 3, von denen 1 und 2 vom von der des Eies mehr oder weniger verſchieden wird; Haben fh die Ghromoiomen unter Mhtapung nach Abſonderung dieſer Elemente bleiben die Urge- ee d e en gebe ſchlechtszellen übrig als die weſensgleichen Nachkommen find fie zuſammenhängend geblieben. des Eies. Sie müſſen nur an Maſſe zunehmen, und die Nach Boveri. 2 9 5 5 Stoffe dazu werden ihnen durch die Körperzellen geliefert. Dieſe Nahrung wird von ihnen aſſimiliert; ihre Eigenſchaften werden dadurch ebenſo— wenig beeinflußt, wie die Eigenſchaften eines menſchlichen Kindes durch Ammenmilch oder Kuhmilch, die es erhält. Die Körperzellen bilden gleichſam nur eine Hülle und Amme für die Geſchlechtszellen. Es werden alſo die Geſchlechtszellen nicht von dem Körper des Tieres produziert, in dem ſie liegen, ſondern ſie ſelbſt bringen dieſen hervor; die Ge— ſchlechtszellen aber in ihrer Geſamtheit ſtammen unmittelbar von den Keimzellen der Eltern des betreffenden Individuums, nämlich von dem mütterlichen Ei und dem väterlichen Spermatozoon, und dieſe wiederum ſtammen ihrerſeits von den Keimzellen der vier Groß— eltern, das Ei von dem Ei und Spermatozoon, aus denen das Muttertier entſtand, und das Spermatozoon entſprechend. So exiſtiert ein direkter ſubſtantieller Zuſammenhang der Keimzellen durch die ganze Vorfahrenreihe eines Individuums (Abb. 346); die einzelnen Individuen dieſer Vorfahrenreihe jedoch, die in der Hauptſache aus Körperzellen beſtehen, ſind nicht in ſo unmittelbarem Zuſammenhang; jede Geſchlechtszellengeneration muß ſich ihre Hülle ſelber bilden und deshalb, weil ihre Bildung von weſensgleichen Zellen ausgeht, ſind dieſe Hüllen, die betreffenden Träger der Geſchlechtszellen, einander ähnlich. Den Kontinuität des Keimplasmas. 549 Zu . der Keimbahnen und damit des ihnen enthaltenen Keimplasmas durch die ganze Vorfahrenreihe bezeichnet man mit Weismann als die Kontinuität des Keimplasmas. Nach dieſer Auffaſſung macht es dem Verſtändnis keine Schwierigkeit, wenn das Kind von den Eltern die Eigenſchaften „erbt“ 2 die i 5 en a Ei ® 6 Samenfaden Samenſaden @ 86 ie in dere K plas | ſchon begründet lagen; . nur der Ausdruck iſt falſch: das Kind über— nimmt dieſe Eigenſchaft nicht von den Eltern, nicht von deren Körper— zellen, deren Soma, ſon— dern von dem Keim— plasma; es ſchöpft aus derſelben Quelle, aus der auch jene ſchon ge— ſchöpft haben. Anders liegt der Fall, wenn an den Körperzellen der Eltern eine Verände— een rung vor ſich geht, die in dem Keimplasma LEE) nicht begründet war, z. B. wenn durch eine Verletzung eine Narbe entſteht, oder wenn z. B. einem Hund der Schwanz gekürzt wird. Wenn ſich ſolche am Körper neu er— Hd did worbene Eigenschaften, ſomatogene Eigenſchaf— ten, auf die Nachkommen übertragen würden, ſo würden wir dem ohne Erklärung gegenüber— ſtehen. Obgleich aber oft behauptet iſt, daß ſolche Abb. 346. Schema, die Abſtammung der Fortpflanzungszellen und Körper- 8 (Soma-)zellen aus dem befruchteten Ei darſtellend. neu erworbene Eigen— 0 ſind die Fortpflanzungszellen und ihre direkten Vorfahren (die Keimbahn), O die Körper— ſchaften auf die Nach⸗ zellen. Die Zahl der Zellgenerationen in den drei Stammbäumen (von Vater, Mutter- und A einem Tochtertier) iſt viel zu gering angenommen. kommenſchaft vererbt worden wären, ſo hat ſich keines der dafür angeführten Beiſpiele als ſtichhaltig erwieſen. Sicher iſt, daß in den allermeiſten Fällen von vornherein eine ſolche Vererbung ganz gewiß nicht ſtattfindet: das Stutzen der Schwänze und Ohren bei gewiſſen Hunderaſſen, das Täto— wieren der Maoris, die Beſchneidung der Juden und andere Veränderungen im Beſtande der Körperzellen ſind durch viele Generationen wiederholt, die Sprengung des Hymens Samenfaden 0 Ei 6 ) 80. Samenfaden I 5 550 Nichtvererbung ſomatogener Eigenſchaften. beim menſchlichen Weibe findet in jeder Generation ausnahmslos ſtatt, und alle dieſe Verletzungen hinterlaſſen keine Spuren. Es fehlt auch jeder Anhalt dafür, daß Eigen— ſchaften, die vom Individuum durch Übung erworben ſind, wie der ſtarke Arm des Schmieds oder die durch Draining erreichte Ausdauer des Rennpferdes, ſich auf die Nachkommen vererben. Was die Anhänger der Vererbung erworbener, d. i. ſomatogener Eigenſchaften an angeblichem Tatſachenmaterial für ihre Anſicht ins Feld führen, iſt entweder durch völlig ungenügende Beobachtung geſtützt oder geht auf Berichte unge— ſchulter Perſonen zurück und iſt damit durchaus verdächtig, — oder es beruht auf einer falſchen Auffaſſung von „erworbenen Eigenſchaften“. Die Frage wäre längſt einwandfrei entſchieden, wenn es möglich wäre, eine tatſächlich vererbte Eigenſchaft als ſicher ſomatogen darzutun; ſich hier mit ungenügenden Beweisgründen abgefunden zu haben, iſt der Vor— wurf, der den Anhängern der Vererbung ſomatogener Eigenſchaften gemacht werden muß. So kann z. B. erworbene Giftimmunität von Mäuſen auf ihre Jungen übertragen werden, und das iſt als Fall einer Vererbung erworbener Eigenſchaften dargeſtellt; aber die Vererbung geſchieht nur von Seiten des Weibchens, und kommt ſo zuſtande, daß das im Körper gebildete Gegengift auch den Embryo durchdringt, alſo dem jungen Tier mit— gegeben wird. Ebenſo beruht die erbliche Übertragung der Hühnertuberkuloſe nach— gewieſener Maßen auf Infektion des Eies mit dem Krankheitserreger. Deshalb gehen wir hier gar nicht näher auf die Theorien ein, durch die das Zuſtandekommen einer ſolchen Vererbung erklärt werden ſoll, wie die Pangeneſis-Hypotheſe Darwins u. a. b) Variation des Keimplasmas. Mancher wird zunächſt verblüfft fragen: wie iſt eine erbliche Variation möglich, wenn die am Soma auftretenden Veränderungen nicht vererbbar ſein ſollen? Die Ant— wort iſt, daß das Keimplasma ſelbſt variieren kann, ſo gut wie das Protoplasma anderer Zellen. Allerdings wird dieſe Variation für uns erſt in der nächſten Generation wahr— nehmbar und iſt daher ſcheinbar erſt hier aufgetreten; wir können ſie zunächſt nicht von ſolchen unterſcheiden, die vom Soma erworben ſind, die alſo durch Veränderung der Körperzellen erſt in dieſer Generation angebahnt ſind. Das Kriterium der germinogenen Veränderung liegt eben in ihrer Vererbung, obgleich Fälle möglich ſind, wo es trotz Vererbung der Anlage nicht zu deren Entfaltung kommt (vgl. unten). Natürlich geben auch die Anhänger der Vererbung ſomatogener Eigenſchaften das Vorkommen und die Vererbbarkeit der germinogenen Abänderungen zu; aber ſie beſtreiten, daß ſie allein zur Vererbung kommen. Im Keimplasma variieren alſo die Anlagen, und die geringſte Abänderung an der Anlage wird bei der „Entfaltung der Anlage“, wenn ſie aktiv wird und bedingend auf die Geſtaltung des ſich entwickelnden Individuums einwirkt, zu merk— lichen Umbildungen im Soma führen — ſo etwa wie ein geringer Eingriff in die Knoſpe eine ſtarke Umbildung des daraus entſtehenden Triebes hervorruft. Zu der Variation des Keimplasmas iſt damit der Grund gelegt, daß es im Einzelindividuum wächſt, indem aus der Urgeſchlechtszelle eine große Anzahl von Geſchlechtszellen entſtehen; das geſchieht durch Aufnahme von Nährſtoffen, die aſſimiliert werden, und dabei können vielleicht kleine Abänderungen auftreten. Denn die Aſſimilation ſteht nicht unter abſolut konſtanten Bedingungen: die Beſchaffenheit des Blutes, die Art der Nahrung und Stoffe, die neben— bei mit ihr aufgenommen werden, vielleicht das Klima, bei wechſelwarmen Tieren ſicher auch die Temperatur wirken auf das Keimplasma ein und werden es beſonders während ſeines Wachstums, aber auch ſonſt beeinfluſſen können. Beeinflufjung des Keimplasmas. Mutationen. 551 Ein Beiſpiel für eine Abänderung, für die wir die Urſache mit größter Wahrſchein— lichkeit ins Keimplasma verlegen müſſen, berichtet Darwin: Es traten bei zwei als Zwillinge geborenen Mädchen, die einander ſehr ähnlich waren, eine Anzahl gleichartiger Unregelmäßigkeiten auf; bei beiden waren die kleinen Finger an beiden Händen gekrümmt, und der zweite Lückzahn des bleibenden Gebiſſes im Oberkiefer war vom erſten Backen— zahn nach innen zu gerückt, eine Eigentümlichkeit, die weder den Eltern noch ſonſt einem Familiengliede zukam. Daß hier eine gleichartige Beeinfluſſung der Zwillinge im mütterlichen Körper die Urſache ſein könnte, läßt ſich für die zweite Beſonderheit kaum einwenden, da dieſe ja erſt beim Zahnwechſel, im Alter von etwa 11 Jahren, auftritt. Wenn wir die vielfach angenommene Hypotheſe zugrunde legen, daß identiſche Zwillinge aus einem Ei hervorgehen, läßt ſich das Zuſammentreffen dieſer Anomalien aus der Beſchaffenheit des Keimplasmas im Ei erklären; daß eine ſelbſtändige Variation der Körper— zellen bei beiden Individuen unabhängig zum gleichen Ergebnis führen ſollte, iſt ausgeſchloſſen. Ein Beiſpiel für die Beeinfluſſung des Keimplasmas durch äußere Einwirkungen dürfte in folgendem zu ſehen ſein. Wenn man die Puppen von Schmetterlingen bald nach der Verpuppung eine Zeitlang unter erniedrigter Temperatur hält, ſo bekommt der ausſchlüpfende Schmetterling oft eine andere Färbung als die normale. Bei dem braunen Bären (Arctia caja L.) können die Vorderflügel faſt ganz ſchwarzbraun werden, die Hinterflügel vergrößerte dunkle Flecke bekommen; ſo veränderte Falter pflanzten ſich in der Gefangenſchaft fort, und ihre Nachkommen zeigten z. T. ähnliche, wenn auch minder ſtarke Verfärbungen, ohne daß ſie im Puppenzuſtande der Kälte ausgeſetzt wurden. Die Kältewirkung trifft bei dieſen Experimenten nicht die ſchon gefärbten Flügel, ſondern ſie tritt zu einer Zeit ein, wo die Flügel in der Puppe noch ungefärbt ſind; ſie beeinflußt alſo die Anlagen für die Färbung, und es iſt verſtändlich, daß die entſprechenden An— lagen im Keimplasma der Puppe, die ja ebenfalls der niedrigen Temperatur ausgeſetzt ſind, in gleicher Richtung verändert wurden, wenngleich weniger ſtark, da ſie ſich in einem anderen funktionellen Zuſtande befanden als jene. Die meiſten Variationen, die wir beobachten, ſind nur unbedeutend und bewegen ſich im allgemeinen innerhalb beſtimmter Grenzen, die für eine Tierart durch vergleichende Unterſuchung leicht beſtimmbar ſind: innerhalb der Variationsbreite der Art. Es kommen aber auch Variationen vor, die über dieſe Grenze hinausgehen, die unvermittelt einen größeren Betrag von Abweichung aufweiſen, ſogenannte Sprungvariationen oder Muta— tionen. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß ſie auf Abänderungen des Keimplasmas beruhen, die bei der Entfaltung der Anlage ſich entſprechend vergrößern. Als Beiſpiel ſei der „Stachelſchweinmenſch“ Lambert aufgeführt, deſſen Haut bedeckt war mit ſchwieligen Vorſprüngen, die ſich periodiſch erneuerten. Alle ſeine ſechs Kinder und zwei ſeiner Enkel waren in gleicher Weiſe entſtellt. Auch die ganz unvermittelte Variation eines Widderlamms gehört hierher, dem die einſt in Maſſachuſetts gezüchtete Raſſe der Ankon— ſchafe ihre Entſtehung verdankt: dieſes Lamm hatte einen langen Rücken und kurze krumme Beine wie ein Dachshund und vererbte dieſe Eigenſchaften rein auf einen Teil ſeiner Nachkommen. Beſonders merkwürdig iſt dieſer Fall, weil eine ähnliche Mißgeſtalt auch plötzlich bei einem Pferdefüllen aufgetreten iſt — ſie wurde leider nicht auf ihre Ver— erbungsfähigkeit erprobt. Wahrſcheinlich verdankt auch die Raſſe der Dachshunde einem ähnlichen „Zufall“ ihre Entſtehung. Dieſe an drei verſchiedenen Säugerarten in ähnlicher Weiſe aufgetretenen Variationen regen zu weiteren Überlegungen an. Ein Organismus — und ein ſolcher iſt auch das 552 Beſtimmt gerichtete Entwicklung. Keimplasma — kann nicht in beliebiger Weiſe variieren, ſondern es beſtehen gewiſſe Beſchränkungen, und in manchen Richtungen kann die Variation leichter eintreten als in anderen. Noch keinem Züchter iſt es gelungen, eine blaue Roſe oder eine grüne Taube hervorzubringen. Dagegen ſind bei verſchiedenen Arten unſerer domeſtizierten Vögel Federhauben auf dem Kopf erzüchtet: bei Hühnern, Enten, Tauben, Kanarienvögeln; ſie haben unabhängig voneinander in gleicher Richtung variiert. Wenn die Variation bei den Gliedern einer Generationsreihe in der einmal eingeſchlageuen Richtung beharrt und ſich im weiteren Verlauf der Reihe noch ſteigert, ſo ergibt das eine fortſchreitende Ent— wicklung in beſtimmter Richtung. Dieſe kontinuierliche Steigerung kann unmöglich an die ſtets wieder unterbrochene Reihe der aufeinanderfolgenden Somata der Individuen gebunden ſein; ſie bedarf einer kontinuierlichen Grundlage, und das iſt das Keimplasma. Wir können uns ſehr wohl vorſtellen, daß derartige Reihen durch Fortſchreiten des Variierens in beſtimmter Richtung im Keimplasma entſtehen. Eines der bekannteſten Beiſpiele für beſtimmt gerichtete Entwicklung iſt die zunehmende Veräſtelung und Vergrößerung des Geweihes in der Entwicklungsreihe der Hirſche: die älteſten Hirſchgeweihe aus dem mittleren Miocän waren klein und gabelförmig; ſchon im oberen Miocän und im Pliocän finden ſich größere Geweihe, jede Stange mit drei Enden, eine Vergrößerung, die den Trägern wahrſcheinlich Vorteil im Kampf gegen Feinde und Nebenbuhler brachte; dann traten Achtender mit bedeutend größerem Geweih auf, und im oberen Pliocän und im Diluvium erſcheinen ſchließlich Formen mit ſtets zunehmender Größe und Endenzahl der Geweihe, bis endlich beim Rieſenhirſch (Cervus euryceros Aldr., Tafel 12) und Ver— wandten das Geweih geradezu monſtrös groß wurde. Ein ſolch koloſſaler Luxus, wie er in der jährlichen Neubildung eines derartigen Geweihs und in dem Kraftaufwand zum Tragen und Handhaben desſelben liegt, kann unmöglich vorteilhaft ſein; vielmehr wurden die Beſitzer ſchwerfällig zum Kampf und bei der Flucht behindert, und es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß das Ausſterben ſolcher Formen durch dieſen Aufwand befördert wurde. — Ebenfalls durch beſtimmt gerichtete Entwicklung führte die anfangs vorteil— hafte Vergrößerung der Eckzähne bei katzenartigen Raubtieren zu der Ausbildung der gewaltigen Säbelzähne bei Machaerodus und Smilodon, die durch ihre Länge beim Freſſen hinderlich ſein mußten und wohl mit Recht als die Urſache für das Ausſterben dieſer Formenreihe angeſehen werden. Beſtimmt gerichtete Entwicklung hat wohl auch die mächtigen, mit ihrer Spitze zurückgebogenen Stoßzähne des Mammut, den gewaltigen Stoßzahn des Narwals (Monodon) und die langen, faſt 2 m erreichenden Schwanzfedern bei den Hähnen der japanischen Phoenix-Hühner entſtehen laſſen. c) Die Verſchiedenheit der Chromofomen. An den Zuſammenhang der Keimbahnen durch die Individuenreihen der Generationen hindurch laſſen ſich noch andere wichtige Überlegungen knüpfen. Die in dem befruchteten Ei vereinigten Chromoſomen ſtammen zur Hälfte von väterlicher, zur Hälfte von mütter— licher Seite, und wenn die Theorie von der Individualität der Chromoſomen richtig iſt, ſo müſſen dieſe Chromoſomen dauernd ihre Eigenſchaften geſondert behalten und ſich unvermiſcht neben ihren Nachbarchromoſomen bewahren. Soweit die Verſchiedenheit der Elterntiere ein Ausdruck der Verſchiedenheit des ihre Entwicklung leitenden Keimplasmas iſt, müſſen alſo auch dieſe zwei Partieen von Chromoſomen verſchieden ſein. Aber auch bei den Elterntieren enthalten ja die Zellen Chromoſomen verſchiedener Herkunft, nämlich Riefenbirfch (Cervus eury os Aldrovandi), rekonſtruiert. ic n, Tierbau u. Tierleben. — Verſchiedenheit der Chromoſomen. 553 je von zwei Großelterntieren, und ſo geht es weiter zurück. So wäre es möglich, daß alle Chromoſomen eines befruchteten Eies verſchiedener Abſtammung ſind. Boveri hat nun durch Verſuche ſehr wahrſcheinlich gemacht, daß die einzelnen Chromoſomen eines Kerns verſchiedenwertig ſind, daher Anlagen für verſchiedene Körper teile enthalten. Wenn man das Ei mit Betäubungsmitteln, wie Chloroform, lähmt, jo kann man bewirken, daß mehr als ein Spermatozoon in dasſelbe eindringt. Hat man nun ein Ei mit zwei Spermatozoen befruchtet, jo treten die beiden Zentralkörper, die dadurch hineinkommen, bei der Teilung in Wirkſamkeit; jeder teilt ſich in zwei, zwiſchen dieſen vier Tochterzentralkörpern entſtehen Teilungsfiguren und die Zelle teilt ſich gleich in vier Teile. Für die vier Tochterzellen ſind aber nur die Chromoſomen von drei Kernen vorhanden, die in unregelmäßiger Weiſe auf ſie verteilt werden. Wenn man die vier Zellen, die aus einem normal befruchteten Seeigelei durch die beiden erſten Zweiteilungen entſtehen, voneinander trennt, ſo kann ſich, wie wir noch beſprechen werden, aus jeder dieſer Zellen eine der normalen ähnliche, nur kleinere Larve entwickeln. Tut man das gleiche bei dem mit zwei Spermatozoen befruchteten Ei, jo entwickeln ſich die vier Teilzellen ebenfalls weiter; aber ſie entwickeln ſich nicht alle gleich, ſondern in ſehr verſchiedenem Maße pathologiſch. Wenn dieſe fehlerhafte Entwicklung auf Störungen im Plasma zurückginge, ſo müßten ſich alle vier Teilzellen in gleicher Weiſe pathologiſch entwickeln; die Verſchiedenheit aber beruht offenbar auf der verſchiedenen Chromatin— verteilung, und die Abnormität darauf, daß jede Zelle nicht alle zu ihrer Entwicklung notwendigen Chromoſomen erhalten hat. An zu geringer Zahl der Chromoſomen kann es nicht liegen; denn bei künſtlicher Parthenogeneſe und bei Befruchtung kernloſer Eibruch— ſtücke, wo ja nur die Hälfte der gewöhnlichen Chromoſomenzahl vorhanden iſt, entſtehen ja normalausſehende Larven. Somit muß man annehmen, daß die einzelnen Chromo— ſomen innerhalb eines Spermatozoons oder eines reifen Eies untereinander verſchieden— wertig ſind — daß etwa, um ein grobes Beiſpiel zu fingieren, das eine die Anlage für den Kopf, das andere für den Rumpf, ein drittes und viertes für die Arme und Beine enthält — und daß zur normalen Entwicklung die vollſtändige Reihe, die ganze „Garnitur“ der Chromoſomen notwendig iſt. Da ſowohl der Eikern wie der Sperma— kern für ſich allein die Entwicklung eines normalen Embryos leiten kann, muß die redu— zierte Chromoſomenzahl die vollſtändige Reihe vorſtellen, und im befruchteten Ei ebenſo wie in allen daraus hervorgehenden Zellen müſſen zwei entſprechende Garnituren vor— handen ſein, alſo von jeder Art Chromoſoma zwei Stück, eines aus dem väterlichen und eines aus dem mütterlichen Kern. Bei der Redukionsteilung aber müſſen Vorkehrungen getroffen ſein, daß dadurch die Vollſtändigkeit der Chromoſomenreihe nicht geſtört wird, daß jede der Zellen mit redu— ziertem Chromatin eine vollſtändige Garnitur Chromoſomen behält. Man kennt nun Tierformen, bei denen die Verſchiedenwertigkeit der Chromoſomen auch äußerlich in ihrer verſchiedenen Größe hervortritt; am deutlichſten iſt das bei der ſchon genannten Heu— ſchrecke Brachystola (Abb. 336). Dort finden ſich in den Spermatogonien ſechs ſehr kleine und ſechzehn größere Chromoſomen, und zwar ſind in jeder der beiden Gruppen wieder Abſtufungen vorhanden; jede Größe ſcheint paarweiſe vorhanden. Bei der Bildung der Vierergruppen vereinigen ſich je zwei gleich große Chromoſomen, und nach der Reduktionsteilung ſind drei kleine und acht größere Chromoſomen in den Samenzellen vorhanden. Wenn wir annehmen, daß von den paarweiſe gleichen Chromoſomen das eine von väterlicher, das andere von mütterlicher Seite ſtammt, ſo würden ſich alſo bei der Bildung 554 Kombinationen der Chromoſomen. der Vierergruppen vor der Reduktionsteilung die gleichwertigen väterlichen und mütterlichen Chromoſomen vereinigen. Dadurch wird die Integrität der Chromoſomengarnitur gewahrt. Ein Beiſpiel möge zeigen, wie die Wirkung iſt. In den Körperzellen und unredu— zierten Keimzellen einer Tierart ſeien acht Chromoſomen, vier väterliche abe, und vier mütterliche «55 oͤ; die mit entſprechenden Buchſtaben bezeichneten ſeien gleichwertig. In der Spermatocyte finden wir dann vier Vierergruppen, 455 11 En und = Reduktionsleitung wird es nun verſchieden jein, welche Chromoſomen in den einen, welche in den anderen Kern geraten, und es ſind in den Samenzellen folgende Chromoſomen— kombinationen möglich, die jedesmal eine ganze Garnitur der Chromoſomen dieſer Art darſtellen: abed, abeò, abyd, aßcd, abcd, abyd, aßcd, aß yd, «bcd, abyd, aßcd, aB yo, hq, aßed, aßyd, 5 . Es find alſo Spermatozoen von jechzehn Arten mit verſchiedener Kombination der Chromoſomen möglich. Dasſelbe gilt für die Eier. Je größer die Zahl der Chromoſomen, deſto größer iſt auch die Möglichkeit verſchiedener Kombinationen; bei Tieren mit zwölf Chromoſomen in den unreduzierten Zellen ſind 64 verſchiedene Kombinationen in den reifen Geſchlechtszellen möglich, bei 16 Chromo— ſomen ſind es deren 256, bei 20 Chromoſomen 1024, bei 32 ſogar 65536 Kombinationen. Es gibt nun aber ebenſo vielerlei Eizellen wie Samenzellen bei einer Tierart, und bei der Befruchtung kann jede beliebige Eizelle mit jedem beliebigen Spermatozoon zur Kopulation kommen. Im befruchteten Ei ſind daher noch viel mehr Kombinations— möglichkeiten der Chromoſomen gegeben: bei 8 Chromoſomen in den unreduzierten Zellen, alſo wenn 16 Arten von Samenzellen und Eiern mit verſchiedenwertigem Chromo— ſomenbeſtand exiſtieren, iſt die Zahl der möglichen Kombinationen 162 = 256; bei 12 Chromoſomen iſt die Zahl ſchon 64 - 4096, bei 16 Chromoſomen 65536, bei 20 Chromoſomen über 1 Million, bei 32 Chromoſomen etwa 4295 Millionen! Da aber nach unſeren Ausführungen die Chromoſomen Träger der Anlagen für beſtimmte Merk— male ſind, ſo ſind die Chromoſomenkombinationen gleichbedeutend mit Anlagekombina— tionen; die Nachkommen eines Tieres, das 8 Chromoſomen in ſeinen Körperzellen be— ſitzt, können in 256 fach verſchiedener Weiſe durch ererbte Anlage verſchieden ſein. Aus dieſer Darlegung leuchtet ein, daß durch die Art und Weiſe, wie die Amphi— mixis unter vorhergehender Reduktion der Chromoſomen ihren Ablauf nimmt, die Ver— ſchiedenheit der Nachkommen eines Tierpaares untereinander von vornherein gewähr— leiſtet wird. Für die Kinder eines Menſchenpaares gibt es, wenn wir die Chromo— ſomenzahl hier zu 24 annehmen, 2704156 verſchiedene Anlagenkombinationen, und die Wahrſcheinlichkeit, daß ſich zwei Geſchwiſter genau gleichen, ſelbſt dann, wenn ihr Aus— ſehen nur von inneren Urſachen, ohne äußere Einwirkungen beſtimmt wird, iſt 1: 2,7 Millionen.!) So wird eine beſtimmte Variation innerhalb derſelben Tierart durch dieſe Einrichtungen bewirkt, und ſolche Variabilität bildet eine der Grundlagen für den Fort— ſchritt. Denn gewiſſe Merkmalskombinationen werden anderen überlegen ſein und da— durch den Individuen, die ſie beſitzen, günſtigere Bedingungen und ihren Nachkommen günſtigere Ausſicht geben. Aber man darf dieſe Variabilität in ihren Wirkungen nicht über— ſchätzen; ſie wird ſich im allgemeinen in einem engen Rahmen halten; denn gerade durch die Amphimixis wird ein ſtarkes Abweichen von dem Durchſchnittstypus der Art unmöglich ge— macht, indem bedeutendere Abänderungen nach einer Seite durch Miſchung mit unveränderten bei der 1) Dabei iſt natürlich von ſogenannten eineiigen Zwillingen abgeſehen, die völlig gleiche Chromo— ſomen haben müſſen. „Mendelnde“ Baſtarde. 555 oder in entgegengeſetztem Sinne variierenden Individuen ausgeglichen werden. Immer aber bildet die Qualitätenmiſchung im befruchteten Ei die Grundtatſache, auf die die Vererbungs— geſetze zurückgehen. d) Die Mendelſche Regel. Bei der Tatſache, daß je zwei Chromoſomen in dem befruchteten Ei und daher auch in den Körperzellen gleichwertig ſind, müſſen wir noch eine Zeitlang verweilen. Nehmen wir in ganz roher Weiſe an, das betreffende Chromoſoma enthalte etwa das— jenige Keimplasma, das für die Entwicklung eines Beines beſtimmend wirkte — ſo ein— fach wird die Sache in Wirklichkeit wahrſcheinlich nicht liegen — ſo würde das Bein doppelt, vielleicht in ganz verſchiedener Weiſe beeinflußt werden, und es läge dann die Möglichkeit vor, daß entweder beide Chromoſomen ihren Einfluß gleich ſtark geltend machten und der Erfolg dann die Mitte halten würde, oder daß die eine Einwirkung ſtärker wäre und über die andere ſiegte; in letzterem Falle könnte hier eine rein mütter— liche oder eine rein väterliche Erbſchaft zum Vorſchein kommen. Wir kennen nun in der Tat Vererbungserſcheinungen, wo die Nachkommen nicht die Mitte zwiſchen den beiden Eltern halten, ſondern einſeitig nach dem einen derſelben ſchlagen. Wenn man z. B. Gartenſchnecken (Helix hortensis Müll.) mit ungebändertem und ſolche mit fünfbändrigem Gehäuſe paart, ſo ſind die Nachkommen alle ungebändert. Paart man dieſe aber wieder untereinander, ſo treten in der Enkelgeneration neben un— gebänderten wieder fünfbändrige Gehäuſe in beſtimmter Anzahl auf. Ebenſo ſind bei der Paarung grauer und weißer Mäuſe alle Nachkommen erſter Generation grau, und erſt in der nächſten Generation finden ſich wieder weiße Individuen. An Pflanzen, die ja für Baſtardierungsverſuche bei weitem günſtiger ſind als Tiere, hat man in großem Umfange Verſuche gemacht und iſt zu genaueren Ergebniſſen gelangt. Wenn man Erbſen, deren Samen einen gelben Keim haben (A in untenſtehemden Schema J), mit ſolchen kreuzt, deren Samen einen grünen Keim haben (B in Schema I), jo erntet man in der erſten Generation lauter gelbkeimige Samen; die durch Beſtäubung mit dem eigenen Pollen erzeugten Nachkommen dieſer Generation geben teils Samen mit grünen, teils ſolche mit gelben Keimen, und zwar iſt die Zahl der letzteren dreimal ſo groß als die der erſteren (die Zahlen, die ſich bei einem Verſuch ergeben haben, find 775: 247). Die ſo erhaltenen grünkeimigen Erbſen pflanzen ſich rein fort; von den gelbkeimigen dagegen bringen einzelne, und zwar ein Drittel (im Verſuch 7 von 21) nur gelbkeimige Samen, die übrigen zwei Drittel bringen teils gelb-, teils grünkeimige Samen, wieder im Verhältnis von 3:1 (im Verſuch 462: 149). In ähnlicher Weiſe geht es fort; das folgende Schema I wird das verdeutlichen, und zwar für zwittrige Pflanzen, bei denen die Zucht der Tochter— generationen durch Selbſtbeſtäubung der Blüten mit dem eigenen Pollen die Verhältniſſe ſehr vereinfacht: Schema! (Tatſachen) Schema II (Deutung) Eltern: A B dd rr Tochtergeneration: A dr Enkelgeneration: A A A B dd dr rd rr Urenkelgeneration: A B B VVV — — — — —— — Ururenkelgeneration: AA AA AB B B dd dd dd dr ıd ır rr rr 556 Theoretiſche Erklärung des „Mendelns“. Allgemein geſagt: zwei Raſſen von Tieren oder Pflanzen, die man miteinander verbaſtardiert, weichen in beſtimmten Merkmalen voneinander ab; zwei einander ent— ſprechende verſchiedene Merkmale kann man als antagoniſtiſche bezeichnen, wie Einfärbig— keit und Bänderung bei der Gartenſchnecke, gelbe und grüne Farbe des Keimes bei der Erbſe. Von den antagoniſtiſchen Merkmalen tritt dann eines in der Baſtardgeneration allein auf, bei den Schnecken die Einfarbigkeit, bei den Erbſen die gelbe Farbe des Keimes: dieſes heißt das dominierende; das andere Merkmal des antagoniſtiſchen Paares bleibt in der Baſtardgeneration latent und tritt erſt in der Enkelgeneration wieder auf: es heißt das rezeſſive Merkmal. Dieſe Verhältniſſe wurden von dem Brünner Abt Gregor Mendel durch eingehende Experimente an Pflanzen erkannt und im Jahre 1866 bekannt gegeben. Es verhalten ſich aber nicht alle Varietäten oder verwandte Arten ſo, daß von den ſie unterſcheidenden antagoniſtiſchen Merkmalspaaren das eine Merkmal bei Baſtardierung dominiert, das andere rezeſſiv iſt; z. B. bei Auer- und Birkwild oder bei Spinnern halten die Baſtarde in den meiſten Merkmalen etwa die Mitte zwiſchen den Elterntieren. Wo wir ſolche Paare von dominierenden und rezeſſiven antagoniſtiſchen Merk— malen bei kreuzungsfähigen Raſſen oder Arten finden, ſagen wir von dieſen, daß ſie „mendeln“. Daß dieſes „Mendeln“ von beſtimmten Regeln beherrſcht wird, geht aus der ver— blüffenden Regelmäßigkeit der Zahlenverhältniſſe hervor. Die oben entwickelten Ver— erbungstheorien geben uns für dieſe ſonderbaren Erſcheinungen einen Schlüſſel (vgl. S. 555 Schema II mit Schema I). In den beiden Eltern A und B iſt die Anlage für die antagoniſtiſchen Merkmale je in zwei gleichwertigen (einem von väterlicher und einem von mütterlicher Seite ererbten) Chromoſomen enthalten, wahrſcheinlich neben anderen Anlagen; fie mögen für das dominierende Merkmal mit 4, für das rezeſſive mit er be— zeichnet werden. Die reifen männlichen und weiblichen Geſchlechtszellen enthalten das betreffende Chromoſoma nur einmal, die von A nur d, die von B nur r. Bei der Kreuzung wird alſo, mag nun A als männlich, B als weiblich funktionieren oder um— gekehrt, in dem befruchteten Ei ſtets ein Chromoſoma d mit einem r zuſammentreffen, und da d ſtärker iſt als r, ſo wird die ganze Tochtergeneration nach den Eltern mit dem dominierenden Merkmal ſchlagen. Bei der Entſtehung der reifen Geſchlechts— produkte dieſer Tochtergeneration wird nun jedesmal eines der betreffenden Chromoſomen durch Reduktion entfernt: es muß alſo die Hälfte der Spermatozoen das Chromoſom d, die andere Hälfte das Chromoſomer enthalten, und für die Eier iſt dasſelbe nach der Wahrſcheinlichkeitsrechnung anzunehmen. Durch die Kopulation (Befruchtung) kommen dann gleichviele von jeder der vier folgenden Kombinationen zuſtande: dd, dr, rd, rr. Dreiviertel der Enkel, nämlich die mit den Chromoſomen dd, dr und rd, haben äußer— lich das gleiche Ausſehen, fie zeigen das dominierende Merkmal. Bei denen mit dd ijt auch in der Konſtitution nur dieſes vorhanden; bei denen mit dr und rd kommt aber das Chromoſom für das rezeſſive Merkmal noch vor und tritt in der Hälfte der reifen Keimzellen und damit auch in einem beſtimmten Teile der Nachkommenſchaft aufs neue auf. Die Enkel mit den Chromoſomen rr tragen natürlich das rezeſſive Merkmal zur Schau, das hier nicht durch die Konkurrenz des dominierenden Merkmals unterdrückt wird. Daß die Reduktion der Chromoſomenzahl in den reifen Geſchlechtszellen in ſo auffällige Parallele mit den Erfolgen der Baſtardierungen geſtellt werden kann, ſpricht ſehr zugunſten der Hypotheſe, daß die Chromoſomen das Keimplasma vorſtellen oder doch enthalten. Mendel hat ſchon eine ſolche Erklärung gegeben, die in die Sprache der hier entwickelten Theorie überſetzt lauten würde: Der Baſtard bildet Geſchlechtskerne, Rückſchlag. Dan 2 in denen die einzelnen Merkmale der Eltern in allen möglichen Kombinationen vereinigt ſind, aber nie die beiden Merkmale eines antagoniſtiſchen Paares miteinander vorkommen; jede dieſer Merkmalskombinationen kommt annähernd gleich oft vor. Correns, der gleichzeitig mit De Vries und Tſchermak dieſe Geſetzmäßigkeiten neu entdeckt hat, be— zeichnet das als die Mendelſche Regel. Die Tatſache, daß beſtimmte Merkmale über das antagoniſtiſche Merkmal anderer Individuen bei Kreuzungen dominieren und andere rezeſſiv in ſpäteren Generationen wiederkehren, iſt ſehr wichtig. Denn während vielfach durch die Amphimixis neu auf— tretende Merkmale, ſoweit ſie nicht mendeln, wieder verwiſcht werden, halten ſich men— delnde Merkmale unvermiſcht und können ſich, wenn ſie dem Tiere Vorteil bringen und ſeine Fortexiſtenz begünſtigen, auf die Nachkommen mehr und mehr verbreiten, dieſen ein Übergewicht geben und ſo ſchließlich zur Entſtehung neuer Raſſen oder gar Arten führen. Wir kennen Beiſpiele für mendelnde neu auftretende Merkmale aus der Ge— ſchichte der Tier- und Pflanzenzucht: ſo den oben ſchon angeführten Stammvater der Ankonſchafe, der 1791 in Maſſachuſetts geboren wurde, oder die plötzlich entſtandene ſtachel— loſe Akazie und die ausläuferloſe Gartenerbſe, von denen alle Pflanzen ſolcher Art abſtammen. Die hier dargelegte Vererbungstheorie mit ihren verſchiedenen Hilfshypotheſen, wie der Annahme der Individualität der Chromoſomen und der Gleichſetzung von Keimplasma und Chromatin, iſt eben eine Theorie, und in ihren einzelnen Teilen nicht unbeſtritten. Ihre erklärende Kraft gegenüber den zahlenmäßig feſtgeſtellten Tatſachen muß daher für den Wert der Theorie ſchwer ins Gewicht fallen. Wenn wir auch nicht mit dem Mikro— ſkop die Anlagen für die einzelnen Merkmale in den Keimzellen feſtſtellen können, ſo iſt doch „der entfaltete Organismus gleichſam ein Spektrum, in welchem die kleinſten Beſonderheiten der Keimzelle unſeren Wahrnehmungsmitteln zugänglich werden“. Die Baſtardierungsverſuche mit Raſſen, bei denen dominierende und rezeſſive Merk— male miteinander konkurrieren, zeigen uns zugleich recht nachdrücklich, wie durch viele Generationen Anlagen latent bleiben können, ohne unterzugehen, um dann bei Gelegen— heit ſich wieder Geltung zu ſchaffen, wahrſcheinlich wenn ihre ſtärkeren Konkurrenten ge— ſchwächt oder verſchwunden ſind. Dies plötzliche Wiederauftreten von Merkmalen ent— fernter Vorfahren wird als Rückſchlag oder Atavis mus bezeichnet. So treffen wir zuweilen bei Pferden an den Füßen Andeutung von Zebraſtreifung; es treten als Selten— heit mehrzehige Pferde auf, an deren Füßen die rudimentären Mittelhand- und Mittel— fußknochen wenigſtens auf einer Seite eine kleine Zehe mit Huf tragen, wie das bei Hipparion und anderen Pferdeahnen der Fall war (S. 73f.). Verwilderte Haustiere, wie Hunde und Schweine, ſchlagen in Färbung, Aufrechtſtellung der Ohren und anderen Eigentümlichkeiten auf ihre Stammformen zurück. Eines der bekannteſten Beiſpiele von Atavismus bietet ein Kreuzungsverſuch, durch den Darwin ſeine Anſicht von der Ab— ſtammung unſerer Haustaubenraſſen von der Felstaube begründete: bei Kreuzung zweier verſchiedener Raſſen, die kein Blau in ihrem Gefieder und keine Flügelbinden haben, wie ſchwarze Barbtauben und rote Bläßtauben, treten häufig Blaufärbung und eine Doppelbinde über den Flügeln auf, wie fie für die Felstaube (Columba livia L.), die Stammutter unſerer Haustauben, charakteriſtiſch ſind. e) Verjüngung durch Ampbimikxis. Bisher haben wir die Amphimixis hauptſächlich in der Abſicht näher analyjiert, um aus ihren Tatſachen Folgerungen zu ziehen für die morphologiſche Erklärung der 558 Fortpflanzung der Infuſorien ohne Konjugation. Vererbungserſcheinungen; wir haben den Begriff der Vererbungsträger, des Keimplasmas feſtgelegt, haben dann in den Chromoſomen die beſtimmten Einheiten des Keimplasmas vermutet und aus ihrer Reduktion bei der Reifung der Geſchlechtszellen Folgerungen gezogen, die ſich mit den Tatſachen in gute Übereinſtimmung bringen ließen. Darüber iſt eine ſehr wichtige Seite der Amphimixis noch unberückſichtigt geblieben, nämlich die Verjüngung, die durch ſie herbeigeführt wird. Die Allgemeinheit der Kernkopulation in den beiden Organismenreichen und die Regelmäßigkeit, mit der die Fortpflanzungsarten ohne Kopulation durch die Gamogonie abgelöſt werden, machen es von vornherein wahrſcheinlich, daß die Zellvermehrung durch Zweiteilung nicht von ſich ſelbſt aus unbeſchränkt lange fortdauern kann. Es ſcheint, daß die Fähigkeit der Zellen ſich zu teilen, wodurch die Vermehrung der Organismen in letzter Inſtanz überall gewährleiſtet wird, ſchließlich infolge der Abnutzung der Zellen aufhört, wenn nicht eine Verjüngung eintritt. Dieſe Verjüngung wird, wie man an— nimmt, durch die Kopulation bewirkt. Man hatte ſolche Überlegungen ſchon auf Grund der angeführten Tatſachen gemacht, ohne einen förmlichen Beweis dafür in der Hand zu haben. Da lieferte Maupas durch ſeine Züchtungsverſuche mit Infuſorien eine Stütze für dieſe Annahme, die geradezu einem Beweiſe gleichkommt. Maupas beobachtete, daß ſich Infuſorien nicht unbeſchränkt lange züchten laſſen, wenn man die Konjugation verhindert; dies kann man, indem man nur nahe Verwandte in den Zuchtgläſern beieinander läßt und ſie bei gutem Ernährungs— zuſtande hält, da Hunger die Neigung zu konjugieren befördert. So laſſen ſich dieſe Protozoen viele Monate lang unter fortgeſetzter Zweiteilung züchten. Aber allmählich werden die Kulturen ſchwächer; zuerſt geht die Körpergröße zurück; dann treten krank— hafte Erſcheinungen am Wimperbeſatz der Tierchen auf, indem ſich ſtellenweiſe die Wimpern unregelmäßig ausbilden oder ganz ſchwinden; ſchließlich zeigt der Kernapparat Zerfallerſcheinungen und es kommt zum Ausſterben der Zucht. So konnte Maupas Stylonychia mytilus Ehrbg. durch 316 Generationen, Leucophrys patula Ehrbg. ſogar durch 660 am Leben erhalten; aber ſchließlich gingen ſie zugrunde. Dagegen iſt der Untergang zu vermeiden, wenn man beim erſten Auftreten der Degenerationserſcheinungen die Tierchen zur Konjugation veranlaßt, indem man ihnen die Nahrung entzieht und Individuen einer nicht nahe verwandten Zucht hinzuſetzt. — Die Verſuche wurden neuerdings an Paramaecium caudatum Ehrbg. durch Calkins wiederholt und es ſchien, daß die Degeneration ſich auch noch durch andere Mittel aufhalten laſſe, nämlich durch Anderungen in der Ernährung der Tiere; nach je 120—150 Generationen trat eine Depreſſion in der Zucht ein, die ſich durch beſtimmte abnorme Erſcheinungen an den Individuen ankündigte, aber durch das angegebene Mittel überwunden wurde. Auf ſolche Weiſe konnten in 23 Monaten 742 Generationen gezüchtet werden. Schließlich aber ging die Zucht doch zugrunde, ohne daß die ſeitherigen Mittel halfen, und zwar waren die dem Ausſterben vorangehenden Schwächeerſcheinungen andere als bei den vorhergehenden Depreſſionen. Alſo auch hier das gleiche Ergebnis wie bei Maupa2. Man könnte ja einwenden, daß der Verſuch nur ein negatives Ergebnis habe, daß das Mittel, auch die letzte Degeneration hintanzuhalten, nur noch nicht gefunden ſei; aber die anderen Begleiterſcheinungen bei dieſer Degeneration laſſen auf andere Urſachen ſchließen — und wenn durch 742 Generationen die Zucht gelang, ſo muß man wohl zugeben, daß die Lebensbedingungen den Tieren zuſagten. Ein weiterer Beweis aber für die verjüngende Wirkung der Konjugation liegt in Verjüngende Wirkung der Kopulation. 559 der poſitiven Angabe, daß von Paramaecium nach der Konjugation in einem Falle 354, in einem anderen 376 Generationen bis zum Eintreten einer Depreſſion erzogen wurden, während ſonſt zwiſchen zwei Depreſſionsperioden nur etwa 120—150 Generationen ein— geſchaltet waren. In der gleichen Weiſe wie die Infuſorien in den beſchriebenen Verſuchen bilden ſich die Körperzellen bei den vielzelligen Tieren aus der befruchteten Eizelle durch viele auf— einander folgende Zweiteilungen ohne eingeſchaltete Kopulation. Auch hier nimmt nach beſtimmter Zeit die Teilungsfähigkeit ab, die Zellen werden durch ihre Tätigkeit ab— genutzt, degenerieren und finden keinen Erſatz: die Zellgemeinſchaft altert. Die Alters— ſymptome, wie ſie uns beſonders vom Menſchen geläufig ſind, entſprechen der Degenera— tion, die dem Ausſterben einer Infuſorienzucht mit verhinderter Konjugation vorausgehen. Die Vermehrung der Epidermiszellen hört auf, die Haut wird dürr und die Neubildung von Haaren iſt unmöglich; Wunden verheilen langſam, Knochenbrüche oft gar nicht mehr; die Muskeln werden ſchwach und die Geiſtestätigkeiten laſſen nach. Schließlich tritt der natürliche Tod ein. Daß bei verſchiedenen Tierarten die Teilungsfähigkeit der Zellen verſchieden lange anhält, findet ſeine Parallele darin, daß derſelbe Unterſucher, Maupas, mit den gleichen Mitteln bei Stylonychia etwa 320, bei Leucophrys dagegen 660 Tei— lungsfolgen nacheinander erhielt, bis Erſchöpfung der Teilungsfähigkeit eintrat. Die Zahl der Zellteilungen, die bei Infuſorien ohne eingeſchobene Konjugation beobachtet wurden, dürfte bei weitem genügen, den Zellbedarf ſelbſt für einen großen vielzelligen Körper zu liefern; denn durch 320 aufeinander folgende Zweiteilungen bildet ſich aus einer Zelle eine Zahl von Zellen, die mit 96 Nullen geſchrieben würde, und 660 Zweiteilungen, wie bei Leucophrys, würden eine Zahl mit faſt 200 Nullen ergeben. Knoſpung und Teilung könnte man dann ſo auffaſſen, daß die Teilungsfähigkeit der Körperzellen bei einem Individuum durch deſſen Wachstum nicht erſchöpft wurde und nun durch weiteres Wachstum über das individuelle Maß hinaus ausgenutzt wird; aber eben deshalb kommen dieſe Fortpflanzungsweiſen nur bei kleinen Formen und Tierarten vor. Anders als für die Körperzellen liegt die Sache für die Zellen der Keimbahn. Dieſe haben vom befruchteten Ei durch die Urgeſchlechtszelle bis zu ihrer Reife bei weitem weniger Teilungen durchzumachen als die Körperzellen. Die 50000 Eier einer Bienen— königin gehen durch 16 aufeinanderfolgende Teilungen aus der Urgeſchlechtszelle hervor, und um die 340 Billionen Spermazoen, die ſchätzungsweiſe ein Menſch während ſeines Lebens hervorbringt, aus der Urgeſchlechtszelle zu produzieren, genügen 45 Zweiteilungen. Das Teilungsvermögen der Keimzellen, ſpeziell der Eier, iſt alſo durchaus nicht erſchöpft, um ſo weniger als bei ihnen keine Abnutzung durch animaliſche Funktionen eintritt wie bei den Protozoen oder den Körperzellen der Metazoin. Es muß alſo einen anderen Grund haben, wenn Spermatozoen und Eier zugrunde gehen, wenn es nicht zur Kopu— lation kommt. Das Spermatozoon hat keine Vorratsſtoffe und beſitzt nicht die Fähig— keit, ſich ſelbſtändig zu ernähren. Anders beim Ei; daß das unbefruchtete Ei ſich nicht weiter entwickelt, kann ſeinen Grund nur in einer Hemmung haben, die durch die Be— fruchtung behoben wird, etwa in einer Stockung des Stoffwechſels oder Ahnlichem. Wir können in dieſer Einrichtung eine Sicherung erblicken, wodurch eine Entwicklung ohne Kopulation hintangehalten und damit die Teilungsfähigkeit der Körperzellen erhöht wird. Ausgenutzt wird die Teilungsfähigkeit der Keimbahnzellen dagegen in Fällen, wo durch mehrere Generationen parthenogenetiſche Fortpflanzung in periodiſchem Wechſel mit einer Gamogeneſe ſtattfindet. Hier muß mehrmals nacheinander das reife Ei ſich weiter 560 Vegetative und parthenogenetiſche Fortpflanzung und Kopulationsbedürftigkeit. teilen, ohne daß zuvor eine Kopulation eintritt. Wenn wir annehmen, daß bei der Stab— heuſchrecke Bacillus rossii Fab. in dem Entwicklungsſtadium mit etwa 250 Furchungs— zellen, das iſt nach acht Teilungen, ſich im Embryo die Urgeſchlechtszelle geſondert hat, und daß ſich aus dieſer etwa 500 Eier entwickeln, wozu 9 Zweiteilungen notwendig wären, ſo würden in der Entwicklungsfolge der Fortpflanzungszellen von einer Genera— tion zur anderen etwa 17 Zellteilungen aufeinanderfolgen. Setzen wir nun für dieſe Zellen die Zahl der möglichen Teilungen ohne eingeſchobene Kopulation auf etwa 600 an — was in Anbetracht des Fehlens von Abnutzung ſehr niedrig gegriffen iſt — ſo wäre die Zahl der Generationen, die mit parthenogenetiſcher Fortpflanzung aufeinander folgen können, 36; bei der einjährigen Dauer der Generation dieſer Tiere wäre alſo nur alle 36 Jahre das Auftreten von Männchen notwendig. Bei den Blattläuſen können jene Zahlen bei der beſchränkten Eizahl viel kleiner genommen werden, ſo daß man für eine Generation in der Keimbahn nur vielleicht 10— 12 ſukzeſſive Teilungen anzuſetzen braucht; es können ſich alſo noch weit mehr Generationen — bei obiger Annahme von 600 möglichen Teilungen alſo 60—50 — ohne Eintreten von Gamogonie folgen. Die Parthenogeneſe ſpricht alſo nicht ohne weiteres gegen die Annahme einer beſchränkten Teilungsmöglichkeit von Zellfolgen ohne Kopulation; wenn bei Bacillus bisher nur wenige Männchen gefunden, wenn die Blattläuſe durch mehrere Jahre in rein parthenogenetiſchen Generationsreihen gezüchtet ſind, ſo haben dieſe Angaben keine Beweiskraft gegen jene ſonſt gut geſtützte Hypotheſe. Es ſind noch ausgedehnte Verſuche notwendig, um die Ver— hältniſſe völlig klar zu ſtellen. Die Erfahrungen bei der oben geſchilderten Züchtung von Infuſorien eröffnen uns aber noch einen weiteren Ausblick auf das Weſen der Kopulation. Es zeigt ſich nämlich, daß nahe Verwandte, d. h. ſolche Individuen, deren gemeinſamer Vorfahr nur um wenige Teilungen zurückliegt, nicht miteinander konjugieren, auch dann nicht, wenn man ſie faſten läßt, was bei Individuen von verſchiedener Abſtammung ſofort Konjugation hervorruft. Nur in ſchon degenerierten Zuchten finden ſich zuweilen Konjugationen; aber dieſe enden mit dem Tode der beiden Paarlinge. So ſcheint es alſo, daß es nicht bloß auf Kopula— tion zweier Zellen überhaupt bzw. ihrer Kerne, ſondern auf eine ſolche von Zellen bzw. Kernen verſchiedener Abſtammung ankommt. Es muß ein gewiſſes Maß von Verſchieden— heit vorhanden ſein. Wie aber dieſes Maß nicht zu gering ſein darf, ſo darf es auch nicht zu groß ſein; denn es kopulieren nur Angehörige der gleichen Art miteinander. Ein Optimum der Verſchiedenheit der kopulierenden Kerne iſt alſo erforderlich, damit die Kopulation wirklich zu einer Verjüngung des Kernes und damit der Zelle führt. Für Metazoen iſt das Tatſachenmaterial, das man hier anführen kann, recht be— ſchränkt. Bei Beſprechung der Zwittrigkeit wurde ſchon erwähnt, daß vielfach Vorkeh— rungen getroffen ſind, die eine Selbſtbefruchtung verhindern; wenn in anderen Fällen Selbſtbefruchtung vorkommt, ſo wird ſie doch immer wieder von Fremdbefruchtung unter— brochen und bildet nirgends die ausſchließliche Art der Befruchtung. Bei den holz— brütigen Borkenkäfern (3. B. Tomicus lineatus Oliv.) ſoll die Begattung der Weibchen bereits an ihrer Geburtsſtätte durch Männchen von der gleichen Brut ſtattfinden; aber bei dem dichten Zuſammenwohnen, in dem dieſe Tiere meiſt vorkommen, wäre ein Ein— dringen von Nachbarmännchen in die Brutgänge leicht möglich und zeitweilige Fremd— befruchtung wahrſcheinlich. Sehr deutlich haben die Erfahrungen der Tierzüchter zu dem Ergebnis geführt, daß die Kopulation nahe verwandter Zellen nicht Verjüngung, ſondern Verfall zur Folge hat. Die Tierzüchter müſſen nämlich, um ihre Raſſen möglichſt rein Folgen der Inzucht. 561 zu halten, immer wieder Tiere der gleichen Herde miteinander kreuzen, alſo Eltern mit Kindern oder Geſchwiſter untereinander. Durch dieſe Inzucht, wie man das nennt, wird bewirkt, daß die guten Eigenſchaften der Raſſe nicht herabgedrückt werden durch Paarung mit Individuen, bei denen dieſe Vorzüge in geringerem Maße vorhanden ſind. Dabei hat ſich herausgeſtellt, daß fortgeſetzte Verwandtenpaarung überall mehr oder weniger ſchnell zur Degeneration führt: die Konſtitution der Jungen wird ſchwächlich, fie find im allgemeinen kleiner, bei den Säugern wird die Haut dünn, die Behaarung ſpärlicher. Bei den verſchiedenen Tierarten treten noch beſondere Erſcheinungen auf: Meerſchweinchen werden albinotiſch und zeigen Mißbildungen, die Schweine ſind an den Beinen gelähmt, bei Hirſchen zeigen ſich Störungen im Aufbau des Geweihes, bei Bluthunden tritt eine Mißbildung des Schwanzes auf; Kanarienvögel lernen nicht ſelbſtändig freſſen, Axolotl werden albinotiſch. Beim Menſchen ſollen Kinder verwandter Eltern oft geiſtige Er— krankungen zeigen. Allgemein wird durch Inzucht die Fruchtbarkeit herabgeſetzt. Dagegen hat die Einführung „friſchen Blutes“, d. h. die Kreuzung mit nicht ver— wandten Individuen, womöglich mit ſolchen einer anderen Raſſe der gleichen Art, glän— zende Erfolge hinſichtlich der Stärke und Fruchtbarkeit der Nachkommen gebracht. Es ſei hier nur ein recht bezeichnendes Beiſpiel angeführt. Ein Züchter führte aus England eine trächtige Yorkſhire-Sau ein, und um die Raſſe rein zu halten, ließ er deren Nach— kommen ſich durch drei Generationen in enger Inzucht vermehren; er bekam aber die Schäden der Inzucht beſonders an der Unfruchtbarkeit und Schwäche der Nachkommen deutlich zu ſpüren. Eines der beſten Tiere brachte, mit einem Verwandten gekreuzt, das eine Mal 6, das andere Mal nur ſchwächliche Junge. Als er aber dasſelbe Schwein mit einem Eber von anderer Raſſe paarte, brachte es im erſten Wurf 21, im zweiten 19 ſtarke Junge. Die Notwendigkeit einer gewiſſen Verſchiedenheit zwiſchen den kopulierenden Kernen liegt vielleicht darin begründet, daß auf dieſe Weiſe ein Ausgleich zwiſchen den zweierlei nach verſchiedener Richtung variierenden Keimplasma-Arten ſtattfindet, während bei ver— wandten, nach gleicher Richtung variierenden Keimplasmen die Vereinigung zu einer Häufung der Abweichungen führt. Gerade in dem Ausgleich zwiſchen verſchiedenen Keim— plasmen liegt vielleicht die Hauptbedeutung der Kopulation und der Grund für ihre ver— jüngende Wirkung. Aber das ſind Vermutungen, für deren exakte Begründung das Tat— ſachenmaterial fehlt. f) Die Beltimmung des Geſchlechts. Schließlich drängt ſich hier noch eine Frage auf, deren Löſung in alter und neuer Zeit vielfach verſucht worden iſt, die Frage, wodurch das Geſchlecht eines Individuums beſtimmt ſei. Dieſe Frage hat nur Sinn in bezug auf getrenntgeſchlechtige Tiere; in bezug auf Zwitter beſteht ſie nicht. Wir können uns bezüglich der Zeit, wo die Entſcheidung über das Geſchlecht eines Lebeweſens fällt, drei Möglichkeiten denken. Entweder beſteht die Geſchlechtsbeſtimmung ſchon vor der Befruchtung, indem die Geſchlechtsprodukte, entweder die Eier oder die Spermatozoen, einen beſtimmten geſchlechtlichen Charakter haben, der durch das Zuſammen— treten beider bei der Kopulation nicht geändert wird; die Geſchlechtsbeſtimmung bezeichnet man dann als progam. Oder die Geſchlechtsbeſtimmung geſchieht erſt mit dem Zuſammen— treffen der männlichen und weiblichen Geſchlechtszellen bei der Befruchtung, ſie iſt ſyngam. Drittens iſt es auch denkbar, daß im befruchteten Ei noch keine Entſcheidung über das Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 36 562 Vorbeſtimmung des Geſchlechts in den Eiern. Geſchlecht des Individuums getroffen iſt, daß vielmehr erſt durch äußere Einwirkungen während der Entwicklung des Embryos die Geſchlechtsbeſtimmung ſtattfindet; ſie iſt dann epigam. Es iſt durchaus nicht notwendig, daß bei allen Lebeweſen die Beſtimmung des Geſchlechts in der gleichen Weiſe erfolgt; hier kann die eine, dort die andere Möglich— keit verwirklicht ſein. Wir kennen eine kleine Zahl von Fällen, wo wir mit Sicherheit ſagen können, daß in den Geſchlechtsprodukten das Geſchlecht ſchon beſtimmt iſt. So kommen bei manchen Tieren größere und kleinere Eier vor, und es entſtehen aus den größeren die Weibchen, aus den kleineren die Männchen. Am deutlichſten iſt das bei einem kleinen Ringel— wurm, Dinophilus apatris Korsch., wo der längere Durchmeſſer der größeren Eier mehr als doppelt ſo lang iſt als der der kleineren; nach vorausgegangener Befruchtung kommen aus den großen Eiern die Weibchen, aus den kleinen die zwerghaften Männchen. Beim Seidenſpinner (Bombyx mori L.) und Schwammſpinner (Oeneria dispar L.) kann man die Gelege in größere und kleinere Eier ſortieren und die kleineren liefern 88 —92 % Männchen, die größeren 88—95 % Weibchen. Auch bei dem Rädertier Hydatina senta Ehrbg. ſind die ſich ohne Befruchtung entwickelnden Eier, aus denen Weibchen bzw. Männchen werden, der Größe nach verſchieden; ebenſo kann man bei der Reblaus (Phylloxera vastatrix Pl.) die parthenogenetiſch ſich entwickelnden Eier, aus denen die Geſchlechtstiere kommen, nach ihrer Größe unterſcheiden. Beſtimmung des Geſchlechts im Ei muß man auch bei ſolchen parthenogenetiſch ſich entwickelnden Eiern annehmen, die unabänderlich das gleiche Geſchlecht liefern: durch Dzierzon und von Siebold iſt der Nachweis gebracht, den auch neueſte Unterſuchungen gegenüber Anzweiflung beſtätigt haben, daß die Männchen der Bienen ebenſo wie die der Hummeln, Weſpen und wahr— ſcheinlich auch Ameiſen aus unbefruchteten Eiern kommen; in dieſen Eiern muß alſo das männliche Geſchlecht vorbeſtimmt ſein. Andere Gliederfüßler und die Rädertiere legen periodenweiſe nur Eier, die ſich ohne Befruchtung zu Weibchen entwickeln; aber unter veränderten Bedingungen können bei ihnen auch Männchen aus unbefruchteten Eiern kommen, und deshalb können wir hier nicht ſicher ſein, ob das Geſchlecht ſchon im Ei vorgebildet iſt oder ob die äußeren Bedingungen einen Einfluß auf die Geſchlechts— beſtimmung haben. Viele Forſcher haben auf Grund dieſer Tatſachen, ſpeziell auf Grund der geſchlecht— lichen Vorausbeſtimmung befruchtungsbedürftiger Eier, die Annahme gemacht, daß nur dem Ei ein Einfluß auf die Beſtimmung des Geſchlechts zukomme, dem Spermatozoon aber ein ſolcher fehle. Eine ſolche Ungleichwertigkeit der Geſchlechtszellen wäre von vorn— herein, bei ihrer ſonſtigen Gleichwertigkeit, nicht ſehr wahrſcheinlich. Neuere Unter— ſuchungen haben denn auch demgegenüber zu Ergebniſſen geführt, aus denen ſich die Möglichkeit einer geſchlechtlichen Beſtimmtheit des Spermatozoons aufs deutlichſte ergibt. Bei manchen Wanzen findet man in den Spermatogonien eine ungerade Anzahl von Chromoſomen; wenn die Chromoſomen verſchiedene Größe zeigen, ſind alle Chromoſomen— ſorten paarweiſe vorhanden bis auf eines, das Heterochromoſom, und bei der Reduktions- teilung der Spermatocyten werden die Chromoſomen ſo verteilt, daß die Hälfte der Samenzellen ein Chromoſom mehr bekommt, gerade jenes Heterochromoſom. Die reifen Eier jedoch haben die gleiche Chromoſomenzahl. Daraus nun, daß in den Körperzellen der weiblichen Tiere ein Chromoſom weniger vorhanden iſt als in denen der Männchen, ergibt ſich, daß die Befruchtung eines Eies durch ein Spermatozoon ohne überſchüſſiges Chromoſom zur Entwicklung eines weiblichen Tieres führt, daß dagegen die Sperma— Syngame Geſchlechtsbeſtimmung. 563 tozoen mit Heterochromoſom männlich prädeſtiniert ſind und dem Ei dieſen Geſchlechts— charakter aufprägen. Nicht bei allen Wanzen geſchieht die Spermatogeneſe nach dem eben geſchilderten Typus. Bei manchen iſt neben dem Heterochromoſom noch das Rudiment eines Chromo— ſoms vorhanden, das dem Heterochromoſom gleichſam gepaart iſt und bei der Reduktions— teilung dementſprechend verſchoben wird, jo daß die zweite Art von Spermatozoön an— ſtatt des Heterochromoſoms dies Rudiment erhält. Bei noch anderen iſt die Chromo— ſomenzahl gerade, alle Samenzellen bekommen die gleiche Zahl von Chromoſomen. Dies letztere dürfen wir wohl als den urſprünglichen Zuſtand anſehen, von dem aus durch Rudimentierung und ſchließliches Schwinden des Chromoſoms die beiden anderen ſich ableiten. Aber es iſt wahrſcheinlich, daß durch das Schwinden des Chromoſoms die Verſchiedenheit der zweierlei Spermatozoen nicht erſt entſtanden, ſondern nur ſichtbar geworden iſt, daß ſie aber auch dort ſchon im Weſen verſchieden ſind, nur für uns nicht wahrnehmbar, wo alle Spermatozoen die gleiche Zahl von Chromoſomen be— kommen. Die verſchiedene Größe der Eier iſt wahrſcheinlich nur eine äußerliche Begleit— erſcheinung der verſchiedenen geſchlechtlichen Beſtimmung und nicht die weſentliche Urſache für dieſe; gerade die weibliche Veranlagung bewirkt im Ei ſchon ein ſtärkeres Wachs— tum. Die verſchiedene Chromoſomenzahl der Kerne bei den Samenzellen kann man da— gegen eher mit der verſchiedenen Geſchlechtlichkeit in unmittelbaren Zuſammenhang bringen, da wir ja die Chromoſomen als wahrſcheinliche Anlagenkomplexe kennen gelernt haben. Es ſind dafür noch weitere Anhaltspunkte vorhanden. Bei der parthenogenetiſch er— zeugten zweigeſchlechtlichen Generation der Reblaus (Phylloxera) findet man in den Körperzellen der Weibchen 6, in denen der Männchen 5 Chromoſomen; hier müſſen alſo ſchon die unbefruchteten Eier 6 bzw. 5 Chromoſomen gehabt haben, und die Ge— ſchlechtsbeſtimmung dürfte mit der Verſchiedenheit der Chromoſomenzahl eng zuſammen— hängen. Bei der Spermatogeneſe teilt ſich die Spermatocyte in 2 Tochterzellen von verſchiedener Größe, deren größere 3, deren kleinere 2 Chromoſomen beſitzt; die kleineren Zellen degenerieren, die größeren teilen ſich ein zweites Mal zu zwei Samenzellen, deren jede ſomit 3 Chromoſomen erhält. Da bei der Reifung der Eier die Chromoſomenzahl auf 3 reduziert war, wird ſie durch die Befruchtung mit dieſen Spermatozoen wieder auf 6 ergänzt: die aus den befruchteten Eiern hervorgehende Reblausgeneration ſtimmt in der Chromoſomenzahl mit ihren Müttern überein, und in Übereinſtimmung damit ſind es lauter Weibchen. Ganz ebenſo liegen die Verhältniſſe bei der Blattlaus Aphis saliceti Kltb. So kennen wir Fälle, wo das Geſchlecht im Ei vorbeſtimmt iſt und das Sperma— tozoon keinen Einfluß auf deſſen Beſtimmung hat, wie bei Dinophilus, und andrerſeits ſolche, wo die Eier gleich ſind, die Geſchlechtsbeſtimmung aber durch die verſchiedene Be— ſchaffenheit des Chromatins in den Spermatozoen geſchieht, wie bei den Wanzen. Wir könnten annehmen, daß im erſteren Falle die Spermatazoen, im letzteren die Eier in— different ſind; es iſt aber wahrſcheinlicher, daß ſie auch eine beſtimmte geſchlechtliche Tendenz haben und nur durch die mit ihnen kopulierende Geſchlechtszelle umgeſtimmt werden, daß alſo die Geſchlechtsbeſtimmung nicht progam, ſondern ſyngam wäre. Das würde uns eine Erklärung für die Verhältniſſe bei der Honigbiene geben: hier ent— wickeln ſich ja die unbefruchteten Eier parthenogenetiſch zu Männchen, die befruchteten Eier liefern weibliche Tiere, Königinnen oder Arbeiter; man mußte danach annehmen, 36* 564 Syngame Geſchlechtsbeſtimmung. daß alle Eier eine männliche Tendenz haben, aber durch die Befruchtung weiblich um— geſtimmt werden. Die auch mögliche Annahme, daß männlich und weiblich veranlagte Eier vorhanden ſeien und letztere zugleich befruchtet werden, verträgt ſich nicht damit, daß aus allen von Arbeitern nach Verluſt der Königin abgelegten unbefruchteten Eiern nur Männchen kommen. Es wäre dann nur eine Art von Spermatozoen bei der Biene (und ebenſo bei Hummel und Weſpe) vorhanden. Nun hat Meves beobachtet, daß bei der Spermatogeneſe der Biene die Spermatocyte ſich in zwei ungleiche Zellen teilt, wovon die kleinere zugrunde geht; das erinnert auffällig an die Degeneration der klei— neren Tochterzellen der Spermatocyten bei Phylloxera und Aphis saliceti Kltb., wo ja auch nur weiblich geſtimmte Spermatozoen übrig bleiben; allerdings ſind bei der Biene die Chromoſomenzahlen jener Zellen nicht feſtgeſtellt, ſo daß ein ſicherer An— halt fehlt. Bei der geringen Zahl der Tatſachen, die bis jetzt für die Frage der Geſchlechts— beſtimmung zu Gebote ſtehen, greifen wir auf das Gebiet der Botanik hinüber, wo durch vorzüglich durchdachte Verſuche ein ausgezeichneter Beitrag zur Löſung dieſer Fragen ge— liefert iſt; er bietet zu den mehr morphologiſchen Tatſachen, die uns die Zoologie liefert, eine willkommene Ergänzung. Correns ſuchte die Frage zu löſen durch Kreuzung zweier verwandter Arten der Zaunrebe (Bryonia), von denen die eine, Bryonia dioica Jacg., zweihäuſig iſt, d. h. geſonderte männliche und weibliche Individuen hat, während die andere, Bryonia alba L., einhäuſig männliche und weibliche Blüten auf derſelben Pflanze trägt, alſo mit den tieriſchen Zwittern verglichen werden kann. Die befruchtete Keimzelle, aus der die einhäuſige Br. alba kommt, beſitzt keine beſondere geſchlechtliche Tendenz, und ebenſo wird dieſe bei den Keimzellen fehlen, die auf ihr entſtehen. Da— gegen haben die befruchteten Keimzellen von Br. dioica bald männliche, bald weibliche Tendenz, und es iſt auch eine geſchlechtliche Veranlagung der auf ihr erzeugten Keim— zellen anzunehmen. Die beiden Arten wurden auf dreierlei Weiſe gekreuzt, mit ver— ſchiedenem Erfolg: beſtäubt man die Blüten eines weiblichen Stockes von Bryonia dioica mit Pollen von Br. alba, ſo ergaben die Baſtardſamen lauter weibliche Pflanzen; es müſſen alſo die Eier von Br. dioica weiblich vorbeſtimmt ſein, da wir die zur Beſtäu— bung verwendeten Pollen der einhäuſigen Br. alba für indifferent halten müſſen. Be— ſtäubt man dagegen die Blüten einer weiblichen Br. dioica mit Pollen eines männlichen Stockes derſelben Art, ſo geben die Samen zur Hälfte männliche, zur Hälfte weibliche zweihäuſige Pflanzen; beſtäubt man weiter weibliche Blüten von Br. alba mit Pollen von Br. dioica, ſo ſind die aus den Baſtardſamen hervorgehenden Pflanzen zur Hälfte männlich, zur Hälfte weiblich. Daraus muß man folgern, daß die männlichen Keimzellen von Br. dioica zur Hälfte männliche, zur Hälfte weibliche Veranlagung haben. Die Ge— ſchlechtsbeſtimmung geſchieht hier mit der Befruchtung, indem die geſchlechtliche Tendenz der männlich geſtimmten Pollenzellen über die weibliche Veranlagung der dioica-Eier überwiegt, während die weiblich geſtimmten Pollenzellen natürlich keine Anderung der ebenſo geſtimmten Eizellen bewirken. Wir erhalten alſo beim Zuſammenkommen von männlicher und weiblicher Tendenz von beiderlei Keimzellen nicht eine Zwiſchenform, die ſowohl männlich wie weiblich, alſo zwitterig iſt; ſondern wie bei mendelnden Baſtarden dominiert das eine Merkmal über das andere. Dabei iſt es durchaus nicht notwendig, daß dieſes Dominieren überall in der gleichen Weiſe erfolgt: hier dominiert die Ver— anlagung der männlichen Keimzelle über die der weiblichen; bei Dinophilus dominieren die Tendenzen der Eier über die der Spermotozoen — wenn wirklich dieſe eine ge— Wirken äußere Einflüſſe auf die gejchlechtliche Tendenz der Keimzellen? 565 ſchlechtliche Veranlagung haben; wenn unſere obige Annahme bezüglich der Honigbiene richtig iſt, ſo dominiert dort die weibliche Beſtimmtheit des Spermatozoons über die männliche des Eies. Die jedesmalige „Kraft“ der geſchlechtbeſtimmenden Tendenzen iſt nach den Arten verſchieden. Es fällt alſo in den Beiſpielen gamogenetiſcher Fortpflanzung die Entſcheidung über das Geſchlecht durch die Befruchtung, alſo ſyngam, während ſie ja bei der Parthe— nogeneſe progam durch die geſchlechtliche Stimmung des Eies gegeben iſt. Für das Vorkommen einer epigamen Geſchlechtsbeſtimmung haben wir keinen Anhalt. Wohl aber kennen wir Tatſachen, die uns zu der Erwägung nötigen, ob die Geſchlechtstendenzen der Keimzellen bei ihrer Entſtehung im elterlichen Körper durch äußere Einflüſſe be— ſtimmt werden können. Blattläuſe z. B. können bei gleichmäßiger Temperatur, wie in Gewächshäuſern, lange Zeit hindurch ununterbrochen nur Weibchen hervorbringen, die ſich natürlich parthenogenetiſch fortpflanzen; im Freien dagegen bewirkt die Herabſetzung der Temperatur im Herbſt, oder vielleicht die damit verknüpfte Anderung in der Er— nährung, daß die parthenogenetiſchen Weibchen männliche und weibliche Nachkommen ge— bären oder, bei Phylloxera, männliche und weibliche Eier legen. Den Unterſchied dieſer Eier in der Chromoſomenzahl haben wir oben ſchon erörtert; es iſt wahrſcheinlich, daß dieſer durch die äußere Einwirkung herbeigeführt oder doch wenigſtens ausgelöſt worden iſt. Ebenſo kann bei Daphniden das Auftreten von Männcheneiern neben Weibchen— eiern durch Temperatureinflüſſe bewirkt werden, und die gleiche Beeinfluſſung des Geſchlechts kennen wir für Hydatina senta Ehrbg. (Genauere Angaben darüber bringt der 2. Band.) Dies alles ſind parthenogenetiſch ſich entwickelnde Männcheneier. Aber auch bei Dinophilus mit befruchtungsbedürftigen Eiern wird deren Geſchlechtstendenz durch die Temperatur beeinflußt: züchtet man die Tiere bei 10—12° (, fo verhält ſich die Zahl der Männchen— eier zu der der Weibcheneier wie 1:3, züchtet man fie bei 25“, fo ändert ſich das Ver— hältnis und wird 1: 1,75, ja zuweilen ſogar 1:1. Nach den Experimenten R. Hertwigs an Fröſchen ſcheint eine Umſtimmung der geſchlechtlichen Veranlagung auch durch ungenügende Reife oder Überreife der Eier her— beigeführt zu werden; wenigſtens erhielt er, ſpeziell bei der Befruchtung übereifer Eier, einen ſehr beträchtlichen Überſchuß an Männchen. Allerdings läßt die Erfahrung, daß bei manchen Baſtardierungen von Schmetterlingen oder bei Hungerzuchten von ſolchen ein beträchtlicher Männchenüberſchuß durch vorzeitiges Abſterben der weiblichen Indi— viduen wegen ihrer geringeren Widerſtandskraft zuſtande kommt, auch hier die Möglich— keit zu, daß der Männchenüberſchuß bei ſolchen Zuchten durch ähnliche Verhältniſſe be— dingt wird. Nach einer Anzahl von Beobachtungen hat es alſo den Anſchein, daß die Ent— ſcheidung über die geſchlechtliche Stimmung der Keimzelle mit der Beſchaffenheit ihres Kernes zuſammenhängt. Die Beſonderheit des Kernes, die geringere Anzahl von Chro— moſomen, tritt bei der Wanze Protenor, ſowie bei den Blattläuſen Phylloxera und Aphis saliceti Kltb. nicht bloß in den Zellen der Keimbahn, ſondern auch in den Körperzellen auf. Wieweit ähnliche Verhältniſſe verbreitet ſind, muß die weitere Unterſuchung zeigen. Jedenfalls ergibt ſich hieraus, daß ſich bei ſolchen Formen die geſchlechtliche Sonderung nicht bloß auf die Keimzellen erſtreckt, ſondern daß jede Körperzelle geſchlechtlich diffe— renziert iſt. Zu dieſem Ergebnis führte ſchon die Betrachtung der Kaſtrationsverſuche und ihrer Einflüſſe auf die ſekundären Geſchlechtsmerkmale, beſonders bei den Inſekten. Vielleicht hängt damit eine Erſcheinung zuſammen, die gelegentlich bei Gliederfüßlern 566 Jede Zelle eines Tieres iſt geſchlechtlich beſtimmt. auftritt, die Erſcheinung der lateralen Zwitter: bei Krebſen, Spinnentieren und beſon— ders bei Inſekten trifft man zuweilen Individuen, die auf der einen Seite die Merk— male des Männchens, auf der anderen die des Weibchens aufweiſen, genau in der Mittellinie ſtoßen beide zuſammen. Auch eine Anzahl Vögel mit ſolcher Zwitterbildung iſt bekannt geworden, z. B. ein Buchfink und ein Gimpel. Dabei gehören allerdings die Gonaden oft nur einem Geſchlecht an. Man kann ſich das vielleicht ſo erklären, daß der Samen- und Eikern von verſchiedener geſchlechtlicher Stimmung ſich in der befruchteten Eizelle nicht vereinigt haben, ſondern geſondert zu den Kernen der beiden erſten Furchungs— zellen geworden ſind, wobei jeder ſeine geſchlechtliche Tendenz der entſprechenden Hälfte des Tieres aufprägt. Daß ſolche laterale Zwitter beſonders häufig bei Baſtardierung von Schmetterlingen vorkommen, iſt dazu angetan, die Annahme ſolcher Unregelmäßigkeiten zu ſtützen. Ja, es gibt ſogar laterale Zwitter, deren Hälften nicht bloß nach dem Geſchlecht, ſondern auch nach der Artzugehörigkeit verſchieden find. Ein ſolcher iſt z. B. von Smerin- thus ocellata L. & Sm. populi L. bekannt: er iſt rechterſeits Sm. ocellata &, linkerſeits Sm. populi 2; anatomiſch wurde das Tier leider nicht unterfucht. Es ſind außerdem zahlreiche Verſuche gemacht, das Überwiegen des einen oder an— deren Geſchlechtes unter den Nachkommen höherer Tiere, ſpeziell des Menſchen und der Haustiere, auf verſchiedenartige Einflüſſe zurückzuführen. Man hat vor allem das Alter der Eltertiere, ihre geſchlechtliche Inanſpruchnahme, dann aber auch Inzucht, gute oder mangelhafte Ernährungsverhältniſſe zur Beſtimmung des Geſchlechts in Beziehung zu ſetzen geſucht. Aber die Begründungen, die dafür ins Feld geführt wurden, müſſen als durchaus ungenügend zurückgewieſen werden. Die ſtatiſtiſchen Erhebungen ſind zu wenig ſicher und liefern oft widerſprechende Ergebniſſe, und exakte Verſuche an Mäuſen, die O. Schultze angeſtellt hat, konnten die Berechtigung jener Annahmen in keiner Weiſe ſtützen. So gehen wir hier nicht näher darauf ein. C. Entwicklung. 1. Furchung und erfte Entwicklung. Das befruchtete Ei eines vielzelligen Tieres ſtellt eine einzige Zelle vor, und damit aus ihm wiederum ein vielzelliges Tier hervorgehen kann, muß es ſich fortgeſetzt teilen. A nk Die Veränderungen, die dabei äußerlich am Ei vor ſich gehen, 8 waren für das Froſchei ſchon beobachtet, ehe man die Zuſammen— ſetzung der Pflanzen und Tiere aus Zellen erkannt hatte; ſie waren daher nicht in ihrer wahren Bedeutung gewürdigt. Die Teilungen laſſen ſich äußerlich durch Auftreten von Furchen auf der Oberfläche des Eies erkennen (Abb. 347), und ſo erhielten dieſe Teilungserſcheinungen den Namen Furchung, den ſie bis — heute beibehalten haben. Danach findet man die Teilungsebenen 9 8 et als Furchen, die einzelnen durch die Teilung entſtandenen Zellen g b pe als Furchungskugeln oder Furchungszellen bezeichnet; wir werden für die letzteren meiſt den Namen Blaſtomeren gebrauchen. Am einfachſten läßt ſich die Furchung an kleinen Eiern verfolgen, wie ſie etwa die Stachelhäuter oder der Amphioxus haben; der letztere ſoll hier als Beiſpiel dienen (Abb. 348). Die beiden erſten Furchen ſtehen zueinander ſenkrecht und ſchneiden ſich in Furchung, Blaſtula- und Gaſtrulabildung. 567 einer Achſe, die zu dem Ei ſtets eine beſtimmte Lage hat; man bezeichnet dieſe Furchen, im Vergleich mit den Linienſyſtemen auf einem Erdglobus, als meridionale. Die dritte Furche ſteht ſenkrecht zur Achſe (0) und ſchneidet die beiden erſten unter rechtem Winkel; ſie heißt entſprechend äquatoriale Furche, auch wenn ſie die Achſe nicht genau halbiert, ſondern dem einem Pole näher liegt. Es folgen dann wieder meridionale und weiterhin äquatoriale Furchen, jo daß die Teilſtücke immer kleiner werden. Dabei bleiben infolge der nicht genau zentralen Lage der äquatorialen Furche die Blaſtomeren an dem einen Pol dauernd kleiner als die an dem anderen (D). Die beiden erſten Furchungszellen, die je eine Hälfte des Eies ausmachen, heißen Halbblaſtomeren, die vier erſten Viertel— blaſtomeren; die aus der dritten Teilung hervorgehenden heißen ebenſo Achtelblaſtomeren, auch wenn nicht jede genau ein Achtel des Eies beträgt, ſondern vier davon kleiner, vier größer find, und jo ſpricht man weiter von Ya, ½-Blaſtomeren. Die Blaſtomeren behalten aber nicht die Geſtalt von Halb-, Viertel-, Achtel- uſw. Kugeln, ſondern run— den ſich ab. Dadurch 1 B 1 entſteht im Innern a» vr: an des Blaſtomerenhau-— ee fens ein Hohlraum, | | - der Sich mehr und \ mehr vergrößert; an— fangs ſteht er mit der Umgebung noch in offener Verbindung, ſchließlich aber wird er ganz von den Blaſto— meren umſchloſſen, die ihn als einſchichtige, epithelartige Lage um— geben: es iſt die Abb. 348. Von der erſten Entwicklung des Amphioxus-Eies. Furchungshöhle oder 4 — 0 Zwei-, Vier-, Acht und Zweiunddreißig-Blaſtomeren-Stadium. 2 Blaſtula und F Gaſtrula, halbiert. das Blaſtocoel. Die ſo entſtandene Hohlkugel, die Blaſtula (Abb. 348 E), verläßt bei manchen Tieren die Eihülle als freiſchwimmende Larve, deren jede Zelle eine Wimper trägt, und bewegt ſich ſelbſtändig umher; beim Amphioxus geht die Entwicklung noch einige Zeit innerhalb der Eihülle fort. Nach weiteren Teilungen kommt es zu einer Einſtülpung der Hohlkugel von dem einen Pole her, wo die Blaſtomeren etwas größer ſind. Der Erfolg der vollendeten Einſtülpung iſt eine Larve von der Form eines doppelwandigen Bechers, die ſogenannte Gaſtrula (Abb. 348 F). Die eingeſtülpte Zellmaſſe begrenzt den Darm dieſer Larve, den „Urdarm“; ſeine Wandung übernimmt ausſchließlich die Aufnahme der Nahrung und ſorgt für die Ernährung des Ganzen; die Einſtülpungs— öffnung iſt der Urmund oder Blaſtoporus. Die Wimperzellen der Außenwand aber ſorgen für die Bewegung; ſie treiben die Larve nach dem Ausſchlüpfen mit dem abo— ralen, d. h. dem Urmund gegenüberliegenden Pole nach vorn; durch ihre Wimpertätigkeit werden zugleich kleinſte im Waſſer ſchwebende Teilchen gegen den Mundpol geſtrudelt und gelangen ſo in den Urdarm. Es haben alſo von den acht Blaſtomeren nach der dritten Furchungsteilung die vier größeren in der Hauptſache das Material für den Ur— 568 Einfluß des Dotters auf die Furchung. darm geliefert, die vier kleineren das für die äußere Bedeckung der Larve; da jener die vegetativen Verrichtungen der Larve, die Ernährung, dieſer die animalen Verrichtungen, Bewegung und Sinnestätigkeit obliegen, bezeichnet man wohl auch die Eihälfte mit den größeren Blaſtomeren als die vegetative, die mit den kleineren als animale, und die Ei— achſe hat einen vegetativen und einen animalen Pol. Durch die Einſtülpung des Urdarms iſt in der Larve die erſte Arbeitsteilung ein— getreten, es haben ſich die einfachſten Organe gebildet. Das Zellenmaterial, aus dem die äußere Bedeckung beſteht, wird als äußeres Keimblatt oder Ektoderm, das Zellen— material des Urdarms als inneres Keimblatt oder Entoderm unterſchieden. Da ſich aber vom Urdarm ſpäter noch eine Zellmaſſe abfaltet und ſich zwiſchen den Urdarmreſt und das Ektoderm einſchiebt, ſo muß man die urſprüngliche Maſſe desſelben als primäres Entoderm von dem ſpäter verminderten, dem ſekundären Entoderm und der mittleren Maſſe, dem Meſoderm, unterſcheiden. So kommt es zur Sonderung der Keimblätter. Die ſo beſchaffene Larve hat ſchon eine längliche Form und bildet ſich durch immer fortſchreitende Differenzierung auf größeren oder geringeren Umwegen zum jungen Tier um. In ähnlicher Weiſe wie es hier für den Amphioxus geſchildert wurde, verläuft die erſte Entwicklung bei ſehr vielen Eiern, aber nur bei kleineren, in denen wenig Nahrungs- dotter enthalten iſt, und auch da durchaus nicht bei allen gleich; ſo geſchieht z. B. bei den Fadenwürmern die Teilung des Eies in eine animale und eine vegetative „Hälfte“ ſchon durch die erſte Furche. Stets aber wird das Furchungsbild verändert, wenn die Menge des Nahrungsdotters im Ei größer wird. Bei den kleinen Eiern mit wenig Nahrungsdotter ſind die Dotterkörnchen meiſt ziem— lich gleichmäßig im Ei verteilt (ſogenannte iſolecithale Eier); nur ſind ſie am vegetativen Pol etwas reichlicher als am animalen. Wo das Ei durch reichliche Dottermaſſen größer wird, macht ſich meiſt eine ſchärfere Scheidung von Dotter und Eiprotoplasma geltend. Es ſind dann verſchiedene Typen der Dotteranordnung möglich: entweder findet eine ſtarke Anhäufung des Nahrungsdotters am vegetativen Pole ſtatt, und die Haupt— maſſe des Protoplasmas (Amphibien), unter Umſtänden alles Protoplasma (Knochen— fiſche, Sauropſiden) iſt an dem animalen Pole gelegen: das ſind ſogenannte telolecithale Eier; oder es ſammelt ſich der Dotter im Zenkrum des Eies und wird von dem Proto— plasma wie von einer Rinde umgeben: dieſe Eier heißen centrolecithal; fie kommen z. B. bei Rippenquallen und Gliederfüßlern vor. Der Dotter iſt eine tote Maſſe, ohne eigene Bewegung, und wird daher bei den Teilungen paſſiv, als Laſt, von dem Protoplasma des Eies mitgeſchleppt. Wenn nun in einem Teile der Zelle der Dotter reichlicher iſt, wie bei den telolecithalen Eiern am vegetativen Pol, ſo werden bei der äquatorialen Teilung die Teilungshälften dort größer werden: ſie bekommen etwa gleichviel Protoplasma wie die Schweſterzellen der animalen Seite, aber dazu noch den Dotter; die Furchungshöhle iſt dem entſprechend gegen den animalen Pol verſchoben; die Teilung iſt eine ausgeſprochen ungleiche, eine „inäquale.“ Ferner wird durch die hemmende Laſt die Teilung des Dotters dort etwas behindert; die Teilungsfurche ſchneidet nicht auf einmal ganz durch, ſondern in der vegetativen Ei— hälfte verzögert ſich die Trennung der Blaſtomeren. Ja, es kann ſogar der Dotter ſo das Übergewicht haben, daß es in dieſem Abſchnitt überhaupt nicht zur Teilung des Eies kommt: die Furchen ſchneiden nur von der animalen Seite her ein, aber ſie ſchnei— den nicht durch; die Furchung wird zu einer partiellen. Es liegt in äußerſter Fort— führung dieſes Verhaltens der gefurchte animale Teil als „Keimſcheibe“ der ungefurchten Übergänge zwiſchen totaler und diskoidaler Furchung. 569 vegetativen Maſſe auf; die Furchung iſt eine ſcheibenförmige, diskoidale. Ahnlich kann es bei den centrolecithalen Eiern ſein, wo bei großem Dotterreichtum die Furchen zwar auf der ganzen Oberfläche entſtehen, aber nicht bis zum Zentrum durchdringen; die Furchung iſt eine oberflächliche, ſuperficielle. Aus dieſen Angaben läßt ſich ſchon entnehmen, daß die Unterſchiede einerſeits zwiſchen der totalen äqualen Furchung kleiner dotterarmer Eier und der totalen inäqualen und partiellen diskoidalen Furchung, andererſeits zwiſchen der totalen, äqualen und der ſuperficiellen Furchung nur quantitative ſind, und es kommen dementſprechend überall Übergänge vor. So haben wir in der Reihe der Fiſche (Abb. 349) bei den Neunaugen (A) eine ausgeſprochen inäquale Teilung, bei der aber die Furchen noch ganz durch— ſchneiden; bei den dotterreichen Eiern des Störs (B) erreichen die Furchen den vege— Abb. 349. Gefurchte Eier vom Neunauge (A). Stör (ZB), Amia (C), Lepidosteus (D) und einem Knochenfiſch, Crenilabrus (Z). Verſchieden vergrößert. Nach Kupffer, Salensky, Whitman und Eyelesheimer, Balfour und Parker, Kopſch. tativen Pol viel langſamer. Noch mehr verlangſamt iſt das Durchſchneiden der Furchen bei dem Knochenganoiden Amia (C) wo einige den Pol nicht mehr ganz erreichen; bei einem anderen Knochenganoiden, Lepidosteus (D), bleibt der vegetative Pol ungefurcht, immerhin aber dringen die Hauptfurchen noch ziemlich weit gegen ihn vor; ſchließlich iſt es bei den Kochenfiſchen (E) nur eine vom Dotter geſonderte Protoplasmaſcheibe, die gefurcht wird. So ſind alle Übergänge von totaler zu ausgeſprochen diskoidaler Furchung vorhanden. — Von zentrolecithalen Eiern furcht ſich das Ei der Rippenquallen total. Unter den Gliederfüßlern dagegen iſt faſt durchweg die ſuperficielle Furchung verbreitet— Bei manchen Krebschen (Daphniden) aber, deren dotterreichere Wintereier ſich ſuperficiell furchen, ſehen wir an den dotterärmeren Sommereiern anfangs eine totale äquale Fur— chung, die aber in ſpäteren Stadien zu einer ſuperficiellen wird dadurch, daß die dotter— reichen Innenenden der Blaſtomeren wieder zuſammenfließen. 570 Gaſtrulation bei dotterreichen Eiern. Da der Dottergehalt der Eier etwas Sekundäres iſt, ſo dürfen wir mit Recht an— nehmen, daß dotterarme Eier die urſprünglichere Form darſtellen und auch in ihrer Furchung und Entwicklung urſprünglichere Verhältniſſe darbieten als die dotterreichen, und daß die Vorgänge bei den letzteren ſich auf jene zurückführen laſſen. Die vielen Übergänge, die von den Extremen der diskoidalen und ſuperficiellen Furchung zu dem gemeinſamen Ausgangspunkt, der totalen äqualen Furchung führen, ſprechen ſehr zugunſten jener Annahme. Dazu kommt, daß dotterarme Eier mit totaler, nahezu äqualer Furchung in allen Tierkreiſen verbreitet ſind, während Eier mit diskoidaler Furchung nur bei den Tintenfiſchen und vielen Wirbeltieren, ſolche mit ſuperficieller Furchung nur bei den Gliederfüßlern vorkommen. Es wäre noch kurz zu betrachten, wie die Bildung des doppelwandigen Keims, die Gaſtrulation, bei den Eiern mit reichlichem Dottergehalt vor ſich geht. Bei den centro- | W eee - ER ſetzt ſich die das Innere ganz erfüllende Dotter— maſſe, die die Stelle der Furchungshöhle ein— nimmt, der Einſtülpung des Urdarms. Dies Hin— dernis ſehen wir bei manchen Formen in der Weiſe beſeitigt, daß die Zellen des Urdarms bei der Einſtülpung den Dotter gleichſam durch ſich hindurchfiltrieren, indem ſie ihn aufnehmen | und an der entgegenge- | ſetzten Seite in ſich auf— Abb. 350. Gaſtrulabildung. 4 bei einem ſuperficiell gefurchtem Ei (3. B. Flußkrebs), ſpeichern (Abb. 350 A); in dem die vegetativen Blaſtomeren den Dotter auffreſſen und ſo in den Urdarm befördern es kommt auch vor, daß und BZ durch Umwachſung der großen vegetativen Blaſtomeren (die hier zahlreiche kleine, 8 ſpäter einen großen Fetttropfen enthalten) durch die kleinen animalen Zellen, bei Bonellia, die zum Urdarm werden— a und “ in Aufblick, e im Durchſchnitt — A nach Lang, B im Anſchluß an Spengel. den Zellen ſich trennen und gleichſam ausgeſchwärmt, aber mit gleicher Front durch den Dotter hindurch wandern, der dadurch ins Innere des Urdarms gelangt; andre Abänderungen, die den gleichen Erfolg haben, mögen unerwähnt bleiben. Aber bei vielen ſehr dotterreichen Eiern, beſonders bei denen der Inſekten, ſind die Verhältniſſe ſo durchaus abweichend, daß eine Übereinſtimmung in ihrer Deutung zurzeit nicht beſteht. Ahnliches finden wir bei den dotterreichſten telolecithalen Eiern. In manchen Fällen, z. B. bei Rippenquallen oder manchen Würmern, entſteht der doppelwandige Keim ſo, daß die großen und dotterreichen vegetativen Blaſtomeren, die unmöglich in die Furchungshöhle eingeſtülpt werden könnten, von den kleinen Blaſto— meren des animalen Pols umwachſen werden (Abb. 350 B). Bei den Amphibieneiern iſt zwar die Einſtülpung völlig deutlich, aber ihre Stelle iſt nicht die Mitte des vege— tativen Pols, ſondern der Rand, wo der dünnere Teil der Furchungshöhlenwand in den dickeren übergeht, und die Gaſtrulabildung wird erſt vollendet dadurch, daß die kleinen Furchungszellen die großen vegetativen völlig umwachſen. Bei Reptilien nimmt man Gaſträatheorie. 570 mit Wahrſcheinlichkeit eine Einſtülpung nahe dem Rande der Keimſcheibe als Urdarm— bildung an, und das würde dann auch für die Vögel und Säuger gelten; aber dieſe Deutung iſt nicht unbeſtritten; jedenfalls verzögert ſich die Vollendung der Gaſtrulation auch hier, bis der Dotter völlig von den Furchungszellen umwachſen iſt. Bei den Tinten— fiſchen iſt ebenfalls die Frage der Gaſtrulabildung noch ſehr wenig geklärt. Dotterreich— tum der Eier führt überall dazu, daß die klaren Verhältniſſe verwiſcht werden, die ſich bei der Entwicklung dotterarmer Eier ſo leicht verfolgen laſſen. In der Mehrzahl der Fälle läßt ſich Furchung und Gaſtrulabildung auf ſolch ein— fache Vorgänge zurückführen, wie ſie oben vom Amphioxus geſchildert wurden. Das drängt zu der Anſicht, daß dieſe Vorgänge deshalb ſo große Ahnlichkeit zeigen, weil ſie von gemeinſamen Vorfahren ererbt wurden. Sie gewinnen damit für uns an Bedeutung: ſie ſtellen annähernd die Wiederholung von Zuſtänden dar, auf denen die Vorfahren dauernd ſtehen blieben. Ja, wir haben ſogar jetzt noch Lebeweſen, die zeitlebens eine ſo einfache Organiſation bewahren wie die Entwicklungszuſtände höherſtehender Tiere. Das „Kugeltierchen“ Volvox (Abb. 13 S. 35) hat etwa den Bau einer Blaſtula; in der Gaſtrula aber kann man das Urbild einfach ſackförmiger Tierkörper mit lediglich zwei Keimblättern erkennen, wie wir ſie in den Coelenteraten noch vor uns ſehen: die Gaſtrula— larve wäre demnach die Wiederholung eines coelenteratenähnlichen Vorfahrenzuſtandes der Tiere mit drei Keimblättern; Häckel hat dieſem hypothetiſchen Ahnen den Namen Gastraea gegeben, und die Theorie heißt daher Gaſträatheorie. Wenn uns auch die Gaſträatheorie gut begründet erſcheint, ſo darf doch nicht ver— ſchwiegen werden, daß ſich nach den jetzigen Kenntniſſen durchaus nicht bei allen Tieren die Erſcheinungen der früheſten Entwicklung ohne Zwang in dies Schema preſſen laſſen. Gerade bei den niederſten Metazoen, den Coelenteraten, geſchieht die Bildung des doppel— wandigen Keimes nicht durch Einſtülpung, ſondern auf einem wahrſcheinlich urſprüng— licherem Wege, durch Einwucherung von Blaſtomeren in die Gaſtrulahöhle am vegetativen Pol; die Einſtülpung läßt ſich als gleichzeitige Einwucherung der vegetativen Blaſtomeren auffaſſen. Bei manchen Tieren aber kommt eine Gaſtrulalarve oder eine ſolche, die ſich leicht auf ſie zurückführen ließe, gar nicht vor, ſo z. B. bei den Fadenwürmern; von dem Verhalten der dotterreichſten Eier, das ja ſicher ſehr abgeleitet iſt, ſehen wir dabei ab. Wenn ſchon die Sonderung von Ektoderm und primärem Entoderm nicht überall ganz gleichmäßig ſtattfindet, ſo ſind die Unterſchiede betreffs der Entſtehung des Meſo— derms noch weit größer. Während manche glauben, eine einheitliche Entſtehung dieſes Keimblatts durch die ganze Tierreihe unter beſtimmter Deutung der Tatſachen vertreten zu dürfen, ſprechen andre dem Meſoderm den Charakter eines beſonderen Keimblatts ganz ab und ſagen, daß die ſo zuſammengefaßten Gebilde teils vom Ektoderm, teils vom Entoderm abzuleiten ſind. Die Erörterung dieſer Streitfragen aber führt uns hier zu weit von unſerm Ziele ab. Nachdem die Urorgane des Embryos angelegt ſind, beginnt in ihnen die Sonderung der Gewebe. Zugleich aber geht die morphologiſche Ausbildung weiter, indem die Körperform der Larve oder des jungen Tieres hervortritt. Auch da iſt wiederum der Dottervorrat des Eies von weſentlich abänderndem Einfluß. Bei Dotterarmut bildet ſich das ganze Ei zur Larve um wie das beiſpielsweiſe bei Amphioxus der Fall iſt (Abb. 357 B). Bei ſehr dotterreichen Eiern aber wird der Keim nur auf einem Teil der Oberfläche an— gelegt, und eine Anzahl der durch die Furchung und weitere Teilungen entſtehenden Zellen dient lediglich zur Bewältigung und Verarbeitung des Dotters und geht nicht in 512 Einfluß der Dottermenge auf die Gejtaltung des Embryos. den Aufbau des Embryos ein. Die Embryonen erſcheinen durch den Dotter mannigfach in ihrer Geſtalt beeinträchtigt: beim Feuerſalamander und noch mehr bei der Forelle (Abb. 351 A) trägt der Embryo einen großen Dotterſack am Bauch, da ſich ſeine Rücken— ſeite zuerſt aus dem Ei herausmodelt; der Flußkrebs (Abb. 351 B), bei dem ſich die Bauchſeite zuerſt anlegt, trägt den Dotterſack auf dem Rücken. Ja, bei den dotter— reichſten Eiern ſind die Keime zuerſt nur kleine, ganz flache Gebilde, die ſich kaum von der Oberfläche abheben und einen Anhang der Dotterkugel des Eies bilden; die hier abgebildeten Entwicklungsſtufen des Tintenfiſches (Abb. 351 0 und D) zeigen dies deutlicher als eine lange Schilderung. Der Darm der Forelle oder des Hühnchens z. B. Abb. 351. Embryonen mit Dotter. A Eben ausgeſchlüpfter Forellenembryo mit bauch— ſtändigem Dotterſack. B Friſch ausgeſchlüpfter Fluß— krebs; durch Wegnahme des Rückenpanzers iſt der rückenſtändige Dotter ſichtbar gemacht. C und D jüngerer und älterer Embryo eines Kalmars (Loligo vulgaris Lam.). 1 Dotter, 2 Kiefermuskeln, 3 Mittel- darmſack, 4 Kiemen. Nach Nitſche, Reichenbach und Korſchelt. iſt zunächſt kein geſchloſſenes Rohr, ſondern liegt mit ſeiner Innenfläche der Dotterkugel flach auf und umwächſt ſie erſt nach und nach. Die Größe und Geſtalt des Eies iſt alſo auf die Anlage des Embryos von bedeutendem Einfluß: das Ei iſt gleichſam „eine Form, der ſich der Embryo anzupaſſen hat.“ 2. Evolution und Epigenele. Dieſe kurze Schilderung der Weiterentwicklung des Eies läßt ſofort wieder eine Anzahl wichtiger allgemeiner Fragen auftauchen. Der Furchungsprozeß und die an ihn anſchließenden Vorgänge beſteht nicht ſchlechtweg in einer Reihe von Zellteilungen; dieſe haben vielmehr eine ganz beſtimmte, für jede Tiergruppe beſonders geregelte Aufein— anderfolge und verlaufen derart, daß ſie mit Notwendigkeit zu dem jeder Art eigentüm— lichen Endergebnis führen. Wo haben wir die Urſachen für dieſen Ablauf der Ent— wicklungsvorgänge zu ſuchen, und welcher Art ſind dieſelben? Das befruchtete Ei braucht notwendig gewiſſe äußere Bedingungen, ohne die es nicht zur normalen Entwicklung kommen kann. Es bedarf einer gewiſſen Temperatur Evolutionstheorie. 57 es braucht Sauerſtoff, häufig nehmen die im Waſſer ſich entwickelnden Eier Waſſer auf und dieſes Waſſer muß in gewiſſen Fällen beſtimmte Salze enthalten, ohne deren An— weſenheit die Entwicklungsvorgänge nicht nach der Regel verlaufen würden. Aber alle dieſe äußeren Bedingungen ſind ſolche, die für das Fortbeſtehen von Leben überhaupt notwendig ſind. Im übrigen können äußere Einflüſſe die Entwicklung fördern oder hemmen, beſchleunigen oder ſtören; aber auf die ſpezifiſche Art der Entwicklung haben ſie keinen Einfluß. Wie im gleichen Beet zahlreiche Pflanzen nebeneinander wachſen, jede nach ihrer Art, ſo können ſich im gleichen Waſſer Eier von hunderterlei Tierarten nebeneinander entwickeln, jedes zu einer beſonderen Form. Die Urſachen, daß aus dem Ei eben die betreffende Tierart hervorgeht, von der es ſtammt, liegen im Ei. In dieſem Sinne ſagt Nägeli: „Die Eizellen enthalten alle weſentlichen Merkmale ebenſogut, wie der ausgebildete Organismus, und als Eizellen unterſcheiden ſich die Organismen nicht minder voneinander, als im entwickelten Zuſtand. In dem Hühnerei iſt die Spezies ebenſo vollſtändig enthalten wie im Huhn, und das Hühnerei iſt vom Froſchei ebenſo— weit verſchieden wie das Huhn vom Froſch.“ Die Entwicklung iſt Entſtehung von Mannigfaltigkeit aus einer gegebenen Einfach— heit. Entſteht dieſe Mannigfaltigkeit völlig neu, oder iſt ſie ſchon vorher vorhanden, aber uns verborgen? Iſt die Einfachheit wirklich, oder iſt ſie bloß ſcheinbar? Dieſe Fragen ſind ſchon lange geſtellt; ſie beſchäftigen zur Zeit des Neuaufblühens der biolo— giſchen Wiſſenſchaften, von der Mitte des 18. Jahrhunderts an, die bedeutendſten Geiſter, und die Antworten, die ſie zu verſchiedenen Zeiten gefunden haben, ſind geradezu ent— gegengeſetzte. Die großen Gelehrten des 18. Jahrhunderts, darunter der Phyſiologe und Dichter Albr. v. Haller (1708 —1777) und Bonnet, der Naturgeſchichtsſchreiber (17201793), glaubten, daß die Tiere in den Eiern ſchon vorgebildet ſeien, daß ſie gleichſam als Miniaturbilder des fertigen Zuſtandes dort enthalten ſeien, aber für unſer Auge nicht wahrnehmbar, weil in allen ihren Teilen durchſichtig. Wie in der Knoſpe ſchon die Blätter und Blüten, die ſpäter aus ihr hervorſproſſen, vorgebildet liegen, wie im Sa— men der Pflanzen ſchon Stämmchen, Wurzel und Kotyledonen der jungen Pflanze ſicht— bar ſind, ſo ſollte auch im tieriſchen Ei das Junge mit allen ſeinen Teilen präformirt vorhanden ſein. Die Entwicklung beſtünde danach nur im Auswachſen und Sichtbar— werden einer ſchon vorhandenen Mannigfaltigkeit, und die Einfachheit des Keims wäre ſcheinbar. Dieſe Entwicklungstheorie iſt die Theorie der Evolution (wörtlich Auswickelung) oder Präformation. N Freilich ergaben ſich dabei mancherlei Schwierigkeiten. War das prä— A formierte Weſen im Ei vorhanden, oder in den „Samentierchen“, die in 0 Leeuwenhoek's (1632—1723) Laboratorium entdeckt waren und deren 0 Wichtigkeit für das Zuſtandekommen der Entwicklung man zu ahnen be— . gann? Man glaubte es dort ſogar direkt zu beobachten (Abb. 352)! | | | Nicht minder verwirren mußte die Folgerung, daß im Eierſtock des im Ei es präformierten Weſens deſſen Nachkommen wiederum präformiert jeien und Spermatozoon in ihrem Eierſtock ebenfalls präformierte Nachkommen trügen und ſo fort 5 bis ins Unendliche. Dieſe Einſchachtelungstheorie wurde z. B. von When lets. A. v. Haller verfochten. Aber weit gefährlicher als ſolche Denkſchwierigkeiten wurde der Evolutionstheorie die genaue Beobachtung der bei der Entwicklung der Tiere ſichtbaren Vorgänge. Durch 574 Theorie der Epigeneſis. ſeine Unterſuchungen über die Entwicklung des Hühnchens lieferte Kaſpar Friedr. Wolff (1733—1794) den ſtrengen Beweis, daß im Ei die Organe des jungen Tieres nicht als ſolche in kleinerem Maßſtabe neben einander vorhanden ſind, ſondern daß ſie ſich erſt allmählich und nacheinander bilden. Wenn er aber daraus folgerte, daß die Grundlage für dieſe Entwicklung nicht organiſiert ſei, daß die Tiere aus dem rohen Zeugungsſtoff entſtänden, ſo verfiel er in den entgegengeſetzten Fehler wie die Evo— lutioniſten, indem er das Vorhandenſein von etwas leugnete, weil er es nicht ſehen konnte. Und wenn jene von dem ſicheren Boden der Beobachtung abwichen, indem ſie präformierte Formen annahmen, ſo tat er das gleiche, wenn er den Grund für die Entwicklung in einer der Erforſchung ganz ungreifbaren „Vis essentialis“, einer Lebens— kraft ſuchte, die in dem einen Falle ſo, in einem andern anders wirken ſollte. Die Lehre Wolffs, die Theorie der Epigeneſis, trug aber, geſtützt auf poſitive Beobachtungen, zunächſt den Sieg davon. Heutzutage kann es nicht mehr die Frage ſein, ob die Einfachheit des Eies in der Weiſe nur eine ſcheinbare ſei, wie die Evolutioniſten es annahmen, oder ob die Mannig— faltigkeit des entwickelten Tieres in der Weiſe neu geſchaffen werde, wie es die Epi— genetiker behaupteten. Wir müſſen im befruchteten Ei zweifellos körperliche materielle Anlagen des daraus hervorgehenden Organismus annehmen und ſind darin ſicher Prä— formiſten. Wir wiſſen aber auch, daß dadurch, daß aus einer Zelle, der befruchteten Eizelle, viele werden, eine nicht präformierte Mannigfaltigkeit direkt neu entſteht. Wenn aber jetzt noch ähnliche Streitpunkte beſtehen wie zwiſchen Evolutionismus und Epigeneſistheorie, jo ſind die Standpunkte doch weſentlich verſchieden von den damaligen, und man muß in der Anwendung jener Bezeichnungen auf die heutigen Schulen vor— ſichtig ſein. Es ſind zwei völlig entgegengeſetzte Möglichkeiten denkbar. Die eine iſt dieſe: die Teilſtücke, in die das Ei durch die Furchung zerlegt wird, find von vornherein unterein- ander verſchieden und durch dieſe Verſchiedenheit wird es bedingt, daß ſich dieſes oder jenes Organ aus ihnen entwickelt; könnte man die betreffenden Zellen in der Furchungs— figur an eine andere Stelle ſchieben, ſo müßte auch das betreffende Organ bei dem daraus entwickelten Tiere an anderer Stelle ſtehen. Die andre Auffaſſung ließe ſich etwa jo faſſen: die durch die Furchung entſtehenden Teilſtücke des Eies ſind einander gleichwertig; ihre Zukunft wird durch die Lage im ganzen beſtimmt; könnte man eine Zellgruppe an eine andre Stelle rücken, ſo würde eben ein andres Organ aus ihr hervorgehen. Der erſten Möglichkeit widerſpricht die Tatſache der Regeneration: wenn aus einem Stückchen einer Hydra, das nahe dem Fuß des Tieres herausgeſchnitten iſt, eine ganze Hydra mit Mund und Fangarmen wird, ſo leiſten die Zellen jedenfalls etwas, was ſie beim normalen Gang der Verhältniſſe nicht zu leiſten hätten. Ihre Anlagen können alſo nicht derartig ſpezialiſierte ſein, wie jene Theorie es annimmt; es wäre mindeſtens die Hilfsannahme notwendig, daß Reſerveanlagen in den Zellen vorhanden ſeien, eine Annahme, für deren Wahrſcheinlichkeit im allgemeinen nur die ſonſtige Einfachheit der Haupthypotheſe ſpricht. Gegen die zweite Auffaſſung, die für die Tatſachen der Regeneration eine ſehr einleuchtende Erklärung geben würde, ſpricht. die tatſächliche Verſchiedenheit der Blaſtomeren in zahlreichen Fällen, wie das aus den unten erörterten Beiſpielen hervor— geht. So müſſen wir die Wahrheit irgendwo in der Mitte ſuchen. Jedenfalls aber iſt eines ſicher: daß ſich nicht alle Tierarten gleich verhalten! Vorbeſtimmung der Achſen des Embryos. 575 ) Für die Beantwortung der Hauptfrage aber, nach den Momenten, durch die der Entwicklungsgang beſtimmt wird, haben wir zwei Mittel: die genaue Beobachtung der normalen Entwicklungsvorgänge, und die Abänderung dieſer Vorgänge durch experimentelle Eingriffe, das „entwicklungsmechaniſche“ Experiment. Zunächſt führen beide Wege zu dem höchſt wichtigen Ergebnis, daß ſchon im un— befruchteten Ei die Lage des ſpäteren Embryos in gewiſſer Weiſe feſtgelegt iſt, daß alſo nicht alle Teile des Eies gleichwertig ſind. An den Eiern mit polſtändigem Dotter— material (telolecithalen Eiern) iſt ſchon durch die Lagerung des Dotters eine Verſchieden— heit zweier Eipole geſchaffen: ein dotterarmer und ein dotterreicher Pol. Bei anderen, z. B. dem Ei der Rippenquallen, wird durch den in der protoplasmatiſchen Rinde gelegenen, alſo exzentriſchen Kern ein Pol beſonders ausgezeichnet. Durch ſolche Polarität wird ſchon eine Achſe des daraus hervorgehenden Embryos feſtgelegt, und zwar meiſt die dorſoventrale. Aber auch bei dotterarmen Eiern iſt eine ſolche Polarität in vielen Fällen direkt erkennbar oder aus Verſuchen zu erſchließen. So läßt ſich am Ei eines Seeigels, Strongylocentrotus, nachweiſen, daß ein feiner Kanal, der die Gallerthülle desſelben durchbohrt, dem animalen Pole des Eies entſpricht (Abb. 353 A). Ja, vielleicht iſt polare Differenzierung eine Eigenſchaft, die nicht bloß auf die Eier beſchränkt iſt, ſondern auch vielen anderen, wenn nicht allen Körperzellen zukommt. Die Lage einer zweiten Achſe des Eies, durch welche die Symmetrieebene geht, iſt in manchen Fällen im unbefruchteten Ei noch nicht feſtgelegt, ſondern wird erſt bei der Befruchtung fixiert. Beim Seeigelei und beim Froſchei hat man nämlich beobachtet, daß die erſte Furchungsebene außer durch die Eiachſe durch eine Linie beſtimmt wird, die zur Bahn des eindringenden Spermatozoons ſenkrecht ſteht; dieſe erſte Furche fällt aber in beiden Fällen mit der Symmetrieebene zuſammen und trennt rechte und linke Körper— hälfte des Embryos voneinander. Es gibt aber auch Eier, wo auch die Symmetrieebene des Embryos ſchon von vornherein feſtgelegt iſt; die Eier mancher Tintenfiſche und mancher Inſekten z. B. zeigen eine ausgeſprochene zweiſeitige Symmetrie, die mit der des Embryos zuſammenfällt. Auch im Vogelei iſt die Lage der Achſe des Embryos von vorn— herein feſt beſtimmt: ſie ſteht im allgemeinen ſenkrecht zu der Linie, die den ſtumpfen und den ſpitzen Pol des abgelegten Eies verbindet, und der Embryo hat den ſtumpfen Pol zu ſeiner Rechten. Damit iſt aber der Einfluß, den die Organiſation des Eies auf die Formbildung des Embryo hat, durchaus noch nicht erſchöpft. Wir kennen Beiſpiele, wo wir am befruchteten Ei nach äußeren Anzeichen mit Sicherheit angeben können, was für ein Organ aus der betreffenden Stelle des Eies hervorgehen wird: wir finden deutlich um— ſchriebene organbildende Keimbezirke. Eines der ſchönſten Beiſpiele dafür bietet das Ei des Seeigels Strongylocentrotus lividus Lam. (Abb. 353). Das noch nicht reife Eierſtocksei (A), deſſen Achſe, wie oben erwähnt, durch den Kanal in der Eihülle angedeutet iſt, zeigt eine rötliche Pigmentierung, die durch gleichmäßig an der Oberfläche verbreitete Farb— körnchen zuſtande kommt. Nach der Befruchtung aber (0) hat ſich dieſer Farbſtoff zu einem Gürtel zuſammengezogen, der die vegetative Eihälfte parallel dem Aquator umgibt, am vegetativen Pole jedoch ein kleineres Feld frei läßt. Die weitere Entwicklung zeigt, daß die drei in dieſer Weiſe kenntlichen Zonen zu den drei Primitivorganen der Larve werden (I—L): die animale unpigmentierte Hälfte zum Ektoderm, der pigmentierte Gürtel zum primären Entoderm, und das helle Feld am vegetativen Pol zum primären Meſenchym, in deſſen Zellen z. B. die Skelettbildungen der Larve entſtehen. Das Pigment als ſolches 576 Organbildende Keimbezirke. WE N) nl 7 I S N Zul 2 e — A \ — e N] 28 274, N N a eee N \ Al = x 5 U ANZ Abb. 353. Zuſtände aus der Entwicklung von Strongylocentrotus lividus Lam. bis zur Gaſtrula. A Unreifes Ei, B Ei nach Abſtoßung der Richtungskörper, C Befruchtetes Ei (A—C mit Gallerthülle, die in den folgenden Zeichnungen weggelaſſen iſt). D—F einige Furchungsbilder, 6 und Z Blaſtula von außen und im optiſchen Durchſchnitt, Z Ein. wucherung des Meſenchyms, X Beginn der Einſtülpung, Z Gaſtrula. Die Verteilung des roten Farbſtoffes iſt durch Punktierung angegeben. Nach Boveri. iſt dabei keinesfalls von weſentlicher Bedeutung; es iſt nur wichtig, weil es eine Orga— niſation des Eiplasmas, wahrſcheinlich eine Schichtung verſchieden beſchaffener Abſchnitte, 7 . ihne anderen, verwandten Formen, wo ſolche Pigmentierung fehlt, nicht wahrnehmbar iſt, aber ſchon früher aus Experimenten erſchloſ— ſen war. Ahnliche Far— 8 bendifferenzen finden — — P w —ͤ—— - . ſich an den befruchteten Abb. 354. Eier mit äußerlich erkennbaren organbildenden Keimbezirken, 8 nm 3 A von Myzostoma, B von Dentalium, C von Neritina. Eiern mancher Ringel⸗ Nach Drieſch, Wilſon und Blochmann. würmer (Chaetopte- rus, Myzostoma, Abb. 354 A), Weichtiere (Dentalium Abb. 354B, Physa, Planorbis) und Aseidien (Cynthia), und die verſchieden gefärbten Abſchnitte laſſen bei normaler Ent- wicklung ſtets beſtimmte Organe aus ſich hervorgehen. 4 5 Organbildende Keimbezirke. 577 Bei manchen Eiern läßt ſich wenigſtens von beſtimmten Bezirken des Eiplasmas mit Beſtimmt— heit ſagen, was für Teile des Embryo bei nor— maler Entwicklung daraus werden. An den Eiern mancher Meduſen (z. B. Geryonia) findet man Protoplasmabezirke von 1585 E verſchiedenem Ausſehen, Abb. 355. 4 Ei einer Rippenqualle im Beginn der Zweiteilung, an dem bei — eine Ver— von denen der eine die (eetzung angebracht iſt. B Larve, die ſich aus einem fo verlegten Ei entwickelt hat; die Grundlage für das 5 Flimmerrippen 6 und 7 find geſtört. Nach Fiſchel. derm, der andre für das Entoderm und ein dritter für die Schirmgallerte abgibt. Wenn man am befruchteten, noch ungefurchten Ei einer Rippenqualle ein Stück Protoplasma in einiger Entfern— ung vom ani— malen Pole weg— ſchneidet, ſo zeigt der betreffende Embryo beiſonſt normaler Aus— bildung ein teil- weiſes oder gänz— liches Fehlen von einer oder mehreren der acht Flimmer⸗ rippen, die für das Tier charak— teriſtiſch ſind (Abb. 355); es kann kein Zwei⸗ fel ſein, daß die weggenommene Plasmamaſſe gerade das Ma— terial für die Bildung jener Rippen enthielt. Wenn e e Abb. 356. Strahlungen bei der Richtungsteilung (a) und Achtzellenſtadium () des Eies ähnlicher Weiſe einer linksgewundenen (I, Physa) und einer rechtsgewundenen Schnecke (II, Lim ax). 9 Nach Koſtanecki und Siedlecki, Crampton, Mark und Meifenheimer. von dem Ei einer Meeresſchnecke, Dentalium, ein Stück abſchneidet, ſo wird nach der Befruchtung aus dem übrigbleibenden Stück ſtets ein mißgebildetes Weſen, das kein ganzer Embryo iſt, ſondern Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 37 10% Y IT Y e Min / N u „7% 0 „ \ 578 Präformation im Ei. mehr ein Bruchſtück eines ſolchen. Ebenſo kann man ſchon am ungefurchten Ei der Schnecke Neritina (Abb. 3540) zwei körnige Stellen erkennen, die bei der weiteren Entwicklung das Material für die Zellen des Velums, des für die Gaſtropodenlarven charakteriſtiſchen Flimmerorgans, liefern. Sehr überraſchend iſt die Entdeckung, daß die Rechts- oder Linkswindung einer Schneckenform ſchon im Protoplasma des unbefruchteten Eies begründet liegt. Vergleicht man (Abb. 356) die Polſtrahlungen der Teilungsfigur, die zur Ausſtoßung des Pol— körperchens führt, von dem Ei der linksgewundenen Physa (la) mit jener bei der Nackt— ſchnecke Limax (IIa), deren Zugehörigkeit zu den rechtsgewundenen Formen durch die rechtsſeitige Lage des Atem— loches und des Afters erwieſen iſt, ſo zeigt ſich, daß ſie einen entgegengeſetzten Spiralverlauf haben. Die gleiche Gegenſätz— lichkeit kommt bei der Furchung wieder zum Vorſchein, und zwar ſchon im Vierblaſtomeren— ſtadium durch die Richtung der Furchungsſpindeln, aber ganz beſonders im Achterſtadium, wo die kleinen Blaſtomeren im einen Falle in linksgedrehter (Ip), im andern in rechtsge— drehter (IIb) Spirale gegen ihre Schweſterzellen verſchoben ſind. Wie dieſe Beobachtungen und Verſuche zeigen, gibt es alſo Eier, in welchen ſchon die Gebiete vorausbeſtimmt ſind, aus denen die Hauptorgane des Embryos entſtehen. Es iſt wahrſcheinlich, daß dieſes Verhalten, das wir an den 4 ĩðèê Vertreernn det ee Abb. 357. Entwicklung des Eies und iſolierter Halb blaſtomeren von (Coelenteraten, Stachelhäutern, Dentalium (A) und vom Amphioxus (5). Nach Wilſon. Würmern, Weichtieren, Mantel⸗ tieren) kennen lernten, weiter verbreitet iſt und nur durch die Unſichtbarkeit der Struktur— verſchiedenheiten an den Eiern ſich unſerer Beobachtung entzieht. Immerhin geben uns die Tatſachen der normalen Entwicklung noch keinen ſicheren Anhalt dafür, wie weit die Vorherbeſtimmung des ſpäteren Schickſals in den Furchungszellen geht. Da greifen nun Verſuche ein, durch die das gefurchte Ei in ſeine Blaſtomeren geteilt und dieſe für ſich zur Entwicklung gebracht werden. Ich will nur einige wenige davon anführen. Iſolierte Blaſtomeren des Zweizellenſtadiums vom Amphioxus (Abb. 357 B) entwickeln ſich wie ein ganzes Ei und laſſen vollſtändige, aber kleinere Larven aus ſich hervorgehen. Geſonderte Viertelblaſtomeren furchen ſich meiſt ebenſo wie das ganze Ei, zuweilen jedoch nur wie im Viertel des Eies; es werden Blaſtula- und Gaſtrula-Stadien Früher oder ſpäter eintretende Beſchränkung der Entwicklungsmöglichkeiten. 579 aus ihnen von verſchiedener Größe, aber höchſt ſelten junge Larven; iſolierte Achtel— blaſtomeren furchen ſich niemals wie das ganze Ei, und nie wird eine Gaſtrula daraus. Ahnlich iſt es bei den Seeigeln. Es nimmt alſo in den Zellen die Spezialiſierung mit dem Fortſchreiten der Furchung zu. Wenn wir annehmen, daß Amphioxus und die Seeigel eine Eiſtruktur beſitzen wie ſie oben für Strongylocentrotus (Abb. 353) ge— ſchildert wurde, ſo wird uns das Verſtändnis für dieſe Verſuchsergebniſſe erleichtert: die Halb- und Viertelblaſtomeren enthalten die gleichen dreierlei Protoplasmaregionen wie das ganze Ei, und es kommt nur darauf an, daß ſie ſich entſprechend verlagern, damit dieſelbe Anordnung wie dort zuſtande kommt; dagegen wird mit der dritten Furche die Protoplasmaverteilung auf die Blaſtomeren ungleich und daher die Entwicklungsmöglichkeit der Achtelblaſtomeren beſchränkt. Ganz anders iſt es bei Dentalium Abb. 357 &). Wenn man hier die ungleich großen Blaſtomeren des Zweizellenſtadiums trennt, ſo bekommt man keine vollſtändigen Zwerglarven, ſondern es geht aus jeder eine Krüppelbildung hervor; aber dieſe ſind beide verſchieden: die eine beſitzt, was der anderen fehlt, und ſie erzänzen ſich etwa zu einem ganzen Embryo, wenn ſie auch nicht genau Hälften ſind, ſondern in ſich eine beſtimmte Abrundung zeigen. — Damit wollen wir die Entwicklung der Blaſtomeren einer Rippen— qualle vergleichen. Hier ſchneiden die drei erſten Furchen vom animalen zum vegetativen Eipol durch, und erſt die vierte ſteht ſenkrecht zu ihnen. Trennt man die Halbblaſtomeren, ſo bekommt man zwei Halbembryonen, je mit 4 Flimmerrippen; jeder aber enthält einen Magenſchlauch, und die Trennungsfläche iſt von Ektoderm überwuchert. Aus einer Viertelblaſtomere wird etwa ein Viertelembryo mit zwei Rippen, die Achtelblaſtomeren geben einen Achtelembryo mit einer Rippe. Wie bei Dentalium ſind alſo auch hier die Entwicklungsmöglichkeiten der Blaſtomeren ſchon von der erſten Furche an durchaus beſchränkt. Dieſe Verſuche zeigen ſchon, daß ſich die verſchiedenen Tierformen nicht gleich ver— halten. Bei Amphioxus und den Seeigeln ſind die iſolierten Halbblaſtomeren imſtande, mehr Mannigfaltigkeit zu produzieren, als bei normaler Entwicklung aus ihnen hervor— geht; aber die Entwicklungsmöglichkeit nimmt bei Amphioxus ſchon für die Viertelblaſtomeren beträchtlich ab; bei den Achtelblaſtomeren iſt ſie ſehr gering. Auch bei den Seeigeln und Meduſen iſt von den Achtelblaſtomeren an eine ſtarke Einſchränkung der Entwicklungs— möglichkeiten gegeben und eine zunehmende Spezialiſierung eingetreten. Dieſe Spezialiſierung iſt aber bei Dentalium und den Rippenquallen ſchon durch die erſte Teilung vollzogen, und die Fähigkeit, etwas mehr als einen beſtimmten Teil des Embryo zu liefern, be— ſchränkt ſich gleichſam auf die Schließung der Wundfläche, die durch die Trennung der Blaſtomeren geſetzt wurde. Dieſe Unterſchiede ſind aber keine prinzipiellen, ſondern nur graduelle: wir haben verſchiedene Stufen der Abhängigkeit zwiſchen Organbildung und Eimaterialien vor uns; die Beſchränkung der Entwicklungsmöglichkeiten tritt hier früher, dort ſpäter ein; die Fähigkeit zu einer Mehrbildung iſt dort anfangs groß, hier von vornherein gering. Wie haben wir es uns aber vorzuſtellen, daß die in der Halbblaſtomere des Amphioxuseies oder des Seeigeleies gelegene größere Entwicklungsfähigkeit bei der normalen Entwicklung beſchränkt wird; wie kommt es, daß aus dieſen Eiern nicht ein Doppelembryo hervorgeht? Darüber klärt uns ein Verſuch am Froſchei auf. Trennt man die beiden Halbblaſtomeren nach der erſten Furchungsteilung voneinander, ſo werden aus ihnen zwei kleinere Ganzembryonen. Tötet man aber eine Blaſtomere durch eine heiße Nadel ab 37 * 580 Wechſelwirkung von Kern und Protoplasma im Ei. und läßt ſie mit der andern in Verbindung, ſo geht aus ihr ein Halbembryo hervor; aus dieſem kann allerdings ſpäter durch regenerationsähnliche Ergänzung ein Ganzembryo werden. Hier zeigt ſich alſo, daß die Lage der Zelle im ganzen beſtimmend auf ihr Schickſal einwirkt. Dieſe Einwirkung haben wir uns wohl ſo zu denken, daß durch die Aneinanderlagerung der Halbblaſtomeren eine Umordnung der verſchiedenen Eiſubſtanzen verhindert wird, die bei der Trennung und damit Abrundung der Blaſtomeren eintritt: in letzterem Falle bekommen die Blaſtomeren aufs neue eine ſymmetriſch angeordnete Organiſation, bei Verbindung mit der Schweſterblaſtomere bleiben ſie unſymmetriſch. So arbeiten alſo innere Beſtimmtheit der einzelnen Blaſtomeren und gegenſeitige Beeinfluſſung der verſchiedenen Blaſtomeren des Eies zuſammen bei der Entwicklung des Embryos. Dieſe beiden Prinzipien widerſprechen ſich durchaus nicht, ſondern können nebeneinander wirkſam ſein. Dem letzteren Faktor kommt eine wechſelnde, bald größere, bald geringere Bedeutung zu. Dagegen hat die innere Beſtimmtheit, die präformierte Organiſation des Eies den Haupteinfluß auf die ſpezifiſche Ausbildung des Embryos, ja, ſie kommt in manchen Fällen ganz allein für die Entwicklung in Betracht. Wie läßt ſich aber dieſe Beeinfluſſung der Embryonalentwicklung durch den Bau des Eiprotoplasmas damit vereinigen, daß man die Vererbungsträger in die Kerne verlegt? Wenn ferner auch ſchon das unbefruchtete Ei organbildende Keimbezirke aufweiſt, wo bleibt da der Einfluß des väterlichen Kernes auf die Entwicklung? Zunächſt iſt hervorzuheben, daß es nur die primitivſte, allen verwandten Formen gemeinſame Formbildung iſt, die im Eiprotoplasma materiell präformiert iſt. Aber auch dieſe Präformation kann ja abhängig gedacht werden von dem Eikern, beim unbefruchteten Ei allerdings von dieſem allein! Wir haben ſogar einen gewiſſen Hinweis darauf, daß ſie ſich unter dem Einfluß des reifen Eikerns ausbildet: die Eier von Strongylocentrotus 3. B. ſind vor der Reifung gleichmäßig pigmentiert, und das Pigment zieht ſich erſt zum Gürtel zuſammen, wenn die Polzellen ausgeſtoßen ſind; ebenſo prägt ſich die Anordnung des Myzoſtomaeies mit den drei verſchieden gefärbten Zonen erſt während der Reifung aus. Die Umordnung mag ſchon dadurch vorbereitet ſein, daß während der Wachstums— periode der Oocyte Chromatin aus dem Kern in das Protoplasma des Eies gelangt und dieſes beeinflußt. Bei der Aſcidie Cynthia treten die Umordnungen im Eiproto— plasma ſogar erſt bei der Befruchtung ein; doch wirkt auch hier der Eintritt des Spermatozoons in das Ei vielleicht nur als auslöſender Reiz; jedenfalls ſind mit deſſen Eindringen lebhafte Strömungen im Protoplasma wahrnehmbar, die zu jener Neuordnung führen. Da Ei- und Samenkern normaler Weiſe der gleichen Tierart angehören, oder bei Baſtardierungen doch ganz naheſtehenden Arten, ſo iſt der allgemeinſte Grundriß für das neue Lebeweſen, wenn man ſo ſagen darf, in beiden völlig gleich. Die Beeinfluſſung der einzelnen Eigenſchaften wird dann erſt bei der weiteren Entwicklung, bei der Aus— arbeitung der Feinheiten, von dem konjugierten Kern bzw. deſſen Nachkommen ausgehen. Wie dieſe Beeinfluſſung ſtattfindet, wie das Wechſelverhältnis zwiſchen Kern und Protoplasma ſich geſtaltet, wiſſen wir nicht; vielleicht hat die Vermutung einige Wahr— ſcheinlichkeit, daß ein Teil des Chromatins in das Protoplasma übertritt und auf dieſe Weiſe auf dasſelbe einwirkt. Die Hauptfrage iſt die, wie die in den Kernen befindlichen Anlagen an der richtigen Stelle aktiv werden, wie alſo z. B. bei der Vererbung eines weißen Haarbüſchels in der dunklen Behaarung vom Vater auf den Sohn die Vererbungs— träger gerade an jener Stelle der Kopfoberfläche ihren Einfluß ausüben. Manche Ge— lehrte glauben, daß die Teilungen des konjugierten Kernes bei der Furchung ſo verliefen, Aktivierung der Anlagen am rechten Platze. 581 daß die einzelnen Anlagen auf die Zellen verteilt würden, die einen alſo in dieſe, die anderen in jene Zelle gelangten; dadurch würde die Verſchiedenheit der Zellen bewirkt. Danach würden die Kernteilungen das Chromatin nicht gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilen, ſie wären nicht erbgleich, ſondern erbungleich. Wir haben ja aber gerade darin das Weſentliche der mitotiſchen Teilung erblickt, daß das Chromatin genau halbiert wird, die Teilung alſo erbgleich iſt. Wir kennen erbungleiche Teilungen: die Reduktions— teilungen bei der Ei- und Samenreife. Aber einmal ſind ſie immerhin derart, daß die Tochterkerne doch eine vollſtändige Garnitur einander entſprechender Chromoſomen, wenn auch von verſchiedener Herkunft, bekommen. Andrerſeits haben aber die Mitoſen bei der Furchung nichts von den charakteriſtiſchen Eigentümlichkeiten der Reifungsteilungen an ſich. Außerdem ſpricht die Regenerationsfähigkeit gegen eine ſolche Aufteilung des Chromatins. Wahrſcheinlicher dürfte es ſein, daß nicht nur die Kerne auf das Proto— plasma, ſondern auch dieſes auf die Kerne einen Einfluß ausübt. Wenn die Kerne in ein ſpezialiſiertes Protoplasmagebiet gelangen, ſo werden in dieſem bei normalem Ent— wicklungsgang nur die entſprechenden Anlagen im Kern aktiv werden und nun ihrerſeits ihren Einfluß auf das Protoplasma ausüben, während die anderen Anlagen latent bleiben und vielleicht ganz verkümmern. Aber das iſt Hypotheſe. Alles, was wir von den materiellen Grundlagen der Körpereigenſchaften in den Zellen wiſſen, iſt erſchloſſen aus den Wirkungen. Aber günſtige Unterſuchungsobjekte, geſchickte Frageſtellung und geeignete Verſuchsanordnung können uns noch manche Aufklärungen bringen an Stellen, wo wir jetzt noch Schranken für unſere Erkenntnis gezogen ſehen. 3. Metamorphoſe und Abkürzung der Entwicklung. Während bei der Knoſpung und Teilung ſich die betreffende Zellmaſſe, aus der das neue Tier hervorgeht, ganz direkt ohne Umwege zum fertigen Tier ausbildet, geht die Entwicklung eines Tieres aus dem Ei nur ſelten ohne Umwege, in ganz geradliniger Richtung könnte man ſagen, vor ſich. Faſt immer treten Organe auf, die wir beim fertigen Tier nicht mehr finden, und die wieder zurückgebildet werden müſſen, und das junge Weſen zeigt Formen, die von denen des ausgebildeten Zuſtandes mehr oder weniger weit abweichen. Vor allem werden die Umwege dann bemerkbar, wenn aus dem Ei eine Jugendform ausſchlüpft, die erſt durch gänzliche oder teilweiſe Umwandlung ihrer äußeren und inneren Organe zum fertigen Tier wird: aus dem Ei des Froſches z. B. kommt die geſchwänzte kiemenatmende, fuß- und lungenloſe Kaulquappe, und dieſe wird erſt allmählich zum Froſche, indem ſie die ihr noch fehlenden Organe ausbildet und die Larvenorgane, Kiemenapparat und Schwanz, verliert. Solche Umwandlungen nach dem Verlaſſen der Ei— hüllen, oder wie oft geſagt wird, nach dem Ausſchlüpfen, werden allgemein als Metamorphoſe bezeichnet. Weniger auffällig ſind ſolche Umwege der Entwicklung, wenn das junge Weſen beim Verlaſſen des Eies dem Elterntiere ſchon in allen weſentlichen Zügen ähnlich iſt; aber ſie ſind auch dann oft am Embryo bemerkbar. Die höheren Wirbeltiere z. B. Sauropſiden und Säuger, verlaſſen das Ei in einem Zuſtande, wo ſie ſchon alle Art— charaktere an ſich tragen und den Eltern ähnlich ſind; aber auch bei ihnen geht die Entwicklung nicht geradlinig: es werden Larvenorgane angelegt, die beim fertigen Tiere wieder zurückgebildet ſind, wie die Kiemenfurchen und Kiemengefäße und die als Atmungs— und Ernährungsorgan dienende Allantois, oder der Schwanz beim Menſchen. Man kann ſolche Umwege während der embryonalen Entwicklung mit gutem Grunde ebenfalls 582 Embryonale und larvale Metamorphoſe. als Metamorphoſe bezeichnen und als embryonale von der larvalen Metamorphoſe unterſcheiden. Larvale Metamorphoſen kommen beſonders dort vor, wo das junge Weſen nur kurze Zeit in den Eihüllen verweilt und dann in einem verhältnismäßig unreifen Zu— ſtande ausſchlüpft; embryonale Metamorphoſen ſind am ausgeſprochenſten dort vorhanden, wo für den Embryo infolge reichlicher Ernährung das Ausſchlüpfen weit hinausgeſchoben iſt, ſei es daß das Ei groß, alſo reich mit Nahrungsdotter verſorgt war, wie bei Tinten— fiſchen oder Vögeln, ſei es daß dem Embryo vom mütterlichen Körper aus gelöſte Nähr— ſtoffe zugeführt werden, wie dies beiſpielsweiſe bei den Säugern geſchieht. Es können aber in derſelben Entwicklung beiderlei Metamorphoſen nebeneinander vorkommen: beim Kolben-Waſſerkäfer und anderen Inſekten werden am Hinterleib des Embryo Gliedmaßen angelegt (Abb. 47 S. 84), die vor dem Ausſchlüpfen der Larve zurückgebildet werden — das iſt eine embryonale Metamorphoſe — und die Larve, die vom fertigen Tier in der ganzen Geſtalt, inſonderheit aber durch den gänzlichen Mangel von Flügeln unterſchieden iſt, muß ſich dann, während des ſogenannten Puppenſtadiums, zum Käfer umbilden: das iſt eine larvale Metamorphoſe. Keinenfalls ſind die embryonalen Metamorphoſen ſo augenfällig wie die larvalen. Die jungen Larven müſſen ſelbſtändig für ihren Unterhalt ſorgen, und dabei werden ſie den obwaltenden Bedingungen entſprechend angepaßt: es müſſen Bewegungsorgane, Sinnes— organe, Mundwerkzeuge ſchon früh in funktionsfähigem Zuſtande ſein, ſo daß die Tierchen ihre Nahrung finden und aufnehmen und ihren Feinden entgehen können. Solche Larven— organe ſind z. B. bei der Trochophoralarve (Abb. 60 S. 95) die Wimperſchnüre und die Polplatte mit Wimperſchopf und einfachen Larvenaugen. Dieſe freibeweglichen Zu— ſtände ſind ſehr häufig eine Rekapitulation aus der Vorfahrengeſchichte: die Larvengeſtalt kann geradezu ein ererbter Zuſtand ſein, der einfacher als der fertige Zuſtand des Eltern— tieres iſt und daher ſchneller erreicht wird, jo z. B. die Fiſchform der Kaulquappe. Es kann aber auch eine völlige Neuerwerbung vorliegen, oder der ererbte Zuſtand durch Neuerwerbungen maskiert und undeutlich gemacht ſein, wie bei der Naupliuslarve der Krebſe. Das wurde jchon oben (S. 83) genauer beſprochen. Dagegen werden bei langem Verweilen in der Eihülle ſolche nur zeitweiſe gebrauchte Larvenorgane unnötig, und ſie werden auch da, wo die Larvenform wirklich dem dauernden Zuſtand einer Vorfahren— form ähnlich iſt, vielfach verſchwinden. Die Entwicklung wird dadurch eine abgekürzte; wie der Dotterreichtum, der das bewirkt, ſo iſt dieſe Abkürzung der Entwicklung eine ſekundäre Erſcheinung gegenüber der Entwicklung mit Umwegen. Aber gerade wenn bei ſolcher abgekürzten Entwicklung Bewegungs- oder Sinnesorgane oder dergleichen beim Embryo auftreten, ſo können ſie keine Anpaſſung an larvale Lebensbedürfniſſe, wie Nahrungsſuche, vorſtellen, und es ſteigt die Wahrſcheinlichkeit, daß wir es hier mit einer Andeutung von Zuſtänden früherer Vorfahren zu tun haben. So ſind die Anlagen abdominaler Gliedmaßen beim Embryo des Waſſerkäfers mit höchſter Wahrſcheinlichkeit ein Hinweis darauf, daß der ſechsfüßige Käfer, und wie er auch die anderen Inſekten, von vielfüßigen Vorfahren abſtammen; dagegen iſt es nicht im gleichen Maße wahr— ſcheinlich, ob die Larvengeſtalt dieſes Käfers als ein Hinweis auf die Körpergeſtalt ſpäterer Vorfahren gedeutet werden darf. Dotterreichtum des Eies oder Ernährung des Embryos im Mutterleib führen zu einer Abkürzung der Entwicklung in doppelter Weiſe: einmal zu einer zeitlichen Be— ſchleunigung, und dann zu einer Unterdrückung der Larvenzuſtände. Die zeitliche Be— Abkürzung der Entwicklung durch Dotterreichtum. 583 ſchleunigung iſt dadurch erklärlich, daß die Larve für die Nahrungsſuche ziemlich viel Kraft verbraucht, während der Embryo im dotterreichen Ei die verfügbare Nahrung ohne gleichzeitige Verausgabung von Kraft zur Verfügung hat. Die Abkürzung des Entwick— lungsweges, die durch Unterdrückung der Umwege zuſtande kommt, läßt ſich an vielen Beiſpielen nachweiſen. Die Stachelhäuter haben meiſt kleine Eier, und aus dieſen ſchlüpfen zweiſeitig— ſymmetriſche freiſchwimmende Larven, die ſehr von den ſtrahlig-ſymmetriſchen fertigen Tieren abweichen; nur bei manchen Arten mit dotterreichen Eiern geſchieht die Entwick— lung direkt, ohne ſolche Larven. Während bei den meiſten Seeigeln die Eier 0,1 — 0,13 mm im Durchmeſſer haben, beſitzen ſie bei Hemiaster cavernosus Phil. einen ſolchen von fait 1 mm, alſo eine 4 — 500 mal jo große Maſſe, ja bei Stereocidaris nutrix Thoms. ſogar einen ſolchen von 2 mm, ſind alſo etwa 2000 mal ſo maſſig — und bei beiden iſt die Larvenform unterdrückt und die Entwicklung führt direkt zu einem jungen Seeigel. Ebenſo verhalten ſich bei den Seegurken z. B. die Cueumaria-Arten mit Eiern von 1 mm Durch— meſſer (C. laevigata Verrill, glacialis Lig.), während die meiſten Seegurken, deren Eier etwa 0,1 mm Durchmeſſer beſitzen, eine ſehr ausgeſprochene larvale Metamorphoſe durch— machen. Höchſt intereſſant iſt es, daß bei der gleichen Tierart beiderlei Verhalten neben— einander vorkommen kann: die nahrungsdotterreichen Eier des Borſtenwurms Nereis dumerilii Aud. M. E. entwickeln ſich direkt zum Wurm, die dotterarmen der zugehörigen Heteronereis-Form (vgl. oben S. 512) dagegen laſſen eine Trochophoralarve aus ſich hervorgehen, und aus dieſer entſteht erſt durch larvale Metamorphoſe der Wurm. — Während ſonſt bei den Weichtieren aus den Eiern allgemein Trochophoralarven oder die von ihnen ableitbaren Veligerlarven kommen, iſt bei den außerordentlich dotterreichen Eiern der Tintenfiſche, die bis zu 15 mm lang werden (bei Eledone), jegliche Spur eines Larvenſtadiums unterdrückt. Sehr lehrreich ſind die Abſtufungen in der Dauer der Larvenentwicklung und der Kompliziertheit der larvalen Metamorphoſe, die wir bei den zehnfüßigen Krebſen finden. Nur ſehr wenige von ihnen beginnen ihr Freileben mit dem bei den niederen Krebſen ſo weit verbreiteten ſechsfüßigen Larvenzuſtande, dem Nauplius: dahin gehört Penaeus, deſſen Ei nur / mm im Durchmeſſer hat; die Metamorphoſe (Abb. 358) führt hier vom Nauplius (A) zu einer zweiten Larvenform, der Zoca (C); aus dieſer geht das noch mit Spaltfüßen verſehene Schizopodenſtadium (D) hervor, und erſt dieſes bildet ſich zu einer dem fertigen Tiere ähnlichen Form um. Bei den meiſten zehnfüßigen Krebſen ind die Eier größer, und das Larvenleben beginnt mit einer Zo'ka. Beim Hummer, deſſen Eier etwa 1,9 mm im Durchmeſſer haben, iſt auch das Zocaſtadium unterdrückt, und die Larve verläßt das Ei im Schizopodenſtadium; bei unſerem Flußkrebs endlich, deſſen große Eier einen Durchmeſſer von faſt 3 mm beſitzen, iſt die larvale Metamor— phoſe ganz unterdrückt; das ausſchlüpfende Tier hat am Thorax keine Spaltfüße mehr, wie die Schizopodenform, ſondern einäſtige Gliedmaßen wie der fertige Krebs (Abb. 351). Die ausgedehnte larvale Metamorphoſe, wie fie außer bei Penaeus noch bei Lucifer vorkommt, iſt hier ſicher das Urſprüngliche, und die Abkürzung iſt neu erworben; es iſt ein mehr oder weniger großer Teil der larvalen Metamorphoſe in die Embryonalzeit verlegt, indem dieſe verlängert iſt; denn auch dort, wo das Naupliusſtadium äußerlich nicht mehr als ſechsfüßige freiſchwimmende Larve auftritt, wird es am Embryo dadurch markiert, daß nach Bildung der drei erſten Gliedmaßenpaare eine Häutung ſtattfindet, die gleichſam den Zeitpunkt bezeichnet, wo früher die Larve ausſchlüpfte. 584 Larvale Metamorphoſe verſchiedener Krebſe. Abb. 358. Metamorphoſe einer Garnele (Penaeus). A Nauplius, B Protozosa, Zota, D Schizopodenſtadium. Nach Fritz Müller u. Claus. Bei den Aſcidien kommen aus den meiſt kleinen, nach außen abgelegten Eiern geſchwänzte Larven von hoher phylogenetiſcher Bedeutung. Bei den Salpen dagegen, wo der in dem ſehr kleinen Ei entſtehende Embryo vor dem Ausſchlüpfen reichlich vom Larvale Metamorphoje der Inſekten. 585 Mutterkörper aus ernährt wird, iſt keine Larvenform vorhanden; die ausſchlüpfenden Jungen ſind ſchon kleine Salpen. Die Inſekten, bei denen die larvale Metamorphoſe meiſt ſo ausgeprägt iſt, ſtammen zwar aus dotterreichen Eiern; aber die larvale Metamorphoſe iſt hier anders zu beurteilen als bei anderen Tieren. Charakteriſtiſch für ſie iſt die Umwandlung der vorher an den Boden gebundenen Larven zu Flugtieren. Die einfachſten flügelloſen Inſekten, die Apterygoten wie Silberfiſchchen, Springflöhe u. a., gleichen beim Ausſchlüpfen faſt ganz den fertigen Tieren; die ihnen am nächſten ſtehenden Geradflügler haben nur eine geringe larvale Metamorphoſe, indem bei den verſchiedenen Häutungen des wachſenden Tieres die geringen Unterſchiede, die es gegenüber dem fertigen aufweiſt, allmählich ausgeglichen und zugleich die Flügel gebildet werden. Bei den meiſten Inſekten aber, den Käfern, Schmetter— lingen, Immen uff. ſind die dort auf viele Häutungen verteilten kleinen Abänderungen zuſammengedrängt und ans Ende des Larvenlebens verlegt; dort geſchieht während des Puppenſtadiums eine Umwandlung der Körperform. Die Umwandlung iſt zuweilen ver— hältnismäßig gering, z. B. bei manchen Käfern wie den Leuchtkäferchen und den Staphylinen; bei anderen aber wird ſie bedeutender, weil die Larven in Anpaſſung an beſondere Lebens— und vor allem Ernährungsverhältniſſe von den fertigen Tieren ſtärker abweichen: ſo z. B. bei den Bockkäfern, den Netzflüglern, den Schmetterlingen und beſonders bei Bienen und Fliegen. Gerade jene Zuſammendrängung der Metamorphoſe auf das Puppenſtadium ſcheint es zu ſein, was eine ſo mannigfache Geſtaltung der Larven einerſeits und der fertigen Tiere andrerſeits und damit den großen Unterſchied zwiſchen beiden Zuſtänden ermöglicht hat. 4. Wachstum, Geſchlechtsreife und Lebensalter. Die Veränderungen im Aufbau und im äußeren Ausſehen eines Tieres dauern durch ſein ganzes Lebens fort; aber ſie ſind zu verſchiedenen Zeiten ſehr ungleich und jedenfalls in der Jugend am bedeutendſten, im Alter weniger ſichtbar. Häufig bringt das Eintreten der Geſchlechtsreife bzw. die Brunſtzeit beſondere Umänderungen mit ſich: wir lernten ſolche oben ſchon in der Umwandlung der Nereis- in die Heteronereis-Form kennen; andere ſind z. B. das Auftreten des Kammes bei den Männchen und im geringeren Maße auch bei den Weibchen des Kammolches (Molge cristata Laur.) oder des Hakens beim Lachsmännchen. Mit dem Aufhören des ſichtbaren Wachstums aber haben die Veränderungen ihren Höhepunkt erreicht: das Tier iſt „ausgewachſen“. Die dann noch auftretenden Verände— rungen ſind zumeiſt Verfallerſcheinungen, die mit dem zunehmenden Alter zuſammenhängen. Das Wachstum äußert ſich nach zwei verſchiedenen Richtungen, als Maſſenwachstum und als Formenwachstum; erſteres beſteht in Volumzunahme des Organismus, letzteres in Geſtaltveränderung. Häufig kommen ſie beide vereinigt vor; es kann aber auch das eine ohne das andere eintreten. Das Wachstum einer Schlange nach dem Eintritt der Geſchlechtsreife iſt überwiegend Maſſenwachstum; das Wachstum der Schmetterlingsraupe zum Schmetterling während des Puppenzuſtandes oder das Wachstum der oleanderblatt— förmigen, flachen Aallarve (Leptocephalus brevirostris) zum drehrunden jungen Aal (Abb. 359), die auf Koſten der vorhandenen Körperbeſtandteile ſogar unter Maſſen— abnahme geſchehen, ſind lediglich Formenwachstum. Die beim Maſſenwachstum ein— tretende Vermehrung der Körperſubſtanz iſt durch Aufnahme von Nahrung oder von Waſſer bedingt; letzteres ſpielt bei der erſten Entwicklung eine große Rolle: das Volum der Froſchlarve, die noch keine Nahrung aufnehmen kann, iſt größer als das des Eies, aus dem ſie ſich entwickelt hat, und die Zunahme kommt auf Rechnung aufgenommenen 586 Wachstum durch Vermehrung oder Vergrößerung der Zellen. Waſſers. Das Wachstum geht meiſt mit fortgeſetzter Vermehrung der Zellen durch auf— einanderfolgende Teilungen einher, ſo daß die Zellen des erwachſenen Tieres nicht größer ſind als die des jungen, das eben die Eihüllen verlaſſen hat. In einzelnen wenigen Fällen jedoch bleibt die Vermehrung der Körperzellen ſchon ſtehen, lange bevor das Individuum ſeine endgültige Größe erreicht hat, und das weitere Wachstum geſchieht — nur durch Ber | größerung der Zellen. So iſt > 7 > , 27 2 22 2 2 2 7 22 7 , VIER, 2 / 2 25 2 2 > DD I es 3 B bei NN DD NN NN N N N N N N N N NN N W N WV W N W \ \ N N N N N N N 7 2 > 2 5 MY 0 )) ) ) 00000) ) 0 N den Fadenwür— e, mern; beim Pferdeſpul⸗ III wurm (Ascaris , 2 HN é , megalocepha- RR: V VB la Clog.) beſteht n „kV i 90 beſteh , nach Gold— ſchmidt das - etwa 7mm?®hal: N, „„ tende Schlund— ,, ß 5 N 3 Tr RN rohr aus 33 DD DD D D D D DDD NN Zellen, das Zentralnerven— DDD GE Mu DISIIN Ss DD ET Zellen, das Ex⸗ kretionsorgan aus 3 Zellen, der Enddarm, die Lippen, der Spikularappa⸗ rat je aus eini— gen wenigen großen Zellen; nur der Darm iſt zellenreicher. Bei Oxyuris enthält die neugeborene Larve in ihren Organen, abgeſehen vom Epithel des Mitteldarms, die gleiche Zahl von Zellen wie das ausgewachſene Tier, z. B.65 Muskel- zellen. Auch bei Rädertieren iſt die Zahl der Darmzellen, der Muskel- und der Epidermiszellen konſtant, und das gleiche ſcheint für die Appendicularien unter den Manteltieren zu gelten. Die Schnelligkeit des Wachstums iſt bei einzelnen Tieren und beim gleichen Tier zu verſchiedenen Zeiten verſchieden; beſonders im Anfang iſt ſie ſehr bedeutend und nimmt ſpäter abſolut und relativ ab. Wie ſchnell es bei genügender Nahrungsmenge vorangehen kann, zeigen einige Angaben über Inſektenlarven: die Eier der Schmeißfliege (Calliphora vomitoria L.) haben ein mittleres Gewicht von 0,15 mgr, und die Larven erreichen im warmen Sommer binnen 5 Tagen ihr volles Gewicht von 0,09 — 0,11 gr, alſo etwa das 700 fache ihres Anfangsgewichtes; bei der Bienenlarve ſteigt das Gewicht vom Ausſchlüpfen bis zur Verpuppung in ſechs Tagen ſogar auf das 1000fache, und die Seidenraupe kommt nach 30 Tagen auf das 5400fache ihres Eigewichts. Daß die Abb. 359. Verwandlung der Aallarve zum jungen Aal. Nach Schmid. Aufhören des Wachstums. 587 Zunahme im Anfang ſchneller geht als ſpäter, beruht zum Teil auf einfachen Maßver— hältniſſen des Körpers: während die Maſſe proportional dem Kubus der Längeneinheit ſteigt, nimmt die reſorbierende Darmoberfläche nur proportional dem Quadrate der Längeneinheit zu (vgl. oben S. 46); ein kleineres Tier hat alſo, bei ähnlichem Bau, eine verhältnismäßig größere Darmfläche als ein größeres. Damit erklärt es ſich, daß das menſchliche Kind im erſten Monat täglich 35 g zunimmt, im dritten 28 g, im ſechſten 14 g, im neunten 10 g und im zwölften Monat nur 6 g. Kleinere Säugetiere ver— doppeln ihr Geburtsgewicht ſchneller als größere: Hund und Katze etwa in neun Tagen, das Schwein in 14, das Schaf in 15, das Rind in 47 und das Pferd in 60 Tagen. Indem ſo die Gewichtszunahme ſtetig abnimmt, wird bei vielen Tieren ein Punkt erreicht, wo die Stoffaufnahme nur noch ausreicht, den Verbrauch zu decken. Die neuen Zellteilungen dienen dann nur dazu, den beſtändigen Verluſt an Zellen zu erſetzen, der durch Zugrundegehen z. B. von Blutzellen, Epithel- und Drüſenzellen, wohl auch Muskel— zellen verurſacht wird; aber es bleibt kein Überſchuß mehr, der als Wachstum zu einer Vermehrung der Maſſe und Größe des Tieres führte: das Tier iſt ausgewachſen. Aller— dings gibt es Tiere, die ihr ganzes Leben hindurch wachſen, wie Tintenfiſche oder Fiſche, wohl auch viele niedere Tiere wie Seeſterne, Blutegel u. a. Aber über ein beſtimmtes Höchſtmaß, das für die einzelnen Arten verſchieden iſt, kommen ſie nicht hinaus. Es kann da nicht einfach das jedesmalige Verhältnis der Maſſe zur Darmoberfläche ſein, was ein weiteres Wachstum verhindert: es iſt nicht wahrſcheinlich, daß die Darmober fläche bei einer ausgewachſenen Katze ſo viel kleiner wäre als bei einem gleich großen jungen Löwen, oder bei einer ausgewachſenen Maus ſo viel kleiner als bei einer jungen Ratte von gleicher Größe, oder gar innerhalb der gleichen Art bei verſchiedenen Raſſen z. B. bei einem Zwergpintſcher und einem jungen Bernhardiner. Hier ſcheinen vielmehr andere Verhältniſſe vorzuliegen: das Höchſtmaß iſt erblich bedingt für jede Art, es iſt ſchon im Ei geradezu die Zahl der Zellgenerationen feſtgelegt, die bei einer beſtimmten Art aufeinanderfolgen können. Wohl mag das erreichbare Höchſtmaß innerhalb einer Gruppe durch das phyſiologiſche Verhältnis der Oberfläche und Maſſe in der Organiſation begründet ſein; jeder Organiſationsplan hat ſeine Maximalgröße: die niederen Krebſe z. B. halten ſich in Maßverhältniſſen, die von den zehnfüßigen Krebſen weit übertroffen werden; die größten Inſekten ſind kaum größer als die kleinſten Vögel; unter den Weich— tieren erreichen die Tintenfiſche, die am höchſten organiſiert ſind, auch die bedeutendſte Größe (vgl. oben S. 273 f.), und alle niederen Tiere werden im Höchſtmaß der Größe übertroffen von den Wirbeltieren mit ihrer hohen Organiſation, in deren Reihen wir die Iguanodonten, Elefanten und Walfiſche finden. Dafür aber, daß innerhalb jeder Abtei— lung manche Arten ſo weit hinter dem Höchſtmaß zurückbleiben, müſſen wir nach anderen Gründen ſuchen. Es ſind wahrſcheinlich Zweckmäßigkeitsverhältniſſe, die für jede Form die Ausbildung einer beſtimmten Körpergröße bedingen. Denn ſowohl bedeutende wie geringe Größe haben ihre Vorteile und ihre Nachteile. Bedeutende Körpergröße bringt einen verhältnismäßig geringeren Stoffwechſel und daher ein relativ geringeres Nahrungs— bedürfnis mit ſich; ſie bietet mehr Sicherheit vor Feinden wegen der größeren Wehr— haftigkeit und Schnelligkeit; dem ſtehen als Nachteile gegenüber langſameres Wachstum, ſpäte Geſchlechtsreife, geringere Nachkommenzahl und längere Inkubationsdauer für Eier oder Tragzeit bei lebendiggebärenden Tieren. Die Vorteile der Kleinheit liegen in verhältnismäßiger Erſparnis von Material und abſolut kleinerem Nahrungsbedürfnis, in früher Geſchlechtsreife, großer Nachkommenzahl und ſchnellerer Entwicklung der Nachkommen; als Nachteile erweiſen 588 Geſchlechtsreife. Pädogeneſe. Diſſogonie. ſich die geſteigerte Gefahr der Vernichtung durch größere Feinde, die geringere Widerſtands— fähigkeit und der regere Stoffwechſel, der ein ſtarkes Nahrungsbedürfnis bedingt und längeres Faſten bei Nahrungsmangel ausſchließt. Je nach der Lebensweiſe einer Art können die einen oder anderen Vorteile ſchwerer wiegen, und dieſe oder jene Nachteile weniger fühlbar ſein. Die weſentlichen Umwandlungsprozeſſe find im allgemeinen beendigt, wenn das Tier fortpflanzungsfähig oder, wie man ſagt, geſchlechtsreif geworden iſt. Bei manchen Tieren fällt die Geſchlechtsreife mit dem Höhepunkt der Entwicklung, dem Ende des Wachstums zuſammen, und oft erfolgt unmittelbar nach der geſchlechtlichen Fortpflanzung der Tod: ſo iſt z. B. unter den Coelenteraten bei den Quallen, unter den Ringelwürmern z. B. bei den Sproſſen von Autolytus, bei einzelnen Weichtieren, wie der Wegeſchnecke (Arion) und dem Tintenfiſch Rossia, bei den Kettenformen der Salpen und in der Reihe der Wirbeltiere bei den Neunaugen (Petromyzon) und dem Aal. Ganz gewöhnlich iſt dieſe Erſcheinung bei den Inſekten; bei ihnen kann man die Larven geradezu als Ernährungs- tiere von den fertigen Tieren als Geſchlechtstieren unterſcheiden, wenn ſchon dieſe in vielen Fällen ebenfalls Nahrung zu ſich nehmen. Mit der Begattung endet bei ihnen in der Regel das Leben der Männchen, und nach Ablage der letzten Eier gehen meiſt auch die Weibchen zugrunde; allerdings kann ſich die Eiablage bei manchen Formen lange hin— ziehen, z. B. beim großen braunen Rüſſelkäfer unſerer Forſten (Hylobius abietis L.) durch zwei Jahre. Nur wenige Inſektenweibchen überleben die Eiablage längere Zeit, wie die Maul— wurfsgrille (Gryllotalpa) und der Ohrwurm (Forficula). Wenn man Eintagsfliegen an der Ausübung ihrer geſchlechtlichen Funktionen hindert, alſo iſoliert in der Gefangenſchaft hält, jo bleiben fie nicht unbeträchtlich länger am Leben als unter normalen Verhältniſſen. Es gibt aber auch Fälle von Frühreife, wo die Fortpflanzungsfähigkeit ſchon er— langt wird, ehe das Maſſen- und Formenwachstum zu Ende gekommen ſind. So werden die jungen Lachsmännchen ſchon als Sälmlinge, im zweiten Herbſt ihres Lebens reif, noch ehe ſie das Süßwaſſer verlaſſen haben und ins Meer ausgewandert ſind und be— fruchten die Eier der in ihre Wohnbäche aufgeſtiegenen Weibchen. Bei den Seeforellen (Salmo lacustris L.) pflegt man fünf aufeinander folgende Stufen der Ausbildung zu unterſcheiden; aber ſchon auf der zweiten Stufe werden die Männchen, auf der dritten die Weibchen reif, und ähnliche Beiſpiele ließen ſich in großer Menge anführen. Beſonders wunderbar mutet es aber an, wenn Tiere die geſchlechtliche Reife in einem jugendlichen Zu— ſtande erlangen, den wir gewöhnlich als Larvenſtadium bezeichnen. Die in Blättern minieren— den Larven einer Gallmückenform, Miastor, gebären lebendige Larven, die ſich in ihrem Leibe parthenogenetiſch aus Eiern entwickelt haben. Bei einer anderen Mücke aus der Gattung Chironomus hat man beobachtet, daß die hier freibewegliche Puppe Eier ablegt. Die Larve dort, die Puppe hier ſterben nach der Fortpflanzung, gelangen alſo nie in den Zuſtand des ausgebildeten Inſekts; ihre Nachkommen entwickeln ſich weiter zu geflügelten Mücken: es iſt aber durch die Frühreife eine Beſchleunigung der Vermehrung bewirkt worden. Dieſe Art der Frühreife mit parthenogenetiſcher Fortpflanzung iſt mit dem Namen Pädogeneſe belegt. Eine verwandte, aber davon in mehrfacher Hinſicht verſchiedene Erſcheinung iſt die ſogenannte Diſſogonie: jo bezeichnet Chun die zweimalige Geſchlechtsreife eines und des— ſelben Individuums in zwei verſchiedenen Formzuſtänden, zwiſchen die unter Rück— bildung der Geſchlechtsorgane eine Metamorphoſe eingeſchaltet iſt. Bei den gelappten Rippenquallen der Gattungen Eucharis (Abb. 105, S. 177) und Bolina tritt nämlich im Sommer an den jungen Larven (Abb. 106) zwei oder drei Tage nach dem Verlaſſen der Eihülle Geſchlechtsreife ein; die kleinen, 1I—2 mm im Durchmeſſer meſſenden Tierchen find * Neotenie. Lebensdauer. 589 wie die Erwachſenen zwitterig und entleeren ihre Geſchlechtsprodukte nach außen. Darnach bilden ſich die vier „Zwitterdrüſen“ völlig zurück und die Larven werden unter eingreifenden Veränderungen ihres Ausſehens zu gelappten Rippenquallen. Die doppelte Geſchlechtsreife bewirkt eine reichlichere Vermehrung dieſer Tiere, die ihres beſtändigen Aufenthaltes an der Meeresoberfläche und ihres zarten Baues wegen durch Stürme ſehr gefährdet werden. Mit Frühreife darf es aber nicht verwechſelt werden, wenn ein Tier auswächſt, ohne ſeine Larveneigentümlichkeiten abzulegen und alle oder doch gewiſſe jugendliche Cha— raktere beibehält, die bei erwachſenen geſchlechtsreifen Tieren ſeiner Verwandtſchaft nicht mehr vorhanden ſind. Dieſer Zuſtand heißt Neotenie; neoteniſch iſt z. B. ein erwachſener Menſch, der ſeine Milchzähne beibehalten hat. Bei unſeren Waſſermolchen, beſonders bei Molge alpestris Laur. und vulgaris L., kommt es zuweilen vor, daß die Meta— morphoſe unter Verluſt der Kiemen, die zum landbewohnenden Tier führt, unterbleibt; es geſchieht dies, wenn ſie in Gewäſſern mit ſteil abfallenden Rändern leben, ſo daß ſie nicht ans Land gehen können, oder wohl auch in anderen Gewäſſern, wenn ſie zur Zeit, wo die Metarmophoſe eintreten ſollte, dort ſehr reichliche Nahrung finden. Sie wachſen dabei aber weiter, erreichen die Größe normaler Individuen, werden geſchlechtsreif und pflanzen ſich fort, ohne die Larvencharaktere einzubüßen. Es wäre aber irreführend, wenn man ſagen wollte, ſie werden als Larven geſchlechtsreif; eine Frühreife liegt nicht vor. Bei dem mexikaniſchen Axolotl (Amblystoma mexicanum Cope) iſt die geſchlechtliche Reife unter Beibehaltung der larvalen Kiemen und des Ruderſchwanzes das Gewöhnliche; die Verwandlung zu einer ſalamanderähnlichen Form, die bei den nächſten Gattungs— verwandten des Tieres die Regel iſt, tritt hier nur ausnahmsweiſe auf; man kannte dieſe kiemenloſe Form ſchon früher und hielt ſie für eine geſonderte Art, bis 1865 im Jardin d’Acelimatisation in Paris zum erſten Male beobachtet wurde, daß ſich junge Axolotl unter Verluſt der Kiemen und des Floſſenſaumes am Schwanz zu dieſer Form um— wandelten. Vielleicht darf man alle dauernd kiemenatmenden Schwanzlurche, die Perenni— branchiaten, als neoteniſch unter Beibehaltung von Larvenmerkmalen reif gewordene Ab— kömmlinge landbewohnender Vorfahren betrachten. Auch einige andre Tiergruppen, die Appen— dicularien und Rädertiere, werden von manchen Forſchern als neoteniſche Formen angeſehen. Wo die Lebensdauer über den erſten Eintritt der Geſchlechtsreife hinaus verlängert iſt, produziert das Tier entweder dauernd oder zu wiederholten Malen mit periodiſchen Zwiſchenräumen Geſchlechtsprodukte und erreicht ein höheres Alter. Ein Vergleich zwiſchen dem verſchiedenen Alter, das die Tiere erreichen, gibt ein recht unbefriedigendes Bild. Es iſt kein Grund zu finden, der für die vorhandenen Unterſchiede maßgebend wäre. Man könnte glauben, daß träge Tiere, die ihren Körper wenig abnutzen, zu beſonders hohem Alter kommen; aber gerade die überaus lebhaften Vögel mit ihrem regen Stoffwechſel gehören zu den Tieren, die das höchſte Lebensalter erreichen! Die Annahme, daß große Tiere älter werden als kleinere, ſtimmt vielleicht bei den Säugern, wo Elefant und Walfiſch beſonders alt, vielleicht 200 Jahre und darüber, werden; aber der Papagei ſcheint ſo alt zu werden wie der Adler. Daß langſam wachſende Tiere ein höheres Alter erreichen als ſchneller wachſende, ſtimmt auch nicht durchaus: die Kröte wird erſt nach mehreren Jahren reif und erreicht ein Alter von 40 Jahren ebenſo wie der Kuckuck, der nach einem Jahre reif iſt. Die Annahme, daß Tiere mit ſpärlicher Nachkommenſchaft zu einem höheren Alter ge— langen als ſolche mit reichlicher, iſt nicht ohne weiteres richtig: Karpfen und Adler werden über 100 Jahre alt, und jener produziert jährlich im Durchſchnitt 500000 Eier, dieſer deren nur 2—3. Wenn man aber ſo argumentiert, daß Arten mit geringer Nachkommenſchaft nur 590 Lebensdauer. dann erhalten bleiben, wenn die Individuen ein hohes Alter erreichen, ſo iſt damit für die Urſache des hohen Alters nichts erklärt. Es iſt uns vielfach ganz unmöglich, einen Grund für die verſchiedene Lebensdauer ähnlich lebender Arten zu finden: ſo iſt die Wegſchnecke Arion empiricorum Fer. einjährig, Limax einereus Lister dagegen 2½ —3 jährig, oder die Teichſchnecke Limnaea stagnalis L. lebt 2, die Gartenſchnecke (Helix hortensis Müll.) länger als 9 Jahre. Wollte man das damit begründen, daß die Konſtitution dieſer Schnecken verſchieden ſei, ſo wäre das nichts als eine Umſchreibung der Tatſache. So möge es genügen, wenn hier eine Anzahl Angaben über das Alter der Tiere, ſoweit man darüber unterrichtet iſt, angeführt wird. Coelenteraten: Actinia equina L. 50 Jahre, Cerianthus membranaceus Haime 24 J., Heliactis bellis Ell. 67 J. — Würmer: Regenwurm mehr als 10 J., Blutegel über 20, vielleicht 27 J.; das Rädertier Hydatina senta Ehrbg. bei 18“ C 13 Tage. Gliederfüßler: Flußkrebs bis 20 J., Spinnen meiſt nur 1—2 J., Atypus piceus Sulz. 7 J., Mygale über 15 J. Bei Inſekten wäre die Entwicklungsdauer einzurechnen, die bei uns höchſtens 4—5, bei einem chineſiſchen Bockkäfer 7, bei der amerikaniſchen Cicada septemdecim L. angeblich 17 Jahre dauert; ſie kann dadurch verlängert werden, daß eingeſponnene Larven oder Puppen „überliegen“, d. h. mehrere Jahre unverändert bleiben, ehe ſie ausſchlüpfen, ſo regelmäßig bei manchen Blattweſpen (Lyda) und mehr oder weniger häufig bei Schmetterlingen, und zwar überwinterten in einzelnen Fällen die Puppe von Saturnia pavonia L. 5 mal, eine von Sphinx euphorbiae L. 7 mal, Biston alpinus Sulz. bis 7 mal und Bombyx lanestris var. arbusculae Frr. bis 8 mal. Die Lebensdauer des fertigen Inſekts iſt meiſtens ſehr kurz; aber auch da gibt es Ausnah— men: Käfer (Carabus auratus L., Blaps mortisaga L., Timarcha) wurden 5 Jahre in der Gefangenſchaft gehalten; die Bienenkönigin wird 3, ja bis 5 Jahre alt, während eine Arbeiterin in der Haupttrachtzeit nur 6 Wochen lebt; Ameiſen aus den Gattungen Lasius und Formica ſind 10—15 Jahre in der Gefangeſchaft beobachtet. — Von Weichtieren wird Natica 30 Jahre, Paludina 8-10 Jahre, Helix hortensis Müll. über 9 Jahre, Limnaea stagnalis L. 2 Jahre; alle Arion-Arten, Limax tenellus Nils. und Agriolimax agrestis L. 1 J., alle übrigen Limax 2½ —3 J.; Teich- und Flußmuſcheln (Anodonta und Unio) 12—14 J., die Bachperlmuſchel (Margaritana) 50—60, ja ſelbſt bis 80 und 100 Jahre; der Tintenfiſch Rossia macrosoma Chiaje iſt einjährig, andre werden wahrſcheinlich ſehr alt. — Von Wirbeltieren werden unter den Fiſchen der Karpfen und Hecht, wahrſcheinlich auch der Wels, über 100 Jahre alt. Von Amphibien wurde Molge alpestris Laur. 15 J., M. cristata Laur. 12 J., Salamandra maculosa Laur. 11 J., der Laubfroſch über 10 Jahre in Gefangenſchaft gehalten; die Kröte ſoll über 40 Jahr alt werden. Von Reptilien kennt man wenige Angaben: Testudo Dau- dinii war 150 Jahre in der Gefangenſchaft und im ganzen wohl 300 Jahre alt; Pseudopus apus Pall. hielt ſich über 12 Jahre, Seincus officinalis Laur. und Uromastix acanthinus 9½ Jahre in Gefangenſchaft. Am beſten iſt das Lebensalter der Vögel be— kannt: Haushahn 15—20 J., Silbermöwe 44 J., Gans und Eiderente 100 J., Schwan 102 J., Fiſchreiher 60 J., Storch 70 J., Kranich 40 J., Falke 162 J., Steinadler 104 I., Geier 118 J., Uhu über 68, vielleicht 100 J., Amſel 18 J., Kanarienvogel bis 24 J, Kardinal (Paroaria cucullata Lath.) 29½½ J., Rabe über 100 J.,, Elſter 25 J., Turtel— taube 40 J., Krontaube 53 J., Kuckuck 40 J., Papagei über 100 J. Von Säugern erreicht der Eſel 106 Jahre, das Pferd 40—60 J., Maultiere 40—45 J., Rind 20—25 JI, Schaf 20 J., Hund 28 J., Katze 22 J., Elefant 150-200 Jahre. Viertes Buch Nervenſyſtem und Sinnesorgane 593 A. Bau und Verrichtungen des Nervenfyltems im allgemeinen. Der Körper der Tiere beſteht aus einer Vielheit von Organen, deren jedes eine gewiſſe Selbſtändigkeit in ſeiner Arbeit beſitzt, aber doch nur im Zuſammenhang mit den anderen arbeiten und leben kann. Die Geſamtleiſtungen, die ſich uns als Leben dar— bieten, können aber nur dann zuſtande kommen, wenn die Tätigkeit der einzelnen Organe in beſtimmter Weiſe untereinander koordiniert iſt, wenn jedes zur rechten Zeit in das Getriebe eingreift, und wenn ſeine Tätigkeit derart abgeſtuft auftritt, daß eine einheitliche Endwirkung erreicht wird, die den Anforderungen der inneren und äußeren Lebensver— hältniſſe gerecht wird. Die Harmonie mit den inneren und äußeren Bedingungen kann aber nur dann zuſtande kommen, wenn dieſe ihrerſeits auf den Körper einwirken: die lebendige Subſtanz wird durch die Veränderungen der Bedingungen gereizt, ſie gerät in Erregung, und durch dieſe wird Tätigkeit ausgelöſt als Reaktion auf den Reiz. Als Reize wirken ebenſo Veränderungen der Außenwelt, wie Veränderungen des eigenen Körpers. Solche Reize wirken nur an beſchränkten Stellen auf den Körper ein, an Stellen, die nur in ſeltenen Fällen ſo gelegen ſind, daß eine Beantwortung des Reizes durch Tätigkeit des unmittelbar gereizten Körperteils für das Tier erhaltungsgemäß iſt. Deshalb müſſen die durch die Reize erzeugten Erregungen weiter geleitet werden, von den Stellen, wo ſie aufgenommen werden, zu den Stellen, wo die Erregung ſich in Organtätigkeit umſetzt, d. h. wo die Reizbeantwortung ſtattfindet. Die Aufnahme des Reizes und die Fortleitung der Erregung geſchieht durch ein beſonderes Organſyſtem, das Nervenſyſtem. Der Tätigkeit des Nervenſyſtems alſo iſt die Einheitlichkeit im Zuſammenwirken der Teile und die Reaktion auf die jeweiligen Einwirkungen der äußeren Verhältniſſe zuzuſchreiben: es bildet die Verbindung zwiſchen den gereizten und den auf Reiz hin arbeitenden Organen, zwiſchen Aufnahme- und Er— folgsorganen, es bietet die Bahnen dar, auf denen die Erregungen von den einen zu den anderen geleitet werden. Die Reizaufnahme iſt für die Tätigkeit des Nervenſyſtems weſentlich: aus ſich heraus kann es nicht arbeiten; ſeine Tätigkeit wird ſtets hervor— gerufen durch äußeren Anſtoß, der aber ebenſowohl von der Außenwelt im engeren Sinne wie von den übrigen Organen des Körpers ausgehen kann. Andrerſeits beherrſcht das Nervenſyſtem die geſamten Lebensäußerungen um ſo mehr, je höher ein Tier organiſiert iſt: die Abſonderung der verdauenden Säfte und die Bewegungen der Darmmuskulatur, die Atmung, die Herztätigkeit und die Blutverteilung in den Gefäßen, die Funktionen des Geſchlechtslebens, all das ſteht unter ſtändiger Kontrolle des Nervenſyſtems, erhält von dort Anſtoß und Hemmung. Am deutlichſten aber tritt die Abhängigkeit vom nervöſen Geſchehen bei der Tätigkeit der Körpermuskulatur hervor: „Was ſich ſpäter draußen in Form von Körperbewegungen durch Muskelkontraktion abſpielen wird, das muß ſich vorher im Wechſelſpiel der Ganglienzellen im Zentralnervenſyſtem zugetragen haben.“ Aus dieſen Aufgaben des Nervenſyſtems ergibt ſich, daß es um ſo höher ausgebildet und reicher gegliedert ſein wird, je zahlreicher einerſeits die Organe ſind, die den Körper Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 38 594 Reizaufnahme und =leitung bei Protozoen. zuſammenſetzen, je weiter alſo die Arbeitsteilung in ihm geht, und je mannigfaltiger und wechſelnder andrerſeits die Beziehungen ſind, die der Körper zur Außenwelt hat. Bei einem Lebeweſen wie dem Süßwaſſerpolypen (Hydra), der faſt nur aus der äußeren Körperhaut und dem inneren Magenſack beſteht, iſt daher das Nervenſyſtem einfach und ſpärlich ausgebildet, und Tiere, die unter ſehr einförmigen, gleichbleibenden Bedingungen leben, wie etwa die Darmparaſiten, haben ein Nervenſyſtem, das viel geringer entwickelt iſt als bei ihren freilebenden Verwandten. Andrerſeits überragen Ameiſen oder Tinten— fiſche mit ihren reich ausgebildeten Beziehungen zur Umwelt ihre Gruppenverwandten weit durch die Ausbildung ihres Nervenſyſtems. Überall im Tierreich ſehen wir die Entwicklung dieſes Organſyſtems mit der Höhe der Organiſation und Mannigfaltigkeit der Lebensäußerungen gleichen Schritt halten, und die vergleichende Betrachtung eröffnet uns zahlreiche Einblicke in die gegenſeitigen Beziehungen von Bau und Leiſtung auch in dieſem Gebiet. Das hohe Endziel ſolcher Unterſuchungen iſt das Verſtändnis des Menſchenhirns als des Organs der Denkarbeit, und unſrer Sinnesorgane als der Pforten, durch die die Kenntnis der umgebenden Welt in uns hinein gelangt. Wenn wir auch von der Erreichung dieſer Aufgabe noch himmelweit entfernt ſind, ſo verleiht doch gerade die Beziehung zu den höchſten Problemen, die den Menſchen bewegen, der Arbeit einen beſonderen Reiz. „Das vergleichende Studium der Sinnesorgane und der nervöſen Zentren bleibt die erhabenſte Quelle für unſere Vorſtellung der Welt als eines Hirn— phänomens“ (Soury). Bei den Protozoen, deren ganzer Leib ja nur eine einzige Zelle darſtellt, ſcheint im allgemeinen die Aufnahme von Reizen und die Weiterleitung der durch ſie bedingten Erregung durch das geſamte Protoplasma vermittelt zu werden, ohne Bevorzugung be— ſtimmter Stellen und Bahnen. Eine Amöbe iſt an jedem Teil ihrer Oberfläche äußerer Reizung zugänglich, und wenn man z. B. die äußerſte Spitze eines Scheinfüßchens kräftig berührt, zieht ſie ihre geſamten Fortſätze ein. Die Fähigkeit der Reizaufnahme und Erregungsleitung iſt eben eine Grundeigenſchaft des Protoplasmas, ebenſo wie die Be— wegungsfähigkeit. Wie aber bei vielen Protozoen die letztere an beſondere Plasma— differenzierungen innerhalb der Zelle gebunden ſein kann, die ſogenannten Myophanfäden, ſo iſt es auch nicht ausgeſchloſſen, daß auch in manchen Fällen beſtimmte erregungs— leitende Bahnen bei Protozoen vorgebildet ſind, ebenſo wie es wahrſcheinlich iſt, daß es bei hochdifferenzierten Formen unter ihnen beſondere reizaufnehmende Stellen gibt. In dem vielzelligen Körper der Metazoen jedoch iſt wie für die Bewegung jo auch für Reizaufnahme und Erregungsleitung ein beſonderes Organſyſtem differenziert, deſſen Elemente dieſe Verrichtungen ausſchließlich zu beſorgen haben und daher für ſie mehr geeignet ſind als die anderen Zellen, in denen Reizbarkeit und Leitungsfähigkeit ſehr herabgeſetzt ſind: es iſt das Nervenſyſtem. Die anatomiſchen Einheiten, aus denen ſich das Nervenſyſtem zuſammenſetzt, ſind Zellen, die einen oder eine Anzahl fadenförmige Ausläufer beſitzen. Eine ſolche Zelle mitſamt ihren Ausläufern heißt ein Neurön oder Neüron (Plural: die Neuronen oder Neuren). Man hat früher geſagt, das Nervenſyſtem beſtehe aus Nervenzellen und Nervenfaſern. Aber die Faſerbildungen, die allerdings einen ſehr augenfälligen und der Maſſe nach überwiegenden Beſtandteil dieſes Syſtems ausmachen, ſind ſtets Ausläufer von Zellen und gehören daher mit ihrer Urſprungszelle zu einem Ganzen zuſammen; es gibt keine Nervenfaſern, die nicht von einer Nervenzelle ihren Urſprung nehmen. Wenn Neuronen. 595 dieſe Erkenntnis erjt verhältnismäßig neu iſt, jo liegt das daran, daß die Ausläufer der Nervenzellen oft ſo zahlreich und lang ſind, daß die geſonderte Darſtellung eines Neurons mit allen ſeinen Teilen eine ſehr ſchwierige Aufgabe iſt. Die fortgeſchrittene Unter— ſuchungstechnik hat uns jedoch ein paar Methoden beſchert, die es geſtatten, einzelne Nervenzellen mit allen ihren Fortſätzen geſondert zu färben, während die benachbarten Neuronen, deren Ausläufer mit jenen eng verflochten ſind, ungefärbt bleiben. Die eine dieſer Methoden, von dem italieniſchen Anatomen Golgi erfunden, beſteht darin, daß man das Gewebsſtück, deſſen Nervenelemente man unterſuchen will, zuerſt mit chrom— ſäurehaltigen Miſchungen durchtränkt und dann mit einer Löſung von ſalpeterſaurem Silber nachbehandelt. Der dunkelbraune, faſt ſchwarze Niederſchlag von Chromſilber, der dann in den Geweben entſteht, beſchränkt ſich dabei auf einzelne Zellen, die er aber oft in allen ihren Teilen erfüllt, während die Umgebung von Niederſchlag frei bleibt; auf Schnitten heben ſich dann dieſe Zellen ſchwarz vom hellen Untergrund ab. Eine ähnliche „elektive“, d. h. nur einzelne Zellen betreffende Färbung liefern dünne Löſungen eines Anilinfarbſtoffs, des Methylenblaus, bei Anwendung auf lebensfriſche Teile von Nerven— gewebe. Dieſe Eigenſchaft des Methylenblaus wurde von dem Pathologen Ehrlich entdeckt und in die Unterſuchungstechnik eingeführt. Dieſen beiden Methoden und ihren Weiterbildungen verdanken wir eine Fülle von Aufklärung über den Aufbau des Nervenſyſtems. Bei der Unterſuchung der Entwicklung des Nervenſyſtems bei Embryonen entdeckte ferner der verſtorbene Anatom W. His, daß die Nervenfaſern aus den Neuroblaſten, d. h. den embryonalen Zellen, die ſich zu Nervenzellen umbilden, durch Auswachſen ent— ſtehen. Eine Anzahl älterer und neuerer Unterſucher glaubt zwar aus den mikroſkopiſchen Bildern ſchließen zu können, daß gewiſſe Nervenfaſern bei den Wirbeltieren ſich nicht als Ausläufer der Neuroblaſten bilden, ſondern aus Ketten aneinander gereihter Zellen entſtehen; die Zellkerne dieſer Zellen ſollen dann als Kerne der ſogenannten Schwann— ſchen Scheide fortbeſtehen, die bei den Wirbeltieren die peripheren Nervenfaſern überzieht. Eine ſolche Entſtehung trifft ſicher nicht zu für die im Rückenmark und Hirn verlaufen— den Nervenfaſern der Wirbeltiere und bei den Nervenfaſern der Wirbelloſen, denen eine ſolche Scheide fehlt. Weit wahrſcheinlicher iſt es daher, daß auch die mit einer zelligen Scheide verſehenen Nervenfaſern keine Ausnahme machen, ſondern ebenfalls als Fort— ſätze der Nervenzellen entſtehen, und daß die Scheidenzellen ſich ihnen entweder ſehr früh ſchon auflagern, oder gar den erſt ſpäter nachwachſenden Fortſätzen gleichſam den Weg bahnen, wobei Bilder entſtehen, die zu fälſchlicher Deutung Veranlaſſung geben können. Für die engſte Zuſammengehörigkeit der Nervenfaſern und Nervenzellen ſpricht auch eine Erfahrung pathologiſcher Natur. Vernichtet man den Zellkörper eines Neurons, jo gehen alle ſeine Fortſätze zugrunde; die benachbarten Neuronen aber werden nicht von der Entartung ergriffen. Wenn man einen Nerven, d. i. ein Bündel von Nervenfaſern durchſchneidet, ſo gehen, von Fällen des Zuſammenheilens abgeſehen, jene Teile der Faſern zugrunde, die durch den Schnitt von der Zelle abgetrennt worden ſind; die Teile aber, die mit dem Zellkörper im Zuſammenhang geblieben ſind, bleiben erhalten und können unter Umſtänden wieder auswachſen und den Nerven regenerieren. Anatomiſche, entwicklungsgeſchichtliche und pathologiſche Tatſachen ſprechen alſo gleichermaßen dafür, daß jede Nervenfaſer mit einer Nervenzelle zu einer Einheit, einem Neuron, gehört, daß das Nervenſyſtem ſich aus Neuronen aufbaut. 38 * 596 Geſtalt und Größe der Neuronen. Kaum irgendeine andere Zellart, die Spermazellen vielleicht ausgenommen, tritt in ſo verſchiedenen Geſtalten auf wie die Neuronen. Bei manchen geht vom Zellkörper nur ein Fortſatz ab, ſie ſind unipolar (Abb. 361 A); andere haben deren zwei oder viele, ſie ſind bipolar oder multipolar (Abb. 360). Wenn viele Fortſätze vorhanden ſind, ſo zeichnet ſich einer davon vor den übrigen aus: er gleicht mehr dem einen Fortſatz der unipolaren Neuronen, indem er im allgemeinen einen geſtreckten Verlauf hat und ſich nicht vielfach teilt, ſondern keine oder nur ganz dünne ſeitliche Aſte abgibt. Dieſer Achſen— fortſatz oder Axon, wie er genannt wird (Abb. 360, 7), iſt das Gebilde, das man als Nervenfaſer bezeichnet. Der Achſenfortſatz kann ſehr kurz bleiben, oft aber erreicht er eine ſehr bedeutende Länge: ſo iſt eine Nervenfaſer, die vom Lendenmark eines Menſchen bis an den Muskel einer Zehe geht und fo eine Länge von mehr als 1 m beſitzt, der Achſenfortſatz eines im Rückenmark gelegenen Zellkörpers. Die übrigen Fortſätze werden dem Achſenfortſatz als Dendriten gegenübergeſtellt; ſie ſind vielfach veräſtelt und erreichen 2 nur eine beſchränkte Länge. Manche Forſcher haben in 1 ihnen nur ernährende Fortſätze ſehen wollen; doch müſſen a 8 wir ſie unbedingt ebenſo wie den Achſenfortſatz als nervös % ms N 2 2 und leitend betrachten, wofür die Gründe weiter unten 1 = = beigebracht werden ſollen. 2 72 Die Größe des Neurons iſt ſehr wechſelnd: es gibt +7 mit unbewaffnetem Auge erkennbar ſind; jo meſſen manche N, ö ne ſehr kleine, und andrerſeits ſolche, deren Zellkörper ſchon 8 7 2 N Ganglienzellen bei Lophius, einem Knochenfiſch, bis zu a 9 * Sr 0,25 mm im Durchmeſſer. Die Größe des Zellkörpers 7 a a Zn wird durch die Ausdehnung der Fortſätze inſofern beein- RL / flüußt, als zu einem großen Zellkörper beſonders lange N nannten rieſigen Nervenfaſern im Rückenmark des Lanzett— 1 fiſchchens (Branchiostoma) entſpringen von beſonders Abb. 360. Multipolare Ganglienzelle großen Zellen, und die größten Zellen im Rückenmark 1 ee 1 1 5 9 des Zitterwelſes (Malapterurus) ſind die Zellkörper der | beiden Neuronen, denen die Verſorgung der elektriſchen Organe ausſchließlich obliegt: ihre Fortſätze beſitzen ſchätzungsweiſe 2 Millionen feinſte Enden. Die Neuronen haben in ihrem feineren Bau eine gemeinſame Eigentümlichkeit, die mit ihrer Verrichtung als erregungsleitende Zellen im engſten Zuſammenhange zu ſtehen ſcheint: in dem Protoplasma der Zellkörper und Fortſätze verlaufen in beſtimmter An— ordnung feine Fibrillen, die Neurofibrillen (Abb. 361). In den Fortſätzen ziehen ſie der Richtung des Fortſatzes parallel; die Zellkörper können ſie einfach auf dem kürzeſten Wege paſſieren, indem fie von einem Zellfortſatz in einen anderen übergehen (B und O), oder ſie ſind zu einem Gitterwerk angeordnet, das den Kern umgibt (A). Oft iſt nur ein ſolches Gitter vorhanden; in unipolaren Zellen dagegen findet man zuweilen zwei Gitter ein inneres und ein äußeres, die durch feine Fibrillen miteinander verbunden find; jedes von ihnen geht in Fibrillen des Achſenfortſatzes über (Abb. 361 A). In den Nervenfaſern verlaufen die Fibrillen geſtreckt, wenn die Faſern gedehnt ſind; dagegen ſind ſie geſchlängelt, wenn die Länge der Faſern durch ihre Elaſtizität ſich verringert. Die Neurofibrillen hat man jo vielfach in den Nervenzellen und -faſern nachweiſen können, daß mit gutem Grund eine allgemeine Verbreitung derſelben im Nervenſyſtem N 3 SQ oder zahlreiche und dicke Fortſätze gehören: die joge- ö =G * Neurofibrillen. 597 der Tiere angenommen werden darf. Darauf gründet ſich die Annahme, daß ſie den leitenden Beſtandteil des Nervenſyſtems vorſtellen. Ihr ununterbrochener Verlauf durch das Neuron und ihre Beziehungen zum Zellkörper ſind geeignet, dieſe Annahme zu ſtützen. Vielleicht darf man zugunſten dieſer Deutung auch einen eigentümlichen Befund anführen. Man hat beobachtet, daß Stentor und Spirostomum, ein paar hochentwickelte Wimper— infuſorien, abweichend von anderen Protozoen, durch Nervengifte wie Atropin, Nikotin, Morphin gelähmt werden, wie das bei den Metazoen geſchieht. Nun konnten gerade bei dieſen beiden Formen ebenfalls feine fibrilläre Gebilde im Protoplasma in der Nähe der kontraktilen Elemente ihres Zellkörpers nachgewieſen werden. Es liegt nahe, dieſe beiden zuſammentreffenden Tatſachen nach der gleichen Richtung zu verwerten, nämlich bei dieſen beiden Formen eine Lokaliſation der Erregungsleitung in Neurofibrillen an— zunehmen und darauf die Beeinfluſſung durch jene Gifte zurückzuführen. Abb. 361. Anordnung der Neurofibrillen in den Zellkörpern A eines unipolaren Neurons vom Blutegel, B eines multipolaren Neurons vom Regenwurm und C eines multipolaren Neurons vom Kaninchen. 1 zuleitende, 2 ableitende Neuro- fibrillen; 3 Neurofibrille des Achſenfortſatzes; in C zwiſchen den Neurofibrillen Niſſiſche Schollen. A und 5 nach Apäthn, C nach Bethe. Das Protoplasma des Neurons würde dann den Stoffwechſel der Neurofibrillen vermitteln. Das Zentrum des Stoffwechſels im Neuron iſt jedoch der Zellkörper, wie ſchon daraus hervorgeht, daß von ihm abgetrennte Fortſätze nicht weiter leben können. Im Zellkörper finden wir häufig Stoffe aufgeſtapelt, die als Vorratsſtoffe betrachtet werden dürfen: körnige, durch beſtimmte Farbſtoffe dunkel färbbare Maſſen, die in ſchollen— artigen Anhäufungen die Zwiſchenräume zwiſchen den Neurofibrillenzügen ausfüllen; ſie werden nach ihrem Entdecker Niſſlſche Schollen genannt (Abb. 361 C). Durch Verſuche an Hunden, die man teils ruhig ließ, teils durch lebhafte Bewegungen ſtark ermüdete, konnte man nachweiſen, daß in den Nervenzellen bei ſtarker Inanſpruchnahme neben anderen Veränderungen auch die Schollen ſich mehr und mehr im Protoplasma auflöſen, in der Ruhe aber ſich regenerieren (Abb. 9, S. 32). Ob die Zellkörper außer ihrem Einfluß auf den Stoffwechſel ſonſt noch eine be— 598 Verbindungen der Neuronen. 2 ſondere Rolle im Neuron jpielen, ob ſie auf die Erregungsleitung in den Neurofibrillen irgendwelchen Einfluß haben, ob ſie hemmend, anregend, Erregungen ſummierend wirken können, das ſind Fragen, deren Entſcheidung ſehr ſchwierig iſt. Die Zellkörper liegen in überwiegender Zahl in den ſogenannten Nervenzentren, in denen Beſonderheiten der Nervenleitung leicht nachweisbar ſind; das hat früher die unbedenkliche Bejahung jener Fragen zur Folge gehabt. Dabei hat die Auffaſſung des Kernes als Zentrum, das die Zelle und ihre Tätigkeit beherrſcht, wohl auch mitgewirkt. Die beſondere Anordnung der Neurofibrillen in manchen Zellkörpern kann vielleicht ebenfalls dafür ins Feld geführt werden, daß dem Zellkörper eine beſondere Rolle bei der Erregungsleitung zukommt; andrerſeits wiſſen wir aber, daß es in manchen Neuronen Neurofibrillen gibt, die gar nicht in den Zellkörper gelangen, ſondern aus einem Aſt eines Fortſatzes direkt in einen anderen übergehen. Wenn manche Forſcher in den Zellkörpern der Neuronen (den „Ganglienzellen“) gerade die höheren pſychiſchen Funktionen lokaliſieren wollen, wenn ſie in ihnen den Sitz der Erinnerungsbilder, der Willensimpulſe und dgl. ſehen möchten, ſo iſt das mindeſtens nicht die einzig mögliche Erklärung. Es kann auch die Verbindung und Anordnung der Neurofibrillen untereinander, wie in den Zellgittern mancher uni— polarer Nervenzellen und in den Verbindungsſtellen verſchiedener Neuronen, die ja auch vorwiegend in den Nervenzentren liegen, jenen Einfluß auf die Erregungsleitung aus— üben, der die zentrale Leitung von der peripheren unterſcheidet. Wir haben aber in die feinſten Zuſtände und Vorgänge in den Neuronen vorläufig noch zu wenig Einblick, als daß wir zwiſchen dieſen Möglichkeiten eine Entſcheidung treffen könnten. Über die Verbindung der Neuronen untereinander ſind die Anſichten der Unterſucher geteilt. Die Golgiſche Methode färbt immer nur einzelne Neuronen in ihrer ganzen Ausdehnung; auf das Nachbarneuron greift die Färbung nicht über; ein ununterbrochener Zuſammenhang, ein Übergehen der Fortſätze von einem Neuron auf das andere iſt daher mit Sicherheit nicht nachzuweiſen. Daher kommen die Forſcher, die ſich dieſer Methode bedienten, zu dem Ergebnis, daß eine unmittelbare Verbindung zwiſchen den Neuronen nicht vorhanden ſei; vielmehr ſollen ſie ſich nur aufs engſte berühren: die Verknüpfung geſchieht durch Kontakt. Dagegen heben beſonders die Forſcher, die den Verlauf der Neurofibrillen im Neuron dargeſtellt haben, Apäthy und Bethe, nachdrücklich hervor, daß dieſe von einem Neuron in das andere übergehen, daß ſie zuſammenhängende Netze bilden: die Neuronen ſtehen in Kontinuität miteinander. Das Fehlen ſolcher Verbin— dungen in Golgi-Präparaten führen ſie auf Unvollkommenheit der Methode zurück, die eine Imprägnierung der feinſten Fäſerchen nicht geſtatte. An ſich iſt es ja nicht unmög— lich, daß beiderlei Verbindungen vorkommen. Sicher iſt, daß es Fälle von mehr oder weniger breiten Verbindungen benachbarter Neuronen gibt, ja daß ſie in Geſtalt von Nervennetzen eine beſonders bei den wirbelloſen Tieren weit verbreitete Erſcheinung ſind. Ob aber überall Verbindungen zwiſchen den Neuronen durch ein Neurofibrillennetz vor— handen ſind, das läßt ſich erſt entſcheiden, wenn zahlreichere Unterſuchungen nach dieſer Richtung vorliegen. Im einzelnen können die Verbindungen hergeſtellt ſein durch Verknüpfung der Dendriten zweier Neuronen oder durch Beziehungen zwiſchen den Dendriten des einen und dem Achſenfortſatz des anderen Neurons (Abb. 362 A), wobei dieſer ſich an ſeinem Ende baumförmig veräſtelt, oder es wird der Zellkörper des einen Neurons von dem körbchenartigen Dendritenwerk des anderen aufs engſte umfaßt (Abb. 362 B). Ob für die Art der Leitung dieſe Verſchiedenheiten einen Unterſchied bedingen, das wiſſen wir nicht. Nervenhüllen. 599 Die Achſenfortſätze der Neuronen, die Nervenfaſern, ſind bei den Wirbeltieren zum Teil mit beſonderen Hüllen verſehen. Eine äußere Hülle, die ſchon genannte Schwannſche Scheide, ſcheint vor allem den Faſern einen mechaniſchen Schutz zu bieten und ſie vor Zerrungen zu bewahren; denn im Gehirn und Rückenmark, wo die Nervenfaſern durch knorpelige oder knöcherne Hüllen geſchützt ſind, fehlt dieſe Scheide. Dagegen kommt eine andere Hülle ſowohl zentralen wie peripheren Nervenfaſern zu, die ſogenannte Markſcheide, die aus einer fett— artigen Maſſe, dem Nervenmark, beſteht. Bei den Faſern des ſo— gegenannten ſympathiſchen Nerven— ſyſtems der Wirbeltiere und überall bei den Wirbelloſen fehlt eine geſonderte Markſcheide, die die Faſern einhüllt; wohl aber läßt ſich in den Nervenfaſern vieler Wirbelloſen ein dem Nervenmark ähnlicher Stoff in mehr oder weniger reichlicher Menge nach— weiſen. Die Markſcheide ſcheint für die Reizleitung im Nerven von großer Bedeutung zu ſein, zu— nächſt in der Weiſe, daß ſie eine Iſolierung der Nervenfaſern ge— geneinander bewirkt. Damit ſteht wahrſcheinlich die größere Ge— ſchwindigkeit der Erregungsleitung in markhaltigen Nervenfaſern ge— genüber den markloſen im engſten Zuſammenhang. Bei den Wirbel— loſen mit ihren markloſen oder doch wenig markhaltigen Nerven— faſern iſt die Leitungsgeſchwindig— keit gering; bei der Teichmuſchel (Anodonta) beträgt ſie ſchätzungs— weiſe nur 1 em in der Sekunde, im Mantelnerven des Moſchus— pulps (Eledone moschata Leach ) 0,4—1 m, am Scherennerven des | | Abb 362. Verbindungen der Neuronen. 4 Verbindung durch korre— ſpondierende Endbäumchen (aus dem Mittelhirn eines Vogels), 1 Spindelzellen des Mittelhirns, links allein gezeichnet, 2 Endauffaſerung der Sehnervenfaſern, rechts allein; in der Mitte die Beziehung beider. 5 Endkörbchen umſpinnen den Zellkörper eines andern Neurons (aus dem Kleinhirn eines Säugers): die Zellkörper (7) der Purkinjeſchen Zellen (bei 1’ ohne Fortſätze angedeutet) werden von den Faſerkörben (3) der jog. Körbchenzellen umfaßt. Nach Kölliker. Hummers 6—12 m. Der markloſe Riechnerv des Hechtes zeigt eine Leitungsgeſchwindigkeit von 0,06 —0,24 m in der Sekunde, und Unterſuchungen am Pferd ergeben, daß ſich in markloſen Faſern die Erregung in der Sekunde um 3 m, in den markhaltigen dagegen um 30 m fortpflanzt. Beim Schenkelnerven des Froſches beträgt dieſe Geſchwindigkeit 27 m, beim Menſchen im Durchſchnitt 34 m in der Sekunde. Daß markloſe Faſern ſchneller 600 Ektodermale Herkunft des Nervenſyſtems. ermüden als markhaltige, hat vielleicht auch ſeinen Grund im Fehlen oder Vorhanden— ſein der Markſcheide. N Das geſamte Nervenſyſtem der Tiere ſtammt, ſoweit die Unter— 70 ſuchungen reichen, ſtets aus dem äußeren Keimblatt, dem Ektoderm. In 00 90000000 —— 1 vielen Fällen liegt auch die Mehrzahl der Neuronen mit ihren Zell— Nee körpern noch im Ektoderm, ſei es unmittelbar im äußeren Körper— N epithel (Abb. 363), oder in abgefalteten Teilen desſelben, wie fie im 0 r 10 Rückenmark und Gehirn der Chordatiere vorliegen. Die Fortſätze der anne Neuronen wachſen auch in andere Keimblätter ein; es kommt aber auch Abb. 363. nicht ſelten vor, daß Zellkörper den ektodermalen Mutterboden verlaſſen ber Neuron einer und dann im Meſoderm liegen: wo ſich ihre Herkunft verfolgen läßt, ne or ſtammen fie aus dem Ektoderm. Es iſt gewiß nicht ohne Bedeutung, zellen, 2 epitheliale daß es Zellen gerade des äußeren Keimblattes ſind, denen die Fähig— Muskelzellen, deren 8 0 9 ; Muskelfortſätze 3 Ffeit der Reizaufnahme und Erregungsleitung in beſonders hohem Maße auergeſchnitten ind eigen iſt; denn fie find äußeren Reizen auf jeder Stufe der Stammes⸗ entwicklung am meiſten ausgeſetzt geweſen und haben ſich daher jene Eigenſchaften in vollem Maße bewahrt und ſie noch geſteigert. OD B. Die Sinnesorgane. 1. Allgemeine Betrachtungen. Das Nervenſyſtem hat die doppelte Funktion, durch äußere Reize in Erregung ver— ſetzt zu werden, und dieſe Erregung den Erfolgsorganen (Muskeln und Drüſen) zuzuleiten, wo ſie dann die Reizbeantwortung auslöſt. Dementſprechend unterſcheiden wir einerſeits Aufnahmeorgane und die von ihnen ausgehenden, ſogenannten zentripetalen Nerven, und andrerſeits die zu den Erfolgsorganen hinführenden, zentrifugalen Nerven. Die Ver— bindung zwiſchen beiden iſt mehr oder weniger kompliziert und geſchieht in den Nerven— zentren. Dieſe drei Teile des Nervenſyſtems und ihre Verrichtungen müſſen wir nun nacheinander betrachten. Die Aufnahmeorgane, Rezeptionsorgane oder, wie ſie gewöhnlich genannt werden, Sinnesorgane liegen meiſt an der Peripherie des Tierkörpers; es gibt aber auch ſolche an und in den verſchiedenſten Organen des Körpers, die den Zentren Erregungen zu— leiten, die durch Zuſtandsveränderungen im Körper entſtehen. Nur ſelten geſchieht eine direkte Reizaufnahme in einem Nervenzentrum; daß ſie normaler Weiſe auch dort nicht unmöglich iſt, zeigt z. B. die Erregung des Atmungszentrums im Rautenhirn der Säuger durch den Kohlenſäuregehalt des Blutes. Die Sinnesorgane ſind die Pforten, durch welche Erregungen in den Körper der Tiere bzw. in deren Nervenſyſtem eintreten. Sie beſitzen die Fähigkeit, Reize der Außenwelt, die an ſich auf das gewöhnliche Protoplasma des Tieres nicht wirken würden, in wirkſame Nervenreize zu verwandeln. Dadurch „benachrichtigen“ ſie den Tierkörper von Veränderungen, die um ihn herum vorgehen, und bewirken, in Beantwortung derſelben, Veränderungen des eigenen Zuſtandes im Tierkörper, Bewegungen oder Abſonderungen. Das ganze Benehmen des Tieres iſt in Abhängigkeit von der Beſchaffenheit ſeiner Sinnesorgane. Die Sinnesorgane ſind ein notwendiger Beſtandteil des Nervenſyſtems: die auf— nehmenden Apparate ſetzen die ausführenden in Beziehung zur Umwelt. Vor allem aber Unterſchiede zwiſchen dem Sinnesleben der Menſchen und der Tiere. 601 iſt das Vorhandenſein vermittelnder Apparate, die die aufnehmenden und ausführenden verknüpfen, notwendig an das Daſein der beiden letzteren gebunden. Nervöſe Zentral— organe ſind daher mit den Sinnesorganen auf das engſte verknüpft: je höher die Aus— bildung der Sinnesorgane iſt, je mannigfacher und reicher die Quellen der Erregungen ſind, die einem Tiere auf dieſe Weiſe zugeführt werden, um ſo höher ſind auch die Zentralorgane entwickelt, in denen jene Erregungen zuſammengeordnet, in Beziehung ge— ſetzt, verarbeitet und weiter geleitet werden. Daher kann es nicht Wunder nehmen, daß ſo vielfach die Zentralorgane in engſter Lagebeziehung zu den Sinnesorganen ſtehen: bei den Schirmquallen (akraſpeden Meduſen) z. B. liegen die Nervenzentren dicht bei den Randkörpern mit ihren Sinnesorganen, und die Lage der wichtigſten Sinnesorgane am Vorderende des Körpers, in der Nähe des Mundes, hat bei den Weichtieren, Ringel— würmern, Gliederfüßlern und Wirbeltieren zur Folge, daß hier auch die Zentralorgane ihr mächtigſte Entwicklung erreichen und ſomit dieſer Abſchnitt als Kopf eine beſondere Rolle ſpielt. Der Menſch neigt zunächſt zu der Anſicht, daß den Tieren die gleichen Sinne zu— kommen wie ihm ſelbſt. Er iſt überzeugt, daß das Auge der Eule ebenſo der Licht— empfindung dient, wie das ſeine, daß der Hund mit der Naſe wittert, mit der Zunge ſchmeckt — und das mit Recht. Aber ſchon die Annahme, daß der Labyrinthapparat des Fiſches durch Töne erregt wird, wie der des Menſchen, erweiſt ſich bei näherer Unterſuchung als irrig. Je mehr vollends der Abſtand vom Menſchen zunimmt, beim Übergang von den Wirbeltieren zu den Wirbelloſen, deſto größer werden die Unterſchiede. Das Geruchsorgan der Inſekten hat man lange an den Tracheenöffnungen geſucht, wie es beim Menſchen am Eingang des Atmungsapparats liegt, und die Fühler hielt man für Hörorgane, entſprechend den Ohren. Aber genaue Beobachtung zeigte, daß die Ge— ruchsorgane auf den Fühlern ihren Sitz haben; und wo die Hörorgane genauer bekannt ſind wie bei den Heuſchrecken und Grillen, liegen ſie an Stellen, wo der naive Unter— ſucher ſie nicht vermuten würde: bei Grillen und Laubheuſchrecken an den Schienen der Vorderbeine, bei den Grasheuſchrecken jederſeits am erſten Hinterleibsſegment. Wer glaubt, die Augen müßten immer am Kopf ſitzen, der wird erſtaunt ſein, daß beim Fiſchegel (Piscicola geometra L.) ſolche auch am hinteren Körperende vorhanden ſind, und daß ein Borſtenwurm (Polyophthalmus pictus Duj.), auf jeder Seite ſeines Körpers eine Reihe von Sehorganen hat. Noch überraſchender aber iſt es, wenn ſich bei manchen Tieren eine Reaktion auf Lichtreiz nachweiſen läßt, aber keine Augen zu finden ſind, wie z. B. beim Regenwurm. Ein „Sehen ohne Augen“ erſcheint als ein Widerſpruch. Die naive Vermenſchlichung der Tiere wird gerade hier, beim Regenwurm, aufs gröblichſte enttäuſcht: eingehende Unterſuchung überzeugt uns, daß der Lichtſinn und ſeine Organe nicht an irgend eine engumſchriebene Stelle des Regenwurmkörpers gebunden ſind, ſondern ſich über die ganze Haut ausbreiten und an einzelnen Stellen reichlicher, an anderen ſpar— ſamer vorhanden ſind, wie beim Menſchen der Taſtſinn und die Taſtorgane. Wenn ſchon die Lage und Ausbreitung der Sinnesorgane bei den Tieren vielfach anders iſt als beim Menſchen, ſo liegt die Frage nahe, ob denn auch ihren Leiſtungen nach die Sinnesorgane der Tiere von denen der Menſchen abweichen. Sicher iſt das der Fall. Es iſt ganz bekannt, daß das Auge des Vogels ſchärfer iſt als das menſch— liche, und daß die Naſe des Hundes feiner wittert. Das Geruchsorgan mancher Schmetter— lingsmännchen wird durch Riechſtoffe gereizt, von denen wir abſolut nichts wahrnehmen, 602 Lückenhaftigkeit der menſchlichen Sinne. und noch dazu von erſtaunlich geringen Spuren derſelben. Eine Stubenfliege wird durch Saccharin anders erregt als durch Zucker, die für uns gleich ſchmecken: jenes vermeidet ſie, während ſie dieſen aufnimmt. Wir beſitzen Anhaltspunkte dafür, daß die Sinnesorgane mancher Tiere durch den Umfang der Reize, denen ſie zugänglich ſind, den menſchlichen Sinnesorganen überlegen ſind. Ultraviolette Strahlen ſind für den Menſchen nicht ſichtbar; dieſer Teil des Spektrums erſcheint einfach dunkel für uns. Verſuche beweiſen aber, daß die Ameiſen durch ſolche Strahlen gereizt werden. Ameiſen ſuchen im allgemeinen für ſich und ihre Brut die Dunkelheit. Wenn man auf ein künſtlich angelegtes, flaches, mit einer Glas— ſcheibe bedecktes Ameiſenneſt ein Spektrum fallen läßt, ſo tragen die Tierchen ihre Puppen aus dem Ultraviolett, das uns dunkel erſcheint, fort in das Ultrarot, das uns ebenfalls dunkel erſcheint. Man kann die ultravioletten Strahlen abblenden, wenn man das Licht durch eine Schicht von Schwefelkohlenſtoff fallen läßt, eine für unſer Auge durchſichtige, helle Flüſſigkeit. Läßt man Ameiſen die Wahl, ſich unter einem mit Schwefelkohlenſtoff gefüllten Glaſe aufzuhalten, alſo in ultraviolettfreiem Lichte, oder unter einer Schicht tiefgrünen, für uns dunklen Chromalauns, das aber die ultravioletten Strahlen durch— läßt, ſo ſammeln ſie ſich unter dem Schwefelkohlenſtoff, alſo in der für uns helleren Abteilung. Wie lückenhaft die menſchlichen Sinneseinrichtungen ſind, das lehrt uns eine einfache Überlegung. Unſer Ohr wird durch Schwingungen der Luft gereizt, deren Häufigkeit zwiſchen 16—23 und 41000 in der Sekunde liegt: das empfinden wir als verſchiedene Töne. Auch unſer Auge wird durch Schwingungen gereizt, und zwar liegt ihre Häufig— keit zwiſchen 481 Billionen und 764 Billionen in der Sekunde; wir empfinden ſie als Licht von verſchiedener Farbe je nach der Schwingungszahl. Es iſt ſicher anzunehmen, daß in der Natur auch Schwingungszuſtände zwiſchen 41000 und 480 Billionen Schwingungen in der Sekunde vorkommen; aber auf unſere Sinnesorgane haben ſie keinen Einfluß, für uns exiſtieren ſie nicht. Die Zahl der für uns hörbaren Töne um— faßt 11—12 Oktaven; in gleicher Beurteilung würden die uns wahrnehmbaren Farben nur 1 Oktave umfaſſen. Die Lücke aber, die zwiſchen den Grenzen der für uns wahr— nehmbaren Schwingungszuſtände klafft, beträgt 33— 34 Oktaven. Welch unendliche Menge von Naturerſcheinungen mögen uns damit verborgen bleiben! Eine photographiſche Platte wird durch viel mannigfaltigere Schwingungszuſtände affiziert als unſer Auge: die Grenzen derſelben liegen zwiſchen 18 Billionen und 1600 Billionen Schwingungen in der Sekunde; bei ähnlicher Berechnung wie für die Töne ſind das 7—8 Oktaven. Um die Orientierung der Vögel bei ihren Herbſt- und Frühjahrswanderungen zu erklären, hatte man ſeine Zuflucht zu der Annahme genommen, die Vögel beſäßen einen magnetiſchen Sinn, der auf magnetiſche Einwirkungen reagiere wie die Buſſole. Dieſe Annahme hat durchaus keine Wahrſcheinlichkeit. Immerhin wäre ein derartiger Sinn denkbar, und Tiere, die ihn beſäßen, würden nicht nur jede Veränderung ihrer Stellung zum Erdnordpol als Reiz empfinden, ſondern auch durch mancherlei andere Vorgänge erregt werden, z. B. durch Nordlichter, oder durch beſtimmt gerichtete galvaniſche Ströme. Beſäßen wir ein Sinnesorgan, das auf Elektrizität ſo fein reagierte wie unſer Auge auf Licht, ſo würden wir uns durch dasſelbe in der körperlichen Welt ausgezeichnet orientieren können, und zwar bei Nacht ſo gut wie bei Tag: aber die Welt würde für uns eine andere ſein; wir würden die Gegenſtände nach ihrer verſchiedenen elektriſchen Spannung unterſcheiden, wir würden vom Gewitter z. B. eine ganz andere Vorſtellung „Spezifiſche Energie“. N 603 bekommen, uff. Jedenfalls wäre dann der Galvanismus und ſeine Anwendungen nicht ſo lange unentdeckt geblieben. Für ein tieferes Eindringen in die Wirkungsweiſe der Sinnesorgane bildet die Be— obachtung am Menſchen den Ausgangspunkt. Durch viele Reize werden hier bewußte Empfindungen ausgelöſt, und dadurch wird es möglich, die Reizwirkung mit dem ange— wandten Reiz zu vergleichen. Die verſchiedenen Sinne geben uns verſchiedene Empfindungen. Werden nun durch die Sinnesorgane die Qualitäten der umgebenden Welt gleichſam in uns hineingeleitet, oder mit anderen Worten, ſind unſere Empfindungen ſo wenig oder ſo ſehr verſchieden wie die äußeren Reize, wodurch ſie hervorgerufen werden? Es iſt leicht erweislich, daß dies nicht der Fall iſt. Der quantitativen Verſchiedenheit in der Schwingungszahl der Reize, die Auge und Ohr erregen, entſprechen qualitativ verſchiedene Empfindungen, die verſchiedenen Farben bzw. Töne: treffen 400 Billionen Atherſchwingungen unſer Auge, ſo haben wir die Empfindung von Rot; ſind es deren etwa 700 Billionen, ſo empfinden wir Blau; die Reize verhalten ſich wie 4 zu 7; die ausgelöſten Empfindungen laſſen ſich in dieſer Weiſe nicht vergleichen. Der gleiche Reiz hat auf verſchiedene Sinnesorgane nicht die gleiche Wirkung: Chloroform ſchmeckt uns ſüß; aber die Geruchsempfindung, die es hervorruft, hat mit dieſer Geſchmacksempfindung gar keine Ahnlichkeit, und wiederum mit beiden unvergleich— bar iſt die Schmerzempfindung, die es an dünnen Hautſtellen verurſacht. Dieſelben Schwingungen einer Stimmgabel, die vom Ohr als Ton empfunden werden, rufen bei Berührung der Zungenſpitze mit dem Inſtrument einen Kitzel hervor. Atherwellen von geringerer Schwingungszahl (um 480 Billionen in der Sekunde) werden vom Auge als rotes Licht, von der Haut als Wärme empfunden. Dagegen beantwortet das gleiche Sinnesorgan verſchiedene wirkſame Reize mit der gleichen, ihm eigenen Empfindungsart. Die verſchiedenartigſten Reize, die auf das Auge wirken, rufen Lichtempfindung hervor; ſo die Atherwellen von der angegebenen Schwin— gungszahl, der elektriſche Strom, Druck und mechaniſche Verletzung der Netzhaut bei Operationen. Elektriſche Reizung bewirkt auf der Haut, je nach der Stelle, wo ſie an— ſetzt, Wärme-, Kälte-, Schmerz- oder Druckempfindung; ſie bewirkt im Ohr Hören, im Auge Lichtempfindung und an verſchiedenen Stellen der Zunge ſüßen, ſauren, ſalzigen und bittern Geſchmack. Nicht bloß Reizung der Endorgane, ſondern auch ſolche der betreffenden Nerven ruft die ſpezifiſche Wirkung hervor: Durchſchneiden des Sehnerven beim Herausoperieren kranker Augen wird vom Patienten als Lichtblitz empfunden, und mechaniſche Reizung der einen Teil der Schmeckorgane innervierenden „Chorda tympani“, wie ſie bei Verletzungen im Mittelohr zuweilen vorkommt, löſt Geſchmacksempfindungen aus. Die Art des Reizerfolges, alſo beim Menſchen die Art der Empfindung, wird ſomit nicht durch die Art des Reizes beſtimmt, ſondern durch die Eigenart des gereizten Sinnesapparats; Johannes Müller, der dieſe Tatſachen zuerſt gebührend würdigte, bezeichnet das als die „ſpezifiſche Energie“ des Sinnesnerven oder der Sinnesſubſtanz. Dieſe Eigenart oder ſpezifiſche Energie iſt nicht eine ausſchließliche Eigentümlichkeit der Sinnesapparate: ſie kommt aller lebenden Subſtanz zu. Es iſt die Eigenart des Hühnereies, daß daraus ein Huhn, die des Enteneies, daß daraus eine Ente wird, bei völliger Gleichheit der auf ſie einwirkenden Brutwärme. Auf elektriſche, chemiſche, ther— miſche und mechaniſche Reize antwortet die Drüſenzelle gleichermaßen mit Sekretion, die Muskelzelle mit Zuſammenziehung, die Flimmerzelle mit Beſchleunigung der Flimmer— 604 Adäquate Reize. bewegung. Die Eigenart der Nierenzellen iſt es, Harn abzuſondern, die der Leberzellen, Galle zu bilden. Ebenſo iſt es bei den einzelligen Weſen: eine Amöbe beantwortet die verſchiedenartigſten Reize von gewiſſer Stärke mit Einziehung ihrer Pſeudopodien, eine Noctiluca mit Leuchten. Und jo iſt es auch im Nervenſyſtem: dieſelbe Nervenfaſer kann nicht qualitativ verſchiedene Erregungen leiten, derſelbe Neuron im Zentralnervenſyſtem kann nicht in qualitativ verſchiedener Weiſe affiziert werden. Die qualitative Verſchieden— heit von Reizerfolgen wird durch die individuelle Verſchiedenheit der gereizten Elemente bedingt. Die Eigenart der Sinnesapparate iſt nur ein Einzelfall von einer allgemeinen Eigentümlichkeit aller lebenden Subſtanz. Vielleicht bietet ſich uns mit dieſer Erkenntnis zugleich eine Erklärung für die Be— deutung, die der Verſchiedenheit der Endorgane an den Sinnesapparaten zukommt. Wenn ein Sinnesorgan auf jeden beliebigen Reiz ſtets mit der gleichen Erregungsqualität antwortet, ſo wird es dann am meiſten für die Orientierung des Tieres leiſten, wenn es ſeiner Beſchaffenheit nach nur für eine Reizart zugänglich, gegen alle anderen Reiz— arten jedoch geſchützt iſt. Dadurch wird es möglich, die den einzelnen Sinnesapparaten eigentümlichen Reizerfolge je mit einer beſtimmten Reizart in geregelte Verknüpfung zu bringen: ſo können die Reizarten „unterſcheidbar“ werden. Dies iſt die Aufgabe der Endorgane eines Sinnesapparats: ſie ſortieren die Reize; die einen laſſen ſie zu, die andern halten ſie ab. Die Reize, die normaler Weiſe einen Sinnesapparat erregen, werden als die für dieſen Apparat adäquaten Reize bezeichnet. Atherwellen von beſtimmter Schwingungs— zahl ſind der adäquate Reiz für das Auge, gasförmige chemiſche Stoffe der adäquate Reiz für das Riechorgan. Andre Reize ſind für die betreffenden Organe inadäquat, ſo Druck für das Auge wie für das Riechorgan. Solche inadäquate Reize können auf zweierlei Weiſe von dem Sinnesorgan abgehalten werden. In den einfachſten Fällen genügt ſchon die Art der Anbringung des Sinnesorgans am Körper, um dieſe Wirkung hervorzubringen: Riech- und Schmeckorgane ſind durch Verſenkung in Gruben und Falten gegen mechaniſche Reize geſchützt, bleiben aber ihren adäquaten Reizen dabei zugänglich. Andrerſeits ſichert die Lagerung unter einer für chemiſche Stoffe undurchdringlichen Ober— fläche viele Taſtapparate gegen chemiſche Reize: ſo iſt es mit den Taſtkörperchen der Haut bei den Luftwirbeltieren oder mit den chitinigen Taſtborſten der Gliederfüßler. Dazu kommen aber in den meiſten Fällen noch Vorrichtungen, die dazu dienen, ſonſt unwirkſame Reize wirkſam zu machen; ſie können als Transformatoren bezeichnet werden. Dieſen Einrichtungen verdanken die Sinnesorgane ihre ungemein große Empfindlichkeit, wodurch ſie Reizen zugänglich werden, die viel zu ſchwach ſind, um Nervenfaſern direkt zu erregen. Das Weſen und die Wirkungsweiſe der Transformatoren iſt noch völlig unerforſcht. Man kann keinen Grund dafür angeben, warum die Wärmepunkte der Haut normaler Weiſe nur für höhere, die Kältepunkte nur für niedere Temperaturen zugäng— lich ſind, warum in den Zapfen der Wirbeltiernetzhaut einzelne Elemente nur durch dieſes, andre nur durch jenes farbige Licht oder beſſer durch Atherwellen von dieſer oder jener Schwingungszahl erregt werden. Sinnesorgane, die nur einer Art von Reizen zugänglich ſind, nennt man elektive oder ſpezifiſche Sinnesorgane. So ſind die menſchlichen Sinnesorgane insgeſamt beſchaffen. Dagegen iſt es wohl denkbar, daß es auch Sinnesorgane gibt, die normaler Weiſe auf mehrere Reizarten reagieren, wie ja die Amöbenzelle durch mechaniſche, chemiſche, ther— miſche und optiſche Reize erregt wird. Solche Sinnesorgane kann man als anelektive Einteilung der Sinne. 605 oder Univerſalſinnesorgane bezeichnen. Ihre Leiſtung iſt aber nicht jo zu verſtehen, daß die verſchiedenartigen Reize auch qualitativ verſchiedene Wirkungen hervorbringen; ſondern wie die Amöbenzelle auf die genannten Reize ſtets in gleicher Weiſe mit Einziehung ihrer Scheinfüßchen und Abkugelung ihres Zelleibes antwortet, ſo muß auch bei anelek— tiven Sinnesorganen der Reizerfolg bei verſchiedenartigen Reizen gleichartig ſein. Es tft nicht notwendig, daß ſolche Organe für alle Arten von Reizen zugänglich ſind; ein Sinnes— organ iſt ſchon anelektiv, wenn es etwa durch chemiſche und mechaniſche Reize in gleicher Weiſe erregt wird. Beim Menſchen ſind derartige Sinnesorgane unbekannt. Doch hat man Gründe, die Sinnesorgane an den Pedicellarien, den Stielzangen der Seeigel und die Haarzellen auf der Haut der Weichtiere für anelektiv zu halten. Der Zuſtand der anelektiven Sinnesorgane dürfte wohl der urſprüngliche ſein, aus dem die elektiven ſich entwickelt haben. Es iſt vielfach die Anſicht geäußert, die Taſt— organe als die verbreitetſten unter den Sinnesorganen ſeien auch die primitivſten, und die übrigen Sinnesorgane ſeien nur Umwandlungen der Taſtorgane. Wir finden aber einmal bei den niederſten einzelligen Tieren nicht nur eine Reaktion auf mechaniſche Reize, ſondern ebenſo auf chemiſche, optiſche und thermiſche. Ferner aber iſt nicht zu verſtehen, wie der Übergang von einem elektiven Taſtorgan zu einem elektiven Sehorgan oder Riechorgan vor ſich gehen ſoll. Aus anelektiven Sinnesorganen aber können elektive werden durch Fernhaltung einer Anzahl von Reizen und Zulaſſung nur einer Neizart. So iſt vielleicht auch zu erklären, daß ſolche Sinnesorgane, die normaler Weiſe den inadäquaten Reizen nicht zugänglich ſind, doch durch künſtlich zugeführte Reize ſolcher Art erregt werden wie unſer Auge durch Druck. Gefühl, Gehör, Geſchmack, Geruch, Geſicht, das ſind die fünf Sinne, die gewöhnlich unterſchieden werden. Es iſt eine rein topographiſche Einteilung, die der Selbſtbeobachtung entſprungen iſt; es ſind die Sinne der Haut, des Ohrs, der Zunge, der Naſe, des Auges. Aber dieſe Einteilung iſt weder erſchöpfend noch rationell. Das Gefühl oder der Haut— ſinn umfaßt außer dem Taſtſinn den davon ganz verſchiedenen Wärmeſinn. Geſchmack und Geruch ſind nahe verwandt: ſie umfaſſen die Reaktion von Sinnesorganen auf die Einwirkung chemiſcher Stoffe, in einem Fall flüſſiger, im andern Fall gasförmiger Stoffe; bei Waſſertieren laſſen ſie ſich nicht trennen. Außerdem gibt es noch weitere Sinne, die in dieſer Einteilung nicht einbegriffen ſind. Das iſt vor allem der ſtatiſche oder Gleichgewichtsſinn: von dem Vorhandenſein dieſes Sinnes, deſſen Organ im Ohr— labyrinth mit enthalten iſt, hat der naive Menſch keine Ahnung. Auge und Ohr können in ihrer Tätigkeit unterbrochen werden durch willkürliches Abhalten der Reize; der Naſe, der Zunge und dem Getaſt werden die Reize mehr oder weniger willkürlich zugeführt. Das Organ des Gleichgewichtsſinnes aber iſt ſtändig in Funktion; es kann nicht aus— und eingeſchaltet werden wie die anderen Sinne: ſo wird ſein Vorhandenſein nicht durch die Kontraſtwirkung erkannt. Außerdem gibt es noch Untergruppen des Hautſinnes, wie die Gefühle von Kitzel und Wolluſt. f An Stelle jener ſubjektiven Einteilung der Sinne wird daher beſſer eine objektive Einteilung nach der Natur der Reize geſetzt. Man unterſcheidet demnach mechaniſchen, chemiſchen, thermiſchen und optiſchen Sinn. Der mechaniſche Grundſinn iſt wiederum mehrfach verſchieden; wir können innerhalb desſelben Taſtſinn, Schmerzſinn, Gleichgewichts— ſinn und Hörſinn unterſcheiden. Der chemiſche Sinn zerfällt, je nach dem flüſſigen oder gasförmigen Aggregatzuſtand der einwirkenden Stoffe, in Geſchmack und Geruch. 606 Pſychiſche Begleiterſcheinungen. Bisher wurde in dieſen Auseinanderſetzungen vom Menſchen ausgegangen und deſſen Sinnesleben zugrunde gelegt. Wenn wir aber das Nervenleben der Tiere be— trachten wollen, ſo können uns Anthropomorphismen nur am weiteren Eindringen hindern; die bisherige Darlegung hat ja gezeigt, in wie vielen Punkten ihre Verhältniſſe beträcht— lich von den menſchlichen abweichen. Vor allem dürfen wir nie vergeſſen, daß zahlreiche Sinnestätigkeiten des Menſchen Bewußtſeinsvorgänge im Gefolge haben und ſo eng mit ihnen verknüpft ſind, daß wir in den Ausdruck für die Sinnestätigkeit im Sprachgebrauch die pſychiſche Parallelerſcheinung als unzertrennlich mit einbegreifen. Sinnestätigkeiten, die ſich unter Schwelle unſeres Bewußtſeins abſpielen, wie die Tätigkeit unſeres ſtatiſchen Organs, kennt der naive Menſch gar nicht. Die pſychiſchen Vorgänge ſind uns nur I ind Selbſtbeobachtung being eis wiſſen nicht, wie weit ähnliche Vor— gänge auch bei anderen Tieren der Nerventätigkeit parallel verlaufen, und wenn wir das für höhere Säugetiere und Vögel vielleicht mit Recht an— nehmen dürfen, ſo wird es um ſo un— wahrſcheinlicher, je weiter wir auf der Stufenleiter der Tierreihe abwärts gehen. Es klingt ſonderbar, wenn man bei einem Regenwurm oder einer Qualle von Wahrnehmen oder Empfinden ſpricht, wenn ein Blutegel ſehen, eine Muſchel ſchmecken ſoll. Um ſtets in der Erinnerung zu halten, daß wir nur über körperliche Vorgänge etwas aus— ſagen wollen, die pſychiſchen Begleit— erſcheinungen aber dabei gar keine Rückſicht erfahren, wäre es das beſte, an Stelle der vom Menſchen herge— Abb. 364. 4 Primäre Sinneszelle (Riechſchleimhaut eines Säugers, nommenen Bezeichnungen überhaupt Amphibiuns, > Epinalgangtion, in den die Selteper der ei in der neue Benennungen für die Vorgänge Wee er Suntec des Screen munten br gelte in den nerbäfen Organen eie zutretenden Neuronen liegen in einem Ganglion der Zunge >). Das iſt aber wohl für Fachleute an⸗ a gängig; bei unſeren YAuseinander- ſetzungen würde jedoch die Lebendigkeit der Auffaſſung durch die ungewohnte Ausdrucks— weiſe zu ſehr notleiden. Nur einige wenige Ausdrücke werde ich auch hier einführen und mindeſtens neben den anderen anwenden: Aufnahmeorgan oder Rezeptionsorgan für Sinnesorgan haben wir ſchon oben gebraucht, und anſtatt wahrnehmen oder empfinden ſoll es rezipieren oder aufnehmen heißen. Im übrigen werden wir nach Möglichkeit auch im Ausdruck von Anthropomorphismen abſehen. Nach ihrer geweblichen Beſchaffenheit ſind die nervöſen Endorgane der Sinnes— apparate natürlich durchweg Teile von Neuronen; doch ſind die Endneuronen in ihrer Anordnung verſchieden (Abb. 364). Entweder iſt die Neuronzelle eine periphere Epithel— zelle, die mit anderen Epithelzellen an der Bekleidung der Oberfläche teilnimmt und Verſchiedenheiten der rezipierenden Endabichnitte. 607 von ihnen durch ihren Nervenfortſatz unterſchieden iſt. Eine jolche Zelle bezeichnen wir als primäre Sinneszelle (A). Oder der Zellkörper des Neuron liegt mehr oder weniger weit von der Oberfläche entfernt, und es gehen von ihm nach zwei Seiten Faſern aus; die eine verläuft zu dem Ort der Reizaufnahme, wo ſie ſich, ſei es zwiſchen den Epithelzellen der Haut oder an inneren Organen wie Muskeln oder Darmſchleimhaut, meiſt baumförmig veräſtelt; die andre Faſer geht zu einem Zentralorgan: in dieſem Falle bezeichnet man den reizaufnehmenden Teil des Neuron als freie Nervenendigung (B). — Endlich kann eine ſolche Endigung zu beſonderen, reizaufnehmenden Zellen in Beziehung treten, die keinen Nervenfortſatz haben, alſo keine Neuronen ſind, ſondern nur Hilfsorgane: dieſe nennt man ſekundäre Sinneszellen (C); ſie werden gewöhnlich von Endnetzen der zutretenden Nervenfaſern dicht umſponnen. Primäre Sinneszellen ſind als Organe des chemiſchen, optiſchen und vielfach auch des mechaniſchen Sinnes bei den Wirbelloſen ſehr verbreitet; bei den Wirbeltieren ſind ſie auf die Riechſchleimhaut und die Netzhaut des Auges beſchränkt. Dagegen finden ſich hier in großer Verbreitung ſekundäre Sinneszellen, die bei den Wirbelloſen bisher nicht bekannt geworden ſind. Freie Nervenendigungen ſind nur als Organe des mecha— niſchen Sinnes bekannt, — wahrſcheinlich dienen ſie auch dem thermiſchen Sinn, doch ſind unſere Kenntniſſe über dieſen ganz ungenügend. 2. Die mechaniſchen Sinne. a) Der Taltfinn. Die Erregbarkeit durch mechaniſche Reize, der Taſtſinn, dient zur Orientierung des Körpers über die Gegenſtände, die ihm unmittelbar benachbart ſind und mit ihm in Berührung kommen. Es iſt daher bei dieſem Sinn allgemein die Verbreitung der Rezeptionsorgane über die ganze Oberfläche beibehalten, die urſprünglich wahrſcheinlich auch den anderen Sinnen zukam. Aber dieſe Verbreitung iſt keine gleichmäßige: be— ſtimmte Punkte des Tierkörpers beſitzen eine geſteigerte mechaniſche Reizbarkeit, und zwar ſind das ſolche Stellen, die durch ihre Lage an der Peripherie des Körperbereichs vermehrte Beziehungen zur Umgebung haben und bei den Bewegungen des Tieres zuerſt mit neuen Gegenſtänden in Berührung kommen: das ſind die äußerſten Körperenden und beſondere Vorſprünge des Körpers, wie Gliedmaßen, Greiforgane u. dgl. Auf dieſe Weiſe bietet der Taſtapparat dem Körper einen beſonderen Schutz gegen gefährliche Be— rührungen; die Nahewirkung des Taſtſinns wird ſo gleichſam in eine Fernwirkung ver— wandelt. Solche Stellen, an denen die Taſtorgane angehäuft ſind, werden damit zu Taſt— werkzeugen: ſo die Greifarme der Aktinien und die Tentakeln der verſchiedenartigen Quallen und Rippenquallen, die Tentakeln und die Spitzen der Ambulakralfüßchen bei den Stachelhäutern, Vorder- und Hinterende der Ringelwürmer ſowie ihre fühlerartigen Anhänge und Cirren. Bei den Weichtieren ſind beſonders die Teile, die aus der Schale hervorgeſtreckt werden, ſehr reizbar durch Berührung, vor allem der Vorderrand der Sohle bei den Schnecken, die Siphonen und der Mantelrand bei den Muſcheln; ja freiſchwimmende Muſcheln, die einer erhöhten Orientierung bedürfen, wie Kamm- und Feilenmuſcheln (Peeten und Lima) beſitzen zahlreiche Taſtfäden längs ihres ganzen Mantelrands. Bei den Gliederfüßlern, wo der harte Panzer die ganze Oberfläche des 608 Taſtwerkzeuge. Körpers überzieht und Berührungsreize unwirkſam macht, ſind überall nachgiebige Chitin— borſten angebracht, die auf Poren des Panzers ſtehen und als Überträger für mechaniſche Reize dienen; beſonders reichlich ſind die Fühler und Beine mit ſolchen Borſten und deren Abkömmlingen bewaffnet, bei den Schmetterlingen tragen auch die Flügel Sinnes— haare und -kuppeln. Die Skorpione taſten mit den Scheren, die Kanker mit dem zweiten Beinpaare. Bei höhlenbewohnenden Gliederfüßlern nimmt, bei fehlendem optiſchen Sinn, der Taſtſinn einen größeren Anteil an der Orientierung; daher findet man häufig bei ihnen die Gliedmaßen beſonders verlängert. Auch bei den Wirbeltieren ſind es gerade Vorſprünge des Körpers, die zu Taſt— werkzeugen umgewandelt ſind, wenn auch gerade hier die Orientierung über fernere Ob— jekte meiſt vielmehr durch den chemiſchen und optiſchen Sinn geſchieht. Bei vielen Fiſchen, beſonders bei Grundbewohnern (Karpfen, Barbe, Schlammbeißer) ſind an der Abb. 365. Meerbarbe (Mullus barbatus L.), mit den Barteln den Grund abtaſtend. Schnauze Bartfäden in wechſelnder Anzahl vorhanden; zumal bei manchen Welsarten erhalten ſie eine rieſige Ausbildung, z. B. bei dem amerikaniſchen Katzenwels (Amiurus); bei der Meerbarbe (Mullus barbatus L.) (Abb. 365) ſind die Barteln äußerſt beweglich und werden zum Abtaſten des Bodens benutzt. Der faſt auf Körperlänge ausgezogene erſte Floſſenſtrahl der ſonſt rückgebildeten, weit vorgerückten Bauchfloſſen dient als Taſtwerk— zeug beim Gurami (Osphromenus olfax C. V. Abb. 366) von den Sundainſeln, der bei uns nicht ſelten als Zierfiſch gehalten wird. Bei den Amphibien ſind es die Enden der Gliedmaßen, bei den Reptilien häufig die Zunge, bei den Vögeln vorwiegend Schnabel und Zunge, die ausgiebig mit Taſtorganen ausgeſtattet ſind. Säuger ſind Taſtreizen beſonders zugänglich an den Finger- und Zehenenden und an dem Ballen der Füße; aber auch der Rüſſel des Elefanten und des Schweines, die Schnauze des Maulwurfs, die letzte Strecke des Wickelſchwanzes bei den Neuweltaffen ſind ſehr reizbar für Be— rührung. Bei Nachttieren, wie Fledermäuſen, Igeln und Mäuſen, ſind auch die Ohr— muſcheln verlängert und dienen zum Aufnehmen von Taſtreizen. Drucküberträger. 609 Am Menſchen iſt durch Verſuche gezeigt worden, wie die Taſtſchärfe mit der Ent— fernung von der Körperachſe zunimmt, beſonders am Kopf und an den Gliedmaßen. Am größten iſt ſie an den Fingerſpitzen und in der Nähe des Mundes. Die Ent— fernung zweier Zirkelſpitzen muß, damit ſie bei gleichzeitigem Aufſetzen als getrennt empfunden werden, verſchieden groß ſein, je nach dem gereizten Körperteil: an der Zungen— ſpitze 151 mm; an der Fingerſpitze 2,5 m; an der Beugeſeite des zweiten Finger gliedes 4,5 mm; an der Rückenfläche des erſten Fingergliedes und an der Naſenſpitze 6,5 mm; am Daumenballen 9 mm; auf der Handfläche 11 mm; an der Innenſeite der Fußſohle 13,5 mm; an der Stirn 22 mm; am Handrücken 31 mm; am Vorderarm 36 mm; am Bruſtbein 45 mm; in der Mitte des Rückens ſogar 68 mm. In manchen Fällen werden ſtarre und elaſtiſche Apparate, die ſelbſt nicht reizbar ſind, dazu benutzt, um Berührungsreize auf ihre Anſatzſtelle am Körper zu übertragen. In ſolcher Weiſe dienen lange Borſten bei vielen Borſtenwürmern, die Taſtfedern bei den Vögeln und die Taſthaare bei den Säugern. Taſtfedern be— ſitzen beſonders nächtliche Vögel, wie Eulen (Abb. 374) und Nacht ſchwalben, auch manche Höhlen— brüter wie der Bartvogel; ſie ſind meiſt an der Schnabelwurzel angebracht. Taſt— haare ſind eben— falls bei nächtlich lebenden Säuge— tieren beſonders ſtark entwickelt; ſie ſtehen in größerer Zahl an der Oberlippe als Schnurrhaare, aber auch über den Augen, an den Ohren, z. T. auch an den Händen. Von welcher Wichtigkeit ſie für die Tiere ſind, läßt ſich durch einen einfachen Verſuch zeigen: eine Katze findet in einer Art Labyrinth mit verbundenen Augen ſehr gut ihren Weg mit Hilfe der Taſthaare; ſchneidet man ihr aber dieſe ab, ſo rennt ſie an alle Hinderniſſe an. Die Organe des Taſtſinns ſind durchaus nicht ſo gut bekannt, wie man bei dieſem wichtigen und verbreitetſten Sinne annehmen ſollte. Man vermag z. B. mit weit größerer Sicherheit zu entſcheiden, ob ein Sinnesorgan dem Sehen, als ob es dem Taſten dient. Wo freie Nervenendigungen in der Haut vorkommen, darf man ſie als Organe des Taſtſinns anſehen; denn chemiſchen Reizen ſind ſie in ſolcher Lage ohne etwaige Schädigung der Epidermis nicht erreichbar, die Endorgane des optiſchen Sinnes ſind, ſo viel uns bekannt, nie freie Nervenendigungen; ſo bliebe nur der wenig bekannte und vielleicht wenig verbreitete thermiſche und der mechaniſche Reiz für dieſe Organe. Bei den Schwämmen iſt das Vorkommen von Sinnesorganen überhaupt fraglich. Primäre Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 39 Abb 366. Gurami (Os phromenus olfax C. V). 610 Organe des Taftfinns. Sinneszellen mit einem Geißelhaar ſind es wohl ſicher, denen man bei den Coelenteraten und Stachelhäutern mechaniſche Reizbarkeit zuſchreiben muß; freie Nervenenoigungen find bei beiden in der Haut noch nicht nachgewieſen. Man iſt in Verſuchung, ſolche Sinnes— zellen als anelektive Sinnesorgane anzuſehen, um ſo mehr, als bisher dort nur die eine Art von Sinnesorganen bekannt iſt. Auch ſind nur wenige Anhaltspunkte vorhanden, aus denen man eine verſchiedene Verbreitung des chemiſchen und mechaniſchen Sinnes über den Körper dieſer Tiere ſchließen könnte. Bei den Aktinien weiß man allerdings, daß die Umge⸗ bung der Mund- öffnung mecha⸗ niſch reizbar iſt, nicht aber che⸗ miſch. Genauere Unterſuchung kann da noch viel Aufklärung bringen. In der Reihe der Würmer ſind freie Nervenen— digungen inner⸗ halb des Kör— perepithels weit verbreitet. Wir finden ſie bei den Strudelwür— mern, wo außer: dem auch primäre Sinneszellen mit ſtarren Taſt⸗ haaren vorhan— den ſind. Ebenſo finden wir ſie in der Haut der Saug- und Bandwürmer. Beim Blutegel und Regenwurm (Abb. 367 A) find reich- lich freie Nervenendigungen zwiſchen den Epithelzellen nachgewieſen, ebenſo bei vielen Borſtenwürmern des Meeres, bei denen auch die Wurzel der Borſten von ſolchen um— ſponnen iſt (Abb. 367 C): die Borſten dienen, wie ſchon erwähnt, als Drucküberträger. Die hohlen Borſten und Haare der Gliederfüßer ſind faſt durchweg mit Nerven verſehen, und zwar ſind es meiſt freie Nervenendigungen, die in ſie eintreten (Abb. 368). Auch primäre Sinneszellen kommen an borſtenähnlichen Organen vor (Abb. 368 A und C); doch iſt es wahrſcheinlich, daß dieſe chemiſche Reize aufnehmen. Auch bei den Mollusken Abb. 367. Freie Nervenendigungen 4 in der Epidermis des Regenwurms, B in der des Feuerſalamanders (Salamandra), C im Borſtenſack eines Parapodiums eines Ringelwurms (Nereis diversicolor Müll.) 1 Borſte, 2 Nervenfajern, 3 deren End— bäumchen. Nach Retzius. EEE WEITEREN Sinnesorgane der menſchlichen Haut. 611 * ſind neuerdings freie Nervenendigungen in der Haut entdeckt. — Was für Taſtorgane den Manteltieren zukommen, weiß man noch nicht. Wenn ſo ſchon bei den Wirbelloſen die Beurteilung der Organe des Taſtſinns nicht einfach iſt, ſo ſteigert ſich die Schwierigkeit bei den Wirbeltieren bedeutend. Denn hier findet man in der Haut eine große Menge verſchiedener Sinnesorgane, und zugleich ſind eine Anzahl von Modifikationen des Hautſinns vorhanden. Es iſt ungemein ſchwierig, über die beſondere Verrichtung jeder Art von verſchiedenen Organen etwas Be— ſtimmtes auszuſagen. Der einzige Weg, um einige Anhaltspunkte zu bekommen, ſind Reizverſuche am Menſchen und ihr Vergleich mit den Ergebniſſen der anato— miſchen Unterſuchung der menſch— lichen Haut; dabei müſſen wir zugleich den thermiſchen Sinn in die Betrachtung einſchließen. Die Haut des Menſchen iſt keine gleichmäßig reizbare Fläche. Die Stellen, an denen die Haut erfolgreich gereizt werden kann, ſind durch Zwiſchenräume ge— trennt, die ſich als unzugänglich für Reize erweiſen. Außerdem aber antworten die reizbaren Punkte nicht alle auf die gleichen Reize, ſondern es ſind beſondere Stellen vorhanden, an denen Druckreize aufgenommen werden, andere für Wärme-, noch an- Abb 48. Taſtborſten dere für Kältereize, und ſchließ— 1 eenlapan lich noch ſolche, deren Reizung | die Taftborſten en mit 2 8 freien Nervenendigungen, Schmerz hervorruft; man bezeich- | Pie Schmeckkolben (7) und 5 kegel mit primären Sin— net ſie kurz als Druck-, Warm-, neszellen. A Ende der . kleinen Antenne und B Kalt⸗ und Schmerzpunkte. Bein von der Waſſeraſſel daß Diefe verſchedenen ena e Modifikationen des Hautſinnes büpfers (Machilis). wirflich nebeneinander vorhan- in den und auf verſchiedene End— organe verteilt ſind, geht auch aus einer Anzahl beſonderer Erfahrungen hervor. So betäubt die Narkoſe den Schmerzſinn, ohne den Druckſinn aufzuheben. Bei krankhaften Lähmungserſcheinungen iſt zuweilen der Druckſinn aufgehoben, während die Reizbarkeit für Temperaturunterſchiede fortbeſteht und umgekehrt. Aber es gibt auch normaler Weiſe am Körper Stellen, wo nur einzelne dieſer Sinnestätigkeiten nachweisbar ſind, während die anderen fehlen. Die Mitte der Hornhaut des Auges und die Zähne ſind nur ſchmerzempfindlich; Schmerz- und Temperaturſinn ohne Druck— ſinn finden ſich am Rande der Hornhaut, an der Bindehaut des Auges und an 39 * 612 Verteilung der Empfindungen und der Sinnesorgane in der menſchlichen Haut. der Eichel des männlichen Gliedes. Dagegen iſt eine Stelle an der Innenſeite der Backe ſchmerzfrei, alſo nur für Druck- und Temperaturreize zugänglich. Beſonders be— weiſend für die Trennung von Warm- und Kaltpunkten iſt die ſogenannte paradoxe Kälteempfindung: man kann nämlich an gewiſſen Stellen, beſonders an der Bruſtwarze und an der Eichel des männlichen Gliedes durch Reizung beſtimmter Punkte mit einem auf über 450 erwärmten Draht Kälteempfindung hervorrufen. Auch Reizung mittels des galvaniſchen Stromes gibt verſchiedenartige Erfolge, je nach der Beſchaffenheit der gereizten Stelle. Durch Reizverſuche kann man die Verteilung der verſchiedenen Punkte auf einer umſchriebenen Hautfläche feſtſtellen: am ſpärlichſten ſind die Warmpunkte, weniger ſelten die Kaltpunkte; weſentlich dichter ſtehen die Druckpunkte und am engſten die Schmerzpunkte. Die Druckpunkte fallen an behaarten Stellen mit der Verteilung der Haare zuſammen. Vergleicht man die gewonnenen Ergebniſſe mit der Verteilung der verſchieden geſtalteten Sinnesorgane in der menſchlichen Haut, ſo laſſen ſich vielleicht Anhaltspunkte für die Verrichtung dieſer Organe oder doch einzelner von ihnen finden. Die Sinnesorgane der menſchlichen Haut ſind ihrem Bau nach teils freie Nervenendigungen, teils ſekundäre Sinneszellen; primäre Sinneszellen kommen hier nicht vor. Da man über ihre Funktion nur mangelhaft unterrichtet war und z. T. noch iſt, ſind ſie meiſt einfach nach ihren Entdeckern benannt. Ihrer Lage nach unterſcheiden ſich die Organe derart, daß die einen im epithelialen Anteil der Haut, in der Epidermis gelegen ſind, die anderen im binde— Abb. 360. Meißnerſches Taſt gewebigen Anteil, der Kutis. In großer Verbreitung treten körperchen aus der Haut des 8 5 8 2 R 8 Menſchen. vielfach veräſtelte freie Nervenendigungen auf, die bis an e hach Db! die Grenze der Hornſchicht reichen. Auch in der Kutis find baumartig veräſtelte freie Nervenendigungen vorhanden. Vor allem aber finden ſich hier Endknäuel freiendigender Nerven, die zu keinerlei Zellen in nähere Beziehung treten: es ſind die ſogenannten Krauſeſchen Endkolben, die Meißnerſchen Körperchen (Abb. 369), und die Ruffiniſchen Nervenknäuel. — Se— kundäre Sinneszellen kommen in zweierlei Formen vor: einmal als Merkelſche Körper— chen und dann als ſogenannte Kolbenkörperchen, die als Vater-Paciniſche Körperchen bekannt ſind. Merkel ſche Körperchen (Abb. 370) liegen bei den Säugetieren in den unterſten Schichten der Epidermis, bei anderen Wirbeltieren in der Kutis. An eine etwa eiförmig geſtaltete Taſtzelle tritt eine Nervenfaſer, die ſich an der Zelle zu einem ſogenannten Taſtmeniskus verbreitert: dieſer bildet ein geſchloſſenes dichtes Neurofibrillen- netz, das in Perifibrillärſubſtanz eingebettet iſt. Außerdem iſt die Taſtzelle von einem lockreren Nervennetz umſponnen, das zu einer anderen, dünneren Nervenfaſer gehört. Die Kolbenkörperchen (Abb. 371) haben den verwickeltſten Aufbau. Das plattgedrückte, kolbig auslaufende Ende einer Nervenfaſer iſt von einem hellen, wahrſcheinlich durch Umwandlung zweier Zellreihen entſtandenen Kolben umgeben (bei den Kolbenkörperchen der Vögel (Abb. 373 B) find dieſe Zellen noch vollkommen deutlich); in dieſen Kolben ſendet es ſeitliche Aſte hinein; das Nervenende und ſeine Aſte ſind geſchloſſene dichte Neurofibrillennetze, wie die Taſtmenisken der Merkelſchen Körperchen; wie dort die Verrichtungen der Hautſinnesorgane des Menſchen. 613 Taſtzelle, jo iſt hier der Kolben außen von einem lockren Nervennetz anderer Herkunft umſponnen. Dieſer ganze Apparat iſt umhüllt von einer wechſelnden Anzahl zelliger Lamellen, die ſich wie Zwiebelſchalen übereinander legen und durch flüſſigkeitgefüllte enge Räume unvollkommen voneinander getrennt werden. Wenn der Kolben mit ſeinen Nerven wie eine Vervielfachung der Merkelſchen Körperchen er— ſcheint, ſo iſt die Bedeutung der lamellöſen Um hüllung noch nicht bekannt; vielleicht dient ſie dazu, den Umfang des Körperchens, ſein Taſtfeld, zu ver— mehren. Die Kolbenkörperchen liegen in den oberſten Lagen der Kutis, und zwar, wie auch die knäuel förmigen Körperchen, meiſt in ſogenannten Kutis— papillen, d. i. an Stellen, wo die Epidermis am Abb 370. Mertelſche Taſtzellen in der 5 N A . m : Epidermis des Schweins rüſſels. dünnſten und daher für Druckreize und thermiſche Reize , Epidermiszellen, 2 Taſtzellen, 3 Marthaltige e, ee ,, e liegen auch in der Wurzelſcheide jedes Haares, unterhalb Fibrillennetz das außerdem die Taſtzellen um 5 en 2 8 9 ; ſpinnt, iſt nicht dargeſtellt. Nach Tretjakoff. der Einmündung der Talgdrüſen, und im Bindegewebe des Haarbalgs findet ſich in gleicher Höhe ein ringförmiges Endnetz von Nervenfaſern. Was für Verrichtungen haben nun dieſe einzelnen Organe? Die freien Nervenendigungen in der Epidermis ſcheinen beim Menſchen die Organe des Schmerzſinns zu ſein. Denn in der Mitte der Horn— haut des Auges, wo nur Schmerzempfindung nachweisbar iſt, finden ſich von allen Endorganen nur dieſe. Auch weiſt das Auftreten von Schmerzempfindung bei Atzen der Haut mit Lauge, Ammoniak, Chloroform u. dgl. darauf hin, daß die gereizten Organe ſehr oberflächlich liegen müſſen, und freie Nervenendigungen liegen der Hautoberfläche am nächſten. Die allgemeine Verbreitung der Reizbeantwortung durch Schmerz trifft mit der Verteilung dieſer Nervenendi— gungen zuſammen. Die Druckpunkte liegen an behaarten Körperſtellen ſtets in der Nähe der Haare, und zwar, da die Haare ſchräg eingepflanzt ſind, an der Seite des Haares, wo es mit der Hautoberfläche den größten Winkel bildet. Sie kommen damit über den Nervenring des Haarbalgs und die Merkelſchen Zellen der Wurzelſcheide zu liegen, und es unterliegt wohl ö keinem Zweifel, daß wir in dieſen das den Druck rezipie— Abb. 371. rende Sinnesorgan zu ſehen haben. Auch durch Berührung Vater 8% en ſchen erden der Haare werden dieſe Organe gereizt: das Haar wirkt 7 Innenkolben, 2 Nervenfaſer, die in dabei als Hebel und erhöht die Druckwirkung; denn wenn e e e dabei der Ausſchlag an der drückenden Stelle vermindert nn Nac Kolliter, wrandert iſt, ſo iſt dafür die Stärke des Druckes vermehrt. Merkelſche Zellen ſind alſo Organe des Druckſinns, und ebenſo das Nervenendnetz im Haarbalg; dieſem entſprechen an haarloſen Stellen wahrſcheinlich die Meißnerſchen Taſtkörperchen. Die Verteilung der letzteren über die Handfläche ſtimmt mit der Verteilung der Druck— punkte gut überein: es mögen etwa 15000 Druckpunkte in der Hohlhand vorhanden 614 Organe des Temperaturfinns. jein. Auf 1 em? kommen etwa 100—200 Meißnerſche Körperchen, was auf 72 cm? über 10000 macht; an den Fingern ſteigert ſich ihre Zahl gegen die Spitze zu: am kleinen Finger kommen auf 1 mm? am erſten Gliede 3, am zweiten 8 und am dritten 21 Tajt- körperchen; ſo mögen ſich alſo auch gegen 15000 im ganzen ergeben. — Auch die Vaterſchen Körperchen gehören mit Wahrſcheinlichkeit daher. Zwar ſind ihrer nur etwa 600 in der Hohlhand vorhanden; aber ihr Vorkommen in den Gelenken und in der Beinhaut der Knochen ſpricht dafür, daß ſie als Organe des Druckſinns zu deuten ſind. Um die Organe der Temperaturempfindung zu beſtimmen, ſind ebenfalls einige Auhalts- punkte vorhanden. Die Randteile der Hornhaut unſeres Auges beſitzen nur Schmerz und 2 T % , N A, , ,,, ͤ 760 e N , A Tce NIT e ee e, NAD 8 A Ve) ua W — 0 ,, e N NS i V N II Abb. 372. Taſtorgane der Maulwurfſchnauze. A Anſicht der Schnauze von vorn; die Punkte bezeichnen die Taſtorgane. 5 Querſchnitt durch die Haut der Schnauze mit einem Taſtorgan; 1 Hornſchicht und 2 Keimſchicht der Epidermis, 3 Kutis, 4 Zellſäule mit den zugehörigen Nervenfaſern, 5 Merkelſche Taſtzellen, 6 Vaterſche Koͤrperchen, 7 frei in der Epidermis endende Nervenfaſern. C Querſchnitt durch die Zellſäule mit den in die Zellen eintretenden geknopften Nervenenden. A nach Eimer, B und C nad Huß. Kälteempfindung; dort liegen außer den die Schmerz— empfindungen auf— nehmenden freien Nervenendigungen nur Krauſeſche Endkolben, die alſo wohl der Rezeption von Kältereizen die— nen; man kennt dieſe Organe bisher auch von der Binde— haut des Auges und der Eichel des männ— lichen Gliedes, ſo— wie der Fußſohle, Fingerbeere und Haut des Oberarms. Andre Endknäuel, die Ruffiniſchen, im Augenlid, der Fingerbeere und an andren Orten, die— nen vielleicht der Rezeption von Wärmereizen; doch haben wir dafür keinen beſonderen Anhalt. Durch dieſe Ermittelungen am Menſchen iſt für die Betrachtung der Hautſinnes— organe bei den übrigen Wirbeltieren doch eine Grundlage geſchaffen, wenn deren Sicher— heit auch noch gar manches zu wünſchen übrig läßt. Am beſten iſt es, die Ordnungen in abſteigender Reihe vorzunehmen und mit den übrigen Säugetieren den Anſchluß an den Menſchen zu vollziehen. Bei den Säugern ſind die bei den Menſchen gefundenen Sinnesorgane meiſt all— gemein verbreitet, beſonders die freien Nervenendigungen, die Merkel ſchen Taſtzellen und die Vaterſchen Körperchen. Meißnerſche Körperchen kommen weniger häufig vor, da ja bei der dichten Behaarung der Nervenapparat der Haare ſie überflüſſig macht; mau findet ſie beſonders bei den Affen an Handfläche und Lippen, bei Klammeraffen auch an der haarloſen Greiffläche des Greifſchwanzes. Die Taſthaare, deren oben ſchon Erwähnung getan wurde, haben einen ähnlichen, aber viel reicher ausgebildeten Nerven— Taſtorgane der Säuger. 615 apparat an Haarbalg und Wurzelſcheide, wie die übrigen Haare. Außerdem enthalten ſie im Haarbalg einen ausgedehnten, ſie allſeitig umgebenden Blutſinus; es iſt aber fraglich, ob dieſer mit der Druckrezeption direkt zu tun hat; wahrſcheinlicher iſt es, daß damit dem Taſthaar eine erhöhte Beweglichkeit gegeben wird, die ihm erlaubt, dem Zug des anſetzenden Haarmuskels leichter zu folgen. Reich innerviert ſind die Flughäute der Fledermausflügel. Bei der ſpätfliegenden Fledermaus (Vesperugo serotinus Keys. Bl.) ſtehen auf den Flügeln im ganzen 810000 Sinneshaare; dazu find auch die langen Ohren reich mit Nerven verſehen. Wie fein dieſer geſamte Sinnesapparat arbeitet, zeigt der freilich grauſame Verſuch Spallanzanis: er blendete eine Fledermaus, und ließ ſie in einem Zimmer fliegen, wo Wäſcheleinen kreuz und quer geſpannt waren. Das Tier vermochte dieſen Hinder— niſſen auf das genaueſte auszuweichen: es ertaſtete gleichſam die Lage der Leinen aus den von ihnen zurückprallenden Luftwellen. — Reich an Nervenendigungen ſind auch die Abb. 373. 4 Grandryſche Taſtkugel und B und ( Herbſtſches Kolben— körperchen, ausdem Entenſchnabel. 1 und 2 die beiden zutretenden Nerven; in B iſt nur die Endigung des dickeren, in © die des dünneren Nerven (Nerven— netz) deutlich; 3 Taſtzellen, A kombiniert nach Dogiel und Wiallanen, 5B und C nach Dogiel. nackten Schnauzenteile, ſo beim Hund, beim Schwein, beim Elefanten und ganz beſon— ders beim Maulwurf. Die Maulwurfſchnauze (Abb. 372) iſt, in Vertretung der rück— gebildeten Augen, zu einem Sinnesorgan von ungemeinem Nervenreichtum und wahr— ſcheinlich entſprechend geſteigerter Rezeptionsfähigkeit umgewandelt. In der Epidermis der Schnauze ſind Zellen zu Zellſäulen (B, 4) angeordnet, die aus je zwei Zellreihen beſtehen; an der Grenze zwiſchen beiden Reihen zieht eine mittlere, in der Peripherie der Säule gegen 20—40 äußere Nervenfaſern einander parallel gegen die Oberfläche. Von jeder Nervenfaſer treten kurze Aſtchen in die Zellen der Säule (C), in denen fie mit einer knöpfchenartigen Anſchwellung endigen. Gegen die Kutis erhebt ſich die Epidermis unter jeder Säule zu einem pufferförmigen Vorſprung, einer „Papille“; im Grunde der Epidermispapille liegen jedesmal etwa 5 Merkelſche Taſtzellen, und in der Kutis unter ihr 1—2 Vaterſche Körperchen. Die ganze Schnauze enthält etwa 5000 ſolcher Taſtſäulen, alſo in ihnen zuſammen gegen 150000 Nervenfaſern mit Endigungen in den Säulenzellen, zwiſchen den Zellſäulen noch Tauſende von freien Nervenendigungen und dazu im ganzen noch gegen 25000 Merkelſche Taſtzellen und 7500 Vaterſche Körperchen. 616 Taſtorgane der Vögel und Reptilien. Bei den Vögeln ſpielen die zelligen Taſtkörperchen in der Kutis eine größere Rolle als die freien Nervenendigungen der Epidermis. Im allgemeinen finden wir bei ihnen Taſtkörperchen, die den Merkelſchen und den Kolbenkörperchen der Säuger entſprechen. Erſtere, die Grandryſchen Körperchen liegen aber in der Kutis und beſtehen gewöhnlich aus mehreren Taſtzellen, die jedoch in der Nervenverſorgung ganz denen der Säuger ähneln (Abb. 373 A). Die Kolben⸗ körperchen (Herb ſtſche K., Abb. 373 B u. C) ſind von Vaterſchen Körperchen nur durch die zellige Ausbildung des Kolbens unterſchieden. Die Körperchen ſind überall in der Haut verſtreut; vor allem die Kolbenkörperchen finden ſich in den Federbälgen, beſonders reichlich an den Taſtfedern (Abb. 374). Auch in der Kutis von Schnabel und Zunge der Vögel ſind beiderlei Körperchen Abb. 374. Kopf vom Waldkauz (Syrnium aluco L.). vorhanden, und was zeichnen Am Schnabelgrund zahlreiche Taſtfedern; im inneren Augenwinkel iſt die Nickhaut ich jene Vögel, die Schnabel I und Zunge beſonders ausgiebig zum Taſten benutzen, durch Anhäufung ſolcher Körperchen an dieſen Stellen aus: ſo Gänſe und Enten, die mit Schnabel und Zunge gründelnd ihre Nahrung ſuchen; ſo die Spechte, die mit dem Schnabel die Bäume perkutieren und mit der Zunge die Beute aus Bohrlöchern im Holz holen; bei den Schnepfen, die im Moraſt nach Nähr- tieren bohren (Tafel 13), iſt die vordere Verdickung des Schnabels ſehr reich daran, ebenſo die Zunge. Die Taſtflecke der Reptilien er- & innern im Aufbau der zugehörigen . Taſtorgane ſehr an die zuſammen— Abb. 375. Schnitt durch den Taſfled eines Krokodils. geſetzten Grandryſchen Körperchen 1 Hornſchicht und 2 Keimſchicht der Haut, 3 Taſtzellen, 4 Nervenfaſern. der Vögel und liegen wie dieſe in ER der Kutis; über dieſen Organen ift die Epidermis oft verdünnt und weniger verhornt, wie das am Taſtfleck des Krokodils Abb. 375) erſichtlich iſt. Auf der Schuppenbedeckung ſtehen die Taſtflecke meiſt in be⸗ ſtimmter Anordnung (Abb. 376). Auch die Taſtflecke der luftlebenden Amphibien ent- halten, unter beſonders beſchaffenen Epithelbezirken, in der Kutis Haufen von Taſtzellen. Daneben kommen überall freie Nervenendigungen vor (Abb. 367 B). Durch eine beſtimmte Art von Organen des Druckſinns ſind die waſſerbewohnenden Tafel XIII. 1 « 0 LIRKTH- Mar. Waldfchnepfen (Scolopax rusticola L.). Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. zn 1 nen DE de DE 1 u Nervenendhügel der waſſerbewohnenden Amphibien. 617 niederen Wirbeltiere ausgezeichnet, die kiementragenden Amphibien, die Larvenzu ſtände der übrigen Amphibien und die Fiſche. Es find die ſogenannten Endhügel— Haufen von birnförmigen ſekundären Sinneszellen, deren jede eine lange Borſte trägt, liegen in den oberflächlichſten Epidermisſchichten, durch fadenförmige Stützzellen getrennt. Der zutretende Nerv umſpinnt ſie mit baum— förmig veräſtelten Enden. Dieſe Endknoſpen A B find über den ganzen Körper verteilt, jtehen Ber aber am Kopf am dichteſten. Bei den Amphi— ee bien ſtehen ſie frei auf der Haut und haben 2 8 einen ovalen Umriß; am Rumpf ſind ſie jeder— . ſeits zu drei Längslinien angeordnet (Abb. 377), 8 07 und zwar jo, daß in der oberen Seitenlinte er | die Längsachſe der ovalen Endhügel Aae deer Abb. 376. Schuppen 4 von der Blindſchleiche, Längsrichtung, in der mittleren und unteren * von der Ringelnatter mit Taſtflecken. itenlini 3 ; Nach M 2 Seitenlinie dagegen parallel zur Längsrichtung en ſteht; in den Linien am Kopf find fie zweizeilig gejtellt, und die Organe der einen Reihe find mit ihren Längsachſen um 90° gegen die der anderen gedreht. Dieſe Anordnung weiſt darauf hin, daß es wahrſcheinlich ſtrömende Bewegungen des Waſſers ſind, die den adäquaten Reiz für dieſe Sinnesorgane bilden und die, je nach ihrer verſchiedenen Rich— tung, eine verſchiedene Kombination von Er ;ßx?•'᷑ã2'44t68d.;ĩê7ʃ2ẽẽů— regungen in ihnen hervorrufen. Die Endhügel werden bei den Tritonen, wenn ſie im Spät— ſommer das Waſſer verlaſſen und ein Winter— quartier am Lande ſuchen, durch darüber hin— wuchernde verhornte Zellkegel für die Zeit des Luftlebens geſchützt; die Larven der luftlebenden Amphibien verlieren ſie bei der Metamorphoſe und bekommen Taſtflecke. Ahnliche Nervenendhügel, wie ſie bei den Amphibien auf der Oberfläche der Haut liegen, finden ſich bei allen Fiſchen mit Ausnahme der Rundmäuler in dem eigentümlichen Kanalſyſtem, das ihre Haut durchzieht. Die Hautkanäle (Abb. 378 A) verlaufen im Kopf in mannigfacher Veräſtelung, und an ſie ſchließt ſich jederſeits ein Längskanal an, der am Körper entlang zieht 1 bis zur Schtwanzfloffe. Die Kante münden von aerger Stelle zu Stelle durch Offnungen nach außen, dorſale, 2 ſeitliche, 3 ventrale meihe von Nervenhügeln und die Offnungen des Längskanals bilden die mann ſogenannte Seitenlinie der Fiſche. Im Grund der Kanäle liegen die gejchilderten End— hügel verſtreut und die Räume zwiſchen ihnen ſind mit Schleim erfüllt; ehe Leydig die Sinnesorgane in ihnen entdeckte, hielt man dieſe „Schleimkanäle“ für ſezernierende Organe. Das Kanalſyſtem iſt aus rinnenförmigen Verſenkungen hervorgegangen und erhält ſich bei Chimaera zeitlebens als eine offene Rinne. Das Offenbleiben der Röhren wird bei den Selachiern durch die Straffheit des umgebenden Bindegewebes geſichert; bei den Schmelz— ſchuppern und Knochenfiſchen ſind ſie in die Schuppen, am Kopf in die Deckknochen eingeſenkt. 618 Hautkanäle der Fiſche. Die Frage nach der Bedeutung der Sinneskanäle hat viele Forſcher beſchäftigt, lange Zeit, ohne daß klare Ergebniſſe erreicht wären. Sicher ſteht feſt, daß wir es mit Werkzeugen des mechaniſchen Sinnes zu tun haben. Neuere experimentelle Unterſuchun— gen, beſonders am Hecht, der ſich wegen ſeiner ruhigen Stellung im Waſſer hierzu ſehr geeignet erweiſt, haben hier eine Entſcheidung gebracht. Sie zeigen, daß Fiſche, denen der Nerv der Seitenlinie zerſchnitten und die Sinneskanäle am Kopfe auf elektriſchem Wege ausgebrannt ſind, auf ſchwache Waſſerſtröme, die gegen ihre Oberfläche gerichtet ſind, nicht mehr reagieren; intakte Hechte dagegen beantworten dieſen Reiz ſofort durch Aufrichtung der hinteren Strahlen der Rückenfloſſe, wenn der Reiz ſtärker iſt und länger andauert, durch Ausbreitung der ganzen Rücken-, After- und Schwanzfloſſe und ſchließ— lich durch Fortſchwimmen. Berührung mit feſten Körpern dagegen ſetzt dieſe Sinnes— organe nicht in Erregung; ja den Fiſchen fehlen Druckpunkte in der Haut gänzlich. Da— gegen wird bei Annäherung des ſchwimmenden Fiſches an feſte Körper durch die von J d LE De ET Strömungen des Waſſers ein Reiz auf die Organe Abb. 378. 4 Verteilung 'der Hautkanäle der Sinneskanäle am Kopfe des Karpfens, 1 Seitenlinie. ausgeübt, wo⸗ B Längsſchnitt durch den Seitenkanal 2 des Greßlings (Gobio fluviatilis Cuv.), [durch ein Anz e erleneupaut 2 feier Schuhen, ſtoffen dee Anach Merkel, Z nach Leydig. verhindert wird: ein geblendeter, ſonſt normaler Hecht vermeidet 5 a beim Schwimmen — ä 3 = . a — —_— v — ͤ — — a die Berü hrung San — mit feſten Gegen— S Ne — = : — 7 eue ‚ ee | ftünden;einHedit, u Fo dem auch noch die Sinneskanäle ausgeſchaltet ſind, ſtößt an ſolche Hinderniſſe an. Die Erregung der Sinnesorgane in den Kanälen geſchieht wahrſcheinlich in der Weiſe, daß die Härchen der Sinneszellen verbogen werden durch den Schleim, den der Waſſerdruck in der Kanalrichtung vor— ſchiebt. Die Reizung durch leichte Waſſerſtrömungen iſt vor allem für das Schwimmen der Fiſche bei Nacht und in getrübtem Waſſer von Bedeutung. Wanderfiſche, wie Lachſe und junge Aale, würden ohne dieſe Organe, die ihnen ſeitliche Strömungen anzeigen, nicht in die zahlreichen Nebenarme eines Flußgebietes hineinfinden. Vielleicht iſt es auch von Wichtigkeit, daß die Fiſche durch verſchieden ſtarke Reizung der Endhügel in den Sinneskanälen über die Stärke der Waſſerſtrömung orientiert werden und darauf mit mehr oder weniger ſchnellem Gegenſchwimmen reagieren: „ohne dieſes Organ wür— den mit der Zeit alle Fiſche aus den Strömen ſchließlich herausgeſchwemmt werden.“ Wenn bei den Liebesſpielen die Männchen der Waſſermolche und vieler Fiſche heftig auf das Weibchen losſchießen und dicht vor ihm anhalten, ſo ſind es beim Weibchen wahrſcheinlich ebenfalls dieſe Organe, die dadurch erregt werden. Starke Strömungen U —— Do MT u 02 29 Innere Druckſinnesorgane bei Wirbeltieren. 619 im Waſſer, die den Körper des Fiſches von der Stelle bewegen und drehen, kommen in den Statolithenorganen und Bogengängen des Labyrinths (vgl. unten) zur Rezeption. Je mehr wir uns vom Menſchen entfernen, deſto ſchwieriger ſind die Analogien mit ſeinen Hautſinnesorganen durchzuführen. Bei den Fiſchen ſind Schmerzpunkte nach gewieſen, am Kopf dichter als am Rumpf, und wahrſcheinlich entſprechen ihnen ebenfalls freie Nervenendigungen; für die übrigen Wirbeltiere fehlen Ermittelungen nach dieſer Richtung. Bei den Wirbelloſen ſind die freien Nervenendigungen häufig die einzigen Organe des Druckſinns; ob es bei ihnen eine Reizwirkung gibt, die dem Schmerz beim Menſchen zu vergleichen iſt, bleibt ſehr zweifelhaft. Bei manchen Wirbelloſen dienen dem mechaniſchen Sinn allem Anſchein nach auch primäre Sinneszellen; bei Wirbeltieren iſt das nie der Fall. Bei höheren Tieren kennt man auch Organe des mechaniſchen Sinnes im Innern des Körpers. Sie werden durch Veränderungen im Zuſtande der betreffenden Körperteile gereizt und veranlaſſen Reaktionen auf ſolche Veränderungen. Rezeptionsorgane, die wahrſcheinlich durch Druck reizbar ſind, finden ſich in verſchiedener Ausbildung an Muskeln und Sehnen, an Gelenken, in den Meſenterien und im Bauchfell; ſolche ſind bei Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugern in verſchiedener Ausdehnung gefunden. Der Menſch wird durch ſolche Organe über die Anſpannung und Erſchlaffung ſeiner Muskeln und über deren Kraftaufwand bei der Zuſammenziehung unterrichtet; meiſt bleiben dieſe Vorgänge unter der Schwelle des Bewußtſeins und ſind an der Regulierung der Bewegungen hervorragend beteiligt. Wie ſehr aber die Reizung dieſer Sinnesorgane bei unſerer Orientierung durch den Taſtſinn beteiligt iſt, das geht aus der Tatſache hervor, daß wir z. B. mit der Zunge, bei der ja der Druckſinn an der Oberfläche ſehr fein vusgebildet iſt, wo aber die tieferen Druckſinnesorgane ſpärlich ſind oder fehlen, den Puls nicht zu fühlen vermögen. Auch Schmerzſinnesorgane kommen beim Menſchen in manchen tieferen Teilen des Körpers vor: jo erweiſt ſich das Bauchfell bei chirurgiſchen Operationen als überaus ſchmerzempfindlich. Ob auch die Gefühle des Hungers und Durſtes, des Übelbefindens und ähnliche auf ſenſoriſche Nervenendigungen im Körper zurückgehen, wiſſen wir nicht. b) Der ſtatiſche Sinn und feine Organe. Eine eigenartige Modifikation des mechaniſchen Sinnes iſt der jog. ſtatiſche Sinn. Weit verbreitet finden ſich bei den Wirbelloſen Sinnesorgane, die regelmäßig zwei Be— ſtandteile enthalten: eine Anzahl mit ſteifen Haaren ausgeſtatteter primärer Sinneszellen und ein oder mehrere ſchwere Körperchen, „Steinchen“, die auf dieſe Haare einen Druck ausüben. Zuweilen ſitzen die Steinchen mit einem Stiel als klöppelartige Gebilde an der Wand feſt, und die Sinnesborſten entſpringen entweder von benachbarten Wand— teilen oder ſtehen auf dem Klöppel (Abb. 379 A und B): jo iſt es bei vielen Quallen. Meiſt aber bildet das ganze Organ eine Grube (Abb. 3790) oder eine geſchloſſene Blaſe, von deren Wand die Sinnesborſten ausgehen; auf den Borſten ruht dann frei— ſchwebend oder zuweilen an den Borſtenenden befeſtigt, der Stein. Ahnliche Organe be— ſitzen alle Wirbeltiere; nur ſind die rezipierenden Zellen hier ſekundäre Sinneszellen. Dieſe Organe wurden früher für Hörorgane gehalten. Verſuche haben aber gezeigt, daß die meiſten Wirbelloſen, insbeſondere die Waſſerbewohner, auf Schall gar nicht reagieren. Wenn ſie es aber doch tun, wie die Garnelen (Palaemon, Palaemonetes), ſo geſchieht das auch dann noch, wenn ihnen jene Sinnesorgane entfernt ſind. Es iſt 620 Statolithenorgane der Wirbelloſen. ja nicht möglich, Schall ohne Erſchütterung im Waſſer zu erzeugen; daß die in das Waſſer übergeleiteten Schallwellen die Taſtorgane reizen, können wir mit der Hand in erwärmtem Waſſer wahrnehmen. Häufig ſind auch die Bläschenorgane tief in weiches, unelaſtiſches Gewebe eingebettet, wie bei den Weichtieren, ſo daß Schallwellen gar nicht zu ihnen gelangen können. Und was ſollten Hörorgane bei Waſſertieren? Aus freier Luft dringt faſt kein Schall ins Waſſer, und im Waſſer wird faſt kein Schall erzeugt. Das alles ſpricht gegen eine ſolche Deutung. Dagegen iſt durch zahlreiche Verſuche an verſchiedenen Tieren ſicher geſtellt, daß bei Entfernung jener Sinnesorgane Störungen in der Ruhelage und in den Bewegungen der Tiere eintreten. Man ſieht in ihnen jetzt allgemein Organe des Gleichgewichtsſinnes oder ſtatiſchen Sinnes. Die Steinchen bezeichnet man dementſprechend als Statolithen, die Bläschenorgane als Statocyſten. Es iſt leicht, ſich von der Wirkungsweiſe dieſer Organe eine Vorſtellung zu machen. Der Statolith wird infolge ſeiner Schwere ſtets einen Druck ſenkrecht nach unten aus— üben; er wirkt daher auf die jeweils ſenkrecht unter ihm befindlichen Sinnesborſten am ſtärkſten, alſo bei jeder anderen Lage des Tieres immer wieder auf andere. Somit iſt 79999 „00 on Abb. 379. Statolithenorgane der Meduſen Cunina (4) und Rhopalonema (B) und der Rippenqualle Callianira (C). 1 Statolith, 2 Sinneshaare, 3 äußere Umhüllung des Organs. Nach Hertwig— jede Körperlage mit beſtimmten Erregungen in dieſem Sinnesorgan verknüpft. Dieſe löſen ihrerſeits im zentralen Nervenſyſtem zweckentſprechende Reflexbewegungen aus, wodurch die normale Gleichgewichtslage wieder hergeſtellt wird. Die Schwerkraft wirkt auf den Statolithen, gleichgültig ob er frei auf der Oberfläche des Tieres oder in einem Bläschen tief im Innern des Körpers liegt. Der Bau der Statolithenorgane zeigt bei aller Gleichartigkeit in den Grundzügen doch mannigfache Abwechſelung. Die Lage iſt ſehr verſchieden: oberflächlich am Körper liegen die Statolithenorgane bei Quallen und Rippenquallen; bei Würmern und Mol— lusken haben die Statocyſten ihren Platz in der Nähe des Gehirnganglions bzw. Pedal— ganglions, bei der Holothurie Synapta ragen ſie vom Radialnerven aus in die Leibes— höhle vor; bei den zehnfüßigen Krebſen liegen die Statocyſten im Baſalglied der erſten Antenne, bei den Schizopoden dagegen im Innenaſte des letzten Hinterleibsbeinpaares. Klöppelartig an der Wand befeſtigte Statolithen kommen außer bei vielen Quallen nur noch in der Statolithenblaſe freiſchwimmender Manteltiere, der Appendikularien und Ajeidienlarven vor. Von Randquallen find in der Abb. 379 A und B ſolche gezeichnet; bei den Scyphomeduſen liegt der Statolith am Ende des keulenförmigen Randkörpers und wirkt wohl nur durch verſchiedenen Druck auf den äußerſt nervenreichen Randkörper— Bau der Statocyſten. 621 ſtiel — hier iſt der einzige Fall, wo Sinnesborſten nicht vorkommen. Statolithenbläschen wiederum, Statocyſten, können ſehr verſchieden gebaut ſein: fie ſind offen oder geſchloſſen, und zwiſchen beiden Zuſtänden finden ſich Übergänge. Bei den Rippenquallen (Abb. 37900 Abb. 380. A Leptomysis gracilis Sars, ein Spaltfußkrebs. 1 Facettenaugen, 2 Statocyite, 3 Brutſack. Nach G. O. Sars. 5 Statocyſte von Mysis im Median ſchnitt. 1 Statolith, 2 Sinneshaare, 3 Sinneszellen, 4 Sinnesborſten der Oberfläche. Nach Bethe. iſt der Schluß der am aboralen Pol oberflächlich gelegenen Cyſte durch kuppelartig gewölbte ſtarke Wimpern (3) beſorgt, und unter 170 der Kuppel iſt auf vier „Federn“, d. i. verſchmolzenen Sinnesborſten In) bündeln (2), der Statolith beweglich aufgehängt. Weit offen, und / 5 nur durch ſtarre Härchen verſchloſſen iſt die Statocyſte bei den zehn füßigen Krebſen. Dagegen entſteht bei den Schizopoden (Mysis, Abb. 380) die Statoeyſte zwar ebenfalls durch Einſtülpung, ſchließt ſich aber durch Zuſammenneigen der Ränder faſt völlig nach außen ab. Bei den Mollusken entſteht ſie durch Einſtülpung des Epithels und bleibt mit der Oberfläche bei manchen Muſcheln, z. B. Mytilus (Abb. 381), durch einen langen Kanal in offener Verbindung; bei den Tintenfiſchen ſchließt ſich dieſer Kanal, bleibt aber noch in Spuren beſtehen; bei den Schnecken zeigt das erwachſene Tier nichts mehr von demſelben. Auch bei manchen Ringelwürmern (Branchiomma) hat die Statocyſte offene Verbindung nach außen. — Bei vielen Mollusken, z. B. Muſcheln, finden ſich außer Fe ms 5 . mes nn N, den Sinnesborſten auch noch | ee Flimmerhaare in den Stato- cyſten, durch deren Schlag | die zahlreichen kleinen Stato 1 2 Abb. 381. lithen in Bewegung geſetzt Statoeyſte einer Mießmuſchel Mytilus galloprovincialis Lam. werden. Außerordentlich ver— Sinneszellen mit Härchen, 2 Statolithen, 3 Einſtülpungskanal. Nach Liſt. wickelt gebaut ſind die Statocyſten der Tintenfiſche: von der Wandung ragen Zapfen in größerer Anzahl in die Höhlung der großen Blaſe; die Sinnesepithelien ſind auf beſtimmte Stellen beſchränkt, und es ſind neben dem Hauptſtatolithen mehrere Häuf— chen kleiner Kriſtällchen vorhanden; dazu kommen ſchmale Bänder von Sinnesepithel, 622 Verſuche über die Funktion der Statocyſten. die ſogenannten Crista staticae, auf denen keine ſtatolithenartigen Gebilde ruhen, die vielmehr eher dazu beſtimmt erſcheinen, bei Drehbewegungen des Tieres durch die Strö— mungen der Bläschenflüſſigkeit in einer oder anderer Richtung gereizt zu werden. — Die Zahl der Statolithenorgane beträgt bei Quallen acht oder (bei Randquallen) ein viel— faches davon. Bei den Rippenquallen tft nur ein ſolches vorhanden. Bilateralſymmetriſche Tiere haben paarige ſtatiſche Organe, die ergänzend zuſammenwirken. Die Statolithen entſtehen in den Blaſen meiſt durch Abſcheidungen wandſtändiger Zellen: ſo werden die ſchön regelmäßig konzentriſch geſchichteten Statolithen der Schwimm— ſchnecken (Abb. 382) gebildet, die aus kohlenſaurem Kalk und organiſcher Grundſubſtanz beſtehen; bei Mysis (Abb. 380 B) hat der Statolith einen organiſchen Kern mit einer konzentriſch aufgelagerten kriſtalliniſchen Hülle, die ſich hier als Fluorcalcium erweiſt. Zu— weilen ſind zahlreiche Statolithen in jeder Cyſte vorhanden, wie bei Muſcheln und Schnecken. Die Statolithen der zehnfüßigen Krebſe beſtehen aus Fremdkörpern, die das Tier nach jeder Häutung, wobei auch die Blaſen— auskleidung mitſamt den Statolithen abgeſtoßen wird, aufs neue hineinbringt, und die durch eine abgeſonderte Grundſubſtanz zu einem einheitlichen Stein verbunden werden. An friſch gehäuteten Garnelen (Palaemon) kann man beobachten, wie ſie eifrig auf dem Boden des Gefäßes mit den Scheren herumgreifen und dieſe dann an die Statocyſte führen. Die eingeführten Steinchen ſind zu klein, als daß man ſie dabei mit bloßem Auge ſehen könnte. Setzt man aber den Krebs gleich nach der Häutung in ein Gefäß mit fil— 25 triertem Waſſer, auf deſſen Boden Harnſäure— Abb. 382. Statocyſte einer Schwimmſchnecke kriſtällchen verſtreut waren, ſo findet man dann, . daß die Statolithen in der Cyſte aus ſolchen 1 Statolith, 2 Sinneszellen, von denen eine 2’ in 8 ihrem Verlaufe dargeſtellt ift wie bei elektiver Färbung, Kriſtallen beſtehen. Nerv des Organs, Borſtenzellen, deren Borſten den 3 f 1 : ; vg: Statolithen tragen. In Anlehnung an Claus. Auf dieſe Eigentümlichkeit der zehnfüßigen Krebſe gründet ſich einer der ſchönſten Ver— ſuche über die Bedeutung der Statocyſten. Eine Garnele (Palaemon, Abb. 383) wurde nach der Häutung auf Eiſenſtaub geſetzt und füllte dieſen in ihre Statocyſten. Dieſe eiſernen Statolithen laſſen ſich nun durch den Elektromagneten beeinfluſſen: läßt man den Magneten von der Seite einwirken, ſo dreht ſich der Krebs mit dem Rücken vom Magneten fort, und zwar um ſo mehr, je näher man den Magneten bringt. Es wirken jetzt auf den Statolithen zwei Kräfte ein: die Anziehung der Erde und die des Magneten; die Reſultante der beiden Kräfte läßt dann den Statolithen, der vorher ſenk— recht nach unten drückte, ſchräg in der Richtung gegen den Magneten drücken, d. h. in der gleichen Weiſe, als ob der Krebs unter normalen Umſtänden mit dem Rücken gegen den Magneten gedreht wäre. Um aus dieſer ſcheinbaren Schrägſtellung herauszukommen, macht das Tier eine entſprechende Drehung nach der entgegengeſetzten Seite (Abb. 384). Es iſt derſelbe Vorgang, wie die Schrägſtellung eines in der Manege laufenden Pferdes, wo auf die Statolithen außer der Schwere die Zentrifugalkraft einwirkt. Die Beziehung des ſtatiſchen Organs zur Erhaltung der normalen Orientierung iſt auch an anderen Tieren durch unzweideutige Verſuche erwieſen. Die Rippenqualle Beros = Verbreitung der Statolithenorgane bei Wirbellojen. 623 vermag ſich nach Entfernung des Statolithenorgans nicht N . mehr aktiv in die gewöhnliche Gleichgewichtslage ein— 5% Pi zuſtellen, wenn man ihr eine andere Stellung gibt. Der "N A Tintenfiſch Eledone zeigt Störungen beim Schwimmen, ne f g. wenn er der Statocyſten beraubt iſt: er rollt um die Längsachſe, ſchwimmt längere Zeit in der Rückenlage, ö was normale Tiere nie tun, und überpurzelt ſich zu— \ weilen. Beſonders auffällig werden dieſe Störungen, | wenn man das Tier zugleich blendet; wenn ſie aber 5 ihre Statocyſten noch haben, ſchwimmen geblendete Tiere völlig normal. Auch das Spaltfußkrebschen Mysis ö ſchwimmt nach einer ſolchen Operation in der Rücken— 8 lage, während es ſich normaler Weiſe in labilem Gleich— 0 gewicht, mit dem Bauch nach unten, hält; auf dem Boden aber vermag das Tierchen ſich mit Hilfe des Taſtſinns zu orientieren und nimmt wieder die Bauch— lage ein. Ahnlich wirkt die Entfernung der Stato— cyſten bei der Garnele Penaeus. Hummerlarven, die | man in filtriertem Waſſer hält und damit hindert, nach Abb. 383. Vorderhälfte einer Garnele der Häutung ihre Statsepften zu füllen, vollen und earn ee ſchwimmen mit der Bauchſeite nach oben. gelegenen Statocyſten, 3 himere Antennen, Statiſche Organe kommen durchaus nicht allen 8 Wirbelloſen zu. Die Tiere, bei denen wir ſie finden, können wir nach ihrer Lebensweiſe in zwei Gruppen einordnen. Die einen ſind gute Schwimmer: dahin gehören Quallen und Rippenquallen, manche acoele Strudel —⁵—ꝓꝶæ u ñð=ůũẽ würmer, unter den Weichtieren die 4. Schwimmſchnecken, Pteropoden und manche Tintenfiſche, unter den Krebſen die Spaltfußkrebſe und eine Anzahl zehnfüßiger Krebſe; auch die Appen— dicularien und die Larven der Aſeidien unter den Manteltieren ſind hierher zu rechnen. — Die andere Gruppe ſind langſam bewegliche Tiere, von denen manche ſogar zeitweilig feſtſitzen: teils leben ſie im Sande wühlend, wie der Köderwurm (Arenicola) und die Holo— thurie Synapta, teils ſind ſie zeitweilig rings von ihren Gehäuſen umſchloſſen, wie die Röhrenwürmer, Schnecken und Abb. 384. Schematiſcher Schnitt durch die Baſalglieder Muſcheln. der vorderen Antennen von Palaemon, A bei normaler Stel- lung, B bei Einwirkung des Magneten von links; die Reſultante R Das Gemeinſame in der ſonſt ſo aus der Magnetwirkung M und der Schwerkraft S wirkt jetzt ebenſo 1 5 5 85 5 auf die Statolithen wie unter normalen Verhältniſſen die Schwerkraft verſchiedenen Lebensweiſe dieſer Tiere (in A); der Krebs hat daher das „Gefühl“ normaler Körperhaltung. ift daß fie zeitweilig von einem gleich- 1 Öffnung der Statocyſte, 2 Sinnesborſten, 3 Statolith. ; - mäßigen Medium rings umſchloſſen find, die Schwimmer vom Waſſer, die Wühler von Sand, die Gehäuſebewohner von der Wandung ihrer Wohnungen. An der Grenze 624 Verbreitung der Statolithenorgane bei Wirbelloſen. zweier verſchiedener Medien, am Boden des Waſſers, oder auf dem Lande, genügt der Taſtſinn zur Orientierung, zur „Unterſcheidung“, menſchlich geſprochen, von oben und unten. Doch verſagt dieſer Sinn, wenn das umgebende Medium keine Ver— ſchiedenheit bietet: die Taſtapparate werden ſtets in gleicher Weiſe erregt, ob die Tiere mit dem Rücken nach oben, nach unten oder nach der Seite liegen. Die Seh— organe können allerdings bei der Orientierung mitwirken, aber nur am Tage, und bei den Gehäuſebewohnern auch dann nicht, wenn das Tier in ſein Gehäuſe eingezogen iſt. Die Schwerkraft dagegen wirkt ſtets in gleicher Richtung, und die Statolithen drücken auf ihren Sinnesapparat ſtets in der durch die Körperlage bedingten Weiſe, alſo anders bei Bauchlage, bei Seitenlage und bei Rückenlage. Allerdings treffen wir bei vielen geſchickten Schwimmern und auch bei Fliegern, die ſich ja in der Luft unter denſelben Bedingungen befinden, keine Statolithenapparate, ſo bei allen fliegenden und ſchwimmenden Inſekten. Aber dieſe bewegen ſich in ſtabilem Gleichgewicht, ſie werden durch unmittelbare Einwirkung der Schwerkraft eingeſtellt: der Rückenſchwimmer (Notonecta) mit dem Bauch nach oben, da er an der Bauchſeite ſeinen Atemluftvorrat hat und dadurch auf dieſer Seite leichter iſt; der gelbrandige Schwimm— käfer (Dytiscus) ſchwimmt mit dem Rücken nach oben, da er die Atemluft unter den Flügeldecken trägt. Bei den fliegenden Inſekten ſind die Flügel ſtets ſo hoch eingelenkt, daß der Schwerpunkt unter ihrer Anſatzſtelle liegt, der Rücken alſo nach oben ſehen muß. Dagegen kommen bei nackten feſtſitzenden Tieren und bei Kriechern keine Statolithen— organe vor. Die Quallen haben ſolche, den verwandten Polypen fehlen fie; die Aseidien— larven verlieren ihre Statolithen bei der Metamorphoſe, die ſie ihrer freien Beweglichkeit beraubt. Die Krabben (Careinus u. a.) mit ihrem ſtabilen Gleichgewicht beſitzen zwar Statocyſtengruben, aber ſie haben keine Statolithen darin, und es iſt fraglich, ob das in den Gruben bleibende Seewaſſer dieſe erſetzen kann; bei ihren freiſchwimmenden Larven aber, den HZoeen, ſind Statolithen vorhanden. Ausnahmen machen die nackten Schnecken und die nichtſchwimmenden langſchwänzigen Krebſe, z. B. Flußkrebſe und Hummer, die wie ihre gehäuſetragenden bzw. freiſchwimmenden Verwandten ſtatiſche Organe beſitzen, als Erbſtück von anders lebenden Vorfahren. Auch den Wirbeltieren kommt ein ſtatiſches Sinnesorgan zu, das dem der Wirbel— loſen in der Art ſeiner Funktion entſpricht: Statolithen, die auf Härchen von Sinnes— zellen ruhen und dieſe reizen durch Bewegungen, die ſie durch Lageveränderungen oder durch Anderung in der Geſchwindigkeit der Ortsbewegung erfahren. Sie ſind nicht in eine enge Blaſe eingeſchloſſen, wie bei den meiſten Wirbelloſen, ſondern liegen, wie die Statolithen der Tintenfiſche, in einem größeren Hohlraum, der hier den Namen Laby— rinth führt und noch weitere Sinnesorgane von andersartiger Bedeutung enthält. Der Labyrinthapparat iſt allgemein verbreitet bei den Wirbeltieren und fehlt nur dem Am— phioxus; er beſteht aus zwei unregelmäßig geſtalteten Blaſen, die zu beiden Seiten des verlängerten Markes im Kopfſkelett eingebettet liegen. Die Blaſen ſtammen, ganz ähnlich wie die Statocyſten der Wirbelloſen, vom Ektoderm; ſie entſtehen als grubenförmige Einſtülpung der Epidermis, die ſich in die Tiefe ſenkt und von der Oberfläche abſchnürt. Der Kanal, durch den das Labyrinthorgan zunächſt mit der Oberfläche verbunden bleibt, der endolymphatiſche Gang, erhält ſich bei den Selachiern zeitlebens mit freier Mündung offen, bei den übrigen Wirbeltieren endet er blind im Kopfſkelett. Die Labyrinthblaſe iſt nur bei den Rundmäulern etwas einfacher gebaut; bei allen übrigen Wirbeltieren zeigt ſie den verwickelten Aufbau aus blaſen- und röhrenförmigen Labyrinthorgan der Wirbeltiere. 625 Abſchnitten, der ihr eben den Namen „Labyrinth“ eingetragen hat (Abb. 385). Sie ſetzt ſich hier aus zwei Hauptabſchnitten zuſammen, einem oberen, dem ſogenannten Utriculus, und einem unteren, dem Sacculus, die durch eine Ein— ſchnürung voneinander getrennt ſind. An den Sacculus ſchließt ſich auf der Medianſeite überall der ſchon ge— nannte endolymphatiſche Gang (72), und nach hinten geht von ihm ein bei den verſchiedenen Abteilungen ſehr wechſelnd geſtalteter Auswuchs ab, die Lagena (17). Vom Utriculus dagegen nehmen die drei halbkreisförmigen Kanäle, die Bogengänge, mit ihren beiden Enden ihren Urſprung. Die drei Bogengänge ſind ſo angeordnet, daß die drei Ebenen, die man durch ſie legen kann, aufeinander ſenk— recht ſtehen: zwei der Gänge ſtehen ſenkrecht und ſtoßen unter rechtem Winkel zuſammen, der eine (3) ſieht ſchräg nach vorn, der andere (5) ſchräg nach hinten; der dritte Gang (4), der nach außen gerichtet iſt, ſteht wagerecht. Sie find alſo nach den drei Richtungen des Raums orientiert, gleichſam ein von der Natur gegebenes Koordinatenſyſtem. Wo die beiden ſenkrechten Gänge zuſammenſtoßen, münden ſie mit einem gemeinſchaftlichen Schenkel in den Utriculus. Die anderen beiden Einmündungen der ſenkrechten und die vordere Einmündung des wagerechten Ganges ſind jede zu einer ſogenannten Ampulle (6, 7 In dem Labyrinth befinden ſich eine ganze Anzahl ‚ 8) erweitert. Abb. 385. Schema des linken Laby⸗ rinthbläschens eines Wirbeltiers, von außen geſehen. 1 Utriculus; 2 Sacculus; 3, 4, 5 die Bogen- gänge mit ihren Ampullen 6, 7, 8; 9—11 Sinnesepithelien mit Statolithen, die jog. Macula utrieuli, sacculi und lagenae; 12 endolymphatiſcher Gang. Nach Wiedersheim. von?) Stellen mit Sinnesepithe— lien, die ganz ähnlich gebaut ſind, wie die Nervenhügel in den Seitenkanälen der Fiſche: ſie beſtehen aus ſekundären Sinneszellen, deren jede eine ſtarre Borſte trägt, und dazwiſchen ſtehenden Stützzellen (Abb. 386). Die Nervenfaſern ſplittern ſich unter den Sinneszellen auf und umſpinnen ſie mit ihren Endbäumchen. Solche Flecken von Sinnesepithelien finden ſich in den drei Ampullen der Bogengänge, im Utriculus, im Sacculus, in der Lagena und ſchließlich noch ein kleinerer Fleck von wechſelnder Lage, die Macula neglecta, die bei den Säugern fehlt. Von dieſen Sinnesepithelbezirken tragen diejenigen im Utri— culus und Sacculus, und bei den Fiſchen auch in der Lagena, Statolithen, die auf den Härchen der Sinnes— zellen ruhen. Bei den Fiſchen ſind es große zuſammen— hängende Steine aus kohlenſaurem Kalk, bei den übrigen Wirbeltieren beſtehen ſie aus zahlreichen kleinen, mitein— ander verklebten Kriſtällchen und bilden den ſogenannten Hörſand. — Der Innenraum des Labyrinths iſt mit einer eiweißhaltigen Flüſſigkeit, der Endolymphe, erfüllt. Abb. 386. an der Nervenendigungen Macula sacculi einer jungen Maus. 1 Sinneszellen mit Sinneshaar 2, 3 Nerven faſern (mit Chromſilber imprägniert), 2 deren Endbäumchen; in der Tiefe des Epithels die Kerne der Stützzellen. Nach v. Lenhoſſck. Das ganze epitheliale Labyrinthbläschen liegt in Bindegewebe eingebettet, und dieſes iſt wieder von dem Knorpel oder Knochen der Schädelkapſel umſchloſſen. In dem Binde— gewebe iſt nahe der Labyrinthwand rings um das ganze Labyrinth ein zuſammenhän— Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 40 626 Verſchiedenheiten des Labyrinths in der Wirbeltierreihe. gender Lymphraum entſtanden, der perilymphatiſche Raum. Das Gebilde in dieſem Raum, alſo das epitheliale Labyrinthbläschen mit ſeinem Bindegewebsüberzug, heißt das häutige Labyrinth; die knorpelige oder knöcherne Hülle, die deſſen Form im gröberen wiederholt, iſt das knorpelige oder knöcherne Labyrinth. In der ganzen Wirbeltierreihe zeigt der obere Teil des Labyrinths, der Utriculus mit ſeinen Bogengängen, in den Grundzügen den gleichen Bau. Der untere Teil da— gegen, der Sacculus mit ſeinen Anhängen, wird mehr und mehr differenziert und be— kommt immer größere Bedeutung: die Lagena, die bei den Fiſchen noch kaum geſondert Abb. 387. Schema des linksſeitigen Labyrinths von Knochenfiſch (A), Froſch (3), Schildkröte (0), Kroko dil (D), Vogel (E) und Säuger (F). 1 Macula utrieuli, 2 Macula sacculi, 3 Macula lagenae, 4 fog. Baſalpapille. Der endolymphatiſche Gang iſt überall fortgelaſſen. iſt, wird zunehmend umfangreicher, bis ſie bei den Säugern das hochentwickelte Gebilde der Hörſchnecke darſtellt (Abb. 387). Das übrige Labyrinth bildet mit ſeinen Stato— lithenapparaten ein ſtatiſches Sinnesorgan, deſſen Verrichtungen allerdings gegenüber den Statocyſten der Wirbelloſen (die Tintenfiſche vielleicht ausgenommen) durch die Bogen— gänge eine Vermehrung erfahren haben. Die Lagena aber, die bei den Fiſchen noch zum ſtatiſchen Organ gehört, bildet ſich von den Amphibien an zum Hörorgan aus, unter Ausdehnung und Verwicklung ihres Sinnesapparates. Zugleich tritt das ganze Labyrinthorgan von den Amphibien an in Beziehung zur Außenwelt: es lagert ſich dicht an die erſte Kiementaſche, die bei den Selachiern als Spritzlochkanal fortbeſteht, bei den Fehlen des Hörorgans am Labyrinth der Fiſche. 627 Knochenfiſchen dagegen rückgebildet iſt; nach außen iſt ſie durch eine elaſtiſche Haut, das Trommelfell, verſchloſſen, innen mündet ſie wie bei den Selachiern in die Mundhöhle, durch die ſogenannte Euſtachiſche Röhre. Aus der erſten Kiementaſche wird ſo das Mittelohr; Teile des Kiemenſkeletts, die ihrer Wand anliegen, gelangen, durch Erweite— rung des Hohlraums in dieſen hinein und werden zu ſchalleitenden Apparaten, den Hör— knorpeln bzw. Hörknöchelchen. Durch ſchützende Verlagerung des Trommelfells in größere Tiefe entſteht von den Reptilien an ein äußerer Gehörgang, zu dem ſchließlich bei den Säugern als Hilfsapparat noch die Ohrmuſchel hinzukommt. Der größte und urſprüngliche Teil des Labyrinthapparats iſt alſo ein ſtatiſches Organ, und im Anſchluß an dieſes entwickelt ſich erſt der Hörapparat aus der Lagena, die bei den Fiſchen ganz gering ausgebildet iſt und nur ein Statolithenorgan enthält. Danach fehlt den Fiſchen der Hörapparat der übrigen Wirbeltiere; wenn ſie nicht anders— wo einen Erſatz haben, müſſen ſie alſo taub ſein. Das widerſpricht allerdings der all— gemeinen Annahme des Volkes. Die Fiſcher gehen bei ihrer Arbeit möglichſt geräuſch— los vor, um ihre Beute nicht zu verſcheuchen. Mehrfach iſt auch behauptet worden, daß die Fiſche in Teichen durch ein Glockenzeichen zur Fütterung herangelockt werden; bei genauer Unterſuchung jedoch, wie ſie von Kreidl an den Teichen des Stifts Krems— münſter in Oberöſterreich ausgeführt wurde, erwies ſich dieſe Annahme als irrtümlich: ſchleicht man vorſichtig an das Teichufer, das hier durch einen gemauerten Damm gebildet wird, und läutet, hinter einer Säule verſteckt, ſo kommt kein Fiſch; nicht durch den Ton der Glocke, ſondern durch die Erſchütterung des Bodens beim Herangehen, die ſich auf das Waſſer überträgt, und durch den optiſchen Reiz des Fütternden werden die Fiſche herangelockt. Die zahlreichen Verſuche, die zur Klärung der Frage angeſtellt wurden, lieferten alle das gleiche Ergebnis; die Fiſche hören nicht, wie die anderen Wirbeltiere. Gold— fiſche reagieren nicht auf Töne, die im Waſſer mittels hineintauchender und zum Schwingen gebrachter Stäbe erzeugt werden; auch dann tritt keine Erregung der Fiſche ein, wenn ſie durch Vergiftung mit Strychnin überempfindlich gemacht worden ſind, obgleich dann ſchon jede leichte Erſchütterung ihres Behälters ſie zu wildem Durch— einanderfahren veranlaßt. Nur durch Abſchießen eines Revolvers im Zimmer wurden die Fiſche beunruhigt; dies geſchah aber auch bei Fiſchen, denen beiderſeits das Laby— rinthorgan herausgenommen worden war; es kann alſo unmöglich als „Hören“ gedeutet werden (Kreidl). Allerdings kann ja Schall im Waſſer nicht erzeugt werden ohne Bewegung des Waſſers. So erklärt es ſich wohl auch, daß im freien Waſſer Weißfiſche durch das Läuten einer ins Waſſer eingetauchten und von einem dicken Metalleimer umgebenen elektriſchen Glocke zu Fluchtbewegungen veranlaßt wurden. Doch tritt dieſe Bewegung nur bei den Fiſchen ein, die ſich in einer Entfernung bis zu Sm von der Schallquelle befinden, während ein untergetauchter Menſch den Ton der Glocke noch in 50 m Entfernung hört. Es iſt möglich, daß längere Wellen von geringerer Schwin— gungszahl, die durch Schwebungen hervorgerufen werden, den Reiz ausüben; man könnte dann wohl eine Reizung der Sinnesorgane in den Hautkanälen annehmen (vgl. oben S. 618); jedenfalls erſcheint es nach Kreidls Verſuchen durchaus unwahrſcheinlich, daß die Erregung durch das Labyrinthorgan vermittelt wurde. Wie fein bei manchen Fiſchen immerhin die Reaktion auf akuſtiſche Wellen iſt, zeigt ein Verſuch mit dem Zwergwels (Amiurus nebulosus Raf.): ein ſolcher Fiſch, der in einem ruhigen Aquariumsraume gehalten wurde, antwortete regelmäßig auf einen mit dem 40* 628 Statiſche Funktion des Labyrinths. Munde hervorgebrachten mäßig lauten Pfiff mit einer ſprungartigen Bewegung, auch wenn Sorge getragen wurde, daß er durch keinen optiſchen Reiz beeinflußt wurde, alſo wenn z. B. der Pfeifende dem Aquarium den Rücken zukehrte. Es ſind vielleicht die zahlreichen Barteln des Fiſches, an denen wir dieſe feine mechaniſche Reizbarkeit lokali— ſiert denken müſſen. Für eine Reizung der Taſtorgane durch ſolch minimale Wellen— bewegungen, wie ſie bei einem Pfiff ins Waſſer dringen, iſt noch ein weiteres Beiſpiel bekannt: die Aktinie Edwardsia lueifuga P. Fisch. zuckt bei einem Pfiff zuſammen, und man kann mit Sicherheit annehmen, daß hier beſondere Hörorgane nicht vorhanden ſind. — Ein Ausſchluß der Hautſinnesorgane der Fiſche iſt dann gegeben, wenn man Fiſche außerhalb des Waſſers durch Töne zu reizen verſucht. Für einen ſolchen Aufenthalt in der Luft eignet ſich der Aal, der es in feuchtem Moos lange außerhalb des Waſſers aushält. Ein ſo gehaltener Aal aber wird durch Töne in keiner ſichtbaren Weiſe be— einflußt. Die wahre Bedeutung des Labyrinths bei den Fiſchen läßt ſich nun dadurch er— mitteln, daß man die Tätigkeit dieſes Apparates ausſchaltet. Das kann durch Heraus— nehmen des ganzen Organs oder durch Zerſchneiden des zugehörigen Nerven, des achten Hirnnerven, geſchehen. Es treten dann ganz ähnliche Erſcheinungen ein wie bei den Tintenfiſchen und anderen Wirbelloſen nach Zerſtörung der Statocyſten. Haie und Knochenfiſche, die ſo operiert wurden, rollen beim Schwimmen, d. h. drehen ſich um ihre Längsachſe, oder ſie ſchwimmen zeitweilig auf dem Rücken. Der Zwang, die Bauchſeite dem Erdmittelpunkte zuzuwenden, iſt verloren: dreht man ſie auf den Rücken, ſo machen ſie keine Abwehrbewegungen. Erleichtert man die Bauchſeite durch Einblaſen von Luft unter die Haut, ſo daß die Rückenlage (Bauch nach oben) zur Gleichgewichtslage wird, ſo ſchwimmt ein normales Tier trotzdem in der Bauchlage, ein operiertes aber in der Rückenlage. Die Entfernung der Labyrinthe wirkt alſo wie die der Statocyſten: das Labyrinth muß ein ſtatiſches Organ enthalten. Ahnliche Ergebniſſe liefern die gleichen Verſuche an höheren Wirbeltieren. Fröſche, die beider Labyrinthe beraubt ſind, können ihr Gleichgewicht auf einem geneigten Brett nicht mehr behaupten; ſetzt man ſie in der Rückenlage ins Waſſer, ſo ſchwimmen ſie ſo auf weite Strecken, was normale Fröſche nie tun. Labyrinthloſe Tauben ſchwanken bei Bewegungen hin und her. Nur ſind bei Landtieren die Ausfallerſcheinungen viel ſchwieriger zu beobachten, weil hier ja die übrigen Sinnesorgane, beſonders die Taſtorgane bei Berührung des Bodens, in viel höherem Maße ergänzend eintreten. Die Ahnlichkeit mit dem Verhalten der Wirbelloſen weiſt uns darauf hin, daß es die Statolithenorgane des Labyrinths ſind, deren Entfernung dieſe Erſcheinungen hervor— ruft. Aber außer den Statolithenorganen in Utriculus, Sacculus und Lagena ſind ja noch die Bogengänge vorhanden, die in den Ampullen ebenfalls mit Nervenendorganen verſehen ſind. Welcher Art iſt deren Funktion? Die theoretiſche Überlegung hat hier den Weg gezeigt, wie man ſich die Bedeutung der Bogengänge für die Tiere zu denken hat, und Verſuche haben die Annahmen beſtätigt. Dreht man einen mit Flüſſigkeit gefüllten Teller ein Stück weit nach rechts in der Richtung ſeines Randes, alſo um die ſenkrecht durch ſeinen Mittelpunkt gehende Achſe, ſo wird die Flüſſigkeit infolge ihres Beharrungsvermögens zunächſt dieſer Bewegung nicht folgen, alſo im Verhältnis zum Teller ſich nach links drehen. In derſelben Weiſe muß bei einer Drehbewegung des Kopfes bzw. der Bogengänge die Endolymphe in dieſen Gängen verſchoben werden. Die Verſchiebung geſchieht in einem beſtimmten Gange am ſtärkſten, wenn die Drehung in Funktion der Bogengänge. 629 der Ebene dieſes Ganges ausgeführt wird: wenn z. B. der Kopf beim Menſchen in der Horizontalebene gedreht wird, wie beim Zurückſehen, jo bewirkt das eine Bewegung der Endolymphe in den horizontalen Bogengängen beider Labyrinthe; wird der Kopf ſchräg nach rechts und vorne geſenkt (ohne Drehung des Halſes), ſo bewegt ſich die Endolymphe in dem rechten vorderen und dem linken hinteren Bogengang; die gleiche Bewegung nach links ſetzt die Endolymphe im linken vorderen und rechten hinteren Bogengange in Be— wegung. Fällt die Drehung des Kopfes nicht mit der Richtung der Bogengänge zu— ſammen, ſo iſt die Strömung der Endolymphe in dem Maße geringer, als die Drehungs— ebene von der Ebene des Bogenganges abweicht. Je ſchneller die Drehung des Kopfes, um ſo ſtärker iſt die Strömung der Endolymphe. Durch dieſe Strömung werden die Sinneshärchen in den Ampullen bewegt und dadurch gereizt: beim Menſchen ſind die Enden dieſer Härchen durch eine Gallertmaſſe verklebt; dieſe wird durch die bewegte Endolymphe verſchoben und übt einen Zug auf jene Härchen, die nach der Seite der herankommenden Strömung ſtehen; daher ſind die gereizten Härchen je nach der Strom— richtung andere, die Erregung alſo verſchieden. So können dieſe Organe die Drehungen des Kopfes und damit vielfach entſprechende Bewegungen des Körpers beim Vorbeugen, Stolpern u. dgl. unter die Kontrolle des Nervenſyſtems bringen. Da die Tätigkeit dieſes Sinnesapparates beim Menſchen nicht mit dem Bewußtſein verknüpft und uns eine willkürliche Ein- und Ausſchaltung desſelben unmöglich iſt, ſo gibt es zunächſt kein Mittel, am Menſchen die entwickelte Theorie zu prüfen. In genialer Weiſe hat man, zuerſt an der Taube, auf experimentellem Wege die Frage in Angriff genommen. Wenn man den Bogengang einer Taube freilegt, ſo läßt ſich durch einen feinen, hammerartigen Apparat, der auf den Gang aufſchlägt, die Endolymphe in ihm in Bewegung ſetzen. Geſetzt den Fall, es ſei der linke horizontale Bogengang ſo getroffen, daß die Strömung der Endolymphe von der Ampulle fort, alſo von vorn nach hinten ſtattfindet, ſo iſt die Wirkung die gleiche, als ob der Kopf der Taube nach rechts, d. h. in der Richtung zu der Ampulle, gedreht worden wäre. Dem entſpricht die Reaktion des Tieres: es dreht den Kopf nach links, alſo in der Richtung der Endolympheſtrömung, als handle es ſich darum, eine erzwungene Rechtsdrehung auszugleichen. In derſelben Weiſe ruft die experimentell verurſachte Bewegung der Endolymphe auch in den andern Bögen eine gleichgerichtete Reaktionsbewegung des Kopfes hervor. Auch an anderen Wirbeltieren ſind ſolche Verſuche mit demſelben Erfolg gemacht worden. Fiſche z. B. antworten auf ſolche Reize mit Floſſenbewegungen, die den Körper in die normale Lage zurückbringen ſollen. Wenn ſomit die Bogengänge Organe ſind, die durch Drehbewegungen oder Winkel— beſchleunigungen erregt werden, ſo wird uns eine Anzahl von Erſcheinungen klar, die durch Verletzung oder Erkrankung der Bogengänge hervorgerufen werden. Tiere, bei denen dieſe Organe nicht normal arbeiten, werden z. B. bei ſchneller Drehung nicht ſchwindlig: eine Katze, der beiderſeits der 8. Hirnnerv durchtrennt iſt, wird beim Rotieren nicht ſchwindlig, während bei unverletzten Katzen krampfhafte Körperbewegungen auftreten; bei den Tanzmäuſen glaubt man mangelhafte Ausbildung der Bogengänge nachgewieſen zu haben; bei jungen Regenbogenforellen (Salmo irideus W. Gibb.) haben gewiſſe paraſitäre Erkrankungen des Kopfknorpels, die ſich auf das Labyrinth ausdehnen, zur Folge, daß die Tiere bei Reizung ſich ſchnell oftmals im Kreiſe herumdrehen, die ſogenannte Drehkrankheit dieſer Fiſche. Die Desorientierung, die bei normalen Tieren durch übermäßige Beanſpruchung der Bogengänge hervorgerufen wird, tritt in dieſen 630 Einfluß des Labyrinths auf die Muskulatur. Fällen nicht ein. Auch von taubſtummen Menſchen weiß man, daß ſie häufig frei von Drehſchwindel ſind; von 519 Taubſtummen waren 186 nicht ſchwindlig zu machen. Das erklärt ſich wahrſcheinlich dadurch, daß bei dieſen Kranken mit dem Hörorgan zugleich auch die Bogengänge krankhaft verändert waren. In ihrer Funktionsweiſe erinnern die Bogengänge an die Hautſinneskanäle der Fiſche: hier wie dort ſind es Flüſſigkeitsſtrömungen in einem Kanalſyſtem, die als Reiz für Nervenendorgane dienen, und zwar ſind dieſe Endorgane in beiden Fällen gleich beſchaffen. Der achte Hirnnerv, der zu den Labyrinthorganen geht, entſpringt aus demſelben Kern wie die Nervenſtränge, welche die Sinneskanäle am Kopfe der Fiſche mit Nerven ver— ſorgen. Schließlich ſtehen ja die Labyrinthorgane bei den Haifiſchen durch den endo— lymphatiſchen Gang zeitlebens mit der Außenwelt in Verbindung. Das alles kommt zuſammen, um die Vermutung zu ſtützen, daß ſich der Labyrinthapparat aus ſolchen Hautſinneskanälen entwickelt hat, daß er urſprünglich einen mehr in die Tiefe verſenkten Teil der Kopfſinneskanäle vorſtellt. Bei den beſprochenen Verſuchen, durch Entfernung des Labyrinths die Bedeutung dieſes Organes zu ermitteln, wurden noch weitere überraſchende Entdeckungen gemacht. Wirbeltiere, die der Labyrinthe beraubt worden ſind, zeigen eine auffällige Herabſetzung ihrer motoriſchen Kraft: ſie ſind unluſtig zu Bewegungen, liegen träge in ihren Behält— hältniſſen und ermüden ſehr ſchnell, wenn man ſie nötigt, ſich zu bewegen. Haifiſche können nach der Operation Gewichte, die mit dem Schwanz verbunden ſind, durch ſeit— liche Bewegung des Schwanzes viel weniger hoch heben als vorher im normalen Zuſtande. Ein Weißfiſch (Leuciscus erythrophthalmus L.) kann ſich nach der Operation nicht am Boden ſeines Beckens halten: die Muskulatur ſeiner Schwimmblaſe erſchlafft und damit dehnt die bisher komprimierte Luft der Blaſe ſich aus, ſein Volumen vermehrt, ſein Übergewicht vermindert ſich, und er ſteigt an die Oberfläche. Operierte Nattern heben beim Kriechen den Kopf nicht, wie ſie es im geſunden Zuſtande tun. Tauben werden durch kleine Laſten niedergedrückt, und geringfügige Hinderniſſe, die man ihnen in den Weg legt, machen ihnen große Schwierigkeiten. Schon kleine Operationen, wie die beider— ſeitige Zerſchneidung eines Bogenganges, rufen nach Ewalds Verſuchen bei Vögeln Be— wegungsſtörungen hervor, die um ſo ſchwerer ſind, je ſchwerer es für das Tier bei der beobachteten Bewegungsform iſt, das Gleichgewicht zu behaupten, und je feiner ſie die Muskelbewegungen dabei abſtufen: der Flug der Schwalbe wird dadurch ſehr ſtark be— einträchtigt, etwas weniger der des Sperlings, mittelſtark der der Taube, während beim Huhn und vollends bei der Gans die Wirkung der Operation nur gering iſt. Hunde können nach Herausnehmen der Labyrinthe Knochen nur mit Mühe zerbeißen. Daraus ſcheint ſich zu ergeben, daß vom Labyrinth beſtändig Erregungen ausgehen, wodurch in der geſamten quergeſtreiften Muskulatur eine gewiſſe Spannung erzeugt wird. Auch bei dem Statolithenapparat eines Wirbelloſen ſind ähnliche Wirkungen beobachtet: der Moſchuspulp (Eledone moschata Leach), und wahrſcheinlich Tintenfiſche überhaupt, wird durch Zerſtörung ſeiner Statocyſten ſo geſchwächt, daß er ſich an der Glaswand des Aquariums nicht mehr angeſaugt halten kann, ohne herabzurutſchen. Man darf auf Grund davon vielleicht vermuten, daß es im Wirbeltierlabyrinth die Statolithenapparate ſind, mit denen die Regulierung der Muskelſpannung zuſammenhängt. Durch dieſe Beziehungen des Labyrinths zur Muskulatur wird vielleicht auch eine eigentümliche Einrichtung unſerem Verſtändnis näher gerückt, die ſich bei manchen Knochen— fiſchen, den Karpfen- und Welsartigen u. a. findet, der ſogenannte Weberſche Apparat— „Schnecke“ des Wirbeltierlabyrinths. 631 Hier ſind die endolymphatiſchen Kanäle beider Labyrinthe verbunden und gehen in eine mediane Blaſe, den endolymphatiſchen Sack, über. An dieſe Blaſe ſchließt ſich eine Kette miteinander gelenkender Knöchelchen an, umgebildeter Anhänge der Wirbelſäule, die eine Verbindung mit der Schwimmblaſe herſtellen. Wahrſcheinlich dient dieſer Apparat dazu, die wechſelnde Spannung der Schwimmblaſe, die ſich beim Steigen und Sinken des Fiſches ſowie bei Schwankungen des atmoſphäriſchen Drucks ändert, dem Labyrinth zu über— mitteln und auf dieſem Wege entſprechende Muskelreaktionen zu veranlaſſen. c) Hören und Hörorgane bei Wirbeltieren und Wirbellofen. Hinter dem ſtatiſchen Abſchnitt des Labyrinths, der überall den gleichen Bau hat, ſteht das Hörlabyrinth an Ausdehnung bei den niederen Wirbeltieren ſehr zurück (Abb. 387). Wie ſchon oben ausgeführt, entwickelt es ſich aus der Lagena, die bei den Fiſchen nur eine kleine Ausbuchtung des Sacculus iſt und einen Statolithenapparat, die ſogenannte Papilla lagenae, enthält. Bei den Amphibien gewinnt die Lagena an Größe und um— ſchließt noch einen zweiten Sinnesepithelbezirk, die ſogenannte Baſalpapille; dieſe trägt keinen Statolithen, iſt aber den anderen Nervenendſtätten im Labyrinth dem Bau nach völlig gleich. Die Lagena und mit ihr die Baſalpapille vergrößert ſich weiter bei Rep— tilien und Vögeln und erreicht ihre bedeutendſte Ausdehnung bei den Säugern; hier rollt ſie ſich ſpiralig ein und wird damit zur ſogenannten Schnecke, die beim Hamſter mit 1½ Windungen die geringſte, bei dem ſüdamerikaniſchen Paka (Coelogenys) mit 5 Windungen die größte Aufwindung zeigt. Die Gegend der Baſalpapille zeichnet ſich vor den übrigen Nervenendigungen im Labyrinth dadurch aus, daß hier die häutige Labyrinthwand mit dem Skelett ſtreckenweiſe in unmittelbare Verbindung tritt: indem ſich die gegenüberliegenden Wandteile der Lagena je auf einer Linie mit der Wand des knöchernen Labyrinths verbinden, wird der Teil der Lagenawand, der die Baſalpapille umfaßt, wie in einem Rahmen ausgeſpannt. Für die eigenartige Funktionsweiſe der Baſalpapille als Hörorgan iſt dieſe Einrichtung von größter Wichtigkeit: die ſo aus— geſpannte Membran muß die Schwingungen mitmachen, in welche die benachbarte Peri— lymphe verſetzt wird. Dabei kommt es durch eine beſondere Vorrichtung zur Reizung der Sinneszellen der Baſalpapille: über das Sinnesepithel legt ſich, vom Verwachſungs— rande der Lagena ausgehend, eine Hautbildung, die ſogenannte Deckmembran (Mb. tectoria) (Abb. 388). Wenn die Fläche des Sinnesepithels durch Wellenbewegung der Perilymphe in Schwingungen verſetzt wird, ſtoßen die Sinneshaare des Epithels gegen die Deck— membran an und werden dadurch gereizt. Bei den Säugern ſind die Bauverhältniſſe des Gehörorgans am genaueſten bekannt (Abb. 388): in dem Gang des knöchernen Labyrinths, der die Schnecke umgibt, liegt dieſe ſo, daß ſie den Raum in drei geſonderte Röhren teilt: die mittlere iſt der eigent— liche Schneckengang (Can. cochlearis — Scala media) des häutigen Labyrinths und als ſolcher mit Endolymphe gefüllt; der obere und untere Gang ſind Teile des perilympha— tiſchen Raumes und werden Vorhofsgang (Scala vestibuli) und Paukengang (Scala tympani) genannt; ſie ſtehen am Ende der Schnecke miteinander in offener Verbindung. Die untere Wand des Schneckenganges, auf der dies Sinnesepithel ſteht, iſt aus ſtraffen Bindegewebsfaſern zuſammengeſetzt, die von einer Wand zur gegenüberliegenden verlaufen. Die Sinneszellen ſtehen beim Menſchen zu vieren nebeneinander und bilden ein 33,5 mm langes ſchmales, natürlich ſpiralig aufſteigendes Band, in dem etwa 4— 5000 ſolche Viererreihen ſich folgen. Da die Breite des Schneckenganges gegen die Spitze der 632 Schalleitender Apparat der Wirbeltiere. Schnecke zunimmt, werden jene Faſern entſprechend länger: die kürzeſten meſſen beim neugebornen Menſchen 0,041, die längſten 0,495 mm. Die verbreitetſte Anſicht iſt nun, daß die Faſern wie Klavierſaiten infolge ihrer verſchiedenen Länge, Spannung und Dicke auf verſchiedene Töne gleichſam abgeſtimmt ſind, und daß jede Faſer nur bei Wellen von beſtimmter Wellenlänge, die durch den Vorhofsgang in den Paukengang gelangen, mitſchwingt. Es werden daher die über der Faſer ſtehenden Hörzellen nur durch einen ganz beſtimmten Ton erregt. Durch einen Klang, der aus verſchiedenen Tönen zuſammen— geſetzt iſt, werden verſchiedene Stellen des Schneckengangs zugleich erregt, wie in einem Klavier verſchiedene Saiten mitklingen, wenn man hineinſpricht oder hineinſingt. — Welche Bedeutung im einzelnen der Anordnung der Sinneszellen zukommt, wie ſie die Abb. 38s zeigt, iſt noch nicht erforſcht. Damit nun Schallwellen zu der Perilymphe des Sacculus und damit zum Vorhofsgang der Schnecke ge— langen können, ſind beſondere Hilfs— vorrichtungen notwendig (Abb. 389). Das Labyrinth liegt ſchon bei den Selachiern in der Nähe der erſten Kiemenſpalte, des Spritzlochkanals. Bei den luftlebenden Wirbeltieren werden zwar alle übrigen Kiemen— taſchen, die als Anlagen zu den Spalten embryonal auftreten, im Laufe der Entwicklung zurückgebildet; die erſte Kiementaſche aber bleibt erhalten, da ſie unter Wechſel ihrer Funktion jetzt zum Hilfsapparat für Abb. 388. Querſchnitt durch einen Umgang der Gehörſchnecke das Gehörorgan geworden iſt: ſie 1 Schneckengang, 2 und ee Vorhofstreppe“ und bildet 00 ihrem äußeren ee ee „Paukentreppe“, 4 Knöcherne Schneckenwand, 5 Hörzellen, 6 Deckmembran, Abſchnitt die ſogenannte Paukenhöhle, 7 Pfeilerzellen, 8 Spiral-Ganglion, 9 Nerv. die nach außen durch eine Membran, das Trommelfell, geſchloſſen wird. Das Labyrinth liegt der Paukenhöhle dicht an, und die knöcherne Labyrinthwand iſt hier an einer beim Menſchen ovalen Stelle durchbrochen, die daher den Namen ovales Fenſter oder beſſer, weil ihr Umriß bei verſchiedenen Tieren wechſelt, Vorhofsfenſter führt. Bei manchen Amphibien fehlt noch die Pauken— höhle und damit auch das Trommelfell, ſo bei den Schwanzlurchen, den Gymnophionen und unter den Froſchlurſchen bei der Knoblauchskröte (Pelobates) und ihren Verwandten. Dadurch, daß die Paukenhöhle als alte Kiementaſche mit der Mundhöhle in offener Ver— bindung ſteht, iſt der in ihr enthaltenen Luft ein Ausweg geboten, ſo daß ſie den Schwingungen des Trommelfells leichter nachgeben kann. Die Schwingungen des Trommelfells werden auf das Vorhofsfenſterchen und damit auf die Perilymphe übertragen, und zwar durch ein Skelettſtück oder eine Kette von mehreren ſolchen. Bei den Amphibien und Sauropſiden iſt es die Columella, die ſich einerſeits dem Trommelfell, andrerſeits der Membran des ovalen Fenſterchens anlegt, bei den Säugern ſind es drei gelenkig verbundene Gehörknöchelchen, Hammer, Ambos und Steigbügel. Da die Perilymphe als Flüſſigkeit nicht zuſammendrückbar iſt, ſo können Gehörknöchelchen. 633 ſich Schwingungen in ihr nur fortpflanzen, wenn ſie dem Druck der ſchwingenden Mem— bran nachgeben kann; ein ſolches Nachgeben geſtattet die elaſtiſche Wand des ſogenannten 70 > D x h . J N; 7 / . SVEN, 0% IN DIN: 6 N, | Abb. 389. Gehörorgan des Menſchen. I äußeres Ohr, II Mittelohr, III Labyrinth. 7 Ohrmuſchel, 2 Gehörgang, 3 Trommelfell, 2 Hammer, 5 Ambos, 6 Steigbügel, mit feiner Platte das Vorhoffenſter verſchließend, 7 Euſtachiſche Röhre, 8 Utriculus, 9 Sacculus, 10 Schnecke, 77 Paukenfenſter, 72 endolymphatiſcher Gang. Punktiert: Knochen, ſchwarz: perilym— phatiſcher Raum. In Anlehnung an Weber. runden Fenſterchens oder beſſer Paukenfenſters, das zu dem Raum des Paukenganges Lagebeziehungen hat und ebenfalls eine Durchbrechung der knöchernen Labyrinthwandung iſt. Der Innendruck der Flüſſigkeit — im Labyrinth wird durch größere oder geringere Blutfülle in gewiſſen Ab— ſchnitten des Schneckenganges reguliert. Die . ſind Teile des urſprünglichen Visceralſkeletts, die in der Nachbarſchaft der erſten Kiemen— ſpalte lagen und durch deren Er— weiterung ins Innere der Paukenhöhle gelangt ſind. Die Columella geht aus dem proximalen Ende des Hyoidbogens, alſo des zweiten Visceralbogens her— vor; ihre Geſtalt wechſelt in verhältnis— mäßig engen Grenzen. Bei den Vögeln bildet ſie ein beiderſeits pilzhutförmig Abb. 390. Columella eines ſchlechthörigen (4, Uria troille , 0 : 8 L., Lumme), und eines feinhörigen (5, Syrnium aluco L, verbreitertes Stäbchen, das bei den fein⸗ Waldkauz) Vogels. 0 Kopf von 5, von unten geſehen und ſtärker hörigen Arten, wie den Eulen und Tag— a raubvögeln, die auf 50 m das leiſeſte „Mäuſeln“ vernehmen, ſchlanker und leichter, man möchte ſagen kunſtvoller gebaut iſt als bei weniger feinhörigen, wie den von ſtetem Getöſe der Brandung umtoſten Alken und Tauchern (Abb. 390). Bei den Säugern find zur 634 Gehörknöchelchen der Säuger. Columella, die in dem ſogenannten Steigbügel erhalten iſt und mit ihrer Baſalplatte das Vorhoffenſterchen ausfüllt, noch zwei weitere Knöchelchen hinzugekommen. Sie entſtammen dem proximalen Ende des erſten Visceralbogens und entſprechen dem Quadratum (Hammer) und dem Articulare (Ambos), die bei den übrigen Wirbeltieren noch zum Unterkieferapparat gehören (Abb. 195 S. 308); bei den Säugern werden ſie für dieſen entbehrlich, da ſich eine neue Einlenkung des Unterkiefers gebildet hat, und ſind in einer Weiſe, deren näheren Verlauf wir nicht kennen, in den Dienſt der Schallübertragung übergegangen. Durch die Zuſammenſetzung der Zuleitungseinrichtung aus drei Gliedern iſt dieſelbe bei den Säugern vervollkommnet, entſprechend der hohen Ausbildung des eigentlichen Sinnesorgans. Während durch die Columella allein die Schwingungen des Trommel— fells in der gleichen Kraft und Amplitude auf das ovale Fenſterchen bzw. die Perilymphe des Vorhofsganges übertragen wurden, bewirkt die Kette der Gehörknöchelchen zwar eine Verminderung der Schwingungsweite, aber eine Vermehrung der Kraft der Schwingungen. Der Hammerſtiel (Abb. 389) iſt mit dem Trommelfell verwachſen und die Bewegung des Hammers ſetzt den Ambos derart in Bewegung, daß er ſich um ſeinen kurzen Fort— ſatz dreht, wobei ſein langer Fortſatz im gleichen Sinne wie der Hammerſtiel ſchwingt und den Steigbügel ebenſo bewegt. Da der lange Fortſatz des Ambos aber nur zwei Drittel der Länge des Hammerſtiels hat, iſt die Weite ſeines Anſchlags um zwei Drittel geringer, dafür aber die Kraft ſeiner Bewegung 1½ mal ſo groß. Im Mittelohr finden ſich bei den Säugern zwei Muskelchen: der eine, der Trommel— fellſpanner (M. tensor tympani) ſetzt am Hammerſtiel nahe dem Drehpunkt des Hammers (Abb. 389) an und gibt durch ſeine Zuſammenziehung den Faſern des Trommelfells eine größere Spannung; der andre, der Steigbügelmuskel (M. stapedius) ſpannt durch Schräg— ſtellung der Steigbügelplatte die Faſern der Membran, die den Steigbügel im Vorhof— fenſter befeſtigt. Durch Kontraktion dieſer Muskeln werden alſo die ſchwingenden Mem— branen des Gehörapparats ſtärker geſpannt und ihr Schwingungsausſchlag vermindert, ſo daß eine zu ſtarke Bewegung in der Perilymphe durch heftige Schallwellen verhindert und das Ohr gleichſam an laute Töne akkomodiert wird, während es beim Nachlaſſen der Muskelkontraktion feinhöriger wird. Das Trommelfell, das bei Amphibien an der Oberfläche des Kopfes liegt, wird bei Reptilien, Vögeln und Säugern durch Tieferlagerung grobmechaniſchen Reizungen ent— zogen und vor Verletzungen geſichert: dadurch entſteht der äußere Gehörgang. Bei den Säugern ſtehen dem feineren Innenohr noch beſondere Hilfsapparate zur Verfügung: es iſt ihnen in der Ohrmuſchel ein Schalltrichter gegeben, der durch Auffangen und Zuleiten der Schallwellen die Feinhörigkeit erhöht. Unter den Vögeln beſitzen nur die Eulen, die ſich durch ſcharfes Gehör auszeichnen, den Anſatz zu einer ſolchen Bildung in Geſtalt einer Hautfalte, deren Oberfläche beim Aufrichten durch ſtrahlige Federn vergrößert wird (Abb. 391). Die Ohrmuſchel, die bei Säugern durch eine Knorpelplatte geſtützt wird, fängt die Schallwellen auf und reflektiert ſie in den Gehörgang; dabei gerät ſie ſelbſt in Mitſchwingungen, die ſich durch die Kopfknochen auf das Labyrinth übertragen und die Reizung vermehren. Größe der Ohrmuſchel erhöht die Feinhörigkeit; deshalb ver— größern ſchwerhörige Menſchen ihre Ohrmuſchel durch die dahintergelegte Hand. Be— ſonders Nachttiere haben große Ohrmuſcheln, da ihnen die Orientierung durch die Seh— organe erſchwert iſt: ſo beſonders die Mäuſe und Springmäuſe, der Wüſtenfuchs, die Fledermäuſe und die meiſten Halbaffen (Tafel 15). Auch die Flieher unter den Säugern, Pferde und Antilopen und dgl., zeichnen ſich durch die Größe ihrer Schalltrichter aus. Ohrmuſchel. 635 Die Beweglichkeit der Ohrmuſcheln ſpielt ebenfalls eine große Rolle bei der Schallrezeption. Jede Stellung der Ohrmuſchel iſt am wirkſamſten für den Schall aus einer beſtimmten Richtung: damit iſt ein Mittel gegeben, die Richtung der Schallquelle zu „beurteilen“. Beim Pferde z. B. ſetzen zehn wohlunterſchiedene Muskeln an das Ohr an. Säuger mit wenig beweglichen oder ganz unbeweglichen Ohrmuſcheln zeichnen ſich durch ſtarkes Hervortreten der Falten und Windungen in der Ohrmuſchel aus. Da eine Ausfüllung dieſer Unebenheiten mit Wachs beim Menſchen eine beträchtliche Herabſetzung der Hör— ſchärfe zur Folge hat, ſo darf man wohl vermuten, daß dieſe dazu dienen, den aus ver— ſchiedenen Richtungen kommenden Schall doch ſtets in den Gehörgang zu reflektieren und ſo die mangelhafte Beweglichkeit des Ohres wenigſtens teilweiſe auszugleichen. Bei den Haustieren, die durch den Menſchen vor Gefahren geſchützt werden, iſt die Ohrmuſchel vielfach ihrer Verrichtung dadurch entzogen, daß ſie herabhängt und den Gehörgang deckt; ſolche Hängeohren kommen bei manchen Raſſen von Schafen, Ziegen, Schweinen, Kaninchen, Hunden und Katzen vor. Wildlebende Säuger haben, mit einziger Ausnahme der Elefanten, nie Hängeohren, auch nicht die Stammarten unſerer Haus— tiere; auch die Nachkommen ver— wilderter Haustiere bekommen wieder geſtellte Ohren. Den unter- irdiſchlebenden Säugern, wie Maul- wurf und Blindmoll (Spalax), und ebenſo den Waſſerſäugern, den Walen, Sirenen und Robben, fehlen die Ohrmuſcheln. Bei Waſſerſäugern iſt außerdem der Gehörgang verſchließbar; eine Füllung desſelben mit Waſſer ver— hindert den Schall, in ganzer | Stärfe zum Trommelfell zu ges Abb. 391. Kopf der Waldohreule (Asio otus L.) mit geöffneter langen; der Menſch beobachtet dies . deutlich, wenn er beim Baden Waſſer in den Gehörgang bekommt. Der Fiſchotter hat an der Ohrmuſchel eine Klappenvorrichtung, eine Hautfalte, die ſich auf den Gehörgang deckt. Bei den Robben verläuft der Gehörgang unter der Haut, parallel der Schädel— oberfläche, und wird im Waſſer durch den Waſſerdruck zuſammengepreßt; wenn das Tier in der Luft iſt, kann er durch beſondre Muskeln geöffnet werden. Faſt allen Tieren unterhalb der Amphibien, den Fiſchen und den Wirbelloſen, iſt das Reich der Töne verſchloſſen; wie ſie ſelbſt ſtumm ſind, ſo werden ſie auch durch Schall nicht gereizt. Eine Ausnahme aber bilden die Inſekten, von denen manche eine Reaktion auf Töne zeigen, die man wohl als ſpezifiſche Reizung durch Schallwellen, als „Hören“ auffaſſen kann. Man darf das ſchon deshalb erwarten, weil viele Inſekten ſtimmbegabt ſind: Die Muſik der Heuſchrecken, Grillen und Cikaden iſt bekannt; es ſind meiſt nur die Männchen, die zur Begattungszeit dieſe Töne hervorbringen, um die Weibchen zu locken oder doch in Erregung zu verſetzen. Auch haben Verſuche direkt 636 Reaktion der Inſekten auf Töne. gezeigt, daß manche Inſekten auf Töne reagieren: Küchenſchaben (Periplaneta) halten beim Anſtreichen einer Violinſaite im Laufen inne — bei ihnen kann das Männchen Töne erzeugen; die Waſſerwanzen Corixa und Notonecta fahren wild durcheinander, wenn man das d'“ auf einer Violine anſtreicht — auch hier iſt, bei Corixa wenigſtens, ein Zirpen beobachtet; ebenſo verhält ſich unter den Waſſerkäfern der Gelbrand (Dytiscus marginalis L.), der ebenfalls zirpen kann. Ein Männchen des Bockkäfers Cerambyx wird auf ein in einer Schachtel ſitzendes Weibchen ſeiner Art erſt aufmerkſam, wenn dieſes ſeinen Schrillton hervorbringt, und reagiert dann ſogleich durch Bewegungen ſeiner Fühler. Stechmücken (Culex pipiens L.) geben beim Schwärmen einen Ton, etwa d“ oder e“; wenn man dieſen Ton ſingt oder auf der Geige angibt, zuckt der ganze Schwarm herunter. Landois erzählt, wie er dieſe Beobachtung zu einem Scherze benutzte: „Vor einiger Zeit traf ich meinen Diener im Garten mit gewohntem Nichtstun beſchäftigt und war ärgerlich, daß er ſeine Dienſtpflicht, wie Stiefelputzen uſw., vernachläſſigte. Zufällig war ein großer Mückenſchwarm in der Nähe. Ich rief den Diener herbei und ſprach zu ihm in er— hobener Stimme, nämlich dem Tone e“: „Wenn Du nächſtens mir die Stiefel nicht ordentlich putzeſt, ſollen Dich die Mücken totſtechen“ Und wie auf Kommando fiel der ganze Schwarm auf uns herab, der Diener nahm eiligſt die Flucht und meinte ſpäter: ‚Das müßte doch nicht mit rechten Dingen her— | gehen, daß der Herr Profeſſor ſo— Abb. 392. A Vorderſchiene der grünen Laubheuſchrecke (Locusta e die Mücken unter Kommando e e eee ee eee C und D Vorderſchienen der Hausgrille (Gryllus domesticus L) vielen anderen Inſekten eine Re⸗ e e ee len eee ae auf tngenbweid)e 2 feſtſtellen können; mit Ameiſen z. B. ſind viele vergebliche Verſuche nach dieſer Richtung gemacht worden. Für Hörorgane hielt man früher die Fühler der Inſekten. Zu dieſer Deutung führten teils die falſche Analogie mit den äußeren Ohren der Säuger, teils auch falſch gedeutete Verſuchserfolge, z. B. Bewegungen der Fühler bei akuſtiſchen Reizen. Die jetzigen Erfahrungen ſprechen ſehr dagegen, daß die Hörorgane ſtets an derſelben beſtimmten Stelle zu ſuchen find. Gerade die ſog, tympanalen Hörorgane der Heu— ſchrecken und Grillen, die am gründlichſten unterſucht ſind, liegen an ganz verſchiedenen Körperabſchnitten: bei Grillen und Laubheuſchrecken an den Schienen der Vorderbeine, bei Grasheuſchrecken zu Seiten des erſten Hinterleibsringes. Die tympanalen Hörorgane der Grillen und Heuſchrecken ſind äußerlich leicht ſicht— bar als beſtimmt gefärbte und umgrenzte Felder auf beiden Seiten der Vorderſchienen (Abb. 392). Bei allen dieſen Tieren, ſoweit ſie Werkzeuge der Tonerzeugung beſitzen, finden wir auch ſolche Hörorgane; aber dieſe ſind nicht auf die muſizierenden Arten be— ſchränkt, ſondern finden ſich auch bei einzelnen ſtummen Arten. Der Bau dieſer Organe unterſtützt ihre Deutung als Hörorgane. Die umſchriebenen Felder ſind verdünnte Stellen Hörorgane der Inſekten. 637 der Cuticula, die in einen verdickten Rahmen aufgeſpannt ſind, ſog. Trommelfelle (Tympana, daher tympanale Hörorgane): bei den Grillen (Abb. 392 O—E) liegen fie offen zu Tage, bei den Laubheuſchrecken (Abb. 392 A und B) ſind ſie überwölbt durch eine Falte des Integuments, die an der Streckſeite des Beines den Zugang zu ihnen in Geſtalt eines Schlitzes offen läßt. Die Beintrachee iſt unter den Trommelfellen eine Strecke weit geſpalten und bekommt durch die Spaltwände eine erhöhte Feſtigkeit (Abb. 393,4); ihr liegen die nervöſen Endapparate des Organs, die ſogenannten Endſchläuche, in zwei bzw. drei Gruppen auf. Der Hauptbeſtandteil jedes Endſchlauchs iſt die Sinnes— zelle (J), die in ihrem mittleren Teil von einer ſogenannten Hüllzelle umgeben iſt und ihren diſtalen Abſchnitt in der „Kappenzelle“ (2) birgt, durch die ſie an der Kutikula befeſtigt und in einer gewiſſen Spannung gehalten wird. Die Sinneszelle ſetzt ſich auf der einen Seite in die kervenfajer fort, am anderen Ende trägt ſie ein charakteriſtiſches End— organ, den Stift, der in einer kuti— kulären, gerippten Hülle den End— knopf der Neurofibrille birgt; die Neurofibrille durchzieht die Zelle, ſplittert in der Gegend des Kernes zu dünneren Fibrillen auf und geht dann wieder als einheitliches Ge— bilde in die Nervenfaſer ein. Ganz ähnliche Endapparate ent- hält auch das tympanale Hörorgan der Grasheuſchreckenzſie heften ſich hier an Verdickungen und Einſtülpungen der großen Trommelfelle an, die zu Seiten des erſten Hinterleibsringes liegen. Unter jedem Trommelfell findet ſich eine Tracheenblaſe, die, ebenſo wie dort Abb. 393. Querſchnitt durch die Vorderſchienen einer Laub— die Beintrachee, ein freies Schwingen 1 en ee Stift a 3 Irommel- der Trommelfelle geſtatten, zu mög⸗ fell, im Grunde der Trommelfellhöhle. 4 die beiden Tracheenäſte. Nach J. Schwabe. lichſt kräftiger Reizübertragung. Sinneszellen mit den charakteriſtiſchen Hörſtiften ſind auch an anderen Stellen im Inſektenkörper gefunden, wo keine trommelfellartigen Bildungen vorkommen: ſo bei den Gras— heuſchrecken auch in den Schienen der Mittel- und Hinterbeine, in den Schienen bei Ameiſen (Lasius u. a.), in der Flügelbaſis von Fliegen, Käfern, Netzflüglern und Schmetterlingen und in den Fühlern mancher Käfer. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß ſie ebenfalls durch Schallreize erregt werden. Zuweilen ſind die Stiftzellen in ganz eigenartiger Weiſe angebracht: ſie liegen in einem Strang eingebettet, der zwiſchen zwei Punkten des Haut— panzers ausgeſpannt iſt (Abb. 394). Man hat die Anſicht ausgeſprochen, daß dieſer Strang wie die Saite eines Muſikinſtruments durch Schallſchwingungen in Bewegung geſetzt wird und dabei einen Reiz auf die darin liegende Sinneszelle ausübt. Solche Hör— organe, die ſog. Chordotonalorgane, ſind unter anderen von den Larven einiger Mücken (Chironomus, Corethra) und Käfer bekannt. 638 Der thermiſche Sinn. Sicher ſind unſere Kenntniſſe über die Verbreitung der Stiftzellen bei den Inſekten noch unvollkommen, und auch dem negativen Ausfall der Verſuche darf nicht zu viel Bedeutung beigemeſſen werden. Vielleicht reagieren ſolche Tiere nur auf Töne beſtimmter Schwingungszahl, die von den Artgenoſſen erzeugt werden, wie wir das bei den Stech— mücken kennen lernten. Das Auffinden von Hörſtiften bei Ameiſen ſteht z. B. mit dem negativen Erfolg der Reizverſuche in Widerſpruch. Aber das weiſt nur darauf hin, daß man mit Folgerungen aus negativen Befunden ſehr vorſichtig ſein muß. Wie es Riech— ſtoffe gibt, die wir nicht riechen, die aber für andere Tiere einen Reiz bilden, ſo kann es ſehr wohl auch Töne geben, die wir nicht hören, durch die aber andere Tiere erregt werden. 3. Der thermiſche Sinn. So gut verhältnismäßig der mechaniſche Sinn und ſeine Unter— abteilungen, der Druckſinn, der ſtatiſche Sinn und der Hörſinn be— kannt ſind, ſo mangelhaft iſt unſere Kenntnis des thermiſchen Sinnes und ſeiner Organe. Das, was oben von den Warm- und Kaltpunkten beim Menſchen, ihrer Verteilung und ihren Organen geſagt wurde, um— faßt die Hauptſache deſſen, was man von dieſem Sinne weiß. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß auch die übrigen Säuger Organe dieſes Sinnes beſitzen und ebenſowohl auch andere Wirbeltiere. Aus ihrem Ver— halten ſcheint dies hervorzugehen: die Reptilien lieben die Wärme außerordentlich, die Teichfröſche ſetzen ſich gern der Sonne aus, der grundbewohnende Karpfen und ſelbſt die lichtſcheue Schleihe kommen an die Waſſeroberfläche, um ſich zu ſonnen — bei unſeren Fiſchen ſind auch Warmpunkte am Kopf nachgewieſen, Kaltpunkte fehlen ihnen. Aber über die Organe dieſes Sinnes bei niederen Wirbeltieren wiſſen wir gar nichts. Bei den Inſekten ſind Reaktionen auf Temperatur- en einem inter. wechſel bekannt. Eine Schabe, Blatta germanica L., zieht bei Annäherung teibsjegment einer einer glühenden Nadel oder eines ſtark abgekühlten Gegenstandes ihre jungen Schwimm— 5 N \ E E täferlarve. Fühler zurück, und zwar auf weitere Entfernungen, als wir dieſe 1Kerne der Sinneszellen, f a i denen die Sörftiftchen 5 Temperaturwechſel mit unſeren Fingerſpitzen wahrnehmen. Daß die aufſitzen, 3 Nervenfort- 9 Tr 8 ag e 9 fe bee Zelein der Ameiſen durch Wärmeunterſchiede erregt werden, geht aus der Art ganze Apparat iſt durch und Weiſe hervor, wie ſie ihre Larven und Puppen mit dem Wechſel die Stränge 4 und 5 aus— 52 2 5 8 geipannt. der Außentemperatur nach der Oberfläche ihres Neſtes oder in deſſen dach S Graben Tiefen tragen. In dieſen Fällen iſt wohl die Annahme berechtigt, daß beſondere Organe für die Wärme- bzw. Kälterezeption vorhanden ſind. Anders bei der Aktinie, die ihre Tentakeln einzieht, wenn man Seewaſſer von 300 ſanft an ſie hin— ſtrömen läßt; hier wird vielleicht nur die Reizſchwelle mechaniſcher Sinnesorgane durch die Wärme herabgeſetzt, jo daß der Reiz bei einer Strömungsgeſchwindigkeit eintritt, die bei niedrigerer Temperatur keinen Reiz bildet. Planmäßige Unterſuchungen über dieſen Sinn und ſeine Organe an wirbelloſen Tieren fehlen noch ganz. 4. Die chemiſchen Sinne. Chemiſche Stoffe, entweder in wäſſeriger Löſung oder in Gas- und Dampfform, bilden die ädaquaten Reize für jene Sinne, die der Menſch als Geſchmack und Geruch trennt, die aber beſſer als chemiſcher Sinn zuſammengefaßt werden. Es ſind aber nicht Geſchmack und Geruch. 639 alle chemiſchen Stoffe imſtande, unſeren chemiſchen Sinn zu reizen, ſondern nur einzelne davon. Solche Stoffe, die beim Menſchen unwirkſam ſind, können bei Tieren Erregungen hervorrufen: eine Löſung von Chloralhydrat, die für uns geſchmacklos iſt, bildet für den Blutegel ein heftiges Reizmittel. Andererſeits unterſcheiden Tiere mit Hilfe ihres chemiſchen Sinnes Stoffe, deren Wirkung auf den Menſchen einander gleich iſt: ſtimmt man eine Löſung von Zucker und eine ſolche von Saccharin ſo ab, daß für unſere Zunge kein Unterſchied zwiſchen ihnen iſt, ſo ruft die erſtere bei einer Teichſchnecke (Limnaea stagnalis L.) Saug- und Leckbewegungen hervor, die Saccharinlöſung dagegen bewirkt, ähnlich wie Chinin, heftiges Einziehen der Fühler, der Lippen und des ganzen Kopfes. Beim Menſchen iſt der nächſtliegende Unterſchied zwiſchen Geſchmack und Geruch der, daß der Aggregatzuſtand der Neizitoffe verſchieden iſt. Außerdem aber ſind noch weitere wichtige Unterſchiede vorhanden: es gibt Stoffe, die im gelöſten Zuſtande das Schmeckorgan nicht reizen, im gasförmigen aber einen Einfluß auf das Riechorgan haben, z. B. Cumarin, der wirkſame Beſtandteil im Dufte des Waldmeiſters. Wenn der gleiche Stoff aber auf beide Sinne wirkt, ſo geben uns Geſchmack und Geruch Auskunft über verſchiedene Eigenſchaften desſelben: Chloroform z. B. ſchmeckt ſüß und riecht eigenartig; Salzſäure, Eſſigſäure, Butterſäure, Valerianſäure ſchmecken gleich, aber riechen verſchieden. Parfüme, die angenehm riechen, können unangenehm ſchmecken. — Auch bei Fiſchen, wo beiderlei Organe, Riechſchleimhaut wie Geſchmacksknoſpen, flüſſigen Reizen zugänglich ſind, ſcheinen die adäquaten Reize des Geſchmacks- und Geruchſinns verſchieden zu ſein. Dagegen erregen bei vielen niederen Tieren flüſſige und gasförmige Reizſtoffe offenbar die gleichen Organe und wahrſcheinlich mit ähnlicher Wirkung: Egel ſind ſowohl durch gasförmige wie durch flüſſige Reizſtoffe erregbar, und der Regenwurm zieht den Kopf ſowohl dann zurück, wenn ihm ein mit Eſſigſäure befeuchteter Stab genähert wird, wie auch dann, wenn ihm ein Tropfen ſehr verdünnter Eſſigſäure leicht auf den Kopf geträufelt wird, und ſie haben für beides wahrſcheinlich nur einerlei Organe. Bei den niederen Tieren iſt alſo ein einheitlicher chemiſcher Sinn vorhanden; die Trennung von Schmeck- und Riechorganen für flüſſige bzw. gasförmige Stoffe iſt erſt bei den Lufttieren verbreitet, bei den Tauſendfüßern, Inſekten und Spinnentieren einer— ſeits und bei den Landwirbeltieren andererſeits. Bedingung für das Eintreten der Reizung iſt natürlich die Berührung des Reiz— ſtoffes mit dem Sinnesorgan. Deshalb iſt es eine durchaus irreführende Bezeichnung, wenn man das Riechen ein Schmecken in die Ferne nennt. Beiderlei Reizſtoffe müſſen ſich ausbreiten, um an die rezipierenden Endorgane zu gelangen: nur geht die Diffuſion von Flüſſigkeiten viel langſamer vor ſich, als die von Gaſen; außerdem wird die Aus— breitung durch Strömungen befördert, und die Luft wird wiederum, entſprechend der leichteren Verſchiebbarkeit ihrer Teilchen, viel leichter in Strömung verſetzt als das Waſſer. Bei Lufttieren vollends gewinnt der Geruchsſinn dadurch eine viel höhere Bedeutung, daß die Luft, die Trägerin der Riechreize, das Riechorgan beſtändig umgibt; die ſchmeckbaren flüſſigen Stoffe müſſen dagegen erſt an das Geſchmacksorgan heran— gebracht werden — bei Waſſertieren können dagegen auch entferntere Objekte durch den Geſchmacksſinn „gewittert“ werden, wenn ſchmeckbare Extraktivſtoffe von ihnen aus diffundieren. Die chemiſchen Stoffe müſſen, damit ſie reizend einwirken können, in unmittelbare Berührung mit lebendem Protoplasma kommen. Daraus ergeben ſich beſtimmte Bedingungen für die Beſchaffenheit und Lage der betreffenden Sinneszellen. Ihre Lage 640 Allgemeines über den chemiſchen Sinn. muß eine oberflächliche ſein; denn ehe ein ſchädlicher Reizſtoff bis zu einem tiefer liegenden Organ des chemiſchen Sinnes vorgedrungen wäre und durch deſſen Reizung das Tier vor Gefahr gewarnt hätte, könnte durch ſeine Einwirkung der Organismus ichon geſchädigt ſein. Bei den Waſſertieren ſind lebende Protoplasmateile, wenn ſie oberflächlich am Körper liegen, durch das umgebende Waſſer vor der Gefahr des Ver— trocknens geſchützt: daher iſt es erklärlich, daß ſich hier die chemiſchen Sinnesorgane über die ganze Oberfläche ausbreiten können, wie beim Blutegel; ja ſelbſt manche Fiſche, wie der Angler (Lophius), ſind auf ihrer ganzen Oberfläche chemiſch reizbar. Das gleiche gilt für die Bewohner feuchter Luft, wie Schnecken und Regenwürmer. Bei Trocken— lufttieren dagegen, wie den meiſten landbewohnenden Gliederfüßlern und Landwirbeltieren, müſſen ſolche Sinnesorgane durch beſondere Vorrichtungen vor dem Vertrocknen geſchützt ſein. Daher ſtehen bei den Tauſendfüßern, Inſekten und Spinnentieren die Zellen der chemiſchen Sinnesorgane nur durch feine Poren im Chitin mit der Oberfläche in Be— ziehung; bei den Landwirbeltieren liegen dieſe Organe verſenkt an geſchützten Stellen, wie Mund und Naſenhöhlen, und werden durch Abſonderungen beſonderer Drüſen feucht erhalten. Bei den Wirbelloſen begegnen wir ausſchließlich primären Sinneszellen im Dienſte des chemiſchen Sinnes, und zwar tragen ſie feine plasmatiſche Sinneshärchen, die durch die äußere, kutikulär veränderte Schicht des Zellkörpers hindurchragen. Die Wirbeltiere haben in ihrem Riechorgan primäre, im Schmeckorgan ſekundäre Sinneszellen. Freie Nervenendigungen kommen für den chemiſchen Sinn wohl nirgends in Betracht. Die Aufgaben der Organe des chemiſchen Sinnes ſind in erſter Linie das Auffinden der Nahrung, dann die Prüfung des umgebenden Mediums, des Waſſers oder der Luft, auf das Vorhandenſein ſchädlicher Stoffe. Auch für die Orientierung im Raum und das Auffinden des Weges bzw. die Wiederholung eines früher gemachten Weges ſind vielen Tieren dieſe Organe von Wichtigkeit, ſie vermitteln Warnungen vor nahenden Feinden und ſpielen ſchließlich, beſonders bei Gliederfüßlern und Säugetieren, eine ganz hervor— ragende Rolle beim Auffinden der Geſchlechter. a) Die chemiſchen Sinne und ihre Organe bei den Wirbellofen. In den niederen Abteilungen des Tierreiches iſt es beſonders die Nahrungsbeſchaf— fung, die durch den chemiſchen Sinn weſentlich unterſtützt wird. Unter den Coelenteraten ſind faſt nur die Aktinien in dieſer Hinſicht genauer unterſucht. Die chemiſche Reizbar— keit ſcheint bei ihnen auf die Tentakeln beſchränkt zu ſein. Wenn man einen Tentakel mit einem Stückchen Sardinenfleiſch berührt, ſo ergreift er es, indem er ſich einrollt, und führt es zum Munde. Mundrand und Mundfeld dagegen ſind chemiſchen Reizen nicht zugänglich: man kann einer Aktinie ein Stückchen Sardinenfleiſch auf den Mund legen ohne irgendwelche Wirkung; „ſie könnte in dieſer Stellung verhungern“. Auch bei der Randqualle Carmarina ſind es die Tentakeln, die mit chemiſcher Reizbarkeit ausgerüſtet find. Bei der Rippenqualle Beros jedoch trägt der Mundrand die chemiſchen Rezeptions— organe; am Sinnespol iſt bei dieſem Tiere keine Erregung durch chemiſche Stoffe zu er— reichen. — Die Organe des chemiſchen Sinnes ſind allſeitig über die Tentakeln verbreitete Sinneszellen, die nirgends zu engeren Gruppen zuſammentreten. Doch iſt die Frage, ob dieſe Zellen elektiv nur dem chemiſchen Sinne dienen, noch nicht mit Sicherheit zu be— antworten. Unter den Plattwürmern kommen hier die freilebenden Strudelwürmer in Betracht. Die chemiſch reizbaren Zellen ſtehen bei ihnen über den ganzen Körper verteilt; aber an Chemiſche Sinnesorgane bei Strudel: und Ringelwürmern. 641 beſtimmten Stellen des Vorderendes, namentlich in den Wimpengrübchen der Rhabdo— coelen und auf den ſogenannten Ohrchen mancher Planarien, z. B Planaria gonocephala Dug. (Abb. 266, 9), ſtehen ſie in großer Zahl dicht beieinander. Die Wichtigkeit dieſer Organe für die Futterſuche ergibt ſich augenfällig aus einem leicht anſtellbaren Verſuche. Voigt ſchlachtete einen Froſch und legte ihn mit geöffnetem Leib in das Waſſer eines kleinen Baches, der von Planarien, insbeſondere PI. gonocephala Dug. bevölkert war. Sofort kamen unter den ſtromabwärts benachbarten Steinen die lichtſcheuen Würmer her— vor; ihre Zahl nahm mehr und mehr zu, und bald bewegte ſich ein ganzer Zug das Bachbett aufwärts, der Quelle der im Waſſer gelöſten Stoffe zu. Nach 10 Minuten ließ ſich die Wirkung bis fünf Schritt weit verfolgen, nach 20 Minuten bis 6, nach 40 bis 8, nach 80 Minuten bis 12 Schritte abwärts; nach vier Stunden war der Froſch von einem ſchwarzen Klumpen von Würmern erfüllt. Stromaufwärts von der Stelle, wo der Froſch lag, war keine Planarie auf dem freien Boden des Baches zu bemerken. Auch unter den Ringelwürmern iſt die chemiſche Reizbarkeit über den ganzen Kör— per verbreitet. Unterſucht man einen Regenwurm durch ſanftes Beträufeln mit Chinin— löſung von verſchiedener Konzentration, ſo zeigt ſich, daß keinem Teile der Oberfläche die chemiſche Reiz— barkeit abgeht, daß ſich ihre Stärke aber gegen das Hinterende und beſonders gegen den Kopf ſteigert. Durch geeignete Verdünnung der Löſung, die eben noch auf der Körpermitte reizt, laſſen ſich ſolche herſtellen, die am Schwanzende oder ſchließlich nur noch am Kopfende wirkſam ſind. Die Organe, an denen die Reizbarkeit haftet, ſind Gruppen härchen— tragender primärer Sinneszellen, ſogenannte Sinnes— knoſpen (Abb. 395). Ihre Verteilung entſpricht völlig der Stärke des Reizerfolgs: am größten und Spider e pe zahreichſten ſind ſie am Kopflappen und am 1. Körper- rechts ſind drei Zellen ſo gezeichnet, wie ſie bei 8 5 5 8 elektiver Färbung mit Chromſilber ausſehen. ringel, dann nimmt ihre Zahl ab, um am hinteren Körperteile wieder zu ſteigen. Bei einem Wurm von 19 em Länge mit 153 Ringeln kamen im Durchſchnitt auf einen Ringel 1000 Knoſpen; der erſte Ringel mit dem Mundlappen trug 1900, der 10. Ringel 1200, der 56. Ringel etwa 700 Knoſpen. — Durch den chemiſchen Sinn werden die Würmer beim Aufſuchen ihrer Nahrung unter— ſtützt, Kohl- und Zwiebelſtückchen, die em unter dem Boden liegen, finden fie auf, auch wenn man durch untergelegte Stanniolſtücke dafür ſorgt, daß ſie nicht zufällig beim Heraufkommen aus der Tiefe darauf ſtoßen. Sie machen Unterſchiede zwiſchen verſchiedenen Pflanzen, die nur auf ihrem chemiſchen Sinne beruhen können: ſo ziehen ſie Blätter von wilder Kirſche, Zwiebel und Sellerie allem anderen zweifellos vor. Ihre Sinnes— knoſpen dienen ihnen auch als Warner beim Vermeiden von ſaurem Boden, den ſie fliehen. — Ganz ähnlich beſchaffene Sinnesknoſpen wie die Regenwürmer beſitzen die Borſtenwürmer des Meeres. Beim Blutegel iſt, ähnlich wie beim Regenwurm, die chemiſche Reizbarkeit am Vorderende am größten, nimmt aber gegen das Hinterende nicht wieder zu. Die Ober— lippe iſt beſonders ſtark reizbar; das zeigt ſich bei der Nahrungswahl: ſchweißige Stellen beißen die Blutegel nicht an, können aber durch Aufſtreichen von Blut oder Milch zum Beißen angelockt werden. Die Sinnesknoſpen, deren Einzelzellen denen der Regenwürmer Seife u Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 41 642 Chemiſcher Sinn bei Weichtieren und Gliederfüßlern. ähneln, ſind an der Oberlippe am größten und ſchließen Hunderte von Zellen ein; am übrigen Körper beſtehen fie nur aus 10—15 Zellen und ſtehen ſpärlicher. — Während unſere Egel als Waſſertiere meiſt durch flüſſige Reizſtoffe getroffen werden, ſind die Land— blutegel mehr der Einwirkung gasförmiger Stoffe ausgeſetzt, haben aber die gleichen Sinnesorgane wie jene. Die Landblutegel, die als Feuchtlufttiere beſonders in den tropischen Wäldern leben, laſſen ſich, offenbar durch Ausdünſtungen ihrer warmblütigen Beutetiere gereizt, von den Bäumen auf dieſe herabfallen. Bei dem Fadenwurm Gordius konnte eine chemiſche Reizbarkeit nicht nachgewieſen werden. Es hängt das wohl damit zuſammen, daß das ausgewachſene Tier keine Nah— rung mehr aufnimmt, nachdem es den Wirt, den es als Paraſit bewohnte, verlaſſen hat. Auch bei den Weichtieren ſind die gleichen Sinnesorgane für gasförmige und flüſſige chemiſche Reizſtoffe zugänglich. Bei den Schnecken iſt kein umgrenztes chemiſches Sinnes— organ vorhanden, ſondern die Sinneszellen ſind über die Haut, ſoweit ſie nicht von der Schale bedeckt iſt, verteilt und dabei an bevorzugten Stellen ſtärker angehäuft; ſolche ſind Fühler, Oberlippe, Mundgegend und Fußrand. Die Teichſchnecke Limnaea wird durch Chininlöſung ſtark gereizt; man kann aber einer an der Waſſeroberfläche kriechenden Lim— naea den ganzen Schalenraum damit anfüllen, ohne daß das Tier zunächſt reagiert. Erſt nach 15—30 Sekunden beginnt es ſich langſam einzuziehen: dabei kommt aber der Reiz— ſtoff an den Kopf und bewirkt dann eine heftige Reaktion. Die Weinbergſchnecke wird durch verſchiedene Gerüche von Nahrungsſtoffen angelockt, beſonders durch Melonen, die fie im günſtigſten Falle auf eine Entfernung von 40—50 mm wittert. Die Nacktſchnecke Limax maximus L. läßt ſich durch den Duft von Pilzen, beſonders aus der Gattung Peziza, anlocken; bläſt man über eine Peziza weg gegen die Schnecke, ſo ändert fie die Richtung ihres Weges und kriecht auf die Duftquelle zu. — Bei den Mufcheln find die aus den Schalen vorſtreckbaren Teile chemiſchen Reizen zugänglich, nicht aber der zwiſchen den Schalen verborgene Mantelrand: jo bei der Sandmuſchel (Psammobia vesper- tina Lam.) die Siphonen, bei der Feilenmuſchel (Lima) die Fäden am Mantelrand. — Man kennt bei Schnecken und Muſcheln bisher nur eine Art von Sinneszellen in der Haut, an die wahrſcheinlich die chemiſche Reizbarkeit gebunden iſt; ob ſie zugleich mecha— niſch reizbar ſind, alſo anelektive Sinnesorgane vorſtellen, wie man lange Zeit angenommen hat, wird mehr und mehr zweifelhaft, nachdem hier und da bei Weichtieren freie Nerven— endigungen in der Epidermis nachgewieſen ſind. Während bei den bisher beſprochenen Gruppen die Organe des chemiſchen Sinnes meiſt eine weite Verbreitung über den Körper haben, treten uns in den Gliederfüßlern zum erſten Male Formen entgegen, bei denen dieſe Organe auf umſchriebene Stellen be— ſchränkt bleiben. Der dicke Chitinpanzer der Gliederfüßler macht eine Verletzung der Haut durch ſchädliche chemiſche Stoffe unmöglich. Vielleicht hängt auch mit dem Fortſchritt in der Ausbildung der Sehorgane ein Zurücktreten der Schmeckorgane zuſammen. Für dieſe Annahme könnte man einen Anhalt in der Tatſache finden, daß die gewöhnliche Waſſeraſſel (Asellus aquaticus L.) chemiſch weit weniger reizbar iſt als die Höhlenaſſel (A. cavatieus Schdte): die Waſſeraſſel kriecht über einen auf dem Bo— den des Gefäßes liegenden Kriſtall von Chlorbaryum hinweg, die Höhlenaſſel kehrt ſtets davor um. ö Jedenfalls ſpielen bei den Krebſen die Organe des chemiſchen Sinnes eine geringere Rolle als bei den luftbewohnenden Gliederfüßlern. Als ſolche dienen die ſogenannten hyalinen Kolben oder blaſſen Schläuche, die ſich beſonders an den erſten Antennen fin— Geſchmacksorgane bei Krebſen und Inſekten. 643 den (Abb. 368 A). Sie enthalten eine Anzahl primäre Sinneszellen, die unter dem ſehr dünnen Chitin endigen; ob nicht über dem Ende der Zellen das Chitin durch einen ſehr feinen Kanal durchbohrt iſt, bleibt noch unentſchieden. Eine beſonders ſtarke Ausbildung erfahren dieſe Sinnesorgane dort, we ſie zum Aufſuchen der Nahrung oder für das Männchen beim Finden des Weibchens erhöhte Bedeutung gewinnen: ſo ſind z. B. bei den aasfreſſenden Einſiedlerkrebſen die chemiſchen Sinnesorgane viel größer als bei den Langſchwänzen; die Männchen mancher pelagiſch lebenden Copepoden und Phyllopoden haben größere und zahlreichere blaſſe Kolben als die zugehörigen Weibchen, jo bei Hete- rocope, Eurytemora und vor allem bei Leptodora kindtii Focke, wo die 1,45 mm langen Antennen des Männchens 70 ſolcher „Schmeckſchläuche“, die nur 0,19 mm langen des Weibchens dagegen deren nur 9 tragen. — Die Verſuche über den chemiſchen Sinn der Krebſe beſchränken ſich faſt ganz auf die höheren Formen, beſonders die Dekapoden. Bei dem Einſiedlerkrebs Pagurus werden die inneren Antennen bei Reizung mit Fleiſch— ſaft lebhaft bewegt. Für die Krebſe als Waſſertiere kom— men normaler Weiſe nur flüſſige Reizſtoffe in Betracht; ja Ver— ſuche zeigen ſogar, daß die landbewoh— nenden Aſſeln einer Reizung mit gasförmi— gen Stoffen gar nicht zugänglich ſind. Die Inſekten dagegen rea— FFF gieren auf beiderlei Zu— Abb. 396. Schmeckorgane von Inſekten 1 innere, 2 äußere Schmeckorgane. A Gaumen: SR A platte (Unterſeite) der Oberlippe einer Libelle (Aeschna). B Zunge und Nebenzunge einer ſtände der chemiſchen Weſpe (Vespa). C Geſchmackskegel (Grubenkegel) von der Spitze des Gaumenzapfens beim Reizſtoffe, und zwar Gelbrand (Dytiscus). Nach W. A. Nagel ſind hier getrennte Aufnahmeorgane für flüſſige und gasförmige chemiſche Reize vorhanden. Die Geſchmacksorgane der Inſekten ſind örtlich ſehr beſchränkt: ſie ſtehen teils im Innern des Schlundes, teils außen auf den Mundwerkzeugen (Abb. 396). Innere Schmeck— organe ſcheinen allen Inſekten zuzukommen, aber in verſchieden ſtarker Ausbildung; ſie find die einzigen bei den kauenden Inſekten. Äußere Schmeckorgane finden ſich an Rüſſel oder Zunge bei den ſaugenden und leckenden Inſekten, deren flüſſige Nahrung eine unmittelbare Prüfung geſtattet, und bei den Kaukerfen des Waſſers, bei denen lösliche Nahrungsſtoffe beim Kauen in die Umgebung des Mundes diffundieren. Die Einzelorgane des Geſchmacksſinns ſind ſogenannte Grubenkegel (Abb. 396 C): das freie Ende einer Sinneszelle tritt durch einen Kanal des Chitinpanzers und endigt an der Spitze einer dünnwandigen Kuppel, deren Ende vielleicht durchbohrt oder aber nur durch ein ganz dünnes Häutchen abgeſchloſſen iſt; die Kuppel iſt in eine Grube ver— ſenkt, ſo daß die Sinneszelle vor mechaniſchen Reizungen geſichert iſt. Solche Gruben— kegel ſtehen in den inneren Schmeckorganen zu Haufen beiſammen, an der Unterſeite der 41* e 222222 644 Geruchſinn der Inſekten. Oberlippe wie bei Käfern und Hymenopteren, oder im Dach der Mundhöhle wie bei Schnabelkerfen, oder in der ventralen Schlundwand, wie bei den Schmetterlingen. Die äußeren Schmeckorgane ſtehen bei Schmetterlingen und Schnabelkerfen an der Rüſſelſpitze, bei Fliegen am Rüſſel, bei Hymenopteren an der Zunge und den Nebenzungen (Abb. 396 B). Der Gelbrand (Dytiscus marginalis L.) und ſeine Larve tragen ſie auf den Enden der Kiefer- und Lippentaſter. Entfernen der Taſter ſchädigt, wie Verſuche zeigen, die Nahrungs— ſuche dieſes Käfers mehr als Wegnehmen der Fühler. Ganz im Gegenſatz zu dem Geſchmacksſinn, der bei den Inſekten keine beſonders große Rolle zu ſpielen ſcheint, weiſt der Geruchsſinn bei vielen von ihnen eine ganz außerordentliche Ausbildung auf und iſt von der größten Bedeutung für die Nahrungs— ſuche und für das Geſchlechtsleben. Aas- und Miſtkäfer werden durch den Geruchsſinn zu ihren Fraßſtellen geleitet. In den unterirdiſchen Trüffeln leben beſondere Käfer— (Anisotoma) und Fliegenarten (Sapromyza), die unmöglich anders als durch den Ge— ruchsſinn dieſe Wohnſtätten für ihre Larven finden können. Unter den Bockkäfern zeichnen ſich die Blumenbeſucher (Strangalia, Toxotes) durch ſcharfen Geruchsſinn vor den anderen aus. Die Schlupfweſpen werden durch den Geruch zu den Wirtstieren geführt, in denen ſie ihre Eier unterbringen: ſo konnte ein Sammler die verſteckt lebende Raupe des Weiß— dornſpinners (Gastropacha crataegi L.) in einem Heidelbeerſtrauch dadurch finden, daß er die in dieſer Art ſchmarotzende Schlupfweſpenform auf den Strauch auffliegen ſah. Eine andere Schlupfweſpe, Rhyssa persuasoria L., legt ihre Eier in die Larven der Holzweſpen, die im Innern von Nadelholzſtämmen leben, und bohrt ihren langen Lege— bohrer gerade an der Stelle, wo die Larve ſitzt, ins Holz ein: ſie kann unmöglich den befallenen Baum anders als durch den Geruch finden, und wahrſcheinlich leitet ſie dieſer Sinn auch zu der Stelle, wo die Larve ſitzt. Die Ameiſen erkennen durch den Geruchs— ſinn ihre Neſtgenoſſen, finden mit Hilfe dieſes Sinnes den Weg zum Neſt zurück, und die blinden Arten, wie Dorylus, Eeiton, Aenietus ſind hauptſächlich auf den Geruch angewieſen, um ſich zurecht zu finden. Am überraſchendſten iſt die ungeheure Schärfe des Geruchs, die den männlichen Spinner und Spanner zu dem friſch ausgeſchlüpften Weibchen ſeiner Art leitet. Bei dieſen Schmetterlingsformen, die im ausgebildeten Zuſtande keine Nahrung zu ſich neh— men, können ſich die Geſchlechter nicht an der gemeinſamen Futterpflanze treffen; die Männchen ſind daher dazu ausgerüſtet, die Weibchen aufzuſuchen. Als Forel mitten in der Stadt Lauſanne eine Anzahl Weibchen des kleinen Nachtpfauenauges (Saturnia carpini Borkh.) gezüchtet hatte, ſchwärmten die Männchen in ſo großer Zahl vor ſeinem Fenſter, daß die Erſcheinung eine Anſammlung der Straßenjugend veranlaßte. In Zü— rich konnte Standfuß mit dem friſch ausgeſchlüpften Weibchen einer verwandten Form, Saturnia pavonia L., die dort gar nicht häufig iſt, an einem Tage zwiſchen 10, Uhr vormittags und 5 Uhr nachmittags 127 Männchen anlocken, und dieſe müſſen z. T. aus ziemlicher Entfernung herbeigeflogen ſein, alſo das Weibchen weithin gewittert haben. Und doch vermag unſer Geruchsſinn von dem Dufte ſolcher Schmetterlingsweibchen, ſelbſt wenn ihrer mehr als 50 gleichzeitig vorhanden ſind, nicht das Geringſte wahrzu— nehmen. Der franzöſiſche Entomologe Fabre machte Verſuche mit dem Eichenſpinner (Gastropacha quercus L.); dieſe Art iſt am Orte des Verſuchs ſo ſelten, daß Fabre drei Jahre lang vergeblich danach ſuchte. Endlich fand er eine Raupe, aus der nach der Verpuppung ein weiblicher Falter wurde. Dieſer wurde 4—5 m vom offnen Fenſter entfernt unter einem Drahtgeflecht aufgeſtellt; drei Tage nach dem Ausſchlüpfen kamen Sitz des Geruchsſinns bei den Inſekten. 645 eine Menge Männchen der Art in das Zimmer geflogen, im ganzen 60, eine ganz über— raſchende Zahl bei der Seltenheit des Tieres. Fabre war zweifelhaft, ob es wirklich der Geruchsſinn ſei, der die Männchen herbeibrachte, da für die menſchliche Naſe kein Duft bei dem Weibchen wahrgenommen werden kann. Er machte, um das zu entſcheiden, weitere Verſuche. Wenn ein Weibchen in einer gut verſchloſſenen Schachtel gehalten wird, kommen keine Männchen; ſie kommen aber, wenn das Weibchen offen ſteht, auch dann, wenn man verſucht, deſſen Duft durch Naphthalin, Schwefelwaſſerſtoff, Erdöl oder Tabaksrauch zu übertäuben. Stellt man das Weibchen unter einer Glasglocke ans offene Fenſter, die Schale mit Sand aber, worauf es bis dahin geſeſſen hatte, vom Fenſter entfernt in eine Ecke des Zimmers, ſo fliegen alle Männchen über das geſuchte Weibchen hin— weg zu jener Schale, von der ſein Duft ausgeht. Solche Geruchsſchärfe, die für uns an das Wunderbare grenzt und von der wir uns kaum eine Vorſtellung machen können, iſt wohl mit darauf zurückzuführen, daß die Zahl verſchie— dener Gerüche, für die das Riechorgan dieſer Inſekten zugänglich iſt, ſehr gering iſt. Wir dürfen annehmen, daß ſie Geruchsſpezialiſten ſind; der Duft, durch den ſie vorwiegend erregt werden, iſt aufs engſte mit ihrer Lebensweiſe verknüpft: ein Männchen wird durch den Duft ſeines Weibchens gereizt, und nur durch dieſen; eine Pflanze, die das eine Inſekt von weitem anlockt, läßt eines von einer anderen Art un— berührt. Bei der Suche nach dem Sitze des Riech— vermögens ließ man ſich zunächſt irre leiten durch vermeintliche Analogien mit dem Menſchen: man glaubte, daß es, wie hier an der Atem- Abb. 397. Riechtegel () auf der Spitze des Füh- je 2 Br: lers bei einem Tauſendfuß (Glomeris margi- öffnung, ſo dort an den Tracheenöffnungen nata VIII.). Einzelne Sinneszellen mit Chromfilber oder am Anfang des Darms, am Schlund j ſitzen müſſe. Jetzt weiß man, daß die Fühler und z. T. auch die Taſter die Träger der Riechorgane ſind. Das ließ ſich ſchon daraus ſchließen, daß bei den Spinnern, deren Männchen durch den Geruchsſinn die Weibchen auffinden, die Oberfläche der Fühler im männlichen Geſchlecht viel größer iſt als im weiblichen: jene haben doppelt gekämmte Fühler, dieſe nur gewimperte. Ahnlich iſt es beim Maikäfer; bei den Aaskäfern jedoch, wo Männchen und Weibchen zur Nahrungsſuche in gleicher Weiſe des Geruchsſinns be— dürfen, ſind die Fühler beider Geſchlechter gleich. Verſuche erheben jene Vermutung über allen Zweifel. Wenn man einen Totengräber (Necrophorus) der Fühler beraubt, vermag er das Fleiſchſtück, an dem er vorher fraß, nicht mehr zu finden; er frißt aber eifrig weiter, wenn man ihn daran ſetzt. Es iſt weiterhin bekannt, daß verſchiedene Ameiſen— arten und Gattungen ſich heftig befehden, wenn man ſie zuſammenbringt; ſchneidet man ihnen aber die Fühler ab, ſo miſchen ſie ſich friedlich untereinander. Einen Tropfen Honig entdecken fühlerloſe Ameiſen erſt dann, wenn der Mund zufällig hineintaucht. Die Männchen des Seidenſpinners (Bombyx mori L.) laufen auf ein Weibchen, das in 646 Riechorgane der Inſekten. einiger Entfernung von ihnen hingeſetzt wird, unter lebhaftem Flügelſchlagen eilig los; ſchneidet man aber dem Männchen die Fühler ab, ſo weiß es die Richtung, in der das Weibchen ſitzt, nicht mehr zu finden. Die Organe des Geruchsſinns find hauptſächlich Grubenkegel (Abb. 398), ähnlich denen des Geſchmacksſinns. Es iſt dieſen Sinnesorganen äußerlich nicht anzuſehen, was die einen für den Geruchs-, die andren für den Geſchmacksſinn geeignet macht. Auch frei an der Oberfläche ſtehende Kegel kommen vor (Abb. 397), ſie ſind dann meiſt durch längere ſtarke Haare, die zwiſchen ihnen ſtehen, vor mechaniſcher Reizung geſchützt. Bei den Hymenopteren finden ſich außerdem Organe bedeutendern Umfangs, ſogenannte Porenplatten (Abb. 3980). Je größer die Oberfläche des Fühlers, um ſo zahlreicher ſind im allgemeinen die Einzelſinnesorgane, und um ſo ſtärker wirkt der chemiſche Reiz. . p y — Sie Sole Di > ruchsſinns iſt natürlich den jedesmaligen Be— dürfniſſen angepaßt; dafür nur einige Bei— ſpiele: beim Maikäfer ſind die Endglieder des Fühlers zu dünnen, breiten Lamellen aus— gebreitet, die eine quer— geſtellte Fächerkeule bilden; beim Männ— chen ſind die Lamellen zahlreicher (7 gegen 6) und größer als beim Weibchen, ſo daß dort die Geſamtoberfläche der Lamellen 3½ mal TEE SEELE LER Sr PER c00GCCCCCGCFCFTFTT—T—P—P—PPPPTPPPPVPPP—V—V—V—V—„————v—————————— Se ai 2 RR Abb. 398. Riechorgane von Inſekten. A Stück der Oberfläche einer Fühlerlamelle vom ſo grog iſt als hier, Maikäfer, mit Sinnesgruben. B Teil eines Schnittes durch eine ſolche Lamelle. C Teil eines Ihre j Schnittes durch einen Fühler der Weſpe, mit einem Riechkegel (3) und zwei Porenplatten (2). und während ich auf 1 Primäre Sinneszellen, 2 Nerven, 5 Borſten, 6 Epidermiszellen, 7 Chitinkutikula (horizontal dem weiblichen Fühler geſtrichelt) B nach vom Rath, C nach Kräpelin. 8305 Sinnesorgane finde, zähle ich auf dem männlichen deren 50229, alſo mehr als das Sechsfache. Bei dem Männchen der Heuſchrecke Tryxalis tragen die Fühler im Durchſchnitt 2000, bei dem Weibchen nur etwa 1300 Grubenkegel. Bei der Stechmücke Culex pipiens L., bei der nur die Weibchen Blut ſaugen, während die Männchen entweder keine Nahrung auf— nehmen oder Honig lecken, haben dagegen die Weibchen, die ihre Opfer mit Hilfe des Geruchsſinns finden müſſen, die zahlreicheren Einzelorgane: die blaſſen Riechhaare zwiſchen ſtarren Fühlhaaren ſind hier über den ganzen Fühler verteilt, beim Männchen ſtehen ſie nur auf den letzten Gliedern. Die Schwebfliege (Helophilus floreus L.) findet die Stätten für die Unterbringung ihrer Eier, grasbewachſenen Boden, überall in ge— nügender Menge; die Raupenfliege Echinomyia grossa L., die ihre Eier an die Raupen von Spinnern legt, muß lange nach ſolchen ſuchen: dementſprechend ſteht bei Helo— philus auf jeder Fühlerſeite nur eine Grube mit Riechorganen, bei Echinomyia deren über 200. Geſchmacksknoſpen der Wirbeltiere. 647 Dadurch, daß bei den Inſekten die Riechorgane auf den beweglichen Fühlern an— gebracht ſind, iſt dieſen Tieren ein Mittel zum aktiven Wittern, zur Erneuerung der Riechluft um die Organe gegeben. Solche charakteriſtiſche Fühlerbewegungen kann man z. B. bei den Fächerhornkäfern, den Mai- oder den Miſtkäfern, leicht beobachten, wenn man ihnen riechende Stoffe nähert. Baumwanzen machen bei Beunruhigung ſofort Fühlerbewegungen. Bei laufenden Weg- und Schlupfweſpen, die nach Beute ſuchen, ſind die Fühler in beſtändiger fibrierender Bewegung. Fliegende Inſekten brauchen na— türlich nicht erſt aktiv, durch Fühlerbewegungen, die umgebende Luft zu erneuern. Auch eine Annäherung des Riechorgans an die Geruch ausſtrömenden Gegenſtände wird durch die Beweglichkeit der Fühler in einfachſter Weiſe ermöglicht, gleichſam ein Riechtaſten; das Wegfinden der Ameiſen mag auf ſolchem beruhen. Dem Menſchen werden durch ſeine beweglichen Sinnesorgane, die Augen und die Taſt— organe, Raumwahrnehmungen vermittelt, weil die betreffenden Sinnesempfindungen mit Be— wegungsempfindungen verknüpft ſind. Ob und wieviel wir Vorſtellungen, analog denen der Menſchen, bei Inſekten annehmen können, wiſſen wir nicht. Aber wir können ſagen: wenn ein Menſch derartig bewegliche Riechorgane hätte, ſo wären auch mit ſeinen Riechempfindungen Raumvorſtellungen verknüpft: er könnte viereckige, runde, längliche Geruchskomplexe unter— ſcheiden. b) Schmecken und Riechen und ihre Organe bei den Wirbeltieren. Bei den Wirbeltieren ſind die Organe des chemiſchen Sinnes nach zwei ganz ver— ſchiedenen Grundplänen entwickelt: die einen beſtehen aus ſekundären Sinneszellen, die andern aus primären. Die erſteren ſind durchweg nur durch flüſſige Reizſtoffe erregbar und werden mit Recht den Schmeckorganen des Menſchen gleichgeſtellt. Aber die aus primären Sinneszellen zuſammengeſetzten Sinnesepithelien ſind bei den Fiſchen durch flüſ— ſige, bei allen übrigen Wirbeltieren durch gasförmige Reizſtoffe erregbar; es iſt daher nicht ohne weiteres gerechtfertigt, bei den Fiſchen phyſiologiſch von einem Riechorgan zu ſprechen; der chemiſche Sinn iſt bei ihnen nicht in Geruchs- und Geſchmacksſinn geſchieden. Aber ſicher iſt das chemiſche Sinnesorgan der Fiſche, das in der Naſengrube gelegen iſt, als der Vorläufer des Riechorgans der übrigen Wirbeltiere anzuſehen. Wie unten aus— geführt, iſt es auch bei den Fiſchen von den chemiſchen Sinnesorganen der Haut und Mundhöhle wohl unterſchieden; wir werden es daher mit unter den Riechorganen behandeln. Das allgemeine Schmeckorgan der Wirbeltiere iſt die Geſchmacksknoſpe. (Abb. 399.) Sie beſteht aus ſekundären Sinneszellen, deren jede mit einem feinen, plasmatiſchen Schmeckhärchen oder -ſtiftchen ausgeſtattet iſt, und aus dazwiſchen ſtehenden Stützzellen. Zwiſchen die Zellen ſchieben ſich baumförmig veräſtelte Enden der Nervenfaſern ein und umſpinnen die Zellen; am Grunde der Geſchmacksknoſpe liegt noch ein beſonderes Ge— flecht von Nervenfäſerchen und umfaßt ſie wie das Becherchen die Eichel — daher wird es als Cupula (Becherchen) bezeichnet. An den Stellen, wo die Geſchmacksknoſpen liegen, dringt das Bindgewebe der Cutis zapfen- oder papillenförmig in die Epidermis ein (A): die Knoſpen bilden innerhalb der geſchichteten Epidermis einſchichtige Bezirke. Bei den Fiſchen und Amphibien iſt die Oberfläche der Epidermis da, wo die Knoſpe liegt, ſchüſſel— förmig eingeſenkt, bei den Säugern wölbt ſich die umgebende Epidermis ſo über die Endfläche der Knoſpe herüber, daß ein kleiner Vorraum entſteht, der durch den ſoge— nannten Geſchmacksporus (Abb. 399 B, a) nach außen mündet. Die Geſtalt der Geſchmacks— knoſpen wechſelt bei den verſchiedenen Klaſſen. 648 Schmeckorgane der Wirbeltiere. Die Geſchmacksknoſpen ſtehen bei den Fiſchen zum Teil auf der Oberfläche des Körpers, vor allem dicht an den Barteln und den Lippen, aber auch in der Mundhöhle, wie am Gaumen, am Schlundeingang und auf den Kiemenbögen. Die Verteilung iſt nicht überall gleich: meiſt iſt die chemiſche Reizbarkeit der äußeren Haut auf den Kopf und deſſen Nachbarſchaft beſchränkt; aber beim Angler (Lophius) dehnt ſie ſich über den ganzen Körper aus. Bei den luftlebenden Wirbeltieren ſind die Geſchmacksknoſpen von der äußeren Körperoberfläche ganz verſchwunden, da ſie dort einerſeits mit flüſſigen Schmeckſtoffen kaum in Berührung kommen und andrerſeits der Gefahr des Vertrocknens ausgeſetzt ſein würden. Sie ſind daher völlig auf die Mundhöhle und ihre Organe beſchränkt. Dort ſind ſie z. B. beim Waſſermolch (Triton) beobachtet. Die nervöſen Endſcheiben auf dem Rande des Zungenrückens und am Gaumendach beim Froſch ſcheinen jedoch Taſtorgane A a re ee Fr nn Wa ze VE ER A. B den Reptilien find die Ge— ſchmacksknoſ— pen nur ſpär⸗ lich zu finden; die Eidechſe trägt ſolche auf der Zunge; bei den Schildkrö— ten ſind ſie auf den Papillen der Zunge und am Rande der— ſelben vorhan⸗ den; Zunge und Gaumen Abb. 399 Geſchmacksknoſpen A von den Bartfäden der Barbe, B von den blättrigen der Krokodile Papillen der Kaninchenzunge. 8 a gibt ein Überſichtsbild, in 5 find ſchlanke Sinneszellen und plumpe Stützzellen, in e Nervenfaſern ſind ganz ver⸗ elektiv gefärbt. hornt und tra- gen keine Geſchmacksknoſpe, hier ſtehen ſie am Eingange des Schlundes. Bei den Vögeln waren Geſchmacksknoſpen lange unbekannt, obgleich man aus der Vorliebe dieſer Tiere für gewiſſe Speiſen z. B. der Papageien für Zucker auf das Vorhanden— ſein von ſolchen ſchließen konnte. Jetzt ſind ſie bei einer ziemlichen Anzahl von Vogel— arten am Zungengrunde und am Beginn des Schlundes aufgefunden, beſonders zahlreich an den drüſenreichen Teilen des weichen Gaumes, wo vielfach die Zellen der Geſchmacks— knoſpen eine Drüſenmündung rings umgeben. Die Säuger beſitzen die weitaus am beſten ausgebildeten Schmeckorgane unter den Wirbeltieren. Das hängt aufs engſte mit dem Beſitz von Kauzähnen zuſammen: ſie verarbeiten und zerquetſchen die Nahrung im Munde mehr oder weniger gründlich und preſſen dabei die Extraktivſtoffe aus ihr heraus, die dann auf die Geſchmacksorgane wirken können. Die niederen Wirbeltiere dagegen, mit Ausnahme mancher Fiſche vielleicht, ſind vorwiegend Schlinger, keine Kauer; ihre Zähne ſind meiſt Fangzähne zum Feſthalten der Beute. Die Nahrung verweilt nicht lange im Munde und wird nach flüchtiger Geſchmackspapillen der Säuger. 649 Zerkleinerung oder gar unzerkleinert, wie bei Schlangen und Eulen, verſchluckt. Daher ſind hier gelöſte Schmeckſtoffe nur in ſehr geringer Menge vorhanden, und damit wird auch die geringe Zahl der Geſchmacksknoſpen erklärlich. Die tonnenförmigen Geſchmacksknoſpen der Säuger (Abb. 399 B) find auf verſchiedene Abſchnitte der Mundhöhle verteilt und kommen nicht etwa allein der Zunge zu, die her— kömmlich als Sitz des Geſchmackſinns betrachtet wird. Sie ſtehen außerdem auch am weichen Gaumen und auf dem Kehldeckel. Auf der Zunge ſind ſie an die ſogenannten Zungenpapillen gebunden, deren es dreierlei Formen gibt, pilzförmige, umwallte und blättrige Papillen (P. fungiformes, vallatae, foliatae (Abb. 401, 2, J, 3). Die pilzförmigen Papillen ragen als kleine Erhebungen über die Zungenoberfläche hervor. Bei den erwachſenen Menſchen ſind 20% von ihnen ohne Geſchmacksknoſpen; die übrigen tragen jede nur eine oder wenige Knoſpen; bei den Säuglingen dagegen Abb. 400. Schnitte durch Geſchmackspapillen von Säugern, durch eine umwallte Papille der Menſchenzunge, B durch eine blättrige Papille der Kaninchenzunge. 1 Epidermis, 2 Kutis der Mundſchleimhaut, 3 ſeröſe Drüſen und 3’ ihr Ausführgang. Nach Stoehr. ſind ſie zahlreicher und tragen ausnahmslos Geſchmacksknoſpen, zum Teil in größerer Zahl. Bei Ratte und Kaninchen ſteht mindeſtens eine Knoſpe auf jeder Papille. Im ganzen find beim Menſchen etwa 350—400 pilzförmige Papillen vorhanden. Bei den um— wallten und blättrigen Papillen (Abb. 400) ſind Gräben vorhanden, die bei den erſteren (A) in ſich zurücklaufen und eine inſelförmige Papille umgeben, während bei den blättrigen Papillen (B) eine Anzahl Gräben einander parallel ziehen und Leiſten zwiſchen ſich laſſen. An den Wänden der Gräben ſtehen die Geſchmacksknoſpen. Hier ſind ihre Schmeckſtiftchen vor mechaniſchen Verletzungen geſchützt, und was noch wichtiger iſt, in den Gräben ſammeln ſich die Schmeckſtoffe an und ihre Einwirkung auf die Knoſpen iſt daher weniger vor— übergehend. Auf dem Boden der Gräben münden Drüſen aus, deren eiweißhaltiges Sekret die Geſchmacksknoſpen feucht erhält und ferner dazu beiträgt, die eingedrungenen Schmeckſtoffe aus den Gräben wieder zu entfernen. In den umwallten und blättrigen Papillen ſind die meiſten Geſchmacksknoſpen untergebracht, ſie ſind der Hauptſitz des Geſchmackſinns; die vereinzelten Knoſpen kommen ihnen gegenüber wenig in Betracht. Die Zahl der Knoſpen in einer Papille wechſelt mit der Größe der Papille. Beim Schaf enthält eine mittelgroße umwallte Papille 650 Geſchmackspapillen der Säuger. 480 Knoſpen, beim Rind 1760, beim Schwein 4760. Beim Schaf und Rind ſind deren 20 vorhanden, im ganzen alſo beim Schaf etwa 9600 Geſchmacksknoſpen, beim Rind 35200; das Schwein jedoch beſitzt nur zwei umwallte Papillen, alſo 9520 Knoſpen. Die blättrige Papille des Kaninchens hat 12 Leiſten und trägt auf einer Leiſte etwa 640 Knoſpen; eine Papille hat alſo 7440, und beide zuſammen etwa 15000 Knoſpen. Die umwallten und blättrigen Papillen ſtehen ſtets am Zungengrund, wo die Nah— rung ſchon durchſpeichelt und zerkaut hingelangt, die pilzförmigen Papillen dagegen ſind in verſchiedener Weiſe über die Fläche und den Rand der Zunge verteilt. Die Zahl der Papillen iſt bei D. | phylogenetiſch niedrig ſtehen— den Formen ge— ring, beſonders = 30 5 bei den Beutel— 5 \ tieren und In⸗ 5 , ſektenfreſſernzſie 470 beſitzen nur 2 bis 7 9 3 umwallte Pa⸗ | 9 pillen. Die Ver— 7, ſchiedenheit der Ernährung be— dingt hier keinen Unterſchied. Da— gegen iſt bei den phylogenetiſch höher ſtehenden Säugerordnun— gen ein deutlicher Einfluß der Er— nährungsweiſe Abb. 401. Zungen von Säugern. auf die Menge A vom Ameiſenbären (Myrmecophaga jubata L.), nur baſaler Teil, B von der Giraffe, C und D vom Stachel— der Geſchmacks— ſchwein (Hystrix eristata L.) von oben und von links. : 8 1 umwallte, 2 pilzförmige, 3 blättrige Papillen. A und B papillen und auf nach Brüder, C nach Münch. deren Stellung „ ee ei. Die Schlinger unter den Säugern, bei denen die Nahrung nicht gekaut wird, zeigen nur eine ganz ſpärliche Entwicklung des Schmeckorgans. Bei den Walen und Laman— tinen iſt die Zunge ganz glatt; vielleicht kommt hier hinzu, daß die Extraktivſtoffe der Nahrung bei dieſen Waſſertieren zu ſehr verdünnt werden, als daß ſie erheblich auf das Schmeck— organ einwirken könnten. Man könnte hierher auch die Kloakentiere und die Zahnarmen (Abb. 401 A) rechnen, die nur ein Paar umwallte und keine blättrigen Papillen be— itzen. 15 Wenig gekaut wird die Nahrung bei den Raubtieren. Sie haben eine ſaftreiche, leicht verdauliche Koſt, die ſie nur in ſchlingbare Fetzen reißen; bei ihnen ſind 2— 3 Paar umwallter Papillen vorhanden, die in der Mitte des Zungengrundes ſtehen; blättrige Papillen fehlen. Den Übergang zur nächſten Gruppe bilden die Bären, die als 4775 RER X N Phyſiologie des Geſchmackſinns. 651 Obſt⸗ und Honigfreſſer von ihnen abweichen: ſie haben 4—6 Paar umwallte Papillen und eine Andeutung von blättrigen Papillen. Stärker kauen die Primaten, die Schweineartigen und die Unpaarhufer. Ihre ganze Mundbewaffnung, mit ihren breitkronigen Backenzähnen, weiſt darauf hin, daß ſie die Nahrung beſſer zerkleinern und auspreſſen. Die Zahl der umwallten Papillen mehrt ſich wie beim Menſchen (meiſt 9), oder die Papillen ſind vergrößert wie beim Schwein. Dazu kommt noch ein Paar blättrige Papillen, die jederſeits am Rande des Zungen— grundes und damit mehr in der Nähe der auspreſſenden Mahlzähne liegen. Für die Be— ziehung zwiſchen der Verteilung der Geſchmacksknoſpen und der Ernährungsweiſe iſt es auch bezeichnend, daß beim menſchlichen Kind mit ſeiner Milchnahrung die ganze Zungen— fläche ſchmeckend iſt, durch zahlreichere Geſchmacksknoſpen an den pilzförmigen Papillen, während beim Erwachſenen nur mehr die Randteile der Zunge, alſo die Nachbarſchaft der Zähne, geſchmackbegabt bleibt. Als ſtarke Kauer kann man die Wiederkäuer und die Nager bezeichnen. Bei ihnen ſind die Geſchmackspapillen ſehr ſtark entwickelt und verſchieben ſich noch mehr nach der Seite der Zunge, in die Nähe der Zahnreihen. Bei den Wiederkäuern (Abb. 401 B) iſt zwar die Ausbildung der blättrigen Papillen gering; dagegen ſind die umwallten zahl— reich und ſtehen in zwei ſeitlichen Reihen. Bei den urſprünglichſten Formen, den Moſchustieren und Kamelen, macht ſich das noch weniger geltend; die Hirſche und Rinder beſitzen mindeſtens 10 Paar umwallte Papillen, der Edelhirſch 26 —28 Paar, die Giraffe 28—39 Paar. Bei den Nagern (Abb. 401 Cu. D) bleiben die umwallten Papillen in ihrer Ausbildung zurück, es ſind nur 1—3 Stück vorhanden, dagegen ſind die blättrigen Papillen nirgends ſo hoch entwickelt wie gerade hier. Was von der Phyſiologie des Geſchmackſinns Genaueres bekannt iſt, wurde alles durch Verſuche am Menſchen feſtgeſtellt. Man kann vier ſpezifiſche Reize für die Schmeckorgane unterſcheiden, bitter, ſüß, ſalzig, ſauer; der ſogenannte alkaliſche und der metalliſche Geſchmack ſind wohl Miſchgeſchmäcke. Was als würziger Geſchmack bezeichnet wird, beruht lediglich auf Geruchsempfindungen; wenn die Riechtätigkeit durch Entzündung der Naſenſchleimhaut ausgeſchaltet und die Zunge allein tätig iſt, fällt viel von dem weg, was gewöhnlich als Geſchmack bezeichnet wird. Zwei Kranke hatten durch einen Sturz auf den Kopf den Geruchſinn völlig verloren, den Geſchmackſinn aber behalten: ſie konnten keinen Unterſchied zwiſchen gekochten Zwiebeln und Apfeln machen; dagegen vermochten ſie Portwein und Burgunder zu unterſcheiden; jener erſchien ihnen wie Zuckerwaſſer, dieſer wie verdünnter Eſſig. Die vier Geſchmäcke ſind aber nicht gleichmäßig über unſre Zunge verteilt. Süß wird mehr an der Spitze, Sauer mehr am Rande, Bitter am Grunde der Zunge empfunden; Salzig wird an der Spitze und an den Rändern gleich, am Grunde weniger empfunden. So ſchmeckt Brom-Saccharin am Zungengrunde bitter, an der Spitze ſüß. Durch punktförmige Reizung der pilzförmigen Papillen mit verſchiedenen Löſungen bekam man folgendes Ergebnis: von 125 leicht zugänglichen Papillen beſaßen nur 98 Schmeckvermögen; davon reagierten auf Weinſäure 91, auf Zuckerlöſung 79, auf Chininlöſung 71; 15 Papillen reagierten nur auf eine Löſung. Wahrſcheinlich iſt jede Geſchmacksknoſpe nur für einen der vier Geſchmäcke abgeſtimmt und nur durch die entſprechen— den Reizſtoffe erregbar. Die Annahme, daß die Geſchmäcke an geſonderte Organe gebunden ſind, gibt zugleich die beſte Erklärung für die Tatſache, daß einzelne Geſchmäcke aufge— hoben werden können, ohne daß andere dabei leiden. Kaut man Blätter von Gymnema 652 Riechorgan der Wirbeltiere. silvestre, einer indiſchen Asklepiadee, ſo wird der Süß- und Bittergeſchmack ganz ge— tilgt, der für Salzig und für Sauer jedoch bleibt beſtehen. Einpinſelung mit Kokain hebt zuerſt den Bittergeſchmack auf, dann erſt die anderen. Die verſchiedenen Geſchmäcke ſcheinen alſo ebenſo ſelbſtändig zu fein wie die Warm-, Kalt- und Druckempfindungen. — Wie bei den Inſekten, ſo iſt auch bei den Wirbeltieren der Geruchsſinn dem Geſchmacks— ſinn an Lebenswichtigkeit im allgemeinen weit überlegen. Zwar kommt er nicht allen Klaſſen in gleicher Ausbildung zu. Bei den Fiſchen in eigenartiger Sonderſtellung, tritt er bei den niederen Landwirbeltieren dem Geſichtsſinn gegenüber ſehr zurück und erſt bei den Säugern erhebt er ſich zu einer ſolchen Höhe der Entwicklung, daß er vielfach den Geſichtsſinn an Wichtigkeit für die Orientierung der Tiere weit übertrifft. Das Riechorgan der Wirbeltiere weiſt eine Reihe gemeinſamer Eigenſchaften auf. Es beſteht aus einem Paar grubenförmiger Vertiefungen am Vorderende des Kopfes, die nur bei den Rundmäulern zu einer unpaaren Grube verſchmolzen ſind. Das Sinnesepithel (Abb. 402), das einen Teil der Grubenwand überzieht, beſteht aus primären Sinnes— zellen; durch vielfache Faltung des Epithels iſt eine Ober— 2 iſt, bleibt noch ſtrittig. 2 A J Bei den Haifiſchen liegen die Riechgruben auf der Ventral— FD — ſeite, vor der Mundöffnung (Abb. 251 S. 380); ihr Ein— ee e ee iſt rinnenförmig verlängert, und eine Hautfalte, welche Riechſchleimhauteines Säugers. die Rinne überlagert, teilt ihn in zwei Offnungen, eine Zu— en Nee, fluß⸗ und eine Abflußöffnung. Damit wird Durchſtrömung endigungen. Links Überſichtsbild, rechts der Riechgrube ermöglicht, und da das Waſſer die Reizſtoffe mit elektiv gefärbten Beſtandteilen. 5 5 8 5 92 e 5 mitbringt, bedeutet dies eine Erhöhung der Leiſtungsfähigkeit. Da die Riechgrube ganz nahe dem Munde liegt, mündet die Abflußöffnung häufig in dieſen ein. Dieſe Verbindung von Riechorgan und Mundhöhle bei den Haien bildet die Grund— lage für die gleiche Verbindung, die bei Lurchfiſchen und Landwirbeltieren von großer Wichtigkeit iſt. — Auch bei den Schmelzſchuppern und Knochenfiſchen hat die Riechgrube eine doppelte Offnung zur Ein- und Ausfuhr des Waſſers; aber ſie iſt von der Mund— ſpalte abgerückt und daher ohne Beziehung zur Mundhöhle. Das Riechorgan nimmt bei den Fiſchen nach ſeiner Verrichtung inſofern eine be— ſondere Stellung ein, als es, anders als bei den übrigen Wirbeltieren, flüſſigen Reiz— ſtoffen zugänglich iſt. Dieſe ſind aber andrer Art als die Reizſtoffe für die Geſchmacks— knoſpen des Kopfes und der Mundſchleimhaut. Das ergibt ſich mit Sicherheit aus folgenden Verſuchen: wenn man hungernden Katzenhaien eine Sardine ins Becken wirft ſo ſind ſie nach 2—3 Minuten alle in eifrigem Suchen nach dem Futter. Hat man ihnen aber die Riechſchleimhaut entfernt, ſo reagieren ſie nicht auf vorgeworfene Sardinen. Nach 4—6 Wochen Faſtenzeit werden normale Haie ſchon erregt, wenn man nur die Hände, mit denen man eine Sardine angefaßt hat, im Becken wäſcht. Eine mit Chinin bitter gemachte Sardine wird zwar angenommen, aber ſofort wieder ausgeſpuckt, wenn ſie mit der Mundſchleimhaut in Berührung kommt. Der Extraktivſtoff der Sardine Bir len flächenvergrößerung und damit eine Vermehrung der Sinnes— b V f zellen bewirkt. Die Fortſätze der Zellen treten als Riech— 13 . 0 nervenfaſern in das Vorderhirn ein (Abb. 364 A) und endigen N 1 dort im Riechkolben (Bulbus olfactorius). Ob die unpaare 0g „ 5 Riechgrube des Amphioxus, die am Neuroporus desſelben 2 9 0 gelegen iſt, dem Riechorgan der übrigen Wirbeltiere homolog Verſchiedene Ausbildung des Geruchſinns. 653 wirkt alſo auf die Naſenſchleimhaut, nicht aber auf die des Mundes; umgekehrt ſcheint das Chinin nur auf die Geſchmacksknoſpen, nicht aber auf die Riechſchleimhaut zu wirken. Von den Amphibien an ſind gasförmige Stoffe die adäquaten Reize für das Riech— organ. Zugleich wird die bei den Haien verbreitete Verbindung der Riechgrube mit der Mundhöhle zur Regel: ſie geſchieht durch rings geſchloſſene Gänge, die Choanen. Damit iſt für die Atemluft ein Weg durch die Naſengruben geſchaffen: es wird dadurch zugleich die Güte der Atemluft einer Kontrolle unterworfen, und, was wichtiger iſt, dem Riech— organ werden durch die Atembewegungen beſtändig die in der Luft verteilten Riechſtoffe zugeführt. Die Riechgrube zerfällt dabei in zwei Abſchnitte, einen Riechteil und einen Atemteil (olfaktoriſcher und reſpiratoriſcher Teil). Die Riechſchleimhaut, die den erſteren auskleidet, iſt ein einſchichtiges Epithel aus Riechzellen mit ihren Riechhärchen und Stütz— zellen; auf ihrer Oberfläche münden zahlreiche Drüſen, deren Sekret die freien Enden der Riechzellen anfeuchtet und vor dem Vertrocknen bewahrt. Der reſpiratoriſche Teil trägt ein Flimmerepithel, das einſchichtig oder geſchichtet ſein kann und ebenfalls durch Becher— zellen und Drüſen feucht gehalten wird. Von den Reptilien an wird mit der Atmung trockner Luft die Scheidung zwiſchen reſpiratoriſchem und olfaktoriſchem Abſchnitt der Naſenhöhle ſchärfer, indem von der late— ralen Seite des Naſenraumes ein Vorſprung, eine Grenzmuſchel (Maxpilloturbinale) als unvollkommene Scheidewand zwiſchen die beiden Abſchnitte hineinwächſt. Bei den Krokodilen und Vögeln wird die über dieſer Muſchel gelegene olfaktoriſche Schleimhautfläche durch eine Wulſtbildung, den Riechwulſt, vergrößert. Amphibien und Reptilien beſitzen nur ein ſchwach ausgebildetes Riechvermögen. Vor allem fehlt auch den Vögeln ein bedeutenderes Witterungsvermögen, wie es ihnen zuweilen von Jägern zugeſprochen wird. Sie werden bei ihrer Nahrungsſuche durchaus durch den Geſichtsſinn geleitet, auch die Geier und Raben, die von Aas leben. Ein zahmer Baumfalk hielt ein Stück Siegellack für Fleiſch und ſtieß danach. Daß bei den Vögeln der Geruchſinn ſo ſchlecht ausgebildet iſt, erklärt ſich aus der Natur der Riech— ſtoffe: alle uns bekannten Stoffe, die den Geruchſinn reizen, haben verflüchtigt ein hohes ſpezifiſches Gewicht; daher laſtet der Riechſtoff am Boden und kommt für die Orientierung des fliegenden Vogels nicht in Betracht. Dazu kommt Mangel an Eigengeruch bei den Vögeln, der ſeinen Grund in ihrer Armut an Hautdrüſen hat: außer der Bürzeldrüſe beſitzen ſie keine Hautdrüſen, ſondern alſo keine riechenden Sekrete ab. Ganz im Gegenſatz dazu ſteht das Verhalten der Säuger. Sie beſitzen einen ſtarken Eigengeruch, beſonders infolge der reichlichen Drüſeuſekrete. Meiſt iſt die behaarte Haut reich an Schweiß- und Talgdrüſen; aber auch dann, wenn dort die Schweißdrüſen, wie bei Ratte und Hamſter, ganz fehlen oder doch nur ſpärlich vorhanden ſind, wie beim Maulwurf, Siebenſchläfer und Hund, ſind doch die Sohlenballen reich an ſolchen und können eine riechbare Spur an dem Boden zurücklaſſen. Die Klauenſäckchen der Schafe und die Anſammlungen von Schweißdrüſen zwiſchen den Klauenſpalten der Schweine haben die gleiche Wirkung. Dem entſpricht die überaus hohe Ausbildung des Geruch— ſinns bei den Säugern. Das Riechorgan iſt für ſie einer der wichtigſten Vermittler des Verkehrs mit der Außenwelt. Es ſpielt eine große Rolle bei der Nahrungsſuche und beim Erkennen der Feindesnähe, beim Finden des Weges und im Geſchlechtsleben. Die Huftiere wittern den Feind, die Raubtiere die Beute; der Jäger weiß, mit welcher Vorſicht er vermeiden muß, ſich dem Wilde mit dem Wind zu nähern. Der Hund des Trüffelſuchers findet den im Boden verborgenen Pilz, ebenſo wie der Hund 654 Riechorgane der Säuger. die Spur ſeines Herrn findet, durch den Geruchſinn. Daß ein Hund blind iſt, wird oft für die flüchtige Beobachtung kaum bemerkbar; wenn ſein Riechorgan zerſtört wurde, iſt er hilflos. Saugende junge Hunde, denen der Riechnerv durchſchnitten wurde, konnten die Zitzen der Mutter nicht mehr finden und mußten mit der Spritze ernährt werden; ſie fanden nicht mehr ſelbſtändig ins Lager und wurden auch bei Futterſuche durch den Geſichtsſinn getäuſcht: trockenes Fleiſch ließen ſie liegen, leckten aber den eigenen Harn und Kot. Der Geruchſinn bietet den Tieren große Vorteile für das Zurechtfinden: Dunkelheit und Nebel, Schneegeſtöber und Staubmaſſen ſind gleichgültig für ein Riechtier, während ſie dem Sehtier gefährliche Hinderniſſe werden; im dichteſten Wald findet es ſich ſo gut zurecht wie auf freiem Feld. Den beſten Witterern iſt noch ein Mittel gegeben, das die Richtung, aus der der Luftſtrom kommt, ankündigt: es iſt die durch beſtändige Drüſenſekretion feuchtgehaltene Schnauze, der wir beſonders bei Hunden A und bei Wiederkäuern begegnen. Will der , Menſch die Richtung eines ſchwachen B. Windes erkennen, ſo macht er einen Finger naß und hält ihn gegen den Zug; aus dem Kaltwerden auf der einen oder anderen Seite beurteilt er die Windrichtung. Ahn— lich können wir uns die Funktionsweiſe der feuchten Schnauze bei den Säugern denken. Der hohen Leiſtungsfähigkeit des Geruchſinns bei den Säugern entſpricht eine geſteigerte Differenzierung der Organe. Der Riechraum nimmt gegenüber dem reſpiratoriſchen Abſchnitt, zu dem hier noch ein mehr oder weniger ausgedehnter Vor— J aum kommt, viel mehr e; Abb. 403. Linke Hälfte eines Durchſchnitts durch die hei den übrigen Wirbeltieren. Die Grenz Naſenhöhle mit den knöchernen Naſenmuſcheln: 4 von 2 h > nee einem osmatiſchen Säuger, B vom Menſchen. Schematiſch. muſchel, das Maxilloturbinale, die ihn 1—4 Nebenhöhlen der Naſe. 4 nach Paulli. gegen jener abgrenzt, bildet einen Schutz für die Riechſchleimhaut gegen Staub und Fremdkörper. Im Riechraum ſind ſtatt des einen Riechwulſtes der Sauropſiden 4—5 Wülſte oder Muſcheln auf der lateralen Seite ausgebildet, und knöcherne Lamellen bieten ihnen Stütze und verhindern das Zuſammen— fallen (Abb. 403). Höhlenbildungen in den benachbarten Knochen, beſonders im Keil— bein und Stirnbein (Sinus sphenoidalis und frontalis) bieten für die Ausdehnung der Muſcheln noch mehr Raum. So kommt eine rieſige Oberflächenentwicklung auf engem Raum zuſtande. Aber es iſt nicht dieſe ganze Oberfläche mit Riechſchleimhaut beſetzt, ſondern nur der hintere Teil der Riechmuſcheln. Vielleicht muß eine große Verdunſtungs— oberfläche vorhanden ſein, um die Luft im Riechraum feucht zu erhalten. Der Verluſt an Witterungsfähigkeit bei unſeren Jagdhunden in der trocknen Atmoſphäre Südweſtafrikas iſt wohl auf die Beeinträchtigung der Riechſchleimhaut durch Eintrocknen zurückzuführen. Beim gewöhnlichen Atem gelangt der Luftſtrom gar nicht weit über die Grenz— muſchel hinaus, beim Menſchen bis an die mittlere Muſchel, und die Riechſtoffe kommen SSSR D D D pr SEE W Riechorgane der Säuger. 655 durch Diffuſion in die Nähe des Sinnesepithels; es wird dann alſo der Feuchtigkeits— gehalt der Luft im Riechraum kaum vermindert. Erſt beim ſtoßweiſen Atmen, beim Schnüffeln, dringt die Luft tiefer in den Riechraum, beim Menſchen bis an die Grenze der Riechſchleimhaut: das ſcheint darauf zu beruhen, daß durch Erweiterung der Naſen— löcher bzw. der Nüſtern und durch kräftiges Anſaugen die Menge der eingeſogenen Luft vermehrt wird. Daher iſt mit dem Schnüffeln eine ſtärkere Einwirkung der Riech— ſtoffe verbunden. Nicht alle Säuger ſind in gleicher Weiſe mit ſcharfem Geruchſinn begabt: man unterſcheidet gut witternde oder osmatiſche, ſchlecht witternde oder mikrosmatiſche und nicht witternde oder anosmatiſche. Die Mehrzahl der Säuger ſind allerdings Osmaten. Mikrosmatiſch ſind die Hochtiere, alſo Affen und Menſch, anosmatiſch die Waltiere. Je beſſer ein Säugetier wittert, um ſo ver— wickelter iſt der Bau ſeiner Riechmuſcheln: bei den Osmaten umſchließen ſie, durch Unter- und Nebenmuſcheln vermehrt, ein labyrinthiſches Gewirr von Räumen, wie es im Aufriß ſchematiſch in der Abb. 403 A dargeſtellt iſt. Beim Menſchen dagegen ſind außer der Grenzmuſchel nur zwei Naſen— muſcheln von einfachem Bau vorhanden (Abb. 403 B), und die Riechſchleimhaut nimmt in jeder Hälfte nur noch etwa 250mm? ein; von dieſem Gebiet liegt die Hälfte, von der Größe eines Fünfpfennigſtücks, auf der oberen Muſchel, die andere Hälfte auf der Naſenſcheidewand (Abb. 404). Die Kürze des Halſes, die ein annäherndes Schleppen der Naſe am Boden unmöglich b Abb. 40. N 8 Ausbreitung der Riechſchleimhaut beim Menſchen. macht, und der aufrechte Gang der Hoch- Der Kopf iſt durch einen Schnitt rechts neben der Naſenſcheide⸗ e may file Dezenzgeringe Aöikterunge- all) man, Iediat, Dal Ile IR ante aaa ai inn lommen, Ron Meelumsen 2 dach Je ara I ige A mehr Gewicht iſt aber wohl die Konkurrenz, | * N die dem Riechhirn durch die Größenzunahme der Großhirnhemiſphären gemacht wurde: es ſcheint, daß dieſe Zunahme auf der einen eine Kompenſation auf der anderen Seite erforderte, daß alſo das bei den Osmaten mächtig entwickelte Riechhirn ſich verkleinerte, und ſeine Rückbildung auf das periphere Sinnesorgan zurückwirkte. Bei den anos— matiſchen Waltieren ſchließlich ſind keine Muſcheln vorhanden, der Naſenranm iſt glatt und dient nur noch als Atemweg. Die ganze auf das Waſſer beſchränkte Lebensweiſe der Wale bringt den Mangel jeglicher Riechſtoffe mit ſich, und die Rückbildung des Riechorgans iſt hier als eine Folge des Nichtgebrauchs anzuſehen. Die Schärfe der Geruchswahrnehmung iſt ſogar bei dem geruchſchwachen Menſchen noch erſtaunlich hoch und übertrifft weit das, was unſere künſtlichen chemiſchen Nachweis— mittel leiſten. Von Athermerkaptan z. B. reicht eine Menge zur Reizung des Riechorgans hin, die 250 Mal geringer iſt als die kleinſte Menge Merkaptan, deren Nachweis auf ſpektral— analytiſchem Wege noch gelingt. Bei Osmaten mögen noch geringere Mengen ausreichen. 656 Eigenart der Riechzellen. Wenn der Menſch einen ſo feinen Geruchſinn hätte wie der Hund, ſo würde nicht bloß ſein Sinnesleben, ſondern ſeine geſamte Vorſtellungswelt dadurch eine einſchneidende Anderung erfahren. In unſerem Denken herrſchen Geſichts- und Gehörvorſtellungen bei weitem vor, und nur verhältnismäßig ſelten geſchieht es, daß wir durch einen Ge— ruchsreiz an etwas Vergangenes erinnert werden. Mit den meiſten Perſonen, Räumen, Erlebniſſen verbinden wir gar keine Geruchsvorſtellungen. Es iſt kein Zweifel, daß uns damit eine ſehr intereſſante Seite der uns umgebenden Welt zum größten Teil ver— borgen bleibt. Man hat gewiſſe Anhaltspunkte dafür, daß nicht alle Riechzellen durch alle Riech— ſtoffe gereizt werden können; vielmehr ſcheinen die Riechzellen ihre Eigenart zu haben, und wir gehen wohl nicht fehl mit der Annahme, daß in der Riechſchleimhaut ver— ſchiedene Arten von Riechzellen nebeneinander vorhanden ſind. So kommt es vor, daß Individuen beſtimmten Gerüchen nicht zugänglich ſind, z. B. der Vanille oder der Re— ſeda; man nennt das partielle Anosmien. Wenn eine experimentell erzeugte Riech— unfähigkeit ſchwindet, ſo kehrt nicht die Empfänglichkeit für die verſchiedenen Gerüche gleichmäßig zurück, ſondern zuerſt die für brenzliche Gerüche (Kreoſot, Teer), dann die für hirciniſche (Hammeltalg, Kapronſäure), dann die für ekelhafte und zwiebelartige (Mer— kaptan), ſchließlich für ätheriſche und balſamiſche, zuletzt für Opium und Moſchusgeruch. Die unendliche Mannigfaltigkeit der in der Natur vorkommenden Gerüche würde ſich dann durch Miſchung erklären, wobei die einzelnen Komponenten am Geſamtgeruch verſchieden ſtark beteiligt wären. Eine genaue experimentelle Prüfung dieſer an ſich ſehr wahrſcheinlichen Annahme iſt jedoch wegen der unzugänglichen Lage der Riechſchleimhaut unmöglich. 5. Sehen und Sehorgane. a) Allgemeine Grundlagen. Jene Modifikationen der Atherſchwingungen, die wir als Licht empfinden, haben auf die Lebeweſen vielfachen Einfluß und rufen Reaktionen der verſchiedenſten Art hervor. Das Licht in der Intenſität und Miſchung wie es uns von der Sonne zukommt, iſt kein allgemeiner Plasmareiz; nicht jede Zelle reagiert auf plötzliche Belichtung oder Verdunke— lung. Auch ein allgemeiner Nervenreiz iſt es nicht. Man kann einen Froſchmuskel zum Zucken bringen, indem man ſeinen Nerven durch die verſchiedenartigſten Reize er— regt: durch mechaniſche Reize, indem man ihn drückt, durch chemiſche Reize, indem man ihn mit Säure oder mit Salzlöſungen betupft, durch thermiſche Reize mittels Erwärmung. durch elektriſche Reize; aber auf optiſche Reizung des Nerven erfolgt keine Reaktion; ebenſo iſt auch die direkte optiſche Reizung eines gewöhnlichen Muskels erfolglos. Immerhin gibt es beſonders ausgeſtattete Zellen, die auf Lichtreiz reagieren. Läßt man auf ein Chamäleon, das ſich im Dunkeln befindet, einen ſchmalen Streifen Licht fallen, ſo hebt ſich binnen kurzem die dadurch betroffene Stelle in ſcharfer Begrenzung dunkel von der übrigen Haut ab: die Pigmentzellen, die hier liegen, haben ſich unter dem unmittelbaren Einfluß des Lichtes ausgebreitet. Wird ein ausgeſchnittenes Stück der Haut des Tintenfiſches (Loligo), an dem die Nerven durch Atropinvergiftung aus— geſchaltet ſind, beſtrahlt, ſo erweitern ſich die Farbzellen derſelben, und zwar bei blauem Licht zuerſt die gelben, bei gelbem Licht zuerſt die violettroten: hier können es nur die Farb— zellen ſelbſt ſein, die durch das Licht gereizt wurden. Während Muskeln im allgemeinen nicht auf Lichtreiz antworten, ziehen ſich die Irimuskeln des Froſches bei Belichtung zu— Diffusverbreitete Sehorgane. 657 ſammen; dies geſchieht auch dann noch, wenn das herausgenommene Auge 14 Tage lang in einer feuchten Kammer aufbewahrt wurde, wenn alſo mit größter Wahrſcheinlichkeit alle Nerven abgeſtorben ſind; es muß alſo auf unmittelbarer Beeinfluſſung des Muskels durch das Licht beruhen. Dieſe Wirkungen haben aber nichts mit Sinnestätigkeit zu tun. Die Arbeit eines Sinnesorgans, das durch Licht erregbar iſt, beſteht vielmehr darin, die Bewegung, auf der das Licht beruht, in eine andere Bewegung oder allgemeiner in eine andere Energie— form umzuſetzen, in Nervenerregung. Während aber die direkte optiſche Reizung von Zellen, die nicht Sinneszellen ſind, verhältnismäßig ſelten vorkommt, iſt die optiſche Reizung von Nervenendorganen überaus häufig. Dem Menſchen übermittelt ſie einen ſehr großen Teil deſſen, was er von der Welt weiß, und bei ſehr vielen Tieren können wir ſie mit Leichtigkeit beobachten. Eine Weinbergſchnecke zieht ſich bei Beſchattung zuſammen; Motten, Köcherfliegen, Schnaken fliegen dem Licht zu; eine Forelle im Bach, der wir zu— ſchauen, antwortet auf eine Bewegung, die wir machen, mit Flucht. Wenn wir bei ſolchen Tieren Organe kennen, die mit unſeren Augen eine Ahnlichkeit haben, ſo ver— muten wir in ihnen die Eingangspforte für den Lichtreiz. Häufig aber finden ſich bei Tieren, die auf Lichtreiz reagieren, keine Organe, die dem vom Menſchen hergenommenen Begriffe des Auges entſprechen. Ein Regenwurm, der bei Nacht aus ſeinem Loch hervorkommt, zuckt ſofort zurück, wenn ihn das Licht einer Blendlaterne trifft. Auſter oder Flußmuſchel (Unio), die ungeſtört mit etwas geöffneten Schalen daliegen, ſchließen dieſelben, ſobald ein Schatten auf ſie fällt. Dieſe Reaktionen auf Helligkeitswechſel ſind ſo plötzlich, daß man ſie nur einer Reizung von Sinnesorganen zuſchreiben kann: eine unmittelbare Reizung der Schließmuskeln iſt ja auch bei den Muſcheln unmöglich, da die Schale ſie der Belichtung völlig entzieht. Augen im gewöhnlichen Sinne ſind in keinem der Fälle da. Es ſteht aber immer die Möglichkeit offen, daß hier nicht ſpezifiſche Organe des Lichtſinns gereizt werden, ſondern andere Sinnesorgane, die anelektiv neben anderen Reizungen auch dem Lichtreiz zu— gänglich ſind. Beim Regenwurm läßt ſich durch Verſuche der Nachweis erbringen, daß die ſtärkſte Reizbarkeit durch Licht am Vorderende vorhanden iſt, daß das Hinterende beträchtlich weniger reizbar iſt, der übrige Körper aber nur in ganz geringem Maße. Mikroſkopiſche Unterſuchung zeigt dementſprechend am Mundlappen verſtreut in der Epidermis und unter derſelben Zellen mit Nervenfortſätzen, die durch eigenartige Binnenkörper an die Sehzellen der Egel erinnern. Dieſe Zellen ſind ihrer ganzen Beſchaffenheit nach rezeptoriſche Zellen. Der Lage nach können ſie dem chemiſchen und mechaniſchen Sinne nicht dienen; denn in der Epidermis reichen fie nicht bis an die Oberfläche, im Bindegewebe des Kopf— lappens und im Gehirn, wo ſich ebenfalls eine Anzahl findet, ſind ſie chemiſchen und mechaniſchen Reizen entzogen. Dagegen kann das Licht leicht bis zu ihnen durchdringen. Entſprechend der Reizbarkeit des Hinterendes durch Licht finden ſie ſich auch dort in ziemlicher Anzahl; am übrigen Körper ſind ſie ſehr ſpärlich. Wir dürfen ſie nach Bau, Lage und Verteilung mit einiger Wahrſcheinlichkeit als Sinnesorgane des optiſchen Sinnes, als Sehzellen anſehen. Hier iſt alſo die optiſche Reizbarkeit und ihre Organe nicht auf eng umſchriebene Augen beſchränkt, ſondern diffus verbreitet, wenn auch mit Bevor— zugung des Vorder- und Hinterendes. Dagegen bei den Auſtern, den Flußmuſcheln und vielen ähnlich reagierenden Muſcheln kennt man noch keine Organe des optiſchen Sinnes. Freilich hat man neuer— Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 42 658 Eigenſchaften der Sehorgane. dings ſolche gefunden bei einigen Cardium-Arten, die ähnlich wie die Auſtern auf Beſchattung reagieren, indem ſie ihre Siphonen ſchließen und einziehen. Damit iſt aber nicht ſichergeſtellt, daß auch bei jenen elektive Sehorgane vorhanden ſind. Wenn man ferner ſieht, daß eine Weinbergſchnecke, die der Augen beraubt iſt, doch noch auf Beſchattung zuſammenzuckt, ſo möchte man der Vermutung Raum geben, daß hier vielleicht anelektive Sinnesorgane bei der Rezeption von Lichtreizen im Spiel ſind. Daß man elektive Seh— organe noch nicht aufgefunden hat, berechtigt freilich nicht zu dem Schluß, daß keine vorhanden ſind. Aber auch wenn ſolche vorhanden ſind, ſo weichen ſie doch oft in Bau und Funk— tionsweiſe ſo ſehr von den Sehorganen des Menſchen und der Wirbeltiere ab, daß wir Bedenken tragen müſſen, ſie als „Augen“ zu bezeichnen und bei ihnen im land— läufigen Sinne von „Sehen“ zu ſprechen. Um den bequemen Ausdruck „Sehen“ ge— brauchen zu können, müſſen wir ihn in ſeiner Bedeutung verallgemeinern und genau definieren. Unter Sehen verſtehen wir, mit Max Schultze, „die Umwand— lung derjenigen Bewegung, die uns als Licht erſcheint, in eine andere Bewegung, die wir Nervenleitung nennen“. Die Be— zeichnung „Augen“ wird beſſer auf ſolche Organe des optiſchen Sinnes beſchränkt, die ein Bildſehen ermöglichen. Aber ſcharf läßt ſich eine ſolche Unterſcheidung nicht durchführen. Wenn von Sehorganen im 8 . allgemeinen die Rede iſt, ſo muß man Abb. 405. Alciopiden-Auge im Medianſchnitt. ſich dabei bewußt bleiben, daß über die ens ne dee Höhe ihrer deiſtung damit feine Ausſage zur Abflachung der Epidermiskuppel über der Linſe, 6 Glaskörper— gemacht wird. brdermis überzogen, 10 daß das dict ungeſchwächt u den Seh. Alle Sehorgane, die bisher genauer benen diet getoſfn werben, vag die Linse yoffert hek. unterſucht worden find, haben eine gemein ſame Eigenſchaft: die aufnehmenden Ele— mente in ihnen ſind ſtets primäre Sinneszellen. Dieſe ſtammen überall, wo ihre Herkunft nachgewieſen werden konnte, vom Ektoderm ab. Nie finden ſich freie Nervendigungen oder ſekundäre Sinneszellen als Endorgane. Alles andere, was ſich an Sehorganen mit mehr oder weniger großer Regelmäßigkeit findet, ſind Zugaben, die zwar oft eine wichtige Rolle ſpielen, aber für die optiſche Reizbarkeit nicht weſentlich ſind. Das gilt für Linſe, Glaskörper, Iris und dergleichen Hilfsapparate; die alten Anatomen vor 100 Jahren glaubten, an einem Sehorgan alle dieſe vom Wirbeltierauge bekannten Teile wiederfinden zu müſſen. Das gilt aber auch für den dunklen Farbſtoff, der die Sehorgane ſo häufig begleitet, das Pigment. Da das Licht nicht allgemein das Protoplasma reizt, jo müſſen die Sehzellen beſondere Einrichtungen beſitzen, die ſie dem Reize zugänglich machen, ſogenannte Trans— formatoren. In vielen Fällen nämlich iſt es leicht zu erkennen, daß nicht die ganze Zelle für Lichtreiz zugänglich ſein kann. Bei manchen ſehr durchſichtigen Tieren des Freie Neurofibrillenenden als Transformatoren. 659 Meeres ſind große Teile der Sehzellen und der geſamte Sehnerv den Lichtſtrahlen von allen Seiten ausgeſetzt, und nur beſtimmte Abſchnitte der Zellen ſind durch Pigment optiſch iſoliert und ragen in die Camera obſcura hinein, in der durch die Linſe ein Bild der umgebenden Gegenſtände entworfen wird: das gilt z. B. für die Sehorgane ſo durchſichtiger Tiere wie der freiſchwimmenden Ringelwürmer, der Alciopiden (Abb. 405) oder der Qualle Charybdea oder der Schwimmſchnecken (Heteropoden), wo das Licht allſeitig an die Oberfläche der Augen gelangen kann. Die optiſche Iſolierung wäre hier völlig zwecklos, wenn Lichtſtrahlen jeder Herkunft, die die nicht iſolierten Körper der Sehzellen oder den Sehnerven treffen, dort eine Erregung hervorrufen könnten. Als Transformatoren oder beſſer als Stellen, wo die Transformatoren zu ſuchen ſind, kann man alle als Stäbchen oder Zapfen bezeichneten Abſchnitte der Sehzellen betrachten. Aber äußerlich abtrennbare Stäbchen 757 8 und Zapfen ſind nicht bei allen Sehzellen vorhanden. Das aber, was allen dieſen NW Zellabſchnitten gemeinfam zu fein ı a — ſcheint, find freie Neurofibrillenenden; = . ſolche finden ſich auch in anderen Seh— 3 zellen und ſind dort jetzt in großer I, (jr Ausdehnung nachgewieſen (Abb. 406). Ss — Bei vielen Tieren enthalten die Seh— = 0 1 zellen ſehr zahlreiche Neurofibrillen, = U I deren freie Endabſchnitte etwas ver- 1 N dickt ſind und ſenkrecht zur Ober— et fläche der Zelle, wie die Borſten einer 0 Bürſte nebeneinander ſtehend, eine Rue: N Kappe über einen Teil der Zelle 4 0 IN Jh ö bilden, die ſich auf Schnitten durch SR , 1 dieſelbe als Saum darſtellt, den ſoge- | - SS LI HG A. 95 nannten Stiftchenſaum (Abb. 406 A und Abb. 406. Sehzellen von Weichtieren. een hellen ien u 00 B von der Kiemenſchnecke Turbo, © von der führen allerhand Übergänge zu einem Kammuſchel Pecten. 1 Neurofibrillenenden, 9 einfachen pinſelartigen Büſchel von | Werfer e eh Sen Neurofibrillen (Abb. 406 B), und in ⁊ ..;ßxVXͤ a—.h— manchen Sehzellen ſind nur ganz wenige oder gar nur eine ſolche Fibrille vorhanden (C). Im allgemeinen läßt ſich ſagen, daß dort, wo nur wenige Sehzellen in einem Sehorgan beiſammen ſtehen, die Zahl der Neurofibrillen eine große iſt; wenn die Sehzellen ſich mehren, nimmt die Zahl der Neurofibrillen in der einzelnen Zelle ab; ſind ſie ſehr zahlreich, ſo ſind wenige oder nur noch eine Fibrille vorhanden: ſo ſtehen in dem Sehorgan der Meeresnacktſchecke Pleurobranchus membranaceus Mtros. nur 8-10 Sehzellen, jede von ihnen hat einen ſehr ausgedehnten Stiftchenſaum; in den „Augen“ einer unſerer Nacktſchnecken, Limax maximus L., ſind die Sehzellen viel zahlreicher (über 100) und die Stiftchenſäume auf einen viel kleineren Teil ihrer Oberfläche beſchränkt; bei den Meeresſchnecken Murex und Turbo zählen die Sehzellen nach Tauſenden, und jede trägt einen Stiftchenpinſel, und bei den Tintenfiſchen, wo wie im Menſchenauge Millionen von Sehzellen vorhanden find, enthält jede nur eine Neurofibrille. Die freien Neurofibrillenenden ſind bei jo zahlreichen Sehorganen in den Sinneszellen nachgewieſen, i 42* 660 Aufgabe des dunklen Pigments in den Sehorganen. daß es der Wahrſcheinlichkeit der hier entwickelten Annahme kaum Abbruch tut, daß in manchen Fällen dieſer Nachweis noch nicht gelungen iſt. Um zu den urſprünglich in der Epidermis liegenden ektodermalen Sehzellen nur die optiſchen Reize zuzulaſſen und ſie vor mechaniſchen, chemiſchen und thermiſchen Reizen zu ſchützen, gibt es verſchiedene Mittel: Schutz der Zellen durch eine dicke Kutikularſchicht, oder was bei weitem das häufigſte iſt, Verlagerung der Zellen in die Tiefe. Dort können die Lichtſtrahlen in faſt ungeſchwächter Stärke ſie erreichen — man denke nur, wie durch die verhältnismäßig dicke und dichte Gewebeſchicht unſerer Ohrmuſchel das Licht durchſcheint — andere Reize jedoch werden ferngehalten. Die Verſenkung der Sehzellen kann verſchieden geſchehen: entweder ziehen ſie ſich einzeln in die tiefen Schichten der Epidermis oder ins ſubepidermale Bindegewebe oder, wie bei Capitelliden und Regenwürmern, gar bis in das Gehirn zurück; oder ſie bleiben im Epidermisverbande, und der ganze Bezirk, den ſie einnehmen, ſenkt ſich ein: ſo entſtehen Sehgruben oder wenn dieſe ſich durch Verwachſung ihrer Ränder ganz von der Oberfläche abſchnüren, blaſenförmige epitheliale Sehorgane, wie z. B. bei den Schnecken. b) Die verfchiedenen Wege der optiſchen Ifolierung. Bis in die neueſte Zeit hat ſich die Anſchauung erhalten, daß das Pigment für die optifche Reizbarkeit weſentlich ſei. Man konnte leicht zu der Anſicht kommen, daß normaler Weiſe alle Sehorgane Pigment enthalten. Denn bei den niedrig organiſierten Sehorganen vieler wirbelloſer Tiere war das Pigment der nächſte Anhaltspunkt, der zu dem Auffinden dieſer Bildungen führte. In der Tat kennt man auch jetzt nur wenige Sehorgane, denen Pigment fehlt; aber es gibt ſolche. Die gleichen Sehzellen, die in den anerkannten Sehorganen des Blutegels in einem Pigmentbecher angehäuft vorkommen, findet man auch verſtreut unter der Epidermis des Egels, ohne daß ſie dort von Pigment begleitet wären. Ja, es gibt andere Egel, wie die auf Seefiſchen ſchmarotzende Pontob— della muricata Lam., wo nur ſolche zerſtreute Sehzellen ohne begleitendes Pigment vorhanden ſind. Die Annahme, daß die Zellen in ſolchem Falle andere Verrichtungen hätten als da, wo fie in einem Pigmentbecher vereinigt ſind, hat doch ſehr geringe Wahrſcheinlichkeit für ſich. Es gibt noch mehr Beiſpiele der Art. Als nächſtliegendes ſei nur angeführt, daß albinotiſche Menſchen, denen alles Pigment, auch in der Netzhaut, fehlt, ganz ſicher bei nicht zu grellem Licht deutlich ſehen können. Wenn nun das Pigment trotzdem den meiſten Sehorganen zukommt, ſo muß es doch immerhin eine wichtige Aufgabe haben. Dieſe beſteht offenbar darin, daß es Licht aus beſtimmten Richtungen von der Sehzelle fernhält, aus anderen aber zu ihr gelangen läßt, daß es die Sehzelle für ganz beſtimmt gerichtetes Licht ſpezialiſiert, daß es ſie optiſch iſoliert. Zu Sehzellen, in deren Nähe kein Pigment liegt, wie zu denen des Regen— wurms, können von allen Seiten Lichtſtrahlen gelangen, ſoweit es die Durchſichtigkeit des umgebenden Gewebes erlaubt. Unterſchiede im Reizerfolg werden nur durch die größere oder geringere Intenſität des reizenden Lichtes bedingt, nicht durch Richtung, Form, Ruhe oder Bewegung der Lichtquelle. Ein ſolches Sehen kann man Hell— dunkelſehen nennen. Das bloße Helldunkelſehen, wie es den pigmentloſen Sehorganen beim Regenwurm und bei Pontobdella oder den Siphonen vieler Muſcheln zukommt, genügt den einfachen Lebensverhältniſſen dieſer Tiere. Der im Boden lebende Regen— wurm kommt nur bei Regenwetter oder bei Nacht heraus, wenn ſeine Feinde, wie Amſeln u. dgl., nicht auf der Nahrungsſuche ſind, und wird daher durch Licht in ſeine ern Optiſche Iſolierung durch Pigment. 661 Röhre zurückgeſchreckt. Starkſchalige Muſcheln wie Venus oder die Herzmuſchel (Cardium) liegen offen auf dem Sande mit ausgeſtreckten Siphonen; ſie ziehen dieſe ſofort ein, wenn ſie von einem Schatten getroffen werden, der etwa das Nahen eines beutelüſternen Krebſes oder Fiſches verkündigen kann; jene Muſcheln dagegen, die im Sande verborgen leben und nur die äußerſten Enden ihrer Siphonen daraus hervorſehen laſſen, wie die Sandmuſchel (Psammobia) oder die Scheidenmuſchel (Solen), werden, wenn ſie in ver— dunkelten ſandloſen Glasgefäßen ihre Siphonen aus— geſtreckt haben, durch plötzliche Belichtung zu heftigem Einziehen derſelben veranlaßt: unter ihren natürlichen Lebensverhältniſſen bedeutet Belichtung ein Entfernen des ſchützenden Sandes, kündet alſo Gefahr an. Wenn dagegen eine Sehzelle auf einer Seite an einer Pig— mentwand lehnt, ſo iſt ſie für Lichtſtrahlen, die von dieſer Seite kommen, nicht zugänglich. Eine ſolche Abb. 407. Sehorgan des Egels Bran- Pigmentblendung einfachſter Art iſt bei dem Rochen— V 1 Sehzellen, 2 Pigmentſcheidewand, 3 Epidermis. egel (Branchellion torpedinis Sav.) verwirklicht (Abb. 407); im Mundſaugnapf ſteht ein Paar ſolcher Pigmentwände, jenfrecht zur Ober— fläche und zur Medianebene, ſymmetriſch zueinander, und auf beiden Seiten liegen ihnen eine Anzahl Sehzellen dicht an. Die von vorn kommenden Lichtſtrahlen reizen nur die Sehzellen vor den Blendungen, von hinten kommende Strahlen reizen die Sehzellen hinter den Ben- ßwß / ü: dungen; ſolche, die von rechts z oder links kom— Ae men, reizen alle Sera elle: Sehzellen. So iſt der Geſamt⸗ erfolg der Rei— zung verſchieden, je nach der Rich— tung der Licht— quelle. Wir wol— len dieſe Art Sehen als Rich— tungsſehen be— eichnen Abb. 408. Pigmentbecherocelle von Strudelwürmern, A von Planaria torva NM. 5 2 Schultze, B von Pl. gonocephala Dug. Die optiſche In A: 1 Epidermis, 2 Sehzellen, 3 Stiftchenſaum, 4 Pigmentzelle und 5 deren Kern. In B: 1 Kerne 3 der Sehzellen, 2 Stiftchenſaum, 3 Pigmentzellen; Licht, das in der Richtung des Pfeiles 4 in den Ocell Iſolierung durch einfällt, reizt iftchenſä fi geiles 1 J 9 einfällt, reizt alle Stiftchenſäume, Licht von der Richtung des Pfeiles 5 nur diejenigen, die nach unten 2 Ä . . .. Linie liege 3 aus Ri 5 ie Stiftchenſäume nach oben von der ---- Linie. eine flache Pig⸗ von der Linie liegen, ſolches aus der Richtung 6 nur die Stiftchenſäume nach o der i 55 2 mentwand iſt ſehr unvollkommen: Lichtſtrahlen aus vielerlei Richtungen haben noch den gleichen Reizerfolg. Sie wird vollkommener, wenn die Pigmentwand ſich wölbt und die Sehzellen von mehreren Seiten umfaßt, wenn ſie zu einer Schale oder einem Becher wird (Abb. 408). Je enger und tiefer der Pigmentbecher iſt, um ſo weniger Lichtſtrahlen können bis zu ſeinem Grunde gelangen: nämlich nur die Strahlen, deren Richtung ganz oder nahezu 662 Pigmentbecherocelle. mit derjenigen der Becherachſe zuſammenfällt. Birgt der Becher nur eine Sehzelle, ſo iſt er meiſt enger und tiefer; enthält er aber deren zahlreiche, ſo iſt er meiſt weit und verhältnismäßig flach; es ſind dann die Zellen am Rande einem viel größeren Strahlen— kegel ausgeſetzt als die tieferen, und die verſchieden gerichteten Strahlen treffen ver— ſchiedene und ungleich viele Zellen; die ſtärkſte Reizung wird hervorgerufen durch die axial einfallenden Strahlen, da dieſe alle Sehzellen treffen. Das Sehorgan iſt in beiden Fällen für Strahlen aus einem beſtimmten Bezirk zugänglich, den wir als ſein Sehfeld bezeichnen wollen Die Leiſtung iſt ein vollkommeneres Richtungsſehen. Ein Seh— organ, bei dem die lichtrezipierenden Enden der Sehzellen in einem Pigmentbecher ge— borgen ſind, heißt ein Pigmentbecherocellus. Dabei iſt es für die Leiſtung völlig gleichgiltig, ob der Becher aus geſonderten Pigmentzellen beſteht und die Sehzellen von ſeiner offenen Seite in ihn hineinragen, wie bei den im Parenchym gelegenen Pigment— becherocellen mancher Strudelwürmer, z. B. Planaria gonocephala Dug. (Abb. 408 B), oder ob die Sehzellen ſelbſt die Becherwandung bilden helfen und das Pigment in ihnen Sa. oder den zwiſchen ihnen ſtehenden indifferenten Epithelzellen liegt, rn während nur die lichtrezipierenden Abſchnitte der Sehzellen in den EN Becher hineinragen, wie bei der Napfſchnecke Patella (Abb. 413 A). 71 1 Die Leiſtungsfähigkeit eines einzelnen Pigmentbecherocells iſt ver— Ye; 7 Hältnismäßig gering, beſonders wenn nur wenige Sehzellen darin ent- 5 halten ſind. Ocelle mit zahlreicheren Sehzellen ſind gewöhnlich nur in einem Paar vorhanden, wobei ſich die Pigmentbecher nach ent— | gegengeſetzten Seiten öffnen; jo iſt es vor allem bei vielen Strudel— würmern und manchen Schnurwürmern; nur bei den Egeln kommen ü wohl auch drei, beim Blutegel und unſerem Roßegel (Haemopis) ſogar Borderente des fünf Paare größerer Pigmentbecherocelle vor. Wenn dagegen die Ocelle Meeres Strudel nur eine Sehzelle enthalten, ſind ſie meiſt in großer Zahl vorhanden wurms Prosthio- stomum siphuncu- und dann jo angeordnet, daß ihre Achſen nach verſchiedenen Richtungen ee N auseinander ſtrahlen und ihre Sehfelder ſich ergänzen. Bei einem ee unſerer Süßwaſſerſtrudelwürmer, Polyeelis nigra Ehrbg., ſteht am 5 10 Rande des vorderen Körperdrittels eine Reihe von 50— 70 Pigment— becherocellen, bei vielen meerbewohnenden Strudel-, Schnur- und Ringelwürmern ſind ſie am Vorderende des Körpers in noch weit größerer Zahl vorhanden (Abb. 409). Die Wirkung ſolcher Anhäufung iſt leicht zu erkennen: die Sehfelder der einzelnen Ocelle grenzen mehr oder weniger dicht aneinander und decken ſich vielleicht mit ihren Rändern, der geſamte Sehapparat beherrſcht ein großes Gebiet. Wenn ein leuchtender Punkt ſich an dem Tiere vorbeibewegt, ſo werden die Sehzellen in den Ocellen, deren Sehfelder er durchläuft, nacheinander gereizt, und je nach der Bewegungsrichtung iſt die Auswahl und Reihenfolge der Einzelreize verſchieden. So wird alſo ein Bewegungsſehen möglich. Wenn die Pigmentbecherocelle unter regelmäßiger Divergenz ihrer Achſen dicht ſtehen und ſich ihre Sehfelder eng aneinander ſchließen, wie es bei den röhrenförmigen Ocellen an den Kiemenſpitzen des Ningelwurms Branchiomma (Tafel 9) der Fall iſt, werden ſchließlich die Anfänge eines Bildſehens möglich. Ein Gegenſtand, der in dem Geſamtſehfeld liegt, wird nämlich die einzelnen Ocelle verſchieden ſtark reizen, je nach der größeren oder geringeren Lichtſtärke des Abſchnittes, der das betreffende Sehfeld aus— füllt (Abb. 410). Die Kombination der Reize iſt dann verſchieden, entſprechend der ver— 1 Muſiviſches Sehen. 663 ſchiedenen Geſtalt der Gegenſtände und der ungleichen Lichtſtärke ihrer Teile. Je größer die Zahl der einzelnen Ocelle iſt, je enger beſchränkt ihre Sehfelder ſind und je mehr ſich dieſe nur berühren, aber nicht decken, um ſo mehr wird die Verſchiedenheit der Gegenſtände auch eine ſolche der Reizkombination im Gefolge haben, d. h. im Sinne menſchlicher Sinnestätigkeit geſprochen, um ſo deutlicher wird das Bild des Gegenſtandes wahrge— nommen. Dieſes Bildſehen, das durch Anhäufung zahlreicher Sehorgane mit engem Sehfeld und divergierenden Achſen zuſtande kommt, hat Johannes Müller, der es zuerſt für das zuſammengeſetzte Auge der Gliederfüßler poſtuliert hat, als muſiviſches Sehen bezeichnet, weil der Geſamtreiz aus den die Einzelorgane treffenden Reizen ſich zuſammenſetzt wie ein Moſaikbild (muſiviſches Bild) aus Steinchen. Unter den gleichen Anordnungsverhältniſſen, die ein muſiviſches Sehen geſtatten, wird auch die Bewegung von Gegenſtänden in der Richtung auf den Sehapparat zu und von ihm fort verſchiedene Reizerfolge hervorrufen. Ein beiſpielweiſe quadratiſcher Gegenſtand, der ſich in einer Entfernung von Jem vom Seh— apparat mit ſeiner Breite über N J ee 10 Einzelſehfelder erſtreckt, im F * ganzen alſo etwa 100 Sehfelder „ 5 einnimmt, wird in 2 em Ent— 55 5 fernung nur noch 5 Sehfelder . in der Breite und 25 Sehfelder im ganzen ausfüllen und gar in 5 em Abſtand nur noch 2 Sehfelder in der Breite, 4 Sehfelder im ganzen. Die Zahl der erregten Pigment— becherocelle und damit die In— tenſität des Geſamtreizes muß alſo zunehmen, wenn ein Gegen— Abb. 410. Schematiſche Darftellung des muſiviſchen Sehens am 8 15 er Querſchnitt durch das Kiemenauge von Branchiomma. ſtand ſich nähert, ſte muß ab⸗ 7 Einzelaugen, beſtehend aus einer Sehzelle, die in einer Pigmentröhre ſteckt, 5 587 2 Achſenſtrang der Kieme, 3 Epithelzellen. Die punktierten Linien begrenzen die nehmen, wenn er ſich entfernt. ee Um dieſe Auseinander— ſetzungen über die Leiſtungsfähigkeit der Pigmentbecherocelle noch durch ein paar Bei— ſpiele zu erläutern, wollen wir einige Reihen betrachten, in denen bei verwandten Tier— formen durch verhältnismäßig geringe Abänderungen die Leiſtungsfähigkeit des Seh— apparats ſich in zunehmendem Maße ſteigert. Bei den Seeſternen, der einzigen Gruppe der Stachelhäuter, wo die Sehorgane genügend unterſucht ſind, ſtehen ſie an der Spitze jedes Armes als ein kleines, pantoffel— förmiges Polſter, das durch ſeine rote Pigmentierung auffällt. Im einfachſten Falle, bei Astrospecten mülleri und pentacanthus M. T., ſtehen, gleichmäßig verteilt zwiſchen den Epithelzellen dieſes Polſters, Sehzellen, die nicht ganz bis an die Oberfläche des Epithels reichen; ſie tragen an ihrem freien Ende ein deutlich abgeſetztes Stäbchen, und ihr baſales Ende iſt in eine Nervenfaſer ausgezogen (Abb. 411 A). Das rote Pigment liegt in den Sehzellen, das Stäbchen iſt frei davon. An der Grenze zwiſchen Sehzelle und Stäbchen ſetzt eine feine, der Epitheloberfläche parallele Membran an, die die Sehzellen miteinander verbindet. Die optiſche Iſolierung wird nur durch die polſter— 664 Sehorgane der Seeſterne. artige Wölbung des Sehepithels bedingt: die von rechts kommenden Strahlen treffen die am linken Abfall des Polſters ſtehenden Sehzellen nicht, und umgekehrt. Bei Tw... ende aber ſind die Sehzellen nicht gleichmäßig über das Seh— polſter verteilt, ſondern ſind zu Gruppen ange— häuft: hier ſte— hen ſie ſo, daß ſie eine fingerhut⸗ förmige Grube begrenzen, in die Seeſternen: 4 Astropecten n aurantiacus L., O0 Asterias den Enden, die 1 Sehzellen, pigmentiert, am freien En Stäbchen tragend, 2 deren Nervenfaſern, 3 Stützzellen, Stäbchen, hin⸗ 4 Linſe. In Anlehnung an W. Pfeffer. einragen. Die optische Iſolierung der Stäbchen geſchieht durch das Pigment der Sehzellen ſelbſt. So kommen Pigmentbecherocelle mit divergierenden Achſen zuſtande, und die Leiſtungsfähig— keit wird geſteigert, ohne daß dazu eine 4. Vermehrung der Sehzellen notwendig wäre. Dieſen Zuſtand zeigen die Seh— organe z. B. bei Astrospecten aurantia- cus L. (Abb. 411 B). Die Menge des in die Ocelle gelangenden Lichtes kann noch dadurch vermehrt werden, daß die den Sehbecher umgebenden Epithelzellen über demſelben eine Sammellinſe ab— ſcheiden, wie wir das bei Asterias gla- cialis Müll. u. a. finden (C). Auf den Kiemen oder den Körper— ringeln mancher limivoren Ringelwürmer des Meeres begegnen uns einzelne epi— theliale Sehzellen, mit einer röhren— förmigen Pigmenthülle umgeben. Die Pigmentröhre wird von Nachbarzellen gebildet und iſt zwar am baſalen Ende nicht völlig geſchloſſen, aber doch ſo ver— engert, daß ſie funktionell einem Pig— Abb. 412. Sehorgane aufden Kiemen von Ringelwürmern, mentbecher gleichwertig iſt. Die Sehzelle Avon Hypsicomus, B von Protula, C von Sabella. 5 5 = 25 8 7 f enthält in ihrer baſalen Hälfte, ziemlich tief in der Pigmentröhre und daher optiſch wirkſam iſoliert, einen Stiftchenſaum, und iſt gegen äußere Einwirkungen mechaniſcher und chemiſcher Natur durch eine dicke Kutikularplatte von Kegel- oder Halbkugelform geſchützt, die wohl zugleich die parallel rr Sehorgane limivorer Ringelwürmer. 665 der Becherachſe auffallenden Strahlen auf dem Stiftchenſaum vereinigt. Vereinzelt ſtehen dieſe Ocelle auf den Körperringeln von Myxicola; zu Gruppen vereinigt finden ſie ſich auf den Kiemen von Röhrenwürmern (Abb. 412). Es iſt lehrreich, die ver— ſchiedenen Stufen der Gruppierung zu vergleichen: bei Hypsicomus (A) ſtehen auf jeder Kieme zwei lockre Gruppen von Ocellen; in jeder Gruppe ſind die Achſen der Becher divergent, liegen aber in einer Ebene; enger wird der Verband der Ocelle in einer Abb 413. Schematiſche Medianſchnitte durch die Sehorgane von Schnecken, Avon Patella, B von Haliotis, C von Buceinum. 1 Sehzellen, 2 Stäbchen, 3 Sekretmaſſe, 2 Nervenfortſätze der Sehzellen (Sehnerv), 5 Epidermis, 6 Bindegewebe, 7 vordere Wandung der Augenblaſe, s Linſe. Gruppe bei Protula (Taf. 9), wo die Achſen etwa von einem Punkt aus nach verſchie— denen Richtungen des Raumes ausſtrahlen (B). Bei Sabella (C) drängen ſich die Ocelle jo eng zuſammen, daß zwiſchen ihnen keine Zellen mehr ſtehen; bei der pyramidenförmigen Geſtalt der Einzelocelle kommt es dabei zu einer ganz regelmäßigen Divergenz der Achſen, und die Sehfelder ſchließen ſich eng aneinander. Statt der zwei Ocellgruppen, wie man fie bei Sabella findet, ſteht bei Branchiomma jedesmal nur eine Ocellgruppe aus viel zahlreicheren Einzelocellen am Ende jeder Kieme (Abb. 410 und Tafel 9). Im Vergleich zu den iſolierten Pigmentbecherocellen von Myxicola und den beſprochenen 666 Gruben- und blaſenförmige Sehorgane von Ringelwürmern und Weichtieren. lockeren Gruppen haben wir hier einen Sehapparat von weit höherer Leiſtungs— fähigkeit, der wahrſcheinlich ein einfaches muſiviſches Bildſehen ermöglicht. —B — — Sehr häufig ent— ee EI — a ſteht ein Pigmentbecher— % 2 , f UN — ocell dadurch, daß ein F , N N Epithelbezirk, der zahl- 7 / 8 RI LEN reiche epitheliale Seh— u / 8 zellen enthält, ſich gru— 170 en benförmig einſenkt. Die optiſche Iſolierung ge— ſchieht durch das Pig— ment, das in dem ein— BZ. III TE geſenkten Epithel ent— Ale.“ = RUN Face 10 halten iſt, entweder in U enn den Sehzellen oder in den dazwiſchen liegenden 5 Epithelzellen oder in 1 beiden. Die rezipieren— 8 den Enden der Seh— zellen ragen über die Abb. 414. Schematiſcher Medianſchnitt durch das Auge eines Raubanne—- b lä 2 liden (Syllis); das Pigment in den Sehzellen iſt fortgelaſſen. O U des Epithels 1 Kerne der Sehzellen, 2 Nervenfortſätze dieſer Zellen, 3 Stäbchen, 4 Kerne der Sekretzellen, hinaus in die Grube F und werden gegen Ein— wirkung mechaniſcher Reize durch die Verſenkung, gegen ſolche von ſeiten chemiſcher Reize durch ein Sekret geſchützt, das von den zwiſchenſtehenden indifferenten Epithelzellen, den ſogenannten Stützzellen, abgeſon— dert wird. Solche grubenförmigen epithelialen Pigmentbecherocelle ſind bei Weichtieren und Ringel— würmern nicht ſelten; ſie kommen bei manchen Arten der Feilen— muſchel (Lima) am Mantelrande, bei der Napfſchnecke (Patella, Abb. 413 A) auf den Fühlern vor, und unter den Ringelwürmern ſind es beſonders feſtſitzende und wenig bewegliche Formen, wie Spirogra- phis (Taf. 9), Ranzania, Sipho- nostoma, die an ihrem Kopfende Abb. 415. Schnitt el. jungen Larve des ſolche Sehbecher tragen. Wenn 1 Epidermis, 2 Kutikula, 3 Linſe, 4 Sehzellen mit Stäbchen 5 und Nerven— die Grube ſich vertieft und ihre eee Mündung enger wird, wie bei der Meerohrſchnecke (Haliotis, Abb. 413 B) oder dem Raubringelwurm Syllis (Abb. 414), ſo wird ſie von dem Sekret der Zwiſchenzellen ganz ausgefüllt, und wenn ſich vollends die Offnung der Grube unter Verſchmelzung ihrer Ränder ſchließt, ſo entſteht eine Blaſe, die mit Sekret erfüllt und deren proximale Wand von einem Sehepithel bekleidet iſt, 3 Linſenaugen. 667 wie bei Buceinum (Abb. 413 C) unter den Schnecken und bei Nereis unter den Raub— ringelwürmern. Das Sekret in dieſen gruben- und blaſenförmigen Sehorganen beſitzt eine ſtarke Lichtbrechung, und da es, wenn es die Grube oder Blaſe füllt, meiſt eine gewölbte Oberfläche hat, ſo wirkt es als Sammellinſe und macht die einander parallel oder wenig divergent auffallenden Strahlen konvergent, fo daß ſie nur einen beſchränkten Bezirk des Sehepithels treffen. Es kann ſich aber auch, wie bei den meiſten Schnecken (Abb. 413 C, 8) oder bei dem Ringelwurm Aleiope (Abb. 405), eine kugelförmige Linſe innerhalb der Sekretmaſſe differenzieren: ſo werden aus Pigmentbecherocellen Linſenaugen. In anderer Weiſe entſtehen die Linſen bei den Tintenfiſchen, den Wirbeltieren, den Gliederfüßlern; bei den letzteren bildet ſie ſich durch Verdickung der Körperkutikula über dem eingeſtülpten Sehepithel, eine Entſtehung, deren einfachſter Ablauf ſich aus den Linſenocellen der Larve des Schwimmkäfers Dytiscus (Abb. 415) leicht herausleſen läßt. Die Leiſtungen der Linſenaugen können auf zweierlei Weiſe geſteigert werden: entweder wird das Einzelorgan vervollkommnet durch Vergrößerung des ganzen Auges, Vermehrung der Sehzellen, durch Akkomodationsfähigkeit der Linſe, durch Hinzutreten von Hilfsapparaten, die den Lichtzutritt regulieren und das Auge bewegen: ſo beſonders in den Augen der Tintenfiſche und Wirbeltiere, oder es wird die Zahl der Einzelorgane vermehrt und zu muſiviſchem Zuſammenwirken angehäuft, in derſelben Weiſe, wie das für die Pigmentbecherocelle geſchildert wurde: ſo kommen die gehäuften und zuſammen— geſetzten Augen der Tauſendfüßer, Krebſe und Inſekten zuſtande. c) Die optifche Ifolierung durch Linſen. Mit der Linſe tritt neben dem Pigment ein neues Mittel der optiſchen Iſolierung auf. Eine Linſe iſt ein von zwei kugelförmig oder paraboliſch gekrümmten Flächen begrenzter Körper, der aus ſtark lichtbrechender Subſtanz beſteht. Je nachdem die Flächen gewölbt oder ausgehöhlt ſind, wirkt eine Linſe ſo, daß ſie das von einem Punkte auf ſie auffallende Licht ſammelt oder zerſtreut. In den Sehorganen der Tiere kommen nur Sammellinſen vor. Ihre Aufgabe iſt, die von einem leuchtenden Punkte ausgehenden parallelen oder wenig divergenten Strahlen, die auf ihre Vorderfläche fallen, in der Weiſe konvergent zu machen, daß ſie ſich in einem Punkte hinter der Linſe treffen, am beſten in einem Punkte des lichtrezipierenden Epithels, das hinter der Linſe liegt; damit ent— ſteht ein Bild des leuchtenden Punktes auf dem Sehepithel. Von mehreren leuchtenden Punkten, die einen leuchtenden Gegenſtand vor der Linſe zuſammenſetzen, wird eine ent— ſprechende Anzahl von Bildpunkten in ähnlicher, aber umgekehrter gegenſeitiger Anordnung hinter der Linſe entworfen: es entſteht ein umgekehrtes Bild des leuchtenden Gegenſtandes hinter der Linſe. Die Linſe bewirkt alſo, daß ein Strahlenbüſchel, das von einem in beſtimmter Richtung vor dem Auge gelegenen Punkte ausgeht, ſich auf einer beſtimmten Sehzelle vereinigt, zu anderen Sehzellen aber nicht gelangt, daß alſo eine beſtimmte Sehzelle oder ein Bezirk von ſolchen nur von Strahlen getroffen wird, die aus ganz beſtimmter Richtung auf die Linſe auffallen; jeder Sehzelle des Sehepithels iſt eine beſtimmte Richtung zugeordnet. Die Linſe iſoliert die Sehzellen optiſch, genau wie das Pigment in den Pigmentbecherocellen, und die Geſamtwirkung iſt, wie bei dichtſtehenden Pigmentbecherocellen mit divergenten Achſen, ein Bildſehen; aber während hier nur wenige Strahlen gleicher Herkunft, im günſtigſten Falle ſo viele als die enge Pigment— becheröffnung durchläßt, zu der Sehzelle gelangen, wird ſie dort von ſo vielen Strahlen getroffen, als auf die Oberfläche der Linſe fallen: die Linſenaugen ſind alſo viel licht— 668 Wirkungsweiſe der Linjen. ſtärker als die aus Pigmentbecherocellen zuſammengeſetzten Sehapparate. — Die Wirkung der durch die Linſe vereinigten Strahlen auf das Sehepithel iſt am größten, wenn keine anderen Strahlen zu dem Epithel gelangen können, als die durch die Linſe hindurch— gehenden. Daher finden wir die Linſe überall in Verbindung mit dem anderen Iſolierungsmittel, dem Pigment: die Linſenaugen ſtellen dunkle Räume dar, in die das Licht nur durch die Linſe gelangen kann. Es iſt das gleiche Prinzip der Camera obscura, das dem Bau unſerer photographiſchen Apparate zugrunde liegt: hier entwirft die Linſe das Bild der Gegenſtände auf der Mattſcheibe oder auf der „lichtempfindlichen“ photo— graphiſchen Platte, dort auf der lichtrezipierenden Fläche des Sinnesepithels. Um die Funktionsweiſe der Linſenaugen recht beurteilen zu können, iſt es notwendig, einige Eigentümlichkeiten der Linſen ins Gedächtnis zu rufen. Dabei werden am ein— fachſten bikonvexe Linſen mit gleichſtarker Wölbung ihrer beiden Grenzflächen der Betrachtung zugrunde gelegt. Der Punkt, in dem ſich die parallel der Linſenachſe auf die Vorderfläche der Linſe auffallenden Strahlen hinter ihr vereinigen, heißt der hintere Brennpunkt der Linſe, ſein Abſtand vom Linſenmittelpunkt die Brennweite. Die Entfernung des Brennpunktes von der Linſe, d. i. die ſtärkere oder ſchwächere Brechung der Strahlen, wird durch die Brechkraft der Linſe beſtimmt, und dieſe hängt wiederum von zwei Momenten ab, vom Stoff und von der Form der Linſe. Die Winkelablenkung, die ein Lichtſtrahl erleidet, wenn er aus einem optiſch weniger dichten in einen optiſch dichteren Stoff, bei ebener Grenzwand zwiſchen beiden, übertritt, bildet die Grundlage für die Berechnung des Brechungsexponenten für den einen Stoff im Verhältnis zum anderen; kennt man von zwei Stoffen, z. B. Glas und Waſſer, den Brechungsexponenten im Ver— hältnis zur Luft, ſo kann man daraus den von Glas im Verhältnis zum Waſſer oder umgekehrt leicht berechnen. Je größer der Brechungsexponent des Stoffes iſt, aus dem eine Linſe beſteht, um ſo größer iſt bei gleichbleibender Form ihre Brechkraft. Die Form der Linſe iſt inſofern für die Brechkraft maßgebend, als eine ſtärker gewölbte Linſe größere Brechkraft beſitzt als eine flachere. Da Waſſer optiſch dichter iſt als Luft, ſo hat dieſelbe Linſe im Waſſer eine geringere Brechkraft als in der Luft; denn der Brechungsexponent ihres Stoffes iſt im Verhältnis zum Waſſer kleiner als im Ver— hältnis zur Luft. Daher muß die Linſe eines Fiſchauges (Abb. 427) bei gleicher ſtoff— licher Beſchaffenheit ſtärker gewölbt ſein als die eines gleich großen Auges eines Landwirbeltieres (Abb. 430), wenn ſie das gleiche an Strahlenbrechung leiſtet. Sie iſt in der Tat nicht bloß viel ſtärker gewölbt, ſondern beſteht auch noch aus ſtärker brechender Subſtanz. Wenn der lichtausſtrahlende Gegenſtand ſo weit von der Linſe entfernt iſt, daß die Strahlen, die von einem Punkte desſelben auf die Vorderfläche der Linſe fallen, als parallel angeſehen werden können — bei einem Auge von der Größe des menſchlichen beträgt dieſe Entfernung etwa 60 m, bei kleineren Augen iſt ſie geringer — ſo fällt ſein Bild in die Ebene des Brennpunktes der Linſe. Ferner gibt es eine Stellung, wobei der Gegenſtand ebenſo weit von der Linſe abliegt wie ſein Bild nach der anderen Seite: die Entfernung des Gegenſtandes wie des Bildes vom Linſenmittelpunkt beträgt dann das Doppelte der Brennweite. Nähert ſich alſo z. B. einer Linſe mit einer Brennweite von 2 em ein Gegenſtand aus größerer Entfernung, etwa 3 m, bis auf 4 em, alſo bis zur doppelten Brennweite, jo macht ſein Bild nur einen Weg von 2 cm in der gleichen Richtung, und zwar verſchiebt es ſich um ſo ſchneller, je näher der Gegenſtand heran— kommt. Rückt jedoch der Gegenſtand noch dichter an die Linſe heran, ſo muß ſich das Akkomodation. 669 Bild außerordentlich ſchnell von der Linſe entfernen. Wenn alſo bei einem Linſenauge die Brechkraft der Linſe derart iſt, daß von einem Im entfernten Gegenſtande ein ſcharfes Bild auf der lichtrezipierenden Netzhautfläche entworfen wird, ſo muß dies Bild undeutlich werden, ſowohl wenn der Gegenſtand ſich nähert, als auch wenn er ſich ent— fernt; im erſteren Falle würde das ſcharfe Bild hinter die rezipierende Fläche fallen, bei größerer Entfernung dagegen vor dieſelbe. Einer Sehzelle, die hinter der Linſe liegt, iſt daher nicht nur eine beſtimmte Richtung, ſondern auch eine beſtimmte Entfer— nung zugeordnet, in der ein Punkt liegen muß, damit ein ſcharfes Bild von ihm auf dieſer Zelle entſteht. Da das rezipierende Element der Zelle aber nicht punktförmig auf die Ebene beſchränkt iſt, ſondern ſich in der Richtung gegen die Linſe ausdehnt, ſo iſt auch ſeine Entfernung nicht eine eng begrenzte, ſondern wir können von einer Entfer— nungszone ſprechen, die der Sehzelle zugeordnet iſt. Die Entfernungszonen der einzelnen Sehzellen reihen ſich nebeneinander zur Ent— fernungszone des geſamten Sehepithels, der Netz— haut oder Retina. Für dieſe Auseinanderſetzung läßt ſich kaum eine paſſendere Illuſtration finden als die Stirn— ocelle mancher Fliegen, ſpeziell der Schwebfliege Helophilus (Abb. 416). Die Retina zerfällt hier in zwei Abſchnitte, in deren einem die Seh— zellen mit ihren lichtrezipierenden Elementen der Linſe dicht anliegen, während ſie im anderen von ihr durch einen größeren Zwiſchenraum getrennt ſind. Offenbar ſind jene Sehzellen auf fernere, dieſe auf nähere Gegenſtände eingeſtellt. Da ſich nun das Bild fernerer Gegenſtände, die ſich auf das Auge zu bewegen, viel weniger verſchiebt Abb. 416. Stirnocell einer Schwebfliege (Helophilus). als dasjenige naher, jo erſtrecken ſich die rezipieren- 17 Senzellen mit kurzen Stäbchen, die der Linſe dicht den Elemente der Sehzellen im erſten Abſchnitte der anliegen, 2’ ſolche mit langen Stäbchen, die durch einen 8 Abſtand von der Linſe getrennt ſind, 2 Linſe, 3 Seh— Retina ſehr wenig in die Tiefe, im letzteren da⸗ nerv, 4 Körperkutikula, pigmentiert. Das Pigment in 9 g 75 5 85 den Sehzellen iſt durch Punkte wiedergegeben. gegen bilden ſie „Stäbchen“ von ziemlicher Länge. Es gibt nun Augen, bei denen die zugeordnete Entfernungszone verſchoben, ent— weder dem Auge genähert oder von ihm entfernt werden kann: das Auge kann daher auf ſeiner Retina je nach ſeiner Einſtellung ſcharfe Bilder von verſchieden entfernten Gegenſtänden auffangen. Dieſe Anderung der Einſtellung heißt Akkomodation. Die Akkomodation iſt in beſtimmter Weiſe beſchränkt: wenn ein Gegenſtand dem Auge zu nahe kommt, beim normalen Menſchenauge, z. B. näher als 13,5 em, dann verſchiebt ſich ſein Bild um einen ſo großen Betrag, daß es durch die möglichen Veränderungen der Einſtellung des Auges nicht mehr auf die Netzhaut gebracht werden kann. Eine Akkomodation iſt auf doppelte Weiſe denkbar: entweder wird die Entfernung der lichtrezipierenden Fläche von der Linſe verändert, oder es wird die Brechkraft der Linſe verändert. Beides findet ſich verwirklicht. Durch Verſchiebung der lichtrezipierenden Fläche gegen die Linſe geſchieht die Akkomodation bei Tintenfiſchen, Fiſchen und wahr— ſcheinlich bei der Ringelwurmfamilie der Alciopiden: für nahe Gegenſtände muß dann der Abſtand der Linſe von der Netzhaut größer ſein als für entferntere; es iſt die gleiche Art, wie man den photographiſchen Apparat einſtellt. Die Brechkraft der Linſe kann 1’ So 670 Iri natürlich nur durch eine Anderung der Linſenform beeinflußt werden, da eine Anderung des Stoffes der Linſe ſich nicht bewerkſtelligen läßt: für nahe Gegenſtände wird die Linſe ſtärker gewölbt als für ferne. Auf dieſe Weiſe geſchieht die Akko— modation bei Vögeln und Säugern. Die Linſen in tieriſchen Augen entſprechen meiſt den optiſchen Er— forderniſſen nicht ſo genau, daß alle von einem leuchtenden Punkte auf die Vorderfläche der Linſe fallenden Strahlen genau in einem Punkt ver— einigt werden. Meiſt geſchieht das nur mit den Strahlen, die auf den mittleren Bezirk der Vorderfläche auftreffen; die übrigen Strahlen vereinigen ſich weiter hinten. Wird das Strahlenbündel in der Ebene Abb. 417. aufgefangen, in die der Vereini— r R gungspunft der mittleren Strahlen — fällt, ſo bilden die Randitrahlenermen „Zerſtreuungskreis“ um dieſen Punkt und machen damit das Bild des Objektpunktes undeut— lich. Dem kann abgeholfen werden, wenn durch einen vorgeſtellten, in der Mitte durchbohrten Schirm die ſeitlichen Strahlen ab— gefangen und nur die mittleren durch— gelaſſen werden: eine ſolche Schirm— bildung iſt in Linſenaugen oft vor— = handen; es iſt die Iris; ſie läßt nur I die Lichtſtrahlen in das Auge ge— langen, die ihren Weg durch das Sehloch, die Pupille, nehmen. Die Ablenkung der Randſtrahlen kann bei reicher Lichtmenge geſchehen, ohne daß die Helligkeit des Bildes niotleidet. Wo jedoch nur wenig — Licht vorhanden iſt, würde das 25 Bild hierdurch zu lichtſchwach wer— 4 den; größere Lichtſtärke wird dann erreicht auf Koſten der Schärfe des Bildes. Das Loch der Iris, die Abb. 418. Medianſchnitt durch das Teleſkopauge eines Tief; Pupille, verengt ſich aber beim VVV normalen Fiſch. Wirbeltier— und Tintenfiſchauge im 1 Netzhaut, 2 Nebennetzhaut, 5 vinſe, 4 Hornhaut. Nach W. Franz. Hellen, es erweitert ſich im Dunkeln. Waſſer abſorbiert viele Lichtſtrahlen und läßt weniger Licht durch als Luft. Daher iſt bei den Fiſchen, deren Wohnplatz lichtarm iſt, die Linſe meiſt mit ihrer ganzen Oberfläche dem Licht ausgeſetzt; hier wird auch, wegen des vorzüglichen optiſchen Baues der Linſe, eine Abblendung der Rand— Linſenaugen bei Dunfeltieren. 671 ſtrahlen weit weniger nötig. Wenn der Mangel an Licht noch größer wird, ſo muß die lichteinlaſſende Oberfläche der Linſe und damit die Linſe ſelbſt vergrößert werden; das hat aber zur Folge, daß ihre Flächen weniger ſtark gewölbt ſind, alſo ihre abſolute Brechkraft abnimmt. Es muß daher auch das lichtrezipierende Epithel, die Netzhaut, weiter von der Linſe abgerückt werden. So kommt es, daß bei vielen Tieren, die in dunkler Umgebung leben, die geſamten Maßverhältniſſe des Auges vergrößert werden, wie bei dem nächtlich lebenden Geſpenſtermaki (Tarsius spectrum Geoffr., Tafel 15) oder dem Tiefſeefiſch Macrurus (Abb. 417). Bei kleinen Tieren iſt jedoch häufig der Raum zu ſolch einer allgemeinen Vergrößerung des Auges nicht vorhanden; dann bleibt die Netzhaut auf den mittleren Teil der hinteren Augenwand beſchränkt und es wird ihr Abſtand von der vergrößerten Linſe den Erforderniſſen entſprechend vermehrt: es entſtehen die langgezogenen ſogenannten Teleſkopaugen. Ein ſolches Auge bildet alſo Abb. 419. Tiefſeefiſch (Argyropelecus affinis) mit Teleſkopaugen (A) und Medianſchnitt durch ein ſolches Auge (). 1 Netzhaut, 2 Nebennetzhaut. Nach Brauer. gleichſam einen zylindriſchen Ausſchnitt aus einem gewöhnlichen kugelähnlichen Auge. (Abb. 418). Teleſkopaugen finden wir bei vielen Tiefſeetieren, ſowohl bei Fiſchen, (Abb. 419), wie bei Tinten— fiſchen (Abb. 420), und bei der Eule mit ihrer nächtlichen Lebensweiſe. Aber auch bei manchen an der Meeresoberfläche lebenden Ruderſchnecken (Heteropoden) ſind Teleſkopaugen vorhanden (Abb. 421). Hier liegt der Grund für die Ver— größerung der Linſe und die Verlängerung des Netzhautabſtandes ebenfalls in dem ſtärkeren Be— lichtungsbedürfnis der Netzhaut; aber dieſes entſteht nicht durch Mangel an Licht in der Umgebung; vielmehr kann durch Pigmentlücken („Fenſter“) in der Augenwand Nebenlicht in das Augeninnere eintreten, und dadurch würden nicht genügend lichtſtarke Bilder auf der Netzhaut wirkungslos werden. Die „Fenſter“ aber dienen zur Er— weiterung des Sehgebietes; die durch ſie eintretenden Strahlen reizen die außerhalb der Netzhaut im Augeninnern gelegenen ſogenannten Nebenſehzellen. Die Leiſtungsfähigkeit der einfachſten Linſenaugen iſt nur gering. Für eine wirk— ſame Bildrezeption iſt die Zahl ihrer Sehzellen vielfach zu klein: wenn Pleurobranchus aurantiacus Risso nur 8— 10, unſere Helixarten vielleicht einige Hundert Sehzellen in einem Auge beſitzen, ſo iſt davon kein großer Erfolg zu erwarten. Für das Richtungs— ſehen aber ſind ſie beſſer geeignet als die Pigmentbecherocelle. Bei dieſen muß die Schärfe des Richtungsſehens mit der Vergrößerung des Sehfeldes notleiden; bei den Linſen— augen geſchieht das nicht dank der Lichtſonderung durch die Linſe. Akkomodation jedoch, 672 Leiſtungen der Sehorgane. die erſt das Bildſehen auf eine höhere Stufe hebt, findet ſich nur bei wenigen Wirbel— loſen: nur für die Tintenfiſche iſt ſie ſicher nachgewieſen; vielleicht aber kommt ſie auch den Augen der Alciopiden (Abb. 405) und der Kammuſcheln (Pecten) zu. So haben denn auch Verſuche mit der Wein— bergſchnecke und einer unſerer Nacktſchnecken (Limax maximus L.) gezeigt, daß die Leiſtungen ihrer Augen ſehr gering ſind: ein Stück Käſe wird von der Weinbergſchnecke auf ganz nahe Entfernung nicht erkannt, wenn ein Glasplättchen davor ſteht, das den Geruch abhält; ebenſo geht es dem Limax mit ſeiner Lieblingsſpeiſe, dem Pilz Peziza. Vor einem Hindernis macht die Schnecke erſt Halt, wenn es nur noch 2 mm von ihren Augen entfernt iſt. Für die Beurteilung der Leiſtungen, die den Seh— organen obliegen, iſt es nicht unwichtig, daß die beweg— licheren Tiere innerhalb eines Verwandtſchaftskreiſes meiſt EZ FF er ——n CHE es = TS er Re Den IS 65 \ =) — X N D 1 Sehzellen und 2 deren Stäbchen, 7 Linſe, s ſog. Corpus epitheliale, 10 Iris, 13 Sehganglion. Nach Chun. auch die am höchſten ausgebildeten Augen haben. Bei den Ringelwürmern finden wir Pigmentbecherocelle und ihre Anhäufungen meiſt bei den feſtſitzenden Kiemenwürmern J und den langen weglichen ſogenann— ten Limivoren. Die Raubanneliden ha— ben meiſt Linſen— augen. Bei den Ne— reisarten, wo inner— halb der gleichen Art kriechende und frei— ſchwimmende (atoke und epitoke, vgl. S. 512) Zuſtände vor⸗ kommen, beſitzen letz— tere die größeren Augen. Am höchſten ausgebildet ſind die JJC. cc ccc Augen bei den pela⸗ Abb. 421. Rechtes Auge der Schwimmſchnecke Carinaria mediterranea Pér. L. giſch lebenden Alcio— A von der dorſalen, B von der ventralen Seite geſehen. 1 ſog. Cornea, 2 Linſe, 3 Sehnerv, 2 8 2 „Fenſter“, 5 Stellen, wo die Nebenſehzellen ftehen. piden (Abb. 422), Sehorgane der Weichtiere. 673 wo ſie am Kopf mächtig vorſpringen. — In der Reihe der Weichtiere haben die Muſcheln meiſt wenig ausgebildete Augen, mit Ausnahme der Kammuſcheln, bei denen kleinere Individuen unter Auf- und Zuklappen ihrer Schalen lebhaft im Waſſer ſchwimmen können und dadurch ſelbſt viele Schnecken an Beweglichkeit übertreffen; die Kammuſcheln be— ſitzen Linſenaugen von wunderbar hoher Aus— geſtaltung, die wahrſcheinlich eine Akkomodation geſtatten. Unter den Schnecken haben die trägen — Napfſchnecken (Patella und Capulus) und die 5 5 ‘e pflanzenfreſſenden Meeresnacktſchnecken weniger S u 55 leiſtungsfähige Sehorgane als die großen, vom —— — ee = —— 2 Raub lebenden Vorderkiemer. Während die ua De paſſiv im Waſſer treibenden Pteropoden jchlecht Abb. 422. Kopf und vorderer Körperabſchnitt mit Sehorganen ausgerüſtet ſind, beſitzen die F kräftig ſchwimmenden Ruderſchnecken (Heteropoden, Abb. 115, S. 119) ſehr große Augen, deren wir ſchon oben gedachten. Am höchſten jedoch find im Kreiſe der Weichtiere die Augen bei den hochentwickelten und in der verſchiedenſten Weiſe beweglichen Tintenfiſchen (Tafel 3) ausgebildet. In ihrer Entwicklung wiederholen die Augen der Tintenfiſche den Zuſtand einer einfachen Epitheleinſenkung, die ſich dann blaſenartig abſchnürt. So ſind jetzt noch die Augen der altertümlichen vierkiemigen Tinten— fiſchform, des Nautilus, beſchaffen, der als letzter Reſt eines einſt blühenden Geſchlechtes noch im Indiſchen Ozean lebt: ſie ſind einfach weite, bis auf eine enge Offnung von der Außenwelt abgeſchnürte Gruben ohne Linſe, aber mit ſehr entwickelter, ſehzellen— reicher Netzhaut Daß durch die enge Offnung umgekehrte Bilder äußerer Gegenſtände auf dem Augenhintergrunde entworfen werden, wie das nach einem einfachen phyſikaliſchen Ver— ſuch möglich iſt, dürfte nur beim Aufenthalt des Tieres in der Lichtfülle der oberfläch— lichen Waſſerſchichten möglich ſein; bei ſeinem gewöhnlichen Aufenthalt in der Tiefe dürfte Abb. 423. Medianſchnitt durch das Auge von Sepiola jedoch hierfür zu wenig Licht vorhanden ſein 1 Sehzellen, 2 deren Stäbchen, an der Grenze zwiſchen beiden. eine Pigmentſchicht, 3 „Glaskörper“, 4 Kreuzung der Sehnerven— und das Auge nicht mehr als ein ausgiebiges faſern, die zum Sehganglion (13) ziehen, 5 Epidermis, 6 Binde- 5 2 5 8 gewebige Hülle, 7 Linſe (zweiteilig), & Corpus epitheliale, Richtungsſehen leiſten. Das Auge der zwei- Mutterboden der Linſe, 9 Langerſcher Mustel, 19 Zris, 7 5 ‚ Dig 0 5 Cor 2 lidfalte. kiemigen Tintenfiſche (Abb. 423) entwickelt e ſich in der Weiſe weiter, daß ſich um die Vorderwand der Augenblaſe eine große Linſe bildet; ſie beſteht aus zwei Hälften, die durch die dünne Vorderwand getrennt werden; die Epithelzellen des ſogenannten Corpus epitheliale (5), die ihren Mutter— Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 43 ER 674 Auge der Tintenfiſche. boden ausmachen, ſcheiden jede eine mehr oder weniger lange Linſenfaſer aus, und dieſe bilden, ſich übereinander lagernd, den Linſenkern und bewirken das weitere Wachs— tum der Linſe. Die den Augenraum füllende Sekretmaſſe, der ſogenannte Glaskörper, ſtammt von den keine Sehzellen enthaltenden Abſchnitten der Augenwand. Die Netz— haut wird außen durch eine knorpelartige Stützplatte, die Sklera, geſtützt und gefeſtigt. Die von den Sehzellen kommenden Nervenfaſern führen nicht unmittelbar zum Gehirn, ſondern treten, nach vorheriger Kreuzung, in ein Sehganglion ein. Vor der Linſe wird durch eine ringförmige Hautfalte eine Blendung oder Iris gebildet, die in der Mitte eine längliche Pupille offen läßt und unter dem Einfluß hellen Lichtes ver— engert, in der Dunkelheit erweitert werden kann. Eine zweite durchſichtige Hautfalte, die ſich außen über die Iris legt und nach Analogie des Wirbeltierauges als Hornhaut, Cornea, bezeichnet wird, wölbt ſich als Schutzapparat über das Auge und trennt eine vordere Augenkammer ab; ſie kommt bei vielen Formen vor, während ſie anderen (Abb. 420) fehlt. Die Augen der Tintenfiſche ſind im Verhältnis zum Körper ſehr groß, oft rieſig; ihr Gewicht beträgt zwiſchen Y, und 25% des Körpergewichts; nur die größten Vogel— augen haben annähernd ähnliche Größe, wie kleine Tintenfiſchaugen: die Augen der Rauch— ſchwalbe wiegen 3,3%, die des Menſchen dagegen nur ½¼ %s des Körpergewichts. Auch die abſolut größten Augen ſind bei den Tintenfiſchen gefunden: an einem Tintenfiſch, der 1875 an der Küſte von Irland ſtrandete und deſſen Arme 10 m lang waren, hatten die Augen einen Durchmeſſer von 37 em. Dabei iſt der Bau der Netzhaut überaus fein und die Stäbchen ſtehen ſehr dicht: bei Loligo kommen auf mm? etwa 100 000 Stäb- chen; bei Sepia, wo die Stäbchen im allgemeinen weniger dicht ſtehen (nur 40000 auf I mme), iſt die Mitte der Netzhaut von einem mehrere mm breiten „Streifen deutlichſten Sehens“ durchzogen, in dem 107000 Stäbchen auf I mm? ſtehen. Auch akkomodations— fähig iſt das Tintenfiſchauge: im ruhenden Zuſtande iſt es nach den Unterſuchungen von Heß für die Ferne eingeſtellt. Die Zuſammenziehung eines radiär zur Linſe verlaufen— den Muskels, des ſog. Langer ſchen Muskels, bewirkt eine Oberflächenverkleinerung der Augenhüllen und damit eine Steigerung des Druckes im Augeninnern; dadurch wird der vordere Augenabſchnitt mit der Linſe nach vorn gedrängt und ihr Abſtand von den reci— pierenden Elementen der Netzhaut erhöht, wodurch alſo eine Einſtellung für nahe Gegen— ſtände zuſtande kommt. Dieſe Augen dürften gar manche Wirbeltieraugen an Leiſtungs— fähigkeit übertreffen. Freilich iſt ihre Beweglichkeit nur gering, aber immerhin wird dieſer Nachteil einigermaßen dadurch ausgeglichen, daß durch einſeitige Zuſammenziehung des Langerſchen Muskels die Linſenachſe verſchiedene Richtung annehmen kann. Wie hoch die Leiſtungen des Auges ſein müſſen, läßt ſich nach folgendem Beiſpiel beurteilen: ein Octopus wurde beobachtet, wie er einen Stein zwiſchen die Schalen einer ſich öff— nenden Steckmuſchel (Pinna) einſchob, um ein Schließen derſelben zu verhindern und ſo das Tier herausfreſſen zu können. Es iſt zu einer ſolchen Handlung ein gutes Teil „Augenmaß“ notwendig. Die Augen ſind für die Tintenfiſche das höchſt entwickelte Sinnesorgan, ſie bilden ihr Hauptorgan für die Orientierung. Die anderen Sinnesorgane, beſonders die des chemiſchen Sinnes, treten ganz dagegen zurück und reichen für ſich allein nicht zur Orien— tierung des Tieres aus. Damit mag es zuſammenhängen, daß man blinde Tintenfiſche mit zurückgebildeten Augen nicht kennt, auch nicht in Meereshöhlen oder in den Finſter— niſſen der Tiefſee, ähnlich wie es keine blinden Vögel gibt, während bei vielen Arten von Fiſchen (3. B. Myxine, Typhlichthys u. a.), Amphibien (Proteus, Gymnophionen) Entwicklung des Wirbeltierauges. 675 Reptilien (Typhlops) und Säugern (Maulwurf, Blindmoll u. a.), die im Dunkeln leben, die Augen zurückgebildet ſind und durch erhöhte Schärfe der anderen Sinne erſetzt werden. 6. Beſonderheiten des Wirbeltierauges. Die Augen der Wirbeltiere ſind denen der Tintenfiſche äußerlich in ſo wunderbarer Weiſe ähnlich, daß ein engliſcher Anatom, Mivart, gegen die Abſtammungslehre geltend machte, ſo ähnliche Organe könnten ſich nicht ohne nähere Verwandtſchaft zweier Tier— gruppen, unabhängig voneinander, bei ihnen gebildet haben. Wie dieſes, iſt das Wirbeltier— auge ein Linſenange, deſſen Netzhaut etwa drei Viertel einer Kugel bildet und von einer widerſtandsfähigen Sklera geſtützt wird; die Linſe wird etwa an ihrem Aquator von ihrem Tragapparat umfaßt; vor der Linſe eine Iris mit erweiterungsfähiger Pupille und eine gewölbte durchſichtige Hornhaut. Aber bei dieſer äußeren Ahnlichkeit muß uns faſt noch mehr die Grundverſchiedenheit in Erſtaunen ſetzen, die ſich bei genauer Unterſuchung des hiſtologiſchen Aufbaus, beſonders der Netzhaut und der Linſe, und bei Kenntnis der Entwicklungsgeſchichte ergibt. Während das Tintenfiſchauge wie die Sehorgane anderer Mollusken als Einſtülpung der äußeren Haut entſteht, bildet ſich beim Auge der Wirbeltiere nur Hornhaut und Linſe von der Epidermis aus, der lichtrezipierende Apparat aber, die Netzhaut, entſteht durch Ausſtülpung eines Teiles der Vorderhirnwandung. Schon auf ganz früher Em— bryonalſtufe kann man auf der noch weit offenen Anlage des Hirnrohres die Bezirke als ſeichte Einſenkungen erkennen, aus denen ſpäter dieſer Abſchnitt des Auges hervorgeht. Wenn das vordere Ende der Rückenrinne zum Hirnrohr geſchloſſen iſt, ſtülpen ſich dieſe Bezirke als flache Blaſen nach außen vor und bleiben dabei durch einen Stil mit dem Gehirn in Verbindung (Abb. 468); der Stil ſitzt der Blaſe nicht in der Mitte, ſondern am ventralen Rande an. Die Blaſe wächſt, bis ſie der Epidermis des Kopfes dicht an— liegt. Die einzelnen Abſchnitte der Augenblaſe wachſen nicht gleich ſtark; da, wo der Stil ventral mit der äußeren Blaſenwand zuſammenhängt, iſt das Wachstum am ge— ringſten: die Blaſe verliert dabei ihr Lumen und bildet ſich zu dem doppelwandigen Augenbecher um, deſſen Becherfuß durch den Stil der Augenblaſe gebildet wird, und deſſen Wand auf der Ventralſeite einen Spalt hat (Abb. 424). Die äußere Wand (7) der Augenblaſe, die der Epidermis zugekehrt war, wird zur inneren Auskleidung des Augenbechers und behält eine ſtattliche Dicke: ſie heißt Netzhautblatt. Die innere Wand (2) der Augenblaſe, die dem Gehirn zugekehrt war, bildet einen Überzug über jene auf der konvexen Seite; ſie beſteht nur aus einer dünnen Epithellage und wird zum Pigment— epithel der Netzhaut. Der ventrale Augenſpalt ſchließt ſich im weiteren Verlauf durch Verwachſen ſeiner Ränder. Inzwiſchen hat die Berührung der Augenblaſe mit der Epi— dermis in dieſer letzteren einen Vorgang ausgelöſt, der zur Linſenbildung führt. Der Epidermisbezirk, der der Augenblaſe benachbart iſt, bekommt ein lebhafteres Wachstum: er verdickt ſich, ſtülpt ſich dann zu einer Grube ein, die ſich mehr und mehr ſchließt, und endlich, wie bei der Abſchnürung von grubenförmigen zu blaſenförmigen Sehorganen, ſich von der Epidermis ablöſt; das iſt die Linſenblaſe (6). Damit ſind die Hauptteile gegeben; ihre Umwandlung führt zum fertigen Auge. Die Epidermis, die ſich über der Linſenblaſe wieder zu einer einheitlichen Schicht geſchloſſen hat, wird ſamt der zugehörigen Kutis zur Hornhaut. Die Linſenblaſe wird zur Linſe: der Kern des Linſenkörpers entſteht dabei aus der proximalen, der Netzhaut 43 * 676 Entwicklung des Wirbeltierauges. zugekehrten Wand der Blaſe, indem die Zellen ſich in die Länge ſtrecken und, manchmal unter Verhornung, zu Linſenfaſern werden; die diſtale Wand wird zum Linſenepithel, das auch die fertige Linſe auf ihrer der Hornhaut zugewandten Fläche überzieht. Das Wachs— tum der Linſe geſchieht von den äquatorialen Zellbezirken der Linſenblaſe aus: hier geht eine ſtarke Zellvermehrung vor ſich, und auch dieſe Zellen ſtrecken ſich und werden zu Linſenfaſern, die ſich dem anfänglichen Linſenkern auflagern. — Dem Augenbecher lagert ſich das umgebende Bindegewebe auf und wird zur Aderhaut (Chorioidea) und Sklera. Zwiſchen Hornhaut und Linſe ſchwindet das Bindegewebe, und es entſteht ein mit Flüſſigkeit gefüllter Raum, die vordere Augenkammer. Der Rand des Augenbechers wächſt zwiſchen Hornhaut und Linſe vor und wird mit dem aufliegenden Bindegewebe zur Iris: das Sehloch iſt alſo die verengerte Offnung des doppelwandigen Augenbechers. Etwas vom Irisrande entfernt entſteht eine Ringfalte der Becherwand, die ſich im Um— — —ä— — ——ũ— — — — kreis der Linſe B gegen dieſe vor— 15 | wölbt; es iſt 2 = das Tragege— rüſt der Linſe, der Ciliarkör⸗ per. Die Epi⸗ thelzellen, die dieſen über— ziehen, ſondern feine Faſern ab, die ſich der Linſe in deren 5 Aquator an⸗ — | heiten: jo ent⸗ — ſteht das Auf— hängeband der 5 f Abb. ar Linkes embryonales Auge der Eidechſe. 22 Linſe, das joge- A Anſicht von der Schwanzſeite her; die punktierten Linien zeigen die Begrenzung der primären Augen— höhle (3) und der Becherhöhle. 5 Halbiertes Auge mit der benachbarten Hirnwand (4). 1 Netzhautblatt, nannte Strah⸗ 2 Pigmentepithel, 5 Höhlung des Augenblaſenſtiels, 6 Linſe. Nach Froriep. lenbändchen | Mm Wo Der Glaskörper wird anfangs von dem ganzen Netzhautblatt des Augenbechers, ſpäter nur von dem Ciliarkörperepithel und deſſen Nachbarſchaft abgeſondert; außerdem wuchern durch den ventralen Augenſpalt Blutgefäße zur Ernährung des Auges und mit ihnen Bindegewebszellen in den Glaskörper ein. Der ganze Grund des Netzhautblattes bis über den Aquator des Auges hinaus wird zur eigentlichen Netzhaut; von deren Rand bis zum Rande des Sehloches reicht der ſogenannte blinde Teil der Netzhaut. Von Ganglienzellen der Netzhaut wachſen Nervenfaſern aus, die durch den Augenſtiel in das Gehirn einwachſen: ſo wird der Augenſtiel zum Sehnerven. Daß der lichtrezipierende Teil des Auges nicht, wie bei allen anderen Tieren mit Linſenaugen, von der äußeren Haut aus entſteht, ſondern ſich aus einem Teil der Hirn— wandung bildet, iſt eine Tatſache, die eine Erklärung verlangt. Allerdings ſind ja das Hirn- und Rückenmarksrohr auch nur aus Einſtülpungen der äußeren Haut des Embryo gebildet (vgl. unten), und man darf wohl annehmen, daß einſt das zentrale Nervenſyſtem intraepithelial lag, wie das bei Coelenteraten, Stachelhäutern und manchen niederen Stammesentwicklung des Wirbeltierauges. 677 Ringelwürmern (Ophryotrocha, Polygordius, Aeolosoma) ſtändig der Fall iſt. Dann konnten ſich im Gebiete des zentralen Nervenſyſtems Sehorgane bilden; ſie wurden ſpäter, als ſich dies wichtige Organſyſtem durch Einſtülpung in eine Furche verlagerte und ſpäter als Rohr abgeſchnürt wurde, mit eingeſtülpt und gelangten ſo in die Wand des Ner— venrohrs. Bei niederſten Verwandten der a Wirbeltiere liegen die Sehorgane dauernd im Nervenrohr: bei den Larven der As— eidien und beim Amphioxus. Bei den As— eidienlarven wird ein Teil der Wand der Sinnesblaſe zur Netzhaut des Auges, der ſich gegen die Epidermis zu eine Linſe auflegt; aus dem, was über den Bau dieſes Auges bekannt iſt, geht hervor, daß es kein . 8 h 5 Abb 425. Vorfahrenzuſtand des Wirbeltierauges fein Vorderes Ende des Amphioxus mit Pigmentbecher— ocellen im Rückenmark 2. 2 Chorda, 3 Mundeirren. kann, ſondern wahrſcheinlicher von der gleichen Grundform herſtammt. Beim Amphioxus liegen durch das ganze Rückenmark verſtreut Pigmentbecherocelle (Abb. 425) mit je einer Sehzelle vom Bau derjenigen, wie ſie ſich bei vielen Strudelwürmern finden und im Vorderende des Rückenmarks ebenſolche Seh— zellen ohne Pigmentbecher in größrer „ Zahl. So lange die Wirbeltierahnen klein und durchſichtig waren wie dieſe Tiere, konnte das Sehorgan unbe— ſchadet ſeiner Leiſtungsfähigkeit in der Hirnwand liegen; als ſie aber bedeutendere Größe erlangten als das zentrale Nervenſyſtem durch un— durchſichtige Schutzhüllen von Knorpel gegen Schädigungen geſichert wurde, da konnten die betreffenden Teile der Hirnwand als Sehorgan nur dann funktionsfähig bleiben, wenn ſie ſich nach der Oberfläche des Körpers zogen: ſie ſtülpten ſich nach außen vor. Im einzelnen können wir mangels jeglicher Anhaltspunkte nichts aß, Uns Aberſchtebüd. vente einzelne elemente, elett gefärht, I weiter über die Stammesgeſchichte ihren Verbindungen dargeſtellt. Junere Grenzmembran, 2 Sehnerven⸗ 2 . 5 ſchicht, 3 Ganglienzellſchicht, 2 innere Nervenfilzſchicht, 5 Schicht der des Wirbeltierauges ſagen. Durch die bipolaren Zellen (innere Körnerſchicht“), 6 äußere Nervenfilzſchicht, ganze Reihe der Wirbeltiere bleibt 7 Sage g and deren e 5 deen ar meh JJ ĩͤ gleiche; nur in Nebendingen weichen Stützzelle. J, II, III Bezirke der drei hintereinander geſchalteten Neu— die Formen voneinander ab. . Die Entwicklung der Netzhaut des Wirbeltierauges aus einem Teil der Hirnwand zeigt ſich auch noch deutlich in dem Bau des fertigen Organs (Abb. 426). Sie bildet nicht ein einfaches Sehepithel, wie es uns ſonſt überall in Linſenaugen begegnet; viel— mehr iſt das einzige Anzeichen dafür, daß ein urſprünglich einſchichtiges Epithel vorliegt, in den ſogenannten Müllerſchen Stützzellen (16) erhalten geblieben, die von der äußeren 678 Bau der Wirbeltiernetzhaut. bis zur inneren Grenzmembran reichen. Zwiſchen dieſen beiden Membranen aber ordnen ſich die Nervenzellen in drei Schichten (J II, J) übereinander, die durch Schichten ver— filzter Fäſerchen, die ſogenannten feinkörnigen Schichten (4, 6), voneinander getrennt bleiben. Es ſind drei Neuronen, die ſich innerhalb der Dicke der Netzhaut aneinander ſchließen. Den erſten Neuron (I) bilden die Sinneszellen. Sie liegen nicht auf der Glaskörperſeite der Netzhaut, ſondern gegen das Pigmentepithel zu, und tragen gegen dieſes hin die ſogenannten Stäbchen und Zapfen (9), die über die äußere Grenzmembran vorragen. Bei den meiſten Linſenaugen ſtehen die Stäbchen und Zapfen auf der Seite des Sehepithels, die gegen den Glaskörper gekehrt iſt und der äußeren Körperoberfläche entſpricht. Aber auch hier iſt es ja dieſe Oberfläche der Netzhaut, die, ſolange das Ner— venrohr noch nicht geſchloſſen iſt, gegen die Körperoberfläche blickt; erſt durch die Ein— und Wiederausſtülpung kommt ſie in dieſe beſondere Lage. Den zweiten Neuron (IT) der Netzhaut bilden die ſogenannten bipolaren Zellen (12); ihre Nervenfortſätze treten auf der einen Seite in Beziehung zu denjenigen der Sehzellen, nach der andern Seite erſtrecken ſie ſich gegen den dritten Neuron. Es ſcheint, daß zu jeder Zapfenzelle eine beſondere Bipolare gehört, während benachbarte Stäbchenzellen mit der gleichen Bipolaren verknüpft ſind. In der Schicht der Bipolaren liegen auch ſogenannte tangentiale Zellen (17), deren Fortſätze ſich parallel der Netzhautoberfläche ausbreiten und verſchiedene Stellen der Netzhaut untereinander verknüpfen. Die Zellen des dritten Neurons () bilden die ſogenannte Ganglienzellſchicht; ſie werden von den Fortſätzen der bipolaren Zellen umſponnen oder ſenden dieſen eigne Fortſätze entgegen; auf der Glaskörperſeite der Netzhaut aber entſpringen von ihnen die Nervenfaſern (74), die zum Gehirn gehen und den Sehnerven zuſammenſetzen. Die Faſern liegen alſo auf der Lichtſeite der Netzhaut und laufen nach der Stelle, wo am Sehbecher der innere Winkel der Augen— ſpalte war; durch dieſe gelangen ſie zu dem hier anſetzenden Augenſtiel, den Leitſtrang des Sehnerven. Im fertigen Auge alſo durchbohren ſie hier die Netzhaut. Die ganze Anordnung der Neuronen zeigt, daß die vom Sehepithel aufgenommenen Erregungen nicht einfach in der gegebenen Anordnung dem Gehirn zugeleitet werden, ſondern daß ſie ſchon in der Netzhaut Kombinationen erfahren und gleichſam verarbeitet werden. In der Mitte der Netzhaut, der Linſe genau gegenüber, liegt bei vielen Tieren ein Gebiet deutlichſten Sehens, der ſogenannte Zentralbezirk (Area centralis). Hier iſt die Netzhaut durch die größte Menge zelliger Elemente meiſt verdickt, die Sehzellen ſtehen dichter, die Stäbchen und Zapfen ſind ſchlanker, die Bipolaren und die Ganglienzellen häufiger. Oft, aber durchaus nicht immer, liegt in der Area centralis eine Grube, die zentrale Netzhautgrube (Fovea centralis), in der die Kern- und Faſerſchichten zur Seite ge— drängt ſind, ſo daß die Netzhaut faſt nur von der Schicht der Sehzellen gebildet wird. Hier hat alſo das Licht nur wenig dichteres Gewebe zu durchſetzen und kann ungeſchwächt zu dem Sinnesepithel gelangen. Beim Fixieren eines Gegenſtandes richtet der Menſch das Auge jo, daß das Bild des Gegenſtandes in die Netzhautgrube fällt. Eine Fovea kommt nicht überall vor: unter den Säugern beſitzen nur der Menſch und die Affen eine ſolche; bei den Vögeln iſt ſie allgemein vorhanden, unter den Reptilien kennt man fie beim Chamäleon (Abb. 430 A, 2), einigen Eidechſen, Schlangen und Schildkröten; von den Fiſchen ſcheint nur dem Seepferdchen (Hippocampus) und der Seenadel (Siphono- stoma) eine Fovea zuzukommen. Bei vielen Vögeln aber, z. B. Falken, Möve, Ente, Gans, Fink, kommen ſogar zwei Netzhautgruben vor, von denen die eine nahe der Mitte, die andre gegen den Schläfenrand der Netzhaut verſchoben liegt. Dieſe letztere tritt wohl Stäbchen und Zapfen der Netzhaut. 679 in Wirkſamkeit, wenn der Vogel beide Augen zugleich benutzt; die mittlere Netzhautgrube dagegen empfängt das Bild, wenn der Vogel einen Gegenſtand mit einem Auge fixiert. Wir können ſolches monokulare Sehen leicht z. B. an Hühnern beobachten, wenn ſie mit ſeitwärts geneigtem Kopf etwa nach einem Gerſtenkorn am Boden blicken. Die Stäbchen und Zapfen der Netzhaut ſind nachweislich die Stelle der Lichtrezeption. Daß die Nervenfaſern nichts damit zu tun haben, geht daraus hervor, daß der Teil unſrer Netzhaut, wo nur ſolche vorkommen, nämlich der Sehnervenaustritt, Lichtreizen nicht zugänglich iſt: es iſt der ſogenannte blinde Fleck. In der Netzhautgrube aber, der Stelle deutlichſten Sehens, fehlen alle übrigen Netzhautſchichten mit Ausnahme der Sehzellen, und von dieſen wiederum zeigen nur die Zapfen regelmäßige, muſiviſche Anordnung, wie ſie zur Bildrezeption notwendig iſt — Stäbchen fehlen hier. Das Licht muß alſo die geſamte Netzhaut durchdringen, ehe es dahin gelangt, wo es einen Reiz ausüben kann. Die Stäbchen und Zapfen enthalten die Transformatoren, in denen die Umwandlung der Atherſchwingungen in Nervenreiz geſchieht; es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß dies auch hier freie Neurofibrillenenden ſind. Auffallend iſt es, daß die rezipierenden Ele— mente der Wirbeltiernetzhaut von zweierlei Art ſind: Stäbchen und Zapfen. Sie ſind innerhalb derſelben Netzhaut leicht zu unterſcheiden, wenn es auch nicht ganz einfach iſt, allgemein giltige Unterſcheidungsmerkmale für ſie anzugeben. Die Zapfen ſind im all— gemeinen kürzer und dicker als die Stäbchen; das beſte Merkmal iſt vielleicht, daß der Nervenfortſatz bei den Stäbchenzellen mit einem Endknöpfchen, bei den Zapfenzellen aber mit einem Endbäumchen aufhört (Abb. 426). Die Verſchiedenheit im Bau der Endorgane läßt auch eine verſchiedene Funktion der— ſelben vermuten. Darauf ſcheint auch die ungleiche Verteilung der Stäbchen und Zapfen bei verſchiedenen Tieren hinzuweiſen. Die Zapfen fehlen den Selachiern und Cykloſtomen ganz. Bei den Reptilien dagegen finden wir meiſt nur Zapfen, bei den Vögeln über— wiegen ſie bei weitem; nur bei den Eulen iſt die Zahl der Zapfen viel geringer als die der Stäbchen. Die Säuger wiederum haben mehr Stäbchen als Zapfen, der Menſch z. B. etwa 18 mal ſoviel. Manchen Säugern fehlen die Zapfen ganz, z. B. den Fledermäuſen dem Igel und Maulwurf und den Waſſerſäugern (Robben, Waltieren, Sirenen); ſehr ſpärlich ſind ſie bei Ratte, Maus, Siebenſchläfer, Meerſchweinchen und Iltis. Die Tiere, bei denen wenig oder gar keine Zapfen vorkommen, ſind entweder Waſſer- oder Nachttiere. Die wahrſcheinlichſte Hypotheſe über die verſchiedenen Funktionen von Stäbchen und Zapfen gründet ſich auf die Beobachtung der menſchlichen Sehleiſtungen. Unſer geſamtes Sehen ſcheint eine Kombination von zwei Sehweiſen darzuſtellen, von Tag- und Dämme— rungsſehen. Bei geringer Lichtmenge können wir keine Farben unterſcheiden, ſondern nur hell und dunkel; auch ein lichtſchwaches Spektrum erſcheint nur als ein heller Streif. Die größte Helligkeit zeigt das Spektrum am Tag im Gelb (von 580 uuũ Wellenlänge), bei Dämmerung im Grün (von 529 Wellenlänge). Die langwelligen roten Lichter des Spektrums haben in der Dämmerung einen ſehr geringen Helligkeitswert, nur etwa 6 von der Helligkeit des Blau, bei Tag find fie zehnmal heller als Blau. Wenn unſer Auge an die Dunkelheit gewöhnt iſt, ſo ſind die äußeren Teile der Netzhaut über— aus empfindlich, und dieſe Empfindlichkeit nimmt gegen die Mitte hin bis zu ſehr ge— ringem Betrage ab: ein Gegenſtand, den wir beim ſogenannten indirekten Sehen, d. h. beim Sehen mit der Netzhautperipherie im Halbdunkel noch wahrnehmen, verſchwindet, wenn wir ihn fixieren, d. h. ſein Bild in die Netzhautmitte bringen — das iſt das ſoge— 680 Verſchiedene Funktion von Stäbchen und Zapfen. nannte Geſpenſterſehen. Dagegen zeigen Verſuche bei Tage, daß wir Farben im in— direkten Sehen nur ſehr undeutlich erkennen; je mehr ihr Bild ſich der Netzhautmitte nähert, um ſo ſicherer wird unſere Schätzung. Nun ſind beim Menſchen in der Netzhautmitte in der Fovea nur Zapfen vorhanden; in der Umgebung der Fovea ſind die Zapfen zahlreich und nehmen gegen den Rand mehr und mehr ab. Der Anordnung der Zapfen entſpricht alſo die Verteilung der Farben— empfindlichkeit in unſerem Auge. Wir dürfen daher annehmen, daß den Zapfen das Farbenſehen obliegt. Sie brauchen aber, um überhaupt erregt zu werden, Reize, die nicht unter eine gewiſſe Stärke herabgehen; deshalb ſehen wir in der Dämmerung keine Farben. Die Stäbchen dagegen, die am Rande der Netzhaut zahlreicher ſind als gegen die Mitte, werden durch verſchiedene Farben nicht different gereizt, ſondern nur durch quantitative Unterſchiede der Belichtung, ſie ſind die Organe der Helldunkelunterſcheidung; dabei werden ſie auch durch geringe Lichtmengen gereizt, aber erſt wenn das Auge an die Dunkelheit gewöhnt iſt: ſie ſind imſtande, ſich an das Sehen in der Dämmerung zu adaptieren. Man hat dieſe Adaptionsfähigkeit der Stäbchen damit in Zuſammenhang bringen wollen, daß ſie von einem Stoffe umgeben ſind, der ſich im Lichte zerſetzt und in der Dunkelheit neu abgeſchieden wird, dem Sehpurpur. Den Zapfen fehlt der Seh— purpur. Er wird von den Zellen des Pigmentepithels abgeſchieden und ſammelt ſich im Dunkeln an. Neuere Unterſuchungen aber haben gezeigt, daß auch Tagvögel, die vorwiegend Zapfen beſitzen und deren Netzhaut von Sehpurpur frei iſt, ihr Auge für das Sehen im Dunkeln adaptieren können. Deshalb kann jene Hypotheſe nicht mehr befriedigen. Vielleicht hat es mit der leichteren Reizbarkeit der Netzhautperipherie etwas zu tun, daß gegen die Peripherie zu immer mehr Stäbchen zu einer Bipolaren gehören, alſo zu einer Rezeptionseinheit zuſammen gefaßt ſind; wenn ſich dabei die Erregungen der einzelnen Stäbchen addieren, ſo werden unbedeutende Reize in der Peripherie der Netzhaut wirkſamer ſein als gegen die Mitte zu. Dafür, daß die Zapfen dem Farbenſehen, die Stäbchen dem Helldunkelſehen dienen, ſpricht auch die Verteilung der beiderlei Endorgane bei verſchiedenen Wirbeltieren: Dämmerungstiere unter den Säugern und die Eulen haben nur oder doch vorwiegend Stäbchen, Lichttiere wie die Vögel dagegen überwiegend Zapfen. Die einfache Zellſchicht des Pigmentepithels legt ſich der Stäbchen- und Zapfen— ſchicht der Netzhaut auf. Ihre Zellen ſenden Fortſätze zwiſchen die Außenglieder der Stäbchen, die dieſe von allen Seiten einhüllen. Die Pigmentkörnchen können inner— halb der Zellen ihren Platz verändern: bei Belichtung wandern ſie gegen die Netzhaut, in die Zellfortſätze ein und liegen zwiſchen den Stäbchen, im Dunkeln ſammeln ſie ſich in den baſalen Abſchnitten der Zellen an. Die Bedeutung der Pigmentwanderung iſt nicht völlig klar. Am meiſten Wahrſcheinlichkeit hat die Annahme, daß die Wanderung gegen das Licht hin zum Schutz für den in den Zellen ſich entwickelnden Sehpurpur geſchieht. Die Aderhaut, die dem Pigmentepithel außen aufliegt, vermittelt durch ihren Gefäßreichtum die Ernährung der Netzhaut. Bei den Fiſchen und Amphibien liegt außerdem ein ernährendes Gefäßnetz im Glaskörper, der Netzhaut dicht benachbart. Die Netzhaut ſelbſt enthält Gefäße in wechſelnder Menge nur bei vielen Säugern (nicht z. B. beim Ameiſenigel [Echidna], dem Gürteltier [Armadillo], dem fliegenden Hund [Pteropus] u. a.); dieſe dringen von der Glaskörperſeite in ſie ein, nachdem ſie mit dem Sehnerven — im Innenwinkel des embryonalen Augenſpalts — die Netzhaut durch— bohrt haben. Tapetum und Augenleuchten. Linſe. 681 Vielfach wird der dem Pigmentepithel anliegende Teil der Aderhaut durch Ein— lagerung glänzender, das Licht reflektierender Kriſtällchen zu einer ſpiegelnden Fläche geſtaltet, die man Tapetum nennt. So weit ſich das Tapetum erſtreckt, fehlt im Pig— mentepithel das Pigment. Ein Tapetum kommt vielfach bei Dämmerungstieren vor, aber nicht allgemein und nicht ausſchließlich bei ſolchen; beſonders bei Fiſchen iſt es häufig und findet ſich bei allen Selachiern und vielen Knochenfiſchen; unter den Säugern ſind z. B. die Waſſerſäugetiere, die Wiederkäuer und Pferde, die Raubtiere und die Halbaffen mit einem Tapetum ausgeſtattet. Über ſeine Bedeutung gehen die Anſichten auseinander. Jedenfalls wirft es das Licht, das zu ihm gelangt, wie ein Hohlſpiegel zurück: ob es damit durch nochmalige Reizung der Stäbchen und Zapfen die Erregung erhöht, oder was ſonſt ſeine Bedeutung ſein mag, iſt noch ungewiß. Ein Nebenerfolg der reflektierenden Wirkung des Tapetums iſt das ſogenannte Augenleuchten, das von vielen Haustieren, beſonders den Katzen, allgemein bekannt iſt. Das Augenleuchten beruht nicht auf einer Lichtentwicklung im Auge, ſondern auf Reflexion von Licht, das von außen in das Auge fällt: die Strahlen werden vom Tapetum zurückgeworfen und von der Linſe geſammelt, ſo daß ſie etwa in der gleichen Richtung zurückkommen, in der ſie in das Auge einfallen. Es wird daher von uns am eheſten beobachtet, wenn eine Lichtquelle hinter unſerem Rücken Strahlen in einen dunklen Raum wirft, von wo aus Augen von Tieren auf uns gerichtet ſind, z. B. wenn man durch die geöffnete Tür eines dunklen Schafſtalles in die Augen der nach dem Licht blickenden Schafe ſieht. Die Linſe, deren Bau wir oben ſchon kennen lernten, iſt das Hauptorgan für die Lichtbrechung im Auge. Nur beim Menſchen, den Affen und den Vögeln iſt die Brechung ſeitens der gewölbten Hornhaut noch ſtärker. Die Brechkraft der Linſen iſt verſchieden: bei Lufttieren iſt ſie geringer als bei Waſſertieren, da die brechenden Subſtanzen des Auges gegenüber Luft einen größeren Brechungsexponenten haben als gegenüber Waſſer. Die größere Brechkraft wird durch Veränderung der Form ebenſo wie durch Verände— rung des Stoffes erreicht: bei Waſſertieren, z. B. Waltieren und Fiſchen, iſt die Linſe kugelig und die Linſenfaſern werden durch einen Verhornungsprozeß dichter und ſtärker lichtbrechend; bei Lufttieren iſt die Linſe weniger gewölbt, flacher, ihre Achſe iſt viel kürzer als ihr Durchmeſſer am Aquator. Der Quotient aus Durchmeſſer und Achſe, den man als Linſenquotienten bezeichnen kann, gibt einen gewiſſen Anhalt für die Form der Linſe und erleichtert die Vergleichung. Bei Waſſertieren iſt der Linſenquotient nahe an 1, die Linſe iſt alſo faſt kugelig: ſo ſchwankt ſein Betrag bei Selachiern zwiſchen 1 und 1,14, bei Robben zwiſchen 1,03 und 1,12, beim Tümmler (Phocaena communis Less.) beträgt er 1,05. Die Amphibien haben eine etwas flachere Linſe, deren Quotient etwa 1,2 beträgt. Reptilien, Vögel und Säuger haben ſehr verſchiedene Linſenquotienten: der Gecko, der als Dunkeltier ſein Auge beſonders auf nahe Gegenſtände richtet, hat 1,12, die lichtliebende Mauereidechſe, mit auf die Ferne eingeſtellten Augen, hat 1,51 Linſenquotient, alſo eine flachere Linſe. Unter den Vögeln hat die Ente die ſtärkſte Linſenwölbung (Quotient 1,3), die Schwalbe die geringſte (Quotient 1,85). Bei den Säugern ſchwankt der Quotient zwiſchen 1,26 beim Schaf und 1,7 beim Menſchen. Beim Menſchen, bei den Affen und den meiſten Vögeln übernimmt eben die ſtark ge— wölbte Hornhaut ein gut Teil der Arbeit, die bei anderen Tieren der Linſe zufällt. Die Akkommodation des Auges geſchieht bei den Wirbeltieren auf verſchiedene Weiſe. Bei den Fiſchen, Amphibien und Schlangen bleibt die Form der Linſe unverändert, 682 Akkommodation des Fiſchauges. nur der Platz derſelben ändert ſich; dagegen bei den Reptilien mit Ausnahme der Schlangen, den Vögeln und den Säugern, wird ſie durch Geſtaltveränderung der Linſe akkommodiert. Die Richtung der Akkommodation hängt von der Ruheſtellung des Auges ab; es iſt entweder auf die Nähe eingeſtellt, d. h. mäßig divergierende Strahlen, die auf das Auge auffallen, kommen auf der Netzhaut zur Vereinigung, oder es iſt auf die Ferne einge— ſtellt, d. h. parallele Strahlen kommen auf der Netzhaut zur Vereinigung. Auf die Nähe eingeſtellt iſt nur das Fiſchauge; es muß ſich verändern, wenn ſeine Netzhaut von fernen Gegenſtänden deutliche Bilder erhalten ſoll; die Augen aller luftbewohnenden Wirbeltiere ſind in der Ruhe für die Ferne eingeſtellt, müſſen alſo für die Nähe akkommodieren, ſoweit ſie die Fähigkeit der Akkommodation überhaupt beſitzen. Die Einſtellung des Fiſchauges für die Nähe hängt mit dem Aufenthalt im Waſſer —= zuſammen. Das Waſſer iſt nur auf verhältnis- Abb. 427. Senkrechter Medianſchnitt durch das mäßig kurze Strecken durchſichtig; „nur aus e der Nähe drohen daher Angriffe, und ſchon 1 Netzhaut, 2 Pigmentepithel, 3 Chorioidea, 7 Sehnerv, 5 Linfe, 6 deren e 7 Rückziehmuskel der eine kurze Flucht rettet“. Parallel auf das 22 109. Choriotbanbrife. Die Stellung der Sinfe, ther Auge fallende Strahlen kommen bei Ruhe— ene denen ane en stellung ſchon vor der Netzhaut zur Vereini⸗ gung; die Akkommodation geſchieht daher durch Annäherung der Linſe an die Netzhaut. Die dazu dienenden Einrichtungen ſind ſehr einfach (Abb. 427). Die Linſe iſt nicht, wie bei den meiſten Wirbeltieren, ringsum durch das Linſenbändchen gehalten, ſondern ſie wird nur durch ein dorſales derbes Auf— — U——— huüängeband (6) getragen Ihm 'gegenüberanm er Stelle, wo bei der Entwicklung des Auges die Augenſpalte ſich geſchloſſen hatte, ſetzt ſich mit einer Sehne (8) der ſogenannten Linſenmuskel (7) (Muse. retractor lentis, früher Campanula Halleri genannt) an die Linſe an; dieſer iſt jo gerichtet, daß ſeine Zuſammenziehung die Linſe zurück und etwas ſchläfenwärts zieht (Abb. 428). Bei den Haifiſchen iſt der Linſenmuskel rudimentär und eine Akkommodation nicht zu beobachten. Von den u Knochenfiſchen dagegen bejigen manche eine aus— Akkomodation beim Seebarſch (Serranus); ra : che a . das linke Auge ift bei 4 in Ruhe, bei B durch galva. giebige Akkommodationsfähigkeit, andere eine ge- niſce Reizung ag Tu Beer. ringere: am geringſten iſt die Akkommodationsbreite, d. h. der Unterſchied zwiſchen Ruheſtellung und äußerſter Akkommodation, bei ſchnellſchwimmenden pelagiſchen Fiſchen; dafür aber akkommo— dieren ſie ſchnell, wie es der fortwährende Wechſel der Umgebung bei größerer Ge— ſchwindigkeit erfordert; weit größer iſt die Akkommodationsbreite bei lauernden Grund— Akkommodation bei Amphibien, Sauropfiden und Säugern. 683 fiſchen, wie dem Angler (Lophius), den Schollen und dem Himmelsgucker (Uranoscopus), doch iſt die Akkommodationsgeſchwindigkeit dafür geringer. Die luftbewohnenden Wirbeltiere müſſen für die Nähe akkommodieren. Amphibien und Schlangen tun dies durch Entfernung der Linſe von der Netzhaut; im Auge der Amphibien ſetzt dorſal und ventral ein Muskel an den Ciliarkörper an, deſſen Zu— ſammenziehung die Linſe gegen die Hornhaut zieht (Musc. protractor lentis); bei den Schlangen wird wahrſcheinlich durch ringförmige Muskeln, die den Augapfel zuſammen— drücken, der Glaskörperdruck geſteigert und damit die Linſe, die am leichteſten ausweichen kann, nach vorn gedrückt. Von den Amphibien akkommodieren Molche und Kröten in beſchränktem Maße. Beim Froſch ließ ſich eine Akkommodation nicht nachweiſen; für das Froſchauge iſt daher im Waſſer das Bildſehen unmöglich, aber das Waſſer iſt ja für den Froſch nicht Jagdgebiet, ſondern Zufluchtsort. Bei den übrigen Reptilien, den Vögeln und den Säugern wird die Akkommodation durch Formveränderung der Linſe bewirkt, und da das Auge für die Nähe akkommodiert, muß die Linſe ſtärker gewölbt werden. Das geſchieht auf eigentümliche Weiſe: das Linſenbändchen, das rings zwiſchen der äquatorialen Zone der Linſe und dem Ciliarkörper ausgeſpannt iſt, hält die Linſenkapſel in Spannung und übt damit auf die Linſe einen abflachenden Druck aus. Wenn dieſer Druck nach— läßt, wölbt ſich die Linſe infolge ihrer Elaſtizität ſtärker (Abb. 429); das wird durch die Zuſammenziehung des Ciliar⸗ Abb 429. Auge der Teichſchildkröte (Emys orbicularisL.) muskels bewirkt; er verengt durch ſeinen in Ruhe (A) und in Akkommodation (B). Ringmuskelteil die Offnung des Ciliar— a en ug bee Bus i made, Mi ei 9 91 körpers und zieht durch ſeinen radiären Zusammenziehung des Ciliarmuskels bewirkte Einziehung der Ciliar- 8 Br 1 gegend deutlich. Nach Th. Beer. Anteil den Ciliarkörper etwas gegen die Hornhaut; damit wird das Linſenbändchen und die Linſenkapſel entſpannt. Er— ſchlafft der Muskel, ſo werden ſie wieder geſpannt und die Linſe abgeflacht. Der Akkommodationsmuskel beſteht bei Reptilien und Vögeln aus quergeſtreiften, bei den Säugern aus glatten Faſern. Er kann ſich daher bei den erſteren ſchneller und kräftiger zuſammenziehen, und damit er für ſolche kräftige Leiſtung einen feſten Anſatz— punkt hat, iſt bei den Sauropſiden die Ciliargegend durch einen Knochenring verſteift: bei vielen Reptilien beſteht dieſer aus einzelnen Knochenſtückchen, bei den Vögeln iſt er einheitlich. Den Schlangen und Krokodilen geht mit dem Fehlen eines Ciliarmuskels auch der Knochenring in der Sklera ab. Die Akkommodationsbreite iſt beſonders groß bei den Waſſerſchildkröten: während ihr Auge in der Luft auf die Ferne eingeſtellt iſt, vermögen ſie ihre Linſe ſo ſtark zu wölben, daß ſie ſelbſt im Waſſer auf nahe Gegenſtände einſtellen können. Groß iſt auch die Akkommodationsbreite bei manchen Echſen und beſonders bei den Vögeln. Von den Säugern dagegen haben nur der Menſch und die Affen eine ausgiebige Akkommodation: es mag das damit zuſammenhängen, daß hier die Vordergliedmaßen als Hände gebraucht und mit ihrer Hilfe Gegenſtände, wie Nahrungsbrocken u. dgl., dem Auge zur Prüfung nahe gebracht werden, da ſie dann ein größeres Bild auf der Netzhaut geben. Der Geruch, der bei anderen Säugern dieſe Prüfung beſorgt, iſt bei den Primaten nur gering 684 Akkommodation. ausgebildet. Bei Hunden und Katzen iſt die Akkommodationsbreite gering, beim Kaninchen konnte gar keine Akkommodation beobachtet werden. Die meiſten Säuger laſſen ſich durch das Bewegungsſehen leiten; ihr Formenſehen iſt, in Ermangelung einer Fovea centralis 4 5 Abb. 430. Auge des Chamaeleons (4) und einer Eule (B), Ain etwa horizontalem Schnitt, B im ſenkrechten Schnitt. 1 Netzyaut, 2 Netzhautgrube, 3 Sehnerv, 4 Zapfen, 4 Fächer, 5 Ciliarmuskel, 6 Iris, 7 Hornhaut, 8 Ciliarkörper, 9 knöcherner Skeralring. A nach H. Müller, B nach Franz. in der Netzhaut, viel ſchwächer ausgebildet als beim Menſchen und bei den Vögeln: eine Katze ſtürzt ſich auf die Beute nur, wenn ſie ſich bewegt; das Reh bemerkt den unauf— fällig gekleideten Menſchen nicht, wenn er ruhig und unter Wind ſteht; es iſt leicht, ein Eichhörnchen dicht an ſich heran— kommen zu laſſen, wenn man unbeweglich bleibt, bei einem nn A \ ſcheuen Vogel gelingt das viel 4 N 4 weniger leicht. Bemerkenswert iſt es jedenfalls wie ausgiebige Akkommodation mit hoher Aus— | bildung der Netzhaut zuſam— ö ſmenfällt: von den Säugern en \ ; | / haben nur die gut akkommodie⸗ 1 > en 8 renden Primaten eine Fovea; bei Vögeln und Reptilien iſt j eine ſolche überall vorhanden. Abb. 431. Vogellinſen mit ihrem Ringwulſt, axial durchſchnitten, Die Formveränderung der Avon der Haustaube, ee eg Cvom Mauerſegler. Reptilien⸗ und Vogellinſe wird wahrſcheinlich noch unterſtützt durch eine Einrichtung ihrer Linſe, die den anderen Wirbeltieren und auch den Schlangen fehlt, durch den ſogenannten Ringwulſt. Das Linſenepithel iſt nämlich hier in der Aquatorialzone der Linſe ſehr hoch (Abb. 430), und zwar am höchſten bei ſolchen Tieren, wo man eine beſonders ſchnelle Akkommodation vorausſetzen muß: nämlich beim Chamäleon, das mit ſeinen überaus beweglichen Augen nach ſchnellfliegender Beute aus— 2 B. 2 Anomalien des menjchlichen Auges. 685 ſchaut, und bei den ſchnellen Fliegern, an denen die Umgebung mit raſender Geſchwin— digkeit vorbeieilt; vergleicht man die Taube, die Mehlſchwalbe und den Mauerſegler (Abb. 431), ſo verhält ſich die relative Dicke des Ringwulſtes an ihrer Linſe wie 16:33:40, ihre Fluggeſchwindigkeit aber etwa wie 20:60:80. Das Epithel des Ringwulſtes verändert ſeine Form ſicher leichter als der Linſenkörper, kann alſo den veränderten Spannungsverhältniſſen ſchneller nachgeben. Vom menſchlichen Auge ſind zahlreiche Anomalien bekannt, von denen uns einige kurz beſchäftigen ſollen (Abb. 432). Iſt der Augapfel zu lang, ſo vereinigen ſich paral— lele, aus der Ferne kommende Strahlen ſchon vor der Stäbchen- und Zapfenſchicht, das Auge iſt in der Ruhe für nahe Objekte eingeſtellt und kann durch weitere Akkom— modation die Gegenſtände bei nahem Heranbringen ſehr ſcharf erkennen; eine Einſtellung für die Ferne iſt nur auf künſtlichem Wege möglich durch Einſchaltung einer Zer— ſtreuungslinſe vor das Auge, wodurch parallele Strahlen divergent gemacht werden und ihr Vereinigungspunkt im Auge nach rückwärts verſchoben wird: das Auge iſt kurzſichtig („myop“). Iſt dagegen der Augapfel zu kurz, ſo werden parallele Strahlen nicht auf, ſondern hinter der lichtrezipierenden Schicht der Netzhaut vereinigt, und es muß die Linſe ſchon gewölbt, d. h. es muß ſchon akkommo— diert werden, um ferne Gegenſtände deutlich zu ſehen; das Auge iſt weitſichtig („hyper— metrop“); für das Naheſehen iſt eine Stei— gerung der Brechkraft nur künſtlich zu er— reichen durch Einſchaltung von Sammellinſen. Einen ganz anderen Grund hat dagegen die Altersweitſichtigkeit („Presbyopie“), die ſich zwiſchen dem 45. und 50. Lebensjahre beim Abb. 432. Medianſchnitt durch ein normales menſchliches Menſchen einſtellt. Die Linſe verliert im Alter Auge, in das die Lage des Augenhintergrundes bei Hypermetropie und Myopie — einge» ihre Elaſtizität und nimmt bei Entſpannung zeichnet if. Schema. 7 parallel auf das Auge auf— fallende Strahlen. nur wenig an Wölbung zu; damit wird die Akkommodation für die Nähe mehr und mehr beſchränkt, und es ſind Sammellinſen nötig, um die Brechkraft zu vermehren und das Naheſehen zu ermöglichen. Durch das Rückziehen der Linſe bei den Fiſchen und die ſtärkere Wölbung der Linſe bei Sauropſiden und Säugern wird ein Druck auf den Glaskörper geübt. Da dieſer nicht zuſammenpreßbar iſt, würde aus ſeinem Gegendruck ein Hindernis für die Akkom— modation erwachſen, wenn nicht Vorrichtungen da wären, dieſen Druck auszugleichen: es finden ſich bei dieſen Wirbeltieren im Augeninnern Organe mit zahlreichen, ſehr ober— flächlich gelegenen Blutgefäßen, aus denen das Blut durch den Druck mit Leichtigkeit verdrängt und dadurch ein Steigen des Druckes im Auge verhindert wird. Im Fiſch— auge liegt eine blutgefäßreiche Leiſte an der Stelle, wo der embryonale Augenſpalt ſich geſchloſſen hat. Bei zahlreichen Reptilien, beſonders bei den Sauriern, ragt vom inneren Winkel jener Spalte, nahe dem Sehnervenaustritt, ein gefäßreicher Zapfen (Abb. 430A, 4) in den Augenraum hinein; bei den Vögeln mit ihrer ſtarken Akkommodation liegt an der gleichen Stelle der ſogenannte Fächer (Abb. 430 B, 40) er iſt wie ein Wellblech gefaltet, ſo daß auf der ſtark vergrößerten Oberflache maſſenhafte Blutgefäße Platz finden und unmittelbar dem Druck ausgeſetzt ſind. Leiſte, Zapfen und Fächer ſind dunkel pigmentiert, 686 Iris. damit eine Reflexion des Lichtes von ihrer Oberfläche vermieden wird. Bei den Säugern ſind es die 1 Ciliarfortſätze, gefäßreiche radiär geſtellte Falten auf der Glas— — körperſeite des Ciliarkörpers, an denen die Druckregulierung ſtattfindet. Für ein deutliches Sehen iſt auch die Regulierung der Lichtmenge, die in das Auge dringt, von Wichtigkeit. Dies wird durch die Iris beſorgt, durch deren Bewegung das Sehloch (Pupille) erweitert und verengert wird; ſie beſitzt dazu einen ringförmigen Schließ— muskel und einen radiär an— geordneten Offnungsmuskel. Die Beweglichkeit der Iris iſt beſonders dort gut ausgebildet, wo die Augen ſtärkerem Licht— wechſel ausgeſetzt ſind. So fehlt den Knochenfiſchen der Tiefſee die Iris ganz. Bei den Fiſchen mit aufwärts gerichteten Augen, wie Rochen, Schollen und Himmelsgucker (Uranosco- pus), werden dieſe vom Licht am unmittelbarſten getroffen und ſind dadurch dem Hellig— keitswechſel ſehr ausgeſetzt: ſie haben Pupillen, die ſtarker Verengerung fähig ſind. Unter den Selachiern (Abb. 433) haben die in der dunkeln Tiefe lebenden, wie Chimaera, eine ſehr weite und runde Pupille (C) und ſchwache Irismuskeln; bei den Tagſelachiern (Mustelus) iſt die Pupille rund und mäßig weit (B), die Nachtſelachier, wie Katzenhai (Scyllium) und Abb. 432 a. Gecko (Tarentola mauritanica L.). Zitterrochen (Torpedo), die das helle Tageslicht von ihren Augen fernhalten, haben ſchlitzförmige Pupillen (A). Über⸗ haupt haben die Nachtwirbeltiere häufig eine ſchlitzförmige Pupille, die den völligen Abſchluß des blendenden Tageslichts leicht geſtattet, jo die Geckonen (Abb. 432 a), die Krokodile, die Kreuzotter, ferner Katzen, Luchs, Fuchs, Hyäne, Robben und manche Halbaffen, nicht aber z. B. die Eulen. Feu, Mats les Hornhaut. Divergenz der Augenachſen. 687 Die Hornhaut gehört bei den Lufttieren zum lichtbrechenden Apparat und iſt um ſo mehr an der Lichtbrechung beteiligt, je ſtärker ſie gewölbt iſt. Daher iſt ihre Wöl— bung ſehr regelmäßig. Wenn aber die Krümmung des horizontalen und vertikalen Haupt— meridians verſchieden iſt, ſo bewirkt dieſe Unregelmäßigkeit, der ſogenannte Aſtigmatis— mus der Hornhaut, eine Verzerrung der Bilder. Bei den Waſſertieren kommt ſie jedoch für die Lichtbrechung kaum in Betracht, da ihr Brechungsexponent nur wenig größer iſt als der des Waſſers; deshalb haben Waſſertiere oft unregelmäßig gebaute Hornhäute: ſie ſind bei Knochenfiſchen „ſo wenig ausgearbeitet, wie die dem Beſchauer abgewendete Seite der Giebelſtatuen griechiſcher Künſtler“. Rochen haben einen ſehr großen, Wale oft einen beträchtlichen Aſtigmatismus, ohne daß die Leiſtungsfähigkeit des Auges dadurch verringert wird. Für die Art des Sehens iſt es von großer Wichtigkeit, wie die beiden Augen zu— einander geſtellt ſind. Wenn ſie nach der Seite gerichtet ſind, haben ſie getrennte Ge— ſichtsfelder; ſind ſie nach vorn gerichtet, ſo haben ſie ein gemeinſames Geſichtsfeld. Zwiſchen beiden Extremen ſind zahlreiche Zwiſchenſtufen möglich, indem ein mehr oder weniger großer Teil der Geſichtsfelder gemeinſam ſein kann. Bei ſeitlicher Richtung der Augen iſt das — Geſamtgeſichtsfeld am größten; dieſer Vorteil nimmt ab bei vermin— derter Divergenz der Augenachſen. Dagegen bietet das Zuſammen— fallen der beiden Ge- Abb. 433. Schema der Iris eines Nachtſelachiers (4), eines Tagſelachiers (B) / x und eines Tiefenſelachiers (C) Nach V. Franz. ſichtsfelder einer an— deren, hervorragenden Vorteil: es iſt die Grundlage für körperliches Sehen. Das Bild, das im rechten Auge von einem Gegenſtand entworfen wird, iſt etwas verſchieden von dem im linken Auge: von einem ſcharfen Keil, der mit der Schneide gegen uns in der Verlängerung unſerer Medianebene ſteht, erblickt das rechte Auge nur die rechte, das linke nur die linke Fläche, beide zuſammen erkennen ihn als Keil. Dieſe Ver— ſchiedenheit der beiden Bilder nimmt zu, wenn der Gegenſtand den Augen näher kommt; daher ergibt ſich aus dem unbewußten Vergleich der Bilder die Tiefenwahr— nehmung, die Grundlage für die Schätzung von Entfernungen und Größen, für das Augen— maß. Damit mag es zuſammenhängen, daß unter den Säugern außer dem Menſchen und den Affen, deren Augenachſen parallel ſind, beſonders die Katzenartigen binokular ſehen, die ihre Beute im Sprunge ergreifen, alſo deren Abſtand mit den Augen ſchätzen müſſen: beim Löwen bilden die Augenachſen einen Winkel von etwa 10°, bei der Hauskatze von 14— 18%. Die Augenachſen der Hunde divergieren weit mehr, um 30— 50. Bei den flüchtigen Säugern überwiegt durchaus der Vorteil des großen Geſichtsfeldes, ſie haben ſehr divergente Augen: der Winkel der Augenachſen beträgt bei den Hirſchen über 1000, bei der Giraffe 140%, beim Haſen 170%. Bei den Vögeln iſt ein zweiäugiges Sehen mit teilweiſe gleichen Geſichtsfeldern weit verbreitet; nach ihrer Geſchicklichkeit im Ver— meiden von Hinderniſſen beim ſchnellen Flug durch Gezweig oder auch enge Offnungen (3. B. Stallſchwalbe) dürfen wir ihnen ein hochausgebildetes Augenmaß zuſchreiben. Vergrößerung des Geſichtsfelds ergibt ſich auch als eine der Wirkungen, die mit der Beweglichkeit des Augapfels in der Augenhöhle verknüpft ſind. Andrerſeits wird 688 Vollſtändige und teilweiſe Kreuzung der Sehnerven. es dadurch ermöglicht, Gegenſtände zu fixieren, d. h. ihr Bild auf eine beſtimmte Stelle der Netzhaut zu bringen. Die Augenbewegungen werden durch Muskeln bewirkt, die einerſeits am Skelett der Augenhöhle, andrerſeits am Augapfel anſetzen; es ſind ihrer mindeſtens ſechs durch die ganze Wirbeltierreihe: vier ſogenannte gerade und zwei ſchiefe Augenmuskeln; die Anordnung iſt aus Abb. 434 leicht erſichtlicht. Bei vielen Säugern, den Reptilien und Amphibien kommt als ſiebenter noch der Rückziehmuskel des Aug— apfels hinzu, der trichterförmig im Umkreiſe des Sehnerven entſpringt. Die Augenmus— keln ſind bei den Säugern kräftig, bei den übrigen Wirbeltieren dagegen ſchwächer aus— gebildet. Die Abſchätzung des Betrags der Augenbewegungen iſt ein anderes wichtiges Hilfsmittel für die optiſche Orientierung, für das Augenmaß. Daher befinden ſich in den Augenmuskeln neben den motorischen zahlreiche rezeptoriſche Nervenendigungen, 6 welche die Größe dieſer Bewegungen anzeigen. Bei ſeitlich gerichteten Augenachſen geschehen die Bewegungen des einen Auges unabhängig von denen des anderen. Am ſchönſten läßt ſich das beim Chamäleon mit ſeinen weit vor— ſpringenden, ungemein beweglichen Augen beob— achten (Tafel 14). Wo jedoch die Geſichts— felder der beiden Augen ſich vollſtändig decken, wie beim Menſchen und den Affen, ſind die Augenbewegungen koordiniert, ſo daß das Bild eines Gegenſtandes in beiden Augen auf ent— ſprechende Stellen der Netzhaut, z. B. beider— ſeits auf die Netzhautgrube fällt. Die Sehnerven ſind von einer widerſtands— Ae n Ren e . fähigen bindegewebigen Scheide, die mit der gleichzeitige Entfernung ber ee Sklera des Auges zuſammenhängt, umgeben und A ce Ae ae ee Zerrungen geſchützt, die bei heftigen Augen— des oberen e Kieferhöhle. bewegungen eintreten könnten. Vor dem Ein— tritt ins Gehirn kreuzen ſich die Sehnerven, und zwar iſt die Kreuzung bei Fiſchen, Amphibien und Sauropſiden vollſtändig, bei den Säugern dagegen nur teilweiſe: ein Teil der Faſern, die von einem Auge kommen, geht hier zur gegenüberliegenden, ein anderer zur gleichſeitigen Hirnhälfte. Bei den Affen ſcheint die Zahl der beiderlei Faſern gleich zu ſein, bei der Katze verhalten ſich die gekreuzten zu den ungekreuzten wie 4: 3, beim Kaninchen ſind nur wenige un— gekreuzte vorhanden. Dieſe wenigen Beiſpiele genügen zwar nicht zu ſicheren Schlüſſen; ſie laſſen aber immerhin die Vermutung zu, daß die Zahl der ungekreuzten Faſern mit ſteigender Divergenz der Augenachſen abnimmt, daß alſo das Unterbleiben der Kreuzung mit der Gemeinſamkeit der Geſichtsfelder etwas zu tun hat. Vielleicht darf man einen Zuſammenhang der Sehnervenkreuzung mit der Verſchiedenheit der Geſichtsfelder und der Anordnung der im Auge entworfenen Bilder annehmen: in jedem Auge entſteht ein umgekehrtes Bild des Geſichtsfeldes; die Teilerregungen der einzelnen Netzhautteile werden in beſtimmter räumlicher Anordnung ins Zentralorgan geleitet; wären die Seh— nerven nicht gekreuzt, ſo würden wahrſcheinlich die Erregungen, die von nicht zuſammen— paſſenden Teilen der Geſichtsfelder ausgehen, im Gehirn benachbart ſein; die Kreuzung aber bewirkt, daß die Erregungen im Zentralorgan ebenſo zueinander geordnet ſind, Tafel XIV. Chamäleons. Oben Chamaeleon fischeri Rehw., das Männchen oben, tiefer das Weibchen; unten Rampholeon brevicaudatus Mtsch.; beide aus Oſtafrila. Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. Augenlider. 689 wie die Gegenſtände, denen ſie entſprechen (Abb. 435). Die gleiche Wirkung wird viel- leicht im Tintenfiſchauge durch die Kreuzung der Nervenfaſern zwiſchen Netzhaut und Augenganglion erreicht. Schließlich ſei der Schutzeinrichtungen des Wirbeltierauges mit einigen Worten ge— dacht: es ſind die Augenlider und der Drüſenapparat des Auges. Die Augenlider ſind bewegliche Hautfalten, dorſal und ventral in der nächſten Umgebung des Auges; die innere Bekleidung der Falte, von ihrem Rand bis zur Hornhaut, heißt Bindehaut (Konjunktiva), der Raum, den ſie auskleidet, Bindehautſack (Konjunktivalſack). Die Lider dienen zum zeitweiligen Lichtabſchluß; ſie ſorgen auch für die Verteilung der Drüſenſekrete über der Hornhaut, halten ſie damit glatt und verhindern Eintrocknen, Trü— bung und Riſſigwerden ihrer oberſten Epithelſchichten. Schließlich bilden ſie auch einen Schutz gegen mechaniſche und chemiſche Reize. Bei den Waſſerwirbeltieren, den Fiſchen und niedrigſten Amphibien, fällt eine ihrer wichtigſten Aufgaben fort, die Anfeuchtung der Hornhaut. Deshalb fehlen ſie hier oft ganz; nur manchen Hai— 8 fiſchen kommen ſie in verſchiedener g Anordnung zu. Bei den höheren Amphibien, den Sauropſiden und Säugern dagegen ſind Augenlider ſtets vorhanden. Beim Froſch iſt das obere Lid unbeweglich, das untere kann über das Auge herüber— gezogen werden. Sauropſiden und Säuger haben noch ein drittes Augen— lid, die Nickhaut; dieſe iſt eine durch— ſcheinende Bindehautfalte miteigener Muskulatur, die vom inneren (na— ſalen) Augenwinkel über das Auge Abb. 435. Schema der Wirkung der Sehnervenkreuzung. gleitet (Abb. 374). Bei den Schlangen Die Erregungen, die in den beiden Netzhäuten durch die Bilder der Licht— find oberes und unteres Augenlid ener enfpregenden Ao nung im Bentealorgen, wie bie Simtpuntte fe durchſichtig und mit ihren Rändern baben, % de, a und f am ER entfernt, e und 4 verwachſen; ſo bilden ſie einen ein— heitlichen Vorhang vor dem Auge, die ſogenannte Brille. Bei den Vögeln iſt das untere Augenlid beweglicher als das obere, das ſich nur wenig ſenkt; bei den Säugern iſt das umgekehrt. Die Nickhaut der Sauropſiden iſt ſtets gut ausgebildet und beſorgt die An— feuchtung der Hornhaut in der Hauptſache allein; bei Säugern dagegen iſt ſie meiſt zurückgebildet: nur wenige, wie die Huftiere und das Erdferkel (Orycteropus) beſitzen eine Nickhaut, die noch ganz über die Hornhaut gleitet; bei den Schweineartigen iſt ſie noch etwas ſtärker, bei allen übrigen Säugern ſehr gering entwickelt; ihre Aufgabe über— nimmt das obere Augenlid. Die Kanten des oberen und unteren Lides werden daher hier mit einem fettigen Sekret verſorgt, das eine Benetzung derſelben nicht geſtattet und ſomit ein Überlaufen der Tränenflüſſigkeit verhindert; das Sekret ſtammt von den ſoge— nannten Meibomſchen Drüſen des Lidrandes. Der Drüſenapparat des Auges beſteht aus verſchiedenen Drüſen, die in den Binde— hautraum münden: im Naſenwinkel münden die ſogenannten Harderſche und die Nickhautdrüſe, im Schläfenwinkel die Tränendrüſe; erſtere haben ein mehr fettiges und Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 44 0 9 4 690 Augendrüfen. Unpaares Auge. ſchleimiges Sekret, letztere ſondert eine wäßrige Salzlöſung ab. Dieſe Sekrete liefern den Stoff zum Anfeuchten und Geſchmeidighalten der Hornhaut. Den Fiſchen fehlen da— her die Augendrüſen ganz; der Froſch hat nur Harderſche Drüſen; bei den Sauro— pſiden ſind beiderlei Drüſen vorhanden. Unter den Säugern haben Fledermäuſe, Affen und Menſchen nur die Tränendrüſen; bei den Waltieren liegen in beiden Winkeln des Auges Drüſen mit fettigem Sekret, das offenbar zum Schutz des Auges gegen die Ein— wirkung des Seewaſſers dient. Das überſchüſſige und verbrauchte Sekret findet ſeinen Weg durch den ſogenannten Tränennaſengang in die Naſenhöhle. Manche Wirbeltiere beſitzen noch ein drittes, unpaares Auge, das ſogenannte Parietal— auge oder Pinealauge. Es iſt ein Organ, das wie die paarigen Augen als Aus— ſtülpung der Hirnwand, und zwar der dorſalen Wand des primären Vorderhirns ent— ſteht. Angelegt wird es in der ganzen Wirbeltierreihe; aber nur bei wenigen Formen ſcheint es jetzt noch als Sinnesorgan tätig zu ſein. Meiſt iſt es mehr oder weniger reduziert und bildet die ſogenannte Zirbeldrüſe. Als Sehorgan ſcheint es noch beim Neunauge (Petromyzon) in Funktion zu treten: die proximale Wand des Zirbelbläschens iſt pigmentiert und ihre Sehzellen tragen Stäbchen, die aus dem Pigment hervorragen; eine Linſe iſt nicht vorhanden. Auch bei den Echſen ſcheint es vielfach noch zu funktionieren; hier iſt die diſtale Wand des Bläschens zur Linſe verdickt, die proximale Wand bildet die Netzhaut. Das Parietalauge liegt hier dicht unter oder in einer Durchbohrung des Schädeldaches, dem Foramen parietale, und die über dem Loch liegenden Schuppen ſind durchſichtig. Auch bei ausgeſtorbenen Reptilien und bei den Labyrinthodonten, uralten Amphibienformen der triaſſiſchen Ablagerungen, ſind Parietallöcher vorhanden, ſo daß wir auch dort auf die einſtige Anweſenheit eines funktionsfähigen Parietalauges ſchließen können. Die Sehorgane der Gliederfüßler. Die Leiſtungen der Linſenocelle werden alſo durch Vergrößerung des einzelnen Auges und durch Hinzutreten mannigfacher Hilfsapparate ſo vervollkommnet, daß ſchließ— lich ſo wunderbar komplizierte Bildungen entſtehen, wie wir ſie in den Augen der Tintenfiſche und der Wirbeltiere vor uns haben. Auf anderem Wege wird ein höher ausgebildetes Sehen mit Hilfe von Linſenocellen bei den Gliederfüßlern erreicht: nämlich durch Vermehrung der Einzelocelle. Linſenocelle einfacher Art find bei den Glieder— füßlern häufig: ſie ſtehen bei den Spinnentieren in einem oder mehreren Paaren auf der Kopfbruſt, bei den Inſektenlarven in geringer Zahl zu ſeiten des Kopfes, bei vielen Tauſendfüßern ſind ſie zahlreicher und bilden lockere Anhäufungen, und aus ſolchen gehen bei einem Tauſendfuß, Scutigera, zuſammengeſetzte Augen hervor. Mit ſolchen zuſammen— geſetzten Augen, deren Entſtehung wir uns ähnlich wie bei Scutigera denken dürfen, ſind die meiſten Krebſe und das unendliche Heer der Inſekten ausgeſtattet. Die Linſenocelle der Gliederfüßler ſind überaus vielgeſtaltig. Alle aber ſtimmen, mit ganz wenigen Ausnahmen, darin überein, daß die Linſe durch eine bikonvexe Ver— dickung der das Auge außen überziehenden Kutikula gebildet wird. Mit Rückſicht auf die Entſtehung der Netzhaut können wir zwei Grundformen unterſcheiden: die Netzhaut iſt entweder eine mehr oder weniger einfache Umbildung der unter der Linſe hinziehenden Epidermis, oder es ſind durch ſeitliche Überſchiebung oder Einſtülpung zwei oder drei Zellagen entſtanden, deren äußerſte die Linſe abſcheidet, während die zweite zur Netzhaut wird. Die erſte Art von Oecellen findet ſich bei Tauſendfüßern und Inſekten (Abb. 436), auch die ſog. Nebenaugen der Skorpione und die Ocelle der Waſſermilben gehören daher; Linſenocelle der Gliederfüßler. 691 die andere Art kommt nur bei Spinnentieren vor (Abb. 437). Als Urbild der einfachen Ocelle kann man den Deell einer Schwimmkäferlarve (Abb. 415) betrachten, der die Zugehörigkeit der Sehzellen zur Epidermis mit ſchematiſcher Deutlichkeit zeigt: im Grunde einer engen Einſtülpung liegen die Sehzellen und über ihnen ſchließen ſich die rand— ſtändigen Zellen der Einſtülpung ſo eng zuſammen, daß ſie eine zuſammenhängende Lage bilden, von der die Linſe ſtammt. Ahnlich ſind auch die Ocelle der Tauſendfüße gebaut. Die Stirnocelle der Inſekten und die Ocelle mancher Inſektenlarven zeigen keine einfache Zellage mehr; vielmehr ſind hier die Sehzellen aus der Epidermis ausgewandert und liegen mit ihren freien Enden entweder noch zwiſchen den Epithelzellen (Abb. 436 B) oder ganz unter denſelben (Abb. 416), ſo daß im letzteren Falle eine geſchloſſene Netz— . , J , 2 , [9 —(% Abb. 436. Stirnocelle von Inſekten im Medianſchnitt, 4 von A 2 der Küchenſchabe (Periplaneta orientalis P.), B von einer 4 72 ; } 2 Blattlaus (Pemphigus fraxini Htg.), C von einer Libelle (Agrion). 1 Kutikula, 2 Epidermis, 3 Linſe, 4 Corneagenzellen (bei der Libelle im völlig entwickeltem Zuſtande nicht mehr ſichtbar), 5 Sehzellen mit ihren Rhabdomen 6 (bei der Libelle zwei Lagen von Sehzellen 5’ und 5“) und ihren Nervenfortſätzen 7, 8 Tapetum. A und B nach Link. Ye gi . 4 ) haut unter einer linſenabſcheidenden Zellſchicht liegt, ähnlich wie es in den Spinnen— augen iſt, aber auf anderem Wege entſtanden. Das Pigment kann verſchieden angeordnet ſein; es liegt entweder in den Sehzellen ſelbſt oder in Bindegewebezellen, die den Ocell von der proximalen Seite umgeben. | Die Leiſtungen der Linſenocelle bei den Gliedertieren find mannigfach verſchieden, je nach deren Ausbildung. Von großer Wichtigkeit iſt die Zahl der Sehzellen: wo nur wenige Sehzellen vorhanden ſind, wie in den Ocellen der Schmetterlingsraupen, die deren ſieben beſitzen, oder in denen der Tauſendfüße Julus und Lithobius, da wird die Leiſtung des Einzelocells nicht über ein Richtungsſehen hinausgehen. Mit zunehmender Zahl der Sehzellen nimmt auch die Leiſtung zu; damit aber ein Bildſehen zuſtande kommt, müſſen die Sehzellen in Flächen ſenkrecht zur Linſenachſe nebeneinander geordnet 44* 692 Leiſtungen der Linſenocelle. ſein; wo ſie ungeordnet unter der kutikulären Linſe liegen, wie bei der Küchenſchabe (Abb. 436 A) und anderen Geradflüglern, da kann nur an ein Helldunkelſehen und viel- leicht noch Richtungsſehen gedacht werden. Daß ein Bildſehen ſtattfindet, iſt für die Ocelle der Springſpinnen bekannt: für Springſpinnen hat das Ehepaar Peckham mit Sicherheit nachgewieſen, daß die Geſchlechter ſich durch den Geſichtsſinn erkennen; das Männchen bemerkt das Weibchen nicht und führt ſeinen ſonderbaren, charakteriſtiſchen Liebestanz (Abb. 314) nicht aus, wenn ihm die Augen mit undurchſichtigem Lack verſtrichen ſind. In einfacher Weiſe kann man die Reaktionen der Springſpinnen auf Lichtreize beobachten, wenn man die Hand in einiger Entfernung vor ihnen hin und her führt; ſie Abb. 437. Spinnenocelle im Medianſchnitt. Vorderes Mittelauge einer Winkelſpinne (Tegenaria). B Einer der hinteren Ocelle einer Wolfsſpinne (Lycosa). 1 Epidermis, 2 Kutikula, 3 Linſe, 4 Corneagenzellen, 5 Kerne der Sehzellen, 6 deren rezipierende Elemente und 7 deren Nervenfortſätze (Sehnerv), 8 Tapetum. In A liegen die Kerne der Sehzellen hinter der Abgangsſtelle des Nervenfortſatzes, die Netzhaut iſt invertiert, in B liegen fie vor dem Nervenanſatz, die Sehzelle iſt kon— vertiert. Nach Widmann. eee . n = = Dan I ee x z bewegen dann die Kopfbruſt entſprechend hin und her, als ob fie der Hand mit den Augen folgten. Von den vier Paar Oecellen, die bei den Spinnen im allgemeinen in zwei oder drei Reihen an der Vorder- und Rückenſeite der Kopfbruſt ſtehen, ſind es hier jedenfalls die vorderen Mittelaugen, die größten bei den Springſpinnen, in denen die Bildrezeption zuſtande kommt; denn nach einer Berechnung, die für die amerikaniſche Springſpinne Phidippus gilt, bedeckt das Bild eines Quadratzentimeters, der ſich in einer Entfernung von 10 em vom Auge befindet, im vorderen Mittelauge 1444 Stäbchen, in den übrigen Augen jedoch nur 64 bezw. 4 bezw. 49 Stäbchen. Für Springſpinnen und Laufſpinnen, die ihre Beute im Herumlaufen erjagen und ſpringend ergreifen, iſt eine ſolche Schärfe des Geſichtsſinns lebenswichtig; dementſprechend ſind ihre Augen im allgemeinen größer, und bei den Wolfsſpinnen (Lycosa) iſt an den vorderen Mittelaugen ein Muskelpaar Kombination von Dcellen. 693 nachgewieſen, das durch gleichzeitige Zuſammenziehung die Schicht der Linſenmutterzellen (Corneagenzellen) zuſammendrücken und damit die Netzhaut der Linſe nähern kann, das Auge alſo für fernere Gegenſtände einſtellt. Die lauernden Netzſpinnen dagegen, die ihre Beute nicht aufſuchen, ſondern von deren Anflug in das Netz durch den Taſtſinn benach— richtigt werden, reagieren weit weniger auf optiſche Reizung. Weiterhin kommt für die Leiſtungen der Ocelle der Abſtand der lichtrezipierenden Abſchnitte der Sehzellen von der Linſe in Betracht. Da im allgemeinen dieſen Oeellen eine Akkomodationsfähigkeit nicht zukommt, ſo iſt natürlich dieſer Abſtand entſcheidend für die Lage der zugeordneten Entfernungszone. Oben wurde ſchon der Stirnocell einer Fliege (Abb. 416) geſchildert, bei dem ein Abſchnitt des Sehepithels für die Nähe, der andere für die Ferne eingeſtellt iſt. In den Stirnocellen der Libellen (Abb. 4360) liegen ſogar zwei Schichten von Sehzellen ſo gegeneinander verſchoben, daß ihre lichtrezipieren— den Stiftchenſäume von der Linſe verſchieden weit abſtehen: die einen hören da auf, wo die anderen anfangen. Der Erfolg iſt, wenn auch die Zahl der Sehelemente in jedem der beiden Niveaus dadurch auf die Hälfte vermindert und damit die Genauigkeit des Bildſehens verringert iſt, doch für die beſonderen Lebensverhältniſſe dieſer Tiere wichtig: wenn ſich ein Gegenſtand, etwa ein Beutetier, der Libelle nähert, ſo wird ſein Bild zuerſt die diſtale Reihe der Stiftchenſäume treffen und beim Näherkommen auf die proximale übergehen; dieſer Übergang wird eine ſtarke Veränderung des Reizes mit ſich bringen, alſo eine beſtimmte Entfernung des Beutetiers mit Nachdruck ſignaliſieren: ein Entfernungsſehen eigener Art. Beſonders auffällig iſt der verſchiedene Abſtand der ſog. Stäbchen von der Linſe in den Ocellen der Spinnen (Abb. 437). Die vier, zuweilen drei Paar Ocelle unterſcheiden ſich durch Größe und Anordnung der Netzhaut: in den vorderen Mittelocellen liegen die rezipierenden Abſchnitte der Sehzellen der Linſe näher als in den Seitenocellen; jene ſind alſo für fernere, dieſe für nähere Gegenſtände ein— geſtellt. In den hinteren Mittelaugen iſt die Netzhaut, wenigſtens bei der Kreuzſpinne, geteilt: ein vorderer Abſchnitt entſpricht dem vorderen Mittelauge und dient dem Fern— ſehen, ein hinterer Abſchnitt entſpricht den Seitenaugen und dient dem Naheſehen. Die Sehfelder der vier Augenpaare ergänzen ſich ziemlich genau, und das Geſamtſehfeld nimmt in der Horizontalebene einen Winkel von 240 — 270“ ein. — In den Ocellen vieler Inſekten, z. B. des Steinhüpfers (Machilis), der Libellen und Grillen, und in den für das Naheſehen eingerichteten Ocellen der Spinnen iſt ein Tapetum vorhanden, deſſen Glanz man bei den Spinnen leicht am lebenden Tier erkennen kann. Seine Be— deutung iſt hier ebenſowenig klar wie für die Augen der Wirbeltiere. Die Ocelle der Inſektenlarven ſind häufig in größerer Zahl vorhanden, fünf bis ſechs auf jeder Seite des Kopfes, wie bei den Schmetterlingsraupen, bei vielen Käfer— larven oder den Larven mancher Netzflügler; damit wird das Geſamtſehfeld vergrößert und neben dem Richtungsſehen auch in beſchränktem Maße ein Bewegungsſehen ermög— licht. Beſonders ausgeſprochen iſt dieſe Anhäufung bei vielen Tauſendfüßern: während Formen wie die Scolopendra eingulata Latr. der Mittelmeergegenden nur vier Ocelle jederſeits haben, dieſe aber von bedeutendem Umfang, kommen bei unſeren Lithobius- Arten 25—40 jederſeits vor. Durch derartige Kombination von Richtungsocellen kommt es zu einem Bewegungsſehen, das um ſo deutlicher wird, je größer die Zahl der Einzel— ocelle iſt. Bei dem Tauſendfuß Scutigera drängen ſich die Ocelle zu ſeiten des Kopfes derart, daß ſich nur noch Spuren anderen Gewebes zwiſchen fie einſchieben: fie platten ſich aneinander zu ſchlanken Pyramiden ab und bilden jederſeits ein einheitliches zu— 694 Zuſammengeſetzte Augen der Krebſe und Inſekten. ſammengeſetztes Auge. Ebenſo muß man ſich wahrſcheinlich die zuſammengeſetzten Augen (Abb. 438) der Krebſe und Inſekten, die in der Regel in einem Paar am Kopfe vor— handen ſind, durch Zuſammentreten von Linſenocellen entſtanden denken, wie ſie bei den Abb. 438. Zuſammengeſetztes Inſektenauge, aus dem ein Sektor herausgeſchnitten iſt. 1 Cornealinſe, 2 Kegel, 3 Hauptpigmentzelle, zugleich Corneagenzelle, 2 Nebenpigmentzellen, 5 Kern einer Sehzelle, 6 Rhabdom. Aſſeln einerſeits, bei den Springſchwänzen und dem Silberfiſchchen (Lepisma) anderer— ſeits noch getrennt zu ſeiten des Kopfes vorkommen. Wie das ſchon bei der engen Gruppierung der Pigmentbecherocelle erörtert wurde, kommt durch das Zuſammenwirken zahlreicher Einzelocelle in ſolchen Augen ein muſiviſches Sehen zuſtande. Die zuſammengeſetzten Augen der Krebſe und Inſekten, auch Facetten- oder Netzaugen genannt, ſind in ihrem Aufbau überaus ein— förmig. Jeder einzelne Linſenocell, jeder Augen— keil beſteht aus 13 oder 14 Zellen in ſtets gleicher Zuſammenordnung (Abb. 439): zwei Linſenzellen oder „Corneagenzellen“, von denen die kutikulare Linſe ſtammt, vier Kegelzellen, die den lichtbrechenden Kegel zuſammenſetzen, und ſieben bis acht Sehzellen, die ſog. Retinula bildend. Die Linſen ſtoßen dicht aneinander | und grenzen fich in meiſt ſechseckigem Umriß Abb. 439. Zwei Augenkeile eines primitiven zu— gegeneinander ab; dadurch ſieht die Oberfläche e e vom des zuſammengeſetzten Auges gefeldert oder 1 Cornealinſe, 2 Kegelzellen, 3 Corneagenzellen — Haupt- „facettiert“ aus, worauf der Name Facetten— ke der Seelen, 7 Nebenpigmentgele z oder Nezaugen hindeutet“ Die ei bleiben überall dort unmittelbar unter der Linſe liegen, wo die Kutikula des Auges bei der Häutung entfernt wird und neugebildet werden muß; wo dagegen das Facettenauge erſt bei dem letzten Entwicklungsſtadium auftritt, das ſich nicht mehr häutet, alſo bei allen Inſekten mit vollkommener Verwand— lung, reichen die Linſenzellen nicht mehr bis unter die Kutikula, ſondern entfernen ſich Bau des zuſammengeſetzten Auges. 695 ſchon während des Puppenzuſtandes von ihr und ſinken in die Tiefe; ſie dienen dann nur noch als ſog. Hauptpigmentzellen, d. h. ſie ſind mit körnigem Pigment erfüllt und umgeben die Kegel und den Beginn der Retinula. Auch dort, wo bei den Inſekten die Linſenzellen dauernd mit der Kutikula verbunden bleiben, alſo bei den Formen mit un— vollkommener Verwandlung, erſtrecken ſie ſich bis zur Spitze des Kegels, enthalten hier Pigment und dienen als Blendungen (Abb. 439). — Nach der Beſchaffenheit der ſie zuſammenſetzenden Kegelzellen kann man verſchiedene Arten von Kegeln unterſcheiden: Zellkegel, bei denen die Beſtandteile ihre Zellnatur unverändert beibehalten; Sekretkegel, wenn die vier Zellen gegen die Linſe zu eine kegelförmige Sekretmaſſe abgeſchieden haben; Kriſtallkegel, wenn der geſamte Inhalt der Zellen in eine Maſſe von kutikularer Konſiſtenz und hoher Lichtbrechung umgewandelt iſt, der die Kerne diſtal aufliegen. Dem— entſprechend teilt man die Augen in acone (mit Zellkegeln), pſeudocone (mit Sekret— kegeln) und eucone (mit Kriſtallkegeln) ein; die aconen Augen kommen nur bei Inſekten, die pſeudoconen bei einigen Krebſen und bei den Zweiflüglern, die euconen bei den meiſten Krebſen und unter den Inſekten bei den Hymenopteren, Schmetterlingen und vielen Käfern vor. — In der Retinula liegen die Sehzellen ſo, daß ſie ihre rezipieren— den Teile, mehr oder weniger umgewandelte Stiftchenſäume, der Achſe des Augenkeiles zukehren; meiſt ſtehen dieſe hier dicht gedrängt, verſchmelzen oft untereinander und bilden einen einheitlichen Stab, das Rhabdom; ja bei manchen Krebſen ſchieben ſich die be— nachbarten Stiftchenſäume ſo ineinander wie die Borſten zweier gegeneinander gepreßter Bürſten. Die von den Sehzellen ausgehenden Nervenfaſern treten gewöhnlich in ein beſonderes Sehganglion, das ſeinerſeits mit dem Gehirne verbunden iſt. Die einzelnen Augenkeile ſind gewöhnlich durch eine wechſelnde Menge pigmentierter Epithelzellen, ſog. Nebenpigmentzellen, voneinander getrennt und zugleich optiſch iſoliert; meiſt enthalten auch die Sehzellen ein körniges Pigment. Linſe und Kegel bilden zuſammen den lichtbrechenden Apparat, die Retinula den lichtrezipierenden Teil des Augenkeils. Die Beſchaffenheit dieſer beiden iſt entſcheidend für die Art des Sehens im Augenkeil: jener beſtimmt das Sehfeld, dieſer die Ein- oder Vielheit der gleichzeitig aufgenommenen Reize. Die Zahl der Retinulazellen iſt zu gering, als daß in einem Facettenglied für ſich allein ein Bildſehen ſtattfinden könnte; ja die Anordnung der Stiftchenſäume, die ſich eng zuſammenſchließen und oft ſogar verſchmelzen, bringt es mit ſich, daß ſie alle durch das gleiche Strahlenbündel gereizt und alle ſieben Sehzellen in gleicher Weiſe erregt werden: ſo nimmt jedes Facettenglied nur einen ein— heitlichen Reiz auf. Der lichtbrechende Apparat bewirkt, daß nur Strahlen, die ganz oder nahezu parallel zur Achſe des Facettengliedes auf die Oberfläche der Linſe fallen, zu dem Rhabdom gelangen; dieſe werden durch die lichtbrechende Kraft der Linſe und die Tätigkeit des Zellkegels dem diſtalen Ende des Rhabdoms zugeleitet. Das geſchieht bei den Zell- und Sekretkegeln in der Weiſe, daß jene Strahlen, ſo weit ſie nicht geraden Wegs zum Rhabdom gelangen, durch wiederholte totale Reflexion an den Wänden des Kegels in deſſen verſchmälertes Ende, das gerade die Dicke des Rhabdoms hat, hinein— gelangen; ſchräger einfallende Strahlen werden durch die Wand des Kegels nicht reflek— tiert, ſondern treten durch ſie hindurch in das umgebende Pigment und werden dort abſorbiert. In den Kriſtallkegeln iſt der Strahlengang anders: hier iſt die Lichtbrechung in der Achſe am ſtärkſten und nimmt gegen die Peripherie in konzentriſchen Schichten ab. Dadurch werden die einfallenden Strahlen auf gebogenem Wege durch den Kegel geleitet (Abb. 440) und gelangen, falls ihre Richtung nicht ſehr von der Achſe abweicht (7), ‘ \ 3 \ Abb. 440. Strahlengang im (Kriſtall⸗) Kegel der eu⸗ conen Facet⸗ tenaugen. 1pa⸗ rallel zur Achſe des Kegels einfallende Strahlen und 2 ſchräg einfallende Strahlen. Nach S. Exner. Zahl der Augenkeile im Facettenauge. nahe der hier ſtumpfen Spitze des Kegels zum Eintritt in das Rhabdom oder doch in einen Protoplasmaſtrang, der ſie dieſem durch totale Lichtbrechung zuleitet; ſchräger einfallende Strahlen (2) treten ſeitlich von der Spitze des Kegels aus dieſem aus und zwar nach der gleichen Seite, von der ſie her— kommen, und gelangen ſo in das umgebende Pigment. So fällt die Be— grenzung des Sehfelds etwa zuſammen mit der Verlängerung des Kegelmantels, der den Augenkeil begrenzt und, bei günſtiger Abſtimmung der Brechungs— verhältniſſe, ſchließen ſich die Einzelſehfelder ebenſo eng aneinander wie die Augenkeile. Von einem Punkt vor dem Auge können die Strahlen nur in das Rhabdom desjenigen Augenkeils gelangen, in deſſen Sehfeld er liegt oder das ihm, wie wir ſagen wollen, zugeordnet iſt; die Strahlen, die auf die Nachbarlinſen fallen, werden ſeitlich abgelenkt und von Pigment verſchluckt. Ein Gegenſtand vor dem Auge erregt alſo ſo viele Augenkeile, als er Einzelſehfelder einnimmt; die Geſamterregung ſetzt ſich muſiviſch aus den Einzelerregungen zuſammen und iſt verſchieden, je nach der Form des Gegenſtandes und der Lichtſtärke ſeiner verſchiedenen Abſchnitte: wir haben ein muſiviſches Sehen (Abb. 410). Je zahlreicher die Augenkeile ſind, um ſo größer iſt die Leiſtungs— fähigkeit des Geſamtauges. Bei den Inſekten finden wir zuweilen Facetten— augen von außerordentlicher Größe: in einem Auge eines Totenkopfes (Acherontia atropos L.) ſind 12400 Augenkeile vereinigt, in dem einer großen Libelle (Aeschna grandis L.) 10000, bei einer Hummel 4000, beim Diſtelfalter (Vanessa cardui L.) 4500, bei der grünen Laubheu— ſchrecke (Locusta viridissima L.) 2000. Unter verwandten Formen hat die größere Art zahlreichere Augenkeile: der Walker (Polyphylla fullo L.) hat deren 12 150, der Maikäfer 5475, der Junikäfer 3700. Fliegende Inſekten beſitzen fie in größerer Anzahl als ihre nichtfliegenden Verwandten: der männliche Leuchtkäfer (Lam- pyris splendidula L.) hat in einem Auge 2500, das ungeflügelte Weibchen nur 300 Augen— Abb. 441. Medianer Längsſchnitt durch das Auge des Waſſerflohs Bythotre- 5 > A phes longimanus Leyd. 7 „Srontauge'mit Winkels Platz haben; denn dann wird ein Gegenſtand weniger divergierenden Augenkeilen, 2 „Seiten— auge“, 3 Kriſtallkegel. keile; beim fliegenden Sandlaufkäfer ſind es 3150, bei einem gleich großen, flugunfähigen Laufkäfer (Harpalus) nur 700. Bei den Ameiſen, wo die Geſchlechtstiere fliegen können, die Arbeiter jedoch nicht, haben jene die weit größeren Augen, und zwar die wegen ihres geringeren Gewichtes fluggewandteren Männchen die größten: von Formica pratensis Geer. hat das Männ⸗ chen 1200, das Weibchen 830, die Arbeiterin nur 600 Augenkeile; Solenopsis fugax Latr. hat im männ⸗ lichen Geſchlechte ihrer 400, im weiblichen 200, bei den Arbeiterinnen gar nur 6—9. Die Leiſtungsfähigkeit des Facettenauges iſt nach zwei Richtungen ſteigerungsfähig: es kann die Schärfe der rezipierten Bilder und die Größe des Geſamtſeh— feldes zunehmen. Die Schärfe der Bilder iſt um ſo größer, je mehr Augenkeile innerhalb eines gegebenen Nach Mil . von beſtimmter Größe, der ſich vor dem Auge befindet, Bildſchärfe und Größe des Sehfeldes. 697 um ſo mehr Einzelſehfelder ausfüllen, alſo eine um ſo differentere Geſamterregung hervorrufen. Die Schenkel eines Winkels von 40° faſſen im Auge eines Windigs (Sphinx convolvuli L.) 50 —60 Augenkeile zwiſchen ſich, bei einer großen Libelle (Aeschna cyanea Müll.) deren 30—60, je nach dem Teil des Auges, beim Gelbrand (Dytiscus marginalis L.) höchſtens 30, beim Blutströpfchen (Zygaena) 20, bei der Schaum— zikade (Aphrophora) 10, beim Ohrwurm (For— ficula) ſogar nur 5—6. Ein Stab von 1 m Länge in einer Entfernung von etwa 1,4 m vom Auge ſteht unter einem Winkel von 40% er wird alſo beim Windig 50—60 in einer Reihe gelegene Augenkeile erregen uſw., und die Deut— lichkeit ſeines Bildes variiert alſo bei den ver— ſchiedenen Inſekten in dem Maße, wie es obige Zahlen angeben: er iſt alſo für den Windig zehnmal genauer ſichtbar als für den Ohrwurm. Damit beim Menſchen ein ſolcher Stab nur 50 in einer Linie gelegene Elemente im Auge er— regt, muß er mindeſtens 75 m von demſelben entfernt ſein. Wenn nun in einem zuſammen— geſetzten Auge die Divergenz der Augenkeile vermindert, alſo die Bildſchärfe erhöht wird, ohne daß deren Zahl zugleich zunimmt, dann werden die Achſen der äußerſten Augenkeile einen kleineren Winkel miteinander einſchließen, das Geſamtſehfeld wird kleiner, und dadurch würde für das Tier ein Nachteil entſtehen. Dieſer wird vermieden, wenn in dem Facetten— auge eine Arbeitsteilung derart eintritt, daß in einem Teil des Auges die Augenkeile ſtark divergieren, alſo ein großes Sehfeld beherrſchen bei geringer Bildſchärfe, während in einem anderen Teil die Divergenz gering und daher die Bildſchärfe groß, das Sehfeld aber klein iſt (Abb. 441). Bei ſehr vielen Inſekten, beſonders ausgeſprochen bei den Libellen, den Männchen der Eintagsfliegen und mancher Fliegen, iſt im 5 9 9 Abb. 442. Waſſerjungfer (Libellula quadri- dorſalen Teile des Auges die Divergenz der maculata I). Das untere Tier zeigt die Beweglich⸗ 8 „ N 741 ei 8 fes I haut. Augenkeile geringer, im ſeitlichen und ventralen V aber größer. Die Vergrößerung des Sehfeldes durch Bewegungen des Auges iſt bei den Inſekten nicht beſonders häufig; gerade diejenigen Raubinſekten aber, die für die Erlangung ihrer Beute in der Hauptſache auf ihren Geſichtsſinn angewieſen ſind, wie die Libellen (Abb. 442), die Gottesanbeterin (Mantis) und die Aſiliden unter den Fliegen, 698 Geringe Lichtſtärke der Facettenaugen. beſitzen in der überaus großen Beweglichkeit ihres Kopfes ein Mittel, ihre Augen aus— giebig zu bewegen; damit können ſie einmal das Sehfeld vergrößern, dann aber — und das iſt bei dem an ſich ſchon großen gi B Sehfeld dieſer Tiere wichtiger — die „ Gegenſtände fixieren, d. h. ihre Augen N ſo richten, daß das Bild auf die Stelle DET 4 geringſter Divergenz der Augenkeile, d. h. \ — die Stelle deutlichſten Sehens fällt. Selbſtändige Beweglichkeit der Augen finden wir bei den höheren Krebſen, von den Spaltfußkrebſen an; bei ihnen ſtehen die Augen auf der Spitze be— weglicher Stiele (Abb. 380, S. 621). Ein großer Nachteil des zuſammenge— ſetzten Auges gegenüber den Linſen— ocellen iſt ſeine geringe Lichtſtärke. Die Menge des zu den Sehzellen gelangenden Lichtes hängt von der Größe der licht— einlaſſenden Fläche, alſo der Linſenober— Abb. 443. Köpfe von männlichen und weiblichen Eintags- fläche ab: dieſe iſt bei gewöhnlichen fliegen A und B ne rer Pict., C und D von Ocellen, wie den Larven⸗ und Stirn⸗ feen der Jußetten u als bei den Augenkeilen, deren Ge— ſtalt infolge ihrer zuſammengedrängten Stellung im Facettenauge ſehr ſchlank und deren Oberfläche ſehr gering geworden iſt. Die Linſenflächen der Augenkeile werden bei gleichem A B — * * — II .— N — 0 Abb. 444. Schematiſche Darſtellung des Strahlenganges im zuſammengeſetzten Auge. A Appoſitionsſehen, 3 Superpoſitionsſehen. Abgeändert nach Matthießen. Krümmungsradius der Augenoberfläche um ſo kleiner, je weniger die Augenkeile diver— gieren, je genauer alſo ihre Bildrezeption wird. Dieſem Nachteil iſt in ſolchen Fällen durch Verlängerung der Augenkeile nachgeholfen: in dem Auge des Krebschens Bytho— Appoſitions- und Superpoſitionsaugen. 699 trephes (Abb. 441) ſind die dorſalen, wenig divergierenden Augenkeile doppelt ſo lang als die ſeitlichen, ſtärker divergierenden, und ähnlich iſt es bei den Männchen vieler Eintagsfliegen und mancher Fliegen, z. B. Bibio marei L.; äußerlich macht ſich das in mächtiger Auftreibung der Facettenaugen beim Männchen bemerkbar (Abb. 443), und es kann der dorſale Teil als „Turbanauge“ ſich deutlich gegen den ventralen abheben (5). Die Vermehrung der Lichtmenge, die von einem Punkte zu dem zugeordneten Rhabdom gelangt, wird bei euconen Facettenaugen noch auf eine andere Weiſe erreicht. Die Bildrezeption kommt im aconen Facettenauge nur mit Hilfe der Pigmentblendungen zuſtande, die die Facettenglieder optiſch iſolieren (Abb. 444 K); ohne dieſe würden zu jedem Rhabdom außer den zugeordneten Strahlen noch ſo viele „fremde“ Strahlen aus Nachbarſehfeldern gelangen, daß ein differenzierter Ge— ſamtreiz nicht zuſtande kommen könnte. Es gibt aber eucone Augen, in denen die Verhältniſſe anders liegen. Beim Leucht— käferchen (Lampyris) find die Kriſtallkegel mit den Linſen ver— wachſen, und es kann daher der lichtbrechende Apparat des ganzen Auges im Zuſammenhange präpariert und von den Weichteilen losgetrennt werden. Exner hat hieran gezeigt, daß dieſer Apparat auch ohne Pigmentblendungen ein vollſtändig einheitliches, ſcharfes Bild entwirft, das er ſogar auf mikro— photographiſchem Wege feſthalten konnte. Dieſe Eigentümlichkeit beruht auf der oben ſchon geſchilderten Weiſe, wie die Kriſtall— kegel das Licht brechen; ihre Brechkraft iſt ſo abgemeſſen, daß Strahlen, die von einem Punkte ausgehen, zu dem zugeordneten Rhabdom nicht bloß durch den zugeordneten Kriſtallkegel, ſondern auch durch deſſen Nachbarkegel gelangen: anſtatt des nur auf eine Linſenoberfläche auffallenden Lichtes kommt daher die ſechsfache oder achtzehnfache Lichtmenge mehr zu dem Rhabdom, je nachdem nur die zunächſt oder auch die in zweiter Linie benachbarten Kriſtallkegel für dieſe Strahlen— brechung in Betracht kommen. Schematiſch iſt das in Abb. 444 B deutlich gemacht. Bilder, die jo gleichſam durch Übereinanderz 8b 88 lagerung von Strahlenbündeln aus verſchiedenen Kriſtallkegeln e 26 115 zuſtande kommen, hat Exner Superpoſitionsbilder genannt, (Plusia). die Bilder im gewöhnlichen Facettenauge dagegen Appoſitions- Zaun der au bilder; in ſolchem Sinne können wir kurz von Superpoſitions— n 8 augen und Appoſitionsaugen ſprechen. Damit Superpoſitionsbilder in einem Facettenauge entſtehen können, müſſen außer dem Vorhandenſein entſprechend abgeſtimmter Kriſtallkegel noch andere Bedingungen erfüllt ſein. Die Rhabdome müſſen jo weit von den Kriſtallkegeln entfernt ſein, daß die von verſchiedenen Kegeln her konvergierenden zuſammengehörigen Strahlen auf ihnen zur Vereinigung kommen. Der Raum zwiſchen den Spitzen der Kegel einerſeits und den Rhabdomen andererſeits muß frei von Pigment ſein. Solche Superpoſitionsaugen treffen wir bei den Nachtſchmetterlingen, vielen Käfern und zahlreichen Krebſen. In ihren Augen kommt die Pigmentfreiheit in jener Zwiſchenzone dadurch zuſtande, daß das 700 Pigmentwanderung im Facettenauge. Pigment in den Nebenpigmentzellen, die die Augenkeile umgeben, wandert (Abb. 445). In hellem Sonnenlichte (A) füllt es die ganzen Zellen (2) aus und iſoliert die Augen— keile: das Sehen iſt ein einfaches Appoſitionsſehen; bei ſolcher Lichtfülle würde durch Superpoſition eine zu große Helligkeit entſtehen, die Rhabdome würden zu ſtark gereizt, gleichſam geblendet werden. Im Dämmerlichte (5) dagegen wandert das Pigment gegen die Augenoberfläche, häuft ſich zwiſchen den Kriſtallkegeln an und gibt die mittlere Zone für die durchgehenden konvergenten Strahlen frei. Strahlen, die unter kleinerem Winkel \ ** 0 * ® | | | 5 2 2 N Sn A 199 \ 1 N — = nun Pa . 7 5 — — TEEN 14 RE IL ns Abb. 446. Schnitt durch das zweiteilige Auge einer männlichen Eintagsfliege (Clo&on dipterum L.). 1 Frontauge, 2 Seitenauge, 3 Kriſtallkegel, 4 fadenförmige Abſchnitte der Sehzellen, die unter der Spitze der Kriſtallkegel die Kerne enthalten, 5 Rhabdom, 6 randſtändige Augenkeile ohne Kriftallfegel, 7 Pigmentzellen, 8 Sehganglion, 9 Kegel des Seiten— auges, 10 Hauptpigmentzellen, 11 Retinula, 12 Sehganglion des Seitenauges, 13 Punktſubſtanz und 14 Zellmaſſe des Gehirn- ganglions. Der Pfeil zeigt die Richtung der Medianebene des Kopfes. auf die Rhabdome fallen, werden durch totale Reflexion in dieſen feſtgehalten und durch— laufen ſie ganz; Strahlen dagegen, die von ferneren Kriſtallkegeln kommen und daher das Rhabdom unter größerem Winkel treffen, gehen einfach ſchräg durch dasſelbe hin— durch und haben keine nennenswerte Erregung zur Folge. In den Augen der Tiefſee— krebſe, deren ewig dunkle Umgebung nur von den Leuchtorganen der Tiefſeeorganismen ein ſchwaches Licht erhält, fehlen die trennenden Pigmentwände überhaupt (Abb. 447). Indem, wie aus Exners Verſuch hervorgeht, im Superpoſitionsauge die Summe der lichtbrechenden Apparate der Augenkeile wie eine einheitliche Linſe wirkt, haben die einzelnen Augenkeile ihre funktionelle Selbſtändigkeit eingebüßt; die Einheit des zu— 7 Vereinheitlichung des zuſammengeſetzten Auges. 701 ſammengeſetzten Auges, die beim Appoſitionsauge erſt durch die Verknüpfung der Einzel— erregungen im Augenganglion ihren Ausdruck findet, wird hier ſchon bei der Aufnahme der Reize verwirklicht. Morphologiſch beſteht zwar auch hier noch durchaus eine Viel— heit zuſammengeordneter Einheiten; denn zu jedem Rhabdom gehört eine beſondere Linſe, ein Kriſtallkegel, die beſtimmte Zahl von Hauptpigmentzellen und die Hülle der Neben— pigmentzellen. Aber auch dieſe morpholo— giſche Vielheit geht in einzelnen Fällen ver— loren: bei den Turbanaugen der Männchen mancher Eintagsfliegen (Abb. 446) und bei manchen Spaltfußkrebſen der Tiefſee, z. B. Stylocheiron (Abb. 447), ſind in dem dor— ſalen Abſchnitt der Superpoſitionsaugen ein großer Teil der Kriſtallkegel zurückgebildet (6 in Abb. 446); die vorhandenen find ſtärker entwickelt und ſtellen zuſammen die „Linſe“ dar für die Überzahl von Rhabdomen, die, urſprünglich jedes ein Teil eines beſonderen Augenkeils, jetzt nebeneinanderſtehend eine einheitliche Retina bilden, der die Rezeption des von der Geſamtheit der Kriſtallkegel entworfenen Bildes obliegt. Damit iſt hier aus dem zuſammengeſetzten Auge ein völlig einheitlicher Sinnesapparat geworden. So iſt das zuſammengeſetzte Auge trotz der Gleichförmigkeit in der Zuſammenord— nung der Zellen durch die unendliche Zahl der auftretenden Beſonderheiten, von denen hier nur der wichtigſten gedacht werden konnte, ein Proteus an Vielgeſtaltigkeit und bietet eine ſolche Fülle von Verſchieden— heiten, daß der Kenner bei genauer Unter— ſuchung eines Auges unbekannter Herkunft nicht nur angeben kann, zu welcher Ordnung, ja oft ſogar zu welcher Gattung es gehört, ſondern meiſt auch aus der beſonderen Ge— ſtaltung ſeine Schlüſſe auf die Lebensweiſe Abb. 447. Geteiltes Facettenauge des Tiefſeekrebſes 5 . | Stylocheiron. des betreffenden Tieres ziehen kann. 1 Frontauge, mit großer Bildſchärfe, aber kleinem Sehfeld, Die geringe Lichtſtärke der Facettenaugen ; ee en et bietet uns wohl auch die Erklärung dafür, daß neben ihnen bei vielen Inſekten noch Stirnocelle in der Zwei- oder Dreizahl vor— kommen (Abb. 448). Die Linſe der Stirnocelle iſt viel größer als die Linſe eines Augenkeils; ſie ſind daher viel lichtſtärker. Bei Inſekten mit Superpoſitionsaugen finden wir daher keine oder nur rudimentäre Stirnocelle. Es ſcheint, daß die Stirnocelle ganz beſondere Funktionen haben, die nicht bei allen Inſekten notwendig dieſelben zu ſein brauchen. Der beſondere Bau dieſer Organe bei den Libellen und vielen Fliegen, den wir oben geſchildert haben, zeigt uns, daß ſie hier wohl für das Entfernungsſehen von 702 Bedeutung der Stirnocelle. Wichtigkeit find. Bei anderen ſtehen fie offenbar in enger Beziehung zur Flugbewegung; wenn nämlich in Gruppen, wo im allgemeinen Stirnocelle vorhanden ſind, bei einer und derſelben Art geflügelte und ungeflügelte Individuen vorkommen, ſo beſitzt das geflügelte Tier Stirnocelle, dem ungeflügelten fehlen ſie. Die ungeflügelten Männchen des Feigeninſekts (Blastophaga grossorum Grav.) und die ungeflügelten Weibchen der Bienenameiſe (Mutilla) haben keine Stirnocelle, das geflügelte Geſchlecht dagegen beſitzt ſolche; die geflügelten Geſchlechtstiere der Ameiſen beſitzen Stirnocelle, den flügel— loſen Arbeitern fehlen ſie; die ungeflügelten Generationen der Blattläuſe ſind ohne, die geflügelten Generationen derſelben Art mit Stirnocellen. Am nächſten liegt wohl die Annahme, daß die Flieger dieſe Organe zur Orientierung beim Flug, zur Erhaltung der richtigen Körperhaltung brauchen, wie ja auch Tintenfiſche, deren Statocyſten außer Funktion geſetzt ſind, mit Hilfe ihrer Augen ſich in der rechten Lage erhalten und erſt zu rollen beginnen, wenn ſie auch geblendet ſind. Die ſchräg nach oben und ſeitlich gerichteten ſeitlichen Stirnocelle empfangen bei richtiger Haltung in gleicher Weiſe helles Licht vom Himmel; bei Schrägſtellung des Körpers wird aber der eine von ihnen gegen 2 den Horizont gerichtet ſein, alſo weit weniger Licht erhalten. Bei hellem Tage mögen wohl die Facettenaugen in gleicher Weiſe wirken, bei Dämmerung aber ſind dazu nur die Super— poſitionsaugen fähig, für Appoſitionsaugen reicht das Licht nicht aus. Das Beſtreben, beide ſeitliche Stirnocelle oder beide Facetten— augen ſo einzuſtellen, daß ſie gleiches Licht bekommen, erklärt uns vielleicht auch den Flug der Dämmerungsinſekten gegen eine Lampe; denn nur wenn ihre Körperachſe gegen die Lampe gerichtet iſt, werden beide Seiten des Kopfes in gleicher Weiſe Abb. 418. Kopf einer Hor— beleuchtet. . DU ne Io Durch die Verſuche Lubbocks und Hermann Müllers geſehen 1 Facettenauge, 2 die iſt bewieſen, daß Bienen für Farbenunterſchiede zugänglich ſind. . Sie ſtellten Schälchen mit Honig auf verſchiedenfarbige Papier— unterlagen, vertauſchten dann die Plätze des Honigs und konnten dabei beobachten, daß die Tiere beim Zurückkommen zum Anlockungsmittel zunächſt auf die betreffende Farbe zuflogen, auch wenn der Honig inzwiſchen von dort weggenommen oder mit einer anders— farbigen Unterlage verſehen war. Neuere Verſuche, die an Inſekten und Krebſen ausgeführt worden ſind und die im zweiten Band ausführlicher dargeſtellt werden ſollen, zeigen, daß die Fähigkeit, Farben zu unterſcheiden, bei Tieren mit Facettenaugen weit verbreitet iſt. 7. Zuſammenwirken der Sinnesorgane. Wenn wir die Sinnesorgane nach ihren Leiſtungen geſondert behandelt haben, ſo darf darüber nicht vergeſſen werden, daß ihre Tätigkeit eine gemeinſame iſt, und daß ſie ſich bei der Aufgabe, das Tier zu orientieren und zu ſichern, vielfach unterſtützen und ergänzen, ja daß häufig die gleiche Tätigkeit des Körpers durch verſchiedenartige Sinnes— organe ausgelöſt und in ihrer Ausführung kontrolliert wird. Manche uns einheitlich erſcheinende Sinneswahrnehmungen kommen nur durch die gleichzeitige Tätigkeit ver— ſchiedener Sinnesorgane zuſtande: ſo ſind an der Beurteilung der Nahrung, die wir kurz als Schmecken bezeichnen, neben dem Geſchmacksſinn in hervorragendem Maße der Geruchs- und der Taſtſinn beteiligt, und manche Wahrnehmungen, die man dem Geſichts- Gegenſeitige Ergänzung und Stellvertretung der Sinnesorgane. 703 ſinn zuzuſchreiben geneigt iſt, können ohne Beteiligung des mechaniſchen Sinnes nicht zuſtande kommen, wie das Abmeſſen von Strecken mit den Augen, wobei Sinnesorgane in den Augenmuskeln eine erhebliche Rolle ſpielen. Nicht ſelten können mehrere Sinnes— organe in gleicher Weiſe zuſammenarbeiten: die Kontrolle der Körperhaltung während des Schwimmens bei den Tintenfiſchen wird zugleich von den Statocyſten und den Augen geübt, und wenn man eines dieſer Organe außer Funktion ſetzt, ver— mag das andere für ſich allein den Dienſt zu verſehen; erſt wenn beide ausgeſchaltet ſind, treten Bewegungs— ſtörungen auf. Ebenſo ſteht die Gehbewegung des Menſchen unter gemeinſamer Kontrolle des Geſichts— und des Taſtſinnes; Patienten, die durch Erkrankung den Taſtſinn eingebüßt haben, vermögen mit Hilfe der Augen allein ihren Gang zu regulieren; aber im Dunkeln, oder wenn man ihnen die Augen verbindet, ſind ſie hilflos. Abb. 449. Fühlerglied vom Flußfloh⸗ 9 2 ; , 2 a krebs (A) und vom Höhlenflohkrebs (B) Wie fich hier normalerweiſe die Sinne unterſtützen mit Heilen Kolben. Organen des chemiſchen und in Notfällen vertreten, ſo kann auch unter ge— „ wiſſen Lebensbedingungen ein Sinn ſtändig für den anderen eintreten und erfährt dann meiſt eine bedeutende Förderung in ſeiner Ausbildung. So ſind viele Höhlentiere blind oder beſitzen nur ganz wenig ausgebildete Augen; zum Erſatz dafür ſind die Organe des chemiſchen und mechaniſchen Sinnes leiſtungsfähiger geworden. Bei dem höhlenbe— wohnenden Floh— krebs (Gammarus puteanus C. L. Koch) ſind die Nervenendigungen an den einzelnen Körperanhängen weit reicher ent— wickelt als bei den augenbegabten Gammariden: die hellen Kolben der Fühler ſind größer (Abb. 449), die Taſtborſten länger, und auf dem Kopfe und Rücken trägt Abb 450. Kopf der Ameiſengrille (A) und einer typiſchen Grille (Nemobius, B). das Tier kapſel⸗ 1 Auge, 2 Fühler (Stumpf). 4 40 fach, 5 18 fach vergrößert. Nach Schimmer. artige, mit Härchen verſehene Sinnesorgane, die den ſehenden Verwandten fehlen. Blinde Höhlenſpinnen (z. B. Stalita) haben ſehr lange zarte zierliche Beine mit langen Borſten. Bei der im Dunkel der Ameiſenhaufen lebenden Ameiſengrille (Myrmecophila acervorum Panz.) ſind die Augen klein, die Fühler dagegen, die Träger der Riechorgane, mächtig entwickelt, während bei anderen Grillen bei normalgroßen Augen die Fühler ſchmächtig ſind (Abb. 450). Bei dem blinden Höhlenfiſch (Amblyopsis spelaeus Kay) Nordamerikas fand Leydig 704 Effektoriſche Nerven. eine überreiche Ausbildung von Geſchmacksknoſpen an den Kammleiſten des Kopfes. Der ungemeine Nervenreichtum der Maulwurfſchnauze muß ebenfalls für die mangelnde optiſche Orientierung des Tieres ergänzend eintreten. Ahnlich iſt es bei Tiefſeetieren: bei manchen blinden Tiefſeekrebſen, z. B. Eryoniden, iſt der Körper mit einem ganzen Pelz von Sinneshärchen überſät, der anderen Krebſen fehlt, und diejenigen Tiefſee— krabben, bei denen die Augen rückgebildet ſind, zeigen vor allen anderen lange und mit zahlreichen langen Sinneshaaren beſetzte äußere Antennen. Ja wir brauchen nach ſolchen korrelativen Ergänzungen der einzelnen Sinnesapparate gar nicht ſo weit zu ſuchen: die gewaltige Ausbildung des Sehorgans bei den Vögeln unter ſchwacher Entwicklung des chemiſchen Sinnes und die verhältnismäßig geringe Entwicklung des Geſichtsſinns vieler Säuger bei hoher Leiſtungsfähigkeit des Riechorgans zeigen genau das gleiche gegenſeitige Eintreten. Sicher wäre ja ein Nebeneinander vor— züglicher Seh- und Riechorgane für ein Tier noch vorteilhafter; aber das ſcheint in einem Organismus nicht erreichbar zu ſein, ſondern nur in der Vereinigung verſchieden— artiger Organismen, wie des Blinden und Lahmen in der Fabel: ſo findet man die gut witternden Zebras und die gut ſehenden Strauße zu Herden vereinigt, denen die doppelte Wachſamkeit der Naſen und Augen erhöhte Sicherheit gewährt. C. Die effektoriſchen Nerven. Gegenüber der ungeheuren Vielgeſtaltigkeit der rezeptoriſchen Nervenendorgane, die uns bisher beſchäftigt haben, ſind die effektoriſchen Nerven von einer großen Einförmig— keit. Wir unterſcheiden ſie als motoriſche oder Muskelnerven, durch deren Reizung ein Muskel zur Zuſammenziehung veranlaßt wird, und als ſekretoriſche oder Drüſennerven, deren Reizung die Drüſen zur Tätigkeit anregt. Außerdem kennen wir aus phyſiolo— giſchen Verſuchen noch die ſogenannten Hemmungsnerven, durch deren Reizung Muskel— kontraktionen verhindert werden, wie die zum Herzen gehenden Faſern des Nervus vagus oder die ſogenannten gefäßerweiternden Nerven. Bedeutendere morphologiſche Unterſchiede zwiſchen dieſen Nervenapparaten ſind nicht vorhanden: die Zellkörper der betreffenden Neuronen liegen meiſt in den Zentralorganen, und die freien Enden der Nervenfaſern bilden teils Endveräſtelungen, teils Fibrillennetze. In den motoriſchen Nervenendigungen legen ſich die Endveräſtelungen der Nervenfaſern, die bei Wirbeltieren ihre Markſcheide zuvor verloren haben, den Muskelfaſern an und wirken durch Kontakt auf ſie; in zahl— reichen Fällen liegen die Endfäſerchen mit Sicherheit im Sarkoplasma der Muskelfaſern; aber bei den Wirbeltieren ſollen nach den, allerdings nicht unbeſtrittenen Angaben gewiſſen— hafter Forſcher die motoriſchen Endigungen dem Sarkolemm der Muskelfaſer außen anliegen, alſo durch dieſes vom Sarkoplasma und der kontraktilen Subſtanz getrennt ſein. Den ſoge— nannten Endplatten, die als Differenzierungen der Schwannſchen Scheide der Nerven bei den höheren Wirbeltieren an der Verbindungsſtelle von Nerv und Muskel auftreten, ſcheint keine weſentliche Bedeutung zuzukommen. In den Drüſen der Wirbeltiere werden die ein— zelnen Drüſenzellen von einem Netz feinſter Nervenfäſerchen umſponnen, die zwiſchen die Zellen eindringen. — Von der Endigung der Hemmungsfaſern weiß man anatomiſch nichts. Rezeptoriſche und effektoriſche Nervenfaſern ſind hiſtologiſch bisher nicht zu unter— ſcheiden. Dagegen ſind einige Unterſchiede in ihrer Widerſtandsfähigkeit gegen Eingriffe und ihrer Reaktion auf Reizungen feſtgeſtellt; da man aber dabei keine Beziehungen zu ihrer beſonderen Verrichtung erkennen kann, ſo mögen ſie hier übergangen werden. Koboldmakt (Tarsius spectrum Geoffr. Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. Unterſchiede der Zentren von den peripheren Nervenbahnen. 705 D. Die Nervenzentren. 1. Allgemeines. Die Verbindung der rezeptoriſchen mit den effektoriſchen Leitungsbahnen, und damit alſo die Verbindung der reizaufnehmenden Oberflächen mit den Organen geſchieht durch die Vermittlung der Nervenzentren. Ihnen gegenüber werden jene Leitungsbahnen als periphere, und zwar die rezeptoriſchen als zentripetale, die effektoriſchen als zentrifugale Bahnen bezeichnet. Die Nervenzentren ſtellen Komplikationen vor, die in die einfachen ſtrangförmigen Nervenbahnen eingeſchaltet ſind. Dieſe Komplikationen beſtehen in Auf— ſplitterungen der Nervenfaſern, wie ſie bei Verbindung der Neuronen untereinander auftreten, und in Zellkörpern der Neuronen, den ſogenannten Ganglienzellen. Sie unter— ſcheiden ſich von den peripheren Bahnen dadurch, daß die Neurofibrillen den geſtreckten, parallelen Verlauf, den ſie in den Nervenfaſern zeigen, aufgeben und unter wiederholten Teilungen und z. T. auch gegenſeitigen Verbindungen Endbäumchen, Gitter und Netze bilden. Wie das morphologiſche Verhalten, ſo iſt in der Regel auch das phyſiologiſche Geſchehen in den Zentren ein andres als in den peripheren Gebieten des Nervenſyſtems. Dieſe Modifikationen ſind nicht in allen Zentren genau die gleichen; aber es ſind ge— wiſſe gemeinſame Züge vorhanden, die überall wiederkehren, während andre Eigentüm— lichkeiten nur den Zentren der höher entwickelten Tiere zukommen. In den peripheren Bahnen geſchieht die Leitung mit einer beſtimmten Geſchwindig— keit und bei gleichen Reizen in gleicher Weiſe, wenn nicht durch Ermüdung die Erreg— barkeit und Leitungsfähigkeit abnimmt. Im Zentrum dagegen erleidet ganz allgemein die Reizleitung eine Verzögerung. Ferner haben gleiche Reize nicht immer die gleiche Wirkung. Es iſt für den Reizerfolg in den Zentren durchaus nicht gleichgültig, was vorher geſchehen iſt oder ſich gleichzeitig noch abſpielt; ein Reiz, der an ſich erfolglos ſein würde, kann wirkſam werden, wenn er ſich in ſchneller Folge öfters wiederholt: die Reize ſummieren ſich gleichſam; und ein Reiz, der für ſich allein ungenügend wäre, kann einen Erfolg haben, wenn gleichzeitig noch ein anderer Reiz einſetzt, der allein auch ohne Reizerfolg bleiben würde: dieſer bahnt jenem gleichſam den Weg; umgekehrt kann in andren Fällen durch einen gleichzeitigen Reiz bewirkt werden, daß ein für ſich aus— reichend ſtarker Reiz ohne Erfolg bleibt, gehemmt wird. Dieſe Tatſachen der Reiz— ſummation, Bahnung und Hemmung weiſen darauf hin, daß die mannigfach verbundenen Elemente der Nervenzentren in ihren Reaktionen in ausgedehntem Maße beeinflußt werden, daß ſie gleichſam Umſtimmungen erfahren durch Vorgänge, die vorwiegend in andren Teilen des Zentrums ſich abſpielen. Auch ſonſt entſpricht die Reizwirkung nach Größe und Dauer nicht dem Reiz: ein geringer Reiz kann große, ein kurzer länger an— dauernde Wirkung hervorrufen. Während ſich in einer Nervenfaſer die Erregungen ſehr ſchnell folgen können, iſt im Zentrum das Verhalten anders: ſofort nach einem erfolg— reichen Reize iſt eine erneute Reizbeantwortung häufig nicht möglich, ſondern es währt eine gewiſſe Zeit, bis ein neuer Reiz wirken kann; häufig aufeinander folgende oder kontinuierliche Reize werden daher in beſtimmten Zwiſchenräumen beantwortet, ſo daß rhythmiſche Bewegungen entſtehen. Reizt man z. B. bei einem Kaninchen den Nerven eines Muskels mit Induktionsſtrömen von 43 Schlägen in der Sekunde, ſo zuckt der Muskel im gleichen Rhythmus; reizt man dagegen das Rückenmark mit Strömen gleicher Frequenz, jo zuckt der Muskel nur 20 mal in der Sekunde. Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 45 % 706 Diffuſe und kompakte Nervenzentren. Dieſe und andere Eigentümlichkeiten der Reizleitung und Reizbeantwortung bilden die Grundlage für zahlreiche Erſcheinungen im Nervenleben der Tiere. Die Eigenſchaft der zentralen Wege, in ihren Reaktionen durch frühere Reize modifiziert zu werden, iſt im Grunde nur quantitativ verſchieden von dem, was uns in Aſſoziation, im Lernen durch Übung, in Erinnerung entgegentritt. Die Verſchiedenheit des Reizerfolgs, je nach den begleitenden Reizen, die Anpaſſungsfähigkeit des Handelns wurzeln in ſolchen Eigen— tümlichkeiten der Zentren. Freilich was hier der Träger ſolcher Eigentümlichkeiten iſt: ob die Ganglienzellen, die man früher für den Sitz der geiſtigen Fähigkeiten, der Erinnerungsbilder, der Gedanken zu erklären pflegte, ob die mannigfachen Veräſtelungen und Verknüpfungen der leitenden Fibrillen in und zwiſchen den Zellen Beziehungen dazu haben, ob vielleicht auch die Unterbrechungen der Kontinuität in den Bahnen, wie viele ſie annehmen, eine wichtige Rolle ſpielen — ob all dieſes zuſammenwirkt oder nur das eine oder andre, und noch andres hinzukommt, darüber können wir noch nichts ausſagen. Die Nervenzentren aller Tiere werden zwar aus gleichartigen Bauſteinen, den Neuronen, auf— gebaut; aber dieſe ſind in verſchiedener Weiſe zu— ſammengeordnet. Im einfachſten Falle find die Elemente ganz oder doch nahezu gleichmäßig über den Körper des Tieres oder doch einen großen Teil desſelben verteilt: wir haben eine diffuſe Anord— nung der zentralen Elemente; dieſe Form des tervenzentrums stellt ſich als die primitivſte und phylogenetiſch älteſte dar. Die Zellen liegen in einer Ebene angeordnet; ſie beſitzen meiſt mehrere Abb. 451. Epidermis eines Coelenteraten mit ite . e ID u eingezeichnetem intraepithelialem Nerven— durch dieſe zu einem Netz verbunden (Abb. 451). netz. Das Epidermisſtück iſt ſo gebogen gedacht, daß man Lange leitende Bahnen, wie ſie uns aus dem es oben von der Fläche, unten auf dem Querſchnitt ſieht. 5 1 Epidermiszelle, 2 Epithelmuskelzelle mit ihrem kontrat. Nervenſyſtem der meiſten Tiere bekannt find, fehlen a inteneptheiate Neuronen, deren gortfäge anafome. in einem ſolchen Netze; die Zellfortſätze gehen ſtets Feen, ng n e enden an dr Sal 2 nur zu den Nachbarneuronen. In das Netz treten die Faſern von den rezeptoriſchen Zellen des Epithels ein, und motoriſche Faſern gehen von ihm zu den benachbarten Muskeln. Dem diffuſen Nervennetz ſteht die kompakte Form des Gangliennervenſyſtems (Abb. 452) gegenüber: die Zellkörper der vermittelnden und effektoriſchen Neuronen ſind auf enge Gebiete, die ſoge— nannten Ganglienknoten oder einfach Ganglien, beſchränkt; auch die Körper der rezeptoriſchen Neuronen liegen z. T. mit ihnen vereint, teils aber liegen ſie an der Peripherie und ſenden nur ihre Achſenfortſätze (5) in die Ganglien hinein. Die Ganglienzellen ſtehen in der Um— gebung eines Nervenfilzes, des ſogenannten Neuropils, das durch die Durchflechtung ihrer Dendriten entſteht; hier treten ſie durch die Dendriten in Beziehungen zueinander, die, entſprechend dieſer Anordnung, viel mannigfaltiger ſind als im Nervennetz; daher ſind auch die Reaktionsmöglichkeiten viel zahlreicher. Von den effektoriſchen Neuronen treten die Achſenfortſätze aus den Ganglien heraus, bilden mehr oder weniger lange Nervenbahnen und ſtellen die Verbindung mit den Muskeln und Drüſen her. Hier haben wir alſo eine viel augenfälligere Trennung von zentralem und peripherem Nervenſyſtem. Verſchiedene Wege der Reizbeantwortung. 1072 Entſprechend dem Bau der Nervennetze breiten ſich die Erregungen in ihnen ver- hältnismäßig langſam nach allen Richtungen aus und nehmen dabei an Stärke ab, ſo daß bei ſchwächerem Reiz die Erregung auf die nächſte Umgebung des Reizortes beſchränkt bleibt; eine leichte Reizung des Fangarmes eines Süßwaſſerpolypen (Hydra) z. B. be— wirkt, daß ſich deſſen Muskeln zuſammenziehen. Dagegen wird im Gangliennervenſyſtem die Erregung durch Ver— mittlung der zentralen Neuronen beſtimmten langen effektoriſchen Bah— nen zugeführt und damit eine ſchnelle Reizbeant— wortung an beſonderen Stellen veranlaßt, die je nach der Natur des Reizes verſchieden und oft von dem Orte der Reizaufnahme weit ent— fernt ſind. Es kann eine Reizung der Rückenhaut des Froſches durch Säure eine wiſchende Abwehr— bewegung der Hinter— gliedmaße hervorrufen. Man ſtellt ſich die Leiſtungen des zentralen Nervenſyſtems ſo vor, daß die Dendriten des rezeptoriſchen Neurons zu denen eines effekto— riſchen Neurons in Be— ziehung ſtehen und die ZU A Erregung auf dieſes über— 9 A tragen; durch die Weiter: 15 Im leitung der Erregung im N > effektoriſchen Nerven wird an FE dann das von ihm ver- 0 31a. Abb. 452. Zwei Bauchmarkganglien eines Regenwurms, in denen einzelne ſorgte Organ zur Tätig⸗ Neuronen elektiv gefärbt find. keit veranlaßt. Das iſt 1—4 Ganglienzellen mit verſchiedenem Verhalten ihrer Fortſätze, vgl. Text S. 716, 5 zentri⸗ 8 petale Nervenfaſern. Nach Retzius. der einfachſte Reflexbogen (Abb. 453). Es können aber auch mehr als zwei Neuronen zuſammengekoppelt ſein, indem zwiſchen den rezeptoriſchen und effektoriſchen noch ein oder mehrere verbindende, aſſoziative Neuronen eingeſchaltet ſind. Ja, es können dieſe beiden Wege nebeneinander beſtehen und die Erregung kann je nach den Umſtänden den näheren oder den weiteren Weg laufen, was natürlich auf die Art der Reizbeantwortung nicht ohne Einfluß iſt. Die einfachſte Beantwortung des von einem rezeptoriſchen Neuron aufgenommenen Reizes durch Muskel- oder Drüſentätigkeit wird als Reflex bezeichnet. Der Begriff des 45 * 708 Reflexe. Reflexes iſt zunächſt mit Rückſicht auf den Menſchen gebildet und ſoll die Reizbeant— wortungen bezeichnen, bei denen Wille und Bewußtſein nicht beteiligt find: fo z. B. die Verengerung der Pupille des Auges bei zunehmender Helligkeit oder die Abſonderung von Speichel und Magenſaft bei Reizung der Geſchmacksnerven. Es iſt klar, daß ſich mit einer ſolchen Definition bei allen Tieren außer beim Menſchen nichts anfangen läßt; denn Wille und Bewußtſein ſind uns nur durch Selbſtbeobachtung bekannt, ſie laſſen ſich nicht objektiv feſtſtellen und können überhaupt nicht Gegenſtand naturwiſſenſchaftlicher ; Unterſuchung ſein. Wir N N S J. müſſen ſie als Barallel- PN ) NN erſcheinungen auffaſſen, / die einen Teil unſerer Nerventätigkeit beglei— ten, aber wir können uns keine Vorſtellung davon machen, daß etwas Immaterielles materi- elle Veränderungen in uns herbeiführt. Einen Sinn können wir nur dann damit verbinden, wenn wir annehmen, daß der körperliche Vor— gang, der dem Bewußt— ſein und Willen parallel geht, zugleich die Ur— ſache jener Handlung iſt, die wir als den Er— folg unſerer bewußten Überlegung oder unſeres Wollens anzuſehen ge— Abb. 453. Schema des Reflexbogens im Wirbeltierrückenmark. wöhnt ſind. Daß ein 1 graue Subſtanz und 2 weiße Subſtanz des Rückenmarks, 3 ventrales „Horn“ der grauen _ Subſtanz, das die motorischen Ganglienzellen enthält, 2 ſog. dorſale Wurzel und ventrale ſolcher Erregungsvor Wurzel der Rückenmartsnerven, Spinalganglion. Eine Erregung der freien Nerven- gang durch eine andre endigungen in der Haut 7 gelangt durch den Neuron, deſſen Zellkörper im Spinalganglion 5 (6) liegt, in das Rückenmark, und zwar durch die dorſale Wurzel des Rückenmarksnerven; Veranlaſſung als einen die Endbäumchen dieſes Neurons treten zu den Fortſätzen von motoriſchen Ganglienzellen Br N N (3. B. bei 3) in Beziehung und übertragen dadurch die Erregung auf den zugehörigen äußeren oder inneren effektoriſchen Neuron, deſſen Endverzweigungen einem Muskel (8) aufliegen; die dorthin — Reiz hervorgerufen gelangende Erregung bewirkt Zuſammenziehung des Muskels. 8 5 8 wird, können wir uns nicht denken. Jedenfalls beſteht jenſeits deſſen, was als Reflex bezeichnet werden muß, noch eine kompliziertere Nerventätigkeit; aber eine gegenſeitige Abgrenzung iſt hier unmöglich. Bei vielen einfach organiſierten Wirbelloſen läßt ſich das geſamte Nervenleben in einzelne, ſtets wiederkehrende Reflexe zerlegen. Dieſe ſind von verſchiedener Art: wir können individuelle und generelle Reflexe unterſcheiden. Individuelle Reflexe haben be— ſondere aufnehmende und ausführende Apparate und verlaufen auf beſtimmten Bahnen: einer jeden Art Reizung entſpricht ein beſonderer Erfolg; die oben angeführten (Pu— pillenverengerung, Speichelabſonderung) ſind ſolche. Bei generellen Reflexen dagegen iſt es gleichgültig, wo die Erregung entſteht und wo ſie durch Tätigkeit beantwortet Gleichwertige und übergeordnete Nervenzentren. 709 wird, ſtets läuft der Reflex in der gleichen Weiſe ab, nur an einer anderen Stelle. Solch verbreitetes Vorkommen der generellen Reflexe über den ganzen Körper weiſt auf ein diffuſes, nicht differenziertes Nervenſyſtem hin: fie find an das Vorhandenſein von Nervennetzen gebunden. Wo ſie bei Tieren neben individuellen Reflexen vorkommen, da iſt auch ein Nervennetz neben dem Gangliennervenſyſtem vorhanden. So kann in jedem Teil der Sohle unſerer Nacktſchnecke Limax die wellenförmig fortſchreitende Kontraktion, wie bei der Lokomotion, durch Reiz hervorgerufen werden, auch wenn das Stück herausgeſchnitten iſt; dieſe Kontraktion entſteht eben unter dem Einfluß des Nervennetzes, das hier unter der ganzen Sohle ſich ausdehnt. — Niedere Tiere, die nur ein Nervennetz beſitzen, zeigen ausſchließlich generelle Reflexe; dagegen haben höhere Tiere mit gut ausgebildetem Gangliennervenſyſtem eine reiche Gliederung des Reflexlebens. Das Vorhandenſein verſchiedener, ja z. T. verſchieden gebauter Nervenzentren bei vielen Tieren regt die Frage an, in welcher Weiſe die Arbeit zwiſchen dieſen geteilt ſei. Beim Regenwurm z. B. hat jeder Körperringel auf der Bauchſeite ein Ganglion, und die benachbarten Ganglien ſind der Länge nach durch leitende Bahnen miteinander verbunden; außerdem liegt im erſten Ringel über dem Schlunde das ſogenannte Cerebral— ganglion. Die Bewegungen der Körpermuskulatur beim Kriechen werden ausſchließlich durch die Bauchganglien beherrſcht; aber jedem Ganglion entſpricht nur ein begrenzter Bezirk der Leibeswand, der nach Zerſtörung des Ganglions gelähmt iſt: die Ganglien ſind koordiniert. Das Cerebralganglion ſpielt dabei keine beſondere Rolle. — Bei der Libelle iſt die Anordnung des zentralen Nervenſyſtems ebenſo. Hier wird der rhythmiſche Ablauf der Einzelbewegungen bei Flug und Gang durch die Bauchganglienkette beherrſcht; aber eine geköpfte Libelle, die durch das Köpfen des Cerebralganglions beraubt iſt, fliegt nicht ab, ſie kann nur durch beſtimmte Reize zu entſprechender Bewegung ihrer Flügel gebracht werden; ſie zu Gehbewegungen zu veranlaſſen, iſt nur möglich, wenn die Beine durch gewiſſe Vorrichtungen experimentell gedehnt und ſo wieder zur Beugung angeregt werden; ſie klammert ſich im übrigen mit den Beinen feſt an. Das Cerebralganglion hemmt bei normalen Libellen dieſen Klammerreflex in gegebenem Falle und ermöglicht ſo das Eintreten der Gehbewegungen; es ſcheint wie den Beginn ſo auch die Richtung des Marſches und Fluges zu beherrſchen. Die Bauchganglienkette iſt dem Cerebralgang— lion untergeordnet. — Bei den Wirbeltieren werden die komplizierten Bewegungen des Darmes in den Einzelheiten ihres Rhythmus und ihres Fortſchreitens durch ein Nerven— netz, den ſogenannten Auerbachſchen Plexus der Darmwand beſtimmt und ſind an deſſen Vorhandenſein gebunden; die Regulation dieſer Bewegungen aber, die Bemeſſung der Tätigkeit und Ruhe dieſes niederen Zentrums geſchieht durch übergeordnete Zentren: die Anregung und Hemmung wird durch den Nervus vagus und den N. ſplanchnicus vom Rautenhirn bzw. Rückenmark aus vermittelt. 2. Anordnung des Nervenſyſtems bei den Wirbellofen. Eine faſt ausſchließliche Herrſchaft der Nervennetze ſehen wir bei den Coelenteraten, und zwar am reinſten bei den feſtſitzenden Formen, den Hydropolypen und Scyphopoly— pen, als deren Vertreter uns der Süißwaſſerpolyp Hydra einer- und die Aktinien andrer— ſeits beſchäftigen ſollen. Das Nervennetz liegt bei allen Coelenteraten innerhalb des Epithels, zwiſchen den baſalen Abſchnitten der Epithelzellen, und iſt jo der Muskelſchicht, 710 Nervenſyſtem der Coelenteraten. die ſich direkt an das Epithel anſchließt, unmittelbar benachbart. Die Zellen des Netzes ſind aus Epithelzellen hervorgegangen und zeigen dieſen Urſprung öfters noch durch ihre Geſtalt: ihr Zellkörper ſtreckt ſich bisweilen noch weit gegen die Oberfläche des Epithels herauf (Abb. 363). Bei den Aktinien iſt die Dichte des Netzes nicht überall gleich; an den Armen und in der Gegend um deren Anſatz, alſo in den äußeren Teilen der Mund— ſcheibe, liegen die Zellen enger beieinander als an der übrigen Körperoberfläche. Auch in den baſalen Teilen des Darmepithels ſind Nervenzellen vorhanden, von denen jedoch nicht bekannt iſt, wie ſie dorthin gelangen: wahrſcheinlich ſind ſie ektodermalen Urſprungs und dorthin eingewandert. — Höher ſteht die Geſtaltung des Nervenſyſtems bei den freiſchwimmenden Meduſen. Hier iſt das Nervennetz in der Hauptſache auf die Schirm— unterſeite oder Subumbrella und den Mundſtiel beſchränkt, während der Oberfläche des Schirmes mit den Muskeln und Sinnesorganen auch die Nervennetze zu fehlen ſcheinen. Dazu geſellen ſich aber noch lange Bahnen, die zu der Lagerung der Sinnesorgane Beziehungen haben: bei den Hydromeduſen läuft ein doppelter Nervenring am Schirm— rand entlang, bei den Scyphomedufen (Rhizostoma) find die einzelnen Hauptſinnes— bezirke, die Umgebungen der Randkörper, durch arkadenartig angeordnete, im Epithel der Subumbrella verlaufende Nervenzüge verbunden. Es ſind hier ſchon Zentraliſierungen eingetreten: bei den Hydromeduſen iſt der Nervenring beſonders reich an Ganglienzellen, bei den Scyphomeduſen die acht Randkörperbezirke. Der verſchiedenen Anordnung des Nervenſyſtems entſprechen nun auch, wie Verſuche zeigen, ungleiche Leiſtungen. Da ſich in den Nervennetzen die Erregung nach allen Seiten ausbreitet, dabei aber ſchnell an Kraft abnimmt, ſo bleibt ein ſchwächerer Reiz auf ein kleines Gebiet beſchränkt, er wird gleichſam zerſtreut; ſtarke Reize dagegen ſetzen die ge— ſamte Muskulatur des Körpers in Bewegung. So kann man bei Hydra durch Reizung mit ganz ſchwachen elektriſchen Strömen, die für den Menſchen nicht wahrnehmbar ſind, den Körper zur Zuſammenziehung bringen, ohne daß die ausgeſtreckten Fangarme ein— gezogen werden, oder man kann durch Reizung eines einzelnen Armes dieſen allein zur Kontraktion veranlaſſen, während die übrigen Arme ausgeſtreckt bleiben. Bei einer Seeroſe, Cerianthus, zeigt ſich die diffuſe, überall gleichwertige Beſchaffenheit des Nerven— ſyſtems darin, daß jedes herausgeſchnittene Stück der Körperwand, jeder abgeſchnittene Fangarm noch tagelang ebenſo reagiert, als wenn er mit dem unverletzten Tier in Ver— bindung ſtände. Berührt man einen Fangarm des entfalteten Cerianthus, ſo zieht ſich dieſer allein zuſammen; ſchneidet man ihn mit einem ſchnellen Scheerenſchnitt ab, ſo kontrahiert ſich der Stumpf, aber das übrige Tier bleibt ruhig. Starke Reizung aber bewirkt ſowohl bei Hydra wie bei Cerianthus blitzſchnelles Zuſammenziehen des ganzen Körpers und Einziehen der Fangarme. Ein ausgezeichnetes Beiſpiel dafür, wie dieſe einfachſte Form des Nervenſyſtems doch imſtande iſt, „zweckmäßige“ Reflexe zu vermitteln, bietet uns ein Verſuch Nagels an Carmarina hastata Haeck., einer Hydromeduſe. Wenn man mit einem zweckmäßig gebogenen Glasfaden eine beliebige Stelle der Schirmunterſeite berührt, ſo erfolgt ein kräftiger Ausſchlag des Magenſtiels nach der Seite hin, wo die Berührung ſtattfand, „wie ein Rind mit dem Schwanze nach einer es beläſtigenden Fliege ſchlägt“. Der Magenſtiel ſchlägt ebenſo nach der Stelle, wo ein herumſchwimmendes Beutetier, ein Krebschen oder dgl., die Subumbrella berührt hat, alſo in geeigneter Richtung um der Beute habhaft zu werden. Bei der diffuſen Ausbreitung des Reizes durch die Nerven— netze muß gerade von der Seite, die der berührten Stelle zugekehrt iſt, die Erregung Gangliennervenſyſtem in Anpaſſung an die übrige Organijation. alt zum Magenſtiel gelangen und die Kontraktion ſeiner Längsmuskeln auf dieſer Seite ver- anlaſſen: jo erklärt ſich die Richtung des Ausſchlags ſehr einfach. Der Beginn der Zentraliſation im Nervenſyſtem macht ſich bei den Scyphomeduſen auch in der Funktion bemerkbar. Die rhythmiſchen Bewegungen der Schwimmglocke einer Rhizostoma hören auf, wenn man ſämtliche Randkörper mit den zunächſt benachbarten Bezirken entfernt. Mechaniſche Reizungen werden von dem ſo verſtümmelten Tiere ſtets nur mit einer einzigen Zuſammenziehung beantwortet. Bleibt aber nur ein Randkörper— bezirk mit dem Schirm in Verbindung, ſo erfolgen die Schwimmbewegungen wie beim unverletzten Tier in regelmäßiger Folge: durch die von jedem Randkörper ausgehenden langen Bahnen und langſamer durch das Nervennetz wird die Erregung, die vom Rand— körperbezirk ausgeht, allen Teilen des Schirms übermittelt. Auch bei den Rippenquallen, die den Coelenteraten naheſtehen, bilden Nervennetze den Hauptteil des Nervenſyſtems. Wo ſonſt Nervennetze vorkommen, iſt daneben noch ein Gangliennervenſyſtem mit langen Bahnen vorhanden; ſie finden ſich dann an Stellen, wo eine diffuſe, ſich über das ganze Organ gleichmäßig verteilende Ausbreitung einer Erregung angebracht iſt, wie in der Darmwand bei Wirbeltieren, wo ſie der Periſtaltik vorſtehen, oder an den Gefäßen der Wirbeltiere; ferner ſind ſie auch unter der Haut der Stachelhäuter, der Plattwürmer (Abb. 454) und andrer Würmer aufgefunden, unter der Haut von Kruſtaceen und Raupen und unter derjenigen der Mollusken. Ein Gangliennervenſyſtem, wie es für das Zuſtandekommen komplizierterer Reflex— vorgänge unendlich viel günſtiger iſt, kommt von den Plattwürmern an aufwärts vor. Die Zentraliſierung desſelben iſt bei verſchiedenen Formen mehr oder weniger weit fort— geſchritten. In den urſprünglichſten Fällen erſtreckt ſich das Zentralorgan durch den ganzen Körper, und es ſind dann nur verhältnismäßig kurze Nervenbahnen nötig, um die Verbindung von Zentrum und Peripherie herzuſtellen, wie bei vielen Würmern (Abb. 454K). Im Falle äußerſter Konzentration dagegen iſt das ganze Zentralorgan auf einen engen Raum zuſammengedrängt und ſendet lange Nervenbahnen bis in die äußerſten Teile des Körpers, ein Zuſtand, der bei den Tintenfiſchen ſeinen Höhepunkt erreicht. Die Ver— ſchiedenheiten in der Ausbildung der einzelnen Körperabſchnitte ſind maßgebend für die Verſchiedenheit der zugehörigen Teile des Zentralorgans: bei den Ringelwürmern, die aus gleichwertigen Körperringeln beſtehen, ſind auch die einzelnen Ganglien gleichwertig; bei den Mollusken (Abb. 455) dagegen ſind die lokalen Einzelzentren verſchieden. Die Größe der lokalen Ganglien nimmt im gleichen Maße zu oder ab wie die Ausbildung der von ihnen innervierten Organe. Ein beſonderer Fall dieſer allgemeinen Erſcheinung iſt die ſtarke Anhäufung von Nervenmaſſe am Vorderende des Tieres, im Kopf. Dieſer Teil geht bei der Ortsbewegung voran und enthält gewöhnlich den Mund; daher ſtehen hier die Hauptſinnesorgane, die über die wechſelnden Objekte der Umgebung einerſeits, über die Beſchaffenheit der aufzunehmenden Nahrung andrerſeits Nachricht geben, alſo die Augen und die Organe der chemiſchen Sinne. Dieſe müſſen untereinander und mit den übrigen Zentren in Verbindung geſetzt werden und daraus erklärt ſich die Entſtehung von „Gehirnen“ an dieſer Stelle. Am wenigſten fortgeſchritten iſt die Zentraliſation des Nervenſyſtems bei den Platt— würmern, als deren Vertreter hier die Strudelwürmer betrachtet werden ſollen (Abb. 454). Zwei ſeitliche Nervenſtämme durchziehen den flachen Körper von vorn nach hinten, in ihrem ganzen Verlauf mit Ganglienzellen beſetzt, die der Faſermaſſe oder „Punktſubſtanz“ der Stämme außen aufliegen; die Stränge ſind durch querverlaufende Nervenbündel 712 Nervenſyſtem der Strudelwürmer. verbunden, ſo daß eine Anordnung entſteht, die man bezeichnenderweiſe Strickleiternerven— ſyſtem genannt hat. Das ganze Syſtem liegt der Bauchſeite genähert, weil dort die Muskulatur am ſtärkſten entwickelt und wegen der Berührung mit dem Untergrund die Reizaufnahme am lebhafteſten iſt. Am Vorderende iſt die Nervenmaſſe vermehrt: die beiden Nervenſtränge ſchwellen an und verſchmelzen miteinander zu dem ſogenannten Gehirn. Das Gehirn und die Längsſtämme ſtehen mit netzartigen Nervengeflechten, die ſich nahe der Rücken- und Bauchſeite ausbreiten (Abb. 4548), in Verbindung. Wie die Maſſe des „Gehirns“ gegenüber derjenigen der Längsſtämme nur wenig vermehrt iſt, ſo ſcheint auch ſeine Bedeutung fr die Funktion des Körpers keine beſonders hohe zu ſein. Das geht aus den Zerſchnei— dungsverſuchen hervor, die mit Strudelwürmern ange— ſtellt ſind. Trennt man eine Planarie, einen Süßwaſſer— ſtrudelwurm, durch einen Meſſerſchnitt quer durch, ſo kriechen beide Hälften weiter, genau wie vorher, ohne daß ein Unterſchied in der Be— wegung der hinteren, die kein „Gehirn“ enthält, gegen— über der vorderen bemerk— bar iſt. Bei den höher ent— wickelten Polycladen des Meeres jedoch ſcheint die Rolle des „Gehirns“ be— Bun A er ee en zee de bentender zu fe einem merbennhnenben den uur il date. man den gleichen Verſuc züge gezeichnet, die ihnen angelagerten Zell⸗ hier macht, ſo zeigt es ſich, be falt Merbennep eingeeiänet * daß das Stück ofnensen A nach Jijima, B nach Lang. hirn“ in ſeiner Fähigkeit zu ſelbſtändiger Fortbewegung gegenüber dem anderen be— einträchtigt iſt. Wie ſehr jeder Körperabſchnitt die für ſeine Verrichtungen notwendigen Neuronen in ſich enthält, geht aus der Tatſache hervor, daß man Planarien in eine Anzahl Stücke zerſchneiden kann, die alle wie ganze Tiere weiterkriechen, weiterleben und ſich wieder zu vollkommenen Individuen auszuwachſen vermögen. Das Nervenſyſtem der Schnurwürmer (Nemertinen) iſt dem Strickleiternervenſyſtem der Strudelwürmer in den Grundzügen ähnlich. Nur ſind die vorderen Anſchwellungen der ſeitlichen Längsſtämme, die Gehirnganglien, weit umfangreicher. Auch ſind die Ganglien beider Seiten nicht völlig miteinander verſchmolzen, ſondern durch dorſale und ventrale, den Schlund umgebende Nervenverbindungen, ſogenannte Konnektive, miteinan— der verknüpft. Nervenzentren der Mollusken. 713 Die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Organiſation, der wir im Kreiſe der Mollusken begegnen, ſpiegelt ſich auch in der Verſchiedenheit des zentralen Nerven— ſyſtems bei dieſen Tieren wieder. Die niedrigſten Mollusken, die Wurmſchnecken (So— lenogastres) und Käferſchnecken (Chitonen), haben ein Nervenſyſtem, das auffällig an das Strickleiternervenſyſtem der Strudelwürmer erinnert; bei den Tintenfiſchen dagegen treffen wir die höchſte Zentraliſierung des Nervenſyſtems, die in der Tierreihe überhaupt vorkommt. Bei den Käferſchnecken (Abb. 455 A) find vier Längsnervenſtämme vorhanden, das eine Paar mehr ſeitlich, das andre ventral gelegen, die Ganglienzellen ſind über die ganze Länge der Stämme verteilt. Die beiden Stämme jeder Seite vereinigen ſich am Vorderende und ſind mit denen der anderen Seite durch eine über den Schlund ver— laufende Nervenmaſſe verbunden, die ebenfalls Ganglienzellen enthält. Die ventralen Stämme find unter fich nd x ³ðW ö )—— mit den ſeitlichen durch Ver— A B 0 bindungsſtränge, ſogenannte Kommiſſuren, vereinigt. Aus einem ſolchen wenig zentraliſierten Nervenſyſtem 83 hat ſich das der Schnecken S entwickelt: die Ganglien— . ee zellen, ihre Dendriten und 34-25 . — die Endbäumchen entfernter EEE Neuronen ſammeln ſich an se einzelnen Stellen der zwei =; s= Strangpaare zu ſcharfum— pe - 1 er grenzten Ganglienknoten, und , die Verbindung zwiſchen dieſen wird jetzt nur noch durch Nerven, d. i. Bündel — . — ¾¼ :Æ—QPVbͤ x ee, e , en tee lagerung von Zellkörpern 1 Gehirnring, 1 Gehirnganglion, 2 Pedalſtrang, 2 Pedalganglion, 3-4 Pleuroviſceral— 9 Sr 2 5 ſtrang, 3 Pleuralganglion, 4 Viſceralganglion. hergeſtellt. Die meiſten dieſer Ganglien, die entſprechend der Paarigkeit der urſprünglichen Nervenſtämme ebenfalls paarig ſind, liegen am Vorderende: die Cerebral, Pedal- und Pleuralganglien gruppie— ren ſich im Kopf um den Schlund herum und bilden mit den ſie verbindenden Quer— kommiſſuren und Längskonnektiven einen Schlundring; die Parietalganglien liegen an der Baſis der Kiemen, die oder das einheitliche Viſceralganglion unter dem Enddarm (Abb. 455 B). Von den Pleuralganglien geht zu den Parietal- und von dort weiter zu den Viſceralganglien jederſeits ein Verbindungsſtrang, der in ſeiner Erſtreckung wohl dem ſeitlichen Nervenſtamm der Chitonen gleichzuſetzen iſt. Die Aſymmetrie des Schneckenkörpers, die durch die Umlagerung des Mantelkomplexes von hinten nach der Seite und vorn bewirkt wird (vgl. oben), hat auch eine entſprechende Verſchiebung des bei den Chitonen ſymmetriſch verteilten Nervenſyſtems zur Folge: die Verbindungsſtränge, die von dem Parietal- zum Viſceralganglion gehen, find bei vielen Schnecken gekreuzt. Mit dem Zuſammentreten der Neuronen zu beſtimmt umgrenzten Ganglien iſt hier zugleich eine ſcharfe Arbeitsteilung zwiſchen den Ganglien verknüpft. Das Cerebral— 714 Nervenzentren der Mollusken. ganglion iſt vor den anderen dadurch bevorzugt, daß es mit den Hauptſinnesorganen verbunden iſt, den Fühlern, Augen und Statocyſten; es nimmt vor den übrigen eine übergeordnete Stellung ein, indem es ihre Funktionen nach Bedarf zu ſteigern oder zu hemmen vermag; außerdem innerviert es die Muskulatur der Schnauze, des Rüſſels und der Lippen. Das Pedalganglion beherrſcht die Fortbewegung; an Lungenſchnecken iſt ermittelt, daß es mit dem Nervennetz der Fußſohle durch Nerven verbunden iſt und deſſen Tätigkeit regulatoriſch beeinflußt; die periſtaltiſchen, wellenförmig fortſchreitenden Kontraktionsbewegungen der Sohle werden durch jenes Nervennetz ſelbſtändig beherrſcht und finden auch an ausgeſchnittenen Sohlenſtückchen von Limax auf Reiz hin ſtatt. Eine Nacktſchnecke, der durch Abſchneiden des Kopfes der Schlundring weggenommen iſt, ver— mag noch zu kriechen; aber es fehlt die Möglichkeit, die Bewegung zu hemmen oder ihre Richtung zu ändern. Vom Pleuralganglion geht die Innervierung des Mantels und — des muskels aus; das Parietal— ganglion ent— B * 5 1 ſendet Nerven zu , den Kiemen, das Viſceralgang— | lion zu den Ein- geweiden. Die Mu⸗ ſcheln find einer— Abb. 456. Gehirn des Moſchus pulps ſeits in ihren (Eledone moschata Leach.), Avon der Seite, B von oben. Bewegungen 4s, beit Bentrafgangtion, 2, 6 eres ſehr einſeitig und zweites Cerebralganglion 7 Brachial⸗ und träge und ganglion, 8 Pedalganglion, 9 Bifceral- 8 ganglion, 11 Schlundkopf, 12 Schlund, ihre Nahrungs— 13 e ce e ee e aufnahme ver⸗ langt wenig Ak— tivität; andrer⸗ ſeits iſt die Menge ihrer Sinnesorgane nur gering, da die ganz umſchließenden Schalen ſie von der Umwelt trennen und nur in wenige Beziehungen zu ihr treten laſſen. Dem entſpricht die ſchwache Ausbildung der Zentralorgane, die ſonſt in den Hauptpunkten denen der Schnecken vergleichbar ſind (Abb. 4550): das Cerebral- und Pleuralganglion, die einander anliegen, treten viel mehr zurück als bei andren Mollusken, und auch das Pedal- und Viſceralganglion ſind mäßig ſtark entwickelt. Bei den Formen, deren Fuß zurückgebildet iſt, wie Auſter und Kammuſchel, iſt auch das Pedalganglion faſt ganz geſchwunden. Dagegen erreichen die nervöſen Zentralorgane ihre höchſte Ausbildung unter den Mollusken bei den gewandten, kräftigen und lebhaften Tintenfiſchen, die nach ihrem ganzen Benehmen unter den Wirbelloſen wohl die höchſte Stelle einnehmen. Bei den Zweikiemern, auf die wir uns beſchränken, ſind die Nervenzentren zu einer gewaltigen, den Schlund umgebenden Ganglienmaſſe (Abb. 456) zuſammengedrängt und, bei dem Mangel einer ſchützenden Schale, gegen äußere Verletzungen durch eine dicke knorplige Hülle geſichert. Das Herantreten eines Teils des Fußabſchnittes, nämlich der Arme, Zentralnervenſyſtem der Tintenfiſche. 5 an den Kopf (Abb. 63 0) hat dieſe Konzentration wahrſcheinlich ſehr gefördert. Die ziemlich einheitlich ausſehende Maſſe iſt durch ihre Lagerung um den Schlund in eine Ober- und Unterſchlundmaſſe geſondert, die jederſeits durch zwei ſtarke Konnektive ver— bunden ſind und wieder in eine Anzahl paariger Ganglien zerfallen. Die Unterſchlund— maſſe beſteht aus den Brachial-, Pedal- und Viſceralganglien; in der Oberſchlundmaſſe läßt die genauere Unterſuchung ein Buccal-, drei Zentral- und zwei Cerebralganglien— paare unterſcheiden. Die Verrichtungen der einzelnen Abſchnitte ſind uns ſpeziell für den Moſchuspulp (Eledone moschata Leach.) durch v. Uexkülls Unterſuchungen bekannt geworden. Brachial- und Pedalganglien beſorgen die Innervierung der Arme und des Trichters; die Viſceralganglien verſorgen die Eingeweide mit Nerven und enthalten ein automatiſch tätiges Atemzentrum mit beſonderer Lokaliſation der Aus- und Einatmung; das Buccalganglion innerviert den Mundapparat. Ihre Wirkungsgebiete ſind aber durchaus umgrenzt. Dagegen ſind die Zentralganglien jenen vielfach übergeordnet: von hier aus werden die kräftigen Schwimmbewegungen, die ja mit dem Waſſerwechſel beim Atmen verknüpft ſind, durch Beeinfluſſung der Viſceralganglien ausgelöſt; das erſte Zentralganglion ſteht dem Freßakt vor, veranlaßt die richtige Folge der einzelnen Teil— handlungen und reguliert ſowohl das Feſthalten der Beute mit Hilfe der Saugnäpfe wie die Kaubewegungen; das zweite und dritte Zentralganglion leiten unter Vermittlung von Pedal- und Brachialganglion das Schreiten und Taſten mittels der Arme und das Steuern beim Schwimmen. In ihnen finden ſich unter anderm auch die Zentren für den Farbwechſel, und zwar ganz nahe dem hinteren Konnektiv: wenn man dieſes auf einer Seite durchtrennt, wird das Tier auf dieſer Seite ſtreng halbſeitig weiß, da die Chro— matophorennerven von ihrem Zentrum abgetrennt ſind; dieſe Farbwechſelzentren ſind wiederum mit dem Sehganglion und dem ihm anliegenden kleinen Stielganglion ver— knüpft und können von hier aus gereizt werden. So verbinden die Zentralganglien Wirkungen, die an verſchiedenen Stellen lokaliſiert ſind, zu zuſammengeſetzten Verrich— tungen. — Allen dieſen Ganglien aber ſcheinen die Cerebralganglien übergeordnet zu ſein, indem ſie, der Verſchiedenheit der Reize und dem Wechſel der äußeren Lebens— bedingungen entſprechend, die Reaktionen des Tieres fördern oder hemmen durch die in ihnen enthaltenen Hemmungszentren. Eine Eledone, bei der dieſe Ganglien entfernt ſind, benimmt ſich ſehr aufgeregt; alle Reflexe treten ſehr leicht ein; ſie iſt, im Gegen— ſatz zu normalen Individuen, viel in Bewegung und wechſelt fortwährend die Farbe. In anderer Weiſe als bei den Mollusken iſt bei den geringelten Articulaten, unter welchem Namen Ringelwürmer und Arthropoden zuſammengefaßt werden, die Speziali— ſierung eines primitiven Zentralnervenſyſtems vor ſich gegangen. Man kann ſich das Nervenzentrum dieſer Tiere aus einem Strickleiternervenſyſtem, wie es die Strudel— würmer beſitzen, in der Weiſe entſtanden denken, daß das als Gehirn bezeichnete vordere Verbindungsſtück der beiden Längsſtämme über dem Schlund zu liegen kam und die beiden Stämme ſelbſt an der Ventralſeite gegen die Mittellinie zuſammenrückten. Die Zellkörper der Neuronen, die zunächſt gleichmäßig über die Stränge verteilt waren, kon— zentrierten ſich dann in jedem Segment, ſo daß zwei Reihen von Ganglienknoten ent— ſtanden; die Ganglien jedes Stranges bleiben durch Längskonnektive in Verbindung, die Ganglien des gleichen Segmentes ſind durch eine einfache oder mehrteilige quere Kom— miſſur verbunden. So haben wir denn ein Oberſchlundganglion oder Gehirn und eine Bauchganglienkette oder ein Bauchmark, die mit jenem durch ein Paar den Schlund umfaſſender Konnektive zuſammenhängt (Abb. 457, 458 und 459). 716 Zentralnervenſyſtem der Ringelwürmer. Einen ſehr urſprünglichen Zuſtand hat die Bauchganglienkette bei dem kleinen, niedrigſtehenden Meeresringelwurm Polygordius bewahrt: ſie liegt hier noch innerhalb des Epithels und die Zellkörper der Neuronen ſind über ihre ganze Länge gleichmäßig verteilt, wie bei den Längsſträngen der Strudelwürmer. Doch ſind die beiden Seiten— ſtränge ſchon ſehr nahe zuſammengerückt, wie bei den meiſten Artikulaten. Die Paarig— keit der Anordnung wird dadurch in manchen Fällen für die äußere Betrachtung faſt ganz verwiſcht (Abb. 458), zeigt ſich aber bei der mikroſkopiſchen Unterſuchung ſtets in der ſymmetriſchen Verteilung der Zellkörper im Doppelganglion und in der Paarigkeit der Längskonnektive. Beſonders deutlich aber tritt die Paarigkeit der Ganglienkette bei —ẽ . —ä—b einer Anzahl von Röhrenwürmern hervor, wie Sabella, Serpula (Abb. 457 A), Hermella u. a. Das Ganglienpaar, das jedem Körperringel zukommt, enthält die nervöſen Grundlagen für die lebens— notwendigen Funktionen dieſes Ab— ſchnittes; die Nerven, die von ihm ausgehen, bleiben innerhalb des Ringels und greifen nicht auf den vorhergehenden oder folgenden über. Der Ringel iſt eine Funk— tionseinheit. Doch ſind innerhalb der Ganglienkette nervöſe Verbin— dungen der Ringel untereinander vorhanden, die ein einheitliches Funktionieren des ganzen Körpers ſichern, und einzelne Neuronen ſenden ihre Nervenfortſätze in die Nachbarringel. Die Anordnung J d u an egen ar deen cee dee s wir vom Regenween su 1 1 Gehirnganglion, 2 Nerven der Tentakeltrone 3 Kommiſſuren zwiſchen zwei wiedergeben, bietet ein deutliches be e deer ne Rees Bild dieses Pee e ſich im Ganglion verſchiedene Arten von Neuronen, deren faſt durchgängig unipolare Hauptformen hier aufgeführt ſeien: 1. ſolche, die ihren Nervenfortſatz in einen der drei Seitennerven der gleichen Seite ſenden; 2. ſolche, deren Nervenfortſatz in einen Seitennerven der gegenüberliegenden Seite geht; dieſe Kreuzung bewirkt ein Zuſammenwirken der beiden Hälften des Ringels; 3. kommen von Neuronenkörpern der benachbarten Ganglien Nervenfortſätze herüber und treten in die Nerven ein, und 4. ſind Zellen vorhanden, deren Fortſätze die Ganglienkette nicht verlaſſen, ſondern, mit zahlreichen dendritiſchen Verzweigungen verſehen, leitende Ver— bindungen innerhalb der Kette herſtellen: man kann ſie Aſſoziationsneuronen nennen; ſie erſtrecken ſich nur über eine geringe Zahl von Segmenten. Lange Aſſoziations— faſern darf man dagegen wohl in den jog. „rieſigen Nervenfaſern“ ſehen, die in der Dreizahl das Bauchmark der Länge nach durchziehen. Über ihre nervöſe Natur war man lange zweifelhaft; doch jetzt hat Apathy den Nachweis erbracht, daß in ihnen Neuronenanordnung in der Bauchganglienkette. al! zahlreiche Neurofibrillen verlaufen, von denen von Stelle zu Stelle einzelne in den Nervenfilz der Ganglien eintreten. Die Nervenfaſern, die von den Zellkörpern innerhalb des Ganglions ausgehend in die Seitennerven eintreten, ſind teils motoriſch und verſorgen mit ihren verzweigten Enden die Muskelfaſern, teils ſind ſie ſenſoriſch und veräſteln ſich als freie Nerven— endigungen in der Epidermis. Von der Peripherie her aber treten Nervenfaſern durch die gleichen Nerven in das Ganglion ein (5): ſie ſtammen von epi— thelialen Sinneszellen, ſind an ihrer geringen Dicke kenntlich und teilen ſich beim Eintritt in das Ganglion T-förmig in zwei Aſte, die der eine kopf-, der andere ſchwanzwärts ziehen und mit leichten Auffaſerungen endigen. Aus dieſen Endigungen, aus den zahlreichen Dendriten, die von den Nervenfortſätzen der unipo— laren Neuronen ausgehen, und aus ſtützenden Zellen, den ſog. Gliazellen, ſetzt ſich der Nerven— filz, die früher ſog. Punktſubſtanz zuſammen, der das Innere des Ganglions einnimmt. In ihm treten die Fortſätze der einzelnen Neuronen in Beziehung, ſei es durch netzförmige Verbindung oder durch bloße Berührung. So können Erregungen, die durch Reizung der Sinneszellen oder der freien Nervendigungen ent— ſtehen, von den ſenſoriſchen Neu— ronen auf die motoriſchen über— . gehen und eine Reizung der 8 Muskeln, ſei e8 derſelben oder Abb. 458. Schlundring und drei Bauchganglien von Eunice sanguinea Sa v. der entgegengeſetzten Seite des 1 Gehirnganglion, 2 Schlundkonnektive, 3 Unterſchlundganglion, 4 Einge— Ringels bewirken oder auch, je weidenervenſyſtem. Nach Regne animal. nach der Stärke des Reizes, durch Vermittlung der Aſſoziationsneuronen auch auf entferntere Ringel übergreifen. — In ähnlicher Weiſe geſtaltet ſich in den Grundzügen der Bau des Bauchmarks bei allen Artikulaten. Bei allen Artikulaten iſt das zentrale Nervenſyſtem durch eine bindegewebige Hülle geſchützt und befeſtigt, die aus einer inneren ſtraffen Haut und einer äußeren lockeren Bindegewebslage beſteht. Die äußere Hülle enthält bei den Borſtenwürmern Blut— gefäße, die von dort aus, wenigſtens beim Regenwurm, mit feinen Aſten in das Bauch— 718 Unterſchiede zwiſchen den Ganglien der Bauchganglienkette. mark eindringen und ihm Nährſtoffe zuführen; bei den Egeln iſt das ganze Bauchmark von einem Blutſinus umſchloſſen. Bei den Arthropoden, wo feſtumgrenzte Blutbahnen nur in beſchränktem Maße vorhanden ſind, wird das zentrale Nervenſyſtem von Blut umſpült; Sauerſtoff wird ihm bei den Inſekten durch eindringende Tracheen zugeführt. Die Hülle des Bauchmarks enthält bei den Ringelwürmern Längsmuskeln, und dadurch wird dieſes in den Stand geſetzt, den bisweilen ſehr heftigen Bewegungen der Würmer ſich aktiv anzupaſſen, ohne geknickt oder gepreßt zu werden. Bei den Gliederfüßlern jedoch, wo durch den Hautpanzer die Beweglichkeit des Körpers beſchränkt iſt, bedarf es eines ſolchen Schutzes nicht, und die Muskeln fehlen. Überall dort, wo die einzelnen Körperringel gleich ausgebildet ſind, wie bei den meiſten Ringelwürmern und bei den Tauſendfüßern, ſind auch die Ganglien des Bauch— marks gleich groß. Ein beſonderer Fall iſt es natürlich, wenn mehrere Ringel mit— einander verſchmelzen und dementſprechend auch ihre Ganglien ſich vereinigen: ſo iſt es bei dem erſten und letzten Bauchganglion der Egel, von denen das eine aus fünf, das andere aus ſieben Einzelganglien beſteht; ſie übertreffen dann natürlich die übrigen an Größe. Das gleiche trifft für das Unterſchlundganglion der Arthropoden zu: im Kopf der Arthropoden ſind eine Anzahl von Segmenten vereinigt, mindeſtens ſo viele, als Mundgliedmaßenpaare vorhanden ſind, und damit erklärt ſich der bedeutende Umfang dieſes erſten Bauchmarkganglions. Wo aber die Körperſegmente ungleich ſind, da ſpiegelt ſich die Differenzierung des Körpers in der Größe der Bauchmarkganglien wider. Unter den Ringelwürmern zeigen viele Röhrenwürmer, z. B. Serpula, eine Teilung des Körpers in zwei Abſchnitte (Abb. 457A, a und b). Die Ringel des vorderen Abſchnittes, des ſogenannten Thorax, ſind umfangreicher als die des hinteren, des Abdomens; ſie haben eine ſtärkere Muskulatur und ſind meiſt reichlich mit Drüſenbildungen ausgeſtattet; in ihnen ſind demgemäß die Bauchmark— ganglien größer als in den Abdominalringeln. Beſonders auffällig wird dieſe Un— gleichheit bei vielen Krebſen und Inſekten: die Bruſtringel tragen hier die Gangbeine und bei den Inſekten im zweiten und dritten Bruſtabſchnitt auch die Flügel. Sie ſind daher viel reicher mit Muskeln ausgeſtattet, und ihre Bauchmarkganglien übertreffen die des Abdomens bedeutend an Größe. Am größten iſt der Unterſchied in der Größe von Bruſt- und Hinterleibsganglien wohl bei den Krabben, deren Hinterleib rückgebildet iſt, und zwar ſind bei den Männchen, bei denen der Hinterleib noch kleiner iſt als bei den Weibchen, auch die Abdominalganglien mehr reduziert. Während ſich in den Thorax— ganglien der gemeinen Krabbe (Carcinus maenas Leach) vielerlei Arten motoriſcher Neuronen finden, iſt in den Abdominalganglien nur eine Art vorhanden. Sehr lehrreich iſt es in dieſer Hinſicht, die Ganglien mancher Inſekten mit denen ihrer Larven zu ver— gleichen: während bei der faſt fußloſen und wurmartig gleichmäßig geringelten Larve des Bockkäfers Clytus arcuatus L. die Bruſtganglien kaum größer find als die des Hinterleibs, iſt der Unterſchied beim fertigen Käfer, wo Bein- und Flügelmuskeln ver— ſorgt werden müſſen, ſehr auffällig (Abb. 459). Wenn aber dieſe Größenunterſchiede der Ganglienknoten mit ihrer Funktion aufs engſte verknüpft ſind, iſt eine andere Erſcheinung davon völlig unabhängig, das iſt die Konzentration der Bauchganglien, das Zuſammenrücken aller oder doch eines Teils der urſprünglich ſegmental angeordneten Ganglienknoten. Damit werden die Konnektive ver— kürzt und die intrazentralen Verknüpfungen erleichtert; aber die peripheren Nerven müſſen ſich entſprechend verlängern, da nach wie vor jedes Ganglion, ſo weit noch eine Segmen— Konzentrationen in der Bauchganglienkette. 719 tierung vorhanden iſt, ſeinen beſtimmten Körperringel verſorgt. Dieſe Erſcheinung be— gegnet uns in den meiſten Arthropodengruppen, bei den Ringelwürmern fehlt ſie. Doch können in derſelben Klaſſe die einen Formen ein unverkürztes, andere ein konzentriertes Bauchmark beſitzen. Die Vergleichung zeigt, daß ein konzentriertes Bauchmark im all— gemeinen den phylogenetiſch jüngeren Formen zukommt. Unter den Krebſen beſitzen die Phyllopoden und Aſſeln eine ſegmental angeordnete Ganglienkette, bei den langſchwänzigen Krebſen ſetzt eine Konzentration ein, bei den Kurzſchwänzern, den Krabben, iſt ſie voll— endet. Unter den Spinnentieren ſtehen die Solpugiden und die phylogenetiſch ſehr 4 B alten Skorpione mit wenig verkürztem f 5 Bauchmark den Spinnen und Milben gegenüber, die von allen Arthropoden die ſtärkſte Konzentration aufweiſen. In der Reihe der Fliegen geht die Verkürzung des Bauchmarks parallel mit der Spezialiſie— rung der Formen: die Schnaken mit am wenigſten rückgebildeten Fühlern und ur— ſprünglicher geſtalteten Larven haben faſt ganz ſegmentale Anordnung der Ganglien; bei anderen langfühlerigen Fliegen, wie der Tanzfliege Empis, iſt die Verkürzung weiter fortgeſchritten; bei den Bremſen mit ihren ſchon ſtärker reduzierten Fühlern erſtreckt ſich die Ganglienkette nur noch über die halbe Länge des Hinterleibs, und endlich bei den echten Fliegen iſt das ganze Bauchmark auf dem Thorax konzentriert. Die Larven haben meiſt ein weniger kon— zentriertes Bauchmark als die fertigen Tiere und wiederholen damit gleichſam einen früheren Entwicklungszuſtand. Die Zahl der Nerven, die von einem Bauchganglionpaare abgehen, iſt verſchie— den. Beim Blutegel ſind es jederſeits zwei, beim Regenwurm drei, bei den Tauſend— Abb. 459. Zentrales Nervenſyſtem der Larve und des fer— tigen Tieres eines Bock— käfers (Clytus arcuatus L.). 1 Gehirnganglion, 2 Unter- ſchlundganglion, 3, 4, 5 die Ganglien der drei erſten Körper— ringel. Nach Rèegne animal. füßen im allgemeinen vier. Stets ent— halten dieſe Nerven motoriſche und rezeptoriſche Faſern nebeneinander, wie oben vom Regenwurm dargelegt wurde: ſie ſind, wie man ſagt, gemiſchte Nerven. Während die Bauchmarkganglien untereinander morphologiſch gleichwertig ſind und nur quantitative Unterſchiede aufweiſen, nimmt das Oberſchlundganglion oder „Gehirn“ nicht nur nach Lage, ſondern auch nach Bau und Verrichtung eine Sonderſtellung ein. Es liegt am vorderen Ende des Körpers über dem Schlunde und iſt mit dem vorderſten Ganglion des Bauchmarks durch die Schlundkonnektive verbunden (Abb. 457 — 459). Dieſe ſind in der Regel ziemlich lang; doch kann unter Verkürzung der Konnektive das Gehirn nahe an das Unterſchlundganglion heranrücken. Das iſt aber nur möglich bei Tieren, die keine gröbere Nahrung zu ſich nehmen, wo alſo der Schlund nicht erweitert 720 Das Gehirnganglion der Artikulaten. zu werden braucht; alle Articulaten mit engem Schlundring nehmen daher flüſſige Nahrung auf. Unter den Egeln, die faſt durchweg Sauger ſind, kommen lange Kon— nektive und ein weiter Schlundring nur beim Pferdeegel (Haemopis) vor, der feſte Nahrung, z. B. Regenwürmer, verſchlingt. Unter den Krebſen iſt der Schlundring eng bei den ſchmarotzenden Sapphirinen und der ſaugenden Karpfenlaus (Argulus), ſonſt weit; unter den Inſekten haben die ſaugenden Schmetterlinge und Bienen kurze Kon— nektive; ſehr kurz und dick ſind ſie bei den Spinnentieren. Die Größe des Gehirns iſt ſehr verſchieden. Bei einigen niederen Ringelwürmern, z. B. Polygordius, iſt es ein einfaches Band, das ſich von den Schlundkonnektiven kaum durch größere Breite abhebt. Viele andere zeigen zwei mäßige Anſchwellungen, wie Blutegel und Regenwurm. Wo aber, wie bei den meerbewohnenden Raubanneliden (Nereis, Eunice u. a., Abb. 458), der deutlich vom Körper abgeſetzte Kopflappen mit großen Augen und Fühlern ausgeſtattet iſt, da zeigt das Gehirn einen beträchtlichen Umfang und ſteht dem mancher Arthropoden nicht nach. Die Ausbildung der Kopf— ſinnesorgane, der Augen und Fühler, die ihre Nerven zum Gehirn ſenden, hat auch bei den Arthropoden einen deutlichen Einfluß auf die Größe des Gehirns. Die Sehganglien, die vom eigentlichen Gehirn geſondert bleiben, ſtehen in ihrer Entwicklung im direkten Verhältnis zu dem Umfang der Facettenaugen und bewirken bei großäugigen Formen, wie dem marinen Flohkrebs Hyperia, bei Libellen und Fliegen eine bedeutende Zu— nahme der Nervenmaſſe im Kopf. Bei den Libellen übertreffen die Sehganglien das Gehirn ſelbſt an Maſſe, während die den kleinen Fühlern zugehörenden Gehirnabſchnitte, die ſog. Riechlappen, nur ganz ſchwach entwickelt ſind; bei den Ameiſen iſt es umgekehrt. Die funktionelle Überordnung des Gehirnes über die Bauchganglienkette ſteht zweifellos mit der Entwicklung der Hauptſinnesorgane am Kopfe und ihrer Verbindung mit dem Gehirn in enger Beziehung: die optiſchen und chemiſchen Reize, die bei den Arthropoden faſt nur hier zur Rezeption kommen, orientieren das Tier über die fernere Umgebung und ſind demgemäß für ſein Verhalten von allgemeinerer Bedeutung als die Taſtreize, die nur bei unmittelbarer Berührung eintreten und vorwiegend lokale Beantwortung finden. Es ſind auch die mit dem Gehirn verbundenen Nerven faſt nur rezeptoriſch mit Ausnahme der Bewegungsnerven für die Fühler und (bei Krebſen) Augenſtiele; motoriſche Antriebe werden von hier durch Vermittlung der Bauchganglienkette erteilt. Während bei den Ringelwürmern noch einfachere Verhältniſſe vorliegen, ſteigert ſich bei den Arthropoden ſowohl in der Reihe der Krebſe wie in derjenigen der Tauſendfüßer und Inſekten die Komplikation des Gehirnbaues. Es laſſen ſich bei den höheren Formen deutlich geſonderte Gebiete innerhalb des Gehirns unterſcheiden, die ſich den Hirnnerven angliedern; ſie bilden einzelne Zentren, die unter ſich und mit dem Bauchmark durch Bahnen verbunden ſind. Von der Höhe ihrer Ausbildung iſt die Leiſtungsfähigkeit des betreffenden Tieres abhängig. Am Inſektenhirn z. B. unterſcheidet man drei Abſchnitte (Abb. 460): das Protocerebrum oder den Hirnſtamm mit den geſtielten Körpern, das Deutocerebrum oder den Riechlappen und das Tritocerebrum oder Oeſophagusganglion; homologe Abſchnitte finden ſich bei den Krebſen, während man bei den Spinnentieren nur die beiden erſten nachweiſen zu können glaubt. Das Protocerebrum iſt mit den Augen verbunden und enthält zugleich das Zentrum für kompliziertere Handlungen, das wir in den geſtielten Körpern ſuchen müſſen; dieſe ſind nämlich bei niederen Formen nur andeutungsweiſe vorhanden und erreichen ihre höchſte Ausbildung bei den ſozialen Hymenopteren, den Bienen und Ameiſen; dort machen ſie, nach Dujardins Berechnung, Gehirnganglion der Inſekten. 721 ein Fünftel, hier ſogar die Hälfte der ganzen Hirnmaſſe aus. — Das Deutocerebrum iſt das Zentrum für die von den Fühlern kommenden Nerven, alſo hauptſächlich ein Riechzentrum. Vom Tritocerebrum geht die Innervierung der Oberlippe und der Schlund— wand aus, es wird als Geſchmackszentrum angeſehen. Die Unterſchiede im Bau des Gehirnes ſind ſo bedeutend, daß ein Unterſucher (Vial— lanes) ſagt: „Ich glaube nicht zu über— treiben und von ihrer Wichtigkeit eine genaue Vorſtellung zu geben, wenn ich ſage, daß das Gehirn der Weſpe von dem der Heuſchrecke ebenſo verſchieden iſt, wie das Gehirn des Menſchen von dem des Froſches.“ Die verſchie— dene Bedeutung des Ge— hirnes wird in unzwei— deutiger Weiſe durch das Verhältnis der Gehirn— maſſe zur Körpermaſſe bei verſchiedenen Inſek— ten beleuchtet. Beim Maikäfer iſt das Ge— hirn ½00 des Körpers, bei dem Schwimmkäfer Dytiscus etwa yon bei einer Ameiſen— arbeiterin mit ihren hochentwickelten In— tinkten un bei einer Abb. 160. Gehirnganglion des Männchens, Weibchens und Arbeiters einer 5 Ameiſe (Lasi ANNE 1 meiſe asius). Arbeitsbiene ſogar 174 1 Hirnſtamm, der in B und C große, in A kleine geſtielte Körper enthält, 2 Riechlappen, Der Maikäfer hat ein mit den Fühlernerven, 3 Oeſophagusganglion, 4 Augenganglion, 5 Fazettenaugen, 6 Stirn⸗ 5 ozelle. Nach Forel. abſolut kleineres Ge— hirn als die vierzig Mal kleinere Biene. Unter den verſchiedenen Perſonen des Ameiſen— ſtaates iſt die Gehirngröße ſehr verſchieden (Abb. 460): das größte Gehirn haben die kleinen Arbeiterinnen, die zu den mannigfachſten Leiſtungen, zum Neſtbau, zur Brut— pflege mit ihren vielfachen Arbeiten, zur Nahrungsſuche, zum Wegfinden befähigt ſind; kleiner iſt es bei den Weibchen, obgleich ſie die Arbeiterinnen an Größe übertreffen, am kleinſten aber bei den Männchen, deren faſt einzige Lebenstätigkeit der Hochzeitsflug Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 46 722 Bedeutung des Gehirnganglions. iſt. Wie die Abbildungen zeigen, iſt es faſt ausſchließlich die Ausbildung der geſtielten Körper, der dieſer Unterſchied zugeſchrieben werden muß. Auch der phyſiologiſche Verſuch zeigt die übergeordnete Stellung des Gehirns. Wenn man durch Zerſchneiden der Schlundkonnektive das Gehirn vom übrigen Nerven— ſyſtem abtrennt, zeichnen ſich die operierten Tiere durch leichtes Eintreten und langes Andauern der Reflexe aus. Enthirnte Nereis kriechen raſtlos umher; ſo behandelte Schwimmkäfer (Hydrophilus), Flußkrebſe und Krabben (Careinus) fallen durch ununter— brochene Gang-, Putz- und Freßbewegungen auf. Carcinus überfüllte den Magen mit Nahrung bis zum Platzen und verſuchte ſich mit Steinen und anderen Gegenſtänden zu begatten; es genügte bei dieſem Tier ſchon das Wegnehmen eines beſtimmten Gehirn— teiles, um dieſe Erſcheinungen hervorzurufen. Eine geköpfte Libelle klammert ſich krampf— haft an der Unterlage feſt und läuft daher nicht, obgleich nachweislich die Schreitbewegungen von der Bauchganglienkette allein beherrſcht werden; das Gehirn iſt am Gang zunächſt dadurch beteiligt, daß es den Klammerreflex hemmt. Durch die Operationen ſind alſo Hemmungen fortgefallen, die, wie oben auch für Tintenfiſche geſchildert wurde, im Gehirn ihren Sitz haben. Mit dem Ausfallen dieſer Hemmungen verlieren die Tätigkeiten der operierten Tiere das Zweckmäßige, das ihnen bei unverletzten Tieren eigen iſt. Das Gehirn alſo iſt es, das die Tätigkeiten, die das Bauchmark für ſich allein durchführen kann, veranlaßt oder hindert; es iſt dem Bauchmark übergeordnet, regt dieſes zu beſtimmten Funktionen an oder legt es ſtill. Die Einzelheiten geſchehen mit Hilfe der niederen Zentren, die Geſamtdispoſition iſt Aufgabe des Gehirns. Mit dem Gehirn iſt bei den Articulaten auch der Teil des Nervenſyſtems verbunden, der ſich an den inneren Organen ausbreitet und als Eingeweidenervenſyſtem zu bezeichnen iſt (Abb. 458). Von dieſem ſind bisher nur die gröberen Verhältniſſe genauer bekannt: bei Ringelwürmern, Krebſen, Inſekten und Spinnen kennt man beſonders auf der Schlund— wand Nervenzüge und Ganglienknoten, ihre Verbindungen untereinander und mit dem Gehirn; die Anordnung der Ganglien, die zum Teil unpaar ſind, iſt nicht ſegmental, wie im Bauchmark. Beim Flußkrebs iſt auch ein zum Herzen gehender Nerv, bei der Küchenſchabe eine Innervierung der Munddrüſen nachgewieſen. Die feineren Verhältniſſe der Nervenausbreitungen ſind aber zumeiſt noch nicht genügend unterſucht; nur von den Egeln iſt durch Apäthys Forſchungen bekannt, daß der Darm von einem Nervennetz überzogen iſt; ähnliches iſt ja bei Schnecken und Wirbeltieren bekannt und dürfte bei Articulaten weit verbreitet ſein. Dies Eingeweidenervenſyſtem iſt wahrſcheinlich von höchſter Bedeutung für den Schluckakt, die Darmbewegung und die Regulierung des Nahrungsbedürfniſſes („Hungergefühl“); doch liegen beſondere Verſuche über ſeine Ver— richtungen bei den Articulaten nicht vor. 3. Das zentrale Nervenſyſtem der Chordatiere. a) Gemeinſamkeiten bei den Chordatieren. Bei den allermeiſten wirbelloſen Tieren iſt das Zentralnervenſyſtem in der Haupt— ſache der Bauchſeite genähert, der Seite, die mit der Unterlage in Berührung kommt und damit einerſeits die meiſten ſenſoriſchen Erregungen erfährt, andrerſeits auch für die Fortbewegung am ſtärkſten in Anſpruch genommen wird. Dem gegenüber iſt den Chordatieren, alſo den Manteltieren und Wirbeltieren, die Lage des nervöſen Zentral— apparats auf der Rückenſeite, dorſal vom Darmkanal, gemeinſam; ſie weiſen aber noch Rückenrinne und Nervenrohr. 723 weitere Übereinſtimmungen auch in der Entwicklung dieſes Organſyſtems auf: das zentrale Nervenſyſtem legt ſich bei ihnen als epitheliale Rinne an, die ſich weiterhin zu einem Rohr ſchließt (Abb. 461 A). Dies Nervenrohr bleibt während der Entwicklung an ſeinem Vorderende zeitweilig offen und mündet durch den ſogenannten Neuroporus nach außen, am Hinterende weiſt es vorübergehend eine offene Verbindung mit dem Darmkanal auf, den ſogenannten neurenteriſchen Kanal (Abb. 4615). Ferner zeigt das Nervenrohr an ſeinem Vorderende eine Erweiterung ſeines Innenraumes. Die Gleichartigkeit der Ent— ſtehung hat ihren Grund in der Verwandtſchaft jener beiden Tierkreiſe, auf die früher genauer hingewieſen wurde. In der weiteren Entwicklung werden aus dem Nervenrohr allerdings Bildungen von ſehr verſchiedenem Ausſehen. Unter den Manteltieren erhält ſich das zentrale Nervenſyſtem bei den mittels ihres Ruderſchwanzes frei ſchwimmenden Larven der Aseidien und den ihnen ſehr ähnlichen Appendicularien in der ganzen Längenausdehnung des Körpers, der Anlage des Nerven— rohres entſprechend. Aus der vorderen Erweiterung entſteht bei den Aseidienlarven die Abb. 461. Rückenrinne (4) und neurenteriſcher Kanal (5) bei Froſchembryonen. Der ältere Embryo (5) iſt in der Medianebene durchgeſchnitten; die Zellen des Ektoderms find mit Kern gezeichnet, die des Entoderms punktiert, die des Meſoderms nur umrandet. 71 Nervenrohr, 2 neurenteriſcher Kanal, 3 Urmund (ſpäter verſchloſſen), 4 Mundbucht (Durchbruchſtelle des Mundes). 4 nach Leuckarts Wandtafeln. ſogenannte Sinnesblaſe, die ein Sehorgan und einen Statolithenapparat enthält; der darauffolgende Teil des Nervenrohrs bildet das verhältnismäßig große Gehirnganglion, an das ſich dann ein einfacher, bis zum Hinterende reichender Nervenſtrang anſchließt (Abb. 73 4, S. 107). Das Nervenſyſtem der Appendicularien iſt durch Reduktion der Sinnesblaſe vereinfacht: nur der dem Gehirnganglion nach vorn anliegende Statolithen— apparat iſt von ihr geblieben. Bei den erwachſenen Aseidien, die den Ruderſchwanz verloren haben und feſtſitzen, iſt das Zentralnervenſyſtem, gemäß den verringerten An— forderungen, ſehr zurückgebildet; es bleibt nur noch das Ganglion übrig, das im Ver— hältnis zur Größe des erwachſenen Tieres ſehr unbedeutend bleibt; außerdem iſt der ganze Körper von einem Nervennetz überzogen, das vielleicht auch bei den übrigen Mantel— tieren vorhanden, dort aber noch nicht nachgewieſen iſt. Die Lebensäußerungen der As— eivien find wenig mannigfaltig: nur wenige individuelle Reflexe ſind an das Ganglion gebunden; die meiſten Reaktionen ſind generelle Reflexe und laufen nach Entfernung des Ganglions qualitativ ebenſo ab wie beim unverletzten Tier. — Bei den freiſchwimmenden Salpen iſt das Ganglion recht groß und trägt ein zellenreiches Sehorgan; aber von 46* 724 Zentralnervenſyſtem des Amphioxus und der Wirbeltiere. einem kaudalen Nervenſtrang iſt auf keiner Entwicklungsſtufe etwas zu bemerken; vom Ganglion gehen paarige Nerven an die Lippen und wahrſcheinlich zu den Muskelreifen. Wie weit Nervennetze vorhanden und an den Bewegungen beteiligt ſind, iſt nicht bekannt. Das zentrale Nervenſyſtem des Lanzettfiſchchens erinnert ſchon ſehr an das der Wirbeltiere im engeren Sinne: wir haben ein die Länge des Körpers durchziehendes Rückenmark. Da aber bei dieſem Tier das Vorderende des Körpers nur verhältnis— mäßig wenig differenziert iſt, ſo zeichnet ſich auch das Vorderende des Zentralnerven— ſyſtems nicht ſehr vor dem Reſt desſelben aus. Dies um ſo weniger, als die Sinnes— organe hier nicht in dem Maße am Vorderende, ſpeziell in der vorderen Erweiterung des Nervenrohrs lokaliſiert ſind: die Sehorgane verteilen ſich über die ganze Länge des Rückenmarks, ein ſtatiſches Organ iſt unbekannt; ſo bleibt nur die „Riechgrube“ am Vorderende, von der aus ein Nerv ins Zentralorgan einſtrahlt. In ſegmentaler Anordnung folgen ſich die vom Rückenmark abgehenden Nerven. Dabei zeigt ſich hier ſchon eine Geſetzmäßigkeit, die bei den echten Wirbeltieren regelmäßig wiederkehrt: in jedem Segment gehören zwei Nervenpaare, ein ventrales und ein dorſales, zum Rückenmark; das ventrale enthält wie bei den Wirbeltieren nur motoriſche Nervenfaſern, das dorſale zwar nicht ausſchließlich, aber doch vorwiegend ſenſoriſche Faſern; ein beſonderes Ganglion aber kommt den dorſalen Nerven nicht zu. In ihrem Verlauf ſind die zwei Nervenpaare unabhängig voneinander. Die Verknüpfung zwiſchen verſchiedenen Stellen des Rücken— marks wird durch jog. riefige Nervenfaſern bewirkt, die teils am Vorder-, teils am Hinterende desſelben aus großen Zellkörpern entſpringen und in ihrem Verlauf zahlreiche Nebenäſtchen in verſchiedenen Gegenden abgeben; damit iſt ein Zuſammenwirken der verſchiedenen Teile des Rückenmarks, insbeſondere eine Zuſammenordnung der Bewegungen ermöglicht. Im vorderſten Abſchnitt des Rückenmarks ſcheinen übergeordnete Zentren gelegen zu ſein; wenigſtens bewirkt Abſchneiden dieſes Abſchnittes Bewegungsloſigkeit, wenn nicht ein hinreichender äußerer Reiz auf den Rumpf einwirkt und ihn zur Bewegung veranlaßt. Bei den Wirbeltieren zeichnet ſich das zentrale Nervenſyſtem durch die Höhe ſeiner Entwicklung aus. Zwar geht es in ſeinen Grundlagen auf die einfachen Verhältniſſe der niederen Chordaten, vor allem des Amphioxus zurück; aber es unterſcheidet ſich von dieſen beſonders durch die weitgehende Differenzierung ſeines Vorderendes. Schon äußerlich iſt hier das Zentralorgan in zwei Abſchnitte geſondert durch die Beſchaffenheit der um— ſchließenden Skeletteile: der vordere Abſchnitt iſt in der einheitlichen, knorpligen oder knöchernen Schädelkapſel geborgen und wird als Gehirn in Gegenſatz geſtellt zu dem hinteren Abſchnitt, dem Rückenmark, das im Wirbelkanal liegt. Morphologiſch aber gehört ein bedeutender Teil des Gehirns, das ganze ſog. Nachhirn oder verlängerte Mark, zum Rückenmark; es iſt dieſem in Entwicklung, Aufbau und Anordnung der peripheren Nerven nahe verwandt, und wenn ſchon Unterſchiede zwiſchen Rückenmark und Nachhirn vorhanden ſind, ſo ſind ſie doch geringer als zwiſchen dieſem und den vorderen Gehirn— abſchnitten. Da jedoch das geſamte übrige Rückenmark einheitlich gebaut iſt, ſo wird ſchon aus praktiſchen Rückſichten das Nachhirn für ſich beſprochen und dem übrigen Gehirn angereiht. Den vor dem Nachhirn gelegenen Teil des Gehirns kann man wohl mit dem vorderſten Abſchnitt des Zentralorgans bei den Chordaten, der ſog. Sinnesblaſe, gleichſetzen; wenigſtens ſpricht für dieſe Vergleichung der Umſtand, daß von ihm nur zwei Nervenpaare zu den Hauptſinnesorganen des Kopfes, dem Riechorgan und dem Auge, abgehen — die übrigen zehn Hirnnervenpaare entſpringen alle aus dem Nachhirn. Bau des Wirbeltierrückenmarks. 725 b) Das Rückenmark der Wirbeltiere. Das Rückenmark der Wirbeltiere hat durch ſeine ganze Länge in den Grundzügen den gleichen Aufbau. Legt man einen Querſchnitt hindurch, ſo erkennt man überall zweierlei Subſtanzen, die ſich durch ihre Färbung deutlich unterſcheiden, eine zentrale graue und eine periphere weiße Subſtanz. Die graue Subſtanz zeigt, wenigſtens bei den höheren Wirbeltieren, auf dem Querſchnitt im allgemeinen das Bild eines H, die weiße umgibt ſie allſeitig und füllt die Zwiſchenräume zwiſchen den Schenkeln des H aus (Abb. 463, 465, 466). Auf der ventralen Seite greift eine ſchmale Furche, die ſog. ventrale Längsſpalte, ziemlich tief in die weiße Subſtanz ein. Der Verbindungsſtrich des U zeigt in ſeiner Mitte ein Loch, den Querſchnitt des ſog. Zentralkanals. Vergegen— wärtigen wir uns nach dieſem Querſchnittsbild das körperliche Bild des Rückenmarks: es bildet einen Zylinder von ovalem bis rundem Durchſchnitt; die graue Subſtanz durch— zieht das ganze Mark in Geſtalt zweier ſymmetriſch gelegener Leiſten, die durch eine, den Zentralkanal umſchließende Brücke verbunden werden. Die von der Brücke rückenwärts gelegenen Teile der Leiſte werden als dorſale Hörner, die bauchwärts gelegenen als ventrale Hörner der grauen Subſtanz bezeichnet; die häufig gebrauchten Namen Hinter— und Vorderhörner, die aus der Anatomie des aufrecht gehenden Menſchen entnommen ſind, haben für die übrigen Wirbeltiere mit meiſt horizontal verlaufendem Rückenmark keinen Sinn; ſie ſollen daher hier vermieden werden. Abgeſehen von dem Stüßgerüft, beſteht die graue Subſtanz aus Zellkörpern von Neuronen und einem außerordentlich dichten Filzwerk von Dendriten und Nervenfaſern, die nur zum Teil eine Markſcheide beſitzen. Die weiße Subſtanz dagegen beſteht in der Hauptſache aus markhaltigen Nervenfaſern, die alle in der Längsrichtung des Rücken— marks verlaufen und nur an ihren Enden aus derſelben herausbiegen; die eigentümlich ſeidenartige weiße Farbe dieſes Teils wird gerade durch die Markſcheide der Faſern bewirkt. Das Rückenmark iſt ſeiner Entwicklung nach ein epitheliales Rohr; einzelne Bau— verhältniſſe deuten dauernd auf dieſen Urſprung hin. Der Zentralkanal iſt der Reſt des Rohrlumens. Er iſt rings von Zellen umgeben, die noch epitheliale Anordnung beſitzen und bei erwachſenen Tieren der niederen Wirbeltierklaſſen noch bis an die Ober— fläche des Marks reichen, ein Zuſtand, der bei den höheren Wirbeltieren noch in dem ziemlich weitentwickelten embryonalen Rückenmark zu finden iſt, z. B. beim friſch aus— geſchlüpften Hühnchen. Dieſe Reſte der epithelialen Zellen bilden eine Stützſubſtanz, das ſogenannte Ependym, zwiſchen die ſich die nervöſen Zellen und Faſern, die Beſtand— teile der Rückenmarksneuronen, einordnen. Außer dieſen Ependymzellen iſt noch ein Gerüſtwerk ſternförmig veräſtelter Stützzellen, der Gliazellen, vorhanden. Die Begrenzung des Zentralkanals iſt die urſprünglich äußere (diſtale), die Oberfläche des Marks die urſprünglich innere (proximale) Fläche des Epithels: wie bei dem intraepithelialen Nervenſyſtem, der Coelenteraten z. B., die Nervenfaſern ſich an die proximale Fläche des Epithels, die Zellkörper der Neuronen dagegen ſich mehr diſtal davon lagern, ſo liegen auch hier in dem urſprünglich epithelialen Rückenmark die Nervenfaſern als weiße Subſtanz an der proximalen Seite des Epithels, d. h. gegen die Oberfläche des Rückenmarks zu, die graue Subſtanz dagegen mit den Nervenzellkörpern der urſprünglich diſtalen Oberfläche des Epithels, d. h. dem Zentralkanal, genähert. Außerlich iſt die Sonderung der beiden Subſtanzen bei den Rundmäulern und Knochenfiſchen noch viel weniger deutlich als bei den höheren Wirbeltieren. Aber auch 126 Rückenmarksnerven. dort iſt keine ſcharfe Scheidung von weißer und grauer Subſtanz, von Markmantel und Nervenfilz vorhanden, ſondern es treten Faſern aus dem Markmantel in das Grau, und ebenſo von den Zellen des Graus in den Markmantel: ſie haben wechſelſeitige Beziehungen, die ſogleich erörtert werden ſollen. Im inneren Bau des Rückenmarks läßt ſich eine ſegmentale Anordnung der Beſtand— teile nicht erkennen. Eine mit der Körperſegmentierung übereinſtimmende Geſetzmäßigkeit iſt jedoch ſtreng durchgeführt in der Anordnung der Rückenmarksnerven (Spinalnerven). Jedem Körperſegment entſpricht ein Paar Spinalnerven, ſo daß jederſeits die Zahl der Nerven derjenigen der Wirbel gleicht. Jeder Spinalnerv ſteht mit dem Mark durch zwei Wurzeln in Verbin— dung, eine dorſale und eine ventrale, die ſich gleich nach dem Aus— tritt aus dem Wirbel— kanal zum einheitlichen Nerven vereinigen (Abb. 453). Die ventrale Wurzel entſpringt un— mittelbar aus dem Mark, in den Verlauf der dorſalen Wurzel iſt ein Ganglion einge— ſchaltet, das ſogenannte Spinalganglion. Die Abb. 453 (wiederholt). Schema des Reflexbogens im Wirbeltierrückenmark. beiden Nervenwurzeln 1 graue Subſtanz und 2 weiße Subſtanz des Rückenmarks, 3 ventrales „Horn“ der grauen R 1 Subſtanz, das die motoriſchen Ganglienzellen enthält, 4 jog. dorſale Wurzel und 5 ventrale ſind ihrem Weſen nach Wurzel der Rückenmarksnerven, 6 Spinalganglion. Eine Erregung der freien Nerven— ſehr verſchieden. Die endigungen in der Haut 7 gelangt durch den Neuron, deſſen Zellkörper im Spinalganglion (6) liegt, in das Rückenmark, und zwar durch die dorſale Wurzel des Rückenmarksnerven; Faſern der ventralen die Endbäumchen dieſes Neurons treten zu den Fortſätzen von motoriſchen Ganglienzellen 2 (3. B. bei 3) in Beziehung und übertragen dadurch die Erregung auf den zugehörigen Wurzeln entſpringen effektoriſchen Neuron, deſſen Endverzweigungen einem Muskel (8) aufliegen; die dorthin von großen multipo- gelangende Erregung bewirkt Zuſammenziehung des Muskels. „ laren Zellen, die in den ventralen Hörnern der grauen Subſtanz gelegen ſind. Die Faſern der dorſalen Wurzeln da— gegen entſpringen faſt ausſchließlich von Zellen des Spinalganglions. Die Entwicklung der Spinalganglien dagegen geſchieht unabhängig von der des Rückenmarks, aus beſonderen Epidermispartien, den ſogenannten Ganglienleiſten, die zu beiden Seiten der Rückenrinne liegen; die beſte Bekräftigung dieſer Unabhängigkeit iſt das Vorkommen von Mißgeburten ohne Rückenmark, bei denen aber die Spinalganglien vorhanden ſind. Die Zellkörper der Spinalganglien ſind urſprünglich bipolar und behalten dieſe Geſtalt bei Fiſchen zeitlebens bei; bei höheren Wirbeltieren iſt die Bipolarität nur während der Entwicklung vorhanden, ſpäter rücken die Urſprünge der beiden Nervenfaſern mehr und mehr zuſammen und Zentrale Verbindungen peripherer Nerven. 127 bekommen gleichſam eine gemeinſame Baſis: die Zelle hat nur einen, ſich T- oder Y-fürmig ſpaltenden Fortſatz (Abb. 453, 6). Dieſer Unterſchied iſt jedoch nur äußerlich, nicht weſentlich. Die eine der beiden Faſern, die zu einer Spinalganglienzelle gehören, wächſt in das Rückenmark ein; die andere wächſt gegen den Körper zu und vereinigt ſich dabei mit den Faſern der ventralen Wurzel zum einheitlichen Spinalnerven. Dieſem Grundunterſchied in der Entſtehung der beiden Wurzeln entſpricht auch ein grundſätzlicher Unterſchied in der Leiſtung ihrer Faſern. Die Nervenfaſern der ventralen Wurzeln gehen zu den Muskeln; ſie leiten Erregungen zentrifugal, vom Mark zur Peripherie, ſind motoriſch. Die Faſern der dorſalen Wurzeln dagegen ſind rezeptoriſch; ſie verbreiten ſich beſonders in der Haut, werden durch äußere Reize erregt und leiten dieſe Erregung zentripetal, zum Rückenmark. Die Erkrankung oder Durchſchneidung einer ventralen Wurzel bewirkt Lähmung der von ihr aus innervierten Muskeln; die Unter— brechung einer dorſalen Wurzel bewirkt Unempfindlichkeit der von ihr verſorgten Haut— abſchnitte. Der durch Vereinigung der beiden Wurzeln entſtehende Spinalnerv iſt alſo ein gemiſchter Nerv, der ſowohl motoriſche wie rezeptoriſche Faſern enthält. Die motoriſchen Zellen in dem ventralen Horn des Rückenmarkgraues ſind wahr— ſcheinlich überall in Gruppen verteilt, deren Faſern zu beſtimmten Muskeln gehen; bei den Säugetieren konnte eine ſolche Verteilung nachgewieſen werden. Dieſe Zellen treten mit ihren Dendriten zu den Endbäumchen rezeptoriſcher Faſern in Beziehung, die aus der betreffenden dorſalen Nervenwurzel in das dorſale Horn des Rückenmarks eintreten (Abb. 453). Dies iſt der einfachſte Reflexbogen, d. h. der kürzeſte Weg, auf dem die Erregung, die durch einen äußeren Reiz hervorgerufen wurde, zu einem Muskel gelangen und dort Zuſammenziehung auslöſen kann. Viele rezeptoriſche Faſern treten aber nicht unmittelbar in das dorſale Horn ein, ſondern in die weiße Subſtanz, ſpalten ſich dort T-förmig und ſenden einen Aſt eine Strecke weit kopfwärts, einen andern ſchwanzwärts; dieſe Aſte geben ihrerſeits Zweige ab, die in das dorſale Grau eintreten und zu den motoriſchen Zellen des ventralen Hornes in Beziehungen treten. Eine in einer ſolchen Nervenfaſer dem Rückenmark zugeleitete Erregung kann alſo in einem größeren Bereich auf motoriſche Zellen einwirken und ſomit auf verſchiedene Muskeln, je nach den beeinflußten Zellen, einen Reiz ausüben. So können wir uns die Entſtehung der komplizierteren Reflexe denken, bei denen durch Reizung einer beſchränkten Hautſtelle zuſammengeſetzte Bewegungen hervorgerufen werden, wie z. B. die Sprungbewegungen eines enthirnten Froſches auf Preſſen einer Zehenſpitze. Aber nicht alle Faſern der dorſalen Wurzeln gehen die geſchilderten Wege: andere ſenden unter T-fürmiger Spaltung einen kurzen Aſt ſchwanzwärts; der kopfwärts ver— laufende Aſt aber reicht bis zum Gehirn und tritt im Nachhirn mit anderen Neuronen in Verbindung, deren Faſern weiter in das Hirn eindringen, bei Säugern in die Groß— hirnrinde. Dieſe Bahnen ſind es aller Wahrſcheinlichkeit nach, die im Hirn das Zuſtande— kommen ſolcher Nervenvorgänge, die von bewußten Empfindungen begleitet ſind, vermitteln. Noch andere dorſale Wurzelfaſern gelangen in das dorſale Grau und treten dort in Beziehung zu den Zellkörpern aſſoziativer Neuronen, deren Achſenfortſätze, als ſekundäre ſenſoriſche Bahnen, zum Kleinhirn, Mittelhirn und Zwiſchenhirn verlaufen; die in das Kleinhirn gelangenden Bahnen ſind wahrſcheinlich wichtig für die Regulierung der Bewegungen, die von dieſem Hirnteil aus geſchieht. Andererſeits gelangen aber auch Bahnen, die von Zellen des Gehirns ausgehen, in das Rückenmark. Die beſterforſchte unter dieſen iſt die ſogenannte Pyramidenbahn 128 Bahnen in der weißen Subſtanz. der Säuger: ihre Faſern entſpringen aus den Pyramidenzellen der Großhirnrinde und gelangen, nachdem ſie ſich teilweiſe im Nachhirn gekreuzt haben, in das Rückenmark, verlaufen im Markmantel, bis ihre Endausläufer in das Grau eintreten und mit ihren Endbäumchen zu den motorischen Zellen der ventralen Hörner Beziehungen eingehen. Dieſe Bahnen vermitteln alſo Bewegungsreize, die vom Großhirn ausgehen; man ſieht in ihnen den Weg, auf dem „willkürliche“ Bewegungen vermittelt werden. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß die gleichen motoriſchen Zellen ſowohl zu Endbäumchen dorſaler Wurzelfaſern, als auch zu ſolchen der Pyramidenfaſern Beziehungen haben, alſo je nach dem Wege, den die Erregung nimmt, reflektoriſche oder willkürliche Bewegungen auslöſen können. — Die Pyramidenbahnen ſind nur von Säugern bekannt; aber auch bei niederen Wirbeltieren, wo eine direkte Verbindung zwiſchen Großhirnrinde und Rückenmark nicht beſteht, müſſen Bahnen von Zellen andrer Hirnteile aus zum Rückenmark gehen; ihre genaue Erforſchung aber ſteht noch aus. — So ſind alſo die einzelnen Teile des Rückenmarks ſowohl unter ſich, als auch mit dem Ge— hirn verbunden. Die Verknüpfungen der Neu— ronen finden ſtets in der grauen Subſtanz ſtatt; die Bahnen da— gegen verlaufen in der weißen Subſtanz, und zwar hat dort jede Bahn ihren beſtimmten Platz. Wir unterſcheiden in der weißen Sub— ſtanz vier Abſchnitte (Abb. 462): ER 25 8 . zwiſchen den dorſalen Hörnern Abb. 462. Die Hauptbahnen der weißen Subſtanz auf dem Quer- > 8 ſchnitt des menſchlichen Rückenmarks. des Grau den Dorſalſtrang, zwi⸗ , en in. 3 Mittelhirndach - Rückenmarkbahn; b) Bahnen vom Rückenmark zum Gehirn: Ventralſtrang, und jederſeits vom 4 und 4“ dorſale und ventrale Rückenmark-Kleinhirnbahn, 5 Hinterſtränge H di S ; Br 2 mit Fuſern, die von den dorſalen Wurzeln zum Nachhirn aufſteigen; e) Bahnen le eitenſtr ange. Bei den zwiſchen einzelnen ee e e e Die Säugern iſt die Anordnung fol⸗ gende: die Dorſalſtränge beſtehen faſt nur aus Faſern der dorſalen Wurzeln, die teils als kurze Bahnen verſchiedene Abſchnitte des Marks verbinden, teils als lange Bahnen zum Gehirn laufen (5). Die Rückenmark— Kleinhirn-Bahn verläuft in der Peripherie der Seitenſtränge (4), die Rückenmark-Mittel— hirndach-Bahn in den Ventralſträngen, ebenſo die Rückenmark-Zwiſchenhirn-Bahn. Die Pyramidenbahnen (7° u. 7) der Säuger nehmen einen großen Teil der Seitenſtränge und beim Menſchen auch einen Teil der Ventralſtränge ein. Der Nachweis dieſer Verbindungen beruht zum Teil auf der ſchon erwähnten Tatſache, daß Nervenfaſern, die vom Zellkörper des Neurons abgetrennt ſind, degenerieren; teils nach Verletzungen und Krankheiten beim Menſchen teils experimentell an Tieren ſind in mühevoller Einzelarbeit dieſe Verhältniſſe klargelegt. Sehr viel Aufklärung iſt andrerſeits der elektiven Färbung der Neuronen durch das Golgiſche Imprägnationsverfahren (S. 595) zu danken. Die Menge dieſer Verbindungen und die Maſſe der an beſtimmten Stellen lokali— ſierten Neuronen wechſelt nun je nach der Beanſpruchung der betreffenden Stelle. Wenn die Anforderungen, die an einen Rückenmarksabſchnitt geſtellt werden, ſich ſteigern, wenn Zuſammenhang von Leiſtung und Bau im Rückenmark. die von den Neuronen der Spinalganglien verſorgte reizaufnehmende Oberfläche wächſt, wenn die Zahl und Maſſe der zugeordneten Muskeln zunimmt, ſo tritt auch eine Ver— mehrung der Einzelelemente des Marks und der Einrichtungen zu ihrer e ein. Die Menge der Leiſtungen, die das Rückenmark über— nimmt, findet auch in ſeiner Geſtaltung ihren Ausdruck. Das läßt ſich in einer großen Zahl von Einzel— fällen mit augenfälliger Deutlichkeit verfolgen. Bei den Fiſchen wird ein großer Teil der Körperoberfläche, nämlich die hochentwickelten und wichtigen Sinnesorgane der Seitenlinie, nicht vom Rückenmark, ſondern vom Nachhirn aus, durch einen Aſt des ſiebenten Hirnnerven (N. facialis), der früher fälſchlich dem zehnten Hirn— nerven (N. vagus) zugerechnet wurde, verſorgt, und die Verſorgung der übrigen Haut mit Sinnesorganen iſt, wenigſtens bei den Knochenfiſchen, gering; dem— entſprechend ſind die dorſalen Wurzeln und die dor— ſalen Hörner der grauen Subſtanz verhältnismäßig ſchwach ausgebildet. In ähnlicher Weiſe zeigt der Walfiſch mit ſeiner dicken, für mechaniſche Reize wenig * \ 7 N 7 AU \ IN N { , „ e er N De at 5 7 7 2 — A „ 2 ä 3 ö n . — ä N 1 1 he 1 2 N | | \ 8 7 1 1 — 3 Abb. 463. Querſchnitt durch das Rücken- 9 Walfiſches (Bal aenoptera musculus Comp.) in der Gegend des erſten Halswirbels. 1 dorfales und 2 ventrales Horn der grauen Subſtanz, 3 ventraler Längsſpalt. 3 fach ver— größert. Nach Guldberg. durchläſſigen Haut nur eine geringe Entfaltung der dorſalen Hörner des Rückenmarks entwickelt, wo ihnen beſondere Leiſtungen obliegen, z. B. beim Zitteraal (Gymnotus): in ihnen entſpringen die effek— (Abb. 463). Die ventralen Hörner aber ſind da hoch toriſchen Nerven für das ſtark entwickelte elektriſche Organ (Abb. 464). Bei den Land— wirbeltieren gehören zu den Gliedmaßen mit ihrer vermehrten Oberfläche und Muskulatur auch beſonders ausgezeichnete Stellen des Rückenmarks, die durch ihre Anſchwellung ſchon äußerlich auffallen und eine bedeutende Vermehrung der grauen Subſtanz auf— weiſen: die ſogenannte Nackenanſchwellung für die vordere, die Lendenanſchwellung für die hintere Gliedmaße. Kaum irgendwo treten dieſe ſo deutlich hervor wie bei den Schildkröten (Abb. 465). Bei dieſen Tieren iſt durch Verwachſung der Rippen mit dem Hautpanzer die Zwiſchen— rippenmuskulatur überflüſſig geworden; der dicke Horn— überzug der Hautbedeckung des Rückens macht eine reiche Innervierung derſelben unnötig: daher iſt ihr Rückenmark ziemlich ſchmächtig; um ſo mehr fällt dann die Verdickung des Marks für die Gliedmaßen (5, D) auf. Bei den Eidechſen iſt die Nacken- und Lendenanſchwellung deutlich, bei den verwandten Blindſchleichen fehlt ſie mit den Gliedmaßen. Abb. 464. Querſchnitt durch das Rückenmark des Zitteraals. 1 dorſales Horn, grauen Subſtanz zellen. 2 ventrales Horn der mit mächtigen Ganglien— Nach Fritſch. Wo das eine Glied— maßenpaar ein ſtarkes Übergewicht über das andre hat, macht ſich das ſogleich auch in der Bildung des Rückenmarks bemerklich. Bei der Fledermaus (Vesp. murinus Schreb.) iſt eine verhältnismäßig lange und breite Nackenanſchwellung vorhanden, die Lenden— anſchwellung iſt undeutlich; ebenſo iſt die Lendenanſchwellung bei der Robbe (Phoca vitulina L.) nicht deutlich ausgeprägt. Dagegen überwiegt beim Känguruh, dem vor— wiegend die Hinterbeine zur Bewegung dienen, die Lendenanſchwellung ganz auffällig und bei den alten Dinoſauriern, die auf den rieſigen Hintergliedmaßen halbaufrecht 730 Zuſammenhang von Leiſtung und Bau im Rückenmark. daherſchritten, können wir auf einen rieſigen Umfang des Lendenmarks aus der Weite des Wirbelkanals in dieſer Gegend ſchließen, die bei Stegosaurus das Zehnfache der . cĩi(c˖ccchödelhöhle betragt: Auch das Verhalten der weißen Subſtanz trägt zur Formbeſtimmung des Rückenmarks nicht wenig bei. Vermehrung der kurzen Bahnen kann lokale Vermehrung der weißen Subſtanz bewirken. Die langen Bahnen aber, die vom Gehirn kommen und zum Gehirn gehen, müſſen ſich immer mehr anhäufen, je näher eine Stelle des Marks dem Gehirn liegt: die Querſchnitte durch das Rücken— mark der Schildkröte (Abb. 465) und die neben— ſtehende Reihe von Querſchnitten durch das Rücken— mark des Gorilla (Abb. 466) zeigen das aufs deutlichſte. Bei den höheren Wirbeltieren, insbe— ſondere bei den Säugern, iſt infolge der zahl— reichen Gehirnverbindungen das Weiße des Rücken— marks bedeutender entwickelt als bei den niederen; bei den Fiſchen, wo dieſe Verbindungen auf ein Mindeſtmaß beſchränkt ſind, iſt daher auch das Weiß am geringſten ausgebildet. Im ganzen muß dort das Rückenmark ſtärker ausgebildet ſein, wo der Körper mannigfacher differenziert, die Zahl der Muskeln größer, die rezipierende Oberfläche ausgedehnter iſt. Damit erklärt es ſich, daß das Rückenmark eines Huhns dreimal ſo ſchwer iſt als das eines etwa gleich— ſchweren Karpfens (2,1 gr: 0,65 gr), oder das des Kaninchens über neunmal ſo ſchwer als das einer Schildkröte von gleichem Körpergewicht (3,64 gr: 0,39 gr). Wie bei den Gliederfüßlern, ſo kommen auch bei den Wirbeltieren Verkürzungen des Marks vor, wenn auch die Lage im beſchränkten Raume des Wirbelkanals eine ſo ſtarke Konzentration, 1 wie ſie dort zuweilen eintritt, unmöglich macht. — — Urſprünglich reicht das Rückenmark d Abb. 465. Querſchnitte durch das Rückenmart die Wirbelſäule, und die Rückenmarksnerven ent— einer Schildkröte (Testudo graeca L.). q ; Br m A vom Übergang des Nachhirns zum Rückenmark, ſpringen in der Höhe des Körperſegments, das nen Nach seen. ſie verſorgen, mit anderen Worten, Des DEE aus dem ſie austreten. So bleibt es auch bei niederen Wirbeltieren; in vielen Fällen aber rückt der „Endkegel“ des Marks nach vorn, ſo daß die Nervenwurzeln bis zu ihrer Austrittsſtelle einen mehr oder weniger langen Weg im Wirbelkanal zurücklegen müſſen, z. B. der zweite Sakralnerv des Menſchen eine Strecke von 14 em. Dieſe Verkürzung ſcheint eine funktionelle Be— deutung nicht zu beſitzen; am eheſten wäre die Annahme berechtigt, daß dadurch die Verkürzung des Rückenmarks. 731 inneren Verknüpfungen erleichtert und dabei Material geſpart werde, während ja andrer— ſeits für die Verlängerung der peripheren Nerven ein Mehraufwand nötig wird. Die Verkürzung iſt am ſtärkſten bei hochdifferenzierten Formen; unter den Säugern geht ſie am weiteſten bei der Fledermaus (Vesp. murinus), wo der Endkegel in der Höhe des 11. = Rückenwirbels 75 = > liegtzunter den Primaten ſtei— gert ſich die Verkürzung mit zunehmen— der Entwick— lungshöhe:bei einem Halb— affen (Lemur macao “.) liegt das Ende im 7. Lendenwir— bel, bei einem Neuweltaffen (Hapale) im 6., bei Maca- cus (Abb. 467) im 4., beim Menſchen im 1. Lendenwir— bel. Die ge⸗ ringſte Ver— kürzung zeigen primitive For— TTCTTTCTCTTkTſVTſTTſTTTWT—T—TꝗB—2ÿ:! .. c——̃ä — ninchen birgt Abb. 436. Querſchnitte durch das Rückenmark des Gorilla A Halsgegend, 5 Nackengegend, C Rückengegend, D Lendengegend, E und F Schwanzgegend. Nach Waldeyer. der 3. Kreuz⸗ beinwirbel, beim Schwein der 5., beim Igel der letzte Kreuzbeinwirbel den Endkegel des Rückenmarks. So ſcheint es faſt, als ob wir es bei dieſer Erſcheinung mit einer phyle— tiſchen Entwicklungsrichtung zu tun haben, deren Zuſammenhänge ſich unſerer Erkenntnis entziehen. c) Das Gehirn der Wirbeltiere. Während das Rückenmark in ſeiner Maſſe unmittelbar abhängig erſcheint von der Größe des rezipierenden Innervationsgebietes und der Menge der verſorgten Muskeln, läßt ſich beim Gehirn ein ähnlicher Zuſammenhang nicht erkennen. Denn obgleich das Gehirn eine viel geringere Körperfläche verſorgt als das Rückenmark, iſt es in ſeiner Maſſe dieſem meiſt überlegen. Nimmt man das Gewicht des Rückenmarks als Einheit, ſo iſt die Verhältnisgröße des Gehirns ſehr wechſelnd: bei der Blindſchleiche (mit ſehr langem Rückenmark) 0,35, beim Feuerſalamander 0,9, beim Grasfroſch 1, beim Rind 1,5, 132 Verhältnisgröße des Gehirns. bei Karpfen, Huhn und Kaninchen etwa 2, beim Gürteltier (Dasypus) nahe an 3, bei Katze und Igel um 4, bei 2 8 \ N \ N N N Ä 8 \ En N a N N N . F Y N N N U Im 28 n Em NE Na ER a SON) . — EN 5 8 x — x 2225 2 = N 2 \ 5 — ne — — — e e — — 9 * € Abb. 467. Nüdenmarf eines Mafaf(Macacusrhesus Desm.) im geöffneten Wirbelfanal. Nach Flatau und Jacobſohn. Fledermäuſen etwa 6, bei einem Makak (Inuus) über 8, beim Menſchen 26. Wenn auch dieſe Zahlenreihe in ſolcher Zu— ſammenſtellung nicht gerade viele Schlüſſe geſtattet, ſo zeigt ſie doch das eine, daß bei höheren Tieren, beſonders bei den Säugern, die Verhältnisgröße des Gehirns dem Rückenmark gegenüber bedeutend zunimmt. Das läßt ſich nicht bloß daraus erklären, daß das Innervationsgebiet des Gehirns, der Kopf, jeden anderen Körperabſchnitt an Differenzierung, an Größe und Zahl der Sinnesorgane und Mannigfaltigkeit der Muskel- verſorgung übertrifft. Denn wir finden bei ſonſt ähnlich gebauten Tieren von gleicher Körpergröße, wie etwa Haus— katze und Makak, das Rückenmark etwa gleich ſchwer, nämlich etwas über 7,5 g, die Gehirne dagegen ſehr verſchieden, bei der Katze 29g, beim Makak dagegen über 62 g. Ebenſo haben ein großer Hund, ein Gorilla und ein Menſch von etwa gleichem Körpergewicht Gehirne, die ungeheuer verſchieden groß ſind und ſich etwa wie 1:3: 9 (135: 430: 1350 g) verhalten. Der Grund für dieſes verſchiedene Verhalten iſt nicht ſchwer einzuſehen. Beim Rückenmark ſteht die überwiegende Maſſe der nervöſen Beſtandteile in unmittelbarer Beziehung zum Innervationsgebiet, ſo daß ſie von der Ausdehnung des letzteren in ihrer Menge direkt beeinflußt wird; die Aſſoziations— bahnen dagegen, die zur Verknüpfung einzelner Teile des Marks untereinander oder mit dem Gehirn dienen, ſind nicht beſonders reichlich und wechſeln vor allem bei Tieren der gleichen Klaſſe nur in engen Grenzen. Das Gehirn jedoch iſt überaus reich an Aſſoziationsneuronen; große Teile des— ſelben beſtehen ausſchließlich aus ſolchen und ſind ganz ohne irgendwelche unmittelbare Verbindung mit den Rezeptions— organen oder dem Bewegungsapparat. Wie bei den Glieder— füßlern, ſo haben auch hier dieſe Aſſoziationszentren ſich jenen Teilen des Zentralnervenſyſtems angeſchloſſen, die mit den Hauptſinnesorganen verbunden ſind, dem Riechzentrum und dem Sehzentrum; dazu kommt noch ein weiteres derartiges Aſſoziationszentrum am Vorderende des Marks, das Kleinhirn. In dieſen Aſſoziationszentren finden die Teile des ge— ſamten Nervenſyſtems ihre Verknüpfung: das Rückenmark, das verlängerte Mark und die Zentren der Sinnesorgane. Je enger, zahlreicher und mannigfacher dieſe Verknüpfungen ſind, um ſo leichter können die Erregungen, die aus den verſchiedenen Sinnesorganen kommen, in Beziehung gebracht werden zuein— ander und vielleicht zu Spuren, die von früheren, gleichartigen Erregungen zurückgeblieben ſind, um ſo ſchneller und mannig— faltiger abgeſtuft können die Reaktionen auf die äußeren Reize Aſſoziationszentren. 733 erfolgen. Eine höhere Ausbildung der Aſſoziationsorgane im Nervenſyſtem geſtattet alſo eine beſſere Ausnützung der körperlichen Fähigkeiten: die Verwendung der peri— pheren Apparate wird vielſeitiger und entſpricht mehr den äußeren Verhältniſſen bezw. den Meldungen über dieſelben, die von den Sinnesorganen ausgehen; die Lebens— äußerungen kommen auf eine höhere Stufe. Wenn man alſo bei den höheren Wirbel— tieren im ganzen Verhalten eine größere Mannigfaltigkeit und Anpaſſungsfähigkeit trifft, ſo ſind es gerade die Aſſoziationsapparate des Nervenſyſtems, auf deren Rechnung dieſe Überlegenheit zum großen Teile geſetzt werden muß. Das Rückenmark allein ver— mag nur reflektoriſche Reaktionen zu vermitteln, die ſtets in gleicher Weiſe ablaufen; die Modifizierung der Reaktion, ihre Abſtufung nach den jeweiligen Verhältniſſen, die völlige Unterdrückung mancher Reflexe in beſtimmten Fällen, ferner alle Nerventätigkeit, deren pſychiſche Begleiterſcheinungen als Erinnerung, Überlegung, Wille bezeichnet werden, ſpielen ſich in den Aſſoziationsneuronen des Gehirnes ab. Ihre hohe Ausbildung beim Menſchen verſchafft dieſem ſeine beherrſchende Stellung in der Natur. Die verſchiedene Ausbildung der Aſſoziationszentren iſt es alſo in der Hauptſache, wodurch die außerordentliche Maſſenverſchiedenheit der Gehirne bei den Wirbeltieren bedingt wird. Aber jene Abſchnitte des Gehirns, die in unmittelbarer Verbindung mit den peripheren Organen, mit den Sinnesapparaten, den Muskeln u. a. ſtehen, ſind in ihrem Verhalten durchaus nicht überall gleich, ſondern werden, ebenſo wie das Rücken— mark, durch die Ausbildung dieſer peripheren Apparate beeinflußt: die reiche Entfaltung des äußeren Riechorgans z. B. hat eine hohe Entwicklung der Riechzentren des Vorder— hirns zur Folge, wie bei Haifiſchen und den meiſten Säugern, oder dem vom Nachhirn aus innervierten elektriſchen Organ des Zitterrochen (Torpedo) entſpricht im Gehirn ein beſonderer Lobus electrieus, der faſt den Umfang des Vorderhirns erreicht (Abb. 470 5 7). Von dieſem doppelten Geſichtspunkt aus iſt die Geſtaltung des Gehirns in der Wirbel— tierreihe zu beurteilen; bei jedem Abſchnitt erhebt ſich die Frage: welche Bildungen ſtehen unter dem Einfluß peripherer Verbindungen, und welche ſind als Aſſoziations— zentren aufzufaſſen? Wie ſchon erwähnt, iſt die Abgrenzung des Gehirns gegen das Rückenmark eine äußerliche: Gehirn nennen wir den Teil des Zentralnervenſyſtems, der in der Schädel— kapſel eingeſchloſſen iſt, während das Rückenmark im Wirbelkanal liegt. Aber der an das Rückenmark anſchließende Gehirnabſchnitt, das Nachhirn, iſt nach ſeinem Bau eine unmittelbare Fortſetzung des Rückenmarks; er geht ohne ſcharfe Grenze in dieſes über, während er gegen die vorderen Hirnteile deutlich geſondert iſt; mit Recht nennt man dieſen Teil das verlängerte Mark. Nach vorn ſchließt ſich daran eine Reihe kompliziert gebauter Einzelteile, die ſich am beſten nach den viel einfacheren Verhältniſſen beim em— bryonalen Hirn überblicken laſſen. Das embryonale Rückenmarksrohr ſetzt ſich bei allen Wirbeltieren in gleicher Weiſe an ſeinem Vorderende in ein Gebilde mit erweitertem Hohlraum fort, das durch zwei Einſchnürungen in drei Abſchnitte geteilt iſt, die ſogenannten drei primitiven Hirnbläschen (Abb. 468 A, 1972, 3, 445). Das dritte derſelben, das Metencephalon, geht all— mählich in das Rückenmark über; es entwickelt ſich zum Nachhirn (5), und an ſeinem Vorderende bildet ſich durch mehr oder weniger ſtarke Verdickung ſeines dorſalen Ab— ſchnittes ein Aſſoziationszentrum, das Hinterhirn () oder, wie es bei den Säugern heißt, Kleinhirn. Das mittlere primitive Hirnbläschen (5), das Meſencephalon, wird Teile des embryonalen Gehirns. 734 für die Sehorgane, wo zum Mittelhirn und bildet als ſolches zunächſt das Zentrum ſern unter ſich und mit anderen Nervenbahnen die von den Augen kommenden Nervenfa ute eee eee polor 5 eee 7 "Polos 7 eee er 9 un e uaparablnn unebenen 9 ug "(smosnoy qun sıpwior,g) wogaauuad 'g gun 2 seg naydung 5 "uolpspggnuaagug 9 sagorganımuapng ee Bunwmmapuapugg ed “ un ‚(snurwosrzg) naaaauumd warum) seg uonbuvch 2 OHNE e Buvgug aojvlaog SV PIUE Ag ‚a m uvang unguapnug z wqumg 87 Ppou 7 “uwaqungg 97 pvu 9 'uaaung Fr nd pm juvenile a00 nee Pvu joy S 19299 ‚9 ehen 9 ene e eee # ang gapg cus ,z aeg 7 Uaqung 16 pvu 9 wauıyg pz cpu "uaqung 89 cpu 7 vu g 'wqung 07 oa alagug ug F uapugnd wıag Suan 890 Buntpiaugugd sor qq verknüpft werden. Das erſte primitive Hirnbläschen oder Protencephalon (7 2) bildet den Mutterboden für die Entwicklung ſi der nervöſen Teile der paarigen Augen (6), die rch die Sehnerven mit ihm im Zuſammenhang ch von ihm lostrennen und nur du Vergleichung der Gehirne verſchiedener Wirbeltiere. 735 bleiben; im übrigen gibt es zwei geſonderten Hirnabſchnitten die Entſtehung, dem Zwiſchenhirn (2) und dem Vorderhirn (J). Am Dach des Zwiſchenhirns bildet ſich das unpaare Auge, das bei den meiſten Wirbeltieren als „Zirbeldrüſe“ rudimentär wird (2 in Fu. 6), während ſein Boden als ſogenannter Trichter (Infundibulum) mit einer drüſigen, von der Mundhöhle ausgehenden Epidermiseinſtülpung, der Hypo— phyſe, in Beziehung tritt. Das Vorderhirn entſteht in Form von 2 blaſenförmigen Ausſtülpungen (7 in Fu. 6) der Vorderwand des erſten primitiven Hirnbläschens und bildet in ſeinen baſalen Teilen den Zentralapparat für das Riechorgan; der dorſale Abſchnitt ſeiner blaſenförmig aufgetriebenen Wandung aber liefert die ſogenannten Hemi— ſphären des Großhirns. In Mittel-, Zwiſchen- und Vorderhirn entwickeln ſich in ver— ſchieden reichlichem Maße Aſſoziationszentren, wodurch der Bau dieſer Gehirnteile noch mehr kompliziert wird. Der Binnenraum des Nervenrohrs wird im Gehirn ſtellenweiſe zu engen Kanälen reduziert, während andere Stellen, die ſogenannten Ventrikel, geräumiger bleiben. Als erſten und zwei— ten oder als paa— rige Ventrikel be— zeichnet man die Hohlräume in den beiden Hemi— ſphärenblaſen, den dritten Ben- trikel umſchließt das Zdwiſchen— hirn, der vierte ©. ſogenannte Rau⸗ bium (B Ichthyophis) und einem Säuger (C, Igel). f A1 Vorderhirn, 2 Zwiſchenhirn, 3 Mittelhirn, 4 Hinterhirn, 5 Nachhirn, 6 Stiel des abgeſchnittenen tengrube, die dor⸗ Augenbechers. Nach Kupffer, Burckhardt und Groenberg. Vgl. dazu Abb. 468 F. ſal nur von einem dünnen Häutchen überdeckte Erweiterung des Zentralkanals im verlängerten Mark. Eine beſondere biologiſche Bedeutung kommt den Ventrikeln nicht zu; ihre Entſtehung iſt lediglich die Folge der Wachstumsverhältniſſe ihrer Wandung. Die embryonalen Gehirne der verſchiedenen Wirbeltierklaſſen zeigen eine große Ahnlichkeit, wie aus der Vergleichung der Abbildungen 469 4— 0 erſichtlich iſt. Das fertige Gehirn dagegen iſt ſehr verſchieden. An dieſer Verſchiedenheit ſind aber nicht alle Abſchnitte in gleicher Weiſe beteiligt, ſondern die einen ſind mehr gleichförmig durch die ganze Reihe ausgebildet, die andern wechſeln mehr: geringerem Wechſel unterliegen Nachhirn, Mittel- und Zwiſchenhirn, bei denen die Beziehungen zu peripheren Organen vorwiegen; von größter Mannigfaltigkeit in der Ausbildung iſt das Hinterhirn und der ſogenannte Mantel des Vorderhirns, die ganz aus Aſſoziationsneuronen aufgebaut ſind: ſie ſind bei manchen Formen von außerordentlicher Größe, bei anderen bleiben ſie klein (Abb. 470 u. 471). Aber man findet nicht etwa durchweg höher oder niedrer entwickelte Gehirne, es iſt unmöglich etwa eine gleichmäßig aufſteigende Reihe aufzuſtellen; vielmehr ſind hier die einen, dort andre Abſchnitte höher ausgebildet. Selbſt das Gehirn des Menſchen, das ohne Zweifel vergleichsweiſe am höchſten organiſiert iſt, iſt nicht etwa das denkbar höchſte, es iſt nicht in allen Abſchnitten den Gehirnen andrer Wirbeltiere 736 Verlängertes Mark. überlegen: ein ſo niedrig ſtehendes Tier wie das Neun— auge (Petromyzon) über— trifft es durch das funktions- fähige Scheitelauge im Zwi— ſchenhirn, und ſein Riech— zentrum ſteht hinter dem der meiſten Säuger ganz be— trächtlich zurück. Das Nachhirn oder ver— längerte Mark gehört ſeiner ganzen Ausbildung nach zum Rückenmark; allerdings weicht es von ihm in vielen Punkten ſeines Baues ab: durch bedeutendere Dicke und durch das Verhalten des Zentralkanals, durch die Anordnung der grauen Subſtanz und durch die Beſchaffenheit der abgehen— den Nerven. Die größere Maſſenent— wicklung des verlängerten Markes hat dieſelben Ur— ſachen wie die Verdickungen im Hals- und Lendenmark: ſie ſteht unter dem Einfluß der peripheren Apparate, die mit ihm verbunden ſind. Das verlängerte Mark iſt der Markabſchnitt der Kiemen— region bezw. der bei den Luftatmern aus ihr heraus— gebildeten Region des Vi— ſceralſkeletts. In ſeinem Ge— biet ſind eine große Menge von hochwichtigen Organen eng zuſammengedrängt: hier— her gehört das Labyrinth— organ mit dem ſtatiſchen und Hörapparat, hierher die Kiefer als Umbildungen des 1. Schlundbogens, der Atmungsapparat der waſſer— atmenden Wirbeltiere, die Das Vorderhirn iſt längs— Zirbel, 4 Sehnervenkreuzung, 1 Trichter, 2 Hypophyſe, 3 B Zitterrochen (Torpedo), C Froſch, D Reptil, E Vogel, F Säuger. Etwas verändert nach Edinger. A Knochenfiſch, Mn I a „das Mittelhirn längsſchraffiert, das Hinterhirn punktiert, das Nachhirn querſchraffiert. 5 Trigeminuslappen, 6 Vaguslappen, 7 Elektriſcher Lappen. Schematiſche Längsſchnitte durch Wirbeltiergehirne. geſtrichelt, das Zwiſchenhirn gekreuzt ſchraffiert | . FB IS ns Hi Abb. 470. Verlängertes Mark. 737 Zunge mit ihrer ſehr oft reichen Innervierung als Anhangsbildung des 2. und 3. Schlund— bogens und die Luftröhre, in deren Skelett die übrigen Schlundbögen eingehen. Dazu kommen noch bei Fiſchen und Amphibien die Hautſinnesorgane der Kopfkanäle und die der Seitenlinie, die auch von hier aus innerviert werden. Dieſe Gegend mit ihrer kompli— zierten Anordnung der Muskulatur, mit ihrem Reichtum an Sinnesorganen erfordert gewaltige Nerven, die ihrerſeits die bedeutende Ausbildung des Zentralapparats bedingen. Überdies gehen vom verlänger— ten Mark auch die Hauptner— ven für die vege— tativen Organe aus, für die Lun— gen, das Herz, den Darmkanal; die grundlegen— den Lebensfunk— tionen, Atmung, Kreislauf, Ver— dauung werden von hier aus be— herrſcht. Schließ— lich finden ſich hier wichtige Umſchaltungs— ſtellen, wo Er— regungen, die aus dem Rücken— mark zum Hirn gehen, auf an— dere Neuronen übertreten. Man kann einem Wir- beltiere das ge— ſamte Rücken⸗ mark entfernen: Abb. 471. Wirbeltiergehirne, von der Dorſalſeite geſehen. es tritt dann Haifiſch (Seyllium), B Knochenfiſch (Lachs), C Amphibium (Froſch), 7 Reptil, E Vogel (Taube), 1 F und Säuger (Kaninchen und Hund). 1 Riechlappen. Schraffierung uſw. wie in Abb. 470. zwar völlige motoriſche und ſenſoriſche Lähmung ein, aber nicht der Tod; man kann ihm alle Hirn— teile vor dem Nachhirn wegnehmen, ohne daß es ſtirbt. Aber den Verluſt des ver— längerten Marks, dieſes lebenswichtigſten Abſchnittes des Zentralnervenſyſtems, überlebt kein Wirbeltier. Das äußerlich ſchon ſehr veränderte Ausſehen des verlängerten Marks wird dadurch bedingt, daß der Zentralkanal ſehr erweitert iſt und den dorſalen Teil des Rohres gleichſam aufſpaltet: ſeine dorſale Wandung wird zu einer dünnen, vielfach gefalteten Membran ausgedehnt, die den weiten Hohlraum, die ſog. Rautengrube, überdeckt. Die graue Sub— Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I 47 138 Hirnnerven. ſtanz, ſoweit ſie derjenigen des Rückenmarks entſpricht, liegt der Wand dieſer Grube an. Zu ihr ſtehen die Nerven in der gleichen Beziehung wie im Rückenmark: die motoriſchen Teile der Hirnnerven entſpringen von Zellen der grauen Subſtanz des verlängerten Markes; die rezeptoriſchen Abſchnitte haben ihren Urſprung in Ganglien, die außerhalb des Zentralorgans liegen, wie die Spinalganglien außerhalb des Rückenmarks, und von ihren Zellen treten zentrale Fortſätze in das verlängerte Mark ein, periphere Faſern führen zu den Endorganen. Von den Hirnnerven gehören nur der Riech- und Sehnerv nicht zum Gebiete des verlängerten Marks; dieſe beanſpruchen ja auch darin eine Sonderſtellung, daß ſie als re— zeptoriſche Nerven keine peripheren Ganglien haben, ſondern das Sinnesorgan direkt mit dem Gehirn verbinden. Alle übrigen Hirnnerven gehören zum verlängerten Mark, alſo von den 12 Nervenpaaren 10. Es ſind die Augenmuskelnerven Oculomotorius, Troch— learis und Abducens als 3., 4. und 6. Hirnnerv, der Trigeminus als 5., der Facialis mit dem entwicklungsgeſchichtlich naheſtehenden Hörnerven (Acuſticus) als 7. und 8., der Vagus und der ihm angeſchloſſene Acceſſorius als 10. und 11. und die Zungennerven Gloſſopharyngeus und Hypogloſſus als 9. und 12. Hirnnerv. Dieſe Hirnnerven zeigen aber nicht die bei den Rückenmarksnerven regelmäßig wiederkehrende Zuſammenſetzung aus motoriſcher und rezeptoriſcher Wurzel, und auch die ſtreng ſegmentale Anordnung iſt bei ihnen nicht wahrzunehmen. Es ſind nur drei von ihnen, die regelmäßig gemiſchter Natur ſind, d. h. einen motoriſchen und rezeptoriſchen Anteil haben, das iſt der 10. oder Vagus, der 9. oder Gloſſopharyngeus und der 5. oder Trigeminus. Bei den niederen Waſſerwirbeltieren hat auch noch der 7. Hirnnerv (Facialis) eine rezeptoriſche neben der motoriſchen Wurzel; bei den luftlebenden Wirbeltieren jedoch gehen die Hautſinnesorgane des Kopfes und der Seitenlinie, die vom Facialis innerviert werden, zugrunde, und da— mit auch die rezeptoriſche Wurzel dieſes Nerven. Außerdem hat aber die Annahme große Wahrſcheinlichkeit, daß der rein rezeptoriſche 8. Hirnnerv, der Acuſticus, nur ein ſelbſtändig gewordener Teil der rezeptoriſchen Facialiswurzel iſt. Ein ähnlicher Vorgang, wie er ſich beim Facialis in der Stammesentwicklung abſpielt, läßt ſich bei manchen Wirbeltieren in der Wurzelentwicklung am 12. Hirnnerv, dem Hypogloſſus, beobachten: bei Selachiern, Amphibien und beim Menſchen iſt in embryonaler Zeit eine ſenſoriſche Wurzel des Hypogloſſus nachgewieſen, die ſich vor Beendigung der Entwicklung rückbildet. So iſt es gerechtfertigt, auch bei den rein motoriſchen Hirnnerven, dem Acceſſorius und den Augenmuskelnerven, ein Verſchwinden der rezeptoriſchen Wurzel durch Atrophie an— zunehmen. Wie die Regelmäßigkeit der Nervenanordnung am verlängerten Mark einerſeits durch die Rückbildung gewiſſer Nervenabſchnitte beeinträchtigt wird, ſo wirkt andrerſeits die Hypertrophie andrer Nerven nach der gleichen Richtung. Von beſonderer Mächtigkeit ſind der Trigeminus (5.) und der Vagus (10.) in Übereinſtimmung mit ihrer ſtarken Inanſpruchnahme. Der Trigeminus iſt vor allem der Nerv des Kieferbogens; er innerviert als ſolcher die Zähne und die Kaumuskeln und ſendet zugleich einen ſtarken Aſt in die Zunge; bei den Vögeln und Reptilien iſt ſein frontaler ſenſoriſcher Kern viel kleiner als bei den anderen Wirbeltieren, wo in der Kiefergegend Weichteile mit Sinnesorganen in viel reicherer Ausbildung vorhanden ſind. Die Aufgabe des Vagus iſt die Innervation der Eingeweide: Atmung, Herztätigkeit und Darmarbeit werden von ihm beeinflußt. Der motoriſche Facialis (7.) gewinnt bei den Säugern mit zunehmender Bedeutung der Geſichtsmuskulatur beträchtlich an Umfang, ebenſo wie in dieſer Klaſſe der zur Schnecke Nervenkreuzungen im verlängerten Mark. 739 gehende Aſt des Labyrinthnerven (S.) entſprechend der Größe der Schnecke bedeutend zunimmt. Auch der Hypogloſſus (12.) erreicht bei den Säugern ſeine höchſte Ausbildung, im Zuſammenhang mit der hohen Beweglichkeit ihrer Zunge. In der grauen Subſtanz des verlängerten Marks finden ſich neben den Anhäufungen der Zellen, von denen die motoriſchen Abſchnitte der Hirnnerven aus— gehen, auch noch Zellhaufen an jenen Stellen, wo die Faſern der rezeptoriſchen Nerven in dasſelbe ein— treten: es ſind die Zellkörper von Aſſoziationsneu— ronen, welche die von den zentripetalen Nerven über— mittelten Erregungen weiter leiten und eine Ver— bindung beſonders mit dem Hinterhirn, dem Mittel— und Zwiſchenhirn herſtellen. Dieſe Zellanhäufungen werden „Kerne“ der betreffenden Nerven genannt. Dazu kommen noch die aus dem Rückenmark kommen— den oder zu ihm hinführenden Bahnen, die auf ihrem Wege zu oder von den vorderen Hirnabſchnitten das verlängerte Mark paſſieren und in ihm allerhand Um— ordnungen und Umſchaltungen erfahren. Die wich— tigſten dieſer Umordnungen ſind die ſogenannte Schleifen- und die Pyramidenkreuzung (Abb. 4724 u. 5). Die ſenſoriſchen Bahnen der Dorſalſtränge des Rückenmarks endigen in zwei paarigen Kernen (den Kernen des zarten und des Keilſtrangs); ſie treten hier in Beziehung zu Aſſoziationsneuronen, denen ſie die geleiteten Erregungen übermitteln; die Achſen— fortſätze dieſer Neuronen kreuzen ſich ventral vom Zentralkanal und ziehen dann weiter nach vorn zum Mittel- und Zwiſchenhirn; dieſe ſenſoriſche Kreuzung heißt Schleifenkreuzung (A). Bei den Säugern liegt am hinteren Ende des verlängerten Marks die Pyramiden— kreuzung (5): die von den Pyramidenzellen des Groß— hirnmantels kommenden Stränge, die im ventralen Teile des Nachhirns nach hinten ziehen, kreuzen ſich vor Eintritt in das eigentliche Rückenmark, ſo daß die Faſern der rechten Seite in die linken Seiten— ſtränge des Marks eintreten und umgekehrt; wo auch, wie beim Menſchen, ventrale Pyramidenſtrangbahnen vorkommen, beteiligen ſich die Faſern derſelben nicht an der Pyramidenkreuzung, ſondern kreuzen ſich erſt unmittelbar vor ihrem Ende, ehe ſie an die moto— riſchen Zellen der Ventralhörner herantreten, dicht unter dem Zentralkanal; ſomit ſind ſchließlich alle von den Pyramidenzellen kommenden Faſern ge— > 4 . IN ie vo i SS Abb. 472 Schema der Kreuzungen der haupt— ſächlichen ſeuſoriſchen (A), und motori- ſchen (5) Bahnen des menſchlichen Rücken— marks, von der Ventralſeite geſehen (der obere Querſchnitt geht durch das Nachhirn). In A werden die Wege der von rechts kommenden Erregun— gen durch ſchwanzloſe Pfeile, die Wege der von links kommenden durch geſchwänzte Pfeile gezeigt, in B ebenſo die Wege der nach rechts gehenden (aus der linken Gehirnrinde kommenden) Erregungen durch geſchwänzte, die Wege der nach links gehenden durch ſchwanzloſe Pfeile 1 Dorſalſtrangbahnen, 2 Rücken— mark-Zwiſchenhirnbahn, 3 Spinalganglienzellen, 4 ſeitliche und 5 ventrale Pyramidenbahn. 47 * 740 Hinterhirn. kreuzt. Durch dieſe Kreuzungen wird bewirkt, daß eine rechtsſeitige Störung, die durch einen Bluterguß oder einen Abſzeß in der Großhirnrinde entſteht, eine Lähmung auf der linken Körperſeite zur Folge hat und umgekehrt. Welche biologiſche Bedeutung aber dieſe Kreuzungen haben, das iſt zur Zeit noch unbekannt. — Eine andre umfang— reiche Umſchaltungsſtätte im verlängerten Mark iſt der ſog. Olivenkern; von ihm geht eine ſtarke Bahn gemeinſam mit den Rückenmark-Kleinhirn-Strangbahnen zum Hinterhirn. Das Hinterhirn oder Kleinhirn überquert den vorderſten Abſchnitt des verlängerten Marks; es iſt gleichſam eine Verdickung des Dachs des Nervenrohrs an dieſer Stelle und ſteht durch die ſogenannten vorderen und hinteren Kleinhirnſchenkel mit den übrigen Teilen des Zentralapparats in Beziehung. Über ſeine Funktion ſind die Anſichten der Forſcher vielfach auseinandergegangen. Man hat verſucht, die Bedeutung des Kleinhirns dadurch zu ermitteln, daß man bei Wirbeltieren, beſonders Säugern und Vögeln, dieſen Hirnteil herausoperierte und die Folgen dieſes Eingriffes beobachtete; es zeigten ſich auffällige Störungen in der Bewegung, Umfallen, Rückwärtsgehen, Rotationsbewegungen u. a. Daraus zog man den Schluß, daß das Hinterhirn das Zentrum für die Koordination der Bewegungen ſei. Wenn aber die Tiere jene Operation länger überlebten, ſo ver— ſchwanden jene Störungen größtenteils und ihre Bewegungsfähigkeit ſtellte ſich allmählich wieder ein. Entweder waren es alſo nur Begleiterſcheinungen, die infolge der Reizung anderer Hirnteile durch den operativen Eingriff auftraten; oder aber, was auch möglich iſt, haben wir im Kleinhirn zwar ein Zentrum für Bewegungskoordination zu ſehen, es iſt jedoch nicht das einzige, ſondern teilt dieſe Betätigung mit anderen Zentren, die für ſich allein zunächſt keinen vollen Erſatz bieten können, aber die Lücke allmählich durch vermehrte Tätigkeit ausfüllen. Stets aber bleibt nach der Operation eine Verminderung der Muskelkraft und leichtere Ermüdbarkeit zurück, ſowie ein gewiſſes Schwanken der Bewegungen. Man muß daher, nach dem Ergebnis der zahlreichen Tierverſuche, eine Haupttätigkeit dieſes Hirnteils darin erblicken, daß er auf Grund der Erregungen, die er von den rezeptoriſchen Nerven der Muskeln, Sehnen und Gelenke empfängt, den Grad der Spannung der Muskeln während der Tätigkeit und Ruhe reguliert und damit die feinere Motilität beherrſcht und das Kraftvermögen erhöht, über das der Muskelapparat verfügt. So finden andere Abſchnitte des Zentralnervenſyſtems, die auf den Bewegungs— apparat einwirken, dieſen ſchon in beſtimmter Weiſe vorbereitet. Dagegen leidet beim Fehlen des Hinterhirns die Kraft und Folge der Bewegungen not, da den anderen Zentralteilen die Regulierung derſelben allein obliegt. Dieſe Wichtigkeit des Hinterhirns für den kraftvollen Ablauf und wohl auch für das geregelte Zuſammenwirken der Bewegungen macht uns die Verſchiedenheit ſeiner Ausbildung bei den verſchiedenen Wirbeltieren verſtändlich (Abb. 470 und 471). Am kleinſten iſt es bei den Cykloſtomen, den Lurchfiſchen und Amphibien, wo es nur eine verhältnismäßig dünne, den Vorderrand der Rautengrube überbrückende Falte bildet. Dagegen iſt es bei Haien und Knochenfiſchen, bei Vögeln und Säugern mächtig entwickelt; vielfach, beſonders bei Vögeln und Säugern, iſt ſeine Oberfläche und damit die Maſſe der eingelagerten Ganglienzellen durch quere Falten außerordentlich vergrößert. Es ſind hauptſächlich Tiere mit kriechender Lebensweiſe, Schlammbewohner und kurzbeinige Landtiere mit ſchleppendem Bauch, die ein kleines Hinterhirn haben; dagegen beſitzen kraftvolle Schwimmer und Flieger dies Organ in beſonders maſſiger Ausbildung. So iſt denn auch in der Reihe der Reptilien das Hinterhirn klein, außer bei denen, die ſchwimmen, wie Krokodilen und Schildkröten. Auch die Vergleichung zwiſchen dem Mittelhirn. 741 mächtigen Hinterhirn der im freien Waſſer ſchwimmenden Haie und der geringen Aus— bildung desſelben bei den nahe am Boden als Grundfiſche lebenden Rochen iſt lehrreich. Auch bei den Säugern, die auf ihren vier mehr oder weniger hohen Beinen wie auf Stelzen gehen, finden wir ein gut entwickeltes Hinterhirn; den Namen Kleinhirn hat es nur im Gegenſatz zu dem noch größeren Vorderhirn oder Großhirn erhalten. Bezeichnender— weiſe iſt beim neugebornen Menſchen, der noch nicht gehen kann, das Kleinhirn im Ver— hältnis zum Großhirn viel kleiner als beim Erwachſenen, nämlich / bis ½8 des Groß— hirns gegen Y, bis . So ſteht die Größe des Hinterhirns in enger Beziehung zu den Anforderungen, die an die Bewegungsfähigkeit der betreffenden Tiere geſtellt werden. Nach vorn ſchließt ſich an das verlängerte Mark und das Hinterhirn ein mächtiger Hirnabſchnitt an, das Mittelhirn. Im Gegenſatz zum Hinterhirn zeigt es eine große Gleichmäßigkeit durch die ganze Tierreihe; wir müſſen annehmen, daß es zu den lebens— wichtigſten Abſchnitten des Nervenſyſtems gehört. Bei den meiſten Wirbeltieren über— trifft das Mittelhirn alle übrigen Hirnabſchnitte an Maſſe: in der Mächtigkeit und Zahl der einſtrahlenden Faſerzüge, die aus faſt allen Teilen des Zentralnervenſyſtems ſtammen, und in der Mannigfaltigkeit der vermittelten Verknüpfungen ebenſo wie in der großen Menge der Verbindungen zwiſchen rechter und linker Seite ſteht das Mittelhirn nur hinter dem Großhirn der Säugetiere zurück. Aber gerade bei den Säugern iſt das Groß— hirn eine mächtige Konkurrenz für das Mittelhirn; dies iſt daher hier verhältnismäßig geringer ausgebildet als bei den übrigen Gruppen und gewinnt nur an Umfang durch die mächtigen Faſermaſſen, die es auf dem Wege vom Großhirn zu den hinteren Zentral— teilen durchziehen. Man unterſcheidet das Mittelhirndach von der Mittelhirnbaſis. Im Mittelhirndach endigen bei den meiſten Wirbeltieren die in der Netzhaut entſpringenden Faſern des Sehnerven; ſie ſplittern in Endbäumchen auf und treten durch dieſe mit andern Neuronen in Beziehung; dieſe ſind andrerſeits mit Faſern aus den verſchiedenſten Hirngegenden verknüpft. So iſt alſo im Mittelhirndach reichlich Gelegenheit gegeben zur Übertragung der optiſchen Erregungen, die durch den Sehnerven eintreten, auf andre Nervenbahnen und zu ihrer Verknüpfung mit andersartigen Erregungen. Der Zuſammenhang mit dem mächtigſten Sinnesorgan iſt es wohl auch, der dem Mittelhirndach eine ſo hervorragende Bedeutung gibt. Daher iſt bei Knochenfiſchen und Vögeln, wo der Geſichtsſinn die andern Sinne weit überwiegt und die Sehnerven ſehr ſtark entwickelt ſind, auch das Mittelhirndach beſonders groß. Bei den Säugern dagegen tritt der bedeutendere Teil des Sehnerven in den weiter vorn gelegenen „Kniehöcker“, das Corpus geniculatum ex- ternum, des Zwiſchenhirns ein (Abb. 473), von wo reichliche Verbindungen zu dem Abſchnitt der Großhirnrinde gehen, den wir als Sehrinde kennen lernen werden. Damit gibt das Mittelhirn einen großen Teil ſeiner Aufgaben an Zwiſchen- und Großhirn ab und wird in der Reihe der Säuger als Sehzentrum mehr und mehr rudimentär, bis ſich beim Menſchen die Leiſtung nach dieſer Richtung auf den Pupillenreflex beſchränkt. Die Hauptarbeit in der Verarbeitung der optiſchen Reize und deren Weiterbeförderung zur Großhirnrinde hat das Zwiſchenhirn übernommen. Das Zwiſchenhirn, das dem Mittelhirn nach vorn folgt, iſt nach ſeiner Verrichtung noch wenig bekannt. Die Ganglien, die den Stamm des Zwiſchenhirns bilden, insbeſondere der ſogenannte Sehhügel (Thalamus opticus), ſtehen bei niederen Wirbeltieren zurück gegenüber denen der Säuger. Sie bilden ein Zentrum mit eigenen Neuronen, das zwiſchen die Großhirnrinde und die hinteren Hirnteile eingeſchaltet iſt. Demgemäß ſind 742 Zwiſchenhirn. ſie bei den Fiſchen und Amphibien gering und gewinnen erſt an Bedeutung mit der ſteigenden Ausbildung der Großhirnrinde, um dann bei den Säugern ihre volle Ent— faltung zu erreichen. Die einzelnen „Kerne“ des Sehhügels bei den Säugern entſprechen ganz beſtimmten Rindenbezirken und degenerieren, wenn dieſe ver— letzt werden; man kann hier die Sehhügel „als eigentliche Vor— werkſtätte“ betrachten, aus der die Großhirnrinde die jchon verarbei— teten Sinneserregungen „gleichſam aus letzter Hand jchöpft“ Daß ein beträchtlicher Teil des Seh— nerven bei den Säugern ins Zwi— ſchenhirn eintritt, um dort eine Verbindung mit dem Großhirn zu finden, wurde ſchon erwähnt. Beſonderes Intereſſe verdient das Zwiſchenhirn wegen ſeiner An— hänge. In der dorſalen Mittellinie des Zwiſchenhirndaches erhebt ſich eine ſchlauchartige Ausſtülpung, die Epiphyſe oder Zirbeldrüſe; ihre Ge— ſtaltung wechſelt außerordentlich: beim Neunauge und manchen Rep— tilien trägt ſie auch beim fertigen Tiere an ihrem Ende ein wohl— ausgebildetes Sehorgan, das un— paare Parietalauge, das in einer Durchbohrung der Schädelkapſel unter der Haut liegt; bei den Hai— fiſchen und Schmelzſchuppern reicht das bläschenförmige Ende der Zirbel wenigſtens noch bis in eine Lücke des Schädelknorpels, das Sehorgan aber iſt rückgebildet; bei Vögeln und vollends bei Säugern = wird die Zirbel noch mehr rudi— 5d r wenge ber Benskntzuma nam Biikieinern zna mentär, Der Bode ß Pill taieyeaimaeg hirn, 2 Zwiſchenhirn, 3 Mittelhirn, 4 Hinterhirn, 5 Nahhirn, 6 Augapfel. geſenkt und bildet den ſogenannten e Trichter (Infundibulum); dieſer tritt mit einem epithelialen Drüſenorgan, das ſich vom Mundhöhlendache aus entwickelt hat, in enge Beziehung und bildet mit ihm den Hirnanhang oder die Hypophyſe (Abb. 470, 1 u. 2), ein Organ, das vielleicht für die Stoffwechſelvorgänge im Gehirn von Bedeutung iſt. Vor der Hypophyſe liegt die Sehnervenkreuzung dem Boden des Zwiſchenhirns an, im Anſchluß an die Stiele der embryonalen Augenblaſen, die ſich in der Gegend des Zwiſchenhirns anſetzen. Borderhirn. 743 Die paarigen Hemiſphären des Vorder- oder Endhirns laſſen verſchiedene Abſchnitte unterſcheiden: baſal liegt das Riechhirn, das die Grundlage des Vorderhirns bildet; ihm lagert das ſogenannte Stammganglion oder der Streifenkörper (Corpus striatum) auf, und die ſeitlichen und oberen Wände der urſprünglichen Hemiſphärenblaſen werden zum Mantel (Pallium). Riechhirn und Stammganglion ſind im allgemeinen gleichartig aus— gebildet und variieren in verhältnismäßig engen Grenzen. Die ungeheuren Größen— unterſchiede, die ſich in der Ausbildung des Vorderhirns in der Tierreihe bemerkbar machen, beruhen in der Hauptſache auf verſchiedener Entwicklung des Mantels bei den verſchiedenen Formen: während er bei den Knochenfiſchen nur ein dünnes epitheliales Häutchen vorſtellt (Abb. 470 4), das das Stammganglion überdeckt, nimmt er bei den Säugern einen ſo mächtigen Umfang an, daß er ſich nach hinten über faſt alle übrigen Hirnteile überlagern kann und ſo den Namen Mantel erſt hier zu Recht trägt und die Bezeichnung Großhirn für das ganze Vorderhirn veranlaßt (Abb. 474). Im Stammganglion und im Riechhirn verhalten ſich weiße und graue Subſtanz wie in den übrigen Hirnabſchnitten: die graue Subſtanz liegt im allgemeinen gegen den Hohlraum des Gehirns, die weiße nach außen; oft aber finden ſich Inſeln grauer Sub— ſtanz in die weiße eingeſprengt und bilden dort beſondere „Kerne“. Im Vorderhirn— mantel aber kommt es von den Reptilien an zur Entwicklung einer Rindenſchicht von grauer Subſtanz, ähnlich wie im Kleinhirn, während ſtellenweiſe der Seitenventrikel von weißer Subſtanz begrenzt wird. Die beiden Hemiſphären ſind urſprünglich nur an ihrer gemeinſamen Urſprungs— ſtelle, alſo ganz in der Nachbarſchaft des Zwiſchenhirns, durch zwei querverlaufende Faſer— züge, ſogenannte Kommiſſuren, miteinander verbunden; erſt in der Reihe der Säuger bildet ſich, mit der Zunahme des Hirnmantels, die eine dieſer Kommiſſuren zu einem der Länge nach ausgedehnten, mehr oder weniger dickem Faſerzug aus, dem Balken, der, bei Kloakentieren, Beutlern und Inſektenfreſſern noch unbedeutend, in den höheren Ord— nungen (Abb. 479, 12) an Umfang mächtig zunimmt und die Mantelhälften verbindet, während neben ihm noch drei weitere Kommiſſuren, die vordere, mittlere und hintere, die Verbindung der beiden Vorderhirnhälften beſorgen. Das Stammganglion unterliegt in ſeiner Ausbildung nur geringem Wechſel: es ſpringt als etwa eiförmiger Körper in den Ventrikelraum vor. Die von ihm ausgehenden Bahnen reichen nicht weiter als bis zum Zwiſchenhirn. Über ſeine phyſiologiſche Be— deutung iſt nichts Genaueres bekannt. Der Riechapparat nimmt die Baſis des Vorderhirns ein. Überall iſt es ein Aus— wuchs der Hemiſphäre, der Riechlappen (Lobus olfactorius), der mit ſeiner kolbenförmigen Endanſchwellung, dem Riechkolben (Bulbus olf.), bis an den Grund der Naſengrube reicht und dort die von der Naſenſchleimhaut kommenden Riechnervenfafern aufnimmt; der Riechkolben hat zuweilen, wenn die Strecke zwiſchen Naſengrube und Ende des Gehirns lang iſt, einen langgezogenen Stiel, der aber nicht als Riechnerv zu bezeichnen iſt, ſondern einen Hirnteil bildet. An den Riechlappen ſchließen ſich die zentralen Abſchnitte des Riechhirns, die unter dem Stammganglion liegen. Die Größe des zentralen Riech— apparates wechſelt entſprechend der Ausbildung des Geruchsſinns bei den verſchiedenen Wirbeltieren. Ganz auffallend iſt der Unterſchied dieſes Hirnteils bei Selachiern und Knochenfiſchen (Abb. 471), von denen ſich die erſteren bei der Nahrungsſuche vorwiegend durch den chemiſchen Sinn leiten laſſen, während bei den Knochenfiſchen für die Orientierung die Augen durchaus die Hauptrolle ſpielen. Bei Amphibien und Reptilien iſt die Aus— 744 Vorderhirn. bildung des Riechhirns nicht bedeutend, bei den Vögeln überaus gering. Hervorragend entwickelt iſt der Geruchsſinn, und damit das Riechhirn (Abb. 476, 6—9), wieder bei den Säugetieren, wo er meiſt den Geſichtsſinn an Schärfe weit übertrifft. 4 iR | | 0 Abb. 474. Vergleich des Vorderhirns bei Knochenfiſch und Säuger. 4 Frontalſchnitt durch das Vorderhirn eines Knochenfiſches (getönt, 7) mit eingezeichnetem Umriß eines Säugerhirns; zeigt das Verhältnis des Stammganglions zum Mantel bei beiden. 5 Über das Gehirn eines Schellfiſches find die Umriſſe des Vorderhirns eines Säugers gezeichnet. 1 Vorder- hirn, 3 Mittelhirn, 4 Hinterhirn, 5 Nachhirn, 6 Riechkolben, 7 Sehnerv, „Trichter. Nach Edinger. Der Hirnmantel, der bei den Knochenfiſchen als dünnes epitheliales Häutchen keine andre Rolle ſpielt als das epitheliale Dach der Rautengrube, zeigt ſchon bei Rund— mäulern und Selachiern am Rande Verdickungen; bei den Amphibien iſt er ſtärker ver— dickt und nimmt bei den Sauropfi- den weiter an Umfang und Dicke zu. In der Reihe der Säuger wird — err ſchließlich der mächtigſte Hirn— abſchnitt, der dem Vorderhirn das gewaltige Übergewicht über alle übrigen Gehirnteile gibt (Abb. 474 und 475); ſo wiegen die Hemi— ſphären ſchon bei niederen Säugern, wie Kaninchen und Maulwurf, mehr als die Hälfte des geſamten Gehirns; bei dem Menſchen, wo ſie ihre höchſte Ausbildung erlangen, beträgt ihre e . gezeichnet. 1 Riechlappen, 2 Cyrus limbieus, 3 Ammonshorn. gewichts. e Wo zuerſt eine deutliche Hirn— rinde auftritt, ſteht ſie im Dienſte des Riechapparats; erſt allmählich kommen in der Wirbeltierreihe zu dieſer Riechrinde, dem Archipallium, noch weitere Rindenteile hinzu, das Neopallium. Die Ausdehnung der Riechrinde iſt beſonders bei den Säugern be— deutend, wechſelt aber auch hier je nach der Bedeutung des Geruchsſinns für die Tiere; * —— A Riechhirn. 745 ſie erſtreckt ſich an der äußeren Seite der Hemiſphären bis zu einer beſtimmten Furche, der Fissura rhinalis; an der Medianſeite umfaßt ſie den Großhirnteil, der als Lobus limbicus zuſammengefaßt wird; er wird vom Balken durchſetzt und enthält unter anderem regelmäßig die oft mächtig ausge— bildete Faltung des Ammonshorns, 5 2 2 den Gyrus hippocampi (Abb. 477,2 u. 479, 4). Eine Unmenge von Aſſo— 6 ziationsbahnen verbinden die ein- zelnen Teile dieſes Gebietes unter- 7 einander und mit den Nachbarge- ee“ N Aka; bieten. Sehr mächtig iſt die Niech- 9 rinde bei den kleinen, oft nächtlich N 5 12 I fe lebenden Säugern entwickelt, die ln: A R N Abb. 476. Gehirn des Igels von links. kurzbeinig und daher mit der Naſe 1 Vorderhirn, 3 Mittelhirn, 4 Hinterhirn, 5 Nachhirn, 6 Riechkolben mit dem Boden nahe an freier Um⸗ den einſtrahlenden Riechnervenfaſern 7, s Riechlappen, 9 ſog. Tubereulum £ f 2 Bee olfactorium, 1/0 Fissura rhinalis, 17 Neopallium, 172 Trigeminus. ſchau aber behindert find, wie Igel (Abb. 476) oder Gürteltier. Bei ſchlechten Riechern aber, den Primaten und den Waſſerſäugetieren, iſt die Geſamtheit des zentralen Riechapparats gering ausgebildet: man vergleiche nur auf nebenſtehender Abbildung (Abb. 477) das gewaltige Riechhirn Abb. 477. Gehirn vom Hund (A) und vom Menſchen (5), von der Unterſeite, zur Vergleichung der Ried» zentren, die durch Punktierung hervorgehoben ſind. 1 Riechkolben, 2 Ammonshorngebiet, 3 Sehnervenkreuzung. Nach Gegenbaur. des Hundes mit dem kleinen des Menſchen! Bei den Delphinen vollends ſind dieſe Teile völlig rudimentär geworden. Der Abſchnitt des Vorderhirns, der zum Neopallium wird, iſt als ſchmaler Streifen ſchon bei den Amphibien und Reptilien am äußeren Rande der Hemiſphären nachweisbar. Bei den Vögeln iſt das primäre optiſche Zentrum mit dieſem Abſchnitt der Vorderhirn— 746 Neopallium. rinde verknüpft; am höchſten erſcheint das Großhirn bei den Papageien ausgebildet, wo wir auch eine Andeutung von Furchen auf dem Mantel treffen; Exſtirpation des Vorder— hirns hat hier Bewegungsſtörungen zur Folge, was bei keinem anderen Vogel beobachtet iſt. Aber erſt bei den Säugern entwickelt ſich das Neopallium zu jener überragenden Bedeutung; ſeine mächtige Größe iſt es, die das geiſtige Übergewicht der Säuger über die anderen Wirbeltiere bedingt. So erſtrecken ſich denn auch die Verbindungen des Vorderhirns hier weiter auf die übrigen Hirnteile als bei den niederen Wirbeltieren. Bei den Amphibien ſteht nur das Zwiſchenhirn in unmittelbarer Verbindung mit dem Vorderhirn, bei den Sauropſiden auch das Mittelhirn; bei den Säugern aber verlaufen die vom Vorderhirn ausgehenden Faſerzüge bis ins Rückenmark und reichen bis an deſſen Ende; nur eine unmittelbare Verbindung zwiſchen Vorderhirn und Hinterhirn (Kleinhirn) iſt nicht be— B fannt. Erit all- mählich iſt innerhalb des Säuger— ſtammes dieſe hohe Ausbildung des Vorder— hirns aufge— treten. Man hat bei einer Anzahl von Säugern der Tertiärzeit einen Stein- Abb. 478. Gehirne von Dinoceras mirabile Marsh aus dem Eocän (4), Brontotherium kern, gleich- ingens Marsh aus dem Miocän (B) und unſe rem Pferd (C), in den Schädel eingezeichnet. ſam als Ab⸗ Nach Marſh. guß des Ge- hirns, im Schädel gefunden und hat von vielen Formen Gipsausgüſſe der Schädelhöhle angefertigt, die ein überraſchend genaues und detailreiches Bild der Hirnform liefern; daher ſind wir über das Ausſehen des Gehirns dieſer Tiere ziemlich gut unterrichtet. Dieſe Gehirne gleichen mehr einem Reptiliengehirn als dem eines jetzt lebenden Säugers. Vergleicht man ein ſolches Gehirn eines tertiären Huftiers, z. B. von Dinoceras oder Brontotherium mit dem eines jetzigen Huftiers, etwa eines Pferdes (Abb. 478), ſo fällt die geringe Größenentwicklung dieſes Organs und beſonders des Vorderhirns bei jenen alten Säugern in die Augen. Aber auch bei niederer ſtehenden unter den jetzt lebenden Säugern iſt die Entwicklung der Hemiſphären geringer: bei Igel und Gürteltier bedecken die Hemiſphären das Mittelhirn nicht ganz, ſo daß ein Teil desſelben vor dem Kleinhirn ſichtbar bleibt. Bei den Nagern (Abb. 471 F) und den Huftieren iſt das Vorderhirn etwas größer, noch größer bei den Raubtieren (Abb. 4716), am mächtigſten bei den Primaten und vor allem beim Menſchen. Die pathologiſchen und experimentellen Unterſuchungen haben ergeben, daß die Groß— hirnrinde der Säuger nicht in ihrer ganzen Ausdehnung von gleicher Bedeutung iſt. N 2 N Ga N N Kir 1 1 . 17 Lokaliſation in der Großhirnrinde. 747 Vielmehr zerfällt ſie in eine Anzahl von Einzelgebiete, die verſchiedene Verrichtung haben (Abb. 479). Da iſt ein gewaltiges Zentrum, das man als Körperfühlſphäre (7) bezeichnen kann, und in dieſem ſind wieder beſondere Abteilungen für das Geſicht, den Rumpf und die Gliedmaßen vorhanden; beſtimmte Stellen beherrſchen die Augenbewegungen. In der Schläfengegend iſt beim Menſchen das Schmecken, weiter nach hinten das Hören (5), im Hinter— hauptlappen das Sehen (2) lokaliſiert. Die Riech— zentren (3 und 4) wurden oben ſchon umgrenzt. Der ganze Körper des Säugers hat gleichſam ſeine Ver— tretung in der Großhirn— rinde. Das geht ſogar ſoweit, daß die beſondere Ausbildung eines Körper— abſchnittes auch Beſonder— heiten in der Bildung des entſprechenden Rindenge— bietes mit ſich bringt: das Rindenfeld für die Ge— ſichtsmuskeln iſt z. B. beim Elefanten viel größer als bei dem verwandten Nas— horn, weil der zu ſo vielen Verrichtungen gebrauchte Rüſſel die Anforderungen an dies Zentrum bedeutend vermehrt. — Zwiſchen dieſen umgrenzten Gebieten liegen aber noch weite Rinden— 92 2 — en —— . S 1 * „ 0 —— felder, die zu keinem Organ 9 — 5 NE 8 5 4 des Körpers in direkter Be— ziehung ſtehen (6, 7, &, 9); Abb. 479. Lokaliſation in der Großhirnrinde des Menſchen. Flechſig will in ihnen A Großhirn von links, 5 rechte Hälfte des Großhirns von links. 7 Körperfühlſphäre, TERN 0 2 Sehſphäre, 3 Niechiphäre, 4 Ammonshorn, 5 Hörſphäre, 6 Aſſoziationszentrum des Stirn- Aſſoziationszentren ſehen, lappens, 7 Hinteres großes Aſſoziationszentrum. & Scheitellappen, 9 Schläfenlappen. 1 5 f 2 5 iſtes- / Riechkolben, 17 Riechſtreifen (Tractus olfactorius), 72 Balken, 13 Zirbeldrüſe, 14 Zwiſchen— die für die höheren Geiſtes hirn (Thalamus opticus), 75 Hirnſchenkel. Nach Flechſig. tätigkeiten, für die pſychi— ſchen Vorgänge die körperliche Grundlage enthalten, an die alſo das Denken geknüpft iſt. Ob jedoch die pſychiſchen Geſchehniſſe jo auf eng umſchriebene Zentren eingeschränkt find, darf wohl in Zweifel gezogen werden; denn ſie ſind aus ſehr mannigfaltigen Beſtandteilen zuſammen— geſetzt, deren körperliche Vertreter wir über die ganze Hirnoberfläche verſtreut zu ſuchen haben. Allerdings ſcheint wenigſtens das Stirnhirn (6) eine beſondere Rolle nach dieſer Richtung zu ſpielen; Hitzig bezeichnet es als das Organ für das abſtrakte Denken. Für ſolche 748 Großhirnrinde. Spezialiſierung des Stirnhirns ließe ſich anführen, daß es beim Menſchen 30—40% des Großhirnmantels ausmacht, während es ſchon bei den niederen Affen und vollends bei den Raubtieren nur ein ſchmales, ſpitz zulaufendes Gebiet einnimmt; die Huftiere freilich beſitzen ein ſehr windungsreiches Stirnhirn. Jedenfalls ſprechen kliniſche Er— fahrungen dafür, daß die Arbeitsteilung zwiſchen den Gebieten der Großhirnrinde ſich bis auf die höchſten pſychiſchen Leiſtungen erſtreckt. Die Vorgänge, die in der Großhirnrinde durch die von den Sinnesorganen kommenden Erregungen ausgelöſt werden, ſind beim Menſchen von Erſcheinungen begleitet, die wir als pſychiſche bezeichnen: den Reizen folgt eine bewußte Empfindung. Alle Bewegungen, deren Zuſtandekommen mit Willensregungen verknüpft iſt, nehmen von der Großhirnrinde ihren Urſprung. Viele Vorgänge nervöſer Leitung ſpielen ſich in niedren Zentren ab, ohne daß eine Erregung zur Rinde des Vorderhirns gelangt; aber die rezeptoriſchen Vor— gänge ſind dann unbewußt, die effektoriſchen unwillkürlich. Bewußtſein und Wille ſind an die Vorgänge in den Hemiſphären geknüpft. Alle Tätigkeiten ferner, die erlernt werden können, und faſt alle, die unter Benutzung von Erinnerungsbildern ausgeführt werden, ſind durch die Großhirnrinde bedingt. Das Vorderhirn macht ſeine Fortſchritte in der Ausbildung auf Koſten der hinteren Hirnabſchnitte, beſonders des Mittelhirns; bei den niederen Wirbeltieren ſind daher dieſe mit verwickelteren Aufgaben betraut, die beſonders bei den höheren Säugern dem Großhirn zuſtehen. Es haben alſo durch die Wirbeltierreihe die homologen Hirnabſchnitte nicht auch durchaus genau dieſelben Verrichtungen. Mit der hohen Ausbildung der Groß— hirnrinde wird zwiſchen dem rezipierenden Neuron und das nunmehr höchſte Zentrum eine Umſchaltungsſtation weiter eingeſchoben und dadurch eine viel mannigfaltigere Kom— bination der Erregungen, eine weit vielſeitigere Verknüpfung der von dem Zentrum an— geregten Bewegungen ermöglicht: aufnehmende ſowohl wie ausführende Organe des Körpers werden dank dieſer vermehrten nervöſen Arbeit weit gründlicher ausgenutzt. Die Be— wegung, mit der eine durch die Sinnesorgane eingehende Erregung beantwortet wird, kann viel feiner abgeſtimmt, der Beſonderheit des äußeren Reizes viel enger angepaßt werden. Das Wirbeltier ohne Vorderhirnrinde gleicht einer Maſchine, die ſo oder ſo reagiert, je nachdem dieſer oder jener Hebel bewegt wird; das Wirbeltier mit Großhirn— rinde erſt handelt mit Überlegung unter Würdigung der äußeren Umſtände. — Die Kehrſeite dieſes gewaltigen Fortſchrittes aber beſteht darin, daß die niederen Zentren bei den Großhirntieren immer unſelbſtändiger und zu ſelbſtändiger Reaktion unfähiger werden; wenn das Hirn den Dienſt verſagt, vermag der Körper nicht mehr zu arbeiten: es iſt kennzeichnend für dieſes Verhältnis, daß ein geköpfter Hahn noch eine Strecke weit davon laufen kann, ein geköpftes Säugetier nie. Die Herausnahme des Groß— hirns bringt eine um ſo ſtärkere Abweichung vom normalen Gebaren des Wirbeltieres mit ſich, je höher dieſes ſteht. Operierte Fiſche und Fröſche zeigen kaum einen Unter— ſchied gegen das Verhalten unverletzter Tiere — erſt die Herausnahme des Zwiſchen— und bei erſteren noch des Mittelhirns bewirken Veränderungen im Benehmen. Von den Reptilien an hört die „ſpontane“ Nahrungsaufnahme, z. T. auch die „ſpontane“ Bewegung auf. Ein Hund ohne Großhirn vermag noch zu gehen; wenn aber beim Menſchen ein Bluterguß auf die Großhirnrinde einen Druck ausübt an der Stelle, wo die Rindenfelder für die Gliedmaßen liegen, ſo wird dadurch eine Lähmung der Glied— maßen auf der gegenüberliegenden Seite bewirkt, und dieſe Lähmung tritt ein, obgleich die zu den Gliedmaßen gehörigen niederen Zentren vollkommen in Ordnung ſind. So Furchen der Großhirnrinde. Hirngewicht. 749 ſind durch höhere Vervollkommnung des nervöſen Apparats auch die Gefahren geſteigert, die ein Verſagen desſelben mit ſich bringt. Auf der Oberfläche der Hemiſphären finden ſich bei vielen Säugern mehr oder weniger zahlreiche Furchen und Spalten, zwiſchen denen ſogenannte Hirnwindungen ſtehen bleiben. Im allgemeinen haben kleine Säuger (Abb. 476) mehr glatte Gehirne, große dagegen gefurchte (Abb. 480). Zweifellos dienen die Furchen zur Vermehrung der Oberfläche; ein kleiner Körper aber hat im Verhältnis eine größere Oberfläche als ein größerer, ähnlich geſtalteter Körper. Zu einer beſtimmten Maſſe grauer Subſtanz, aus der die Rinde beſteht, gehört nach dem Aufbau des Gehirns eine gewiſſe Menge markhaltiger Nervenfaſern, die das Mark zuſammenſetzen: bei kleinen Gehirnen genügt nun die Oberfläche der Markmaſſe für die Ausdehnung der Rinde; bei großen Gehirnen dagegen muß ſich die Oberfläche in Falten legen, um auf der zugehörigen Markmaſſe Platz zu finden. Dieſe Faltung geſchieht im Laufe des Wachstums: dem embryonalen Vorderhirn fehlen die Furchen noch oder ſind wenigſtens unbedeutend, erſt beim Größer— werden tritt das Mißverhältnis von Mark und Rinde ein. — Die Furchen ſind nicht ungeordnet, ſondern zeigen eine gewiſſe Regelmäßigkeit: ſie laſſen ſich, zwar nicht in der ganzen Säugerreihe, wohl aber innerhalb der einzelnen Ordnungen auf gewiſſe Grund— züge zurückführen; nur wenige Hauptfurchen ſind überall aufzufinden, wie die Sylviſche Furche (Fossa Sylvii) und die dem Ammonshorn entſprechende Hippocampus-Windung (Gyrus hippocampi). Wenn man zuweilen gemeint hat, in der Furchung ein Maß für die Intelligenz eines Säugers zu beſitzen, ſo iſt das irrtümlich, allerdings iſt ſicher, daß intelligente Tiere mit großen Gehirnen, insbeſondere der Menſch, auch eine reiche Furchen— entwicklung aufweiſen; aber es gibt auch wenig intelligente Tiere, wie Schaf und Rind, mit ſtark gefurchtem Großhirn. Dagegen gibt es unter den geiſtig ſo hochſtehenden Affen ſolche mit furchenloſem Gehirn. Die Furchen bieten durch die Regelmäßigkeit ihrer Anordnung bei verwandten Tieren ein gutes Mittel zur Umgrenzung der einander entſprechenden Rindenfelder. Ebenſowenig wie die Furchung bietet auch das Geſamtgewicht, das ja in ſeiner Verſchiedenheit bei gleichgroßen Tieren hauptſächlich durch die wechſelnde Größe der Hemiſphären bedingt wird, ſchlechthin ein Maß für die Intelligenz der Säuger. Das geiſtig begabteſte unter allen Tieren, der Menſch, hat weder das abſolut größte Gehirn, noch iſt ſein Gehirngewicht im Verhältnis zum Körpergewicht am größten — ſein abſolutes Gehirngewicht iſt im Mittel 1350 gr und wird von dem der Dickhäuter und Waltiere (3. B. Elefant über 5 kg, Finwal Balaenoptera musculus L. 4,7 kg) weit übertroffen, und während das Gehirn des Menſchen 25% vom Körpergewicht ausmacht, beträgt es bei dem kleinen Löwenäffchen (Midas rosalia Wied.) 37%, bei dem Klammeraffen (Ateles ater Cuv.) ſogar 66%. Innerhalb der natürlichen Ordnungen nimmt das verhältnismäßige Gehirngewicht meiſt ab mit zunehmender Körpergröße, ſo daß die kleineren Tiere meiſt (nicht immer) relativ größere Gehirne haben als ihre größeren Verwandten. Es mag das zum Teil damit zuſammenhängen, daß bei kleinen Tieren unter ſonſt gleichen Umſtänden die mit rezeptoriſchen Nerven verſehene Körperoberfläche verhältnismäßig bedeutender iſt als bei größeren, und daß ferner bei größeren Tieren zwar die geſamte Muskelmaſſe größer iſt, nicht aber die Zahl der einzelnen Muskeln und ſomit auch nicht die Zahl der für ſie vorhandenen Zentren und der zwiſchen dieſen verlaufenden Aſſoziationsbahnen. Wenn man aber gleich große Tiere vergleicht, ſo kann man im allgemeinen annehmen, daß diejenigen mit kleinerem Gehirn auch geringere 750 Hirngewicht. geiſtige Lebhaftigkeit beſitzen. Von einer Anzahl Säugetieren, deren jedes etwa 750 gr Körpergewicht beſitzt, wiegt das Gehirn beim Igel 3,4 gr, bei dem räuberiſch lebenden Zibethbeutler (Dasyurus viverrinus Geoffr.) 6 gr, bei einem Halbaffen Perodictieus potto Wagn.) 10,7 gr und bei einer Meerkatze (Cercopithecus talapoin Erxl.) 39 gr; oder bei etwa 3300 gr Körpergewicht haben die Beutelratte (Didelphys marsupialis) 6,5 gr, die Hauskatze 31,4 gr und ein Gibbon (Hylobates lar III.) 89 gr Gehirngewicht. Z— m. eien eee re einem Gorilla und einem Menſchen von etwa gleichem Körpergewicht wiegen die Gehirne der Reihe nach 135 gr, 430 gr und 1350 gr; das des Gorilla iſt alſo etwa dreimal ſo ſchwer als das des Hundes, das des Men— ſchen wiederum reichlich drei— mal ſo ſchwer als das des Gorilla. Auch bei verſchie— denen Menſchenraſſen ſind die Durchſchnittsgewichte des Gehirns verſchieden groß: beim Kaukaſier etwa 1350, beim Auſtralneger dagegen nur etwa 1185 gr. Bedeu— tende Menſchen müſſen nicht notwendig auch ſehr große Gehirne haben. Wohl aber konnte man bisweilen nach— weiſen, daß beſtimmte Rin— denfelder der Hemiſphären eine ausnahmsweiſe ſtarke Entwicklung zeigten, ſo bei dem berühmten Redner Gambetta das Sprach— zentrum, bei bedeutenden e e eee vom 5 (4) und vom Schimpanſe (B), in den Muſikern die Gegend der Schädel eingezeichnet. Nach Flatau und Jacobjohn. Schläfenwindungen. Die Vergrößerung des Geſamtgehirnes wirkt zurück auf den Raum, der dies Organ birgt: der Hirnſchädel erweitert ſich, und damit gehen Verſchiebungen desſelben gegen den Geſichtsſchädel Hand in Hand. Bei niederen Wirbeltieren liegt der Geſichtsſchädel faſt vor dem Hirnſchädel und ſo iſt es auch noch bei manchen Säugern, z. B. den Delphinen und vielen Zahnloſen. Mehr und mehr aber verſchiebt ſich mit dem Wachs— tum des Gehirns der Hirnſchädel, nach vorn, bei Raubtieren, bei Affen (Abb. 480) kann man dieſe Verſchiebung ſchrittweiſe verfolgen: der Stirnpol des Hirnſchädels nähert ſich mehr und mehr dem Pole des Geſichtsſchädels, bis er beim Menſchen, am auffälligſten beim Kaukaſier, ſenkrecht über ihn zu liegen kommt. Dabei hat bei den Hochtieren, bei Schutzorgane des Gehirns. 751 Affen und immer zunehmend gegen die Menſchenaffen bis zum Menſchen, das Hinter— haupt dem Hirn mehr Raum gegeben und ſich beſtändig ſtärker gewölbt, ſo daß bei Anſicht des Schädels von oben die vorderen Halswirbel nicht mehr ſichtbar ſind. So wirkt die Zunahme des Gehirns auf das geſamte Ausſehen des Tieres ein. Entſprechend ihrer hohen Bedeutung und Lebenswichtigkeit ſind die zentralen Ab— ſchnitte des Nervenſyſtems bei den Wirbeltieren durch Hartteile vor Verletzungen ge— ſchützt. Bei den niederſten Fiſchen, den Rundmäulern, ſind dieſe Schutzeinrichtungen noch unvollkommen: das Rückenmark iſt jederſeits von einer Reihe kleiner, durch Lücken getrennter Knorpelſtücke begleitet, das Gehirn wird von einer knorpeligen Kapſel nicht völlig umſchloſſen. Schon bei den Haien iſt das Knorpelſkelett viel zuſammenhängender: die Schutzknorpel des Rückenmarks ſind jetzt als Neuralbögen den Wirbelkörpern des Achſenſkeletts angegliedert, und ihr Zuſammenſchluß iſt durch Schaltſtücke hergeſtellt, das Gehirn ſteckt in einer ringsum geſchloſſenen Knorpelkapſel. Dieſe Verhältniſſe bilden die Grundlage für die Einrichtungen bei den höheren Wirbeltieren. Von den Knochenfiſchen an tritt Verknöcherung der Wirbel und ihrer Bögen auf. Die Schädelkapſel aber er— hält bei den Schmelzſchuppern einen beſonderen Schutz durch die Deckknochen des Kopfes: dieſe Deckknochen, die hier einen Teil des Hautpanzers ausmachen, erhalten ſich auch am Kopf der höheren Tiere, während die übrige Hautpanzerung geſchwunden iſt; ſie bilden hier die Decke des Knochenſchädels. Das Dach der Knorpelkapſel legt ſich zunächſt auch unter dieſen Deckknochen noch an; es wird während der Entwicklung bei Amphibien und Reptilien in ziemlicher Ausdehnung gebildet und bleibt auch teilweiſe beſtehen. Die ventralen Teile der Knorpelkapſel verknöchern zur Baſis des Hirnſchädels. Innerhalb dieſer Schutzvorrichtung liegen Rückenmark und Gehirn noch eingebettet in bindegewebige Hüllen. Der harten Kapſel liegt eine ſtraffe Bindegewebshaut an, die ſogenannte dura Mater, die zugleich als Knorpel- oder Knochenhaut Perichondrium, Perioſt) fungiert; das Nervenzentrum ſelbſt iſt von einer weichen lockeren Hülle umgeben, der pia Mater, die durch ihren Blutreichtum nachgiebig iſt und zugleich den Zentren Blutgefäße zuführt. Zwiſchen beiden Hüllen beſteht ein Spaltraum, der mit Lymphe ausgefüllt iſt; bei den Knochenfiſchen, wo dieſer Raum ſehr weit iſt, wird er von einer großblaſigen Füllſubſtanz eingenommen. Auf dieſe Weiſe werden Rückenmark und Gehirn im Wirbelkanal und in der Schädelkapſel feſtgelegt und in ihrer Lage erhalten, ſo daß ſie auch bei Drehungen und Verſchiebungen der Wirbel gegeneinander und des Schädels gegen die Wirbelſäule keinen Schaden nehmen und durch die Polſterung auf elaſtiſchen Hüllen vor Erſchütterungen bewahrt ſind. Schluß Das Ganze und feine Teile 1. Die Arbeitsteilung im Tierkörper. Wir mußten naturgemäß in den bisherigen Abſchnitten die einzelnen Organe und ihre Verrichtungen für ſich betrachten, um ihre Beſonderheiten kennen zu lernen. Dar— über darf aber nicht vergeſſen werden, daß die Organe nur in ihrer Vereinigung lebens— fähig ſind, daß ſie für ſich allein nicht wirken können. Der Organismus iſt mehr als bloß eine Summe von Organen; denn erſt dadurch, daß die Tätigkeiten dieſer Organe in— einandergreifen, ſich ergänzen und unterſtützen, kommt als Geſamtleiſtung jene beſondere Art zu leben zuſtande, die dem betreffenden Tiere eigentümlich iſt. Das zeigt ſich am deutlichſten bei dem Vergleiche vielzelliger Tiere mit Protozoénkolonien. Bei dieſen letzteren iſt in der Tat das Ganze kaum mehr als die Summe der Teile: jede Zelle lebt wie die andere und iſt auf die andere für ihren Fortbeſtand nicht angewieſen; nur etwa die gemeinſamen Bewegungsleiſtungen ſind geeignet, die Kolonie energiſcher von der Stelle zu bringen als eine einzelne Zelle ſich bewegen könnte. Bei einem viel— zelligen Tier aber mit ausgeprägter Arbeitsteilung kann ſich der Muskel nur zuſammen— ziehen, wenn der Nerv die Anregung dazu gibt, wenn der Darm für ihn Nahrung, die Lunge für ihn Sauerſtoff aufnimmt, wenn die Niere ſeine Stoffwechſelprodukte aus— ſcheidet und wenn das Blut ihm jene Nährſtoffe zuführt und die Schlacken fortſchafft. Ja ſelbſt ſo ein einfaches Tier wie unſer Süßwaſſerpolyp Hydra, bei dem ſehr kleine Teile noch lebens- und wachstumsfähig bleiben, bedarf notwendig der Zuſammenwirkung der beiden Organe, die er beſitzt, des Ektoderms und Entoderms, um leben zu können; wenn ein Teilſtück nur aus Entoderm oder nur aus Ektoderm beſteht, ſo geht es mit Sicherheit zugrunde. Wir ſehen zwar zuweilen Einzelorgane überleben: der Hektocotylus— arm mancher Tintenfiſche (S. 467) führt Leiſtungen aus von einem Umfang, daß man ihn für ein vollſtändiges Tier halten konnte; das Herz des Froſches bleibt noch Tage lang erregbar und zieht ſich auf Reize zuſammen, nachdem es aus dem Körper ge— nommen iſt. Aber mehr oder weniger ſchnell gehen dieſe Teile doch zugrunde. Gerade dadurch jedoch, daß die verſchiedenartigen Organe zuſammenarbeiten, werden Leiſtungen erzielt, wie ſie nicht erreichbar ſind, wenn vielſeitigere, in ſich ſelbſtändige Zellen ſich zu gemeinſamer Arbeit vereinigen. Der Arbeitsteilung zwiſchen den Zellen des Metazoenkörpers, die zur Bildung von Geweben und durch deren Zuſammenordnung zum Aufbau von Organen führt, haben wir ſchon früher gedacht (S. 37 f.), müſſen ihr aber noch einige weitere Betrachtungen widmen. Die Verteilung der Körperfunktionen auf einzelne Organe kann verſchieden weit gehen, je nachdem die Zellen des Körpers ſich eine gewiſſe Vielſeitigkeit bewahren oder ganz in den Dienſt einer einzigen Spezialfunktion treten. Ein einfachſter Coelen— terat beſitzt nur zwei Organe, die äußere Haut und den Darm; ja bei manchen, wie bei Protohydra, zeigt der Körper nicht einmal eine Differenzierung derart, daß um den Mund herum beſondere bewegliche Fangarme gebildet ſind; es iſt dann nichts als ein von der Haut überzogener Magen vorhanden. Die einzelnen Zellen haben hier noch 48% 756 Verſchiedene Ausdehnung der Arbeitsteilung. eine Vielſeitigkeit der Leiſtungen bewahrt, wie wir ſie ſonſt nur bei den Protozoen finden: die Darmzelle nimmt die Nahrung auf, ſezerniert Verdauungsſäfte, reſorbiert die gelöſten Stoffe, ſpeichert den Überſchuß und entleert die unbrauchbaren Reſte und die Exkrete nach außen; die Zelle der äußeren Haut dient nicht nur dem Schutze und der Atmung, ſie vermittelt meiſt auch die Bewegung durch ihren Muskelanhang. Ein Bei— ſpiel vielſeitigſter Betätigung ſind auch die Neſſelzellen: ſie enthalten in ihrem Innern eine ſekretgefüllte Blaſe, die Neſſelkapſel, beſitzen einen Rezeptionsapparat, das ſogenannte Cnidocil, deſſen Reizung die Entladung der Kapſel auslöſt, und ſind gleichzeitig mit kontraktilen Fibrillen ausgerüſtet, die der Kapſel anliegen und durch ihre Zuſammenziehung die Entladung und Entleerung derſelben bewirken. Die beiden Primitivorgane eines ſolchen Coelenteraten erſtrecken ſich ſoweit, wie der Körper reicht; in jedem Körperabſchnitt ſind beide nebeneinander enthalten. — Wie anders bei einem Wirbeltier: da ſind für alle jene verſchiedenen Verrichtungen Zellen mit ſtreng einheitlicher Funktion vorhanden. Die beiden Keimblätter, das Ektoderm und Entoderm, ſind durch Zwiſchenlagerung eines dritten getrennt; ſie ſind nicht einheitlich geblieben, jedes liefert eine Vielheit von Or— ganen, deren Zellen zu ganz verſchiedener Verrichtung in verſchiedenſter Weiſe um— gewandelt ſind. Die Einzelorgane ſind ſtreng lokaliſiert, ſo daß ſie oft nur einen kleinen Teil des Körpers einnehmen; ja es gibt keinen Abſchnitt des Körpers, in dem von allen Organen gleichzeitig etwas vorhanden wäre. So wird alſo die Geſamtarbeit des vielzelligen Körpers dort von wenigen, hier von zahlreichen Organen geleiſtet, und zwiſchen zwei ſolchen Extremen, wie ſie als Beiſpiele gewählt wurden, gibt es zahlreiche vermittelnde Übergänge. Im allgemeinen find die Leiſtungen eines tieriſchen Organismus, die Lebhaftigkeit ſeines Stoffwechſels, die Schnellig— keit und Koordination ſeiner Bewegungen, die Anpaſſung an die wechſelnden Verhältniſſe der Umwelt, um ſo höher entwickelt, je weiter die Arbeitsteilung zwiſchen den Organen ſeines Körpers geht, je mehr jede beſondere Funktion, ja ſelbſt Teilfunktion von hierfür ſpezialiſierten Zellen ausgeführt wird. Aber es iſt nicht ſchlechthin die Zahl der ver— ſchiedenerlei Organe uud Organſyſteme der Maßſtab für die Leiſtungsfähigkeit und Lebens— kraft einer Tierform; die größere Kompliziertheit der Körpermaſchine verbürgt nicht ſchlechthin ein beſſeres Arbeiten derſelben. Die Stachelhäuter z. B. ſind ihrem Bau nach ſehr weit differenziert, ſie beſitzen eine Arbeitsteilung, die weiter geht als bei vielen Weichtieren, ja ſelbſt manchen Wirbeltieren, und die Vielfältigkeit von Einzelorganen an ihrem Körper ſteht wohl ohne gleichen in der Tierreihe. Trotzdem iſt ihr Lebensgebiet viel beſchränkter, ihre Anpaſſung an verſchiedenerlei Lebensbedingungen viel weniger mannigfaltig als bei Weichtieren oder Gliederfüßlern. Hier leiſtet eben die einfachere Maſchine dank dem glatteren Zuſammenarbeiten der Teile mehr als dort die kom— pliziertere. Die Verteilung der Arbeit auf verſchiedenartige Zellen kann man als extenſive Arbeitsteilung bezeichnen. Ihr läßt ſich als intenſive Arbeitsteilung die Verteilung der— ſelben Leiſtung zwiſchen gleichartigen Zellen gegenüberſtellen; auch ſie geht verſchieden weit. Die Vermehrung und dabei Verkleinerung der Zellen bringt gewiſſe Vorteile mit ſich: ſolche ſind ſchon dadurch gegeben, daß die kleinere Zelle ſowohl am Zellkörper wie am Kern eine verhältnismäßig größere Oberfläche zur Aufnahme und Abgabe von Stoffen beſitzt und daher zahlreichere kleinere Zellen intenſiver arbeiten können als eine oder wenige größere, die eine gleichgroße Stoffmenge darſtellen. Auch ſind bei einer Schädi— gung einzelner Zellen leichter noch andre unverletzte übrig, wenn die Zahl der Einzel— Extenſive, intenſive, ſukzeſſive Arbeitsteilung. 757 zellen größer iſt. Innerhalb der gleichen Tierkreiſe finden wir daher häufig ein Fort— ſchreiten zu immer intenſiverer Arbeitsteilung: unter den Fiſchen z. B. iſt die Zellengröße bei Selachiern und Ganoiden viel bedeutender als bei den Knochenfiſchen; von den niederen Amphibien, den Perennibrachiaten, über die Froſchlurche und Reptilien nimmt die Zellgröße ſtändig ab bis zu den Vögeln und Säugern. Solche ſpezialiſierte Formen wie Stachelhäuter oder Armfüßler (Brachiopoden) ſind ſehr kleinzellig, während die ein— fachſten Coelenteraten und die Uranneliden verhältnismäßig große Zellen in geringerer Zahl beſitzen. Mit der Arbeitsteilung, die in der Übernahme der einzelnen Verrichtungen auf verſchiedene Zellen beſteht, kann aber noch eine andre Verteilung der Leiſtungen Hand in Hand gehen. Es können die Zellen eines Körpers eine zeitliche, eine ſukzeſſive Arbeitsteilung eingehen: dieſe beſteht darin, daß nicht alle Zellen, die durch Teilung aus der befruchteten Eizelle hervorgegangen ſind, gleichzeitig für den Körper tätig ſind. Eine Anzahl von ihnen bleibt zunächſt als Reſervezellen in Ruhezuſtand, um dann, wenn andre durch ihre Tätigkeit abgenutzt ſind und hinfällig werden, an deren Stelle zu treten und ſo den Fortbeſtand des Ganzen zu ſichern. Es mögen etwa 200 Billionen Zellen ſein, die zu einer gegebenen Zeit den ausgewachſenen Menſchenkörper zuſammenſetzen. Aber das iſt durchaus nicht etwa die Geſamtzahl der Zellen, die aus dem Ei hervor— gehen. Sie ſind auch nicht gleich alt, wenn man die Zahl der Zellteilungen, durch die ſie aus der Eizelle entſtanden ſind, als Maß ihres Alters annimmt; ſondern während die einen ſchon an der Grenze ihrer Teilungsfähigkeit angekommen ſind und bald zu— grunde gehen, ſind andre noch jugendfriſch und können ſich reichlich durch Teilungen vermehren. Die Lebensdauer eines roten Blutkörperchens beim Menſchen wird auf 4 bis 5 Wochen geſchätzt; es muß alſo im Jahre die Geſamtzahl der roten Blutkörperchen, 22 ½ Billionen, etwa zehnmal erneuert werden, während der Dauer eines Menſchenlebens alſo 600—800 mal; ebenſo geht eine beſtändige Erneuerung vor ſich an den vor— handenen Oberhautzellen, den Zellen, die Haare und Nägel bilden, den Zellen der Talg— drüſen und den Schleimzellen des Darmepithels, die bei ihrer Funktion zugrunde gehen. Es wird kaum zu hoch geſchätzt ſein, wenn man die geſamte Maſſe der Zellen, die in einem Menſchenkörper bei 60 — 70 jährigem Leben gebildet werden, auf 16000 Billionen annimmt. Es müſſen alſo bei dieſem fortwährenden Zellenſterben ſtets noch unver— brauchte Reſervezellen da ſein, deren Nachkommen in die Lücken treten, die der Zellentod geriſſen hat. Solche Reſervezellen finden ſich z. B. in der Epidermis des Regenwurms in der Tiefe zwiſchen den funktionierenden Zellen. Solche Zellen ſind es auch, von denen bei der Metamorphoſe der Inſekten während des Puppenſtadiums der Erſatz vieler Körper— gewebe ausgeht: der Epidermis, des Darmepithels, der Muskulatur; ſie bilden Neſter und wuchern zu ſogenannten Imaginalſcheiben, die ſich an Stelle der zugrundegehenden Larvengewebe ausbreiten. Dadurch wird die Lebensfähigkeit des Körpers zeitlich ver— längert und auf der Höhe gehalten: auch dieſe Arbeitsteilung dient dazu, ein Lebeweſen auf die Dauer konkurrenzfähiger, lebenskräftiger zu erhalten. Es iſt ſehr wohl denkbar, daß die ſo unklare Frage der verſchiedenen Lebensalter bei den Tieren, für die ſo ver— geblich nach Löſung geſucht wird (S. 589), ſich einmal unter dem Geſichtspunkt ver— ſchiedenartiger Zellökonomie aufklären läßt. Wo beizeiten Reſervezellen zurückgeſtellt werden, da iſt ſpäter der Erſatz abgenutzter Gewebe möglich; wo jedoch alle Blaſtomeren ſofort an der Körperarbeit teilnehmen, da geht mit deren Abnutzung der Körper zugrunde. Jedenfalls iſt es höchſt wahrſcheinlich, daß ſolche ſukzeſſive Arbeitsteilung nicht bei allen 758 Vorteile der Arbeitsteilung. Tiergruppen in gleicher Weiſe vorkommt: ſie ſcheint zu fehlen bei den Fadenwürmern und den Rädertieren und anderen Formen, bei denen jedes Organ aus einer beſchränkten, geringen Zahl von Zellen zuſammengeſetzt iſt, die ſchon bei der Larve ebenſo groß iſt wie beim erwachſenen Tier (S. 586). Die Arbeitsteilung hat ihre Vorteile wie ihre Nachteile. Durch die Verteilung der Leiſtungen auf verſchiedene Zellformen und auf verſchiedene Organe wird einmal die Energie der Lebensäußerungen, dann aber auch die Abſtufung der Leiſtungen in Anpaſſung an die jeweiligen Bedürfniſſe geſteigert. Da die Zellen bei weitgehender Arbeitsteilung für die Geſamtheit nur eine und immer die gleiche Funktion auszuführen haben, werden ſie nicht durch Nebenfunktionen darin beeinträchtigt und können ihrem ganzen Bau nach an dieſe Verrichtung angepaßt ſein. Dann aber kann die Geſamt— leiſtung in unendlicher Mannigfaltigkeit variiert werden, wenn die einzelnen Organe oder Organteile bald mehr, bald weniger von ihrer eigenartigen Leiſtung dazu beitragen: z. B. die Zuſammenſetzung des Speichels kann bald ſchleimiger und klebriger, bald flüſſiger und fermentreicher ſein, je nachdem die einen oder anderen Zellen der gemiſchten Speicheldrüſen oder je nachdem die muköſen oder die ſeröſen Drüſen ſich ſtärker an der Abſonderung beteiligen (S. 349). Die Anpaſſung an verſchiedene Lebensbedingungen wird durch weitgehende Arbeitsteilung erleichtert; denn häufig genügt eine kleine Abänderung in einer einzigen Funktion, alſo bei entſprechender Arbeitsteilung eine Umwandlung an verhältnismäßig wenigen Körperzellen, um abgeänderten Verhältniſſen gerecht zu werden. Wenn beiſpielsweiſe die Zellen der Körperepidermis außer ihrer Schutzfunktion zugleich noch Atmung und Exkretion beſorgen müſſen, da wird es nie möglich ſein, daß das Tier ſeine feuchte Umgebung verläßt und in der trocknen Luft lebt; denn dieſe Zellen können ſich nicht gegen Verdunſtung und Vertrocknen ſchützen, ohne zugleich ihre Atmungs— und Exkretionstätigkeit zu ſchädigen. Wo jedoch beſondere Atmungs- und Exkretions— organe vorhanden ſind, da können jene Zellen der Körperoberfläche Veränderungen er— fahren, die ſie vor dem Eintrocknen ſchützen, wie Bildung einer dicken Kutikula bei den Gliederfüßlern oder Verhornung der äußeren Lagen einer geſchichteten Epidermis bei Wirbeltieren, und durch ſolche verhältnismäßig geringen Anderungen ſind dieſen Tieren weite neue Lebensgebiete erſchloſſen. Oder wo die Zellen des Darmepithels die Nahrung zu intracellulärer Verdauung nach Protozoenweiſe in ſich aufnehmen, kommen als Futter nur Objekte in Betracht, die in den Darmraum aufgenommen werden können. Wo da— gegen unter Sonderung von reſorbierenden und ſezernierenden Zellen ein Verdauungs— ſaft ins Darmrohr abgeſondert wird, da kann auch, unter Erguß dieſes verdauenden Saftes in den Leib der Beute, dieſe vor dem Munde verdaut und ſo in den Darm eingeführt werden, ſelbſt wenn ſie weit größer iſt als die Mundöffnung und daher nicht verſchluckt werden kann: jo frißt der Seeſtern Asterias die Muſcheln aus, jo bewältigt die Schwimmkäferlarve Kaulquappen oder die Vogelſpinne Eidechſen. Die Arbeitsteilung zwiſchen den Zellen der Metazoen iſt es auch, was das Größen— wachstum ſolcher Tiere ermöglicht. Selbſt die größten Protozoenfolonien wie das Kugeltierchen Volvox (Abb. 13.) oder die Bäumchen der Glockentierchen Carchesium (Abb. 12.) ſind verſchwindend klein gegenüber den meiſten vielzelligen Tieren. Denn bei ſolchen Kolonien gleichberechtigter und gleichleiſtender Zellen müſſen alle Individuen bis an die Oberfläche reichen und mit dem umgebenden Waſſer in Berührung kommen, um ihre Lebensbedingungen zu finden. Die ſo entſtehenden Zellflächen aber verlieren an Feſtigkeit und Beweglichkeit, je mehr ſie ſich vergrößern. Der Beginn der Arbeits— Nachteil der Arbeitsteilung. 19 teilung aber beſteht bei den Metazoen darin, daß unter Einſtülpung der ernährenden Zellen der Körper kompakter gemacht wird, und der nächſte Schritt vorwärts iſt die Bildung von Stützſubſtanzen; dieſe bekommen eine um ſo größere Mannigfaltigkeit, je mehr ſie durch hierfür ſpezialiſierte Zellen aufgebaut werden. Die Bildung des mitt— leren Keimblattes bedeutet gerade auch nach dieſer Hinſicht, ſowie für die Erhöhung der Raumausnützung im Körper, einen weiteren Fortſchritt. So groß und zahlreich nun die Vorteile der Arbeitsteilung ſind, ſo ſteht ihnen doch ein ſchwerwiegender Nachteil gegenüber. Indem eine für das Geſamtleben notwendige Verrichtung des Körpers an ein einziges Organ von beſchränkter Größe und Ausdehnung gebunden iſt, beruht ſomit die Wohlfahrt des Körpers darauf, daß dieſes Organ richtig arbeitet. Jede Störung, die ein einzelnes Organ betrifft, erſtreckt ſich auf den ganzen Körper: wenn der Magen, der Darm, die Leber, die Niere, die Lunge, das Herz oder das Gehirn verſagen, ſo iſt damit alſo der Beſtand aller übrigen Organe gefährdet, auch wenn ſie vollkommen geſund ſind und ihre Verrichtungen normal ausüben. Die völlige Ausſchaltung eines Mitarbeiters aus der zuſammenhängenden Kette gemeinſamer Arbeit gefährdet die ganze Exiſtenz. Die Gefahr, daß ein Einzelorgan ausgeſchaltet werden kann, ſteigert ſich um ſo mehr, je weiter die Arbeitsteilung geht, je mehr die Be— ſchränkung der Funktionen auf engumgrenzte Stellen des Körpers fortſchreitet. Eine Hydra, bei der die zwei primitiven Organe, Haut und Darmepithel, ſich in alle Abſchnitte des Körpers erſtrecken, kann man in viele Stücke zerſchneiden, und jedes enthält mit jenen Organen alle Grundbedingungen für das Weiterleben. Ein Strudelwurm, bei dem der Darm, die Exkretionsorgane und das zentrale Nervenſyſtem ſich durch den ganzen Körper ausdehnen, kann halbiert und geviertelt werden, und jeder Teil lebt weiter, und ebenſo iſt es mit dem Regenwurm und ſeinen Verwandten, bei denen ſich die wichtigſten Organe in jedem Körperringel wiederholen. Anders bei einem Inſekt, einer Schnecke, einem Wirbeltiere. Der Verluſt des Kopfes mit dem Gehirnganglion, die Abtrennung des Hinterleibs oder Eingeweideſacks, kurz, jede Entfernung eines größeren Körperabſchnittes muß lebenswichtige Organe wegnehmen und damit das einheitliche Zuſammenwirken zerſtören, d. h. das Tier töten. Das Ganze iſt durch die fortſchreitende Arbeitsteilung mehr und mehr zum Sklaven ſeiner Teile geworden. Deshalb iſt ſolche weitgehende Arbeitsteilung auch ſtets von allerhand Schutzvorrichtungen begleitet: durch Panzer, Stacheln und Gehäuſe ſind die Organe geſchützt und vervollkommnete Sinnesorgane wachen über der Sicherheit des Körpers. Und weiter werden mit der vervollkommneten Ausnutzung der Zellenarbeit durch Arbeitsteilung und der damit erreichten Steigerung in der Intenſität der Lebens— äußerungen auch die Anſprüche geſteigert, die die Teile an die Verſorgung mit Nahrung und Sauerſtoff und an die Gleichmäßigkeit der äußeren Bedingungen machen. Für Tiere, deren Lebensenergie ſo erhöht iſt, ſind die Stellen der Umwelt, wo nur eine wenig nahrhafte Koſt in beſchränkter Menge zu Gebote ſteht, nicht bewohnbar. Und da der rege Betrieb ihres Organismus eine Beſchränkung des Lebens auf ein Minimum meiſt nicht geſtattet, ſind ſolche Plätze im Naturhaushalt für ſie verſchloſſen, wo eine zeitweilige Einſtellung der Lebensäußerungen notwendig wird. Waſſertiere von höherer Organiſation können in keinem Zuſtande ihres Lebens ohne Schaden eintrocknen, wenn die bewohnte Pfütze verſchwindet; die Kaulquappe geht zugrunde, während ein Rädertier oder ein Cyelops unter Einſtellung ſeines Betriebes die Wiederkehr günſtiger Bedingungen abwartet. Sie können nicht das Einfrieren zu einem lebloſen Klumpen überdauern, 760 Stoffliche und dynamiſche Bindung. wenn die Temperatur zu tief ſinkt: in ablaßbaren Fiſchteichen kann man daher die ſchäd— lichen Inſekten und ihre Brut, wie Waſſerwanzen und Schwimmkäfer, durch Ausfrieren- laſſen des Bodens vernichten, ohne daß dadurch die kleinen Krebschen geſchädigt werden, die als Fiſchnahrung willkommen ſind. Das Lebensgebiet iſt gerade durch die Höhe der Leiſtungen ein beſchränktes geworden. 2. Die Bindung der Teile zum Ganzen. Wenn bei den vielzelligen Tieren die zur Erhaltung des Lebens notwendigen Ver— richtungen auf verſchiedene Organe verteilt ſind, ſo iſt es auch notwendig, um den regel— rechten Ablauf der Lebenserſcheinungen am Ganzen zu ſichern, daß die Organe einheit— lich zum gemeinſamen Ziele zuſammenwirken, daß ſie ſich in ihrer Arbeit unterſtützen und ergänzen. Nur ſo kann das Ganze ein Individuum vorſtellen, d. h. trotz ſeiner Zuſammenſetzung aus Teilen ein Unteilbares ſein. Dieſe Harmonie der Teile wird er— reicht durch die enge Verknüpfung, die ſie bindet, und zwar in doppelter Beziehung: eine ſtoffliche Bindung und eine dynamiſche Bindung. Jene beruht auf dem Chemismus des Ganzen und den chemiſchen Beeinfluſſungen der Teile untereinander; ihr Vermittler iſt die Körperflüſſigkeit, alſo bei den Wirbeltieren das Blut. Träger der dynamiſchen Bindung dagegen iſt das Nervenſyſtem, dem es obliegt, durch Erregung und Hemmung der Arbeit bei den Teilen die Geſamtleiſtung zu beherrſchen und abzuſtufen. Die ſtoffliche Bindung iſt ſchon durch die gemeinſame Abſtammung aller Körper— zellen von der Eizelle gegeben, aus der ſich der Körper entwickelt hat. Die Zellen ſind Geſchwiſter und haben von der Mutterzelle den gleichen Chemismus geerbt, der zwar in den einzelnen Organen je nach ihrer Funktion modifiziert wird, aber doch immer nur durch Umwandlung einer und derſelben Grundlage. So kommt es, daß jedes Indivi— duum ſeine ſtoffliche Eigenart beſitzt, die wir dort, wo unſer Unterſcheidungsvermögen am höchſten ausgebildet iſt, nämlich in bezug auf den Menſchen, auch unmittelbar wahr— nehmen können; Leute mit ſcharfem Geruchsvermögen können verſchiedene Menſchen am Geruch unterſcheiden, und die uns in der Riechſchärfe weit überlegenen Hunde vermögen das ja mit großer Sicherheit. Der Chemismus des Körpers iſt auch maßgebend für die Beſchaffenheit der Körperflüſſigkeit, des inneren Mediums, in dem alle Zellen leben, deſſen chemiſchen Einflüſſen ſie alle angepaßt ſind. Zwar iſt die ſtoffliche Zuſammen— ſetzung dem Individuum mit anderen Tieren der gleichen Art im ganzen gemeinſam (S. 53f.); aber daß es darin individuelle Verſchiedenheiten gibt, dafür kennen wir auch für niedere Tiere beſtimmte Anhaltspunkte. So macht die Transplantation, die Ver— pflanzung von Körperteilen von einer Stelle nach einer anderen beim gleichen Indivi- duum keine beſonderen Schwierigkeiten; ſchwieriger iſt ſie ſchon bei Teilſtücken ver— ſchiedener Individuen der gleichen Art, während ein Austauſch von Teilſtücken unter Angehörigen verſchiedener Arten ſehr ſchwierig, ja, auf die Dauer vielleicht ganz un— möglich iſt. Dieſe Sätze gelten ebenſo für Hydra und die Regenwürmer, wie für den Menſchen. In dem gemeinſamen inneren Medium aber, der Körperflüſſigkeit, führt jedes Organ ſein eigenes Leben auch bezüglich des Chemismus, es hat ſeine beſonderen Bedürfniſſe, ſeine beſondere Umſetzung, ſeine eigenartigen Stoffwechſelprodukte. Dieſe aber treten in den Geſamtorganismus über und müſſen auf die übrigen Organe einen um ſo größeren und ſchnelleren Einfluß ausüben, je mehr ſie durch ein lebhaft kreiſendes Blut binnen Hormone. 761 kurzem durch den ganzen Körper verbreitet werden; ja, dieſe Beeinfluſſung hat, wie man jetzt weiß, eine beſondere Wichtigkeit für das regelmäßige Ineinandergreifen mancher Organfunktionen. Unſere Kenntnis der „inneren Sekretion“ beſchränkt ſich leider noch ganz auf die ſehr komplizierten Verhältniſſe bei den Wirbeltieren, beſonders bei den Säugern, und ſteht auch hier noch in den Anfängen. Aber das, was davon bekannt iſt, zeigt ein Bild wunderbarſter Zuſammenhänge und engſter Verknüpfung der Leiſtungen, ſo kompliziert, daß zunächſt eine völlige Klarheit in gar manchen Teilen noch vermißt wird. Ein einfachſter Fall chemiſcher Wechſelbeziehungen zwiſchen verſchiedenen Teilen iſt z. B. der, daß in der Leber das Glykogen gebildet und durch das Blut dem Muskel zugeführt und von ihm verbraucht wird. Die meiſten Zuſammenhänge aber geſtalten ſich weit komplizierter, wie folgendes Beiſpiel zeigt. Durch vermehrte Tätigkeit der Muskeln wird ihr Sauerſtoffbedürfnis geſteigert und zugleich die Kohlenſäureſpannung im Blute erhöht; es kann dann bei der bisherigen Intenſität der Atmung nicht alle Kohlen— ſäure aus dem Blutplasma entfernt werden; die zurückbleibende Kohlenſäure aber wirkt als Reiz auf das nervöſe Atemzentrum im verlängerten Mark, die Atemzüge werden infolge— deſſen tiefer und ſchneller und es wird dem geſteigerten Bedürfnis entſprechend mehr Sauerſtoff aufgenommen und zugleich mehr Kohlenſäure ausgeſchieden. Die Kohlenſäure iſt alſo gleichſam der Bote, der die Bedürfniſſe der Muskeln dem Atemzentrum mitteilt, dieſe beiden Organe alſo in Beziehung ſetzt. Solche chemiſchen Stoffe, die nicht als Nahrungsſtoffe, ſondern als Reizſtoffe in der Körperflüſſigkeit enthalten ſind und eine abhängige Verkettung zwiſchen verſchiedenen Organen herſtellen, werden als Hormone bezeichnet. Die Beziehungen der Körperteile durch Hormone oder die chemiſchen Korrelationen der Organe ſind im Körper der Wirbeltiere ſehr zahlreich. So produzieren die Geſchlechts— organe, die Hoden und Eierſtöcke mit ihren Nebenorganen, beſtändig Stoffe, die für das Eintreten der Erſcheinungen des Geſchlechtslebens ſehr wichtig ſind. So vergrößern ſich bei normalen Froſchmännchen ſchon im Herbſt die Daumenſchwielen und die Muskulatur ihrer Vorderarme nimmt zu; dieſe Umänderungen entſtehen unter dem Einfluß der Hoden und treten nicht ein, wenn die Hoden entfernt werden. Bringt man aber kaſtrierten Froſchmännchen, bei denen jene Vorbereitungen zur Brunſt fehlen, Hodenſtücke von friſch eingefangenen Männchen in den Rückenlymphſack, ſo wirken dieſe Stücke, obgleich ſie in keinerlei Verband mit den Nerven und dem Blutgefäßſyſtem dieſes Tieres ſtehen, doch auf die Brunſtorgane genau ſo ein, als ob der Froſch noch im ungeſtörten Beſitz ſeiner Hoden wäre: „die Daumenſchwielen, die Samenblaſen und die Vorderarmmuskeln ver— größern ſich und werden wieder verkleinert, wenn die Hodenſtücke im Lymphſack völlig reſorbiert ſind“. Es können nur chemiſche Stoffe ſein, die den geſchilderten Zuſammen— hang vermitteln. Die Erſcheinungen der „Brunſt“ treten auch nicht mehr auf, wenn bei einem erwachſenem Säugerweibchen die Eierſtöcke entfernt werden; wird aber der aus— geſchnittene Eierſtock an eine andere Stelle transplantiert, ſomit alſo aus ſeinen nervöſen Verbindungen gelöſt, aber doch in den Blutkreislauf eingeſchaltet, ſo treten alle Zeichen der Brunſt wie beim normalen Weibchen auf. — Normaler Weiſe wachſen bei Säugern die Milchdrüſen zur Zeit der Schwangerſchaft und ſondern nach der Entbindung Milch ab. Aber auch eine Milchdrüſe, die bei einem Meerſchweinchen von ihrer Stelle los— gelöſt und in das Ohr unter die Haut eingepflanzt wurde, zeigte das gleiche Wachstum und gab nach dem Wurf Milch; da die Nervenverbindung durch die Transplantation gelöſt war, können es hier nur im Blut kreiſende Stoffe, Hormone ſein, die zum Wachs— 762 Hormone aus Schilddrüſe und Nebennieren. tum anreizen. Die Hormone ſtammen in dieſem Falle wahrſcheinlich nicht aus dem Muttertier ſelbſt, ſondern aus den Embryonen; denn bei jungfräulichen Kaninchen kann man durch fortgeſetzte Einſpritzung von Extrakten aus Kaninchenembryonen ein nicht unbeträchtliches Wachstum der Milchdrüſen erzielen, die ſonſt bei ihnen nur ſehr unbe— deutend ſind; Extrakten aus der Gebärmutter oder dem Mutterkuchen fehlt jedoch die gleiche Wirkung. — Ein weiteres Beiſpiel ſolcher chemiſcher Korrelation bietet uns die Art, wie die Bauchſpeicheldrüſe, das Pankreas, zur Abſonderung ihres für die Darm— verdauung notwendigen Sekretes gereizt wird, ſobald aus dem Magen Speiſebrei in den Darm gelangt. Der aus dem Magen kommende Speiſebrei enthält reichlich Säure; dieſe bewirkt in den Epithelzellen des Dünndarms die Bildung einer neuen Subſtanz, des Sekretins, das mit dem Blut zum Pankreas gelangt und deſſen Ab— ſonderungstätigkeit auslöſt. Einſpritzung von Säure in die zum Pankreas führenden Blutbahnen bleibt ohne Wirkung, wohl aber regt ein ſaurer Dünndarmextrakt, in jene Gefäße gebracht, die Tätigkeit des Pankreas an, auch wenn kein Speiſebrei im Darm enthalten iſt. In dieſen Fällen ſind es nur vereinzelte Organe, die wir durch chemiſche Korrelation verkettet ſehen. Es gibt aber auch Hormone, die den ganzen Körper mit ſeinen Stoff— wechſel- und Wachstumserſcheinungen beeinfluſſen. Die vollſtändige Entfernung der Schilddrüſen, die bei allen Wirbeltieren als paariges Organ zu Seiten der Luftröhre liegen, hat bei jugendlichen Menſchen und bei Wirbeltieren allgemein ſchwere Wachstums— ſchädigungen zur Folge, dazu geiſtige Stumpfheit, Plumpheit der Bewegungen, ſehr oft auch Störungen der Wärmeregulation; auch erwachſene Tiere werden dadurch in ihrer Geſundheit ſchwer geſchädigt. Bleibt jedoch bei der Operation ein Reſt der Schilddrüſe ſtehen, oder wird ein Stück derſelben an andrer Stelle in den Körper eingepflanzt, ſo treten dieſe Krankheitserſcheinungen nicht ein; auch Verfütterung von Schilddrüſenſubſtanz mildert die Schädigungen der Schilddrüſenexſtirpation. Daraus geht hervor, daß im Blut kreiſende chemiſche Stoffe, die von der normalen Schilddrüſe ausgehen, für den Körper notwendig ſind und daß deren Fehlen zu den geſchilderten Störungen führt. Genau bekannt ſind ſolche Stoffe aus den Nebennieren, kleinen Organen in der Nachbar— ſchaft der Nieren. Dieſe produzieren einen verhältnismäßig einfach zuſammengeſetzten Stoff, das Adrenalin, das ſich in dem aus den Nebennieren kommenden Blut nach— weiſen läßt. Einſpritzung von Adrenalin in den Blutkreislauf wirkt auf jedes Organ im Körper, das durch das ſympathiſche Nervenſyſtem beeinflußt wird, und zwar ebenſo, als ob der betreffende ſympathiſche Nerv elektriſch gereizt würde: es treten Pupillener— weiterung, Beſchleunigung des Herzſchlags, Steigerung des Blutdrucks in den Gefäßen, Erſchlaffung der Muskeln des Dünn- und Dickdarms und dergleichen Erſcheinungen auf. Entfernung der Nebennieren dagegen bewirkt Herzſchwäche und Abfall des Blut— drucks; ſpritzt man einem ſolchen Tiere ohne Nebenniere Blut aus der Nebennierenvene eines andren Individuums ein, ſo werden die krankhaften Störungen eine Zeitlang ge— mildert. Es ſcheint alſo, daß durch beſtändige Abgabe geringer Sekretmengen die Nebenniere eine regulierende Wirkung im Körper übt, z. B. einen mittleren Tonus der Gefäße unterhält. Wirkungen, die man ebenfalls auf Rechnung von Hormonen ſetzen muß, ſind für den Hirnanhang (Hypophyſe), die Thymus und die Bauchſpeicheldrüſe nachgewieſen. Es iſt aber wahrſcheinlich, daß die beſprochenen Organe nicht allein ſtehen in der Eigen— tümlichkeit, durch chemiſche Produkte ihrer Tätigkeit andre Teile des Organismus zu Chemiſche Korrelation und Vererbung ſomatogener Eigenſchaften. 763 beeinfluſſen. Wie ſich alle Organe am Stoffwechſel beteiligen, und zwar jedes in eigen— tümlicher Weiſe, ſo geben wahrſcheinlich auch alle Organe beſtimmte, eigenartige Stoffe an die Körperflüſſigkeit ab, die für die übrigen Organe des Körpers eine notwendige Bedingung für ihr normales Arbeiten bilden, für das eine in dieſer, für das andre in andrer Weiſe. Alle dieſe Stoffe gehören eben zu dem Milieu, in dem die Körperorgane leben, an das ſie angepaßt ſind. Und wie das Ausſüßen des ſtark ſalzigen Waſſers von Salzſeen auf das darin lebende Krebschen Artemia salina L. beſtimmte Einwirkungen übt, die ſich in Veränderungen der Körpergeſtalt bei der Entwicklung zeigen (vgl. 2. Band), ſo werden auch durch jede Veränderung des inneren Mediums für die darin lebenden Organe neue Reize entſtehen oder vorhandene Reize wegfallen, und das wird auf ihre Lebensäußerungen von Einfluß ſein. Eine unbegründete Vermutung aber iſt es, wenn man die Tatſachen der chemiſchen Korrelation oder inneren Sekretion dazu benutzen will, um den Weg zu zeigen für die Vererbung ſomatogener Eigenſchaften (S. 549f.), die der Lamarckismus wünſcht und die ja in der Tat eine treffliche und leichte Erklärung für zahlreiche Anpaſſungen der tieriſchen Körper bieten würde. Die Vererbung ſomatogener Eigenſchaften ſollte ſelbſt erſt erwieſen werden, ehe man für ſie nach Erklärungen ſucht. Sicher iſt ja anzunehmen, daß auch die Keimzellen durch das innere Medium des Körpers, in dem ſie leben und wachſen, beeinflußt werden. Es iſt aber nicht zu verſtehen, warum die reichere Abſonderung chemiſcher Stoffe aus einem ſtärker arbeitenden Muskel nun auf die Anlagen im Keim— plasma ſo einwirken ſollte, daß bei ihrer ſpäteren Entfaltung gerade wieder derſelbe Muskel ſtärker ausgebildet würde. Wenn es ſchon überhaupt höchſt zweifelhaft iſt, ob dieſe Stoffe im Keimplasma gerade auf die Anlagen der Muskeln wirken, wie ſollte es dann geſchehen, daß ſie Verſtärkung dieſer Muskeln bewirken, und woher ſollten vollends die lokalen Eigentümlichkeiten kommen, die zur Beeinfluſſung der entſprechenden Muskelanlagen führen? Allgemein geſprochen haben wir keinen Anhalt dafür, wes— halb eine Veränderung in der Menge und Beſchaffenheit der inneren chemiſchen Ab— ſonderungen eines Organs bei veränderter Funktionsweiſe nun auch eine gleichartige, homotype Veränderung in den entſprechenden Anlagekomplexen des Keimplasmas hervor— rufen ſollte. Nach wie vor bleibt es dabei, daß für den, der die Vererbung ſomatogener Eigenſchaften vertritt, lediglich der Wunſch des Gedankens Vater iſt. Weit länger als die ſtoffliche Bindung iſt die dynamiſche Bindung der Teile zum Ganzen, der Organe zum Organismus, bekannt und in ihrer großen Bedeutung ge— würdigt. Sie iſt eine der Aufgaben des zentralen Nervenſyſtems. Zwar iſt deſſen Be— tätigung in der Aufnahme äußerer Reize und in der Vermittlung der Reaktionen auf ſolche weit auffälliger und auch viel genauer unterſucht als ſeine Wichtigkeit für die innere Bindung. Aber dieſe kommt jener doch wohl an Umfang nahe. Die dynamiſche Bindung iſt der ſtofflichen in allen den Fällen überlegen, wo es auf Schnelligkeit der Reizübermittlung ankommt; ſie iſt beſonders immer dort vorhanden, wo es ſich um Einwirkung auf die Skelettmuskulatur handelt. Überall da, wo die Koordination der mannigfachen Muskelkontraktionen in Frage kommt, die zur Ausführung komplizierter Körperbewegungen zuſammenwirken müſſen, iſt es das zentrale Nervenſyſtem, das durch Vermittlung ſeiner langen Bahnen das Ineinandergreifen der Teilhandlungen zur Ein— heitlichkeit bewirkt. In andern Fällen aber iſt die Wirkungsweiſe des Nervenſyſtems der— jenigen der Hormonen ſehr ähnlich. So werden unſere Speicheldrüſen zur Sekretion veranlaßt, „das Waſſer läuft uns im Munde zuſammen“, wenn wir hungrig ſind und 764 Bindung durch das Nervenſyſtem. andre ein leckres Mahl genießen ſehen, oft ſogar ſchon, wenn wir nur an eine ſolche Mahlzeit denken. Daß es in ſolchen Fällen wirklich das Nervenſyſtem iſt, das auf die Tätigkeit der Drüſen des Magens einen Einfluß übt, zeigte Pawlow durch ſeine genialen Verſuche. Er legte bei einem Hunde eine Schlundfiſtel an, d. h. er heilte den auf— ſchnittenen Schlund ſo in eine Offnung der Haut ein, daß aufgenommene Nahrung nicht in den Magen kommt, ſondern durch die Fiſtel wieder aus dem Körper herausgelangt; bei einer ſolchen Scheinfütterung tritt ſofort eine vermehrte Abſonderung von Magenſaft auf, und die Vermittlung kann hier nur durch das Nervenſyſtem geſchehen ſein. Ja in manchen Fällen wirken Hormone und Nervenſyſtem zuſammen: überſchüſſige Kohlenſäure in dem Blut, das aus den Lungen kommt, erregt das die Atmung regulierende Zentrum, und von dort aus werden durch Nervenleitung die Atemmuskeln zu ſtärkerer Arbeit angeregt. Aber auch die Tätigkeit des Nervenſyſtems beſchränkt ſich nicht auf ſolche mehr vorübergehende Leiſtungen. Wir beobachten an ihm auch dauernde Betätigungen zur Bindung der Teile, ähnlich derjenigen, wie ſie vielfach durch die Hormone bewirkt wird. Oben (S. 630) wurde ſchon auseinandergeſetzt, daß vom Labyrinthorgan der Wirbeltiere beſtändig nervöſe Reize ausgehen, die eine gewiſſe mittlere Spannung der Skelettmusku— latur zur Folge haben, ähnlich wie der Tonus der Gefäßmuskeln durch Hormone ge— regelt wird; Zerſtörung oder Ausſchaltung des Labyrinths bewirkt dementſprechend ein Schwinden der Muskelkraft, und Ahnliches gilt auch für die Statocyſten mancher Wirbelloſen, beſonders der Tintenfiſche. Andrerſeits iſt eine ungeſtörte Verbindung mit dem zentralen Nervenſyſtem für den Fortgang des normalen Stoffwechſels der Organe und ihrer Gewebe und überhaupt für deren Weiterbeſtehen und Wachstum von größter Wichtigkeit. Durchſchneidung motoriſcher Nerven zieht Atrophie und ſchließ— liche Entartung der Muskeln nach ſich; Zerſtörung des ſekretoriſchen Nerven der Unter— kieferdrüſe bewirkt Entartung dieſer Drüſe; nach der Durchſchneidung des zweiten Hals— nerven iſt bei Kaninchen und Katze Ausfallen der Haare am Ohre beobachtet worden. Es gehen alſo vom zentralen Nervenſyſtem trophiſche Reize aus, die für die richtige Ernährung der verſorgten Organe von Wichtigkeit ſind. Das iſt aber nicht ſo zu ver— ſtehen, als ob beſondere trophiſche Nerven vorhanden wären, deren Eigenart es wäre, die Ernährung und den Stoffwechſel der Organe, zu denen ſie gehören, zu überwachen und zu regeln. Früher hat man das wohl geglaubt; aber beweiſende Verſuche liegen für eine ſolche Annahme nicht vor. Wenn beiſpielsweiſe die Durchſchneidung des fünften Hirnnerven (Trigeminus) bei Kaninchen nach Ablauf von 6—8 Tagen zu Entzündung des Auges, Abſterben der Hornhaut und ſchließlich zum Untergange des ganzen Aug— apfels führt, ſo liegt das daran, daß dem Auge damit ſeine Schutzmittel genommen ſind: die Abſonderung von Tränenflüſſigkeit und deren regelmäßige Verteilung über das Auge durch den Lidſchlag hört auf; infolge der Zerſtörung der Empfindlichkeit des Auges wird dieſes allerhand Verletzungen ausgeſetzt; die mit der Operation verknüpfte Hemmung der gefäßerweiternden Nerven hat ungenügende Blutverſorgung des Augapfels zur Folge. Das alles vereinigt ſich, um die verderbliche Wirkung der Operation herbeizuführen. Verhindert man aber durch Vernähung der Lider Verletzungen des Auges, ſo ſchreitet deſſen Schädigung viel langſamer fort. Wir müſſen die trophiſche Wirkung lediglich als Nebenwirkung andersartiger Reize betrachten; jeder Nerv iſt dann für das Organ, zu dem er geht, gleichzeitig ein trophiſcher Nerv; denn die Reize, die er ihm zuführt, ſind Lebensbedingung für die Gewebe; ohne dieſe Reize gehen ſie zugrunde. Dieſe Reize aber veranlaſſen das Organ zur Tätigkeit, und die Tätigkeit wirkt auf den Stoffwechſel, Nervenſyſtem und Formbildung. 765 vielleicht wieder durch Vermittlung von Hormonen. So wächſt zwar eine bei einem Unkenembryo eingepflanzte überzählige Gliedmaße zunächſt heran; ſie verſchwindet aber ſchließlich durch Rückbildung, da ihr die Innervierung und damit auch die normale Tätig: keit fehlt. Sogar auf die Formbildung ſcheint dem Nervenſyſtem ein gewiſſer Einfluß zuzu— kommen, wenn er auch nur beſchränkt iſt. An embryonalen Organismen allerdings ſcheint die Regeneration abgeſchnittener Teile unabhängig vom zentralen Nervenſyſtem zu verlaufen und durch deſſen Schädigung nicht geſtört zu werden. Bei erwachſenen Tieren aber ſind andre Ergebniſſe erzielt. Herbſt hat gezeigt, daß ſich das abgeſchnittene Stielauge eines Krebſes nur dann regeneriert, wenn das Zentralnervenſyſtem unbeſchädigt iſt, und Verſuche mit Waſſermolchen (Molge), denen das Schwanzende abgeſchnitten wurde, zeigten, daß für den normalen Verlauf der regenerativen Neubildung des Schwanz— endes das Vorhandenſein des unverletzten oder doch des regenerierten Rückenmarks Be— dingung iſt. So ſtellen dieſe beiden Reizarten im Körper, die chemiſchen und die nervöſen Reize, die Bindung zwiſchen den Teilen her; in vielen Fällen wirkt jede Reizart für ſich; oft aber auch begegnen ſie uns in untrennbarem Zuſammenwirken. 3. Die Hnpaffung der Teile aneinander. Die Harmonie der Teile im Organismus iſt für den regelrechten Ablauf der Lebens— vorgänge notwendig. Aber ſie iſt nichts Selbſtverſtändliches, ſie verlangt eine Erklärung. Bei der Entwicklung eines Tieres aus dem Ei legen ſich die Organe oft in ganz anderen Größenverhältniſſen an, als ſie ſie im erwachſenen Zuſtande beſitzen: es gibt beim Wirbel— tier z. B. Entwicklungsgegenſtände, wo das Gehirn die Hälfte des ganzen Zentralnerven— ſyſtems ausmacht; der Kopf überwiegt anfänglich ſehr bedeutend gegenüber dem Rumpf; die embryonale Leber iſt viel größer als die des fertigen Tieres; beim jungen Tier bis zum Eintritt der geſchlechtlichen Reife iſt die Thymus ſtark ausgebildet und nimmt dann ſchnell an Umfang ab. So ändert ſich das Verhältnis der Teile zueinander im indivi— duellen Leben, und mit der Größe verändern ſich auch die Leiſtungen. Einzelne Funk— tionen können, entſprechend den Lebensbedingungen, hervortreten und drängen andre zurück. Die freie Beweglichkeit bei dem Jugendzuſtande eines Schmarotzers, etwa bei der Larve einer Sacculina (S. 68) geht verloren, und die Tätigkeit der Ernährungs— und Fortpflanzungsapparate tritt in den Vordergrund. Aber von vornherein beſitzen alle Organe die Fähigkeit des Wachstums, und es geht das Wachstum des einen ſicher nicht ohne Beeinträchtigung des anderen vor ſich. Unter dem Einfluß der ſich ent— wickelnden Geſchlechtsorgane z. B. ſchwindet beim Lachs ein großer Teil des mächtigen Seitenrumpfmuskels (S. 353). Kurz, das gegenſeitige Maſſen- und Formverhältnis der Teile iſt nicht ein für allemal feſtgelegt, ſondern es befindet ſich im Fluſſe und bedarf einer inneren Regelung. Die Teile des Körpers befinden ſich im Zuſtande des Wettbewerbs. Sie müſſen nebeneinander in einem beſchränkten Raume Platz finden, und müſſen ſich in die dar— gebotene Nahrungsmenge teilen. Wenn ſich ein Organ ſtärker ausdehnt, ſo nimmt es einem anderen den Raum weg; wenn eines dem Blut mehr Nahrung entzieht, ſo geht das auf Rechnung derer, die aus derſelben Quelle ſchöpfen. Dieſer Kampf der Teile im Organismus kann zu einem zerſtörenden Prinzip werden; wenn ein lebenswichtiger 166 Kampf der Teile im Organismus. Teil ſich zu ſchwach erweiſt und in dieſem Kampfe unterliegt, dann geht der ganze Körper zugrunde. Wenn z. B. eine krankhafte Wucherung, ein Abſzeß einen Druck auf einen Abſchnitt der Großhinrinde ausübt, ſo wird dieſer funktionsunfähig und das führt zu ſchweren Störungen im Haushalt des Körpers. Für gewöhnlich aber ſpielt ſich der Wettbewerb der Organe friedlicher ab und wird dann zum formgebenden Prinzip. Der Kampf der Teile um den Raum bewirkt ihre Anpaſſung an die Geſamtform des Körpers. In der geräumigen, breiten Leibeshöhle der Schildkröte nehmen Lungen, Magen, Nieren und Gonaden eine breite, maſſige Geſtalt an in Ausnutzung des gebotenen Raumes; bei den Schlangen dagegen müſſen die Organe ſich drängen und drücken: die eine Lunge ſchwindet ganz bei dem Kampf um den Raum, wie das ähnlich bei den ſchlangen— artig langgeſtreckten Blindwühlen (Gymnophionen) ſich anbahnt; Leber und Magen ſind ſchlank; die Nieren und Gonaden liegen nicht ſymmetriſch nebeneinander, wie es ihre urſprüngliche Anlage mit ſich bringt, ſondern ſie ſchieben ſich hintereinander. Der an— dauerndern Wirkung des Druckes von ſeiten der aufliegenden Muskeln iſt es zuzuſchreiben, daß das menſchliche Schienbein einen dreieckigen Querſchnitt hat, anſtatt eines runden oder elliptiſchen, wie er den mechaniſchen Anforderungen am beſten entſprechen würde. Beim Herzen der Vögel und Säuger beobachten wir eine Raumkonkurrenz der beiden Herzkammern. Die linke Kammer, der die größere Arbeit obliegt, trägt den Sieg davon, ſie wird formbeſtimmend für das ganze Herz; ſie erhält einen runden Querſchnitt, bei ihr ordnen ſich die Muskelmaſſen ſo an, wie ſie zur kräftigſten Wirkung auf den Inhalt des Hohlraums kommen, nämlich gleichmäßig um dieſen Hohlraum. Die rechte Kammer dagegen als die ſchwächere muß ſich jener fügen und legt ſich mit halbmondförmigem Querſchnitt um ſie herum, gleichſam ein Anhängſel (Abb. 286 S. 438). Die linke Lunge des Menſchen bleibt kleiner als die rechte, da das links in der Bruſthöhle ge— legene Herz ihr Raumkonkurrenz macht. Die Leber, deren Funktion eine beſtimmte äußere Geſtaltung nicht verlangt, iſt in ihrer Form ganz von den Nachbarorganen ab— hängig und ſchiebt ſich z. B. bei den Fiſchen ſo dicht in die Lücken zwiſchen den Darm— ſchlingen, daß ſie dieſe abgußartig ausfüllt. Vollends ſolche Teile wie Fettanhäufungen, die erſt nachträglich in den fertigen Organismus hineinkommen, ſind ganz darauf ange— wieſen, den Raum zu nehmen, der übrig bleibt. Auch der Kampf um die Nahrung läßt ſich vielfach in großer Deutlichkeit verfolgen. Eine Kuh, die reichlich Milch gibt, kann nicht gleichzeitig fett werden. Die Fiſchzüchter berichten, daß der Lederkarpfen, in deſſen Haut keine Schuppen gebildet werden, ſchneller wachſe als der Schuppenkarpfen, bei dem die Schuppen einen Teil der Nahrung zu ihrer Ausbildung erfordern. Beim Hungerſtoffwechſel nimmt das Gewicht der tätigſten Organe, die alſo am meiſten Stoff verbrauchen, wie Herz und Gehirn, gerade am wenigſten ab; ſie bemächtigen ſich der ſpärlichen Nährſtoffe auf Koſten der übrigen Organe, deren Maſſe dabei teilweiſe eingeſchmolzen wird. Während der Schwangerſchaft tritt bei den Frauen ſehr häufig, infolge des Verbrauchs von Kalkſalzen für die Frucht, ein Ver— luſt von Kalk in den Knochen ein, der nach der Geburt meiſt bald ausgeglichen wird; bei jahrelang ſtillenden Frauen, wo die Milchdrüſen dem Blute allen Kalk entziehen, kann ſolche Knochenerweichung den Charakter ſchwerer Erkrankung annehmen. Wie aber kommt es nun zu einer Regelung dieſer Konkurrenz, was entſcheidet den Sieg in dieſen Wettbewerb, und vor allem, was entſcheidet ihn derart, daß die Organe ſich zu ſolchem Umfang entwickeln, wie es dem Bedürfnis des Körpers gerade entſpricht. Es kann nicht ein feſtbeſtimmtes, einfach durch Vererbung von Generation zu Generation Funktionelle Anpaſſung. 767 übertragenes Größenverhältnis ſein, eine vorgeſehene Harmonie. Denn mit dem geſteigerten Bedürfnis wächſt innerhalb beſtimmter Grenzen auch das betreffende Organ. Wenn eine Niere wegen Krankheit herausoperiert wurde, ſo übernimmt die andre deren Arbeit mit und nimmt infolgedeſſen beträchtlich an Umfang zu. Übung führt zur Stärkung der Muskeln; Steigerung der Flüſſigkeitsmenge in den Kreislauforganen, wie bei Säufern, hat eine Erweiterung und Vergrößerung des Herzens zur Folge. Und nicht nur die aktive Arbeit eines Organes bewirkt deſſen Anpaſſung an die Funktion; auch paſſive Leiſtungen, Widerſtand gegen Zug- und Druckwirkungen, bedingen beſtimmte Anordnungen der Teile. Unter mechaniſchem Druck bilden ſich auf der inneren Handfläche dicke Hornſchwielen, die die darunterliegende Epidermis ſchützen. In bindegewebigen Häuten, die ſtarkem Zug ausgeſetzt ſind, wie den Muskelfascien, ordnen ſich die Faſern in der Richtung des Zuges an. Die Knochen der höheren Wirbeltiere ſind ſo gebaut, daß mit möglichſt wenig Maſſe eine möglichſt große Wirkung erreicht wird; die langen Knochen z. B. ſind hohl, mit kompakter Wand, und an ihren Enden wird Druck und Zug, die auf die Gelenkfläche und die Muskelanſätze ausgeübt werden, durch ein nach mechaniſchen Prin— zipien angeordnetes Gerüſtwerk dünner Knochenbälkchen auf die kompakten Wandungen übertragen; und bei veränderter Beanſpruchung, wie ſie z. B. nach ſchiefer Verheilung eines Knochenbruchs eintritt, bildet ſich dies Gerüſt in einiger Zeit ſo um, daß der Bau wieder den Anforderungen der Funktion genügt. Wenn dagegen ein Organ nicht gebraucht wird, ſo leidet es unter der Konkurrenz der anderen und verliert an Maſſe: ſo werden die Muskeln eines Armes ſchwach, wenn er wegen Knochenbruchs zu längerer Untätigkeit verurteilt war, und die Haut einer Hand, die keine harte Arbeit mehr ver— richtet, verliert die Hornſchwielen und wird dünner. Dieſe Selbſtregulierung der Größe und inneren Geſtaltung der Organe, die ſie in Harmonie mit den Bedürfniſſen des Körpers bringt, bezeichnet man als funktionelle An— paſſung. Man hat früher geglaubt, die Stärkung der Organe durch ihre Funktion auf die Weiſe erklären zu können, daß durch die Arbeit bezw. durch den Reiz, den die dabei entſtehenden Stoffwechſelprodukte ausüben, ein lebhafterer Zuſtrom von Blut und damit eine intenſivere Ernährung der arbeitenden Organe ſtattfinde. Aber wenn auch damit die Gelegenheit zu vermehrter Ernährung geboten iſt, ſo bleibt doch zu bedenken, daß Ernährung auf Tätigkeit der Zellen, auf aktiver Nahrungsaufnahme beruht und nicht durch die bloße Anweſenheit von Nährſtoffen ohne weiteres gegeben wird; ſonſt müßten ja die dem Darm benachbarten Gewebe am beſten ernährt ſein und am ſtärkſten wachſen. Die richtigere Auffaſſung iſt vielmehr die, daß funktionelle Reize, die zur Tätigkeit an— reizen, zugleich trophiſche Reize für die betreffenden Organe ſind, daß dieſe um ſo mehr zur Nahrungsaufnahme angeregt werden, je lebhafter ſie arbeiten; und daher kann es kommen, daß die bei der Arbeit verausgabten Stoffe nicht nur erſetzt, ſondern auch über den Verbrauch hinaus noch mehr Stoffe aſſimiliert werden und ſo ein Wachstum der funktionierenden Organe ſtattfindet. Dieſes Zuſammenfallen von funktionellem und trophiſchem Reiz iſt für die An— paſſung der Organismen an ihre Lebensbedingungen ungemein vorteilhaft. Wir müſſen eine Erklärung dafür ſuchen, wenn wir es nicht einfach teleologiſch als eine dem Proto— plasma als ſolchem innewohnende Zweckmäßigkeit anſehen wollen. Eine ſolche Erklärung hat W. Roux gegeben, dem wir dieſe ganzen Gedankengänge in erſter Linie verdanken: er verſucht, die erhaltungsgemäßen Einrichtungen des Protoplasmas auf den Kampf oder Wettbewerb der Teile im Organismus zurückzuführen. 768 Zuſammenfallen von funktionellem und trophiſchem Reiz. Nicht nur die Organe, die Gewebe, die Zellen im Körper befinden ſich untereinander im Wettbewerb um Raum und Nahrung, ſondern innerhalb der Zellen auch die kleinſten lebenstätigen Teilchen, die Lebenseinheiten, und zwar iſt der Wettbewerb zwiſchen dieſen gleichartigen Teilchen viel lebhafter als zwiſchen verſchiedenartigen Elementen, da ſie alle die gleichen Bedürfniſſe haben. Dieſe kleinſten Teilchen ſind zwar gleichartig; aber es iſt mit Sicherheit anzunehmen, daß ſie nicht völlig gleich ſind, ſondern daß kleine Ver— ſchiedenheiten zwiſchen ihnen vorhanden ſind, und ſolche Verſchiedenheiten können für den Ausgang des Kampfes den Ausſchlag geben. Wenn eine Subſtanz beſtändig in gleichem Maße aſſimiliert, ohne daß ſich bei ſtärkerem Verbrauch auch ihre Aſſimilation und der Ausgleich des Verluſtes ſteigert, dann wird ſie in Zeiten lebhafter Funktion im Nachteil ſein gegenüber einer Subſtanz, bei der die Stärke der Aſſimilation ſich nach dem Ver— brauch richtet: dieſe wird auch bei ſtarker Inanſpruchnahme ſich unvermindert erhalten, jene aber wird geſchädigt. Wenn aber eine Subſtanz ſo beſchaffen iſt, daß ſie bei leb— haftem Funktionieren nicht bloß das Verbrauchte erſetzt, ſondern den Verbrauch auch noch überkompenſiert, mehr aſſimiliert als ſie verloren hat, ſo wird dieſe jenen beiden überlegen ſein, ſie wird wachſen durch die Arbeit. Und wenn in der gleichen Zelle Subſtanzen mit ſolchen Verſchiedenheiten nebeneinander vorkommen, ſo wird diejenige, für die eine vermehrte Arbeit zugleich ein vermehrtes Wachstum mit ſich bringt, für die der Reiz eine Kräftigung bedeutet, in Zeiten ſtarker Inanſpruchnahme den andern über— legen ſein, ſie wird die anderen verdrängen und ſich an ihre Stelle ſetzen. Die Unterſchiede werden zunächſt nur klein ſein. Aber dieſe Ausleſe im Innern des Protoplasmas wird dazu führen, daß mehr und mehr allgemein die funktionellen Reize zugleich trophiſche Reize für das Protoplasma werden. Die Grundlage für dieſe „züchtende Ausleſe“ iſt alſo die qualitative Ungleichheit der der gleichen Funktion dienenden Teilchen; aus ihr ergibt ſich der Wettkampf von ſelbſt infolge des Stoffwechſels. Das iſt Roux's Theorie vom Kampf der Teile im Organismus. Sie zeigt den Weg, wie die mechaniſche Ent— ſtehung der „zweckmäßigen“ Protoplasmaeigenſchaften denkbar iſt. Durch die funktionelle Anpaſſung findet die Harmonie zwiſchen den Organen eine Erklärung; man kann in dieſem Sinne geradezu ſagen, daß das Bedürfnis ſich auch das Organ ſchafft. Dabei iſt es eine müßige Frage: was ändert ſich zuerſt, die Form oder die Funktion? Form und Funktion ſind nur zwei Seiten eines Organs oder eines Organismus, die ſich die eine bei dieſer, die andre bei jener Betrachtungsweiſe auf— drängen. Sie ſtehen in untrennbarem Zuſammenhang, in jenem Zuſammenhange, der uns bei allen bisherigen Auseinanderſetzungen geleitet hat und den Leuckart mit dem ſchon oben angeführten Ausſpruch kennzeichnet: „Lebensäußerung und Bau verhalten ſich zueinander wie die zwei Seiten einer Gleichung. Man kann keinen Faktor, auch nicht den kleinſten, verändern, ohne die Gleichung zu ſtören.“ A Abdomen 102 Abducens 738 Abſtammungslehre 56 ff. Acanthomethriden 5169 Accessorius 738 Achatinellen *79 Achroglobin) 420 Adhromatin!) 26, 531 ahromatiiche‘) Figur 533 Achſenſkelett ſ. Wirbel: ſäule Acusticus 738 adäquater Reiz? 604 Adrenalin?) 762 After 270f. Agamogonie 448 Akkommodation ?) 669 d. Alciopiden 669 d. Vertebraten 681 f. akone“) Augen 695 Akrodontie) 77, 317 Aktinien 90, #275, 5516 Bau 276 Befruchtung 462 Ernährung 269, 274 ff. Fermente 269 Lebensdauer 590 Meſenterialfilamente 276 Reizbarkeit 628, 710 Teilung 516 Albumin 22 Alciopiden Akkommodation 969 Begattung 495 Drüſenzellen *30 Geſchlechtsunterſchiede 473 Regiſter. bedeutet Abbildung; in den Worterklärungen bedeutet gr. griechiſch, lat. lateiniſch. Geſchlechtsverhältnis 495 Sehorgan 5658 f. 438 Altweiberſommer 176 Alveolen!“ 317 Ambos 634 Ambulakralgefäß⸗ ſyſtem ) 104, 164, 184, 361, 419, 434 Aminoſäuren 261 Amitoſe 537 Ammoniten 72, 98 Ammonshorn 745 Amnion !“) 83, 109 Amnioten!“ 109 Niere 409 ff. Amoeben Bewegung 115 Fortpflanzung 533, 534 Geſchwindigkeit 116 Größe 118 Kernteilung 449 f. 533, *534 Nahrungsaufnahme 263, *264 Amphibien j. a. Gymno⸗ phionen Akkommodation 683 Atmung 361, 369, 376 bis 382 Auge 674 Augengefäße 680 Befruchtung 462 f. Blut 420 Brunſtſpiele 488, Darm 345, 347 f. 464 Allantois“ 83, 109, 414, | | | | | | | | | | * 449 f., Duftorgane 483 Eier 568 Entwicklung 65 f., 579 f. Fettkörper 352 „fliegende“ Fröſche 229 Gehirn 737, 740 Gehörorgan 632 Geſchlechtsorgane 462 Geſchlechtsunterſchiede 475, 482, 494 Geſchmacksorgane 648 Haftorgane 223, 474 Herz 437, Herzgewicht 427 Hochzeitskleid 483 Kehlkopf 378 Kiemen 376 Klettern 219, 224 Körpertemperatur 442 Kreuzungen 469 Laich 456 Laichzeit 461 Larven 347, 397 Lebensdauer 590 Lebenszähigkeit 12f. Lunge 379 Nervenendigung 5610 Neotenie 589 Regeneration 510, 765 Riechorgan 653 Schallblaſen 392 Schnabel 330 f. Seitenorgane 617f. 459 Skelett 146, 148, 218, 383 Spermatophoren 461 Spermatozoen 454, 458 Springen 218 Stimmorgane 390f., 487 Stoffumſetzungen 353 Taſtorgane 608, 5617 Zähne 314, 317 Zunge 333f. ‚ ampbhicoele'*) Wirbel 139 Amphidisken !) 521 Amphimixis ) 544 Verjüngung durch 557 ff. Amphioxus 47, 105, 106, 107, 109 Atmung 368 Befruchtung 461 Blut 422 Endoſtyl 305 Entwicklung 88, 566 f, 567, 578 Epidermis 153 Exkretionsorgane 408 Gonaden 459 Nervenfaſern 596 Nervenſyſtem 724 Peribranchialraum 368 Riechorgan 652 Sehorgan 677 Skelett 132 Spermatozoen 53 Amphipoden Exkretion 406 Herz 432 Amphisbaeniden 142 Lunge 380 Ampulle!“ d. Bogengänge 625 d. Echinodermen 164 Anakrobioſe!“) 8, 355 analoge Organe 58 ff. 1) a gr. negierende Vorſilbe, chroma gr. Farbe. — 2) adaequare lat. gleichkommen. — 3) ad lat. bei, neben, ren lat. Niere. — 4) a gr. negierende Vorſilbe, gamos gr. Vermählung, gonos gr. Zeugung. — 5) accommodare lat. anpaſſen. — 6) a gr. negierende Vorſilbe, conus lat. Kegel. — 7) akron gr. Gipfel, odus gr. Zahn. — 8) albumen lat. Eiweiß. — 9) allas gr. wurſtförmiger Sack. — 10) alveolus lat. Höhlung. — 11) ambulacrum lat. Spaziergang; von ambulare lat. hin und her gehen. — 12) a gr. negierende Vorſilbe, mitos gr. Faden. — 13) amnion gr. Schafhaut. — 14) amphi gr. auf beiden Seiten, koilos gr. hohl, diskos gr. Scheibe, mixis gr. Vermiſchung. — 15) ampulla lat. bauchige Flaſche. — 16) a gr. negierende Vorſilbe, aer gr. Luft, bioo gr. leben. Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I. 49 770 Anamnier ) 109 Niere 409 anelektive Sinnes⸗ organe? 605 Animaleulum 573 animaler Pol) 568 Anneliden ſ. a. Chaeto⸗ poden, Gephyreen und Hirudineen 96, 99f., 100, 397 Atmung 359, 362 Befruchtung 461 f. Begattung 463 Bewegung 120 chemiſche Sinnesorgane 641 Circulationsorgane 362, 424, 428, 430 f. Eier 576 Eingeweidenerven 722 Exkretionsorgane 405 411 Feſtigung 127 Geſchlechtsorgane 503 Geſchlechtsverhältnis 495 Geſchlechtsunterſchiede 472 Glykogen 352 Hautmuskelſchlauch 161 Keimbahn 548 Larven 595, 178 Lebensdauer 590 Nervenſyſtem 677, 715, 716, 722 Parapodien 182, 202 Sehorgane 662, 3663, #664, 665, 666 f., 672f. Spermatozoen 53 Statocyſten 621, 623 Taſtorgane 607 Teilung 511 Annulata ſ. Anneliden anosmatiſch“) 655 partiell 656 Antagoniſten?“ 163 Antennendrüſe 406 1 459 ı Regiſter. Befruchtung 462 Skelett 125 Teilung 516 Viviparität 472 Aorta 436 Aortenbögen 438f., 439 Aphiden Generationswechſel 527 Geſchlechtsorgane 527 Metamorphoſe 234 Parthenogeneſe 506 Verdauung 294 Zuchtverſuche 529 Appendices pyloricae“) 346 Appendicularien 106 Atmung 368 Neotenie 589 Nervenſyſtem 723 Appoſitionsauge“ 699 Apterygoten 227 Atmung 392 Auge 693, 694 Exkretion 406 Gliedmaßen 102 Mundteile 5611 Springen 212 Tracheen 393 Arachnoideen 103 f. j. a. Milben, Skorpione, Solpugiden Atmung 361, 392 Atmungsorgane 393 Begattung und Begat— tungsorgane 465, 466 Blut 420 Blutgefäßſyſtem 432 f. chemiſcher Sinn 640 Darm 296 f., 415 Exkretionsorgane 406, 415 Geſchlechtsunterſchiede 475, 480, 491, 493, 500 f. Höhlenſpinnen 703 Laufen a. d. Waſſer 209 104 Nervenſyſtem 719 Schwimmen 205 Sehorgane 690 f., 692 Tänze 488 Verdauung 297 Arbeitsteilung 37, 755 ff. Skelett 127 f. Schmeckorgane *611 Taſtorgane 608, 610 Viviparität 472 Wachstum 127 Arthroſtraken 101 Archaeopteryx 74, 146, Articulare !°) 309, 634 230 Ardipallium °) 744 Archianneliden 100 Area centralis”) 678 Armfüßer ſ. Brachiopo⸗ den Armſchwingen 239 Arten Unterſcheidung d. 47 ff., 53 ff. Zahl d. 70, 224 Arterien 423 Bau d 429 Arthropoden ſ. a. Arach⸗ noideen, Cruſtaceen, In⸗ ſekten, Myriopoden, Pe⸗ ripatus 100 f. Baſtarde 469 chemiſche Sinnesorgane 1611, 642f. Gefäßſyſtem 432 f. Gehirn 720 ff. Eier 568 Ernährung 283 ff. Exkretionsorgane 416 Fetlkörper 352 Gelenke 122 Gliedmaßen 202 Geſchlechtsorgane 502 Geſchlechtsunterſchiede 473 Häutung 127 Lebensdauer 590 Munddrüſen 286 Nervenſyſtem 715 ff. Parthenogeneſe 506 Perikardialzellen 416 Perikardialſinus 432 406 7 459, Artikulaten 715 Aryknorpel n) 378 Ascidien 106 ff., 108, 19 Atmung 368 Blut 420 Befruchtung 462 Entwicklung 576 Geſchlechtsorgane 505 Mantel 131 Nervenſyſtem 723 Speichernieren 416 Stockbildung 519 Aſſeln ſ. Iſopoden Aſſimilation !? 5f. Aſſoziationsfaſern ) 716 Aſſoziationszentren!“) 732 Aſteriden 104 Atmung 361 Bewegung 184f. Ernährung 278 f., 758 Geſchlechtsorgane 502 Regeneration 510 Sehorgane 5664 107, 503 Aitigmatismus '*) 687 Atapismus !“ Atemzentrum 600 Atlas 151 Atmung 8, 355 ff. — 2 — 551 diffuſe 359 intramolekulare 9 lokaliſierte 359 Zahl d. Luftatmer 377 atok !“ 512 Auerbachſcher Plexus 709 Auge ſ. Sehorgane Augenachſen 687 Augenlider 689 Anthozoen ſ. a. Aktinien Lebensdauer 590 Sehganglion 720 Augenmuskeln 682f., 90 Mundteile 296 Sehorgane 690, 693 688 1) a gr. negierende Vorſilbe, amnion Schafhaut. — 2) a gr. negierende Vorſilbe, eligere lat. auswählen. — 3) animal lat. Tier. — 4) a gr. negierende Vorſilbe, osme gr. Geruch. — 5) anti gr. gegen, ago gr. handeln. — 6) appendix lat. Anhang, pyloros gr. Pförtner. — 7) apponere lat. dazu-, danebenlegen. — 8) archi- gr. ur-, anfangs, pallium lat. Mantel. — 9) area lat. Hof, centralis lat. in der Mitte gelegen. — 10) articularis lat. zum Gelenk gehörig. — 11) Abgekürzt für arytaenoid; arytaina gr. Schöpflöffel. — 12) assimilare lat. ähnlich machen. — 13) associare lat. vereinigen. — 14) a gr. negierende Vorſilbe, stigma gr. Punkt. — 15) atavus lat. Urahn. — 16) atokos gr. unfruchtbar. Augenſchädel 149 Auricularia (Larven— form) 178, 179 Autotomie) 511 Axon d. Ganglienzellen)!) 596 B Balanogloſſus 107 Balken (Gehirn) 743 Bandwürmer j. Geitoden Bartholiniſche Drüſe 338 Bärtierchen j. Tardigra⸗ den Baſalpapille gan) 631 Baſtardierung 56, 468 ff., 545 Bauchmark 715 Bauchrippen 155 Bauchſpeicheldrüſe 3047., 348, 762 Bauſtoffwechſel 257 Beckengürtel 152, 215 Befruchtung 530, 541 ff. Begattung und Begat⸗ tungsorgane 462 ff. Belegknochen 150 Betriebsſtoffwechſel 258 Bewegung 113 ff. amöboide 113 ff., 115, 157 durch Flimmern 116 ff., 158, 176 durch Flügel 224 ff. durch Hebelgliedmaßen 201 ff. durch Muskeltätigkeit 180 ff. durch Myoneme 118 durch Rückſtoß 186 durch Schlängelung 188 ff. durch Spannen 181 durch Sprung 117, 183, 211, 214 Bindehaut 689 Bipinnaria (Larve) 178 bipolar“) 596 (Gehöror— Regiſter. Blaſtocoel“) 88, 567 Blaſtoideen 75 Blajtomeren *) 566 Blaſtoporus) 567 Blaſtula *88, 120, 268, 567 Blattfüßer ſ. Phyllopo⸗ den Blattläuſe ſ. Aphiden Blendlinge 470 Blinddarm 346 Blindwühlen ſ. Amphis⸗ bäniden Blut 419 ff. Bewegung d. 423 Druck d. 428 Geſchwindigkeit 429 Stromrichtung 430 Blutegel ſ. Hirudineen Blutgefäße 418, 429 ff. Blutkörperchen 52, 419ff. Blutkriſtalle 54 Blutkuchen 423 Blutplasma 419 Blutſerum 423 Bogengänge 625 ff. Funktion 629 Borſtenwürmer ſ. Chae⸗ topoden Botalloſcher Gang 437ff. Bowmanſche Kapſel 409, 411, 413 Brachialganglion“ 715 Brachiopoden 99, 432, 757 Branchiopoden 101 Geſchlechtsunterſchiede 475 Hämoglobin 419 Herz 432 Parthenogeneſe 506 Bronchen“) 378 Brunſtfeige 485 Bruſtbein 143 Bruſtkorb 143, 144 Bruſtringe d. Inſekten 232, 233 Brutpflege 472 Bryozoen 96, 99 Exkretion 408 Funikulus 521 Knoſpung 518, 521 Statoblaſten 521 Stockbildung 519 Buccaldrüfen ’) 300, 304 Bulbus olfactorius °) 652, 743 bunodont“) 323 Bursae !“ d. Ophiuroiden 362, 434 Bürzeldrüſe 207 Büſchelkiemer ſ. Lopho⸗ branchier Butterkrebs 129 Byſſus 183 C (Siehe auch unter K und 2) Campanula Halleri 682 Canalis cochlearis 0631 Canalisneurentericus '?) 723 Caninen ) 321 Carotiden 436, 438 Carpus '*) 152 Genogeneje '’) 83 centrifugale Nerven!“) 600, 705 centripetale Nerven!“) 600, 705 centrolecithale Eier!“ 568 Centroſom““ 532 Centrum tendineum '®) 388 Cephalodiscus 107 Cephalopoden j. a. Octo⸗ poden 598, 466 Akkommodation 669 Anatomie 5366 Atmung 366 Auge 672, 373 f. Begattungsorgane 466f. Bewegung d. Rückſtoß 187 d. Schlängeln 190 f. 26, 457, 7 771 Blut 420 Darmkanal 303 f., 304 Eier 457 Embryonen 5572 Exkretionsorgane 407 Gehirn 714 Geſchlechtsreife 588 Geſchlechtsunterſchiede 475 Geſchlechtsverhältnis 495 Herz 433 Herzgewicht 425 Kiefer 303 Kiemen 365 Kiemenherzen 433 Knorpel 126 Lebensdauer 590 Lichtempfindlichkeit d. Hautzellen 656 Nervenfaſerkreuzung 689 Nervenfaſernleitungsge— ſchwindigkeit 599 Nervenſyſtem 711, 714f. Netzhaut 674 Pankreas 304 Radula 304 Schale 127 Sehganglion 674 Sehzellen 659 Speicheldrüſen 304 Spermatophoren 460 f. Spiralcoecum 304 ſtatiſches Sinnesorgan 621, 623, 630 Teleſkopauge 671, Verdauung 304 Ceraoſpongien 125 Cerebralganglion !) 709, 713 Ceſtoden 92f. ſ. a. Pla⸗ thelminten Atmung 355 Bau 94 Epidermis 126 Ernährung 45, 277 Exkretionsorgane 404 Generationswechſel 526 Geſchlechtsorgane 502 Glykogen 352 672 1) autos gr. ſelbſt, temno gr. ſchneiden. — 2) axon gr. Achſe. — 3) bis lat. zweimal. — 4) blastos gr. Keim, koilos gr. hohl, meros gr. den Teil, poros gr. Offnung. — 5) brachialis lat. zum Arm gehörig, ganglion gr. Knoten. — 6) bronchos gr. Luftröhre. — 7) bucea lat. Backe. — 8) bulbus lat. Zwiebel, olfacere lat. riechen, wittern. — 9) bunos gr. Höcker, odus gr. Bahn. — 10) bursa lat. Beutel, Taſche. — 11) cochlea lat. Schnecke. — 12) neuron gr. Nerv, enteron Darm. — 13) Hunds— zähne, Eckzähne; canis lat. Hund. — 14) karpos gr. Handwurzel. — 15) kainos gr. neu, genesis gr. Entſtehung. — 16) centrum lat. Mitte, fugere lat. fliehen, petere lat. zu erreichen ſuchen, lekithos gr. Dotter, soma gr. Körper, tendere lat ſpannen. — 17) cerebrum lat. Gehirn, ganglion gr. Nervenknoten. 49 * 112 Selbſtbefruchtung 505 Taſtorgane 610 Teilung 511, 515 Chaetopoden ſ. a. Anne⸗ liden 99 f., 100, 477, 5514 Begattung 463 Bewegung 181 f., 190 Blut 419f. Blutgefäßſyſtem 428, 430 f., 431 Chloragogenzellen 415 Darm 272, 282 f. Eier 456 Entwicklung 576, 583 Exkretionsorgane 404ff., 408, 415 Fortpflanzung 5447, 513 Generationswechſel 526 Geſchlechtsorgane 459 f., 502 Geſchlechtsreife 588 Geſchlechtsunterſchiede 493 Hämoglobin 419 Herz 424 Kiemen 362 Larven 595, 406 Lebensdauer 590 Muskeln 163 Nahrung 282 Nervenendigung 5610 Nervenſyſtem 677, 707, 16, f 720 Parapodien 100, 5182, 512 Paraſitismus 504 Parthenogeneſe 506 Penis 465 Regeneration 510 Schmuck 480 Segmentzahl 514 Sehorgane 601, 657, 660, 5664, 5660, 667, 673 Sinnesknoſpen 641 Solenocyten 406 Spermatozoen 553 Stützgewebe 127 Regiſter. Taſtorgane 610 Teilung 509,511, 512ff. vegetative Vermehrung 447, 529 Chamaeleonen 147 j. a. Reptilien Atmung 383 Auge 5684 Bruſtkorb 143 Extremitäten 213, 221 Kämpfe 476 Lichtempfindlichkeit 656 Lunge 383 Zunge 334, 5335 Zungenmuskeln 163 Cheliceren “) 296 Chelonier 331 j. a. Rep⸗ tilien Akkommodation 5683 Gefäßſyſtem 437 Lebensdauer 590 Penis 465 Rückenmark 729, 730 chemiſcher Sinn 638 ff. chemiſche Sinnesorgane 640 ff. Chemismus 760 Chilognathen 102 f. a. Myriopoden Atmung 393 Beine 211 Exkretionsorgane 406 Fettkörper 416 Speicherniere 416 Tracheen 393, 5394 Chilopoden 102 j. a. My⸗ riopoden Atmungsorgane 393 Beine 211 Begattung 463 Bewegung 211 Chiropteren 235 Auge 680 Darm 347 Flug 235 ff. Flügel 226 Flügelſkelett 239 Herzgewicht 427 Ohrmuſcheln 235 Rückenmark 729, 731 Taſthaare 615 Wanderungen 236 Zahl d. Arten 224 Chitin 127 Chitonen 97 j. a. Mollus⸗ ken Bau 98 Blut 420 Darm 303 Kieme 365 Nervenſyſtem 713 Chloragogenzellen ) 415 Chlorocruorin ?) 420 Chlorophyll?) 10 Choanen?) 381, 653 Choanoflagellaten85, 87 Chorda dorsalis) 105, 132 Chordaſcheide) 132 Chordatiere j. Chordata Chordata) 105 Ernährung 305 ff. Nervenſyſtem 722 ff. Waſſeratmung 367 ff. Chorda tympani*) 603 Chordotonalorgane“ 367f., 638 Chorioidea “) 676, 680 Chorion“) 456 Chromatin“) 26, 531 Bedeutung d. 547 Einfluß auf d. Plasma 580 Chromidialapparat“) 31 Chromidialſubſtanz“ 31 Chromidien“) 32 Chromoſomen“) 26, 531 Individualität d. 5367., 542, 552 ff., 562f. Zahl d. 52, 535f. Chylusdarm) 294 Chylusgefäße“ 350 Chylusmagen “) 294 | Giliarförper °) 676 Ciliaten 86, *265 Bewegung 116 ff., 164 Chlorophyll 43 Degeneration 529, 558 Ernährung 264ff., *265 Exkretion 402, 403 Glykogen 352 Größe 118 Heterogamie 452 Hungerverſuche 23 Kernteilung 533, 5534 Konjugation 5542, 543 Neurofibrillen 597 Panzer 114 Plasmaſtrömung 20 Regeneration 28 Schnelligkeit 118 Vermehrung 265 Wachstum 264 Circulationsorgane“ 417ff., 428 ff. Cirratuliden 362 Cirren !“) 116 d. Chaetopoden 362 Cirripedien Baſtarde 469 Entwicklung 67, 568 Ernährung 284 Exkretion 406 Geſchlechtsorgane 503f. Larven 175 Paraſitismus 44 Zwergmännchen 474 Cladoceren 175 Furchung 569 Generationswechſel 527 Parthenogeneſe 506 Schwimmen 203 Clavicula !) 215 Clitellum !) 456, 463 Clypeaſtriden 130 Cnidaria 89 ſ. a. Coe⸗ lenteraten Cnidocil!“) 756 Coccidien 86 Coelenteraten 89ff., ſ. a. Anthozoen, Ctenopho⸗ ren, Hydrozoen, Sch- phozoen, Siphonopho⸗ ren | Atmung 3597. Befruchtung 461f. chemiſcher Sinn 640 Circulation 275,417,430 Darm 271, 275 Darmflüſſigkeit 276 1) chele gr. Schere, keras gr. Horn. — 2) chloros gr. grün, agogas gr. wegführend, cruor lat. Blut, phyllon gr. Blatt. — 3) choane gr. Trichter. — 4) chorde gr. Saite, dorsum lat. Rücken, tympanon gr. Pauke, teino gr. ſpannen. — 5) chorion gr. Haut, Eihaut, eidos das Ausſehen. — 6) chroma gr. Farbe, soma gr. Körper. — 7) chylos gr. Saft, Nahrungsſaft. — 8) eilia lat. Augenwimpern. — 9) Kreislauforgane; eireulari lat. in einen Kreis zuſammentreten. — 10) cirrus lat. Ranke. — 11) elavis lat. Schlüfjel. — 12) elitellum lat. Sattel. — 13) knide gr. Neſſel, eilia lat. Wimpern. Desinfektion d. Nahrung 276 Eier 456, 576 Entwicklung 571, 576f. Ernährung 274f. Exkretion 403 Fortpflanzung 525f. Furchung 571 Geſchlechtsorgane 503 Geſchlechtsreife 588 Geſchlechtszellen 459 Knoſpung 518 Körpertemperatur 441 Lebensdauer 590 Nahrung 276 Nervenſyſtem * 706,709. Reizverſuche 710 Schweben 170 Sehzellen 659 ſtatiſtiſche Sinnesorgane *620 Stützlamelle 120, 125 Subumbrella 710 Taſtſinnesorgane 607, 610 Tentakeln 275, 640 Teilung 508, 511, 516 vegetative Fortpflanzung 508 Verdauung 275 Viviparität 472 Zellengröße 757 Coleopteren Flügel 231, 479 Geruchsſinn 644 Geſchlechtsunterſchiede 475, 480, 490, 493 Kämpfe 476 Springen 212 Coelom !) 99, 418 d. Vertebraten 440 Collembolen Atmung 392 Columella ) 632, * 633 Condylarthra 74 Conus arteriosus?) 436 Copepoden 175, 204 Antennen 204 Atmung 362 Baſtarde 469 Begattung 462 Regiſter. Bewegung 203 chemiſche Sinnesorgane 643 Ernährung 284 Geſchlechtsunterſchiede 473 Larven 101 Zirkulation 424 Zwergmännchen 474 Copula) 307 Coracoid“) 215 Cornea“) 674, 687 Corneagenzellen“) 6937. Corpus epitheliale“) 673 Corpus genieulatum‘) 741 Corpus striatum ’) 743 Goraldrüjen °) 406 Crangoniden 204 Cricoidknorpel“ 378 Crinoiden 104, *105, 106 Bewegung 186 Wimperurnen 434 Crista statica!“ 622 Cruſtaceen 100 ſ. a. Branchiopoden, Cirri⸗ pedien, Cladoceren, Copepoden, Cumaceen, Decapoden, Iſopoden, Oſtracoden, Phyllo⸗ poden, Schizopoden, Stomatopoden Antennen 642f. Antennendrüſe 406 Atmung 362 ff. Auge 695ff., 696, 699 Baſtarde 469 Begattung 462 Bewegung 203f. Blutgerinnung 423 chemiſche Sinnesorgane 642ff. Eier 555 Entwicklung 583 584 Ernährung 45, 284 f. Exkretion 406, 415 Fett 352 Gang 210 Gehör 619 Geſchlechtsorgane 503f. Geſchlechtsunterſchiede 473, 475, 477 Gliedmaßen 203, 284 476 Größe 129 Hämoglobin 419 Häutung 129 Herz 432 Larven 66, *175 Lebensdauer 590 Leber 273, 285f., 415 Nervenſyſtem 718 ff. Nervenleitungsgeſchwin— digkeit 599 Parthenogeneſe 506, 529 Regeneration 510 Schalendrüſe 406 Schweben 169 Spermatozoén 553 ſtatiſche Organe 622, *623, 624 Stimmapparate 487 Tieffeeaugen 700, 5701 Tiefſeekrebſe 704 Zirculationsorgane 424, 4327. Ctenophoren 1 chemiſcher Sinn 640 Diſſogonie 588 Eier 568 Entwicklung 569, 5577, 579 Flimmerung 1777. Größe 178 Klebzellen 275 Larven 178 Nervenſyſtem 711 Regenerationsvermögen 510 Schweben 169f. ſtatiſche Sinnesorgane 620ff. Taſtſinn 607 Tentakel 275, 607 Waſſergehalt 9 Cumaceen 101 Geſchlechtsunterſchiede 477 Cupula !) (am Geſchmacks⸗ organ) 647 U 91, 593 U Cycloſtomen 107, Cuvierſcher Gang 436, 440 109 Atmung 367, 372 Augen 674 Entwicklung 569 Gehirn 736, 740 Geſchlechtsorgane 50: 505 Kiemen 369 Kriechen 184 Labyrinth 624 Niere 409f., 411 Parietalauge 690 Riechorgan 652 Schädel 148 Speicherniere 416 Tod 588 Wirbelſäule 139 Cyprisſtadium 67 Cyprinodontiden 347 Begattungsorgan 465 Viviparität 472 Cyprinbiden Baſtarde 469 Eier, Zahl d. 455 Schlundknochen 5315 Schwimmblaſe 173 Seitenkanäle 618 Cyſtideen 75, 104 Cyſtoflagellaten 85 Cytaſe 261, 348 cytogene!“ Fortpflan⸗ zung 448ff., 453 ff. Cytopyge !) 262 Cytoſtom! ) 263 oO 0 D Daphniden ſ. u. Clado⸗ ceren Darmbein 215 Darmdrüſen 348 Darmmuskeln d. Vertebraten 350 Darmoberfläche 345 Darmparaſiten Verdauung 259 Darmzotten 345 Decapoden 101 Atmung 363 ff. 1) koilos gr. hohl. — 2) columella lat. Säulchen. — 3) conus lat. Kegel. — 4) copula lat. Verbindung. — 5) corax lat. Rabe: Rabenſchnabelbein. — 6) corneus lat. hornig: Hornhaut, genesis gr. Entſtehung. — 7) corpus lat. Körper, genu lat. Knie, striatus lat. geſtreift. — 8) coxa lat. Hüfte. — 9) krikos gr. Ring. — 10) crista lat. Leiſte, statos gr. ſtehend. — 11) cupula lat. Becher. — 12) kytos gr. Zelle, genesis gr. Entſtehung, pyge gr. After, stoma gr. Mund. 774 Begattung 462 Bewegung 205, 210, 211 Blut 420 chemiſcher Sinn 643 Darm 285 Eier 455 Embryo 5572 Entwicklung 583 Exkretion 406 Gliedmaßen 124 Häutung 128 Herz 432 Kaumagen 285 Kiemen 363 Larven 175 Lebensdauer 590 Leber 285 Scherenmuskeln 163 Schwimmen 187 Speicherniere 416 Spermatophoren 460 Statocyſten 620 Statolith 622 Stimmorgane 487 Deckknochen 150 Defäkation) 263 Degeneration °) 5557. Dendriten“) 596 Depreſſionen“ d. Protozoen 559 Desinfektion d. Nahrung 276, 281 Deſzendenztheorie ?) j. Abſtammungslehre Deutocerebrum °) 720 Dertrin 261 Diarthroſe“ 122 Diaſtaſe 259, 348 Diaſtema 319 Dickdarm 350 Dicyemiden Fortpflanzung 448 Didelphiden 77 Dinoflagellaten 85, 114 Diotocardier Kiemen 366 Diphycerkie“ 192 Diphyodont’) 319 Regiſter. Diplopoden ſ. Chilogna⸗ then Dipnoer 375 Atmung 3757. Choanen 381 Gefäßſyſtem 436 Riechorgan 652 Schwanzfloſſe 193 Schwimmblaſe 378 Zähne 316 Diprotodonten 77 Dipteren Anatomie 292 Begattungsorgan 474 Bewegung d. Larven 181, 184, 190, 212 Laufen a. d. Waſſer 209 Mundgliedmaßen 290 291 Pädogeneſe 588 Raife 474 Schwingkölbchen 233 Discomeduſen 90 Discoidalader 231 Diſſimilation !“) 4 Diſſogonie !) 588 dominierende!“ Merk⸗ male 556 Dornfortſätze 141 Dotter 454, 568 Einfluß a. d. Entwicklung 583 Dotterhaut 456 Druckpunkte 611 Druckſinnesorgane 613 Ductus Botalli !“) 437ff. Duftorgane 484f. Dunen 156 Dura mater ) 751 Dytisciden 396 Atmung 398 Auge 697 Eierſtock 29, #30 Gehör 636 Geſchlechtsunterſchiede 473 Larven 295 Mundteile 290 Ocellen der Larve 5666 Schmeckorgan 5643 Schwimmen 624 Verdauung d. Larve 295 E Echiniden 104, *130f. Bewegung 184ff. Blut 420 Eier 583 Entwicklung 5576 Entwicklungsmechanik 579 Geſchlechtsorgane 493 Kauapparat 279 Larve 27 Nahrung 279 Pedicellarien 605 Skelett 131 Stachelmuskeln 160 Echinochrom!“ 420 Echinodermen 104f. ſ. a. Aſteriden, Crinoiden, Echiniden, Holothurien, Ophiuroiden Atmung 361f., 434 Baſtarde 469 Befruchtung 461f. Bewegung 184f. Blut 420 Blutgefäßſyſtem 433f. Darm 279 Eier 19, 575f. Entwicklung 566, 576 Ernährung 278f., 758 Exkretion 403 Geſchlechtsorgane 502 Haut 120 Körpertemperatur 441 Larven 178, 179 Regeneration 510 459, Sehorgane 663 f., 664 Skelett 130f. Stacheln 122f. ſtatiſche Sinnesorgane 620 Taſtorgane 607, 610 Tiedemannſche Körper— chen 434 Viviparität 472 Waſſergefäßſyſtem 104, 164, 184, 361, 419, 434 Zellengröße 757 Echinothuriden 131 Echiuriden 99 Blutgefäßſyſtem 432 Larve 95 Gctoderm !°) 89, 568 Nahrungsaufnahme 269 Ectoplasma !°) 37, 114 Edentaten 77 Gebiß 329 Kaumagen 306 Kiefer 313 Magen 340f. Wirbel 146 Zunge 333 effektoriſche!n) Nerven 704 Egel ſ. Hirudineen Eier 453ff. Verſchiedenartigkeit d. 562ff. eigenwarm 441 Eihüllen 455 ff. Eileiter d. Vertebraten 411 Eingeweidenervenſyſtem der Artikulaten 722 Eintagsfliegen ſ. Ephe⸗ meriden Eiweiß 12, 13, 257 Elateriden Springen 212 elektive“) Färbung 595 elektive!) Sinnesorgane 604 Ellipſoidgelenk 123 Embryonen 572 endolymphatiſcher!“ Gang 624 Endolymphe !“ 625 Endopodit !’) 283 Endoſtyl !) 305 endotherme !“ Verbin⸗ dungen 5 1) faeces lat. Exkremente. — 2) degenerare lat. entarten. — 3) dendron gr. Baum. — 4) deprimere lat. niederdrücken. — 5) descendere lat. herabiteigen. — 6) deuteros gr. der zweite, cerebrum lat. Gehirn. — 7) diarthrosis gr. Gliederverbindung. — 8) diastema gr. Zwiſchenraum. — 9) diphyes gr. doppelt, kerkos gr. Schwanz, odus gr. Zahn. — 10) dissimilare lat. unähnlich machen. — 11) dissos gr. doppelt, goneia gr. Erzeugung. — 12) dominari lat. herrſchen. — 13) ductus lat. Leitung, Gang. — 14) durus lat. hart, mater lat. Mutter. — 15) echinos gr. Igel, chroma gr. Farbe. — 16) ectos gr. außen. — derma gr. Haut, plasma gr. Gebilde. — 17) efficere lat. bewirken. — 18) eligere lat. auswählen. — 19) endon gr. innen, Iympha lat. Waſſer, pus, podos gr. Fuß, stylos gr. Säule, thermos gr. Wärme. Regiſter. Energie 4f., 10, 0, 258 d. Protozoen 402 Entoderm) 89, 132, Farbe d. Exkrete 416 568 Erxkretkriſtalle“) 4027. Exopodit“ 284 exotherme) Verbindun— Entomoſtraken 101 Bewegung 203 Entoparaſiten) 259 gen 5 Entoplasma ) 114 Erxſpiration) 382 Entwicklung 566ff. extrazellulare“) Verdau— Abkürzung d. 582f. ung 270 Entwicklungsmechanik 575 F Entwicklungsreihen 72ff. Facettenauge 69 4ff. Enzyme 23, 260 Schema des Strahlen— Ependym 725 ganges 5696, 698 Ephemeriden Fächer Auge 699, 5700 Atmung 399 Geſchlechtsunterſchiede 474 d. Vogelauges 685 Fächertracheen 392 Facialis 729, 738 Fadenwürmer ſ. Nema⸗ Köpfe 5698 ioden Larven *397 Federn 155 f., 4427. Viviparität 472 Bau d. 239 Ephyren 90, 517, 525 Epidermis 119, 152 epigame Geſchlechtsbe— ſtimmung 562 Fermentorganismen 1) Epigeneſe) 572 ff. 2060 Epiphyſe) 690, 735, 742 Fett 257, 262, 351 f., us Epiſtropheus 151 Fibrin 1) 423 | epitok) 512 Fibrinogen!“ 423 Ernährung 257ff. Fibula !°) 152 Entwicklung d. *156 Femur !“) 152 Fermente!) 23, 259 d. Artropoden 283 ff. Fiſche ſ. a. Cycloſtomen, d. Cephalopoden 304 Dipnoer, Ganoiden, d. Chordaten 305 ff. Lophobranchier, Se— d. Inſekten 287ff. lachier d. Metazoen 268 Akkommodation 669, d. Mollusken 297 ff. *682f. d. Vertebraten 328f. Appendices pyloricae 346 Erſatznahrung 258 Atmung 371, 372,373 f. eucone*) Augen 695 | Auge 478, 670f, 674, 309, euſtachiſche Röhre * 682 | 376, 627 Augengefäße 680 | Evolution!) 572 ff. Baſtarde 469 | Evolutionstheorie“ Bau d. 107 | ſ. Abſtammungslehre Befruchtung 461 f. | Exkremente“ Begattung 474 Bewegung 191,195,224f. Brunſtſpiele 488 chemiſcher Sinn 640 d. Vertebraten 350f. Exkretion“) 400 ff. d. Arthropoden 415f. Darm 345, 347 Drehkrankheit 629 Eier 455 ff., 568 Embryonen 572 Entwicklung 5569, #586 Fett 352 fliegende Fiſche 224f. Floſſen 195f. Ganglienzellen 596 Gefäßſyſtem 435 f. Gehirn 737, 740 Gehör 627 Geſchlechtsorgane 502 f., 504 f., 458, 460, 492f. Geſchlechtsreife 588 Geſchlechtsunterſchiede 473, 475, 480 Geſchlechtsverhältnis 495 Geſchmacksorgan 648 Glanz d. 416f. Größe 475, 494 Guanin 417 Haftorgan 474 Haut 310f. Hautſkelett 154 Herz 435f. Herzgewichte 425f. Hochzeitskleid 483, Kämpfe 476 Kiefer 310, 313 Kiemen 369 f., 370,371 Körperform 192 Körpertemperatur 442 Labyrinth 630 Laichen 462 Laichausſchlag 482 Lebensdauer 590 Lebenszähigkeit 12 Magen 340 Metamorphoſe 583, Netzhaut 678 Niere 410 Pupille 686 Riechorgan 652 Rotes Organ 173 Rückenmark 729 Schlundknochen 315 Schmerzpunkte 619 489 586 775 Schnelligkeit 196 Schuppen 154 Schwanzform 192, 193 ff., * 195 Schwimmblaſe 171,377f. Seitenlinie 617, 618 Skelett 140, 196, * 197 Spermatozoen 553 Sperrvorrichtungen 165 Taſtorgane 608, 617, 618 Tiefſeeauge 670f. Viviparität 472 Zähne 314, 317 Zellengröße 757 Fissura rhinalis '*) 745 Flagellaten #34, *35, 85, #87, 571 Bewegung 1167. Chlorophyll 44 Ernährung 262 Fortpflanzung 450 ff. Geſchlechtszellen 454, 459, 502 Größe 118 Kopulation 531 Nahrungsaufnahme 264 Polkörperchen 505 Flagellum!) 545 Fledermäuſe |. pteren Flohkrebſe ſ.Amphipoden u. Gammariden Floſſen 192ff., 480 Flug 224 ff. Entwicklung des Flug— vermögens 227f. Geſchwindigkeit d. 247ff. Höhe d. 248 d. Inſekten 230, 231, 233 Segelflug 5251 d. Vögel 237 ff., 244, 246 Flügel 562 d. Chiropteren 236 Größe d. 227 Haltung d. 241 d. Inſekten 228 Länge d. 226 Chiro⸗ 1) entos gr. innen, derma gr. Haut, plasma gr. Gebilde. — 2) ependyma gr. Oberkleid. — 3) epi gr. auf, über, nach, gamos gr. Vermählung, genesis gr. Entſtehung, phyo gr. wachſen, strepho gr. drehen, epitokos gr. der Geburt nahe. — 4) eu gr. gut, echt, conus lat. Kegel. — 5) evolvere lat. auswickeln. — 6) excernere lat. ausſcheiden. — 7) exo gr. außen, pus, podos gr. Fuß, thermos gr. Wärme. — 8) exspirare lat. aushauchen. — 9) extra lat. außerhalb, cellula lat. Zelle. — 10) femur lat. Oberſchenkel. — 11) fermentum lat. Gärung. — 12) fibra lat. Faſer, genesis gr. Entſtehung. — 13) fibula lat. Spange. — 14) fissura lat. Spalte, rhis, rhinos gr. Naſe. — 15) flagellum lat. kleine Geißel. 716 Muskeln d. 232 d. Reptilien 229 Skelett d. 229, 238 d. Vögel 226, 238, 240 d. Wirbeltiere 229 Zahl d. Flügelſchläge 230 Flügelmuskeln (d. Inſektenherzens) 432 Follikelzellen) 455 f. Foramen parietale?) 690 Foramen transver- sarium ?) 143 Foraminiferen 84, 115 Nahrungsaufnahme 264 Forficuliden Auge 697 Flügel 231 Geſchlechtsreife 588 Variabilität 491 Fossa“) Sylvii 749 Fortpflanzung 447 ff. vegetative 508 ff. Fovea centralis) 678 Fundusdrüſen?“) 340 Funieulus °) (Bryozoeén) 521 Funktionelle Anpaſſung 767f. Funktionelle Selbſt⸗ geſtaltung 136 Funktionswechſel 39 Furchung 566 ff. äquale 567 diskoidale 569 inäquale 568, 5569 partielle * 568 ſuperficielle 569, 570 Fureula’) 216 G Gabelbein 216 Galle 349 Gallen (d. Inſekten) #55 Gallenblaſe 349 Gallertſchwämme ſ. Myroipongien Gameten) 448 Gammariden 101 Fühler *703 Gamogonie“ 448 Wichtigkeit d. 529 Ganglienzellen“) 598, 705 Ganglion?) 706 Ganoiden 109 Furchung *569 Kiemen 369 Schädel *149 Schwanzfloſſe *193 Wirbelſäule 139 Garneelen ſ. niden Gajtraca !°) 571 Gaſtrovaskularraum 1°) 359 Gajtrula !°) *88 *567 Bildung d. *570 Gaumen 329, 381 Gaumenſegel 337 Gebiß *324 ff. Gehörknöchelchen 6327. Entjtehung d. 309 Gehörorgan 631 ff. Gehirn 711 Arthropodengehirn 720, 21 Bedeutung d. 722 Cephalopodengehirn f Entwicklung d. , ee Gewicht 749f. Lokaliſation d. Gehirn- rinde 747 f. Vertebratengehirn 731ff. Geißeln 116 Geißeltierchen ſ. Slagel- laten Geißelzellen 91 d. Schwämme 277 Gelenke 122 f., 209 Gemmulae !) 5521. Generationswechſel !“ 222ff. Geologie!) 69f. Crango⸗ Regiſter. Geometriden 64 Bewegung 181 Gephyreen 96, 474 Blut 419 f. Chlorophyll 43 Entwicklung 570 Hämoglobin 419 Pigment 416 Larven 95, 178 Zwergmännchen 474 Geradflügler ſ. Ortho— pteren germinogen !) 550 Geruch 639, 651 Geruchsſinn d. Inſekten 644 d. Vertebraten 652 ff. Geruchsorgan 644, 5645, 646, 652 ff. Geſchlechtliche Zuchtwahl 497 Geſchlechtsbeſtimmung 561 ff. Geſchlechtsdrüſen ſ. Go— naden Geſchlechtsreife 588 Geſchlechtsunterſchiede 41 ſekundäre 472, 489 ff. Geſchlechtsverhältnis 495 Geſchmack 639, 651 Geſchmacksknoſpe 647, * 648, 649 Geſchmacksporus 647 Geſchmacksorgane 337, * 643 f, 647, 3648, 6409 ff. Gewebe 38 Gewebsatmung 356 Gewölle 344 Giftdrüſen d. Inſekten 286 Giftzähne 318, *319 Gigantoſtraken 103 Länge 5104 Glaskörper 674 Glasſchwämme ſ. Hexa⸗ etinelliden Gliazellen !“) 717, 725 7 Gliederfüßler ſ. Arthro— poden Gliedertiere ſ. Annulata Gliedmaßen 201 ff. Globulin 22 Glomerulus !“ 408, 412 Glomus !“) 410 Glossopharyngeus ) 738 Glyceriden Exkretionsorgane 404, 405, 407 Gefäßſyſtem 431 Glykogen !°) 9, 258, 351 Gnathoſtomen 307 Gonaden 418, 459 ff., Gewichte 492 Grandryſche Taſtkörper * 615 f. Gregarinen 86 Bewegung 119 Geſchwindigkeit 119 Greifſchwanz 147, 222 Größe d. Tiere 273, 474 f., 758 Großhirn 735, 743 Guanin 401, 416 Gymnophionen 766 Auge 674 Lunge 380 Niere 410 Wirbelzahl 140 Zähne 317 Gyrushippocampi'®)745, 749 9 Haare 155 f., 442 f., 613 Balg d. 615 Entwicklung d. 5157 Wechſel d. 157 Wurzelſcheide d. 157 Haarſterne ſ. Crinoideen Haftkiefer ſ. Plekto⸗ gnathen Haftlappen 5223 Haftorgane 223 Haifiſche ſ. Selachier Halichondrien 125 1) folliculus lat. kleiner Schlauch. — 2) foramen lat. Loch, paries lat. Wand, transversarius lat. querliegend. — 3) fossa lat. Graben. — 4) fovea lat. Grube, centralis lat. in der Mitte gelegen. — 5) fundus lat. Grund, Boden. — 6) funiculus lat. dünner Strick. — 7) furcula lat. kleine Gabel. — 8) gameo gr. heiraten, gonos gr. Zeugung. — 9) ganglion gr. Nerven⸗ knoten. — 10) gaster gr. Bauch, vasculum lat. kleines Gefäß. — 11) gemmula lat. kleine Knoſpe. — 12) generatio lat. Zeugung. — 13) gea gr. Erde, logos gr. Lehre. — 14) germen lat. Keim, genesis gr. Entſtehung. — 15) glia gr. Leim. — 16) glomus u. glomerulus lat. Knäuel. — 17) glossa gr. Zunge, pharynx gr. Schlund. — 18) glykys gr. ſüß, genesis gr. Entſtehung. — 19) gyros gr. Kreis, hippokampos gr. Seepferd. Halsmark 736 Halswirbel 142 Hämalkanal )) 145 Hämapophyſen ) 139 Hämerythrin) 420 Hammer 309, 634 Hämochanin ) 420 Hämoglobin ) 54, 358, 419 Hämolymphe) 419 Hämophilie) 423 Handſchwingen 239 Handwurzel 152 Harderſche Drüſe 689 Harn 414 Harnblaſe 414 Harnleiter 411 Harnſäure 401 Harnſtoff 401 Haut 120, 152 ff., 153 Hautdrüſen 153 f. Hautkanäle (Fiſche) 617f. Hautzähne (Selachier) 315 Hautſkelett 149 f., 154 f. Häutung d. Arthropoden 127 f. d. Vertebraten 156 Haversſche Kanäle 134 Hectocotylus 467 Heliozoen 85, 117 Größe 118 Hungerverſuche 27 Kernteilung 533, 5324 Koſpung 450, 5534 Kopulation 450, *451 531 Körperform 113 Reduktionsteilung 505, 542. Hemmungsnerven 704 Herbivoren?) 262 Herbſtſche Kolbenkörper— chen 615, 616 Hermaphroditismus 454, 502 f. lateraler H. 566 Herz 424 f. Gewicht d. 40, 425 ff. heterocerf?) 192, 193 Heterochromoſom) 562 7 Regiſter. heterodontes Gebiß 213 Heterogamie ) 452 Heterogonie) 527 Heteropoden 191 Auge 671, 673 Sehzellen 659 Waſſerreichtum 169 Heterotrichen 86 Größe 118 Heuſchreckenkrebſe ſ. Sto⸗ matopoden Hexapoden ſ. Inſekten Heractinelliden 124,92 Fortpflanzung 522 Hexonbaſen 261 Hilfsgewebe 39 Hilfszellen d. Eier 454f. Hinterhirn 733 Hippurſäure 402 Hirnnerven 724, 738 Hirnſchädel 148 Hirudineen 99, 5189 Atmung 362 Befruchtung 505 Begattung 467 Bewegung 181, 189 f. chemiſcher Sinn 639 ff. Darm *281 Eiablage 456, 5457 Ernährung 280 Exkretionsorgane 405ff., 406 Gefäßſyſtem 362, 431 Geſchlechtsorgane 459 f., 502 Hämoglobin 419 Kiefer 280 Kiemen 362 Körpertemperatur 441 Larven 99 Lebensdauer 590 Nahrung 281, 354 Nervenſyſtem 718 ff. Penis 465 Pigment 416 Regeneration 510 Rüſſel 280 Rüſſeldrüſen 281 Segmentzahl 515 Sehorgane 662, 661 Spermatophoren 460f Taſtorgane 610 Höhlentiere 71, 703 Hohltiere ſ. Coelente— raten Hohlvene 440 Holothurien 104 Bewegung 186 Eier 457, 583 Haut 131 Klettern 186 Larve 179 Magen 279 Skelett 120, 130, 131 Nahrung 279 Regeneration 510 Statocyſten 620 Tentakeln 279 Waſſerlungen 361 f., 434 Wimperurnen 434 Holotrichen 86 Größe 118 homöotherm ) 441 homologe “) Organe 58ff. homocerk“ 192 Honigtau d. Blattläuſe 294 Hormone“) 761f. Hornſchicht d. Haut 153 Hörorgane 631ff. Hörſand 625 601, 660, Hornſchwämme j. Cerao⸗ ſpongien Huf 217 Humerus ) 152 Hungerverſuche 353 Hüpferlinge ſ. TCopepoden Hydroidpolypen 43, *51, 89 f., * 520, 755 Arbeitsteilung 755 Bewegung 181 Fortpflanzung 525 Geſchlechtsorgane 459, 502 Gewebe 346 Knoſpung 509 Nematokalyx 269 TI Nervenſyſtem 709 Regeneration 40, 510, 574 Reizverſuche 707, 710 Stockbildung 520 Stützgerüſt 125 Teilung 516 hydrolytiſch“) 259 Hydromeduſen 51 Bewegung 186 Knoſpung 518, 521 Teilung 516 Waſſergehalt 9, 169 Hydrophiliden 396 Atmung 398 Darm 294 Hydrozoen ſ. polypen u. meduſen Hymenopteren Artenzahl 49 Auge 696 Darm 292 Eier 455 Flügelmuskeln 232 Gallen 555 Gehirn 721 Generationswechſel 527f. Geruchsorgan 646 Geruchsſinn 644 Geſchlechtsunterſchiede 478, 480 Geſchlechtsverhältnis 495 Hörzellen 637 Kämpfe d. Männchen 476 Larvendarm 271, 296 Lebensdauer 590 Mundteile 289 Nahrung 354 Ocelle 702 Parthenogeneſe 506 f. Samentaſche 462 Schmeckorgan 5643 Springen 212 Stachel 161 Tracheenſyſtem 394 Hyoid 308 Hyomandibulare 308,720 Hydroid⸗ Hydro⸗ 1) haima gr. Blut, apophysis gr. Auswuchs, erythros gr. rot, kyaneos gr. blau, globare lat. ſ. zuſammenballen, Iympha lat. Waſſer, philos gr. lieb. — 2) herba lat. Gras, vorare lat. verſchlingen. — 3) heteros gr. verſchieden, ungleich, kerkos gr. Schwanz, Chromosom ſ. d., odus gr. Zahn, gameo gr. heiraten, gonos gr. Zeugung. — 4) homoios gr. ähnlich, thermos gr. Wärme. — 5) homos gr. gleich, homologos gr. übereinſtimmend, kerkos gr. Schwanz. — 6) hormao gr. anregen. — 7) humerus lat. Oberarmfnochen. — 8) hydor gr. Waſſer, 1yo gr. löſen. 778 Hypermetropie ) 685 Hypoglossus?) 738 Hypophyſe) 735, 742, 762 Hypotrichen 117 Größe 118 Hypoxanthin 401 J Ichthyoſaurier 194 Schwanzfloſſe 194 Idioplasma )) ſ. Keim⸗ plasma leum ?) 215 Imaginalſcheibe“ 757 Inciſivi“ 321 Individualitätsſtufen 33 ff. Infundibulum“) 742 Infuſorien ſ. Ciliaten Inſekten ſ. a. Aphiden, Apterygoten, Coleop⸗ teren, Dipteren, Dytis- ciden, Elateriden, Ephe— meriden, Forficuliden, Hymenopteren, Lepi⸗ dopteren, Libellen, Neu⸗ ropteren, Orthopteren, Rhynchoten. Anatomie 292 Atmung 397 ff. Auge 478, 5696 f., 699 Baſtarde 469 Begattungsorgane 474 Blut 422 f. Blutgerinnung 423 Bruſtringe 232, 233 chemiſcher Sinn 640 chemiſche Sinnesorgane 643 Chordotonalorgane 637 Darm 291 f., 294 f. Duftorgane 485 Eier 455 ff. Embryo 84 Entwicklung 292, 585 Erleichterung 176 Ernährung 287 ff. 135, Regiſter. Exkretionsorgane 406, 415 Fettkörper 416 Flug 230 f., 254 Flügel 227 f., 479 Flügelbewegung 231 Flügelſchläge (Zahl) 230 Flugleiſtungen 234 Fühler 645, 478 Gang 211 Gefäßſyſtem 433 Gehirn 5721 Gehör 636 Generationswechſel 527, 528 Geruchsorgan * 646 Geruchsſinn 644 Geſchlechtsausführwege 460 Geſchlechtsbeſtimmung 562 Geſchlechtsorgane 502, 505, 527 Geſchlechtsreife 588 Geſchlechtsunterſchiede 473, 475, 477 ff., 480, 483, 490, 493 Geſchmacksorgan 5643 f. Giftdrüſen 286 Gliedmaßen 558, 176 Glykogen 351 Haftorgane 223 Hämoglobin 422 Häutung 128 Höhlentiere 703 Hörorgan 635 ff., 5636 Kämpfe d. Männchen 476 Kaumagen 293 Körpertemperatur 441 Kropf 293 Laich 456 Larven (Bewegung) 182, 184, 190 Laufen a. d. Waſſer 209 Lebensdauer 292, 590 Lebenszähigkeit 12 f. Mundgliedmaßen 287 ff. Muskeln 124 Muskeln d. Bruſt 232 Nahrungsmenge 294, 354 Nervenſyſtem 718 f., 719 Ocelle 669, 690 f., 691, 702 (Funktion) 701 f. Pädogeneſe 588 Parthenogeneſe 506 Penis 465 Perikardialzellen 416 Regeneration 510 Rektaldrüſen 296 Riechorgan 418, 644 f., 646 Sauerſtoffverbrauch 357 Saugmagen 293 Schmeckorgan 643 Schwimmen 624 Speicheldrüſen 286 Speicherniere 416 Spermatophoren 460 Spinndrüſen 286 Springen 211f. Stigmen 392, 394, 395 Stimmorgane 486 f, 487 Tapetum (d. Auges) 693 thermiſcher Sinn 638 Tracheen 171, 393 f., 394, 396 tympanale Organe 636f. Variabilität 490 Verdauung 294 ff. Viviparität 472 Wachstum 586 Zahl d. Arten 70, 224 Inſpiration“ 382 Intermaxillare !“) 308 intracelluläare!') Verdau⸗ ung 261, *269 Intusſusception !? 121 Inzucht 560 f. Iris 670 d. Cephalopoden 674 d. Vertebraten 686 Irismuskel Lichtempfindlichkeit 656 Ischium 215 iſodont!) 321 Iſogamie !“) 450 iſolecithale!“) Eier 568 Iſopoden 101, 397 Atmung 365 chemiſche Sinnesorgane 642 Exkretion 406 Herz 432 Gliedmaßen 210 Taſtorgan 611 Zwergmännchen 474 K Siehe auch unter C) Käferſchnecken ſ. Chi⸗ tonen Kaltpunkte 611, 638 Kammquallen ſ. Cteno⸗ phoren Kampf der Teile im Or⸗ ganismus 768 Kampforgane 476 Kanker ſ. Phalangiden Kapillaren!) 428 Kardinalvenen 436, 440 Karnivoren!“ 262 Karyokineſe !“) 449 Kajtration !”) 499 Ktatalyie !°) 260 Kataſtrophenlehre 69 Kaulquappen 347 Kaumagen d. Inſekten 293 d. Krokodile 306, 344 Rotatorien 271 Schnecken 303 . Bertebraten 306 d. Vögel 343 Kehlkopf 378, 390 Keimbahn 548, 549 Keimbezirke, organbil⸗ dende 575 ff. Keimblüschen 454 Keimblätter 89, 568 Keimfleck 454 Keimplasma 546ff. Kontinuität d. 549 Variationen d. 550 f. Keimſcheibe 568 S = = 1) hyper gr. über hinaus, metron gr. Maß, ops gr. Geſicht. — 2) hypo gr. unter, glossa gr. Zunge. — 3) hypophysis gr. Zuwachs. — 4) idios gr. eigen, plasma gr. Gebilde. — 5) ilia lat. Weichen. — 6) imago lat. Bild. — 7) Erg. dentes lat. Zähne, ineidere lat. einſchneiden. — 8) infundibulum lat. Trichter. — 9) inspirare lat. einatmen. — 10) inter lat. zwiſchen, maxilla lat. Kiefer. — 11) intra lat. innerhalb, cellula lat. Zelle. — 12) intus lat. hinein, suseipere lat. aufnehmen. — 13) isos gr. gleich, odus, odontos gr. Zahn, gameo gr. heiraten, lekithos gr. Dotter. — 14) Haargefäß; capillus lat. Haar. — 15) caro, carnis lat. Fleiſch, vorare lat. verſchlingen. — 16) karyon gr. Kern, kinesis gr. Bewegung. — 17) castrare lat. beſchneiden. — 18) katalyein gr. auflöſen. Keimſchicht 153 Kern (d. Zelle) 18, 26 ff. Regiſter. Kolbenkörperchen 612 Kolloide!) 21, 259 Einfluß a. d. Plasma 580 | Kolumella’) 309 Teilung d. 5449, 533, 536 Kern (Nervenſyſtem) 739 Kernkörperchen 26 Kiefer d. Cephalopoden 303 d. Schnecken 301 d. Vertebraten 307 ff. Kiefergelenk 324, 327 f. Kommiſſuren)) (Nerven: ſuyſtem) 713, 743 Kompenſation “) 496 Konjugation“) 5542 ff., * 543 Verjüngung durch 558 Konjunktiva) 689 Konnektive“ 712 Kontinuitätstheorie ) 69 Kiefertaſter 296, 465,466 Kopffüßler ſ. Cephalo⸗ Kiemen 361 ff. Kiemenblüttchen 371, * 372 Kiemenbogen 566 Kiemenherzen 433 Kiemenſpalten 106 Kieſelhornſchwämme ſ. Halichondrien Kieſelſchwämme 92 Klappenventile 430 Klebzellen (d. Cteno— phoren) 275 Kleinhirn 740 Kletterfuß 220 Klettern 207 f., 219 Kloake) 409, 460 Kloakentiere ſ. Mono: tremen Kniehöcker (Gehirn) 741 Knochen 133 Aſchengehalt 253 Dicke 137 Oberfläche 138 Struktur 135 Wachstum 136 Waſſergehalt 134 Knochenkörperchen 133, 134 Knorpel 133 d. Cephalopoden 126 Knoſpung 450, 5509, 518 ff. Köcherfliegen ſ. Phry⸗ ganiden Kohlehydrate 257 Kokon 456 poden Koprolithen!“ 345 Kopulation 448, 451, 542 f. Bedeutung, d. 544 ff. Wichtigkeit d. 529 Korallen ſ. Anthozoen Körperflüſſigkeit 417 ff. Körperform d. Protozoen 113 f. Körpertemperatur 441ff. Korrelation!) 40 ff., 498f, 761f. Koſtalader 231 Kot 351 Krallen d. Vertebraten 216 ff. KrauſeſcheEndkolben 612 Krebsſteine 128 Kreuzung 56, 468 ff. Kreuzwirbel 145, 215 Kriſtallkegel 695 Kriſtallſtiel (Muſcheln) 299 Krokodile Duftorgan 485 Kaumagen 306, 344 Penis 465 Taſtfleck 616 Zahnerſatz 5317 Kropf d. Inſekten 293 Krypten !?) 384 d. Lunge 379 Ktenidium !“) d. Mollusken 365 Kugelgelenk 123 Kutikularſaum 0 153 Kutis!) 120, 153 f. L Labferment 259 Labyrinth Gehörorgan) 624 ff., 625, 5626, 764 Einfluß a. d. Muskeln 630 Epithel 625 Funktion 628 knöchernes L. 626 knorpeliges L. 626 Phylogenie d. 630 Labyrinthfiſche Atmung 373f. Labyrinth 5374 Labyrinthodonten Foramen parietale 690 Labyrinthſchädel 149 Lagena !“) 625, 631 La ich 456 Lakunen !°) 419 Lamellibranchier ſ. u. Muſcheln Lamellicornier Fühler 478 Riechorgan 5646 Tracheenſyſtem 396 Langerſcher Muskel 674 Larvenorgane 582 Laterne des Ariſtoteles 279 Laufen 207 ff., 216 Laufpögel ſ. Ratiten Leben 3 ff. latentes L. 6 oſzillierendes L. 13 Leber d. Cephalopoden 304 . Erujtaceen 273 Legebohrer 473 Leibeshöhle 99, 418 Leucin 261 Lendenmark 736 Lepidopteren Baſtarde 56, 469 f., 545 Begattung 468, 497 Bewegung 181 Duftorgane 484 Flug 176, 230, 235 Flügel 64, 227, 479 Geruchsſinn 644 Geſchlechtsorgane 504 Geſchlechtsunterſchiede 475, 483, 490, 499 Geſchlechtsverhältnis 495 Lebensdauer 590 Lebenszähigkeit 12 Mundteile 290, 5291 Parthenogeneſe 506 Schnelligkeit 234 Wanderungen 234 Leptocephalus 585, 586 Libellen 697 Atmung d. Larve 400 Auge 696 f. Bewegung d. Larve 187 Flügelmuskeln 231. Geſchlechtsunterſchiede 483 Geſchmacksorgan 5643 Larven 29, 397% Mundteile d. Larve 288 Ocelle 5691 Raife 474 Thorax 5233 Tracheenkiemen 400 Wanderungen 234 Lieberkühnſche Drüſen 348 Liebespfeile 75 Linin !“ 26 Linſe 667 ff. Schnecken 270 ff., 302 Linſenquotient 681 d d. Muſcheln 299 d d . Vertebraten 273, 349, 402, 416 Lebensalter 585 ff., 757 ff. Lebenskraft 3, 15f. Lederhaut 120, 153 f. Lipaſe 262 Lippenknorpel 308 Lobus electricus !) 733 Lobus limbieus !“) 745 Lobus olfaetorius ) 743 1) cloaca lat. Abzugskanal. — 2) collum lat. Leim, eidos gr. Ausſehen. — 3) columella lat. Säulchen. — 4) commissura lat. Verbindung. — 5) compensare lat. ausgleichen. — 6) conjugatio lat. Verbindung. — 7) Bindehaut: conjungere lat. ver- binden. — 8) connectere lat. verknüpfen. — 9) continuus lat. zuſammenhängend. — 10) kopros gr. Kot, lithos gr. Stein. — 11) correlatio neulat. Wechſelbeziehung. — 12) kryptos gr. verborgen. — 13) kteis, ktenos gr. Kamm. — 14) eutis lat. Haut, outicula lat. Häutchen. — 15) lagena lat. Flaſche. — 16) lacuna lat. Lache, Lücke. — 17) linon gr. Lein, Faden. — 18) lobus lat. Lappen, limbus lat. Saum, olfacere lat. riechen. 780 Locuſtiden Auge 696 Gehörorgan 5636 Stimmapparat 500 Lokaliſation Hirn 747 Lophobranchier 142 Hautſkelett 154 Schwanz 147 Schwimmen 196 lophodont !) 323 Loſung 350 Luftſäcke *384, 443 Lunge d. Schnecken 367 d. Vertebraten 377 ff. Lungenpfeifen 384 Lungenſchnecken ſ. Pul⸗ monaten Lurchſiſche ſ. Dipnoer Lymphdrüſen 440 Lymphe) 417 Lymphherzen 440 385, M Macula neglecta“) 625 Magen 339 ff., *342, 344 Magenſaft 340 Makrogameten ) 452 Malakoſtraken 101 Malpighiſche Schläuche 415 Maltoſe 261 Mammalia ſ. Säugetiere Mandibel 284 Mandibulare°) 308 Manteltiere ſ. Tunikaten Mark verlängertes 736f. Markſcheide 599 Maſſenorgane 39 Masseter“) 325 Maul d. Stiche 310 f. d. Reptilien 311 f. Mauſer 157 Maxillare“ 308 | Regiſter. Marille) 284 Maxilloturbinale 653 mechaniſcher Sinn 607ff. Mechanismus 16 Meckelſcher Knorpel 308 Meduſen 89f. ſ. u. Coe⸗ lenteraten Meeresnacktſchnecken ſ. Opiſthobranchier Meibomſche Drüſen 689 Meißnerſche Taſtkörper⸗ chen 5612 Membrana 631 tectoria °) Mendelſche Regel 555 f. Merkelſche Körperchen 612 ff., 5613 Meroſtomen 103 Mejencephalon ®) 733 Meſenchym!) 575 Meſoderm 9 91, 418.568, Meſenterialſilamente 10 276 571 Meionephros ®) 409 ff., *411, 460 Metacarpus '') 152 Metageneje !!) 525 Metamorphoje !’) 581 jf Metanephros !) 409 Metatarsus 11) 152 Metazoen !)) Bewegung 119 ff. Ernährung 268 ff. Metencephalon !) 733 Mifrogameten !’) 452 Mifropyle!’) 457 mikrosmatiſch!“) 655 Mollusken 96 ff., *98 ſ. a. Cephalopoden, Ghito- nen, Heteropoden, Mu⸗ ſcheln, Scaphopoden, Schnecken | Atmung 365 ff. Baſtarde 469 Bewegung 182f. Blut 420 Blutgerinnung 423 | chemische Sinnesorgane 642 Darm 303 Entwicklung 576 ff. Ernährung 297 ff. Exkretionsorgane 407 Feſtigung 126 | Geſchlechtsorgane 459 f. Geſchlechtsunterſchiede 475 Glykogengehalt 352 Haut 120 Herz 433 Herzgewicht 425 Kiemen 365 Körpertemperatur 441 Larven 95, 178 Lebensdauer 590 Nervenſyſtem 711, 713f. Radula 301 | Schale 126 Sehorgane *665F., 6737. Sehzellen *659, 671 Speicherniere 416 Speicherung 352 | ſtatiſche Sinnesorgane 620 ff., 621, 622 Taſtorgane 607, 610 Milben j.a. Arachnoideen Molluskoideen 99 ſ. a. Atmung 361, 392 Blutkreislauf 424 Ruderbeine 203 Brachiopoden u. Bryo⸗ | zoen Larven 178 Mitoſe ) 449, 531ff, 532 Monotokardier 366 Mittelfuß 152 Mittelhand 152 Mittelohr 627 Mittelhirn 741 Molaren '’) 321 Monotremen 77, 472 Gebiß 329 Körpertemperatur 442 Lunge 380, 389 Magen 340 Penis 465 Schweißdrüſen 443 Speicheldrüſen 339 Zunge 333 Moostierchen ſ. Bryozoen Morphologie) 81 motoriſche !“) Endplatte 704 ‚ motorische !)) Nerven 704 Mucin !) 348 Müllerſche Larve 96, 405 Müllerſcher Gang 460 multipolare!“) Gang⸗ lienzellen 5596 f. Muſcheln 97 f., 598 Akkommodation 672 Anatomie 299 Atmung 366 Befruchtung 461 Bewegung 182 f., 186 Blut 420 chemiſche Sinnesorgane 642 Eier 456 f. Ernährung 297—299 Fuß 182 Geſchlechtsorgane 502 bis 505 Glykogen 352 Hämocyanin 420 Hämoglobin 419 Herz 433 Klettern 183 Kriſtallſtiel 299 Larven 96 Lebensdauer 590 Leber 299 Lichtempfindlichkeit 657, 661 Muskeln 159, 164 Nervenſyſtem 5713 f. Leitungsgeſchwindigkeit 599 Schloßband 164 Sehorgane 658, 666 Sehzellen 5659 Siphonen 297, 607 298 1) lophos gr. Kamm, odus, odontos gr. Zahn. — 2) Iympha lat. Waſſer. — 3) macula lat. Fleck, neglectus lat. ver⸗ nachläſſigt. — 4) makros gr. groß, gameo gr. heiraten. — 5) mandibula lat. Kinnbacken. — 6) masaomai gr. kauen. — 7) maxilla lat. Kiefer. — 8) tegere lat. bedecken. — 9) mesos gr. d. mittlere, encephalon gr. Gehirn, enchyma gr. das Ein- gegoſſene, derma gr. Haut, nephros gr. Niere. — 10) mesenterion gr. Gekröſe, fllamentum lat. Faden. — 11) meta gr. nach, karpos gr. Handwurzel genesis gr. Entſtehung, nephros gr. Niere, tarsos gr. Fußwurzel, zoon gr. Tier, encephalon gr. Gehirn. — 12) metamorphein gr. die Geſtalt wechſeln. — 13) mikros gr. klein, gameo gr. heiraten, pyle gr. Tor, osme gr. Geruch. — 14) mitos gr. Faden. — 15) Erg. dentes lat. Zähne, molere lat, mahlen. — 16) morphe gr. Geſtalt, logos gr. Lehre. — 17) movere lat. bewegen. — 18) mucus lat. Schleim. — 19) multum lat. viel. Regiſter. 781 Springen 183 N Nephridialſack“ 407 O ſtatiſches Organ 5621 Nabelſtrang 414 Nephridien“) 107, 404, Oberflächenorgane 39 Taſtfäden 607 Nachhirn 724, 733, 736 406 ff. Oberflächen vergröße— Turgor 121, 164f. Nachniere 411, 413 Nephrocyteu“ 416 rung 174 Variabilität 49 Nackenband 141 Nephrotom) 409 Oberhaut 119, 152 Waſſergehalt 9 Nahrung 8 ff. Nerven Oberſchlundganglion 715 muſiviſches ) Sehen Bedürfnis n. 354 formative Reize 764 Ocelle 1%) 662, 690 ff. 663, 695 f. Menge d. 35 ff. Leitungsgeſchwindigkeit Octopoden 98, 466 Muskeln 158 ff. Nährſtoffe 257 ff. 599 Begattungsorgan 466 Beeinfluſſung d. Licht Nährzellen 29 trophiſche Reize 764 Bewegung 187 656 Naſenſchädel 149 Nervencentren 598, 705ff. Geſchlechtsverhältnis 495 Glykogengehalt 352 Nauplius 66, 101, 583 Nervenfaſern 599 Harn 407 Hiſtologie d. 158 ff., Gliedmaßen 284 Nervennetz 709 Herzgewicht 425 160 Nematoden Nervenſyſtem 593 ff., Oculomotorius 10) 738 Tonus d. 630, 764 Arbeitsteilung 758 705 ff., 763 f. Odontoblaſten !) 315 Waſſergehalt 9 Atmung 9, 355 diffujes N. 706 Ohrmuſchel 634 Zahl d. Muskeln 124 Bewegung 190 Herkunft d. 600 d. Chiropteren 235 Muskelmagen ſ. Kau⸗ chemiſcher Sinn 642 Neſſeltiere ſ. Onidaria Ohrwürmer ſ. Forficu⸗ magen Entwicklung 571, 5548 Neſſelzellen 275, 756 liden Mutation? 551 Epidermis 126 Netzhaut 677 ff. Oligochaeten 99 ſ. a. Mutterkuchen 414, 438 Feſtigung 126 Neurapophyſen) 139 Chaetopoden Myoneme “ 118 Gefäßſyſtem 430 neurenteriſcher“) Kanal Geſchlechtsorgane 460 Myophane ) 118 Geſchlechtsorgane 503, 723 Kokon 456 Myopie 685 505 Neuroblaiten ®) 595 Olivenkern (Hirn) 740 Myoſepten ’) 139 Geſchlechtsunterſchiede Neurofibrillen“) 596, Omnivoren!?“ 262 Myriopoden 102 j. a. 472 f. * 597, 705 Onychophoren j. Peripa- Chilognathen u. Chilo- Glykogengehalt 352 Neuron“) 594 ff. patus poden Scheintod 7, 9 intraepitheliales 600 Oocyte !“) 539 Atmung 392f. Wachstum 586 Neuroporus “ 723 Oogoneſe n) 539 f. Begattung 463 Zellenzahl 52, 455, 586 Neuropil®) 706 Oogenie n) 539 Bewegung 211 Nematofalyr’) 269 Neuropteren Operkularkieme !) 370 chemiſche Sinnesorgane Nemertinen 94f. Baſtarde 469 Ophiuroiden 104 640 Blut 419f. Darm 271, 295 Bewegung 185 Exkretionsorgane 406, Darm 270 Geſchlechtsunterſchiede Burſae 362, 434 415 Exkretionsorgane 405 500 Darm 278 Fettkörper 416 Gefäßſyſtem 430 Mundteile 290, 292 Entwicklung 88 Gefäßſyſtem 433 Geſchlechtsorgane 505 Raife 474 Nahrung 279 Gliedmaßen 211 Herz 424 Verdauung 295 Opiſthobranchier 126 Haut 128 Körperflüſſigkeit 418 Nickhaut 689 opiſthocöle!“) Wirbel 140 Herz 432 Larven 595, 178, Nickhautdrüſe 689 Organ 39 Mundteile 284 Nervenſyſtem 712 Nieren 401 Orthogeneſe '°) 552 Nerven 719 Sehorgane 662 Nißlſche Schollen 32,597 Orthopteren Riechorgan 645 Viviparität 472 Nomarthra 77 Geſchlechtsunterſchiede Sehorgane 690 f., 693 Neokranium“) 148 Nuklein“) 26 478, 483 Speicherniere 416 Neopallium“) 744 Nukleolus“) 26 Hörorgan 636 Tracheen 393, #394 Neotenie“) 97, 589 Nukleoproteide“ 31 Mundteile 287 Myroſpongien 124 Neovitalismus“ 18 Nummuliten 118 Sehorgan 696 1) musaios gr. moſaikartig. — 2) mutare lat. verändern. — 3) mys, myos gr. Muskel, nema gr. Faden, phaino gr. erſcheinen, saeptum lat. Scheidewand. — 4) myein gr. ſchließen, ops gr. Auge. — 5) nema gr. Faden, kalyx gr. Kelch. — 6) neos gr. neu, kranion gr. Schädel, pallium lat. Mantel, teino gr. hinhalten, vita lat. Leben. — 7) nephros gr. Niere, nephridios gr. zur Niere gehörig, kytos gr. Zelle, tome gr. d. Schnitt. — 8) neuron gr. Nerv, apophysis gr. Auswuchs, enteron gr. Darm, blastos gr. Keim, fibra lat. Faſer, poros gr. Offnung, pilema gr. das Verfilzte. — 9) nueleus lat. Kern, protos gr. d. erſte. — 10) oculus lat. Auge, movere lat. bewegen. — 11) odus, odontos gr. Zahn, blastos gr. Keim. — 12) omnis lat. jeder, alles, vorare lat. verſchlingen. — 13) oon gr. Ei, kytos gr. Zelle, genesis gr. Entſtehung, gonos gr. Ab— ſtammung. — 14) operculum lat. Deckel. — 15) opisthen gr. hinten, koilos gr. hohl. — 16) orthos gr. gerade, bejtimmt gerichtet, genesis gr. Entwicklung. 182 Sprungbeine 212 Stimmorgane 486, 487 Thorax 233 Os entoglossum ') 335 Oskulum ?) 91, 277, 519 osmatiſch) 655 Diteoblaften *) 133 Regiſter Paraſiten!“) 262 Ernährung 10 Paraſphenoid 150 Parenchym!“ 25, 45 Parietalauge !) 690, 742 Parietalganglion !“) 713 Parotis !“) 338 Perleneſſenz 417 Pflugſcharbein 150 Pfortader 440 Phagocyten ?“ 353, 416, 419 Phalangiden 104, 480 Pharynx?) 299 Geſchlechtsunterſchiede 472 Körperflüſſigkeit 418 Nervenſyſtem 711 Penis 465 Rüſſel 278 Schlundkopf 278 Oſteoklaſten) 136, 482 Parthenogeneſe!“) 505 ff., Phryganiden Stützgewebe 120, 126 Dftien?) (Inſektenherz) 544 Atmung 399 Teilung 508, 511, 515f. 432 künſtliche 545 Laich 456 Plattwürmer ſ. Plathel⸗ Oſtrakoden Parthenogonidien!“ 453 Phyllopoden 101 minthen Blutkreislauf 424 Ernährung 284 Spermatozoen 454 Oval (d. Fiſche) 173 Oxydation 8 P Paedogeneſe“) 588 Paläokranium) 148 Paläontologie“ 69 Palatoquadratum “) Palingeneſe“) 81 ff. Pallium!“) 743 Pangeneſis !) 550 Pankreas!) 304 f., 348, 762 Panſen 342 Papilla foliata !?) 649, 650 Papilla fungiformis ) 649, 650 Papilla lagenae '?) 631 Papilla vallata '°) *649, 650 Papillen!) (d. Kutis) 154 Papulae '?) (Scejterne) 361, 434 Parabronden '*) 384 Parapodien ) *100, *182, 202, *512 308 Paukenfenſter 633 Paukenhöhle 632 Pauropoden Atmung 392 Pedalganglion?“ 713 Pedicellarien?) 130, 605 Pedipalpen?“ 296, 465f., 466 Pellikula ?? 114, 263 Penis? 464, 468 Pepſin 261, 339 Pepton 261, 350 Perennibranchiaten Atmung 376 Neotenie 589 Peribranchialraum?“ 106, 308 Perikardialſinus?) 432 Perikardialzellen?) 416 Perichondrium?) 751 perilymphatiſcher ) Raum 626 Perioſt? 138, 751 Peripatus 102, 103, 159 Exkretionsorgane 406 Tracheenſyſtem 393 Viviparität 472 Periſtaltik?“ 350 Periſtom? 265 Peritrichen 86 Atmung 363 chemiſche Sinnesorgane 643 Ernährung 284 Exkretion 406 Nervenſyſtem 719 Pleurodontie“ Plektognathen 154, 313 Pleuralganglion ? 713 de 317 Pluteus (Larve) 178 pökilotherm““ 441 Phylloſoma (Larve) 175 Polarität d. Zellen 575 Phyſokliſten 171 Phyſoſtomen 171 pia mater?) 751 Poliſche Blaſen 434 Polkörperchen 450, 453, 505, 539 Pigment?) (Exkretſtoffe) Polychaeten ſ. a. Chäto⸗ 416 Pigment (Auge) 660 f. Pigmentbecher 6617. Pilidium 595 Pinealauge “) 690, 742 Placenta) 414, 438 Placodermen 72 poden Exkretionsorgane 405 Polykladen 278 Befruchtung 467 Polypen 89f. ſ. u. Coe⸗ lenteraten polyphyodont 0) 316 Plagioſtomen ſ.Selachier Poren (Schwämme) 91, Plakoidſchuppe ) 3316 Plankton 169 Plathelminthen 92f. ſ. a. 277, 519 Porus abdominalis 460 Präformation: j Evo⸗ Ceſtoden, Trematoden, lution Turbellarien Atmung 360 chemiſcher Sinn 640 f. Exkretion 404 Gefäßſyſtem 430 Geſchlechtsorgane 459 f., 465 'Prümolaren ?) 76, 321 Presbyopie?“) 685 procöle Wirbel“) *140 progame !“) Geſchlechts⸗ beſtimmung 561f. Proglottiden !) 515 Pronephros 0 409, 411 1) os lat. Knochen, entos gr. innen, glossa gr. Zunge. — 2) osculum lat. kleiner Mund. — 3) osme gr. Geruch. — 4) osteon gr. Knochen, blastos gr. Keim, Klao gr. zerbrechen. — 5) ostium lat. Mündung. — 6) pais, paidos gr. das Kind, genesis gr. Entſtehung. — 7) palaios gr. alt, kranion gr. Schädel, logos gr. Lehre. — 8) palatum lat. Gaumen, quadratus lat. viereckig. — 9) palin gr. wiederholt, genesis gr. Entwicklung — 10) pallium lat. Mantel. — 11) pan gr. alles, gignomai gr. erzeugen, kreas gr. Fleiſch. — 12) papilla lat. Warze, folium lat. Blatt, fungus lat. Pilz, lagena ſ. d., vallare lat. mit Wall umgeben. — 13) papula lat. Bläschen. — 14) para gr. neben, bronchos gr. Luftröhre, pus, podos gr. Fuß. — 15) parasitos gr. neben jmd. ſpeiſend. — 16) parenchyma gr. d. Füllſel. — 17) paries lat. Wand, ganglion gr. Nervenknoten. — 18) para gr. neben, os, otos gr. Ohr. — 19) parthenos gr. Jungfer, genesis gr. Zeugung, gonidion gr. Brut. — 20) pes, pedis lat. Fuß, ganglion gr. Nervenknoten, palpare lat. taſten. — 21) pedicellus lat. kleiner Stiel. — 22) pellicula lat. Häutchen. — 23) penis lat. männliches Glied. — 24) peri gr. um, herum, branchia gr. Kiemen, kardia gr. Herz, chondros gr. Knorpel, osteon gr. Knochen, stoma gr. Mund. — 25) peristaltikos gr. umfaſſend und zuſammendrückend. — 26) phagein gr. freſſen, kytos gr. Zelle. — 27) pharynx gr. Schlund. — 28) pius lat. zart, mater lat. Mutter. — 29) pingere lat. färben. — 30) ſ. Epiphyse, pinea lat. Tannenzapfen. — 31) placenta lat. Kuchen. — 32) plax, plakos gr. Platte, eidos gr. Ausſehen. — 33) planctos gr. umhertreibend. — 34) pleura gr. Seite, ganglion gr. Nervenknoten, odus, odontos gr. Zahn. — 35) poikilos gr. bunt, wechſelnd, thermos gr. Wärme. — 36) polys gr. viel, phyo gr. erzeugen, odus, odontos gr. Zahn. — 37) prae lat. vor, formare lat. bilden. — 38) Erg. dentes lat. Zähne, prae lat. vor, ſ. Molaren. — 39) presbys gr. alt, ops, opos gr. Auge. — 40) pro lat. vor, koilos gr. hohl, gamos gr. Vermählung, nephros gr. Niere. — 41) proglottis gr. Zungenfpiße. Proteine) 4 Protencephalon) 734 Proterandrie ) 505 proteroglyph“) 318 Protiſten) 18 Protocerebrum ') 720 Protogynie) 505 Protonephridien ) 93, 404 ff. Protoplasma) 3, 18ff. Protozoen S4 ff., ſ. a. Amoeben, Ciliaten, Flagellaten, Heliozoen, Radiolarien, Sporo⸗ zoen, Suktorien Bewegung 115 ff. eytogene Fortpflanzung 448 ff. Dauerzuſtände 176 Degeneration 558 Ernährung 263 f., 267 Exkretion 402 Fortpflanzung 531 Generationswechſel 523 ff. Größe 118 Hungerverſuche Kernteilung 533 f. Kolonien 33, 87 Kopulation 542f. Körperform 113 f. Parthenogeneſe 508 Reduktionsteilung 543 Reizbarkeit 594 Schnelligkeit d. Teilun— gen 265 Skelett 114 Speicherſtoffe 352 Teilung 450, 534 Vakuolen, kontraktile 402 vegetative Vermehrung 508 Verdauung 267 Proſenchym 25 Pſalter 342 pſeudokone“ Augen 695 Pſeudopodien“ 84, 114 27 Regiſter. pſychiſche Vorgänge 748 Pterygoid) 318 Pubis“) 215 Pulmonaten Atmung 170, 367 Geſchlechtsorgane 502 Radula 302 Spermatophoren 460 f. Pulpahöhle“ 320 f. Pulvillus®) 5223 Pupille 670 Puppenſtadium 67 Pygoſtyl“) 75, 146 Pylorusdrüfe '') (Tuni⸗ faten) 305 Pyramidenbahn 727 Pyramidenkreuzung 739 Q Quadratojugale '') 308, 310 Quadratum !') 634 Quallen 89 f. ſ. u. Coe⸗ lenteraten R Rabenbein 215 Radiolarien 85, 3169 Gallertmantel 169 Größe 118 Körperform 113 Schwimmen 173 vegetative Fortpflanzung 508 Rädertiere ſ. Rotatorien Radius !?) 152 Radula!) 300f., #301, 304 Radulataſche!) 301 Raife 474 Randquallen meduſen Ratiten 241 Raumökonomie 765f. Rautengrube 735, 737 Receptaculum seminis'‘) 462 ſ. Hydro⸗ Receptionsorgane “ 606 receptoriiche '°) Nerven 704 receſſive!“) Merkmale 556 Reduktionsteilung !“) 540, 543, 553 Reflexe 708 Reflexorgan 707, 726 Regeneration! 40,509f., 574, 759 Einfluß d. Nerven a. d. 765 Regenwürmer ſ. Oligo- chaeten Reifung d. Eier 539 Einfluß a. d. Plasma 580 Reißzahn 324 Rektaldrüſen !“) 296 Reptilien ſ. a Chamäle⸗ onen, Chelonier, Kroko⸗ dile, Schlangen Akkommodation 683 Atmung 382f. Auge 675, #684 Bewegung 198, 219, 229 Duftorgane 485 Eier 456 Embryonen *65 Ernährung 328 Flug 229, 237 Foramen parietale 690 Gang 213 Gefäßſyſtem 437 Gehirn 740 Geſchlechtsunterſchiede 475, 480, 483, 494 Giftdrüſen 339 Gliedmaßen 61—64, 563 Größe 475 Haftorgan 223 Herz 437 Herzgewicht 428 Kämpfe der Männchen 476 2214, * 708 — O 5 183 Klettern 219 ff. Körpertemperatur 442 Lebensdauer 590 Linſe 684 Lunge 379f., #383 Maul 311f., 330f. Nahrungsbedürfnis 354 Penis 465 Pupille 686 Riechorgan 653 Schenkeldrüſen 485 Schmeckorgan 648 Schnabel 330 f. Skelett 63 Spiele 489 Stimme 487 Taſtorgane 608, 5616, 6 Verbreitung 767. Wirbel *140, 142, Zähne 314, 317 Zunge 334, 335 Zungenmuskeln 163 Reſervezellen 757 Reſidualluft?“ 380 Reſorption ?) 258, 349f. Retina?) 677ff. Retinula?? 694 145 rhabdocoel?) 278 Rhabdom ) 695 Rhizopoden Saff. Körperform 114 Rhynchoten 397 Laufen a. d. Waſſer 209 Mundgliedmaßen 289, 290 Rhynchocephalen 155 Richtungskörper 450,453, 505, 539 Riechhirn 743 Riechkolben 652, 743 Riechlappen 743 Ringelkrebſe ſ. Arthro⸗ ſtraken J Ringelwürmer ſ. Anne: liden Rippen 143 1) protos gr. d. erſte, encephalon gr. Gehirn, cerebrum lat. Gehirn, gyne gr. Weib, nephros gr. Niere, plasma gr. Gebilde. — 2) proteros gr. der frühere, aner, andros gr. Mann. — 3) protero gr. vorn, glyphein gr. aushöhlen. — 4) pseudein gr. lügen, vortäuſchen, conus lat. Kegel, pus, podos gr. Fuß. — 5) pteryx gr. Flügel, eidos gr. Geſtalt. — 6) Schambein; pubes lat. mannbar. — 7) pulpa lat. d Fleiſchige. — 8) pulvillus lat. kleines Kiffen. — 9) pyge gr. Steiß, stylos gr. Säule. — 10) pyloros gr. Pförtner. — 11) Erg. os lat. Knochen, jugum lat. Joch. — 12) radius lat. Speiche. — 13) radula lat Schab— eiſen. — 14) receptaculum lat. Behältnis, semen, seminis lat. Samen. — 15) recipere lat. aufnehmen. — 16) recedere lat. zurücktreten. — 17) reducere lat. zurückführen. — 18) regenerare lat, wieder erzeugen. — 19) Enddarm; rectus lat. gerade. — 20) residere lat. zurückbleiben. — 21) xresorbere lat. aufſaugen. — 22) Netzhaut; rete lat. Netz. — 23) rhabdos gr. Stab, koilos gr. hohl. 784 Rippenquallen ſ. Cteno⸗ phoren Riviniſche Drüſe 338 Rochen f. Selachier Rollhügel 135 Rotatorien 96 Arbeitsteilung 756f. Begattung 467 Bewegung 181 Epidermis 126 Flimmerung 177 Exkretionsorgane 405 Generationswechſel 527 Geſchlechtsbeſtimmung 562 Geſchlechtsunterſchiede 472 Größe 177 Kiefer 271 Lebensdauer 590 Muskeln 159 Neotenie 589 Parthenogeneſe 506 Scheintod 7, 9 Zellenzahl 586 Rotes Organ (Fiſche) 173 Rückenmark 725 ff Rückenſaite 105, 132 Rückſchlag 557 Rudergliedmaßen 203 Ruderſchnecken 190 Auge 672 Niere 416 rudimentäre!) 63 ff. | Rundmäuler j. Cyclo- ſtomen Ruffiniſche Nervenknäuel | 612 Rütteln 246 S Sacculus?) 625 215 Salmoniden 313, 481 Baſtarde 469f. Drehkrankheit 629 Eizahl 455 Geſchlechtsreife 588 Pori abdominales 460 Schwanzfloſſe 193 Organe Sakralwirbel ’) 140, 145, Regiſter. Skelett 197 Stoffumſatz 353 Salpen 106, * 526f. Befruchtung 462 Bewegung 188 Eizahl 522 Gefäßſyſtem 434 Geſchlechtsorgan 505 Herz 161 Knoſpung 518 Mantel 131 Nervenſyſtem 723 Stolo prolifer 519 Vaſſergehalt 9 Samenkörper ſ. Sperma⸗ tozoen Samentaſche 462 Saprozoen) 262 Sarkolemm“ 159 Sarkoplasma ) 158 Sattelgelenk 123 Sauerſtoff 8 Menge in Luft u. Waſſer 356 ff. Verbrauch d. 358 Säugetiere ſ. a. Chiro⸗ pteren, Edentaten, Mo⸗ notremen, Wale Akkommodation 683f. Atmung 388. Auge 671, 675, 685 Augenlider 689 Baſtarde 470f. Blutkriſtalle 54 Bruſtbein 145 Choanen 381 Darm 346 ff. Duftorgan 485 Eier 453 Embryo 412 Exkretionsorgane 409 ff. Fett 352 Fingerſtellung 221 Flugorgane 229f. Füße 203, 208 | Gebiß 324—330, 324 Gefäßſyſtem 438 Gehirn 732, #744, 745, 750 | Gehirngewicht 732,749 f. Gehörknöchelchen 634 680, Gehörorgan 5633, 635 Geſchlechtsunterſchiede 476, 481f., 494, 500 Greifſchwanz 147, 222 Größe 476 Haare 613 Haarwechſel 157 Haftballen 224 Hautdrüſen 653 Hautſinnesorgane 611ff. Herzgewicht 426f. Kaumagen 306 Kehlkopf 392 Kiefer 136, 313, 324, 327f. Kleinhirn 740 Klettern 221f. Körpertemperatur 4427. Krallen 221 Lebensdauer 590 Lebenszähigkeit 13 Linſe 52 Lunge 389 Magen 340ff., 342 Maul 312 Muskeln 124, 215 Nahrung 354 Niere 409ff. Penis 407f. Riechorgan 652ff., * 652, 654, 5655 Rückenmark 729 — 732, 1317 732 Schädel 314, 325, 326 Schmeckorgane 648 ff., * 648, 649, 650 Schultergürtel 215 Schweißdrüſen 415, 443 Schwimmen 202f. Skelett *62, 137 Skelettgewicht 138, 253 Speicheldrüſen 339 Spermatozoen 454, 458 Sperrvorrichtungen 166 Spiele 489 Springen 2177. Stammesentwicklung 73 Stimme 487 Taſtorgane 608, *614f. Variabilität 491 Verbreitung 76—78 Wange 329 Wirbelſäule 141f., 144, 146, 151 Zähne 319ff., 320, 322, | 326 [Zunge 162, 329, 333, 336 ff., 650 Zaungenpapillen 337 Sauginfuſorien j. Sue⸗ torien Saugmagen d. Inſekten 293 Saugwürmer ſ. Trema⸗ matoden Saurier 194 Sauropſiden 109, 227 Scala media“) 631 „ tympani“) 631 „ Vestibuli“) 631 Scaphopoden Atmung 366 Entwicklung 576, 5578f. Scapula“ 215 Schädel 148 ff. Wirbeltheorie d. 109 Schallblaſe (Amphibien) 392 Schalendrüſe 406 Schambein 215 Scharniergelenk 122 Scheinfüßchen 84, 114 Scheintod 7, 13, 759 Schilddrüſe 762 Schildkröten ſ. Chelo⸗ nier Schizopoden 101, 204, * 621 Exkretion 406 Statocyſten 620, 5621 Schlangen 201, 5318 Atmung 5382 Auge 675 Bewegung 3198 ff. Fangzähne 317 Giftdrüſe 339 Klettern 201 Lunge 380 Maul 312, #320 Nahrungsbedürfnis 354 Penis 465 Schädel *313 Schnelligfeit 199 Schuppen *199 1) rudimentum lat. erſter Anfang, erſter Verſuch. — 2) saceulus lat. kleiner Sad. — 3) Kreuzbein; sacralis lat. heilig. — -4) sapros gr. faulend, zoon gr. Tier. — 5) sarx, sarkos gr. Fleiſch, lemma gr. Hülle, plasma gr. Gebilde. — 6) scala lat. Treppe, medius lat. d. mittlere, tympanon gr. Pauke, vestibulum lat. Vorraum. — 7) scapula lat. Schulterblatt. Schwanz 194 Skelett 65, *200, *334 Speichel 302 Taſtorgane 617 Viviparität 472 Wirbelzahl 140 Zähne 317 ff., *319 Zungenbein 334 Schlangenſterneſ.Ophiu— roiden Schlängelbewegung 1587. Schleichenlurche j. Gym⸗ nophionen Schleifenkreuzung 759 Schlund d. Wirbeltiere 339 Schlundknochen 315 Schlundring 713, 720 Schlüſſelbein 215 Schmarotzer 262 Schmelzſchupper ſ. Ga⸗ noiden Schmerzpunkte 611, 613, 619 Schmuckorgan 479ff. Schnabel 312, 330f. Schnabelkerfe ſ. Rhyn⸗ choten Schnurwürmer j. Nemer⸗ tinen Schnecke (Gehörorgan) 5632 Schnecken 598, 300, 5396, 0 Anatomie 5367 Atmung 365ff. Baſtarde 469f. Befruchtung 505 Begattung 458, 462 Bewegung 181, 183f., 183, 190 Blut 420 Byſſus 183 chemiſche Sinnesorgane 642 Darm 303 Eier 456 Entwicklung 576, 5577 Erleichterung 170 Ernährung 299f. Exkretion 404, 415 Regiſter. Geſchlechtsorgane 502ff. Geſchlechtsreife 588 Geſchmacksſinn 639 Größe 475 Hämoglobin 419 Herz 433 Kiefer 301 Kiemen 367 Larve 95 Lebensdauer 590 Leber 270, 272, 303 Liebespfeile 575, 545 546 Magen 303 Magenſaft 294 Nervenſyſtem 713 Penis 465 Pharynx 299f. Radula 3007. Reizverſuche 709 Rüſſel 299 Schnelligkeit 116, 184 Sehen 672 Sehorgane 662, 5665 ff. Sehzellen 659, 671ff., 0 2 Skelett 126 Speicheldrüſen 300, 302 Speicherniere 416 Spermatozoen 553 Viviparität 472 Waſſergehalt 9 Schnellkäfer ſ. Elateriden Schulterblatt 215 Schulterfittich 239 Schultergürtel 215 Schwämme ſ. Spongien Schwannſche Scheide 595, 599, 704 Schwanz 147, 222 Schwanzfloſſen 193 Schwanzwirbel 145f. Schwebefauna ſ. Plankton Schweißdrüſen 153, 443 Schwimmblaſe 171, 377 Schwimmen 202f, 205 Schwimmhäute 203, 205 Schwimmkäfer ſ. Dytis⸗ ciden u. Hydrophiliden Schwimmſchnecken j. He— teropoden Schwingkölbchen 233 Scyphozoen 89 Generationswechſel 517, 525 Keimzellen 459 Teilung 516, 525 Waſſergehalt 169 Seegurken ſ Holothurien Seeigel ſ. Echiniden Seeroſen ſ. Aktinien Seeſcheiden ſ. Ascidien Seeſterne ſ. Aſteriden Segelflug 237,250 f., 251, * 252 Segmentalorgane ! 406f. Segmentierung!) 99 Reduktion d. 2U9f. Sehen, körperliches 687 Sehganglion d. Arthropoden 720 d. Cephalopoden 674 Sehhügel 741 Sehnen 162 Sehnerv 741 Bahn d. 742 | Kreuzung d. 688, *679 | Sehorgane 656 ff. diffuſe S. 657 Pigment d. 660 ff. Sehzellen 658 ff. Sehpurpur 680 Seitenlinie d. Fiſche 617f. ſekodont) 323 Sekretin) 762 Sekretion, innere 761 ſekretoriſche“) Nerven 704 Selachier 109, *310 Bewegung "191, *192 Darm 345 Eier 456 endolymphatiſcher Gang 624 Gehirn 733, 735, 5737 Geſchlechtsunterſchiede 480 Haut 316 Hautzähne 154 Herzgewicht 426 Kieferſkelett 307, 308, 313 Kiemen 369 Kleinhirn 740 Maul 380 Niere 410, 412 Pori abdominales 460 Penis 465 Pupille 686, #687 Riechorgan 652 Schädel 148 f. Seitenorgane 617 Skelett 139 Selbſtbefruchtung 505 ſelenodontes) Gebiß 323 Serum?) 54f. Sexualcharaktere, ſe— kundäre 472, 489 ff. Sinkgeſchwindigkeit Waſſer 168 Sinneshügel 617 Sinnesknospen 617 im Sinnesorgane 601ff. Zuſammenwirken d. 702 ff. Sinneszellen 606f. Sinus“ (Blut) 419, 428 Sinus frontalis ’) 654 „ sphenoidalis 654 „ uxrogenitalis“ 465 Siphonen“ d. Mollusken 297, 607 Siphonophoren‘) 36, 520 Gasbehälter 170 Knoſpung 518 Verdauung 275 Waſſerreichtum 169 Sitzbein 215 Skelett 120ff. Gewichte 138 Sklera? 674 Sklerodermiten“ 125 Skorpione 103 Atmung 392 Blut 420 Ernährung 296 Viviparität 472 Sohlengänger 208 Solenocyten!“) 404, 406 ſolenoglyph!“) 318 1) segmentum lat. Abſchnitt. — 2) secare lat. ſchneiden, odus, odontos gr. Zahn. — 3) secernere lat. abſondern. — 1) selene gr. Mond, Halbmond, odus, odontos gr. Zahn. — 5) serum lat. Blutwaſſer. — 6) sexus lat. Geſchlecht. — 7) sinus lat. Bucht, Hohlraum, frons, frontis lat. Stirn, uron gr. Harn, genitalis zur Zeugung gehörig. — 8) siphon gr. Röhre, phorein gr. tragen. — 9) skleros gr. hart, derma gr. Haut. — 10) solen gr. Röhre, kytos gr. Zelle, glyphein gr. aushöhlen. Heſſe u. Doflein, Tierbau u. Tierleben. I 50 186 Solpugiden 284 Geſchlechtsunterſchiede 500 Nervenſyſtem 719 Soma!) 548 fomatogen !) 550 Sonnentierchen ſ. Helio⸗ zoen Spaltfüße 100, 202 Spaltfußkrebſe ſ. Schizo⸗ poden Spannen (Bewegung) *181 Spanner j. Geometriden ſpeziſiſche Sinnesenergie 603f. Speicheldrüſen d. Inſekten 286 d. Schnecken 302 d. Vertebraten 338 Speicherniere 416 Speicherung 351ff. Sperma? Maſſe d. 458 f. Spermatide °) 538 Spermatogeneſe? 5538, * 540 Spermatogonie? 538 Spermatophoren? *460f. Spermatozoen?) 453 ff. Bau d. 457, 538 Größe d. 454 Lebenszähigkeit 462 Verſchiedenartigkeit 562ff. Spermatozyte? 538 Spermien? 453 Sperrvorrichtungen 164, 165, 5166 Spiele 488 Spinalganglien?) 726 Spinalnerven ) 726 Spinndrüſen d. Inſekten 286 53, 1) soma gr. Körper, gignomai gr. erzeugen. — phorein gr. tragen, zoon gr. Tier, kytos gr. Zelle. — Regiſter. Spinnentiere ſ. Arach- ſtatiſcher“) Sinn 605 noideen Statoblaſten“ 521 Spiralcoccum“ Statocyſten“) *620, d. Cephalopoden 304 Spongien 91 Atmung 359 Befruchtung 461f. Eier 456 Ernährung 269, 277 Gemmulae 5521 Geſchlechtszellen 459 Geſchlechtsorgane 503 Knoſpung 518, 520f. Regeneration 510 Skelett 124f. Stockbildung 519 vegetative Fortpflanzung 508 Viviparität 472 Spongioſa “) 134 Sporozoen 86 Bewegung 119 Generationswechſel 525 Parthenogeneſe 508 Springen 207 ff. d. Inſekten 211 d. Vertebraten 214 ff. d. Vögel 244 N Spritzloch 307, 369 Squamosum °) 309 Staatenquallen ſ Sipho- nophoren Stäbchen (d. Sehzellen) 659 d. Cephalopoden 674 d. Vertebraten 678ff. Stachelhäuter ſ. Echino⸗ dermen Stammesentwicklung 80 ff. Stammganglion 743 Stärke 261 ſtatiſche“) Sinnesorgane 619 ff. Verbreitung d. 623 *621, 622 f. Statolithen“ 620, 622 Stegocephalen 72, 154 Steigbügel 634 Steißbein 145 Stigmen) 392, 394 * 395 Stimmorgane 485 ff. d. Orthopteren 487 d. Vertebraten 390 ff. Stirnaugen 669 701f., Stockbildung 35, 519 Stoffwanderungen 351 Stoffwechſel 4, 257 ff., 492 Stolonen“) 519 Stolo prolifer 9) 519, 527 Stomatopoden 101, 204 Blut 420 Exkretion 406 Herz 432 Kiemen 363 Strahlentierchen ſ. Ra- diolarien Stratum corneum!“ 153 75 granulosum ') 153 Stratum mucosum 153!) Strobilation !!) 516 f., 525 Strepſipteren 228 Streifenkörper 743 Strickleiternervenſyſtem 712 Strudelwürmer j. Tur⸗ bellarien Subinteſtinalvene !) 436 Sublingualis ) 338 Submaxillaris !) 338 Subumbrella !?) 710 Suctorien 86 Nahrungsaufnahme 267 Superpofitionsauge !?) 699 Sylviſche Furche 749 ſympathiſches “) Nerven⸗ ſyſtem 599, 722 Synarthroſe!) 122 Synaseidien 519 Syncytium !“) 18 ſyngame !) Geſchlechtsbe⸗ ſtimmung 561, 563 Syrinx !)) 390 Syſtematik 48 ff. 23 Talgdrüſen 153 Tanzen (d. Tanzmäuſe) 629 Tapetum ! (i. Auge) 681, 693 Tardigraden 7, 9 Tarsus ““) 152 Taſchenventile 430 Taſtfedern 609 Taſthaare 609 Taſtkörperchen 612 Taſtorgan 605 Taſtſinn 607 ff. Tauſendfüßer ſ. Myrio⸗ poden Tectibranchier 366 Teilung 508, 511 f., #512 Bedeutung d. 517 Telencephalon?) 734 Teleoſtier ſ. u. Fiſche Teleſkopauge?“) 5670, 5671, 672 telolecithale?) Eier 568 Temperaturſinnes⸗ organe 614 Tentakeln?) 275, 607 Tetanus?) 165 Tetraden?) 540 Tetractinelliden 124 Thalamus opticus 20 741 thekodont?) 317 2) sperma gr. Same, genesis gr. Entſtehung, gonos gr. Abſtammung, 3) spinalis lat. zur spina gehörig; spina (lat. Dorn) = Wirbelſäule. — 4) coecus lat. blind; hier coecum - Blinddarm. — 5) Schwammige Knochenſtruktur; von spongia gr. Schwamm. — 6) Erg. os lat. Knochen; squamosus lat. ſchuppig. — 7) statos gr. ſtehend, blastos gr. Keim, kystis gr. Bluſe, lithos gr. Stein. — S) stigma gr. Punkt. — 9) stolo lat. Wurzelſproß, proles lat. Nachkommenſchaft, ferre lat. bringen. — 10) stratus lat. hin⸗ gebreitet, corneus lat. aus Horn, granum lat. Korn, mucus lat. Schleim. — 11) strobilos gr. Tannenzapfen. — 12) sub lat. unter, intestinum lat. Eingeweide, lingua lat. Zunge, maxilla lat. Kiefer, umbrella neulat. vom franz. ombrelle, Schirm. — 13) superponere lat. darüberlegen. — 14) sympathein gr. mitempfinden. — 15) synarthrosis gr. Vergliederung. — 16) syn gr. zuſammen, gamos gr. Heirat, kytos gr. Zelle. — 17) syrinx gr. Pfeife. — 18) tapetum lat. Teppich. — 19) tarsus lat. Fuß⸗ wurzel. — 20) telos gr. Ende, encephalon gr. Hirn, skopein gr. blicken, lekithos gr. Dotter. — 21) tentare lat. betaſten. — 22) tetanos gr. d. Zucken. — 23) tetras gr. eine Anzahl von vier Stück. — 24) thalamus gr. Zimmer, opticos gr. zum Gehen gehörig. — 25) theke gr. Behältnis, odus, odontos gr. Zahn. Regiſter. 787 thermiſcher)) Sinn 638 Trichocyſten “ 266 vegetative Fortpflanzung unipolare?“ Ganglien— Thorax) 100, 102 Trigeminus '?) 738 508 zellen 596 Thymus 762 Trikladen 179 Turbanauge 699, 700 Univerſalſinnesorgane Thyreoidfnorpel‘) 379 Tritocerebrum !) 720 Turbellarien 92, *94, 605, 610 Tibia) 152 trituberkulare !“) Zähne 95, 397 Urdarm 88, 567 Tiedemannſche Körper- 322 Atmung 359 Ureter ?) 411 chen 434 Trechanter maior ) 135 Befruchtung 467, 505 Urgeſchlechtszellen 538 Tiefſeetiere 671,700f. 704 Trochlearis !“) 738 Begattung 467 Urmund 567 Tierarten, Zahl d., 224 Trochophora 82, 595 Bewegung 3179, 181, Urnahrung 257 Tiere, feſtſitzende 45 Exkretionsorgane 405 184 Urniere 409 ff., 411,460 Unterſchiede zur Pflanze Größe 178 f chemiſcher Sinn 640f. Urzeugung 13, 80 43 ff. Trochophoratiere 96 Chlorophyll 43 Utrieulus ?) 625 Tierverbreitung 75 ff. Trochus ) 366 Darm 5278 Tintenfiihe ſ. Cephalo- Trommelfell 627, 632 Defäkation 278 | V poden Trommelſucht 172 Eier 456 Vagus 50) 148, 729, 738 Tod 559 trophiſchen) Reize (d. Entwicklung 593 Variabilität?) 6, 49, Tonus“ 160, 164 Nerven) 763 f. Epidermis 126 490 ff., 554 Trachea 378 Truneus arxteriosus 200 Exkretionsorgane 404, Vater-Paciniſche Körper⸗ Tracheen) 102, 392 ff. 436 405 chen 612 ff., 613 Bau d. 394 Trypſin 261, 339, 348 Flimmerung 177 Vegetative? Fortpflan— Luſtblaſen 396 Tubulus contortus 413 —Gefäßſyſtem 278 zung 448 Syſtem d. 5394 „ rectus 2) 413 Geſchlechtsorgane 502 Vegetativer ??) Pol 568 Verſchlußapparat 395 Tunikaten 105 ff., * 108, Larven 595, 178 Veliger (Larve) #97, 178 Tracheenlungen“) 392 ſ. a. Ascidien, Salpen Nahrung 278 Venen 423 Tracheenkiemen) 228, Atmung 368 Nervenſyſtem 711 f., Struktur d. 429 399, 400 Auge 677 712 Syſtem d. 439f. Tränendrüſe 689f. Befruchtung 461 f., 580 Regeneration 510 Venenklappen 430 Transformatoren?) 604, Bewegung 188 Segmentierung 99 Venenſinus ) 436 658 f. Blut 420 Sehorgane 661, 662 Ventrikel Gehirn) 735 Transfuſion “ (d. Blutes) Entwicklung 576, 584 Spermatophoren 464 Verdauung 258 54 Gefäßſyſtem 434 f., 434 Taſtorgan 610 extracelluläre V. 270 Transplantation 10) 760 Geſchlechtsorgane 503, Teilung 511, 515 f. intracelluläre V. 261 Transversun !!) 318 505, 602 Wimpergrübchen 641 d. Protozoen 267 Trematoden 92 f., 94 Herz 430 Turgor ) 120 Vererbung 6, 530 ff. Befruchtung 505 Knoſpung 518 als Antagoniſt 164 erworbener Eigenſchaften Darm 278 Mantel 131 tympanale?) Organe 549, 763 Eier 456 Neotenie 589 636f. Verſteifung 262 Epidermis 126 Nervenſyſtem 722 ff. Typhloſolis?) 282 Verſteinerungskunde 69 Exkretionsorgane 405 Peribranchialraum 368 Tyroſin 261 Vertebraten 105 f., ſ. a. Gefäßſyſtem 278 Pylorusdrüſe 305 Amphibien, Am⸗ Geſchlechtsorgane 502 f. Skelett 131 u phiorus, Fiſche, Rep⸗ Geſchlechtsunterſchiede Speicherniere 416 Ulma?°) 152 tilien, Säugetiere, 473, 475 Spermatozoen 553 undulierende?) Mem- Vögel Taſtorgan 610 Statocyſten 620 bran 116 Akkommodationsmuskel Verdauung 269, 278 Stockbildung 519 Unfruchtbarkeit 470 f. 159 1) thermos gr. Wärme. — 2) thorax gr. die Bruſtrüſtung. — 3) thymos gr. Bruſtdrüſe. — 4) thyreos gr. Schild, eidos gr. Ausſehen. — 5) tibia lat. Schienbein. — 6) tonos gr. Spannung. — 7) tracheia gr. Luftröhre. — 8) transformare lat. umbilden. — 9) transfundere lat. hinübergießen. — 10) trans lat. über, plantare lat. pflanzen. — 11) Erg. os lat. Knochen transversus quer verlaufend. — 12) thrix, thrichos gr. Haar, kystis gr. Blaſe. — 13) Erg. nervus; trigemini lat. Drillinge. — 14) tritos gr. d. dritte, cerebrum lat. Hirn. — 15) tri- gr. 3, tuberculum lat. Höcker. — 16) trochanter gr. Schenkelkopf, maior lat. größer. — 17) Erg. nervus; trochlea gr. Rolle. — 18) trochos gr. Rad. — 19) trepho gr. ernähren — 20) truncus lat. Stamm. — 21) tubulus lat. kleine Röhre, contoxquere lat. herumdrehen, rectus lat. gerade verlaufend. — 22) turgere lat. ſtrotzen. — 23) tympanon gr. Pauke. — 24) typhlos gr. blind, solen gr. Röhre, Rinne. — 25) ulna lat. Elfe. — 26) undare lat. wallen. — 27) unus lat. einer. — 28) ureter gr. Uringang. — 29) utrieulus lat. Säckchen. — 30) Erg. nervus, vagari lat. umherſchweifen. — 31) variare lat. abwechſeln. — 32) vegetare lat. beleben. — 33) sinus lat. Buſen, Ausbuchtung. — 34) ventriculus lat. kleiner Bauch. 50* 188 Aortenbögen 438, *439 | Arterienſyſtem 436,438 f. Atmung 377 ff. | Auge 675 ff., *676, 680, 686 | Baſtarde 469 f. | Bewegung 213, 217 Blutkörperchen 420 f. chemiſche Sinnesorgane 647 ff. Choanen 381, 653 Chylusgefäße 350 Coelom 440 Darm 306, 345 ff: Duftorgane 485 Eileiter 411 Embryonen 409, *410 Entwicklung 570 Ernährung 328f. Exkremente 350 f. Exkrete, Färbung d. 416 Exkretionsorgane 408 ff. Färbung 483 Flug 229 Gang 213 f. 217 Gefäßſyſtem 435 ff. Gehörknöchelchen 632 ff. Gehirn 731ff., 735, 736, 737, 746 Gehirnentwicklung d. 3734 Gehirngewicht d. 749 f. Gehirnnerven d. 724 Gelenke 122f. Geruchsſinn 652 ff. Geſchlechtsorgane 459 f, 502 Geſchlechtsunterſchiede 473 Geſchmacksorgane 647 ff., 648, *649 Gliedmaßen 152, *202, 205 f., 209, 213 ff. Glykogen 352 Größe 475 f. Harn 414, Häutung 156 Harz 425 f., 436, 437, 438 Hörorgane 631 ff. Kämpfe 476 Kiefer 313 Regiſter. Klettern 219, 221 f. Krallen 216 Labyrinth 625, 626 Lebensdauer 590 Leber 402, 416 Linſe 675 Linſenquotient 681 Lungen *377 ff., 378 Lymphſyſtem 440 Magen 339 ff. Muskulatur 213 Nägel 217 Nahrungsmenge 354 Nervenſyſtem 722 ff., 723 Pankreas 305 Penis 465 Pupille 686 Regeneration 510 Retina 678 ff. Rückenmark 725 ff. Schlund 339 Schweißdrüſen 443 Skelett 131 ff. Speicheldrüſen 338 Spiele 488 Spritzloch 307, 369 Sprung 214, 217f. ſtatiſche Sinnesorgane 624 ff. Stimmorgane 390 ff., 487f. Taſtorgane 608 Variabilität 491 Venenſyſtem 439 f. Viviparität 472 Winterſchlaf 442 Zähne 314 ff. Zehen 221 Zellengröße 757 Zunge 333 ff. Violdrüſe 485 Visceralganglion !) 713 Visceralihadel !) 148 Visceralſkelett) 307, 308, 633 Vis essentialis ®) 574 Vitalismus ) 16 Viviparität“ 471f. Vögel Akkommodation 683 Akkommodationsmuskel 159 Atmung 383 f., * 386 Auge 671, 678, 5684 Baſtarde 469, 546 Blinddarm 346 Bruſtbein 241 Bruſtkorb 5388 Bürzeldrüſe 207 Drüſen 443 Eier 455, 456, 568 Embryonen 85 Federn 155 f. Flug 237 ff., 244, *245, 249 Flügel 238 Flügelſkelett 60, 5138, 229, 237, 238 Fovea centralis 678 Füße 205 Gefäßſyſtem 438 Gehörknöchelchen 633 Geruchsſinn 653 Geſchlechtsorgane 459 Geſchlechtsverhältnis495 Geſchlechtsunterſchiede 476, 493, 500 Gewicht 237, 476 Hautſinnesorgane 616 Herzgewicht 427 Hochzeitskleid 482 f. Hüpfen 218 Kämpfe 498 Kiemenbögen 566 Kleinhirn 740 Klettern 221, 222 Körpertemperatur 442 f. Kralle 217, 230 Lebensdauer 590 Lebenszähigkeit 13 Linſe 684 Lunge 383 f., 5384 Luftſäcke 171,384, 385 Magen 343, 344 Mauſer 157 Muskeln 164, 241, 253 Nahrungsmenge 354f. Penis 465 Pygoſtyl 75 Rudern 205 Rütteln 246 Schädel 5309 Schmeckorgane 648 Schmuck 480 f. Schnelligkeit 247 f. Schwanz 221 Skelett 62, 253 Spermatozoen 553 Sperrvorrichtungen 166 Spiele 489 Springen 244 Stimmorgan 487 Syrinx 390 Taſtorgan 608, 616 Tauchen 207 Teleskopauge 671 Variabilität 490 f. Zahl d. Arten 224 Zehen 220 Zunge 161, 5335, 336 Vomer ? 150 Vorderhirn 744 Vorhofsfenſter 632 Vorniere 409, 5411 W Wachstum 5, 46, 585 ff. appoſitionelles 121 d. Intusſusception 121 Wale Fett 170 Kopf 330 Nahrung 330 Schwimmen 197 Skelett 59 Zähne 320 f. Walzenſpinnen s. pugiden Wange (d. Säugetiere) 329 Wärmegewinnung 259 Warmpunkte 611, 638 Waſſer Bedeutung f. d. Leben 9 258, 585 Waſſeratmung 361 ff. Waſſerflöhe ſ. Daph⸗ niden Waſſergefüßſyſtem (d. Echinodermen 104, 164), 184, 361, 419, 434 Waſſergehalt d. Tiere 9 Waſſerlungen (d. Holo— thurien) 434 Waſſertiere, Bewegung 167 ff. Sol⸗ Schnabel 221,309, 312, Weberſcher Apparat 330 f., 332 630 f. 1) viscera lat. Eingeweide, ganglion gr. Nervenknoten. — 2) vis lat. Kraft, essentialis neulat. von esse fein, leben. — 3) vita lat. Leben. — 4) vivus lat. lebend, parere lat. gebären. — 5) vomer lat. Pflugſchar. Regiſter. 789 Wechſelbefruchtung 505, Wirbeltiere ſ. Vertebra- Zahnkarpfen ſ. Cypri- Zirbeldrüſe 670,735,742 560 ten nodontiden Zoka (Larve) 583 wechſelwarm 441 Wurzelfüßer ſ. Rhizo- Zahnwurzel 320 Jona radiata ) 456 Weichtiere ſ. Mollusken poden Zapfen (d. Retina) 659 Zunge (d. Vertebraten) Weißſiſche j. Cypri⸗ d. Cephalopoden 674 333 ff. noiden x d. Vertebraten 678 ff. Zungenbein 333 ff. Wiederkäuen 328, 342f. Xenarthra 77 Zehengänger 208 Zungenpapillen 336 f., Wimpern 116 Xiphoſuren 103 Zelle 18 ff. #337 Wimperurnen (d. Cri— Größe d. 25, 757 Zwerchfell 388 noiden) 434 3 Zelluloſe 131, 261 Zwergmännchen 474,504 Wimperinfuſorien j. Ci- (Siehe auch unter C.) Zentralkörper 26, 457, Zwiſchenhirn 735, 741 liaten Zahnarme ſ. Edentaten 532 Zwitter 454, 502 f. 566 Winkelgelenk 122 Zähne 314f., 316, 320, Zentralfanal! (Rücken- Zwitterdrüſe 502 Winterſchlaf 7, 442 323 mark) 725 Zygobranchier 365 Wirbel 140, 151 Zahnformel 323 Zentralſpinde! 532 Zygote ) 448 Wirbelſäule 138 ff, 210 Zahnfortſatz 151 Zerfallteilung 450 Zymaſe 259 1) zone gr. Gürtel, radiatus lat. ſtrahlend. — 2) zeugnymi gr. verbinden. u ET >74 ee 7 Der Verlag von B. G. Teubner hat der Pflege ernſter gemeinverſtändlich-wiſſenſchaft⸗ licher Literatur ſtets beſondere Hufmerkſamkeit zuge— wandt, unterſtützt durch das Intereſſe zahlreicher be— deutender Gelehrter der ganzen Welt. Das nachſtehende Verzeichnis enthält eine Auswahl empfehlenswerter und gehaltvoller Werke namentlich aus dem Gebiete der Naturwiſſenſchaften, der Länder- und Völkerkunde, ſowie eine Überſicht der drei großen Sammelwerke aus allen Gebieten des Wiſſens: „Die Kultur der Gegenwart“, „Wiſſenſchaft und Hypo⸗ theſe“ ſowie „Aus Natur und Geiſteswelt“. Wer ſich eingehender über dieſe Werke orientieren will, wird gebeten, Sonderproſpekte über die einzelnen Bücher zu verlangen (kurze Angabe des Titels genügt). Der Verlag verſendet auf Wunſch auch gern unberechnet und poſtfrei ſeine reichhaltigen, vielfach durch intereſſante Proben aus den Büchern, ausführliche Inhaltsangaben und Beſprechungen ergänzten Kataloge über die von ihm gepflegten Wiſſensgebiete. Angabe des in Frage kommenden Gebietes wird erbeten. Leipzig, poſtſtraße 3-5 B. G. Teubner 3 Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin NATUR WISSENSCHAFT uno TECHNIK IN LEHRE UND FORSCHUNG Eine Sammlung von Lehr- und Handbüchern herausgegeben von Dr. F. DOFLEIN und Professor der Zoologie an der Universität München und II. Konservator der Zoologischen Staatssammlung DR. K. T. FISCHER Professor der Physik an der Kgl. Technischen Hochschule zu München Gegenüber einer verflachenden Popularisierung der Natur wissenschaften und einer Über- schätzung der Resultate einzelner Zweige derselben ist es das Ziel dieser Sammlung, in wissenschaftlich strenger, aber nicht nur dem Fachmann, sondern auch dem gebildeten Laien verständlicher Darstellung die großen Werte, die im Stoffe und in der Methode der natur- wissenschaftlichen Forschung, in den rein wissenschaftlichen Resultaten, sowie in deren praktischen Anwendungen verborgen liegen, hervorzuheben und nutzbringend zu machen. Band i: Einleitung in die experimen- telle Morphologie der Pflanzen. Von Prof. Dr. K. Goebel. Mit 135 Abbildungen. gr. 8. 1908. In Leinwand geb. M. 8. « „Dr. Goebel hat in seinem Buche ein reiches Tat- sachenmaterial zusammengetragen, das einesteils die ungemein intensive Gestaltungskraft der Natur dartut, andererseits aber auch zeigt, wie die Pflanze oder ein- zelne ihrer Teile mit einer wahren Sensibilität auf äußere Reize reagiert, wie ja auch die Pflanze, ganz so wie Tier und Mensch, zum großen Teil ein Produkt ihrer Umgebung ist. Das Goebelsche Buch dürfte namentlich für die Lehrer der Naturwissenschaft an Mittelschulen, aber auch für die Lehrer an städtischen Oberklässen recht schätzenswerte Dienste leisten.“ (Bayer. Lehrerzeitung.) Band 2: Lehrbuch der Paläozoologie. Von Prof. Dr. E. Freiherr Stromer v. Reichenbach. I. Teil: Wirbellose Tiere. Mit 398 Abbildungen. gr. 8. 1909. In Leinwand geb. M. 10.— II. Teil: Wirbeltiere. (Erscheint Ende 1910.) „Das vorliegende Werk bietet eine Einführung in die reine Paläozoologie und setzt zwar einige zoologische, aber keine geologischen Kenntnisse voraus, Demgemäß legt der Verfasser unter engstem Anschluß an die Zoo- logie vor allem den Bau der Tiere klar. Besondere Be- achtung hat Dr. Stromer der Lebensweise und der zeit- lichen wie der geographischen Verbreitung der Tiere geschenkt, sowie den Erhaltungsarten und Bedingungen der Tierreste, dem Zusammenhange der Paläozoologie mit anderen beschreibenden Naturwissenschaften und endlich dem für den Paläozoologen wichtigen Skelett im allgemeinen. Im Gegensatz zu der sonst üblichen Methode ist der Verfasser in der Regel von den lebenden Formen zu den geologisch älteren übergegangen in der Meinung, daß man richtiger von dem Guterforschten zum weniger Gesicherten übergehen müsse als umgekehrt. Das treffliche Buch, das seinem Titel entsprechend haupt- sächlich ein Leitfaden für das Fachstudium sein will, enthält nicht weniger als 398 Abbildungen, die infolge ihrer Klarheit und Deutlichkeit ein anschauliches Hilfs- mittel für den Studierenden bilden.“ (Fränkischer Kurier.). Band 3: Planktonkunde. von Privat- dozent Dr. A. Steuer. Mit 365 Abbildungen und 1 farbigen Tafel. gr. 8. 1910. In Lein- wand geb. M. 26.— Das vorliegende Werk bietet die erste wirklich um- fassende Darstellung der Planktonkunde, dieses für Zoo- logen und Botaniker wie für den Geographen, Paläonto- - logen und endlich auch den praktischen Fischer gleich wichtigen Gebietes. Fußend auf dem Boden eigener Forschung, unter Heranziehung zahlreicher instruktiver Abbildungen, entwirft Verfasser hier ein allseitiges Bild des gesamten Gebietes. Wenn das Buch sich aber auch in erster Linie an die Lehrer und Studierenden der Naturwissenschaft wendet, so wird es doch auch der ge- bildete Laie mit Interesse zur Hand nehmen, ist doch die Form der Darstellung eine durchaus gemeinverständliche. Band 4: Physiologie der Einzelligen. Von Dr. S. v. Prowazek. Mit zahlreichen Ab- bildungen. gr. S. 1910. In Leinwand geb. M. 6.— Die wichtigsten Tatsachen, die sich auf die Physio- logie der Protozoëèn beziehen, werden hier zum ersten Male in übersichtlicher Weise dargestellt. Gleichzeitig ist der Versuch gemacht, die neuesten Ergebnisse der Morphologie der Protozoön mit der Physiologie in Ein- klang zu bringen. Die Hauptkapitel sind derart abgefaßt worden, daß der der Protozo&nbiologie Fernstehende sich über die wichtigsten Probleme der Kern- und Pro- toplasmaphysiologie, über Befruchtung, Vermehrung, Er- nährung und die verschiedenen Reizerscheinungen der Protozoen orientieren kann. In Vorbereitung befinden sich: Einleitung in die Erkenntnistheorie für Naturwissenschaftler. Von Dr. H. Cornelius, Prof. an der Universität München. Grundlinien einer Experimentalphysik für Ingenieure, nach Vorlesungen, gehalten an der Technischen Hochschule München. Von Dr.H. Ebert, Professor an der Tech- nischen Hochschule München. Mit vielen Abbildungen. [ea. 400 S.] gr. 8. Geb. [Erscheint im Herbst 1910.] Zellen- und Befruchtungslehre. Von Dr. R. Hertwig, Professor an der Universität München. Biologie. Von Dr.R. Hesse, Professor an der Landwirt- schaftlichen Hochschule zu Berlin, und Dr. F. Doflein, Professor an der Universität München. Geodäsie. Eine Anleitung zu geodätischen Messungen für Anfänger mit Grundzügen der direkten Zeit- und Orts- bestimmung. Von Dr.-Ing. H. Hohenner, Professor an der Technischen Hochschule zu Braunschweig. Die Wale. Eine Einführung in die Säugetierkunde. Von Dr.W.Kükenthal, Professor an der Universität Breslau. [Erscheint Ostern 1910.] Vergleichende Entwicklungsgeschichte der Tiere. Von Dr. O. Maas, Professor an der Universität München. Allgemeine Wirtschaftsgeographie. Von Dr.K. Sapper, Professor an der Universität Tübingen. Brennstoffe, deren Vorkommen, Gewinnung und An- wendung. Von Dr. G. Schultz, Professor an der Tech- nischen Hochschule zu München. Elektrische Entladungen in Gasen. Von Dr. M. Töpler, Professor an der Technischen Hochschule zu Dresden. Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin Instinkt und Gewohnheit. Von C. Lloyd Morgan, F. R. S., Professor der Zoologie am University College in Bristol. Autorisierte deutsche Ubersetzung von Maria Semon. Mit einem Titelbild. gr. 8. 1909. Geh. / 5. —, in Leinwand geb. / 6. — Das Morgansche Werk gilt seit langem als eine der besten Darstellungen auf dem so interessanten Gebiete der Tierpsychologie; das erklärt die begeisterte Auf- nahme, welche diese erste deutsche Ausgabe bei Kri- tikern und Publikum fand. An psychologischen Bei- spielen vorzüglich aus der Reihe junger Vögel und Säugetiere entwickelt der Verfasser, welche Fähigkeiten ein Geschöpf als fertigen Instinkt mit zur Welt bringt, und welche erst durch Erfahrung erworben werden. Die niedere Tierwelt findet gebührende Berücksichtigung. Mit einem Ausblick auf die Vererbung geistiger Eigen- schaften beim Menschen schließt das inhaltsreiche Buch. „Der naturwissenschaftlich interessierte Laie, der zu dem Buche greift, wird unbedingt auf seine Kosten kommen, da die sehr klare, sehr präzise Schreibweise Morgans es möglich macht, dem Gegenstand ohne Schwierigkeiten zu folgen, und zu dem ohnedies fesseln- den Stoff eine geradezu glänzende Komposition des Buches hinzukommt, die dem Verfasser erlaubt, nicht nur über- sichtlich, sondern wie ein guter Romanschreiber schlecht- hin spannend zu sein.“ (Münchener Neueste Nachrichten.) Das Verhalten der niederen Orga- nismen unter natürlichen u. experi- i Von H. S. Jennings, mentellen Bedingungen. ans perimentellen Zoologie an der John Hopkins University in Baltimore. Übersetzt von Dr. med. et phil. E. Man- gold, Privatdozent an der Universität Greifswald. [ca. 500 S.] gr. S. Geh. und in Leinw. geb. (Erscheint 1910.) Der bekannte amerikanische Biologe gibt eine äußerst klare und ansprechende, reich illustrierte Darstellung des physiologischen Verhaltens und der auf die ver- schiedenen Reize der Außenwelt erfolgenden allgemeinen Körperbewegungen der einzelligen Organismen und der niederen Tiere. Der objektiv beschreibende und der theoretisch analysierende Teil des Buches bilden die Grundzüge einer vergleichenden Psychologie, wert, wei- teren Kreisen zugänglich gemacht zu werden. Die Fundamente der Entstehung der Arten Zwei Essays, geschrieben in den Jahren 1842 und 1844. Von Charles Darwin. Herausgegeben von seinem Sohn Francis Darwin. Autorisierte deutsche Übersetzung von Maria Semon. [ca.300S.] gr. S. In Leinw. geb. (U. d. Presse.) Franeis Darwin hat im vorigen Jahre zur Feier des hundertsten Geburtstages seines Vaters die beiden schon vorher oft genannten, aber noch nicht publizierten Essays herausgegeben, in denen Ch. Darwin 17 bzw. 15 Jahre, bevor er sich zur Herausgabe der „Entstehung der Arten“ entschloß, seine schon damals auf vieljährigem intensivem Studium gegründeten Ideen über Deszendenz auf Grund der natürlichen Zuchtwahl niedergelegt hat. Es ist wunderbar, zu sehen, wie bereits damals die festen Richt- linien für fast alle seine Hauptgedankengänge gegeben waren. So findet man in diesen Fundamenten nicht nur die Keime zur Entstehung der Arten, sondern zu fast allen späteren Werken Darwins deutlich vorgebildet. Einführung in die Biologie un earsa" an höheren Schulen und zum Selbstunterricht. Von Prof. Dr. Karl Kraepelin, Direktor des Naturhistorischen Museums in Hamburg. 2. Auflage. Mit 303 Abb., 5 mehrfarbigen Tafeln u. 2 Karten. gr. 8. 1909. In Leinw. geb. . 4.— „ . . Auf verhältnismäßig engem Raum ist ein weit- schichtiger Stoff mit souveräner Beherrschung unter Beschränkung auf das Wesentliche knapp und doch nicht mager vorgeführt. Jeder, der natur- wissenschaftlicher Betrachtungsweise nicht völlig ab- geneigtist, und der die elementaren Vorkenntnisse dazu mitbringt, wird in diesem Buche mit hohem Genuß und Nutzen lesen und zugeben müssen, daß hier in der Tat ein Schatz kostbarer Gedanken übersichtlich ausgebreitet liegt, von dem der Gebildete mehr, als es heute der Fall zu sein pflegt, mit ins Leben hinausnehmen müßte.“ (Deutsche Literatur-Zeitung.) Experimentelle Zoologie. Von Th. Hunt Morgan, Prof. an der Columbia- Universität New York. Deutsche vom Ver- fasser autorisierte, vermehrte und verbesserte Ausgabe, übersetzt von Helene Rhumbler. Mit zahlreichen Abbildungen. gr. 8. 1909. Geh. A 11.—, in Leinwand geb. , 12.— Während in Deutschland die experimentelle For- schung der auf die Gestaltungsformen der Tierwelt ein- wirkenden äußeren Faktoren erst in den letzten Jahren mit Eifer in Angriff genommen wurde, hat dieser modernste und aussichtsreichste Zweig der biologischen Wissenschaft in den Vereinigten Staateu schon seit langem einen hohen Aufschwung genommen. Vor allem waren es die Arbeiten von Th. Hunt Morgan, die auf diesem Gebiete Amerika den unbestrittenen Vorrang sicherten, Der Hauptwert des Werkes beruht vor allem auf der kritischen Zusammenstellung wissenschaftlich feststehender Tatsachen. Das Theoretische beschränkt sich nur auf das notwendigste Maß. Die reichhaltigen, gut disponierten Kapitel sind für den, der tiefer in die behandelten Probleme eindringen will, mit ausführlichen Literaturangaben versehen. Die Metamorphose der Insekten. Von Dr. P. Deegener, Professor der Zoologie an der Universität Berlin. gr. 8. 1909. Steif geh. N. 2.— „Es fehlte bisher an einer zusammenfassenden wissenschaftlichen Betrachtung der Insektenmetamor- phose von phylogenetischen und allgemein biologischen Gesichtspunkten. Der offenbar auf lamarckistischer Basis stehende Berliner Zoologe versteht es, diese Lücke aus- zufüllen, und zeigt für Forscher eine Menge neuer Frage- stellungen.“ (Zeitschr. f. d. Ausbau d. Entwicklungslehre.) Die neuere Tierpsychologie. „‘:* Professor Dr. O. zur Straßen, Direktor des Senckenbergischen natur- historischen Museums zu Frankfurt a. M. 1908. Kart. 2.— Es wird dargelegt, daß die zweckmäßigen Vor- richtungen der Tiere zum größeren Teil instinktive, d. h. angeborene sind. Daneben aber gibt es ein „Lernen aus Erfahrung“, beruhend auf Assoziation, Abstraktion und Intelligenz. Die Sparsamkeit zwingt zu dem Ver- suche, alle diese Funktionen ohne Inanspruchnahme zwecktätiger („psychischer“) Faktoren aufzuklären. Dies gelingt leicht bei den Instinkten. Spontanbewegung, Reizbarkeit und Stimmbarkeitder Amöben sind chemisch- physikalisch deutbar; desgleichen die Instinkte der Metazoen, wobei besonders die Stimmbarkeit der Gan- glienzellen eine Rolle spielt. Auf ähnlichen Prinzipien beruhen Assoziation und Abstraktion. Durch Hinzutritt einer „physiologischen Phantasie“ entsteht Intelligenz. Auch in der menschlichen Intelligenz darf aus Mangel einer scharfen Grenze kein zwecktätiger Faktor ange- nommen werden. Das Bewußtsein ist kein Faktor. Das Gesamtergebnis spricht gegen den Vitalismus. „Die Stärke der Schrift liegt in der zutreffenden Ablehnung der Vermenschlichung des Tierlebens und der Forderung des Prinzips der Sparsamkeit in der Erklärung. Der Verfasser stützt sich in der Hauptsache auf die Theorie Jacques Löbs und bietet eine gute und geschickte Verarbeitung und Verfolgung von dessen Ideen. Psychologisch geschulte Leser werden die Schrift mit größtem Interesse verfolgen.“ (Natur und Kultur.) Anleitung zur Kultur der Mikro- organismen für den Gebrauch in 1 botanischen, medizinischen u. wirtschaftlichen Laboratorien. Von Dr. Ernst Küster, Professor am, botanischen Institut in Kiel. Mit 16 Ab- bildungen im Text. gr. 8. 1907. In Leinw. geb. „u 7. Das Buch gibt eine Anleitung zum Kultivieren aller Arten von Mikroorganismen (Protozoen, Flagellaten, Myzetozoön, Algen, Pilzen, Bakterien), bringt eine Über- sicht über die wichtigsten Methoden zu ihrer Gewinnung und Isolierung, behandelt ihre Physiologie, insbesondere die Ernährungsphysiologie, soweit ihre Kenntnis für An- legen und Behandeln der Kulturen unerläßlich ist, und versucht zu zeigen, in wie mannigfaltiger Weise die Kulturen von Mikroben für das Studium ihrer Ent- wicklungsgeschichte, Physiologie und Biologie verwertet werden können und verwertet worden sind. Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin Streifzüge durch Wald und Slur. Don Profeſſor B. Landsberg. Eine Anleitung zur Beobachtung der heimiſchen Natur in Monats- bildern. Für haus und Schule bearbeitet. 4. Aufl. Mit 88 Illuſtrationen nach Griginal— zeichnungen von Frau H. Landsberg. 1908. In Leinwand geb. M. 5.— „Das Buch iſt in ausgezeichneter Weiſe geeignet, zum Sehen und Beobachten anziehender Vorgänge im Keiche der be— lebten Natur, wozu an allen Orten reichlich Gelegenheit iſt, anzuleiten. Schon die Lektüre dieſes lebendig geſchriebenen Buches iſt ſehr lehrreich und fordert geradezu heraus, ſelbſt Naturvorgänge zu beobachten. Die Darſtellung iſt gemein— verſtändlich und doch ſtreng wiſſenſchaftlich, getragen von durchaus modernen Anſchauungen. Die ganze Natur gleicht einem aufgeſchlagenen Buche, in dem man mühelos überall die intereſſanteſten Dinge leſen kann, wenn man eben das TCeſen in dem Buche der Natur gelernt hat. Niemand mehr, der dieſes Buch als ſeinen Führer erwählt hat, wird gleich— gültig im Freien herumgehen, ſondern er wird überall und jederzeit etwas finden, das ſein Denken beſchäftigen wird. Eine gewiſſe Befriedigung wird in die Bruſt einziehen. Die Cektüre dieſes ſchön ausgeſtatteten Buches kann nur aufs wärmſte empfohlen werden.“ (Titerariſche Nundſchau.) „Mit großem Geſchick weiß der Verfaſſer durch liebevolle Verſenkung in die biologischen Verhältniſſe das lebhafteſte Intereſſe für die Pflanzen- und Tierwelt der Heimat zu erregen und den Leſer zu ſelbſtändigen Beobachtungen an= zuleiten, ſo daß er dem Leben und Treiben in Wald und Feld mit dem Derjtändnis folgen kann, das die moderne Forſchung für die Natur gewonnen hat. Nirgends verfällt der Verfaſſer in den trockenen Ton langweiligen Dozierens; unausgeſetzt bleibt er in lebendigem Swiegeſpräch mit dem Ceſer. Die Fülle des Wiſſens und der geiſtigen Anregung, die das Buch darbietet, bleibt ſo erheblich, daß ſich der £ejer dem Verfaſſer lebhaft verpflichtet fühlen wird.“ (Frankfurter Zeitung.) Die Pflanzen Deutſchlands. Von Dr. O. Wünſche. Eine Unleitung zu ihrer Kenntnis. Die höheren Pflanzen. 9. Auflage, bearb. von Dr. J. Abromeit. Mit einem Bildnis O. Wünſches. gr. 8. 1909. In biegſamen Ceinwandband geb. M. 5.— „Bei dem Studium der Botanik wird immer die richtige Kenntnis der Pflanzenarten die Grundlage jeder höheren Forſchung ſowie jeder nutzbaren Anwendung der letzteren bleiben. Wenn man auch in der letzten Seit der Phyſiologie und Biologie auf botaniſchem Gebiete ein größeres Intereſſe als früher zugewendet hat, wird die Kenntnis der Syſte— matik doch immer noch eine wichtige Rolle ſpielen. Dieſe Kenntniſſe zu erleichtern und den Anfänger auf möglichſt ſchnelle, ſichere und zugleich intereſſante Weiſe in das Reich der deutſchen Pflanzen einzuführen, iſt der Zweck des vor— liegenden Buches, welches bereits in neunter Auflage er— ſcheint. Es zeichnet ſich durch möglichſte Kürze und Ge— nauigkeit, Auswahl augenfälliger, leicht wahrnehmbarer Merkmale zur Begrenzung der einzelnen Familien, Gattungen und Arten, überſichtliche Darſtellung dieſer Unterſcheidungs— merkmale beſonders aus. Sicherlich wird auch die neunte Auflage des beliebten und und bekannten ‚Wünſche“ neue Freunde und Gönner erwerben.“ (Zentralblatt für Pharmazie und Chemie.) Die verbreitetſten Pflanzen Deutſch⸗ lands. Don Dr. O. Wünſche. Ein Übungs buch für den naturwiſſenſchaftlichen Unterricht. 5. Auflage, herausgegeben und bearbeitet von Dr. B. Schorler. Mit 459 Umrißzeichnungen. 8. 1909. In biegſamen Ceinwandbd. geb. M. 2.60. „Das Büchlein liegt ſeit dem Jahre 1893 in fünfter Auflage vor, und das entſcheidet ohne weiteres über ſeine Brauchbarkeit, beſonders bei dem reichlichen Dorhandenjein botaniſcher Beſtimmungsbücher. Auch der Name des früheren Autors O. Wünſche iſt ihm eine treffliche Empfehlung. Die Auswahl der Pflanzen iſt überall eine durchaus ſach— gemäße, und die Anzahl der aufgenommenen Arten jo reichlich, daß das Buch dem Anfänger gewiß längere Seit ein guter Führer ſein wird. Recht praktiſch ſind am Schluß des Buches Tabellen zum Beſtimmen der Holzgewächſe nach dem Caube. — Das auch äußerlich ſchmucke Büchlein ſei beſtens empfohlen.“ (Apotheker-Zeitung.) 4 Dr. K. Kraepelins Naturſtudien (mit Seichnungen von O. Schwindrazheim) im Haufe — im Garten - in Wald u. Seld 4. Aufl. 1910. 3. Aufl. 1908. Geb. M. ca. 3. 20. Geb. M. 3.60. in d. Sommerfriſche 5. Aufl. 1908. Geb. M. 5.60. Volksausgabe Reiſeplaudereien. Dom Hamburger Jugend- 1906. ſchriften-Husſchuß ausgewählt. Geb. M. 3.20. 2. verb. Aufl. 1909. Geb. M. 1.— „. . . So iſt dieſe Jugendſchrift ein Meiſterſtück, dem man leider nur wenige an die Seite ſtellen kann. Die Knaben von 15 bis 17 Jahren und darüber hinaus, aber auch die Mädchen diejes Alters werden ihre Cuſt daran haben und Anregung finden, wie ſie ihnen kein anderes Buch auf dieſem Gebiet zu geben vermag, und auch der Erwachſene wird es gern leſen, denn das iſt ja das Weſen einer guten Jugend- ſchrift, daß ſie auch den Erwachſenen befriedigen muß. Wir können uns freuen, daß ſich einmal ein Gelehrter gefunden hat, der für die Jugend ein Herz beſitzt und ihr ein Weih⸗ nachtsgeſchenk macht, wie ihr ſelten eins geboten wird.“ 5 (Tädagog. Reform.) Dr. Karl Kraepelins Exkurſionsflora für Nord⸗ und Mitteldeutjchland. Ein Taſchenbuch der im Gebiete einheimiſchen und häufiger kultivierten Gefäßpflanzen für Schüler und Laien. 7., verbeſſ. Auflage. Mit 616 Holz⸗ ſchnitten. 8. 1910. In Leinw. geb. M. 4.50. „. .. Der leitende Gedanke des Verfaſſers, mit obigem Werke ein Hilfsmittel zu liefern, das in den Stand ſetzt, ohne fremde Hilfe die geſammelten Pflanzen ſicher zu be= ſtimmen, hat in den weiteſten Kreijen Beifall gefunden. Wir haben uns darüber früher an dieſer Stelle ſchon aus⸗ geſprochen, und die raſch aufeinander folgenden Auflagen des Buches beweiſen, daß Verfaſſer ſein Siel auch wirklich erreicht hat. Wir können das Werk nur nachdrücklich emp- fehlen.“ (Gaea.) Unſere Pflanzen. Ihre Namenserklärung und ihre Stellung in der Mythologie und im Volksaberglauben. Don Dr. Franz Söhns. 4. Auflage, mit Buchſchmuck von J. D. Ciſſarz. 8. 1907. In Leinwand geb. M. 3.— „Das in vierter Auflage vorliegende Buch geht den Namen unſerer deutſchen Pflanzen nach; nicht bloß den ver⸗ ſteinerten der Wiſſenſchaft, ſondern auch den lebendigen des Volkes, und es iſt höchſt überraſchend, zu erfahren, was da oft für hübſche Geſchichten, Vorſtellungen, Beziehungen hinter Namen zum Vorſchein kommen, die, wie Alraun, Beifuß, Beinwurz, Büngelkraut, Hauhechel, Kellerhals, Unſerer lieben Frauen Bettſtroh und hundert andere, ſo oft gedankenlos genannt und — was beſonders zu beklagen — gedankenlos auch der lernbegierigen Jugend überliefert werden. All das reiche Leben unſerer Altvordern, das ſich auf die Pflanzenwelt projiziert und in der Mythologie, der Dolfs- medizin, dem Dolfsaberglauben, der Pflanzenſymbolik einen Ausdrud geſchaffen hat, geht alſo dem Pflanzenfreund ver⸗ loren. Und doch ſind dieſe Dinge ebenſo wiſſenswert wie die biologiſchen und ſyſtematiſchen Belehrungen der Botanik. Es war alſo höchſt dankenswert, daß der Verfaſſer unſeres Buches ſich eingehend mit dieſem Artikel beſchäftigt hat, und es iſt erfreulich, daß ſein vortreffliches und liebenswürdiges Buch auch ſchon in vierter Auflage vorliegt.“ (Die Propyläen.) Naturgeſchichtliche Volksmärchen. Ge⸗ ſammelt von Dr. Oskar Dähnhardt. 2 Bde. 5., verbeſſerte Auflage. Mit Bildern von O. Schwindrazheim. 1909. Geb. je M. 2.40. „In den alten Seiten hatte nicht nur jeder Klang noch Sinn und Bedeutung, auch jede Eigentümlichkeit im Bau und Leben der Tiere und Pflanzen war Gegenſtand ge— mütlichen Betrachtens und Beobachtens ſeitens des Volkes. Das drückt ſich in unzähligen Dolfsnamen für Tiere, Pflanzen und Naturerſcheinungen aus, und ebenſo knüpfen ſich an dieſe viele ausdeutende Märchen, die voller naiver Poefie ſind. Dähnhardt hat dieſen Schatz volkskundlicher Forſchung gehoben und der deutſchen Kinderwelt einen duftenden Märchenſtrauß ſinniger Uaturbetrachtung überreicht. Die Sprache iſt echt volkstümlich, ſo, wie ſie dem Volke ſelbſt abgelauſcht iſt. Schwindrazheim, einer unſerer beſten für das Volkstum wirkenden und mit ihm vertrauten Künſtler, gab dem Buche durch anheimelnde Schwarz-Weißzeichnungen einen trefflichen Schmuck.“ (Sächſiſche Schulzeitung.) eee Ä«!ü-—— 2 Pr x Verlag von B.G.Teubner in Leipzig und Berlin WISSENSCHAFT UND HYPOTHESE Sammlung von Einzeldarstellungen aus dem Gesamtgebiete der Wissenschaften mit beson- derer Berücksichtigung ihrer Grundlagen und Methoden, ihrer Endziele und Anwendungen. 8. Jeder Band elegant in Leinwand gebunden. Es ist ein unverkennbares Bedürfnis unserer Zeit, die in den verschiedenen Wissensgebieten durch rastlose Arbeit gewonnenen Erkenntnisse von umfassenden Gesichtspunkten aus im Zu- sammenhang miteinander zu betrachten und darzustellen. Nicht um spezielle Monographien handelt es sich also, sondern um Darstellung dessen, was die Wissenschaft erreicht hat, was sie früher oder später noch erreichen kann, und welches ihre wesentlichen und aus der Tiefe ihres Wirkens entspringenden Probleme sind. Die Wissenschaften in dem Bewußtsein ihres festen Besitzes, in ihren Voraussetzungen darzustellen und ihr pulsierendes Leben, ihr Haben, Können und Wollen auf- zudecken, soll die Aufgabe sein; andrerseits soll aber in erster Linie auch auf die durch die Schranken der Sinneswahrnehmung und der Erfahrung überhaupt bedingten Hypothesen hingewiesen werden. I. Band: Wissenschaft und Hypothese. Von Henri Poincaré, membre de I’Institut, in Paris. Deutsch von L. und F. Lindemann. 2. Auflage. 1906. Geb. // 4.80. Dies Buch behandelt: Zahl und Größe, den Raum, die Kraft, die Natur, die Mathematik, Geometrie, Mechanik und einige Kapitel der Physik. Zahlreiche Anmerkungen des Herausgebers kommen dem allgemeinen Verständnis entgegen und geben wertvolle literarische Angaben zu weiterem Studium. II. Band: Der Wert der Wissenschaft. Von Henri Poincare, membre de l’Institut, in Paris. Mit Genehmigung des Verfassers ins Deutsche übertragen von E..Weber. Mit Anmerkungen und Zusätzen von Prof. H. Weber. Mit einem Bildnis des Verfassers. 1906. Geb. / 3.60. Der geistvolle Verfasser gibt einen Überblick über den heutigen Stand der Wissenschaft und über ihre all- mähliche Entwicklung, sowohl wie sie bis jetzt vor sich gegangen ist, als wie er sich ihre zukünftigen Fort- schritte denkt. Das Werk ist für den Gelehrten wie für jeden modernen Gebildeten von größtem Interesse. III. Band: Mythenbildung und Erkenntnis. Eine Ab- handlung über die Grundlagen der Philosophie. Von G. F. Lipps in Leipzig. 1907. Geb. % 5.— Der Verfasser zeigt, daß erst durch die Wider- sprüche, die mit dem naiven, zur Mythenbildung führenden Verhalten unvermeidlich verknüpft sind, der Mensch auf die Tatsache aufmerksam wird, daß sein Denken die Quelle der Erkenntnis ist — er wird kritisch und ge- langt zur kritischen Weltbetrachtung. Die Entwicklung der kritischen Weltbetrachtung stellt die Geschichte der Philosophie dar. IV. Band: Die nichteuklidische Geometrie. Histo- risch-kritische Darstellung ihrer Entwicklung. Von R. Bonola in Pavia. Deutsch von H. Liebmann. 1908. Geb. / 5.— In der erweiterten deutschen Ausgabe wird wohl nicht nur den Mathematikern ein Gefallen erwiesen, sondern vor allem auch den Vielen, welche mit elemen— taren mathematischen Vorkenntnissen ausgestattet, Ziele und Methoden der nichteuklidischen Methoden kennen lernen wollen. Man wird in der elementar gehaltenen und flüssigen Darstellung die Antwort auf viele Fragen finden, wo andere nur dem gründlich gebildeten Mathe- matiker zugängliche Quellen versagten. V. Band: Ebbe und Flut sowie verwandte Erschei- nungen im Sonnensystem. Von 6. H. Darwin in Cam- bridge. Deutsch von A. Pockels. Mit ein. Einführungswort von G. v. Neumag er. Mit 43 Illustrat. 1902. Geb. 7 6.80. Nach einer Ubersicht über die Erscheinungen der Ebbe und Flut, der Seeschwankungen usw., sowie der Beobachtungsmethoden werden in sehr anschaulicher, durch Figuren erläuterter Weise die fluterzeugenden Kräfte, die Theorien der Gezeiten usf. erklärt. Die folgenden Kapitel sind geophysikalischen und astrono- mischen Fragen, die mit der Einwirkung der Gezeiten kräfte auf die Weltkörper zusammenhängen, gewidmet. VI. Band: Das Prinzip der Erhaltung der Energie. Von M. Planck in Berlin. 2. Auflage. 1908. Geb. / 6.— In drei Abschnitten wırd behandelt: die historische Entwicklung des Prinzips von seinen Uranfängen bis zu seiner allgemeinen Durchführung in den Arbeiten von Mayer, Joule, Helmholtz, Clausius, Thomson; die all- gemeine Definition des Energiebegriffs, die Formulierung des Erhaltungsprinzips nebst einer Übersicht und Kritik über die versuchten Beweise; schließlich die Darlegung, wie man durch Anwendung des Prinzips zu einer Übersicht über die Gesetze der gesamten Erscheinungswelt gelangen kann. VII. Band: Grundlagen der Geometrie. Von b. Hilbert in Göttingen. 3. Auflage. 1909. Geb. M 6.— Diese Untersuchung ist ein Versuch, für die Geometrie einvollständigesundmöglichsteinfaches System von Axiomen aufzustellen und aus demselben die wich- tigsten geometrischen Sätze in der Weise abzuleiten, daß dabei die Bedeutung der verschiedenen Axiomgruppen und die Tragweite der aus den einzelnen Axiomen zu ziehenden Folgerungen klar zutage tritt. VIII. Band: Das Wissen unserer Zeit in Mathe- matik und Natur wissenschaft. Von k. Picard-Paris. Deutsch von F. und L. Lindemann- München. 1910, Geb. ca. M 5.— 15 Gibt eine zusammenfassende Ubersicht über den Stand unseres Wissens in Mathematik, Physik und Natur- wissenschaften in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts und erörtert die Gesichtspunkte, unter denen man heute den Begriff der wissenschaftlichen Erklärung betrachtet. IX. Band: Erkenntnistheoretische Grundzüge der Natur wissenschaften und ihre Beziehungen zum Geistesleben der Gegenwart. von P. Volkmann in Königsberg i.Pr. 2. Auflage. 1910. Geb. MH 6.— Durch die sichtliche Zunahme der erkenntnistheore- tischen Interessen war dem Verfasser der Weg für die Neu- bearbeitung der inzwischen notwendig gewordenen zweiten Auflage vorgezeichnet, seine späteren erkenntnistheore- tischen Untersuchungen in die Grundzüge einzuarbeiten und damit eine weitere Durcharbeitung des gesamten für ihn in Betracht kommenden Gegenstandes zu versuchen, ohne daß dabei Richtung und Ergebnis seiner bisherigen Studien eine wesentliche Änderung erfahren konnten. X. Band: Wissenschaft und Religion. von f. Boutroux, membre de /Institut-Paris. Deutsch von E. Weber- Straßburg. 1910. Geb. / 6.— Boutroux zeigt uns in klarer und anschaulicher Weise die Ideen einiger der größten Denker über die Bezie- hungen zwischen Wissenschaft und Religion. Er übt aber auch strenge Kritik und verhehlt uns nicht alle die Schwierigkeiten und Einwendungen, die sich gegen jedes dieser Systeme erheben lassen. So darf das Werk all- gemeines Interesse beanspruchen, XI. Band: Probleme der Wissenschaft. Von k. En- riques in Bologna. Deutsch von K. Grelling in Göttingen, I. Teil: Wirklichkeit und Logik. 1910. Geb. 4 4.— U. Teil: Die Grundbegriffe der Wissenschaft. Der Plan des Werkes ist ein sehr umfassender. Es handelt sich um eine neue Theorie der Erkenntnis, welche der Verfasser durch eine gründliche Analyse der Fragen der Logik und Psychologie entwickelt, dabei die ver- schiedenen Zweige der Wissenschaft, von der Mathematik, der Mechanik, der Physik, der Chemie bis zur Biologie, der Wirtschaftslehre und der Geschichte usw. berührend. —— Ausführlicher Prospekt umsonst und postfrei vom Verlag —— Verlag von B.G.Teubner in Leipzig und Berlin DIE KULTUR DER GEGENWART IHRE ENTWICKLUNG UND IHRE ZIELE HERAUSGEGEBEN VON PROFESSOR PAUL HINNEBERG Die „Kultur der Gegenwart““ soll eine systematisch aufgebaute, geschichtlich begründete Gesamtdarstellung unserer heutigen Kultur darbieten, indem sie die Fundamentalergebnisse der einzelnen Kulturgebiete nach ihrer Bedeutung für die gesamte Kultur der Gegenwart und für deren Weiterentwicklung in großen Zügen zur Darstellung bringt. Das Werk vereinigt eine Zahl erster Namen aus allen Gebieten der Wissenschaft und Praxis und bietet Darstellungen der einzelnen Gebiete jeweils aus der Feder des dazu Berufensten in gemeinverständlicher, künstlerisch gewählter Sprache auf knappstem Raume. „Teubners gelehrtes Sammelwerk ist längst in allen Händen. Tausende von Privatleuten nennen seine Bände ihr eigen. Die Großzügigkeit und Einheitlichkeit seiner Anlage, die Zahl und der Ruf seiner Mitarbeiter machen es einzigartig und nöligen auch demjenigen Anerkennung ab, der in dem Ueberwuchern einer enzyklopädischen Literatur nicht die erfreulichste Seite unseres Bildungslebens sieht. Wer aber das vorliegende Werk in die Hand nimmt, das schon durch seine fürstliche Ausstattung eine Art von Genuß gewährt, wird den gewaltigen Bildungs- gehalt eines solchen Buches um so mehr empfinden, je näher.er dem Arbeitsgebiet jener Autoren steht. Eine un- eheure Summe von geistiger Kraft ist es, die hier in einer Anzahl kleiner, fast im Plauderton niedergelegter kizzen ihren Schlußstein findet.“ (Berliner Tageblatt.) 141. über die einzelnen Abteilungen (mit Auszug aus dem Probeheft und Spezial Prospekte Vorwort des Herausgebers, der Inhaltsübersicht des Ge- samtwerkes, dem Autoren- Verzeichnis und mit Probestücken aus dem Werke) umsonst und postfrei vom Verlag. Von Teil I und II (Die geisteswissenschaftlichen Kulturgebiete) sind erschienen: Die allgemeinen Grundlagen der Kultur schichte der Philosophie von ihren Anfängen bei den r primitiven Völkern bis in die Gegenwart (Lotze, Hartmann, 9 . Lexis, der Gegenwart. Er Posisen, G.Schappa Aal Fechner, Nietzsche) und damit eine Geschichte des : 5 eistigen Lebens überhaupt gibt. Und es wird nicht thias, II. Gaudig, G. Kerschensteiner, M. v.Dyek, L. Pallat, blos fis europäische Philosophie hier dargestellt.“ K.Kraepelin, J. Lessing, O. N. Witt, G. Göhler, P.Schlenther, (Zeitschrift für lateinl. höhere Schulen.) K. Bücher, R. Pietschmann, F. Milkau, H. Diels. Lex.-8. 8 8 3 (J, 6.) Bearbeitet 1906. Geh. M. 16.—, in Leinwand geb. M. 18.— Systematische Philosophie. n W. Ditthey, „Die berufensten Fachleute reden über ihr Spezial-] A. Riehl, W. Wundt, W. Ostwald, H. Ebbinghaus, R. Eucken, gebiet in künstlerisch so hochstehender, dabei dem Fr. Paulsen, W. Münch, Th. Lipps. 2. Auflage. Lex.-8. Denkenden so leicht zugehender Sprache, zudem mit 1008. Geh. M. 10.—, in Leinwand geb. M. 12.— 5 einer solchen Konzentration der Gedanken, daß Seite für Hinter dem Rücken jedes der philosophischen Seite nicht nur hohen künstlerischen Genuß verschafft, Forscher steht Rant, wie er die Welt in ihrer Totalilat sondern einen Einblick in die Einzelgebiete verstattet, dachte und erlebte der neukantische ration der an Intensität kaum von einem anderen Werke über- Kant scheint in den Hintergrund treten zu wollen, und troffen werden könnte.““ (Nationalzeitung, Basel.) in manchen Köpfen geht bereits das Licht des gesamten Weltlebens auf. Erfreulicherweise ringt sich die Ansicht durch, Philosophie sei und biete etwas anderes als die Einzel wissenschaften, und das sog. unmittelbare Leben und der positive Gehalt der Philosophie selbst müsse in der transzendenten Realität oder wenigstens in der transzendentalen, auf methodischem Wege gewonnenen Struktur der einzelnen Weltinhalte und Verhaltungsformen aufgesucht werden.““ (Archiv f. system. Philosophie.) Die orientalischen Religionen. dene! Pen Edv. Lehmann, A. Erman, C. Bezold, H. Oldenberg, J. Gold- ziher, A. Grünwedel, J. J. M. de Groot, K. Florenz, H. Haas. Lex.-8. 1906. Geh. M. 7.—, in Leinwand geb. M. 9.— „ . . Auch dieser Band des gelehrten Werkes ist zu inhaltvoll und zu vielseitig, um auf kurzem Raum ge— würdigt werden zu können. Auch er kommt den Inter- essen des bildungsbedürftigen Publikums und der, Ge- lehrtenwelt in gleichem Maße entgegen. Die Zahl und der Klang der Namen aller beteiligten Autoren bürgt dafür, daß ein jeder nur vom Besten das Beste zu geben be- müht war.““ } (Berliner Tageblatt.) Die orientalischen Literaturen. iet Pen E. Schmidt, A. Erman, C. Bezold, H. Gunkel, Th. Nöl- deke, M. J. de Goeje, R. Pischel, K. Geldner, P. Horn, F. N. Finck, W. Grube, K. Florenz. Lex.-S. 1906. Geh. M. 10.—, in Leinwand geb. M. 12.— „. . . Unter den semitischen Literaturen trägt die israelitische fast mühelos den Kranz davon. Gunkel behandelt sie, ihrer Formensprache sinnig nachspürend, und wie viel holt er so heraus, was geeignet ist, uns das Alte Testament neu und lebendig zu machen! Es ist Herders Geist, und doch wie anders! ... Dann die arabische Literatur von de Goeje in herrlicher Dar- stellung. . ..“ (Die christliche Welt.) Geschichte der christlichen Religion. Mit Einleitung: Die israelitisch-jüdische Religion. (I, 4, 1.) Bearbeitet von J. Wellhausen, A. Jülicher, A. Harnack, N. Bonwetsch, K. Müller, A. Ehrhard, E. Troeltsch. 2. stark vermehrte und verbesserte Auflage. Lex.-8. 1909. Geh. M. 18.—, in Leinwand geb. M. 20.— Systematische christliche Religion. (,4,2.) Bearbeitet von E. Troeltsch, J. Pohle, J. Mausbach, C. Krieg, W. Herrmann, R. Seeberg, W. Faber, H. J. Holtzmann. 2. verb. Aufl. Lex. -S. 1909. Geh. M. 6.60, inLwd. geb. M. 8.— „Die Reichhaltigkeit und Tiefe des religiösen Lebens erschließt sich in diesen beiden Bänden dem staunenden Auge mit einer Klarheit, wie sie nur Mikroskop und Teleskop des sachkundigen Forschers zu schaffen ver- mag.“ (Die Wartburg.) Allgemeine Geschichte der Philosophie. (I, 5.) Bearbeitet von W. Wundt, H. Oldenberg, J. Goldziher, W. Grube, T. Inouye, H. v. Arnim, Cl. Baeumker, W. Windel- band. Lex.-S. 1909. Geh. M. 12.—, in Leinw. geb. M. 14.— „Man wird nicht leicht ein Buch finden, das, wie die ‚Allgemeine Geschichte der Philosophie‘ von einem gleich hohen überblickenden und umfassenden Standpunkt aus, mit gleicher Klarheit und Tiefe und dabei in fesselnder, nirgendwo ermüdender Därstellung eine Ge- Die griechische und lateinische Literatur (1, 8.) Bearbeitet von U. v. Wilamo- und Sprache. witz - Moellendorff, K. Krumbacher, J. Wackernagel, Fr. Leo, E. Norden, F. Skutsch. 2. Auflage. Lex.-8. 1907. Geh. M. 10.—, in Leinwand geb. M. 12.— „In großen Zügen wird uns die griechisch-römische die uns zu den Grundlagen der modernen Kultur führt. Hellenistische und christliche, mittelgriechische und mittellateinische Literatur erscheinen als Glieder dieser uns einen Blick in die ungeheuren Weiten, die rückwärts durch die vergleichende Sprachwissenschaft, vorwärts durch die Betrachtung des Fortlebens der antiken Sprachen im Mittel- und Neugriechischen und in den romanischen Sprachen erschlossen sind.““ (P. Wendland-Kiel in der deutschen Literaturzeitung.) großen Entwicklung, und die Sprachgeschichte eröffnet, Kultur als eine kontinuierliche Entwicklung vorgeführt, f DIE KULTUR DER GEGENWART Die osteuropäischen Literaturen und die slawischen Sprachen. d Eee Bezzenberger, A. Brückner, V. v. Jagic, J. Mächal, M. Murko, F. Riedl, E. Setälä, G. Suits, A. Thumb, A. Wesselovsky, E. Wolter. Lex.-8. 1908. Geh. M. 10.—, in Leinwand geb. M. 12.— „ . . Eingeleitet wird der Band mit einer ausgezeich- neten Arbeit von Jagié über ‚Die slawischen Sprachen‘. Ihr folgt eine Monographie der russischen Literatur aus der Feder des geistvollen Wesselovsky. Die südslawischen Literaturen von Murko sind hier in deutscher Sprache wohl erstmals zusammenfassend behandelt worden. Mit Wolters’ Abriß der lettischen Literatur schließt der ver- dienstvolle Band, der jedem unentbehrlich sein wird, der sich mit dem einschlägigen Schrifttum bekannt machen Will.“ (Berliner Lokal-Anzeiger.) Die romanisch. Literaturen u. Sprachen. Mit Einschluß des Keltischen. Gu B=- arbeitet von H. Zimmer, K. Meyer, L. Chr. Stern, H. Morf, W. Meyer- Lübke. Lex.-8. 1909. Geh. M. 12.—, in Leinw. geb. M. 14.— „Auch ein kühler Beurteiler wird diese Arbeit als ein Ereignis bezeichnen. Keiner der Versuche, die Ge- schichte mehrerer romanischen Literaturen zu schreiben, ist bisher völlig geglückt. Dem Verfasser dieser Gesamt- darstellung blieb es vorbehalten, das katalanische wie das portugiesische, dasrumänische wie das provengalische Schrifttum ebenso gewissenhaft zu hehandeln wie die große Geschichte der Weltliteraturen, und man merkt fast überall, daß Ergebnisse teils eigener Forschung, teils der Prüfung der besten von anderen geleisteten Arbeit zu lebensvoller Einheit abgerundet vorgelegt werden.““ (Jahrbuch für Zeit- und Kulturgeschichte.) Staat und Gesellschaft Europas im (II, 4,1.) Bearbeitet von U. v. Wilamowitz- Altertum. Moellendorff und B. Niese. 1910. [U. d. Pr.] Geh. ca. M. 8.—, in Leinwand geb. ca. M. 10.— Staat und Gesellschaft der neueren Zeit (bis zur französischen Revolution). (II, 5, 1.) Bearbeitet von F. v. Bezold, E. Gothein, R. Koser. Lex.-8. 1908. Geh. M. 9.—, in Leinwand geb. M. 11.— „Es ist ein bedeutsames Werk, das uns vorliegt, das Werk dreier Männer, die, jeder auf seinem Gebiete, an- erkannt Hervorragendes geleistet haben und nun die ge- sicherten Ergebnisse langjähriger eigener und fremder Forschungen in abgeklärter, gediegener Form zusammen- Teil III (in Vorbereitung): Mathematik und Naturwissenschaften. Abt. I. Mathematik. Abteilungsleiter: F.Klein- Göttingen. Abt. II. Die Vorgeschichte der modernen Naturwissen- schaften und der Medizin. Abteilungsleiter: W. His- Berlin. Bandredakteure: J. Ilberg-Leipzig, K.Sud- hoff-Leipzig. Abt. III. Die Naturwissenschaften der Anorganischen. Ab- teilungsleiter: E. Lecher- Wien. Bandredakteure: E. Warburg -Berlin, E. v. Meyer- Dresden, K. Schwarzschild-Potsdam, J. B. Messerschmidt— München, A. Rothpletz-München, E. Brückner- Wien. Abt. IV. Biologie. Abteilungsleiter: R. v. Wettstein- Wien. Bandredakteure: K. Chun-Leipzig, W. Jo- hannsen- Kopenhagen, Oskar Hertwig- Berlin, E. Strasburger-Bonn, M. Rubner- Berlin, Rich. Hertwig- München, R. v. Wettstein- Wien. Abt. V. Die medizinischen Wissenschaften. Abteilungs- leiter: F. v. Müller- München. Bandredakteure: F.Marchand-Leipzig, Max Gruber-München. Abt. VI. Anthropologie. Abteilungsleiter: W. His- Berlin. Abt. VII. Naturwissenschaftliche Erkenntnistheorie und Psychologie. Abteilungsleiter: F. Stumpf-Berlin. 7 fassen und einem geschichtlich interessierten Publikum darbieten. Die drei Teile des Werkes stellen wohl- gesonderte, in sich abgegrenzte Gebiete dar, die allemal Wenigstens ein Jahrhundert umfassen und sich über alle wesentlichen Betätigungen des geschichtlich bedingten Menschen erstrecken.“ (Mitteilungen a. d. histor. Liter.) Systematische Rechts wissenschaft. (.) Bearbeitet von R. Stammler, R. Sohm, K. Gareis, V. Ehren- berg, L. v. Bar, L. v. Seuffert, F. v. Liszt, W. Kahl, P. Laband, G. Anschütz, E. Bernatzik, F. v. Martitz. Lex.-8. 1906. Geh. M. 14.—, in Leinwand geb. M. 16.— „Alle Materien des Rechts finden sich hier in an- schaulicher Weise und in knapper Form systematisch dargestellt, wie sie sind und wie sie geworden sind, der Aufgabe entsprechend naturgemäß nur in ihren allge- meinen Grundzügen, aber mit erschöpfender Gründlich- keit, so daß auch dem Fernerstehenden ein klarer und vollständiger Überblick über die das Rechtsleben be- herrschenden Gedanken und seine Ziele ermöglicht wird. Die Namen unserer ersten Rechtslehrer, welche die Stoffe bearbeitet haben, bieten Gewähr für eine hervor- ragende Lösung der Aufgabe.‘‘ (Conrads Jahrb. f. Nationalökonomie u. Statistik.) Allgem. Volkswirtschaftslehre. ( on W. Lexis. Lex.-8. 1910. Geh. M. 7.—, in Leinw. geb. M. 9.— Ein durch lichtvolle, großzügige Darstellung aus- gezeichneter Überblick über die Grundtatsachen der Volks- wirtschaft, wie er für jeden Gebildeten unserer Tage, in denen jeder Einzelne aufs engste mit dem Gewebe der Volkswirtschaft verknüpft ist, unentbehrlich ist. In Vorbereitung befinden sich von Teil I und II ferner: Aufgaben und Methoden der Geisteswissenschaften. (I, 2.) — Europäische Religion des Altertums. (I, III, 2.) — Deutsche Literatur und Sprache. (I, 10.) — Englische Li- teratur und Sprache, skandinavische Literatur und allge- meine Literaturwissenschaft. (I, XI, 2.) — Die Musik. (I, 12.) — Orientalische Kunst. Europäische Kunst des Altertums. (J, 13.) — Europäische Kunst des Mittelalters und der Neu- zeit. Allgemeine Kunstwissenschaft. (I, 14.) — Völker-, Länder- und Staatenkunde. (II, 1.) — Staat und Gesell- schaft Europas im Altertum und Mittelalter. (II, 4.) — Staat und Gesellschaft der neuesten Zeit. (II, V, 2.) — System der Staats- und Gesellschafts-Wissenschaft. (II, 6.) — Allgemeine Rechtsgeschichte mit Geschichte der Rechts- wissenschaft. (II, 7.) — Allgemeine Wirtschaftsgeschichte mit Geschichte der Volkswirtschaftslehre. (II, 9.) Teil IV (in Vorbereitung): Die technischen Kulturgebiete. Abteilungsleiter: W. v. Dyck-München und O. Kammerer- Charlottenburg. Bd. I. Vorgeschichte der Technik. Bandredakteur: C. Mat- schoß-Berlin. Bd. II. Verwertung der Naturkräfte zur Gewinnung mecha- nischer Energie. Red.: M. Schröter-München. Bd. III. Umwandlung und Verteilung der Energie. Red.:: M. Schröter-München. Bd. IV. Bergbau und Hüttenwesen. (Stoffgewinnung auf anorganischem Wege.) Red.: W. Bornhardt- Berlin. Bd. V. Land- und Forstwirtschaft. (Stoffgewinnung auf organischem Wege.) Bd. VI. Mechanische Technologie. (Stoffbearbeitung auf maschinentechnischem Wege.) Bd. VII. Chemische Technologie. Bd. VIII/IX. Siedelungen. Red.: W. Franz-Charlotten- burg, C. Hocheder-München. Bd. XXI. Verkehrswesen. Red.: O. Kammerer-Char- lottenburg. Bd. XII. Kriegswesen. Red.: C. Cranz- Charlottenburg. Bd. XIII. Die technischen Mittel des geistigen Verkehrs. Red.: A. Miethe- Halensee. Bd. XIV. Die technischen Mittel der Beobachtung und Messung. Red.: A. Miethe- Halensee. Bd. XV. Technische Bildung. Red.: W. v. Dye k-München. Bd. XVI. Die Technik in ihren Beziehungen zu den übrigen Kulturgebieten. Red.: W. v. Dyck-München. Bd. XVII. Die Technik im Gesamtbild der Kultur. Red.: W.v.Dyck-München. Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin HIMMEL UND ERDE ILLUSTRIERTE NATURWISSENSCHAFTL. MONATSSCHRIFT unter ständiger Mitarbeiterschaft von Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Aron, Berlin, Prof. Dr. Donath, Berlin, Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Foerster, Berlin, Prof. Dr. Franz, Breslau, Prof. Dr. Heek, Berlin, Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Hellmann, Berlin, Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Neesen, Berlin, Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Nernst, Berlin, Prof. Dr. Plate, Jena, Prof. Dr. Ristenpart, Santiago, Prof. Dr. Scheiner, Potsdam, Prof. Dr. Spies, Posen, Prof. Dr. Süring, Berlin, Dr. Thesing, Leipzig, Geh. Bergr. Prof. Dr. Wahnschaffe, Berlin, Prof.Dr. Walther, Halle redigiert von Dr. P. ScHWAHN, Direktor der Urania XXII. Jahrg. 1909/10. Jährlich 12 Hefte mit Tafeln und Abbildungen. Preis vierteljährlich M. 3.60 Sich fernhaltend von einer seichten Popularität, die nur der Halbbildung dient, unterrichtet „Himmel und Erde“ in wissenschaftlich einwandfreier, aber dennoch jedem Gebildeten verständlicher Weise den Leser über alle Fort- schritte auf dem Gebiete der Naturwissenschaft und Technik. Seit den mehr denn zwei Dezennien ihres Bestehens erfreut sich die Zeitschrift der ständigen Mitarbeit der besten Namen aus allen Fachgebieten. Der reiche Bilder- schmuck, der jedem Hefte beigegeben ist, und die gediegene Ausstattung machen das Blatt zu einem Schmuck für jede Bibliothek. Jedes Heft enthält eine Anzahl reich illustrierter größerer Aufsätze von namhaften Fachgelehrten, die entweder fundamentale Fragen der Naturwissenschaft und Technik oder biographische Würdigungen schöpferischer Geister auf dem Gebiete moderner Naturerkenntnis behandeln. An die größeren Aufsätze schließen sich Mitteilungen über wichtige Entdeckungen und Erfindungen, über naturwissenschaftliche und technische Kongresse, über die je- weiligen Himmelserscheinungen, außerdem Besprechungen der hervorragendsten neuen Werke auf naturwissen- schaftlichem Gebiete sowie eine sorgfältig durchgearbeitete Bücherschau. So wird es dem Leser gewährleistet, daß er den Überblick nicht verliert und einerlei, ob er selbst forschend tätig ist oder mitten im praktischen Leben steht, Fühlung mit den Errungenschaften unseres naturwissenschaftlichen Zeitalters behält. Aus dem Inhalt des XXI. Jahrgangs 1908/9: Größere Aufsätze. Die natürlichen Heilkräfte des Organismus gegen Infektionskrankheiten. Illustr. Von Prof. Dr. E. Metschnikoff in Paris. — Der Halleysche Komet. Illustr. Von Dr. K. Graff in Hamburg. — Höhe und Alter der Bäume. Von Prof. Dr. C. Müller in Potsdam. — Die Sinnesorgane der Pflanzen. Illustr. Von Prof. Dr. Haberlandt in Graz. — Das unterirdische Magma. Von Prof. Dr. Johannes Walther in Halle. — Deutschlands natür- liche Wasserkräfte. Von Dr. R. Hennig in Berlin. — Der Bau der Schweizeralpen. Illustr. Von Prof. Dr. Albert Heim in Zürich. — Die Elektrizität vor Gericht. Von Prof. Dr. F. Sauter in Ulm. — Die Entdeckung der ältesten, bisher nachgewiesenen Skelettüberreste des Menschen. Illustr. Von L. Reinhardt in Basel. — Die Voraussetzungen und die Methoden der exakten Naturforschung. Von Prof. Dr. P. Gruner in Bern. — Auf den Trümmern von Messina. Illustr. Von Dr. A. Rumpelt in Taormina. — Physikal. Entwicklungsmöglichkeiten. Von Prof. Dr. P. Spies in Posen. — Über das System der Fixsterne. Illustr. Von Prof. Dr. K. Schwarzschild in Potsdam. — Die Deichbrüche an der Elbe im Februar 1909. Illustr. Von Dr. W. Gerbing in Berlin. — Die Pendulationstheorie. Illustr. Von Prof. Dr. H. Simroth in Leipzig. — Zur Kenntnis des Raumes. Von Arnold Emch in Solothurn. — Von der Schallplatte. Illustr. Von Georg Gehlhoff und Max Ikl& in Berlin. ARCHIV FÜR RASSEN- UND GESELLSCHAFTS-BIOLOGIE EINSCHLIESSLICH RASSEN- uno GESELLSCHAFTS-HYGIENE Eine deszendenztheoretische Zeitschrift für die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesellschaft u. ihres gegenseitigen Verhältnisses, für die biologischen Bedingungen ihrer Erhaltung u. Entwicklung sowie für die grundlegenden Probleme der Entwicklungslehre Redigiert von Dr. A.PLOETZ in München VII. Jahrgang 1910. Jährlich 6 Hefte im Umfange von etwa 8-10 Bogen. Jährlich M. 20.— Das Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie, das mit dem VI. Jahrgang in den Teubnerschen Verlag überging, will eine deszendenztheoretische Zeitschrift sein „für die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesell- schaft und ihres gegenseitigen Verhältnisses, für die biologischen Bedingungen ihrer Erhaltung und Entwicklung sowie für die grundlegenden Probleme der Entwicklungslehre‘‘. Speziell beim Menschen gehören in die Rassenbiologie alle Betrachtungen über Geburten- und Sterbeziffer, Aus-, Ein- sowie Binnenwanderung und daraus resultierende Veränderungen der Rassen, über Fortpflanzung, Variabilität und Vererbung, über Kampf ums Dasein, Auslese und Panmixie, über wahllose Vernichtung und kontraselektorische Vorgänge, über direkte Umwandlung durch Umgebungs- einflüsse, über die Ungleichheit der etwaigen verschiedenen Rassen in bezug auf Entwicklungshöhe, über ihren Kampf ums Dasein gegeneinander sowie über die aus allen diesen Faktoren sich ergebenden Konsequenzen für die Erhal- tung und Entwicklung einer Rasse, für die Rassenhygiene, mögen sie die einzelnen, die Familie, Gesellschaften oder Staaten betreffen, mit allen ihren Ausstrahlungen auf Moral, Recht und Politik. — Das Phänomen der Gesell- schaft ist von dem der Rasse verschieden. Beim Menschen sind Gesellschaft und Rasse zwei vielfach in- und durch- einander geschobene Gruppierungen, die sich gegenseitig stark beeinflussen. Auch die Gesellschaft hat eine biolo- gische Grundlage und baut ihre Funktionen auf die Organtätigkeiten der sie bildenden Individuen auf. Somit muß es auch biologische Bedingungen der Erhaltung und Entwicklung einer Gesellschaft geben, also auch optimale für ihre sicherste Erhaltung und beste Form (Gesellschafts-Hygiene), die ebenfalls noch der wissenschaftlichen Dis- kussion offen sind. Ausführliche Literaturberichte sowie Notizen über hervorragend wichtige politische und kulturelle Ereignisse und Tendenzen sind jedem Archivheft beigefügt. Probehefte und ausführliche Prospekte umsonst vom Verlag * N Zum Gebrauch Lehrbuch der Physik. beim Unterricht, bei akademischen Vorlesungen und zum Selbststudium von Prof. E. Grimsehl. Mit 1091 Textfiguren, 2 farbigen Tafeln und einem Anhang, enthaltend Tabellen physi- kalischer Konstanten und Zahlentabellen. 1909. Geh. M. 15.—, geb. AM. 16.— Inhalt: Einleitung. I- XXIX: Meßkunde. Be- wegungslehre (Phoronomie). Die Lehre von den Kräften (Dynamik). Elastizität und Festigkeit. Gravitation. Potentialtheorie. Flüssigkeiten. Luftförmige Körper. Molekularphysik. Wärmelehre. Wetterkunde. Wellen- lehre. Akustik. Geometrische Optik. Physikalische Optik. Die Polarisation des Lichts. Optische Erschei- nungen in der Atmosphäre. Die Lichtenergie und ihre Umwandlungen. Physiologische Optik. Magnetismus. Elektrostatik. Die atmosphärische Elektrizität. Die strömende Elektrizität. Umwandlung elektrischer Strom- energie in Wärmeenergie. Elektrolyse. Elektroma- gnetismus. Mechanische Wirkungen des elektrischen Stromes. Induktion. Elektrische Entladungen. Elek- trische Schwingungen Anhang: Tabellen über wich- tige physikalische Konstanten. Zahlentabellen. „Dieses in jeder Beziehung zeitgemäße Werk des bekannten Verfassers, der durch zahlreiche praktische Apparatkonstruktionen und methodische Arbeiten ge- schätzt ist, vereinigt alle Eigenschaften, die es befähigen, ein unentbehrliches Lehr- und Lernmittel zu werden. Es fesselt durch die unmittelbare Verständlichkeit, durch die zahlreichen zum Teil eigenartigen vorzüglichen Ab- bildungen, und durch höchst angenehmen, übersicht- lichen Druck, und die Meisterschaft, womit überall das riehtige Verhältnis zwischen Induktion und Deduktion getroffen ist, wird schwer zu überbieten sein. Daß sehr vieles in dem Buche original ist, ist angesichts des Er- folges, mit dem der Verfasser alle Gebiete der Physik durchgearbeitet und zum Teil persönlich gestaltet hat, nicht verwunderlich. Das Buch hat aber noch andere wertvolle Eigenschaften. Es enthält in richtigem Maße eingestreute geschichtliche Bemerkungen. .“ (Neue Jahrbücher für Pädagogik.) „Weit mehr als früher, als vor noch zwanzig Jahren, ist die Physik und die Kenntnis ihrer grundlegenden Lehren ein Allgemeingut der gebildeten Schichten unseres Volkes geworden. Dem hat sich auf die Dauer auch das humanistische Gymnasium nicht mehr entziehen können. Das vorliegende Buch will denen, die eine höhere Schule besucht haben und das Bedürfnis fühlen, ihre erworbenen Kenntnisse lebendig zu erhalten und sie zu erweitern, ein zuverlässiger Führer und Berater sein. Auch die studierende Jugend wird vorteilhaft davon Gebrauch machen können. Beide auch deshalb, weil eine große Anzahl von Abbildungen den Text be- gleitet und erläutert. Im übrigen wird jeder Erwachsene dies umfangreiche Werk gern in seiner Bibliothek haben, da es an einem solchen Werke bisher fehlte, das ohne allzu große Gelehrsamkeit die in Betracht kommenden Kenntnisse übermittelt....“ (Der Tag.) 3 1 Von J. Scheiner. Populäre Astrophysik. vir 30 enen und 210 Figuren. gr. 8. 1908. In Leinw. geb. 4 12.— „. . Das Erscheinen dieses Werkes füllt eine bisher immer unangenehm empfundene Lücke aus, und zwar in einer so vorzüglichen Weise, daß man nur wünschen kann, daß keine Bibliothek und überhaupt niemand, der sich für Physik und Astronomie interessiert, das Buch in seiner Sammlung vermissen möge. Die neuesten Forschungsergebnisse sind berücksichtigt, die Darstel- lung ist überall einfach, klar und kritisch gewissenhaft. Bilder und Tafeln sind geschickt und glücklich gewählt und vortrefflich wiedergegeben. Dabei ist die gesamte Anlage durchaus übersichtlich und der physikalische Teil ohne Anforderung an mathematische Kenntnisse geschrieben.“ (Monatshefte für Mathematik und Physik.) „ . Dieses stattliche Werk darf auf um so größere Teilnahme rechnen, als das behandelte Spezialgebiet der Astronomie noch niemals in populärer Darstellung dar- geboten worden ist. Und doch umschließt diese Welt nicht nur eine Fülle der reizvollsten Erkenntnisse, sondern sie erschließt sie verhältnismäßig auch dem Laienverständnis leichter als so manche andere astro- nomische Disziplin. Speziell über Himmelsphotographie belehrt Scheiner in einer Weise, die man schwerlich gleich gut anderwärts finden wird.“ (Hochland.) „ . .. Zum mindesten für den Laien ist das Buch zu einem Kompendium der Astrophysik geworden.“ (Deutsche Literaturzeitung.) Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin Experimentelle Elektrizitätslehre. Mit besonderer Berücksichtigung der neueren Anschau- ungen und Ergebnisse. Dargestellt von Professor Dr. Hermann Starke. 2. Auflage. Mit etwa 300 Abbildungen. 1910. In Leinwand geb. etwa , 6 — „Ein Lehrbuch, wie das vorliegende, das von ganz modernem, theoretisch einheitlichem Standpunkte aus unsere Kenntnisse auf dem Gebiete der Ätherphysik zu- sammenstellt, war längst ein Bedürfnis. Der Verfasser ist ihm in ungemein glücklicher Weise entgegengekommen, und ein großer Erfolg ist seinem Werke gewiß. In der eleganten, klaren Art, die theoretischen Prinzipien zu entwickeln und die Tatsachen lebendig darum zu grup- pieren, gleicht die Darstellung den bisher in Deutschland kaum erreichten Mustern französischer Lehrbücher. Die Reichhaltigkeit des mitgeteilten, bis zu den neuesten Ergebnissen der Elektronentheorie reichenden Materials ist erstaunlich. Nur durch so echt wissenschaftliche Behandlung, also durch feste theoretische Fundierung, konnte auf so kleinem Raume so viel gebracht werden, und zwar so gebracht werden, daß man es bei der Lektüre wirklich ‚erlebt‘. Auch die prinzipiellen Seiten der technischen Anwendungen sind sehr ausgiebig ein- gefügt, so daß das Buch gleichzeitig eine Einführung in die Elektrotechnik ist, wie es zurzeit kaum eine bessere in Deutschland gibt.“ (H.Th.Simon in der Physik. Zeitschr.) „Das Buch ermöglicht, tiefer in die Kenntnis der elektrischen Erscheinungen auch ohne genauere mathe- matische Vorkenntnisse einzudringen; es behandelt die Grundgesetze und Definitionen der Elektrotechnik. Der reichhaltige Inhalt ist in klarer, sehr leicht verständlicher Weise verarbeitet und durch gute Abbildungen trefflich ergänzt.“ (Schweizerische elektrotechnische Zeitschrift.) Die Mechanik des Weltalls. unehe tümliche Darstellung der Lebensarbeit Johannes Keplers, besonders seiner Gesetze und Probleme. Von L. Günther. Mit 13 Fig., 1 Tafel u. vielen Tabellen. 8. 1909. Geb. / 2.50. Das Werk enthält in gemein verständlicher, leicht lesbarer Form eine Darstellung des Keplerschen Lehr- gebäudes, d. h. der fundamentalen Errungenschaften seines Gebietes und ihr Verhältnis zum heutigen Stand der Wissenschaft. Es schildert die Vorgänge im Weltall: die Bewegungen der Himmelskörper und die Kräfte, durch welche diese Bewegungen erzeugt werden, sowie die Gesetze, wonach sie sich vollziehen, in ihrem Zu- sammenhang und ihrer Entwicklung. „. . . Dem deutschen Volke einen seiner größten und edelsten Söhne, Johannes Kepler, wieder näher gebracht zu haben — das ist das kaum hoch genug zu veran- schlagende Verdienst, das sich der Verf. durch die Heraus- gabe dieses Buches erworben hat.“ (Frankfurtèr Ztg.) Himmelsbild und Weltanschauung im Wandel der Zeiten. es land Autor. Übersetzung v. L. BIO c h. 3. Aufl. 1907. Geb. L 5. „ .. Wir möchten dem schönen, inhaltreichen und anregenden Buche einen recht großen Leserkreis nicht nur unter den zünftigen Gelehrten, sondern auch den gebildeten Laien wünschen. Denn es ist nicht nur eine geschichtliche, d.h. der Vergangenheit angehörige Frage, die darin erörtert wird, sondern auch eine solche, die jedem Denkenden auf den Fingern brennt. Und nicht immer wird über solche Dinge so kundig und so frei, so leidenschaftslos und doch mit solcher Wärme ge- sprochen und geschrieben, wie es hier geschieht....“ (W. Nestle in den Neuen Jahrbüchern für das klass. Altertum.) Zur Einführung in die Philosophie Von Professor Dr. A. Riehl. der Gegenwart. lade cen so „Selten dürfte man ein Werk in die Hand bekommen, das so wie das vorliegende die schwierigsten Fragen der Philosophie in einer für alle Gebildeten faßlichen Form vorträgt, ohne sie zu verflachen. Es gewährt einen hohen senuß, diese Vorträge in ihrer fesselnden Form und schönen, durchsichtigen Sprache zu lesen, und nichtleicht wird man das Buch aus der Hand legen ohne den Wunsch, es wieder und wieder zu lesen. So erscheint es nicht nur für seinen eigentlichen Zweck einer Einführung in die Philosophie in hohem Maße geeignet, sondern bietet auch dem, der mit ihr schon auf die eine oder andere Weise fertig geworden, viele reiche Anregung und Förderung.“ (Zeitschrift für lateinlose höhere Schulen. Die Elemente der Mathematik. Von Professor Dr. E. Borel, Deutsche Ausgabe besorgt von Professor Paul Stäckel. In 2 Bänden. I. Band: Arithmetik und Algebra. Mit 57 Figuren und 3 Tafeln. 1908. In Leinwand geb. / 8.60. II. Band: Geometrie. Mit zahlreichen Figuren. In Leinwand geb. Sf. 6.40. „Die besten Dienste wird das Buch nicht Lehrern und Schülern, sondern jener immer zahlreicher werdenden ‚Kategorie der Nichtmathematiker‘ leisten, die sich in vorgerückten Jahren genötigt sehen, auf die lange bei- seite geschobene Mathematik zurückzugreifen; ... die überaus klaren, durch Beispiele aus dem täglichen Leben erläuterten Ausführungen u. die wohltuend einfache, kon- krete, aber überall peinlich korrekte Darstellung werden die halb vergessenen Schulkenntnisse neu beleben, konzen- trieren und so weit ergänzen, daß selbst der Weg zu dem ‚Gipfel der Differential- und Integralrechnung“ kaum er- hebliche Schwierigkeiten mehr bietet.“ (Pädagog. Zeitung.) „Das Erscheinen dieses Buches ist ein Ereignis. Die Namen des französischen Verfassers und des deutschen Bearbeiters sind bereits von programmatischer Bedeutung. Emile Borel ist einer der hervorragendsten Funktionen- theoretiker der Gegenwart und hat es nicht für zu gering erachtet, Schulbücher zu verfassen und in diese die von der modernen Reformbewegung geforderten Elemente aufzunehmen.“ (Frankfurter Zeitung.) Elemente der Mathematik. er n el . Prof. an der Universität Paris, Subdirektor der Ecole normale su- perieure zu Paris. Mit einem geschichtlichen Anhang von P. Tannery. Autorisierte deutsche Ausgabe von Dr P. Klaeß. Mit einem Einführungswort von Felix ‚Klein. [XII u. 339 S.] gr. S. 1909. Geh. / ., in Leinw. geb. / 8.— „Das Buch bietet schon stofflich sehr viel, da es neben der Elementarmathematik auch die zur Lektüre naturwissenschaftlicher Bücher heute unerläßlichen Grundbegriffe der höheren Mathematik vermittelt; aber sein Hauptreiz liegt in der Darstellungsform. Selten ist wohl ein mathematisches Lehrbuch geschrieben worden, das so frei ist von leerem Formelwesen, das so mutig allen unnötigen Ballast preisgibt wie das vorliegende Werk.“ (Naturwissenschaftliche Rundschau.) MathematischeUnterhaltungenund Spiele Von Dr. W. Ahrens. 2., vermehrte und verb. Aufl. In 2 Bänden. gr. S. 1910. In Leinw. geb. I. Band. Mit 200 Figuren. #.7.50. II. Band. [Er- scheint im Sommer 1910.] Kleine Ausgabe: Mathema- tische Spiele. 170. Bändchen der Sammlung „Aus Na- tur und Geisteswelt“. Mit einem Titelbild und 69 Fig. [VIu. 118 S.] 8. 1907. Geh. 1. —, in Leinw geb. {1.25 „Der Verfasser wollte sowohl den Fachmann, den der theoretische Kern des Spieles interessiert, als den mathematisch gebildeten Laien befriedigen, dem es sich um ein anregendes Gedankenspiel handelt; und er hat den richtigen Weg gefunden, beides zu erreichen. Dem wissenschaftlichen Interesse wird er gerecht, indem er durch die sorgfältig zusammengetragene Literatur und durch Einschaltungen mathematischen Inhalts die Be- ziehungen zur Wissenschaft herstellt; dem Nichtmathe- matiker kommt er durch die trefflichen Erläuterungen entgegen, die er der Lösung der verschiedenen Spiele zuteil werden läßt und die er, wo nur irgend nötig, durch Schemata, Figuren und dergleichen unterstützt.“ (Prof. Czuber in der Zeitschrift für das Realschulwesen.) Scherz u. Ernst in der Mathematik. Geflügelte und ungeflügelte Worte. Von Dr. W. Ahrens. gr. 8. 1904. In Leinwand geb. // 8.— „Ein ‚Büchmann‘ für das Spezialgebiet der mathe- matischen Literatur... Manch ein kurzes treffendes Wort verbreitet Licht über das Streben der in der mathematischen Wissenschaft führenden Geister. Hier- durch aber wird das sorgfältig bearbeitete Ahrenssche Werk eine zuverlässige Quelle nicht allein der Unter- haltung, sondern auch der Belehrung über Wesen, Zweck, Aufgabe und Geschichte der Mathematik.“ (J.Norrenbergin der Monatsschrift für höhere Schulen.) „ . Ich kann mir nicht anders denken, als daß dieses Buch jedem Mathematiker eine wahre Freude bereiten wird. Als ich es zum ersten Male in die Hände bekam, konnte ich mich gar nicht wieder davon losreißen, und seit ich es unter meinen Büchern stehen habe, ziehe ich es gar oft hervor, um darin zu blättern.“ (Friedrich Engel im Literarischen Zentralblatt.) 1909. Verlag von B.G.Teubner in Leipzig und Berlin 10 Die Mechanik Eine Einführung mit einem metaphysischen Nachwort von Professor Ludwig Tesar. Mit 111 Figuren. 1909. Geh. It 3.20, in Leinw. geb. N 4.— Die Einführung will die Dunkelheiten mechanischer Einleitungen dadurch vermeiden, daß sie erklärt und nicht beschreibt, daß sie die Annahmen des mechanischen Weltbildes allmählich herausarbeitet, daß sie also bewußt dem Wahnbilde einer „hypothesenfreien Wissenschaft“ entgegentritt. — Die Kraft ist von ihrer Außerung geschieden; die Bewegungslehre ist der eigent- lichen Mechanik gegenübergestellt; der Begriff des materiellen Punktes wird benutzt. Die mechanischen Sätze werden an wirklichen Vorgängen erläutert. Mathematische Formeln sind vermieden, rechnerische Herleitungen sehr elementar gehalten. Um aber auch weitergehenden Ansprüchen zu genügen, führt das Werk in zwischengeschobenen, kleingedruckten Teilen in das Unendlichkeitskalkul vom mechanischen Standpunkte, ferner auch in einen Teil der Ideen Hartmanns, des Monisten, ein. . Von G. C. u. W. H. Voung. Der kleine Geometer. }::8;°.,W-#-Young- Bernstein. Mit 127 Textfiguren und 3 bunten Tafeln: In Leinwand geb. / 3.— „ .. Wieviel Schulnot könnte den Kindern erspart bleiben, wenn ihnen so halb im Spiel das geometrische Sehen und Denken beigebracht, der geometrische In- stinkt geweckt würde! Wie ganz anders treten sie an die so gefürchtete Schulmathematik heran! Übersetzer wie Verleger verdienen den Dank der Eltern und .der Jugend für diese deutsche Ausgabe, die sich nicht nur durch glatte, flüssige Diktion — man merktnicht, daß man eine Übersetzung liest — sondern auch durch vorzügliche Ausstattung auszeichnet.“ (Münch. Neueste Nachr.) Das Feuerzeug. Von Ch. M. Tidy. Nach dem englischen Original bearbeit. von P. Pfannenschmidt. Mit 40 Fig. 1907. In Leinw. geb. H 2.— „ .. Daß es dem Verfasser gelungen ist, jugendlichen Lesern von der geistigen Reife unserer Quartaner und Tertianer chemische und physikalische Erscheinungen ohne Vorkenntnisse klarzumachen, ist nicht das, was für das Buch charakteristisch ist, sondern daß es schlicht, einfach und spannend von scheinbar kleinen Dingen redet, hinter denen der große Hintergrund wirkungs- voll hervorleuchtet. Die Behandlung des Stoffes ist mustergültig.“ (Himmel und Erde.) Chemisches Experimentierbuch für Von Prof. Dr. Karl Scheid. 2. Auflage. Knaben. Mit 79 Abbildungen. 1907. In Leinw. geb. /, 3.20. „. . Das kleine Buch ist für den genannten Zweck mit außerordentlichem Geschick zusammengestellt. Es vermeidet unnütze Spielereien und erschließt vor allen Dingen die wichtigsten Gegenstände des alltäglichen Lebens dem jugendlichen Experimentator.“ N (Annalen der Physik.) „ . . . Zugegeben, daß bei selbständigen Versuchs- anstellungen fünf zehnjähriger Knaben noch manche Spielerei und manches Mißverständnis mit unterläuft, — das Gesamtergebnis solcher selbst handanlegenden Be- schäftigung ist höher einzuschätzen als der durch das An- staunen der Versuche und durch das Anhören der vom Lehrer angeknüpften Erörterungen zu erwartende Ge- winn.“ (Jahresberichte über das höhere Schulwesen.) Natur-Paradoxe. ir Buch für die Tugena Erklärung von Er- scheinungen, die mit der täglichen Erfahrung in Wider- spruch zu stehen scheinen. Nach Dr. W. Hampsons „Paradoxes of Nature and Science“ bearbeitet von Dr, C. Schäffer. Mit 4 Tafeln und 65 Textbildern. 1907. In Leinw. geb. /, 3.— „ .. Das Buch wird vor allem der Jugend Freude bereiten, die daraus ersehen kann, wie vielfältig die Naturgesetze, die die Schule lehrt, angewendet werden können; überall sind Anleitungen gegeben, wie man die Versuche selbst mit ganz wenigen Mitteln durchführen kann. Aber auch sonst wird es jedem, der es nicht ver- lernt hat, über das Getriebe des täglichen Lebens hin- aus im aufmerksamen Beobachten der Natur Erholung und Anregung zu suchen, ein vortrefflicher Führer sein.“ (Die Hilfe.) Oſtaſienfahrt. Don Franz Doflein. Er- lebniſſe und Beobachtungen eines Naturforſchers in China, Japan und Ceylon. Mit zahlreichen Abbildungen ſowie mit 4 Karten. 1906. In Leinwand geb. M. 15.— „Dofleins Oſtaſienfahrt gehört zu den allerbeſten Reiſe— Schilderungen, die Referent überhaupt kennt, die er getroſt neben die Darwins ſtellen möchte, nur daß an Stelle der ernſten Bedächtigkeit und Surüdhaltung des Briten das leb— hafte Temperament des Süddeutſchen tritt, dem das Herz immer auf der Sunge liegt, und der deshalb auch vor einem kräftigen Wort nicht zurückſcheut, wo es die Derhältniſſe aus ihm herausdrängen. Es liegt eine ſolche Fülle feinſter Natur- und Menſchenbeobachtung in dem Werk, über das Ganze iſt ein ſolcher Sauber künſtleriſcher Auffaſſung ge— goſſen, und allen Eindrücken it in geradezu meijterhafter Sprache Ausdruck verliehen, daß das Ganze nicht wirkt wie eine Reiſebeſchreibung, ſondern wie ein Kunjtwerf, dem der Ruſſiſch⸗Japaniſche Krieg, der zur Seit der Reiſe gerade wütete, einige dramatiſche Akzente verleiht. Auch die Aus⸗ ſtattung des Werkes iſt eine vorwiegend feinſinnig künſt— leriſche.“ (Die Umfchau.) Die polarwelt und ihre Nachbarländer. Don Otto Nordenſkjöld. Mit 77 Abbil- dungen und einem farbigen Titelbild. 1909. In Leinwand geb. M. 8.— „Nordenſkjöld, der hierzu jedenfalls wie kein zweiter berufen erſcheint, unternimmt es in vorliegendem Werke, aus. der Polarliteratur und geſtützt auf reiche, eigene Er— fahrungen, die wichtigſten geographiſchen Geſichtspunkte in ſyſtematiſcher Form herauszuheben und eine wiſſenſchaftliche Morphologie der Polarwelt zu zeichnen. N. zieht die ganze Polarwelt in den Kreis ſeiner Betrachtungen und betont ſowohl das Gemeinſame des polaren Weſens wie das Be— ſondere der einzelnen Polarregionen. Er führt uns nach Grönland, Island, Spitzbergen, in die Südpolarländer, nach Nordamerika, Alaska, Sibirien und in die nordweſteuropä— iſchen Gebiete. Wir lernen die Bevölkerung in ihren Sitten, Gebräuchen, Erwerbsquellen kennen; die Tier- und Pflanzen- welt, das Klima, die geologiſchen und topographiſchen Forma— tionen und ſonſtige geographiſche Momente finden jach- kundige Würdigung. Bei dem großen Intereſſe für die Polarwelt wird das Buch auch über Fachkreiſe hinaus großen Anklang finden.“ (Titer. Pandpweiſer.) Auf Java und Sumatra. Don K. Gieſen⸗ hagen. Streifzüge und Forſchungsreiſen im Sande der Malaien. Mit 16 farbigen Doll— bildern, zahlreichen Abbildungen und einer Karte. 1902. Geh. M. 9. —, in Leinwand geb. M. 10.— „ . . .So iſt auch die obige Erzählung feiner vielfach abenteuerlichen Fahrt durch Dſchungel und Urwald, als ein Nebenergebnis ſeiner ernſten Forſcherarbeit, vorweg vom Standpunkte des Botanikers aus und zur Freude des gleich— geſinnten Derehrers der scientia amabilis, aber auch des naturliebenden Landwirts und des Kolonialfreundes ge— ſchrieben. Ein eigenes buntes Leben tut ſich daneben in der überreichen Fülle vorzüglicher in naturwiſſenſchaftlicher, landwirtſchaftlicher, wie volkskundlicher Beziehung höchſt charakteriſtiſch gewählter Abbildungen auf.“ (Wochenblatt des Jobanniter-Ordens Balley Brandenburg.) Eine Aujtralien- und Südſeefahrt. Von A. Daiber. Mit zahlreichen Abbildungen und einer Kartenbeilage. 1902. In Ceinw. geb. M. 7.— „Was bislang in deutſcher Sprache über Auſtralien ge⸗ ſchrieben worden iſt, iſt äußerſt gering und mangelhaft. Erſt die gegenwärtige Schrift, die auf Grund eingehender Studien an Ort und Stelle verfaßt worden iſt, kann den Anſpruch erheben, über Land und Leute des neuen Eröteils, über die Entwicklung und das Leben in Australien und der Südſee in befriedigender und ausführlicher Weiſe berichten zu können. Die Schrift feſſelt vom Anfange bis zum letzten Satze und gewährt dem Lehrer für Erd- und Völkerkunde ebenſo wie dem Naturwiſſenſchaftler und Kaufmann eine reiche Fundgrube tatſächlichen Anſchauungsmaterials, das alle Erſcheinungen früherer Jahre in den Schatten ſtellt.“ (Odd pꝓellow.) 11 Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin mittelmeerbilder. Geſammelte Abhand— lungen zur Kunde der Mittelmeerländer. Don Th. Fiſcher. 1906. Geh. M. 6. —, in Lein⸗ wand geb. M. 7.— Neue Folge. 1908. Mit 8 Kärtchen. Geh. M. 6.—, in Leinw. geb. M. 7.— „Alle Freunde des Mittelmeergebiets, der alten Heim- ſtatt unſerer wirtſchaftlichen Bildung, des ewig jungen Sauberfreijes erfriſchender, neu anregender Eindrücke in den Erholungspauſen des Lebenstagewerfs, werden es dem Verfaſſer Dank willen, daß er, nachdem er die gewichtigen Früchte ſeiner planvollen Forſchungen in bedeutenden Werken und gehaltvollen Einzelſtudien niedergelegt, nun auch die anmutigen Blüten, die er an ſeinen Wanderpfaden gepflückt, und die für die ganze gebildete Welt beſtimmten Suſammen— faſſungen ſeiner Eindrücke von Cändern ſeines beſonderen Arbeitsfeldes, Augenblidsbilder ihrer Suſtände und vor— und rückwärts gekehrte Überſichten ihrer Entwicklung und ihrer Bedeutung hier vereint hat.“ (Petermanns Mitteilungen.) Das Mittelmeergebiet. Seine geographiſche und kulturelle Eigenart. Don A. Philippſon. 2. Auflage. Mit 9 Figuren, 15 Anſichten und 10 Karten auf 15 Tafeln. 1907. In Leinwand geb. M. 7.— „Von dem höchſten Standpunkt aus, auf den die heutige Wiſſenſchaft den Forſcher zu ſtellen vermag, läßt der Der- faſſer ſeinen Ceſer die unendliche, von nicht auszugenießenden Reizen verklärte Mannigfaltigkeit der Naturerſcheinungen am Mittelmeer überſchauen. . . . Nicht nur der Laie, der von dem Forſcher Aufſchluß und Belehrung erwartet, wird für dieſe dankbar ſein, auch die Gelehrten, deren Fach— arbeiten auf naturwiſſenſchaftlichem, hiſtoriſchem, volks— wirtſchaftlichem Gebiet hier zu einem einheitlichen Bilde vereinigt ſind, werden zweifellos in ihm wertvolle Anre— gungen finden. . .. Auf dem Gebiete der deutſchen, das ganze Mittelmeer umfaſſenden Literatur ſteht Prof. Philipp⸗ ſons Werk unbedingt an erſter Stelle und wird wohl auch in der außerdeutſchen keinen ebenbürtigen Genoſſen haben.“ (Norddeutfche Allgemeine Zeitung.) Weltreijebilder. Don Julius Meurer. Mit 116 Abbildungen ſowie einer Weltkarte. 1893. In Leinwand geb. M. 9.— „. . Ich möchte behaupten, daß der „Meurer“ unter Umſtänden beſſere Dienſte tun kann als der „Baedeker“. Denn nicht nur zu ſtillvergnügten Weltreiſen in Kämmer⸗ lein und Studierſtube, wie ſie Jörn Uhls alter Onkel ſo leidenſchaftlich betrieb — auch für die Praxis iſt das Buch äußerſt ſchätzbar. Es unterrichtet über Kultur und Ge⸗ ſchichte der exotiſchen Länder, über Volkscharakter, Ent- wicklung oder Derfall der verſchiedenen Rafjen und beherrſcht mit gleicher Sicherheit die Muſterien religiöſer Kulten wie die Fähigkeit, die prachtvolle Vegetation ferner Reiche zu veranſchaulichen. Die „Weltreiſebilder“ werden ſich in ihrer gediegenen Ausſtattung viele Freunde erwerben.“ ' (Die Zeit.) Kairo - Bagdad - Konftantinopel. Don €.v.Hoffmeifter. Mit 11 Dollbildern und 157 Abbildungen ſowie einer Kartenbeilage. 1910. In Leinwand geb. M. 8.— „General v. Hoffmeijter hat im Frühling dieſes Jahres eine großangelegte Reiſe unternommen, die ihn von Agnpten über Damaskus, palmyra, Bagdad, Kerbela, Babylon, Aſſur, Ninive und quer durch Uleinaſien nach Konjtantinopel führte. Er berichtet in ſeiner anſprechenden, lebendigen und gemütstiefen Weiſe darüber. Aber dieſes Buch bietet uns mehr als eine bloße Keiſeſchilderung. Jahrelange gründliche Studien über Natur, Volkstum und Geſchichte des Orients, deren Ergebniſſe H. mit geſchickter Hand in die Erzählung einzuflechten wußte, erheben ſein Werk weit über den Durchſchnitt. . .. Suſammenfaſſend ſei nur noch bemerkt, daß es eine Fundgrube iſt, in geographiſcher und ethnographiſcher, hiſtoriſcher und kulturhiſtoriſcher Hinſicht.“ (Tägliche Rundſchau.) — ¹Üuꝛ⁴ ³⁰ ö ²˙·¹wm ] mmm yd . d Verlag von B.G.Teubner in Leipzig und Berlin N - .. für den realistischen Unterricht an Didaktische Handbücher höheren Schulen. Herausgegeben von Dr. A. Höfler, Professor an der Universität Wien, und Dr. F. Poske, Professor am Askanischen Gymnasium zu Berlin. In 10 Bänden. gr. 8. In Leinwand geb. Für den realistischen Unterricht an den höheren Schulen hat bisher keine feste Tradition wie für den Sprachunterricht bestanden, aber doch sind die prinzipiellen Fragen heute so weit geklärt, daß es möglich sein wird, konkrete Beispiele der Stoffgestaltung zu geben, die als Grundlage weiteren Fortschreitens dienen können. Die „Didaktischen Handbücher“ sollen demnach den praktischen Bedürfnissen des Lehrers entgegenkommen, der durchdrungen ist von der Größe der Aufgaben, die durch einen allseitigen Sachunterricht und nur durch ihn zu lösen sind, der sich aber auch der Schwierigkeiten bewußt ist, die mit diesen Aufgaben verknüpft sind. Zugleich sollen die „Didaktischen Handbücher“ der Zersplitterung entgegenwirken, die bei der wachsenden Zahl realistischer Unterrichtsfächer zu fürchten ist, und vielmehr die Einheit dieser Fächer durch möglichst zahlreiche und innige Verknüpfungen zwischen ihnen herzustellen versuchen. — Zunächst sind erschienen: Didaktik des mathematisch.Unterrichts | Didaktik des botanischen Unterrichts Von A. Höfler. Mit 2 Tafeln und 147 Figuren im | Von B. Landsberg. (ea. 200 S.] 1910. ca. M. 8.— ' Text. [XVIII u. 509 S.] 1910, # 12.— Außerdem befinden sich in Vorbereitung (genaue Titelfassung vorbehalten): Himmelskunde und astronomische Geo- | VIII. Bd. Zoologie und menschliche Somatologie graphie von A. Höfler in Wien. von C. Matzdorff in Pankow. Physische Geographie. IX. „ Philosoph. Propädeutik von A. Höfler. Physik von F. Pos ke in Berlin. X. „ Das Verhältnis der realistischen zu Chemie von O. Ohmann in Pankow. den sog. humanistischen Unterrichts- Mineralogie u. Geologie von R.Watzel. fächern von A. Höfler in Wien. Encyklopädie der Elementar-Ma- | Grundlehren der Mathematik. 54,54: themati Ein Handbuch für Lehrer und Studie- u. Lehrer. In 2 Teilen. Mit vielen Textfig. gr. S. In Lwd. geb. „rende von Dr. Heinrich Weber und I. Teil. Die Grundlehren der Arithmetik u. Algebra. Bearb, Dr. Joseph Wellstein, Professoren an der Universität von E. Netto und C. Färber. 2 Bände. [In Vorber.] Straßburg i. E. In 3 Bänden. gr. 8. In Leinwand geb. 5 = 5 x I. Elementare Algebra und Analysis. Bearbeitet von | II. DI NE RNIUNEEE A e 7 en H. Weber. 3. Auflage. Mit vielen Textfiguren. 2 nn 8 eee, lea. 600 S.] 1910. ca. M 10.— I. Band. Die Elemente der Geometrie. Bearbeitet von II. Elemente der Geometrie. Bearbeitet von H. Weber, Professor Dr. H. Thieme, Direktor des Real- J. Wellstein und W. Jacobsthal. 2. Auflage. FF Bromberg. Mit 323 Textfiguren. Mit 251 Textfiguren. [XII u. 596 S.] 1907. , 12.— B ee III. Angewandte Elementar-Mathematik. Bearbeitet von II. Band, von W. FE. Meyer. [In Vorbereitung. H. Weber, J. Wellstein u. R. H. Weber (Rostock). Die „Grundlehren der Mathematik“ sind als ein Mit 358 Textfiguren. [XIII u. 666 S.] 1907. . 14.— dem heutigen Stande der Wissenschaft entsprechendes „. .. Die Weber und Wellsteinschen Bücher gehören Gegenstück zu R. Baltzers „Elementen der Mathe- zu den wenigen fachwissenschaftlichen Werken, die ge- matik“ gedacht. Sie bilden kein Handbuch, in dem lesen, studiert und sogar gekauft werden. Die Ursache aller irgendwie wissenswerte Stoff aufgespeichert wurde, liegt nicht nur in äußeren Dingen, etwa der fesselnden sondern sie sind in erster Linie dem Unterricht, und Darstellung, der prächtigen Ausstattung, den köstlich zwar auch dem Selbstunterricht gewidmet. Tieferen sauberen Figuren, sondern im letzten Grunde ist es ihre Fragen suchen sie durch gelegentliche Ausblicke gerecht wissenschaftliche Ausgiebigkeit, die ihnen ihre Beliebt- zu werden. Nicht minder soll auch den historischen heit sichert, ihre Tiefe und Weite, die stellenweise bis Interessen Rechnung getragen werden. Der zweite Teil an die Gründlichkeit der Originalwerke hinanreicht....“ ist in freier Darstellung den Grundlagen, Grundzügen (Pädagogische Zeitung.) und Grundmethoden der Geometrie gewidmet. Die Schule der Naturwissenschaft in der Erziehung Eine Sammlung von Lehrbüchern für Schüler, Lehrer und Studierende. Herausgegeben von Dr. Karl T. Fischer, Professor an der Technischen Hochschule zu München. gr. 8. In Leinw. geb. Erfahrung und Überlegung haben in den letzten 10 bis 20 Jahren die Erkenntnis gezeitigt, daß die Natur- wissenschaften berufen sind, schon in der Schule ein Erziehungsmittel von ganz besonderem und durch andere Fächer nicht ersetzbarem Werte zu bilden, wenn sie nach der richtigen Methode gelehrt werden. Den einzelnen Bänden dieser Sammlung soll jene naturwissenschaftliche Unterrichtsmethode zugrunde gelegt werden, die nach bereits Dezennien umfassenden Erfahrungen der Engländer und Amerikaner im Mittel- schulunterricht und nach den Urteilen und Erwägungen berufener deutscher Fachmänner und Kommissionen als die beste und wohl die einzig richtige angesehen wird und somit erprobt werden muß: es wird in den Lehr- büchern der Versuch gemacht werden, einen Lehrgang darzustellen, welcher den Schüler soweit wie möglich jene Vorgänge selbst erleben läßt, die ihm bisher nur vorgezeigt wurden, und welcher somit eine innige Ver- bindung von theoretischem und Demonstrationsunterricht mit Schülerübungen prinzipiell fordert, andererseits bezüglich des Umfanges des Lehrstoffes sich eine erhebliche Beschränkung erlaubt, damit die Methode in der auch jetzt den Naturwissenschaften geschenkten Zeit durchführbar wird. Folgende Bände befinden sich in Vorbereitung: 1. Bedeutung der Naturwissenschaften für die Erziehung, | bewegungen in der Physik. — 11. Chemie, von H. Cor- von G. Kerschensteiner (zur Einführung in die nelius. — 12. Geodäsie und Astronomie. yanz erie). ü 8 i g e Serie) c) Für Studierende. 2. Physik, von K. T-Pischor. %%% | 13 Mechanik der festen, Alssigen und gasfürmigen Kürper, nelius. — 4. Mathematisch - physikalische Geographie. trizität und Magnetismus. — 18. Wellenbewegung in der b) Für höhere Schulen. Physik, einschließlich Elektrooptik. — 19. Anorganische 5. Wärmelehre, von F. Bohnert. — 6. Mechanik. — Versuche und Gesetze. — 20. Organische Chemie. — 7. Akustik. — 8. Licht, von E. Grimsehl. — 9. Elek- 21. Allgemeine theoretische und physikalische Chemie. — trizität und Magnetismus. — 10. Schwingungs- und Wellen- 22. Astronomie. a) Für Volksschulen. 12 = Verlag von. B. G. Teubner in Leipzig und Berli Im Herbst 1910 erscheint unter dem Titel BASTIAN SCHMIDS NATURWISSENSCHAFTLICHE SCHÜLERBIBLIOTHEK eine Sammlung von Bändchen, die nach einheitlichen Gesichtspunkten an- gelegt und für den Schüler bestimmt sind. Die einzelnen Bändchen setzen demnach einen regelrechten Unterricht in dem entsprechenden Gebiete, das sie vertreten, voraus und sind dem Verständnis der Schüler verschiedenen Alters angemessen. Sie sind jedoch keine Kopie des Unterrichts, vielmehr behandeln sie die betreffende Materie in anregender Form, und zwar so, daß der Schüler den Stoff selbsttätig erlebt, sei es auf Wanderungen in der engeren oder weiteren Heimat oder zu Hause durch verständige Beobachtung. oder durch ein planmäßig angestelltes Experiment. Ferner suchen sie den Unterricht in Dingen zu ergänzen, die wegen Mangels an Zeit dort wenig Beachtung finden können, die aber manchem der Schüler eine willkommene Anregung sein dürften. Aber auch Eltern, Erzieher und gebildete Laien, die an dem geistigen Wachstum der Jugend Interesse nehmen, werden gern zu dem einen oder anderen Bändchen greifen. Von den Bändchen, die in Erscheinung bzw. Vorbereitung begriffen sind, seien zunächst genannt: Geologisches Wanderbuch. Von Prof. | Schmetterlingsbuch. Von Oberstudienrat K. G. Volk in Freiburg i. B. An der See. (Geographisch - geologische Beobachtungen.) Von Professor Dr. P. Dahms in Zoppot. Strandwanderungen. (Zoolog.-bot. Stu- dien. Von Dr. V. Franz, Helgoland. Himmelsbeobachtungen. Von Oberlehrer F.Rusch in Goldap. Frühlingspflanzen. Von Prof.B.Lands- berg in Königsberg i. Pr. Vegetationsbilder der Heimat. Von Dr. P.Graebner in Berlin-Gr.-Lichterfelde. Das Leben in Teich und Fluß. Von Prof. Dr. R. von Hanstein in Berlin- Groß-Lichterfelde. Insektenbiologie. Von Oberlehrer Dr. Chr. Schröder in Berlin. Insektenbestimmungsbuch. Von Ober- lehrer Dr. Chr. Schröder in Berlin und Dr. W. La Baume in Berlin. Prof. Dr. K. Lampert in Stuttgart. Das Leben unserer Vögel. Von Dr. Thienemann in Königsberg-Rositten. Anleitung zu photographischen Natur- aufnahmen. Von Lehrer Georg E. F. Schulz in Friedenau b. Berlin. Aquarium und Terrarium. Von Dr. F. Urban, k. k. Staatsrealschule in Plan. Der junge Ingenieur. Praktischer Hand- fertigkeitsunterricht. Von Professor E. Gscheidlen in Mannheim. Physikalisches Experimentierbuch. Von Prof. Dr. H. Rebenstorff in Dresden. Chemie und Großindustrie. Von Prof. Dr. E.Löwenhardt in Halle a. S. Die Luftschiffahrt. Von Dr. R. Nimführ in Wien. Große Physiker. Von Direktor Prof. Dr. H. Keferstein in Hamburg. Große Chemiker. Von Professor Dr. O. Ohmann in Berlin. —— Derlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin Aus Natur und Geiſteswelt Sammlung wiſſenſchaftl.-gemeinverſtändl. Darſtellungen aus allen Gebieten des Wiſſens. Jeder Band iſt in ſich abgeſchloſſen und einzeln käuflich. In erſchöpfender und allgemein verſtändlicher Behandlung werden in abgeſchloſſenen Bänden auf wiſſenſchaftlicher Grundlage ruhende Darſtellungen wichtiger Gebiete in planvoller Beſchränkung aus allen Sweigen des Wiſſens geboten, die von allgemeinem Intereſſe ſind und dauernden Nutzen gewähren. Jeder Band geh. M. 1.—, in Leinwand geb. M. 1.25. Zwei Urteile über die Sammlung: „. . . Wir nannten ſie, als Ganzes betrachtet, eine gewaltige Enzyklopädie des Wiſſens. In der jtatt- lichen Reihe von Büchern ſpiegelt ſich eine Unſumme deutſchen Gelehrtenfleißes wieder. Zu ihrer großen Aus- dehnung hat dieſe Sammlung wohl der Erfolg geführt, den die Bücher bei den Bücherfreunden gefunden haben. Wunder nimmt dies nicht. Es kann kaum eine geſchicktere, bei aller Wiſſenſchaftlichkeit volkstümlichere Be— handlung eines Stoffes geben als in dieſen Schriften. . . . die Klarheit der Dispoſition iſt ebenſo groß wie die Ausführung leichtverſtändlich.“ 0 (Dresdner Journal.) „Die Teubnerſche Sammlung ‚Aus Natur und Geijteswelt‘ ſteht in der erſten Linie der buchhänd⸗ leriſchen Unternehmen, die einem weiteren Leſerkreiſe gediegene, von wirklichen Fachleuten geſchriebene Dar- ſtellungen begrenzter Gebiete zu ſehr niedrigem Preiſe vermitteln wollen. Gegenüber den zahlreichen, mit vielen Bildern und meiſt ſehr oberflächlichem Texte verſehenen, weder ihrem Gehalte noch ihrem Preiſe nach als ‚populär‘ zu bezeichnenden Büchern, die mehr der flüchtigen Neugier, als wirklichem Intereſſe der Ceſer dienen können, verdienen ſolche Beſtrebungen die Teilnahme aller Fachkreiſe. Denn gut geſchriebene, einfache Dar— ſtellungen können auch angehenden Fachleuten weſentliche Dienſte leiſten, da ſie unter Vermeidung ſchulmäßiger feierlicher Form einen einführenden Überblick gewähren und ſehr anregend wirken können.“ (Archiv der Mathematik und Phyfik.) Syſtematiſches Verzeichnis der bisher erſchienenen 350 Bände: Allgemeines Bildungsweſen. Erziehung. Unterricht. Deutſches Bildungsweſen i. ſ. geſchichtl. Entwicklung: Fr. Paulſen. (100.) Der Ceipzg. Student 1409— 1909: W. Bruchmüller. (273.) Allgemeine Pädagogik: Th. Siegler. (35.) Experimentelle Pädagogik: W. A. Cay. (224.) Pſychologie des Kindes: R. Gaupp. (213.) Moderne Erziehung: J. Tews. (159.) Diſch. Unterrichtsweſen d. Gegenw.: K. Knabe. (299.) Die höh. Mädchenſchule i. Dtſchl.: M. Martin. (65.) Das dtſch. Fortbildungsſchulweſen: Fr. Schilling. (256.) Dom Hilfsſchulweſen: B. Maennel. (75.) Knabenhandarbeit i.d. heut. Erziehung: H. Pabſt. (140.) Geſchichte des deutſchen Schulweſens: K. Knabe. (85.) Das moderne Volksbildungsweſen: G. Fritz. (266.) Schulkämpfe der Gegenwart: J. Tews. (111.) Dtſch. Ringen n. Kraft u. Schönheit. I.: K. Möller. (188.) Die Leibesübungen: R. Sander. (13.) Schulhngiene: L. Burgeritein. (96.) Öffentl. Fürſorge f. d. hilfsbedürftige, f. d. ſittl. gefähr⸗ dete u.gewerbl. tätige Jugend: J. Peterſen. (161/162.) Die amerikaniſche Univerjität: E. D. Perry. (206.) Techniſche Hochſch. i. Nordamerika.: S. Müller. (190.) Volksſchule u. Lehrerbildung d. Verein. Staaten.: Fr. Kunpers. (150.) Rouſſeau: P. Henſel. (180.) Peſtalozzi: Sein Leben u. ſ. Ideen: P. Natorp. (250.) Herbarts Cehren und Ceben: O. Flügel. (164.) Friedrich Fröbel: A. v. Portugall. (82.) Religionswiſſenſchaft. Leben u. Lehre d. Buddha: R. Piſchel. (109.) Germaniſche Mythologie: J. v. Negelein. (95.) Paläſtina u. ſ. Geſchichte: H. Sch. von Soden. (6.) Paläſtina nach d.neuejten Ausgrab.: P. Thomſen.(260.) Grundz. d. iſrael. Religionsgeſch.: Fr. Gieſeb recht. (52.) Die Gleichniſſe Jeſu: H. Weinel. (46.) Wahrheitu. Dichtung i. Leben Jeſu: P. Mehlhorn. (137.) Jeſus und feine Seitgenoſſen: C. Bonhoff. (89.) Der Text des Neuen Teſtaments nach ſ. geſchichtl. Entwicklung: A. Pott. (154.) Aus der Werdezeit d. Chriſtentums: J. Geffcken. (54.) Paulus und ſein Werk: Eb. Viſcher. (309.) Cuther i. Cichte d. neueren Forſchung: H. Boehmer. (118.) Johann Calvin: G. Sodeur. (247.) Die Jeſuiten: B. Boehmer. (49.) Nnſtik i. Heidentum u. Chrijtentum: E.Cehmann. (217.) Chriſtentum u. Weltgeſch.: K. Sell. (297. 298.) Die relig. Strömungen d. Gegenw.: A. H. Braaſch. (66.) Die Stellung d. Religion i. Geiſtesl.: P. Kalweit. (225.) Religion u. Naturwiſſenſchaft: A. Pfannkuche. (141.) Philoſophie und Pſychologie. Einführung i. d. Philoſophie: R. Richter. (155.) Philojophie. Einführung. H. Richert. (186.) Myſtik i. Heidentum u. Chriſtentum: E. Lehmann. (217.) Führende Denker: J. Cohn. (176.) [C. Buſſe. (56.) Weltanſchauungen d. gr. Philojophen d. Neuzeit: Philoſophie d. Gegenw. i. Deutſchl.: O. Külpe. (41.) Leben u. Lehre des Buddha: R. Piſchel. (109.) Roufjeau: P. Henſel. (180.) Immanuel Kant: O. Külpe. (146.) Schopenhauer: H. Richert. (81.) Herbarts Lehre und Leben: O. Flügel. (164.) Herbert Spencer: P. Schwarze. (245.) Das Weltproblem v. poſitiviſtiſchen Standpunkt aus: J. Petzoldt. (133.) Naturwiſſenſchaft u. Religion: A. Pfannkuche. (141.) Aufgaben u. Ziele d. Menjchenlebens: J. Unold. (12.) Sittl. Sebensanſchauungen d. Gegenw.: O. Kirn. (177.) Bau u. Leben d. bildenden Kunſt: R. Dolbehr. (68.) Mechanik d. Geiſteslebens: M. Verworn. (200.) Hypnotismus u. Suggeſtion: E. Trömner. (199.) Pſychologie des Kindes: R. Gaupp. (213.) Pſychologie des Verbrechers: P. Pollitz. (248.) Die Seele des Menſchen: J. Rehmke. (36.) Literatur und Sprache. Die Sprachſtämme d. Erdkreiſes: Fr. N. Finck. (267.) Rhetorik: Ew. Geißler. (310.) Haupttypen d. menſchl. Sprachbaues: Fr. N. Finck. (268.) Die Stimme: P. H. Gerber. (136.) Schrift⸗ u. Buchweſen: O. Weiſe. (4.) Entſtehung u. Entwicklung unſerer Mutterſprache: W. Uhl. (84.) Die deutichen Perſonennamen: A. Bähniſch. (296.) Das deutſche Volkslied: J. W. Bruinier. (7.) Die deutſche Dolfsjage: O. Böckel. (262.) Geſch. d. dtſch. Cyrik ſeit Claudius: H. Spiero. (254.) Schiller: Th. Siegler. (74.) Deutſche Romantik: O. Walzel. (232.) Das deutſche Drama d. 19. Jahrh.: G. Witkowski. (51.) Friedrich Hebbel: A. Schapire-Neurath. (238.) Gerhart Hauptmann: E. Sulger-Gebing. (283.) Das Theater: Chr. Gaehde. (230.) Das Drama |. II. III: B. Buſſe. (287 289.) Ibſen, Björnſon u. ihre Seitgenoſſen: B. Kahle. (195.) Shakeſpeare: E. Sieper. (185.) Bildende Kunſt und Mufik. Bau u. Leben d. bild. Kunjt: Th. Dolbehr. (68.) Blütezeit d. griech. Kunſt i. Spiegel d. Reliefſarkophage: H. Wachtler. (272.) Deutſche Baukunſt i. Mittelalter: A. Matthaei. (8.) Die deutſche Illuſtration: R. Kautzſch. (44.) Deutſche Kunſt i. tägl. Leben bis z. Schluß d. 18. Jahrh.: B. Haendcke. (198.) Albrecht Dürer: K. Wuſtmann. (97.) Rembrandt: Pp. Schubring. (158.) Die oſtaſiatiſche Kunſt: R. Graul. (87.) Kunjtpflege i. haus u. Heimat: R. Bürkner. (77.) Geſchichte d. Gartenkunſt: Chr. Rand., (274.) Geſchichte der Muſik: Fr. Spiro. (143.) Haydn, Mozart, Beethoven: C. Krebs. (92.) Die Grundlagen der Tonkunſt: H. Rietſch. (178.) Einführ. i. d. Weſen d. Muſik: C. R. Hennig. (119.) D. Blütezeit d. muſikal. Romantik i. Dtſchl.: E. Iſtel.(259.) Das moderne Orcheſter: Fritz Volbach. 6808.) Geſchichte und Kulturgeſchichte. Die Anfänge d. menſchl. Kultur: C. Stein. (93.) Paläftina u. ſ. Geſchichte: H. v. Soden. (6.) Paläſtina nach d. neueſten Ausgrab.: P. Thomſen. (260.) Kulturbilder aus griech. Städten: E. Siebarth. (151.) Pompeji, e. helleniſt. Stadt i. Italien: F. v. Duhn. (114.) Antike Wirtſchaftsgeſchichte: O. Neurath. (258.) Soziale Kämpfe i. alten Rom: C. Bloch. (22.) H. d. Werdezeit d. Chriſtentums: J. Geffcken. (54.) Chriſtentum u. Weltgeſchichte: K. Sell. (297/298.) Byzantin. Charakterköpfe: K. Dieterich. (244.) German. Kultur i. d. Urzeit: G. Steinhauſen. (75.) Germaniſche Mythologie: J. v. Negelein. (95.) Mittelalterl.Kulturideale. J. Heldenleben: V. edel. (292.) Die dtſch. Volksſtämme u. Candſch.: O. Weiſe. (16.) Kulturgeſch. d. dtſch. Bauernhauſes: Chr. Rand. (121.) Das deutſche Dorf: R. Mielke. (192.) Das deutſche Haus u. ſ. Hausrat: R. Meringer. (116.) Dtich. Baukunſt i. Mittelalter: A. Matthaei. (8.) Die dtjch. Perſonennamen: A. Bähniſch. (296.) Die deutſche Volksſage: O. Böckel. (262.) Das deutſche Volkslied: J. W. Bruinier. (7.) Deutſche Dolfsfejte u. Volksſitten: H. S. Rehm. (214.) Dtſch. Städte u. Bürger i. Mittelalter: B. Heil. (43.) Bijtor. Städtebilder a. Holland u. Niederdeutſchland: A. Erbe. (117.) Das dtſch. Handwerk i. ſ. kulturgeſch. Entwicklung: Ed. Otto. (14.) Dtſch. Frauenleben i. Wandel d. Jahrh.: Ed. Otto. (45.) Deutſches Bildungsweſen i. ſ. geſchichtl. Entwicklung: Fr. Paulſen. (100.) Geſchichte d. dtſch. Schulweſens: A. Knabe. (85.) Der Leipzg. Student 14091909: W. Bruchmüller.(275.) Die Münze als hiſtor. Denkmal: A. Luſchin v. Eben⸗ greuth. (91.) Aus Natur und Geiſteswelt Jeder Band geh. M. 1.—, in Leinwand geb. M. 1.25. Das Seitalter der Entdeckungen: S. Günther. (26.) Cuther i. Cichte d. neueren Forſchung: H. Boehmer. (113.) Johann Calvin: G. Sodeur. (24.5) Die Jeſuiten: H. Boehmer. (49.) Don £uther zu Bismarck: O. Weber. (123/124.) Friedrich der Große: Th. Bitterauf. (246.) Napoleon J.: Th. Bitterauf. (195.) Polit. Hauptitrömungen i. Europa i. 19. Jahrh.: HK. Th. v. Heigel. (129.) Geſ h. d. ſozialiſt. Ideen i. 19. Jahrh.: Fr. Muckle.(269/270.) Entwicklung d. dtſch. Wirtſchaftslebens i. 19. Jahrh.: C. Pohle. (57.) Reſtauration u. Revolution: R. Schwemer. (37.) Die Reaktion u. d. neue Ara: R. Schwemer. (101.) 1848: O. Weber. (55.) Dom Bund z. Reich: R. Schwemer. (102.) [(242/243.) Oſterreichs inn. Geſch. v. 18481907: R. Charmatz. Englands Weltmacht: W. Cangenbeck. (174.) Geſch. d. Verein. Staaten: E. Daenell. (147.) H. d. amerikan. Wirtſchaftsleben: J. C. Laughlin. (127.) Geſch. d. Welthandels: M. G. Schmidt. (118.) Kriegsweſen i. 19. Jahrh.: O. v. Sothen. (59.) Der Seekrieg: K. v. Maltzahn. (99.) Der Krieg im Seitalter des Verkehrs u. d. Technik: H. Meyer. (271.) Die moderne Friedensbewegung: A.H. Fried. (157.) Internat. Leben der Gegenw.: A. H. Fried. (226.) Die moderne Frauenbewegung: K. Schirmacher. (67.) Der Kalender: W. F. Wislicenus. (69.) Buchgewerbe und Kultur: R. Focke, G. Witkowski, R. Kautzſch, K. Wuttke, H. Waentig, H. Hermelink. (182.) Schrift⸗ und Buchweſen: O. Weiſe. (4.) Geſchichte der Gartenkunſt: Chr. Rand. (274.) Rechts⸗ und Staatswiſſenſchaft. Volkswirtſchaft. Dtſch. Fürſtentum u. Verfaſſungsweſen: E. Hubrich.(80.) Grundz. d. Verfaſſung d. Dtſch. Reiches: E. Loening. (34.) Finanzwiſſenſchaft: S. P. Altmann. (306.) Soziale Bewegungen und Theorien: G. Maier. (2.) Soziale Kämpfe im alten Rom: C. Bloch. (22.) Geſch. d. ſozialiſt. Ideen i. 19. Jahrh.: Fr. Muckle. (269/270.) Internationales Leben d. Gegenw.: A. H. Fried. ( Geſchichte des Welthandels: M. G. Schmidt. (1 Geſchichte d. dtſch. handels: W. Cangenbeck. Antike Wirtſchaftsgeſchichte: O. Neurath. (258. Deutſchlands Stellung i. d. Weltwirtſch.: P. Arndt. (179. Deutſches Wirtſchaftsleben: Chr. Gruber. (42.) Entwicklung des deutſchen Wirtſchaftslebens im letzten Jahrhundert: C. Pohle. (57.) Die deutſche Candwirtſchaft: W. Claaßen. (215.) Innere Kolonijation: A. Brenning. (261.) Unſere Schutzgebiete nach ihren wirtſchaftlichen Der- hältniſſen: Chr. E. Barth. (290.) Amerikaniſches Wirtſchaftsleben: J. C. Caughlin. (127.) Die Japaner und ihre wirtſchaftliche Entwicklung: K. Rathgen. (72.) Die Gartenſtadtbewegung: 5. Kampffmeyer. (259.) Bevölkerungslehre: M. Haushofer. (50) Urbeiterſchutz und Arbeiterverſicherung: O. v. Swie⸗ dineck-Südenhorſt. (78.) Die Konſumgenoſſenſchaft: F. Staudinger. (222.) Die Frauenarbeit: R. Wilbrandt. (106.) Grundzüge d. Verſicherungsweſens: A. Manes. (105.) Verkehrsentwicklg. i. Deutſchl. 1800-1900: W. Sotz. (15.) Das Poſtweſen: J. Bruns. (165.) Die Telegraphie: J. Bruns. (183.) Telegraphen- u. Fernſprechtechnik: H. Brick. (235.) Deutſche Schiffahrt und Schiffahrtspolitik der Gegen⸗ wart: K. Thieß. (169.) Moderne Rechtsprobleme: J. Kohler. (128.) Pſychologie des Verbrechers: P. Pollitz. (248.) Verbrechen und Aberglaube: A. Hellwig. (212) Zivilprozeßrecht: M. Strauß. (315.) Jurisprudenz im häuslichen Leben: P. Bienengräber. Ehe u. Eherecht: C. Wahrmund. (115.) 219/220.) Der gewerbliche Rechtsſchutz: B. Tolksdorf. (138.) Die Miete nach dem BGB.: M. Strauß. (194.) Das Wahlrecht: P. Poensgen. (249.) Aus Natur und Geiſteswelt Erdkunde. menſch und Erde: A. Kirchhoff. (31.) Wirtſchaftliche Erdkunde: Chr. Gruber. (122.) Die dtſch. Volksſtämme u. Candſchaften: O. Weiſe. (16.) Die dtſch. Kolonien. Land u. Leute: A. Heilborn. (98.) Unſere Schutzgebiete nach ihren wirtſchaftlichen Ver⸗ hältniſſen: Chr. G. Barth. (290.) Die Städte, geograph. betrachtet: K. Haſſert. (165.) Der Orient: Ew. Banſe. (277, 278, 279.) Die Polarforſchung: K. Haſſert. (38.) Meeresforſchung und Meeresleben: O. Janſon. (30.) Die Alpen: H. Reishauer. (276.) Anthropologie. Heilwiſſenſchaft und Geſundheitslehre. Der Menſch: A. Heilborn. (62.) D. Anatomie d. Menſchen: K. v. Bardele ben. J. Allg. Anatomie und Entwicklungsgeſch. II. Das Skelett. III. Musfel- und Gefäßſyſtem. IV. Eingeweide. V. Statik u. Mechanik d. Körpers. (201 —204, 263.) Bau u. Tätigkeit d. menſchl. Körpers: H. Sachs. (32.) Acht Vorträge a. d. Geſundheitslehre: H. Buchner. (1.) Schulhngiene: C. Burgerſtein. (96.) Die moderne Heilwiſſenſchaft: E. Biernacki. Der Arzt: M. Fürſt. (265.) Der Aberglaube i. d. Medizin: D. v. Hanjemann. (83.) Die Leibesübungen: R. Sander. (13.) Ernährung u. Volksnahrungsmittel: J. Frentzel. (19.) Der Alkoholismus, ſ. Wirkungen u. ſ. Bekämpfung. Krankenpflege: B. Leid. (152.) (103, 104, 145.) Dom Nervenſyſtem: R. Sander. (48.) Mechanik des Geiſtesleben: M. Derworn. Hypnotismus u. Suggeſtion: E. Trömner. Geiſteskrankheiten: G. Ilberg. (151.) Geſchlechtskrankheiten: W. Schumburg. (251.) Die fünf Sinne d. Menſchen: C. Kreibig. (27.) Pſychologie des Kindes: R. Gaupp. (213.) Herz, Blutgefäße und Blut: H. Rojin. (312.) Das Auge des Menſchen: G. Abelsdorff. (149.) Die menſchliche Stimme: P. H. Gerber. (156.) Das menſchliche Gebiß, ſ. Erkrankung u. ſ. Pflege: Fr. Jäger. (229.) Die Tuberfuloje: W. Shumburg. (47.) Krankheiterregende Bakterien: M. Coehlein. (307.) Der Säugling: W. Kaupe. (154.) Geſundheitslehre f. Frauen: R. Sticher. (171.) Naturwiſſenſchaften. Mathematik. Religion u. Naturwiſſenſchaft in Kampf u. Frieden. A. Pfannkuche. (141.) D. Grundbegriffe d. mod. Naturlehre: $.Auerbad). (40.) (25. (200.) (199.) Die Lehre von der Energie: A. Stein. (257.) Moleküle, Atome, Weltäther: G. Mie. (58.) Das Licht und die Farben: C. Graetz. (17.) Sichtbare und unſichtbare Strahlen: und W. Marckwald. (64.) Einführung i. d. chem. Wiſſenſchaft: W. Cöb. Die optiſchen Inſtrumente: M. v. Rohr. (88. Spektroſkopie: C. Grebe. (284.) Das Mikroſkop: W. Scheffer. (35.) Das Stereojfop: Th. Hartwig. (135.) Die Photographie: S. Hausmann (280.) Die Lehre von der Wärme: R. Börnſtein. (172.) Phyſik der Kälte: H. Alt. (311.) Luft, Waſſer, Licht u. Wärme: R. Blochmann. (5.) Das Waſſer: O. Anſelmino. (291.) Natürl.u.künſtl Pflanzen- u. Tierſtoffe: B. Bavink.(187.) Die Erſcheinungen des Lebens: H. Miehe. (130.) Abjtammungslehre u. Darwinismus: R. Heſſe. (39.) Der Befruchtungsvorgang: E. Teichmann. (70.) Werden u. Vergehen d. Pflanzen: P. Giſevius. (173.) Vermehrung und Sexualität bei den Pflanzen: €. Küſter. (112.) Unſere wichtigſten Kulturpflanzen (Getreidegräſer): K. Gieſenhagen. (10.) Der deutſche Wald: H. Hausrath. (153.) Der Obſtbau: E. Voges. (107.) Kolonialbetanif: Fr. Tobler. (184.) R. Börnſtein (264. 16 Kaffee, Tee, Kafao: A. Wieler. (132.) Pflanzenwelt des Mikroſkops: E. Reufauf. (181.) Tierwelt d. Mikroſkops (Urtiere): R. Goldſchmidt. (160.) Beziehungen der Tiere zu einander und zur Pflanzen⸗ welt: K. Kraepelin. (79.) Tierkunde. Einf. i. d. Zoologie: K. Hennings. (142.) Cebensbeding. u. Derbreitg. d. Tiere: O. Maas. (139.) Swiegeſtalt der Geſchlechter in der Tierwelt: Fr. Knauer. (148.) Der Kampf zw. Menſch u. Tier: K. Eckſtein. (18.) Die Welt der Organismen: K. Campert. (236.) Vergleichende Anatomie d. Sinnesorgane d. Wirbel⸗ tiere: W. Cuboſch. (282.) Die Stammesgeſch. unſ. Haustiere: K. Keller. (252.) Die Fortpflanzung d. Tiere: R. Goldſchmidt. (253.) Deutſches Dogelleben: A. Voigt. (221.) Dogelzug und Dogelihug: W. R. Eckardt. (218.) Die Ameiſen: Fr. Knauer. (94.) Meeresforſchung u. Meeresleben: O. Janſon. (30.) Das Süßwaſſer-plankton: O. Zacharias. (156.) Korallen u. a. geſteinsbild. Tiere: W. May. (231.) Die Bakterien: E. Gutzeit. (233.) Wind und Wetter: C. Weber. (55.) Der Bau des Weltalls: J. Scheiner. (24.) Die Entſtehung d. Welt u. d. Erde: B. Weinſtein. (225.) Das aſtronom. Weltbild: S. Oppenheim. (110.) Der Mond: J. Franz. (90.) Die Planeten: E. Peter. (240.) Der Kalender: W. F. Wislicenus. (69.) Vorzeit der Erde: Fr. Frech. 1. Gebirgsbau u. Dul- kanismus. 2. Kohlenbilög. u. Klima d. Vorzeit. 3. D. Arbeit d. fließ. Waſſers. E. Einl. i. d. phnyſikal. Geologie. 4. Die Arbeit d. Ozeans u. d. chem. Tätigkeit d. Waſſers i. allgemeinen. 5. Glet⸗ ſcher und Eiszeit. (207 211.) Arithmetik u. Algebra: P. Crantz. (120. 205.) Infiniteſimalrechnung: G. Kowalewski. (197.) Mathematiſche Spiele: W. Ahrens. (170.) Das Schachſpiel: M. Lange. (281.) Angewandte Naturwiſſenſchaft. Technik. Am ſauſenden Webſtuhl d. Seit: W. Caunhardt. (25.) Die Uhr. Grundlagen und Technik der Seitmeſſung.: H. Bock. (216.) Bilder a. d. Ingenieurtechnik: K. Merkel. (60.) Schöpfungen d. Ing.⸗Technik d. Neuzeit: K. Merkel. (28.) Der Eiſenbetonbau: Em. Haimovici. (275.) Das Eiſenhüttenweſen: H. Wedding. (20.) Die Metalle: K. Scheid. (29.) s Hebezeuge: R. Vater. (196.) Candwirtſch. Maſchinenkunde: G. Fiſcher. (316.) Maſchinenelemente: R. Vater. (301.) Dampf und Dampfmaſchine: R. Dater. (65.) Einf. i. d. Theorie u. d. Bau d. neueren Wärmekraft⸗ maſchinen: R. Vater. (21.) Neuere Fortſchr. a. d. Gebiete d. Wärmekraftmaſch.: R. Vater. (85.) Waſſerkraftmaſchinen: A. v. Ihering. (228.) Mechanik: A. v. Ihering. (303 505.) Die Eiſenbahnen, Entſtehg. u. Derbreitg.: F. Hahn. (71.) Heizung u. Lüftung: J. E. Mayer. (241.) Die techn. Entwicklg. d. Eiſenb.: E. Biedermann. (144.) Das Automobil: K. Blau. (166.) Luftſchiffahrt: R. Nimführ. (300.) Grundlagen d. Elektrotechnik: R. Blochmann. (168.) Telegraphen- u. Fernſprechtechnik: H. Brick. (255.) Drähte u. Kabel: H. Brick. (285.) Funkentelegraphie: H. Thurn. (167.) Nautik: J. Möller. (255.) x Beleuchtungsarten d. Gegenwart: W. Brüſch. (108.) Wie ein Buch entſteht: A. W. Unger. (175.) Natürl.u.künſtl.pflanzen⸗ u. Tierſtoffe: B. Bavink.(187.) Luftſtickſtoff: K. Kaiſer. (315.) Agrikulturchemie: P. Kriſche. (314.) Bilder a. d. chem. Technik: A. Müller. Sprengſtoffe: R. Biedermann. (286.) Photochemie: G. Kümmell. (227.) Elektrochemie: K. Arndt. (234.) D. Naturwiſſenſch i. Haush.: J. Bongardt. (125 — 126.) Chemie i. Küche u. Haus: G. Abel. (76.) (1919 W re AN 5 5 1 RE RT, e 3 5 ET f 2 1 15. EN WE N 5 x 8 r * e Far ER Rn VVV 2 88 85 8 ae 2 5 e 1 Sr 72 3 1 1 Be ET SR . 557 5 BAR B 7 . 5 „„ € 7 e am 5 MENT at se Bu nn 172771447 711 HR IR 3616